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Untitled - Memorial University of Newfoundland

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Das Streben nach Erkenntnis<br />

als Weg zur Selbsterlosung<br />

in Hennann Brochs Tierkreis·Erztilrltmgen<br />

by<br />

© Pia Banzhaf<br />

Submitted<br />

in fulfillment <strong>of</strong> the thesis<br />

requirement for the degree <strong>of</strong><br />

Master <strong>of</strong> Ans<br />

Department <strong>of</strong> German and Russian<br />

<strong>Memorial</strong> <strong>University</strong> <strong>of</strong> <strong>Newfoundland</strong><br />

December 2009<br />

St. John's, <strong>Newfoundland</strong>


Danksagung - Acknowledgements<br />

First and foremost. I wish to thank my supervisor Dr. Jean Snook for her kind<br />

encouragement and always constructive and helpful comments. Her love <strong>of</strong> literature is<br />

infectious. I also would like to thank the entire Gennan Department at <strong>Memorial</strong><br />

<strong>University</strong> <strong>of</strong> <strong>Newfoundland</strong>. faculty and staff. for providing a supportive environment<br />

for my studies, especially Head <strong>of</strong> this Department. Dr. Erwin Warkentin. who brought<br />

the Gennan M.A. programme at <strong>Memorial</strong> back to life. Research work can only be as<br />

good as the sources available. Therefore my special thanks go to the staff at <strong>Memorial</strong>'s<br />

Queen Elizabeth II Library who do an excellent job and who manage to find obscure<br />

editions <strong>of</strong> rare books in faraway places and bring them to S1. John's.<br />

iii


Zusammenfassung<br />

Ein Interpretationsvcrsuch der Tierkreis-Erziihilltlgen Hermann Brochs auf dem<br />

Hinlcrgrund seiner gnostischen Gedankenwelt enthUllt uns Brochs einzigartige Stellung<br />

innerhalb der zeilgenossischen Kunst. Brochs zuntichs! hennetisch erscheinende Dichtung<br />

wird im Spannungsfeld von Suche, Erkenntnis und Erlosung verstlindlicher. Platonische<br />

Gleichnisse. gnostische Denkfiguren. und psychoanalytische Motive geben sich in diesen<br />

ErLtihlungen die Hand. Brochs besondere Sprache verbindet sic lU einem farbigen<br />

Teppich und hebt durch seine Erztihlweise die Zeit auf. 1m Kontrast mil anderen<br />

KUnstlem der Avantgarde seiner Zeit wird deutlich. dass Broch kein wehnUchtiger<br />

Dichter ist. sondem dass seine Dichtung Ausdruck seines Ringens mil der ihm<br />

sclbstgestellten Aufgabe iSI, zur Erlosung der Menschheit beizutragen.<br />

Abstract<br />

Taking into account the author's gnostic beliefs, an interpretation <strong>of</strong> Hennann Broch's<br />

Tierkreis-Erz.iillfullgen reveals his singular position among his contemporaries. Although<br />

Broch's literature seems hennelie at first, it opens itself to the reader in the dynamic<br />

triangle <strong>of</strong> search, knowledge, and salvation. In these novellas, platonic allegories, gnostic<br />

thought patterns, and psychoanalytical motives are intricately intertwined. They create a<br />

rich mythical tapestry in which Broch essentially suspends time through his particular<br />

narrative style. In contrast to other avant-garde artists and thinkers <strong>of</strong> his time, Broch does<br />

not wish to nee the world. Instead, his works bring to light his ongoing efforts to save the<br />

world.


Inhaltsverzeichnis<br />

Zusammenfassung ..<br />

Abstract...<br />

Danksagung - Acknowledgements ..<br />

Abbildungen ...<br />

Tabellen...<br />

. .ii<br />

. ii<br />

. iii<br />

1. Der Novellenzyklus Tierkreis-Erzahlungen von Hermann Broch 1<br />

2. Die Gnosis als vorherrschende Denkfigur der Moderne...<br />

3. Die Gnosis - Ursprung und Konsequenz ...<br />

4. Biographisches .._<br />

S. Die Gleichnisse Platons ..<br />

6. Zu den einzelnen Erzahlungen im Noveltenzyklus....<br />

6.1 .. Eine leichte Ennauschung" ..<br />

6.2 "VorOberziehende Wolke" ...<br />

6.3 "Ein Abend Angst"....<br />

6.4 "Die Heimkehr" ...<br />

6.5 "Der Meeresspiegel" ...<br />

7. Die Sprache der Tierkreis-Erzohlungen ..<br />

8. Schlussakkerd...<br />

literaturverzelchnis ..<br />

Quellenverzeichnls der Abbildungen ..<br />

Anhang ..<br />

A. Platen. Das Sonnengleichnis ...<br />

B. Platen. Das liniengleichnis ..<br />

C. Platen. Das Hohlengleichnis ..<br />

D. Sprachanalyse .....<br />

. 5<br />

. 17<br />

............................................. 23<br />

.... 24<br />

. 27<br />

. 27<br />

. 45<br />

. 59<br />

. 69<br />

. 93<br />

. 101<br />

. 110<br />

.. 123<br />

. 133<br />

. 134<br />

. 134<br />

. 138<br />

. 140<br />

... 143


Abbildungen<br />

Abb. 1 Sternbild Schlangentrager..<br />

Abb. 2 Jean limburg. De, onotomische Mensch ..<br />

Abb. 3 Wassily Kandinsky Erstes abstraktes Aquarell....<br />

Abb. 4 James Ensor Calvary ..<br />

Abb. 5 Paul Gauguin Soyel mysterieuses ...<br />

Abb. 6 SChematische Oarstellung des liniengleichnisses ..<br />

Abb.7 logarithmische Spira Ie ..<br />

. 2<br />

. 6<br />

. 8<br />

. 9<br />

. 10<br />

. 26<br />

. 91<br />

Abb. 8 Paul Gauguin O'ou venans naus? Que sommes-nous? OU allons-nous7 ... . 121<br />

Tabellen<br />

Tab. 1 5atzgefOgelange, Broch, "Eine leichte Enttauschung" .<br />

Tab. 2 SatzgefUgelange, Kafka, ..Der landarzt .<br />

Tab. 3 Textanalyse. Wortanzahlen .<br />

Tab. 4 Textanalyse, Konjunktionen .<br />

.... 103<br />

..104<br />

. 105<br />

. 105


1. Der NovellenzykJus Tierkreis-Erziihlungen von Hermann Broch<br />

Zum Novellenzyklus der Tierkreis-Erziihlutlge" des osterreichischen Autors Hermann<br />

Broch werden im Allgemeinen flinf Erziihlungen gerechnet. die elwa 1933 entstanden und<br />

unabhangig voneinander erschienen (Thieberger 563): ..Eine leichte Enttauschung."<br />

,.Voruberziehende Wolke," ,,,Ein Abend Angst:; .,Die Heimkehr-' und ..Der<br />

Meeresspiegel:' Judith Sidler (Tagtraum 71-100) legt die Enlstehungsgeschichte anhand<br />

des Briefwechsels von Broch und seinem Verleger ausfLihrlich dar. Ursprunglich als eine<br />

An erlahlerischer Fingeriibung zwecks Gelderwerb geplanl und als ovellenband<br />

angedachL. nahmen die spater unter dem amen Tierkreis·Erziihl,,"ge1l<br />

bekannlgewordenen kurzen Prosatexte schnell ein lilerarisches Eigenleben an und<br />

wuchsen sich zu einem ehrgeizigen Projekt aus. Die verJnderte Zielrichtung des<br />

Projektes. weg von finanziellen Interessen hin zu einem Iiterarischem Experiment.'<br />

versuchle Broch seinem Verleger Peter Suhrkamp durch allerhand theorelischen Unterbau<br />

schmackhaft zu machen (Tagrralllll 73). Da seine Argumentation gegenUber dem<br />

Vcrlcgcr jedoch daran orientiert war. seine lilcrarischen Intercssen durchzusetzcn. sind<br />

die theorclischen Erorterungen mit Vorsicht zu genie13en.<br />

Erstmals in dem Briefwechsel mit Peter Suhrkamp tauchen die Erzahlungen im<br />

Zusammenhang mit dem Tierkreis auf (TagrrtwTIl 73). Ocr Segrifr des Tierkrcises hat,<br />

wie Sidler (Tagrrallm 73) ausflihrt, zu Kontroversen in der Rezeption der Erztihlungen<br />

geflihrt. Wahrcnd die einen in den Erztihlungen eine konkrcte Zuordnung von Inhalt und<br />

Tierkreiszeichen vermuten, ist die Suche nach einer Obereinslimmung fLir andere ein<br />

vallig fehlgeleitetes Unterfangen (Durzak...Unbekannte" 141). Uisst man Brochs<br />

I Broch (KWS 293) "Die TIerkreis-Erziihlungen sind ein Experiment.·


Schrirten zur Psychologic und Kulturemwicklung auseinandcr. und nicht zuletzt befinden<br />

sich auch Werke der gennanischen und griechischen Mythologie in der Sammlung. Die<br />

insgesamt 2.000 Bande der auf verschlungenen Wegen nach Klagenfurt gelanglen<br />

Besltinde der ehemaligen Wiener Bibliothek zeichnen dus Bild eines Uberaus eklektischen<br />

Lesers.<br />

Ocr Einnuss mancher Werke, wie er sich in den Tierkreis-Er,Jihlllllgell<br />

niedergeschlagen hat, etwa der Philosophen Ernst Cassirer oder Henri Bergson ist<br />

frappierend. Aber auch gnostische Motive. die sich bei Angelus Silesius und bei Meister<br />

Eckhart linden. haben ihren Fingerabdruck unausloschlich im lilerarischen Werk Brochs<br />

hinlerlassen.<br />

1m Minelpunkt der zunachst hennelisch erscheinenden Tierkreis-Er,Jihilmgell<br />

stehen die Bestrebungen des Menschen, den Weg der Erkenmnis zu gchen. den Weg zum<br />

Wissen urn dus Gute, den Weg zur Transzendierung der materiellen Existenz Zll linden,<br />

der zu einer Ri.lckkehr an den Ursprung flihrt.<br />

2. Die Goosis als vorherrscheode Deokfigur der Moderne<br />

Ocr Schllissel zurn Verstandnis Jer Tierkreis·£rziihluflgell Hermann Brochs liegt in Jer<br />

gnostischen Weltanschauung des Autors, einer Weltanschauung. die zu Beginn des 20.<br />

Jahrhunderts vor aHem in Klinstler- und Philosophenkreisen weit verbreitet war.


Mit dem Projekt der Tierkreis·£,..,..jihltmgell enthtillt uns Hermann Broch seine<br />

Affinittit zur Gnosis. Die Sterne als Teile der Stcrnbilder des Tierkreiscs konnen als Teil<br />

des gnostischen Makrokosmos. als Elemcnte der Welt des gnostischen Allgones, zu dem<br />

es den priidestinierten Menschen zieht. aufgefasst werden. Schon Platon kntipft in seinen<br />

Schriften das Schicksal der Seele an die Sterne. Die Anthroposophen. cine Spielart der<br />

Gnostiker. grtindetcn ihre Lehren aufden euplatonismus. Dcn Tierkreiszeichen werden<br />

Abb. 2 Jean L1mbIJrll. Der llnatomische Mensch<br />

in den anthroposophischen Schriften<br />

Rudolf Steiners. der zu den Gnoslikern des<br />

frtihen 20. Jahrhunderts zu zahlen ist. u.a.<br />

Korperteile. Sinnc und Urlaute zugeordnel.<br />

Diese Zuordnung ist nach Wolfgang<br />

HUbner .Jester Bestandteil astrologischer<br />

HandbUcher. In der ... zodiakalen Fonn<br />

dieser Lchre werden Teile des<br />

menschlichen Korpcrs den zwolf<br />

Ticrkreiszcichen in der Weise zugcordnet.<br />

daB VOlll Widder aus angcfangen. eine<br />

absteigendc Reihe vorn Kopf bis zu den FtiBcn cntstcht" (247). Diese Vorstcllung wird 'lIs<br />

zodiakalc Melothcsie bezeichnel. Broch schcincn diesc Zuordnungen geliiufig gcwesen zu<br />

sein. denn er setzt sie in den Novellen um.<br />

Anja Grabowsky-Hotmanidis (1995) gcht in ihrcr Schrift sowohl auf mystische als<br />

auch gnostische Motive in Brochs Werk ausflihrlich ein. Ihre Argumentation basicrt auf


der auch anderswo haufig geauBerten Oberzeugung. dass cine Wiederbelebung<br />

gnostischen Denkens als Reaktion auf die sogenannte ..Entzauberung der Well" (Max<br />

Weber. zit. nach Grabowsky 8) zu welten sci. An Attraktivittit gewinnt die gnostische<br />

Denkfigur jedoch nichl aus Verzweinung tiber eine Entzauberung. 1m Gegensalz zu<br />

Gyorgy Lukacs' 10 Auffassung, der den Zeitgeist 1916 als ..Ausdruck der transzendentalen<br />

Obdachlosigkeir- des Menschen bezeichnele. drtickt sich in den Werken der Ktinstler<br />

dieser Epoche der Wille aus, etwas radikal eues zu schaffen. wie Michael Pauen in Die<br />

Di'hyrambiker ties Unrergangs (1994) ilberleugend darlegt.<br />

Bevor ich genauer bcschreibe, welches Denkmodell sieh hinter dem Begriff Gnosis<br />

verbirgt. mochte ich zunaehst mit Pauen darlegen. welche Bedingungen urn die<br />

Enlstehungszeil der Tierkreis-Erziihbmgell herrschten. die eine scheinbare Reaktivierung<br />

aller Denkmuster interessant maehlen. ja wie die Gnosis "ein Kristallisationskem flir die<br />

eigenen historischen Erfahrungen" (Pauen 12) der Bewohner des fruhen 20. Jahrhunderts<br />

werden konnte. "Nieht die Identitat der Gehalte" sei entscheidend...sondem der Rtiekgriff<br />

auf eine gcmeinsame Denkfigur, eine Grammatik des Denkcns" (II). Nach Pauen kann<br />

Kulturpessimismus nieht als Grund hierftir gclten gelassen werden. denn schon die anlike<br />

Gnosis cntstand "gerade Ilie",/I in eincr Verfallsperiodc" (13). Ebcnso verhUIt es sich mit<br />

der modemen Auspragung der Gnosis, die ,.gcrade "iellt in dcr Dcprcssionsphase<br />

zwischen den Wellkricgen. sondem in der Aufschwungseuphorie der Grunderzeit" (13)<br />

enlstand.<br />

10 Lukacs war Zeitgenosse Brochs, er lebte von 1885-1971.<br />

II Hervorhebungen in Zitaten sind, wenn nicht anders gekennleichnet, vom Autor selbst.


Die Venreter dieser Vorstellungen sind in der Regel nieht passive Opfer von<br />

Krisen. als die sie haufig auftreten. sondem eher die aktiven Vorkampfer<br />

grundstilzlieher Veranderungen. Genau dabei erweist sieh die gnostische<br />

Dcnkfigur als hilfreieh: Sic vennag gellende Konventionen auGer Kraft zu<br />

selzen. um so cine radikal Opposilionelle Haltung zu fonnulicren. Die Welt wird<br />

diskrcditicn als Werk von Finstemis und Ignoranz. dem dic Abgesandlen des<br />

Gulen und die lnhaber des hjjheren Wisscns gegenUberstchcn: das gnostische<br />

Denken betrcibt somil die Selbslennachtigung des Subjekts. (Pauen 13)<br />

Zwci Traditionen lassen sich nach Pauen ausmaehen. welche die ..gnostische Grammatik"<br />

(14) wiooerbeleben und an ihre Lebens- und Erfahrungswelt anpnsscn. Oa istzum einen<br />

die Philosophie von Sehopenhauer his Nietzsche. von Hcidegger bis Adomo und zum<br />

anderen der kUnstlerische Kosmos eines Baudelaire. Mallanne. SchOnberg. Mondrian,<br />

Malevich. Delaunay oder Kandinsky und-wie der bekannten Listc viellcicht noch<br />

hinzuzuftigcn sein wird-eincs Hermann Broch.<br />

sabstrolrftsAquartlJ<br />

Mil der LiteralUr !Cill die darSleliende<br />

Kunst ein Dcnkrnoliv der Gnosis: da<br />

die Welt inhlirent schlecht sci, rnUsse<br />

sieh die Kunst konsequenterweise von<br />

der Mimesis. der Nachahmung der<br />

Welt in ihren Werken, befreien. Hier<br />

liegen die Anfiinge des Strebens naeh<br />

Abstraktion. Es darf daher nieht


Uberraschen, dass Wassilij Kandinsky, der 1910 ein Bild mil dem Titel Erstes abstraktes<br />

Aqllorell schuf, auch in Iheoretischen Schriften ausflihrlich auf das Geislige in der KunSI<br />

einging und dabei eine Theorie enlwickelle. die weil Uber die Zuordnungen von Farben<br />

und Formen hinausgeht.<br />

Wahrend gnoslische Motive zuntichst in den Wcrken Baudelaires und Mallamles<br />

als tislhetische Kategorien erscheinen und auf die Kunst und das Selbstversttindnis der<br />

KUnstler einwirken. weiten sich diese Kalegorien unter dem Einnuss Georges.<br />

Kandinskys'2 und Worringers auf eine elhische Dimension (Pauen 129). Diese<br />

Ausweitung auf die Wertediskussion, die ins Polilische rcicht. kehrt auch in Brochs<br />

Schriften wieder.<br />

Insgesamt nimml im Denken der KUnstler der Avanlgarde die tisthetische<br />

Erfahrung des Subjekts cine heilversprechende Slcllung ein, ja birgt lelzilich ErlOsung.<br />

Broch muss sich in diesem Denken<br />

wiedergefunden haben, war doch ­<br />

wic die Tierkreis-ErtJihl/illgen<br />

deullich machen - die Suchc nach<br />

Wahrheit und damit Erkenntnis flir<br />

ihn glcichbedeutend mit der Erlosung<br />

vorn Schein, in dem er sich und scine<br />

Zcilgenosscn gefangen zu schell glaublc. Manche KUnsller gingen sogar so weil, sich<br />

selbst zu Rclterfiguren zu slilisieren. Man denke nur an James Ensors 1886 gemahes BUd<br />

U Siehe Kandinskys Obe, das Geistige in de, Kunst, das Broch rezipiert hat.


der Menschheit darstelhen. denen ein Funken des wahrhaft Gottlichen zuteiJ geworden<br />

war. Oazu spiiler mehr.<br />

In diesen Komplex gehon sicherlich auch die .,Lust am Verratseln;' die Thomas<br />

Koebner bei Broch konstutiert. allerdings allcin auf seine introvenierte Natur zurtickftihrt:<br />

Brochs Lust am Verratseln uod seine Erwanung. die Well uod die Menschen seien<br />

ein Ratsel, das gelost werden musse, bcruhen auf der Glaubensgcwil3heit: daB das<br />

Eigentliche uod Wesentliche immer verborgen bleibe. Es ist ein Platonismus, der<br />

das andere uod die anderen nur als Sinnbilder uod Abbildcr des Einen. der<br />

Urbilder ancrkennL. (Kocbner 9)<br />

Srochs "Lust am Verriitseln" hat jedoch, wie wiT sehen, eine im gnostischcn Wehbild<br />

angelegtc Basis. iSl geradezu ein konstituierendes Charakteristikum dieses Weltbildes. 17<br />

Die im Gegensatz zu den Bestrebungen der KUnstier verkUrzle H<strong>of</strong>fnung der<br />

polilischen Kopfe aufdiessei,ige Erlosung vom Elend war im Ubrigen ein gangiger<br />

Topos urn die lahrhundertwende. Besonders die Melropolen litten an den Sptitfolgen der<br />

industriellen Revolution. wie Migration und Urbanisierung und der mit dem<br />

medizinischen Fortschritt einhergehenden Bevolkerungsexplosion. Zu Beginn des 20.<br />

lahrhunderts fanden deshalb nichl nur in Wien und MUnchen eine erhcbliche Anzahl an<br />

selbstemannten Propheten mit heUle auBerst merkwUrdig anmulenden gnoslisch<br />

inspiricrten Yorstellungen von auserwahlten Reltem und auserwahlten VOikem willige<br />

Zuhorer (Hamann 290 fL). Missverstandnisse in der Rezeplion der Evolutionstheorie<br />

17 Ober den Maler Mall Beckmann, einen Zeitgenossen Brochs, schrieb Gerd Weidenhausen "Die<br />

umfangreiche Uteratur begrundet sich in seinem Faile durch die formale, besonders aber inhaltliche<br />

Verratselung seines bedeutungsreichen Werks, das-wie Beckmann es einmal seiber formulierte-eines<br />

besonderen ,metaphysischen Codes' bedarf, um es in seinen tieferen Bedeutungsschichten erfassen 2U<br />

konnen" (11).<br />

11


Darwins bzw. deren lnslrurnentalisierung im sazialen Bereich trugcn dazu beL die<br />

EinleiJung von Menschen in verschiedene Enlwicklungsstufen und untcrschicdliche<br />

Wertungen plausibel erscheinen zu lassen. Hierin ahneln sich die Theorien der gnoslisch<br />

inspitiertcn Kiinstler und Philosophen und die der Rassentheoretikcr scheinbar. Durch die<br />

Vorsehung "auserwtihhe Pncumatiker" und durch demagogisches Talent begnadclc<br />

selbslemannte Nalionalprophetcn konnen sich in der Tal auf den ersten Blick gleichen.<br />

Ein Einverstandnis zu verrnulen bedeutete jedoch, einem weiteren Missverstandnis zu<br />

erliegen. Wie noch zu zeigen sein wird, hangl die Kritik an dem Denken, das sich<br />

vemlcintlich in den Tierkreis-Erziihlullgell spiegeh. mit diesem Missverstlindnis<br />

zusammen. Kehren wir jedoch zunachst zur kunstlerischen Tlitigkeit und ihrer<br />

Einschtitzung zurtick.<br />

Kunst avancierte im Denken der Avantgardekunstler und Philosophen zur<br />

eigentlichen melaphysischen Tlitigkeit. Die vermeinllichen Heilsversprechungen des<br />

wissenschaftlichen und technischen Fortschrittes des neunzehnten Jahrhunderts hatten<br />

angesichls der Probleme, die trotz des Fortschrius weiter bestanden, ihre Faszination<br />

verloren. Ja. die Wissenschaft schien sich durch Albert Einsteins Formulierung der<br />

Relativitlitstheorie (1904, 1916) und der Weiterentwicklung der Atommodelle durch<br />

Ernest Rutherford (1911) und Niels Bohr (1913) selbst diskreditiert zu haben. Zumindest<br />

wich die zunlichst durchweg positive Haltung zur Wissenschaft einer zunehmend<br />

ambivalenten Haltung.<br />

Philosophische Fragestellungen, die sich aus den Ergebnissen<br />

naturwissenschaftlicher Forschungen ergaben, waren in der Erkenntnistheorie, Ontologie<br />

und Metaphysik angesiedeh. Sie kreisten urn die Frage der Existenz von Zuftillen. der<br />

12


Die auf der Quantenmechanik bcruhende Viele-Welten-lnterpretation I8 z.8.<br />

poslulien die Existenz anderer Universen. also anderer Realitlitcn. Die Moglichkeit,<br />

sOlusagen auf wissenschaftlicher Grundlagc andere Realitliten zu denken. belebte<br />

sicherlich auch das Interesse an gnostischem Gedankengut und damit auch an Platons<br />

lehreR.<br />

Slcllvertretend flir die AvantgardekUnstler seiner Epoche schreibt Kandinsky:<br />

Ein wissenschaftliches Ereignis riiumte cins der wichtigsten Hindemisse aufdiesem<br />

Weg. Oas war die weitcre Teilung des Atoms. Das Zerfallen des Atoms war in<br />

meiner Seele dem Zcrfall der ganzen Welt gleich. Plotzlich fielen die dicksten<br />

Mauem. Alles wurde unsicher. wackelig und weich. Ich hatte mich niehl<br />

gewundert. wenn ein Stein vcr miT in der Luft geschmolzen ware. Die Wissenschaft<br />

schien mir vemichtet: ihre wichtigste Basis schien nur ein Wahn. ein Fehler der<br />

Gelehrten, die nicht im verklarten Licht mit ruhiger Hand ihr gottliches Gebaude<br />

Stein fUr Stein bauten, sondem in Dunkelheit aufs Geratewohl nach Wahrheitcn<br />

tastcten und blind einen Gegenstand fUr cinen anderen hie lien. (AllfObiographische<br />

364)<br />

Dicse als Kritik geauBerte Enttauschung Uber die Unzuverlassigkeit wissenschaftlicher<br />

Erkenntnis ist symptomatisch flir die KUnstler des spaten 19. und frtihcn 20. Jahrhunderts.<br />

Aber selbst unLer den Wissenschaftlem gab es etliche. die sich nicht mit den in der<br />

Wisscnschaft gefundenen Antworten zufrieden geben wolllen. So sollen u.a. das Ehepaar<br />

Marie und Pierre Curie und der Mathematiker Henri Poincare an spiritistischen Sitzungen<br />

I' Viele-Welten-Interpretation, in Englisch bekannt als MWI- many worlds' interpretation oder theory <strong>of</strong><br />

the universal wavefunetlon oder auch multiverse. MWI beruht auf der Quantentheorie, durch die<br />

Paralleluniversen denkbar wurden.<br />

14


tcilgcnommen haben (Ringbom 86). Selbst die Entdecker der Strahlen also. die<br />

Unsichtbares sichtbar machen konnlcn. waillen sich nichl mit dcm Sichtbannachen der<br />

Maleric allein lufrieden geben, sondem interessienen sich fLir das Sichtbannachen des<br />

Immaleriellen.<br />

Die .,Oberzeugung ... von der Minderwertigkeil derden Sinncn sich darbietenden<br />

alur. ebenso wie dcr Glaube, daB die eigelllliche Wirklichkeit allenfalls der geistigen<br />

Schau auscrwiihlter Subjektc zuganglich sci" fuhne dazu. dass sich auserwtihh glaubende<br />

KUnSIler .jener eigentlichen Wirklichkeit zurn Ausdruck verhelfen" walhen. in dem sic<br />

sich in der darstellenden Kunst dem Mimesisprinzip bzw. in der Literalur der<br />

"konvenlionellen Sprache" (pauen 66) und Textkonstruktion verweigcncn.<br />

GegenUber der Wissenschaft auBerte Kandinsky tihnlichc Vorbehahe wie Broch.<br />

von dessen anHinglicher Studienbegeisterung zuletzt nur noch die Liebe zur Mathematik<br />

ubrig blieb. Das mit so viel H<strong>of</strong>fnung aufgenomrncnc Philosophiestudiurn an der<br />

Universittit Wien enttauschte Broch, da es an der Atomisierung des Wissens und des<br />

Dcnkcns teilhatte. Das, was gelehrt wurde, drang nicht zorn Wesentlichen vor. Paul<br />

Michael Lutzeler schreibt dazu uber Broch: "As early as 1925 he had begun to study<br />

philosophy and mathematics at the <strong>University</strong> <strong>of</strong> Vienna. However three years later he<br />

abundoned the neo-positivism <strong>of</strong> the Vienna Circle l9 as he fell it had been unable to<br />

answer the questions <strong>of</strong> the purpose <strong>of</strong> human existence" (Encyclopaedia).<br />

I' Die unter dem Namen "'Wiener Kreis" bekanntgewordene wCkhentliche Diskussionsgruppe bestand aus<br />

Wissenschaftstheoretikern und Philosophen, die sich von 1922 bis 1936 hatte lum Ziel die Methoden der<br />

Verhaltensforschung auch auf erkenntnistheoretisctle Fragestellungen anzuwenden. Nur so uberprufbare<br />

