gPDF - SFB 580 - Friedrich-Schiller-Universität Jena
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entsprechenden Resultate. In den untersuchten<br />
Lebensstil- und Lebenswertepräferenzen (Familie,<br />
Konsum, Hedonismus), ebenso wie in<br />
den (un-)politischen Einstellungen und kulturellen<br />
Vorlieben schienen sich die damals jungen<br />
Leute aus den brandneuen Bundesländern<br />
kaum von ihren westlichen Altersgenossen zu<br />
unterscheiden. Die Ergebnisse verleiteten einige<br />
Autoren zur vorschnellen Deklaration einer<br />
(angeblich bereits vollzogenen) deutschen „Jugendkulturunion“.<br />
Um so erschütterte zeigte sich die Nation, als<br />
sich in den folgenden Jahren östlich der Elbe<br />
am rechten Rand des politischen Spektrums<br />
neonazistische Jugendszenen breit machten.<br />
In der öffentlichen Debatte führte die Beobachtung<br />
solcher Phänomene erneut zu vorschnellen<br />
Urteilen. Die rechten Jugendszenen<br />
galten nun, obwohl sie von der Mehrheit der<br />
Generation und der Bevölkerung auch im Osten<br />
strikt abgelehnt wurden, als Argument für<br />
die Prognose, dass es wohl noch Generationen<br />
dauern würde, bis die ostdeutsche Population<br />
gelernt habe, in einer Demokratie zu leben.<br />
Der Rechtsextremismus junger Ostdeutscher<br />
wurde dabei relativ kurzschlüssig auf frühere<br />
Sozialisationseinflüsse in der Diktatur zurückgeführt.<br />
Diese Zick-Zack-Bewertung neuer generationeller<br />
Ausprägungen in Ostdeutschland machte<br />
deutlich, wie sehr es an Interpretationsfolien<br />
mangelte, die eine fundierte und differenzierte<br />
Betrachtung hätten ermöglichen können. Dass<br />
die auffälligen Eigenheiten auch als Reaktion<br />
auf die umbruchsbedingt prekären, wirtschafts-<br />
und sozialkulturellen Bedingungen im<br />
ostdeutschen Transformationsprozess gedeutet<br />
werden könnten, kam seltener zur Sprache.<br />
KAPITEL<br />
VORWORT<br />
1<br />
Dabei lag eine solche Deutung auf der Hand.<br />
Der in der Folge massiver Deindustrialisierung<br />
geschrumpfte, alimentierte Arbeits- und Ausbildungsmarkt<br />
beschränkt die Berufseinstiege<br />
junger Ostdeutscher noch immer drastisch<br />
und zwingt sie in weitaus höherem Maße als<br />
Gleichaltrige im Westen zur territorialen Mobilität,<br />
mit den uns bekannten Konsequenzen<br />
für die demographische Entwicklung dieser<br />
Regionen. Glaubt man sozialwissenschaftlichen<br />
Schätzungen, dann verloren bereits in den<br />
ersten Jahren nach der Vereinigung ca. zwei<br />
Drittel ostdeutscher Arbeitnehmer ihre angestammten<br />
Arbeitsplätze. Die Wucht dieser<br />
„ökonomische Revolution“ stellte die kurz zuvor<br />
euphorisch gefeierte, gewaltlose politische<br />
Revolution vielfach in den Schatten. Dabei<br />
erfuhren die heranwachsenden Ostdeutschen<br />
in ihren Herkunftsfamilien auch, dass die<br />
Anstrengungen zur Weiterbildung, Umschulung<br />
oder zu Neuanfängen in der beruflichen<br />
Selbständigkeit nicht unbedingt zum Erfolg in<br />
der Arbeit, sondern häufig nur zum Konkurrenzkampf<br />
um das knapper werdende Gut der<br />
Erwerbsarbeit befähigten. Nicht allein durch<br />
die frühe DDR-Sozialisation also, sondern<br />
vor allem durch diesen Erfahrungshintergrund<br />
unterscheiden sich die heute 20-30Jährigen<br />
in Ostdeutschland noch heute von denen im<br />
Westen.<br />
Die gegenwärtig dramatischen Wandelungen<br />
in der Arbeitswelt, Entwertungen<br />
von Bildungszertifikaten Seite 9 9<br />
auf dem Arbeitsmarkt etwa oder das<br />
Ende der von Erwerbstätigkeit und Familienversorgung<br />
geprägten Normalbiografie,<br />
treffen im Osten auch unter den Jungen auf<br />
ein ausgeprägteres Sensorium der Krisenwahr-