als PDF Datei online zu lesen - Stimme des Reiches
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ne Darstellung seines politischen<br />
Werdegangs hinterlassen hat.<br />
Wilhelm II. hat seine Rolle in der Politik<br />
vor 100 Jahren weder überschätzt,<br />
noch unterschätzt. Er schreibt<br />
einmal, daß der Deutsche kein talentierter<br />
Diplomat sei. Das geniale Wirken<br />
von Friedrich dem Großen oder<br />
Bismarck seien Ausnahmen gewesen.<br />
Hauptverantwortlicher in der konstitutionellen<br />
Monarchie seiner Zeit<br />
war der Reichskanzler, gestützt auf<br />
den Reichstag und die dort vertretenden<br />
Parteien. Hier wird immer wieder<br />
ein blauäugiger Pazifismus sichtbar,<br />
wie beim Reichskanzler bei Kriegsausbruch<br />
von Bethmann. Wir lernen,<br />
daß der Kaiser aber immer wieder<br />
– nur seinem Gewissen verantwortlich<br />
– für die Kontinuität von Volk und<br />
Vaterland wirkte, z.B. bei der weltweit<br />
vorbildlichen sozialen Absicherung<br />
der Arbeiterschaft, beim Ausbau der<br />
Kriegsflotte oder kurz vor dem Weltkrieg<br />
<strong>des</strong> strategisch wichtigen Ausbaus<br />
<strong>des</strong> ostdeutschen Eisenbahnnetzes<br />
und der Rheinbrücken. Zum<br />
Ausbau der Kriegsflotte unter Admiral<br />
von Tirpitz schreibt Wilhelm, kein<br />
vernünftiger Mensch in Deutschland<br />
würde davon träumen, die 4 bis<br />
5-fache Überlegenheit der britischen<br />
Flotte in Frage <strong>zu</strong> stellen. Es ginge<br />
aber um den notwendigen Schutz der<br />
Küsten und <strong>des</strong> Handels.<br />
Erst im niederländischen Exil bekam<br />
Wilhelm den Aus<strong>zu</strong>g eines Werkes <strong>zu</strong><br />
Gesicht, verfaßt von Prof. Roland<br />
Usher (Washingtoner Universität),<br />
das in einzigartiger Weise Licht auf<br />
Vorbereitung und Vorgeschichte <strong>des</strong><br />
1. Weltkrieges wirft. Er erfuhr, daß seit<br />
1897 ein geheimes Abkommen zwischen<br />
England, Frankreich und Amerika<br />
<strong>zu</strong>r Zertrümmerung Deutschlands<br />
und Österreichs bestanden hatte, und<br />
welches 17 Jahre ausgebaut werden<br />
konnte. Usher war <strong>als</strong> Geschichtsprofessor<br />
Berater der U.S.-Regierung<br />
in internationalen Fragen. Als sich diesem<br />
übermächtigen Bündnis (Entente<br />
cordiale) noch Rußland und Japan<br />
anschlossen, schlug es los, den Mord<br />
am österreichischen Thronfolger<br />
durch serbische Terroristen <strong>zu</strong>m Anlaß<br />
nehmend.<br />
Häufig wird Wilhelm die Nichterneuerung<br />
<strong>des</strong> Rückversicherungsvertrages<br />
Bismarcks mit Rußland angelastet.<br />
Das beruht nach Wilhelms<br />
Ansicht auf einer Überschät<strong>zu</strong>ng eines<br />
bloßen Vertrags: Der un<strong>zu</strong>verlässige<br />
Zar Nikolaus II. hätte trotz eines<br />
solchen Vertrages den Weg <strong>zu</strong>r Entente<br />
gefunden, wohingegen es bei<br />
seinem loyalen Vorgänger Alexander<br />
III. eines solchen Vertrages gar<br />
nicht bedurft hätte. Der Rückversicherungsvertrag<br />
verletzte <strong>zu</strong>dem die<br />
Loyalität gegenüber Österreich. –Vom<br />
russischen Außenminister Sasonow<br />
werden die entlarvenden Worte zitiert:<br />
„Die Friedensliebe <strong>des</strong> Deutschen<br />
Kaisers bürgt uns dafür, daß wir den<br />