Ergebnisse sollten Guttigkeit besiuen.<br />

15


Die Abwendung Brochs von dcr in Wien gelehrtcn und wic er sic beschrieb<br />

..positivislischen" Philosophic hin zum Schreiben spiegeh in exemplarischer Weise den<br />

sich Zll dcr Zeit vollziehenden "Wechsel vom szientifischen zum asthetischen<br />

Erkennlnisparadigma ... Die eigenlliche. die maBgebliche Erkenntnis. darin sind sich die<br />

Programmaliker der Avamgarden mit den ... philosophischen Theorelikem einig. sei<br />

niehl in den Wissenschaften, sondern in den Klinslen Zll linden (Pauen 129 ). Durch<br />

Kunst. so das neue Credo, sei Erkenntnis wieder moglich. da sich in ihr die versteckte<br />

Wahrheit der Welt <strong>of</strong>fenbare. Pauen schreibt dazu treffend ..Die .eigenlliche Wahrheit.·<br />

die die KUnste somi! fUr sich in Anspruch oehmen. hat niehl allein epistcmologische,<br />

sondem auch solcriologische Bedeutung. Die Oberwindung der Verblcndung soli dem<br />

Elend der Gegenwart ein Ende bereiten·· (129). Philosophie und Kunst besHirkten sich<br />

wechselseilig in ihren Tendenzen, und es ist genau dieses Substral. das ,.Spannungsfeld<br />

von Asthetik, Kulturkritik und Philosophie" (Pauen 14). auf dem Hennann Brochs Werke<br />

entstanden. wobei Brochs Interesse nach wie vor mehr bei der Philosophic als beim<br />

Dichtcn lag und er das Schreiben als "Geschichtel schrciben" (KW/3.2 318) abtal. Daher<br />

nannlc Hannah Ahrendt ihn in der Einleitung zu seinen Essays .,Dichter wider Willen.',2o<br />

Am Endc soil deutlich geworden sein, dass die Frage, die Broch mehr als alles<br />

andere umtrieb, das "Was sollen wir tun?" war. es ist "cette preoccupation qui distingue<br />

10 Obwohl Broch doch die Alternative hane, weiterhin kaufmannisch tatlg zu sein, hangte er diesen<br />

ungeliebten Beruf an den Nagel. So ganz wlderwilHg kitnn er die SChriftstelierei nicht ubernommen haben,<br />

findet Jacques Pelletier ..II n'est pas alors ,I'krivain malgre lui' evoque par Hannah Ahrendt dans une<br />

formule fameuse" (22).<br />

16


cssenliellemenl eel ecrivain de la plupart des de ses contemporains engages dans des<br />

pratiques d'abord esthetiques 21 ,. (pelletier 9).<br />

3. Die Gnosis-Ursprung und Konsequenz<br />

Nur eine verktirzte Darslellung des gnostischen Mythos kann im Rahmen dieser Arbeit<br />

gegeben werden. Sicherlich isl es wenig zielftihrend. in uoserem Zusammenhang die<br />

gesamtc Entwicklung der Gnosis, von den sogenanntcn jUdischen Haresien der<br />

Qumransektc angefangen. aufzuzeichnen. Auch kann niehl aufdie Krilik der jUngsten<br />

Forschung an der Benulzung des Begriffes Gnostizismus eingegangen werden. Oa dem<br />

Segrifr ein Beigeschmack des Ketzertums anhtingt und die Ideen in der Regel verzem<br />

dargestcllt werden. sollIe l.B. laut Karen King (218) auf den Begriff lugunstcn von<br />

Umschreibungen ganzlich verzichtet werden. Willis Bamstone argumentiert jedoch. dass<br />

Ictztlich die Vorstelllung eines Demiurgen als Wchschopfer allen Gruppierungen<br />

gcmcinsam iSI, und es dahcr legitim sei, diesen Bcgriff weiterhin in dicsem<br />

Zusammenhang zu benutzen (16).<br />

Um das fortwahrende Streben nach Erkenntnis dcr Broch'schen Figuren und die<br />

von Broch verwendete Symbolik in den Tierkreis-£rZiihhmgell wUrdigen zu konnen, ist<br />

es unerlasslich. einige Grundbegriffe des gnostischen Mythos zu verstehen, auch wenn<br />

die Verwcndung des Etikeus kritisiert wird. Wichtig ist es. sich bei der nachfolgenden<br />

Beschreibung zu vergegenwtirtigen. dass die Gnosis kein einheitliches Gedankengebtiude<br />

wie z.B. eine amtliche Konfession darstellt.<br />

n Obersetzung P.8.: dass, ..es jenes Anliegen 1St, dass diesen SChriftsteHer von der Mehrzaht seiner<br />

Zeitgenossen, die sich primar der asthetischen Praxis verpflichtet sahen, wesensmaBig unterschied."<br />

17


Mit dem Segnfr Gnosis wird vieles, auch sich Widersprechcndes, assoziiert und<br />

bunt durcheinander gemischt. Db Templer. Freimaurer. falsche Prophclen oder Kelzer, ob<br />

okkulte Praktiken. Alchemic, oder Magie. ob apokryphe Schriften. Erlosungs- und<br />

Verschworungstheorien. ob Weltvemeinung. Revolution. oder dcr Aufslieg Hillers.<br />

irgendwie lassen sich lurn BegriffGnosis die widersprUchlichsten Verbindungen<br />

kniipfen. Zur BegriffskHirung soil daher an dieser Stelle lunachst ein allgemeiner<br />

Oberblick tiber den Ursprung der Gnosis gegeben werden. der das Wesentliche<br />

gnoslischen Denkens aufden Punkt briogt, femab der Mythologisienmg und der<br />

esoterischen Einzelheiten, in die sich sowohl Anhanger als auch Kritiker so geme<br />

verstricken. Erst danach soli aufeinige Einzelheiten eingegangen werden. die im<br />

Zusammenhang mil den bereilS erwahnten KUnstlem der lahrhundel1wende und den<br />

Tierkreis-Ef7.dhlfUlgen Brachs von besonderer Bedeulung sind.<br />

Die SchOpfungsmythen der Welt, die so alt wie die Menschheil seiber sind. gebcn<br />

darUber Auskunft. wie sich der Mensch zu einer gegebenen Zeit den Ursprung seiner<br />

Welt-und damil seinen eigenen Ursprung-erkltil1. Fragen nach dem Woher, Warum, Wie<br />

und Wohin haben die Menschen seit jeher umgetrieben.<br />

In der Gnosis gibl es die Vorslellung einer Goltheil und ihres Sitzes, Pleroma<br />

genannt. das Glanz- und Lichtmeer aus dem alles Gute ausslrOml. 1m Valentinianischen<br />

Mythos. einer der vielen gnostischen Richtungen, habe der Fall von Sophia zur<br />

Gefangenschaft von Licht in Materie gefUhl1. Das Gefangnis stelle die Leiblichkeil des<br />

Menschen dar. Die in der Materie gefangenen Lichtfunken streben nun jedoch zurUck<br />

zum ..Urlichl.'· Dieses Streben der Lichtteilchen zur RUckkehr zum Ursprung schlieBt die<br />

RUckkehr in das Plerama. die FUlle ein. Die Menschen. in denen nun diese Lichtfunken<br />

18


wirken (Pncumatiker), streben der Erlosung dUTch Wiedervereinigung mit dem Ursprung<br />

ebenso zu wie die ihnen innewohnenden Lichtfunken. Diese Wiedervereinigung der<br />

Lichtfunken mit dem Urlichl wird als Befreiung und Erlosung verstanden (Couliano<br />

77ff.).<br />

Wtihrend in der vOIjiidischen Zeit die Well noch von GouergroBfamilien bevolkert<br />

war und MisssHinde in der Welt als Resultal von Konflikten zwischen diesen Ganem<br />

gedeulet wurden. machte das Alte Testament in einem aufkHirerischen Akt Schluss mit<br />

dem Polythcismus. Fortan gab es nunnehr einell Schopfergolt. durch den Sonne und<br />

Mond ihrer Gottlichkeit beraubl, lediglich als ..kosmische Beleuchtungskorper" (Brumlik<br />

14) in den Himmel gehangt wurden.<br />

Daraus folgl die Trennung von Schopfer und Schopfung sowie die Suche des<br />

Mcnschen als Geschopf nach einer der Schopfung gegentiber neu einzunehmenden<br />

Haltung. Die Antwort des Christentums, das ,.in unerbittlicher Weise die Kluft zwischen<br />

Glauben und Wissen verkUndigt" (Brumlik 9), fordert die Menschen auf, "urn des<br />

rellenden Glaubens willen die Suche nuch gesichertem Wissen aufzugebcn" (Brumlik 9).<br />

Denn wic Paulus predigte, konne man in Bezug auf die letzten Fragen nicht auf ..Beweise<br />

und Wahrscheinlichkeiten. aufTradition und Lebenskunst. auf Wissenschaft und<br />

Philosophie setzen" (Brumlik 9). Die Gnosisjedoch bot denjenigen Menschen eine<br />

vermcintliche Antwort. "die weder bcreit waren, bei dcr Suche nach Sinn ihre Vemunft<br />

aufzugeben und sich blindem Glauben zu Uberlassen. noch auf eine TI'eorie des Heils<br />

verzichten mochten" (Brumlik 11). Brochs Faszination mit den ewig wahren Gesetzen der<br />

Mathematik, sein Interesse an der Physik. seine Enutiuschung tiber das<br />

Philosophiestudium in Wien und sein besonderes TrostbedUrfnis aufgrund seiner<br />

19


familiaren Erfahrungen gebeo uns Anhahspunkte dafUr. was die gnostischcn Denkfiguren<br />

flir ihn so anziehend machten. Er gehorte mit Sicherheit niehl zu den Menschen, die bereit<br />

gewesen waren. ihre Vemunft aufzugeben und sich blindem Glauben zu ilberlassen.<br />

Brumlik schreibt weiter:<br />

DeT Durst oach reuendem Wissen lieB sie (die Gnosliker) zum Gegner all jener<br />

werden. die mit deT Unlcrscheidung von Glauben und Wissen zuglcich die<br />

absolute Unterschiedlichkeit von Gott und Mensch. von Schopfer und Geschopf<br />

behauptctcn und dabei zugleich die Anerkennung der Schopfung als gut<br />

einfordertcn. Der Durst oach dem reucnden Wissen war von einer tiefe"<br />

Oberzeugung gepriigt: daB die Welt bOse. das Leiden in ihr uncl1rtiglich und die<br />

Welt im gaozen daher niehl nur schlecht. sondem 3uch gar nicht von GOll<br />

geschaffen sein konnte. (II)<br />

Brumlik beschreibt das Weltbild des Westens als gcpriigt vom abendHindischen<br />

Christenlum und damit auch von seinen hebraischcn Wurzeln. Nach Brumlik sind die<br />

GrundzUgc dieses Weltbildes:<br />

1. Es gibt einen Schopfergotl.<br />

2. Gotles Handeln iSI gerecht und gnlidig.<br />

3. Dus Leben der Menschen hat grundsalzlich Sinn. (12)<br />

Sei der Enlwicklung zum Monotheismus in den Schriftreligionen 22 ergeben sich crstmalig<br />

Fragen zum Vcrhallnis von Immanenz und Transzendenz des Gotllichen. sowie zur<br />

Theodizee. wie sie im Such Hiob des Allen Testaments themalisien wird: Wie kann ein<br />

Jl Nicht umsonst entsprang allen drei monotheistischen Schriftreligionen eine gnostische Spielart: die<br />

Kabbala als judische Gnosis, die christliche Gnosls, und der Sufismus als islamische Variante der Gnosls.<br />

20


durchaus guter uod giiligcr Schopfergotl gleichzeitig das Bose in Fonn von<br />

mannigfaltigem Leiden erschaffen haben oder zumindest erlauben7 ..Wenn ... die<br />

Menschen in Gones Schopfung unschuldig unler Leiden uod Unglilck lebcn miissen. dann<br />

stellt sich die Frage. ob diese Schopfung zu recht das Pradikat ,gut' tragt und-radikaler<br />

noch-ob deren Schopfer als ,gut' bezeichnct werden kaon" (Brumlik 13). Vod so<br />

vollziehl der radikal Denkende in ciner logisch erscheincndcn Gcdankenkettc nach<br />

Brumlik folgende Schrittc:<br />

I. Weder die Schopfung noch der Schopfer selbst werden in Frage gcstcllt.<br />

2. Ein SchOpfer jcdoch der nicht .gut' ist. kallll nicht mit dem biblischen Gott<br />

identisch sein.<br />

3. Durnil kalln der biblische Gott mit nichts auf der Erde oder im Himmel<br />

vergleichbar scin. und die Bilder. die man sich von Gott gemacht hat. verweisen<br />

auf etwas anderes als diesen Gott. Eine Spaltung zwischen dem Schopfer und<br />

dem "anderen Gott" entsteht. Als Schopfer der schlechten Welt wird ein Demiurg<br />

angcnommen.<br />

4. Daraus crgeben sich zwei Fragen: "Wenn aberGott konsequenl alsjenes vollig<br />

andere Prinzip von Gnade und Gcrcchtigkeit vcrslandcn wird. dann iSI zu<br />

beantworten" a) wic dieser Andere in menschliches Leben eingreift und<br />

Menschen an seiner "Giite, Gnade und Gerechligkeir' teilhaben IasSI bzw. b) ob<br />

er iiberhaupt eingreifen kaon.<br />

5. Was wiederum zu zwei Moglichkeitcn flihrt: der Mensch lemt a) in der<br />

schlechten Welt zu iiberleben oder versuchl b) als Mensch GOIt entgegen zu<br />

komrnen.<br />

21


Gott enlgegenzukommen<br />

erfordert jedoch ein Wissen besonderer Art: namlich das einer haheren Einsicht in<br />

die Geheimnisse des Schopfungsaktes, in das Weseo Genes uod def Mcnschen.<br />

einer Einsicht darin. in welchen Beziehungen das GoLtliche uod die Menschen<br />

siehen. uod zudem erheblicher Erkenntnis dartiber, auf welchem Wcgc diese<br />

Einsichtcn gelebt werden konnen. daB Menschen auch in def Situation einer<br />

heillosen Schopfung cnlweder Got! hclfen k6nncn. die Schopfung Zll crloscn oder<br />

sich Gott so Zll nahem, daB sic seibsl erlosl werden. (Brumlik 14).<br />

\Vie wir sehen werden. is! es diese Oberzeugung, die Broch durch die Tierkreis­<br />

Erziihlllllgen vermiuelt.<br />

Man kommt nicht umhin Zll denkeR. dass die gnostische Idee viel mit def Hahung<br />

..10 have onc's cake and eat it too" Zll tun hal. Gott soil ohne Wiederspruche gedacht<br />

werden konnen. aber auf das garantierte Heil will man nieht verziehten.<br />

Seibsl bei einem nur nt.ichligen Vergleich der Vorstellungcn der<br />

Avantgardckilnstlcr mit den grundlegendcn Ideen der Gnosis wird eine strukturelle<br />

Vcrwandtschaft erkcnnbar. Die Faszination. die von der Gnosis ausgcht. ist nach Brumlik<br />

durchaus verstandlich. bietet sie doch eincn alternativen Entwicklungspfad des<br />

abendlandischen Wellbildcs (16).<br />

Wahrend der biblische GOll und die nalurwissenschaftliche Aufkltirung sich in der<br />

Entzauberung der Well einig seien. fLihrte das gnostische Denken, urn der venneintlichen<br />

Widerspruchsfreiheit in der Theodizeefrage willen. jedoch zu einer komplizierten<br />

Remythologisierung.<br />

22


4. Biographisches<br />

Hermann Broch wurde 1886 in Wien als der altere zweier Bruder in cine jUdische<br />

Textilproduzentenfamilie geboren. Er sollte die Leitung der Spinnfabrik Teesdorf in<br />

Niederosterreich von seinem Vater tibernehmcn und besuchte zu diesem Zweck bis 1907<br />

verschiedene Bildungsinstitutionen, jedoch kein Gymnasium, was ihm spliter den Zugang<br />

zur Universitiit nur als auBerordentlichem Studentcn erlaubte. Broch ftihrte die Geschlifte<br />

bis 1927 als kaufmlinnischer Dircktor und Textilingenieur (Bolbecher, LUdke). Schon<br />

wlihrend seiner Zeil als Assistenzdirektor der Spinnfabrik arbeilcle Broch jedoch auch an<br />

lilerarischen EntwUrfen. Schon urn 1925 begann er an der Universitlit Wien Vorlesungen<br />

in Philosophie, Psychologic und Mathematik zu horen. Die 1927 begonnene Trilogie Die<br />

Schlafwandler slellt seinen ersten Versuch dar, philosophische Themen in Romanfonn zu<br />

vcrarbeiten.<br />

In Wien kam Brach liber Jolande Jacobi, die spater Milarbeiterin e.G. lungs<br />

wurde, mit dem Begrtinder der Analytischen Psychologie indirekt in Kontakt. Gisela<br />

Brudc-Fimau nOliert in ihrer Dissertation (v), dass der Rhein-Verlag untcr der Leitung<br />

des Verlegers Dr. Daniel Brody, der Brach auf Venninlung Jacobis vertrat, auch die<br />

Eranos-lahrblicher der Tagungen in Ascona herausbrachle. Brody Uberlegte 1932 die<br />

Herausgabe ciner geisteswisscnschaftlich-psychologischen Monalszeitschrifl, "deren<br />

Zentrahhema die Psychologie e.G. lungs sein solhe" (Brude·Fimau v). Brach liberlegte<br />

kurzzeilig, den Iiterarischen Teil dieser Zcilschrifl zu Ubemehmen (Strelka, Gllostiker<br />

45). Es gibl somit einige dokumentierte BerUhrungspunkte zwischen Broch und lung.<br />

Aus den Planen wurde jedach aus verschiedenen Grunden nichts. Nach dem "Anschluss"<br />

23


Qstcrreichs im Marz 1938 wurde Broch mrdrei Wochen interniert. Nurdurch die<br />

Vennittlung von James Joyce konnte er ouch England einreisen. uod mit der Hilfe<br />

Thomas Manns uod Albert Einsteins erhielt er schlieBlich ein Visum fUr die USA. Bis<br />

1947 befasste er sich zugunstcn von Themen wie Massenwahn, Politik uod Anti-<br />

Faschismus nicht mehr mit dern litcrJrischem Schreiben. 1951 wurdc Brach flir den<br />

Literatumobelpreis nominien, starb aber im gleichcn Jahr, kUrL vor einer geplanten Reise<br />

oach Europa. in New Haven, Connecticut, an den Folgen cines Hcrzinfarkts (Keebner<br />

127).<br />

5. Die Gleichnisse Piatons<br />

Die drei bekanntesten Gleichnisse aus Platons Po!iteia,13 das Hohlen-, das Linien- uod<br />

das Sonnengleichnis, sind in den Tierkreis-Erziihlllllgen in Variationen verwoben. Gisela<br />

Roelhke verweist in Zur Symbolik in Herma,," Brochs Werke,,: Plato"s Hdhle"gleicJlIlis<br />

als Subtext auf den Gebrauch des Hohlengleichnisses in Brochs Werk. Aber nicht nur das<br />

Hohlengleichnis hat Eingang in die Erzahlungen gefunden. Es sind zumindest noch das<br />

Linien- und das Sonnengleichnis auszumachen. Es ware vennessen zu erwarten. Platons<br />

GJeichnissen an diescr Stelle in all ihren Vielschichtigkeitcn gerecht zu werden. FUr<br />

unsere Zwecke reicht cine knappe Inhaltsangabe. Die Texle selbst sind zum Nachlesen als<br />

Ausziige im Anhang zu linden. Auf das Hohlengleichnis wird detaillierter eingegangen.<br />

n Zu Deutsch DerStaat, in Englisch The Republic, und auf Franzosisch entweder La Republique oder La<br />

politie.<br />

24


nun. dass in der Hahle nur stumpfe. unscharfe Schemen wahrgcnommen werden. dass die<br />

Hohlcnbewohner in einer Scheinwelt leben. Oer ehemalige Hohlenbewohner kehrt nun in<br />

die Hahle zurtick, urn den Mitgefangenen seine Erkenntnis mitzuteilen. Erkenntnis ist<br />

jedoch auch Bedrohung. Die Gefangenen glauben seinen Erzahlungen niehl. behaupten<br />

gar. er habe verdorbene Augen. verlachen ihn und wollen ihn am liebsten umbringen.<br />

6. Zu den einzelnen Erzahlungen im Novellenzyklus<br />

6.1 HEine leichte Enttauschung"<br />

In ,.Eine leichte Enttauschung" wird erztihll. wie der Protagonist Andreas cines Tages bei<br />

cineOl Gang durch die Stadt auf ein Gebaude aufmerksam wird. das er bisher noch nie<br />

wahrgcnommen hane. Dadurch. dass es als ein tiheres Halls beschrieben wird. in<br />

welchem sich cine Buchhandlung mil einem Kupferstich aus dem 18. Jahrhundert im<br />

Schaufenster befindet, wird dieses Haus in seiner Verbindung zur Vergangenheit<br />

hervorgehobcn. Die BUcher als Symbole der Hinwendung zum Geistigen verstllrkcn<br />

dicscn Eindruck. Interpretiert man Andreas' Verlangen, in den H<strong>of</strong>zu treten, und die<br />

KUnstlichkeit dcr ihm sonst so unbewusst vertrauten Stadt hinter sich zu lassen, als<br />

Traumgcschehcn oder Tagtraumerei, wie Sidler das tut. grcirt man wOllloglich zu kurz.<br />

Sidler schrcibt: "Die friiheste der "Tierkreis"·Erztihlungen beschreibt ein ratselhartes<br />

Traumgeschehen. gepragt von Sehnsucht und einer unterschwelligen Atmosphare von<br />

Angst und Bedrohung o<br />

• (Tagtrawn 101). 1m gnostischen Mythos wird die Sehnsucht des<br />

Menschen auf die dem Pleroma zustrebenden Lichtfunken zUriickgeflihrt. Es handelt sich<br />

also eher urn ein Erwachen als urn eine Traumerei. Auch bnn scin Verhaltcn durchaus<br />

27


Andreas ist aber Uber diese Tliuschungen crhaben und ttitt in den HoL dart is( er auf der<br />

zweitcn Etappe im Liniengleichnis. der Stufe der Dinge selbst und des Glaubens. Auch<br />

hier ist es noch dunkel. die mechanischen Schreibmaschinen Hirmcn. abeT er siehl<br />

Werksliitten. also Orte. wo die Dinge selbst hergeslellt werden. Roethke (86) weist darauf<br />

hin. dass Handwerker in der platonischen Ontologie eineo besonderen Platz einnehmen.<br />

Sie sind die schopferischen Menschen. die die Dinge als Bilder der Urbilder erschaffen.<br />

Andreas lasst sich auf seiner Suche aber auch auf die Verlockung der 2. Sliege nichl ein.<br />

denn cr glaubt auch dart noch nieht ans Ziel zu kommen. Die Glastilr z.B. ist vergiuert,<br />

ein Hinweis. wie Roethke (87) meint. auf das Bild der Verkerkerung in Platons<br />

Hohlengleichnis. Broch wolle damit das Gefangensein der Menschen im Wertsystem<br />

ihrer jeweiligen Arbeit kenntlich machen. Andreas eih durch den H<strong>of</strong> aufeine zweile<br />

Durchfahrt zu. in der eine Halfte schon im Lichlliegt. Er ist nunmehr im Begriff. die<br />

Welt des sinnlich Wahmehmbaren, die Welt des Werdens und Vergehens. in der man<br />

nach Platon nichl tiber das Meinen hinauskomOlt. zugunsten der denkbaren Welt hinter<br />

sich zu lassen. Er h<strong>of</strong>f! auf einen H<strong>of</strong>, "in den die Sonne ungchindcrt ihre Strahlen<br />

sendete" (KW6 129). Er h<strong>of</strong>f! also auf das Licht der Erkenntnis spendenden Sonne. Die<br />

Stille. die ihn beim Betrelen umfangt, zeigt uns an. dass cr cine andere. zeitentriickte Welt<br />

erreicht hal.<br />

Intcressanterweise befindet sich im H<strong>of</strong> eine Mauer. im Anklang an das<br />

Hohlengleichnis. iiber die Andreas hiniiber schauen will. Er sieht aber nur einen<br />

Fabrikschlot und Oleint. Dampfmaschinen arbeiten zu horen (K\V6 131). Dieser isolierte<br />

Schlot und die nicht ganz identifizierbaren Geriiusche erinnem direkt an die<br />

WahmehOlungen der Hohlenbewohner in Platons Gleichnis. Roethke schreibt:<br />

30


In Platons Hohlcngleichnis hatten die von Menschenhand fabrizienen Holzfiguren<br />

ihren Schalten an die Riickwand der Hahle geworfen: diese Holzfiguren waren wm<br />

Zweck hergestellt worden. die Menschen irre zu fUhren in ihren Vorstcllungen von<br />

deT Realital. Ebenso haben die Fabriken - flir die deT Schomstein als pars pro Iota<br />

siehl - inzwischen die Siehl deT Realitllt des modemen Menschen bestimmt. (87)<br />

Ocr Eindruck. dass diese falsche Vorstcllung dem Menschen Gewah antut. wird durch<br />

Brochs Beschreibung des Fabrikschlotes verstiirkt: ,.Mitten in dem freien. luftigen Raum<br />

abeT raglc cin TOter Fabrikschlot wie ein blutiger Schnitt in der weiBblauen FHichc" (KW6<br />

131). Ocr Schlol. und damit deT Imum. ist eine Wunde. eine Verlctzung des Himmels und<br />

damit des Gotl1ichen. NUT ein schmaler Streifen Erde. das unterste der vier Elemente bei<br />

Platon (Priesner 125), ist wie ein "Schlitz in der Steinhaut" des Boelens (KlV6 131). des<br />

kiinstlichen Boelens, zu sehen und wird gedanklich mit Hundeunrat zusammengebracht.<br />

so dass selbst das kleine bisschen Natur wie entheiligt wirkt. Andreas wendet sich nun der<br />

"Privattilr" zu. die keine Ginerstabe aufwcist, also schon aus dcm Gefangnis der Hohle<br />

hinauswcisl. Es gilt nun zu entscheiden. ob er nach links durch cine kleine Tilr gehen soli.<br />

wo cine weitere Mauer seiner ham und eine Folge von H<strong>of</strong> auf H<strong>of</strong> zu befUrchten ware.<br />

cine vorgespiegelte Unendlichkeit (Roethke 88), oder nach rcchts. cin Trcppenhaus<br />

hinauf. Rocthke erkltirt nun den Grund der Abwendung von dcr linken TUr mit cinem<br />

Hinweis auf Platons Ablehnung der Kunst und damil auch als Ausdruck einer Anklage<br />

und Ablehnung der Kunst durch Broch. Sie beruft sich auf cin Essay Brochs von 1933 mit<br />

dcm Titel ..Oas Bose im Wertesystem der Kunst." Beim Nachlcsen des Essays scheint mir<br />

diese Einschlltzung jedoch eine starke Vereinfachung von Brochs Kunstauffassung zu<br />

sein. Obwohl sich Broch platonisches Denken zu Eigen macht. ist er doch auch selbst<br />

31


welches Kunst heiBt. uDd dieser isoliertc Teil. mag es ihm nun gelungcn scin. eineo<br />

cigcncn Kunstslil zu schaffen oder niehl, ist noch niehl Ausdruck flir den Lebensstil<br />

der Welt und Zeit. ... DeT ktinstlerische Ausdruck der Zeit ist in der ungeheuren<br />

