Krisenberatung und Krisenbegleitung Teil II - Schulpsychologie
Krisenberatung und Krisenbegleitung Teil II - Schulpsychologie
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für SchülerberaterInnen an höheren Schulen<br />
Modul5<br />
<strong>Krisenberatung</strong> <strong>und</strong> <strong>Krisenbegleitung</strong><br />
Einführung in die <strong>Krisenberatung</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Krisenbegleitung</strong> <strong>Teil</strong> <strong>II</strong><br />
Lebenskrise – Adoleszenz<br />
Zusammengestellt von Dr. Hans Smoliner
INHALT<br />
1 DIE STUFEN DER PSYCHOSOZIALEN ENTWICKLUNG .................................................................... 1<br />
2. JUGENDZEIT ........................................................................................................................................... 4<br />
3 IDENTITÄT BEI MENSCHEN (aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie) .................................................. 6<br />
4 PERSÖNLICHKEITS- <strong>und</strong> IDENTITÄTSENTWICKLUNG .................................................................... 7<br />
5 KINDER UND JUGENDLICHE IN GRENZSITUATIONEN................................................................. 10<br />
6 TRAUERREAKTION................................................................................................................................13<br />
7 TRAUMA .................................................................................................................................................. 15<br />
8 KRISE UND SUIZIDALITÄT IM JUGENDALTER ................................................................................ 17<br />
9 ABHÄNGIGKEIT ..................................................................................................................................... 22<br />
10 INTERNETABHÄNGIGKEIT ................................................................................................................ 29<br />
11 GEWALT UND GEWALTPRÄVENTION IN DER SCHULE ............................................................... 32<br />
12 LITERATURHINWEISE:....................................................................................................................... 43<br />
Dr. Hans Smoliner<br />
Schulpsychologe, Klin. <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitspsychologe<br />
Dipl. Kunsttherapeut<br />
Psychotherapeut <strong>und</strong> Supervisor<br />
<strong>Schulpsychologie</strong> – Bildungsberatung Feldkirchen<br />
9560 Feldkirchen, Obere Tiebelgasse 5<br />
Tel.: 04276/37 700<br />
Mobil: 0699/100 95 316<br />
hans.smoliner@lsr-ktn.gv.at<br />
www.schulpsychologie-kaernten.ksn.at
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
1 DIE STUFEN DER PSYCHOSOZIALEN ENTWICKLUNG<br />
(nach Erikson, 1994)<br />
Ungefähres Alter Konflikt Angemessene Lösung Unangemessene Lösung<br />
0–11 LMo/2 Jahre<br />
11LMo/2–3 Jahre<br />
3–6 Jahre<br />
6 Jahre–Pubertät<br />
Jugend<br />
(Adoleszenz)<br />
Junges<br />
Erwachsenenalter<br />
Mittleres<br />
Erwachsenenalter<br />
Höheres<br />
Erwachsenenalter<br />
Vertrauen vs.<br />
Misstrauen<br />
Autonomie vs.<br />
Selbstzweifel<br />
Initiative vs.<br />
Schuld<br />
Kompetenz vs.<br />
Minderwertigkeit<br />
Identität vs.<br />
Rollendiffusion<br />
Intimität vs.<br />
Isolierung<br />
Generativität vs.<br />
Stagnation<br />
Ich-Integrität vs.<br />
Verzweiflung<br />
Stabiles (gr<strong>und</strong>legendes) Sicherheitsbewusstsein<br />
Selbstwahrnehmung als Handelnde(r),<br />
als fähig zur Körperbeherrschung<br />
<strong>und</strong> als Verursacher<br />
von Geschehnissen<br />
Vertrauen auf eigene Initiative<br />
<strong>und</strong> Kreativität<br />
Vertrauen auf angemessene<br />
gr<strong>und</strong>legende soziale <strong>und</strong> intellektuelle<br />
Fähigkeiten<br />
Festes Vertrauen in die eigene<br />
Person<br />
Fähigkeit zur Nähe <strong>und</strong> zur<br />
Bindung an jemand anderen<br />
Interesse an Familie, Gesellschaft,<br />
künftigen Generationen,<br />
das über unmittelbar<br />
persönliche Belange hinausgeht<br />
Gefühl der Ganzheit, gr<strong>und</strong>legende<br />
Zufriedenheit mit<br />
dem Leben<br />
Unsicherheit, Angst<br />
Zweifel an der eigenen Fähigkeit<br />
zur Kontrolle über Ereignisse<br />
Gefühl fehlenden Selbstwertes<br />
Mangelndes Selbstvertrauen,<br />
Gefühl des Versagens<br />
Wahrnehmung des Selbst als<br />
bruchstückhaft; schwankendes,<br />
unsicheres Selbstbewusstsein<br />
Gefühl der Einsamkeit, des<br />
Abgetrenntseins; Leugnung<br />
des Bedürfnisses nach Nähe<br />
Selbstbezogene Interessen;<br />
fehlende Orientierung an der<br />
Zukunft<br />
Gefühl der Vergeblichkeit,<br />
Enttäuschung<br />
Erikson beschreibt die Entwicklung der kindlichen bzw. der menschlichen Identität (ohne jedoch den<br />
Identitätsbegriff an sich jemals wirklich zu erläutern). Diese entfaltet sich im Spannungsfeld zwischen den<br />
Bedürfnissen <strong>und</strong> Wünschen des Kindes als Individuum <strong>und</strong> den, sich im Laufe der Entwicklung permanent<br />
verändernden, Anforderungen der sozialen Umwelt. Eriksons Entwicklungstheorie spricht damit den<br />
Beziehungen/der Interaktion des Kindes mit seiner personalen (<strong>und</strong> gegenständlichen) Umwelt eine tragende<br />
Rolle zu. Innerhalb seiner Entwicklung durchläuft der Mensch phasenspezifische Krisen <strong>und</strong><br />
Konflikte, welche durch die Konfrontation mit den gegensätzlichen Anforderungen <strong>und</strong> Bedürfnissen<br />
ausgelöst werden <strong>und</strong> deren Bewältigung Erikson als Entwicklungsaufgabe bezeichnet.<br />
Jede der acht Stufen stellt einen Konflikt dar, mit dem das Individuum sich aktiv auseinander setzt. (Die<br />
Altersangaben sind Richtwerte <strong>und</strong> nicht absolut zu sehen.) Die Stufenfolge ist dabei unumkehrbar <strong>und</strong><br />
universal. Die erfolgreiche Bewältigung einer Entwicklungsstufe ist für die Bewältigung der nächsten zwar<br />
nicht unbedingt erforderlich, aber hilfreich. Die vorangegangenen Phasen bilden somit das F<strong>und</strong>ament für<br />
die kommenden Phasen, <strong>und</strong> angesammelte Erfahrungen werden verwendet, um neue Identitätskrisen zu<br />
verarbeiten. Dabei wird ein Konflikt nie vollständig gelöst, sondern bleibt ein Leben lang aktuell. Für die<br />
Entwicklung ist es aber notwendig, dass er auf einer bestimmten Stufe ausreichend bearbeitet wird, um<br />
die nächste Stufe erfolgreich zu bewältigen.<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 1
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
1.1 Stufe 1: Urvertrauen vs. Urmisstrauen<br />
(1. Lebensjahr)<br />
Das Gefühl des Ur-Vertrauens bezeichnet Erikson (1973) als ein „Gefühl des Sich-Verlassen-Dürfens“<br />
(ebenda: 62). Hierzu ist das Kind angewiesen auf die Verlässlichkeit der Bezugspersonen. Werden dem<br />
Kind Forderungen nach körperlicher Nähe, Sicherheit, Geborgenheit, Nahrung etc. verweigert, entwickelt<br />
es Bedrohungsgefühle <strong>und</strong> Ängste, da eine weitgehende Erfüllung dieser Bedürfnisse lebenswichtig ist.<br />
Zum Anderen verinnerlicht es das Gefühl, seine Umwelt nicht beeinflussen zu können <strong>und</strong> ihr hilflos ausgeliefert<br />
zu sein. Hier entsteht die Gefahr der Etablierung eines Ur-Misstrauens. Es können infantile<br />
Ängste des „Leergelassenseins“ <strong>und</strong> „Verlassenwerdens“ entstehen (ebd.).<br />
1.2 Stufe 2: Autonomie vs. Scham <strong>und</strong> Zweifel<br />
(2. bis 3. Lebensjahr)<br />
Erikson bezeichnet dieses Stadium als „entscheidend für das Verhältnis zwischen Liebe <strong>und</strong> Hass, Bereitwilligkeit<br />
<strong>und</strong> Trotz, freier Selbstäußerung <strong>und</strong> Gedrücktheit“. Beschrieben wird die zunehmende Autonomieentwicklung<br />
des Kindes <strong>und</strong> ihre Bedeutung für die Manifestierung eines positiven Selbstkonzeptes/Identität.<br />
Die Bedingung für Autonomie wurzelt in einem festen Vertrauen in die Bezugspersonen <strong>und</strong><br />
sich selbst, setzt also die Bewältigung der Phase „Vertrauen versus Misstrauen“ voraus. Das Kind muss<br />
das Gefühl haben, Explorieren oder seinen Willen durchsetzen zu dürfen, ohne dass dadurch der erworbene<br />
„Schatz“ des Vertrauenkönnens <strong>und</strong> Geborgen-Seins in Gefahr gerät. Hier spielt Erikson zufolge<br />
die Emotion Scham eine wichtige Rolle. Die weitgehende oder permanente Einschränkung der explorativen<br />
Verhaltensweisen des Kindes führt dazu, dass es seine Bedürfnisse <strong>und</strong> Wünsche als schmutzig <strong>und</strong><br />
nicht akzeptabel wahrnimmt. Was sich beim Kind etabliert ist schließlich Scham <strong>und</strong> der Zweifel an der<br />
Richtigkeit der eigenen Wünsche <strong>und</strong> Bedürfnisse.<br />
1.3 Stufe 3: Initiative vs. Schuldgefühl<br />
(4. bis 5. Lebensjahr)<br />
Findet das Kind mit vier oder fünf Jahren zu einer bleibenden Lösung seiner Autonomieprobleme, steht es<br />
Erikson zufolge bereits vor der nächsten Krise. Er legt hier seinen Fokus stark auf die Bewältigung oder<br />
Nichtbewältigung des „Ödipuskomplexes“. Die symbiotische Beziehung zwischen Mutter <strong>und</strong> Kind öffnet<br />
sich <strong>und</strong> das Kind realisiert die Bedeutung anderer Personen im Leben der Mutter. Weiter geht es in erster<br />
Linie um eine ges<strong>und</strong>e Meisterung der kindlichen Moralentwicklung. Die Gr<strong>und</strong>lage für die Entwicklung<br />
des Gewissens ist gelegt, das Kind fühlt sich unabhängig vom Entdecktwerden seiner „Missetaten“<br />
beschämt <strong>und</strong> unwohl. „Aber vom Standpunkt der seelischen Ges<strong>und</strong>heit müssen wir darauf hinweisen,<br />
dass diese große Errungenschaft nicht von übereifrigen Erwachsenen überlastet werden darf; dies könnte<br />
sich sowohl für den Geist wie für die Moral selbst übel auswirken. Denn das Gewissen des Kindes kann<br />
primitiv, grausam <strong>und</strong> starr werden, wie sich gerade am Beispiel von Kindern beobachten lässt, die sich<br />
mit einer Abschnürung ihrer Triebe durch Verbote abfinden mussten. Gegebenenfalls verinnerlicht das<br />
Kind die Überzeugung, dass es selbst <strong>und</strong> seine Bedürfnisse dem Wesen nach schlecht seien. Im Gegenzug<br />
dazu beschreibt Erikson das Kind, welches diese Krise bewältigen kann, als begleitet vom Gefühl<br />
„ungebrochener Initiative als Gr<strong>und</strong>lage eines hochgespannten <strong>und</strong> doch realistischen Strebens nach<br />
Leistung <strong>und</strong> Unabhängigkeit“(ebenda: 87f).<br />
1.4 Stufe 4: Werksinn vs. Minderwertigkeitsgefühl<br />
(6. Lebensjahr bis Pubertät)<br />
Kinder in diesem Alter wollen zuschauen <strong>und</strong> mitmachen, beobachten <strong>und</strong> teilnehmen; wollen, dass man<br />
ihnen zeigt, wie sie sich mit etwas beschäftigen <strong>und</strong> mit anderen zusammen arbeiten können. Das Bedürfnis<br />
des Kindes, etwas Nützliches <strong>und</strong> Gutes zu machen, bezeichnet Erikson demzufolge als Werksinn<br />
bzw. Kompetenz. Kinder wollen nicht mehr „so tun als ob“ – jetzt spielt das Gefühl an der Welt der Erwachsenen<br />
teilnehmen zu können, eine große Rolle. Demgegenüber steht in dieser Phase die Entwicklung<br />
eines Gefühls der Unzulänglichkeit <strong>und</strong> Minderwertigkeit. Dieses Gefühl kann sich immer dann etablieren,<br />
wenn der Werksinn des Kindes überstrapaziert wird. Auch Kinder, die mit Leistungsansprüchen der<br />
Erwachsenen überfordert werden <strong>und</strong> sich schließlich selbst überfordern, scheitern häufig in dieser Entwicklungsphase.<br />
Kinder fühlen sich aus anderen Gründen minderwertig <strong>und</strong> unzulänglich, wenn ihr Be-<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 2
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
dürfnis etwas zu tun "wie die Großen" ständig unterb<strong>und</strong>en wird - aus Sorge oder weil es Aufmerksamkeit<br />
für das kindliche Tun erfordert: Sie haben den Eindruck, „nur“ ein unfähiges Kind zu sein, das an der<br />
Welt der Großen nicht teilhaben kann, weil es zu klein, zu schwach <strong>und</strong> zu unbegabt ist.<br />
1.5 Stufe 5: Identität vs. Identitätsdiffusion<br />
(Jugendalter)<br />
Identität bedeutet, dass man weiß, wer man ist <strong>und</strong> wie man in diese Gesellschaft passt. Aufgabe des Jugendlichen ist<br />
es, all sein Wissen über sich <strong>und</strong> die Welt zusammenzufügen <strong>und</strong> ein Selbstbild zu formen, das für ihn <strong>und</strong> die<br />
Gemeinschaft gut ist. Seine soziale Rolle gilt es zu finden. Ist eine Rolle zu strikt, die Identität damit zu stark, kann<br />
das zu Intoleranz führen. Schafft der Jugendliche es nicht, seine Rolle in der Gesellschaft <strong>und</strong> seine Identität zu finden,<br />
führt das nach Erikson zu Zurückweisung. Menschen mit dieser Neigung ziehen sich von der Gesellschaft zurück<br />
<strong>und</strong> schließen sich u.U. Gruppen an, die ihnen eine gemeinsame Identität anbieten. Wird dieser Konflikt erfolgreich<br />
ausbalanciert, so mündet das in die Fähigkeit der Treue. Obwohl die Gesellschaft nicht perfekt ist, kann man in<br />
ihr leben <strong>und</strong> seinen Beitrag leisten, sie zu verbessern. (Das gleiche gilt für zwischenmenschliche Beziehungen.)<br />
1.6 Stufe 6: Intimität vs. Isolierung<br />
(Frühes Erwachsenenalter)<br />
Aufgabe dieser Entwicklungsstufe ist es, ein gewisses Maß an Intimität zu erreichen, anstatt isoliert zu bleiben. Die<br />
Identitäten sind gefestigt <strong>und</strong> es stehen sich zwei unabhängige Egos gegenüber. Es gibt viele Dinge im modernen Leben,<br />
