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Drehbuch einer Bundesratswahl - Text und Auftritt

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Renschler realpolitisch: «Von uns hat k<strong>einer</strong> eine Chance.» Zuletzt bleibt der Name<br />

von Nationalrätin Lilian Uchtenhagen, dem vierten Mitglied der «Viererbande».<br />

Und noch etwas scheint dem Trio klar: Wenn Ritschard schon gehen wolle, dann<br />

müsse seine Nachfolgerin vor den eidgenössischen Wahlen von der Vereinigten<br />

B<strong>und</strong>esversammlung gekürt werden können. Denn die Bürgerlichen würden es sich<br />

vor den Wahlen kaum leisten können, <strong>einer</strong> Frau vor dem Glück zu stehen. Indes,<br />

nach <strong>einer</strong> Ferienwoche, in deren Verlauf er vertieft über einen Rücktritt nachgedacht<br />

hatte, zeigt sich Willi Ritschard zunächst nicht mehr rücktrittswillig. Dann, vor den<br />

Sommerferien 1983, erklärt B<strong>und</strong>esrat Ritschard, er werde nach den Ferien <strong>und</strong> nach<br />

Konsultation seines Leibarztes bekannt geben, ob er demissioniere oder nicht. Im<br />

August diskutieren die Zentralsekretäre der SP zusammen mit dem<br />

Parteipräsidenten die allfällige Ritschard-Nachfolge: Ein Zentralsekretär bringt den<br />

Namen von Nationalrat Hans Schmid ins Spiel, Helmut Hubacher spricht sich für<br />

Nationalrätin Lilian Uchtenhagen aus.<br />

1. September 1983, im gewerkschaftseigenen Viersterne-Hotel «Bern», Bern: Das<br />

«Willi Ritschard»-Buch wird vorgestellt, das zu Ritschards 65. Geburtstag unter dem<br />

Patronat der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz <strong>und</strong> dem Schweizerischen<br />

Gewerkschaftsb<strong>und</strong> von der Büchergilde herausgegeben worden ist (Konzeption <strong>und</strong><br />

<strong>Text</strong>: Christian Fehr, ergänzt durch ein Ritschard-Porträt der Schriftstellers <strong>und</strong><br />

Ritschard-Fre<strong>und</strong>es Peter Bichsel). An der Buch-Vernissage nehmen zahlreiche<br />

Prominente von SP <strong>und</strong> Gewerkschaften teil – <strong>und</strong> verschiedene Medienvertreter, die<br />

sich vom Anlass vorab Neuigkeiten über die Rücktrittsabsichten des Geehrten<br />

versprechen. Doch Willi Ritschard lässt offen, ob er seinen zehn B<strong>und</strong>esratsjahren<br />

noch ein elftes anhängen wolle. Anwesend ist auch Nationalrätin Lilian Uchtenhagen,<br />

die später auf dem Perron des Bahnhofs Bern gegenüber dem Parteipräsidenten<br />

bezweifelt, ob Ritschard tatsächlich bereits zurücktreten wolle.<br />

3. Oktober 1983, Herbstsession: B<strong>und</strong>esrat Willi Ritschard reicht sein<br />

Demissionsschreiben ein. Das Kandidatenkarussell, das sich schon seit einiger Zeit<br />

dreht, kommt richtig in Fahrt.<br />

Am 16. Oktober stirbt der populäre SP-B<strong>und</strong>esrat auf <strong>einer</strong> Jura-Wanderung. In der<br />

Solothurner St.-Ursen-Kathedrale spricht SP-Präsident Helmut Hubacher vom<br />

«Vermächtnis» Ritschards: Willi Ritschard habe sich zuletzt Frau Uchtenhagen als<br />

seine Nachfolgerin gewünscht. Dieser vom SP-Chef erwähnte «letzte Wille» des<br />

Verstorbenen verfehlt seine Wirkung nicht: Die Ritschard-Entourage wird in den<br />

folgenden Tagen von zweifelnden <strong>und</strong> überraschten SP-Parlamentariern selbst<br />

nächtlicherweile bemüht, darüber Auskunft zu geben, ob die Sache mit dem<br />

«Vermächtnis» tatsächlich zutreffe. Wird der «letzte Wille» nicht bestätigt - etwa von<br />

Anhängern des Möchtegern-Kandidaten Hans Schmid, die es in der Ritschard-<br />

Entourage auch gibt -, atmen manche Frager erleichtert auf. So etwa ein welscher<br />

Nationalrat, der sich nochmals vergewissert: «Alors, on est libre?»<br />

Vor der Tür stehen die Gesamterneuerungswahlen für National- <strong>und</strong> Ständerat. Im<br />

Kanton Solothurn gilt als fast sicher, dass der Grenchner Stadtpräsident <strong>und</strong> SP-<br />

Nationalrat Eduard Rothen nicht mehr kandidieren wird. Eine Mehrheit in der<br />

solothurnischen SP-Geschäftsleitung würde es gern sehen, wenn auch der andere<br />

bisherige SP-Nationalrat, nämlich Coop Schweiz-Vizedirektor Otto Stich, seinen Platz<br />

ebenfalls jüngeren Kräften zur Verfügung stellen würde. Doch fürchten die<br />

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