Spannung zu sehen. die zwischen dem Gulen UDd dem BOseo innerhalb der Kunst<br />

liegt.-Das Bose in der Kunst abeT ist der Kitsch. (KlV9.2 123)<br />

Uitzeler erHiuten dartiber hinaus die GeneaJogie des Bcgriffes "innere olwcndigkeil:'<br />

die sowohl bei Kandinsky als auch bei Broch auftritt:<br />

Schon 1912 hal Broch sich in den ..Notizen Zll einer systematischen ASlhetik"<br />

mehrfach auf das im Jahr zuvor in Munchen erschicnene Buch Ober dllS Ge;scige in<br />

der Kunst von Wassily Kandinsky bezogen. Von dem Kunsttheoretiker Konrad<br />

Fiedler hatte Kandinsky den Begriffder "inneren Notwendigkeir' cines Kunstwerks<br />

iibemommen. den Fiedler in seiner 1887 ver<strong>of</strong>fenllichten Siudie Ober den<br />

UrsprulIg der kiinstlerischen Tiitigkeit entwickelt halte. (,.Maler" 24)<br />

Andreas lass! also die Tiir "links liegen," trilt auf die zweilc Stufe. auch<br />

sinnbildlich auf die zweite Stufe, aber weil er <strong>of</strong>fensichllich ein dem Matcriellen<br />

verhaflclcr Mensch iSl, kann er sich nicht so leicht von der Versuchung 10sreiBen. Nicolai<br />

(207) weisl daraufhin. dass bei CG. lung links fUr das Unbewussle siehl und rechlS fUr<br />

das Bewussisein. Andreas entscheidet sich also gegen seine bishcrigc Unbewusslheit. Er<br />

riskiert einen Blick und entdeckt einen Garten mit einem merkwiirdigen Lusthaus.<br />

Merkwiirdig. wei I Brach den Begriff Lusthaus mil Misthaufen paart: .,ein Garten. in dem<br />

ein Lusthaus stand. dessen Holz durch Wetter und Sonne grau geworden war. so grau wie<br />

der Mislhaufen, der an die Wand angeschiiltct war" (K\V6 132). Die MerkwUrdigkeit<br />

verliert sich jedoch. wenn man bedenkt. dass Broch darstellen moehte. dass materielle<br />

33


Lustbarkeiten. wie z.B. Kitsch, durch die Sonne, also die Erkenntnis. schal und<br />

unattraktiv werden. Die Erkenntnis entlarvt so die Falschheit des Scheins. Roethke<br />

schreibt: .•Die Wahl dieses Wortes (Anm. gemeint ist das W0I1 ••Lusthaus") iSl bei Broch<br />

sicherlich bedeutsam, wenn man sich an seine Theone von Angst und falschlicher<br />

Angslbewahigung durch den Rausch crinneTt"' (89). Nicht hallbur ist daher m.E. die<br />

Interpretation des Gartens durch Sidler als verlorenes Paradies...als eigcntlichcn<br />

Zielpunkt seiner unklaren Wtinschc" (Taglrollm 102). Broch iSI niehl an biblischen<br />

Bildem inleressiert. Es geht Broch nirgends urn .,die heilsgeschichtliche.chrislliche<br />

Dimension,;' wie Sidler (Tagtroum 102) behaupLCl. Die \Vespen z.8.. die wie Wachter<br />

tiber dem Gal1en gefahrlich umherschwirren, haben nach Aristoleles im Gegensatz zu<br />

Bienen 30 keinen Anteil am Goulichen (Wemess 427). und allein deshalb iSI der Gal1en rur<br />

Andreas auf seiner Erkenntnissuche nicht reizvoll aufzusuchen. Auch die erwtihnlen<br />

Fuchsien mnden das Bild des falschen Scheins abo Fuchsien wurden erst im 18.<br />

Jahrhundel1 aus den Anden nach Europa eingefUhl1 und wurden Mille des 19.<br />

Jahrhundcl1s zu wahren Modeblumen. 31 Sic sind also ncu und weisen nicht in die<br />

Vcrgangenhcil und damit zum Ursprung zurtick. Die Fuchsien in dem Gal1en sollen wohl<br />

an 1-I01zstiibcn emporranken, um den Misthaufen zu verbcrgen. es gehl also darum, nur<br />

den Schein des Schonen zu wahren.<br />

Andreas tntt nun probeweise auf die erste Stufe. Jung meint. dass .,das MOliv der<br />

Slufen und Leilem auf den .seelischen Wandlungsprozess und dessen Peripelien' weise"<br />

(zit. in Nicolai 208). Wtihrend Andreas nun Stockwerk urn Stockwerk des Gebaudes eilig<br />

lO Siehe Roethkes Hinweis (lS4) auf Brochs Beschaftigung mit der Mythologie der Bienen in einem Werk<br />

von Maeterlinck.<br />

11 http://de.wikipedia.org/wiki/Fuchsien<br />

34


l'epreuvc·· J2 (Chamberland 29). Es ist die symbolische Ebene. die bei Broch relevant ist.<br />

niehl die oberflUchlich inhaltliche.<br />

Oazu allerdings mochte es niehl slimmen. daB 'lor der Wasserleitung im zweiten<br />

Stock eine groBe Lache auf den gelben. zersprungenen Steinniesen des Ganges<br />

gltinzte und daB 3uch der Hahn noch tropflC. Aber daftir wUrde sich sicherlich noch<br />

eine natUrliche ErkJarung finden lassen. und es ware Hicherlich eine verbrecherische<br />

Kombinalion zu mutmaBen. Vielmehr machte ihm der Anblick Durst. und er ging<br />

zu dem Wasserhahn, urn sich wie ein Bergsteiger. der zu einer QueUe gelangt ist.<br />

darilber zu heugen odeT aus der hohlen Hand zu [rinken. Oa jedoch wurde ihm<br />

orfenbaT. daB der Hahn ohoe einen dazugehorigen SchlUssel sich niehl <strong>of</strong>fnen lieB.<br />

und die Aufschrirl ..Wasser sparen" belehrte ihn. warum ihm das Wasser verwehrt<br />

war. Er muBte sich begntigen, die Hand unter den tropfenden Hahn zu halten; er tat<br />

es erst mit der einen Hand, und als er auch die zweite darunter hieh und die Tropfen<br />

cinen angenehmen feuehten Streifen darauf abzeichncten. war es fast. als wtirde er<br />

sieh cine unberechtigte, diebische Lust verschaffen. obwohl doch nieht er es<br />

gcwesen war, dcr wider die Vorschrift den Hahn so unsorgfUltig vcrschlossen halle.<br />

(KW6133)<br />

Broch krcicrt eine Zeitaufgehobenhcit. ein Sehweben in seinen Texten. ein wie in der<br />

Hitze flirrendes Bild. Soke! kommt daher zum Schluss. dass es sieh bei dieser Novelle um<br />

,.die Projektion eines Wunsch- und Angsuraumes" und .•-im wortliehen Sinne<br />

reaktiontiren-Wunschtraum, Utopie als Rtiekkehr aus dem modemen GroBstadtdasein in<br />

Jl Obersetzunl p.e.: letltlich ist lur Gestaltunl eines vollstandilen Weltbildes die poetische Syntax<br />

erforderlich. Sie muss in der Lage sein, dem Menschen, welcher in der Unendlichkeit des Kosmos auf die<br />

Probe lestent wird, auf symbolischer Ebene eine lufriedenstellende Antwort lU geben.<br />

36


vorindustricllc Idyllc" ("Broch" 1(0) handeh. Geht man jcdoch von den Novellen als<br />

einer Variation der plulonischen Gleichnisse in modemem Gewand aus, muss man sich<br />

dieser Interpretation niehl anschlieBen. Die Sprache Brochs. mehr als der Inhalt, iSl der<br />

Schliissel zurn VersHindnis der Novellen.<br />

Broch selzi haufig Gegenstitze ein. zum Beispiel. die Wasserlache<br />

(=Vcrschwendung) und das ,.Wasser sparen"-Schild; erst eilt Andreas die Treppe hinauf,<br />

dann wieder macht er sich im nachsten Moment der SUnde des MiiBiggangs schuldig; er<br />

verspurt zunachst keinen Durst, erst als er den Wasserhahn siehl. m6chte er lrinken; def<br />

einladend tropfende Wasserhahn verwehrt ihm das Wasser; die verbrecherische<br />

MUlma6ung und seine eigene diebische Freude; das vierte (analog zur lelzteo<br />

Erkenntnisslufe) Stockwerk scheint sich in einer nicht enden wollenden Hohe zu<br />

befinden.<br />

Andreas bewegt sich dabei gedanklich im Kreis. Die Verwendung dieser<br />

Gegensatze ist eine mathematische Gleichung, in der sich die zahlen aufheben. Broch<br />

benutzt an anderen Stellen in den Novellen auch viele Partizipialkonstruktionen. die ein<br />

Gcschehen nicht im Geschehcnen, sondem illl Zustand des Gcschehens beschreiben.<br />

Auch hier ist der Effekt das Geftihl der Zeitaufgchobenheit. Vielleicht kann man soweit<br />

gchen zu sagen, dass die ..Grammatik der asthetischcn Mittel;' bci Broch das<br />

Kunstverstandnis der frUhen abstrakten Maler wie Kandinsky spiegelt. Dee Reynolds<br />

schreibt:<br />

The pioneers <strong>of</strong> abstract art were acutely aware that only the spectator's imaginative<br />

response to the pictorial elements <strong>of</strong> form and colour could prevent them from<br />

being seen as purely material marks on the canvas. Their goal. which is<br />

37


characteristic <strong>of</strong> early Mooemism. is 10 elevate the function <strong>of</strong> the medium itself to<br />

a means <strong>of</strong> transcending the immediately visible. not through subject matter.<br />

but by challenging the limits <strong>of</strong> logic and experience through new forms <strong>of</strong><br />

signifying. (5)<br />

Darstellende Kunst kaon nach Reynolds cher auf figurative Darslcllungen verzichten.<br />

nicht so die Sprachc: "language needs to retain links with coded meanings in order to<br />

stimulate and rcOccl imagining activity. thereby transforming its own ontological<br />

status"(Reynolds 16). Das bedeutci im Fall Brochs, dass nicht nur der Protagonist auf der<br />

Ebene der Erzahlung zurn Transzendcntcn vordringen will, sondem auch der Autor mil<br />

der Sprache selbsl die Sprachlichkeit, die ja letztlich materiell is\. zu transzendieren<br />

versucht.<br />

Andreas erreicht schlieBlich atemlos das lelzle Slockwerk. wo ihm der Gang<br />

,.,schmerzhaft hell'" (KW6 134) vorkommt. Es ist der Schmerz. den der aus der Hohle<br />

geftlhne Mensch spUn, der das erste Mal ans Sonnenlichl geflihrt wird. Andreas bcgegnel<br />

dem dritten Element. Lurt...es waren die Fenster des Ganges weit georrnel und die Luft.<br />

die mil der Sonne hereinnutete, so ruhig und doch so bewegt. wie der Mittag Uber einem<br />

ruhenden Meer" (KW6 134). einem Meer aus Sonnenlicht, einem Lichtermcer, dus an das<br />

Pleroma erinnen. Auch eine Frau befindet sich dort, die geschtiftig mil Wasser in FUlle<br />

hanlien...bloB mil Rock und Hemd bekleidet." Daruber hinaus mill ihm aur. ..daB ihre<br />

Beine nackl in Holzschuhen staken" (KlV6 134). Das Holz· und Wassennoliv. das nun<br />

schon mehrfach eingeselzl wurde, stehl in der Psychoanalyse flir das Weibliche.<br />

besonders das MUtterliche. Andreas ignorien diesen mUtterlichen Aspekl jedoch. Diese<br />

Frau wird als einrach gekleidet aber gleichzeitig als nackl. zumindeSI ihrc Beine.<br />

38


eschricben. wieder ein typisches Gegcnsatzpaar. Oer Teil ihrer Beine. der vennutlich<br />

nackt hervorschaul. sind die Unterschenkel. der Teil des Korpcrs. der wiederum bei den<br />

Anthroposophen dcm Tierkreiszeichen Wassermann zugeordnct wird. Die acktheit wird<br />

noch einmal wiederholt. in eincr merkwiirdigen sprachlichen Wendung: ..Er schautc auf .<br />

. . ihre Beine. die nackl in den Rock hineinragten" (K\V6 134). Man darf annehmen. dass<br />

das Wissen urn den Aufbau des menschlichen Korpers 3uch Andreas geHiufig ist. Er abeT<br />

nimmt die Well nur auf der Oberflache war. Wenn man niehl wUsste. dass Beine in der<br />

HUne mit dem Korper verbunden sind, in der Tat Teile dieses Karpers sind. konnte man<br />

tatsachlich bchaupten, dass die Beine in den Rock hineinragen. aber unler nannalen<br />

Umstanden wUrde man sagen. dass die Beine unter dem Rock herausragen. Die Richlung<br />

ist also umgekehn. Es ist, als ob Subjekt und Objekt venauscht waren. icolai (209)<br />

interpretien diese Wendung als rein sexuell. Andreas lasse seine Augen an ihren Beinen<br />

hinauf wandem. Die Umkehrung kann von Broch jedoch auch zur Betonung der<br />

Gegensatze und Widerspruche eingesetzt worden sein.<br />

Die Frau, die sich spater als Wascherin vorstcllt, bcgriiBt Andreas. indem Sie<br />

darauf hinwcist. dass ihr GroBvater nichl zu Hause sei. Sie komml einem als<br />

Stellvenreterin des GroBvatcrs in dessen Abwesenhcit vor. Eine Wlischerei im vienen<br />

Stock im Hinterh<strong>of</strong> zu betreiben, ist natUrlich ganzlich unpraktisch und unlogisch. Ocr<br />

Leser wird mit der Nase darauf gestoBen, dass es sich bei der Wascherei um eine andere<br />

Form von Wasche handeln muss. die hier gewaschen wi rd. Wie Roelhke (94) schreibt.<br />

gehl es urn die Uiuterung des Menschen.<br />

In der Szene im vienen Stock des Hauses werden viele Tropen cingesetzt. die mit<br />

der Nalur zusammenhangen: die Berge, das Meer. die Luft, der gewachsene Baust<strong>of</strong>f<br />

39


Holz. Die allumfassende Wasscnnclaphorik legt das Tierkreiszeichen des Wassennanns<br />

nahc. Melitta als Wascherin. der Eimer voller Wasser. selbst das Wasser, das in den<br />

Abtritt gegossen wird. "verschaumt und verebbr; (KlV6 137). Es verschwindet also niehl<br />

einfach in der Kanalisarion. sondem wird eins mit dem groBen MeeT. Selbst dcr<br />

Wasserkreis. den der Eimer auf dem Boden zuruckllisst (KlV6 138). iSl mit Bedeutung<br />

aufgeladen. erinnert er doch an Ouroboros...die Schlange. die sich in den Schwanz beiBl.<br />

Sic ..versinnbildlicht. .. den Kreislauf alles Werdens. der Entwicklung des Einen zurn<br />

Allen und wieder zuriick des Allen zurn Einen. Auch flir die Verwandlung von einem<br />

Erkenntnisgrad zurn oachst hoheren. numinosen. stehl die Schlange ,das prophctische.<br />

mantische. ja geradezu pneumatische Tier" (Strelka ..Gnostiker" 50). Dieses Sinnbild<br />

erscheint nur kurz wie ein Geheimzeichen auf dem Boden. bis Melitta ihn wieder<br />

wegwischt.<br />

Mit Melitta ist Andreas auf eine aufdem Erkenntnisweg wei I fortgeschrirtene<br />

Person getr<strong>of</strong>fen. Aber er selbst siehl weder auf der gleichcn Stufe mit ihr noch ist er an<br />

dem von ihm gcdachten Ziel angekommen, denn ihlll wird cr Zugang ZUIll Dachbodcn.<br />

dcr obersten Stufe der mcnschlichen Erkenntnisftihigkeit, verwehrt. Mcliltas Begrundung<br />

is!. duss sic an dCIll Tag gewaschcn habe und der Raum vollcr Dampf sei. Mit anderen<br />

Worten. selbsl wenn Andreas den Raum bctrelen wUrdc. konnle er nichls schen. Selbst<br />

da. wo cr ctwas erkennen konnte, lut er es jedoch nichl. Ein weiterer Hinweis auf seine<br />

spirituelle Unreife. Er isl z.B. verwundert, dass man yom vierten Stock des Hauscs den<br />

Fabrikschlol nicht sehen kann. Bedenkt man jedoch. dass der Mensch mit dern<br />

Herausgeleitetwerden aus der Hohle erkennt. dass die Schattenbilder nicht die<br />

Wirklichkeit darstellen. wird klar. dass die Abbilder der Welt von einer hOheren<br />

40


Erkenntnisstufe nieht wahrgenommen werden. Warum sich mit cioem Abbild befassen,<br />

wenn man die Wirklichkeit greifen kann? So ist der Garten rur Melitta eine modische<br />

Zeiterscheinung und daher niehl ernst zu oehmen, der Fabrikschlol existiert gar niehl, und<br />

sic beschaftigt sich niehl mit der naheliegenden Stadt. sondem mit der in der Feme<br />

liegenden. von Broch ausflihrlich beschriebcnen Naturlandschaft (KlV6 136). Das Haus<br />

wird wie ein .,richtiger langgestreckter Bergrilcken" (KlV6 135) beschrieben. ist also<br />

selbst schon Teil dieser in der Feme zu sehenden Berglandschaft. Diese unennessliche,<br />

sich VOT ihrcn Augen ausbreitende Landschaft wirkt rur eineo Augenblick auf Andreas<br />

vertrauter als die Stadt. Es ist ein Wiedererkennen. eine RUckerinnenmg an ctwas<br />

Vcrtrnules. Die ihm sonst so bekannte Stadt, voll mil Ablenkungen und ichtigkeilen.<br />

kommt ihm fremd vor (KW6 137). Was ein richtiges GefUhl ist. denn die Stadt diem hier<br />

als Sinnbild fUr die Versuchung des Menschen. vom Erkenntnisweg abzuweichen. Sie ist<br />

der Essenz des Menschen fremd. Es ist kein Zufall, dass in dieser Szene das namentliche<br />

Vorslellen. was in der Psychoanalyse als sich EnlhUllen interpretiert wird. staufindel. [n<br />

dem kurzcn Moment des Wiedererkennens, dem beinahe Einssein, wird auch die<br />

Bcgcgnung mit dem anderen moglich. Dieser Zustund hah jedoch nur kurz an. Andreas<br />

schcint zu schwach zu sein. urn das Sein dem Leben im Schein auf die Dauer<br />

vorzuziehen. Andreas ist entttiuscht, da er die Ictzte Stufe zur Erkennlnis-den<br />

Dachbodcn-nicht erreichl hat, Melitta ist enuauscht, dass er nicht mehr Zeit in seine<br />

Suche invesliert-nichl verweih--und zumindesl diese Leserin ist enutiuschl. dass Andreas<br />

so viele Laster in sich vereinigl. die es ihm schwer machen. die Erkenntnisstufen zu<br />

durchlaufen. Aber das auszufuhren, dafUr fehlt hier dcr PlaiZ.<br />

41


Andreas hat es nun plOIZlich eilig, wieder in die Stadt zurtickzukehren. Broch<br />

kann cs sich wahl nicht verkneifen. bei der Beschreibung des Treppenabstiegs cine<br />

AusfLihrung 8US seinen Notizen zur AsthcLik einzubaucn. Die ..unzUchtige Kritzeleien"<br />

(K\V6 140). die Andreas an der Wand siehl. sind cine Anspiclung auf Brochs<br />

Kunstauffassung. Nicht der Wille siehe bei einer solchen Kritzelei Pate. sondem die<br />

Begierde. Daher sci darin nicht der Beginn von kUnstlerischem Ausdruck zu sehen<br />

(K\V9.2 24). Nun konnte man meinen, dass var lauter Symbolhaltigkeit der ovcllc<br />

Komik darin keinen Platz haben konnle. Die Szene jedoch. in der Andreas die Treppe<br />

hinabsttirzt. von einigen Autoren als Hommage an ..Oas Uneil" Kafkas verslanden.<br />

entbehn schon bei Kafka nicht der Tragikomik. Anstatt sich jedoch wie Georg yom<br />

GeHinder in den Tcxl hinabfallen zu lassen. kann Andreas sich rechtzeitig "an das<br />

Sliegengelander anklammem" (KW6 140) und relict sich. allerdings nur schcinbar, in die<br />

Lager- und Verkaufsraume der Lederhandlung.<br />

Richlig komisch wirkt es dann, dass die TUr. durch die cr wieder auf die StraBe<br />

gelangen soli, cin Schild mit der Zahl Ncun Ir'Jgt. is! doch Ncun die Anzahl der<br />

Hollenkreise Dantes. 33 Auch-und hier seIze ich das Erdinncre als Metapher flir Holle<br />

cin-in Rudolph Stciners anthroposophischer Lchrc 34 bcsteln das Erdinnere aus neun<br />

Schichlcn. Dass dies kein Zufall iSI, dass in der Tat nichts bci Broch Zufall ist, wird<br />

dadurch dcutlich. dass hinter der Tlir mil der Nummer Neun wirklich neun verschiedene<br />

Rliume liegen: (I) der mit der Ki.lche im vierten Stockwerk identische Raum. (2) der<br />

Raum neben der Kliche. (3, 4) zwei weitere Ruume, (5) ein Gang. (6) ein neuer Raum. (7)<br />

U Ein Exemplar von Dantes Divino Commedia stand in Brochs Wiener Bibliothek.<br />

)01 •• so daR wir unser Erdinneres aus neun ubereinander·liegenden 5chichten aufgebaut haben."<br />

Steiner, Rudolf. Erdinneres und Vulkonausbriiche. Berlin, Ostermontag, 16. April 1906. GA 96.<br />

42


cine NOlstiege. (8) ein ncues Magazin und schlie6lich (9) das Verkaufslokal. Wahrend in<br />

der Divino Commedia allerdings ein Engel Dame und Vergil aufschlieBt. urn sie aus der<br />

Holle zu entlassen. ist es bci Andreas ein mtinischcr Diener. der ihn aufgrund seiner LUge<br />

cinlasst. Die LUge also als Eintrittskarte in die Holle und der Diener sOlusagen als<br />

Untel1an des Hollenflirsten. der iibrigens passend zu den trnditionellen Darslellungen des<br />

Teufcls cine grtine Schtirze tragt. Roethke (98) und Sidler (Tagtrau11I 120) interpretieren<br />

beide das Ausruhenwollen. sich Hinsetzenwollen von Andreas im vorletzlen Raum als<br />

Todcssehnsuchl. Broch nUlZt hier ein dialektischcs Gcgensatzpaar. die beiden von der<br />

Psychoanalyse als Urtriebe definierten Triebe. Eros bei Melitta und Thanatos in der<br />

Ledcmandlung. urn Andreas' menschliches Dilemma aufzuzeigen. Roethke schreibt:<br />

Es Uberkollllllt ihn Todessehnsucht. auch diese ein Resultat seiner Tragheit, denn er<br />

hal nichl die Kraft. "die Angst des Tages," namlich die emotionale Anstrengung der<br />

Welt· und Selbstfindung, auszuhalten und filhlt sich angezogen von der "Ruhe der<br />

Nacht".... Die pCltentielle Gefahr. in die er sich begibt. wird angedeutet: ... hatle<br />

er dem RuhebedUrfnis nachgegeben, ... wer weiB. ob er je wieder herausgefunden<br />

halte. (98)<br />

Der Diener. der wahrend des Ganges durch das h511en- und labyrinthartige Lager als<br />

..FUhrer" bezeichnet wurde. setzt nun. einmal illl Verkaufsraum angekommen. seine<br />

Vcrkaufermaske auf. Obwohl Andreas weill. dass der Verkllufer li.igt. als er bchauplel,<br />

dass das Leder bald ausverkaufl sein wird, und obwohl Andreas kein Leder braucht. kann<br />

er sich diesem Handel nicht enlziehen. Dieses Verstricktsein und nichl Loslassenkonnen<br />

von den Konventionen seiner Welt zeigt sich schon. als er plolzlich meint. in die Kanzlei<br />

zurtlckkehren zu mUsscn. Er verstrickt sich weiter in aile moglichen Unwahrhaftigkeiten<br />

43


vor sich selbst. Er ffiOchle beneidenswert erscheinen. wie der Tennisspieler. den er einmal<br />

mit cineOl chromledemen Gjjrtel beobachtet hat. Gleichzeitig erinncm ihn die glanen<br />

Leder aber 3uch an die HaUl Melinas. von deren Leiblichkeit er angezogen is!.<br />

Er frngt also in cineOl Ablenkungsmanover vor sich selbsl oach Leder fUr eine<br />

Tasche. So entfeml er sich Handlung urn Handlung. trolZ der wundervollen Erfahrung.<br />

beinahe am Ziel seiner metaphysischen Suche angekommen gewesen zu sein. sehr schnell<br />

von dem zeilentrtickten Moment bei Melina. in dem sic trolz ihres Standes als Wascherin<br />

die souveriin Handelnde war. Fast is! es so. als ob seine Suche nic stuugcfundcn habe. Er<br />

bctrachtet sic jelzi nur als Madchen niederen Standes. als Objekt seiner sexuellen<br />

Begierde. Dcr Verkaufer nOligt ihn zum Belasten eines Leders. das Andreas an die HaUl<br />

Melinas crinnert, und er wahlt schlieBlich ein Sluck..,cs war milchgrau mit blaulichen<br />

Slrichcn" (KW6 144). Die aus Faulheit und Bequernlichkeit resultierende Unfahigkeit von<br />

Andreas. sich gegen die Manipulation des Verkaufers zu wehren. fUhrt dazu, dass er am<br />

Ende seiner Suche wie am Anfang dasteht. Er wird zurn Inbild einer Gesellschaft, die sich<br />

Manipulalionen willenlos aussetzt.<br />

Ais er nus dem Geschtift auf die StraBe lrill. vertragt er das Lichl wieder nicht.<br />

"DrauBen lag die Nachmiltagssonne. und seine Augen schrnerztcn im Licht. Er konnte<br />

sich nicht zurechtfinden;' (KW6 144). Ob er nun mit vom Licht verdorbenen Augen die<br />

Schattenweit nicht mehr erkennen kann oder er sich wieder in der Siluation des<br />

Hahlenbewohners befindel, der zurn erslen Mal aus der Hahle gefUhrt wird und noch<br />

nichts erkennen kann. bleibt ambivalent. Denkt man an den Dialog zwischen Sokrates<br />

und Menon bei Platon, in dern es heiBt:<br />

44


Den" da die ganze Natur unler sich verwandl isl. und die Seele alles inne gchabl<br />

hat: so hindert nichts. daB weT nur an ein einziges crinnen wird. was bei den<br />

Menschen Ierne" heiSt. alles Ubrige selbst aurfinde. wenn er nur Lupfer ist und nichL<br />

ennUdet im Suchen. Denn das Suchen und Lemen is! demnach gaoz und gar<br />

Erinnerung. (Menon 8t. Strophe)<br />

so siehl man mit der Figur des Andreas cineo Menschen dargestellt. der das POiential hat.<br />

zu lemen. sich zu erinnem und so zu Erkenntnis zu gelangen. Es bleibt jedoch <strong>of</strong>fen. ob<br />

er auch "Lupfer ist und nicht ermiidet im Suchen:;<br />

Anhand der in die euzeit transponierten Gleichnisse Platons fUhrt Broch uns in<br />

.•Eine leichte EntHiuschung" sowohl die dem Menschen innewohnende Sehnsucht oach<br />

Erkenntnis vor Augen. als auch den durch Feigheit und Neid gescheitel1en Versuch.<br />

Bezeichncndcrweise ist der letzte Hollcnkreis in Dantes ..Inferno" der Aufenthaltsol1 der<br />