die dem Aufbau von Intimität entgegen stehen (z. B. Betonung der Karriere, großstädtisches Leben, die zunehmende<br />
Mobilität). Wird zu wenig Wert auf den Aufbau intimer Beziehungen (was auch Fre<strong>und</strong>e etc. mit einbezieht)<br />
gelegt, kann das nach Erikson zur Exklusivität führen, was heißt, sich von Fre<strong>und</strong>schaften, Liebe <strong>und</strong> Gemeinschaften<br />
zu isolieren. Wird diese Stufe erfolgreich gemeistert, ist der junge Erwachsene fähig zur Liebe. Damit meint Erikson<br />
die Fähigkeit, Unterschiede <strong>und</strong> Widersprüche in den Hintergr<strong>und</strong> treten zu lassen.<br />
1.7 Stufe 7: Generativität vs. Stagnation<br />
(Mittleres Erwachsenenalter)<br />
Generativität bedeutet die Liebe in die Zukunft zu tragen, sich um zukünftige Generationen zu kümmern, eigene<br />
Kinder großzuziehen. Erikson zählt dazu nicht nur eigene Kinder zu zeugen <strong>und</strong> für sie zu sorgen, er zählt dazu auch<br />
das Unterrichten, die Künste <strong>und</strong> Wissenschaften <strong>und</strong> soziales Engagement. Also alles, was für zukünftige Generationen<br />
"brauchbar" sein könnte. Stagnation ist das Gegenteil von Generativität: sich um sich selbst kümmern <strong>und</strong> um<br />
niemanden sonst. Zu viel Generativität heißt, dass man sich selbst vernachlässigt zum Wohle anderer. Stagnation<br />
führt dazu, dass andere uns ablehnen <strong>und</strong> wir andere. Niemand ist so wichtig wie wir selbst. Wird die Phase erfolgreich<br />
abgeschlossen, hat man die Fähigkeit zur Fürsorge erlangt, ohne sich selbst dabei aus den Augen zu verlieren.<br />
1.8 Stufe 8: Ich-Integrität vs. Verzweiflung<br />
(Hohes Erwachsenenalter)<br />
Der letzte Lebensabschnitt stellt den Menschen vor die Aufgabe, auf sein Leben zurückzublicken. Anzunehmen, was<br />
er getan hat <strong>und</strong> geworden ist <strong>und</strong> den Tod als sein Ende nicht zu fürchten. Das Gefühl noch einmal leben zu müssen,<br />
vielleicht um es dann besser zu machen, Angst vor dem Tod, führt zur Verzweiflung. Setzt sich der Mensch in<br />
dieser Phase nicht mit Alter <strong>und</strong> Tod auseinander (<strong>und</strong> spürt nicht die Verzweiflung dabei), kann das zur Anmaßung<br />
<strong>und</strong> Verachtung dem Leben gegenüber führen (dem eigenen <strong>und</strong> dem aller). Wird diese Phase jedoch erfolgreich gemeistert,<br />
erlangt der Mensch das, was Erikson Weisheit nennt - dem Tod ohne Furcht entgegensehen, sein Leben annehmen<br />
<strong>und</strong> trotzdem die Fehler <strong>und</strong> das Glück darin sehen können.<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 3
2. JUGENDZEIT<br />
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
2.1 Jugend – Periode des Überganges:<br />
von ABHÄNGIGKEIT zu EIGENSTÄNDIGKEIT<br />
– körperlich<br />
– kognitiv<br />
– emotional<br />
– sozial<br />
– finanziell<br />
2.2 Jugend – erhöhte Risikoaffinität:<br />
– legale <strong>und</strong> illegale Drogen<br />
– sexuelles Risikoverhalten<br />
– Risikoverhalten im Straßenverkehr<br />
– Mutproben<br />
– Faszination des Todes<br />
2.3 Sozialpsychologische Aspekte:<br />
Erhöhte Anforderungen an soziale Kompetenz durch:<br />
– Einfluss gesellschaftlicher Faktoren<br />
– Zunahme seit den 50er Jahren<br />
– Wandel der Lebensumstände<br />
– Arbeit<br />
– Freizeitausweitung<br />
– Stresszunahme<br />
– Nachbarschaftsverhältnisse<br />
– Familienstruktur<br />
– Abnahme der sozialen Kontrolle<br />
2.4 Jugend – Motor Der Gesellschaftlichen Entwicklung:<br />
– Kritikfähigkeit<br />
– Wertorientierung<br />
– Flexibilität<br />
– Kontaktfähigkeit<br />
– Träume<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 4
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
2.5 Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz<br />
(nach Havighurst, 1982)<br />
Adoleszenz<br />
(12-18 Jahre)<br />
Neue <strong>und</strong> reifere Beziehungen zu Altersgenossen beiderlei<br />
Geschlechts aufbauen.<br />
Übernahme der männlich/weiblichen Geschlechterrolle.<br />
Akzeptieren der eigenen körperlichen Erscheinungen<br />
<strong>und</strong> effektive Nutzung des Körpers<br />
Emotionale Unabhängigkeit von den Eltern <strong>und</strong><br />
anderen Erwachsenen.<br />
Vorbereitung auf Ehe <strong>und</strong> Familienleben.<br />
Vorbereitung auf eine berufliche Karriere.<br />
Werte <strong>und</strong> ein ethisches System erlangen, das als Leitfaden<br />
für Verhalten dient – Entwicklung einer<br />
Ideologie.<br />
Sozial verantwortliches Verhalten erstreben <strong>und</strong><br />
erreichen.<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 5
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
3 IDENTITÄT BEI MENSCHEN<br />
(aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie)<br />
Die Identität eines Menschen besteht darin, dass:<br />
– dieser Mensch von anderen Menschen unterscheidbar ist, <strong>und</strong><br />
– dieser Mensch als derselbe/dieselbe identifizierbar bleibt, auch wenn er/sie sich verändert.<br />
Identität entsteht immer innerhalb eines Verhältnisses zwischen dem, was etwas ist <strong>und</strong> dem, was es nicht<br />
ist. Insbesondere wäre kein Mensch in der Lage, ohne andere Menschen eine Identität als Mensch zu<br />
entwickeln. Denn wir sind auf die Menschen, die wir nicht sind, angewiesen, um uns von ihnen unterscheiden<br />
<strong>und</strong> zugleich Mensch sein zu können. Insofern ist unsere persönliche Identität in ihrem Wesen<br />
sozial.<br />
Da Identität auf Unterscheidung beruht <strong>und</strong> "Unterscheidung" ein Verfahren ist, das ein Ganzes untergliedert<br />
("scheidet"), kann etwas nur als <strong>Teil</strong> eines Ganzen Identität erlangen. Daher wird verständlich,<br />
weshalb Menschen ihre Identität als bestimmte Menschen in einem Wechselspiel von "Dazugehören" <strong>und</strong><br />
"Abgrenzen" entwickeln.<br />
3.1 Psychische Identität<br />
Die psychische Identität stellt keine wie auch immer geartete eindeutige Essenz oder ein unveränderliches<br />
Wesen dar. Im Gegenteil: Identität als psychologisches Konzept geht geradezu davon aus, dass sich ein<br />
Mensch mit etwas "identifiziert", also ein äußeres Merkmal einer bestehenden Gruppenidentität als sein<br />
eigenes Wesensmerkmal annimmt. In gewisser Hinsicht erscheint dies als notwendiger Prozess zur Heranbildung<br />
einer eigenen Persönlichkeit, aber es bleibt stets ein Element der Fremdbestimmung <strong>und</strong> Zuschreibung.<br />
3.2 Soziale Identität<br />
Die soziale Identität wird einer Person durch die Gesellschaft zugeschrieben <strong>und</strong> umfasst alle Eigenschaften<br />
die diese Identität enthält. Eine soziale Identität ist eng mit der Übernahme bestimmter Rollen innerhalb<br />
einer (sozialen) Gruppe verb<strong>und</strong>en. Eine Rolle kann die berufliche Arbeit sein.<br />
3.3 Verändern der Identität<br />
Ein Mensch verändert dann ihre/seine Identität, wenn<br />
– sie/er sich so verändert, dass dadurch Kriterien, anhand derer sie/er identifiziert wird, unbrauchbar<br />
werden, (z.B. Cross-Gender: Identität als Mann oder Frau verändern; Emanzipation: gemeinsam<br />
Identität entwickeln) oder<br />
– einige Instanzen, welche die Identifizierung vornehmen, entfallen, oder einige Kriterien der Identifizierung<br />
geändert werden (z.B. Galileo Galilei: vom Ketzer zum bahnbrechenden Entdecker; Emigration:<br />
vom Einheimischen zum Fremden).<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 6
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
4 PERSÖNLICHKEITS- <strong>und</strong> IDENTITÄTSENTWICKLUNG<br />
Selbstwahrnehmung<br />
PERSÖNLICHKEITS-<br />
<strong>und</strong><br />
IDENTITÄTSENTWICKLUNG<br />
Selbst- <strong>und</strong><br />
Fremdbewertung<br />
Selbstwert<br />
4.1 Einflüsse der Persönlichkeits- <strong>und</strong> Identitätsentwicklung<br />
Schule<br />
Beruf<br />
PERSÖNLICHKEITS-<br />
<strong>und</strong><br />
IDENTITÄTSENTWICKLUNG<br />
Begabungen<br />
Fähigkeiten<br />
Interessen<br />
soziale <strong>und</strong><br />
emotionale<br />
Kompetenzen<br />
Selbstkonzept<br />
Familie<br />
Fre<strong>und</strong>e<br />
Partner<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 7
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
4.2 Jugendsprache als Identitätsfindung<br />
(aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie)<br />
Jugendsprache ist der Jargon der Jugend. Jugendliche sprechen anders als Erwachsene, anders als ihre Eltern.<br />
Als wesentliche sprachliche Motive <strong>und</strong> Motivationen erscheinen Abgrenzung <strong>und</strong> Selbstdefinition<br />
(Identitätsfindung). Jugendsprache wird meistens nur unter Gleichaltrigen verwendet, in den so genannten<br />
Peer Groups (Bezugsgruppe gleichaltriger Jugendlicher). Sie kann von Gruppe zu Gruppe unterschiedlich<br />
sein. Manche Gruppen gebrauchen in hohem Maße Fäkalismen, andere bevorzugen es, ihre eigenen<br />
Wortkreationen in ihre Gespräche einzubauen.<br />
Ein großer <strong>Teil</strong> der Ausdrücke sind Neologismen (Wortneuschöpfungen) - wie zum Beispiel: alken (=<br />
sich hemmungslos betrinken), ödig (= langweilig) oder Härtepreis (= Wucherpreis). Manche Wörter<br />
werden leicht verändert: aus "vorgestern" wird vordergestern, aus "einsam" wird alleinsam <strong>und</strong> aus "Konzert"<br />
Konzi<br />
Andere Begriffe entstehen durch Wortaddition. So ist in der Jugendsprache der Teletubbyzurückwinker<br />
eine kreative Alternative zum "Schwächling"<br />
Viele Begriffe werden gesteigert, indem man super, mega, hammer, extra, spitzen oder ober’ davor setzt.<br />
Im Extremfall werden sogar mehrere dieser Steigerungsformen genutzt: Das war echt ein megaspitzenklasse<br />
Konzi!<br />
Ironie <strong>und</strong> Bedeutungsverschiebungen sind häufig. Eine Massage ist unter Jugendlichen keinesfalls eine<br />
angenehme, durchblutungsfördernde Behandlung, sondern eine Schlägerei, <strong>und</strong> ein fetter H<strong>und</strong> ist kein<br />
übergewichtiger Dackel, sondern ein dem Sprecher sympathischer Mensch (siehe auch: Warmduscher;<br />
ein "Rauchmelder" ist außerdem kein Gerät zur Warnung vor Rauchentwicklung, sondern ein Lehrer, der<br />
kontrolliert, ob Schüler in den Pausen rauchen<br />
Kreatives Verwenden von Zeichen der Popkultur, Werbung, Film oder Jugendszenen, oft in Form von<br />
Anglizismen (englischer Lehnwörter) wie z.B. cool als Synonym für "schön", "toll" oder "beeindruckend",<br />
phat,shice<br />
Hybridformen sind Wörter aus anderen Sprachen (meistens aus dem Englischen), welche "eingedeutscht"<br />
werden, wie zum Beispiel mailen (= E-Mails versenden) oder chillen (= sich ausruhen, entspannen)<br />
(de.wikipedia.org). Außerdem findet sich die „klangliche Eindeutschung“, wie sie z. B. bei dem Wort<br />
‚Workmän’ (= Walkman) stattgef<strong>und</strong>en hat. (Hermann Ehmann – Voll konkret).<br />
Fäkalismen <strong>und</strong> sexuelle Begriffe sind in der Jugendsprache alltäglich. Jugendliche kreiren <strong>und</strong> gebrauchen<br />
häufig Schimpfwörter. Diese mögen zwar anstößig klingen, sind aber meistens nicht ernst gemeint.<br />
Es ist also tatsächlich normal, wenn man hört, dass ein Jugendlicher zu seinem Kameraden sagt: Ach fick<br />
dich doch, du Spasti!, denn es heißt so viel wie "Lass mich doch in Ruhe."<br />
Die meisten Ausdrücke der Jugendsprache verschwinden nach etwa 10-20 Jahren wieder aus dem<br />
Sprachgebrauch. Manches bleibt aber auch erhalten <strong>und</strong> ist eine Hauptquelle für den allmählichen<br />
Sprachwandel.<br />
Versuchen ältere Menschen, Jugendsprache zu benutzen (etwa Politiker, die selbst "jugendgemäß" erscheinen<br />
möchten), so wirkt dies oft unbeholfen <strong>und</strong> löst Heiterkeit unter jungen Menschen aus.<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 8
4.3 Die 16 Lebensmotive<br />
(Steven Reiss, 1998)<br />
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
1. MACHT: Streben nach Erfolg, Leistung, Führung <strong>und</strong> Einfluss<br />
2. UNABHÄNGIGKEIT: Streben nach Freiheit, Selbstgenügsamkeit <strong>und</strong> Autarkie<br />
3. NEUGIER: Streben nach Wissen <strong>und</strong> Wahrheit<br />
4. ANERKENNUNG:<br />
Streben nach sozialer Akzeptanz, Zugehörigkeit <strong>und</strong> positivem<br />
Selbstwert<br />
5. ORDNUNG: Streben nach Stabilität, Klarheit <strong>und</strong> guter Organisation<br />
6. SPAREN: Streben nach Anhäufung materieller Güter <strong>und</strong> Eigentum<br />
7. EHRE:<br />
Streben nach Loyalität <strong>und</strong> moralischer, charakterlicher<br />
Integrität<br />
8. IDEALISMUS: Streben nach sozialer Gerechtigkeit <strong>und</strong> Fairness<br />
9. BEZIEHUNGEN: Streben nach Fre<strong>und</strong>schaft, Kameradschaft <strong>und</strong> Humor<br />
10. FAMILIE:<br />
11. STATUS:<br />
12. RACHE:<br />
13. ROMANTIK:<br />
Streben nach einem Familienleben <strong>und</strong> besonders danach,<br />
eigene Kinder zu erziehen<br />
Streben nach social standing, nach Reichtum, Titeln <strong>und</strong><br />
öffentlicher Aufmerksamkeit<br />
Streben nach Konkurrenz, Kampf, Aggressivität <strong>und</strong> Vergeltung<br />
Streben nach einem erotischen Leben, Sexualität <strong>und</strong><br />
Schönheit<br />
14. ERNÄHRUNG: Streben nach Essen <strong>und</strong> Nahrung<br />
15. KÖRPERLICHE AKTIVITÄT: Streben nach Fitness <strong>und</strong> Bewegung<br />
16. RUHE: Streben nach Entspannung <strong>und</strong> emotionaler Sicherheit<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 9
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
5 KINDER UND JUGENDLICHE IN GRENZSITUATIONE<br />
(nach Gertrude Bogyi, Universitätsklinik für Psychiatrie des Kindes- <strong>und</strong> Jugendalters)<br />
