Themenschwerpunkt: Was ist Marketing? - Marketing Club Berlin
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026 marketingwissen :: kundenwissen und marketing<br />
usp – menschen im marketing. 4 : 2007<br />
Kundenwissen und <strong>Marketing</strong><br />
von Prof. Dr. Brigitte Stieler-Lorenz, Mag. Klemens Keindl<br />
Im Unterschied zu Daten, wie sie beispielsweise<br />
durch Umfragen entstehen, <strong>ist</strong> Wissen<br />
nie abstrakt (z.B. bloß eine Zahl:<br />
„5,43“) oder allgemein-gültig (z.B. „halbvoll<br />
oder halbleer“?). Stattdessen beinhaltet<br />
Wissen immer eine werte- und kontextabhängige<br />
Bewertung durch einzelne<br />
Menschen und Gruppen unter bestimmten<br />
Bedingungen, Zeiten etc. Ausgehend von<br />
dieser Unterscheidung hat sich das Wissensmanagement<br />
von der Fokussierung<br />
auf Daten bzw. Informationen und damit<br />
den großen IT-Lösungen zur Verbindung<br />
der IT mit dem zwischenmenschlichen Dialog<br />
bewegt. Story-Telling, Wissenskultur,<br />
subjektive Wahrnehmung oder Wertschätzung<br />
sind dabei zentrale Stichworte, die<br />
das erweiterte Herangehen deutlich<br />
machen.<br />
Das <strong>Marketing</strong> steht aus der Sicht des<br />
Wissensmanagements damit vor der Herausforderung,<br />
an den Schnittstellen zwischen<br />
Kunden und Organisationen mit<br />
ihren sich ständig wandelnden Wahrnehmungen<br />
und Handlungen an dynamischen<br />
und zunehmend globaleren Märkten und<br />
Kontexten einen hochqualitativen Austausch<br />
dieses Wissens beiderseitig zu<br />
ermöglichen. D.h. nicht nur Markencharakter<strong>ist</strong>ika<br />
an den Kunden zu transportieren<br />
oder Daten über den Kunden zu erfassen.<br />
Erweiternd geht es darüber hinaus darum,<br />
wie Kunden so in die Wissensflüsse eines<br />
Unternehmens involviert werden können,<br />
dass ein gemeinsamer Prozess der Wissensentwicklung<br />
über Bedürfnisse, innovative<br />
Produkte und deren Vermarktung<br />
zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit<br />
entsteht.<br />
<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> Wissen überhaupt?<br />
Während Daten als „Flut“ unserer gesamten<br />
Wahrnehmung verstanden werden,<br />
sind Informationen, relevante Daten. D.h.<br />
sie haben eine Bewertung erfahren und<br />
tragen durch Menschen gewählte Relevanzkriterien<br />
in sich, die erst aufgedeckt<br />
werden müssen. Bereits die Übertragung<br />
von Informationen <strong>ist</strong> nur unter der Voraussetzung<br />
möglich, dass gemeinsame<br />
Bewertungsmuster bestehen oder man<br />
diese expliziert, d.h. sie bewusst und verbalisierbar<br />
macht. Andernfalls werden nur<br />
Daten transferiert, die völlig unterschiedlich<br />
interpretiert werden können.<br />
Wissen <strong>ist</strong> darauf aufbauend auch noch<br />
kontextgebunden, d.h. innerhalb bestimmter<br />
Rahmenbedingungen gültig.<br />
Zeichen<br />
explizites<br />
Wissen<br />
Informationen + Kontext<br />
Daten + Relevanz<br />
+ Syntax<br />
Die Wissenstreppe<br />
Wettbewerbsfähigkeit<br />
Kompetenz + Einzigartigkeit<br />
Handeln + richtig<br />
handeln<br />
Erfahrungswissen + Wollen<br />
+ bestehende<br />
Erfahrungen im<br />
Kontext<br />
nach North 1998, Abwandlung der Autoren<br />
Die moderne Hirnforschung hat deutlich<br />
gemacht, dass bspw. Emotionen selbst<br />
beim „kühlen“ Rechnen maßgeblich beteiligt<br />
sind und auch sonst unsere gesamte<br />
