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Grundlagentexte aus der Aufbauphase 2008/2009

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MATERIALIEN 1<br />

GrundlaGentexte<br />

<strong>aus</strong> <strong>der</strong><br />

aufbauphase <strong>2008</strong>/<strong>2009</strong>


1<br />

BELA III MATERIALIEN<br />

GRUNDLAGENTEXTE<br />

<strong>2008</strong>/<strong>2009</strong><br />

Zur Einführung<br />

Sing, Roland:<br />

Der BELAIII-Qualitätsverbund – ein Beitrag<br />

zu einem würdigen Leben für Menschen<br />

in Pflegeeinrichtungen 5<br />

Ein Vorwort des Landesseniorenrates<br />

Steiner, Iren:<br />

Der BELA III-Qualitätsverbund –<br />

Synergien durch Netzwerkarbeit 7<br />

Ein Vorwort <strong>der</strong> Projektkoordination<br />

1. BELA III: Dokumente und Geschichte<br />

1.1. Von BETA zu BELA III: Zur Entstehungsgeschichte<br />

eines zukunftsweisenden Projekts 9<br />

1.2. Der Projektantrag: BELA III –<br />

Bürgerengagement für<br />

mehr Lebensqualität im Alter 13<br />

1.3. Inneneinsichten: Die Strukturen, Leistungen<br />

und Arbeitsgrundlagen von BELA III 15<br />

2. Themenhorizonte:<br />

Woran BELA III arbeitet<br />

2.1. Gronemeyer, Reimer u.a.:<br />

Für eine Kultur <strong>der</strong> Koproduktion in <strong>der</strong> Pflege –<br />

kreativ, innovativ, partnerschaftlich 18<br />

2.2. Lüscher, Kurt: BELA III – Beziehungskosmos<br />

und Generationenprojekt: Potentiale in einer<br />

wi<strong>der</strong>sprüchlichen Gegenwart 22<br />

2.3. Lüscher, Kurt: BELA III als Kosmos sozialer<br />

Beziehungen – Einige Leitsätze 31<br />

2.4. Brandenburg, Hermann: Pflegealltag <strong>2009</strong> –<br />

(k)ein Platz für Bürgerengagement? 33<br />

2.5. Brandenburg, Hermann: Über die richtige<br />

Frage, die Öffnung <strong>der</strong> Heime und die Gegenöffentlichkeit<br />

– Fünf Aspekte zum erfolgreichen<br />

Aufbau des BELA III-Netzwerks 37<br />

2.6. Krieg, Beate: Findet mich das Glück<br />

im Pflegeheim? 40<br />

2.7. Goll, Eberhard: Pflegestandards und/o<strong>der</strong><br />

Lebensweltorientierung: Impulse für die<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung mit BELA III 43<br />

3. Eine erste Bilanz <strong>aus</strong> <strong>der</strong> BELA III-Praxis<br />

3.1. Pfundstein, Thomas/ Störkle, Mario:<br />

BELA III als Marke stark machen – Ideen <strong>aus</strong> <strong>der</strong><br />

Projektevaluation 46<br />

3.2. Blume, Judith: „Nicht je<strong>der</strong> muss das Rad<br />

neu erfinden!“ – Die BELA III-Projektbörse als<br />

Wissenspool und Aust<strong>aus</strong>chplattform 50<br />

3.3. „Wir sagen jetzt nicht mehr: Du hast ja<br />

Alzheimer!“ – BELA bewegt: Drei Beispiele <strong>aus</strong><br />

<strong>der</strong> Praxis 57<br />

3.4. Erfolge und Schwierigkeiten – die BELA III-<br />

Projektregionen 58<br />

4. BELA III Instrumente und Pfade:<br />

Weitere Materialien<br />

4.1. Freiwilligenwerbung und<br />

Zielgruppenarbeit 61<br />

4.2. Demenzbegleitung 64<br />

4.3. Was Menschen<br />

mit Demenz geben können 66<br />

4.4. Netzwerke(n) 68<br />

4.5. Alltagsgestaltung vom Bett <strong>aus</strong> 70<br />

5. Anlagen<br />

• AutorInnenverzeichnis 72<br />

• Abbildungsnachweis, Impressum 74<br />

INHALTSVERZEICHNIS<br />

3


BELA III ZUR EINFÜHRUNG<br />

Bürgerschaftliches Engagement in Pflegeeinrichtungen<br />

schafft mehr Lebensqualität für Bewohnerinnen<br />

und Bewohner. Es ermöglicht Teilhabe und<br />

gemeinsames Erleben. Es baut Brücken zwischen<br />

Generationen. Und es sorgt für die Verwurzelung<br />

<strong>der</strong> Pflegeeinrichtung vor Ort, in <strong>der</strong> Kommune.<br />

Bürgerschaftliches Engagement ist ein Qualitätsfaktor<br />

in <strong>der</strong> Pflege.<br />

Das Projekt BELA III hat einen Qualitätsverbund in<br />

Baden-Württemberg aufgebaut, um bürgerschaftliches<br />

Engagement systematisch zu för<strong>der</strong>n. Ein<br />

Netzwerk von bis zu 100 stationären Einrichtungen<br />

und 42 Trägern schafft den Rahmen, um Anliegen<br />

<strong>der</strong> Freiwilligenarbeit gemeinsam voran zu<br />

bringen.<br />

Die vorliegenden Materialien stellen Konzepte, Ergebnisse<br />

und Themenbeiträge <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Fortbildungs-,<br />

Netzwerk- und Projektarbeit <strong>der</strong> <strong>Aufbauphase</strong><br />

<strong>2008</strong> – 2010 vor.<br />

BELA III Materialienband 1<br />

Her<strong>aus</strong>geber:<br />

Landesseniorenrat Baden-Württemberg e.V.<br />

Der BELA-Trägergemeinschaft gehören an:<br />

Das Ministerium für Arbeit und<br />

Sozialordnung, Familie und Senioren,<br />

Der Städtetag Baden-Württemberg,<br />

Der Landkreistag Baden-Württemberg,<br />

Der Gemeindetag Baden-Württemberg,<br />

Der Landesseniorenrat Baden-Württemberg e.V.<br />

BELA III wird in <strong>der</strong> <strong>Aufbauphase</strong> bis 2010<br />

zu zwei Dritteln von <strong>der</strong> Otto-und-Edith-Mühlschlegel-Stiftung<br />

in <strong>der</strong> Robert-Bosch-Stiftung<br />

geför<strong>der</strong>t. Die Einrichtungen beteiligen sich mit<br />

einem Mitgliedsbeitrag von10 Euro pro Heimplatz.<br />

Weiterführende Informationen finden Sie unter<br />

www.bela3.de<br />

BÜRGERENGAGEMENT<br />

FÜR LEBENSQUALITÄT IM ALTER<br />

(BELA):<br />

DER BELAIII-QUALITÄTSVERBUND<br />

– EIN BEITRAG ZU EINEM<br />

WÜRDIGEN LEBEN<br />

FÜR MENSCHEN IN PFLEGE-<br />

EINRICHTUNGEN<br />

Das Alter selbstbestimmt und somit autonom zu<br />

gestalten, steht als oberstes Ziel in <strong>der</strong> individuellen<br />

Lebensplanung älterer Menschen. Ängste und<br />

Befürchtungen gelten dem Verlust <strong>der</strong> Eigenständigkeit,<br />

<strong>der</strong> möglichen Abhängigkeit, und <strong>der</strong> dadurch<br />

verursachten Fremdbestimmung.<br />

Alte, pflegebedürftige Menschen erwarten, dass<br />

sie auch im Heim ein möglichst selbstbestimmtes<br />

Leben führen können, – ein Leben, das <strong>der</strong> Menschenwürde<br />

entspricht. Die stationäre Pflege muss<br />

eine echte Alternative sein, in <strong>der</strong>, wenn auch eingeschränkt,<br />

autonomes und damit würdiges Leben<br />

garantiert ist. Ältere Menschen möchten darauf<br />

vertrauen können, dass sich das Heim nach ihrer<br />

Lebenssituation richten kann und nicht, dass<br />

die Lebenssituation im Heim sich einem bestimmten<br />

Maß, einer bestimmten Zeiteinheit und einer<br />

bestimmten Qualität anpassen muss.<br />

Menschenwürde und Menschlichkeit verwirklicht<br />

sich in den konkreten Lebenssituationen. Die Individualität<br />

– trotz Pflegebedürftigkeit – verwirklicht<br />

sich u.a. beim Waschen, Essen, Trinken, Schlafen<br />

und Kontakt haben. Notwendig dafür sind Menschen,<br />

die dabei unterstützen können und wollen.<br />

Es geht um ein würdiges Leben und Sterben im<br />

Heim. Um eine Wohnmöglichkeit mit privatem<br />

Charakter. Um Beziehungen und Kontakte nach<br />

Außen, um eine Pflege, die sich nach <strong>der</strong> Lebenssituation<br />

<strong>der</strong> Heimbewohner richten kann und um<br />

die Hoffnung, dass das ernst genommen wird,<br />

was jedem Einzelnen wichtig ist. Und es geht um<br />

die große Erwartung, dass es Menschen gibt, die<br />

<strong>aus</strong>reichend Zeit haben. Das gilt sowohl für die<br />

professionellen Hilfeleistungen als auch für die ehrenamtlichen<br />

Hilfestrukturen.<br />

In Würde alt werden heißt für Menschen, die in<br />

Pflegeheimen leben, dass sie in das Gemeinwesen<br />

eingebunden bleiben müssen. Ein Pflegeheim muss<br />

offen sein für das Leben <strong>der</strong> Gemeinde, muss Zugangsmöglichkeiten<br />

bereitstellen für die Bürgerschaft.<br />

Das Leben <strong>der</strong> Bewohnerinnen und Bewohner<br />

in Pflegeheimen gewinnt durch das Engagement<br />

von Bürgerinnen und Bürgern an Qualität.<br />

Das Alter selbstbestimmt und autonom zu gestalten,<br />

bedeutet für viele ältere und noch leistungsfähige<br />

Menschen, dass sie sich für das Gemeinwesen<br />

engagieren. Nach <strong>der</strong> Berufs- o<strong>der</strong> Familienphase<br />

suchen sie nach Betätigungsfel<strong>der</strong>n, um<br />

ihre Erfahrungen, Kenntnisse und Fähigkeiten<br />

weiter einbringen zu können. Ältere Menschen<br />

unterstützen in vielfältiger Weise die Bewohnerinnen<br />

und Bewohner von Pflegeheimen und för<strong>der</strong>n<br />

damit die Lebensqualität im Heim mit. Dieses Engagement<br />

ist für viele nicht allein ein Geben, son<strong>der</strong>n<br />

ein Gewinn.<br />

Die Seniorenräte in Baden-Württemberg mit ihrer<br />

Glie<strong>der</strong>ung in Orts-, Stadt- und Kreisseniorenräte<br />

sowie auf Landesebene dem Landesseniorenrat<br />

(LSR) sind bestens geeignet, Bürgerinnen und Bürger<br />

entsprechend anzuregen und sie zu motivieren,<br />

sich vor Ort jeweils ganz konkret einzubringen.<br />

Diese dezentralen Strukturen in unserem<br />

Land sind ein hohes und wertvolles Gut, um im<br />

wohlverstandenen Sinne Bürgergesellschaft zu organisieren<br />

bzw. zu sein.<br />

Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass<br />

die Trägergemeinschaft für das Projekt BELA III <strong>aus</strong><br />

dem Ministerium für Arbeit und Sozialordnung,<br />

Familien und Senioren Baden-Württemberg, den<br />

4 5<br />

VORWORTE


Kommunalen Landesverbänden und <strong>aus</strong> dem Landesseniorenrat<br />

Baden-Württemberg besteht.<br />

Gerne hat <strong>der</strong> Landesseniorenrat die formalen<br />

Aufgaben übernommen, die sich <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Projektträgerschaft<br />

ergeben. Dies fiel umso leichter, als<br />

mit <strong>der</strong> Otto-und-Edith-Mühlschlegel-Stiftung in<br />

<strong>der</strong> Robert-Bosch-Stiftung ein finanzieller Projektför<strong>der</strong>er<br />

zur Seite steht, <strong>der</strong> verlässlich und in <strong>der</strong><br />

Sache sehr engagiert ist.<br />

Für den LSR stehen im Zusammenhang mit BELA III<br />

drei Themen zentral im Vor<strong>der</strong>grund. Erstens<br />

möchten wir ein Solidaritätsnetzwerk <strong>der</strong> Generationen<br />

för<strong>der</strong>n,damit sich Bürgerinnen und Bürger<br />

in Pflegeheimen mit einbringen – auf ehrenamtlicher<br />

Basis. Damit können wir erreichen, dass<br />

Pflegeheime für ihr kommunales Umfeld mehr als<br />

bisher geöffnet werden. Des Weiteren sollen mehr<br />

Initiativen, mehr Vertrauen und eine größere Dialogbereitschaft<br />

unter Angehörigen, Mitarbeitern<br />

und den Ehrenamtlichen einschließlich <strong>der</strong> Bewohner<br />

entstehen.<br />

Zum Zweiten liegt uns an einer umfassenden Qualitätssicherung<br />

in den Pflegeheimen. Durch die Organisation<br />

eines landesweiten Verbundsystems<br />

können hier Erfahrungs<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch und Fortschritte<br />

besser erzielt werden, als wenn je<strong>der</strong> Einrichtungsträger<br />

auf sich allein gestellt handelt. Mit<br />

den neuen Vorschriften des Pflegeversicherungsgesetzes<br />

zur Durchführung und Veröffentlichung<br />

von Qualitätsprüfungen kommt diesem Aspekt<br />

noch ein weit<strong>aus</strong> höherer Stellenwert zu als bisher.<br />

Wir wollen auch mit Hilfe von BELA III einen Beitrag<br />

zur Versachlichung leisten, wenn künftig Pflegeheime<br />

nach einem Schulnotensystem bewertet<br />

werden. Jedenfalls wollen wir vom LSR nicht, dass<br />

unqualifizierte und falsche Schlussfolgerungen<br />

<strong>aus</strong> einem solchen Bewertungssystem für das einzelne<br />

H<strong>aus</strong> gezogen werden. Der BELA III-Verbund<br />

kann dabei hilfreich sein.<br />

Zum Dritten liegt uns daran, in <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

das Image eines notwendigen Pflegeheimaufent-<br />

halts deutlich zu verbessern. Es ist ja richtig, dass<br />

die meisten Menschen gerne zu H<strong>aus</strong>e in ihren eigenen<br />

vier Wänden auch bei Pflegebedürftigkeit<br />

versorgt werden möchten. Trotzdem müssen wir<br />

<strong>der</strong> Tatsache ins Auge sehen, dass es ohne stationäre<br />

Versorgungseinrichtungen in vielen Fällen<br />

eben nicht gehen wird. BELA III soll dazu beitragen,<br />

dass ältere Menschen und ihre Angehörigen<br />

akzeptieren können, dass das Heim als Wohnstätte<br />

nicht nur eine Notlösung ist, <strong>der</strong> mit schlechtem<br />

Gewissen zugestimmt wird, son<strong>der</strong>n eine richtige<br />

Entscheidung für den Einzelfall tatsächlich ist.<br />

Wir sind alle aufgerufen, zu möglichst viel Lebensqualität<br />

beizutragen.<br />

Alte und pflegebedürftige Menschen dürfen erwarten,<br />

dass sie auch im Heim ein möglichst<br />

selbstbestimmtes Leben führen dürfen. Kurz gesagt:<br />

Ein Leben, das <strong>der</strong> Menschenwürde entspricht.<br />

Roland Sing<br />

Vorsitzen<strong>der</strong> des Landesseniorenrates<br />

Baden-Württemberg e.V.<br />

DER BELA III-QUALITÄTSVERBUND<br />

– SYNERGIEN DURCH NETZWERK-<br />

ARBEIT<br />

VORWORT DER PROJEKT-<br />

KOORDINATION<br />

In den kommenden Jahren werden Bürgerengagement<br />

und Freiwilligenarbeit in folge <strong>der</strong> demografischen<br />

Entwicklung vor allem im Bereich <strong>der</strong> Altenhilfe<br />

und Pflege an Bedeutung gewinnen.<br />

Doch schon jetzt ist die Versorgungslandschaft am<br />

Ende des Lebens in Bewegung geraten. Stationäre<br />

Einrichtungen sind keine ruhigen Inseln mehr,<br />

sie sind vielmehr von diesen gesellschaftlichen<br />

Verän<strong>der</strong>ungen betroffen und gezwungen, ihrerseits<br />

Antworten zu entwickeln. Von renommierten<br />

Instituten wie dem Kuratorium Deutsche Altershilfe<br />

wird ein Kurswechsel gefor<strong>der</strong>t hin zu mehr<br />

Partizipation und kleinräumigen und kleingliedrigen<br />

Netzen, die Menschen ermutigen und unterstützen<br />

in eigener Versorgung und Generationensolidarität.<br />

DAS NETZWERK:<br />

VIELE ZU BETEILIGTEN MACHEN<br />

In Baden-Württemberg gelten Netzwerke seit langem<br />

als tragfähige Infrastruktur für bürgerschaftliches<br />

Engagement. Der BELAIII-Qualitätsverbund<br />

geht hier neue trägerübergreifende Wege in <strong>der</strong><br />

stationären Altenhilfe.<br />

Netzwerke haben viel zu bieten. Sie schaffen Synergie<br />

für vier Prozesse:<br />

a) wenn Menschen o<strong>der</strong> Organisationen Ressour-<br />

cen t<strong>aus</strong>chen wollen,<br />

b) für den Aufbau neuer Partnerschaften<br />

c) für partizipative Lernprozesse<br />

d) für neues Denken und Meinungsbildung.<br />

Durch Fortbildung, Erfahrungs<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch und eine<br />

starke öffentliche Stimme stärkt, entlastet und<br />

wertet BELA III Beteiligte in ihrem Engagement auf.<br />

ES GEHT UM 3 SCHWERPUNKTE:<br />

• Netzwerken für Lebensqualität: Information<br />

und Orientierung zum Aufbau neuer Partnerschaften<br />

und Impulse zur Öffnung von Einrichtungen.<br />

• Kompetenz für Lebensqualität: Kompetenzför<strong>der</strong>ung<br />

bei Fachkräften und Freiwilligen durch<br />

Training und Eigenerfahrung.<br />

• Lebensqualität im Dialog: För<strong>der</strong>ung von Verständigung<br />

und Zusammenarbeit zwischen Fachkräften<br />

und Freiwilligen durch Dialog und gemeinsame<br />

Aktivität.<br />

Das Netzwerk umfasst zur Zeit 12 unterschiedlich<br />

entwickelte Regionalgruppen mit regionalen Koordinatorinnen<br />

und Koordinatoren. Engagierte Mitgliedseinrichtungen<br />

und einige Landkreise fungieren<br />

als Knotenpunkte. Ein zentrales Projektbüro<br />

koordiniert die Aktivitäten. Ein wichtiges Anliegen<br />

ist dabei auch die Einbindung von Partnern vor Ort,<br />

von Vertreterinnen und Vertretern <strong>der</strong> Kommunen,<br />

Seniorenräten, Kirchengemeinden, Schulen und Vereinen<br />

bis hin zu Betrieben.<br />

Wie jedes Netzwerk lebt BELA III vom Engagement<br />

und vom regen Aust<strong>aus</strong>ch seiner Mitglie<strong>der</strong>. Und<br />

wie in jedem funktionierenden Netzwerk ist die<br />

Teilnahme freiwillig. Umso wichtiger sind gemeinsame<br />

Grundsätze und Arbeitsprinzipien. Dazu gehören<br />

die Kooperation und <strong>der</strong> Aust<strong>aus</strong>ch über<br />

Regionen- und Trägergrenzen hinweg, die Orientierung<br />

an verbindlichen Qualitätsstandards, die<br />

Offenheit gegenüber neuen Formen <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />

von Haupt- und Ehrenamtlichen und<br />

das Bekenntnis zu Qualifizierung und Weiterbildung.<br />

Für Mitglie<strong>der</strong> liegt <strong>der</strong> wichtigste Nutzen im<br />

trägerübergreifenden Aust<strong>aus</strong>ch und den Kontakten,<br />

die dadurch entstehen. BELA III gibt Anregungen<br />

zu den Themen „För<strong>der</strong>ung von Bürgerengagement“<br />

und „Öffnung“ in Form von<br />

Bildungsangeboten, selbstbestimmten Arbeits-<br />

6 7<br />

NETZWERKARBEIT


gruppen und Konferenzen. Das Netzwerk schafft<br />

den Rahmen, um neue Betreuungskonzepte mit<br />

Freiwilligen und Angehörigen zu entwickeln und<br />

zu erproben.<br />

Diesem Anliegen dienen auch die BELA III-Materialien.<br />

Sie greifen die wichtigsten aktuellen Lernthemen<br />

im Bereich Bürgerengagement <strong>aus</strong> dem<br />

Netzwerk auf und dokumentieren die wirksamsten<br />

Lernprofile <strong>der</strong> <strong>Aufbauphase</strong>. Folgende Materialienbände<br />

sind geplant:<br />

BELA III Materialien Band 1<br />

<strong>Grundlagentexte</strong> <strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Aufbauphase</strong><br />

<strong>2008</strong>/<strong>2009</strong><br />

BELA III Materialien Band 2<br />

Lernprofil: Freiwillige gewinnen mit System<br />

BELA III Materialien Band 3<br />

Lernprofil: Demenzbegleitung<br />

BELA III Materialien Band 4<br />

Lernprofil: Alltagsgestaltung<br />

BELA III Materialien Band 5<br />

Gute Praxis <strong>aus</strong> dem BELA III-Netzwerk<br />

Mit BELA III geht vieles leichter, wenn es um Bürgerengagement<br />

geht. Pflegeeinrichtungen haben<br />

Freiwilligen etwas zu bieten. Sie zählen auf Wissenstransfer<br />

und Kooperation in zentralen Fragen<br />

<strong>der</strong> Freiwilligenarbeit – von <strong>der</strong> Konzeptentwicklung<br />

bis hin zur Qualifizierung. Ihnen gelingen<br />

Schritt für Schritt neue Partnerschaften und sie beteiligen<br />

sich gemeinsam am gesellschaftlichen Dialog.<br />

Nach <strong>der</strong> <strong>Aufbauphase</strong> bis Ende 2010 soll die Verantwortung<br />

in die Hand <strong>der</strong> Träger übergehen.<br />

Der landesweit angelegte Qualitätsverbund soll in<br />

starken Regionen operieren. Der Pflegewissenschaftler<br />

Prof. Dr. Hermann Brandenburg, <strong>der</strong> auch<br />

mit einem Text in diesem ersten Band vertreten ist,<br />

hatte bei <strong>der</strong> BELA III-Auftaktveranstaltung am 15.<br />

Juni <strong>2009</strong> in Fellbach die Bedeutung folgen<strong>der</strong>maßen<br />

umrissen:<br />

„BELA verän<strong>der</strong>t vieles. Der wichtigste Punkt ist <strong>aus</strong><br />

meiner Sicht, dass BELA einen wichtigen Beitrag<br />

zum Pflege-Mix darstellt. Die Pflege <strong>der</strong> Zukunft<br />

(aber auch schon <strong>der</strong> Gegenwart) kann nur im Zusammenwirken<br />

von Professionellen und bürgerschaftlich<br />

Engagierten gelingen. Allein schafft das<br />

keine Gruppe. Und das wäre auch nicht gut o<strong>der</strong><br />

erstrebenswert, denn die Perspektiven müssen und<br />

sollen sich ergänzen. Das Leben ist vielfältig und<br />

BELA ist es auch. Insofern leistet BELA einen Beitrag<br />

zum Wandel <strong>der</strong> Pflegekultur in Deutschland.<br />

Einfach ist das nicht, aber eine Alternative dazu<br />

gibt es <strong>aus</strong> meiner Sicht nicht.“<br />

Iren Steiner, Dipl. Psychologin<br />

Fachliche Koordinatorin <strong>der</strong> BELA-Projekte<br />

1. BELA III:<br />

DOKUMENTE UND GESCHICHTE<br />

1.1.ZUR ENTSTEHUNGS-<br />

GESCHICHTE EINES ZUKUNFTS-<br />

WEISENDEN PROJEKTS<br />

Überarbeiteter und erweiterter Auszug <strong>aus</strong> einem<br />

Redemanuskript <strong>der</strong> Projektkoordinatorin Iren<br />

Steiner, an <strong>der</strong> Konferenz des Bundesministeriums<br />

für Gesundheit, Berlin, 01.07.<strong>2009</strong>:<br />

Bürgerschaftliches Engagement wird in Baden-<br />

Württemberg seit 20 Jahren systematisch geför<strong>der</strong>t,<br />

was <strong>der</strong> wachsenden Bedeutung <strong>der</strong> Freiwilligenarbeit<br />

in <strong>der</strong> Pflege Respekt zollt. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

in Pflegeeinrichtungen för<strong>der</strong>t das Engagement<br />

Freiwilliger die Lebensqualität und die gesellschaftliche<br />

Einbindung <strong>der</strong> Bewohnerinnen und<br />

Bewohner. Als Pilotprojekt wurde BETA (Bürgerschaftliches<br />

Engagement und Tagespflege) 1996<br />

gestartet und lief erfolgreich mehrere Jahre. BELA I<br />

und II (Bürgerschaftliches Engagement für Lebensqualität<br />

im Alter) waren Folgeprojekte, die vor<br />

allem auf den Aufbau einer Verbundstruktur sowie<br />

die Schaffung von Fortbildungsangeboten abzielten.<br />

BELA III soll den Verbund <strong>der</strong> Einrichtungen<br />

als Netzwerk stärken, so dass es zum Ende<br />

<strong>der</strong> Projektlaufzeit von den Mitglie<strong>der</strong>n eigenständig<br />

getragen werden kann.<br />

In Baden-Württemberg för<strong>der</strong>n Land und Kommunen<br />

bürgerschaftliches Engagement seit 1990<br />

systematisch. Infolge <strong>der</strong> demografischen Entwicklung<br />

werden in den kommenden Jahren Bürgerengagement<br />

und Freiwilligenarbeit im Bereich <strong>der</strong><br />

Altenhilfe und Pflege an Bedeutung gewinnen,<br />

denn allein in diesem Bundesland wird die Zahl<br />

<strong>der</strong> pflegebedürftigen Menschen bis 2020 auf ca.<br />

310.000 ansteigen. Je<strong>der</strong> dritte Pflegebedürftige<br />

ist auf stationäre Versorgung angewiesen, denn<br />

mit dem demografischen und sozialen Wandel<br />

verringert sich bei steigendem Hilfebedarf die Zahl<br />

<strong>der</strong> Unterstützer. Darauf müssen professionelle<br />

Pflegedienste und stationäre Pflegeeinrichtungen<br />

reagieren und künftig noch stärker als bislang die<br />

Zusammenarbeit mit engagierten Bürgern suchen.<br />

Bürgerschaftliches Engagement in Pflegeeinrichtungen<br />

schafft mehr Lebensqualität für die Bewohner.<br />

Es ermöglicht Teilhabe und gemeinsames<br />

Erleben, es baut Brücken zwischen Generationen<br />

und es sorgt für die Verwurzelung <strong>der</strong> Pflegeeinrichtung<br />

vor Ort, in <strong>der</strong> Kommune. Bürgerschaftliches<br />

Engagement ist ein Qualitätsfaktor in <strong>der</strong><br />

Pflege.<br />

In Baden-Württemberg und auch bundesweit haben<br />

seit über 10 Jahren drei Projektgenerationen<br />

unter dem Stichwort „Bürgerengagement für<br />

Lebensqualität im Alter“ zu dieser Erkenntnis beigetragen.<br />

BETA ALS PILOTPROJEKT<br />

Das erste <strong>der</strong>artige Projekt, BETA - Bürgerschaftliches<br />

Engagement und Tagespflege, wurde<br />

1996 mit fünf Einrichtungen verschiedener Träger<br />

in Baden-Württemberg ins Leben gerufen,<br />

darunter auch zwei Seniorengenossenschaften.<br />

BETA beinhaltete bereits die Grundstrukturen eines<br />

„Wohlfahrtsmixes“, die auch heute wesentlich<br />

zum Erfolg beitragen. Dazu gehörten trägerübergreifende<br />

Kooperation mit Mischfinanzierungen,<br />

kommunale Einbettung, themenbezogene Lernarrangements,<br />

eine gemeinsame Ausrichtung, die<br />

Altern als gemeinschaftliche Verantwortung begreift<br />

sowie regionale und landesweite Vernetzung.<br />

Es wurden lokale Projektgruppen gegründet und<br />

Verbundtreffen mit Beteiligten auf allen Ebenen<br />

organisiert. Das Bundesministerium für Gesundheit<br />

finanzierte die Projektstellen in den Einrichtungen<br />

sowie die Projektkoordination, die Kosten<br />

für Fortbildungen übernahm das Land. Im Rah-<br />

1 BELA III DOKUMENTE<br />

UND GESCHICHTE<br />

8 9


men von BETA entstand auch eine landesweite,<br />

vom Ministerium für Arbeit und Soziales begleitete<br />

Arbeitsgruppe (AG) „Bürgerengagement und<br />

Pflege“, in <strong>der</strong> weitere 30 Einrichtungen vereint<br />

waren, um Wissenstransfer und Kooperationen zu<br />

för<strong>der</strong>n.<br />

In den sieben Jahren Projektlaufzeit hat BETA Freiwilligenarbeit<br />

als systematisches Arbeitsprinzip im<br />

Umfeld von Tagespflege und später auch stationärer<br />

Pflege eingeführt und vorangebracht. Ziel war<br />

zu zeigen, wie entscheidend Bürgerengagement<br />

als Arbeitsprinzip die Lebensqualität von hochbetagten<br />

Menschen in Einrichtungen för<strong>der</strong>t und<br />

welche Rahmenbedingungen dafür notwendig<br />

sind. An allen Standorten arbeiten die bestehenden<br />

Tagespflegeeinrichtungen heute mit tragfähiger<br />

bis maximaler Auslastung, mittlerweile auch<br />

im ländlichen Raum. Das BETA-Projekt hat damit<br />

den Paradigmenwechsel in <strong>der</strong> Freiwilligenarbeit<br />

und den Wandel <strong>der</strong> Altersleitbil<strong>der</strong> <strong>aus</strong>drücklich<br />

aufgegriffen. Im Mittelpunkt bei<strong>der</strong> Diskurse steht<br />

die Ermöglichung und sogar Einfor<strong>der</strong>ung von<br />

Selbstbestimmung und Teilhabe.<br />

DER START VON BELA<br />

Die erfolgreiche Arbeit des BETA-Pilotprojekts<br />

wurde nach <strong>der</strong> zweiten För<strong>der</strong>periode 2002 <strong>aus</strong>geweitet<br />

durch das erste BELA-Projekt: Bürgerschaftliches<br />

Engagement für Lebensqualität im Alter.<br />

Als ein Bestandteil von BELA I fand ein landesweiter<br />

Wettbewerb statt. Darüber hin<strong>aus</strong><br />

erweiterte man das Fortbildungsprogramm für<br />

Freiwillige in stationären Einrichtungen, um <strong>der</strong>en<br />

Engagement zu würdigen und Kompetenzen zu<br />

stärken. Eine empirische Analyse zu Art und Umfang<br />

des Bürgerengagements in <strong>der</strong> stationären<br />

Pflege sowie eine internationale Fachtagung ergänzten<br />

die Projektarbeit auf wissenschaftlicher<br />

Ebene. BELA I wurde finanziert <strong>aus</strong> Mitteln <strong>der</strong><br />

Landesstiftung Baden-Württemberg.<br />

Auch BELA I sowie die AG „Bürgerengagement<br />

und Pflege“ wurden weiterentwickelt: seit 2003<br />

entstand so <strong>der</strong> Praxisverbund (BELA II) als<br />

Gemeinschaftsprojekt von 19 Einrichtungen an<br />

neun Standorten – jeweils mit kommunalen Partnern<br />

und eingebettet in die landesweite BELA II-<br />

Kampagne zur För<strong>der</strong>ung und Stärkung <strong>der</strong> Freiwilligenarbeit<br />

in stationären Einrichtungen. Im<br />

Mittelpunkt <strong>der</strong> Projektarbeit standen sogenannte<br />

Tandems und daran <strong>aus</strong>gerichtet Tandemtrainingstage<br />

und Fortbildungen mit Jahresschwerpunkten<br />

bzw. lokalen Themenschwerpunkten,<br />

Verbundfachtagen und Zielfindungsprozessen in<br />

den einzelnen Einrichtungen. In den drei Jahren<br />

von BELA II nahmen 120 Projekte und über 300<br />

Freiwillige ihre Arbeit auf. In den beteiligten Kommunen<br />

wurden dauerhafte Kooperationen vereinbart<br />

und sogar stadtteilorientierte Kooperationsplattformen<br />

gegründet. Die Finanzierung von BE-<br />

LA II mit einem Gesamtbudget von 330.000 Euro<br />

übernahm die Robert-Bosch-Stiftung.<br />

Die Idee von starker, städteübergreifen<strong>der</strong> Kooperation<br />

nimmt nun mit BELA III, <strong>der</strong> jüngsten Projektgeneration,<br />

Form an. Ziel ist es, bis Ende 2010<br />

ein landesweites, trägerübergreifendes und auf<br />

Dauer angelegtes Netzwerk stationärer Einrichtungen<br />

aufzubauen, basierend auf 12 Knoten mit<br />

regionaler Koordinierungsfunktion und entsprechenden<br />

Mitglie<strong>der</strong>gruppen. Bisher sind 100 Einrichtungen<br />

mit einem Eigenmittelaufkommen von<br />

ca. 78.000 Euro Partner im Netzwerk BELA III.<br />

In <strong>der</strong> bisher 14-jährigen Laufzeit <strong>der</strong> BETA / BELA-<br />

Projekte hat sich die Zahl <strong>der</strong> beteiligten Einrichtungen<br />

kontinuierlich erhöht und zum Ende von<br />

BELA III sollen etwa zehn Prozent aller stationären<br />

Einrichtungen im Land eingebunden sein. Die starke<br />

und unverän<strong>der</strong>te Zusammensetzung <strong>der</strong> Initiativgemeinschaft<br />