5.1 Grenzsituationen<br />
– Begegnung mit dem Tod<br />
– Chronisch kranke Bezugspersonen<br />
– Unfall<br />
– Scheidung der Eltern<br />
5.1.1 Kritisches Ereignis<br />
– Plötzlich <strong>und</strong> unerwartet auftretend<br />
– Gewohnte Bewältigungsmechanismen überfordert<br />
– Psychische Stressbelastung<br />
– Physische, psychische Gewalt<br />
– Zeugenschaft<br />
– Fluchttrauma<br />
– Katastrophen<br />
Beispiele.: Verlust oder Tod eines nahe stehenden Menschen, Unfall, schwere Krankheit, Trennung, Gewalt,<br />
Überfall, sexueller Missbrauch, Großschadensereignisse, Naturkatastrophen...<br />
Nicht jedes kritische Ereignis muss in eine Krise führen <strong>und</strong> nicht jede traumatische Krise muss zu psychischen<br />
Störungen führen!<br />
Bei entsprechenden Bewältigungsmöglichkeiten kann die Person nach Durchleben der verschiedenen<br />
Phasen ihr gewohntes Leben wieder aufnehmen. Nicht mit der gleichen psychischen Ausstattung wie vorher,<br />
sondern durch die Erfahrung reicher eine Krise bewältigt zu haben. Viele der Betroffenen können das<br />
Erlebte, nach einem entsprechenden Bearbeitungszeitrahmen <strong>und</strong> mit Hilfe der Unterstützung ihres sozialen<br />
Umfeldes, bewältigen, d.h. in ihre Lebensgeschichte einordnen, sodass es ein Stück ihrer psychischen<br />
Identität ist.<br />
5.1.2 Traumatisches Erlebnis<br />
Traumatische Erlebnisse sind Grenzerfahrungen - sie bringen Individuen an die Grenze ihrer Belastbarkeit,<br />
ihrer Flexibilität, ihres Handlungsvermögens, ihres Fassungsvermögens <strong>und</strong> oft an die Grenze zwischen<br />
Leben <strong>und</strong> Tod. (Butollo, 2003)<br />
Ein traumatisches Erlebnis wird als vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren<br />
<strong>und</strong> den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten erlebt, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit <strong>und</strong> schutzloser<br />
Preisgabe einher geht <strong>und</strong> so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- <strong>und</strong> Weltverständnis bewirken<br />
kann.<br />
5.1.3 Traumatische Reaktion<br />
Biphasischer Wechsel zwischen Intrusion <strong>und</strong> emotionaler Dumpfheit (emotionale Anästhesie), der gewissermaßen<br />
mit Hilfe einer Schaukelbewegung zur Verarbeitung der traumatischen Erfahrung beitragen<br />
kann.<br />
Intrusionen oder „Flashbacks": Belastende <strong>und</strong> sich aufdrängende Erinnerungen <strong>und</strong> Eindrücke, meist<br />
in Form von sensorischen Wahrnehmungen (Bilder, Gerüche, Töne, Geschmack ...). Der Betroffene erlebt<br />
es so, als wäre es im Hier <strong>und</strong> Jetzt – er kann nichts dagegen tun - erlebt das Trauma sozusagen wieder.<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 10
5.2 Phasen der Krisenbewältigung<br />
(nach Erika Schuchardt)<br />
Ungewissheit<br />
Was ist eigentlich los?<br />
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
Gewissheit Eingangsstadium I<br />
Ja aber das kann doch nicht sein... Kognitiv-reaktiv fremdgesteuerte Dimension<br />
Aggression<br />
Warum gerade ich?<br />
Verhandlung<br />
Wenn... dann muss aber?<br />
Depression Durchgangsstadium <strong>II</strong><br />
Wozu..., alles ist sinnlos? emotional ungesteuerte Dimension<br />
Annahme<br />
Ich erkenne jetzt erst<br />
Aktivität Ziel Stadium <strong>II</strong>I<br />
Ich tue das reflexiv-aktional selbstgesteuerte Dimension<br />
Solidarität<br />
Wir handeln<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 11
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
5.3 Beurteilung von Krisen bei Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen<br />
Um das Ausmaß einer Krise erfassen zu können, hat es sich bewährt, Krisen in Bezug auf die Zahl der betroffenen<br />
Dimensionen zu betrachten:<br />
Welche <strong>und</strong> wie viele Säulen der Identität sind "angeknackst", welche <strong>und</strong> wie viele sind stabil, geben Sicherheit<br />
<strong>und</strong> wirken kompensierend?<br />
5.5.1 Säulen der Identität:<br />
1. Körper, Sexualität, phys. Ges<strong>und</strong>heit,<br />
2. Soziales Netz, Fre<strong>und</strong>e, Beziehungen,<br />
3. Tätigkeiten, Arbeit, Freizeitgestaltung,<br />
4. Wohnen, Geld, Materielles,<br />
5. Werte, Religion, Spiritualität<br />
Wie Krisen erlebt <strong>und</strong> verarbeitet werden, hängt allerdings nicht nur davon ab, wie tiefgreifend <strong>und</strong> allumfassend<br />
die Erschütterungen sind, sondern auch davon, welche Erfahrungen ein Mensch in seinem bisherigen<br />
Leben mit Krisen <strong>und</strong> deren Überwindung gemacht hat.<br />
5.5.2 Zum Verlauf von Krisen<br />
Ein "typischer Krisenverlauf" lässt sich - schematisch <strong>und</strong> grob vereinfacht - folgendermaßen darstellen:<br />
– Ein krisenhaftes Geschehen wird durch innere <strong>und</strong>/oder äußere Ereignisse (Konflikt/Trauma) ausgelöst<br />
(z.B. Kündigung, Tod der Mutter)<br />
– Es entsteht Turbulenz, Unsicherheit, Verwirrung, Angst (Engpass-Gefühl). Die alten Abwehrstrukturen<br />
sind labilisiert, drohen sich aufzulösen. Diese Phase dauert unterschiedlich lange <strong>und</strong> verläuft<br />
unterschiedlich dramatisch bis zum<br />
– Höhepunkt / Wendepunkt im Krisenverlauf (Crisis heißt "Höhepunkt")<br />
– Lösung der Krise im positiven Sinn - wenn nicht, wird dieser Kreislauf vielleicht einige Male durchlebt,<br />
durchlitten, bis mehr <strong>und</strong> mehr losgelassen werden kann - sofern dieser Prozess nicht an irgendeiner<br />
Stelle "chronisch" blockiert ist.<br />
5.5.3 Betroffene Personen:<br />
1. Primäropfer: vom Ereignis selbst unmittelbar traumatisiert, also z.B. Verletzte, Verschüttete, Missbrauchsopfer...<br />
2. Sec<strong>und</strong>äropfer: die durch den Anblick der Unfallstelle oder durch die Hilfe für die Opfer traumatisiert<br />
wurden. Das können Zuschauer, Angehörige, Notärzte, Sanitäter, Feuerwehrmänner, Exekutivbeamte,<br />
Notfallpsychologen, -Seelsorger, freiwillige Helfer, etc. sein.<br />
3. Tertiäropfer: die nicht vor Ort waren, aber durch die Nachricht des Ereignisses traumatisiert wurden,<br />
also z.B. Angehörige <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e der Opfer, Nachbarn, Hinterbliebenen, aber auch Telefonisten<br />
in Organisationen.<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 12
6 TRAUERREAKTION<br />
6.1 Definition von Trauer:<br />
(nach Jorgos Canacakis, 1992)<br />
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
„Trauer ist die ges<strong>und</strong>e, lebensnotwendige, kreative Reaktion auf Verlust – <strong>und</strong> Trennungsereignisse“<br />
6.2 Trauer - Emotion <strong>und</strong> Prozess<br />
1. Biologische Ebene<br />
2. Physiologische Ebene<br />
3. Psychische Ebene<br />
4. Soziale Ebene<br />
5. Historische <strong>und</strong> kulturelle Ebene<br />
6.3 Trauerreaktionen von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen<br />
Kinder <strong>und</strong> Jugendliche trauern anders als Erwachsene. Sie sind angewiesen:<br />
– auf Bezugspersonen<br />
– auf Information<br />
<strong>und</strong> sie haben einen anderer Trauerrhythmus:<br />
– sprunghaft, unberechenbar, punktuell<br />
– Re-Grieving Phänomen:<br />
Prozess muss mit jedem Entwicklungsschritt immer wieder neu aufgenommen werden<br />
6.3.1 Einflussfaktoren bei Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen<br />
– Reaktion der Eltern , Elternteil<br />
– Rolle der verlorenen Person im Leben des Kindes<br />
– Qualität der Beziehung<br />
– Geschlecht<br />
– Alter <strong>und</strong> Entwicklungsstufe<br />
– Persönlichkeitsstruktur <strong>und</strong><br />
Abwehrmechanismen<br />
– Todesbegriffsentwicklung<br />
– Todesart <strong>und</strong> Begleitumstände<br />
– Frühere Erfahrungen mit dem Tod<br />
– Anzahl der Verluste<br />
– Soziales Umfeld<br />
– Religiöse Vorstellungen<br />
– Veränderungen, die Ereignis nach sich<br />
zieht<br />
– Weitere Verluste<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 13
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
6.3.2Trauerreaktionen von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen<br />
Trauerreaktionen von Kindern Trauerreaktionen von Jugendlichen<br />
– Angst, selbst zu sterben<br />
– Trennungsängste<br />
– Verlustängste<br />
– Bestrafungsängste<br />
– Aktives Verdrängen<br />
– Übertriebene Ausgelassenheit<br />
– Wunsch, dass alles „normal“ weitergeht<br />
– Wunsch nach Wiedervereinigung<br />
– Existentielle Fragen<br />
– Sachfragen<br />
– Wut <strong>und</strong> Aggression<br />
– Schuldgefühle<br />
– Interventionsfantasien<br />
– Suche nach Verursacher<br />
– Idealisierungstendenzen des Verlorenen<br />
– Weinen oft dann nicht, wenn es erwartet<br />
wird<br />
– Sprunghaftes punktuelles Trauern<br />
6.3.3 Maskierte Trauerreaktionen<br />
– Schulversagen<br />
– Delinquentes Verhalten<br />
– Depressive Erkrankungen<br />
– Angst – <strong>und</strong> Zwangsstörungen<br />
– Suchterkrankung<br />
– Suizidalität<br />
– Rückzug, Abkapseln<br />
– Wunsch nach Ablenkung<br />
– Gespräch mit Fre<strong>und</strong>en<br />
– Sinnkrise<br />
– Abenteuer<br />
– Übertriebene Unterhaltung<br />
– Bedürfnis, eigenes Leben zu verändern<br />
– Verstärktes Autonomiebestreben<br />
– Aufsuchen des Tatortes<br />
– Psychosomatische Beschwerden<br />
– Essensverweigerung<br />
– Suizidgedanken<br />
– Suchtverhalten<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 14
7 TRAUMA<br />
7.1 Definition nach ICD – 10:<br />
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
Traumen sind kurz oder lang anhaltende Ereignisse oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung mit<br />
katastrophalem Ausmaß, die nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde<br />
Große Bandbreite traumatischer Situationen <strong>und</strong> Situationskonstellationen lässt kein einheitliches<br />
„Traumasyndrom“ erwarten<br />
7.2 Psychische Traumatisierung<br />
– Vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren <strong>und</strong> den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten<br />
– Gefühle der Hilflosigkeit <strong>und</strong> schutzloser Preisgabe<br />
– Erschütterung von Selbst- <strong>und</strong> Weltverständnis<br />
7.2.1 Posttraumatische Belastung<br />
– Akute Belastungsstörung<br />
– Posttraumatische Belastungsstörung<br />
– Anpassungsstörung<br />
– Dissoziative Störungen<br />
– Psychotische Störungen<br />
– Depression<br />
7.2.2 Unterschied zwischen Akuter <strong>und</strong> posttraumatischer Belastungsstörung<br />
Akute Belastungsreaktion Posttraumatische Belastungsstörung<br />
– Zustand der Betäubung<br />
– Rückzugsverhalten<br />
– Überaktivität<br />
– Vegetative Zeichen panischer Angst<br />
– Ärger, Aggression<br />
– Verzweiflung<br />
7.2.3 Vergleich von Trauer <strong>und</strong> Posttraumatischem Stress<br />
(Raphael, 2003)<br />
– Anhaltendes Er- oder Wiedererleben der Belastung<br />
durch aufdringliche Nachhallerinnerungen<br />
(Flashbacks)<br />
– Lebendige Erinnerungen, sich wiederholende<br />
Träume<br />
– Verallgemeinerung belastender Situationen<br />
– Gedächtnis- <strong>und</strong> Merkfähigkeitsstörungen<br />
– Erhöhte psychische Sensibilität <strong>und</strong> Erregung<br />
– Vermeidungsverhalten<br />
Trauer Posttraumatischem Stress<br />
– Konzentration auf verlorene Person<br />
– Sehnsucht nach der verlorenen Person<br />
– Erregung beim flüchtigen Gedanken an verlorene<br />
Person<br />
7.2.4 Psychogenes Schocksyndrom<br />
(Walter Spiel 1974)<br />
– Konzentration auf Tod <strong>und</strong> Bilder des Grauens<br />
– Streben nach Sicherheit, Geborgenheit<br />
– Erregung wegen möglicher weiterer Bedrohungen<br />
1. Panikreaktion, Fluchttendenzen, Angst, Apathie<br />
2. Aktive Verdrängung gegen die Bewusstmachung der Ereignisse, Bearbeitung in Fantasie<br />
3. Symptombildung – oft erst nach 6 – 12 Monaten: Leistungsabfall, Rückzug,<br />
Angst Kontaktprobleme etc.<br />
4. Bearbeitung in der Realität möglich<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 15
7.3 Arten von Trauma<br />
7.3.1 Kindheitstrauma Trauma – Typ<br />
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
Leonore Terr 1995, unterscheidet zwischen:<br />
– Trauma Typ 1: einmaliges traumatisches Erlebnis<br />
– Trauma Typ 2 : längerdauernde, wiederholte traumatische Ereignisse<br />
– Unterschiedliche Reaktionsweisen<br />
– Unfälle<br />
– Längerfristige Trennungen<br />
– Operative Eingriffe<br />
– Schwere Erkrankungen<br />
– Verbrennungen<br />
– Todeserlebnis<br />
Trauma Typ 1 Trauma Typ 2<br />
– Vernachlässigung<br />
– Misshandlung<br />
– Missbrauch (emotional, sexuell)<br />
– Chronische Traumatisierung durch Krieg,<br />
Flucht, Folter<br />
Trauma – Opfer Typ 1 Trauma - Opfer –Typ 2<br />
– Detaillierte Erinnerungen<br />
– Wahrnehmungsverzerrungen<br />
– Schuldzuschreibungen<br />
Kombination Typ 1 <strong>und</strong> Typ 2<br />
– Depersonalisation<br />
– Dissoziation<br />
– Andauer von Wut <strong>und</strong> Ärger<br />
– Emotionale Anästhesie<br />
– Wendung der Wut gegen die eigene Person<br />
– Selbstverletzungen<br />
– Suizidgedanken<br />
– Aggression nach außen:<br />
Opfer werden zu Tätern<br />
– Langfristig bestehende traumatische Situationsfaktoren in Verbindung mit schockartigen Verletzungen<br />
<strong>und</strong> Verlusten führen in der Regel zu anhaltender pathologischer Trauer <strong>und</strong> Depression.<br />
– Integration in das Selbstbild fällt extrem schwer.<br />
7.3.2 Kindheitstraumata<br />
1. Wiederkehrende sich aufdrängende Erinnerungen<br />
2. Repetitive Verhaltensweisen z.B.: traumatisches Spiel<br />
3. Traumaspezifische Ängste<br />
4. Veränderte Einstellung zum Leben <strong>und</strong> zur Zukunft<br />