Verrater. Es wundel1 nicht, dass der das radikale Streben nach Erkenntnis<br />

vernachHissigende Protagonist, der auf seine tieferen WUnsche nicht achtgibt. scheitCI1.<br />

6.2 "Voriiberzlehende Wolke"<br />

Die Erztihlung ..VorUberzichende Wolke" unterscheidet sich von den Ubrigen Tierkreis­<br />

Erziih/wlge". Zum cinen wird sie als einzige der Erztihlungen in eincr konkreten Zeit<br />

angesiedelt. Durch die Erwahnung, dass das Schloss keine konigliche Familie mehr<br />

beherbergt und als Museum dient, konnen wir davon ausgehen, dass sic in der Zeit nach<br />

dem Ersten Wehkrieg spiel!. Dadurch erfahren wir, dass die weibliche Protagonistin, die<br />

nur als Fraulein bezeichnet wird und vor dem Krieg noch ein ..Backfisch" war. nun cine<br />

45


Art alte Jungfer sci" muss. und dass ihre jugendliche Erscheinung wirklich mehr Schein<br />

ist. so wic auch die des barocken Schlossplatzes nur mehr Kulisse isl. und das Gebetbuch<br />

Zll eincm Accessoire auf der Ebene der Handtasche degradicrt wird. Zum anderen erfolgt<br />

Zll Beginn ein Perspektivenwechsel von der Innensichl des FrUuleins. mit ihren im<br />

ZwiegesprJch vertieften Teilen ihrer Seele (KW6 144) Zll einer AuBensicht. Die<br />

zweislimmige Ich-Erztihlersicht wechselt zur Sieht des auBcrhalb des FrJuleins stehenden<br />

Enahlers. der ihre Emotionen in allwissender Form beschreibt. sowie Kommentare zur<br />

au6ercn Wirklichkeit abgibl. Au6erdem trete" die Gleichnisse Platons als<br />

Gestahungsmerkmale lugunsten einer anderen Schwerpunktsetzung in den Hintcrgrund.<br />

Walter Sakel geht in seiner Interpretation dieser Erzahlung davon aus. dass es sich<br />

urn ein sozialpsychologisches Portrat handeh. in dem die kollektive Angst der sich von<br />

der ..Demokratisierung der Welt" (98) bedroht fUhlenden Gesellschaftsklasse nuch dem<br />

Niedergang der Monarchic als sexuelle Angstvision dargestelh wird. Obwohl Broch diese<br />

Erztihlung aufder Folie dieser politisch so unruhigen Zeit ausbreitet, gehl diese<br />

Interprctationjedoch nicht weit genug. Judith Sidler geht in ihrer Interpretation zwar<br />

sHirker auf die psychologischen Elemcnte ein als Soke!. aber der Gebrauch des Begriffs<br />

des Irrationalen, die Deutung des Geschehens als Tagtraum ftihren m.E. auf Abwege.<br />

Obwohl sie von einem "lndividuations·Erwachen·' (Tagtrllll/1/ 132) spricht, fuhrt sie diese<br />

Oberlegungen nicht konsequent zu Ende. Ich schlage stattdesscn vor. das<br />

psychoanalytische Moment in den Miltelpunkt der Interpretation zu stellen.<br />

Die Erzahlung beginnt mit den Zeilen: ..Sonderbar. sagte ein Teil der Seele des<br />

Frauleins zu einem anderen Teil, sonderbar, wie lange der Mann braucht. urn mir<br />

entgegen zu kornmen:' Wie wir von Neal Hardin (79) wissen. untemahrn Broch zwischen<br />

46


Die Integration, das Ganz-Werden einer Person. in dcm die bewussten mit den<br />

unbewusslcn Anteilen cines Menschen ausgesohnt werden. ist also das Ziel. Dcr<br />

Individuationsprozess findet oach Jung in vier Phase" stan. von dencn die erstcn beiden<br />

hier geschildcl1 werden. Die erste Phase umrassl die Auseinandcrsetzung mit der<br />

..Persona,'· dem sich der AuBenwelt darbictcnden Teil. und dem .,Schatten,'· den eigenen<br />

unterdrtickten Pcrsanlichkeitsanteilen. Die lweite Phase hangt mit dem Bewusstwerden<br />

der gegengeschlechllichen Anteile an der cigcnen Person lusammen (Animus. Anima)<br />

und dcrcn Akzeptanz (Jacobi 176). Die Affinitat Brochs flir Jungs Vorstellungen und<br />

Bilder hang\. wie wir sehen. mit dem stark von gnoslischen Denkfiguren inspiriencn<br />

Denken beider zusammen.<br />

Das FrJulein der Erzlihlung begibl sich an einem Sonmagmorgcn im Fruhjahr auf<br />

den Weg zu einer H<strong>of</strong>kirche. Sie wird als Teil einer Gruppe geschildel1, deren<br />

Verhaltensnonnen Uber Lander und Epochen hin unvemndel1 blieben (K\V6 145). In ihrer<br />

Unrcnektiel1heit glaubt sie, ihre konventionskonfonne Haltung sci auch ihrem Leben<br />

angemessen. Ln Einzelheiten wird der zurtickzulegcndc Weg. auf dem ihr ein Mann<br />

entgegcn kommt, bcschriebcn. Die Geschwindigkeit diescs Mannes. der so lange fUr die<br />

Strecke zu brauchcn scheint, kommt dem Fraulein sonderbar vor. und sie versucht. ihre<br />

eigenen Schriue so zu verkilrzen, so dass sie sich ebenso langsam auf ihn hin bcwegt, wie<br />

er auf sie "zustrebte" (KW6 145). Oem Wort "zustrcbcn" ist eine dieser Situation fremde<br />

Menschen dient und dadurch gekennzeichnet ist, daB sich iiberpersanliche Inhalte des kollektiven<br />

UnterbewuBtseins mit den personlichen Inhalten des individuet1en BewuBtseins vereinigen. Es geht bei<br />

der Jung'schen Individuation ... urn die intraindividuelle Integration von Archetypen einerseits und<br />

verdrangten Triebanteilen andererseits, wobei die Erkenntnis des eigenen 5elbst angestrebt wird. Der<br />

Weg zur geglOckten Individuation fUhrt fiber die Konfrontation mit dem Animus bzw. der Anima, d.h. dem<br />

eigenen Geschlecht entgegengesetzten Persanlichkeitsanteil, und dem SChatten, d.h. den yom Individuum<br />

verdrangten schlechten Eigenschaften, hin zum eigenen, fiberpersanlichen 5elbst- (Gropper 7).<br />

48


\Vir haben es <strong>of</strong>fenbar mit einer niehl besonders subtilen Anspielung auf das Sternzeichen<br />

dcr Jungfrau Zll tun.<br />

Diesc Uberlegungen sind eingerahml von Beschreibungcn der Architektur uod des<br />

Himmcls. Wahrend die steineme Landschaft als beruhigende Kulisse. als Monument<br />

gewordener Beweis eines in iiberholten Traditionen vemarteten Denkens erscheint (KW6<br />

145. 146). in deren Kulisse es moglich scheint. seineR Geftihlen aus dem Weg Zll geheR.<br />

solange alles "comme il faut" bleibt. stellen die Zirruswolken dazu eineo lebendigen.<br />

dynamischen Kontrapunkt dar. Wic die Gebaude weiseR die Wolken tiber sich hinaus.<br />

Broch HisSI sic explizit als ..Sendboten" auf ein ,.groBeres kosmisches Geschehen'; (KlV6<br />

146) verweisen. der Mensch muss nur bereit scin. dieses wahrzunehmen. Ins<strong>of</strong>em macht<br />

auch eine scheinbar paradoxe •.helle Verdunkelung" Sinn: das Stonnanover der<br />

Zirruswolken. einer Wolkenart, die gewohnlich einer Wannfront vorangehl. Die folgende<br />

Konfrontation wird zwar emotional aufreibend. eine Verdunkelung. ist aber durchaus<br />

positiv zu bewenen.<br />

Das Fraulein interpretiert den Fremden und seine Art zu gehen als Fortsetzung der<br />

Krllfte. die die steineme Landschaft. in der sie sich bewegt, enichtet haben. Sie erinnert<br />

sich an eine Zeit. in der die Architektur die sozinlc Wirklichkeit widerzuspiegeln schien,<br />

ihr Spiel mit den ins Leere laufenden Slicken noch funktioniene und sie ihr Unbewusstes<br />

nicht ernst nOOm. Die schiere Gewohnheit ihrer Umgebung gibt ihr Sicherheit in der<br />

Vorstellung des immer Gleichen. des Unvernnderlichen. Als das Fr'Julein endlich der<br />

Natur des ihr entgegenkommenden Fremden gewahr wird. ist sie entttiuscht durch die<br />

noch die TIerkrei$leichen dazu, so ist es der Widder, der mit seinen Hornern stoRt. Oas B hingegen<br />

entspricht dem Bauch blW. dem Sternzeichen der Jungfrau."<br />

http://www.anthrowiki.info/ftp/anthroposophie/Oas_Schoepferische/SChoepferisch_OS.pdf<br />

so


weiter .,venolgt:" Es ist aber schon das erste Bestreben. sich von ihm einholen Zll lassen,<br />

zu bemerken. denn sie Uberlegt "noch langsamer lU geheo" (KW6 149). Sie rechtrertigt<br />

diesen Gedanken damii, dass sie den Verfolger dadurch zwingen konne. sie zu i.iberholen.<br />

Aber wie wahrscheinlich ware eine seiche Uberlegung bei einem wirklichen Verfolger?<br />

1m Folgenden spiegelt die Umgebung des Schlossplatzes und des Schlossgartcns<br />

den Widerstreit der Naturen in der Seele des Frjuleins. zum eineo der steineme<br />

Schlossplatz aufdem alles seine Ordnung hat. mil dem Reiterstandbild in der Mine. das<br />

von schweren Eisenkcucn urnzogen isl. der reprasentative Teil also. die Persona. und zum<br />

anderen der Schlossgancn mit seinen "verrenkten BildwerkclnJ." Wasserspielen.<br />

Kindcrwagen, ein Ort mit Leben und Frtichten der Fortpnanzung, die das Fraulein als<br />

unanslllndig betrachtet (KW6 149). Noch einmal versucht sie, die Geschlechtlichkeit als<br />

unrein und nieder zu brandmarken, aber das Tor zum Schlossgurten ist georrnet. eine<br />

schnurgerade Allee flihrt hinein. Sogar die Gesellschartsordnung wird heraufbeschworen,<br />

urn die Elemente des Triebhaften auf Distanz zu hallen. Dass es sich dabei urn versuchte<br />

Verdriingungshandlungen handelt, wird bci der Erwahnung der friihcr Wache stehenden<br />

Doppelpostcn deutlich. Diese Wachter Mittcn sie var den Nachstcllungen eines<br />

"untcrgeordneten Menschen" (KW6 149) bewahrt. Diese Doppelposten sind die<br />

"Wachter"' Freuds, die das Bewusstsein bcwachen. "Das Schicksal der VerdrUngung<br />

besteht aber fUr eine einzelne Regung darin, dass sie vom Wachter nicht aus dem System<br />

des Unbewussten in das des Vorbewussten eingelassen wird" (GWXI 306).38 Indes ist der<br />

)I Um das obige Zitat besser in seinen Kontext einordnen zu konnen, hier noch der vorhergehende<br />

Abschnitt (man beachte im Obrigen auch den Vergleich mit der Photographle):<br />

..Urn uns dieses Schick5a1 zu versinnlichen, nehmen wir an, daR jeder seelische Vorgang ... werst<br />

In einem unbewuRten Stadium oder Phase ellistiert und erst aus dlesem In die bewuRte Phase ubergeht,<br />

52


Oas Fraulein glaubl nun listig. ihren ein strenges Regiment fUhrenden Gott. ihr<br />

Obcr·lch. iiberlistet zu haben und kaRo nun ihren Verfolger anschauen. ohoe sich<br />

umdrehen zu mUssen. Sie kaoo so bei dcr Auseinandersetzung mit ihrem Animus und<br />

ihrem lriebhaften Selbst Hahung bewahren. Nach rtickwarts zu schauen ist ihr namlich<br />

zuwidcr. sie glaubt es der Konvention geschuldel zu sein, aber das hinter ihr Liegende<br />

stehl auch fUr die Vergangenheit. in die man blicken muss. urn zu Selbsterkenntnis<br />

gclangen lU konneR. Das mochte sie urn jeden Preis vermeiden.<br />

un hadert sie mit sich ob der Legitimitat ihres Tuns. Als ob sie sich var einer<br />

Autonttit rechlfertigen miisste, dass sic in diesem Hor slehen dUrfe. stelh sic die dreimal<br />

variiel1e Frage: •.Darf sic hier niehl lehnen. . 1" Sie befindet sich in einem<br />

Zwischenbereich zwischen Schatten und Licht. an der .,Grcnzscheide zwischen der<br />

Dunkelheit des schauigen H<strong>of</strong>es hinler sich und dem besonntcn Plalzc" (KW6 151).<br />

Grenzen trennen gemeinhin Territorien. die von verschiedenen Prinzipien regiert werden.<br />

Um als Mensch ganz zu werden. isl es notwendig. die Prinzipien, die das menschliche<br />

Leben regicren. miteinander zu versohnen. Die Tatsache. dass Kopf und Bauch<br />

zusammen gehoren. muss das Fraulein jedoch erst einmal akzeptieren, Ulll Schritle auf<br />

cine geglilckte Individuation hin zu tun. Durch die Beschrcibung der Dinge, die sie siehl,<br />

gibl der nachste Satz ihre Entscheidung preis: die Garten...deren Aileen im Abhang des<br />

HUgels sich verlieren.;· Sie scheint auf dem Weg zu ihrcm anderen Selbsl schon ein<br />

StUckchen weiter gekommen zu sein. Der Garten wirkt nicht mehr lasterhaft: "viele Leule<br />

haben von hier oder daneben von den Kirchenstufen aus den Platz schon beobachtel"<br />

(KW6 151). An dieser Stelle wird das Friiulein emeul Teil einer Gruppe. wodurch in ihren<br />

Augen ihr Handeln ersllegitimiert zu werden schcinl. Es wird damit auf ein Motiv am<br />

S4


Anfang zurllckverwiesen. da sich das Fraulein cines konventionskonfonnen Verhahens<br />

vcrgewissem muss.<br />

Auf den folgenden lweieinhalb Seilen wird das Erlebcn des sexuellen<br />

Verschmelzens als Metapher fliT das psychische Einswcrdcn geschildel1. Die<br />

Beobachlungen des Frauleins wirken zunachst grotesk. Das beobachtclc Touristcnehepaar<br />

wird als ein Weseo mit vier Beinen. lwei Kopfen. und vier Armeo beschrieben. selbst die<br />

drei Beine des Stativs geheo mit dem Sein des Pferdes auf dcm Dcnkmal eine Union ein.<br />

Auch die Blicke des Ehepaares, die sich im Buch treffen (K\V6 151). werden im Hinblick<br />

aufeine Vereinigung betrachtci. Ocr Fremdenflihrer in Rol. die Saule als phallisches<br />

Objekt. das aufklaffende Gesangbuch, der rote Blick des Verfolgers. die nunmehr<br />

vemehmbar zwitschernden Sperlinge: Wortwahl und Motive bilden einen mit sexuellen<br />

Anspielungen reichcn Klangteppich (KW6 152). Es kommt schlie6lich in einem<br />

ekstatischen Inferno zum Zusammenbruch des gctrennten Wehbildes. Broch kritisien mit<br />

seinem mokanten Seitenhieb auf die mit eincm Baedeker bewaffneten Touristen die<br />

allgemeine Unselbstlindigkeit des Denkens. dass man sich sagen lassen muss, ob elwas<br />

schon sci. oder in Ordnung. "Sic kommen. urn den ovalen Platz zu betrachten und um des<br />

flirstlichen Erbauers zu gedenken; flir sie ist Ordnung und sie haben soeben aus ihrem<br />

rotcn Buch erfahren. daB dies eine schone Architektur sei" (KW6 152). Die Ordnung ist in<br />

dem Such. in den Konventionen festgehalten. aber plotzlich kann das Fraulein die Worte<br />

nieht mchr "entziffem." sie kann der Ordnung keinen Sinn mehr abgewinnen. Dieses Bild<br />

wird Ubertragen auf die repriisentative Architektur. durch die sie sieh zu Beginn noch so<br />

geborgen fUhIte. Denn nur wenn man weiB. d.h. hier. wenn es einem gesagt worden isl,<br />

kann man die B01SChaft hinter der Arehitektur lesen. Sie spiegelt aber keineswegs die<br />

55


Wirklichkeit wieder, wie das Fraulein mit cioem Mal schmerzhaft reslstellt. In der vom<br />

Fr'Julein eingangs so geliebtcn Feudalgcsellschaft spiegelt die Autoritlit des Flirsten<br />

diejenige Gones. und diese wire! wiederum in der Geslaltung des steinemen Raums<br />

gespiegelt. Fehh jedoch die Autorittit cines FremdenfUhrers. sagt es cioem also niemand.<br />

"so wei6 man es niehl, dann ist der Ruod urn das Monument niemals der Himmel. iSl das<br />

Wort im Gebetbuch niemals der Gesang der Engel" (K\V6 152). Daraus fo1gt. dass die<br />

Kinderwagen mit Inhalt den Park keinesfalls schanden. und dass die anfangliche<br />

Entrtistung des Frauleins gegenstandslos geworden isl. Die venneintlich gottgegebene<br />

Ordnung lost sich auf. Erde und Himmel konneR sich bcrtihren.<br />

Die Ursache fLir den von Broch so eindringlich dargestellten KonLrollverlust und<br />

die dabei entstehenden Geflihle des Frtiuleins erkHirt Aniela Jaffe wie folgl:<br />

The immediate experience <strong>of</strong> archetypal contents is by no means an everyday<br />

event. and in most cases the individual reaclS wilh deepest emotion. occasionally<br />

wilh fear. Two examples will show that the emotion springs from a feeling <strong>of</strong><br />

helplessness on the part <strong>of</strong> the individual or ego-personality with respect to forces<br />

lhat arise from his own psyche. but which nonetheless he cannot control. Without<br />

his cooperation. without his willing it, archetypal images emerge from the realm<br />

that transcends consciousness and work their powerful effects. They seem to be<br />

characterized by an intentionality. a dynamism or an autonomy, and it is this<br />

which lends to them the deeply moving character <strong>of</strong> the numinous. comparable to<br />

the experience <strong>of</strong> a demonic or godly might. (Mystic 5)<br />

Die Gedanken des Frauleins beginnen eine wahre SintOut an umwalzenden Gedanken.<br />

ihre bis dahin sakrosankten Einstellungen sieht sie dUTCh die schon zu Beginn erwtihnte<br />

S6


Wolke. den ..Sendbolcn groBeren kosmischen Gcschehens" (KW6 146), in Frage gestellt.<br />

,.Doch iSI nichtjede Wolke schon Mittlerin zwischen Erde und Himmel? lost sie nicht die<br />

Erde auL ziehl sic nicht den Himmel hcrab. auf daB sein Ruod sich dr.inge zwischen die<br />

Hauser und die Mauer der Pltitze, sie zu sprengen. dus slr'.iniche Ruod def Nachahmung?"<br />

(KW6 153). Der Vcrdammung des Mimesisprinzips folgt ein apokalyptisches Bild. in<br />

dem sich das Bestehende aunast: "die Spiegelung des GroBen im Kleinen ist aufgehoben.<br />

es ist das Schone und die Schonheit aufgehoben. es jagen die ?ferne der Monumente aus<br />

der Schonheit ihrer Erstanung und sic fliegen davan" (KlV6 153). In diesen Stilzen findet<br />

sich geradezu ein Kiinstlennanifest der Gnostikcr: Das Bestehcnde muss sterben. um<br />

Neues gebaren zu konnen. Schonheit ist eine Kategorie, die auf nichts mehr zutrifft, "kein<br />

Bild kann mehr festhalten. was geschieht" (K\V6 153). weil die neue Wirklichkeit nicht<br />

mehr mil den herkommlichen Mitteln gespiegelt werden kann. Oas aile Ich muss durch<br />

das Fegefeuer.<br />

In diesem Inferno. in welchem das Fr'Julein sich mit dem anderen Teil ihres Selbst<br />

vcrmlihlt. begleitet von dem ..zu cineOl pfeifenden Sausen" angeschwollcncn ..Zwitschern<br />

der Sperlingc" (KW6 153). is! ihr der Schatten abhandcn gekommen. d.h. ist das ihr<br />

zuntichst als abs!o13end Triebhafte und als schlecht Empfundenc ihrer Personlichkeil<br />

intcgricrl. Noch muss sie sich sammeln, ihre neu gefundene Ganzhcil verstehen, mit dcr<br />

sic noch hadert. Sie findel sich jedoch zunehmend mit dicsem zuvor unbekannten<br />

Antcilen ihrer Personlichkeit ab: "es war wohl gleichgUltig. denn es gab keinen Schatten<br />

mehr" (KW6 154). Ocr Verfolger hat sich zu Schiitzenswertem gewandeh: .,vielleicht<br />

auch. um den Verfolger zu schUtzen. vielleicht. um mit ihm zu nUchten. ehe es zu spat<br />

57


scin wUrde. vielleichl. urn ihn in einem Schrank zu versteckcn, toste sich das Fraulein mit<br />

gro6er Anstrengung von der Mauer los und wandte sich dem Hor zu" (KW6 154).<br />

Das Fraulein wendel sich dem Hor zu. und in diesem Augenblick tibemimmt die<br />

Persona wieder das Ruder. Es hat sich jedoch ein unmerklicher Wandel vollzogen. Die<br />

Gebaude. das Denkmal. Licht und Schauen. sind nun nicht mehr Spiegelungen anderer<br />

Wirklichkeiten und ihrer Hierarchicn. Oas vonnals noch unabgeschlosscne Erlebnis<br />

(KW6 148) iSI abgeschlossen (KW6 154). \Veil davon entfemt. cine reaktionare<br />

Wiederherslcllung der Wirklichkeit darzustellen. erfahn. die Bewertung der Umweh cine<br />

positive Vernndenmg. Angst vor eincT emeulen Konfrontation mil einem Proletarier oder<br />

gar Kommunisten. Metaphem fUr das kollektive Unterbewusstsein. bestehl keine mehr.<br />

Das Fraulein schreitet nun "mit einem GefUhl dcr Trcue" zur Kirche. Ohne<br />

Hemmungen betriu sie die Kirche durch cine friiher Adeligen vorbchaltene Tilr. Die<br />

stillschweigende Anma8ung, die frtiher in dieser Handlung gelegen haben muss. wird<br />

abgctan. Sie sieht es nun als ihr Recht, ebenfalls durch diese TUr in das Gotteshaus<br />

,.cinzuziehen." vor aHem aber Hisst sie den H<strong>of</strong> mit seinen kathartischen Erlebnissen<br />

nichllinks liegen. sondem signalisiert durch ihre Absicht, diesen Raum emeut aufsuchen<br />

zu wollen, dass sie mit sich im Reinen ist. .. Kein Teil der Scelc des Friiuleins brauchte<br />

mchr mit eincm anderen zu sprechen. so einslimmig klangen die Teile ineinander, kaum.<br />

daB das Frjulein. sUBer H<strong>of</strong>fnungslosigkeit voll, an sieh selbst zu denken vennochte"<br />

(KW6 154). Wie kann H<strong>of</strong>fnungslosigkeit mit dem Atlribut ..sUB" versehen werden, wenn<br />

sich die H<strong>of</strong>fnungslosigkeit nieht auf die RUekkehr zu einer unbewussteren Stufe, also<br />

einer Regression im [ndividuationsprozess bezieht? Kann man die Integration des<br />

Schauen und des Animus im lndividuationsprozess deutlicher aussprechcn?<br />

58


6.3 ••Ein Abend Angst"<br />

Die Erzahlung ,.Ein Abend Angst"' beginnl nur scheinbar unschuldig mit der<br />

Beschreibung einer gewohnlichen stadtischen Abendszene im Friihling. Es geht ein<br />

leichter achtwind. eine gewisse Feuchtigkcit liegt in der Luft Ein junger Mann. leicht<br />

angetrunken, iSI in der Nacht unterwegs uod glaubt. sich durch das Offnen seiner Jacke<br />

Ki.ihlung verscharrcn zu konnen, windet sich durch die Menschen auf deT AuBcntcrrasse<br />

cines Lokals in dessen lnnere. Aber schon in deT Anlage uod der Wahl der spmchlichen<br />

Mittel der ersten drei Abschnitte ltisst sich crahoen, woraufder Verrtitseler Broch hinaus<br />

will. "Ein Abend Angst" ist ein Lehrsttick Uber allzu menschliches Verhalten. namlich die<br />

Bevorzugung des Im-Schein-L.ebens. der Entscheidung, sich im alltaglich lrdischen<br />

gefangen hallen zu lassen und die menschliche Anlage zur Transzendenz zu vemeinen,<br />

auch wenn man eine Wahl hal. Es beginnt mit einem Hinweis auf das Sonnengleichnis J9<br />

Platons, das dem Liniengleichnis und dem Hohlengleichnis in Platons P<strong>of</strong>iteia vorangeht.<br />

Sowohl das Sonnengleichnis als auch das Hohlengleichnis. die ja schon an sich<br />

symbolischcr Natur sind. werden weiteren Symbolisierungen unterworfen. Aber nun der<br />

Rcihe nacho<br />

Oberdeutlich wird darauf hingewiesen. dass mit der Tageszeit Nacht und dem<br />

noch dartiber hinaus ausgespanmen Sonncnsegel vor dem Lokal das nalUrliche Licht der<br />

Sonne und damit das Erkenntnisf6rdemde ganzlich aus der Erzahlung verbannt is!. Ocr<br />

Gegensatz Tag und acht wird noch durch das Geslreifte des Sonnenschutzes betonl. 1m<br />

Sonnengleichnis weist Platon darauf hin. dass erst durch die Lichtquelle Sonne die Welt<br />

flir das Auge sichtbar wird. Da die Sonne flir die Idee des Guten an sich stehL bedeutet<br />

l!I Siehe Anhang S. 134<br />

59


dies analog, dass erst durch das Schauen der ..Idee des Guten" Erkenmnisfahigkeit<br />

entsteht. Erst wenn die See1e sich auf von der Wahrheit Beleuchtctes richtc!. kann sic zu<br />

Erkenntnis gelangen. Oa in der gnoslischen Lehre das Erkenntnisstreben den Weg des<br />

menschlichen Geistcs und seiner Seele zur Einswerdung mit seinem Ursprung darstellr.<br />

wird deutlich. dass die Abwehr der Sonne auch cin Sichverschlie8en vor der Erkenntnis<br />

versinnbildlicht. Bleibl der Mensch dem von der Sonne Unberiihrten verhafici und damit<br />

lctztlich dem von der Idee des Gulen Unberiihrten, verham er in Meinungen, anslalt zu<br />

wahrer Erkcnntnis zu gclangcn. So bleibt er ullcin dem sinnlich Wahmehmbaren verhaflet<br />

und kommt seinem Ziel in der Welt hinter den Wahmehmungen nicht ntihcr.<br />

Das .,Sonnensegel'· mil der Feuchligkeil die-mit Sehnsuchl gedacht-von einem<br />

Meer herzukommen scheint. schaffl eine Stirnmung des Aufbruchs. rast als briiuchte man<br />

sich im Korbsluhl. dessen Leichtigkeil erwatmt wi rd. mil gebUihtem Sonnensegel wie<br />

Moses in scinem Schilfkorbchen nur seinem hoheren Schicksal entgegentreiben zu lassen.<br />

