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Streif lichter zur Bildungspolitik

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Jahr aus und verweigert ihm anschliessend<br />

den vollwertigen Ingenieurtitel.<br />

Den Gegnern der aufgewerteten Betriebslehre<br />

möchten wir folgendes zu bedenken geben:<br />

Das spezifisch schweizerische System der<br />

institutionalisierten Berufslehre hat in der<br />

Zukunft nur dann Bestand, wenn es eine ef-<br />

fiziente Ausbildung vermittelt. Die Alterna-<br />

tive wäre der Ersatz durch staatliche Lehr-<br />

werkstätten und Vollzeitschulen. Wenn wir<br />

die Betriebslehre erhalten wollen, müssen wir<br />

zu ihrer Aufwertung ja sagen. Je besser die<br />

Berufslehre ist, desto eher wirkt sie als echte<br />

Alternative zum Gymnasium. Besonders<br />

dann, wenn sie durch die Berufsmittelschule<br />

ergänzt wird und wenn die Möglichkeit einer<br />

späteren Weiterbildung zum Ingenieur of-<br />

fensteht.<br />

Grundlage fur die Ingenieuraucbildung<br />

Die Betriebslehre bietet als Grundlage für ein<br />

späteres HTL-Studium folgende Vorteile:<br />

I. Der Lehrling erlebt die Betriebsgemein-<br />

schaft in einem Alter, wo die Lebensauffas-<br />

sung des jungen Menschen noch im Werden<br />

ist. Das Verständnis für die Zusammenarbeit<br />

und den sozialen Ausgleich wird dadurch<br />

gefördert. Diese Komponente des schweize-<br />

rischen Bildungswesens hat doch sicher zum<br />

sozialen Frieden beigetragen, wie er in der<br />

Schweiz. im Gegensatz zu den meisten an-<br />

der? Ländern. während Jahrzehnten erhalten<br />

werden konnte: Friedensabkommen. Fehlen<br />

von Streiks. von sozialen Ausschreitungen.<br />

Die gegenw artigen Schwierigkeiten, die durch<br />

die wirtschaftliche Rezession bedingt sind,<br />

können die langjährige positive Bilanz des<br />

internationalen Vergleiches kaum beein-<br />

trächtigen. Oft wird behauptet. die in der<br />

Berufslehre erlernten Fähigkeiten könnten<br />

auch in kürzerer Zeit. zum Beispiel durch ein<br />

Praktikum, erworben werden. Der Praktikant<br />

wird aber von den Mitarbeitern kaum als<br />

Glied ihrer soziologischen Gruppe aner-<br />

kannt. Er wird ja in wenigen Jahren als Vor-<br />

gesetzter zu ihnen <strong>zur</strong>ückhonimen! So bleibt<br />

der Praktikant ein Fremdkörper. Die hand-<br />

werklichen Fähigkeiten kann er zwar erler-<br />

nen. aber die Entwicklung seiner Gemein-<br />

schaftsfähigkeit wird ihm schwerer gemacht<br />

als dem Lehrling. Die Situation ist ähnlich wie<br />

im Militär: Um das Rekrutendasein zu erler-<br />

nen. muss man selbst Rekrut sein. Jeder<br />

Vorgesetzte war einmal Rekrut. Ein «Re-<br />

krutenpraktikum)) ist bisher. aus guten Grün-<br />

den, noch nicht erfunden worden! Damit<br />

wollen wir uns nicht gegen eine Verkürzung<br />

der Berufslehre für besonders qualifizierte<br />

HTL-Kandidaten wenden: vier Jahre sind für<br />

manche allzu lang. Und wir anerkennen auch,<br />

dass einzelne Praktikanten. sofern sie das<br />

notwendige Fingerspitzengefühl mitbringen,<br />

die Betriebsgemeinschaft in durchaus positi-<br />

vem Sinne erleben können.<br />

2. Der Ingenieur arbeitet mit Material, wie<br />

Baugrund, Beton. Stahl. Soll die praktische<br />

Ingenieurausbildung nicht hier. beim Schaf-<br />

fen mit dem Stoff. ihren Anfang nehmen? Der<br />

spätere Student hat als Lehrling erlebt. bei<br />

welcher Belastung eine Gussplatte bricht: er<br />

weiss. wie hart ein Drehstahl ist; er hat ge-<br />

fühlt, wie leicht sich ein Fundament im sum-<br />

pfigen Boden senkt. Diese Erfahrungen stel-<br />

len wesentliche Bildungskomponenten der<br />

Berufslehre dar. die dem Gymnasiasten feh-<br />

len. Auf ihnen baut die HTL auf. Das mo-<br />

derne Konzept der rekurrenten Pädagogik<br />

legt auf die Auswertung der praktischen Er-<br />

fahrungen ganz besonderen Wert.<br />

3. Der Ingenieur muss die Sprache des Ar-<br />

beiters sprechen und diejenige des Unterneh-<br />

mers verstehen. Wir haben oben dargelegt.<br />

wie der Lehrling den Arbeiter in der Be-<br />

triebsgemeinschaft verstehen lernt. Auch das<br />

Verständnis der Sprache des Unternehmers<br />

beginnt in der Werkstatt oder im Konstruk-<br />

tionssaal. Hier erlebt der Lehrling zum ersten<br />

Mal das Wesen des freien Wettbewerbes un-<br />

ter den Firmen. Er ist Glied der sozialen<br />

Marktwirtschaft. So ist es zum Beispiel<br />

leichter. dem HTL-Studenten. der aus einer<br />

Berufslehre kommt. die anweridungsbezoge-<br />

nen Erkenntnisse der Betriebswissenschaft<br />

beizubringen als dem Maturanden. Wirt-<br />