– bestehend <strong>aus</strong> Landesseniorenrat,<br />

kommunalen Landesverbänden, Ministerium<br />

für Arbeit und Sozialordnung, Familie und<br />

BELAIII<br />

10 11


Senioren, evangelischer Fachhochschule Freiburg<br />

und Fachkoordination – hat zu dieser Entwicklung<br />

entscheidend beigetragen.<br />

Auf finanzieller Ebene erfolgte mit BELA III eine<br />

wichtige Neuerung durch die Einrichtung eines<br />

Eigenmittelfonds <strong>der</strong> Netzwerkmitglie<strong>der</strong>. Auch<br />

organisatorisch haben die Einrichtungen in den<br />

letzten Jahren mehr Eigenverantwortung übernommen<br />

und strukturieren die Projektarbeit anhand<br />

<strong>der</strong> jeweiligen Möglichkeiten, unterstützt<br />

durch den Wissens- und Erfahrungstransfer im<br />

Netzwerk (z.B. Foren und Arbeitskreise, webbasierte<br />

Projektbörse, eigenständige Regionalgruppen).<br />

Die BETA / BELA-Projekte haben eine ganze Generation<br />

von Projekten geprägt, da sie über ein tragfähiges<br />

Fundament verfügen und beispielhaft zeigen,<br />

wie man bspw. erfolgreich Freiwillige gewinnt,<br />

Strukturen <strong>der</strong> Zusammenarbeit innerhalb<br />

und außerhalb <strong>der</strong> Einrichtungen aufbauen, Projektarbeit<br />

politisch einbetten und gemeinsame<br />

Lernformen erproben kann.<br />

WEITERFÜHRENDE LITERATUR ZU<br />

DEN LEITIDEEN VON BELA:<br />

Brandenburg, Hermann: Kommentar zur Auftaktveranstaltung<br />

„Der Lebensqualität verpflichtet“<br />

des BELA III-Netzwerks, Fellbach, 15.06.<strong>2009</strong><br />

(unveröffentlichtes Manuskript)<br />

Kruse, Andreas: „Kennen wir eine Kultur des<br />

Pflegens? Hilfsbedürftigkeit und Gebrechlichkeit<br />

als Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung für die Gesellschaft“ –<br />

Vortrag im Rahmen <strong>der</strong> Veranstaltung „Zwischen<br />

Bürostuhl und Pflegebett“ des Landesfamilienrates,<br />

17.07.<strong>2009</strong>, Stuttgart<br />

Steiner-Hummel, Irene: „Bürgerschaftliches<br />

Engagement und die Entwicklung einer lebensweltlichen<br />

Pflegekultur“ In: Braun, Ute/ Schmidt,<br />

Roland (Hg.): Entwicklung einer lebensweltlichen<br />

Pflegekultur. Regensburg (Transfer), 1997.<br />

S. 113 – 132<br />

Steiner, Iren: „Lebensqualität kein Zufall.<br />

Freiwillige beteiligen, damit alle gewinnen.“<br />

In: Hebenstreit, Martin (Hg.): Pflegeheim und<br />

Ehrenamt. Ein Leitfaden für die Integration<br />

ehrenamtlich engagierter Menschen. Reihe<br />

Connexia 03, Bregenz <strong>2009</strong>, S. 18 – 39.<br />

Steiner, Iren: „BETA/BELA-Modelle:<br />

Mehr Lebensqualität durch Bürgerengagement.“<br />

In: Pflege 2030: Chancen und Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ungen!<br />

– Dokumentation <strong>der</strong> gemeinsamen Fachtagung<br />

des Bundesministeriums für Gesundheit,<br />

des Instituts für Sozialforschung und Sozialwirtschaft<br />

e.V. (iso) sowie des Kuratoriums Deutsche<br />

Altershilfe. Berlin / Saarbrücken <strong>2009</strong>. S. 61 – 81<br />

1.2. DER PROJEKTANTRAG:<br />

BELA III – MEHR BÜRGER-<br />

ENGAGEMENT FÜR LEBENS-<br />

QUALITÄT IM ALTER<br />

Der folgende Text generiert sich <strong>aus</strong> Auszügen des<br />

Projektantrages und umreißt die Leitideen, Projektziele<br />

und Entwicklungschancen von BELA III.<br />

BELA III hat zum Ziel, die Lebensqualität im Alter<br />

zu verbessern, insbeson<strong>der</strong>e für Bewohnerinnen<br />

und Bewohner stationärer Pflegeeinrichtungen<br />

aber auch für die Freiwilligen, die sich dort engagieren.<br />

Zentral dafür sind die Einbindung <strong>der</strong> Einrichtungen<br />

in das Gemeinwesen sowie die Stärkung<br />

und Fortbildung <strong>der</strong> Freiwilligen.<br />

Das BELA III-Projekt ist eine Gemeinschaftsinitiative<br />

von Land, kommunalen Landesverbänden und<br />

dem Landesseniorenrat in Baden-Württemberg.<br />

Die Projektträgergemeinschaft bildet eine Lenkungsgruppe.<br />

Wesentlicher Inhalt des Projektes ist<br />

die För<strong>der</strong>ung bürgerschaftlichen Engagements<br />

und intergenerativer Solidarität mit dem Ziel <strong>der</strong><br />

Verbesserung von Lebensqualität im Alter.<br />

BELA III will zwei gesellschaftliche Entwicklungstrends<br />

– zunehmen<strong>der</strong> Hilfebedarf einerseits und<br />

steigende Hilfepotentiale an<strong>der</strong>erseits – zusammenbringen.<br />

Dies soll insbeson<strong>der</strong>e an einem<br />

Ort geschehen, an dem die Bedürfnisse <strong>der</strong> pflegebedürftigen<br />

Älteren beson<strong>der</strong>s vielfältig und<br />

dringend sind und gleichzeitig durch das Engagement<br />

eines an<strong>der</strong>en Teils <strong>der</strong> älteren Bevölkerung<br />

ein beson<strong>der</strong>s hoher Beitrag zur Verbesserung von<br />

Lebensqualität im Alter erreicht werden kann: im<br />

Bereich <strong>der</strong> stationären Pflege.<br />

Das Projekt bzw. <strong>der</strong> Projektantrag fußt zum einen<br />

auf den vor<strong>aus</strong>gegangenen Erfahrungen in den<br />

BETA und BELA I / II-Projekten, zum an<strong>der</strong>en auf<br />

dem Wissen, dass die Gruppe von hochaltrigen<br />

Menschen, die auf stationäre Pflege angewiesen<br />

ist, im Zuge <strong>der</strong> demografischen Entwicklung und<br />

<strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Familienstrukturen weiter<br />

wachsen wird. Stationäre Einrichtungen sind <strong>der</strong>zeit<br />

und bis auf weiteres ein bedeutsames und unverzichtbares<br />

Infrastrukturelement in <strong>der</strong> Daseinsfürsorge<br />

für ältere Bürgerinnen und Bürger. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

bei fortschreiten<strong>der</strong> demenzieller<br />

Erkrankung o<strong>der</strong> wenn Unterstützung durch familiäre<br />

Netzwerke nicht mehr verlässlich ist, prägen<br />

Pflegeeinrichtungen das Lebensende. Vor diesem<br />

Hintergrund gewinnen Initiativen, die Selbstbestimmung,<br />

Teilhabe und individuelle Wertschätzung<br />

in einer stationären Einrichtung för<strong>der</strong>n, ihre<br />

Wirkung und tragen dazu bei, Wohlbefinden und<br />

Lebensqualität zu steigern.<br />

Bewohner von Pflegeheimen sind von gesellschaftlicher<br />

Ausgrenzung, dem Verlust von individuellen<br />

Kontakt- und Handlungsspielräumen im<br />

Alltag und dem Mangel an biografisch bedeutsamer<br />

kultureller Zugehörigkeit bedroht. Gerade in<br />

diesen Bereichen ist Lebensqualität in Pflegeeinrichtungen<br />

trotz mo<strong>der</strong>ner und verbesserter<br />

räumlicher Rahmenbedingungen beson<strong>der</strong>s verletzlich.<br />

Um zwei <strong>der</strong> vielen Faktoren zu nennen:<br />

vielfach zentralisierte h<strong>aus</strong>wirtschaftliche Dienste<br />

verstärken eine „Monokultur“ im Alltag, und die<br />

mittlerweile verbreitete internationale Zusammensetzung<br />

<strong>der</strong> Mitarbeiter erschwert die sprachliche<br />

Verständigung und kulturelle Zugehörigkeit. Zudem<br />

sind stationäre Einrichtungen in <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

mit einer Stigmatisierung konfrontiert.<br />

Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite sind stationäre Einrichtungen<br />

wichtige Partner im Sozialraum und tragen<br />

durch ihre weite Verbreitung und durch die Gestaltung<br />

ihrer Dienstleistungen zur Standortqualität<br />

des Gemeinwesens bei: sie bieten Hilfe und<br />

Unterstützung und sind gleichzeitig Beschäftigungsort<br />

und Ausbildungsplatz in den Gemeinden.<br />

Daneben eröffnen sie engagementbereiten<br />

Bürgerinnen und Bürgern Orte für freiwilliges Engagement,<br />

welches wirksam, nützlich und sinnstiftend<br />

ist. So stärken die Einrichtungen Gemein-<br />

DER PROJEKTANTRAG<br />

12 13


sinn und bürgerschaftliche Verantwortung und<br />

tragen zu einem lebendigen Miteinan<strong>der</strong> <strong>der</strong> Generationen<br />

bei. Gerade in <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />

mit Schulen, Kin<strong>der</strong>gärten und an<strong>der</strong>en Bildungseinrichtungen<br />

geben sie Kin<strong>der</strong>n, Jugendlichen<br />

und Erwachsenen Gelegenheit zur Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

mit Hochaltrigkeit und ermöglichen einen<br />

Einblick in den Umgang mit Demenzkranken.<br />

Wie <strong>der</strong> Freiwilligensurvey 2002 und die BELA-Engagiertenbefragung<br />

2005 zeigen, ist die Engagementbereitschaft<br />

in <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> älteren Bürgerinnen<br />

und Bürger durch<strong>aus</strong> <strong>aus</strong>geprägt. Diese<br />

Personengruppe verfügt über Lebenserfahrung,<br />

vielfältige Fähigkeiten und Ressourcen und stellt<br />

dadurch ein großes gesellschaftliches und soziales<br />

Potential dar. Teilweise fehlt es aber an wirkungsvoller<br />

Ansprache und passenden Gelegenheiten<br />

eines auch zeitlich befristeten Engagements. Engagement<br />

für sich und mit An<strong>der</strong>en für gemeinschaftliche<br />

Anliegen hat sich als eine wirksame<br />

Möglichkeit zur Verbesserung <strong>der</strong> Lebensqualität<br />

für Ältere erwiesen. Darüber hin<strong>aus</strong> stellt das spezifische<br />

Engagement für Hochbetagte in stationären<br />

Einrichtungen eine beson<strong>der</strong>s wirkungsvolle<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem eigenen Älterwerden<br />

dar.<br />

Bürgerschaftliche Potentiale können durch Elemente<br />

von Gemeinwesenarbeit erschlossen werden.<br />

Dies setzt bei den Pflegeeinrichtungen eine<br />

Öffnung und Einbindung, eine angemessene Infrastruktur<br />

für die Zusammenarbeit mit Freiwilligen<br />

sowie eine Organisationskultur vor<strong>aus</strong>, die Lebensqualität<br />

und Beteiligung von Freiwilligen als<br />

eigenständige Zielsetzung systematisch bearbeitet.<br />

Im Rahmen des BELA III-Projekts ist dieser Aust<strong>aus</strong>ch<br />

auf gegenseitigen Gewinn und Verstetigung<br />

<strong>aus</strong>gerichtet. Pflegeeinrichtungen wirken zusammen<br />

mit Bürgerinnen und Bürgern, um eine<br />

Verbesserung <strong>der</strong> Lebensqualität aller Beteiligten<br />

zu erreichen.<br />

Strategisch ist das Projekt darauf <strong>aus</strong>gerichtet, das<br />

Arbeitsprinzip Bürgerengagement weiterzuentwickeln,<br />

als eigenständigen Qualitätsfaktor in die<br />

Breite zu bringen und auf diese Weise den Wandel<br />

professioneller Betreuungskonzepte hin zu<br />

partizipativen Formen mit Freiwilligen und Angehörigen<br />

mit Nachdruck zu vollziehen. Im Verbund<br />

initiieren und för<strong>der</strong>n Einrichtungen eine Entwicklung,<br />

die engagementbereite ältere Bürgerinnen<br />

und Bürger in breiterem Umfang als bisher unterstützt,<br />

ihre Potentiale und ihre Erfahrungswerte<br />

mittels sozialem Engagement für Hochbetagte in<br />

stationären Einrichtungen einzubringen und dabei<br />

gleichzeitig für ihre eigene neue Lebensphase<br />

Kompetenzen zu gewinnen. Die Einrichtungen<br />

verbessern die institutionellen Rahmenbedingungen<br />

für einen solchen Prozess, erreichen eine bessere<br />

Einbindung in ihren Sozialraum und stärken<br />

die soziale Teilhabe aller Beteiligten.<br />

Die operativen Ziele bestehen darin, einen Verbund<br />

stationärer Einrichtungen mit mindestens<br />

100 Beteiligten aufzubauen, dieser soll von einem<br />

Projektbüro geleitet werden. Im nachfolgenden<br />

Kapitel wird genauer auf die Struktur des Projektes<br />

eingegangen. Die Beteiligung <strong>der</strong> Pflegeeinrichtungen<br />

an BELA III geht von einer gemeinsamen<br />

Arbeitsgrundlage <strong>aus</strong>. Zu den för<strong>der</strong>lichen<br />

Rahmenbedingungen zählen unter an<strong>der</strong>em die<br />

Entwicklung eines einrichtungsbezogenen Konzeptes<br />

<strong>der</strong> Bürgerbeteiligung als strategische Aufgabe,<br />

verbunden mit <strong>der</strong> aktiven Umsetzung dieses<br />

Konzeptes durch Träger, Leitung und Mitarbeiter.<br />

Für das Netzwerk von großer Wichtigkeit ist<br />

hier bspw. auch die Beteiligung am Wissens- und<br />

Erfahrungstransfer, die Nutzung <strong>der</strong> Qualifizierungsangebote<br />

sowie die Zusammenarbeit mit<br />

lokalen Partnern wie Kommune, Schule o<strong>der</strong> Kirchengemeinde.<br />

1.3. INNENEINSICHTEN:<br />

DIE STRUKTUREN, LEISTUNGEN<br />

UND ARBEITSGRUNDLAGEN DES<br />

BELA III-NETZWERKES<br />

Die folgenden Informationen sind <strong>der</strong> Projektbeschreibung<br />

von BELA III („Ein Netzwerk für mehr<br />

Lebensqualität durch Bürgerengagement in stationären<br />

Pflegeeinrichtungen in Baden-Württemberg“)<br />

entnommen und geben einen Überblick<br />

über die organisatorischen Strukturen des Netzwerkes.<br />

TRÄGERGEMEINSCHAFT<br />

Projektträger sind das Ministerium für Arbeit und<br />

Sozialordnung, Familie und Senioren Baden-Württemberg,<br />

die kommunalen Landesverbände und<br />

<strong>der</strong> Landesseniorenrat. Sie tragen gemeinsam die<br />

Verantwortung und bilden eine Lenkungsgruppe.<br />

TRÄGERVERSAMMLUNG<br />

In <strong>der</strong> Trägerversammlung sind alle Wohlfahrtsverbände<br />

und Organisationen zusammengeschlossen,<br />

die die Mitgliedseinrichtungen im BELA III-<br />

Netzwerk vertreten. Sie trifft sich zweimal pro Jahr<br />

und entscheidet über die grundlegende Ausrichtung<br />

und Mittelverwendung des Netzwerks. Die<br />

Trägerversammlung ist das Entscheidungsgremium<br />

des Netzwerks.<br />

PROJEKTBÜRO<br />

Ein vom Antragsteller beauftragtes Projektbüro<br />

führt die laufenden Geschäfte und verwaltet die<br />

verfügbaren Mittel. Das Projektbüro nimmt insbeson<strong>der</strong>e<br />

Aufgaben <strong>der</strong> Organisation, Koordination,<br />

Mo<strong>der</strong>ation und fachlichen Begleitung wahr.<br />

Es ist zuständig für die Planung und Durchführung<br />

<strong>der</strong> Fortbildungsb<strong>aus</strong>teine. Das Projektbüro ist organisatorisch<br />

angesiedelt beim Diakonischen<br />

Werk <strong>der</strong> evangelischen Kirche in Württemberg.<br />

REGIONALE PARTNER FÜR<br />

DIE REGIONALE KOORDINATION<br />

Regionalpartner sind Einrichtungen <strong>aus</strong> dem Verbund,<br />

die regionale Koordinationsaufgaben<br />

durchführen. Sie bestellen regionale Ansprechpartner<br />

und stellen eine breite regionale und persönliche<br />

Präsenz des Projekts sicher. Gemeinsam<br />

mit den regionalen Mitglie<strong>der</strong>n bemühen sie sich<br />

um Öffentlichkeitsarbeit vor Ort. Sie betreuen die<br />

regionalen Fortbildungen und sorgen für den regelmäßigen<br />

Aust<strong>aus</strong>ch <strong>der</strong> regionalen Mitglie<strong>der</strong>.<br />

FINANZIERUNG:<br />

1/3 EIGENMITTELFONDS UND<br />

2/3 STIFTUNGSBEITRÄGE<br />

Ein Eigenmittelfonds, aufgebaut über Mitgliedsbeiträge<br />

(10 Euro pro Heimplatz und Jahr), gewährleistet<br />

eine nachhaltige Anschlussfinanzierung.<br />

Er schafft damit Sicherheit, Selbstbestimmung<br />

und Kontinuität. Die Gesamtkosten für das<br />

Projekt sind mit 550.000 Euro veranschlagt. Die<br />

Otto-und-Edith-Mühlschlegel-Stiftung in <strong>der</strong> Robert-Bosch-Stiftung<br />

för<strong>der</strong>t das Projekt mit bis zu<br />

400.000 Euro.<br />

EVALUATION<br />

Das Projekt wird evaluiert von Thomas Pfundstein,<br />

Arbeitsschwerpunkt Gerontologie (AGP) <strong>der</strong> evangelischen<br />

Fachhochschule Freiburg.<br />

INNENEINSICHTEN<br />

14 15


LEISTUNGEN DES BELA III -<br />

QUALITÄTSNETZWERKES<br />

Durch Projektför<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Otto-und-Edith-Mühlschlegel-Stiftung<br />

und durch den Aufbau eines Eigenmittelfonds<br />

über Mitgliedsbeiträge kann <strong>der</strong><br />

BELA III-Qualitätsverbund folgende Leistungen für<br />

die Mitglie<strong>der</strong> erbringen:<br />

INFORMATION, ORGANISATION,<br />

MODERATION<br />

Projektsekretariat<br />

Fachliche Begleitung<br />

Koordination und Mo<strong>der</strong>ation<br />

Regionale Ansprechpartner<br />

BETEILIGUNG UND KOMPETENZ-<br />

ENTWICKLUNG IM UMFELD<br />

NEUER PARTIZIPATIVER<br />

BETREUUNGSKONZEPTE<br />

halbjährliches Qualifizierungsprogramm<br />

Mitwirkung bei Schwerpunkten des<br />

Qualifizierungsprogramms<br />

regionale Auftaktgespräche für Interessierte<br />

zentrale Auftakt- und Abschlussveranstaltung<br />

jährliche Verbundkonferenzen<br />

Seminare zum Aufbau von Tandemstrukturen<br />

mit Freiwilligen und Hauptamtlichen<br />

Reflexionstage in <strong>der</strong> Region<br />

regionale projektbezogene Fortbildungsveranstaltungen<br />

Workshops für kommunale Multiplikatoren<br />

freiwillige Mitwirkung in themenbezogenen,<br />

regionalen Mitglie<strong>der</strong>gruppen<br />

Projekt<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch in Form von Studienfahrten<br />

Konzeptentwicklung für Fortbildung im<br />

Themenbereich des Verbundes<br />

Best Practice Kataloge<br />

BELA-Projektbörse<br />

QUALITÄTSAUSWEIS, WÜRDIGUNG<br />

UND AUSZEICHNUNG<br />

Würdigung von 10 Leuchtturmaktivitäten<br />

2010<br />

Verbundzertifikat für die Einrichtung<br />

ÖFFENTLICHE KOMMUNIKATION<br />

DES GEMEINSAMEN ANLIEGENS<br />

das BELA III-Logo<br />

Materialien zum Verbund für die Öffentlichkeitsarbeit<br />

Unterstützung <strong>der</strong> regionalen Öffentlichkeitsarbeit<br />

sowie <strong>der</strong> Kommunikation nach innen<br />

und außen<br />

Zugang zu den Mitglie<strong>der</strong>n des Qualitätsverbundes<br />

die BELA III-Internetplattform<br />

Nutzung öffentlicher Plattformen und<br />

Netzwerke im Verbund aufgrund <strong>der</strong><br />

Trägergemeinschaft von Landesseniorenrat,<br />

kommunalen Landesverbänden und<br />

Ministerium für Arbeit und Soziales<br />

Informationen durch elektronische<br />

Newsletter u.a.<br />

Dokumentation und Evaluation<br />

ARBEITSGRUNDLAGEN FÜR EINE<br />

MITGLIEDSCHAFT<br />

Am BELA III-Qualitätsnetzwerk beteiligen sich<br />

Einrichtungen, die eine deutliche Verbesserung<br />

<strong>der</strong> Lebensqualität für Bewohnerinnen und<br />

Bewohner durch neue partizipative Betreuungsformen<br />

anstreben, in <strong>der</strong> Umsetzung auf Beteiligung<br />

vertrauen und Zusammenarbeit im<br />

Netzwerk als Weg befürworten und praktizieren<br />

wollen.<br />

Zu den gemeinsamen Arbeitsgrundlagen für<br />

interessierte Mitglie<strong>der</strong> beim Aufbau des BELA III-<br />

Qualitätsnetzwerks gehören:<br />

die Bereitschaft, ein einrichtungsbezogenes<br />

Konzept <strong>der</strong> Bürgerbeteiligung als<br />

strategische Aufgabe in Schritten zu<br />

verfolgen;<br />

etwas dafür zu tun, dass die aktive Umsetzung<br />

dieses Konzeptes durch Träger, Leitung<br />

und Mitarbeiter in Gang kommt;<br />

dafür zu sorgen, dass eine Arbeitsstruktur für<br />

das Projektthema aufgebaut wird. Dazu<br />

gehört insbeson<strong>der</strong>e das Prinzip des Tandems<br />

(<strong>aus</strong> Hauptamtlichen und Freiwilligen) als<br />

Ansprechstruktur;<br />

auf ein vertrauensvolles, tolerantes Klima und<br />

auf Partnerschaft aller Akteure zu achten;<br />

sich am Wissens- und Erfahrungstransfer<br />

innerhalb des Qualitätsverbundes<br />

zu beteiligen;<br />

die Qualifizierungs- und Begleitungsangebote<br />

für die eigenen Ziele aktiv zu nutzen;<br />

neue Wege <strong>der</strong> Kofinanzierung zu erproben;<br />

die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern<br />

wie Kommunen, Schulen, Betrieben,<br />

Kin<strong>der</strong>tagesstätten, Kirchengemeinden<br />

o<strong>der</strong> Seniorenräten <strong>aus</strong>zubauen und<br />

zu vertiefen;<br />

die Mitgliedschaft für eine wirksame<br />

Kommunikation nach innen und außen<br />

zu nutzen;<br />

sich an <strong>der</strong> durch die finanzielle För<strong>der</strong>ung<br />

notwendigen Evaluation zu beteiligen.<br />

16 17


2. THEMENHORIZONTE:<br />

WORAN BELA III ARBEITET<br />

18<br />

2. THEMENHORIZONTE:<br />

WORAN BELA III ARBEITET<br />

2.1. FÜR EINE KULTUR<br />

DER KOPRODUKTION IN DER<br />

PFLEGE – KREATIV, INNOVATIV,<br />

PARTNERSCHAFTLICH<br />

Prof. Dr. Reimer Gronemeyer u.a.<br />

Justus-Liebig-Universität, Giessen<br />

Auszug <strong>aus</strong> dem von mehreren Autorinnen und<br />

Autoren gemeinsam verfassten Band „Gemeinsam<br />

Betreuen“ <strong>der</strong> Bosch-Stiftung Stuttgart.<br />

Einen ähnlich lautenden Vortrag mit dem Titel<br />

„BELA III – eine Idee verbindet. Gut leben im hohen<br />

Alter als Aufgabe <strong>der</strong> Bürgergesellschaft“ hatte<br />

Reimer Gronemeyer auf <strong>der</strong> BELA-Verbundkonferenz<br />

am 10. Juli <strong>2008</strong> in Stuttgart gehalten. Im<br />

folgenden Text werden diese Ideen nun <strong>aus</strong>formuliert.<br />

In seinem Artikel umreißt Reimer Gronemeyer das<br />

Konzept <strong>der</strong> Koproduktion. Darunter versteht er<br />

neue Formen <strong>der</strong> Zusammenarbeit mit verschiedenen<br />

Akteuren in <strong>der</strong> Betreuung Pflegebedürftiger<br />

und insbeson<strong>der</strong>e Demenzkranker. Koproduktion<br />

ist dabei nicht einfach nur Kooperation, son<strong>der</strong>n<br />

auch ein schöpferisch-kreativer Prozess, in dem<br />

von den Betroffenen, den Angehörigen, den Fachkräften,<br />

den Freiwilligen und den Technikern gemeinsam<br />

Betreuung gestaltet und organisiert<br />

wird. Dass ein solches Umdenken auch Schwierigkeiten<br />

und Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ungen mit sich bringt, ist<br />

unumgänglich, aber notwendig.<br />

KOPRODUKTION –<br />

DAS KONZEPT FÜR EINE<br />

SCHÖPFERISCHE ANTWORT?<br />

Die wachsende Zahl von Menschen mit Demenzerkrankungen<br />

stellt die deutsche Gesellschaft vor<br />

neue Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ungen – und dies in einer Zeit,<br />

in <strong>der</strong> im Gesundheitsbereich immer weniger finanzielle<br />

Ressourcen zur Verfügung stehen. Bisher<br />

ist die Betreuung dieser Menschen vor allem an<br />

zwei Orten zentriert gewesen: in <strong>der</strong> Familie einerseits,<br />

in pflegenden Institutionen an<strong>der</strong>erseits.<br />

Weil diese Betreuung nicht zufriedenstellend, zu<br />

kostspielig o<strong>der</strong> für die Beteiligten zu belastend<br />

ist, hat die Suche nach neuen Wegen <strong>der</strong> Betreuung<br />

begonnen. Wir schlagen vor, dass künftig<br />

neue Formen <strong>der</strong> Zusammenarbeit gestärkt werden,<br />

in denen verschiedene Akteure mit dem Ziel<br />

<strong>der</strong> Verbesserung <strong>der</strong> Betreuung zusammenwirken<br />

und bezeichnen dieses neue Sozialmodell – im<br />

Anschluss an Debatten in an<strong>der</strong>en Arbeitsfel<strong>der</strong>n<br />

– als Koproduktion. Es ist daran zu erinnern, dass<br />

die Betreuung von Kin<strong>der</strong>n heute schon oft einen<br />

solchen koproduktiven Charakter trägt, wenn<br />

man bedenkt, wie viele Akteure – von <strong>der</strong> Musiklehrerin<br />

über die Eltern bis zur Kin<strong>der</strong>gärtnerin -<br />

an diesem Prozess beteiligt sind.<br />

Koproduktion ist mehr als das Nebeneinan<strong>der</strong> verschiedener<br />

Akteure. Der Vorschlag wird sich <strong>aus</strong>einan<strong>der</strong>setzen<br />

müssen mit den Einwänden „es<br />

geht nicht“ (weil wir ein versäultes Leistungsprinzip<br />

haben, das dafür keine Spielräume lässt) bzw.<br />

„das machen wir schon“ (weil die Zusammenarbeit<br />

verschiedener Kooperateure selbstverständlich<br />

ist). „Koproduktion“ muss deshalb deutlich<br />

machen, dass sie mehr ist als „Kooperation“.<br />

Der Begriff „Koproduktion“ könnte den Eindruck<br />

erwecken, die Betreuung von an Demenz Erkrankten<br />

solle in ein betriebswirtschaftliches Kalkül<br />

überführt werden o<strong>der</strong> es gehe dabei um Organi-<br />

sationsformen, die sich an industrielle Vollzüge<br />

anlehnen. Wir verorten den Begriff aber in zwei<br />

gänzlich an<strong>der</strong>en Kontexten:<br />

Wir verweisen auf die künstlerisch-ästhetische<br />

Ebene und betonen so das innovativ-gestaltende<br />

Element, nicht das ökonomische.<br />

Wir verweisen auf den Ursprung des Begriffs<br />

„Produktion“, in dem das „Schöpferische“ im<br />

Vor<strong>der</strong>grund steht und so die gemeinsame Erfindung,<br />

För<strong>der</strong>ung und Überbietung akzentuiert.<br />

In diesem Sinne ist Koproduktion mehr als Kooperation<br />

und sie setzt fällige Vernetzungen und Integration<br />

vor<strong>aus</strong>.<br />

WER SIND DIE AKTEURE IN DER<br />

KOPRODUKTION?<br />

Wer sind die an diesem Prozess Beteiligten, in dem<br />

neue Formen <strong>der</strong> Betreuung entstehen sollen?<br />

Die Betroffenen, Menschen mit Demenz, sind<br />

zwar Adressaten <strong>der</strong> Betreuung, aber sie sind - soweit<br />

und solange das möglich ist - selbstredend<br />

die wichtigsten Akteure, da ihr Wohlergehen und<br />

ihre Beteiligung im Zentrum stehen.<br />

Die Angehörigen, die heute den bedeutendsten<br />

Pflegeanteil übernehmen, sind eine wichtige<br />

Quelle <strong>der</strong> Betreuung, die aber <strong>der</strong> Entlastung bedarf<br />

– weil die Familie bröckelt, weil die Pflegenden<br />

immer älter werden, weil die Zahl <strong>der</strong> Menschen<br />

mit Demenz zunimmt und weil die räumlichen<br />

Vor<strong>aus</strong>setzungen für häusliche Pflege<br />

häufig fehlen.<br />

Die Professionellen, Mediziner, Pflegepersonal,<br />

Psychologen etc., die im Umgang mit ökonomischen<br />

Zwängen und wachsendem Zeitdruck sich<br />

immer häufiger in <strong>der</strong> Situation sehen, das Gute<br />

19


zu wollen, es aber nicht zustande bringen zu können.<br />

Sie dürften heute deutlicher als früher nach<br />

den Möglichkeiten greifen, die durch Kooperation<br />

und Koproduktion geboten werden und sind<br />

wichtige Motoren für diese Koproduktion. Von ihrer<br />

Bereitschaft, das eigene Territorium zu öffnen,<br />

hängt viel ab. Sie müssen Koproduktion initiieren.<br />

Die Freiwilligen, nach <strong>der</strong>en Mithilfe immer<br />

häufiger gefragt wird, sind eine wichtige Betreuungsquelle,<br />

bei <strong>der</strong> aber noch infrage steht, in<br />

welchem Maße und mit welcher Verlässlichkeit sie<br />

zur Verfügung steht. Angesichts wachsenden Kostendrucks<br />

muss vermieden werden, dass sie kurzerhand<br />

als billige Ressource missbraucht werden.<br />

Sie sollten eher das symbolische Zentrum einer<br />

Koproduktion sein, in <strong>der</strong> sich neue Formen zivilgesellschaftlichen<br />

Aufbruchs manifestieren. Bereits<br />

heute übernehmen Freiwillige in <strong>der</strong> Betreuung<br />

Demenzkranker ca. 15 Prozent <strong>der</strong> Tätigkeiten.<br />

Der Gruppe <strong>der</strong> jungen Alten (50+) wird in<br />

diesem Bereich künftig eine Fülle von Möglichkeiten<br />

zum Engagement erwachsen. Die Mobilisierung<br />

dieser Kräfte ist eine <strong>der</strong> wichtigen Zukunftsaufgaben.<br />

Die Techniker, die vermutlich in Zukunft eine<br />

wachsende Rolle in koproduktiven Strukturen<br />

spielen dürften. Es lässt sich schnell das Szenario<br />

einer hochgradig automatisierten Betreuung<br />

zeichnen (Videoüberwachung, Fernkontrolle medizinischer<br />

Daten und Mel<strong>der</strong>, die Brand- und<br />

Wasserschäden frühzeitig anzeigen). Bis zu einem<br />

gewissen Grad wird man so professionelle Kräfte<br />

überflüssig machen können und damit Kosten<br />

senken, möglicherweise Freiheitsgrade hinzugewinnen.<br />

Die Konkurrenz zwischen perfekter technischer<br />

Betreuung und fragiler, empathischer<br />

menschlicher Betreuung ist im Auge zu behalten,<br />

damit nicht personale Strukturen <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Betreuung<br />

verschwinden.<br />

VORTEILE UND NACHTEILE DES<br />

KONZEPTES<br />

Mit dem Konzept <strong>der</strong> Koproduktion wird einigermaßen<br />

gesichertes Areal verlassen. Was von den<br />

bisherigen Säulen <strong>der</strong> Betreuung von Menschen<br />

mit Demenz – <strong>der</strong> Familie und den Institutionen –<br />

zu erwarten ist und was nicht, kann abgeschätzt<br />

werden. Das hier vorgeschlagene neue Dach ist<br />

gerade am Anfang fragil und genügt möglicherweise<br />

nicht den Sicherheitsbedürfnissen <strong>der</strong> Beteiligten.<br />

Der Aufbruch <strong>aus</strong> traditionellen Formen <strong>der</strong><br />

Betreuung ist aber unabdingbar und es gilt, die<br />

neuen Erfor<strong>der</strong>nisse als Chance zu begreifen.<br />

Der eher kühle Begriff Koproduktion mag gerade<br />

wegen seines irritierenden Charakters zukunftsträchtig<br />

sein. Mit <strong>der</strong> Aufnahme dieses Begriffs ist<br />

<strong>der</strong> Versuch gemacht, ihn <strong>aus</strong> seinen ökonomischindustriellen<br />

