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Buch - Integrale Psychotherapie

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88 W. M. Weinreich: <strong>Integrale</strong> <strong>Psychotherapie</strong><br />

________________________________________________________________________________<br />

Die Deformierung der Entwicklung durch pathogene Einwirkungen beeinträchtigt<br />

besonders auf späteren Entwicklungsebenen, wenn das Selbst-<br />

System sich schon in Selbstlinien, Subpersönlichkeiten etc. differenziert hat,<br />

nicht notwendigerweise das gesamte Bewußtsein. So kann die Abwehr von<br />

emotionalen Impulsen durch eine rigide Erziehung zur Stagnation der emotionalen<br />

Entwicklung führen, während die Entwicklung anderer Selbstanteile<br />

wie bsw. der kognitiven Entwicklungslinie durch die soziale Umwelt eventuell<br />

sogar gefördert wird. Der deformierte oder stagnierende Anteil äußert<br />

sich durch – dem gestörten Bereich entsprechende – Symptome, der noch<br />

gesunde Anteil des Selbst-Systems durch Abwehrmechanismen. Wilber sieht<br />

die Abwehrmechanismen als psychisches Immunsystem, geschaffen, um die<br />

Integrität der Person zu wahren. Es wird zu einer »Autoimmunstörung«,<br />

wenn es anfängt, Teile des eigenen Selbst, von denen es meint, daß sie zu<br />

schmerzlich oder bedrohlich sind, zu bekämpfen, zu verleugnen oder zu<br />

verdrängen. Durch die ständig größer werdende Entfernung zwischen beiden<br />

kommt es zu einem inneren Konflikt, der die Energien des gesunden<br />

Persönlichkeitsanteils in der Abwehr bindet und damit seine Weiterentwicklung<br />

behindert. 130 Wilber spricht es nicht so deutlich aus, doch dürfte<br />

der Zeitpunkt des Ausbruchs einer psychischen Krankheit genau der Moment<br />

sein, an dem die Spannungen zwischen stagnierenden und sich weiterentwickelnden<br />

Linien (bzw. Subpersönlichkeiten) so groß wird, daß der<br />

Konflikt vom Individuum nicht mehr intrapsychisch reguliert werden kann,<br />

wodurch es zur (heilsamen) Krise bzw. zur Dekompensation in die Krankheit<br />

kommt.<br />

Da sich Quadranten und Entwicklungslinien gegenseitig beeinflussen, sind<br />

sehr komplexe Störungsbilder und Komorbiditäten möglich, die alle wichtigen<br />

Entwicklungsbereiche wie die körperliche, emotionale, kognitive, soziale<br />

oder spirituelle Entwicklung umfassen können. Durch die Korrespondenz<br />

der Entwicklungslinien untereinander kommt es zu Auswirkungen, die<br />

oft weit über das Bewußtsein des Individuums hinausreichen. So führt z.B.<br />

eine gestörte emotionale Entwicklung …<br />

130 vgl. Wilber, 1997b, S. 204, 211 ff, 223; Fuhr & Gremmler-Fuhr, 2000, S. 27<br />

gekürzte Onlineversion 89<br />

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a) in der Folge im individuell-inneren Quadranten zu falschen Selbstkognitionen<br />

(„Ich bin nichts wert!“) und damit zu Störungen in der Entwicklung<br />

der nachfolgenden Ebenen des Selbst.<br />

b) i m i nd i v i d uel l - ä ußer en Qua d r a nt e n zu Ve r ä nde r ung e n i n de r Hor m on-<br />

p r oduk t i on und zu una ng e m es s e ne m V er ha l t e n (z. B. Al k ohol m i ßbr a uc h)<br />

c) im kollektiv-äußeren Quadranten zu sozialen Konsequenzen (z.B. Arbeitsplatzverlust<br />

etc.)<br />

d) im kollektiv-inneren Quadranten zu gestörten sozialen Beziehungen 131 ,<br />

was sich als Vereinsamung, Scheidung etc. ausdrücken kann.<br />

Dieses Beispiel mag verdeutlichen, daß auch jeder andere Quadrant der<br />

Ausgangspunkt der Störung (bzw. Teil eines multifaktoriellen Ursachenbündels)<br />

s ei n könnt e: de r Ar bei t s p l a t z v e r l us t , di e v e r ä nd e r t e Hor m onp r od uk t i on,<br />

die Alkoholsucht oder auch die gestörten sozialen Beziehungen. 132<br />

131<br />

vgl. Wilber, 2001a, S. 131<br />

132<br />

Da die Quadranten heterarchische Aspekte eines Holons sind, scheinen von<br />

Quadrant zu Quadrant – also auf einer Ebene – rekursiv-kreisförmige Ursache-<br />

Wirkungs-Beziehungen möglich zu sein, wie sie die Systemtheorie beschreibt, im<br />

Gegensatz zu den linearen Kausalketten auf den hierarchisch gestaffelten Ebenen.<br />

Doch kennt auch die Systemtheorie den Umschlag (Phasenübergang) in<br />

völlig neue Zustände, nämlich dann, wenn sich die minimalen Abweichungen<br />

(Iterationen) in den sich selbsterhaltenden Prozessen (Homöostase) genügend<br />

summiert haben: Wenn die Füchse es einmal schaffen, alle Hasen zu erlegen, ist<br />

das Gleichgewicht dahin … Viele Systemtheoretiker übersehen aber, daß diese<br />

veränderten Zustände / Prozesse nicht nur quantitativ sind, sondern auch die<br />

Emergenz völlig neuer Qualitäten beinhalten können und daß es eine Komplexitätszunahme<br />

über die Zeit gibt. Deshalb ist ihnen meist sowohl der Evolutionsbegriff<br />

als auch eine sich daraus ableitende Bewertung fremd. Doch ergibt sich<br />

daraus, daß sich zirkuläre (systemtheoretische) und lineare (evolutionäre) Kausalität<br />

nicht ausschließen, sondern ergänzen können. In der Praxis äußert sich das<br />

bsw. als aufrechterhaltende Mechanismen psychischer Störungen, die z.B. bei<br />

ihrer Unterbrechung durch eine <strong>Psychotherapie</strong> dazu führen können, daß die<br />

Person / das familiäre System eine neue Entwicklungsebene erreicht.

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