7.3.3 Trauma <strong>und</strong> Entwicklung<br />
– Alter <strong>und</strong> Entwicklungsstand<br />
– Ausmaß der Traumatisierung<br />
– Soziales Umfeld<br />
Eine starke soziale Unterstützung bei bekannter (akuter) Traumatisierung hält die Folgen eher gering.<br />
Geringe soziale Unterstützung <strong>und</strong> scheinbar geringe Traumatisierung (Vernachlässigung) im frühen Alter<br />
führen eher zu schweren Folgen in der Entwicklung<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 16
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
8 KRISE UND SUIZIDALITÄT IM JUGENDALTER<br />
Die Jugendzeit ist für jeden die Zeit, in der er sich von der Geborgenheit der Kindheit trennt. Es ist die<br />
Zeit, sich selbst stark genug zu fühlen, von nun an alles selbst zu machen <strong>und</strong> zudem besser, aufrichtiger,<br />
konsequenter als die Eltern.<br />
Dann ist es wieder die Zeit der Selbstzweifel, der Unsicherheit, der Schwäche – schnell wechselnd will der<br />
Jugendliche wieder zurück in die Geborgenheit der Kindheit, will wieder klein sein, nichts machen, nichts<br />
selbst entscheiden müssen.<br />
Zu Veränderungen, Trennungen <strong>und</strong> Brüchen gehören Krisen.<br />
Annähernd zwei Drittel aller Suizide werden von Männern begangen. Suizidversuche werden zu zwei<br />
Dritteln von Frauen begangen. Wir verstehen Suizidversuche als einen Schrei nach Hilfe, so dass wir davon<br />
ausgehen, dass Frauen eher als Männer auch in zugespitzten Situationen in der Lage sind, um Hilfe<br />
zu rufen. Männer scheinen demgegenüber ihrer klassischen Rolle zu erliegen <strong>und</strong> seltener Hilfe in Anspruch<br />
nehmen (sie kommen auch deutlich weniger in Beratungseinrichtungen) <strong>und</strong> greifen eher zu Mitteln,<br />
die Helfern weniger Chancen lassen.<br />
Zwei Drittel aller Jugendlichen kennen Suizidgedanken. Dies muss nicht Angst machen. Suizidgedanken<br />
können <strong>Teil</strong> einer ges<strong>und</strong>en Entwicklung in der Adoleszenzphase sein. In dieser Lebensphase stellt sich<br />
die Frage: „Warum soll ich die Kindheit verlassen? Warum soll ich erwachsen werden? Warum lebe ich?“<br />
Suizidgedanken haben oftmals eine lebensstabilisierende Funktion, wenn sie in eine Stärkung des eigenen<br />
Selbst münden. Was jedoch, wenn diese Phantasie ins Leere geht, wenn sich bei einem Kind oder Jugendlichen<br />
nicht das Gefühl einstellt, "„dann werden meine Eltern um mich traurig sein“, „dann werden meine<br />
Eltern alle Ungerechtigkeiten, die sie mir angetan haben, spüren <strong>und</strong> bereuen“? In solchen Fällen eines<br />
offenen, unklaren Ausganges suizidaler Gedanken werden sich die Gedanken verdichten, sozusagen in<br />
der Praxis die Reaktion der Eltern zu überprüfen, ob sie über den Tod des Kindes wirklich traurig sind.<br />
Es kommt zu Auffälligkeiten, wie viel zu spät von der Schule zurückzukommen, um die Reaktion der Eltern<br />
oder anderer wichtiger Beziehungspersonen zu überprüfen. „Warten sie wirklich auf mich oder sind<br />
sie froh, wenn ich weg bin?“ Wenn auch hier die Antwort nicht zu finden ist, verdichten sich die Gedanken<br />
zum Suizid. „Wenn ich dann daliege, leblos, voller Tabletten, müsst ihr neu entscheiden: Wollt ihr<br />
mich, liebt ihr mich, so rettet mich – ansonsten will ich lieber sterben.“<br />
8.1 Einschätzung der Suizidalität<br />
Die wichtigsten Hinweise auf Suizidgefahrdung sind direkte oder indirekte Äußerung von Suizidgedanken,<br />
entsprechende Vorbereitungen, Ankündigungen <strong>und</strong> Handlungen. Je konkreter die Vorstellung, desto<br />
größer ist das Risiko!<br />
8.1.1 Risikogruppe<br />
– Alkohol-, Medikamenten-, Drogenabhängige<br />
– Depressive<br />
– Alte <strong>und</strong> Vereinsamte<br />
8.1.2 aktuelle Krise:<br />
– Entwurzelte Menschen<br />
– Suizidankündigung<br />
– Früherer Suizidversuch<br />
– Schock-, Reaktionsphase bei traumatischer Krise (durch den Notfall ausgelöst)<br />
– Vollbild der Krise bei Veränderungskrise (durch den Notfall verstärkt)<br />
8.1.3 suizidale Entwicklung<br />
– Erwägung (Suizid als Möglichkeit)<br />
– Abwägung (Schwanken zwischen ja <strong>und</strong> nein)<br />
– Entschluss (Wunsch Suizid zu begehen)<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 17
8.1.4 Präsuizidales Syndrom<br />
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
– Einengung (situativ, affektiv, bezüglich Beziehungen oder Werten), Gedanken kreisen nur noch um<br />
den geplanten Suizid.<br />
– Gehemmte Aggression<br />
– Suizidphantasien<br />
8.2 Präsuizidales Syndrom<br />
(nach E. Ringel)<br />
8.2.1 A - Einengung<br />
situative Einengung<br />
– Umwelt ist übermächtig, erdrückend, überfordernd<br />
– Einengung infolge bloßer Einbildung<br />
– als Folge eines Schicksalsschlages: Verlust der Familie, einer geliebten Person<br />
dynamische Einengung<br />
Im normalen ges<strong>und</strong>en Status des Menschen spielen Kräfte <strong>und</strong> Gegenkräfte miteinander <strong>und</strong> halten den<br />
Menschen in der Balance. In einem pathologisch präsuizidalen Zustand ist diese Balance verloren gegangen,<br />
eine Kraft wird übermächtig <strong>und</strong> die Gegenregulationsmechanismen versagen.<br />
Einengung der zwischenmenschlichen Beziehungen<br />
Der zum Suizid Neigende ist immer ein einsamer, isolierter Mensch. Der Selbstmordversuch ist ein Hilfeschrei<br />
nach Beistand, nach Integration. Der Selbstmord erfolgt, wenn dieser Hilfeschrei missglückt ist.<br />
(bei mehr als 1/3 aller Selbstmörder sind vorher Suizidversuche vorausgegangen.)<br />
Einengung des Werterlebens<br />
Der zum Selbstmord Neigende ist immer ein in seinem Werterleben gestörter Mensch. Er hat kein Selbstwertgefühl;<br />
er hält nichts mehr von sich selbst. Die Einstellung zum Selbstwertgefühl ist immer verb<strong>und</strong>en<br />
mit einer Störung der Beziehung zu den Werten.<br />
8.2.2 B - Masochistische Aggressionen:<br />
Gehemmte <strong>und</strong> gegen die eigene Person gerichtete Aggressionen. Der Selbstmord ist ein unbeschreiblich<br />
aggressiver Akt. Es kommt vorerst zur Anstauung von Aggressionspotentialen. Diese können dann nicht<br />
nach außen abreagiert werden, <strong>und</strong> es kommt unter dem Druck der Aggressionen zur Wendung der Aggression<br />
auf die eigene Person.<br />
8.2.3 – Selbstmordphantasien:<br />
Die Phantasien werden beim Selbstmordgefährdeten vorerst als Ventil intendiert. „Wenn es mir schlecht<br />
geht, kann ich noch immer Selbstmord begehen.“ Schließlich kommt es zur Umkehr: Gedanken, die er<br />
vorerst selbst gerufen hat, wird er nun nicht mehr los. Die Gedanken drängen sich auf, überwältigen ihn;<br />
sie treiben das Opfer in die Aktion des Selbstmordes hinein.<br />
Fortschritt der Phantasie in drei Stadien:<br />
– Wunsch, tot zu sein.<br />
– Idee, Selbstmord zu begehen.<br />
– Fixierung auf eine bestimmte Methode. (Höchster Grad der Gefahr!)<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 18
8.3 Motive für eine Suizidhandlung<br />
(Henseler, In: Wedler, 2001)<br />
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
Können aus 4 Bereichen gleichzeitig kommen:<br />
– Autoaggression<br />
– Aggression - will andere durch seinen Tod <strong>und</strong> durch die dadurch bei diesen induzierten Schuldgefühlen<br />
bestrafen, evtl. auch erpressen.<br />
– Flucht - möchte nur seine Ruhe haben<br />
– Appell<br />
Der unterschiedliche Charakter der Motive, zeigt schon die Ambivalenz suizidaler Menschen.<br />
„Der suizidale Mensch will eigentlich nicht sterben, aber unter den gegebenen Bedingungen auch nicht<br />
mehr weiterleben". Es handelt sich häufig um den Wunsch nach Ruhe, Entspannung <strong>und</strong> Wohlbefinden.<br />
Diese Unsicherheit des Suizidanten bietet eine Chance für die Krisenintervention!<br />
8.4 Wie äußert sich Suizidgefährdung bei Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen?<br />
(aus www. neuhland.de)<br />
Suizidgefährdung ist auf den ersten Blick nicht ohne weiteres erkennbar. Fast allen Suiziden gehen Signale<br />
bzw. mehr oder weniger konkrete Hilferufe voraus. Alarmzeichen zeigen sich häufig durch ein verändertes<br />
Verhalten, das auch in der Schule zu beobachten ist. Dazu gehören:<br />
– Leistungsabfall<br />
– Schulverweigerung, Schwänzen<br />
– Unkonzentriertheit<br />
– Beschäftigung mit dem Thema Tod (Zeichnungen, Aufsätze, verbale Äußerungen)<br />
– verändertes Sozialverhalten (Abbruch von Fre<strong>und</strong>schaften, Rückzug oder aggressiv abwehrendes<br />
Verhalten)<br />
– äußerliche Veränderungen (Vernachlässigung, starke Gewichtszu- oder -abnahme)<br />
– körperliche Beschwerden unklarer Ursache (Kopf-, Bauchschmerzen, Schwindelgefühle)<br />
– Verschenken von liebgewordenen Sachen<br />
8.4.1 Wie fühlt sich ein Suizidgefährdeter Schüler?<br />
Ein Suizidversuch erzählt immer eine längere Geschichte. Vielschichtige Erfahrungen <strong>und</strong> Erlebnisse verdichten<br />
sich bei einem suizidalen Jugendlichen zu einem Gefühl der Wertlosigkeit, sie stehen vor einem<br />
Berg von Problemen, die sie nach ihrem Empfinden niemals lösen können, sie fühlen sich häufig ungeliebt,<br />
überfordert, hilflos, eingeengt. Bisher angewandte Handlungs- <strong>und</strong> Problemlösungsstrategien funktionieren<br />
nicht mehr. Gefühle von Versagen <strong>und</strong> "alles hat keinen Sinn mehr" verstärken sich. Die meisten<br />
Jugendlichen, die einen Suizidversuch unternehmen, wollen leben.<br />
Viele formulieren ihre Gefühle:<br />
"Ich wollte eigentlich nicht tot sein, nur meine Ruhe haben, den Druck <strong>und</strong> alle Probleme los sein. Ich will<br />
eigentlich leben, aber so wie jetzt kann ich nicht mehr."<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 19
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
8.5 Auslöser <strong>und</strong> Ursachen suizidalen Verhaltens<br />
(aus www. neuhland.de)<br />
Zu unterscheiden sind Auslöser <strong>und</strong> Ursachen suizidalen Verhaltens. Im Vorfeld eines Suizidversuchs<br />
finden sich unterschiedliche Belastungssituationen.<br />
5.5.1 Auslöser sind aktuell belastende Situationen:<br />
– Versagenserlebnisse<br />
– Enttäuschungen<br />
– Liebeskummer<br />
– sexuelle Identitätsprobleme<br />
– Trennung von Fre<strong>und</strong> oder Fre<strong>und</strong>in<br />
– Todesfälle in der Familie<br />
– Scheidung der Eltern,<br />
– Gewalterfahrungen<br />
– Schulversagen<br />
Solche Faktoren können den "letzten Tropfen" bedeuten, "der das Fass zum Überlaufen bringt".<br />
Langandauernde Belastungsfaktoren bestimmen das Lebensgefühl des Suizidgefährdeten. Sie sind die Ursachen<br />
für suizidales Verhalten.<br />
5.5.2 Ursachen für suizidales Verhalten:<br />
– gespannte Familienatmosphäre<br />
– häufige Streitigkeiten der Eltern<br />
– ablehnendes oder überforderndes Verhalten<br />
der Eltern<br />
– Funktion als Partnerersatz für einen Elternteil<br />
– Sündenbockfunktion<br />
Kinder <strong>und</strong> Jugendliche, die dauerhaft solchen Belastungssituationen ausgesetzt sind, haben wenige Möglichkeiten,<br />
ein stabiles Selbstwertgefühl zu entwickeln.<br />
8.6 Umgang mit suizidgefährdeten Schülern/Innen<br />
8.6.1Gr<strong>und</strong>sätze<br />
– alle Äußerungen ernstnehmen<br />
– Ruhe bewahren<br />
– Informationen besorgen<br />
– vertrauensvolle Gespräche mit Betroffenen suchen<br />
(besonders wichtig: Ernstnehmen des Gesprächspartners <strong>und</strong> aktives Zuhören)<br />
– Betroffene Schüler(in) nicht alleine lassen<br />
– Kontakt mit Experten herstellen, um weitere Schritte zu beraten<br />
(z.B. <strong>Schulpsychologie</strong>, Schularzt, etc.)<br />
– weiterführende Interventionen nach Bedarf<br />
– Betroffenheit zulassen, allenfalls mit ganzer Klasse Perspektiven entwickeln<br />
– wenn notwendig: Aufarbeitung in der Klasse; Aufarbeitung im Lehrerteam; am besten mit externen<br />
Experten (Kontakte über <strong>Schulpsychologie</strong> etc.)<br />
– geeignete Vertrauenspersonen für Prozessbegleitung in der Klasse suchen (Peers?)<br />
– Bei eingetretenem Suizid: Vorsorge für Psychohygiene der Lehrer treffen <strong>und</strong> überlegen, wie der<br />
Vorfall in der Klasse aufgearbeitet werden kann. (Möglicherweise durch Zuziehung von Experten<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 20
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
8.7 Suizidpräventive Maßnahmen in der Schule<br />
(Aus www. neuhland.de)<br />
Lehrer sind wichtige Multiplikatoren, sie werden mit vielfältigen Verhaltensweisen ihrer Schüler konfrontiert,<br />
werden von den Schülern angesprochen, müssen reagieren. Es wäre eine Überforderung, von den<br />
Lehrern zu erwarten, therapeutische Funktionen zu übernehmen. Sie können die Probleme der suizidgefährdeten<br />
Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen nicht lösen, aber oftmals können sie Entlastungen schaffen (zuhören)<br />
<strong>und</strong> Hilfsmaßnahmen in die Wege leiten.<br />
Es geht darum, die Probleme der Schüler wahrzunehmen, die soziale Kompetenz der Schüler zu stärken.<br />
Es ist weder verantwortungsvoll, die Probleme der Schüler erst gar nicht wahrzunehmen, noch sich für alles<br />
alleine verantwortlich zu fühlen. Im Rahmen des Schulunterrichts sollte Raum <strong>und</strong> Zeit zur Verfügung<br />
stehen, um über Selbstmordgedanken sprechen zu können (die meisten Jugendlichen haben in Konfliktsituationen<br />
irgendwann einmal den Gedanken, es könnte auch eine Lösung sein, das Leben zu beenden).<br />
Wichtige Bestandteile der Suizidprophylaxe sind:<br />
– Raum zu schaffen, über solche Gedanken sprechen zu können,<br />
– ein Bewusstsein dafür zu wecken, dass Suizidgedanken nicht Verrückt- oder Kranksein bedeutet,<br />