Kontexten zu befreien und ihn als<br />

Kraft für den fälligen lokalen und regionalen Aufbruch<br />

zu begreifen. Im Vor<strong>der</strong>grund muss <strong>der</strong> Bezug<br />

zu dem stehen, was Menschen in ihren Kontexten<br />

selber können. Insofern ist <strong>der</strong> Begriff kein<br />

übergeordneter: Zu vitalisieren sind seine<br />

„Dialekte“, also die Frage, was Koproduktion in<br />

unterschiedlichen kulturellen, örtlichen Zusammenhängen<br />

bedeuten kann. Wo die Familie<br />

stark ist, wird Koproduktion ihren Akzent <strong>aus</strong> <strong>der</strong><br />

Familie erhalten, wo das Ehrenamt profiliert ist,<br />

wird die Koproduktion von Freiwilligkeitselementen<br />

durchdrungen sein.<br />

Der Begriff <strong>der</strong> Koproduktion kann so gesehen<br />

auch zum speziellen Ausdruck einer demokratischen,<br />

zivilgesellschaftlich gesicherten Kultur des<br />

Pflegens werden: Koproduktion zielt auf Balancen<br />

statt auf Ganzheitlichkeit und erhöht damit die<br />

Freiheitsgrade <strong>der</strong> Betroffenen.<br />

UMSETZUNG<br />

VON KOPRODUKTION<br />

Koproduktion ist ein Konzept für den Nahbereich.<br />

Aber es hat Konsequenzen auf allen Ebenen:<br />

staatliche Rahmenbedingungen müssen koproduktive<br />

Strukturen ermöglichen und för<strong>der</strong>n, auf<br />

<strong>der</strong> kommunalen Ebene bedarf es deutlicher Stützung,<br />

die aber durch Entlastungen belohnt würden.<br />

Die Durchsetzung von Koproduktion dürfte<br />

von diesen Bedingungen abhängig sein:<br />

Der Druck, <strong>der</strong> durch das wachsende Demenzproblem<br />

entsteht, för<strong>der</strong>t die Suche nach neuen<br />

Modellen.<br />

Das gleichzeitige Verschwinden gewohnter<br />

Modelle staatlicher Daseinsfürsorge unterstützt<br />

diese Suche.<br />

Wenn im Umfeld <strong>der</strong> Demenzproblematik <strong>der</strong><br />

Aufbruch <strong>aus</strong> Versorgungsmentalitäten zugunsten<br />

neuer Formen zivilgesellschaftlichen Engagements<br />

stattfindet, kann diese neue politische Kultur zum<br />

Leitbild auch in <strong>der</strong> Versorgung von Menschen mit<br />

Demenz werden.<br />

Es ist zu erwarten, dass die Interessen <strong>der</strong> Budgetverwaltung<br />

bisweilen quer zur Konzeption <strong>der</strong><br />

Kooperation stehen. Es wird darauf ankommen,<br />

den möglichen Wi<strong>der</strong>stand <strong>aus</strong> diesem Bereich<br />

kreativ umzulenken und als Quelle für Synergieeffekte<br />

zu nutzen.<br />

Auch <strong>aus</strong> professionellen Milieus sind Wi<strong>der</strong>stände<br />

zu erwarten. Den Professionellen ist zu vermitteln,<br />

dass ihr berufliches Selbstverständnis<br />

künftig weniger auf <strong>der</strong> Abhängigkeit ihrer Klientel<br />

fußen sollte als vielmehr auf ihrem Beitrag, die<br />

gesellschaftliche Teilhabe <strong>der</strong> Menschen mit Demenz<br />

zu ermöglichen.<br />

Scham und Schuldgefühle sowie <strong>der</strong> Wunsch,<br />

die Aufgabe <strong>der</strong> Betreuung von Menschen mit Demenz<br />

allein zu bewältigen, können Angehörige<br />

vor Konzepten des gemeinsamen Betreuens zurückschrecken<br />

lassen.<br />

LITERATUR<br />

Bosch, Corry F.M.: Vertrautheit. Studien zur<br />

Lebenswelt dementieren<strong>der</strong> alter Menschen.<br />

Wiesbaden 1998<br />

Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm<br />

Grimm, Band 1, Leipzig 1854 s. v. Betreuung<br />

Feyerabend, Erika: „Prekarität des ‚nackten’<br />

Lebens“ In: Fantômas 6, 2005<br />

Historisches Wörterbuch <strong>der</strong> Philosophie, Band 7,<br />

1989 s.v. Produktion<br />

Lévinas, Emmanuel, zitiert bei Robert Spaemann:<br />

„Sind alle Menschen Personen? Über neue<br />

philosophische Rechfertigungen <strong>der</strong> Lebensvernichtung“<br />

In: Stössel, Jürgen-Peter (Hg.):<br />

Tüchtig o<strong>der</strong> tot. Die Entsorgung des Leidens.<br />

Freiburg 1991. S. 133<br />

Pleschberger, Sabine: „Bloß nicht zur Last<br />

fallen!“ Leben und Sterben in Würde <strong>aus</strong> <strong>der</strong><br />

Sicht alter Menschen in Pflegeheimen.<br />

Dissertation, Gießen 2004<br />

Wissmann, Peter: „Wir müssen Brücken zu ihnen<br />

bauen“ In: Freitag, 16. Januar 2004, S. 18<br />

Wörterbuch des Unmenschen,<br />

Artikel „Betreuen“. München 1970, S. 19 – 23<br />

20 21


BEZIEHUNGSKOSMOS<br />

UND GENERATIONENPROJEKT<br />

2.2. BELA III –<br />

BEZIEHUNGSKOSMOS<br />

UND GENERATIONENPROJEKT:<br />

POTENTIALE IN EINER<br />

WIDERSPRÜNGLICHEN<br />

GEGENWART<br />

Prof. em. Dr.Kurt Lüscher<br />

(Universität Konstanz)<br />

Stark gekürztes und überarbeitetes Referat, gehalten<br />

auf <strong>der</strong> Auftaktveranstaltung des BELA III-<br />

Netzwerks, Fellbach 15.06.<strong>2009</strong><br />

BELA III als Netzwerk verschiedener Pflegeeinrichtungen<br />

und <strong>der</strong> darin ehrenamtlich engagierten<br />

Bürgerinnen und Bürger wirkt sich auf die Lebensqualität<br />

<strong>der</strong> Bewohnerinnen und Bewohner <strong>aus</strong>,<br />

die in ihren sozialen Beziehungen positiv gestärkt<br />

werden. Kurt Lüscher beleuchtet die verschiedenen<br />

Aspekte des freiwilligen Engagements und<br />

<strong>der</strong> Beziehungen gerade vor dem Hintergrund einer<br />

generationenübergreifenden Arbeit.<br />

Ausgangspunkt dieser Überlegungen sollen die<br />

ersten Sätze des Grundsatztextes von BELA III sein:<br />

„Lebensqualität und Bürgerengagement in<br />

Pflegeeinrichtungen gehören zusammen. Generationenübergreifende<br />

Solidarität in <strong>der</strong><br />

Gesellschaft lebt, wenn Pflegeeinrichtungen<br />

sich öffnen, Bürgerinnen und Bürger sich engagieren<br />

und die Zusammenarbeit gelingt.“<br />

Man sollte sich BELA III als einen „Kosmos sozialer<br />

Beziehungen“ vorstellen. Diese Beziehungen haben<br />

einen Fokus, den man zunächst mit dem geläufigen<br />

Begriff <strong>der</strong> Pflege umschreiben könnte.<br />

Um die Ziele von BELA zu erreichen, muss somit<br />

Beziehungsarbeit geleistet werden. Sachkundige<br />

und engagierte Beziehungsarbeit kann Lebensqualität<br />

schaffen. Diese Lebensqualität ist maßgeblich<br />

für die Persönlichkeitsentwicklung aller<br />

Beteiligten: <strong>der</strong> älteren Menschen, des Fachpersonals,<br />

<strong>der</strong> Freiwilligen und <strong>der</strong> Angehörigen.<br />

Doch: was sind eigentlich soziale Beziehungen?<br />

Worin liegt das Beson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Pflegebeziehungen<br />

und welche Gestalt nehmen sie an, wenn sich<br />

Fachleute, Freiwillige und Angehörige damit befassen?<br />

Und welche Aufgaben stellen sich dabei für<br />

die Beziehungen dieser Personengruppen untereinan<strong>der</strong>?<br />

Welches Gepräge ergibt sich <strong>aus</strong> dem<br />

Umstand, dass es sich meistens auch um Generationenbeziehungen<br />

handelt?<br />

Beim Thema Generationenbeziehungen läuft man<br />

Gefahr, zu idealisieren und das, was sein soll mit<br />

dem zu vermengen, was ist. Dies geschieht in <strong>der</strong><br />

Generationenforschung und auch in programmatischen<br />

Diskussion nur allzu oft: vor allem im Blick<br />

auf Familie und Verwandtschaft wird häufig ein<br />

heiles Bild <strong>der</strong> Solidarität <strong>der</strong> Generationen entworfen.<br />

Doch diese versteht sich nicht von selbst,<br />

son<strong>der</strong>n verlangt engagierte und sachkundige Arbeit<br />

– eben Beziehungsarbeit. Dabei gilt es, sich die<br />

Spannungsfel<strong>der</strong>, die in den Beziehungen zwischen<br />

zwei Menschen, zwischen Alt und Jung,<br />

zwischen Eltern und Kin<strong>der</strong>n vorkommen können,<br />

offen einzugestehen und sich in kreativer Weise<br />

damit <strong>aus</strong>einan<strong>der</strong>zusetzen. Nur so ergibt sich die<br />

Chance, neue Wege zu erkennen und neue Formen<br />

<strong>der</strong> Gemeinschaftlichkeit zu erproben.<br />

SOZIALE BEZIEHUNGEN:<br />

SPANNUNGSFELDER ZWISCHEN<br />

INDIVIDUUM UND GEMEIN-<br />

SCHAFT, SUBJEKT UND<br />

SOZIALITÄT<br />

Geht man von dem <strong>aus</strong>, was man für „selbstverständlich“<br />

hält, so muss zunächst die Definition sozialer<br />

Beziehungen geklärt werden. Eine mögliche<br />

Antwort könnte lauten: Soziale Beziehungen sind,<br />

wenn sich zwei o<strong>der</strong> mehrere Menschen mehrfach<br />

in einem sozialen „Rahmen“ begegnen, also sich<br />

an vor<strong>aus</strong>gehenden Begegnungen (Interaktionen)<br />

orientieren. Dieser „Rahmen“ o<strong>der</strong> soziale Kontext<br />

kann bereits bestehen als Familie, als Heim, als<br />

Schule, als Verein. Er kann allerdings auch von den<br />

Beteiligten geschaffen werden.<br />

Soziale Beziehungen stehen somit in einem Spannungsfeld<br />

zwischen dem Individuum und <strong>der</strong> Gemeinschaft,<br />

zwischen Subjekt und Sozialität.<br />

Dementsprechend lassen sich soziale Beziehungen<br />

als Nährboden <strong>der</strong> Entfaltung zu einer eigenständigen<br />

und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit<br />

(eines „Selbst“) verstehen.<br />

Diese Vorstellungen legen zugleich nahe anzunehmen,<br />

dass die Gestaltung sozialer Beziehungen<br />

und <strong>der</strong> Entfaltung <strong>der</strong> Persönlichkeit mannigfache<br />

Erfahrungen eines Hin und Her (des Oszillierens)<br />

zwischen polaren Gegensätzen mit sich bringen<br />

kann. Dafür gibt es unterschiedliche Umschreibungen,<br />

bspw. Eigenständigkeit vs. Abhängigkeit,<br />

Vertrautheit vs. Fremdheit, Nähe vs. Distanz, Liebe<br />

vs. Hass. Hier bietet sich <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Ambivalenz<br />

an. 1<br />

Das Spannungsfeld zwischen Individuum und Gesellschaftlichkeit<br />

hat Georg Simmel auf originelle<br />

Weise in <strong>der</strong> 1908 erstmals erschienenen „Soziologie“<br />

unter <strong>der</strong> grundsätzlichen Frage „Wie ist Gesellschaft<br />

möglich“ abgehandelt. Er argumentiert<br />

sinngemäß wie folgt: Wir erfahren den an<strong>der</strong>en als<br />

Zugehörigen eines Standes, einer Gemeinschaft,<br />

als ein Allgemeines und werden so seiner Subjektivität<br />

nie völlig gerecht. Wir können ihn aber auch<br />

nicht als reines Subjekt, losgelöst von seinen sozialen<br />

Zugehörigkeiten, wahrnehmen. Ein beson<strong>der</strong>s<br />

weitreichendes Beispiel dafür ist das gegenseitige<br />

Verhältnis von Frauen und Männern.<br />

In <strong>der</strong> neueren Handlungstheorie wird die Spannung<br />

und die damit einhergehende Ungewissheit,<br />

die zugleich eine Offenheit ist, als doppelte Kontingenz<br />

umschrieben: die Erfahrungen, die <strong>der</strong> eine<br />

macht, werden zum Bezugspunkt <strong>der</strong> Erfahrungen<br />

des an<strong>der</strong>en und dieses Wechselspiel kann sowohl<br />

bedacht als auch gestaltet werden, indem <strong>der</strong> eine<br />

22 23


in Vorwegnahme <strong>der</strong> Erwartungen des an<strong>der</strong>en<br />

handelt, sich aber dessen nicht völlig gewiss sein<br />

kann. Damit wird gedanklich Raum für das Unbestimmte<br />

und den Zufall geschaffen. Das beinhaltet<br />

aber auch, dass soziale Beziehungen offen sein<br />

können.<br />

SOZIALE BEZIEHUNGEN UND DAS<br />

SELBST: DIE „SICH SELBST<br />

ERFÜLLENDE PROPHEZEIUNG“<br />

Die polaren Gegensätze, die das Spannungsfeld<br />

von Subjektivität und Sozietät (Gemeinschaftlichkeit,<br />

Gesellschaftlichkeit) <strong>aus</strong>machen, umschreiben<br />

wir je nach Umständen, je nach Aufgabe, je<br />

nach Tätigkeiten, auf unterschiedliche Weise. Sie<br />

sind vor allem auch erkennbar in <strong>der</strong> zwischenmenschlichen<br />

Kommunikation. In <strong>der</strong> praktischen<br />

Arbeit in Heimen ist die Einsicht, dass <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Mensch immer auch verallgemeinert wahrgenommen<br />

wird, unter <strong>der</strong> allgemeinen Erkenntnis<br />

<strong>der</strong> „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“ und<br />

hier im Hinblick auf die Begegnung von Alt und<br />

Jung bekannt. Wenn ältere Menschen in ihrem<br />

Abhängigkeitsverhalten bestärkt werden und Zeichen<br />

<strong>der</strong> Unabhängigkeit negiert werden, führt<br />

dies zu einer Verstärkung <strong>der</strong> Abhängigkeit.<br />

Beispielhaft und bedenkenswert sind in diesem<br />

Zusammenhang gewisse Muster jüngerer Menschen<br />

in ihren Gesprächen mit älteren Menschen.<br />

So kommt es dabei zu (oft durch<strong>aus</strong> gut gemeinten)<br />

Überanpassungen: Wird vermin<strong>der</strong>te Hörfähigkeit<br />

vermutet, dann wird laut gesprochen.<br />

Wird vermutet, die Denkfähigkeit sei eingeschränkt,<br />

werden die Gesprächsinhalte von vornherein<br />

beschränkt. Eine weitere, häufig angewendete<br />

Strategie in Gesprächen zwischen Alt und<br />

Jung besteht darin, dass zügig das eigene Alter<br />

offengelegt wird, etwa zur Legitimation, zur Abgrenzung,<br />

zum Beweis von Lebenserfahrung o<strong>der</strong><br />

zur Kompensation pflegerischer Abhängigkeit.<br />

Diese sich selbst erfüllende Prophezeiung in sozi-<br />

alen Beziehungen lässt sich in einem Bild subsumieren,<br />

das sich insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> Sozialpsychologie<br />

und Soziologie seit Beginn des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

großer Beliebtheit erfreut, bekannt als<br />

Spiegelmetapher: Wer ich bin, spiegeln mir die<br />

an<strong>der</strong>en; ich sehe mich im Spiegel <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en.<br />

Daran ist Wahres, doch es legt auch eine zu starke<br />

Betonung <strong>der</strong> Sozialität in diesem Wechselspiel<br />

nahe.<br />

DIE BEZIEHUNGSDYNAMIK<br />

DER ÜBERTRAGUNG<br />

Ein weiteres, differenziertes Modell <strong>der</strong> Dynamik<br />

sozialer Beziehungen entstammt <strong>der</strong> Psychoanalyse,<br />

die Theorie <strong>der</strong> Übertragung. Es gibt dazu differenzierte<br />

und unterschiedliche Darstellungen. Im<br />

Grundsatz geht es bekanntlich um das Folgende:<br />

in <strong>der</strong> intensiven Beziehungsdynamik, die sich<br />

innerhalb einer Therapie aufbaut, projiziert <strong>der</strong> Patient<br />

auf den Therapeuten Erfahrungen, die er mit<br />

an<strong>der</strong>en Menschen gemacht hat. Er schreibt also<br />

dem Therapeuten eine an<strong>der</strong>e Identität zu. Später<br />

ist diese Vorstellung durch jene <strong>der</strong> Gegenübertragung<br />

ergänzt worden, womit Projektionen des<br />

Therapeuten auf den Patienten gemeint sind. Diese<br />

Dynamik geht mit Erfahrungen <strong>der</strong> Unsicherheit,<br />

des Oszillierens, allerdings auch des Neuen<br />

einher. Hier zeigt sich, dass die Erfahrung von Ambivalenzen<br />

2 auch positive, soziale bzw. kreative<br />

Folgen haben kann.<br />

Davon kann man sich anregen lassen, denn bestehen<br />

nicht auch Parallelen zwischen <strong>der</strong> Enge und<br />

Intimität von Pflegebeziehungen und jener <strong>der</strong><br />

Psychotherapie? Mit <strong>der</strong> gebotenen Vorsicht wird<br />

man sagen dürfen: Phänomene <strong>der</strong> Übertragung<br />

sind auch in <strong>der</strong> Pflegearbeit mit alten Menschen<br />

zu beobachten. Der Übertragung verwandt ist ein<br />

weiteres Phänomen, das insbeson<strong>der</strong>e bei Generationenbeziehungen<br />

diagnostiziert worden ist:<br />

die Delegation. Sie besteht darin, dass Eltern ihre<br />

Kin<strong>der</strong> dahin gehend zu beeinflussen versuchen,<br />

konkrete Aufgaben und Aufträge zu erfüllen, die<br />

sie selbst während ihres Lebens nicht o<strong>der</strong> nicht<br />

<strong>aus</strong>reichend zu erledigen vermochten.<br />

Eine weitere wichtige Erkenntnis <strong>der</strong> Psychoanalyse<br />

besagt, dass frühe Schädigungen <strong>der</strong> körperlichen<br />

und psychischen Integrität - als Traumata -<br />

über lange Zeit nachwirken können. Es ist bspw.<br />

anzunehmen, dass in den BELA III-Einrichtungen<br />

Menschen leben, die ihre Kindheit und Jugend im<br />

Krieg erlebt und traumatische Erfahrungen gemacht<br />

haben. Solche neuen Einsichten können<br />

möglicherweise dazu beitragen, diese Menschen<br />

und ihre psychischen Anfälligkeiten besser zu verstehen.<br />

Jedenfalls bestätigt sich hier, wie wichtig<br />

die in unterschiedlichen Formen praktizierte Biografiearbeit<br />

ist. Ein differenziertes Verständnis <strong>der</strong><br />

Dynamik sozialer Beziehungen im Lebenslauf<br />

kann dabei hilfreich sein, um in den Schil<strong>der</strong>ungen<br />

Hinweise auf die persönliche Befindlichkeit zu gewinnen.<br />

Die können dann im persönlichen Gespräch<br />

vertieft werden.<br />

Schließlich ist das Selbst (die persönliche Identität)<br />

auch eine Eigenleistung. Sie drückt sich in dem<br />

Anteil <strong>aus</strong>, den das Subjekt selbst an <strong>der</strong> Interpretation<br />

und <strong>der</strong> Gestaltung sozialer Beziehungen<br />

hat. Bedeutsam ist überdies die Besinnung auf<br />

sich selbst, also die Reflexion seiner selbst im Verhältnis<br />

zu den an<strong>der</strong>en.<br />

Wir wissen allerdings auch alle, dass es alte Menschen<br />

gibt, welche die Fähigkeit weitgehend verloren<br />

haben, sich zu erinnern, sich zurechtzufinden<br />

und über sich selbst nachzudenken. Diese Situation<br />

ist insbeson<strong>der</strong>e für die Angehörigen<br />

schwer zu ertragen. Die amerikanische Familientherapeutin<br />

Pauline Boss spricht in diesem Zusammenhang<br />

von einem „ambiguous loss“, einem<br />

uneindeutigen Verlust. Der Mitmensch ist<br />

zwar physisch präsent, jedoch psychisch abwesend.<br />

Der Umgang mit dieser Uneindeutigkeit<br />

geht in beiden Fällen mit erheblichen psychischen<br />

Belastungen einher. Hier zeigt sich, wie wichtig<br />

Selbsthilfegruppen als Ergänzung zur Arbeit in<br />

den Heimen sein können.<br />

PFLEGE – CARING<br />

Soziale Beziehungen konkretisieren sich auch im alltäglichen<br />

Tun, also in <strong>der</strong> Pflege. Auch hier ist eine<br />

Definition notwendig, wobei dabei das Englische<br />

„to care“ und „caring" weiterhilft. Das heißt, es<br />

geht einerseits gewiss darum, die elementaren Bedürfnisse<br />

des an<strong>der</strong>en zu befriedigen, aber auch<br />

darum, sich um ihn zu kümmern, sich um ihn zu<br />

sorgen. Es gibt ein „taking care for“, ein „caring<br />

of“ und ein „caring about“. Auch ist es – als<br />

„caring“ – ein stetes Tun, eine Haltung und nicht<br />

nur eine einzelne Handlung.<br />

Diese ganzheitliche Sicht ist insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong><br />

feministischen Literatur entfaltet worden und über<br />

diese allmählich in die Ökonomie eingedrungen.<br />

Auf diese Weise wurde nicht nur die Arbeitsteilung<br />

zwischen den Geschlechtern kritisiert, son<strong>der</strong>n<br />

auch die strikte Abgrenzung <strong>der</strong> Sphären des<br />

Privaten und des Öffentlichen. Das ist für die politische<br />

Würdigung eines Projekts wie BELA III von<br />

großer Tragweite. Denn <strong>der</strong> Einbezug von Freiwilligen<br />

im Rahmen eines umfassenden Verständnisses<br />

von Pflege überwindet in gewisser Weise diese<br />

Grenzziehung.<br />

In <strong>der</strong> Pflege überschneiden sich mehrere Bereiche:<br />

die Gewährleistung unmittelbarer Lebensbedürfnisse,<br />

sozusagen die Lebens- bzw. Existenzsicherung,<br />

die Zuwendung als Gewährleistung eines<br />

sozialen Eingebettetseins und schließlich ein<br />

Lernen im Sinne einer Bekräftigung bereits erworbener<br />

sowie des Erwerbs neuer Fertigkeiten und<br />

Fähigkeiten. Weitergedacht und auf BELA III übertragen<br />

ergibt sich dar<strong>aus</strong> die These, dass es sich<br />

dabei nicht allein um ein Projekt <strong>der</strong> Alten- und<br />

<strong>der</strong> Gesundheitspolitik, son<strong>der</strong>n auch um ein solches<br />

<strong>der</strong> Bildungspolitik handelt.<br />

Verstanden als „Sozialisation“ erweist sich<br />

„caring“ für die Persönlichkeitsentwicklung aller<br />

24 25


Beteiligten als bedeutsam. Welches sind also unter<br />

beziehungstheoretischen Gesichtspunkten - über<br />

die konkreten Handreichungen und Tätigkeiten<br />

hinweg – wichtige Anfor<strong>der</strong>ungen, die an Fachpersonal<br />

und Freiwillige, „caregiver“, unter dem<br />

Gesichtspunkt ihrer eigenen Persönlichkeitsentfaltung<br />

gestellt werden?<br />

Eine Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung für das Fachpersonal sind<br />

die Spannungsfel<strong>der</strong>, die sich als solche zwischen<br />

Empathie und Sachlichkeit, Zuwendung und Abstand<br />

sowie Nähe und Distanz kennzeichnen lassen.<br />

Dazu bedarf es einer Professionalität, gerade<br />

im Umgang mit körperlichen Spannungsfel<strong>der</strong>n<br />

wie Intimität. Bereits in den 1960er Jahren hat <strong>der</strong><br />

amerikanische Soziologe Merton den Umgang mit<br />

Ambivalenzen als ein Kernstück von Professionalität<br />

in den medizinischen Berufen gekennzeichnet.<br />

Ambivalenzerfahrungen entstehen etwa bei<br />

Pflegehandlungen, die erhebliche physische o<strong>der</strong><br />

psychische Belastungen erfor<strong>der</strong>n (z.B. schmerzhaft<br />

sind), in Grenzbereichen ethischen Handelns<br />

(Fixierung am Bett, Sterbehilfe) o<strong>der</strong> generell bei<br />

<strong>der</strong> Anwendung von Zwang.<br />

Wie kann professionell damit umgegangen werden?<br />

Ein erster Schritt besteht darin, sich selbst diese<br />

Zwiespältigkeiten einzugestehen. Darin schließt<br />

sich als zweiter Schritt an, dass sie im Kreis von Kolleginnen<br />

und Kollegen zur Sprache gebracht werden,<br />

auch und gerade, wenn es um heikle Fragen<br />

geht. Oft geschieht dies in informeller Weise. Ein bevorzugter,<br />

weil geschützter Ort ist bisweilen das<br />

Personalzimmer, denn es stellt sozusagen die Hinterbühne<br />

des pflegerischen Arbeitens dar. Der dritte<br />

Schritt besteht darin, in <strong>der</strong> Aus- und Weiterbildung<br />

zu versuchen, typischen Formen des Umgangs mit<br />

Ambivalenzen her<strong>aus</strong>zuarbeiten. 3 Doch die Typisierung,<br />

so hilfreich sie ist, hat ihre Grenzen, weil eben<br />

die Subjektivität sowohl des „caretakers“ als auch<br />

des „caregivers“ mit im Spiel ist. So bleibt als viertes<br />

<strong>der</strong> Erfahrungs<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch in <strong>der</strong> Supervision als ein<br />

wichtiges Mittel.<br />

DIE ROLLE DER FREIWILLIGEN<br />

Soweit <strong>der</strong> Blick auf die Fachleute, doch welchen<br />

Stellenwert haben diese Probleme für die Freiwilligen?<br />

Wie gehen sie bspw. mit den Informationen<br />

um, die üblicherweise als vertraulich, als Teil des<br />

Berufsgeheimnisses angesehen werden?<br />

Zunächst spricht einiges für die Vermutung, dass<br />

diese Ambivalenzen von Freiwilligen weniger intensiv<br />

wahrgenommen werden. Ihr Einsatz ist weniger<br />

intensiv, die Beziehungen sind weniger eng,<br />

oft tangieren sie den Bereich des Intimen weniger.<br />

Man kann auch vermuten, dass Freiwillige ihre Arbeit<br />

in erster Linie <strong>aus</strong> einer Haltung von Zuwendung,<br />

also Empathie, gestalten. Es scheint sogar<br />

pl<strong>aus</strong>ibel, dass sie darin oftmals ein Gegengewicht<br />

o<strong>der</strong> eine Ergänzung zur professionellen Tätigkeit<br />

bilden. Das ist ein starkes Argument für ihren Einsatz.<br />

Dennoch sollte man die latenten Spannungen<br />

nicht übersehen, die einerseits in den Beziehungen<br />

<strong>der</strong> Freiwilligen zu den zu pflegenden<br />

Menschen, an<strong>der</strong>seits in jenen zum Fachpersonal<br />

bestehen und unverhofft aufbrechen können.<br />

An diesem Punkt setzt eine tragende Idee von<br />

BELA III an: die Bildung von Tandems. Nicht nur<br />

sind sie <strong>der</strong> Zusammenarbeit an sich för<strong>der</strong>lich,<br />

son<strong>der</strong>n sie stellen eine Mischform zwischen<br />

Supervision und „Mentoring“ dar. Dabei können<br />

die beiden Mitglie<strong>der</strong> eines Teams abwechselnd<br />

sowohl Gebende als auch Nehmende sein.<br />

BELA III kann so als Kosmos sozialer Beziehungen<br />

gelten. Dazu gehören auch jene, in denen die Angehörigen<br />

involviert sind. Dass auch diese Beziehungen<br />

für die Altenarbeit wichtig sind, ist allgemein<br />

bekannt. Angesichts <strong>der</strong> dualen Struktur von<br />

BELA III ist die Rolle <strong>der</strong> Angehörigen möglicherweise<br />

von jener in an<strong>der</strong>en Projekten <strong>der</strong> Altenarbeit<br />

verschieden.<br />

GENERATIONENBEZIEHUNGEN 4<br />

Viele <strong>der</strong> sozialen Beziehungen in BELA III sind<br />

selbstverständlich auch Generationenbeziehungen.<br />

Doch <strong>der</strong> Begriff Generationen ist doppeldeutig,<br />

nein: mehrdeutig.<br />

Doppeldeutig zunächst: von Generationen ist im<br />

Sinne des Gegenübers von Alt und Jung die Rede,<br />

vorab in <strong>der</strong> Gesellschaft. Dabei steht in <strong>der</strong> Regel<br />

die Differenz im Vor<strong>der</strong>grund. Von Generationen<br />

ist jedoch auch die Rede, wenn die Abfolge von<br />

Großeltern-Eltern-Kin<strong>der</strong>n gemeint ist, also im<br />

Kontext von Familie und Verwandtschaft. Hier<br />

denkt man zunächst an Verbundenheit (Gemeinsamkeit).<br />

Die aktuelle Generationenrhetorik untermauert<br />

häufig diese Unterscheidung im Sinne eines<br />

Gegensatzes, den man mit einer leichten Übertreibung<br />

so charakterisieren kann: hier die guten, intakten<br />

Generationenbeziehungen in <strong>der</strong> Familie,<br />

dort die schlechten, jedenfalls die gefährdeten<br />

Generationenbeziehungen in <strong>der</strong> Gesellschaft.<br />

Bezug genommen wird dabei zum einen auf mögliche<br />

Konflikte hinsichtlich <strong>der</strong> Verteilung öffentlicher<br />

Ressourcen, auf Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />

über die Zukunft <strong>der</strong> Rentenversicherung, auf<br />

Beschwörungen eines Kriegs <strong>der</strong> Generationen.<br />

Zum an<strong>der</strong>en auf mehr o<strong>der</strong> weniger repräsentative<br />

Untersuchungen, die angeblich eine große<br />

Solidarität unter Familiengenerationen belegen.<br />

Übersehen wird dabei, dass sie in <strong>der</strong> Regel lediglich<br />

Hilfeleistungen zwischen einem Drittel o<strong>der</strong><br />

höchstens <strong>der</strong> Hälfte <strong>der</strong> Studienteilnehmer dokumentieren<br />

und somit große Teile <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

außer Acht lassen.<br />

Auch in <strong>der</strong> Familie gibt es manifeste o<strong>der</strong> latente<br />

Konflikte und in <strong>der</strong> Gesellschaft gibt es Solidarität.<br />

Den Grund kann man auch in einer etwas<br />

abstrakteren Weise umschreiben: wenn von Generationen<br />

– in <strong>der</strong> Familie und in <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

– die Rede ist, geht es immer um beides, um Verschiedenheit<br />

und Gemeinsamkeit, um Verbunden-<br />

heit und Eigenständigkeit. Und es geht darum,<br />

wie sich die Menschen als Einzelne und als Gruppe<br />

in diesen Spannungsfel<strong>der</strong>n positionieren, wie<br />

sie in den Spannungsfel<strong>der</strong>n gelebter Generationenbeziehungen<br />

ihre – individuelle o<strong>der</strong> kollektive<br />

– Identität finden. Die Polarität, die soziale Beziehungen<br />

als Spannungsfel<strong>der</strong> von Subjekt und Sozialität<br />

kennzeichnet, findet sich in den Generationenbeziehungen<br />

wie<strong>der</strong>. Weil Generationenbeziehungen<br />

in vielen Lebensbereichen von Belang<br />

sind, können sie die Erfahrung dieser Spannungsfel<strong>der</strong><br />

beeinflussen.<br />

Auch die Beziehungen zwischen zu pflegenden<br />

Menschen und Pflegepersonal sind in <strong>der</strong> Regel<br />

Beziehungen zwischen Alt und Jung. Mit einer gewissen<br />

Abweichung gilt dies auch hinsichtlich <strong>der</strong><br />

Beziehungen zwischen zu Pflegenden und Freiwilligen.<br />

Allerdings liegt es nahe, dann zwischen jungen<br />

Alten und alten Alten zu unterscheiden und<br />

die Grenzen sind fließend. Doch auch dies, die Abgrenzung,<br />

gehört zur Erfahrung von Generationenzugehörigkeiten.<br />

Indes: von Generationen ist noch in einem weiteren<br />

Sinne die Rede, nämlich als historisch-zeitgeschichtliche<br />

Generationen. Das ist dann <strong>der</strong> Fall,<br />

wenn – was für Menschen in den BELA III-Einrichtungen<br />

durch<strong>aus</strong> noch zutreffen dürfte, diese als<br />

<strong>der</strong> Flakhelfer-Generation zugehörig gelten. O<strong>der</strong><br />

eben als jener Generation <strong>der</strong> Kriegskin<strong>der</strong>, die<br />

ohne Väter dafür in engster Verbundenheit mit einer<br />

sich aufopfernden Mutter aufgewachsen ist.<br />

In den BELA III-Einrichtungen gibt es vermutlich<br />

auch einige, die sich als 68er-Generation verstehen,<br />

unter den Pflegenden vielleicht o<strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

