Drehbuch einer Bundesratswahl - Text und Auftritt
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Hotel «Bern» übernachtet, dem einstigen «Volkshaus», in der letzten Sessionswoche<br />
seitens der sogenannten «Volkshüsler-Riege» der sozialdemokratischen<br />
Parlamentarier durch SP-Nationalrat Herbert Zehnder bedeutet, sie würden sich für<br />
Otto Stich einsetzen - <strong>einer</strong> der ihren, der als Nationalrat ebenfalls im Hotel «Bern»<br />
abstieg, abends gern einen Jass klopfte <strong>und</strong> im Gegensatz zu Schmid klar dem<br />
konservativen Parteiflügel zugerechnet werden kann.<br />
Am letzten Sessionstag des alten Parlamentes werden die - wie Stich - nicht mehr<br />
kandidierenden Kollegen gebührend verabschiedet. Die CVP-Nationalräte Edgar<br />
Oehler <strong>und</strong> Hans-Rudolf Feigenwinter erklären dem scheidenden Otto Stich<br />
rührsehlig: «Otti, wir werden dich nicht vergessen.» Stich antwortet etwas verlegen:<br />
«Wir werden ja sehen.»<br />
Von ihrem Kandidatenvorschlagsrecht machen verschiedene SP-Kantonalparteien<br />
Gebrauch, wenngleich vom Start weg über jedem männlichen Bewerber gleichsam<br />
Lilian Uchtenhagen als Damoklesschwert hängt. Vorgeschlagen werden: Ständerat<br />
Eduard Belser (BL), Regierungsrat <strong>und</strong> Nationalrat Kurt Meyer (BE), Nationalrat<br />
Hans Schmid (SG), Noch-Nationalrat Otto Stich (SO), Nationalrätin Lilian<br />
Uchtenhagen sowie Regierungsrat <strong>und</strong> Ex-Nationalrat Arthur Schmid (AG), ein<br />
früherer Präsident der SP Schweiz. In Zürich wird ursprünglich erwogen, allenfalls<br />
eine Zweier-Kandidatur - Lilian Uchtenhagen <strong>und</strong> Walter Renschler (mit Walliser<br />
Bürgerrecht) - vorzulegen. Diese Idee weist Frau Uchtenhagen entschieden zurück;<br />
sie will von ihren Leuten vorbehaltlos unterstützt werden.<br />
Im Kanton Bern, wo in der internen SP-Ausmarchung der seit Jahren als möglicher<br />
B<strong>und</strong>esratskandidat genannte Thuner Stadtpräsident <strong>und</strong> Nationalrat Ernst<br />
Eggenberg gegen Regierungsrat <strong>und</strong> Nationalrat Kurt Meyer mit <strong>einer</strong> Stimme<br />
Differenz unterliegt, zeichnet sich Peinliches ab. Für Meyer haben sich hier<br />
besonders Anhänger des St. Gallers Schmid in Szene gesetzt, die Eggenberg als<br />
überaus erfolgsträchtige Nummer weg vom Fenster haben wollen. Dies ahnt der<br />
nominierte Meyer freilich erst, als im schweizerischen Parteivorstand, dem neun<br />
Berner angehören, die Wahlergebnisse für die einzelnen sozialdemokratischen<br />
B<strong>und</strong>esratskandidaten bekanntgegeben werden: Auf Meyer entfällt lediglich eine<br />
Stimme, was den bernischen SP-Kantonalpräsidenten, Richard Müller, veranlasst, in<br />
der «Berner Tagwacht», der er als Chefredaktor vorsteht, darauf hinzuweisen, dass<br />
jedenfalls der Kantonalpräsident für den bernischen Kronprinzen gestimmt habe…<br />
Ende Oktober verlieren die Sozialdemokraten die eidgenössischen Wahlen. Die als<br />
Nationalrat oder Ständerat wieder kandidierenden SP-B<strong>und</strong>esratsbewerber werden<br />
aber durchs Band brillant wieder gewählt, am besten SP-B<strong>und</strong>esratskronprinzessin<br />
Lilian Uchtenhagen. Nationalrätin Uchtenhagen setzt sich am 12. November 1983 in<br />
allen SP-Wahlgremien durch, die final entscheidende SP-Fraktion ernennt sie zur<br />
offiziellen sozialdemokratischen B<strong>und</strong>esratskandidatin: Sie macht hier 31, der<br />
härteste Konkurrent, Hans Schmid, 22 Stimmen. Auf Otto Stich entfallen 8 Stimmen.<br />
Im Vorfeld dieser Nominierung <strong>und</strong> auch nachher werden zwei Uchtenhagen-<br />
Kampagnen deutlich: Die Pro-Kampagne wird von den Blättern der Ringier-Presse<br />
(«Blick», «Sonntagsblick», «Schweizer Illustrierte») geführt <strong>und</strong> hier vom<br />
prominenten Journalisten Frank A. Meyer wesentlich geprägt. Die Kontra-Kampagne<br />
lässt sich weniger genau orten, die Kandidatin selber wähnt sich aber besonders mit<br />
der Jean-Frey-Verlagsgruppe im Clinch («Weltwoche», «bilanz»). Der angesehene<br />
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