Krisenberatung und Krisenbegleitung Teil II - Schulpsychologie
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9.4.1Freiheitsverlust<br />
Lebenskrise - Adoleszenz<br />
Freiheitsverlust <strong>und</strong> Freiheitsverzicht, vom naiven Freiheitsbegriff ausgehend, können weitere Merkmale<br />
<strong>und</strong> Entwicklungen der Abhängigkeitserkrankung sein. Der Verlust an Freiheit beginnt zunächst als ein<br />
Verlust der Freiheit des Willens <strong>und</strong> des Denkens. Ist die Durchführung der süchtigen Handlung durch<br />
materielle, geistige oder andere Umstände unmöglich gemacht, wird das Denken des Süchtigen eingeengt<br />
auf die Befriedigung der Abhängigkeit.<br />
9.4.2 Suchtdruck<br />
Für viele Abhängige muss die Befriedigung der Abhängigkeit (Suchtdruck, englisch: Craving) möglichst<br />
sofort erfolgen. Vergangenheit <strong>und</strong> Zukunft verlieren häufig ihren bedeutungsgebenden Einfluss auf die<br />
Gegenwart. Zukunftsplanung reduziert sich oft zunehmend auf die Organisation der Abhängigkeit. Die<br />
Lebenseinstellung des Süchtigen wird in vielen Fällen in übermächtiger Weise augenblickszentriert. Eine<br />
unangemessene Dominanz der Gegenwart ist daher ein weiteres Wesensmerkmal süchtigen Verhaltens.<br />
9.4.3 Leugnung der Abhängigkeit<br />
Zur Abhängigkeitserkrankung gehört häufig das Leugnen der Krankheit vor sich selbst <strong>und</strong> anderen. Es<br />
werden manchmal simple („ich trinke/rauche aus purem Genuss“), oft auch skurrile bis absurde Ausreden<br />
(„Mein Arzt hat mir mehrere Liter Bier am Tag verordnet, für die Nieren“) benutzt, um das eigene,<br />
durch die Abhängigkeit dominierte Verhalten zu rechtfertigen. Dazu gehört oft auch ein Relativieren <strong>und</strong><br />
Herunterspielen der konsumierten Menge <strong>und</strong> der Konsumhäufigkeit.<br />
Auch das Gegenteil von Leugnung kann der Fall sein, einige Abhängige sind der Umwelt gegenüber wehleidig<br />
<strong>und</strong> bemitleiden sich selbst, weil sie sich als arme Opfer ihrer Abhängigkeitserkrankung sehen.<br />
9.4.4 Kontrollverlust<br />
Abhängige verlieren die Kontrolle über ihr Verhalten, das kann zum völlig maßlosen Verhalten führen, so<br />
dass bis zum Umfallen getrunken wird. Der eigene Kontrollverlust ist für Abhängige meist beschämend,<br />
da sie scheinbar nicht (mehr) im Besitz ihrer vollen geistigen Kräfte sind, so dass es zu massiven Verleugnungen<br />
<strong>und</strong> Vertuschungen vor sich selbst <strong>und</strong> der Umwelt kommt (z. B. jedes Bier sofort bezahlen, damit<br />
man nicht wirklich weiß, wie viel man getrunken hat). Deshalb wird Kritik von außen als unangenehm<br />
wahrgenommen. Dies alles führt meistens zur gesellschaftlichen Isolation oder in entsprechende gesellschaftliche<br />
Randgruppen.<br />
Sind entsprechend feste Strukturen im Leben vorhanden wie eine Arbeit, so kann es vorkommen, dass<br />
Abhängige jahrelang nicht auffallen oder ein Doppelleben führen. Versucht werden Reduktion oder Verzicht<br />
auf die Suchtmittel zu bestimmten Begebenheiten, um Kontrolle über das von der Abhängigkeit gesteuerte<br />
Verhalten zu erlangen <strong>und</strong> nach außen als ges<strong>und</strong> zu erscheinen.<br />
9.4.5 Co-Abhängigkeit<br />
Oft wird das von der Abhängigkeit gesteuerte Verhalten von Fre<strong>und</strong>en oder Familienangehörigen unterstützt,<br />
die dem Abhängigen viele Aufgaben abnehmen <strong>und</strong> nach außen Probleme leugnen, nahestehende<br />
Verwandte <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e verfallen in co-abhängige Verhaltensweisen <strong>und</strong> tragen so dazu bei, dass das Leben<br />
des Abhängigen nach außen lange Zeit „normal“ funktionieren kann. Als Co-Abhängigkeit gilt auch,<br />
wenn man Verantwortung für das Verhalten des Süchtigen übernimmt, sein Verhalten rechtfertigt <strong>und</strong><br />
sich seine/ihre Abhängigkeit nicht eingesteht. Co-Abhängige Verhaltensweisen können auch bei professionellen<br />
Helfern wie z. B. Sozialarbeitern auftreten.<br />
Dr. Hans Smoliner: Lebenskrise - Adoleszenz 24