Verwaltung. Und schließlich gibt es wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e,<br />

die als sogenannte Baby-Boomer die Erfahrung<br />

gemacht haben, stets zu viele zu sein und befürchten,<br />

dass dies jetzt auch im Alter noch so sein<br />

wird. Noch an<strong>der</strong>e fühlen sich möglicherweise angesprochen,<br />

wenn man sie als Angehörige <strong>der</strong><br />

Internet-Generation bezeichnet, die geprägt ist<br />

26 27


von <strong>der</strong> allgegenwärtigen Verfügbarkeit elektronischer<br />

Kommunikation.<br />

Die unterschiedlichen Generationenzugehörigkeiten<br />

hängen miteinan<strong>der</strong> zusammen, sind miteinan<strong>der</strong><br />

verflochten, können sich überlagern und<br />

gegenseitig reiben. Heutige Eltern sind an<strong>der</strong>e Eltern<br />

als jene <strong>der</strong> 68er-Generation. So ist die Generationenperspektive<br />

geeignet, um eine größere<br />

Lebensnähe zu erreichen: Menschen können sich<br />

immer auch verstehen und können immer auch<br />

handeln als Alt o<strong>der</strong> Jung, als Tochter o<strong>der</strong> Mutter,<br />

als Zugehörige einer historischen Generation.<br />

Je nach Umständen werden die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Generationenzugehörigkeit und die sich dabei ergebenden<br />

Beziehungserfahrungen hervorgehoben.<br />

Sozusagen jede Fernseh-Diskusssion bietet<br />

dazu Anschauungsmaterial. Dabei werden die eigenen<br />

Generationenerfahrungen zur Rechtfertigung<br />

des eigenen Standpunkts herangezogen.<br />

Denn Generationenzugehörigkeiten sind ein Teil<br />

<strong>der</strong> Zuschreibung persönlicher Identität, ein Teil<br />

des Verständnisses seiner selbst. Ob und in welcher<br />

Weise dieser Teil <strong>der</strong> Persönlichkeit aktiviert<br />

wird, hängt von den näheren Umständen ab.<br />

Über die Generationenperspektive ergibt sich solchermaßen<br />

eine Verknüpfung zwischen dem „Beziehungskosmos“<br />

BELA III und <strong>der</strong> Dynamik postmo<strong>der</strong>ner<br />

gesellschaftlicher Entwicklung. Es ist<br />

dies eine Zeit <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>sprüche: die Vorherrschaft<br />

<strong>der</strong> Idee des Fortschritts ist gebrochen. Demgegenüber<br />

wird stets betont, dass sich Kräfte einan<strong>der</strong><br />

gegenüberstehen, sich überlagern, Spannungsfel<strong>der</strong><br />

bilden. Nicht von ungefähr ist auch in<br />

soziologischen Analysen von einer „ambivalenten<br />

Gesellschaftlichkeit“ die Rede. Die Allgegenwart<br />

<strong>der</strong> Medien erhöht nicht nur die Gegensätze, son<strong>der</strong>n<br />

vermehrt sie, indem die Menschen darüber<br />

Bescheid wissen.<br />

Diese Spannungen lassen sich in wenigen Stichworten<br />

beispielhaft umschreiben:<br />

einerseits eine Rationalisierung in vielen Lebensbereichen,<br />

an<strong>der</strong>erseits eine Emotionalisierung<br />

sozialer Beziehungen<br />

einerseits eine <strong>aus</strong>geprägte Individualisierung,<br />

an<strong>der</strong>seits eine Zuwendung zu fundamentalistischen<br />

Weltanschauungen<br />

parallel zur Zunahme von Wohlstand nimmt<br />

auch die Armut zu<br />

die allgemeine Verbreitung und Zugänglichkeit<br />

globaler Informationen verbindet sich mit einem<br />

großen Interesse an personenbezogenen, intimen<br />

„Erzählungen“<br />

Technologien sind allgegenwärtig und gleichzeitig<br />

besteht ein intensives Interesse an Körperlichkeit<br />

und „Natürlichkeit“.<br />

Durchgängig zu berücksichtigen ist überdies, dass<br />

sich das Verhältnis <strong>der</strong> Altersgruppen als Folge <strong>der</strong><br />

erhöhten durchschnittlichen Lebenserwartung,<br />

des Rückgangs <strong>der</strong> Geburten und den Wan<strong>der</strong>ungsbewegungen<br />

verän<strong>der</strong>t und sich gleichzeitig<br />

die gemeinsame Lebensspanne zwischen drei und<br />

sogar vier Generationen in Verwandtschaft und<br />

Gesellschaft erweitert.<br />

Die neuen Formen <strong>der</strong> Kommunikation beeinflussen<br />

die sozialen Beziehungen und insbeson<strong>der</strong>e<br />

auch die Generationenbeziehungen. Sie tragen<br />

zur Verbreitung des Wissens um spezifische Lebensformen<br />

und Verhaltensweisen bei. Sie ermöglichen<br />

dichte Formen <strong>der</strong> Werbung, die sich an alle<br />

Altersgruppen richtet. Ihre „Wirkungen“ entfalten<br />

die Medien über die vermittelten Inhalte,<br />

ebenso aber auch über den Umgang mit den Geräten<br />

sowie über den allgemeinen sozialen, politischen<br />

und kulturellen Stellenwert, <strong>der</strong> den Medien<br />

zugerechnet wird.<br />

In dieser Situation wendet sich <strong>der</strong> Blick gewissermaßen<br />

zurück und lässt uns fragen, welche beson<strong>der</strong>en<br />

Impulse von <strong>der</strong> Beziehungs- und Generationenarbeit<br />

in einem Projekt wie BELA III <strong>aus</strong>gehen<br />

können. Dazu einige abschließende<br />

Gedanken.<br />

Die Generationenperspektive ist geeignet, unser<br />

Verständnis von Lernen und Sozialisation zu erweitern.<br />

Das gilt auch und geradezu in einem hohen<br />

Maße für jene sich <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Pflege ableitenden<br />

Lern- und Sozialisationsprozesse, die in den BELA<br />

III-Einrichtungen stattfinden. Nicht nur lernen die<br />

Jungen von den Alten und die Alten von den Jungen,<br />

son<strong>der</strong>n beide lernen gemeinsam. Sie können<br />

dies im Bewusstsein tun, in einer Generationenfolge<br />

zu stehen. So können sie sich mit dem<br />

gemeinsamen Erbe <strong>aus</strong>einan<strong>der</strong>setzen und es sich<br />

je auf eigene Weise aneignen.<br />

Die Generationenperspektive ist indessen auch<br />

geeignet die Einsicht zu untermauern, dass die Erfahrung<br />

von Ambivalenzen einen wesentlichen<br />

Teil menschlichen Zusammenlebens und <strong>der</strong> Gestaltung<br />

sozialer Beziehungen <strong>aus</strong>macht. Dabei ist<br />

wichtig festzuhalten: unvoreingenommen, nüchtern,<br />

also analytisch betrachtet, sind Ambivalenzerfahrungen<br />

– an<strong>der</strong>s als in <strong>der</strong> Alltagssprache –<br />

nicht von vornherein negativ zu konnotieren. Sie<br />

sind ein Bestandteil, sogar eine Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Beziehungsarbeit.<br />

Über die Potentiale <strong>der</strong> Generationenbeziehungen<br />

kann man indessen auch auf an<strong>der</strong>e Weise nachdenken.<br />

Die Erfahrung zeigt, dass das Verhältnis<br />

zwischen Kin<strong>der</strong>n, Eltern und Großeltern nicht<br />

notwendigerweise und <strong>aus</strong>schließlich in <strong>der</strong> Logik<br />

des T<strong>aus</strong>ches gleichwertiger Güter und Leistungen<br />

gestaltet werden muss. Die einen können für die<br />

an<strong>der</strong>en Leistungen erbringen, die überhaupt<br />

nicht, nicht sofort und unmittelbar, son<strong>der</strong>n allenfalls<br />

mittelbar über das Erbe zurückerstattet werden.<br />

Analoges gilt für das Verhältnis von Alt und<br />

Jung im Wohlfahrtsstaat. Jedenfalls beinhaltet das<br />

Umlageverfahren <strong>der</strong> Rentenversicherung einen<br />

imaginären Vertrag unter mindestens drei Generationen.<br />

Kurz: die Gestaltung von Generationenbeziehungen<br />

beinhaltet die Möglichkeit, einen<br />

sozio-kulturellen Mehrwert zu schaffen.<br />

Man kann hier auf einen allgemeinen Begriff in<br />

<strong>der</strong> Gerontologie zurückgreifen, jenen <strong>der</strong> Generativität.<br />

Die Idee <strong>der</strong> Generativität lässt sich in einer<br />

ersten Verallgemeinerung mit <strong>der</strong> Vorstellung<br />

verknüpfen, dass Menschen die Fähigkeit haben,<br />

die Existenz nachfolgen<strong>der</strong> Generationen zu bedenken.<br />

Sie können in einem hohen Maße ihr generatives<br />

Verhalten steuern. Die meisten haben<br />

die Möglichkeit, sich für o<strong>der</strong> gegen Elternschaft<br />

zu entscheiden. Im Weiteren können die Menschen<br />

das Wohl und die Zukunft nachfolgen<strong>der</strong><br />

Generationen reflektieren und entsprechend handeln.<br />

Dies lässt sich als Verpflichtung und Verantwortlichkeit<br />

für den Einzelnen und – sinngemäß –<br />

auch für soziale Institutionen postulieren. Eine<br />

weitergehende zweite Verallgemeinerung, die in<br />

jüngster Zeit in die Diskussion eingebracht worden<br />

ist, trägt <strong>der</strong> Erfahrung bzw. Einsicht Rechnung,<br />

dass auch die Jüngeren individuell und kollektiv<br />

ein Bewusstsein für das Wohl <strong>der</strong> Älteren entwickeln<br />

können. Dementsprechend kann man –<br />

noch allgemeiner – Generativität als die menschliche<br />

Fähigkeit umschreiben, individuell und kollektiv<br />

um das gegenseitige Angewiesensein <strong>der</strong> Generationen<br />

zu wissen, dies im eigenen Handeln<br />

bedenken zu können und, normativ formuliert,<br />

bedenken zu sollen. Darin liegen spezifische Potentiale<br />

<strong>der</strong> Sinngebung für das individuelle und<br />

gemeinschaftlich-gesellschaftliche Leben.<br />

Das Äquivalent von Generativität im Alltag <strong>der</strong> Beziehungsarbeit<br />

stellt die Erfahrung <strong>der</strong> „Verlässlichkeit“<br />

dar – verstanden als Haltung, in <strong>der</strong> sich<br />

die Menschen gegenseitig um ihrer selbst willen<br />

achten, schätzen und lieben, und ihre Beziehungen<br />

ungeachtet aller Konflikte und Ambivalenzen<br />

als unkündbar verstehen, weil sie im Kleinen wie<br />

im Großen um ihre schicksalshafte Verbundenheit<br />

wissen.<br />

28 29


RÜCKBLICK UND AUSBLICK<br />

Eingangs wurde Bezug genommen auf die Zielsetzungen<br />

von BELA III. Dar<strong>aus</strong> ließ sich ableiten,<br />

dass diese Ziele Beziehungsarbeit erfor<strong>der</strong>n. Einige<br />

Aspekte <strong>der</strong> Beziehungsarbeit wurden mit Blick<br />

auf die Praxis erläutert und durchgängig zeigte<br />

sich, dass Beziehungsarbeit in einem Kontext für<br />

alle Beteiligten, die alten Menschen, das Fachpersonal,<br />

die Freiwilligen sowie die Angehörigen als<br />

Beitrag zur Persönlichkeitsentfaltung verstanden<br />

werden muss. In <strong>der</strong> heutigen Zeit erfor<strong>der</strong>t dies<br />

von allen Beteiligten, mit Vieldeutigkeiten, mit Zufälligkeiten<br />

und Schicksalsschlägen, mit Zwiespältigkeiten,<br />

mit Spannungsfel<strong>der</strong>n und somit mit<br />

<strong>der</strong> Erfahrung von Ambivalenzen umzugehen.<br />

Dies lässt sich untermauern, wenn bedacht wird,<br />

dass in den meisten Bereichen die Arbeit auch die<br />

Gestaltung von mehr o<strong>der</strong> weniger offensichtlichen<br />

Generationenbeziehungen erfor<strong>der</strong>t. Denn<br />

diese Beziehungen sind sowohl für den Einzelnen<br />

wie für die Gemeinschaften von beson<strong>der</strong>er Bedeutung<br />

und erfor<strong>der</strong>n den steten dynamischen<br />

Umgang mit Verschiedenheit und Gemeinsamkeit,<br />

mit Nähe und Ferne, mit Eigenständigkeit<br />

und Abhängigkeit; sie erfor<strong>der</strong>n das Eingeständnis<br />

von damit einhergehenden Zwiespältigkeiten.<br />

Damit rücken letztlich allgemeine menschenrechtliche<br />

Begründungen in den Vor<strong>der</strong>grund. Hier ist<br />

zu bedenken, ob dies nicht noch stärker als bisher<br />

hervorgehoben werden könnte. Denn sie sind zugleich<br />

geeignet, die allgemeine politische Tragweite<br />

<strong>der</strong> BELA III-Arbeit zu erhellen. Sie sind anschlussfähig<br />

sowohl an die verfassungsrechtlichen<br />

Grundlagen staatlicher Arbeit als auch an die fundamentalen<br />

Begründungen kirchlicher, kirchennaher<br />

und zivilgesellschaftlicher Träger.<br />

1 Siehe hierzu und zum Folgenden auch: Lüscher,<br />

Kurt: „Homo ambivalens": Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung für<br />

Psychotherapie und Gesellschaft. In: Psychotherapeut,<br />

54, Heft 2, 2010, S. 1- 10<br />

2 Als Ambivalenz verstehe ich hier, Erfahrungen<br />

eines zeitweiligen o<strong>der</strong> dauernden Oszillierens<br />

zwischen polaren Gegensätzen zu umschreiben,<br />

denen Bedeutung für die Identität und dementsprechend<br />

für die Handlungsbefähigung, die sozialen<br />

Beziehungen sowie die Gesellschaftlichkeit<br />

individueller und kollektiver Akteure zugeschrieben<br />

werden kann. Ambivalenzerfahrungen kann<br />

<strong>der</strong> einzelne im Dialog mit sich selbst machen, im<br />

Dialog mit wichtigen An<strong>der</strong>en (seinen Nächsten)<br />

und im Dialog mit generalisierten An<strong>der</strong>en, also<br />

allgemeinen gesellschaftlichen Erwartungen. Hierzu<br />

mit Blick auf die Begriffsgeschichte sowie die<br />

weiter unten erwähnten Strategien des Umgangs<br />

mit Ambivalenzen Lüscher, Kurt in: Dietrich/ Lüscher/<br />

Müller (<strong>2009</strong>), Kap. 1.<br />

3 Hierzu <strong>aus</strong>führlich: Lüscher/ Pajung-Bilger: Forcierte<br />

Ambivalenzen. Konstanz 1998. Siehe ferner:<br />

Lüscher, Kurt: „Ambivalenz und Kreativität im<br />

Alter“ In: Bäurle, P./ Förstl, H./ Hell, D./ Radebold,<br />

H./ Riedel, I./ Stu<strong>der</strong>, K. (Hg.): Spiritualität und Kreativität<br />

in <strong>der</strong> Psychotherapie mit älteren Menschen.<br />

Bern 2005. S. 64 – 76<br />

4 Siehe hierzu auch das als Bulletin plus im DJI-<br />

Bulletin erschienene kleine Kompendium „B<strong>aus</strong>teine<br />

<strong>der</strong> Generationenanalyse" (www.dji.de/bulletins).<br />

2.3. BELA III ALS KOSMOS<br />

SOZIALER BEZIEHUNGEN –<br />

EINIGE LEITSÄTZE<br />

Prof. em. Dr.Kurt Lüscher<br />

(Universität Konstanz)<br />

Leitsätze <strong>aus</strong>gehend vom Referat im Rahmen<br />

<strong>der</strong> Auftaktveranstaltung des BELA III-Netzwerks,<br />

Fellbach 15.06.<strong>2009</strong><br />

1) Wir können uns BELA III als einen „Kosmos<br />

sozialer Beziehungen“ vorstellen. Diese Beziehungen<br />

haben einen Fokus, <strong>der</strong> sich zunächst mit<br />

dem geläufigen Begriff <strong>der</strong> Pflege umschreiben<br />

lässt. Um die Ziele von BELA III zu erreichen, muss<br />

somit Beziehungsarbeit geleistet werden. Sachkundige<br />

und engagierte Beziehungsarbeit kann<br />

Lebensqualität schaffen. Diese Lebensqualität ist<br />

maßgeblich für die Persönlichkeitsentwicklung aller<br />

Beteiligter: <strong>der</strong> älteren Menschen, des Fachpersonals,<br />

<strong>der</strong> Freiwilligen und <strong>der</strong> Angehörigen.<br />

2) Beziehungsarbeit erfor<strong>der</strong>t, dass wir uns vor<br />

Idealisierungen hüten, uns die Spannungsfel<strong>der</strong>,<br />

die in den Beziehungen zwischen zwei Menschen,<br />

zwischen Alt und Jung, zwischen Eltern und Kin<strong>der</strong>n<br />

vorkommen können, offen eingestehen und<br />

uns in kreativer Weise damit <strong>aus</strong>einan<strong>der</strong>setzen.<br />

Als Methode bietet sich an zu bedenken, was hinter<br />

dem steckt, was wir im Alltag für selbstverständlich<br />

halten.<br />

3) Wir reden von sozialen Beziehungen, wenn<br />

sich zwei o<strong>der</strong> mehrere Menschen mehrfach in einem<br />

sozialen „Rahmen“ begegnen, sich also an<br />

vor<strong>aus</strong>gehenden Begegnungen orientieren. Soziale<br />

Beziehungen stehen somit in einem Spannungsfeld<br />

zwischen dem Individuum und <strong>der</strong> Gemeinschaft,<br />

zwischen Subjekt und Sozialität. Dementsprechend<br />

lassen sich soziale Beziehungen als<br />

Nährboden <strong>der</strong> Entfaltung zu einer eigenverantwortlichen<br />

und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit<br />

(eines „Selbst“) verstehen.<br />

4) Eine solche Vorstellung von „persönlicher<br />

Identität“ legt nahe anzunehmen, dass die Gestaltung<br />

sozialer Beziehungen und <strong>der</strong> Entfaltung <strong>der</strong><br />

Persönlichkeit mannigfache Erfahrungen eines Hin<br />

und Her (des Oszillierens) zwischen polaren<br />

Gegensätzen mit sich bringen kann. Dafür gibt es<br />

unterschiedliche Umschreibungen, beispielsweise<br />

Eigenständigkeit vs. Abhängigkeit, Vertrautheit vs.<br />

Fremdheit, Nähe vs. Distanz, Liebe vs. Hass. Hier<br />

bietet sich <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Ambivalenz an.<br />

5) In <strong>der</strong> praktischen Beziehungsarbeit und für<br />

die Persönlichkeitsentfaltung in den Heimen sind<br />

u.a. folgende Prozesse von Belang:<br />

(a) Die „sich selbst erfüllende Prophezeiung“: In<br />

<strong>der</strong> Begegnung von Alt und Jung werden ältere<br />

Menschen in ihrem Abhängigkeitsverhalten bestärkt<br />

und so ihre Abhängigkeit verstärkt. Dabei<br />

kann z.B. die Sprache („Babysprache“) bedeutsam<br />

sein.<br />

(b) „Übertragung“, „Projektion“ und „Delegation“:<br />

Frühere Beziehungserfahrungen <strong>der</strong> Beteiligten<br />

werden in die aktuellen Beziehungserfahrungen<br />

übernommen.<br />

(c) Verarbeitung von Traumata (z.B. Kriegskindheit)<br />

(d) Individuelle Wi<strong>der</strong>standsfähigkeiten (Resilienz).<br />

6) Die darin angelegten Dispositionen für die<br />

Erfahrung von Ambivalenzen werden durch Spannungsfel<strong>der</strong><br />

verstärkt, die <strong>der</strong> Tätigkeit <strong>der</strong> „Pflege“<br />

(umfassen<strong>der</strong>: „caring“) eigen sind, beispielsweise<br />

in Pflegehandlungen mit erheblichen Eingriffen<br />

in die Intimsphäre, Pflegehandlungen, die<br />

dem Pflegebedürftigen nur bedingt einsichtig sind<br />

o<strong>der</strong> erhebliche physische o<strong>der</strong> psychische Belastungen<br />

erfor<strong>der</strong>n, Konfrontation mit Wi<strong>der</strong>stand<br />

BELA III ALS KOSMOS SOZIALER<br />

BEZIEHUNGEN<br />

30 31


o<strong>der</strong> gar gewalttätigen Verhaltensweisen <strong>der</strong> Pflegebedürftigen.<br />

7) Der Umgang mit diesen Ambivalenzen ist<br />

kennzeichnend für professionelles Handeln. Ein<br />

erster Schritt besteht darin, sich selbst diese Zwiespältigkeiten<br />

einzugestehen. Darin schließt sich als<br />

zweiter Schritt an: dass sie im Kreis von Kolleginnen<br />

und Kollegen zur Sprache gebracht werden,<br />

auch und gerade, wenn es um heikle Fragen geht.<br />

Der dritte Schritt besteht darin, in <strong>der</strong> Aus- und<br />

Weiterbildung zu versuchen, typische Formen des<br />

Umgangs mit Ambivalenzen her<strong>aus</strong>zuarbeiten.<br />

Viertens ist <strong>der</strong> Erfahrungs<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch in <strong>der</strong> Supervision<br />

wichtig.<br />

8) Im Rahmen des Projekts BELA III ist es notwendig<br />

zu klären, ob und in welcher Weise <strong>der</strong>artige<br />

Probleme bzw. Spannungsfel<strong>der</strong> für die Freiwilligen<br />

von Belang sind. Ein wichtiges Mittel sind<br />

dabei die sogenannten Tandems. Sie sind <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />

an sich för<strong>der</strong>lich. Man kann sie eine<br />

Mischform von Supervision und „Mentoring“<br />

betrachten. Die beiden Mitglie<strong>der</strong> eines Tandems<br />

sind im Blick auf die gemeinsamen Aufgaben abwechselnd<br />

sowohl Gebende als auch Nehmende.<br />

Tandems sind gut geeignet, mit Ambivalenzen<br />

umzugehen.<br />

9) BELA III ist dadurch gekennzeichnet, dass<br />

die darin vorkommenden sozialen Beziehungen<br />

mehr o<strong>der</strong> weniger offensichtlich auch Generationenbeziehungen<br />

sind und sich dadurch die Erfahrungen<br />

von Gemeinsamkeit und Verschiedenheit,<br />

Vertrautheit und Fremdheit, Beharren und Verän<strong>der</strong>n<br />

verstärken können. Gleichzeitig bietet BELA<br />

III die Möglichkeiten, die damit einhergehenden<br />

Generationenpotentiale zu nutzen und zu för<strong>der</strong>n.<br />

Dazu gehören:<br />

eine Beziehungsgestaltung, die über „gegenseitiges<br />

Aufrechnen“ und T<strong>aus</strong>ch hin<strong>aus</strong>geht und<br />

die Schaffung eines sozio-kulturellen Mehrwerts<br />

(„Humanvermögen“) ermöglicht<br />

das spezifische Lernen im Generationenverbund<br />

(„generative Sozialisation“): „Voneinan<strong>der</strong><br />

– miteinan<strong>der</strong> – in Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem<br />

gemeinsamen Erbe“<br />

die Entfaltung <strong>der</strong> menschlichen Fähigkeit zur<br />

„Generativität“ in allen Lebensphasen<br />

die Einbettung in eine die unterschiedlichen<br />

Politikfel<strong>der</strong> verknüpfende, die menschenrechtlichen<br />

Begründungen hervorhebende „Generationenpolitik“.<br />

10) Über die mehrfachen Generationenbeziehungen<br />

ist BELA III in die gesellschaftlichen Entwicklungen<br />

und ihre durch die neuen Kommunikationsformen<br />

aller Art geprägte wi<strong>der</strong>sprüchliche<br />

Dynamik eingebettet. Darin ist die Entfaltung <strong>der</strong><br />

Generationenpotentiale im Rahmen einer übergreifenden<br />

Generationenpolitik geboten (Stichworte:<br />

Generationengerechtigkeit – Verlässlichkeit<br />

– Nachhaltigkeit – Humanvermögen).<br />

ZITIERTE LITERATUR (AUSWAHL)<br />

Boss, Pauline: Leben mit ungelöstem Leid.<br />

München 2000<br />

Dietrich, Walter/ Lüscher, Kurt/ Müller, Christoph:<br />

Ambivalenzen erkennen, <strong>aus</strong>halten und<br />

gestalten. Zürich <strong>2009</strong><br />

Fischer, Andreas: Söhne ohne Väter.<br />

Moraki Film GmbH (www.moraki.de), 2007<br />

Hoch, Hans/ Klie, Thomas/ Wegner, Martina:<br />

2. Wissenschaftlicher Landesbericht zu Bürgerschaftlichem<br />

Engagement und Ehrenamt<br />

in Baden-Württemberg in den Jahren 2004 bis<br />

2006, hg. vom Sozialministerium Baden-<br />

Württemberg. Stuttgart <strong>2008</strong><br />

Illouz, Eva: Die Errettung <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Seele.<br />

Frankfurt a.M., <strong>2009</strong><br />

Klosinski, Gunther (Hrsg.): Großeltern heute –<br />

Hilfe o<strong>der</strong> Hemmnis? Tübingen <strong>2008</strong><br />

Krappmann, Lothar/ Lepenies, Annette (Hrsg.):<br />

Alt und Jung. Frankfurt a.M. 1997 (Darin die<br />

Aufsätze von Krappmann sowie Kruse/ Thimm)<br />

Lüscher, Kurt/ Liegle, Ludwig: Generationenbeziehungen<br />

in Familie und Gesellschaft.<br />

Konstanz 2003<br />

Radebold, Hartmut: Abwesende Väter.<br />

Folgen <strong>der</strong> Kriegskindheit. Göttingen 2000<br />

Weitere Literatur und Downloads:<br />

www.kurtluescher.de<br />

2.4. PFLEGEALLTAG <strong>2009</strong> –<br />

(K)EIN PLATZ FÜR<br />

BÜRGERENGAGEMENT?<br />

Prof. Dr. Hermann Brandenburg<br />

(Philosophisch-Theologische Hochschule<br />

Vallendar / Katholische Fachhochschule<br />

Freiburg)<br />

Leicht überarbeiteter Auszug <strong>aus</strong> dem<br />

Vortragsmanuskript für die 2. Verbundkonferenz<br />

des BELA III-Qualitätsnetzwerks, Stuttgart,<br />

27.11.<strong>2009</strong><br />

Durch den Wandel im Selbstverständnis <strong>der</strong> Pflegeeinrichtungen<br />

muss neu überdacht werden, inwieweit<br />

bürgerschaftliches Engagement für alle<br />

Beteiligten sinnvoll eingebunden werden kann.<br />

Der folgende Artikel geht hierbei auf die Notation<br />

<strong>der</strong> „fairen Kooperation“ ein und untersucht den<br />

Begriff und seine Bedeutungen auf <strong>der</strong> theoretischen<br />

und praktischen Ebene.<br />

Der Pflegealltag steht vor großen Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ungen.<br />

Die Zeiten, in denen alte Menschen noch mit<br />

den Stock ins Heim gekommen sind, sind vorbei.<br />

Heutzutage kommen immer mehr alte Menschen<br />

direkt <strong>aus</strong> dem Krankenh<strong>aus</strong>, z.T. mit einem Katheter,<br />

häufig in hohem Maße abhängig von pflegerischer<br />

Unterstützung. Das durchschnittliche Alter<br />

liegt bei über 83 Jahren, <strong>der</strong> Gesundheitszustand<br />

ist durch Multimorbidität gekennzeichnet,<br />

Demenz und Palliativpflege sind zu zentralen Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

an stationäre Einrichtungen geworden.<br />

Es scheint daher, dass bürgerschaftliches Engagement<br />

in diesem Bereich ein weniger drängendes<br />

Problem sei – dem ist aber nicht so!<br />

Bürgerschaftliches Engagement ist notwendig,<br />

weil alleine durch die Arbeit von beruflich und<br />

professionell mit Pflege und Versorgung befassten<br />

Berufsgruppen die Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ungen nicht zu<br />

PFLEGEALLTAG <strong>2009</strong><br />

32 33


meistern sind. Es steht außer Zweifel, dass bürgerschaftliches<br />

Engagement vor allem deswegen notwendig<br />

ist, damit ein hohes Maß an Lebensqualität<br />

in den Heimen aufrechterhalten und weiter<br />

entwickelt werden kann. Bürgerschaftlich Engagierte<br />

stellen mit ihrer eigenen Logik ein wichtiges<br />

Korrektiv gegenüber <strong>der</strong> Eigenlogik <strong>der</strong> Profis<br />

(Mediziner, Pflegende, Sozialarbeiter, an<strong>der</strong>e therapeutische<br />

Gruppen) dar. Es ist genau dieser Mix,<br />

<strong>der</strong> letztlich eine Perspektive zur Bewältigung <strong>der</strong><br />

anstehenden Pflege-, Betreuungs- und Versorgungsfragen<br />

bieten kann – und genau deshalb ist<br />

auch BELA III notwendig und wichtig.<br />

Dies setzt vor<strong>aus</strong>, dass eine faire Kooperation zwischen<br />

allen Beteiligten ermöglicht wird, und hier<br />

sind beson<strong>der</strong>s zwei Aspekte von Bedeutung. In<br />

einem ersten Schritt werden einige Grundlagen einer<br />

fairen Kooperation angesprochen und dabei<br />

auf das Modell des amerikanischen Philosophen<br />

John Rawls Bezug genommen. In einem zweiten<br />

Schritt werden einige empirische Befunde dargelegt,<br />

die illustrieren, welche Fallstricke bei <strong>der</strong> fairen<br />

Kooperation zu beachten sind.<br />

FAIRE KOOPERATION ALS<br />

GRUNDLAGE DER ZUSAMMEN-<br />

ARBEIT ZWISCHEN<br />

BESCHÄFTIGTEN<br />

UND ENGAGIERTEN<br />

Hintergrund ist ein Wi<strong>der</strong>spruch, auf den Bettmer<br />

(<strong>2008</strong>) hingewiesen hat: Einerseits erhoffen sich<br />

die Heime einen sogenannten Mehrwert durch die<br />

bürgerschaftlich Engagierten, und zwar indem sie<br />

diese in ihre Organisation, ihren Alltag und ihre<br />

Routinen integrieren. An<strong>der</strong>erseits besteht seitens<br />

<strong>der</strong> bürgerschaftlich Engagierten <strong>der</strong> Anspruch<br />

auf Selbstbestimmung, Mitwirkung, Mitgestaltung.<br />

Man muss also danach fragen, wie eine Zusammenarbeit<br />

von Heim, Professionellen und bürgerschaftlich<br />

Engagierten gestaltet werden kann –<br />

ohne dass die zuletzt genannte Gruppe allzu<br />

forsch in die Arbeitslogik <strong>der</strong> Heime „eingebunden“<br />

wird.<br />

Eine für beide Seiten „faire Kooperation“, von <strong>der</strong><br />

alle Seiten profitieren, ist demnach in Aushandlungsprozessen<br />

zu erarbeiten. Ein entsprechendes<br />

Modell dafür kann man <strong>der</strong> „Theorie <strong>der</strong> Gerechtigkeit“<br />

von John Rawls (1975) entnehmen. Er<br />

geht davon <strong>aus</strong>, dass sich alle Beteiligten grundsätzlich<br />

auf etwas Neues, Gemeinsames einstellen<br />

müssen, damit die Zusammenarbeit gelingt. Eigene<br />

Denkweisen und Handlungen müssen in Frage<br />

gestellt werden, eine Distanz zur eigenen professionellen<br />

Haltung – und damit die Einsicht in <strong>der</strong>en<br />

Bedingtheit und Relativität – sind erfor<strong>der</strong>lich.<br />

Sonst kann Zusammenarbeit in multi- bzw. interdisziplinärer<br />

Hinsicht nicht gelingen. Rawls hat folgende<br />

Kriterien aufgestellt, denen ein „faires System<br />

<strong>der</strong> Kooperation“ genügen muss 5 :<br />

Es „wird von öffentlich anerkannten Regeln<br />

und Verfahren geleitet, die von den Beteiligten akzeptiert<br />

und von diesen als angemessene Regeln<br />

für ihr Handeln betrachtet werden.“<br />

„Faire Bedingungen <strong>der</strong> Kooperation konkretisieren<br />

eine Vorstellung von Reziprozität: alle, die<br />

sich beteiligen und ihren Beitrag leisten, so wie es<br />

die Regeln und Verfahren for<strong>der</strong>n, müssen nach<br />

Maßgabe einer geeigneten Vergleichsbasis in angemessener<br />

Weise davon profitieren.“<br />

„Die Idee sozialer Kooperation setzt eine Vorstellung<br />

davon vor<strong>aus</strong>, was für jeden Teilnehmer<br />

rationalerweise vorteilhaft o<strong>der</strong> gut ist. Die Vorstellung<br />

des Guten konkretisiert, was die an <strong>der</strong><br />

Kooperation Beteiligten - seien es nun Individuen,<br />

Familien, Vereinigungen o<strong>der</strong> sogar Regierungen<br />

von Völkern – zu erreichen versuchen, wenn das<br />

System von ihrem eigenen Standpunkt <strong>aus</strong> betrachtet<br />

wird.“<br />

Mit diesem pragmatischen Ansatz möchte Rawls<br />

zeigen, dass es denkbar und möglich ist, in <strong>der</strong><br />

Kooperation zu einem tragfähigen, „übergreifenden<br />

Konsens“ zu gelangen, ohne – und das ist<br />

entscheidend – die eigenen Überzeugungen und<br />

Handlungsziele aufzugeben. Rawls hat keinen absoluten<br />

Wahrheitsanspruch im Blick. Sein Ziel ist<br />

es vielmehr das Bewusstsein dafür zu schärfen,<br />

dass Bürger ihre individuellen Interessen besser<br />

verfolgen können, wenn sie Kooperationen eingehen.<br />

Vor<strong>aus</strong>setzung hierbei ist laut Rawls, „eine<br />

Konzeption des Guten zu entwickeln, zu revidieren,<br />

rational zu verfolgen“ 6 . Wechselseitige Anerkennung<br />

ist also zwingend und ermöglicht dann<br />

eine „faire Kooperation“, die nicht nur <strong>aus</strong> <strong>der</strong><br />