erfahrungsbestimmte Wahrnehmung, Bewertung<br />
und damit Wissensentstehung erst<br />
ermöglichen (Roth 2003, Spitzer 2002). All<br />
diese Faktoren beeinflussen den Prozess<br />
der Wahrnehmung indem aus Datenfluten<br />
über die Filter subjektiver Relevanzkriterien,<br />
Annahmen, Werten und Emotionen<br />
schließlich das handlungs-bestimmende<br />
Erfahrungswissen im Kopf des Einzelnen<br />
wird.<br />
Mit dem Begriff Erfahrungswissen wird<br />
daher der enge Zusammenhang zwischen<br />
Wissen, Werten, mentalen Modellen (Hintergrundannahmen)<br />
und Emotionen von<br />
unterschiedlichen Menschen besonders<br />
betont. Erfahrungswissen, das aus dem<br />
praktischen Erleben entsteht, <strong>ist</strong> daher<br />
auch nicht durch stat<strong>ist</strong>ische Erhebungen,<br />
sondern nur spezifische Formen eines<br />
Feedbackorientierten Dialogs erfassbar<br />
(siehe dazu unten). Dieses Erfahrungswissen<br />
<strong>ist</strong> letztlich entscheidend für das Handeln<br />
der Menschen und damit auch für ihre<br />
Kaufentscheidung. Erfahrungswissen, das<br />
aus dem praktischen Erleben entsteht, <strong>ist</strong><br />
deshalb auch nicht nur durch Erhebungen,<br />
sondern vor allem durch spezifische Formen<br />
eines Feedbackorientierten Dialogs<br />
erfassbar und für das <strong>Marketing</strong> nutzbar<br />
(siehe dazu weiter unten).<br />
Aufgrund dieser Tatsache, dass Wissen<br />
über diese Vielzahl von Filterstufen entsteht,<br />
kommt der Schnittstellenkommunikation<br />
zwischen Kunden und Unternehmen,<br />
aber auch zwischen Unternehmensbereichen<br />
entscheidende Bedeutung zu. Die<br />
Wissensflüsse bspw. vom Kunden zum <strong>Marketing</strong><br />
und Vertrieb, sowie von dort weiter<br />
durch verschiedene Abteilungen zur Produktentwicklung<br />
(und zurück) sind durch<br />
die Veränderung der jeweiligen Annahmen,<br />
Werte, Emotionen sowohl der Kunden als<br />
auch derjenigen, die das Kundenwissen<br />
weitergeben etc. geprägt. Durch sie verändert<br />
sich auch das Wissen der beteiligten<br />
Akteure aus den verschiedenen Abteilungen<br />
ständig bzw. verliert an Substanz und<br />
Aktualität, wenn Kontexte und praktische<br />
Erfahrungen daraus fehlen.<br />
Wissensmanagement und <strong>Marketing</strong><br />
Wissen <strong>ist</strong> kein statisches „Ding“, das man<br />
hat oder nicht hat. Stattdessen <strong>ist</strong> es vielmehr<br />
ein Prozess und daher immer im Fluss<br />
der Veränderung (process of knowing, Polanyi<br />
1985). Wissen <strong>ist</strong> zunächst immer individuell.<br />
Damit es zu gemeinsamen Wissen<br />
z.B. zwischen Kunden und Unternehmen<br />
wird, bedarf es der gezielten Wissenskommunikation,<br />
die mehr <strong>ist</strong> als Kommunikation<br />
an sich. Dabei hat das <strong>Marketing</strong> eine<br />
zentrale Vermittlerfunktion. Die Generierung<br />
von Wissen und die Gestaltung von<br />
Kundenbeziehungen müssen diesem dauerhaften<br />
Prozesscharakter entsprechen. Wer<br />
daher nur bestehendes und leicht explizierbares<br />
Wissen vom Kunden erfahren will<br />
und nutzt, greift zu kurz. Durch die Gestaltung<br />
eines gemeinsamen Prozesses, im<br />
Sinne eines „Feedbackorientierten Dialogs“<br />
mit Kunden entsteht eine Atmosphäre, in<br />
der neues Wissen von den Kunden aus<br />
dem Gebrauch der Produkte und ihren weiteren<br />
Bedürfnissen generiert und implizites<br />
Wissen bewusst und verwertbar wird.