Aber selbsl der Ursprung der Feuchtigkeil aur dem Pflastcr, der von anderen Wellen zu<br />

sprechen scheint. iSI ganz prosaischer Natur. Ein StraBenrcinigungsrahrlcug ruhr gerade<br />

vorbei. Auch hier wird wieder der groOlmoglichc Kontrast zwischen Schein und Sein<br />

angestrebl.<br />

Dem jungen Mann aus der Erzahlungjedoch sind solche Oberlegungen rremd. Er<br />

scheinl nichl mehr nilchtem, d.h. hal Schwierigkeiten, die Wirklichkeil bis aur rein<br />

Physisches zu ert'assen.<br />

Das Eintreten in das Lokal geschiehl tiber leicht stickig riechende Kokosmanen.<br />

Man kann sich denken. dass das stickig Riechende an ihnen Teil des Auflosungs- und<br />

60


Zerfallsprozesses dieser organischen Produkte ist. Dcr junge Mann tnlt sozllsagcn tiber<br />

VClWcscndes in das Lokal.<br />

Broch nutzt oeben semantischen auch logische Gegensatze, urn die Stimmung der<br />

Erlahlung in dcr Schwebe zu halten. Dass der junge Mann beim Eintreten denkt, cs sci im<br />

Lokal kOhler und sich trotzdem in die Ntihe der TUr setzt, damit er die "kleinen<br />

Windsto13e sozusagen aus erster Hand" (KW6 155) abbekomml, also gleichzeitig denkt,<br />

dass es drauBen kUhler ist, gehott zu diescm Einsetzen von logischen Gegensatzpaarcn.<br />

Ein weiteres und ungewohntes Gegensalzpaar "lau-kUhl" (KW6 155) greift die Reihe der<br />

Kontrastc ebenfalls auf. Von der in der Schwebe gehaltcncn Stimmung, hervorgerufen<br />

durch die auffallenden Gegensatze, zur Assoziation der Zeillosigkeit ist es nichl weit.<br />

heben sich Gegensatze doch selbst auf. Selbst den BHischen des Bierschaums konnen wir<br />

beim Dehnen zuschauen, sie zerplatzen in Zeitlupe (KW6 155). In der Tat bleibt die Zeit<br />

sogar vollends stehen, bricht das Gramrnophonspiel ganz ab, als der junge Mann eintritt;<br />

erst am Ende der Erzahlung hebt das Spiel wieder an. Wir erleben so eine Erztihlung,<br />

deren erztihlte Zeit so lang wie das Wechseln einer Platte auf einern Gramrnophon dauert<br />

und dercn Erzahlzeit so lang ist, wie das mcnschliche Suchen nach Erkenntnis.<br />

Zeitdehnung und Zcilraffung in einem-gibt es ein ex:trerneres Gegensatzpaar?<br />

Das Tableau, das sich weiter entfahel, iSI cine Variante des Hohlengleichnisses,<br />

wenn auch eine ungewohnliche. Der junge Mann setzt sich auf eine Lederbank, "die unter<br />

der Spiegelreihe die Wande entlang lief" (KW6 155). Darnil sitzt der jungc Mann vor der<br />

Platon'schen Mauer, der Spiegel hinter seinem Rilcken nimmt die Rolle des Teils der<br />

Hohle ein, in dern Gegenstande vorbeigelragen werden. Das, was der junge Mann im<br />

Lokal sieht, die venneinlliche Wirklichkeit, sind die Schatten auf der Wand des<br />

61


Hohlengleichnisses. Er betrachtet mil dem Geschehen im Lokal sOlusagen die<br />

Hohlenwand Plalons.<br />

Der FuBboden des Lokals besteht 8US blau·wei6en Mannorquadraten: blau-weiB<br />

wie der Himmel mit Wolken, aber gleichzeitig ein Himmel am Boden. Quadrate<br />

symbolisieren das Irdische. das mannome Schachbreumuster steht daher illl Gegensalz<br />

zur Farbe des Himmcls flir dus lrdische. ein weiteres Gegensatzpaar.<br />

Auf dcm Boden belinden sich Siigespane. "Reste von Sagespanhaufchcn sind<br />

noch sichtbar. sie verdichlen sich urn die Grundplattcn der guBeisemen TischftiBe zu<br />

kleinen DUnen" (KW6 156). Diese konnen ein erstcr Hinweis auf das ehebrccherische<br />

Verhahnis der heiden Belauschten im nachfolgenden •.Gesprach" gedacht sein. 1m<br />

Gegensatz zum Sagernehl. das zum Aufsaugen von FHissigkeiten dientc. war das<br />

Sag'spanstreuen in Bayem und Osterreich frtiher ein Brauch zur Oenunzierung von<br />

Ehebrechem. Auch konnte es eine Andeutung an das Streuen von Sagespanen in Tristan<br />

und Isolde sein. urn Isolde des Ehebruches zu i1berftlhren. Oas magjedoch Spekulation<br />

sein. Am Ende denkt der junge Mann. dass es sich urn Sagespane handclt. urn<br />

vcrgossencs Blut aufzusaugen. 40 Hicr konntc Broch jcdoch die Begriffe Sligemehl und<br />

Sagespane austauschbar verwendet haben, wie cr ja bekanntennaBen mit Begriffen<br />

nonchalant umging. Sagespane haben aber au6erdcm auch die Farbc von Sand. so dass<br />

Broch hiermil an die MeeTthematik aus dem Anfangsabsatz ankntipft.<br />

Was sich nun abspielt, ist wie ein Wink Brochs mit dem Zaunpfahl. Es wird<br />

berichtet. wie am Nebentisch jemand sitzt und sich unlemall. aber der junge Mann sei zu<br />

.00 Sidler interpretiert die Erwahnung der sagespane am Artfang der Erzahlung dahingehend, dass die<br />

Geschichte skh glelchzeitig vorwarts und ruckwarts entfaltet, bzw. von beiden Enden auf den Too zulauft,<br />

d.h. der Too den ..Orehpunkt der Zeit- darstetlt (.Elnheitsphantasien- 14).<br />

62


faul hinzuschauen. Die gcistigc Faulheit, diese dUTch Trligheit herbeigefLihrtc, unnolige<br />

Ignoranz des sich mil Abbildem und Vorstellungen begnugenden Individuums, wenn<br />

doch die Wirklichkeit greifbar ware, prangert Broch hier direkt an. Broch stellt dUTch cine<br />

Wiederholung sicher, dass deT Leser diese Krilik nichtliberliest. Nachdem der junge<br />

Mann sich dUTch Assoziationen, ausgelost durch die Stimmen am Nebentisch, cine klare<br />

Yorstellung tiber ihre Eigenschaften gezimmert hat, heil3t es: "Aber jetzt sah er<br />

absichllich nich! hin" (KW6 155). Er will also seine inneren Schattcnbilder nieht an der<br />

Wirklichkeit messen; er enlscheidet bewussl, sich selbst die Ketten einer gcistigen<br />

Gefangenschaft anzulegen. sich niehl aus der H6hle des Unwissens herausflihren lassen.<br />

Zur Erlosung flihrt so kein Weg.<br />

Die beiden korperlosen Stimmen werden von dem jungen Mann in nun schon<br />

gewohmer Weise als Gegensatzpaare charakterisiert: einmal als guttural-miitterlich bzw.<br />

knabenhaft-mannlich (KW6 155), wobei er der weiblichen Stimme einen dicken Korper<br />

und dunkle Haare (KW6 155) hinzu phantasiert und der mannlichen Stimme einen kleinen<br />

Korper und blonde Haare (KW6 158). Es ist zu bemerken. dass dem Attribut .,mtinnlich"<br />

nicht das Attribut "weiblich," sondem der Ausdruck .,miitlerlich" entgegengesetzt wird.<br />

Die Hohle hat CG. lung sptiter als naheiiegendes Symbol des Weiblichen identifiziert. In<br />

der Hohle verbleiben zu wollen scheint auch Platon mit der Verhaftung des Miitteriichen<br />

im allein sinnlich Wahrnehmbaren gieichzusetzen. Brach schlicBt sich ihm mit diesem<br />

Bild an. Petersen (112) weist zudem mit Hinweis auf Roethke nach. dass Brach durchaus<br />

eine zeiuypische und yom heutigen Standpunkt betrachtct konservative<br />

63


Geschlechterauffassung 41 vertrat. Das wiederholt erwahnte Milltcrliche der Stimme am<br />

ebentisch kann daher durchaus als weiterer Hinweis darauf gcwertct werden. dass das<br />

Lokal als cine Metapher fUr die Hahle des Hohlengleichnisses fungiert. Zu diesem<br />

Themcnkreis passl auch die Bestellung von Milch. Demjungen Mann wird tibel und er<br />

denkt. dass ihm eine Milch gut tun konnte. Milch wird von manchen als Hausmittcl gegen<br />

die Folgen iibennaBigen Alkoholkonsums empfohlen. Aber die Milch komml bier auch<br />

ins Spiel. urn die Welt des Miitterlichen noch einma! zu bcschworen. sind es doch var<br />

allem Kinder. die Milch (rinken. lns<strong>of</strong>em kann der Wunsch. Milch zu trinken, als<br />

Regressionswunsch interpretiert werden. SchlieBlich kann man als Kind relativ<br />

sanktionsfrci Verantwonung fUr sein Tun abstreifen. Der junge Mann ist loU einem<br />

bestiOlOlten Grad mit der Stimme des "knabenhaft·Ollinnlichen" Phantasmas idenlisch.<br />

denn er denkt daran. sich als Maglichkeillour Reuung aus der phanlasienen. misslichen<br />

Situation umloubringen. "Wenn ich mich umbringe.... so gehe ich mil gUlem Beispiel<br />

voran und der Kleine ist von ihr befreit" (KW6 157). Wie kann der "Kleine" durch diesen<br />

Schrilt befreit werden. ohne selbst diesen Schrill zu tun?<br />

FUr den jungen Mann in der Erzlihlung wird seine eigcne Vorslcllung zur<br />

Wirklichkeit, wenn er sich ein venncintlich dramatisches GesprUch vorstellt. das am<br />

Nebentisch geflihrt wird. Das, was er zu haren glaubt. scheint das Echo seiner Gedanken<br />

loU scin. Die Gedanken, die er denkt, sind glcichsam das Echo. das sich im vorgestellten<br />

.1 Eva Reichmann stellt anhand einer Analyse der Romane Breehs die These auf, dass Breeh Frauen<br />

vielschichtig darstellt, aber dass die Darstellung der ..Heiligen'" Oberwiege. 1m Gegensau lU Werken seiner<br />

Zeitgenossen in denen Frauen die mannliche Existenl durch ihre 5eKualitat gefahrdeten. seien es bel Breeh<br />

die MOtter, von denen eine Bedrohung ausginge, da sie unfahig seien, den Mannern ihre Angst vcr der<br />

Einsamkeit lU nehmen (187).<br />

64


Gesprach materialisiert. wie auch in der Hahle des Hohlengleichnisses nur Echos gehort<br />

werden konnen:<br />

.,Schon ist heute die Nacht ... unler den klingenden Stemen", sagle die sanfte<br />

Slimme der Frau.<br />

..Unter den klingenden Stemen des Todes". sagle derjunge Mann. und wusste niehL<br />

ob er es gesagt hatte. (KW6 160)<br />

Zur Schallenwelt passt 3uch die Beobachtung der Barfmu und des Kellners durch den<br />

jungen Mann: .,Wenn sie mit dem Kellnerdort sprach. dann sah man ihr Pro(iJ und<br />

zwischen Ober- und Unterkiefer ergab sich ein Dreieck. das sich orfnete und schloss"<br />

(KW6 157). Der Kellner und die Barfrau erscheinen wie Personen cines Schancntheaters.<br />

in dem die Figuren im Pr<strong>of</strong>il gesehen werden und aus deren Miindem kein Laut<br />

cnlweichl. Werdie Stabfiguren des Schancnspielthealcrs kennt. wird die Beschreibung<br />

der mechanischen Bewegung des Offnens und SchlieBens des Munddreiecks als sehr<br />

zUlreffcnd empfinden. Oer junge Mann verstrickt sich jedoch nicht nur in Vorstellungen<br />

Ubcr den Inhalt des GesprJchs, sondem auch Uber seine eigene Vcrstrickung in das<br />

vorgestellte Gespriich. Broch macht dies anhand der Vorstellung der Linien sichlbar. die<br />

als gedachtc Stimm- und Atcmlinien aus den MUndem zusammcn "flieBen" und sich<br />

"venntihlen" (KW6 156). "vertlechten" und "Knauel" (KW6 158) hilden. Und als htitten<br />

die Stimmen ein Eigenleben bekommen. verflechten sic sich immer wieder aufs Neue.<br />

Wtihrend die Weltenschlange Ouroboros. die sich selbst in den Schwanz zu beiBen<br />

scheint. weltumfassend Anfang und Ende symbolisiert. verknaulen sich die Stimmen<br />

ziellos. ohne Ordnung. Die Situation droht zu entgleiten.<br />

6S


Eine weitere Symbolspirale schafft Broch in Sewg auf die Analogien zum<br />

Sonnengleichnis mit dem Begriffsfeld "Spiegelungen:' Er beginnt mil der Beobachtung<br />

des JURgen Mannes. dass der Kellner "eine spiegelnde Glatzc" (KlV6 158) hat. also mit<br />

cineOl Phlinomen an sich. Ocr nachste Schritt ist die Befriedigung des JURgen Mannes mil<br />

dem Erkcnnen der Reflexion "der Minellampe auf der Glatze des Kellners'; (KlV6 158)<br />

als Ursprung dieser Spiegelung. Desgleichen funktioniert die Erwillmung einer .,Reihe<br />

Glaser' (KW6 160). einer "Kette von GHisem" (KW6 160). die leise klingeR. Diese<br />

werden im nachsten Gedanken Zll "klingenden Stemen" und im nachsten Schriu noch urn<br />

eine weitere Slufe Zll "klingenden Stemen des Todes" (KW6 160) iiberhoht. Der<br />

Gcfangene der Platon'schen Hoble glaubt, aus den beobachtbaren Schalten RUckschlUsse<br />

auf den Ursprung der Dinge ziehen zu konnen. aber das. was die vemlcintliche wirkliche<br />

Welt beleuchlel, iSI nur ein mUder Abklatsch dcr Sonne. der Idee des Guten. gezahmtes<br />

Feuer. es iSI nur eine GlUhbirne. Welch schrecklicher Intum! So iSI es auch mit dem<br />

vermeinllichen Klang der Sterne, es iSI nur das Aneinanderschlagen. das Klirren der<br />

Glaser. Am Endc dcr Erzahlung wi rd. wie wir sehcn werden. diese Thcmalik wieder<br />

aufgegriffen.<br />

Wahrend der junge Mann nun cine Lcbensbedrohung heraufbeschwort, glaubt er,<br />

einen Mann ins Lokal kommen zu sehen, von dem eben diese Bedrohung ausgeht. Die<br />

Erwahnung des aurkommenden Windes drauBcn dienl der Vcrstarkung des Eindrucks,<br />

dass nun eine Handlung zu erwarten ist. Das Thema des Todes nimml im vorgestellten<br />

Gespr'Jch immer mehr Raum ein. obwohl es keine wirkliche Bedrohung gibL Das iSI zwar<br />

nur konsequenl, denn lelZlen Endes laurt ein Leben in der volligen Erkenntnislosigkeit<br />

auf eine tote Existenz, auf Unerlostheit hinaus. wohei Unerlostheit in der Gnosis eine<br />

66


In der gesamten Erzahlung ging es im belauschten GesprJch sHindig urn Geld. das<br />

def ..kuuflich[ej" (KW6 159) Nebenbuhler durchaus annehmen und damit Leben<br />

verschonen wiirde. Ocr JURge Mann signalisiert nun dem Kellner. dass er bezahlen<br />

mOchle. Es ist das einzige Mal, dass Broch dem JURgen Mann eineo SaIl im Fulur in den<br />

Muod legt: t' ,Ich werde zahlen,' sagle defJURge Mann. ,ich ... , .. (159). Dieser Salz iSl<br />

nichl nur def einzige im Futur. er scheint auch def einzige unanfcchlbare def Erztihlung<br />

Zll sein. obwohl er von dem JURgen Mann niehl so gemeinl wi rd. Die mctaphysische<br />

Implikalion seiner eigenen Aussage bteibt ihm verborgen. Menschen ..zahleR'·<br />

unausweichlich flir aile EnlSCheidungen. die sic im Leben treITen. Vod so kommen wir<br />

auf vielen Umwegen, tiber die Figur des Mannes mil dem Revolver. Uber getr<strong>of</strong>fene. aber<br />

unausgesprochen gelr<strong>of</strong>fene Emscheidungen zu dem moglicherweise von Broch<br />

gemcimen Tierkreiszeichen der Erzahlung, dem SchUlzen, Broch verteilt innerhalb der<br />

Erzahlung gezieh Hinweise auf das Wortfeld des SchUlzen,42 Wie wir in dem<br />

Sprachanalyscteil dieser Arbeil sehen werden. ist seine Melhode. die Texlkoharenz trolZ<br />

1anger Salzkellen durch Wiederholungen herLUstellen, sehr wirksam,<br />

Die ausgesetzte Zeit selzl bei der Aufdeckung des Traullls mil dem Erklingen der<br />

Musik des Grammophons wieder ein, Es wird,.Le Pl:re de la Vicloire,,43 gespiell, ein urn<br />

die Jahrhundertwende sehr beliebles StUck, dus zunachsl als putriolischer Marsch aber<br />

spaler als Trinklied und Zirkusmarsch (Studwell 13) groBe Belieblheit errang.<br />

• l 3x schutzen, und das Homonvm SChutzen. schieBen, schuBbereit, ermorden, 2x toten. Slut, 2x Revolver,<br />

2x Waffe, 3x Tod,Exekution, 2x Sterben.<br />

• J Tellt und MP3:<br />

http://www.fncv.com/biblio/musiques/chants_republique_empire/pere_victolre/indell_va.html<br />

..pere la vietoire," der Titel, unter dem das lied normalerweise archlviert wird, wurde 1888 vom<br />

franzOsischen Komponisten louis-Gaston Ganne komponiert. Es war vor allem in lokalen in denen live­<br />

Musik gespielt wurde sehr beliebt. Brach hatte eine groBe Abneigung gegen ..Kapellmeistermusik," Der<br />

Hinweis auf diese Zirkusmusik kann also als Verstarkung der Vulgaritat der Situation verstanden werden.<br />

68


Moglicherweise drUckt Broch damit seine Hahung gegenuber der von ihm nicht<br />

emstgenommenen Gesellschaft aus. die cr moglicherweise als Zirkus empfindet.<br />

Am Ende der Erziihlung heiBt es: ..Die Kassiererin begann nun die GUiscrrcihe zu<br />

reinigen. Sic nahm ein Glas oach dcm andem. es klintc klingend. und jedes Glas<br />

spiegelte die Lichter des Lokals'" (K\V6 162). Beleuchtet von den Lichlem des Lokals,<br />

dem Ersatz fliT das wahre Licht. ist auch nur die Ersatzweh zu schen. Die Dinge weisen<br />

nicht tiber sich hinaus. Die andere Wirklichkeit. zu der der Mensch im gnostischen<br />

Denken bell1fen isl. bleibt dem jungen Mann dieser Erztihlung verwehrt. Er stelh damit<br />

den Prototyp des Hylikers dar.<br />

Betrachtet man die gesamte Erz.ahlung, kann man den Tilel der Erzahlung ••Ein<br />

Abend Angst" nichl nur aufeinen Abend oder auf einen kurzcn Zeitraum beziehen, den<br />

man zum Wechseln eincr Schallplaue braucht, er siehl vielmehr fUr ein Mcnschenleben<br />

selbstgewtihlter Angst, die den friihen Abend der menschlichen Moglichkeiten garantien,<br />

6.4 "Die Heimkehr"<br />

..Die Hcimkchr" iSI mit elwas mehr als 34 Seiten die ltingste der runf bek::mnten und fertig<br />

gestcllten Tierkreis-Erziihlungell, Broch schuf mit dieser Erztihlung ein dichtes<br />

Ideengewebe. in dem Motive der gnostischen Denktradition die Kettfaden bilden und<br />

Motive aus der griechischen und nordischen Mythologie sowie aus Physik und<br />

Psychoanalyse die Schussfaden, Die Verschrtinkung dieser unterschiedlichen<br />

Motivstrtinge funktioniert deshalb iiberzeugend. weil sie trotz ihrer Unterschiedlichkeit<br />

aile dazu dienen. das Thema der Erztihlung .,Die Heimkehr" durch ihre Vielheit<br />

69


eindringlich zu verdeudichen. \Vie jemand an eineo zunachst als fremd eingcflihrten Ort<br />

"heimkchrcn.'· also zurtickkehren kano, is! ein Lehrstiick Brochs tiber die .,wahre'·<br />

Heimat des Menschen.<br />

Vordergrtindig wird die Geschichtc cines Handlungsreisenden A. erztihlt. der mit<br />

dem Zug am spaten Nachminag in einer ihm fremden Stadt ankommt. aus unerfindlichen<br />

Grunden dem architektonisch interessanten. dreieckig angelegtcn Bahnh<strong>of</strong>svorplatz<br />

verfjlh. ein Zimmer in einem Haus an diesem Platz bei einer alten Dame. der Baronin<br />

W.. mictet. und sich dort flihlt. als sei er heimgekehrt.<br />

Obwohl zunachsi etwas absurd erscheinend. gcschieht nichts AuBergewohnliches.<br />

und doch hal Broch mit dieser Erzahlung all jene Themen miteinander verwoben, die<br />

seinem Verstandnis oach von existentieller Bedeutung fur die Selbstvergewisserong des<br />

Individuums in dieser Welt sind, und die zutiefst gnostischen Ursprongs sind. Dieser<br />

gnostischen Grundeinstellung ist die Auswahl der cingesetzten Motive und Wortfelder<br />

geschuldct, erst durch sic wird der Titel der Erztihlung verstandlich. Aufgeworfcne<br />

Fragen bcziehen sich auf die Bezichung. in welcher Leib und Seele des Mcnschen<br />

zueinander stehen: ob Leiblichkeit Too. Seclc Ewigkeit bedeutet; wie der Mensch in<br />

Beziehung zu anderen Menschen. zu der ihn umgebendcn Natur und der von ihm<br />

gestalteten Umwell steht: ob es so etwas wie Schicksal gibl. OOer ob der Mensch mit<br />

seinen Entscheidungen den Lauf der Dinge beeinnussen kann. Letztlich iSI "Die<br />

Heimkehr'; eine Allegorie auf das Ankommen an jenem transzendenten Ort. der fUr den<br />

gnostisch Inspirierten Heimat is!. namlich das lichterfullte Pleroma.<br />

Daher sind Bilder. in denen das Licht eine Rolle spieh. hier von besonderer<br />

Bedeutung: vom Glanz der Fenster im Abendlicht. i.iber den Regenbogen undo wie wir<br />

70


noch sehen werden. his zurn Beruf des A. Augenfallig ist auch das wiedcrkehrende Motiv<br />

des Dreiecks. sci es in architektonisch geomctrischem Zusammcnhang. sei es in den<br />

Beziehungen, ja bis hin zu den Anfangsbuchstaben deT Namen der Protagonisten.<br />

SchlieBlich sei noch erwahnt, dass Broch die Verwobenheit des Einzelnen. der beleblen<br />

und unbclebtcn Natur sowie menschengemachtcr Dinge haufig durch Linien und Faden<br />

verbunden beschreibt. 4J<br />

Nun aber zur Erzahlung selbst. Ein Reisender. im weiteren Verlauf der Erzahlung<br />

nur mit A. benannt und den Leser an A. aus ..Eine leichte Enttauschung" erinnemd.<br />

komml oach einer Bahnreise in einer Stadt an. Wedcr das Woher noch das Warum<br />

scheinen von Bedeutung. Der Leser wohnt dem Geschehen der Erz.ahlung durch drei<br />

verschiedene Perspektiven bei. Einmal durch die Dialoge zwischen A.. der Baronin W..<br />

dem Stubcnmadchen Marie und der Tochter Hildegard. zurn anderen aus der Perspektive<br />

A.s. in Fonn eines inneren Monologs, und schlieBlich in einer Art Renexion A.s. die<br />

vollig Uber das aktuell Geschehende hinausweist und das Jetzt nur als Sprungbretl nutzt.<br />

urn zu Oberlegungen i..ibcr Transzendentales zu flihren. Die Obcrglinge sind unmerklich<br />

und nieBcnd. Die Tendenz des Protagonisten A.. alles Geschehcnde auf sich selbsl zu<br />

401 Diese Beschrelbungen erinnern entfernt an Carlos Castanedas-ob selner Authentizltat<br />

umstrittene-Beschrelbungen seiner Umweltwahrnehmung unter Peyote-Elnfluss. Ohne der biografischen<br />

Lesewelse eines IIterarischen TeKtes verfallen zu wollen, soli hier angemerkt werden, dass es nlcht<br />

auszuschlleBen 1st, dass auch Brochs Visualislerung der mannlgfaltigen Beziehungen innerhalb des<br />

menschlichen Kosmos als Liniennetze unter dem Einfluss von Orogen entstanden sein konnte. Oas ist nur<br />

eine Vermutung und soli Broch nicht als Orogenkonsumenten ausweisen. Es gibt In der konsultierten<br />

literatur dazu keine Hlnweise. Allerdings war in den 20'" Jahren Kokaln die Gesellschaftsdroge Nummer<br />

Elns der Boheme, und zahlreiche Besucher des literatentreffpunkts Cafe Central in Wien waren bekannt<br />

fur Ihren Kokainkonsum. Auch Freud (vgl. dazu Freuds Abhandlung von 1884 ..Ober Coca: die zur<br />

ElnfUhrung des Kokain in die Medizin beigetragen hat.) war lange Zeit Befurworter des Einsatles dleser<br />

Droge (Beubler 6, 8). Ole Gefahr der Abhangigkeit hervorrufenden Eigenschaften von Kokain, Heroin und<br />

Amphetamlnen wurde erst spater erkannt.<br />

71


eziehen und mit schicksalsschwangerer Bedeutung aufzuladen. deutet auf cine<br />

narzisstische Personlichkeilsstruktur A.s hin, die wahl mehr einem jugendlichen<br />

Protagonisten anstUnde als cinem 30-jahrigen Edelsteinhandler, aber so und nichl anders<br />

will Broch seine Figur prasenlieren.<br />

A. tritt aus dem Bahnh<strong>of</strong>sgebaude und richtet seine Schritte oach links, was als<br />

symbolisch fUr das Unterbewusste gewertet werden kaon, hin zur Gartcnanlage. Dus<br />

Naturerleben des A. hal in seiner Sinnlichkeit ctwas Ekstatisches an sieh.<br />

Erst sah er bloB das feuchte Gras und die Strliucher zu seiner Rcchten, oder besser,<br />

er roeh sie, Icicht hingegeben der plotzlichen Geloslheit. die in der feuchtco Luft<br />

tlutcte, und da die Astc eines 5trauches Uber den eisemen Zaun ragten, griff er ins<br />

feuchte Laub und lieB es durch seine Finger gleiten. Es daucrte cine Wei Ie, bis er<br />

sich so weil gesammelt halle, daB er sich oriemieren konme. (KW6 162)<br />

Ekslase ist in der Gnosis eine geschtitzle Praxis, denn ekstatische Selbslentgrenzung<br />

erleichtert den Weg zu Offenbarungen und damit zu Erkenntnis. Somil ist mil dieser<br />

Eingangsszene das Feld gut vorbereitet fUr die kommenden Ercignisse, die vorn<br />

Sinnlichen ausgehend das Sinnliche jedoch lranszendieren.<br />

A. erfahrt also zuntichst einen Moment der Desorientierung. sieht aber dann den<br />

Platz vor sich liegen. Es folgt eine Beschreibung der sltidtebaulichen Eigcnschaften des<br />