Perspektive <strong>der</strong> eigenen Disziplin, Eigeninteressen<br />

etc. definiert wird.<br />

VORAUSSETZUNGEN VON<br />

LÖSUNGSANSÄTZEN – EIN BLICK<br />

IN DIE FORSCHUNG<br />

Empirisch wird das Thema Kooperation (und <strong>der</strong>en<br />

Fallstricke) sowohl in <strong>der</strong> Pädagogik, in <strong>der</strong> Soziologie,<br />

in <strong>der</strong> Psychologie und in an<strong>der</strong>en Disziplinen<br />

untersucht. Interessant sind vor allem die<br />

Ergebnisse und Einschätzungen <strong>der</strong> Kollegin Ulrike<br />

Höhmann, die vor einigen Jahren eine wichtige<br />

Studie 7 zu <strong>der</strong> anstehenden Thematik durchgeführt<br />

hat. Inhaltlich ging es um eine „kooperative<br />

Qualitätsentwicklung“ im Gesundheitswesen und<br />

zwar unter Beteiligung von Kommunen, Kliniken,<br />

ambulanten Diensten, H<strong>aus</strong>ärzten und Angehörigen.<br />

Konkret stand die Entwicklung und Arbeitsweise<br />

einer Pflegekonferenz im Vor<strong>der</strong>grund, die<br />

u.a. das Entlassungsmanagement und die nachstationäre<br />

Behandlung und Versorgung von Alterspatienten<br />

verbessern wollte. Höhmann hat<br />

aufgrund ihrer Erkenntnisse in diesem Projekt Vorschläge<br />

erarbeitet, wie eine Zusammenarbeit und<br />

faire Kooperation zwischen den Beteiligten gelingen<br />

kann. Die Ergebnisse lassen sich auch auf die<br />

Zusammenarbeit zwischen Beschäftigen und Engagierten<br />

im Heim beziehen.<br />

Folgende Aspekte sind von Bedeutung:<br />

1) Es muss inhaltlich über die Frage <strong>der</strong> Lebensqualität<br />

und <strong>der</strong> dafür als notwendig erachteten<br />

Merkmale ein Dialog zwischen den Beteiligten geführt<br />

werden. Dies bedeutet auch, dass eine entsprechende<br />

Debatte von unten geför<strong>der</strong>t, angeregt,<br />

und unterstützt wird – unverzichtbar ist dabei<br />

die Einbindung von bürgerschaftlich<br />

Engagierten in alle Prozesse und Fragestellungen.<br />

2) Der systematische Aufbau von berufs- und<br />

einrichtungsübergreifenden Kooperationsverfahren,<br />

die institutionalisiert und verbindlich geregelt<br />

sind, ist ein weiterer „Meilenstein“. Nicht nur inhaltliche<br />

Absprachen sind notwendig, son<strong>der</strong>n<br />

auch Verfahren (und Regeln), welche die Verbindlichkeit<br />

<strong>der</strong> Absprachen sicherstellen. Dabei geht<br />

es auch um die Bereitschaft zu modellhaftem Lernen<br />

und Kompetenzerwerb, um so genannte „kooperative<br />

Selbstqualifizierungsprozesse“ 8 . Ausgehend<br />

vom wechselseitigen Kennenlernen <strong>der</strong><br />

Denkweisen des jeweils an<strong>der</strong>en sollen Kommunikations-<br />

und Aust<strong>aus</strong>chprozesse geför<strong>der</strong>t und die<br />

Zusammenarbeit auf feste Grundlagen gestellt<br />

werden. Die wichtigste dabei ist die gegenseitige<br />

Wertschätzung und Anerkennung.<br />

3) Dies gelingt nicht von heute auf morgen.<br />

Und die Unterstützung durch eine neutrale, fachlich<br />

akzeptierte (externe) Mo<strong>der</strong>ation kann hilfreich<br />

sein, damit die „Macht- und Interessenasymmetrie<br />

<strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> in vertrauensbildende Dialoge<br />

kanalisiert“ 9 werden kann.<br />

Die Grundmerkmale von Lösungsansätzen hat Ulrike<br />

Höhmann auf drei Ebenen skizziert: auf <strong>der</strong><br />

Ebene <strong>der</strong> Region (Kommunen, Landkreise), <strong>der</strong><br />

Ebene des Managements <strong>der</strong> Einrichtungen sowie<br />

<strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Berufsgruppen.<br />

Zentrale Vor<strong>aus</strong>setzungen auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Regionen<br />

ist beispielsweise die Bereitschaft zur För<strong>der</strong>ung<br />

langfristiger berufs- und einrichtungs-<br />

34 35


übergreifen<strong>der</strong> Abstimmungsprozesse und die<br />

Unterstützung inhaltlich <strong>aus</strong>gerichteter Kooperationsbeziehungen<br />

bei <strong>der</strong> Öffnung <strong>der</strong> Heime<br />

o<strong>der</strong> die Bereitschaft zur Initiierung, Begleitung,<br />

Unterstützung von Prozessen, z.B. durch Auftaktveranstaltungen,<br />

Dokumentationen, Einbindung<br />

von fachlicher Unterstützung, Gewinnung von<br />

qualifizierten Mo<strong>der</strong>atoren sowie die Bereitschaft,<br />

die Ergebnisse von bürgerschaftlichem Engagement<br />

in politische Entscheidungen mit einzubinden<br />

und Weiterentwicklungen zu för<strong>der</strong>n.<br />

Auf <strong>der</strong> Ebene des Managements ist die Bereitschaft,<br />

die Kooperationsformen bei <strong>der</strong> Vielfalt<br />

<strong>der</strong> Beschäftigten und <strong>der</strong> bürgerschaftlich Engagierten<br />

fair und auf gleicher Augenhöhe zu gestalten,<br />

eine wichtige Vor<strong>aus</strong>setzung. Dabei müssen<br />

die Grenzen <strong>der</strong> Instrumentalisierung von bürgerschaftlich<br />

Engagierten akzeptiert werden und die<br />

Einrichtungen dürfen bürgerschaftlich Engagierte<br />

nicht allein im Sinne einer professionellen „Anerkennungskultur“<br />

<strong>der</strong> eigenen Logik unterwerfen.<br />

Dies bedeutet auch, dass kompetente Vertretungen<br />

<strong>der</strong> verschiedenen Berufsgruppen mit einem<br />

qualifizierten Mandat für ihre Aushandlungsprozesse<br />

<strong>aus</strong>zustatten sind.<br />

Auf <strong>der</strong> dritten Ebene, jener <strong>der</strong> Beschäftigten und<br />

Engagierten, ist ein wechselseitiges Interesse und<br />

Respekt vor den Erfahrungen und Kompetenzen<br />

<strong>der</strong> jeweils an<strong>der</strong>en zu entwickeln und die Neugier<br />

darauf nicht aufzugeben. Zugleich muss eine Motivation,<br />

Lernbereitschaft und Ambiguitätstoleranz<br />

im Umgang mit dem jeweils an<strong>der</strong>en als Vor<strong>aus</strong>setzung<br />

gelten, ebenso wie die Bereitschaft zu<br />

Kompromissen.<br />

Zum Abschluss soll hier <strong>der</strong> Psychiater Hans Förstl<br />

zitiert werden, <strong>der</strong> als einer <strong>der</strong> wichtigsten Demenzforscher<br />

in unserer Gesellschaft gilt. Er<br />

spricht die Perspektive <strong>der</strong> gesellschaftlichen Verantwortung<br />

für das Thema <strong>der</strong> Demenz an:<br />

„Der soziale Aust<strong>aus</strong>ch und die Gruppenkohärenz<br />

wurde bei unseren Vorfahren, ehe eine wohlklin-<br />

gende, festgesetzte Sprache zur Verfügung stand,<br />

durch gegenseitige Fellpflege vorgenommen („social<br />

grooming“). Die Kultur einer Gesellschaft<br />

zeigt sich daran, wie wohl sie dem Grundbedürfnis<br />

nach Nähe <strong>der</strong> Artgenossen dann noch entsprechen<br />

kann, wenn das Fell dünner wird.“ 10<br />

LITERATUR<br />

Bettmer, Franz: „Faire Kooperation“<br />

als Grundlage bürgerschaftlichen Engagements.<br />

Baltmannsweiler <strong>2008</strong><br />

Förstl, Hans: „Demenzen in Theorie und Praxis.<br />

Von <strong>der</strong> Anthropologie zur Therapie“ In: Wetzstein,<br />

Verena (Hg.): Ertrunken im Meer des<br />

Vergessens? Alzheimer-Demenz im Spiegel von<br />

Ethik, Medizin und Pflege. Freiburg 2005.<br />

S. 31 – 40<br />

Höhmann, Ulrike: „Vor<strong>aus</strong>setzungen und Möglichkeiten<br />

berufs- und einrichtungsübergreifen<strong>der</strong><br />

Kooperation zur Verbesserung <strong>der</strong> Versorgungsqualität<br />

pflegebedürftiger Menschen“<br />

In: Stemmer, Renate (Hg.): Qualität in <strong>der</strong> Pflege<br />

– trotz knapper Ressourcen. Hannover <strong>2009</strong>.<br />

S. 11 – 28<br />

Höhmann, Ulrike/ Müller-Mundt, Gabriele/<br />

Schulz, Brigitte: Qualität durch Kooperation.<br />

Frankfurt 1998<br />

Huber, Josef: Die verlorene Unschuld <strong>der</strong> Ökologie.<br />

Frankfurt am Main 1982<br />

Rawls, John: Politischer Liberalismus. Frankfurt<br />

am Main 2003<br />

Rawls, John: Eine Theorie <strong>der</strong> Gerechtigkeit.<br />

Frankfurt am Main 1979<br />

Wissmann, Peter/ Gronemeyer, Reimer:<br />

Demenz und Zivilgesellschaft – eine Streitschrift.<br />

Frankfurt <strong>2008</strong><br />

2.5. ÜBER DIE RICHTIGE<br />

FRAGE, DIE ÖFFNUNG DER HEIME<br />

UND DIE GEGENÖFFENTLICHKEIT.<br />

FÜNF ASPEKTE ZUM ERFOLG-<br />

REICHEN AUFBAU DES BELA III-<br />

NETZWERKS<br />

Prof. Dr. Hermann Brandenburg<br />

Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar,<br />

Katholische Fachhochschule Freiburg<br />

Gekürztes Manuskript eines Kommentars zur<br />

Auftaktveranstaltung<br />

„Der Lebensqualität verpflichtet“ des BELA III-<br />

Netzwerks, Fellbach, 15.06.<strong>2009</strong><br />

In kurzen und prägnanten Betrachtungen geht<br />

<strong>der</strong> folgende Artikel auf fünf verschiedene Aspekte<br />

<strong>der</strong> Arbeit von BELA III ein und untersucht diese<br />

auf ihren Nutzen hinsichtlich einer nachhaltigen<br />

und erfolgreichen Arbeit des Netzwerkes.<br />

Sinn und Zweck von BELA III ist <strong>der</strong> Aufbau eines<br />

Netzwerks stationärer Einrichtungen mit dem Ziel<br />

Lebensqualität im Alter zu för<strong>der</strong>n. Folgende fünf<br />

Aspekte sind meines Erachtens für den nachhaltigen<br />

Erfolg wichtig:<br />

BELA III rückt die richtige Frage ins Zentrum<br />

BELA III ist ein Modell gegen die „Industriali-<br />

sierung des Sozialen“<br />

BELA III stellt eine Gegenöffentlichkeit dar<br />

BELA III ist ein Beitrag zur<br />

„Öffnung <strong>der</strong> Heime“<br />

BELA III bietet die Chance für eine<br />

„faire Kooperation“ von Profis<br />

und bürgerschaftlich Engagierten<br />

1. BELA III RÜCKT DIE RICHTIGE<br />

FRAGE INS ZENTRUM<br />

In <strong>der</strong> stationären Altenhilfe gab es in den letzten<br />

Jahren einen Wandel <strong>der</strong> Leitbil<strong>der</strong> und Paradigmen.<br />

Noch weit bis in die 80er und 90er Jahre des<br />

letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts ging es primär um Sicherheit<br />

und Gesundheit <strong>der</strong> Heimbewohner. Nun stehen<br />

Fragen <strong>der</strong> Lebensqualität im Zentrum, es geht um<br />

objektive und subjektive Merkmale. Im Kern geht<br />

es um ein Spektrum – vom körperlichen Wohlbefinden<br />

über Würde und Privatheit bis hin zu<br />

Wohnkomfort und Servicequalität. Diese Verän<strong>der</strong>ung<br />

von <strong>der</strong> Funktionalität hin zur Lebensqualität<br />

ist wichtig, sie rückt die Lebensqualität <strong>der</strong> Bewohnerinnen<br />

und Bewohner in den Mittelpunkt.<br />

Es geht nicht mehr allein um die Verbesserung <strong>der</strong><br />

medizinischen, pflegerischen o<strong>der</strong> sozialarbeiterischen<br />

Versorgung und Betreuung – berücksichtigt<br />

werden sollen die tatsächlichen Interessen <strong>der</strong> alten<br />

Menschen, ihre Ziele, ihre Wünsche, ihre Erwartungen.<br />

2. BELA III IST EIN MODELL<br />

GEGEN DIE „INDUSTRIALISIE-<br />

RUNG DES SOZIALEN“<br />

Informelle Formen <strong>der</strong> Betreuung, Zuwendung<br />

und Pflege sind sukzessive und immer mehr durch<br />

formelle Systeme und Professionen ersetzt worden.<br />

Entstanden sind Fürsorgeorganisationen,<br />

Pflegedienste, psychosoziale Angebote, kurz: <strong>der</strong><br />

Sozialstaat und seine Angebote. So wichtig und<br />

notwendig diese Dienste auch sind, ihre Grenzen<br />

sind bereits vor Jahren betont worden. Der Medizinkritiker<br />

Huber sprach von einer<br />

„Sozialindustrie, die für alle da ist - und die auch<br />

vor keinem Halt macht … Wir erleben ein schubartiges<br />

Wachstum <strong>der</strong> sozialen Berufe. Es deutet<br />

darauf hin, dass wir in eine Phase eintreten, die eine<br />

Industrialisierung des Gemeinschaftslebens bedeutet.“<br />

11<br />

DER AUFBAU DES<br />

BELA III-NETZWERKS<br />

36 37


Aktuell greifen Wissmann und Gronemeyer diese<br />

Kritik auf und ergänzen sie um einen wichtigen<br />

Punkt:<br />

„Der aufblühende Sozialstaat hat Abhängigkeiten<br />

geschaffen, die nun - da es zu viele Abhängigkeiten<br />

gibt, die (angeblich) nicht mehr bezahlbar sind<br />

– ein Gefühl erzeugen, wie es <strong>der</strong> Säugling hat,<br />

dem die Mutterbrust entzogen wird. Eine zunehmend<br />

von neoliberalen Ideen infizierte Sozialpolitik<br />

verweist den Einzelnen auf seine Eigeninitiative<br />

– er soll selbst für sein Alter vorsorgen, soll sich<br />

den Gesundheitsimperativen beugen (Bewegung,<br />

gesundes Essen etc.) und sich ehrenamtlich-freiwillig<br />

betätigen, um die entstandenen Löcher im<br />

sozialen Netz selbst zu flicken.“ 12<br />

Dieser Interpretation zufolge ist bürgerschaftliches<br />

Engagement zum einen ein wichtiges Korrektiv<br />

gegen die „Industrialisierung des Sozialen“, gerade<br />

weil es nicht in <strong>der</strong> Logik von Professionen<br />

denkt und handelt, son<strong>der</strong>n für eine Beachtung<br />

von informellen Netzwerken, für eine bürgerschaftliche<br />

Verantwortung vor Ort und für die Beachtung<br />

<strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Generalisten und<br />

Praktiker des Alltags steht. Zweitens steht ein Engagement<br />

für die Zivilgesellschaft immer in einer<br />

Ambivalenz – zwischen <strong>der</strong> Notwendigkeit und<br />

<strong>der</strong> „Schönheit“ des zivilgesellschaftlichen Engagements<br />

und dem Missbrauch als billige Arbeitskraft<br />

im Kontext einer neoliberalen Wirtschaftsund<br />

Sozialpolitik.<br />

3. BELA III STELLT EINE GEGEN-<br />

ÖFFENTLICHKEIT DAR<br />

In <strong>der</strong> öffentlichen Debatte stehen häufig die<br />

Mängel, Skandale und Missstände in <strong>der</strong> stationären<br />

Altenhilfe, beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Pflege, im Mittelpunkt.<br />

Interessant für die Medien sind Negativberichte:<br />

„Betroffene“ werden vor die Kameras gebracht,<br />

<strong>der</strong>en subjektive Perspektive öffentlich<br />

inszeniert. Eine seriöse Analyse <strong>der</strong> Ursachen,<br />

Hintergründe und Bedingungen unterbleibt. Viel<br />

zu wenig werden positive Beispiele öffentlichkeitswirksam<br />

wahrgenommen, Reformansätze diskutiert,<br />

wird Engagement zur Verbesserung <strong>der</strong> Lebensqualität<br />

von alten Menschen gewürdigt. Gerade<br />

dieses „Zurechtrücken“ <strong>der</strong> Einseitigkeit (und<br />

damit auch Falschheit) <strong>der</strong> öffentlichen Berichterstattung<br />

ist eine wichtige Aufgabe <strong>der</strong> bürgerschaftlich<br />

Engagierten. Sie sind direkt in das<br />

„wirkliche“ Leben vor Ort involviert, können <strong>aus</strong><br />

ihrer Sicht die Dinge darstellen und leisten einen<br />

wichtigen Beitrag wie<strong>der</strong>um zur Korrektur – diesmal<br />

allerdings einer medial verzerrten Darstellung<br />

<strong>der</strong> Realität in Heimen.<br />

4. BELA III IST EIN BEITRAG ZUR<br />

ÖFFNUNG DER HEIME<br />

Die Öffnung <strong>der</strong> Heime von innen und von außen<br />

steht an. Die Öffnung von außen meint, dass <strong>der</strong><br />

Kontakt zur Bürgergesellschaft intensiviert wird,<br />

Besuchsdienste regelmäßig ins H<strong>aus</strong> kommen, eine<br />

Perspektive von außen in die Einrichtung hineingetragen<br />

wird. Dazu gehört auch die Beteiligung<br />

<strong>der</strong> politischen Gemeinde. Ergänzt, erweitert<br />

und unterstützt werden muss diese<br />

Öffnung von außen durch eine Öffnung von innen.<br />

Dies bedeutet eine nachhaltige Än<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Organisationen, bei <strong>der</strong> die Logik <strong>der</strong> „Totalversorgung“<br />

und Institutionalisierung unterbrochen<br />

wird. Es geht darum, dass Heime sich (auch)<br />

als ein Angebot für das Wohnquartier bzw. das<br />

Wohnumfeld sehen. Nicht allein die Pflege und<br />

die Versorgung, son<strong>der</strong>n z.B. die Bereitstellung<br />

von Räumen, etwa für ein Bürgerbüro, für Kulturund<br />

Bildungsaktivitäten ist möglich, so dass sich<br />

das Heim stärker als integraler Bestandteil eines<br />

größeren Ganzen, eingebettet in kommunale Verantwortlichkeiten<br />

definiert. Damit verbunden ist<br />

letztlich eine Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Leitenden;<br />

im Kern geht es um Kooperation und<br />

Kommunikation verschiedener Einrichtungen.<br />

5. BELA III BIETET DIE CHANCE<br />

FÜR EINE „FAIRE“ KOOPERATION<br />

ALS GRUNDLAGE DER ALTEN-<br />

ARBEIT<br />

Nach Bettmer 13 gibt es zwei Aspekte, die für eine<br />

faire Kooperation zu bedenken sind (s.o.): die<br />

verschiedenen Ausgangsbedingungen <strong>der</strong> bürgerschaftlich<br />

Engagierten und <strong>der</strong> Profis sowie die<br />

Eigenlogik <strong>der</strong> Organisationen. Organisationen<br />

sollen die internen Bedingungen für die Kooperation<br />

bereitstellen, indem sie organisationsexternen<br />

Personen Möglichkeiten zur Partizipation und Beteiligung<br />

eröffnen. Beide Aspekte sind nur dann<br />

(relativ) konfliktfrei zu lösen, wenn die Öffnung<br />

<strong>der</strong> Organisationen für bürgerschaftliches Engagement<br />

einen so genannten Mehrwert für die<br />

Organisationen selbst verspricht. Ein entsprechendes<br />

Modell dafür kann man – wie im vorigen Text<br />

erwähnt – <strong>der</strong> „Theorie <strong>der</strong> Gerechtigkeit“ des<br />

großen amerikanischen Philosophen John Rawls<br />

(1975) entnehmen.<br />

FAZIT<br />

BELA III verän<strong>der</strong>t vieles. Der wesentliche Punkt<br />

dabei ist, dass BELA III einen wichtigen Beitrag<br />

zum Pflege-Mix darstellt. Die Pflege <strong>der</strong> Zukunft<br />

(aber auch schon <strong>der</strong> Gegenwart) kann nur im Zusammenwirken<br />

von Professionellen und bürgerschaftlich<br />

Engagierten gelingen: die Perspektiven<br />

müssen und sollen sich ergänzen. Das Leben ist<br />

vielfältig, BELA III ist es auch. Und insofern leistet<br />

BELA III einen Beitrag zum Wandel <strong>der</strong> Pflegekultur<br />

in Deutschland – einfach ist das nicht, aber –<br />

alternativlos.<br />

LITERATUR:<br />

Bettmer, Franz: „Faire Kooperation“<br />

als Grundlage bürgerschaftlichen Engagements.<br />

Baltmannsweiler <strong>2008</strong><br />

Förstl, Hans: „Demenzen in Theorie und Praxis.<br />

Von <strong>der</strong> Anthropologie zur Therapie“<br />

In: Wetzstein, Verena (Hg.): Ertrunken im Meer<br />

des Vergessens? Alzheimer-Demenz im Spiegel<br />

von Ethik, Medizin und Pflege. Freiburg 2005.<br />

S. 31 – 40<br />

Höhmann, Ulrike: „Vor<strong>aus</strong>setzungen und<br />

Möglichkeiten berufs- und einrichtungsübergreifen<strong>der</strong><br />

Kooperation zur Verbesserung <strong>der</strong><br />

Versorgungsqualität pflegebedürftiger<br />

Menschen“ In: Stemmer, Renate (Hg.): Qualität<br />

in <strong>der</strong> Pflege – trotz knapper Ressourcen.<br />

Hannover <strong>2009</strong>. S. 11 – 28<br />

Höhmann, Ulrike/ Müller-Mundt, Gabriele/<br />

Schulz, Brigitte: Qualität durch Kooperation.<br />

Frankfurt 1998<br />

Huber, Josef: Die verlorene Unschuld <strong>der</strong><br />

Ökologie. Frankfurt am Main 1982<br />

Rawls, John: Politischer Liberalismus. Frankfurt<br />

am Main 2003<br />

Rawls, John:<br />

Eine Theorie <strong>der</strong> Gerechtigkeit. Frankfurt am<br />

Main 1979<br />

Wissmann, Peter/ Gronemeyer, Reimer:<br />

Demenz und Zivilgesellschaft – eine Streitschrift.<br />

Frankfurt <strong>2008</strong><br />

38 39


FINDET MICH DAS GLÜCK<br />

IM PFLEGEHEIM?<br />

40<br />

2.6. FINDET MICH DAS GLÜCK<br />

IM PFLEGEHEIM ?<br />

Dr. Beate Krieg<br />

LandFrauenverband Württemberg-Baden e.V.<br />

Überarbeiteter Vortrag, gehalten auf <strong>der</strong><br />

2. Verbundkonferenz des BELA III -Qualitätsnetzwerks,<br />

Stuttgart, 27.11.<strong>2009</strong><br />

Bürgerschaftliches Engagement und Ehrenamt in<br />

Pflegeeinrichtungen werten das Leben für alle Beteiligten<br />

auf – umso wichtiger ist es, zu beleuchten<br />

und zu hinterfragen, <strong>aus</strong> welchen situativen<br />

Zusammenhängen sowohl auf persönlicher als<br />

auch gesellschaftlich-sozialer Ebene ein Engagement<br />

geschehen kann und wie diese Erkenntnisse<br />

sinnvoll in eine Überarbeitung des Konzeptes des<br />

freiwilligen Engagements eingebettet werden<br />

können. Der folgende Text beleuchtet einige <strong>der</strong><br />

Aspekte, beson<strong>der</strong>s denjenigen <strong>der</strong> „weiblichen“<br />

Konnotation <strong>der</strong> Pflege.<br />

In ihrem Projekt „Findet mich das Glück?“ greift<br />

das Schweizer Künstlerduo Fischli/Weiss alltägliche<br />

Ideen, Gedanken und Fragen auf – Fragen,<br />

die unbeantwortet bleiben und trotzdem den Mechanismen<br />

des Alltäglichen auf die Spur gehen<br />

wollen. In ihrer Fragensammlung, die als Kunstbuch<br />

nach <strong>der</strong> Biennale in Venedig 2003 erschienen<br />

ist, eröffnet beson<strong>der</strong>s eine einen grundsätzlichen<br />

und interessanten Zugang zu BELA III:<br />

„Könnte ich meine immerwährenden Anstrengungen<br />

normal zu erscheinen, für etwas Besseres einsetzen?“<br />

Einen an<strong>der</strong>en Zugang ermöglicht „Das kleine<br />

Buch vom wahren Glück“ des erfolgreichen Benediktinerpaters<br />

Anselm Grün. Auf die Fragestellung<br />

„Wo wohnt das Glück?“ schreibt er:<br />

„Glück wohnt in <strong>der</strong> Seele, im inneren Bereich des<br />

Menschen. Dort, wo <strong>der</strong> Mensch mit sich im Ein-<br />

klang ist, wo er seine Einmaligkeit spürt, dort wo<br />

er um seine göttliche Würde weiß, dort ist ein<br />

Glück, das ihm kein Misserfolg, kein Verlust und<br />

keine Ablehnung zu rauben vermag.“ 16<br />

Beide Zitate umschreiben, was Ehrenamt bedeutet<br />

– was diejenigen, die sich mit ihrer Zeit und ihren<br />

Ideen einbringen und diejenigen, die dies in ihrem<br />

Alltag erfahren, bereichert. Bürgerschaftliches Engagement,<br />

<strong>der</strong> Einsatz, den ehrenamtlich Engagierte<br />

auf vielfältige Weise für das Gemeinwohl<br />

leisten, schafft Lebensqualität.<br />

EHRENAMTLICHES<br />

ENGAGEMENT UND DESSEN<br />

HERAUSFORDERUNGEN<br />

Bürgerschaftliches Engagement ist ein freiwilliger<br />

Beitrag, <strong>der</strong> von Jugendlichen, Frauen und Männern<br />

in ganz unterschiedlichen Bereichen eingebracht<br />

wird. Daher kann <strong>der</strong> Stellenwert von ehrenamtlich<br />

Engagierten für die Gesellschaft gar<br />

nicht hoch genug eingeschätzt werden. Im<br />

Bundesland Baden-Württemberg gibt es glücklicherweise<br />

eine Vielzahl Ehrenamtlicher.<br />

Das Engagement <strong>der</strong> ehrenamtlichen Führungskräfte<br />

im LandFrauenverband Württemberg-<br />

Baden hat – laut Satzung – zum Ziel, Bildungsangebote<br />

für Frauen im ländlichen Raum umzusetzen.<br />

Ein Drittel <strong>der</strong> Gesamtheit aller<br />

Veranstaltungen in den LandFrauenvereinen sind<br />

auf das Gemeinwohl <strong>aus</strong>gerichtet. Diese reichen<br />

von <strong>der</strong> Durchführung des Kin<strong>der</strong>ferienprogramms<br />

über die Mitgestaltung eines Dorffestes<br />

bis hin zum Besuch <strong>der</strong> Pflegestation im Advent.<br />

Mit inhaltlichen Beiträgen bereichern unsere ehrenamtlich<br />

Engagierten vor Ort ganz unterschiedliche<br />

Gruppen.<br />

Zunehmend steht die am besten <strong>aus</strong>gebildete<br />

Frauengeneration aller Zeiten ehrenamtlichem Engagement<br />

nur noch bedingt zur Verfügung. Deshalb<br />

kommt <strong>der</strong> Vereinbarkeit von Familie, Beruf<br />

und ehrenamtlichem Engagement ein hoher gesellschaftlicher<br />

Stellenwert zu. In Gesprächen mit<br />

den im Verband tätigen Frauen erfährt man, dass<br />

ehrenamtliches Engagement zu Bereicherung,<br />

Zufriedenheit und Stärkung <strong>der</strong> Persönlichkeit<br />

führen kann.<br />

BIOGRAFIE UND EHRENAMT-<br />

LICHES ENGAGEMENT<br />

Ehrenamtliches Engagement verläuft nicht kontinuierlich,<br />

son<strong>der</strong>n die Tätigkeitsfel<strong>der</strong> in den verschiedenen<br />

Lebensabschnitten verän<strong>der</strong>n sich.<br />

Klar wird dies am Beispiel einer 78-jährigen<br />

Grundschullehrerin: sie war nach ihrer Pensionierung<br />

noch fünf Jahre in <strong>der</strong> ehrenamtlichen H<strong>aus</strong>aufgabenbetreuung<br />

für sozial benachteiligte Kin<strong>der</strong><br />

tätig. Danach entschied sie sich, als „grüne<br />

Dame“ im Pflegeheim aktiv zu werden. Wöchentliche<br />

Besuche bei Menschen, die wenig o<strong>der</strong> gar<br />

keinen Besuch bekommen. Zuhören bei Lebensgeschichten,<br />

Vorlesen, Verständnis schaffen, Zuversicht<br />

und Mut geben. Das Positive dabei ist<br />

stets, dass sie gestärkt <strong>aus</strong> diesen Tagen hervorgeht.<br />

Sie findet die Lebensgeschichten und Erzählungen<br />

spannend, weiß, dass sie dort gebraucht<br />

wird. Gleichzeitig relativieren sich die eigenen<br />

Sorgen und Nöte. Wertschätzung erfahren die<br />

„grünen Damen“ seitens des Pflegeheimes durch<br />

Rückmeldungen <strong>der</strong> Mitarbeiter sowie durch eine<br />

jährliche Danke-schön-Veranstaltung. Darüber<br />

hin<strong>aus</strong> engagiert sich diese Frau sonntags im örtlichen<br />

Heimatmuseum beim Museumsdienst. Sie<br />

kümmert sich zudem mit großer Freude um ihre<br />

Enkel und ihren Garten. Schließlich bleibt ihr noch<br />

genügend Zeit, an einem Literaturkreis und verschiedenen<br />

Bildungsveranstaltungen im Sinne des<br />

„Lebenslangen Lernens“ teilzunehmen.<br />

Dieses Beispiel ist kein Einzelfall. Es zeigt zudem,<br />

dass neben ehrenamtlichem Engagement immer<br />

noch Zeit für die Familie und Zeit für sich selbst<br />

bleibt.<br />

Hier kommt erneut das Zitat von Fischli/Weiss in<br />

die Diskussion:<br />

„Könnte ich meine immerwährenden Anstrengungen<br />

normal zu erscheinen, für etwas Besseres einsetzen?“<br />

Wenn sich Menschen überlegen, wie sie ihre freie<br />

Zeit gestalten - für sich und für an<strong>der</strong>e, so ergeben<br />

sich vielseitige Möglichkeiten sich vor Ort „für etwas<br />

Besseres“ einzubringen.<br />

Gerade in einem Pflegeheim ist das Engagement<br />

von unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen<br />

eine Bereicherung für die Bewohnerinnen und Bewohner<br />

– wenn sich Kin<strong>der</strong>gartenkin<strong>der</strong>, Schülerinnen<br />

und Schüler, Frauen und Männer mit ihren<br />

Fähigkeiten einbringen können.<br />

PFLEGE UND GESELLSCHAFTS-<br />

POLITISCHE<br />

RAHMENBEDINGUNGEN<br />

In vielen Bereichen stehen <strong>der</strong>zeit gesellschaftspolitische<br />