sondern Ausdruck von schwerwiegenden Konflikten <strong>und</strong> Beziehungsproblemen sind,<br />
– die Möglichkeit zu schaffen, über Probleme <strong>und</strong> mögliche Lösungsstrategien zu sprechen,<br />
– das Thema Suizidalität zu enttabuisieren.<br />
Eine der wichtigsten Interventionen bei Suizidgefährdung ist die Kommunikation,<br />
das "In-Beziehung-Gehen".<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 21
9 ABHÄNGIGKEIT<br />
(aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie)<br />
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
Die Begriffe Abhängigkeit, Sucht <strong>und</strong> Missbrauch werden vielfach bedeutungsgleich verwendet:<br />
Als Abusus (lat.) oder Missbrauch bezeichnet man den übermäßigen Konsum einer oder mehrerer Drogen.<br />
Hierzu zählen Medikamente, Alkohol, Nikotin, Analgetika, Tranquilizer, Amphetamine, Psychotrope Substanzen<br />
wie Opiate, Cannabisprodukte, Schnüffelstoffe, LSD, Kokain, Heroin oder Crack. Die aufgeführten<br />
Substanzen führen – in jeweils unterschiedlicher Ausprägung – zuerst zur Gewöhnung, dann zu psychischer<br />
<strong>und</strong> schließlich zu körperlicher Abhängigkeit.<br />
Der Begriff Abhängigkeit (umgangssprachlich: Sucht) steht in der Medizin <strong>und</strong> klinischen Psychologie für<br />
das unabweisbare Verlangen nach bestimmten Stoffen oder Verhaltensformen, durch die ein kurzfristig<br />
befriedigender Erlebniszustand erreicht wird. Diesem Verlangen werden nach Verständnis der Weltges<strong>und</strong>heitsorganisation<br />
die Kräfte des Verstandes untergeordnet. Es beeinträchtigt die freie Entfaltung einer<br />
Persönlichkeit <strong>und</strong> kann die sozialen Bindungen <strong>und</strong> die sozialen Chancen eines Individuums beeinträchtigen<br />
oder zerstören, was sehr häufig der Fall ist. Abhängigkeit wird von der WHO als Krankheit<br />
eingestuft [1]<strong>und</strong> nicht als Willens- oder Charakterschwäche.<br />
Die WHO definiert Abhängigkeit als „einen seelischen, eventuell auch körperlichen Zustand, der dadurch<br />
charakterisiert ist, dass ein dringendes Verlangen oder unbezwingbares Bedürfnis besteht, sich die entsprechende<br />
Substanz fortgesetzt <strong>und</strong> periodisch zuzuführen.“<br />
Im offiziellen Sprachgebrauch der Weltges<strong>und</strong>heitsorganisation (WHO) existierte der Begriff „Sucht“ von<br />
1957 bis 1963. Danach wurde er durch „Missbrauch“ <strong>und</strong> „Abhängigkeit“ ersetzt. In wissenschaftlichen<br />
Arbeiten wird der Begriff „Sucht“ daher seltener verwendet. Umgangssprachlich werden Abhängigkeit<br />
<strong>und</strong> Sucht synonym verwendet, Das Wort „Sucht“ ist weit verbreitet.<br />
Wortherkunft<br />
Das Wort „Sucht“ (germ. suhti-, ahd. suht, suft, mhd. suht) ist nicht verwandt mit „suchen“. Es geht auf<br />
„siechen“ (ahd. siechen, mhd. siuchan) zurück, das Leiden an einer Krankheit. Im heutigen Sprachgebrauch<br />
ist das Adjektiv „siech“ (vergleiche auch engl. sick) nur noch regional gebräuchlich.<br />
Bereits 1888 definierte Meyers Konversationslexikon „Sucht“ als ein in der Medizin veraltetes Wort, das<br />
früher ganz allgemein Krankheit bedeutete. Heute wird „Sucht“ in der Jugendsprache im Sinne von Bedürfnis,<br />
„Sucht nach etwas“ verwendet („habe eine Sucht auf“). In zusammengesetzter Form kommt es<br />
in vielen Kontexten der Alltagssprache vor: Schwindsucht, Wassersucht, Fettsucht, Fallsucht, Gelbsucht,<br />
Mondsucht, Trunksucht, Sehnsucht, „Naschsucht“, „Suchtbeziehung“, „Suchttherapie“.<br />
Das Adjektiv „süchtig“ kennzeichnet stoffabhängige <strong>und</strong> stoffunabhängige Suchtbeziehungen in konkreter<br />
wie auch übertragener Bedeutung in unterschiedlichsten Zusammenhängen („kokainsüchtig“, „süchtig<br />
nach Liebe“, „eifersüchtig“, „publicitysüchtig“).<br />
9.1 Stoffgeb<strong>und</strong>ene vs. nicht-stoffgeb<strong>und</strong>ene Abhängigkeit<br />
Den sogenannten stoffgeb<strong>und</strong>enen Abhängigkeiten (z. B. der körperlichen Alkohol-, Nikotin-, Heroinabhängigkeit<br />
sowie der psychischen Cannabis- <strong>und</strong> Kokainsucht) kommt dabei eine repräsentative Bedeutung<br />
zu. Sie veranschaulichen in drastischer, aber zugleich auch einschränkender Weise eine Erscheinung,<br />
der man auf fast allen Gebieten des menschlichen Erlebens <strong>und</strong> Verhaltens begegnen kann. Ob Arbeiten,<br />
Sammeln, Kaufen, Spielen, Essen oder Sexualität – fast jede Form menschlichen Interesses kann<br />
sich zu einer Abhängigkeit steigern, der Krankheitswert zukommt (=nicht-stoffgeb<strong>und</strong>ene Abhängigkeit).<br />
Bei den letztgenannten Abhängigkeiten spricht man von Verhaltenssüchten. Übermäßig ausgeprägte Persönlichkeitseigenschaften<br />
wie Machtstreben oder Bindungsbedürfnis werden dagegen als Bestandteil von<br />
Persönlichkeitsstörungen angesehen.<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 22
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
9.1.1 Liste verschiedener Abhängigkeiten bzw. Süchte<br />
Stoffgeb<strong>und</strong>ene Abhängigkeiten Nicht-stoffgeb<strong>und</strong>ene Abhängigkeiten<br />
(Verhaltenssucht)<br />
– Alkoholsucht – Alkohol<br />
– Amphetaminsucht<br />
– Barbituratsucht<br />
– Benzodiazepinsucht<br />
– Cannabissucht<br />
– Codeinsucht<br />
– Heroinsucht<br />
– Kokainsucht<br />
– Morphinsucht<br />
– Nikotinsucht<br />
– Koffeinsucht<br />
– Polytoxikomanie<br />
– Schokoladensucht<br />
– Essstörungen (zum <strong>Teil</strong>)<br />
9.2 Funktionen von Suchtmitteln<br />
– Probleme lösen<br />
– Konflikte vermeiden<br />
– Normen widersetzen<br />
9.3 Psychologische Wirkmechanismen<br />
– Arbeitssucht, Workaholic<br />
– Beziehungssucht<br />
– Bibliomanie<br />
– Chatsucht<br />
– Co-Abhängigkeit<br />
– Essstörungen (z. B. Anorexie, Bulimie, Adipositas)<br />
– Fernsehsucht<br />
– Handy-Abhängigkeit<br />
– Internetsucht<br />
– Kaufsucht<br />
– Lesesucht<br />
– Mediensucht<br />
– Sammelsucht („Messie-Syndrom“)<br />
– Selbstverletzendes Verhalten<br />
– Sexsucht<br />
– SMS-Abhängigkeit<br />
– Solariumsucht<br />
– Spielsucht<br />
– Sportsucht, (Fitnesssucht)<br />
– Lust <strong>und</strong> Genuss erleben<br />
– Gruppengefühl herstellen<br />
– Grenzerfahrungen spüren<br />
Hinter einer Abhängigkeit steht psychologisch immer eine stellvertretende Suche nach Beziehung, Liebe,<br />
Glück, Kontakt, Lust, Zufriedenheit etc., die natürlich auf diesem Weg erfolglos bleibt. Im Wesentlichen<br />
handelt es sich um eine Ersatzhandlung, bei der die geistige <strong>und</strong> emotionale Energie auf die Auseinandersetzung<br />
mit dem Suchtmittel gerichtet ist. So wird oft die Notwendigkeit menschlicher Kontakte <strong>und</strong><br />
auch die Anforderungen des Alltags missachtet. Dabei ist es egal, ob das Suchtmittel stofflich (Alkohol,<br />
Nikotin, Essen, etc.) oder nichtstofflich (Arbeit, Glücksspiel, Chatten, etc.), oder austauschbar ist. Das ist<br />
auch unabhängig davon, ob das Suchtmittel eine körperliche Abhängigkeit bewirkt oder nicht. Körperliche<br />
Abhängigkeit z. B. bei Alkohol oder Heroin erschwert die Therapie zusätzlich.<br />
9.4 Merkmale abhängigen Verhaltens<br />
Nicht jeder Abhängige muss alle Symptome zeigen. Die Entwicklung einer Abhängigkeitserkrankung ist<br />
oft Ergebnis eines langen Prozesses, der in vielen kleinen Schritten ablaufen kann. Verhalten, Erleben,<br />
Lebensgewohnheiten <strong>und</strong> Persönlichkeit verändern sich – oft unbemerkt – <strong>und</strong> passen sich langsam der<br />
Sucht an. Die schrittweise Veränderung erschwert es sowohl den Betroffenen als auch den Angehörigen,<br />
diesen Prozess wahrzunehmen.<br />
Der Abhängige nimmt gezielt Einfluss auf sein seelisches Erleben. Er tut dies aber nicht durch adäquates<br />
<strong>und</strong> realitätsgerechtes Handeln (vom Standpunkt der Gesellschaft, aber oft auch des Abhängigen selbst<br />
betrachtet), sondern durch den Vollzug der von der Abhängigkeit gesteuerten Handlung. Daraus resultiert<br />
ein kurzfristiges Befriedigungserleben.<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 23
9.4.1Freiheitsverlust<br />
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
Freiheitsverlust <strong>und</strong> Freiheitsverzicht, vom naiven Freiheitsbegriff ausgehend, können weitere Merkmale<br />
<strong>und</strong> Entwicklungen der Abhängigkeitserkrankung sein. Der Verlust an Freiheit beginnt zunächst als ein<br />
Verlust der Freiheit des Willens <strong>und</strong> des Denkens. Ist die Durchführung der süchtigen Handlung durch<br />
materielle, geistige oder andere Umstände unmöglich gemacht, wird das Denken des Süchtigen eingeengt<br />
auf die Befriedigung der Abhängigkeit.<br />
9.4.2 Suchtdruck<br />
Für viele Abhängige muss die Befriedigung der Abhängigkeit (Suchtdruck, englisch: Craving) möglichst<br />
sofort erfolgen. Vergangenheit <strong>und</strong> Zukunft verlieren häufig ihren bedeutungsgebenden Einfluss auf die<br />
Gegenwart. Zukunftsplanung reduziert sich oft zunehmend auf die Organisation der Abhängigkeit. Die<br />
Lebenseinstellung des Süchtigen wird in vielen Fällen in übermächtiger Weise augenblickszentriert. Eine<br />
unangemessene Dominanz der Gegenwart ist daher ein weiteres Wesensmerkmal süchtigen Verhaltens.<br />
9.4.3 Leugnung der Abhängigkeit<br />
Zur Abhängigkeitserkrankung gehört häufig das Leugnen der Krankheit vor sich selbst <strong>und</strong> anderen. Es<br />
werden manchmal simple („ich trinke/rauche aus purem Genuss“), oft auch skurrile bis absurde Ausreden<br />
(„Mein Arzt hat mir mehrere Liter Bier am Tag verordnet, für die Nieren“) benutzt, um das eigene,<br />
durch die Abhängigkeit dominierte Verhalten zu rechtfertigen. Dazu gehört oft auch ein Relativieren <strong>und</strong><br />
Herunterspielen der konsumierten Menge <strong>und</strong> der Konsumhäufigkeit.<br />
Auch das Gegenteil von Leugnung kann der Fall sein, einige Abhängige sind der Umwelt gegenüber wehleidig<br />
<strong>und</strong> bemitleiden sich selbst, weil sie sich als arme Opfer ihrer Abhängigkeitserkrankung sehen.<br />
9.4.4 Kontrollverlust<br />
Abhängige verlieren die Kontrolle über ihr Verhalten, das kann zum völlig maßlosen Verhalten führen, so<br />
dass bis zum Umfallen getrunken wird. Der eigene Kontrollverlust ist für Abhängige meist beschämend,<br />
da sie scheinbar nicht (mehr) im Besitz ihrer vollen geistigen Kräfte sind, so dass es zu massiven Verleugnungen<br />
<strong>und</strong> Vertuschungen vor sich selbst <strong>und</strong> der Umwelt kommt (z. B. jedes Bier sofort bezahlen, damit<br />
man nicht wirklich weiß, wie viel man getrunken hat). Deshalb wird Kritik von außen als unangenehm<br />
wahrgenommen. Dies alles führt meistens zur gesellschaftlichen Isolation oder in entsprechende gesellschaftliche<br />
Randgruppen.<br />
Sind entsprechend feste Strukturen im Leben vorhanden wie eine Arbeit, so kann es vorkommen, dass<br />
Abhängige jahrelang nicht auffallen oder ein Doppelleben führen. Versucht werden Reduktion oder Verzicht<br />
auf die Suchtmittel zu bestimmten Begebenheiten, um Kontrolle über das von der Abhängigkeit gesteuerte<br />
Verhalten zu erlangen <strong>und</strong> nach außen als ges<strong>und</strong> zu erscheinen.<br />
9.4.5 Co-Abhängigkeit<br />
Oft wird das von der Abhängigkeit gesteuerte Verhalten von Fre<strong>und</strong>en oder Familienangehörigen unterstützt,<br />
die dem Abhängigen viele Aufgaben abnehmen <strong>und</strong> nach außen Probleme leugnen, nahestehende<br />
Verwandte <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e verfallen in co-abhängige Verhaltensweisen <strong>und</strong> tragen so dazu bei, dass das Leben<br />
des Abhängigen nach außen lange Zeit „normal“ funktionieren kann. Als Co-Abhängigkeit gilt auch,<br />
wenn man Verantwortung für das Verhalten des Süchtigen übernimmt, sein Verhalten rechtfertigt <strong>und</strong><br />
sich seine/ihre Abhängigkeit nicht eingesteht. Co-Abhängige Verhaltensweisen können auch bei professionellen<br />
Helfern wie z. B. Sozialarbeitern auftreten.<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 24
9.4.6 Verlagerung von Abhängigkeit<br />
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
Auch ein „Funktionieren in der Gesellschaft“ kann <strong>Teil</strong> des Leugnungsprozesses sein, so dass mit Disziplin,<br />
oft unter extremen Kraftanstrengungen, der Konsum eingeschränkt wird bzw. das von der Abhängigkeit<br />
gesteuerte Verhalten den Erfordernissen des Alltags zeitweise angepasst werden kann.<br />
Süchte können mit anderen kombiniert werden oder der Betroffene wechselt von einer Sucht zur anderen,<br />
eine sogenannte Abhängigkeitsverlagerung findet statt.. Gesellschaftlich anerkannte Arbeit kann in<br />
Form von Arbeitssucht (Workaholic) als Deckmantel dienen, um einen „Kick“ zu bekommen, während in<br />
der Freizeit ein anderer Suchtmechanismus gelebt wird.<br />
9.5 Kriterien der Abhängigkeit<br />
Abhängigkeit oder Abhängigkeit von Substanzen ist in der Internationalen Klassifikation von Krankheiten<br />
im Kapitel 5 (ICD 10, V) definiert (Im amerikanischen Raum ist das DSM IV verbreitet, die Definition ist<br />
allerdings ähnlich). ICD 10 Kapitel V Nummer F1x.2 definiert das Abhängigkeitssyndrom wie folgt:<br />
– Es liegt ein starkes Verlangen oder eine Art Zwang vor, die Substanz zu konsumieren.<br />
– Kontrollverlust: Es liegt eine verminderte Kontrolle über den Substanzgebrauch vor, also Kontrollverlust<br />
über Beginn, Beendigung oder Menge oder Konsum über einen längeren Zeitraum als geplant,<br />
oder erfolglose Versuche, den Konsum zu verringern oder zu kontrollieren.<br />
– körperliches Entzugssyndrom: Körperliche Symptome treten auf, wenn die Substanz reduziert oder<br />