Platzes, angelegl "zwischen 1850 und 1860 ... Nachklang des Empire ... ausnahrns10s<br />

zweist&kig;' (KW6 163), gleichzeitig nicht Broch jedoch in die Beschreibung auch A.s<br />

MutmaBungcn tiber das Verkehrsaufkommen ein, "den freilich jelzl nicht vorhandenen,<br />

zu anderen Tageszeilen aber vielleicht slattfindenden Verkehr" (KW6 162), den Eindruck,<br />

den der Platz auf A. macht, "in einem angenchm und ruhigen Einklang;' (KW6 162), und<br />

72


lassl mit dem Vergleich des Platzes mit einem Teich...erhoben sich die Hauser wie am<br />

Ufer cines grtinen Teiches" (KW6 163), geradezu lebendiges Wasser im Mitlclpunkt des<br />

Platzes Wellen schlageR. Ocr Teich nimmt hier die Rolle des Meeres ein. auch wenn es<br />

sich nur urn ein domestiziertes handelt. Auf seiner Obcrfltiche spiegelt sich das Licht def<br />

Sonne und ist so Mittler zwischen den ewigen Ideen Plutons und dem Menschen. Broch<br />

lass! seine Erzahlung zwischen all diesen Perspektiven oszillieren. ilbergangslos vom<br />

cineo lum anderen wechselnd. und so an def Orientierungslosigkeil A.s teilhaben.<br />

An dieser Stelle muss zum weiteren Verstandnis ein kleiner Exkurs in die<br />

Vorstcllung Platons von Raum und Kosmos eingeschoben werden. denn die ausflihrliche<br />

Beschreibung des Platzes kommt nicht von ungefahr. Vielmehr ist er symbolisch so stark<br />

aufgeladen. dass man ihn unlerdem Gesichtspunktcs des Raumes an sich belrachlen<br />

muss.<br />

Nach Dirk Evers (15) bildet Raum fUr Platon das vemiuelnde Bindcglied zwischen<br />

Scin und Werden. Platon versuche, die Vorstellung "cines allem zugrunde liegenden<br />

Allgemeinen zu entwickeln." das "alles aufnehmen kann:' Dieses niles Aufnehmende sci<br />

der Raum.<br />

Dicser Raum ist kein Leerraum. er iSI die Potenz, die aus sich heraus die durch die<br />

Ideen geordnete und sl<strong>of</strong>fliche Mannigfaltigkeit hervortreten llisst. .. Da St<strong>of</strong>f<br />

Korper is!. hat er die Dimension der Tiefe. die wiederum sich aus Rachen aufbaut.<br />

Deshalb lassen sich die geometrischen GrundgroBcn der St<strong>of</strong>fe auf die Rache<br />

zurtickflihren. deren elementare Gestalt das Drcieck is!. (Evers 15)<br />

Das Dreieck dient als Beispiel cines geometrischcn Gegcnslandes. welcher der Welt der<br />

unwandelbaren ideelien Fomen angehort (Evers 16). In Plalons Vorslellung von der<br />

73


Weltentstchung schur der Demiurg die "zeitlichen Gegensltinde ... indem cr auf die<br />

zcillosen Ideen blicktc und sic zurn Vorbild nahm" (Evers 16). Auf diese Ideenwelt<br />

jenseits der Zeit will Broch mil seinem intensiven Eins3tz des Dreieckmotivs aufmerksam<br />

machen.<br />

Hinzu kommt Brochs Liebe fUr Mathematik. und so beschreibt er den Platz. wie<br />

ein Mathcmatiker ihn geomctrisch beschreiben wUrde. numlich als gleichschenkliges<br />

Dreieck mil symmetrisch angelegtcn s-fOrmigen Fu6wegen. In deren Kreuzung stehl ein<br />

Kiosk mit dreiseitiger Uhr (KW6 J63).<br />

Spater erfahren wiT, dass der Kiosk im Mittelpunkt des das Dreieck<br />

umschreibenden Kreises stehl (KW6 189). Auch an anderer Stelle wird der Miuclpunkt<br />

des Dreiecks erwlihnl. als es urn die Beziehungen der drei Frauen und den<br />

Gerichlsprtisidenten geht (KW6 185). Wir haben es also mit 5chichten von Dreiecken in<br />

verschiedenen 5pharen zu tun: im konkreten Platz und damit im Raum. im geometrischen<br />

und damit idealen Dreieck. in der dreieckigen 5iedlung und damit in der Gesellschaft<br />

sclbst und in den Beziehungen der Frauen untereinander und mit dem Gerichtsprasidenten<br />

und mit A.<br />

Wir erfahren. dass es 17.11 Uhr ist. als A. auf die Uhr tiber dem Kiosk im<br />

Mittelpunkt der Gartenanlage schaut. 50 weit so gut. aber wer wUrde-wie Broch es nun<br />

tut-von einer Uhrzeit £lIs "Grenzscheide" (KW6 163) zwischen zwei Tageszeiten<br />

sprechcn? Mit der Uhrzeit. die im Minutentakt auf der Uhr angezeigt wird. haben wir es<br />

mit einer Ma6einheit zu tun. Dass die Messbarkeit der Zeit jedoch von Bedeutung. gar<br />

moglich sein konnte. nimmt Broch s<strong>of</strong>ort wieder zurtlck. wenn er von dem Obergang von<br />

Nachmiuag in Abend £lIs einer "Grenzscheide" schreibt. Denn mit einer<br />

74


Von den .,funkelnden Fensterscheiben:' den "rolen Pelargonicn:' die im "Einklang mit<br />

dem funkclnden Glas" leuchtcten. "dem Regenbogen.'· der ,.hellstcn." "zeillosesten"<br />

Fassade zum ,.ge<strong>of</strong>fnctcn Licht des Himmcls" (KlV6 166). alles deutet auf Licht im<br />

weiteSlen Sinn undo im Zusammenhang mit Zeillosigkeil und Himmel. auf das<br />

Lichlemlcer des Pleroma.<br />

\Vie wir schon wissen. ist die Menschheit in der gnoslischen Lehre in drei<br />

Gruppen eingeteih. die in unterschiedlichem MaGe an der Transzcndenz. an dem Funken<br />

Sophias teilhaben. Die Pneumatiker gehoren zu der hOchsten Slufe. und A.s<br />

ZugehOrigkeil zu ihnen wird durch die Haufung der Anspielungen auf Licht bcfestigt. Die<br />

esoterische Lehre der Gnosis verbindet Broch jedoch im Handumdrehen mil der<br />

modemen Physik und rnacht einen kleinen Ausflug in die Farbenlehre (O'er wuBte wohl.<br />

daB es keine Farbe gibt ohne Substanz, die sie tragt" KW6 166). urn s<strong>of</strong>ort wieder auf die<br />

Ahnung einzugehen. die hinter "der Dunkelheit und UnenneBlichkeit des Weltenraumes"<br />

liege Broch beschreibt wiederholt die Handelnden seiner Erzlihlungen als ,.viclgelenkig,"<br />

"vieladrig;' "vielknochig" (KW6 166, 167), um die Aufmcrksamkeit auf die Dualitat des<br />

Menschen zu Icnken. Dieses knochigc. gelenkige. adrige Korpcrliche des Menschen<br />

beschwort geradezu das Bild eines Korbes odcr GcfaBes hcrauf. in dcm die Seele sitzt<br />

odcr gar gcfangen gchalten wird.<br />

A. wird nun. wie es heil3t, von "verborgcnen Stromen" (KW6 166) zu seinem Ziel<br />

getragen, so wic die anderen Menschen ,Jeder auf seinern eigenen Strom". . ..in dem<br />

Gewebe der Strome"-Castaneda und seine Faden klingen wieder an-seinem Ziel<br />

entgegen getragen wird. Solchennal3en fonnuliert. scheint das Individuum bei Broch ein<br />

78


fast cinsamcs. vereinzehes Weseo Zll sein. das auf seinem vorhcrbeslinumen Strom auf<br />

sei" Lebensziel zuflieBt.<br />

Es folgl eine Reflexion dariiber. wie Momenle dcr Enlscheidung im Unbewussten<br />

stattfinden. Broch dehnt die Zeit. macht das Unsichtbare. die Zeit zwischen Entscheidung<br />

und Ausftihrung. sichtbar. Dass der Weg zur Wohnung der Baronin W. niehl ein irdischer<br />

Weg ist. wird aus der Fonnulierung .,ein gonliches Obcrwandeln des erhabcncn<br />

Regenbogens" (K\V6 167) deutlich. wonn die in der gennanischen Mythologie<br />

vorkommende Regenbogenbriicke Bifrost anklingt. die von der Menschenweh Midgard<br />

zur Gotlerwelt Asgard J9 flihrt. Selbsl eine Art Briickenwachlcr wie der Gott Heimdall<br />

laucht in Form der Tochter Hildegard auf. deren Namen niehl nur mit dem gleichen<br />

Buchstaben wie Heimdall beginnt, sondern die nach dem Zusammentreffen mil A. wieder<br />

ins Haus gehl, "als mUBte sie zUriickkchren. urn die Wohnung vor dem Eindringling zu<br />

schUtzen" (KW6 167). und die spaler davon sprechen wird. dass sie Uber ihre Mutter<br />

wachen mUsse (KW6 194), und sich damil als Wachterin versteht.<br />

Trotz der negativen Reaktion der Tochter. auf die A. verstandnislos reagiert.ltisst<br />

A. nicht von seinem Plan abo In einer merkwUrdigcn Mischung aus wissenschaftlichem<br />

Erkenntnissucher. Versuchsleiter bci einem Experimem so und spirituellem<br />

Erkenntnissucher 51 "wagt" er sich in den HausOur. Ocr Flur. der dahinlerliegendc Garten,<br />

die Geriiche. all dies gibt A. wieder "Zuversicht." so dass er zur Wohnung der Baronin<br />

., "Then asked Ganglere: What is the path I from earth to heaven? Har answered,laullhing:<br />

Foolishly do you now ask. Have you not been I told that the llods made a bridge from earth to<br />

heaven, which is called Bifrost ? You must have I seen it. It may be that you call it the rainbow.<br />

It has three colors, is very strong, and is made I with more craft and skill than other structures."<br />

(Snorri Sturluson, The Younger. Eddo. Kapitel S, 13)<br />

!Ill "oder es muRte irgendein Irrtum, ein Beobachtungsfehler vorliellen- (KW6 168).<br />

51 "Entweeter gab es noch verborgene Zusammenhange innerhalb des Sichtbaren" (KW6 168).<br />

79


W. hinaufsteigt. Enlgegen den erh<strong>of</strong>ften mit Licht crflilhen Raumen bcfindet sich A. oach<br />

seiner Anmeldung lunachst in einem Vorraum, der ,.cineo unfrcundlichen und dUsteren<br />

Eindruck erwecktc" (KW6 168). einer Art Fegefeuer. Dus ..bcjahrte Siubenmlidchen"<br />

(KW6 169). dus ihn einHisst. erinnert an cine Mischung aus Eurykleia. der bejahrten<br />

Amme der griechischen Sagenfigur Odysseus. und Eurynome. der ebcnfalls alten<br />

Haushalterin des Odysseus. 52 Die Ahnlichkeit zu Eurynome wird in einer spateren Szene<br />

noch deutlicher. als sic A. seine Zimmer zeigt.5) A.s Ankunft in Baronin \V.s Wohnung<br />

wird so mit der Heimkehr des Odysseus in Verbindung gcbmehl: dus Thema Heimkehr<br />

wird an dicser Stelle zum ersten Mal eingeflihl1. AbeT gaoz unproblemalisch verlauft<br />

diese Heimkehr nichl, denn die Tochter stehl dem Wunsch ihrcr Multer geradezu<br />

feindselig gegenUber. Er bemerkt deren Uneinigkeit. kann sich aber nicht vorstcllcn. dass<br />

cine Ablehnung seines Mictgesuches moglich scin konnte. Die Ablehnung. die ihm die<br />

Tochter cnlgegenbringt. bzw. die Schwierigkeiten. die sie ihm machl. buchl cr unter<br />

..kleinen Slorungen des Wehgcschchcns" (KW6 168) abo was entweder auf cine immense<br />

Egozenlrik bci A. deutet. oder darauf, dass Broch mit A. cine symbolischc Figur. die des<br />

"Adam" meint. Sidler deutet ebenfalls auf diese Interpretationsmoglichkeil hin (Tagtralll1l<br />

190).<br />

In der folgcnden Szene Hisst Broch keinen Zweifel daran, dass A. sich auf dcr<br />

Suche nach dcr Transzendenz selbst. in der Gnosis durch Lichl symbolisien. befindet.<br />

Dcnn das Zimmer. das A. betrilt, birst geradezu von Licht. abcr auf subtile Weise<br />

angedeulet. Broch erwahnt beiHiufig die rote Pelargonie. die schwarze Erde. den<br />

SJ Brach war mit der griechischen sagenwelt gut vertraut. Er schrieb sagar das Vorwort fOr Rachel<br />

Bespal<strong>of</strong>fs Essays On the lliod (N.Y.; Pantheon Books, 1947. Print. The 80llingen series IX.).<br />

"Homer. Odyssee. ..XXIII. Gesang.". Vers 758.<br />

80


grungestrichcncn Blumenkasten und den Himmel. von dem wir wissen. duss er blau ist.<br />

Wir haben es hier mit den Zutaten fUr eine additive Farbsynthesc zu lun. wie sic auch im<br />

Regenbogen wirksam isl. einer Farbmischung also. die nur mil Liehl moglich ist. Rot.<br />

Grtin und Blau mit der unbunten Farbe Schwarz addieren sich zur Tel1iarfarbe WeiB.<br />

Durch die Brechung weiSen Lichtcs in cineOl Prisma enlStehen aile Farben. Als Prismen<br />

konnen RegcnlrOpfen-Broch hat auch dies niehl ausgelasscn (K\V6 166}-dienen. oder.<br />

wie uos gleich in Erinnenmg gebrachl werden wird. Edelsteine. Wir konnen daher<br />

annehmen. dass es sich bei diesen Hinweisen auf Licht urn Hinweise auf die FiHle des<br />

Pleroma handell...A. hatte sich niehl getauscht; es war ein gro6er dreifenslriger Raum<br />

Ider in dieser mil Symbolik iiberladenen Erziihlung nicht andel'S als drei Fenster haben<br />

kann].... durchleuchtet von der untergehenden Sonne. Am Fu6e der Eisenbalustrade<br />

drau6en gliihte das Rot der Pelargonien zwischen den starken BJattenf' (K\V6 170). Die<br />

Wohnung der Baronin W. steht flir die transzendente Heimat des Pneumatikers. das<br />

Lichtenneer. nur sie selbst scheint A. zunachst darin etwas zu stOren. ,.Im Gnmdc war er<br />

von ihrcr Anwesenheit gestort: er war gezwungen, sich ihr zuzuwenden, wah rend seine<br />

Blickc liebcr von dem Raum Bcsitz ergriffen hatlen;' (KW6 171). Wie anma6end. mag der<br />

Leser hier denken.<br />

Es folgt ein kurzer. absurd anmutcnder Dialog. in dem die Baronin und A.<br />

aneinander vorbei zu reden scheinen, cine Renexion Uberdie Subjektivitat des Altems<br />

und die Zeitlosigkeit des Gedachtnisses und des menschlichen Lebens an sich. mit dem<br />

Broch die Yerwobenheit des Menschen sowohl mit seiner Welt als auch mit seinem<br />

transzendenten Ziel herausstellt:<br />

81


des Manichaismus. in dessen Zusammenhang .,Multer"' nichts andcres als "Seele"<br />

bedeutc.<br />

Ins<strong>of</strong>em iSl die Baronin auch als Hekalc. S9 die WelLsec1e. aufzufassen. aus der aile<br />

Seelen enlspringen und in die sic wieder zurUckkehrcn. Dcr Versuch der Teilhabe an der<br />

SeeIe. bzw. zur Seele vOTZudringen. ja das Eindringen und Einswerden iSI daher nicht als<br />

regrcssiver Akt zu verstehen. Vielmehr scheint es aus psychoanalytischer Siehl urn das<br />

Einswerden der PCrsOnlichkeit mit dem Seelcnanteil zu gehen. urn das Ganzwerden des<br />

Menschen. Auch Meisler Eckhart. dessen Schriften sich in Brochs Bibliothek faoden.<br />

deutet den Segrifr ,.Muner" in seiner Interpretation des Gleichnisses der Auferweckung<br />

cincsjungen Mannes in Nain (Lukasevangelium. 7,11 - 15) als Seele 60 (Eckhart 396). Mil<br />

der Heimkchr hatten wir es also mit einer Heimkehr l.U sich sclbsl. seiner eigenen Seele<br />

l.U lun. Broch flihrt uns allerdings zunachst auf Abwege. indcm er in dem AbschniU<br />

"Geboren werden von einer Mutter, leiblich geboren werden" (KW6 175) den Lobgesang<br />

auf die Geborgenheit, die dus Mliuerlich·Korpcrliche bictct. anslimmt. Am Ende jedoch<br />

macht cr deullich. dass es sich urn einen Vergleich handelt. ,.Vnd A. wuBle. daB es ihm<br />

gcslattet war. wann immer zUriickzukehren, und daB die Wartende im Zimmer geduldig<br />

warten wcrde. wie eine Multer ihr Kind erwartct" (KW6 176). A. vcrsucht also nichl. in<br />

einem Akt dysfunklionaler Regression in den SchoB deT Mutter zuriickzukehren. sondem<br />

die Wartendc ist Allegoric der Weltseele und damil zugleich seiner eigencn SeeIe.<br />

Leitmotiv seiner Anhanger zu allen Zeiten gewesen. Wir heren: Ihr mOsst abstreifen alles dasjenige, was<br />

auP..ere Offenbarung ist, die Ihr auf sinnlichem Wege erhaltetllhr musst abstreifen alles, was auBere<br />

Autoritat euch ubertiefert; dann musst ihr reif werden, die eigene 5eele anzuschauenr" (Steiner, GA93 72)<br />

$9 Eine auch von den Neoplatonikern verehrte mutterliche Gotthelt der griechischen Mythologie, die als<br />

Weltseele und unter dem Namen Psyche verehrt wurde. Hekate-Oarstellungen zeigen sie haufig in drei<br />

Gestalten mit unterschiedlichen Insignien.<br />

IiO ..Unter dieser ,Witwe' verstehen wir die 5eele" (Eckhart 396).<br />

85


Die wiederhohc Bcschreibung der Verbundcnhcit der Menschen unlcreinander,<br />

der Menschcn in der Natur, der Naturelemcnlc. ist daher niehl alg .•Einheitsphantasie"<br />

aufzufasscn. sondem Ausdruck einer als objektiv empfundencn Wirklichkeit. die in der<br />

Vorstcllung von dieser Weltseele verankert ist.<br />

A. ftihlt sich schon bald sehr zu Hause. scin Gestus ..fast wie ein Hausherr"' (KW6<br />

179). 1st er schon so sehr Seele, dass seine Wahmehmung eine dem eigenen Korper<br />

gaozlich cntfremdete ist'! Broch beschreibt die Korperwahmehmung A.s. als ob es sich<br />

niehl urn eineo lebendigen Korper, sondem urn ein MobelstUck handeln wUrde: "Vod das<br />

Ich in dem vomUbergebeugten Kopf sah hinab auf den Rumpf. der in die Beine sich<br />

spahele. beleuchtct bloB er. der doch niehl zu ihm gchone" (KW6 179). Db es sich hierbei<br />

um das bei Steiner beschriebene "Hinaustrelcn des AstraJleibes" (GA94 198) handelt?<br />

Dabei konne nach der Seelenhochzeil der physischc Korper verlassen werden. und der<br />

Mensch stehe sich in seinem Astmlleib selbst gcgcnUber.<br />

Auch die Beziehungsdynamik, die unler den drei Frauen herrscht. wird zum<br />

Thema. Quasi als Bcstatigung der "Hekate Triformis';-AlIcgorie verglcicht A. Baronin<br />

W .• das Stubenm1idchen M. und die Tochter Hildegard mit den drei Grundfarben. die<br />

,.alle Ubrigen Schattierungen des Regenbogens enthalten" (KW6 182), und spricht in<br />

Anlehnung an die Lichtjungfrau Sophia von der Jungfr'Julichkeit Maries und Hildegards.<br />

FUr A. Ubemimml die Wohnung der Baronin die Rolle des Spiegelbildes der Welt.<br />

Der Ather. das funfte Element. ist nun Teil der Lufl dieser Wohnung. auch "die tiuBere<br />

Ahnlichkeit der drei Frauen wandelte sich zum Spiegelbild. wurde zur H<strong>of</strong>fnung auf eine<br />

LOsung" (KW6 182). Wahrend sich der Horizont ..von der Weile des unermeBlichen<br />

Athers" aufdie Wohnung einengt, weitet er sich im nllchsten Augenblick wieder, denn<br />

86


Status als rechtma6iger Untennieter. Ocr Schrank is! zudem oach Freud Symbol des<br />

Mutterleibes. Wir haben es abeT nieht mit der Beschreibung eincT inzestuosen Beziehung<br />

Zll tun. vielmehr ist das Mi.iuerliche hier ja Allegoric der Seele.<br />

A. bcgibl sich nun endlich auf den Weg zum Bahnh<strong>of</strong>. urn scin Gepack zu holen.<br />

Die betretene Welt wird in eincT Mischung aus belebter Natur und aus unbelebtcn<br />

menschcngemachtcn Gegensttinden beschriehen. aber 3uch aus unbelebtcr Natur und<br />

menschengcmachtcn ,.belebten·· Dingen wie Uhren und Lalemen (KW6 188). Broch<br />

enlwirft also scheinbar Dualitaten. die im nachstcn Moment gegen andere Dualitatcn<br />

getauscht werden. Man kann Brochs Welt genauso wenig dingfest machen wie cine<br />

Forelle mit Handen greifen. Einsjedoch ist klar. die Stadt wird zum Bild der Holle bzw.<br />

zu allem. was dcm Pneumatiker abhold is!. .,Rot und salanisch gltihte eine Lichtreklame<br />

tiber dcn Dachem beim Stadteingang. und durch den Raum dcr Finstemis wehte ktihl und<br />

ntichtlich der Wind" (KW6 188). Oer Dreiecksplatz wird nun noch einmal zum<br />

Mittelpunkt. und zum crsten Mal wird die Oreizahl. hier in Form dcr Anzahl der<br />

ZifferbHittcr dcr Kioskuhr. mit einem Auribut dcr Hclligkeit bedacht "aber die Uhr.<br />

war in ihrem Innem belcuchtet und bcherrschle mit ihren drci hcllen Zifferblliuem all die<br />

unbcleuchtclc Natur ringsum'; (KW6 189). So wird einc Erwartung crzeugt, und<br />

tatslichlich ktindigt sich ein Regenguss bedrohlich an. Das eigentlich Bedrohliche, das<br />

tiber A. zu kommen scheint, sind jedoch die widcrwtirtigen Geruchsempfindungen des<br />

Bahnh<strong>of</strong>s. Metaphem fLir die Versuchung. die A. einzuatmen gezwungen wird. Die<br />

Versuchung liuBert sich im Zweifel. Zweifel an der Erreichbarkeit der Einheit mit sich<br />

selbst und dem hoheren Lebensziel. Oieser Zweifel wtihrt jedoch nur kurz. denn wie die<br />

Schilderung der Fahrkartenhalle. der GepticklrJger. die wie Stalltiere eingepfercht<br />

88


scheinen. und der Lichtverhahnisse vermuten llisst. ist dies niehl die Welt des<br />

Pneumatikcrs A. Warum, so kaon man fragen. will A. denn libcrhaupt seinern endlich<br />

gefundcnen Ideal. seiner wiedergcfundenen Heimat entfliehen? DeT schon zuvor zilierte<br />

Salz sci an dieser Stelle noch einmal wiederholt: ..WoHle man hier aufdem Platze<br />

wohnen. wollte man Fenster haben. die hinau5schauen auf die grtine. feuchtgltinzende<br />

RUche des Rasens. wolhe man an diescn Ufem wei len. so hie8 es aufjene<br />

Bequemlichkeit verzichten, mit der einem bei der Ankunft im HOlel die Sorge urn das<br />

eigene Schicksal abgenommen wird" (K\V6 164).<br />

Es ist die immerwahrende Mlihe der Sorge urn das eigene SchicksaL der man sich<br />

durch eine Weilerfahrt entziehen konnte. Ein unbewusstes. dem Materiellen verhafteles<br />

Leben wOrde eincm winken. Dass Broch jedoch yom Materiellen nichls erh<strong>of</strong>ft, macht er<br />

bei dcr Verhandlung des Mietpreises deullich: "da yom Materiellen her kaum elwas<br />

gelost werden kann. verzichtete er auf weilere Eronerung und einigte sich aufden<br />

gefordenen Preis" (KW6 181 ).61<br />

Die Versuchung wirdjcdoch umschifft. ..Die Entscheidung war gefallcn, ohne daB<br />

er es cigentlich gemerkt. ohne daB er sie ilberlegt hlitte" (KW6 190). Die allein im<br />

Bahnh<strong>of</strong> dienenden Trager dOrften wegcn ihres begrenztcn Aktionsradius lU dieser<br />

Entschcidung beigetragen haben. Das Hollenszenario verblassl: "Das Feuer dcr<br />

Uchtrcklame, die vordem den Stadleingang so hollisch erlcuchtet hane. dcr<br />

Hollenrachen. in den der Platz gemOndet. schien zu crloschen.·· nach der cndgOltigen<br />

II Ob Brocns konkrete Erfahrungen mit dem Verkauf der viltertichen Telltilfabrik in Teesdorf hier<br />

durchscheinen? Es war fur Broch jedenfalls ein ilu8erst aufreibendes und unerfreuliches lCapitel zu Beginn<br />

der 3Der Jahre. Einige Zeit kommunizierten seine Mutter, sein Bruder und er nur uber Anwalte<br />

miteinander.<br />

89


Entschcidung .,weisildas Dreieck) ins Friedlichc" (KW6 190). A. findet cineo Trager. der<br />

ihm scin Gepack lur Wohnung schiebt. nicht ohoe von einem Annug schlechtcn<br />

Gewissens gegeniiber diesem Trager heimgesucht lU werden. den er aber schnell<br />

abschtincll. denn was ..gewissermaBen ausschlaggebend" war. dus spielle sich nicht auf<br />

dieser Ebene abo sondem tiber ihm in der alur.<br />

Es kommt schlie61ich zu einem Gesprach zwischen A. uod Hildegard. in dem sich<br />

hcrausstellt. dass die Baronin urn ihrer eigenen Freiheit willen die Tochter vemeiraten<br />

mOchte. Die Tochterjedoch missbilligt dieses Ansinnen. denn sic bcfLirchtet. dass ihre<br />

Mutter alles im Stich lassen werde, sich unler das Yolk mischen uod driuer Klasse fahren<br />

werde...bloB urn die Welt zu bereisen'; (KW6 194). 1st dies als Wunsch oder Aufgabe der<br />

Weltscele zu deulen. mehr Menschen Erkenntnis nahe zu bringcn?<br />

A. sleht aur dem Balkon der Wohnung und hat ..wieder das Eisen der Balustrade<br />

erfasst" (KW6 195). Das Eisen slelll flir den Anlhroposophen Steiner das<br />

.. Inkamalionsmetall" dar: "Das Blut ist das primare Werkzeug des menschlichen Ichs und<br />

dus Eisen im Blut ist das Inkamationsmelall schlechthin. Es verbindet Kosmos und Erde<br />

und ermoglichl es dem Menschen sein gcistiges Wesen. scin Ich. mil seincm irdischen<br />

Wcsen. mit seinem Leib zu verbinden" (Peter. Web). Es is!. als ob A. sich durch die<br />