schaftliche Fragen kommen ja an unseren<br />

Gymnasien eher zu kurz.<br />

4. Unser Land lebt von der Qualitätsarbeit.<br />

Sie nimmt ihren Anfang in der Werkstatt. Der<br />

Ingenieur, der als Lehrling <strong>zur</strong> Qualitätsar-<br />

beit erzogen wurde, wird diese auch als Vor-<br />

gesetzter fördern.<br />

5. Die Betriebslehre schliesst rnit einem Be-<br />

rufsausweis ab. Auch wenn das Weiterstu-<br />

dium nicht ergriffen wird oder wenn man<br />

darin steckenbleibt, hat man eine Grundlage<br />

zum Broterwerb. Auf dem Bildungsweg<br />

Gymnasium/Hoclischule ist dies nicht der<br />

Fall. weil die Maturität in der Regel nicht als<br />

Grundlage für eine Berufstätigkeit dienen<br />

kann. Wir HTL-Direktoren erleben immer<br />

wieder die traurige Situation der gescheiterten<br />

Gymnasisten, die sich im Alter von 18 oder<br />

19 Jahren noch nach einer geeigneten Be-<br />

rufslehre umsehen müssen.<br />

6. Tritt der HTL-Ingenieur nach Schulab-<br />

schluss ins Berufsleben ein. so ist er mit dem<br />

Betriebsgeschehen bereits vertraut. Der beim<br />

Hochschulingenieur übliche erste Praxis-<br />

schock tritt bei ihm kaum mehr auf, weil er<br />

die Praxis schon kennt.<br />

Die Institution der Berufslehre ist besser als<br />

der Ruf, den sie in weiten Kreisen der Bevöl-<br />

kerung geniesst. Sie ist in langjähriger Tradi-<br />

tion gewachsen und bildet einen festen Be-<br />

standteil des schweizerischen Bildungssy-<br />

stems. Am besten sichern wir ihren Fortbe-<br />

stand. indem wir sie weiterhin verbessern.<br />

Soll die Berufsmittelschule<br />

einen anderen Namen<br />

erhalten?<br />

Im Jahre 1968 veröffentlichte Herr Dr.<br />

L. Nyikos. damals Rektor eines Basler<br />

Gymnasiums, einen viel beachteten Artikel<br />

unter dem Titel: ((Bildung ist kein Vorrecht<br />

der Gymnasiasten.)) Auch Lehrlinge sollen in<br />

den Genuss einer gymnasialen Bildung kom-<br />

men; der Graben zwischen Ausbildung und<br />

Bildung ist abzubauen. Eine echte Alternative<br />

zum Gymnasium soll geschaffen werden.<br />

Dieser Aufsatz war gleichsam der zündende<br />

Funke fur die Schaffung der Berufsmittel-<br />

schulen. Zwar schwebte dem Verfasser nicht<br />

die heute realisierte Form der Schule vor -<br />

auch die neue Diplornmittelschule liegt in der<br />

von ihm anvisierten Ziellinie -. aber seit sei-<br />

ner Publikation brach die Diskussion um die<br />

Berufsmittelschule nicht mehr ab.<br />

Das Konzept der BMS<br />

Die intelligentesten Lehrlinge, etwa 5-8 RI<br />

eines Jahrganges, besuchen heute die Be-<br />

rufsmittelschule an einem zusätzlichen<br />

Schultag pro Woche. Zusätzlich, weil der er-<br />

ste Tag ja bereits durch die Gewerbliche Be-<br />

rufsschule beansprucht wird. So arbeiten die<br />

BMS-Lehrlinge wöchentlich 3 Tage im Be-<br />

trieb und 2 Tage in der Schule.<br />

Das BIGA hatte am 26.Juni 1970 eine<br />

Wegleitung für die Errichtung und die Orga-<br />

nisation von Berufsmittelschulen und deren<br />

Subventionierung durch den Bund herausge-<br />

geben. In der Folge sind solche Berufsmittel-<br />

schulen in allen grösseren Städten entstan-<br />

den. Gewiss läuft bei der BMS heute noch<br />

nicht alles rund. Dies kann jedoch nicht er-<br />

staunen. wurde doch - eine seltene Aus-<br />

nahme in der schweizerischen Bildungsland-<br />

schaft - ein neuer Schultyp nicht nach 25<br />

kantonalen Auffassungen. sondern mit eid-<br />

genössischer Koordination aufgebaut. Man<br />

stelle sich vergleichsweise die Schwierigkeiten<br />

vor. die auftreten würden. wenn man die<br />

Gymnasien oder die Lehrerseminarien der<br />

ganzen Schweiz vereinheitlichen wollte!<br />

In der BIGA-Wegleitung von 1970 war die<br />

Aufgabe der BMS wie folgt formuliert wor-<br />

den :<br />

N Die Berufsmittelschule vermittelt geeigneten<br />

Lehrlingen und Lehrtöchtern aller Berufe als<br />

Erganzung zum Pflichtunterricht an der Be-<br />

rufsschule eine breitere theoretische Schulung<br />

<strong>zur</strong> Vertiefung der beruflichen Ausbildung<br />

und <strong>zur</strong> Erweiterung der allgemeinen Bil-<br />

dung.),<br />

Man beachte das Doppelziel der Vertiefung<br />

der beruflichen Ausbildung einerseits und der<br />

Erweiterung der Allgemeinbildung anderer-<br />

seits.<br />

Nachdem diese BIGA-Wegleitung nur Emp-<br />

fehlungscharakter gehabt hatte, soll die Be-<br />

rut'sinittelschule nun im neuen Berufsbil-<br />

dungsgesetz verankert werden. Artikel 28 des<br />

Entwurfes lautet wie folgt:<br />

(

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