abgesetzt wird (beispielsweise Zittern, Halluzinationen, Kreislaufkollaps bei Alkohol, oder grippeähnliche<br />
Symptome, Erbrechen, Krampfanfälle bei Opiaten).<br />
– Toleranzentwicklung: Für Intoxikationen (Vergiftungen) oder um den gewünschten Effekt zu erreichen,<br />
müssen deutlich größere Mengen konsumiert werden, oder bei dem Konsum derselben Menge<br />
treten deutlich geringere Effekte auf: Wer mit 1,6‰ noch PKW fahren kann, hat mit Sicherheit<br />
eine Toleranzentwicklung. Diese Toleranzentwicklung bezieht sich auf die meisten Rauschmittel<br />
(einschließlich Alkohol), nicht nur auf Substanzen, die körperlich abhängig machen.<br />
– Einengung auf den Substanzgebrauch: Es werden andere wichtige Interessen, Vergnügen, Arbeit,<br />
Beziehungen vernachlässigt, oder es wird viel Zeit darauf verwandt, sich die Substanz zu beschaffen,<br />
zu konsumieren oder sich von den Auswirkungen des Konsums zu erholen.<br />
– Anhaltender Konsum trotz eindeutig schädlicher Folgen (körperlich, psychisch, sozial): Fortgesetzter<br />
Konsum, obwohl sich der/die Betreffende über die Art <strong>und</strong> das Ausmaß der Schädigung bewusst<br />
war oder hätte bewusst sein können (selbstschädigendes Verhalten).<br />
Die oben genannten Kriterien müssen mindestens einen Monat lang bestehen oder in zwölf Monaten wiederholt<br />
bestanden haben. Wenn drei der oben genannten Kriterien erfüllt sind, kann die Diagnose Abhängigkeit<br />
gestellt werden.<br />
9.5.1 schädlicher Gebrauch<br />
Der ICD 10 kennt auch die Diagnose schädlicher Gebrauch, diese ist wie folgt definiert:<br />
– Deutlicher Nachweis, dass der Substanzkonsum für psychische oder physische Probleme verantwortlich<br />
ist. Dazu gehört auch eingeschränkte Urteilsfähigkeit, gestörtes Verhalten, dass evtl. zu negativen<br />
Konsequenzen <strong>und</strong> Behinderung von zwischenmenschlichen Beziehungen führt.<br />
– Die Art der Schädigung kann klar beschrieben werden. (Beispiele: Gewalt unter Alkoholeinfluss, Interessenverlust<br />
an Partnerschaft, PKW-Fahren unter Drogeneinfluss).<br />
– Der Konsum muss mindestens einen Monat lang oder wiederholt innerhalb von zwölf Monaten aufgetreten<br />
sein.<br />
– Es dürfen zur gleichen Zeit keine anderen psychischen oder Verhaltensstörungen vorliegen (außer<br />
akuter Intoxikation mit Substanzen).<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 25
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
9.6 Ursachen/Auslöser der Abhängigkeit<br />
Seit den 80er Jahren betrachtet man Abhängigkeit/Sucht als multifaktoriellen Prozess, bei dem biologische,<br />
psychische, soziale <strong>und</strong> gesellschaftliche Faktoren zusammenwirken. Eine Suchterkrankung entwickelt<br />
sich in einem multikausalen <strong>und</strong> interaktiven Prozess. (Laging M. „Riskanter Suchtmittelkonsum bei<br />
Jugendlichen“; 2005; S.32)<br />
Alan Leshner hat 1997 als Direktor des amerikanischen National Institute of Drug Abuse (Nida) eine Bilanz<br />
der jahrzehntelang betriebenen neurowissenschaftlichen Forschungstätigkeit gezogen: Abhängigkeit<br />
ist eine Hirnkrankheit.<br />
9.6.1 Multifaktorielle Genese der Abhängigkeit<br />
„DROGE“<br />
Wirkung, Verfügbarkeit<br />
9.6.2 Ursachenmodell<br />
Soziales Umfeld<br />
Persönlichkeit<br />
(Sucht-) Mittel<br />
Gesellschaftliche Bedingungen<br />
Konsum<br />
PERSÖNLICHKEIT<br />
– Stresssituationen<br />
– Familie<br />
– Schule<br />
– Arbeit<br />
– Selbsteinschätzung<br />
– Frustrationstoleranz<br />
– Konfliktfähigkeit<br />
– Eigenschaften<br />
– Verfügbarkeit<br />
– Dosis<br />
– Dauer der Einnahme<br />
– Normen<br />
– Konsumorientierung<br />
– Leistungsorientierung<br />
– Missbrauch<br />
– Gewöhnung<br />
– Sucht<br />
UMWELT<br />
Familie, Soziales Umfeld<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 26
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
9.7 Begleitkrankheiten (Komorbidität)<br />
9.7.1 Psychische Begleitkrankheiten<br />
Neben dem Abhängigkeitssyndrom (bei Alkohol ICD-10-Code F10.2) gibt es eine Reihe von körperlichen<br />
<strong>und</strong> psychischen Begleitkrankheiten. Alkoholismus bedingt weitere Krankheiten; viele Menschen mit Persönlichkeitsstörungen<br />
<strong>und</strong> psychischen Krankheiten werden süchtig.<br />
– Häufige psychische Begleitkrankheiten sind Angststörungen, Depression, Anpassungsstörungen<br />
sowie Persönlichkeitsstörungen <strong>und</strong> Psychosen.<br />
– Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung werden oft abhängig.<br />
– Oft kann eine Posttraumatische Belastungsstörung Ursache der Abhängigkeit sein. Diese zeigt sich<br />
u. U. mit ähnlichen Symptomen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung.<br />
– Alkohol, Amphetamine, Medikamente <strong>und</strong> psychoaktive Drogen wie LSD <strong>und</strong> Cannabis können eine<br />
Psychose bzw. eine Drogenpsychose auslösen (bzw. durch starke Entzugserscheinungen bei einer<br />
körperlichen Abhängigkeit kann es zu Delir kommen).<br />
Das Vorhandensein von psychischen Begleitstörungen ist nicht zwingend, sie können aber unter Umständen<br />
den Verlauf <strong>und</strong> die Prognose der Suchterkrankung stark beeinflussen.<br />
Oft lässt sich nicht mehr sagen was Ursache <strong>und</strong> was Wirkung ist, weil die Betroffenen meist sehr spät<br />
Hilfe suchen oder auffällig werden. Einig ist sich die Fachwelt aber, dass eine Psychotherapie ohne Entzug<br />
kein Sinn hat, genauso wenig wie Entzug ohne Psychotherapie. Also erst (stationäre) Entgiftung,<br />
dann Therapie.<br />
Das fortschreitende Unterdrücken von der selbstständigen Suche im nüchternen Zustand nach Problemlösungen<br />
führt oft zu „sozialer Inkompetenz“, so das viele an der Abhängigkeit erkrankte oft Symptome<br />
von Persönlichkeitsstörungen aufweisen, sie können keine Belastungen mehr ertragen.<br />
9.7.2 Physische Begleitkrankheiten<br />
Je nach Art, Dauer <strong>und</strong> Menge des Konsum – in erster Linie – toxischer Substanzen, unterschiedlich. So<br />
beispielsweise:<br />
– AIDS<br />
– Hepatitis<br />
– Korsakow-Syndrom<br />
– Delirium Tremens<br />
– Leberzirrhose<br />
Bei psychischer Abhängigkeit – also nicht von toxischen Substanzen – wie Essstörungen z. B.<br />
– Psychosomatiken / Hypochondrie<br />
– Herz-Kreislauferkrankungen<br />
– Entwicklungsverzögerung<br />
– Ausbleiben der Menstruation<br />
– Temporäre Impotenz<br />
– vorzeitige Hautalterung<br />
9.8 Abhängigkeitsbehandlung<br />
1. körperlicher Entzug des Suchtmittels (Entgiftung)<br />
2. psychotherapeutische Behandlung (Langzeitentwöhnung) in einer Fachklinik (Psychosomatische<br />
Klinik)<br />
3. Mitbehandlung der Angehörigen/Bezugspersonen<br />
4. Mitarbeit in Selbsthilfegruppe (zumindest für einige Jahre unabdingbar) z. B. Anonyme Alkoholiker<br />
Das oberste Behandlungsziel ist der dauerhafte Verzicht auf die abhängigkeitserzeugende Mittel. Dazu<br />
sollten in der psychotherapeutischen Behandlung die Persönlichkeitsdefizite entweder durch „Nachreifung“<br />
verringert oder ein anderer Umgang damit erlernt werden. Nur dann ist der Patient in der Lage, auf<br />
das Mittel, von dem er abhängig ist, zu verzichten, da er z. B. zu seinen Defiziten stehen kann.<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 27
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
Die Behandlung von Abhängigkeiten hat sich zu einem Spezialgebiet der Medizin entwickelt, das heute<br />
zunehmend auch auf Erkenntnissen der Neurobiologie aufbaut <strong>und</strong> ein ganzes Spektrum an therapeutischen<br />
Verfahren anbieten kann.<br />
Es kann zu einer Abhängigkeitsverlagerung kommen.<br />
9.8.1 Kennzeichen einer erfolgreichen Therapie<br />
Eine erfolgreiche Therapie<br />
– bietet einen neuen, überlagernden Lernprozess<br />
– überwindet die Entzugserscheinungen (umstritten bei Methadon-Therapie)<br />
– hilft das eigene Verhalten zu kontrollieren <strong>und</strong> so einen Rückfall zu vermeiden<br />
– ist lösungsorientiert (neues Umfeld, neues Kontakt- <strong>und</strong> Sozialverhalten)<br />
– arbeitet wo notwendig auch an alten Verletzungen<br />
– bezieht die Kontaktpersonen mit ein<br />
9.10 Sucht in Österreich<br />
Nikotin ca. 2 Mill. Raucher<br />
Alkohol<br />
330.000 Alkoholkranke<br />
900.000 gefährdet<br />
8.000 Todesopfer pro Jahr<br />
Medikamente 11.000 Abhängige<br />
Illegale Drogen 20.000 Abhängige<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 28
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
10 INTERNETABHÄNGIGKEIT<br />
10.1 Kreislauf der Internetabhängigkeit<br />
(nach ©franz.eidenbenz@bluewin.ch)<br />
Fantasie, Ideale<br />
Beziehung/Kontakt<br />
(Projektion)<br />
Erfahrung von:<br />
Gruppenzugehörigkeit<br />
Zuwendung<br />
Virtuelles Erleben :<br />
Ideale Identität,<br />
Kontakt/Beziehung+<br />
Selbstwert<br />
Online-Spiele (Fantasy)<br />
Online Erotik- Sexkonsum<br />
@<br />
Besseres Gefühl Online als Offline<br />
10.2 Internetkonsum 2. Quartal 2007<br />
(Quelle: Austrian Internet Monitor)<br />
– Aktive Internetnutzer: ca. 4,610.000 Personen ab 14 Jahren<br />
– 68 % (der Bevölkerung ab 14 J.) Internetnutzer<br />
– 57 % (der Bevölkerung ab 14 J.) mehrm./ Woche<br />
Sehnsucht nach:<br />
Zuwendung,<br />
Anerkennung,<br />
echtem Verständnis,<br />
Liebe<br />
Keine<br />
echte/reale, sinnliche<br />
Beziehungserfahrung<br />
innere Einsamkeit<br />
Ausgehend vom geringsten Prozentsatz Abhängiger aus internationalen Studien = 3% der täglichen Nutzer<br />
(Humboldt Uni Berlin), sind hochgerechnet 40.000 – 70.000 Österreicher (ab 14 Jahren) als aktuell<br />
internetabhängig einzustufen<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 29
10.3 Diagnostische Kriterien<br />
(als Vorschlag, Zimmerl)<br />
10.3.1 Fokussierung:<br />
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
– Der Brennpunkt (Fokus) des Denkens <strong>und</strong> der Handlungsintention richtet sich darauf, online zu<br />
sein.<br />
– Offline treten quälende Fantasien darüber auf, was man versäumen könnte.<br />
– Eine Art von „Craving“ (Gier) ist zu beobachten.<br />
– Die Folge ist eine Einengung des Verhaltensraumes, der Internetgebrauch erlangt 1.Priorität<br />
10.3.2 Kontrollverluste:<br />
– der online verbrachte Zeitrahmen kann nicht kontrolliert werden.<br />
– oft – nicht immer – findet sich auch das Phänomen der „Toleranzsteigerung“, das heißt,<br />
– dass der User zur Befriedigung sein Online-Verhalten quantitativ <strong>und</strong> qualitativ ständig intensivieren<br />
muss.<br />
10.3.3 Negative Konsequenzen:<br />
Durch das exzessive Online-Verhalten treten<br />
– sowohl psychosoziale Folgeschäden<br />
(soziale Selbstisolierung durch Vernachlässigung aller Sozialkontakte, Arbeitsplatzverlust, schulisches<br />
Versagen bzw. mögliche Verschlechterung psychischer Gr<strong>und</strong>erkrankungen),<br />
– als auch körperliche Schäden auf<br />
(Mangelernährung , Vernachlässigung des Schlafbedürfnisses, Schäden am Bewegungsapparat,<br />
Schäden am Sehapparat, bis hin zu vital bedrohlichen Erschöpfungszuständen).<br />
10.3.4 Entzugssymptome:<br />
Wie bei anderen Abhängigkeitserkrankungen findet man bei Internetsüchtigen, wenn sie unfreiwillig „offline“<br />
sind, psychovegetative Entzugssymptome wie<br />
– Reizbarkeit,<br />
– Affektlabilität,<br />
– Unruhe <strong>und</strong><br />
– Unkonzentriertheit.<br />
10.3.5 Unfähigkeit zur Verhaltensänderung:<br />
Trotz der Offensichtlichkeit der negativen Folgen des Verhaltens ist der Internetsüchtige nicht aus eigenem<br />
fähig, sein Verhalten zu korrigieren. Suchttypische intrapsychische „Abwehrmechanismen“<br />
– von der Verleugnung/Bagatellisierung<br />
– über die Projektion<br />
– bis hin zur Rationalisierung, also dem Erfinden gefinkelter Rechtfertigungsstrategien<br />
sind ebenfalls festzustellen.<br />
10.4 Wer ist gefährdet?<br />
– Personen mit unsicherer <strong>und</strong>/oder<br />
– gehemmter <strong>und</strong>/oder unreifer Persönlichkeitsstruktur<br />
– selbstverliebte Individuen mit sadistischen Impulsen<br />
10.4.1 Motivation<br />
– Realitätsflucht <strong>und</strong> Realitätsverdrängung<br />
– Experimentieren mit der eigenen Identität<br />
– Befriedigung von Spieltrieb <strong>und</strong> Kommunikationsbedürfnis<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 30
10.4.2 Gefährdungsbereiche<br />
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
– vor 10 Jahren 2/3 der Süchtigen im Kommunikationsbereich, 1/3 im Spielbereich<br />
– 10 Jahre später haben sich die Relationen etwas verschoben. Zwar dominieren diese Bereiche nach<br />
wie vor, aber zunehmenden Anteil gewinnen das Glücksspiel, Erotik, Angebote wie ebay oder diverse<br />
Partnerbörsen, bis hin zur Blogszene (virtuelle Tagebücher, YouTube, MySpace,...).<br />
– Durch die sich anbahnende Verschränkung mit der Mobiltelefonie (mobile internet) ist mit einer<br />
Ausweitung des Phänomens zu rechnen.<br />
10.4.3 Gefährdung für Jugendliche<br />
– Internetsucht ist vornehmlich eine Jugendproblematik (1,8 Mio. 0-19 J.)Petrie and Gunn(1998)<br />
– 10,3% Internetabhängige Gruppe bis 15 J.<br />
– 2,2% der 21-29 jährigen<br />
– Bis 18 Jahre Jungs doppelt so häufig betroffen wie Mädchen<br />
– Mit zunehmenden Alter sind vermehrt Frauen betroffen (Hahn, Jerusalem 1999)<br />
10.5 Online Spiele oder MMORPG’s<br />
(MMORPG = Massive Multiplayer Online Role Playing Game)<br />
10.5.1 „World of Warcraft“:<br />
– Mehr als 9.000.000 mal weltweit verkauft<br />
– Spielwelt ist größer <strong>und</strong> detaillierter als die meisten anderen MMORPGs<br />
– Prinzip: der Charakter eines Spielers wird durch seine investierte Zeit immer stärker.<br />
– Mehr als 10.000 „Quests“, die kontinuierlich weiter erneuert werden („Patches“);<br />