BerUhrung mit diesem Metall erden wolhe, sich seiner gcwonnen Einheit versichem<br />

wolhe.<br />

Hildegard wird in diesem Zusammenhang zum erslen Mal als wciblich<br />

beschrieben. gleichzeitig aber auch von groBer Ahnlichkeit mit ihrem Valer. Das<br />

Gesprach wird dabei zunachSI von einem Weuerleuchten begleitet und spiller von einem<br />

Gewiuer untennalt. Schlie6lich erwartet A. aus den GerJuschen des Regens. des<br />

90


ollendcn Zuges, des prifrs der Lokomotive cine definierte Stimme zu erkennen. entweder<br />

die des ..Vaters" oder die des "Kindes:' Er muss schlieBlich fesistellen: "Es war beidcs<br />

zugleich" (KW6 195). Hiermit wird indirekt wieder das Motiv der ..pneumalischen<br />

Hochzeir' aufgegriffen. Wolfgang Speyer schreibt duzu: ..Die Auffassung des Gewitters<br />

als einer heiligen Hochzeil von personal gedachtcn gotllichen Wesen IcblC weiler in<br />

cineOl Mythos bestimmter Gnostikef' (243). Die Vorstellung. dass ein dahinziehendes<br />

Gewitter als heilige Hochzeit zwischen Himmelsgolt und Erdgonin gedeutet werden<br />

koone. stamme wiederum aus der griechischen Mythologie (Speyer 242). Es bleibt<br />

unklar. ob es sich bei diesem parallel Beschriebenen urn die Vereinigung von rnannlichen<br />

und weiblichen Anteilen in Hildegard geht. oder allgemein urn die Vereinigung yom<br />

Mannlichen mil dem Weiblichen. Hildegard konnle in ihrer Beschreibung diesen<br />

androgynen Typus verkorpem, denn "die co"iiltlclio des mannlichen und weiblichen<br />

Prinzips ist damit Wiederherstellung goltlicher Einheir' (Eusterschulte 324).<br />

Die Erzahlung endet mit dem Blick auf den dreieckigen Platz und mit Gedanken,<br />

illl gnomischen Pdisens festgehahen. tiber die Zeitlosigkeit. in der Vergangenheit und<br />

Zukunft verschmelzen. Broch greift das Dreieck hier noch cinmal auf, denn die<br />

Zeitlosigkeit und damit Ewigkeit spiegelt sich. wie schon erwahnt, auch in den<br />

geometrischen Eigenschaften des Goldenen Dreiecks. Die<br />

beleuchtete Kioskuhr im Miuelpunkt des Dreiccks wird mit einem<br />

wachsamen Auge verglichen. was s<strong>of</strong>ort die Abbildungen des .,Auge<br />

Gones" assoziieren lasst. Als ..Auge Golles" wird aber auch<br />

Abb. 7lollarithmlsche Spirale ein Algorithmus benannt. und so fUhrt uns Broch wieder in<br />

einer Spiralbewegung zurn Dreieck zurUck. Teilt man ein goldenes Dreieck fortlaufend<br />

91


..-----------------------------------<br />

Erkcnntnisinhalten auf cine Einheit hin (23). Dicse Vielschichtigkeit und ihr Einswerden<br />

hal Broch in "Die Heimkehr" aufgezeigt.<br />

6.5 .Der Meeresspiegel·<br />

Wenn man nach der Anzahl der Wiederholungen cines Wortes gchell kann. urn das<br />

Thema cines Textes zu erfassen. dann ist in diescr neuneinhalb Sciten langen Erzahlung<br />

sicherlich die ..Sehnsucht'· das Hauplthema. Das Wort .,Sehnsuchr- taucht fUnfzehn Mal<br />

auf. ZwOlf Mal finden wir das Wort •.Meer," elf Mal das Wort ..Spiegel.'· und lwei Mal<br />

das WOIt ..Mcercsspiegel.'· wobei Spiegel cine Metapher flir Meer darslellt. und<br />

umgekehrt. 1m Tilel lretell diese beiden Begriffe gemeinsam auf. Sic sind bei Broch<br />

Symbole der Unendlichkeit, des UnenneBlichen. des gonlichen Pleroma. Nach unserer<br />

nun schon eingehenderen Beschaftigung mit gnostischem Denken konnen wir die<br />

wiederholte Fruge des Protagonisten (KW6 197). welcher nur als "der Fremde" bezeichnet<br />

wi rd. nach dem Ziel seiner Sehnsucht ohne groBe Zweifel fUr ihn bcantworten. Es ist die<br />

Sehnsucht des Gnostikers nach dem Eintauchen in die FUlle. In diesem Zusammenhang<br />

wird die Betonung der Fremdheit des Wanderers wichtig. da der pneumatische Mensch in<br />

der gnostischen Tradition ein Fremder in der Welt bleibcn muss. Diescn Eindruck<br />

vcrstilrkt die Beschreibung seines AuBeren. Die Kleidung. die er tragI. scheintlcdiglich<br />

eine Art Verkleidung zu sein. Was er tragI. ist belanglos, er hatte aus einer anderen<br />

Gegend kommend auch andere Kleidung tragen konnen. icht die Geschiehle eines<br />

Individuums soli also erzlihlt werden, sondem die des Frcmden an sieh, Dieser hat sich<br />

dus Geflihl der Sehnsucht oaeh seiner eigentliehen Heimat zu bewahren. sich in seiner<br />

93


die sic benutzten. urn sich zu bedecken: der Olivcnbaum 66 symbolisiert das<br />

Neugeborenwerden dUTch das Eingehen in das Pleroma: das Lorbeergebiisch stehl fUr den<br />

Sieg. in diesem Fall den Sieg tiber die Versuchung. Interessanl isl. wie das dynamisch<br />

erscheinende Geschehen des Auf- und Abstiegs nur liuBerlich bleibt. wtihrend die<br />

Slilistehendcn Pflanzen die innere Dynamik wiederspiegeln.<br />

Der Fremde also sIehl aufdem Kamm cines Bergzuges (K\V6 196) und wird der<br />

Landschaft. die sich unter ihm zum Meer erstreckt. gewahr. Die landschaftlichen<br />

Eigenschaften. die sprachlich mit der Erde verbunden werden. sind ,.stumpf.'·<br />

..hinsinkcnd:' ..nieder." ,.sparlich" und .,schUtter:' wahrend diejenigen. die mil dem Meer<br />

und der Sonne verbunden werden. als •.gHinzend,·· ,.weiS" und .,Sleigend·· beschrieben<br />

werden. So ist klar, dass das GipfelslUnnen nicht das Ziel des Fremdcn is!. Yielmehr gilt<br />

die Sehnsucht des Fremden "dem Bilde der gHinzenden Aache:' und nachdem er dieses<br />

Bi1d nun schauen konnte. ist "dessen Sehnsucht nunmehr erfUUt"' (KW6 196). und er<br />

macht sich an den Abstieg. Seine Motivation fUr den Aufstieg bleibt ihm diffus. und er<br />

berragl sich immer wieder, was ihn dazu gelrieben haben konnte. Db es vielleichl sogar<br />

die Sehnsucht nach der Sehnsucht an sich sein konnte, die ihn dazu gcbrachl habe. sich in<br />

dieser Landschaft wiederzufinden. ist ihm ebenso cine Frage wic die nach seiner eigenen<br />

Identittit (KW6 197). Und wieder erscheinen alles verbindende Linien. mit denen das<br />

Individuum riickverbunden wird in das Materielle. Die Fragen nach dem ..Wer bin ich?"<br />

und ..Wohin will ich?" sind die Fragen. die sich in der Gnosis besonders der<br />

Min einer Passage des apokryphen Thomasevangeliums in elner Obersetzung von Willis Barnstone (2003)<br />

heiRt es: ..The tree <strong>of</strong> life in the middle <strong>of</strong> that garden/<strong>of</strong> paradise is an olive tree, and from the olive tree!<br />

comes chrism, and from that oil/comes the resurrection" (284).<br />

95


Die Trunkenheit der Welt. wird erzcugt durch den "Wein der Unwissenheil," .<br />

den die Welt dem Menschcn allerorten darreicht. ... Die Trunkenheit ist also eine<br />

solche def Unwissenheit der Seele urn sich selbsl, urn ihren Ursprung und ihre<br />

Situation in der fremden Welt: gerade die Fremdheit ist es, die durch jene<br />

Trunkenheit im BewuBlsein getilgt werden soil; durch sic soli der Mensch,<br />

hineingerissen werden in den Wirbel und im Rausch des urspriinglichen Abstandes<br />

vergessend, der Welt zugehong, hong. einer der Ihren werden. (115)<br />

Diese "Weltverstrickung" iSI das, was der pneumatische Mensch venneiden soil, aber wir<br />

schell in den Bemilhungen der altlichcn Frau und ihres Mannes. in den yom Frcmden als<br />

Umgarnungsversuche begriffenen Annaherungen, gcnau die Situation gespiegelt, die<br />

Jonas wie folgl beschreibt. Ocr Weltgeist (bei den Mandaem Ruha genannt) und seine<br />

Anhanger<br />

begannen Plane zu schmieden und sprachen: Wir wollen Adam einfangen..<br />

Wenn er iBt und trinkt, wollen wir die Welt einfangen ... wir wollen ihn einfangen<br />

durch Homer und F16ten, damit er sich von uns nicht losmache. .. Wir wollen<br />

Myslerien der Liebe lreiben und die ganze Welt vcrftihren. (I 17)<br />

Der Fremde in Brochs Erzlihlung ist also auf die AnhOhe gestiegen, urn seine Sehnsucht<br />

zu befriedigen, meint damit seiner "Sehnsucht GenUge gelan zu haben." Oa aber der<br />

Sehnsucht des Pneumatikers nie Genlige getan werden kann, es sei denn durch das<br />

Eingehen in das Pleroma. birgt diese Haltung eine unterschatzte Gefahr. Oenn die<br />

unbefriedigte Sehnsucht lenkt ihre Energie auf ein anderes Objekt. eine<br />

Ersatzbefriedigung, wenn man so will. In dieser Erzlihlung richlet sich die Sehnsucht des<br />

Fremden nun auf die "irdische Gemeinschaft." "Und so horchte er auf die Gerliusche des<br />

97


Hauses. Aber er schotc sich. nahcr zu (reteo" (K\V6 199). Das annlichc HallS uod seine<br />

Bewohner sind ihm zunachst recht. Sie heiBen ihn willkommen. bieten ihm cineo Platz im<br />

Schatten. Aber sogleich sind ihm die heuchlerische Haltung uod die Bemerkungen<br />

zuwider. die cine falsche Vertraulheit zwischen ihnen heraufbeschwoJ1. 7 00er Fremde<br />

erkJart. dass er. obwohl er fremd sei. keinerlei Heimweh spUre. uod es stellt sich die<br />

Frage. welchc Heimat er meint. oach der er kein Heimweh hat: die GroBstadt im Norden<br />

oder die Heimat seiner Sehnsuchl'! Obwohl er ausdriicklich die GroBstadt im Norden<br />

erwillmt: ..Wahrlich. er halte so wenig Heimweh. daB er sich am liebslcn der in der<br />

Heimat angefcrtigten uod gekaunen Kleider aufder Stelle entledigt hanc" (K\V6 199),<br />

blcibt diese Stelle uneindeutig und es scheinl. als ob der Gaslgeber diese Uneindeutigkeit<br />

als Einladung verstehl. seine Umgamung fonzufUhrcn.<br />

Ocr halbangeriihrte Teig in der irdenen schwarzgriinen Schtissel und der Geruch<br />

nach 01 (KW6 199) wirken ebenso unappelitlich. wie auch das Aussehen der Frau<br />

abstoBcnd und das Verhalten des Kindes fast tierisch wirkt. Oer Mann macht zudem<br />

sexuelle Anspielungen in Bezug auf Bordclle. die er besucht hat. wtihrend dcm Frcmden<br />

die Situation zuschcnds unangenehmer wird. Zusatzlich wird nun Wein angcboten (KW6<br />

200). der schon vorher mit den Zeichcn der Verganglichkcit in einem Atcmzug genannt<br />

wurdc und-fUr den Pneumatiker-zum tOdlichen Vergcssen der gottlichen Herkunft flihrt.<br />

Gegen die Verworfenheit der sexuellen Anspielungen. der Vcrsuchung, die sich in der<br />

Erwahnung der Bordelle des Stidens nicdcrzuschlagen scheint. versucht der Frcmde sich<br />

cinen SchUlZ und Widerstand vorzustellen: ,.die Mauer des Hauses. das zwischen ihm und<br />

10 "Der aber, liichelnd herab sich beugend, fragte ihn, was sie belde ohnehin wussten, namlich, ob er hier<br />

fremd set" KW6198. Und "obschon ihm das vertraute Gehaben der Frau unangenehm war" KW6199.<br />

98


dem Suden und den Tropen nunmehr hier emchlcl war''' (KlV6 2(0). Die Versuchung<br />

lasst aber nicht nacho Too und Teufel in Fonn der frei in das Haus hincin· und hinaus<br />

tanzenden und den garenden Teig umschwirrenden Riegen fUhren im Unisono mit dem<br />

Wein zum Vergessen des transzendenten. als Meeresallegorie erscheinenden Zieles. Die<br />

halbherzigen Vcreitelungsversuche von F1icgcngiltem var dem Fenster werden durch das<br />

Fehlen derselben var der Tilr zur Farce. Aber all dies geschieht ohlle graBes Aufsehen, in<br />

vollig unspcklakul1ircr Weise: "Das war allcs gaoz lautlos, und man vergaB das Meer"<br />

(KW6 2(0). Dieses "man" halIt im anschlieBendcn Salz wieder: "Ocr Mann schicn sich<br />

freilich mit dem Sachverhalt abgefundcn zu haben:' Es weist aufdie von Broch immer<br />

wieder angesprochene "condilion hurnaine" hin. Ocr Mensch hat die Wahl. wie cr lebcn<br />

will. aber flir den mit dem pneumatischen Funken ausgeslattelen Menschen iSl das<br />

Vergessen des Ursprungs verwerflicher als flir andere, denn er erfulh sein Schicksal niche<br />

Es geht nun in den folgenden Oialogen urn weitere Umgamungsversuche des<br />

Ehepaares, denen sich der Fremde immer wieder versuchl eleganl zu entziehen. Oabei<br />

geht es wiederholt urn das Fischen, wodurch zu vennulen ist. dass als Tierkreissymbol<br />

dieser Enahlung die Fische 71 gedacht sind. Oer vonnals so positiv besetzte ..Spiegel des<br />

Meeres" wird yom Abbild des Plerornalichtmecres zum "schwanen Spiegel des Mecres"<br />

(KW6 20 I), zum lichlverschluckenden Gegcnleil. Der im Nelz der ..Vcrflechlungen der<br />

Linien" gefangene Fremde bleibt sich jedoch lTOlZ der fortgeselZten Verflihrungsversuche<br />

dicser Versuchungen bcwusst. Er splirt wie das elZ der Linien. in dem er wie ein Fisch<br />

71 Cas Fischezeichen ist mehrdeotig. Nach Clrlot (107) wird es von manchen wegen seiner Form als<br />

Phallossymbol betrachtet, fUr andere ist es ein rein spiritoeUes Symbol. Wegen seiner spindelartigen Form<br />

wird der Fisch aoch als Vogel der Unterwelt angesehen, ein Opfersymbol ond ein Symbol fur die Beziehung<br />

zwischen Himmel und Erde. Nicht nur bei Steiner (GA 170, S 222) findet man die Zuordnung des<br />

Tierkreiszeichens Fische zu den menschlichen Korperteilen der FuSe.<br />

99


gefangen werden soli. sHirker wird als seine eigene Linie, "die von Unendlichkeit zu<br />

Unendlichkeit aus seinem Hertcn sich spannt:' Er spurt wie das MeeT fLir ihn unsichtbar<br />

wird. Urn sich dieses Schoen oach der Unendlichkeit zu bewahren. so ziellos es auch war<br />

(KW6 202). muss er handeln. Er glaubt. sich in dieses Dilemma selbst manovriert zu<br />

haben. da er nicht konsequenl war, urn den Aufstieg abzuschlieBen.<br />

DUTch scin Lavicren zwischen den Aussagen des Mannes uod dcr Frau komml es<br />

zwischen diesen heiden "Kraften des Boscn" zurn Streit, der ihre Kran schwiicht.<br />

Ja. cs wurdc ihm ... durchaus klar. daB das Endliche, in dem sich das Unendlichc<br />

verfangt. immer ein geschlossenes System scin musse uod ... daB die Kraft des<br />

Systems sorart versagt. wenn die Geschlossenheit des magischen Ringes auch nur<br />

an einer einzigen Stelle sich BITnet und daB dann unaufhahsam das Unendliche<br />

wieder hervorbrichl. hervorbrechen muB. (KW6 203)<br />

Oem Fremden gelingt es. sich der Beschrankung des Endlichen zu entwinden, er bricht<br />

auf, ohne sich auf die VorschHige des Mannes und der Frau einzulassen. und wird. kaum<br />

dass er sich aufgcmacht hal. wieder des Meeres ansichtig. Der Wille. scin Schicksal als<br />

Pneumatiker zu erfllilen. wird mit dcm Anblick des Meeres,72 mit eincm Zipfel<br />

Unendlichkeit belohnl. Kann man es starker ausdrUcken? Der ,.schwarze Spiegel des<br />

Meeres" macht nach der Abwehr der Versuchung einem strahlenden ..Stahlschild" Platz.<br />

Broch bringt diese Erztihlung von der Suchc nach dem Unendlichen und der Versuchung<br />

dUTCh das Endliche zu einem .,Happy End" flIr den Fremden. Mit Energie aufgeladen<br />

macht sich der Fremde aufden Weg zum Meer. dem der Unendlichkeit am nachsten<br />

kommenden Bild.<br />

11 KW6 204:..ein machtiger Stahlschild unter den goldenen Strahlen des Mittags."<br />

100


Dcr Sieg ilber das Endliche is! errungen. als er in cinen Lorbeerhain, Symbol des<br />

Sieges. kommt. Nun wird deT Weg leichter, und die Erinnerung an den gekostelcn Weill<br />

des Vergessens wirkt wei! cntfemt. Es iSI, als ob einmal auf dem richtigen Weg, kurz var<br />

dem Ziel, nichls die Gewissheit !ruben kaoll, das Richtige zu tun. Eille Natursymphonie<br />

unterstGtzt diesen Eindruck: "cs lichtctc sich das GebUsch, das metallische Rauschen des<br />

Wassers mischtc sich schon in das Summen deT Inseklen und in die Ungeduld der Natur,<br />

die zum Ewigen hinstrcbt, in das Schnen deT Landschaft oach dcm Unendlichen" (KW6<br />

205).<br />

101<br />

Am Meer angekommen erftillt der Fremde. deT pneumatische Jedermann. in einem<br />

ekstatischen Grand Finale mit dem Eintauchen in das MeeT seine Sehnsucht. Es ist, als ob<br />

Broch mit der Szene des symbolischen Eintauchens von Gesicht und Handen einen Teil<br />

des apokryphen Thomasevangeliums auf seine Weise umschreibe: "No one will be able to<br />

look at oneself! either in water or in a mirror without light! so it is fining to baptize in<br />

light and water! now the light is the chrism" (Bamstone 265). Die Szene der Taufc Jesu<br />

im Jordan wird so heraufbeschworen. aber auch die Berufung der JUnger zu<br />

Menschenfischem.<br />

7. Die Sprache der Tierkreis-Erziihlungen<br />

Uber die Sprache Brochs ist im Zusammenhang mit den Romanen Die Schlafwalldler und<br />

Der Tad des Vergil. ebenso wie Uber die Sprache in Die Sclwldlosen und damit auch


Wtihrend nun •.Ocr Landarzl" als Darstcllung eines Traumes angesehcn werden kann,<br />

selzt Kafka keine Moglichkeitsfonnen oder Abtonpartikcl ein. Die Darstellung des<br />

Traumes als Tatsache des Augenblicks veJ1r'jgt kein ..vielleicht:" kein ..womoglich:'<br />

Auch Vergleiche benutzt Kafka kaum in der untersuchten Texlpassage. Ocr Traum iSI<br />

kein ..als ob:' Der Protagonist. ein Ich-Erzahler. wird in cineOl Strudel absurder<br />

AklivitUten davon gerissen.<br />

Sei Broch hingegen finden sich vergleichsweise viele durch modale Wendungen<br />

eingeleilclc Vergleiche. Konjunktive. Ablon- oder Fokuspartikel. die die Bedeutung der<br />

Aussagen relativieren n bzw. in sich schon widerspruchlich sind. Zudem 5elzt Broch<br />

ungewohntc BUder 7s ein und damit Assoziationen beim Leser frei. Das Tempo des Textes<br />

wird nicht durch Aktionsverben vorangetrieben. cs Uberwiegen vielmehr Yerben der-im<br />

weitesten Sinne-Wahrnchmung und der Zustandsbeschreibungen. 79 Die Ftihigkeit, "im<br />

Moment zu sein;' ennoglicht erst die Wahrnehmung der Innen- und AuBcnwelt und<br />

findet in einer Sphare der Zeitaufgehobenheit BO stall. Dass die Erzeugung dieses GefUhls<br />

nicht von ungefUhr kommt, sondern von Broch beabsichtigt ist und ihn in den Reigen<br />

seiner Zeitgenossen einreiht, die etwas radikal Neues enlwickeln wollen, erklart<br />

Hargraves wie folgt:<br />

Another concern Broch has in common with many other Gennan writers is the<br />

relationship <strong>of</strong> time and space in the various arts... , Many other writers<br />

106<br />

n l,B. folgende Wortwahl"wohl," ..vielleicht," ..hatte". feststellen konnen," ..mcx:hte ... sein",<br />

11 l,B...Gerippe der ljchtreklame," ..selbstandige AuBerung des Hauses," ..gewesene Gestalt."<br />

1t Beispiele fUr benutzte Verben (in den Infinitiv gesetzt): erschrecken, auffallen, steeken, ragen, beginnen,<br />

sich befinden, inne werden, werden, auftauchen, zurucklassen, sich entsinnen, denken, aufatmen,<br />

feststel1en, sitzen, sich scheuen.<br />

to Dun.aks Beobachtung lU Brcx:hs Symboleinsatl unterstutzt dies: ..Ebenso versucht die Dichtung die Zeit<br />

tu uberwinden, indem sie durch MotiY- und Symbolgeflechte Simultaneitat verwirklicht" (..Symboltheorie"<br />

160).


(Schopenhauer. for example) also viewed the irreversible process <strong>of</strong> lime as the<br />

essence <strong>of</strong> the world's negativity and imperfection. Consequently. annulling time<br />

has an ethical and utopian component in the writings <strong>of</strong> such thinkers. (xiii)<br />

Wic in dem Eingangskapitcl zur Gnosis deutlich gemachl werden sollIe. hat Broch<br />

sich fUr den Lebensweg des Engagements entschieden. Joseph P. Lawrence schreibt dazu:<br />

..His real concern was in fact with worldrnaking. Whether through a literary creation or<br />

through a political creation <strong>of</strong> a new world order. Broch's consistent concern was wil.h a<br />

thoroughgoing transfonnation <strong>of</strong> reality. He wanted 10 save the world" (316).<br />

Deshalb iSl ihm die Aufhebung def Zeit in seioem Werk SO ein gro6es Anlicgen. da<br />

Erlosung auf diesem Wcge greifbar scheint und er so meint. sein Scherflein zur Erlosung<br />

bcitragen zu konnen. Hargraves schreibt Uber die Methode Brochs. Gleichzeitigkeit zu<br />

erzeugen:<br />

Broch's most important musical method is the attempt to produce the effect <strong>of</strong><br />

simultaneity; in this he is a kindred spirit to Joyce. Proust and Mann. But unlike<br />

Proust and Mann, who aim for simultaneity but who proceed in more or less<br />

traditional narrative fOnTIs. Broch directly attacks the reader's sense <strong>of</strong> narrative<br />

107<br />

time. Although Joyce's narrative style is also non-traditional. it is not comparable to<br />

Broch's in Der Tod des Vergil, where the concept <strong>of</strong> "eidetic" units is used to<br />

construct sentences <strong>of</strong> great length and complexity: by atlempting a paramusical<br />

figuration <strong>of</strong> simultaneity. he hoped literature. like music, could have the ethical<br />

effect <strong>of</strong> temporarily freeing man from the fear <strong>of</strong> death. (xiv)<br />

Diese Gleichzeitigkeit entsteht nicht zuletzt durch die vielfache Verwendung der<br />

kopulativen Konjunktion "und:' sowie durch das ,.in der Schwebe halten" der Aussagen.