Rahmenbedingungen für Pflegende auf<br />

dem Prüfstand. Die feministische Ökonomin Mascha<br />

Madörin stellte vor kurzem in Stuttgart in einem<br />

Beitrag zu „Pflege – eine Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung<br />

für die Gesundheitsökonomie“ am Beispiel <strong>der</strong><br />

Schweiz eine Rechnung auf, die sehr zum Nachdenken<br />

anregt – mit folgendem Ergebnis:<br />

„Frauen werden nach wie vor vorwiegend als Kostenverursacherinnen<br />

o<strong>der</strong> Klientinnen, nicht aber<br />

als die wichtigsten bezahlten und unbezahlten Arbeitskräfte<br />

des Gesundheitswesens gesehen. Eine<br />

Gen<strong>der</strong>-relevante Gesundheitsökonomie müsste<br />

aber bei dieser Frage ansetzen und dabei, dass die<br />

Arbeit im Gesundheitswesen Teil <strong>der</strong> Wohlfahrtsökonomie<br />

ist.“<br />

Sie schil<strong>der</strong>te weiter:<br />

„Als meine Mutter, eine Dorffrau, mit fast 96 Jahren<br />

in ein Alters- und Pflegeheim eintrat, war sie<br />

anfänglich über die Wortkargheit des Personals<br />

schockiert und fühlte sich sehr verunsichert. Meine<br />

Schwester und ich ließen sie - ohne ihr Wissen<br />

41


- in eine höhere Pflegestufe einteilen, obwohl sie<br />

diese nicht unbedingt brauchte. Es bedeutete<br />

aber, dass sie mehr Kontakt mit dem Pflegepersonal<br />

hatte. Meine Mutter äußerte sich kurz darauf<br />

befriedigt darüber, dass die PflegerInnen gesprächsfreudiger<br />

geworden seien. Wir wagten<br />

nicht, ihr zu sagen, was die neue Vereinbarung<br />

war und vor allem nicht, wie viel mehr dies kostete.<br />

Sie konnte es sich leisten, das war nicht das<br />

Problem. Aber sie hätte es als verletzend und demütigend<br />

empfunden, dass sie für kleine Handreichungen,<br />

ein Gespräch und gemeinsames Lachen<br />

bezahlen musste, für etwas, was sie als normale<br />

Zwischenmenschlichkeit empfand und was für sie<br />

selbst gegenüber an<strong>der</strong>en Menschen, die Hilfe<br />

brauchten, über Jahrzehnte selbstverständlich<br />

war. Der entscheidende Punkt ist, dass Zwischenmenschlichkeit,<br />

Freundlichkeit und ein bisschen<br />

Unterstützung Zeit, Energie und ein Minimum von<br />

Beziehungs-Kontinuität brauchen. Dafür ist in den<br />

Pflegeplänen jedoch immer weniger Zeit vorgesehen.<br />

Und trotzdem ist diese Zeit eine ökonomische<br />

Vor<strong>aus</strong>setzung für eine gute Pflege.“<br />

Die Verteilung von Pflegearbeit ist eine gesellschaftliche<br />

und politische Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung mit hoher Relevanz<br />

für viele Handlungsfel<strong>der</strong>. Deshalb bedarf es<br />

grundsätzlich einer ideellen und monetären Aufwertung<br />

<strong>der</strong> Care-Arbeit im öffentlichen und im<br />

privaten Bereich. Zudem gibt es einen großen Bedarf<br />

an Ergänzung von familiärer Betreuung sowie<br />

Entlastung <strong>der</strong> pflegenden Angehörigen.<br />

PFLEGE IST WEIBLICH<br />

Wie <strong>aus</strong> dem jüngsten Bericht des Statistischen<br />

Landesamtes hervorgeht, sind von den 237.000<br />

pflegebedürftigen Personen 72 Prozent Frauen.<br />

Davon werden zwei Drittel zu H<strong>aus</strong>e und ein Drittel<br />

in Pflegeheimen gepflegt. Über 80 Prozent <strong>der</strong><br />

Pflegekräfte sind weiblich und über 70 Prozent<br />

sind ehrenamtlich in diesem Bereich tätig.<br />

Grundsätzlich gilt meines Erachtens <strong>der</strong> Satz: „Wir<br />

tun gut, uns umeinan<strong>der</strong> zu kümmern“ – die Beiträge<br />

ehrenamtlichen Engagements sind ein Stück<br />

Lebensqualität für Bewohnerinnen und Bewohner<br />

von Pflegeheimen, gleichzeitig sollten aber auch<br />

Pflegende im privaten Umfeld in den Blick genommen<br />

und ihnen Chancen geschaffen werden. Gerade<br />

im ländlichen Raum sind es vielfach Frauen,<br />

die die Eltern- bzw. Schwiegerelterngeneration zu<br />

H<strong>aus</strong>e pflegen o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Pflegesituation erheblich<br />

unterstützen. Hier gilt es, durch Kurzzeitpflegemöglichkeiten<br />

und Veranstaltungsangebote<br />

Pflegende zu entlasten.<br />

Wie bei <strong>der</strong> Pflegetagung des Landesfamilienrates<br />

in Baden-Württemberg <strong>2009</strong> deutlich wurde und<br />

wie auch die Ergebnisse des BELA III-Netzwerkes<br />

zeigen, ergeben sich über örtliche Initiativen positive<br />

Verän<strong>der</strong>ungen. Doch wie die Referenten <strong>der</strong><br />

Tagung „Vom Mythos <strong>der</strong> Wahlfreiheit“ vor einem<br />

Jahr verdeutlichten und wie auch die Ökonomin<br />

Mascha Madörin postuliert, brauchen wir zukünftig<br />

verlässliche Rahmenbedingungen von Gesellschaft<br />

und Staat.<br />

Dies ist beson<strong>der</strong>s deshalb von entscheiden<strong>der</strong> Bedeutung,<br />

weil<br />

„die Anzahl <strong>der</strong> von Angehörigen Gepflegten<br />

(Pflegegeldempfänger) vergleichsweise schwächer<br />

zunimmt als die Zahl <strong>der</strong> ambulant und stationär<br />

Gepflegten. Dies erklärt sich dar<strong>aus</strong>, dass sich die<br />

Familienstrukturen weiter verän<strong>der</strong>n werden. Die<br />

Zahl <strong>der</strong> für die häusliche Pflege infrage kommenden<br />

Kin<strong>der</strong> (zumeist Töchter und Schwiegertöchter)<br />

nimmt <strong>aus</strong> den geburtenstarken Jahrgängen<br />

her<strong>aus</strong> zwar zu; aber eben weniger stark als die<br />

Zahl <strong>der</strong> Pflegebedürftigen. Hinzu kommt, dass<br />

auch die Frauenerwerbsarbeit ansteigt und die<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen an den Erwerbstätigen, beruflich<br />

mobil zu sein, weiter wachsen.“<br />

Dies verän<strong>der</strong>t die Situation <strong>der</strong> zu Pflegenden.<br />

Darüber hin<strong>aus</strong> wirkt sich hinsichtlich des demografischen<br />

Wandels die Entwicklung <strong>der</strong> Erwerbspersonenzahl<br />

<strong>aus</strong>. Bis 2015 kann die Zahl <strong>der</strong> Er-<br />

werbspersonen ansteigen und ab 2025 unter das<br />

aktuelle Niveau sinken. Dar<strong>aus</strong> folgt ein mo<strong>der</strong>ater<br />

Anstieg <strong>der</strong> Erwerbsbeteiligung insbeson<strong>der</strong>e<br />

bei älteren Erwerbspersonen. Daher gilt es qualitative<br />

und quantitative Möglichkeiten in <strong>der</strong> Betreuung<br />

zum Wohle <strong>der</strong> Pflegebedürftigen weiter zu<br />

entwickeln.<br />

LITERATUR<br />

Brachat-Schwarz,Werner: „Der demografische<br />

Wandel. Auswirkungen auf die künftige<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Erwerbspersonenzahl in Baden-<br />

Württemberg“ In: Statistisches Monatsheft<br />

Baden-Württemberg 12/<strong>2009</strong>, S. 9<br />

Burger, Franz/ Weber, Matthias: „Vor<strong>aus</strong>berechnung<br />

<strong>der</strong> Pflegebedürftigen und des Pflegepersonals<br />

in Baden-Württemberg“ In: Statistisches<br />

Monatsheft Baden-Württemberg 4/<strong>2009</strong>, S. 12<br />

Burger, Franz/ Weber, Matthias: „Deutlicher<br />

Zuwachs an Pflegebedürftigen und Pflegeeinrichtungen“<br />

In: Statistisches Monatsheft Baden-<br />

Württemberg 4/<strong>2009</strong>, S. 31<br />

Daumüller, Rosemarie: „Nur eine Frage <strong>der</strong><br />

Kin<strong>der</strong>betreuung? Vereinbarkeit von Beruf und<br />

Familie“ - Beitrag im Rahmen <strong>der</strong> Tagung<br />

„Vom Mythos <strong>der</strong> Wahlfreiheit“<br />

Fischli, Peter/ Weiss, David: Findet mich das<br />

Glück? Köln 2003<br />

Grün, Anselm: Das kleine Buch vom wahren<br />

Glück. Freiburg 2001<br />

Madörin, Mascha: „Pflege – eine Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung<br />

für die Gesundheitsökonomie“<br />

In: Managed Care 7/8 2005<br />

2.7. PFLEGESTANDARDS<br />

UND/ODER<br />

LEBENSWELTORIENTIERUNG:<br />

IMPULSE FÜR DIE AUSEINANDER-<br />

SETZUNG MIT BELA III<br />

Dr. Eberhard Goll<br />

Vorstand Altenhilfe Samariterstiftung, Nürtingen<br />

Ausformulierte Stichworte <strong>der</strong> Impulsreferate, gehalten<br />

auf <strong>der</strong> 2. Verbundkonferenz des BELA III -<br />

Qualitätsnetzwerks, Stuttgart, 27.11.<strong>2009</strong><br />

Die im BELA III-Projekt vernetzten Pflegeeinrichtungen<br />

sehen sich mit neuen Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ungen<br />

konfrontiert, die an die Einrichtungen gerichteten<br />

For<strong>der</strong>ungen spiegeln sich auch in <strong>der</strong> Netzwerkarbeit<br />

des Projektes wi<strong>der</strong>. Diese Neu<strong>aus</strong>richtung<br />

und die verstärkte Einbindung ehrenamtlich Engagierter<br />

haben für die Einrichtungen bestimmte<br />

Folgen, die ebenso positiv sein können wie auch<br />

gewisse Grenzen offenlegen, inwieweit die Bewohner<br />

als auch die Einrichtung und die Netzwerkarbeit<br />

von und mit BELA III betroffen sind.<br />

PFLEGEHEIME ZWISCHEN PFLEGE-<br />

STANDARDS UND LEBENSWELT-<br />

ORIENTIERUNG<br />

Für die stationäre Pflege wird seit einigen Jahren<br />

eine stärkere Lebensweltorientierung gefor<strong>der</strong>t.<br />

Auch mit dem BELA III-Projekt sind solche For<strong>der</strong>ungen<br />

verbunden. Pflegeheime haben jedoch als<br />

Institutionen ihre Eigengesetzlichkeiten, die z.T. als<br />

Grenzen einer stärkeren Lebensweltorientierung<br />

erlebt werden. Auch externe Anspruchs- und<br />

Interessengruppen sowie Institutionen richten Erwartungen<br />

an Pflegeheime, die mehr in die eine<br />

o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Richtung gehen. Im Folgenden werden<br />

wichtige Elemente einer Ausrichtung an Pflegestandards<br />

einerseits und Beispiele für eine Lebensweltorientierung<br />

in <strong>der</strong> Pflege an<strong>der</strong>erseits<br />

kurz skizziert.<br />

PFLEGESTANDARDS<br />

42 43


44<br />

Die Zielrichtung Standardisierung in <strong>der</strong> Pflege<br />

wird durch folgende Punkte unterstützt bzw. beför<strong>der</strong>t:<br />

1. Die Prüfungen des Medizinischen Dienstes<br />

des Krankenversicherung (MDK) führen vermehrt<br />

zu einer „Medizinisierung“ <strong>der</strong> Pflege, da sich 35<br />

Kriterien <strong>der</strong> Prüfung auf die Pflege beziehen,<br />

aber nur drei Kriterien auf das Wohnen.<br />

2. In stationären Einrichtungen gelten klare Leitlinien,<br />

etwa was Hygienestandards, Brandschutz<br />

o<strong>der</strong> Haftungsfragen anbelangt. So trägt z.B. <strong>der</strong><br />

Heimträger die volle Verantwortung für alles, was<br />

mit den Bewohnern im Heim geschieht. Die Heimaufsicht<br />

kontrolliert, ob Heime dieser Verantwortung<br />

auch nach kommen.<br />

3. Heimgesetze und entsprechende Richtlinien<br />

<strong>der</strong> Prüfbehörden zeigen die Tendenz auf, dass<br />

Bewohnerinnen und Bewohner bei Bedarf Anspruch<br />

auf eine umfassende Vollversorgung im<br />

Heim haben, z.B. bei <strong>der</strong> Begleitung zum Arzt<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Verwaltung des Taschengeldes. Heimträger<br />

und Einrichtungen selbst sorgen mit ihrem<br />

Qualitätsmanagement auch für eine Standardisierung<br />

<strong>der</strong> Arbeitsabläufe.<br />

4. Und schließlich ist eine solche Einrichtung immer<br />

auch ein Ort, in dem Fachkräfte auf möglichst<br />

hohem Niveau <strong>aus</strong>gebildet werden. Berufsverbände<br />

und Ausbildungsinstitution for<strong>der</strong>n klare Standards<br />

für die Ausbildung und für die spätere Tätigkeit<br />

<strong>der</strong> Mitarbeitenden in einem Pflegeheim.<br />

Lebensweltorientierung hingegen bedeutet,<br />

das Zusammenleben <strong>der</strong> Pflegebedürftigen viel<br />

eher als H<strong>aus</strong>gemeinschaft zu verstehen – mit Betonung<br />

auf <strong>der</strong> gemeinsamen Bewältigung des<br />

Alltags.<br />

Dar<strong>aus</strong> entstehen neue Berufsbil<strong>der</strong>, wie etwa Alltagsbegleiter<br />

und Betreuungsassistenten. Zudem<br />

findet in viel größerem Maße eine Öffnung <strong>der</strong><br />

Häuser statt – mo<strong>der</strong>ne Einrichtungen sind häufig<br />

verbunden mit einer Begegnungsstätte, sie bieten<br />

offenen Mittagstisch o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e öffentliche Aktivitäten<br />

an.<br />

Auf diese Weise kommt es zu einer stärkeren Vernetzung<br />

mit dem Gemeinwesen, beispielsweise<br />

durch die Einbeziehung von Ehrenamtlichen o<strong>der</strong><br />

bürgerschaftlich Engagierten <strong>aus</strong> Firmen, Gruppen<br />

und Kreisen (Corporate Social Responsibility).<br />

Auch die Angehörigen sind in aller Regel stärker<br />

eingebunden, was zu einer stärker „geteilten Verantwortung“<br />

aller Beteiligten führt.<br />

WAS BRINGT BÜRGERSCHAFT-<br />

LICHES ENGAGEMENT<br />

FÜR DIE BEWOHNER UND<br />

DIE EINRICHTUNG?<br />

Bürgerschaftliches Engagement in einer Pflegeeinrichtung<br />

bringt viele positive Effekte mit sich, birgt<br />

folgende Chancen und Möglichkeiten:<br />

Soziale Kontrolle und an<strong>der</strong>e Perspektive(n) für<br />

Bewohnerinnen und Bewohner, aber auch für Mitarbeitende<br />

und die Einrichtung<br />

Mehr „Zeit für Menschen“, insbeson<strong>der</strong>e für<br />

die Bewohner durch die Mitarbeit <strong>der</strong> Ehrenamtlichen<br />

und auch durch die Entlastung <strong>der</strong> Mitarbeitenden<br />

des Heimes<br />

Multiplikatoren und Fürsprecher zu finden<br />

(denn die Glaubwürdigkeit <strong>der</strong> Aussagen von freiwillig<br />

Engagierten und Angehörigen ist höher als<br />

die von Mitarbeitenden)<br />

Mitarbeiter zu finden (über Kontakte in die Familien<br />

bzw. über die Engagierten)<br />

stärkere Lebensweltorientierung (eine Verbindung<br />

schaffen von „Draußen nach Drinnen“ und<br />

umgekehrt, mehr Beteiligung am Gemeinwesen)


GRENZEN DES BÜRGERSCHAFT-<br />

LICHEN ENGAGEMENTS<br />

UND CHANCEN VON BELA III<br />

Doch es gibt auch Grenzen für bürgerschaftliches<br />

Engagement in einzelnen Einrichtungen bzw.<br />

Chancen für einen Verbund wie BELA III, so bspw.<br />

Grenzen in <strong>der</strong> Gewinnung von bürgerschaftlich<br />

Engagierten: das BELA III-Netzwerk gibt Anregungen,<br />

wie man Freiwillige gewinnen kann (Angehörige<br />

gibt es z.B. in jedem Heim)<br />

Grenzen in <strong>der</strong> Qualifizierung <strong>der</strong> Arbeit von<br />

bürgerschaftlich Engagierten und <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />

mit den Hauptamtlichen: BELA III bietet Fortbildungsreihen<br />

Grenzen in <strong>der</strong> Koordination des bürgerschaftlichen<br />

Engagements und im Aufbau eines Konzeptes:<br />

über BELA III könnte ggf. erreicht werden,<br />

dass <strong>der</strong>artige Aufwendungen pflegesatzrelevant<br />

werden<br />

Grenzen in <strong>der</strong> Verlässlichkeit/ Planbarkeit, in<br />

<strong>der</strong> Mitbestimmung und bei den Qualitätsmaßstäben<br />

<strong>der</strong> Arbeit bürgerschaftlich Engagierter: BELA<br />

III kann auch die Unterschiede zwischen Hauptund<br />

Ehrenamtlichen verdeutlichen<br />

Grenzen durch Konkurrenz und Wettbewerb:<br />

bei BELA III gemeinsam neue Chancen entdecken<br />

Grenzen in <strong>der</strong> Außendarstellung und <strong>der</strong> Beeinflussung<br />

des Images von stationären Pflegeeinrichtungen:<br />

eine starke Stimme in <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

ist die Chance von BELA III mit möglichst hoher<br />

Beteiligung <strong>der</strong> Einrichtungen und glaubwürdigen<br />

Partnern wie Sozialministerium, Landesseniorenrat<br />

und kommunalen Spitzenverbänden.<br />

3<br />

EINE ERSTE BILANZ<br />

AUS DER BELA III-PRAXIS<br />

45


ALS MARKE<br />

STARK MACHEN<br />

46<br />

3. ERSTE BILANZ AUS DER<br />

BELA III-PRAXIS 3.1. BELA III ALS<br />

MARKE STARK MACHEN: IDEEN<br />

AUS DER PROJEKTEVALUATION<br />

Thomas Pfundstein, Mario Störkle<br />

Evangelische Hochschule Freiburg<br />

Der vorliegende Bericht stellt den Zwischenstand<br />

<strong>der</strong> Projektevaluation dar, soweit sie <strong>der</strong>zeit dargestellt<br />

werden kann. Bisher erhobene Daten umfassen:<br />

die Befragung sowohl <strong>der</strong> teilnehmenden als<br />

auch <strong>der</strong> nicht-teilnehmenden Einrichtungen (sogenannte<br />

Non-Response-Analyse), die Ergebnisse<br />

eines Ideenmeetings zur Weiterentwicklung des<br />

BELA III-Netzwerkes, sowie eine Evaluation <strong>der</strong><br />

bisherigen Fortbildungsveranstaltungen. Noch<br />

nicht in <strong>der</strong> Analyse berücksichtigt sind die geplanten<br />

Erhebungen wie die Zwischen- und Endbefragung<br />

<strong>der</strong> teilnehmenden Einrichtungen, die<br />

Fortsetzung <strong>der</strong> Evaluation <strong>der</strong> Fortbildungsveranstaltungen,<br />

sowie eine Analyse des BELA III-Netzwerkes<br />

und eine Befragung <strong>der</strong> kommunalen<br />

Netzwerkpartner.<br />

BEFRAGUNG DER TEILNEHMEN-<br />

DEN EINRICHTUNGEN<br />

Zunächst sollen hier die Ergebnisse <strong>der</strong> Befragung<br />

<strong>der</strong> teilnehmenden Einrichtungen dargestellt werden.<br />

Die Befragung fand telefonisch vom 01.10.<br />

bis 19.11.<strong>2008</strong> statt, 76 <strong>der</strong> damals 88 BELA III-<br />

Einrichtungen konnten befragt werden. Die Befragung<br />

konzentrierte sich hierbei auf die folgenden<br />

Schwerpunkte:<br />

Strukturdaten <strong>der</strong> Einrichtungen<br />

Informationswege von BELA III<br />

Aktivitäten <strong>der</strong> Engagierten<br />

Würdigung und Integration von Engagierten<br />

Zusammenarbeit mit externen Gruppen<br />

Erwartungshaltung gegenüber BELA III<br />

Die Erhebung <strong>der</strong> Strukturdaten ergab, dass 37%<br />

<strong>der</strong> Einrichtungen eine Größe von 50 - 100 Plätzen<br />

haben, gefolgt von 26% <strong>der</strong> Einrichtungen<br />

mit bis zu 50 Plätzen und 24% <strong>der</strong> Einrichtungen<br />

mit 100 bis 150 Plätzen. Einrichtungen mit mehr<br />

Plätzen sind weniger häufig vertreten: 9% haben<br />

150 bis 200 Plätze, und lediglich 4% haben mehr<br />

als 200 Plätze.<br />

Mehr als die Hälfte <strong>der</strong> Einrichtungen sind frei<br />

bzw. gemeinnützig (51%), von Stiftungen getragen<br />

sind 27%, kommunal finanziert 14% und<br />

privat lediglich 4%. Fast zwei Drittel <strong>der</strong> Einrichtungen<br />

(63%) liegen im Stadt-/ Ortskern, 36% in<br />

Wohngebieten in Randlage. Mit einem Prozent ist<br />

<strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Einrichtungen, die außerhalb bebauter<br />

Gebiete liegt, verschwindend gering.<br />

Das Netzwerk entwickelte sich in den Regionen<br />

von Baden-Württemberg sehr unterschiedlich. Eine<br />

deutliche Ballung bestand in den Kreisen Esslingen<br />

(17) und Stuttgart (11), gefolgt von Kreisen<br />

mit relativer Dichte wie Ravensburg (6), Ludwigsburg<br />

(5), Göppingen (5) und Mannheim (5). Die<br />

restlichen Mitgliedseinrichtungen (39) verteilten<br />

sich teils solitär über die an<strong>der</strong>en Kreise.<br />

Informationen über BELA III und das geplante<br />

Netzwerk erlangten die Einrichtungen überwiegend<br />

auf direktem Wege. Hinweise und Anregungen<br />

seitens des Projektbüros, von Gremien und<br />

Vorgesetzten zählten zu den wesentlichen Informationsquellen.<br />

Auch die vorherige Teilnahme an<br />

BELA I/ II motivierte entscheidend zur weiteren<br />

Teilnahme. Unterrepräsentiert zeigten sich hier die<br />

klassische öffentliche Repräsentanz und Aufmerksamkeit<br />

wie bspw. Anschreiben, Presseberichte<br />

und Internetauftritt. Die Idee von BELA III vermittelte<br />

sich wie auch schon in BELA I und II<br />

hauptsächlich über den persönlichen Kontakt und<br />

eine gemeinsame Haltung.<br />

Der Großteil <strong>der</strong> Freiwilligen in den BELA III-Einrichtungen<br />

ist in den Bereichen Beschäftigung<br />

(65%) und Ausflüge, Spaziergänge, Begleitung<br />

(59%) aktiv. Knapp die Hälfte (45%) übernimmt<br />

Besuchsdienste, dicht gefolgt vom Cafédienst,<br />

den 41% <strong>der</strong> Engagierten übernehmen. Jeweils<br />

knapp ein Drittel ist in den Bereichen Pflege, Veranstaltungsorganisation<br />

und Gottesdienstbegleitung<br />

tätig. 13% sehen einen Schwerpunkt <strong>der</strong><br />

Unterstützung in <strong>der</strong> Hospizarbeit. Dass das Engagement<br />

nicht nur in <strong>der</strong> Unterstützung und Begleitung<br />

<strong>der</strong> Bewohnerinnen und Bewohner liegen<br />

kann, zeigt sich in <strong>der</strong> Tatsache, dass immerhin<br />

13% <strong>der</strong> Freiwilligen ihr Engagement im Bereich<br />

<strong>der</strong> Verwaltung einbringen und damit einen Beitrag<br />

zur Organisation des Pflegeheimes leisten.<br />

Dies spiegelt sich auch in den Ergebnissen zur<br />

Würdigung und Integration <strong>der</strong> Engagierten wi<strong>der</strong>:<br />

Würdigung erfolgt vor allem durch Feste, Ausflüge<br />

und Geschenke, die Integration in Organisationsabläufe<br />

wird meist durch Fortbildung (teilweise<br />

mit Hauptamtlichen) und Teamsitzungen gesichert.<br />

Voll integriert in die Ablauf- und Entscheidungsprozesse<br />

<strong>der</strong> Einrichtungen sind aber nur<br />

wenige Engagierte. Die Teilnahme an Dienstbesprechungen<br />

o<strong>der</strong> die Einbindung in Entschei-<br />

dungsprozesse und Pflegeplanung wurde nur sehr<br />

selten realisiert.<br />

Neben diesem persönlichen Engagement werden<br />

alle BELA III-Einrichtungen auch durch gesellschaftliche<br />

Gruppen unterstützt. An vor<strong>der</strong>ster<br />

Stelle <strong>der</strong> externen Gruppen und Organisationen,<br />

die die Einrichtungen unterstützen, sind Kirchengemeinden<br />

(81%) und Schulen/ Kin<strong>der</strong>gärten<br />

(80%), gefolgt von freien Initiativen und Vereinen<br />

(67%). In je<strong>der</strong> vierten BELA III-Einrichtung engagieren<br />

sich Hospiz-Gruppen (26%). In <strong>der</strong> Form<br />

<strong>der</strong> Unterstützung zeigt sich auch hier: an erster<br />

Stelle stehen soziale Zusammenkünfte wie Veranstaltungen<br />

und Feste (75%), gefolgt von Besuchen<br />

(55%), Beschäftigung (51%) und Gottesdienstgestaltung<br />

(43%)..<br />

Beson<strong>der</strong>s interessant für die Zwischenevaluation<br />

war die Frage, welche Erwartungen die Einrichtungen<br />

an BELA III haben. Die Ergebnisse zeigen<br />

folgende Wünsche:<br />

47


Aust<strong>aus</strong>ch, Anregung, Inspiration (68%)<br />

Akquise von neuen Engagierten (30%)<br />

BELA III soll eine „Marke“ werden (25%)<br />

Weiterbildung <strong>der</strong> Mitarbeiter und<br />

Engagierten (25%)<br />

Netzwerkaufbau (24%)<br />

Bessere Zusammenarbeit<br />

von Hauptamtlichen und Engagierten (7%)<br />

BEFRAGUNG DER NICHT-TEILNEH-<br />

MENDEN EINRICHTUNGEN<br />

Bessere Informationen zur Bekanntheit und <strong>der</strong><br />

Motivation zum Beitritt ins BELA III-Netzwerk sollte<br />

mit einer repräsentativen Befragung <strong>der</strong> nichtteilnehmenden<br />

Einrichtungen (Non-Response-<br />

Analyse) erreicht werden. Hierzu wurden in einem<br />

Zufallsverfahren 10% <strong>der</strong> nicht-teilnehmenden<br />

Einrichtungen <strong>aus</strong>gewählt und telefonisch befragt.<br />

Insgesamt nahmen 102 Einrichtungen an dieser<br />

Befragung teil.<br />

Das leitfadengestützte Interview glie<strong>der</strong>te sich in<br />

vier Themenbereiche.<br />

Bekanntheit von BELA III<br />

Informationswege von BELA III<br />

Gründe für die Nichtteilnahme an BELA III<br />

Strukturdaten <strong>der</strong> Einrichtungen<br />

Jede zweite Einrichtung gab an über BELA III informiert<br />

zu sein. Häufige Informationswege, ähnlich<br />

wie die Ergebnisse <strong>der</strong> Befragung <strong>der</strong> teilnehmenden<br />

Einrichtungen, waren hier die Hinweise des<br />

Projektbüros, <strong>der</strong> Gremien und/o<strong>der</strong> <strong>der</strong> eigenen<br />

Träger. Auch hier zeigte sich, dass die die klassischen<br />

Mittel <strong>der</strong> nicht zielgerichteten Öffentlichkeitsarbeit<br />

wie Presseberichte und Internetpräsenz<br />

wenig bis gar nicht zum Bekanntheitsgrad<br />

von BELA III beitragen.<br />

Auf die Frage, welche Gründe gegen eine Teilnahme<br />

an BELA III für die jeweiligen Einrichtungen<br />

zum Tragen kamen, antworteten die meisten mit<br />

dem zusätzlichen Verwaltungs- und Personalaufwand<br />

(25% bzw. 19%). Zudem schien einigen <strong>der</strong><br />

Nutzen nicht klar ersichtlich (13%), bzw. das Projekt<br />

nicht <strong>aus</strong>gereift genug (12%). Weitere Gründe<br />

<strong>der</strong> Nichtteilnahme lagen in <strong>der</strong> bereits guten<br />

Einbindung in an<strong>der</strong>e Netzwerke (10%), sowie<br />

<strong>der</strong> bereits vorhandenen und als gut interpretierten<br />

Einbindung <strong>der</strong> Engagierten in den Einrichtungen<br />

(8%).<br />

IDEENMEETING<br />

Am 28.11.<strong>2008</strong> wurde von Seiten des Evaluationsträgers<br />

ein Ideenmeeting zur Weiterentwikklung<br />

des BELA III-Netzwerks in Karlsruhe angeboten.<br />

Eingeladen waren alle Interessierten, die über<br />

Aufbau und Fortbestand des Netzwerks nach Projektende<br />

diskutieren wollten, insbeson<strong>der</strong>e die bekannten<br />

Akteure des Netzwerkes <strong>aus</strong> den Bereichen<br />

<strong>der</strong> kommunalen Partner, <strong>der</strong> Mitgliedseinrichtungen<br />

und <strong>der</strong> Einrichtungsträger. Der zur<br />

Verfügung stehende Nachmittag stand unter drei<br />

Fragestellungen:<br />

Warum ist BELA wichtig –<br />

Motivationslagen an BELA III?<br />

BELA III nach sechs Monaten –<br />

eine erste Bilanz?<br />

Anregungen: Wie geht es weiter?<br />

Die Motivation zur Teilnahme an BELA III kann<br />

grob in sechs Fel<strong>der</strong> eingeordnet werden. Zum einen<br />

war in <strong>der</strong> Diskussion <strong>der</strong> Teilnehmenden ersichtlich,<br />

dass die BELA III-Strukturen als notwendig<br />

angesehen werden, um auf den demografischen<br />

Wandel zu reagieren. Des weiteren können<br />

die BELA III-Strukturen laut Meinung <strong>der</strong> Anwesenden<br />

zur Öffnung des Ehrenamtes, weg von<br />

den verkrusteten Strukturen des klassischen Ehrenamtes,<br />

beitragen. Eine Teilnahme an BELA III<br />

sollte zudem hilfreich sein, die Akquise von Engagierten<br />

zu verbessern und neue Wege in <strong>der</strong> gemeinsamen<br />

Weiterbildung von Professionellen<br />

und Engagierten zu beschreiten.<br />

Die im Rahmen des Ideenmeetings aufgezeigte erste<br />

Bilanz nach sechs Monaten Projektlaufzeit von<br />

BELA III zählte mehrere positive Aspekte auf, darunter<br />

die guten Rückmeldungen von den Treffen <strong>der</strong><br />

Regionalpartner (Esslingen, Kirchheim), aber auch<br />

die Anregungen und entscheidenden Anstöße für<br />

die Kooperation mit Schulen und zu Tandemwochen<br />

(beides <strong>aus</strong> Karlsruhe). Des weiteren regte BE-<br />

LA IIII einen eher „passiven“ Freundeskreis einer<br />

Einrichtung wie<strong>der</strong> zur Diskussion an (Karlsruhe).<br />

Als negativer Aspekt wurde her<strong>aus</strong>gestellt, dass es<br />

noch keine gute Außenwahrnehmung von BELA III<br />

gibt. Diese Bilanz floss auch in den dritten Teil <strong>der</strong><br />

Zukunftswerkstatt ein, den Anregungen für die<br />

weitere Arbeit. Diese Anregungen können wie<br />

folgt zusammengefasst werden:<br />

BELA III muss als eine Marke präsent sein,<br />

zu <strong>der</strong> Einrichtungen dazugehören wollen<br />

BELA III als „Wertegemeinschaft“ muss<br />

stärker in den Einrichtungen erkennbar sein<br />

Vorschlag eines Bonus- o<strong>der</strong> Punktesystems,<br />

um Engagierte zu würdigen<br />

Ausbau <strong>der</strong> Zusammenarbeit mit Kommunen,<br />

um eine bessere Außenwirkung<br />

für Engagierte zu bekommen<br />

Politische Anerkennung und Würdigung<br />

des Netzwerks durch kommunale Vertretung,<br />

nicht nur durch symbolische Beiträge<br />

<strong>der</strong> Kommune<br />

Zukünftige Finanzierung über eine Stiftung<br />

o<strong>der</strong> Fundraising<br />

BELA III in Zukunft als Stiftungsidee unter<br />

Beteiligung von Trägern, Kommunen<br />

und eventuell Kassen<br />

EVALUATION<br />

DER FORTBILDUNGS-<br />

VERANSTALTUNGEN<br />

Die Fortbildungsveranstaltungen wurden schriftlich<br />

mit Hilfe von Fragebögen für alle Teilnehmenden<br />

<strong>der</strong> Fortbildungen von November bis Dezember<br />

<strong>2008</strong> auf den jeweiligen Veranstaltungen evaluiert,<br />

insgesamt 10 <strong>der</strong> 14 Fortbildungen flossen<br />

in die Analyse ein, mit insgesamt 139 Bögen.<br />

Schwerpunkte <strong>der</strong> Befragung bildeten zum einen<br />

die Bewertung <strong>der</strong> Veranstaltung, und zum an<strong>der</strong>en<br />

die Strukturdaten <strong>der</strong> Teilnehmenden.<br />

Insgesamt kann eine positive Resonanz auf den<br />

strukturellen, inhaltlichen und organisatorischen<br />

Ablauf <strong>der</strong> einzelnen Veranstaltungen festgestellt<br />

werden.<br />

Aus den erhobenen Strukturdaten <strong>der</strong> Teilnehmenden<br />

ist erkennbar, dass 62% professionelle<br />

Fachkräfte waren, 31% freiwillig Engagierte und<br />

7% Sonstige.<br />

48 49


PROJEKTBÖRSE BELA III<br />

3.2. „NICHT JEDER MUSS DAS<br />

RAD NEU ERFINDEN!“ –<br />

DIE BELA III-PROJEKTBÖRSE<br />

ALS WISSENSPOOL<br />

UND AUSTAUSCHPLATTFORM<br />

Judith Blume<br />

Kulturwissenschaftlerin<br />

Gekürzte bzw. leicht überarbeitete Auszüge <strong>aus</strong><br />

dem Abschlussbericht zur Projektbörse<br />

ÜBER DIE PROJEKTBÖRSE<br />

Die Projektbörse, ein wichtiger Bestandteil des<br />

Projektantrages von BELA III, wurde über mehrere<br />

Monate aufgebaut und dann veröffentlicht bzw.<br />

auf die Homepage von BELA III gestellt und nutzbar<br />

gemacht. Die Projektbörse soll die Projekte<br />

und Erfahrungen, die die einzelnen Institutionen<br />

in <strong>der</strong> Arbeit mit Ehrenamtlichen gesammelt haben,<br />

festhalten und damit zum einen den direkten<br />

und flexiblen Aust<strong>aus</strong>ch zwischen den Einrichtungen<br />

för<strong>der</strong>n und zum an<strong>der</strong>en die Vielfältigkeit<br />

des Netzwerks auch nach außen präsentieren.<br />

VORGEHENSWEISE<br />

Zunächst wurde mithilfe vorhandener Materialien<br />

<strong>der</strong> aktuelle Status <strong>der</strong> thematischen und strukturellen<br />

