Ärztliche Leichenschau
Ärztliche Leichenschau
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MEDIZIN<br />
GRAFIK 1<br />
Sterbenstypen nach Leis (9). Beispiel für a) linearen Sterbenstypus (75 Jahre alter Mann bei<br />
Kreislauferkrankung und kardialer Todesursache), b) divergierenden Sterbenstypus (45 Jahre<br />
alte Frau bei metastasierendem Geschwulstleiden und organunspezifischer Todesursache),<br />
c) konvergierenden Sterbenstypus (79 Jahre alter Mann bei Kreislauf-, Magen- und Lungenerkrankung<br />
und kardialer Todesursache) und d) komplexen Sterbenstypus (63 Jahre alter<br />
Mann bei Kreislauf- und Lungenerkrankung sowie zerebraler und pulmonaler Todesursache.<br />
„Nichtnatürlich“ ist demgegenüber ein Todesfall, der<br />
auf ein von außen verursachtes, ausgelöstes oder beeinflusstes<br />
Geschehen zurückzuführen ist, unabhängig davon,<br />
ob dieses selbst- oder fremdverschuldet ist. Nichtnatürliche<br />
Todesfälle sind daher:<br />
● Gewalteinwirkungen<br />
● Unfälle (unabhängig davon ob selbst- oder fremdverschuldet)<br />
● Tötungsdelikte<br />
Hohe Dunkelziffer<br />
Nach einer multizentrischen Studie ist davon auszugehen,<br />
dass etwa 1 200 Tötungsdelikte pro Jahr<br />
in der Bundesrepublik Deutschland durch die <strong>Leichenschau</strong><br />
nicht erkannt werden.<br />
● Vergiftungen<br />
● Suizide<br />
● Behandlungsfehler<br />
● tödlich verlaufende Folgezustände der ersten vier<br />
genannten Punkte.<br />
Das Intervall zwischen einem am Anfang der zum<br />
Tode führenden Kausalkette stehenden äußeren Ereignis<br />
und dem Todeseintritt kann dabei beliebig lang (unter<br />
Umständen Jahre betragen) sein. Kann die Todesursache<br />
durch die <strong>Leichenschau</strong> nicht geklärt werden,<br />
bleibt dementsprechend auch die Todesart unklar.<br />
Verschiedene <strong>Leichenschau</strong>verordnungen der Bundesländer<br />
sowie ein Musterentwurf für eine bundeseinheitliche<br />
<strong>Leichenschau</strong> der Bundesärztekammer<br />
sehen explizit vor, dass die Attestierung eines natürlichen<br />
Todes die Untersuchung des unbekleideten<br />
Leichnams voraussetzt (e4). So heißt es beispielhaft<br />
in § 3 der Bayerischen Bestattungsverordnung: „[…]<br />
die Feststellung eines natürlichen Todes setzt in jedem<br />
Fall die Durchführung der <strong>Leichenschau</strong> an der vollständig<br />
entkleideten Leiche voraus. Die <strong>Leichenschau</strong><br />
an der vollständig entkleideten Leiche erfolgt unter<br />
Einbeziehung aller Körperregionen einschließlich aller<br />
Körperöffnungen, des Rückens und der behaarten<br />
Kopfhaut.“<br />
So sinnvoll diese Forderung ist, unterliegt es einerseits<br />
keinem Zweifel, dass sie nahezu regelhaft nicht<br />
beachtet wird. Unterschreitet der Arzt allerdings den<br />
geforderten Sorgfaltsmaßstab, begeht er bereits eine<br />
Ordnungswidrigkeit. Andererseits kann nicht verkannt<br />
werden, dass die vollständige Entkleidung des<br />
Leichnams bei erwarteten Todesfällen im Krankenhaus<br />
keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn bringt beziehungsweise<br />
den <strong>Leichenschau</strong>er vor objektive Probleme<br />
stellen kann (zum Beispiel bei voll eingetretener<br />
Totenstarre, wenn kein Hilfspersonal vorhanden<br />
ist). Weiterhin wird bei dieser Forderung nicht zwischen<br />
erwarteten und nicht erwarteten Todesfällen unterschieden.<br />
Die Todesart ist nicht geklärt, wenn die<br />
Todesursache durch die <strong>Leichenschau</strong> auch unter Berücksichtigung<br />
der Anamnese nicht erkennbar ist. Die<br />
Attestierung eines natürlichen Todes setzt immer die<br />
Benennung einer klaren Todesursache voraus. Bedenklich<br />
ist in diesem Zusammenhang, dass etwa 50<br />
bis 70 Prozent der Ärzte bei Todesfällen nach Oberschenkelhalsfraktur,<br />
20 Prozent bei Tod unter Injektion<br />
und 30 bis 40 Prozent bei Tod während einer Operation,<br />
„Mors in tabula“ einen natürlichen Tod bescheinigen<br />
(24).<br />
Definition „natürliche Todesursache“<br />
Tod aus innerer, krankhafter Ursache, bei dem der<br />
Verstorbene an einer Erkrankung gelitten hat und<br />
mit dem Ableben zu rechnen war; der Tod trat völlig<br />
unabhängig von rechtlich bedeutsamen äußeren<br />
Faktoren ein.<br />
582 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 107 | Heft 33 | 20. August 2010