– Dieses Spielprinzip (intensiv spielen wird belohnt) hat hohes Suchtpotential<br />
10.5.2 Etikette in Gruppen<br />
(orig. Auszug von wow.de)<br />
– Dabeibleiben, bis die Aufgabe erledigt ist<br />
– Übertrefft euch selbst Zum Wohl eurer Gruppe solltet ihr nicht kleinlich sein. Spielt, so gut ihr nur<br />
könnt. Helft anderen Gruppenmitgliedern, wann immer es möglich ist. Wenn ihr sie beeindruckt,<br />
wird man euch in guter Erinnerung behalten. Dadurch lassen sich gute Beziehungen für die Zukunft<br />
knüpfen.<br />
10.6 Behandlung<br />
– Einzelfall orientiert<br />
– Sozialtherapie<br />
– Psychotherapie<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 31
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
11 GEWALT UND GEWALTPRÄVENTION IN DER SCHU-<br />
LE<br />
11.1 Entstehung <strong>und</strong> Aufrechterhaltung von gewaltbereitem Verhalten<br />
Hier findet sich eine theoretische Zusammenschau der Entstehung <strong>und</strong> Aufrechterhaltung von gewaltbereitem<br />
Verhalten (Aigner, 2000).<br />
Offensichtlich ist die Wechselwirkung von individuellen, zwischenmenschlichen <strong>und</strong> sozialen / gesellschaftlichen<br />
Konflikten in unterschiedlichen Kontexten wie Familie, Kindergarten, Schule <strong>und</strong> Öffentlichkeit<br />
als Gr<strong>und</strong>voraussetzung von gewaltbereitem Verhalten:<br />
11.1.1 Säuglings- <strong>und</strong> Kindesalter<br />
– Mangelnde Befriedigung emotionaler <strong>und</strong> körperlicher Bedürfnisse<br />
– Starke Unlust- <strong>und</strong> Frustrationserlebnisse<br />
– Gefühl von Feindseeligkeit, Wut <strong>und</strong> Hass<br />
– Minderwertigkeitsgefühle<br />
– Beeinträchtigte Beziehungsstruktur zwischen Mutter <strong>und</strong> Kind<br />
– Ungünstige Beziehungserfahrungen der Kinder:<br />
– Unsicher-vermeidende Bindungsmuster sind die Folge von Vernachlässigung, Misshandlung <strong>und</strong><br />
Furcht einflössendem Erziehungsstil.<br />
– Unsicher-ambivalente Bindungsmuster sind die Folgen fehlender Grenzen bzw. starker Einschränkung.<br />
– Desorganisierte Bindungsmuster entstehen durch widersprüchliche Beziehungsangebote.<br />
11.1.2 Familiärer Kontext<br />
– Elterliches Erziehungsverhalten wirkt sich auf die Gewaltbereitschaft aus<br />
– im Umgang mit Grenzen <strong>und</strong> Regeln in extremen Ausprägungen<br />
– durch die Qualität der Paar- <strong>und</strong> Partnerbeziehung<br />
– durch das Familienklima<br />
11.1.3 Schulischer Kontext<br />
– Schulisches Leistungsversagen mit negativen Auswirkungen auf die Selbstverwirklichung <strong>und</strong> die<br />
sozialen <strong>und</strong> beruflichen Lebenschancen<br />
– Vernachlässigung der Bedürfnisse mit der Begrenzung des Bewegungsdranges, des individuellen<br />
Lerntempos <strong>und</strong> der Mitbestimmungsmöglichkeiten<br />
– Konkurrenz statt Kompetenz<br />
– Schüler-Lehrer-Beziehung als Rollenkonflikt zwischen Unterricht, Erziehung <strong>und</strong> Bezugsperson für<br />
Beziehungswünsche<br />
– Schulklima<br />
11.1.4 Gesellschaftlicher Kontext<br />
Gesellschaftliche Wandlungskonzepte als Hintergr<strong>und</strong> der individuellen, familiären <strong>und</strong> schulischen Bedingungsfaktoren,<br />
gekennzeichnet durch die Individualisierung der Lebenswelten <strong>und</strong> dem Verlust eines<br />
orientierenden <strong>und</strong> allgemeinverbindlichen Normen- <strong>und</strong> Wertesystems:<br />
11.1.4.1 Familiale Lebensbedingungen<br />
Projektionen von utopischen <strong>und</strong> imaginären Wünschen auf das traditionelle Familienmodell als Diskrepanz<br />
zwischen Familienalltag <strong>und</strong> Familienideal<br />
Arbeitsmarktsituation <strong>und</strong> Einschränkung von Sozialleistungen<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 32
11.1.4.2 Kindheitsbedingungen<br />
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
Auflösung der Grenzen zwischen Kindheit <strong>und</strong> Jugend sowie Jugend <strong>und</strong> Erwachsenenalter<br />
Ein-Kind-Familien, Alleinerziehung<br />
Einfluss der Medien<br />
11.2 Ausdrucksformen von Aggression<br />
(Entnommen aus Petermann <strong>und</strong> Petermann, 1996)<br />
Aggression beschreibt zunächst im Kern ein Verhalten, das darauf gerichtet ist, jemanden anderen direkt<br />
oder indirekt zu schädigen. Zur genaueren Unterscheidung<br />
gibt es folgende Kriterien (Vitiello & Stoff, 1997):<br />
11.2.1 Feindselige vs. Instrumentelle Aggression<br />
Feindselige Aggression umfasst Verhaltensweisen, die das Ziel haben, einer Person direkt Schaden zuzufügen.<br />
Mit Verhaltensweisen, die als instrumentelle Aggression bezeichnet werden, wird dagegen das Ziel<br />
verfolgt, indirekt etwas Bestimmtes zu erreichen.<br />
11.2.2 Offene vs. Verdeckte Aggression<br />
Unter offener Aggression werden feindselige, trotzige sowie eher impulsive <strong>und</strong> unkontrollierte Verhaltensweisen<br />
verstanden (z.B. Kämpfen, Raufen). Von verdeckter Aggression spricht man bei versteckten,<br />
instrumentellen <strong>und</strong> eher kontrollierten Handlungen wie z.B. Stehlen oder Feuer legen.<br />
11.2.3 Reaktive vs. Aktive Aggression<br />
Reaktive Aggression bezeichnet Reaktionen auf wahrgenommene Bedrohungen <strong>und</strong> Provokationen. Aktive<br />
Aggression dagegen umfasst zielgerichtete oder auch impulsive Verhaltensweisen, die ohne konkreten<br />
äußeren Anlass auftreten können.<br />
11.2.4 Affektive vs. Räuberische Aggression<br />
Affektive Aggression ist unkontrolliert, ungeplant <strong>und</strong> impulsiv, wogegen kontrollierte zielorientierte, geplante<br />
<strong>und</strong> versteckte Handlungen als räuberische Aggression bezeichnet werden.<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 33
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
11.3 Kreislauf der angstmotivierten Aggression<br />
Ängstlich (unsicher) im Umgang mit anderen<br />
↓<br />
Übermäßige Erwartung hinsichtlich sozialer<br />
Anerkennung, übersensibel gegenüber Bedrohung,<br />
Ungewissheit hinsichtlich zwischenmenschlicher<br />
Zuneigung<br />
↓<br />
Aggression als Mittel, sich Respekt zu verschaffen<br />
(=unangemessene Selbstbehauptung)<br />
↓<br />
Aggression führt zur emotionalen Erleichterung,<br />
Verringerung der Angst (=angenehmer Zustand)<br />
↓<br />
Immer häufiger wird soziale Angst durch<br />
Aggression abgebaut (=Verstärkung)<br />
↓<br />
Gesteigerte Aggression bewirkt Bestrafung,<br />
Vergeltung <strong>und</strong> soziale Ablehnung von Seiten<br />
der Umwelt<br />
↓<br />
Erhöhte Bedrohung<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 34
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
11.4 Prozessablauf <strong>und</strong> Interventionsmöglichkeiten<br />
Äußeres Ereignis<br />
1. Stufe<br />
Wahrnehmung<br />
↓<br />
2. Stufe<br />
Handlungsauswahl<br />
↓<br />
3. Stufe<br />
Hemmungspotenziale<br />
↓<br />
4. Stufe<br />
Vorwegnahme der Folgen<br />
↓<br />
Handlungsausführung<br />
Interventions-Möglichkeiten<br />
← 1. Stufe<br />
Veränderung der Wahrnehmungsgewohnheiten<br />
← 2. Stufe<br />
Verringerung der Gewohnheitsstärke<br />
← 3. Stufe<br />
Verstärkung der Hemmungspotenziale<br />
← 4. Stufe<br />
Neubewertung möglicher Folgen<br />
Konsequenzen<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 35
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
11.5 Auslösende Faktoren von Aggression<br />
(Entnommen aus Petermann & Petermann, 2000)<br />
Bedenkt man die vielfältigen Beweggründe <strong>und</strong> unterschiedlichen Formen von aggressiven Verhaltens, so<br />
ist das dargestellte Konzept (Kaufmann, 1965) der Versuch einer Systematik, der jedoch jeder individuellen<br />
Einzelheit nicht gerecht werden kann:<br />
11.5.1 Stufe 1: Wahrnehmung<br />
Auf dieser Stufe wird entschieden, ob ein Ereignis oder ein Reiz als bedrohlich gilt oder nicht. Dabei unterscheiden<br />
sich Kinder z.B. in ihren Wahrnehmungsgewohnheiten. So erleben aggressive Kinder eine bestimmte<br />
Situation als sehr viel bedrohlicher als nicht aggressive Kinder. Es erfolgt hier also die Entscheidung:<br />
„bedrohlich oder unbedrohlich“.<br />
11.5.2 Stufe 2: Handlungsauswahl<br />
Nachdem ein Ereignis als bedrohlich wahrgenommen wurde, wird jetzt auf dieser Stufe entschieden, wie<br />
man darauf reagieren will (=Handlungsimpuls). So kann man auf ein bestimmtes, als bedrohlich wahrgenommenes<br />
Ereignis z.B. entweder mit Vermeidung oder aber mit Aggression reagieren. Welche Reaktionsweise<br />
man wählt, hängt dabei von eingeschliffenen, eingeübten <strong>und</strong> fast automatisch ablaufenden Verhaltensweisen<br />
(=Gewohnheitsstärke) ab. Im Falle der aggressiven Kinder heißt dies: Je häufiger ein Kind<br />
bisher gewohnt war, mit Aggression zu reagieren, desto wahrscheinlicher wird es sich auch in neuen Situationen<br />
aggressiv verhalten. Die Wahl einer bestimmten Reaktionsweise wird von den vorliegenden Wahrnehmungsgewohnheiten<br />
geprägt. Auf dieser Stufe fällt also die Entscheidung: „Wie will ich reagieren: aggressiv<br />
oder nicht aggressiv?“<br />
11.5.3 Stufe 3: Hemmungspotenziale<br />
Auf dieser Stufe fällt eine eher generelle Entscheidung, ob die vorher ausgewählte Handlung auch ausgeführt<br />
werden soll. Diese Entscheidung wird stark von bisherigen Lernerfahrungen <strong>und</strong> Handlungsimpulsen<br />
beeinflusst. Dabei spielen die früher erlebten Konsequenzen eine entscheidende Rolle. Sind z.B. in der<br />
Lebensgeschichte die aggressiven Handlungen immer bestraft worden, so kann es sein, dass jetzt der Gedanke<br />
an die Ausführung einer solchen Handlung prinzipiell heftige Angst auslöst. Die Handlungsausführung<br />
wird gehemmt. Bei dieser Person liegt eine so genannte Aggressionsangst vor. Sind in der Lerngeschichte<br />
bisher keine oder nur wenige, schlechte Erfahrungen mit der Ausübung von Aggression verknüpft<br />
gewesen oder hat immer der Nutzen von Aggression gegenüber den negativen Konsequenzen<br />
überwogen, dann liegen jetzt keine oder nur wenige Hemmungspotenziale für die ausgewählte aggressive<br />
Handlung vor <strong>und</strong> der Handlungsimpuls erreicht die nächste Stufe. Dieser Entscheidung läuft meistens<br />
blitzartig ab <strong>und</strong> wird subjektiv nicht unbedingt als bewusste <strong>und</strong> geplante Entscheidung empf<strong>und</strong>en.<br />
Bei aggressiven Kindern sind gerade für aggressive Impulse keine Hemmungspotenziale vorhanden, während<br />
nicht aggressive Handlungsimpulse abgeblockt werden, da sie subjektiv immer als erfolglos erlebt<br />
werden <strong>und</strong> nur die aggressiven Handlungen erfolgreiche Konsequenzen beim Gegenüber zu haben<br />
scheinen („Mir hört ja doch niemand zu, außer: Ich schreie ganz laut <strong>und</strong> wütend!“). Auf dieser Stufe fällt<br />
also die allgemeine Entscheidung: „Soll die ausgewählte Handlung ausgeführt werden: ja oder nein?“<br />
11.5.4 Stufe 4: Bewertung der möglichen Konsequenzen<br />
Nachdem also auf der vorherigen Stufe eher allgemein entschieden worden war, dass der Handlungsimpuls<br />
zugelassen wird, fällt jetzt auf dieser Stufe eine eher situationsorientierte Entscheidung. Man überprüft<br />
die Konsequenzen der Handlung. Diese Entscheidung wird getroffen, indem man sich die möglichen<br />
Reaktionen in der sozialen Umwelt auf die beabsichtigte Handlung vorstellt. Erscheinen einem die<br />
wahrscheinlichen Konsequenzen als sehr unangenehm, dann wird entschieden, dass die geplante aggressive<br />
Handlung nicht ausgeführt wird. Diese Entscheidung kann umso besser getroffen werden, je langfristiger<br />
man die Konsequenzen vorhersagen kann. So ist z.B. für aggressive Kinder typisch, dass sie nur die<br />
kurzfristigen Konsequenzen ihrer Handlung wahrnehmen. Diese erleben sie als erfolgreich („Man hat<br />
mich gehört, weil ich ganz laut <strong>und</strong> wütend geschrien habe!“). Die eher negativen langfristigen Konsequenzen<br />
der sozialen Vereinsamung werden nicht beachtet. So muss an diesem Punkt darauf hingewiesen<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 36
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
werden, dass Kinder generell Schwierigkeiten damit haben, die Konsequenzen ihrer Handlungen vorherzusehen.<br />
Dies hängt auch von der gerade erreichten Stufe der kognitiven Entwicklung ab. So dürfte sehr<br />
häufig übersehen werden, dass Kinder auf Gr<strong>und</strong> ihres kognitiven Reifegrades bestimmte Konsequenzen<br />
ihrer Handlung noch gar nicht abschätzen können.<br />
Auf dieser Stufe fällt also die situative Entscheidung, ob das Verhalten ausgeführt werden soll oder nicht.<br />
Lautet jetzt die Entscheidung „ja“, so wird der Handlungsimpuls auch tatsächlich ausgeführt.<br />
11.6 Zielverhalten beim Abbau von Aggressionen<br />
(Petermann & Petermann, 2000)<br />
11.6.1 Voraussetzung: Die Einübung von motorischer Ruhe <strong>und</strong> Entspannung<br />
Autogenes Training (Kapitän Nemo Geschichten)<br />
Muskelentspannung (Progressive Muskelrelaxation)<br />
Phantasiereisen<br />
11.6.2 Differenzierte Wahrnehmung (Stufe 1)<br />
Hinweise <strong>und</strong> Signale einer Situation richtig interpretieren <strong>und</strong> zuordnen<br />
Verschiedene Reize, Reaktionen <strong>und</strong> Verhaltensweisen <strong>und</strong> deren Konsequenzen <strong>und</strong> Abfolge unterscheiden<br />
(mit Hilfe von Beobachtungslernen <strong>und</strong> Modelllernen)<br />
11.6.3 Angemessene Selbstbehauptung als positive Form v. Aggression (Stufe<br />
2)<br />
Positive Formen der Selbstbehauptung:<br />
Forderung nach einem eigenständigen Lebensbereich<br />
Ausgleich von Pflichten <strong>und</strong> Rechten innerhalb des Systems<br />
Durchsetzen von angemessenen Bedürfnissen in Systemen<br />