Grundzüge des BELA III-Netzwerkes zusammengetragen,<br />

eine inhaltliche Konzeption <strong>der</strong><br />

Projektbörse sowie ein Interviewleitfaden erstellt.<br />

Alle Mitglie<strong>der</strong> des Netzwerkes wurden über das<br />

Projekt informiert und gleichzeitig Überblicksdaten<br />

über die BELA III-Projektaktivitäten erhoben.<br />

Dazu wurden zum einen strukturelle Daten sowie<br />

allgemeine Informationen über die jeweiligen Einrichtungen<br />

gesammelt. Im Anschluss daran wurden<br />

Telefoninterviews mit den jeweiligen Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeitern geführt, um detaillierte<br />

Informationen über jeweilige Projekte und<br />

Arbeitsbereiche zu erfahren sowie Erwartungen<br />

und Wünsche an BELA III abzufragen. Mithilfe all<br />

dieser Informationen wurde ein kurzes Portfolio<br />

bzw. ein Profil je<strong>der</strong> Einrichtung zusammengestellt.<br />

Dieses Profil wurde dann zur Autorisierung<br />

an die jeweilige Einrichtung gesendet, anhand <strong>der</strong><br />

Kommentare und Korrekturen überarbeitet und<br />

anschließend in Übereinstimmung mit <strong>der</strong> Konzeption<br />

<strong>der</strong> Projektbörse verschlagwortet.<br />

Parallel dazu und in regelmäßigen Abständen fanden<br />

Koordinationsgespräche sowie ein Aust<strong>aus</strong>ch<br />

über die inhaltliche und strukturelle Weiterentwikklung<br />

<strong>der</strong> Projektbörse statt.<br />

SYSTEMATISIERUNG<br />

Die befragten Einrichtungen lassen sich grob in<br />

vier Gruppen einteilen. Als Kriterien wurden hierbei<br />

zum einen <strong>der</strong> Stand bzw. Grad <strong>der</strong> Einbindung<br />

von Ehrenamtlichen, die Zusammenarbeit<br />

von Haupt- und Ehrenamtlichen sowie die Existenz<br />

von Konzepten und Standards im Bereich<br />

<strong>der</strong> ehrenamtlichen Arbeit herangezogen. Die Einteilung<br />

erfolgte nicht anhand empirischer Daten,<br />

son<strong>der</strong>n wurde auf Grundlage des Eindruckes bei<br />

den Gesprächen erstellt, ohne die Überschneidungen<br />

bzw. Zwischenpositionen zu berücksichtigen.<br />

Die Einteilung hat also keinen statistischen Anspruch,<br />

son<strong>der</strong>n soll lediglich einen groben Überblick<br />

ermöglichen.<br />

Gruppe A: Ehrenamtliche Arbeit befindet sich<br />

noch im Aufbau, d.h. es gibt bislang keine o<strong>der</strong><br />

nur vereinzelt wenige Ehrenamtliche (13 Einrichtungen).<br />

Gruppe B: Ehrenamtliche Arbeit befindet sich<br />

noch im Aufbau, aber es wurde ein deutliches<br />

Interesse an BELA III und an einem strukturierten<br />

Aufbau formuliert (13 Einrichtungen).<br />

Gruppe C: Es gibt bereits mehrere/ zahlreiche Aktivitäten,<br />

die Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen<br />

wird thematisiert und bearbeitet<br />

und man setzt sich generell mit BELA III Themen<br />

<strong>aus</strong>einan<strong>der</strong> (34 Einrichtungen).<br />

Gruppe D: Es gibt nicht nur zahlreiche Aktivitäten,<br />

son<strong>der</strong>n die Ehrenamtlichen sind auch stark in<br />

die generelle Arbeit eingebunden. Es existiert ein<br />

Konzept und ein großes Interesse an den Themen<br />

von BELA III; BELA III ist dann meist nicht nur ein<br />

Aust<strong>aus</strong>chforum, son<strong>der</strong>n hat auch eine politische<br />

Dimension (16 Einrichtungen).<br />

KOMMUNIKATION<br />

UND FEEDBACK<br />

Insgesamt verlief die Kontaktaufnahme und die<br />

Kommunikation gut, viele <strong>der</strong> Teilnehmenden<br />

zeigten sich offen für eine Zusammenarbeit.<br />

Schwierigkeiten resultierten zumeist eher <strong>aus</strong><br />

strukturellen Hürden wie variierenden Arbeitsund<br />

Bürozeiten und damit verbundenen Problemen<br />

in <strong>der</strong> Terminfindung. Auch <strong>der</strong> Kontakt via<br />

Email ist nicht in allen Einrichtungen zuverlässig,<br />

zum Teil wird dieses Kommunikationsmedium zu<br />

selten genutzt, als dass es für einen verlässlichen<br />

Informations<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch in Frage kommen kann.<br />

Dies sollte auch bei <strong>der</strong> Informationsweiterleitung<br />

von Seiten <strong>der</strong> Projektzentrale berücksichtigt werden,<br />

da bisher Internetkommunikation und Email-<br />

Rundbriefe als eines <strong>der</strong> zentralen Bestandteile<br />

des BELA III-Netzwerkes genutzt werden.<br />

Eine weitere Schwierigkeit in manchen Interviews<br />

war die Unsicherheit einiger Gesprächspartner in<br />

<strong>der</strong> Benutzung und dem Verstehen von „BELA III-<br />

Projektvokabular" und <strong>der</strong> fehlenden Erfahrung<br />

bzw. Anbindung mit/ an BELA III. Somit war es z.T.<br />

schwierig für die Gesprächspartner, die Schlagworte<br />

in <strong>der</strong> Arbeit von BELA III in Bezug auf die Stärken<br />

<strong>der</strong> eigenen Einrichtung zu benennen bzw. ein<br />

Bewusstsein für die eigene Arbeit zu erarbeiten.<br />

Das Feedback zur Befragung, zur geplanten Projektbörse<br />

und zur Arbeit von BELA III insgesamt<br />

war generell positiv. Dazu mehr im nun folgenden<br />

Abschnitt.<br />

EVALUATION DES NETZWERKES<br />

Neben <strong>der</strong> Erstellung <strong>der</strong> Profile für die Projektbörse<br />

dienten die Interviews auch zur Evaluation <strong>der</strong><br />

bisherigen Netzwerkarbeit. Die bisherigen Erfahrungen<br />

sowie Vorteile von BELA III wurden festgehalten,<br />

jedoch auch Probleme und Schwierigkeiten<br />

nachgefragt. Daneben konnten auch Wünsche und<br />

Erwartungen an das BELA III-Netzwerk geäußert<br />

werden.<br />

Laut Befragung zeigten sich in Bezug auf die Vorteile<br />

und positiven Erfahrungen als Teil des BELA III-<br />

Netzwerkes die folgenden übergreifenden Themen:<br />

1. BELA III ALS AUSTAUSCH<br />

Der offene Wissens- und Informations<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch<br />

innerhalb des BELA III-Netzwerkes wurde stets als<br />

größter Vorteil genannt. Beson<strong>der</strong>s hervorgehoben<br />

wurde dabei die erlebte trägerübergreifende<br />

Zusammenarbeit und fehlende Konkurrenzsituation.<br />

Zudem schätzen alle Befragten die Möglichkeit,<br />

BELA III als Raum für neue Ideen nutzen bzw.<br />

auf die Erfahrungswerte an<strong>der</strong>er Einrichtungen<br />

zurückgreifen zu können.<br />

2. BELA III ALS WISSENSPOOL<br />

Die professionelle Arbeit aller haupt- und ehrenamtlichen<br />

Mitglie<strong>der</strong> des Netzwerkes stellt für die<br />

Befragten einen beson<strong>der</strong>en Vorteil dar; <strong>der</strong> Aust<strong>aus</strong>ch<br />

ermögliche so einen professionellen Input<br />

und konkrete Impulse auf stets aktuellem Stand.<br />

Auch die Fortbildungen werden - als Möglichkeit<br />

aktuelles Wissen zu erwerben - sehr hochwertig<br />

eingeschätzt.<br />

3. BELA III ALS RAUM<br />

FÜR REFLEXION<br />

Die Möglichkeit, innerhalb des BELA III-Netzwerkes<br />

verschiedenste Themen - bspw. Ehrenamt, Altenpflege,<br />

Lebensqualität, Gemeinschaft, Verantwortung<br />

- auf professioneller und struktureller<br />

Ebene zu diskutieren, wird ebenfalls von vielen als<br />

50 51


REFLEXION<br />

WAS KANN UND IST BELA?<br />

AUSTAUSCH<br />

WISSEN<br />

GEMEINSCHAFT<br />

ÖFFENTLICHKEITSARBEIT<br />

GESELLSCHAFT<br />

ein großer Vorteil angesehen. Abseits von <strong>der</strong> alltäglichen<br />

Arbeit könnten diese Themen im Kontext<br />

gesellschaftlicher Verän<strong>der</strong>ungen und Strukturen<br />

beleuchtet werden, die kollektive Reflexion<br />

ermögliche eine Positionierung und Distanz, die<br />

einer einzelnen Einrichtung nur schwierig möglich<br />

sei. Zusätzlich zur Möglichkeit, in diesem Raum<br />

neue Kontakte zu knüpfen und neue Thematiken<br />

zu besprechen, bestärke diese diskursive Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

das Gemeinschaftsgefühl und somit<br />

auch die Motivation zur Zusammenarbeit <strong>der</strong> einzelnen<br />

Personen und Organisationen.<br />

4. BELA III ALS<br />

ÖFFENTLICHKEITSARBEIT<br />

Vielen Befragten lag am Herzen, dass BELA III auch<br />

als gemeinsame Stimme nach „außen", in die Öffentlichkeit<br />

und Gesellschaft hineinwirke und so<br />

das Ansehen <strong>der</strong> Altenarbeit verbessere. An<strong>der</strong>e<br />

sahen (zusätzlich) in dem Netzwerk die Möglichkeit<br />

und Aufgabe <strong>der</strong> eher politischen Positionierung<br />

sowie die damit verbundene Verantwortung,<br />

Themen wie Altenpflege stärker in <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

und Politik präsent zu machen und auch die<br />

Wertigkeit des ehrenamtlichen Engagements zu<br />

stärken.<br />

Die abgefragten Probleme und Schwierigkeiten<br />

lassen sich ebenfalls in verschiedene Kategorien<br />

zusammenfassen:<br />

1. AUFTEILUNG IN REGIONEN<br />

Immer wie<strong>der</strong> wurde deutlich, dass ein klares Ungleichgewicht<br />

in <strong>der</strong> Aktivität und Einbindung <strong>der</strong><br />

unterschiedlichen Regionen existiert. Da es mithin<br />

deutliche strukturelle Unterschiede zwischen den<br />

einzelnen Regionen gibt, besteht dabei auch die<br />

Gefahr, die Mitglie<strong>der</strong> in den weniger eingebundenen<br />

Einrichtungen wie<strong>der</strong> zu verlieren – gerade<br />

weil die Regionaltreffen häufig als Motivationsschübe<br />

funktionieren.<br />

2. GRÖSSE DES NETZWERKES<br />

Die generelle Größe und die <strong>aus</strong> ihr resultierende<br />

Vielfalt des gesamten Netzwerks wurde neben<br />

den dar<strong>aus</strong> resultierenden Vorteilen auch als Problem<br />

formuliert. Hier treffen einzelne Institutionen<br />

mit unterschiedlichen Arbeitsansätzen und einem<br />

sehr unterschiedlichen Grad <strong>der</strong> Beteiligung von<br />

Ehrenamtlichen aufeinan<strong>der</strong>, die zudem verschiedene<br />

Interessen im Netzwerk vertreten – <strong>der</strong><br />

Wunsch nach konkreten Impulsen und praktischer<br />

Hilfe trifft auf den Anspruch einer politischen Dimension<br />

<strong>der</strong> Netzwerkarbeit. Diese Diversität hat<br />

zum einen viel Potential, stellt aber auch eine <strong>der</strong><br />

zentralen Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ungen für eine reibungslose<br />

und für alle befriedigende Zusammenarbeit dar,<br />

die we<strong>der</strong> elitär sein sollte noch an thematischer<br />

Schärfe verlieren darf.<br />

3. DOPPELSTRUKTUREN<br />

Im Raum Stuttgart gibt es bereits eine Gemeinschaftsinitiative,<br />

die die unterschiedlichen Einrichtungen<br />

im Bereich <strong>der</strong> Altenpflege trägerübergreifend<br />

vernetzt. Zwar wurde diese Zusammenarbeit<br />

positiv erwähnt, gleichzeitig aber auch problematisiert,<br />

dass sich damit eine doppelte Vernetzung<br />

für den Raum Stuttgart ergibt, die wenig produktiv<br />

zu sein scheint.<br />

Zum Abschluss sollen hier noch einige <strong>der</strong> geäußerten<br />

Vorschläge für die weitere Arbeit und Ausrichtung<br />

des BELAIII-Netzwerkes sowie Themenwünsche<br />

für zukünftige Fortbildungen erwähnt werden:<br />

Einrichtung eines Ehrenamtlichen-Notdienstes<br />

(für Begleitungen ins Krankenh<strong>aus</strong> etc.)<br />

Organisation von Tandems zwischen Ehrenamtlichen:<br />

Zusammenarbeit zwischen alten und<br />

jungen bzw. erfahrenen und neuen Ehrenamtlichen<br />

organisieren<br />

Schulungen für Hauptamtliche, die mit Ehrenamtlichen<br />

zusammen arbeiten bzw. die Ehrenamtlichen<br />

koordinieren<br />

52 53


Themenwünsche für Fortbildungen:<br />

Aufbau von Ehrenamt, Gewinnung<br />

bzw. Einbindung von Ehrenamtlichen,<br />

Zielgruppenansprache<br />

Betreuung von Ehrenamtlichen<br />

Strukturierte Zusammenarbeit<br />

Biographische Arbeit<br />

Demenz<br />

Alltagsbegleiter<br />

Öffentlichkeitsarbeit/<br />

Formulierung <strong>der</strong> eigenen Position<br />

Besuchsdienst<br />

Abschließend lässt sich sagen, dass die teilnehmenden<br />

Einrichtungen zumeist bereitwillig am<br />

Aufbau <strong>der</strong> Projektbörse partizipiert haben und<br />

generell <strong>der</strong> Arbeit im BELA III-Netzwerk aufgeschlossen<br />

und erwartungsvoll gegenüberstehen.<br />

54 55


EINSTELLUNG<br />

PRAXIS<br />

3.3. „WIR SAGEN JETZT NICHT<br />

MEHR: DU HAST JA ALZHEIMER!“<br />

- BELA BEWEGT: DREI BEISPIELE<br />

AUS DER PRAXIS<br />

Auszug <strong>aus</strong> dem Sachbericht <strong>der</strong> Projektkoordination<br />

<strong>2009</strong><br />

1998 IM RAHMEN<br />

DES BETA-PROJEKTS:<br />

Eine solitäre Tagespflegeeinrichtung des DPWV<br />

eröffnet in einem Wohnquartier, das durch den<br />

Abzug amerikanischer Soldaten eine starke Umstrukturierung<br />

erfahren hat. Stadtteilorientierte<br />

Community Development-Prozesse wurden von<br />

<strong>der</strong> Kommune bereits eingeleitet. Es gibt eine<br />

Stadtteilkonferenz, in <strong>der</strong> auch die Tagespflegeeinrichtung<br />

beteiligt ist. Freiwillige werden in <strong>der</strong><br />

Tagespflege über Biografiearbeit interessiert. Es<br />

entstehen Erzählwerkstätten. Auch eine Schulklasse<br />

beteiligt sich über Netzwerkkontakte <strong>der</strong><br />

Projektmitarbeiterin ein halbes Jahr regelmäßig<br />

an diesen Stunden. Fazit: „Wir sagen jetzt nicht<br />

mehr, du hast ja Alzheimer“.<br />

2004 IM RAHMEN DES BELA II-<br />

PRAXISVERBUNDES:<br />

In Rottenburg wird eine neue Einrichtung eröffnet<br />

– in einem Stadtteil, <strong>der</strong> vorwiegend Wohnbezirk<br />

ist. Von <strong>der</strong> Mitwirkung im Praxisverbund erhofft<br />

sich <strong>der</strong> Träger eine systematische Einbindung und<br />

Unterstützung. Die kommunale Fachstelle für Bürgerengagement<br />

richtet eine Stadtteilgruppe ein, in<br />

<strong>der</strong> die meisten öffentlichen Einrichtungen und<br />

Vereinigungen mitwirken. In unmittelbarer Nähe<br />

befindet sich auch die Hochschule für Forstwirtschaft.<br />

Zum Thema Lebensqualität entsteht das<br />

Projekt „Barfußpfad im Pflegeheim“ als studentischer<br />

Beitrag zur Wald- und Umweltpädagogik.<br />

Der nahegelegene Kin<strong>der</strong>garten kommt zum gemeinsamen<br />

Barfußpfadlaufen. Dar<strong>aus</strong> entwickelt<br />

sich eine fortlaufende Erlebnispfad-Kooperation<br />

zwischen Hochschule, Heim, Heimbewohnern und<br />

Kin<strong>der</strong>garten. Gruppen von Heimbewohnern besuchen<br />

den Kin<strong>der</strong>garten und die Hochschule.<br />

<strong>2009</strong> IM RAHMEN DES BELA III-<br />

NETZWERKS:<br />

In Karlsruhe - Stutensee ermöglicht <strong>der</strong> Hinweis<br />

auf das BELA III-Landesnetzwerk einer BELA III-<br />

Einrichtung zum ersten Mal eine systematische<br />

Schulkooperation zur Beteiligung von Schülergruppen<br />

über mehrere Monate aufzubauen. Der<br />

Einsatz findet statt im Rahmen <strong>der</strong> neuen Stundentafel<br />

„Sozialengagement“. Im Netzwerk<br />

gründet sich ein Forum „Kooperation mit Schulen“<br />

als thematische Arbeitsgruppe, an <strong>der</strong> Einrichtungen<br />

<strong>aus</strong> an<strong>der</strong>en Regionen sowie Lehrer<br />

mitwirken. Es entsteht die Idee, Freiwillige im<br />

Rahmen von BELA III zu gewinnen und als Begleiter<br />

für Schülergruppen in Pflegeheimen <strong>aus</strong>zubilden.<br />

BELA BEWEGT: 3 BEISPIELE<br />

56 57


DIE PROJEKTREGIONEN<br />

3.4. ERFOLGE UND<br />

SCHWIERIGKEITEN –<br />

DIE BELA III-PROJEKTREGIONEN<br />

Die vorliegenden Informationen sind dem Sachbericht<br />

<strong>2009</strong> <strong>der</strong> fachlichen Koordination entnommen<br />

und stellen den <strong>der</strong>zeitigen Stand und die aktuelle<br />

Situation <strong>der</strong> Arbeit in den BELA III-Projektregionen<br />

dar. Der BELA III-Qualitätsverbund ist im<br />

Jahr <strong>2009</strong> mit 5 Meilensteinen angetreten, unter<br />

Meilenstein 4 wurde festgelegt, das Netzwerk<br />

weiter <strong>aus</strong>zubauen und die Netzwerkarbeit zu intensivieren.<br />

Ende <strong>2009</strong> verzeichnete das BELA III-Netzwerk 96<br />

Mitglie<strong>der</strong> mit 7467 Plätzen. 11 Einrichtungen sind<br />

<strong>2009</strong> neu beigetreten.<br />

Auftakt- und Impulsveranstaltungen trugen zu<br />

mehr Öffentlichkeit bei und aktivierten breitere<br />

Kreise, führten jedoch nur begrenzt zu Neueintritten.<br />

Präsentationen im Bodenseekreis, im Zollernalbkreis,<br />

im Albdonaukreis, in Südbaden und in<br />

Nordwürttemberg <strong>2009</strong> verweisen auf deutliche<br />

Grenzen weiterer Beteiligung durch externe Informations-<br />

und Kontaktveranstaltungen, wie sie bisher<br />

durchgeführt wurden.<br />

Persönliche Vermittlung und fachliche Zusammenhänge<br />

(vgl. Evaluationsergebnisse, Kapitel 3.1.)<br />

führten erfolgreicher zur Mitglie<strong>der</strong>gewinnung<br />

und die enge Kooperation mit Landkreispartnern<br />

erscheint beson<strong>der</strong>s tragfähig.<br />

Neue Mitglie<strong>der</strong> finden sich vor allem in aktiven<br />

Regionen. Neun Einrichtungen sind <strong>aus</strong> verschiedenen,<br />

zumeist strukturellen Gründen, <strong>aus</strong>geschieden.<br />

Einige Einrichtungen setzten zudem an<strong>der</strong>e<br />

Prioritäten und die Erweiterung wird u.a. gebremst<br />

durch unklare Zukunftsperspektiven von<br />

BELA III. Eine landesweite Ausweitung erfor<strong>der</strong>t<br />

deshalb einen Strategiewechsel.<br />

Neue Mitglie<strong>der</strong> entstehen <strong>aus</strong> Netzwerkprozessen<br />

her<strong>aus</strong>. Die Kooperationsformen sollten hierbei<br />

den Regionen angepasst werden. Bisher ist die<br />

Ausweitung in neue Regionen noch nicht gelungen,<br />

es bestehen weiterhin folgende 12 regionale<br />

Knoten:<br />

1. Esslingen<br />

2. Stuttgart<br />

3. Oberndorf/ Tübingen/ Tuttlingen/<br />

Rottweil/ Reutlingen<br />

4. Ravensburg/ Bodenseekreis<br />

5. Böblingen<br />

6. Ludwigsburg<br />

7. Bad Saulgau/ Alb-Donaukreis<br />

8. Karlsruhe<br />

9. Freiburg/ Breisgau Hochschwarzw.<br />

10. Mannheim<br />

11. Rems-Murr-Kreis<br />

12. Göppingen<br />

Die verschiedenen Regionen können anhand verschiedener<br />

Merkmale bestimmten Gruppen zugeordnet<br />

werden, die im folgenden kurz zusammengefasst<br />

sind:<br />

6 WACHSTUMSREGIONEN:<br />

Göppingen, Stuttgart, Ludwigsburg, Esslingen,<br />

Region Oberndorf/ Tübingen/ Tuttlingen/ Rottweil/<br />

Reutlingen, Karlsruhe<br />

Merkmale:<br />

bereits beachtlicher Organisationsgrad o<strong>der</strong><br />

wachsende Gruppe (6 – 20)<br />

verlässliche Koordination und Eigenaktivität in<br />

<strong>der</strong> Gruppe nach innen und außen<br />

gemeinsame Zielsetzungen o<strong>der</strong> Vorhaben<br />

Einbettung in Landkreis- o<strong>der</strong> kommunale<br />

Strukturen<br />

erfolgreiche Präsentationen, guter Bekannt<br />

heitsgrad<br />

3 REGIONEN MIT INNERER<br />

KONSOLIDIERUNG:<br />

Böblingen, Freiburg, Mannheim<br />

Merkmale:<br />

kleine Gruppen (2 – 5) ohne Zeichen<br />

für Erweiterung, geringe Trägervielfalt<br />

verlässliche Koordination und Eigenaktivität<br />

in <strong>der</strong> Gruppe vor allem nach innen<br />

gemeinsamer Ausrichtungsprozess ist<br />

gelungen<br />

wenig Einbettung in Landkreis- o<strong>der</strong><br />

kommunale Strukturen<br />

3 REGIONEN MIT STAGNATION<br />

ODER DEUTLICHEN GRENZEN DER<br />

NETZWERKBILDUNG:<br />

Bad Saulgau, Ravensburg/ Bodenseekreis,<br />

Rems-Murr-Kreis<br />

Merkmale:<br />

kleine Gruppen, große örtliche Distanzen<br />

geringe Trägervielfalt, wenig entwickelter<br />

Zusammenhalt<br />

Koordination mit begrenzten Ressourcen<br />

und/ o<strong>der</strong> geringer Resonanz für Zusammenarbeit<br />

begrenzter o<strong>der</strong> kein gemeinsamer<br />

Ausrichtungsprozess<br />

keine aktive Unterstützung durch<br />

Landkreis- o<strong>der</strong> kommunale Stellen<br />

Zudem hat sich die regionale Koordination in<br />

vier Regionen verän<strong>der</strong>t:<br />

Freiburg: Stellenwechsel des Regionalpartners,<br />

Übernahme durch zwei an<strong>der</strong>e Mitgliedseinrichtungen<br />

ist gelungen.<br />

Bad Saulgau/ Albdonau-Region: Rückführung<br />

in den Status einer Arbeitsgemeinschaft ohne Regionalpartnerschaft.<br />

Wegen Überlastung kann<br />

auch das H<strong>aus</strong> St. Ulrika, Mengen, keine Regionalpartnerschaft<br />

übernehmen. Die Gruppe verkleinert<br />

sich und bildet eine Arbeitsgemeinschaft. Für<br />

Fortbildungsorganisation zeichnen die jeweiligen<br />

Einrichtungen verantwortlich.<br />

Ravensburg/ Bodenseekreis: Nach mehreren<br />

Klärungsgesprächen in <strong>der</strong> Region zeichnet sich<br />

keine ergänzende Partnerschaft <strong>aus</strong> den Mitgliedseinrichtungen<br />

ab. Der Landkreis wird nicht<br />

in eine regionale Vernetzung einsteigen. Zur Zeit<br />

wird geprüft, ob die Stellen Herz und Gemüt <strong>der</strong><br />

Schiedel-Stiftung in eine Kooperation mit dem<br />

Adolf-Gröber-H<strong>aus</strong> eintreten werden. Dadurch<br />

könnten Einrichtungen <strong>aus</strong> dem Allgäu besser integriert<br />

werden.<br />

Stadt Stuttgart: Die Gemeinschaftsinitiative formiert<br />

sich und sucht eine eigenständige regionale<br />

Koordinationsstruktur zu etablieren.<br />

58 59


4<br />

INSTRUMENTE UND PFADE<br />

VON BELA III<br />

4. INSTRUMENTE UND PFADE VON<br />

BELA III: EIN AUSBLICK<br />

AUF WEITERE MATERIALIEN<br />

Dieses abschließende Kapitel gibt einen Ausblick<br />

auf weitere Themen innerhalb von BELA III, denen<br />

nachfolgende Bände <strong>der</strong> vorliegenden BELA<br />

III-Materialien-Reihe gewidmet werden sollen. In<br />

kurzen Zusammenfassungen sind die Themen<br />

Freiwilligenwerbung und Zielgruppenarbeit, Demenzbegleitung,<br />

Netzwerke und Alltagsgestaltung<br />

hier zunächst vorgestellt. Zu jedem dieser<br />

Aspekte soll im Verlauf des Projektes ein eigener<br />

Band mit <strong>aus</strong>führlichen Texten und Materialien<br />

publiziert werden.<br />

4.1. FREIWILLIGENWERBUNG<br />

UND ZIELGRUPPENARBEIT:<br />

GUT VERNETZT IST VIEL<br />

GEWONNEN – NEUE FREIWILLIGE<br />

GEWINNEN?<br />

Mario Nantscheff<br />

Managementberatung und Weiterbildung<br />

Generiert <strong>aus</strong> Folienpräsentationen vom<br />

10.12.<strong>2009</strong><br />

Ein Netzwerk ist abhängig von seinen Angehörigen,<br />

und engagementbereite künftige Freiwillige<br />

sind ein wichtiger Teil davon. Sie sind als Mitwirkende<br />

allerdings zu wertvoll, um sie allein dafür zu<br />

gewinnen und einzusetzen, wofür das Netzwerk<br />

bzw. die darin verankerten Einrichtungen sie „im<br />

Moment gut gebrauchen können“. Mitwirkende<br />

sollten nach ihrem Potential und Talent eingesetzt<br />

und behandelt werden, bspw. als Unterstützer, als<br />

För<strong>der</strong>er, als Berater o<strong>der</strong> als Begleiter. Aber auch<br />

als Botschafter, als Empfehler und als Kontakter<br />

können sie wertvolle Arbeit leisten.<br />

Freiwillige sollten daher nicht als homogene Gruppe<br />

gesehen, son<strong>der</strong>n als individuelle Menschen<br />

mit ihren jeweils eigenen Talenten, entsprechend<br />

<strong>der</strong>er sie auch angesprochen, angeregt und gewonnen<br />

werden sollten. Dasselbe gilt für neue potentielle<br />

Netzwerkpartner. Leitfragen hier sind:<br />

Was können ganz bestimmte Freiwillige<br />

für die Lebensqualität <strong>der</strong> Bewohner/ Klienten<br />

einer Einrichtung tun?<br />

Was können ganz bestimmte Freiwillige für<br />

den Bestand <strong>der</strong> eigenen Einrichtung tun?<br />

Kann die Einrichtung den künftigen<br />

Freiwilligen bieten, was sie wirklich suchen?<br />

Wie ist zu erfahren, was die Freiwilligen wirklich<br />

suchen?<br />

Nützlich und sinnvoll ist hier ein offensives, systematisches<br />

Freiwilligenmarketing, ein komplexes<br />

Unterfangen, bei dem es verschiedene Aspekte<br />

zu berücksichtigen gibt. Generell sollte es einem<br />

Leitfaden folgen, <strong>der</strong> offensiv und systematisch<br />

ist.<br />

Grundlegend ist folgendes rekursives Vorgehen zu<br />

empfehlen: zunächst <strong>aus</strong> dem generellen Umfeld,<br />

dem so genannten Markt, „affine" Kontakte filtern,<br />

<strong>aus</strong> diesen Kontakten dann Interessenten<br />

machen, die Interessenten zu Ehrenamtlichen machen,<br />

und schlussendlich diese Ehrenamtlichen zu<br />

Empfehlern (für neue Freiwillige) entwickeln. Um<br />

diese affinen Kontakte zu filtern, sind einige Fragen<br />

nützlich: Wen filtern wir wo r<strong>aus</strong> und zeigen<br />

ihm dann den Weg zu uns? Wie „erwischen“ wir<br />

genau die, die uns unterstützen könnten? Wen<br />

suchen wir eigentlich? An wen haben wir bisher<br />

vielleicht noch gar nicht gedacht?<br />

Neben diesen eher allgemeinen Fragen kann es<br />

nützlich sein, die genauen Anfor<strong>der</strong>ungen an<br />

Qualitäten und gesuchten Eigenschaften zu definieren,<br />

um sowohl für sich selbst als auch für die<br />

Freiwilligen ein genaues Profil und eine genaue<br />

Beschreibung anfertigen zu können. Freiwillige<br />

sollten dabei individuell betrachtet werden – was<br />

können ganz bestimmte Freiwillige für die Lebensqualität<br />

unserer Bewohner tun? Was können<br />

ganz bestimmte Freiwillige für den Bestand unserer<br />

Einrichtung tun? Und auch die Einrichtung<br />

sollte ganz genau in ihren Bedürfnissen und Angeboten<br />

betrachtet werden – können wir künftigen<br />

Freiwilligen bieten, was sie wirklich suchen?<br />

Wie erfahren wir, was sie wirklich suchen?<br />

Beispielsweise ist es sinnvoll, die Hobbies und<br />

Interessen sowie die schon bestehenden Vernetzungen<br />

<strong>der</strong> zu gewinnenden Freiwilligen zu erfahren,<br />

um dieses Wissen bei <strong>der</strong> Ansprache und<br />

den Angeboten auch anzuwenden.<br />

ZIELGRUPPENARBEIT<br />

60 61


Diese genaue Betrachtung kann dann zu einer<br />

Zielgruppenaufstellung genutzt werden. Wenn<br />

man weiß, wen man gewinnen will, können in einem<br />

nächsten Schritt die Motive <strong>der</strong> Zielgruppe<br />

erkannt und bedient werden. Dabei ist ein Mehrwissen<br />

über die Zielgruppe hilfreicher, als das<br />

Heim o<strong>der</strong> die Bewohner in den Mittelpunkt zu<br />

stellen: wichtig, um Ehrenamtliche zu gewinnen,<br />

ist den zu gewinnenden Freiwilligen zu kennen,<br />

seine Motive und Kontakte, um auf ihn individuell<br />

eingehen zu können.<br />

Die Motive <strong>der</strong> einzelnen Zielgruppen können in<br />

so genannten Sinus Milieus abgebildet werden,<br />

die die soziale Lage und die Grundorientierung<br />

<strong>der</strong> einzelnen Personen erfasst. Die obige Grafik<br />

bietet einen Überblick:<br />

Hier gilt es im Blick zu halten: welche Zielgruppe<br />

ist für die Einrichtung ein Gewinn? Wen wollen sie<br />

sich „angeln“?<br />

Die so definierten Zielgruppen <strong>der</strong> einzelnen Einrichtung<br />

müssen nicht nur angesprochen werden,<br />

ihnen muss auch eine passende „Einflugschneise“<br />

geboten werden. Die zweite Grafik illustriert, wie<br />

Interessierte <strong>der</strong> einzelnen definierten Zielgruppen<br />

angeworben werden können:<br />

Je<strong>der</strong> Zielgruppe kann dann entsprechend eine individuelle<br />

Ansprache angepasst werden, die die<br />

jeweiligen Fragen beantwortet und Anregungen<br />

bietet. Freiwillige einer Jugendmusikschule können<br />

bspw. für einen Jazz-Brunch interessiert und<br />

in diesen eingebunden werden, ein politischer<br />

Sonntagmorgen mit einem ehemaligen Zeitungs-<br />

redakteur gestaltet werden. Weiterbildungen mit<br />

Zertifikaten könnten ebenso angeboten werden -<br />

bspw. zur Hospitzbegleiter/in - o<strong>der</strong> aber eine<br />

Hundeprämierung, in die ein tierlieber o<strong>der</strong> gar<br />

schon in einem Verein tätiger Interessierter als Jury<br />

eingebunden wird. Generell sollte hier immer<br />

berücksichtigt werden, dass nicht die Einrichtung<br />

bzw. die Bewohner im Fokus stehen sollten, son<strong>der</strong>n<br />

<strong>der</strong> zu gewinnende Freiwillige mit seinen<br />

Motiven und Kontakten.<br />

62 63


DEMENZBEGLEITUNG,<br />

EIN LERNFELD<br />

64<br />

4.2. MENSCHEN MIT DEMENZ<br />

BEGLEITEN, EIN LERNFELD<br />

MIT GROSSEN POTENTIALEN –<br />

ERFAHRUNG AUS DEM AUFBAU<br />

VON BETREUUNGSGRUPPEN MIT<br />

FREIWILLIGEN<br />

Sabine Hipp<br />

Alzheimer-Gesellschaft Baden-Württemberg e.V.<br />

Referat bei <strong>der</strong> Veranstaltung „Wir sind<br />

Nachbarn“, Bietigheim-Bissingen, 06.05.<strong>2009</strong><br />

Eine hohe Beteiligung von ehrenamtlich/ bürgerschaftlich<br />

Engagierten o<strong>der</strong> auch Freiwilligen (je<br />

nach begrifflichen Vorlieben) für ein Betreuungsverhältnis<br />

von 1:1 ist die tragende Säule des Konzepts<br />

<strong>der</strong> Betreuungsgruppen für Demenzkranke.<br />

Die Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg<br />

e.V. för<strong>der</strong>t und unterstützt die Gründung von Betreuungsgruppen<br />