8. Schlussakkord<br />

Nun ist es an def Zeit. cineo groBen Bogen zurtick zurn Anfangskapitel zu schlagen.<br />

Zurtick zu den kUnstlerischen Zeilgenossen Hennann Brochs. vomehmlich Kandinsky,<br />

den wir doch nicht gaoz aus dem Auge verloren haben. 3uch wenn er in den<br />

InlerprelUlionen nur als Randfiguf mitgedacht wurdc. Zuriick lur Gnosis. und schlieBlich<br />

zu den Gleichnissen Platons.<br />

Bis hierher sollte deutlich gewordcn scin. wie sehr Brochs Denken dem Denken<br />

def Gnostiker nahe stehl, ja, wie ihm Vieles der Gnosis gaoz und gar eigco ist. Ob das mil<br />

seiner ..pcrsOnlichen Pathologic'" zusammenhangl. wie Ernestine Schlant (154) es einmal<br />

in cioem anderen Zusammenhang 82 fonnuliert hal, soli jedoch dahingestelh bleiben. Zu<br />

Brochs Biographie haben andere 83 Wesemliches beigetragen. dem hier nichts eues<br />

hinzuzufligcn isl.<br />

Auf dcr Grundlage der vorangegangenen Interpretationen der Tierkreis-<br />

Erziillllmgefl soil versucht werden. dieses Puzzle an Fmgestellungen zum kiinstlerischen<br />

Ausdruck (Broch). zur kiinstlerischen Reflexion (Kandinsky), zum psychologischen<br />

Unterbau (C.G. Jung. Freud) und zu den geschichtlichen Tatsachen (Aufstieg des<br />

Faschismus) zu einem Bild zusammenzufligen. Es gilt dabei


Werke und Aussagen zeitgenossischcr Kunstler und Philosophen in Bezug auf den<br />

Faschismus einzureihen.<br />

Erinnem wir uns noch einmal an die Gnosis als vorherrschende-und zumindest<br />

bci den Kunstlem 3uch bewusste-Denkfigur der Modeme und die zwei von Brumlik<br />

aurgezeigten Moglichkeilcn. die dem Gnostiker flir sein Handel" in dieser Welt bleiben.<br />

Wir betrachtcn anschlieBend, wie sich diese in den behandehen m<strong>of</strong> Erzahlungen Srochs,<br />

in Kandinskys Werken und Schriften und in den Schriftcn der erwtihnten Vertreler der<br />

Psychoanalyse niederschlagt.<br />

Die yom Demiurgen in ihrer ganzen Unzulanglichkeil und damit inhtirenten<br />

Schlechtigkeil geschaffene Welt. in die GOlt als der gaoz Andere nieht eingreifen kann.<br />

lasst dern Menschen zwei Handlungsmoglichkeitcn. Er kann enlweder zurn Libertin<br />

werden. da es in einer ohnehin schlechten Welt keine Moral gibt. oder er kann versuchen.<br />

dern irn Plerorna weilenden Allgotl durch sein Handeln entgcgen zu kornrnen. Da die<br />

Welt des Gnostikers ohne einen Messias und Erloser auskornrnt. muss das eigene<br />

Handeln Schritt um Schott zur Erlosung fUhren. Dies gcschieht vomehmlich durch das<br />

Streben nach Erkenntnis. da in der Erkenntnis Vollkornmenheitliegt und damit das<br />

Gottliche selbsl.<br />

So weit. so einfach. Aber da der Mensch sich diescn ganz und gar femen und<br />

unbekannten Gott nicht vorstellen kann. flihrt gerade diesc Distanz zu einer<br />

Kompensation in Form einer Rernythologisierung. Die biblische Schopfungsgcschichte<br />

erscheint irn Gegensatz zurn gnostischen Schopfungsrnythos geradezu irn Telcgrarnrnstil<br />

verfasst worden zu sein. Wlihrend Juden· und Christenturn davon ausgehen. dass die<br />

biblischen Offenbarungen unterschiedslos jedcrn Menschen zuganglich sind. wird in der<br />

111


Gnosis duvall ausgegangen, dass der gottliche Funke in verschiedenem MaGe tiber die<br />

Mcnschheit ausgegossen wurde. Wir sehell dies in einer Hierarchisierung der Menschheit<br />

wiedergespiegelt. die in Pneumatiker. Psychiker und Hyliker aufgeteilt wird. Nur dem<br />

Pneumatikcr isl es mit Sicherheit moglich, in das Pleroma einzugehen. Dem Psychiker ist<br />

weniger Gottliches eingegossen worden als dem Pneumatiker, dem Hyliker wiederum<br />

fehh jeglicher g6uliche Funke.<br />

Die in den flinf Tierkreis-Erziihlungen vorkommenden Protagonisten konnen<br />

jeweils als Verkorperungen dieser drei Typell aufgefassl werden. Wir begegnen mit "A."<br />

in "Die Heimkehr" und mit def Figur des "Fremden" in "Ocr Meeresspiegel" dem<br />

PneumaLiker, der urn scin Ziel weiB und sich dorthin aufmacht. Mit "Andreas" in "Eine<br />

leichle Enttauschung" und dem Fraulein in "VorUbertiehende Wolke" begegnen wir dem<br />

Psychiker, bei dem noch nichl klar ist, ob er das Ziel erreichen wird. Mit dem jungen<br />

Mann in "Ein Abend Angst" begegnen wir schlieBlich dem Hyliker, der im lrdischen<br />

gefangen bleibt, da ein gotllicher Funke fchlt. Sie slreben also in verschiedenem MaBe<br />

zur Erkcnntnis. und sind sich darUber hinaus auch in verschiedenem MaRe ihrcr Suche<br />

bewusst.<br />

In seiner Schrift Dber das Geistjge in der KW1!it leiIt Kandinsky (40) die<br />

Gesellschaft ebcnfalls hierarchisch ein. Er verHisst zwar die Oreiteilung. aber in<br />

Wortwahl und lnhah gleichen sich diese Welten stark. Er spricht vom "geistigelnl<br />

Oreieck" und seinen verschiedenen Schichten. Oer untere und groBte Teil behause die<br />

Menschen. die nicht selbslandig denken konnlen, die in Angst verharrten und sich<br />

folglich nicht bewegten. die marcrialislisch seien, lhre These sei "Gott isl gestorben,"<br />

Bcwegt man sich weiler durch die verschiedenen "Abteilungen," wie Kandinsky seine<br />

112


Schichtcn nennt. kame man als nachstcs zu einer weilcren atheislischcn Gruppe. die<br />

jedoch ihren Atheismus "durch frcmde Wortc begrunden" (41) konnlen. Hier gabe es<br />

auch Wissenschaft und Kunst. allerdings trare man nur auf Positivislcn und aturalisten.<br />

Vod so geht es weiler bis zur hochsten ..Abteilung." Dort gabe es cndlich ..keifle AlIgs/"<br />

(44) mehr. und die Menschen setzlen ..keine H<strong>of</strong>fnung ... aufdie Methoden der<br />

materialistischen Wissenschaft," wo es urn Dinge ginge "die unscrcn Sinnen nich!<br />

zuganglich sind" (45).<br />

Kandinsky hat ebenso wie Broch dUTch Schriftcn bzw. Vortrage Bckanntschaft<br />

mit Helena Pctrovna Blavulsky. einer Vertreterin derTheosophie (Geisrige 46). gemacht<br />

und vaT aHem mit der Person und den Lehren Rudolf Steiners. dem Bcgrunder der<br />

Anlhroposophie. Die Vcrwandtsehaft der Ausdrucksweise Kandinskys und Brochs<br />

verwundert daher nicht. Es gcht beiden urn ,.innere Erkenntnis" (Geistige 46), urn<br />

Erlosung "der dtirslendcn Seelen" (Geistige 48). Ober das gcistige Leben...zu dern auch<br />

die Kunst gehort:' schreibt Kandinsky. es .. iSl cine kornplizierte aber bestirnmte und ins<br />

einfache tibersetzbare Bcwegung vor- und aurwtirts. Oicse Bewegung iSl die der<br />

Erkenntnis" (Geistige 30). Om·tiber hinaus kommt Kandinsky durch seine Analyse der<br />

Lileratur des belgischen Dichters Maurice Mactcrlinck zum Schluss. dass durch<br />

..geschickte Anwendung ... eines Wortes, eine innerlich notige Wiederholung desselben<br />

zweimal. dreimal. mehrere Male nacheinander ... nicht nur zum Wachsen des inneren<br />

Klangs flihren (bnn). sondem noch andere nichl geahnte geislige Eigenschaftcn des<br />

Wortes zutage bringen.... Die Seele komrnt zu einer gegenstandslosen Vibration"<br />

(Geistige 50). Das Wie des Hervorbringens von Seelenvibrationen durch Fonn und Farbe<br />

isl das Ziel seiner Theorie der Malerei. das sich in einem ausgekltigelt erscheinenden<br />

113


Bin ncuer Sendbote der Wahrheit wird von def theosophischen Gesellschaft die<br />

Menschheit fur seine Botschaft vorbereitet finden: es wird cine Ausdrucksfonn<br />

gebco, in die cr die ncuen Wahrheiten wird kleiden konnen, cine Organisation, die<br />

in einer gewissen Beziehung seine Ankunft erwartel, urn dann die matenellen<br />

Hindemisse und Schwierigkeiten von seinem Weg hinwegzuheben. (zit. n.<br />

Kandinsky Ceistige 47)<br />

In diesem Zusammenhang betrachtet, bekommt auch die dem Klinstler<br />

zugeschriebene Aufgabe cineo bitteren Nachgeschmack. Denn Kandinsky iibertrligt dem<br />

Klinstler die Vorreiterstelle in def Erziehung seiner im "groBen geistigen Dreieck"<br />

Mitreisenden. Das einzige Entscheidende sei, dass der KUnstlcr sich in seiner Kunst von<br />

der "inneren Notwendigkeit" Icitcn lasse. Dazu sei jedes Minel rccht: "Und weder<br />

Anatomic odcr dergleichen, noch das prinzipiclle Umwerfen dieser Wissenschaftcn ist<br />

notwendig, sondem volle unbeschrankte Freiheit des Ktinstlers in der Wahl seiner Mittel"<br />

(Geisrige 137), und weiter in einer FuBnote dazu: "Und dieses Prinzip ist nicht nur das der<br />

Kunst, sondem das des Lcbcns. Dieses Prinzip ist das groBte Schwert des wirklichen<br />

Obennenschen gegen das Philistertum.'; Kandinsky schreibt dem Klinstler cine<br />

didaktische 8s und ungeheuer groBe Verantwortung fUr den Aufstieg der menschlichen<br />

Gesamtseele zur Erkenntnis zu. Ahnlich mag Broch seine Aufgabe empfunden haben. als<br />

er zum Schreiben von Erzahlungcn liberging, urn seine philosophischen Grundgedanken<br />

darzulegen, von denen er h<strong>of</strong>fte, dass sie in dieser Fonn mehr Leser finden wlirden. Einen<br />

65 plm allgemeinen ist also die Farbe ein Mittel, einen direkten Einfluss auf die Seele auszuuben. Die Farbe<br />

ist die Taste. Das Auge ist der Hammer. Die Seele ist das Klavier mit vielen Saiten.<br />

Der Kunstler 1st die Hand, die durch diese oder jene Taste zweckm<strong>of</strong>lig die menschliche Seele in Vibration<br />

bringt" (Geistige 68).<br />

115


wichtigcn Unterschied zu Kandinsky gill es jcdoch feslluhalten. Sei Broch findct sich<br />

wooer in den Tierkreis-Erdihlungell noch meines Wissens in seinen anderen Schriften ein<br />

Hinweis darauf. dass er eineo FUhrer vennisse. Anstatt sich auf eine Person Zll<br />

kaprizieren. von der Filhrung crwartet wird. enlspringt Brochs ,.innerer otwendigkeir­<br />

seine Kraft. sich in den Dienst der Menschheit zu stellen. Scin Einsatz fUr die<br />

Menschenrechte hat seine Wurzeln wohl dort. Die Erlosung muss ihm so nahcr<br />

geschienen haben.<br />

Kandinsky ziliert im Zusammenhang mit dem Streben zum ..Abslraktcn und Zll<br />

;Imerer NlIlur" nus Platons Dialog zwischen Sokrates und Alkibiades das ..Erkcnne dich<br />

selbst!" (Geisrige 58), das 3uch als lnschrifl am Eingang zum Tempel von Delphi<br />

angebracht gewesen sein soil. Erkenntnis und Selbsterkennlnis sind die Hauplmolive. die<br />

sich durch Brochs Tierkreis·Erziihllmgen als roler Faden ziehen. da im gnoslischen<br />

Mythos Erkenntnis Erlosung bedingt. Es verwundert daher nichl. dass gerade die<br />

Gleichnisse Platons bei Broch auf einen besonderen Resonanzraum stieBen und er ihnen<br />

in seinen Erzahlungen eine neue Foml verlichen hal.<br />

Aber auch die Psychologie beschliftigt sich JelZlcn Endes mit nidlts ullderem als<br />

der Suchc nach Erkcnlltnis. urn zu einer Art von individuellcr Erlosung zu gelangcn. Es<br />

ist also naheliegend. dass Brach der Psychoanalyse Sigmund Freuds <strong>of</strong>fen<br />

gegenliberstand und sich tiber viele Jahre in Wien und spa.ter in den USA einer Analyse<br />

unlerzog. Oer Analyseprozess ahnelt sowohl dem plalonischen als auch dem gnoslischen<br />

Vorgehen: der Weg zur Erlosung flihrt durch die Erinnenmg. Bei Plalon gelangt der<br />

Mensch nur zur Erkenmnis. weil er sich dem erkenntnistheoretischen Willensakt der<br />

Erinnerung unterwirft. Er erinnert sich an etwas in seiner Seele zuvor Eingeschricbenes.<br />

116


In der Gnosis ist Erlosung nur durch die Erinnerung an den in den Menschen<br />

eingegossenen goltlichen Funken moglich. VemachHissigt der Mensch das Wissen um<br />

diesen Ursprung, versinkt er in der Finslcmis des Materiellen. In der Psychologie wird<br />

versucht, moglichen Ursachen scclischer Storungen durch das Aufdecken traumatischer<br />

Erlebnisse in der Kindhcit auf den Grund zu gehen. Auch hier ist die Erinnerung der<br />

SchlUssel zur Erkenntnis, in diesem Fall zur Selbsterkcnntnis.<br />

Einen Schritt weiler gcht e.G. Jung. von Jessen Idee der Archetypen es heiBt, sie<br />

seien eine Weiteremwicklung der Schriftcn Adolf Bastians,86 die sich in Brochs<br />

Bibliothek fanden. Er verlegt den gnostischen Kosmos in den Menschen. Zurn Thema<br />

Angstbewaltigung schreibt er in einem Brief:<br />

Yersuche ja nichl, dieser Angst. die Gatt dir gegeben hat. zu cnlgehen. sondem<br />

versuche, sie bis aufs lelzte zu ertragen-sifle paella nulla gratia. Ich kann so reden.<br />

weil ich glaube, ich sci religios, und weil ich Uberdies mit wissenschaftlicher<br />

Sicherheit weiB, daB mein Patient seine Angsl nicht erfunden hal, sondem daB sie<br />

tiber ihn verhtingl ist. Yon wem oder was? Yom Unbekannten. Oer Religiose nennt<br />

diesen absconditul1I Galt; der wissenschaftliche Intellekl heiBt ihn das UnbewuBte.<br />

(Jaffe, Parapsychologie 107)<br />

Es scheinl fast so, als erhcbc Jung die Psyche zur Gottheit, als setze er die menschliche<br />

Psyche Galt gleich. Obwohl Jung sich dagegen gewehrt hat, unler die Gnostiker<br />

eingereiht zu werden, weil das seiner Meinung nach seinem Ruf in der wissenschaftlichen<br />

Well abtrtiglich ware (Jaffe, Mystic 1), muss man sich beim Lesen dieser Stitze jedoch<br />

IJ6 Adolf Bastian (1B26-1905), deutscher Ethnologe, Beitrage zur vergleichenden Psychologie: Die Seele und<br />

ihre frscheinungsweisen in der fthnogrophie (1868). Psychologie und Myrhotogie (1860).<br />

117


tiber die Ntihe zur Gnosis wundem, die einem aus seineo TexIco gcradezu<br />

entgegenspringt. Viele Zeitgenossen lieGen sich auch nichl daran hindem, Jung als<br />

Gnostiker zu bezcichnen. In der 1916 verfassten Schrift Septem Senllolles ad Mortu;s<br />

<strong>of</strong>fenbal1c er seine gnoslischen Oberlcugungen am Dramalischsten (181). wie Robert A.<br />

Segal zu Recht meint. Segal schreibt in seiner Einleitung zu The Gnostic Jung: ,Jung<br />

actually studied Gnostic writings and cites them throughout his corpus. Certainly lung<br />

would not qualify as a Gnostic merely because he studied Gnosticism: to study something<br />

is not thereby 10 accept ir' (Segal 7). Schriftlich hat Jung sich in der Tat ausflihrlich zur<br />

Alchemic getiu6el1.<br />

For Jung. the alchemical process <strong>of</strong> extracting gold from base metals is a<br />

continualion <strong>of</strong> the Gnostic process <strong>of</strong> liberating fallen sparks from maner. Both<br />

processes are seemingly outward. physical or metaphysical ones which in fact are<br />

inner, psychological ones, Both represent a progression from sheer ego<br />

consciousness to the ego's rediscovery <strong>of</strong> the unconscious and reintegration with it<br />

to forge the selL (Segal 11)<br />

Brumlik schreibl: "wie die anliken Gnostiker. so glaubl lung an cine mylhische<br />

Gcschichtc dcr gonlichen Seele. an ihren Ursprung und Fall. ihrc Wicdcrcrweckung und<br />

Weilcrcmwicklung'; (230). Da in der vorliegenden Arbcit mit den Bcgriffen Gnosis und<br />

Gnosliker keine Abwertung verbunden ist, und da zudem gnoslisches Dcnken nichl<br />

kanonisiert is!. mochte ich deshalb bei der Behauptung bleibcn, dass Jungs Schriften ein<br />

Dcnken enthUllen. das die eingangs aufgefUhrten Kriterien erfUiIt.<br />

Warum ist dies wichtig? Weil gnostisch Beeinflussten zwei VorwUrfe gemacht<br />

werden. Einerseits Jeblen sie aJs esoterische WeltflUchtige in einer ihnen gleichgUltigen<br />

118


Ansatz totalitare Systemc cntlarven kann. Sein Urteil tiber Hitler ist hellsichlig und<br />

vemichtend. Liitzeler schreibt:<br />

In the essay "Das Bose illl Wertsystem der Kunst" (1933) and in the lecture "Das<br />

Weltbild des Romans" (1930) Broch outlined an ethically-oriented theory <strong>of</strong> kitsch<br />

that reaches beyond aesthetic criticism and classifies kitsch as a social and political<br />

phenomenon. For Broch Adolf Hitler was the prototypical "Kitsch-Mensch.<br />

(Encyclopedia)<br />

Die Missverstandnissc urn Brochs Dichtung haben ihre Wurzel nicht im Inhalt seiner<br />

Aussagen, sondern in der Tenninologie seiner politischen Essays, die Missversllindnisse<br />

geradezu einladen. Wolfgang Graf Vitzlhum mach! in seinem Essay "Die Gesetze des<br />

Geistigen und des Politischen" klar, dass Brochs "totale" oder "tOlaliltirc Dcmokratie,,88<br />

(34) politisch laienhafte. sprachliche Missgriffe sind. Vielmehr war Brochs<br />

zeithistorisch und biographisch bedingtelsJ Engagement getragen von<br />

antitotalittirem, prodemokratischen Pathos. Geprtigt war es aber eben auch durch<br />

Paradigmenunkenntnis und laienhafte Bcgrifnichkcit. Gerade darum macht es Sinn.<br />

sich mit dem, was der Schriftsteller- wie und wie nicht - zum Staatlich-Politischen<br />

sagte, auseinander zu setzen. Broch interessien dabei auch als Gegentyp zu George.<br />

Dcr Broch der dreiBiger und vierziger Jahre is! der ellgagierre Dichter par<br />

120<br />

88Vitzthum:<br />

[Brochsl Totalitatsziel verfehlt, so wie er es formuliert hat, die oHene Gesellschaft.... Um keinen<br />

Zweifel aufl


excellence. cin Nachfahr Emile Zolas und Heinrich Heines. ein Vorfahr von<br />

Heinrich B611 und Giinler Grass. (35)<br />

Es sollie dcutlich gewordcn scin, dass bei aller Verwandlschafl illl Dcnken zwischen den<br />

hier 2um Vcrgleich herangezogenen Zeitgenossen Brochs-Kandinsky und Jung--eine<br />

differcnziene Bclrachtungsweise notig isi. 1m Gegensatz Zll vielen seiner Zeitgenossen<br />

hal Broch weder H<strong>of</strong>fnung auf cineo goltlichen Sendboten oder FUhrer gchcgl. noch ein<br />

Leben polilischcr icht-Einmischung angcstrcbl.<br />

Pelletier unlcrsHltzt diese Auffassung. indem cr schreibt. Brochs zcntrales Thema<br />

sci ..13 rcsponsabilite individueJle et collective cchuc;\ chacun aI'endroil de runivers<br />

dans Icquel il sc !Jouve .en situation. pour rcprcndrc I'cxpression de Sartrc·· 89 {I 19).<br />

Dem ../)'011 vellOIlS /lOllS? Que sommes-nOIlS? OJI aIlOfIJ-IIOIIS?" Gauguins mgt Broch<br />

damit die Frage "Was sollen wir tun?,,90 hinzu.<br />

lit Obersetzung P.B.: (Broths Thema seij,. sowohl die individuelle als auch die kollektive, jedem zuleil<br />

gewordene Verantwortung. an dem Ort im Universum, in den sich der Mensch ,geworfen' tindel, um<br />

elnen Ausdruck Sartres aufzugreifen."<br />

'10 Nach Francoise Gaillard, zit. oach Pelletier (9).<br />

121


Zusnmmenfassend mBI sich zu den Tierkreis·£rziihilmgen sagen: sie erscheinen<br />

wie Lehrsti.icke. die Wege des Individuums zur Erkenntnis aufzeigen. In ihrer<br />

didaktischen Konzeption kaon man cine Vorlliufergestc zur VOikerbundresolution<br />

erkennen. an der Broch spJiter arbeitelc. Platonische Gleichnisse. mystisch und gnostisch<br />

inspiricrtc Symbolkeucn. hermetische Motive-sie aile verdanken ihren Einsatz dem Ziel<br />

Brochs. lur Erkenntnissuche aufzuriitteln und zum Bctrcten des Wegs zur Erlosung<br />

aufzurufen. Es gehl ihm dabei urn niehl mehr und nichl weniger als die Reuung des<br />

Menschen. als Individuum und als Gesamtheit der Individuen. mil dem Mittel eines<br />

Poclen. mit der Sprache.<br />

122


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132


Un


Nun. erwidcne ich. du wirsl sit: bald leichter verstehen. wenn folgende Wone vorausgeschickl sind: Ich<br />

glaube. du weiBI ja doch. daB die, .....elche 5ich mil Geometric und Arithmetik und dergJeichen abgeben, den<br />

Begriff von Gerade un


Ich verslehe. sagle cr. und raulne es ein und ordnc sie wie du sagsi.<br />

B. Platon. Oas Liniengleichnis<br />

Auszug 'lus Politeia. Sechsles Buch (Obersetzung Wilhelm Wiegand)<br />

hnp:llwww.opera-plalonis.de!Polileia6.hlml<br />

509d) Sokrates zu Glaukon:<br />

138<br />

Denke dir also. ruhr ich ron. wic gesagt. jenc z .....ei. und das cine. denke dir. herrschc in dem nurdurch die<br />

Vemunft schaubaren Reiche und Gebiete. das andere in deT Region des Gesichts - ich sage Region des<br />

Gesichrs und nicht Region des LichlS. damit ich diT es nicht zu gelchn zu lreiben scheine in bezug aufden<br />

Ausdruck • :aber du merksl dir doch diesc zweifxhcn Reiche. das des sinnlich Sichtbaren und das des durch<br />

die Vemunft Erkennbaren?<br />

lo.<br />

Als wenn du nun cine in zwei ungleiche Haup(abschnine geteilte Linie hattest. nimm wiederum mitjedem<br />

von beiden Hauplabschniuen. sowohl mit dem des durchs Auge sichtbaren als aoch mit clem des durch die<br />

Vemunft erkennbaTcn Gebietes, wiederum nach demsclbcn Verhtihnissc cine abcrroolige Teilung \·or. uoo<br />

du wirst dann erstlich bei clem durch das Auge sichtbaTcn Hauplabschnilte in bezug auf DcUilichkeit uoo<br />

UOOeutlichkeit zu cinander an dem einen Unterabschnitte Rilder habcn. 1510Sq Ich \'erslehe aber unter<br />

Bildem erstlich Schauen, dann die Abspiegelungen in den Wassern, in allen KBrpc:m von dichter, glatter<br />

uoo reflektierender Qbcrflache und ilberhaupt injedem Dinge diescr Eigenschaft. wenn du es begreifst?<br />

Ja, ichbcgreife.<br />

Unter dem anderen Unternbschniue, dem der sinnlichen sichtbaren Welt. \'on dem der eben genannte nur<br />

Schauenbilder darslellt, denke dir sodann die uns umgebende Tierwell, das ganze Pflanzenreich und die<br />

samtliche Kunstproduktion.<br />

Ich tuees,sagteer.<br />

Warst du denn nun auch bereit. fuhr ich fon, einzuriiumen. daB jencr erste H3uptabschnillauch in bezug auf<br />

Wahrheit und deren Gegenleil in zwei Unterabschnitle zerfallt. daB namlich im Reich des Wissens das<br />

Meinb3re zu dem durch die Vemunft Erkennbaren sich verhalle wie dus Schaltenbild zu dem abgebildelen<br />

wirklichenGegenslande'!<br />

Oja, sagleer. sehrgerne.<br />

So betrachtc denn nun den anderen Hauptabschnitt, den des durch die Vernunft Erkennbarcn, wie er in<br />

UnlcrabschnilleZUteilen iSl!<br />

Wie?<br />

So: den ersten Unlerabschnitt desselben muB die Seele 'Ion unerwiesencn Voraussetzungen uusgehcnd<br />

erforschen, indem sic sich dabei der zuerst geteihen Unlerabschnitte wie Bilder bedient und dabei nicht<br />

nach cinem Urprinzipe dringt, sondern nur zu cincm sich geselzlen Zicle schreitet, den anderen<br />

Untcrabschnilt jener Hiilfte aber erforscht sic, indem sie von ciner gliiubigen Vor3ussetzung aus zu einern<br />

auf kciner Voraussetzung mehr beruhenden Anfang schreitet und ohne Hilfe 'Ion Birdern. deren sie sich bei<br />

ersterem Unlerabschnitle des Erkennbaren bedient, nur mit reinen Begriffen den Weg ihrer Forschung<br />

bewerkslelligt.<br />

Die Ged3nken. S3gte er, welche du hier aussprichsl. habe ich nicht reeht verslanden,<br />

Nun. erwidene ich, du wirsl sic bald leichter verslehen. wenn folgende Wone \'orausgeschickt sind: Ich<br />

glaube, du weiBI ja doch. daB die. welche sich mit Geometric und Arilhmetik und dergleichen abgeben, den<br />

Begriff 'Ion Gerade und Ungerade, von Figuren uoo den drci Anen 'Ion Winkeln und sonst dergleichen bei<br />

jeclem Beweisverfahren voraussetzen, als hiilten sic ilbcr diese Begriffe ein Wis.'len. wahrend sic diese doch<br />

nur als unerwiescne Vorausset:t.ungen hinstellen und \lleder sich noch anderen davon noch Rechenschaft<br />

schuldig zu scin glauben, als verstlinde sic aile Welt, von diescn angenommcnen Begriffen gehen sie als


C. Platon. Oas Hohlengleichnis.<br />

AUS2ug aus Politeia. Siebenles Buch (Obersetzung Friedrich Schlciennacher)<br />

hnp:/lgulcnberg.spiegeI.del?id= 12&xid=2027&kapilc1= I&c Hash=a Ieadba4652<br />

140<br />

106 a) N3c:hsldem. sprach ich. "crgleiche dir unscre "tor in bczug auf Bildung und Unbildung folgendem<br />

Zuslaooe. Sieh namlich Menschen wie in ciner unlerirdischen. hOh1enanigen Wohnung. die einen gegen das<br />

Licht ge<strong>of</strong>fnelen Zugang Ilings def ganzen HOhle hal. In diescr seien sic von Kindheil an gefesseh an Hals<br />

un


142<br />

Aufcnlhalt oben (raChlen; denn so ist esja naliirlich. wenn sich dies oach dem vorher aufgestelhen Bilde<br />

verhiilt _ Natiirlich freilich, sagle cr. - Unci wie? Kommt dir das wunderbar vor. fuhr ich fort. daB, von<br />

gOlllichen Anschauungen unter das menschliche Eleod versetZt. einer sich libel gebfudct und gar liicherlich<br />

erscheint. wenn cr. solange er noch tItibe siehl und the er sich an die dortige Finsternis hinrcichend<br />

gewohnt h31, schon gentkigl wird. vor Gericht oder anderw:irts zu sirciten iiber die Schauen des Gerechlen<br />

oocr die Bilder. zu denen sic gehOren. und dieses auszufechlen. wie es sich die etwa vorslellen. weldle die<br />

Gerechtigkeil selbst oiemals gesehen haben'! - Nichl im mindesten zu \'erwundeml sagle cr. - Sondem.<br />

wenn ciner Vernunfl hane, fuhr ich fan. so wiirde er bedenken. da8 dutch 7.wcierlei un


von dcr vagcn H<strong>of</strong>fn og getrieben, darinnen so aufatmen zu konnen<br />

ace gcwohnl _ auf scin,"c "Iic",fc__uu<br />

hcllbraune Maiskolbcn. aufgereihl zurn Trockncn an einer Schnur unler der Dachlfaufe.<br />

sic kcinc A cit, n' Is mchr zu schaffen habcn,.I_sich auch. ihrcin<br />

Aim en Zll 'ben. ja.es"gar nicht vic!.•• aJ den Hut gczogcn,••in den<br />

unvcrhaitnismtiBig sc mal._<br />

14


Analyse: Franz Kafka .. Ein Landarzt" (Salze 1·23,512 Worter)<br />

_auf<br />

den wcilcn Raum zwischen<br />

cigcncs PI<br />

bckommcn;<br />

Uberhliuft.<br />

IMlidchcnj allein, _ die Laternc; 11 Urlich, wcr.jctzt sc·<br />

solchcr Fahrt?<br />

gcqutih. mi em Full an die brilchige TUr des<br />

erden • hervor.<br />

147

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