Verteidigen eines Standpunktes, Kritik äußern<br />
Ärger <strong>und</strong> Wut bei Konflikten angemessen äußern<br />
Konkurrenzverhalten nach fairen Regeln praktizieren<br />
11.6.4 Kooperation <strong>und</strong> Hilfeleistung als Alternativverhalten<br />
zur Aggressionshemmung (Stufe 3)<br />
3 große Bereiche des prosozialen Verhaltens:<br />
Altruistisches Verhalten: Anderen Menschen helfen, da sie in Not geraten sind<br />
Ausgleichende Gerechtigkeit: Gibst Du mir, geb‘ ich Dir (Vorsicht vor Lynchjustiz)<br />
Kooperatives Verhalten: Hängt ab von:<br />
Erwartung einer Belohnung (F<strong>und</strong>rückgabe)<br />
Soziale Verstärkung (Zuneigung, Lob)<br />
Soziales Bedürfnis (aus einer Isolation herauskommen)<br />
11.6.5 Selbstkontrolle als Schritt zur Aggressionshemmung (Stufe 3)<br />
= willentliche Lenkung eigenen Verhaltens<br />
Orientierung an sich selbst gesetzten Zielen<br />
Möglichkeit durch Fremd- oder Selbstverbalisation<br />
11.6.6 Einfühlungsvermögen im Sinne einer Neubewertung der Folgen des eigenen<br />
Handelns aus der Sicht des Gegenübers (Stufe 4).<br />
Innere Vorweg- <strong>und</strong> Anteilnahme an den Konsequenzen für das Opfer einer aggressiven Handlung.<br />
Wichtig dabei: nicht nur hineindenken, sondern auch hineinfühlen!<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 37
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
11.7 Kurzfristige Maßnahmen gegen Gewalt<br />
1. Ignorieren, um dem Aggressor nicht unnötige Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.<br />
2. Im Keim ersticken (nonverbal)<br />
3. Stoppen <strong>und</strong> Abbrechen (verbal)<br />
4. Sachliche Kritik <strong>und</strong> Entzug von Vergünstigungen<br />
5. Keine eigenen aggressiven <strong>und</strong> <strong>und</strong>isziplinierten Verhaltensweisen zeigen, d.h. sich selbst als positives<br />
Verhaltensmodell zeigen.<br />
6. Vermeiden unklaren Unterrichtsablaufes, eines unklaren Unterrichtsstiles.<br />
7. In Kommunikation mit SchülerInnen eine akzeptierende Gr<strong>und</strong>haltung ausdrücken<br />
8. Vermeiden aggressiver Hinweisreize im Klassenzimmer, be3 Unterrichtsmaterialien.<br />
9. Als Lehrer die Aufmerksamkeit der Klasse als Gesamtgruppe binden<br />
10. In Kommunikation mit SchülerInnen versuchen schulische <strong>und</strong> persönliche Konflikte <strong>und</strong> Probleme<br />
kooperativ zu lösen.<br />
11. Für Sachmotivation sorgen <strong>und</strong> lernbezogene Abwechslung (Rhythmisierung) in den Unterricht<br />
einbauen (Lernsituation übersichtlich <strong>und</strong> klar gestalten).<br />
12. In Kommunikation mit SchülerInnen Humor zeigen.<br />
13. Einfühlung in Situation <strong>und</strong> Probleme von SchülerInnen vermitteln.<br />
14. Störungen <strong>und</strong> Aggressionen „entdramatisieren“ <strong>und</strong> deeskalieren.<br />
11.8 Langfristige Maßnahmen gegen Gewalt:<br />
- Selbstkontrolle/Selbsterfahrung/Einfühlen in andere<br />
- Selbstvertrauen, -bewusstsein/Selbstbehauptung/ Ich-Stärke aufbauen<br />
Dies kann geschehen durch das:<br />
1. Erarbeiten von Regeln bei Konflikten mit anderen (Einfühlen in andere).<br />
2. Sich in aggressiven Situationen kennenlernen (um angemessene Selbstbehauptung zu üben).<br />
3. Die Wirkung von Lob <strong>und</strong> Tadel erfahren.<br />
4. Mit aggressiven Gefühlen <strong>und</strong> Verhaltensweisen fertig werden (Selbstkontrolle).<br />
5. Rückmeldung über eigenes Verhalten erfahren (Selbstkontrolle).<br />
11.9 Zehn Regeln zur Deeskalation in akuten Gewaltsituationen<br />
(Lempert & Oelemann, 2000)<br />
1. In Beziehung treten mit der Situation, „sich einmischen“, genau hinsehe!<br />
Wenn Jungen sich prügeln, oder wenn Jungen Mädchen bedrängen <strong>und</strong> belästigen, ist das Ernst <strong>und</strong> nicht<br />
Spiel! Deshalb: Nicht wegsehen, sondern Stellung beziehen.<br />
2. Personale Konfrontation<br />
Sich als Person ohne „pädagogisch – verständnisvolle“ Fassade „be-merk-bar“ machen. So nicht: „Du ich<br />
weiß, dass du sauer bist, aber ich finde das irgendwie nicht gut jetzt.“ Sondern: „Schluss damit! Hier wird<br />
nicht geprügelt!“ Oder: „So etwas will ich von euch/dir nie wieder!“<br />
3. Trennung der Kontrahenten<br />
Weitere Gewaltanwendungen durch Trennung der Gewalthandelnden verhindern. Opfer <strong>und</strong> Täter müssen<br />
sofort getrennt werden.<br />
4. Sofort eindeutig Grenzen setzen<br />
Keinerlei Gewalt oder Androhung von Gewalt gegen sich selbst als Intervenierende/den zulassen.<br />
5. Personale Wertung<br />
Eine Bewertung der Gesamtsituation deutlich machen, aber nicht moralisieren. „Ich verbiete dir das! Hier<br />
läuft so was nicht!“<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 38
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
6. Einschätzung, ob depressive oder chaotische Gewaltkrise vorliegt<br />
Beispiele: Ein Eifersuchtsdrama ist eine depressiv verengte Krise, in der der Gewalthandelnde nur noch<br />
die scheinbare Überlegenheit der Partnerin sieht. In diesem Fall: Weiten, d.h. ihn auf seine Stärken, bzw.<br />
auf andere Personen, die ihn mögen, aufmerksam machen: „Du bist schließlich nicht allein. Das kann<br />
doch jeder sehen, dass Peter, Ulli, Karin dich gern haben.“ Meinst du, Rita tut es nicht auch weh, dass ihr<br />
nicht mehr zusammen seid?“ Gruppengewalt hat einen zumeist chaotischen Krisenverlauf. Jeder ist gegen<br />
jeden. Auch Unbeteiligte werden angegriffen; dann engen, d.h. dem Gewalthandelnden deutlich machen,<br />
dass der/die Intervenierende nur schlichten will, aber kein Gegner ist. Ihn auf sich <strong>und</strong> die Realität beziehen.<br />
Ihn auf den Boden der Tatsachen bringen. Laut werden: „Was macht ihr hier eigentlich?“, „Euer<br />
Streit interessiert mich nicht/ich hab damit nichts zu tun, aber das (Gewalt) läuft hier nicht!“ „Schluss<br />
damit! Seht ihr nicht, dass er /sie Angst hat / verletzt ist / sich nicht wehren kann?“<br />
7. Nicht entweichen lassen<br />
Gewaltsituationen nicht durch Flucht der Gewalthandelnden abbrechen lassen, nach dem Motto: „Ist<br />
doch nichts passiert“ Stattdessen: „Hier geblieben! Erst wird euer Streit geklärt, dann könnt ihr gehen!“<br />
8. Ernst nehmen<br />
„Ich nehme dich mit dem , was du sagst oder tust, beim Wort oder ernst!“ Auch die Gewalthandlung mit<br />
ihrer interpersonalen Aussage „wörtlich“ nehmen <strong>und</strong> damit den Schüler für seine Gewalthandlung verantwortlich<br />
machen. Beschönigen ist dann nicht mehr möglich.<br />
9. „Spiegeln“<br />
„Das hier war kein Spaß, denn Tun hat Konsequenzen.“ Konsequenzen in Form vom persönlicher Ablehnung<br />
durch den Pädagogen/der Pädagogin, einer Meldung an die Schulleitung etc. Und : eine Erklärung<br />
ist keine leere Drohung. Sie muss auch umgesetzt werden!<br />
10. Begleitung nach dem Gewaltende<br />
Der/die Pädagogin soll nicht aus dem Kontakt gehen, sondern im Kontakt bleiben, bis die Situation<br />
deeskaliert ist, bis festgestellt werden kann: „Es ist bei den Handelndem angekommen.“ Nicht die Schüler/innen<br />
wieder zusammenkommen lassen, wenn damit gerechnet werden muss, dass man weiter geprügelt,<br />
belästigt wird.<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 39
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
11.10 Mobbing unter Jugendlichen - Checkliste<br />
„Aktiv gegen Gewalt“ – neue Praxishilfe für Schulleitungen<br />
www.schule-w.de/unterricht/paedagogik/gewaltpraevention/aktiv<br />
11.10.1 Sofortmaßnahmen<br />
Recherche <strong>und</strong> Dokumentation durch die Klassenleitung (kein Aktionismus; Intervention erst nach Lage<br />
der Fakten)<br />
nach Schwere des Vorfalls Schulleitung informieren<br />
Opfer unterstützen <strong>und</strong> begleiten<br />
11.10.2 Einschalten wichtiger Institutionen<br />
Information aller an der Klasse unterrichtenden Lehrkräfte (Vorfälle sammeln; Informationen über die<br />
beteiligten Schüler/Schülerinnen austauschen; weiteres Vorgehen besprechen)<br />
Eltern informieren<br />
11.10.3 Pädagogische Maßnahmen<br />
Intervention: Einzelgespräche mit allen Beteiligten<br />
Ursachen <strong>und</strong> Hintergründe des Mobbings eruieren<br />
eindeutige Grenzziehung formulieren <strong>und</strong> deren Einhaltung deutlich machen<br />
Einzelgespräche mit den Eltern der beteiligten Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler<br />
Informationen an die Eltern der Klasse über Vorgehen <strong>und</strong> Konsequenzen (Elternabend, Elternbrief ...)<br />
11.10.4 Ordnungsmaßnahmen<br />
Anordnung verstärkter Maßnahmen bei Fortsetzung des Mobbings<br />
Festsetzung von Ordnungsmaßnahmen im konkreten Fall durch Klassenlehrer, Klassenkonferenz <strong>und</strong><br />
Schulleitung<br />
evtl. schulinterner Täter-Opfer-Ausgleich / Mediation<br />
11.10.5 Mögliche begleitende Maßnahmen auf Schulebene<br />
Projekttage zum Thema „Mobbing“<br />
Schüler stärken über soziale Hilfsprogramme<br />
Sensibilität der Lehrkräfte erhöhen / Pädagogischer Tag<br />
Unterstützende Maßnahmen für das/die Opfer<br />
Psychologische Betreuung; weitere Einzelgespräche<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 40
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
11.11 Pädagogische Handlungsstrategien<br />
(Entnommen aus Sedlak, 2000: Konstanzer Trainingsmodel, 1994<br />
11.11.1 Unerwünschtes Verhalten hemmen<br />
(kurzfristige Therapie)<br />
Ziel:<br />
Enthält<br />
Entzug von Bekräftigung, Vermeiden von Erfolgserlebnissen für den/die<br />
auffälligen Schüler(innen)<br />
1. Ignorieren des auffälligen Verhaltens<br />
2. Stoppen oder Abbrechen (verbal)<br />
3. Im Keim ersticken (nonverbal)<br />
4. Sachliche Kritik <strong>und</strong> Entzug von Vergünstigungen<br />
11.11.2 Negative Anregungen vermindern<br />
(präventive Strategie)<br />
Ziel:<br />
Enthält<br />
Auslöser oder Hinweisreize vermeiden: Situationen vermeiden, in denen Störungs-<br />
oder Aggressionstendenzen zum Ausbruch kommen<br />
5. Nicht unbedingt notwendige Frustrationen im Unterricht vermeiden<br />
(Unterrichtsaufbau)<br />
6. Keine eigenen aggressiven oder <strong>und</strong>isziplinierten Verhaltensweisen zeigen<br />
(Modellverhalten)<br />
7. Vermeiden unklaren Unterrichtsablaufs/-stils<br />
8. Abstimmung der sozialen Ordnung im Klassenzimmer auf die momentane<br />
Unterrichtsform<br />
9. Vermeiden aggressiver Hinweisreize<br />
(im Klassenzimmer, in Unterrichtsmaterialien)<br />
11.11.3 Positive Anregungen anbieten<br />
(präventiv <strong>und</strong> kurzfristig)<br />
Ziel: Mit Aggression oder Störung unvereinbares Schülerverhalten anregen<br />
Enthält<br />
10. Die Aufmerksamkeit der Gruppe finden („Gruppenfokus“)<br />
11. Für Sachmotivierung <strong>und</strong> lernbezogene Abwechslung sorgen (Unterrichtsaufbau/-stil)<br />
12. Lernsituation übersichtlich gestalten (informierender Unterrichtseinstieg)<br />
13. Vorbildliches eigenes Verhalten (Modell)<br />
14. Schüler leistungs- <strong>und</strong> stoffbezogen ermutigen<br />
15. Humor zeigen (Kommunikation)<br />
16. Einfühlung <strong>und</strong> Verständnis vermitteln <strong>und</strong> auslösen<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 41
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
11.11.4 Persönliche Bewertungen <strong>und</strong> Sichtweisen verändern<br />
(langfristige Strategie)<br />
Ziel:<br />
Enthält<br />
Langfristige Veränderungen von Gr<strong>und</strong>einstellungen der eigenen Person <strong>und</strong><br />
der Schüler(innen) in Hinblick auf den Umgang mit Aggressionen <strong>und</strong> Störung<br />
17. Störung <strong>und</strong> Aggression „entdramatisieren“<br />
18. Resignation überwinden<br />
19. Akzeptierende Gr<strong>und</strong>haltung gegenüber dem auffälligen Schüler einnehmen<br />
(Kommunikation)<br />
20. Aufbau sozialer, persönlicher Beziehungen zu den Schüler(innen)<br />
(Gr<strong>und</strong>legende Verhaltensweise)<br />
21. Schuldzuschreibungen <strong>und</strong> Verurteilungen vermeiden<br />
(eigene Verantwortung erkennen)<br />
22. Aggressive Modelle (Bilder usw.) kritisch betrachten <strong>und</strong> kooperative Modelle<br />
würdigen<br />
23. Eigene Gefühle <strong>und</strong> Bedürfnisse akzeptieren <strong>und</strong> mitteilen<br />
(Kommunikation)<br />
11.11.5 Erwünschtes Verhalten fördern<br />
(langfristige Strategie)<br />
Ziel:<br />
Enthält<br />
Bekräftigung disziplinierten <strong>und</strong> kooperativen Verhaltens, insbesondere durch<br />
systematisches Einüben<br />
24. Positive Ansätze im Sozialverhalten stärken<br />
25. Gemeinsam Regeln für das Verhalten im Unterricht vereinbaren<br />
26. Selbst angemessen kommunizieren <strong>und</strong> dies auch die Schüler(innen) lehren<br />
27. Kooperatives Lösen zwischenmenschlicher Konflikte üben<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 42
12 LITERATURHINWEISE:<br />
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Thema Sucht:<br />
Markus Berger: Handbuch für den Drogennotfall – Das Wichtigste zu Gefahrenpotenzialen,<br />
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Verlag 2004, ISBN 3-03788-125-9<br />
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Oelemann, B. & Lempert, J.: Endlich selbstbewusst <strong>und</strong> stark. Hamburg: OLE-Verlag (2000).<br />
Petermann, F.& Petermann, U.: Training mit aggressiven Kindern. Heidelberg: PVU, Beltz (2000).<br />
Petermann, F.& Petermann, U.: Training mit Jugendlichen. Heidelberg: PVU, Beltz (1996).<br />
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Sedlak, F. (Hrsg.): <strong>Schulpsychologie</strong>-Bildungsberatung: Von den Anfängen bis ins dritte<br />
Jahrtausend. Wien: B<strong>und</strong>esministerium für Unterricht <strong>und</strong> kulturelle<br />
Angelegenheiten, Ketterl-Verlag(2000).