Drehbuch einer Bundesratswahl - Text und Auftritt
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Uchtenhagen: «Was meinst Du, Walter, wie sind meine Wahlchancen?» Renschler,<br />
der von der Stich-Entwicklung nichts ahnt, antwortet im Brustton der Überzeugung:<br />
«Die Sache ist geritzt. Die können jetzt nicht mehr umorganisieren – der<br />
Hauptkandidat ist aus dem Rennen.»<br />
FDP-Parlamentarier <strong>und</strong> –Funktionäre treffen sich nach der abendlichen<br />
Fraktionssitzung im Restaurant «Della Casa». Es wird emsig gerechnet. Bald ist den<br />
FDPlern hier klar: «Es reicht, aber ganz knapp.» Als unsichere Kantonisten werden<br />
einige welsche Parteifre<strong>und</strong>e eingestuft. Tatsächlich sollte Lilian Uchtenhagen 12<br />
Stimmen mehr erhalten, als die FDPler voraussehen.<br />
An der «Arcady»-Bar des Hotels «Schweizerhof» bechern etwa ab 22 Uhr<br />
Parlamentarier aller bürgerlichen Fraktionen, mehrheitlich aber CVPler. CVP-<br />
Nationalrat Edgar Oehler, Chefredaktor der «Ostschweiz», beschreibt unter dem<br />
Pseudonym «Hansjakob Wahlfieber» am 8. Dezember 1983 in s<strong>einer</strong> Zeitung, wie<br />
sich die Dinge entwickelt haben: «Überparteilich kamen honorige Kreise im<br />
B<strong>und</strong>eshaus in einem bestimmten Raum zusammen <strong>und</strong> vereinbarten ein<br />
überparteiliches Zusammensitzen auf 23 Uhr. Es war immer noch Dienstagabend.<br />
Wie ein Lauffeuer gingen die parteipolitischen Telegrafen <strong>und</strong> Meldeläufer durch<br />
Berns Gassen, suchten die einschlägigen Restaurants auf <strong>und</strong> meldeten die neueste<br />
Entwicklung. Die Quittung war überall die gleiche, welche die Meldeläufer in die<br />
Zentrale zurückbrachten: ‚Jetzt reicht es uns endgültig’, habe man vom Heiri beim<br />
Nachtessen, vom Hans beim Dessert, vom Ueli beim Zeitungslesen <strong>und</strong> vom Paul<br />
auf dem Spaziergang vernommen. An der inoffiziellen Zusammenkunft der Vertreter<br />
aller Parteien fühlte man nicht nur, wie die besonnenen Typen der SP über den<br />
Ausgang des neuesten Schlagabtauschs fieberten, sondern auch den allgemeinen<br />
Drang, dem bösen Spiel endgültig eine Ende zu bereiten.<br />
Das Buschtelefon klingelte unentwegt weiter. Bald einmal hatte man die grosse<br />
Mehrheit des Parlamentes erreicht <strong>und</strong> informiert. Druck wurde auf niemanden<br />
ausgeübt, das war angesichts der vergangenen Tage <strong>und</strong> der Entwicklung verpönt.<br />
Mittlerweile war Mitternacht vorbei. Das Sandmännchen hielt Einzug. So konnte man<br />
sich geruhsam zu Bette legen, um beim Frühstück nochmals über die Bücher zu<br />
gehen. (…) Die Meldungen, die beim Frühstück hereinkamen, stimmten optimistisch;<br />
Querkontrollen ergaben, dass das Informationsnetz durch das abendliche <strong>und</strong><br />
nächtliche Bern funktioniert hatte. Das alles verdaut, das Dreiminuten-Ei, Gipfeli <strong>und</strong><br />
ein Stück Zopf verspiesen, konnte man sich gemeinsam auf den Weg ins<br />
B<strong>und</strong>eshaus machen. Man wollte zur Zeit eintreffen, denn die Lage war ernst,<br />
weshalb es eine bestimmte Angewöhnungsphase brauchte.» Soweit Hansjakob<br />
Wahlfieber alias Edgar Oehler.<br />
Auf dem Herren-WC des B<strong>und</strong>eshauses werden noch zwei Parlamentarier erwischt,<br />
die dem Treiben des Vorabends doch tatsächlich entgangen sind. Einer will leer<br />
einlegen, <strong>einer</strong> Uchtenhagen wählen. Im Gespräch während des Wasserlösens<br />
können die beiden Parlamentarier von ihrer Absicht abgehalten werden – sie<br />
versprechen, Otto Stich zu wählen. Damit keine bösen Überraschungen vorkommen,<br />
zeigen sich die Uchtenhagen-Gegner vom «Arcady»-Coup gegenseitig ihre<br />
Wahlzettel.<br />
Otto Stich wird im ersten Wahlgang mit 124 Stimmen zum B<strong>und</strong>esrat gekürt, Lilian<br />
Uchtenhagen bringt es auf 96 Stimmen. Kurz vor 11 Uhr bricht an der<br />
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