Zeitpunkt für den Krieg selbst bestimmen<br />
können.“<br />
Als naher Blutsverwandter <strong>des</strong> britischen<br />
Königshauses mußte Wilhelm<br />
die hinterhältige Einkreisungspolitik<br />
König Eduards VII., <strong>des</strong> Kriegsministers<br />
Haldane, <strong>des</strong> Außenministers<br />
Grey erfahren. Eine tückische Einzelheit<br />
wurde ihm möglicherweise bis<br />
1922 nicht bekannt, daß nämlich die<br />
britischen Minister Grey, Haldane<br />
und Churchill den Krieg in Gang setzten,<br />
ohne ihre Regierung und ihr Parlament<br />
überhaupt <strong>zu</strong> informieren. Dies<br />
entnehme ich der Darstellung <strong>des</strong><br />
amerikanischen Historikers Patrick<br />
Buchanan („Churchill, Hitler and The<br />
Unnecessary War“). Die deutsche<br />
Politik der Friedenssicherung war, wie<br />
Wilhelm betont, das wichtigste Ver-<br />
mächtnis seiner Hohenzollern-Vorgänger<br />
und „der beiden großen Männer<br />
Bismarck und Moltke“.<br />
Erst gegen Ende <strong>des</strong> Krieges trat in<br />
den Gesichtskreis <strong>des</strong> Kaisers das<br />
einflußreiche Wirken von Geheimpolitik<br />
und Logen, besonders einer<br />
Großorientloge. Er gewann dabei<br />
rasch die Einsicht, daß nicht sämtliche<br />
Logen <strong>als</strong> deutschfeindliche Verschwörer<br />
an<strong>zu</strong>sehen sind, lehrreich<br />
für uns zeitgenössische Patrioten.<br />
Den Schlüssel <strong>zu</strong>m tragischen Abschluß<br />
<strong>des</strong> 1. Weltkrieges sieht Wilhelm<br />
in der Fehleinschät<strong>zu</strong>ng der<br />
Friedensvorschläge <strong>des</strong> amerikanischen<br />
Präsidenten Wilson und im<br />
Ausbruch der Revolution in der Heimat.<br />
Die 14 Punkte Wilsons mit einer<br />
Garantie <strong>zu</strong>r Selbstbestimmung<br />
der Völker erwiesen sich <strong>als</strong> Köder,<br />
um einen deutschen Waffenstillstand<br />
<strong>zu</strong> erreichen. Sobald Deutschland die<br />
von ihm besetzten Feindgebiete geräumt<br />
und die Waffen gestreckt hatte,<br />
ließ Wilson seine Garantien fallen.<br />
Als Verrat und Verbrechen am<br />
Volk sieht der Kaiser die internationalistische<br />
Ausrichtung der deutschen<br />
Sozialdemokratie, die sich im entscheidenden<br />
Moment <strong>als</strong> Illusion erwies.<br />
Die französischen und britischen<br />
Arbeiter hätten dagegen nie ernsthaft<br />
an eine internationale Solidarität geglaubt.<br />
Der deutsche Friedenswille kam auch<br />
darin <strong>zu</strong>m Ausdruck, daß man sozialistische<br />
und katholische Treffen und<br />
Tagungen <strong>zu</strong>r Friedensvermittlung auf<br />
deutschem Boden <strong>zu</strong>ließ, die auf dem<br />
Boden der Entente untersagt wurden.<br />
Fast ein ganzes Kapitel widmet<br />
Wilhelm einer Begegnung mit dem<br />
Nuntius Pacelli (dem späteren Papst<br />
Pius XII.), der sich <strong>als</strong> Pionier von<br />
Friedensvermittlungen hervortat, die<br />
leider erfolglos blieben.<br />
Kaiser Wilhelm II:<br />
„Die deutsche Politik der Friedenssicherung war<br />
das wichtigste Vermächtnis meiner Hohenzollern-Vorgänger<br />
und der beiden großen Männer:<br />
Bismarck und Moltke.“<br />
(aus dem Erinnerungsbuch „Ereignisse und Gestalten“, 1878-1918)<br />
<strong>Stimme</strong> <strong>des</strong> <strong>Reiches</strong> Nr. 6/2010 3