NUN - Ausgabe 4, Mai/Juni 2006 - Nun-Zeitschrift
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Engin Topal<br />
“Der Westen ist das Kind<br />
der islamischen Zivilisation”<br />
Der Westen ist das Kind der islamischen<br />
Zivilisation. Diese Behauptung stammt von Prof.<br />
emeritus Fuat Sezgin, der mit seinen 80 Jahren<br />
noch das renommierte Institut für Geschichte und<br />
Kultur der arabisch-islamischen Wissenschaften<br />
(gegründet 1982) in Frankfurt/<strong>Mai</strong>n leitet.<br />
Widersprechen wird ihm kaum ein Arabist oder<br />
Orientalist können, da Prof. Sezgin mit seinem<br />
voluminösen Standardwerk, die mehrbändige<br />
Geschichte des arabischen Schrifttums, einen<br />
bahnbrechenden akademischen Erfolg verzeichnen<br />
konnte und unter den Orientalisten sehr hohes<br />
Ansehen genießt.<br />
Sezgin begann seine Lehre 1942 in Istanbul bei<br />
Prof. Hellmut Ritter. Ritter floh aus Nazi-Deutschland<br />
in die Türkei, wie viele andere jüdische Akademiker<br />
seiner Zeit.Auf Anraten seines Lehrmeisters<br />
vertiefte er sich in der Geschichte der Naturwissenschaften.Von<br />
ihm erfuhr er, dass die Muslime in<br />
den Naturwissenschaften, insbesondere in der<br />
Mathematik, die größten Wissenschaftler hervorbrachten.<br />
Ritters Ansatz sollte für Sezgin eine<br />
Richtschnur in seiner Forschung bilden, der er seit<br />
60 Jahren treu geblieben<br />
ist. Nach seiner ersten<br />
Habilitation 1954 wurde<br />
er Professor an der<br />
Philosophischen Fakultät<br />
in Istanbul. 1965 habilitierte<br />
er ein zweites Mal<br />
an der Goethe-<br />
Universität zu Frankfurt<br />
im Bereich Geschichte<br />
der Naturwissenschaften,<br />
weil er sein Vaterland<br />
nach einem Militärputsch<br />
verlassen musste.<br />
Inzwischen umfassen die<br />
Publikationen seines<br />
Instituts 900 Bände. 1982<br />
bekam er das<br />
Bundesverdienstkreuz.<br />
Sezgin vertritt die These,<br />
dass die Geschichte der<br />
Naturwissenschaften von<br />
Grund auf neu geschrieben werden müsse, weil es<br />
Wissenswertes48<br />
<strong>NUN</strong> - <strong>Ausgabe</strong> 4, <strong>Mai</strong>/<strong>Juni</strong> <strong>2006</strong><br />
auf dem falschen Grundsatz beruhe, dass der<br />
Westen ihren geistig-naturwissenschaftlichen<br />
Wissenschaftskomplex direkt von den Alten<br />
Griechen übernommen haben, wobei hier bewusst<br />
oder unbewusst die Beiträge der Muslime zu den<br />
Wissenschaften übersehen oder unerwähnt<br />
bleiben. Jedoch ist inzwischen erwiesen, dass die<br />
Europäer die wissenschaftlichen Werke aus Sizilien<br />
und Andalusien teilweise plagiiert haben. Ganze<br />
Werke von muslimischen Autoren wurden teils<br />
übersetzt und teils überarbeitet und ohne<br />
Quellenangaben mit eigenen Namen veröffentlicht.<br />
So fand zwar das Wissen der alten Araber in<br />
Europa Einzug, ohne jedoch dass die Verfasser<br />
dieser Werke gerühmt wurden. Mit Werken über<br />
Mathematik,Astronomie,Trigonometrie,<br />
Geographie, Medizin usw. konnte der Westen<br />
seinen wissenschaftlichen Feldzug beginnen, wobei<br />
die Muslime nach der Räumung Siziliens und<br />
Andalusiens ihre wissen-schaftliche Basis verloren<br />
haben und immer mehr - sicherlich nicht<br />
unverschuldet - der Rückschrittligkeit nicht nur auf<br />
dem naturwissenschaftlichen Felde anheimfielen.