und begleitet die aktuell über<br />

400 bestehenden Betreuungsgruppen im Land.<br />

Dabei ist die Sorge für die Qualifizierung <strong>der</strong><br />

ehrenamtlich/ bürgerschaftlich Engagierten wie<br />

<strong>der</strong> Fachkräfte eine Schwerpunktaufgabe.<br />

Betreuungsgruppen für Demenzkranke haben das<br />

Ziel, pflegende Angehörige zeitweise zu entlasten.<br />

Die Betreuungszeit wird in <strong>der</strong> Regel ein- bis zweimal<br />

pro Woche für drei Stunden möglichst wohnortnah<br />

– oft in Mehrzweckräumen von Gemeinden<br />

o<strong>der</strong> auch Sozialstationen – angeboten. Die<br />

fachliche Leitung liegt bei einer Fachkraft. Diese<br />

leitet das Team <strong>der</strong> freiwilligen Mitarbeiter und ist<br />

auch Ansprechpartnerin für die pflegenden Angehörigen.<br />

Bei <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> Nachmittage<br />

kommt es vor allem darauf an, dass die demenzkranken<br />

Menschen sich wohl fühlen.<br />

Diesem Ziel dient <strong>der</strong> hohe Betreuungsschlüssel,<br />

<strong>der</strong> eine individuelle Zuwendung und Begleitung<br />

<strong>der</strong> demenzkranken Menschen ermöglicht. Denn<br />

Menschen mit Demenz fühlen sich in einer Gruppe<br />

meist nicht angesprochen, son<strong>der</strong>n brauchen<br />

einen ganz persönlichen Kontakt. Vor allem aber<br />

können Menschen mit her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ndem Verhalten<br />

hier eher getragen o<strong>der</strong> sehr unruhige Personen<br />

begleitet werden, wenn sie die Situation verlassen<br />

möchten – sie müssen nicht gestoppt werden.<br />

Um diese Aufgaben bewältigen zu können, benötigen<br />

alle an <strong>der</strong> Betreuung Beteiligten theoretisches<br />

Wissen und praktische Kompetenz. Differenzierte<br />

Qualifizierungsmaßnahmen sind daher<br />

bei <strong>der</strong> Gründung von Betreuungsgruppen<br />

(Grundschulung) wie auch für bestehende Betreuungsgruppen<br />

(Fortbildungsangebote) notwendig<br />

und hilfreich. Zielgruppen <strong>der</strong> Fortbildungsangebote<br />

sind darüber hin<strong>aus</strong> auch haupt- und ehrenamtliche<br />

MitarbeiterInnen in den Häuslichen Betreuungsdiensten,<br />

ein Angebot, das als Pendant<br />

zu den Betreuungsgruppen im häuslichen Bereich<br />

gesehen werden kann.<br />

Hauptziel <strong>der</strong> Grundschulung von freiwilligen Mitarbeitern<br />

in Betreuungsgruppen ist <strong>der</strong> Erwerb<br />

von Grundkenntnissen im Bereich demenzieller Erkrankungen<br />

und Wissen über den Umgang mit<br />

Demenzkranken. Dadurch sollen die Teilnehmer<br />

eine Vorstellung vom (an<strong>der</strong>en) Erleben und<br />

Wahrnehmen demenzkranker Menschen entwikkeln.<br />

Sie sollen die erkrankten Menschen in <strong>der</strong>en<br />

An<strong>der</strong>ssein verstehen und akzeptieren können<br />

und sie vor allem auch als Individuen sehen (u.a.<br />

biografische und krankheitsphasenbezogene<br />

Aspekte). Ferner soll falschen Erwartungen o<strong>der</strong><br />

Vorstellungen entgegen gewirkt werden (z.B. die<br />

betreuten Menschen sollen etwas dazu lernen).<br />

Auch für die Situation pflegen<strong>der</strong> Angehöriger soll<br />

Verständnis geweckt werden.Weitere Ziele sind<br />

die Identifikation mit dem Betreuungsangebot sowie<br />

die Entwicklung von Arbeitsfähigkeit und Zusammengehörigkeitsgefühl<br />

im Team. Themen <strong>der</strong><br />

Grundschulung für Mitarbeiter sind also v.a.:<br />

demenzielle Erkrankungen<br />

die Situation pflegen<strong>der</strong> Angehöriger<br />

das Konzept <strong>der</strong> Betreuungsgruppen<br />

<strong>der</strong> Umgang mit Demenzkranken<br />

Beschäftigungsmöglichkeiten<br />

In Fortbildungen für ehrenamtliche Mitarbeiter,<br />

die bereits in einer Betreuungsgruppe mitarbeiten,<br />

soll das demenzspezifische Wissen und die Kompetenz<br />

im Umgang mit den betreuten Personen<br />

vertieft und differenziert werden. Es soll die Motivation<br />

für den weiteren Einsatz überprüft und gestärkt<br />

und die Arbeitsweise vor Ort reflektiert, ggf.<br />

korrigiert, ergänzt und bestätigt werden. Die Teilnehmer<br />

<strong>der</strong> Fortbildungen sollen die Gelegenheit<br />

haben, sich mit aktuellen Fragen und Themen im<br />

Aust<strong>aus</strong>ch mit an<strong>der</strong>en <strong>aus</strong>einan<strong>der</strong>setzen zu können.<br />

Die Themen bei den begleitenden Fortbildungsveranstaltungen<br />

beziehen sich vor allem auf den<br />

Umgang mit Demenzkranken und auf Beschäftigungsmöglichkeiten.<br />

Gerade die Frage, wie die<br />

Betreuungszeit gestaltet werden kann, wird in den<br />

Fortbildungen häufig angeboten. Sie ist für die<br />

Teilnehmer meist ein wichtiges Thema, das häufig<br />

gewünscht wird. Es hat sich auch gezeigt, dass bei<br />

den Fortbildungen dem Erfahrungs<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch genügend<br />

Zeit eingeräumt werden soll und dass die<br />

Referenten über eigenes Erfahrungswissen mit<br />

Demenzkranken verfügen sollten.<br />

Themen bei diesen Fortbildungen sind z.B.:<br />

wertschätzen<strong>der</strong>, validieren<strong>der</strong> Umgang mit<br />

Demenzkranken<br />

Bewegungsangebote, Sitztänze<br />

Kinästhetik und Basale Stimulation<br />

Spiele, Malen, 10-Minuten-Aktivierung,<br />

Märchen erzählen<br />

Aggressives Verhalten: Verstehen,<br />

Vorbeugen, Umgang<br />

Spiritualität und Ernährung<br />

Das Fortbildungskonzept <strong>der</strong> Alzheimer Gesellschaft<br />

Baden-Württemberg e.V. hat neben den<br />

genannten Zielen und Inhalten die verschiedenen<br />

Zielgruppen und Ebenen im Blick.<br />

Für die Betreuungsgruppen ist dabei gedacht an:<br />

Grundschulungen bei <strong>der</strong> Gründung einer<br />

Betreuungsgruppe vor Ort<br />

Grundschulungen für neue ehrenamtliche<br />

Mitarbeiter, die zu bestehenden Betreuungsgruppen<br />

hinzu kommen<br />

Regionale Fortbildungen für Fachkräfte und<br />

Ehrenamtliche (Teams)<br />

Fortbildungen <strong>aus</strong>schließlich für ehrenamtlich/<br />

bürgerschaftlich Engagierte bzw. Freiwillige<br />

Fortbildungen <strong>aus</strong>schließlich für Fachkräfte<br />

Neu ab <strong>2009</strong>: Informationsveranstaltung zum<br />

Aufbau u.a. auch von Betreuungsgruppen<br />

Bis auf die Grundschulungen vor Ort sind alle diese<br />

Angebotsformen im jährlichen Fortbildungsprogramm<br />

<strong>der</strong> Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg<br />

e.V. enthalten.<br />

Rückmeldungen <strong>der</strong> Teilnehmer zu den Fortbildungen<br />

sind z.B. folgende:<br />

„Jetzt schaue ich erst einmal hin, bevor ich helfe.“<br />

(Fortbildung: Integrative Validation)<br />

„Wir sind in vielem bestätigt worden - das gibt uns<br />

Rückhalt.“<br />

„Es ist ganz prima, dass Sie hier extra etwas für<br />

uns Ehrenamtliche anbieten!“<br />

Oft begrüßen die Teilnehmer zudem, dass sie von<br />

den Fortbildungen auch privat profitieren.<br />

65


HILFE BEI DEMENZ<br />

66<br />

4.3. WAS MENSCHEN<br />

MIT DEMENZ GEBEN KÖNNEN –<br />

UND WAS SIE VON UNS<br />

BRAUCHEN<br />

Gabriele Scholz-Weinrich<br />

Sozialgerontologin, Bad Vilbel<br />

Gekürztes Redemanuskript zum Start<br />

<strong>der</strong> Demenzbegleitung-Fortbildungsreihe<br />

in Ludwigsburg, Frühsommer <strong>2009</strong><br />

Demenz ist ein umfassendes und komplexes Thema,<br />

das unter sehr vielschichtigen Gesichtspunkten<br />

erörtert werden kann. Im folgenden werden<br />

daher einige wenige Aspekte aufgegriffen. Beim<br />

Definieren des Begriffs „Demenz“ lässt sich zunächst<br />

ein Feld <strong>der</strong> Assoziationen aufspannen, in<br />

dem <strong>der</strong> Begriff meist wahr genommen wird. Negative<br />

und positive Konnotationen können hier<br />

gegenübergestellt werden:<br />

DEPRESSION VS. SOLIDARITÄT<br />

ALLEIN VS. ENGAGEMENT<br />

UNMUT VS. GEMEINSCHAFT<br />

DURCHEINANDER VS. FREIWILLIG<br />

ANGST VS. HERAUSFORDERUNG<br />

ZIELLOS VS. ZUSAMMEN<br />

Demenz gilt in <strong>der</strong> öffentlichen Wahrnehmung<br />

fast immer als <strong>der</strong> Begriff für ein negativ, defizitär<br />

o<strong>der</strong> auch angstbesetztes Krankheitsbild und wird<br />

meist lediglich unter medizinischen und/ o<strong>der</strong> finanziellen<br />

Aspekten erörtert. In Deutschland leben<br />

ca. 1,2 Millionen Menschen mit Demenz, ca.<br />

70% davon werden in häuslichem Umfeld betreut<br />

- vor allem in den ländlichen Gebieten sind sie in<br />

familiären Strukturen eingebunden. Jedoch fehlt<br />

dieser häuslichen Pflege oft die ergänzende Unterstützung.<br />

Die restlichen 30% leben in Einrichtungen<br />

<strong>der</strong> Altenhilfe, meist in Alten-Pflegeheimen,<br />

da alternative Wohn- und Lebensformen bisher<br />

noch eine eher untergeordnete Rolle spielen, diese<br />

erst langsam entstehen.<br />

Aus <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Einrichtungen <strong>der</strong> Altenhilfe<br />

sind ca. 50 - 70% <strong>der</strong> Bewohner dem Personenkreis<br />

<strong>der</strong> an Demenz erkrankten Personen zuzuordnen<br />

und eine demenzielle Erkrankung gilt<br />

zwischenzeitlich als häufigster Grund für eine<br />

Heimübersiedlung.<br />

Demenz ist <strong>der</strong> Oberbegriff für Erkrankungsbil<strong>der</strong>,<br />

die mit einem Verlust <strong>der</strong> geistigen Funktionen<br />

wie Denken, Erinnern, Orientieren und Verknüpfen<br />

von Denkinhalten einhergehen. Menschen mit<br />

Demenz erleben im Verlauf ihrer Erkrankung vielschichtige<br />

Beeinträchtigungen, letztendlich bedeutet<br />

an einer Demenz zu erkranken, perspektivisch<br />

an <strong>der</strong> Bewältigung des Alltags zu scheitern.<br />

Allerdings muss immer bedacht werden, dass<br />

Menschen mit Demenz natürlich keine homogene<br />

Gruppe bilden. Sie unterscheiden sich u.a. durch<br />

die Art <strong>der</strong> Demenz, das Stadium <strong>der</strong> Erkrankung,<br />

die Ausprägung <strong>der</strong> Symptome, den Grad <strong>der</strong> Mobilität<br />

und <strong>der</strong> Persönlichkeitsstruktur. Für alle<br />

Menschen mit Demenz ist wichtig, die Selbstachtung<br />

und -bestimmung zu erhalten, mithin ein positives<br />

Fremdbild zu erfahren. Daher reagieren viele<br />

Betroffene zunächst mit Bagatellisierung <strong>der</strong><br />

Krankheit, mit Verleugnung, Projektion, Angst<br />

und Scham, sozialem Rückzug, Depressionen und<br />

Verzweiflung.<br />

Dies zeigt deutlich, dass die kognitiven und intellektuellen<br />

Kompetenzen <strong>der</strong> Menschen zwar zunehmend<br />

eingeschränkt sind, die emotionalen<br />

und sozialen Kompetenzen aber nach wie vor uneingeschränkt<br />

präsent sind. Dar<strong>aus</strong> leitet sich die<br />

Frage ab, was Menschen mit Demenz brauchen,<br />

welche Hilfsangebote für sie wirksam sein können.<br />

Grundsätzlich sollten die verschiedenen Möglichkeiten<br />

und Inhalte <strong>der</strong> Betreuung, Begleitung und<br />

Versorgung jeweils an den jeweiligen Menschen<br />

und dessen Bedarfslage orientiert sein. Insgesamt<br />

geht es bei <strong>der</strong> Begleitung und Pflege von Menschen<br />

mit Demenz darum, eine „neue Kultur des<br />

Helfens“ zu entwickeln, Verantwortung zu übernehmen<br />

und dafür die entsprechenden Vor<strong>aus</strong>setzungen<br />

zu schaffen – immer auf <strong>der</strong> Grundlage einer<br />

ethischen und akzeptierenden Grundhaltung.<br />

Denn eine Definition bzw. Wahrnehmung <strong>der</strong><br />

Menschen mit Demenz <strong>aus</strong>schließlich über das<br />

Krankheitsbild ist ethisch und fachlich inakzeptabel.<br />

Um den unterschiedlichen Lebensstilen und<br />

Bedürfnissen Rechnung zu tragen, sind entsprechende,<br />

angemessene Unterstützungsformen zu<br />

entwickeln, jeweils im Zusammenspiel von pflegerischen<br />

/ therapeutischen/ medizinischen Fachkräften,Angehörigen<br />

und freiwillig bzw. bürgerschaftlich<br />

Tätigen. Die Begleitung von Menschen mit<br />

Demenz sollte nicht kritiklos nur den so genannten<br />

Spezialisten überlassen bleiben, auch Angehörige<br />

und Freiwillige sind als Experten einzubinden.<br />

Gemeinsam kann dann auf die jeweiligen Bedürfnisse<br />

<strong>der</strong> Menschen mit Demenz eingegangen<br />

werden, bspw. dem Bedürfnis nach Bewahrung<br />

<strong>der</strong> Identität, nach Zuwendung und Geborgenheit,<br />

Sicherheit und Schutz, aber auch nach sozialer<br />

Anerkennung und Einbindung, nach Erfolgserlebnissen<br />

und Anerkennung und ebenso nach<br />

Spaß und Freude – auch danach, Sexualität zu leben.<br />

Generell geht es um die Befriedigung <strong>der</strong><br />

Grundbedürfnisse. In allen Kontakten und Begegnungen<br />

ist immer zu berücksichtigen, dass nicht<br />

die Defizite im Vor<strong>der</strong>grund stehen, son<strong>der</strong>n die<br />

Erhaltung <strong>der</strong> Individualität und die Wahrnehmung<br />

<strong>der</strong> Fähigkeiten und Kompetenzen eines jeden<br />

Einzelnen.<br />

Auf <strong>der</strong> Handlungsebene kann dies bedeuten,<br />

dass eine wertschätzende Grundhaltung angenommen<br />

und bspw. auch auf eine angemessene<br />

Kommunikation geachtet wird. Generell sollte den<br />

Menschen mit Demenz eine größtmögliche Selbständigkeit<br />

z.B. bei Körperpflege o<strong>der</strong> Nahrungs-<br />

aufnahme eingeräumt und die „Beschäftigung“<br />

den persönlichen Interessen angepasst werden.<br />

Wie bei jedem Menschen ist eine positive Verstärkung<br />

und die Vermittlung von Interesse und Zuneigung<br />

wichtig, das Unterstreichen <strong>der</strong> liebenswerten<br />

und nicht <strong>der</strong> her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>nden Verhaltensweisen.<br />

Für die begleitenden Menschen bedeutet dies<br />

nicht nur, sich (neuen) Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ungen zu stellen,<br />

son<strong>der</strong>n auch, den Zugang zu einer an<strong>der</strong>en<br />

Realität zu bekommen, die eigenen Grenzen zu<br />

erkennen und wenn möglich zu überschreiten.<br />

Dies bedeutet auch, nicht in Aktionismus zu verfallen,<br />

son<strong>der</strong>n individuell sich auf das Tempo und<br />

die emotionalen und sozialen Gegebenheiten <strong>der</strong><br />

Menschen mit Demenz einzulassen. Dabei wird<br />

die eigene Beziehungsfähigkeit gefor<strong>der</strong>t und geför<strong>der</strong>t,<br />

das eigene kommunikative Verhalten<br />

muss reflektiert werden – und zusätzlich bietet<br />

dies für die begleitende Person die Möglichkeit, an<br />

<strong>der</strong> Lebensgeschichte und dem Erfahrungswissen<br />

des Menschen mit Demenz zu partizipieren.<br />

Menschen mit Demenz sind jedoch nicht nur von<br />

einer (individuellen) angemessenen Beziehungsgestaltung<br />

abhängig, son<strong>der</strong>n auch von gesellschaftlichen<br />

und sozialpolitischen Rahmenbedingungen.<br />

Großer Handlungsbedarf besteht vor allem darin,<br />

Verän<strong>der</strong>ungen anzustoßen, und das Thema Demenz<br />

in den Kommunen und <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

transparent zu machen, diese zu sensibilisieren<br />

und den Menschen mit Demenz so eine Teilhabe<br />

am Leben in <strong>der</strong> Kommune bzw. <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

zu ermöglichen. Menschen mit Demenz müssen in<br />

erster Linie als Mitbürger und nicht als Kranke<br />

wahrgenommen werden. Dann kann auch ein<br />

besseres Miteinan<strong>der</strong> und ein größeres Interesse<br />

an nachbarschaftlicher Hilfe bzw. bürgerschaftlichem<br />

Engagement angeregt werden. Nicht zuletzt<br />

können dann auch Versorgungslücken aufgezeigt<br />

und zu <strong>der</strong>en Beseitigung beigetragen werden.<br />

67


NETZWERKEN<br />

68<br />

4.4. NETZWERKE(N):<br />

NETZWERKE. CHANCEN, RISIKEN,<br />

ANFORDERUNGEN.<br />

Dr. Ralf Vandamme<br />

Städtetag Baden-Württemberg<br />

Generiert <strong>aus</strong> einer Folienpräsentation<br />

Zunächst <strong>der</strong> Versuch einer Definition: Was bedeutet<br />

<strong>der</strong> Begriff „Netzwerk“ und was haben wir<br />

damit zu tun? Weswegen sind Netzwerke für uns<br />

wichtig und nützlich?<br />

Allgemein gesagt ist ein Netzwerk eine Struktur,<br />

die verschiedene individuelle Personen, Gruppen<br />

und Organisationen miteinan<strong>der</strong> verbindet, zwischen<br />

ihnen Kanäle <strong>der</strong> Kommunikation und Information<br />

aufbaut. Jede Instanz, jede Person o<strong>der</strong><br />

Gruppe bzw. Organisation bildet somit einen Knoten<br />

innerhalb des jeweiligen Netzwerkes. Netzwerke<br />

können hierbei ganz verschiedene Größen<br />

und Ausprägungen haben, eher informell und versteckt<br />

sein, inhärent o<strong>der</strong> geplant, engmaschig<br />

o<strong>der</strong> lose.<br />

Ohne dass man sich dessen unbedingt bewusst<br />

ist, sind die meisten Menschen Angehörige verschiedenster<br />

Netzwerke und damit auch Netzwerkmanagerinnen<br />

und -manager. Das bedeutet<br />

auch, dass jede/r nicht nur Teil eines Netzwerkes<br />

ist, son<strong>der</strong>n auch mehr o<strong>der</strong> weniger aktiv darin<br />

eingebunden – ein Knoten für weitere Personen<br />

und Gruppen. Beispielsweise ist eigentlich jede<br />

Person Teil eines familialen Netzwerkes und/ o<strong>der</strong><br />

eines sozialen Netzwerkes <strong>aus</strong> Freunden und Bekannten.<br />

Nachbarschaft und Vereine bilden ebenso<br />

„private" Netzwerke. Daneben gibt es die professionellen<br />

Netzwerke, die sich über eine Berufsgruppe<br />

bzw. Beschäftigung mit einem Thema<br />

definieren, und <strong>der</strong>en Angehörige sich auch darüber<br />

vernetzen. Nicht nur innerhalb einer Profes-<br />

sion gibt es diese Netzwerke, son<strong>der</strong>n auch interdisziplinär<br />

bzw. professionsübergreifend, man<br />

denke bspw. an professionelle Interessengruppen.<br />

Ebenfalls übergreifend in diesem Sinne, ohne dabei<br />

einen Fokus auf Professionen zu legen, sind<br />

Netzwerke <strong>aus</strong> Engagierten und Hauptamtlichen<br />

zu einem Thema wie bspw. caritative Netzwerke,<br />

in denen Menschen <strong>aus</strong> unterschiedlichstem<br />

Hintergrund mit dem gleichen Ziel bzw. Interesse<br />

zusammen kommen und sich bündeln.<br />

Generell können Netzwerke mit Hilfe von zwei<br />

Kriterien unterschieden werden, nämlich Kriterien<br />

die beschreiben, wie Netzwerke gesteuert und geformt<br />

werden: Mitgliedschaft und Steuerung.<br />

In familialen und professionellen Netzwerken etwa<br />

unterscheidet sich dies fundamental. So ist die<br />

Mitgliedschaft in familialen Netzwerken tendenziell<br />

unkündbar, in professionellen hingegen freiwillig.<br />

Und während in familialen Netzwerken die<br />

Steuerung auf emotionalen Ausgleich bedacht ist,<br />

steht in professionellen Netzwerken die Rentabilität<br />

und <strong>der</strong> Interessen<strong>aus</strong>gleich im Vor<strong>der</strong>grund.<br />

Für unsere Arbeit relevant sind hier v.a. die professionellen<br />

Netzwerke.<br />

Das wichtigste Medium aller Netzwerke ist die<br />

Kommunikation, und so sollte in einem professionellen<br />

Netzwerk auch die Kommunikation professionell<br />

organisiert sein.<br />

Dies betrifft zum einen die Kommunikationsqualität.<br />

Hierbei sollt darauf Wert gelegt werden, dass<br />

die Kommunikation inhaltlich-fachlich fundiert sowie<br />

zielgerichtet ist.<br />

Zum an<strong>der</strong>en betrifft dies die notwendig gleichmäßige<br />

Intensität <strong>der</strong> Kommunikation, was bedeutet,<br />

dass ein Netzwerk keine sogenannten<br />

stummen Knoten, etwa allzu passive Mitglie<strong>der</strong>,<br />

haben kann. Zudem dürfen keine allzu langen Ruhep<strong>aus</strong>en<br />

in <strong>der</strong> Netzwerkaktivität entstehen. Regelmäßige<br />

Treffen innerhalb eines Netzwerkes<br />

können sehr sinnvoll sein, um diesen beiden Punkten<br />

zu genügen.<br />

Wozu aber sind professionelle Netzwerke überhaupt<br />

wichtig? Was sind sie in <strong>der</strong> Lage zu leisten?<br />

Vier Punkte sind hierbei zu nennen:<br />

Netzwerke bilden einen Ressourcenpool<br />

für Wissen, Kreativität, Erfahrung<br />

und Infrastruktur<br />

Netzwerke stellen Zugang her, bündeln<br />

Informationen und Kontakte<br />

Netzwerke entwickeln fachliche Qualität<br />

mithilfe und durch den Erfahrungs<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch,<br />

sowie <strong>der</strong> Formulierung von Bedarfen<br />

Netzwerke bilden Meinung,<br />

insbeson<strong>der</strong>e, wenn sie kampagnenfähig sind<br />

Das Funktionieren von professionellen Netzwerken<br />

basiert auf dem so genannten Ringt<strong>aus</strong>ch, ein<br />

Prinzip des verteilten bzw. zyklischen Gebens. Als<br />

Teil des Netzwerkes gibt man etwas hinein (Wissen,<br />

Information, etc.), ohne dass <strong>der</strong> Adressat, also<br />

eine bestimmte Person/ Organisation, direkt etwas<br />

als Gegenleistung zurück gibt. Die Gegenleistung<br />

erfolgt sowohl zeitversetzt, als auch meist<br />

von einer an<strong>der</strong>en Person/ Organisation, mithin eines<br />

an<strong>der</strong>en Knotens des Netzwerkes, o<strong>der</strong> aber<br />

auch <strong>der</strong> Zentrale, sollte diese existieren. Bei <strong>der</strong><br />

Netzwerksteuerung, die bspw. durch diese Zentrale<br />

erfolgen kann o<strong>der</strong> aber durch alle Netzwerkangehörige<br />

gleichermaßen, muss demnach auf eine<br />

Balance und ein Ausgleich geachtet werden: keine<br />

Instanz, kein Knoten, keine Person o<strong>der</strong> Organisation<br />

sollte langfristig gesehen nur „draufzahlen",<br />

nur geben, da sonst eine festgefahrene Hierarchie<br />

<strong>der</strong> (reichen) Gebenden und (armen)<br />

Nehmenden entstünde, die es zu vermeiden gilt.<br />

Jedes professionelle Netzwerk ist mit verschiedenen<br />

Schwierigkeiten konfrontiert, die es anzugehen<br />

und zu lösen gilt – oftmals ebenfalls ein zyklischer<br />

Prozess. Zum einen stehen verschiedene Einrichtungen<br />

in Konkurrenz zueinan<strong>der</strong>, was zu<br />

Spannungen führen kann. Zum an<strong>der</strong>en ist die<br />

Motivation <strong>der</strong> einzelnen Mitglie<strong>der</strong>/ Angehörigen<br />

nicht notwendigerweise dieselbe, grob gesagt<br />

gibt es meist einen Unterschied im Engagement<br />

und <strong>der</strong> Motivation zwischen hauptamtlichen und<br />

ehrenamtlichen Netzwerkangehörigen. Entgegen<br />

bzw. unabhängig vom Anteil des „Gebens", <strong>der</strong><br />

Leistung und <strong>der</strong> Intensität <strong>der</strong> Mitarbeit fokussiert<br />

die gesellschaftliche Anerkennung oftmals<br />

auf das ehrenamtliche Engagement. Dies muss<br />

berücksichtigt und aufgefangen werden.<br />

Mit diesem Wissen im Hintergrund gilt es nun die<br />

Chancen durch BELA III aufzuzeigen: durch die alle<br />

Einrichtungen verbindenden, gemeinsamen Ziele<br />

kann sowohl das Ansehen aller Einrichtungen<br />

und ihrer Mitarbeiterschaft verbessert werden, als<br />

auch insgesamt durch das bürgerschaftliche Engagement<br />

an Qualität hinzugewonnen werden.<br />

Ebenso wird durch die gemeinsamen Interessen<br />

von Hauptamt und Engagement die Lebensqualität<br />

<strong>der</strong> Klienten gesteigert. Des weiteren kann<br />

durch die erhöhte Anerkennung <strong>der</strong> Hauptamtlichen<br />

auch <strong>der</strong> Aust<strong>aus</strong>ch mit <strong>der</strong> Gesellschaft erhöht<br />

werden.<br />

Für all diese Punkte ist ein Netzwerk sowie die<br />

Netzwerkarbeit wichtig und notwendig. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

zwei Punkte sind her<strong>aus</strong>zustellen, warum<br />

Netzwerkarbeit so wichtig ist und warum gemeinsames<br />

Arbeiten für die gleichen Ziele sinnvoller ist<br />

als getrenntes:<br />

1. Engagementför<strong>der</strong>ung ist Image-Arbeit.<br />

Das öffentliche Bewusstsein än<strong>der</strong>t niemand im<br />

Alleingang.<br />

2. BELA III würde viele Mitstreiterinnen<br />

und Mitstreiter gewinnen, wenn es ein selbstverständlicher<br />

und von <strong>der</strong> Fachöffentlichkeit<br />

gepriesener „Trend“ wäre. Einen Trend schafft<br />

niemand im Alleingang.<br />

69


LEBENSRAUM BETT<br />

70<br />

4.4. ALLTAGSGESTALTUNG<br />

VOM BETT AUS<br />

„VOM BETT AUS LEBEN –<br />

LEBENSRAUM BETT“ – EINE FACH-<br />

LICHE HERAUSFORDERUNG<br />

IN DER ALTENHILFE<br />

Gabriele Scholz-Weinrich<br />

Sozialgerontologin, Bad Vilbel<br />

Für diesen Band verfasster Text<br />

Stellen Sie sich vor, Sie seien – irgendwann einmal<br />

– so pflegebedürftig, dass Sie Ihr Bett nicht mehr<br />

<strong>aus</strong> eigener Kraft verlassen können. Dies bedeutet<br />

eine deutliche Verän<strong>der</strong>ung in den Lebensumständen,<br />

meist mit einer Einschränkung <strong>der</strong> Lebensqualität<br />

verbunden. Aspekte können bspw. sein:<br />

eingeschränkte bzw. sehr begrenzte<br />

Bewegungsspielräume<br />

<strong>der</strong> Tagesablauf in den Einrichtungen wird<br />

durch relativ starre Strukturen und Abläufe<br />

bestimmt, meist durch die morgendliche und<br />

abendliche Pflege sowie die Mahlzeiten<br />

getaktet<br />

Mitarbeiter/innen, die aufgrund <strong>der</strong> vielfältigen<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen nur wenig Zeit für die einzelnen<br />

Bewohner/innen haben<br />

ein reizarmes Zimmer, <strong>aus</strong> <strong>der</strong> falschen<br />

Annahme her<strong>aus</strong>, dass Menschen im Alter eine<br />

„reizvolle Gestaltung sowieso nicht mehr<br />

mitbekommen“ o<strong>der</strong> die Gestaltung nicht<br />

ihren Bedarfslagen entspricht<br />

die Wahrnehmung und Definition <strong>der</strong> Bewoh<br />

ner/innen über ihre (altersbedingten) Defizite<br />

persönliche Kontakte (fast) nur über/ bei<br />

Pflegehandlungen<br />

eingeschränkte Kommunikation,<br />

keine direkte Ansprache, das Handeln von<br />

Dritten nicht kommuniziert<br />

Angehörige, die sich überfor<strong>der</strong>t fühlen,<br />

nicht wissen, wie sie sich verhalten, was sie<br />

tun können und letztendlich ganz weg bleiben<br />

soziale Beziehungen und soziale Situationen<br />

finden nur ganz punktuell statt<br />

wenig zielgerichtete Aktivation und<br />

Mobilisierung<br />

Dieses Szenario muss nicht notwendigerweise eintreten,<br />

jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit sieht<br />

<strong>der</strong> Alltag in vielen Pflege- und Altenhilfeeinrichtungen<br />

oftmals genau so <strong>aus</strong>. Es wird deutlich,<br />

dass <strong>der</strong> Lebensraum und die Lebensqualität stark<br />

eingeschränkt sind. Dem gilt es etwas entgegen<br />

zu setzen.<br />

Die Begleitung und Betreuung von bettlägerigen<br />

Menschen war in <strong>der</strong> Gerontologie und Altenhilfe<br />

viele Jahre ein fast vergessenes Thema, erst seit<br />

einiger Zeit ist es stärker in das Bewusstsein und<br />

damit in den Fokus von Theorie und Praxis gerückt.<br />

Auch wenn Bettlägerigkeit ein alltägliches<br />

Phänomen <strong>der</strong> Pflege ist, liegt kein differenziertes<br />

Wissen über Gründe, Formen, Entwicklung und<br />

Bewältigung des Phänomens vor. Auch über Prävention<br />

und Rehabilitation ist wenig bekannt. Es<br />

besteht unbedingt weiterer Bedarf nach Forschung<br />

und Klärung.<br />

Auch wenn „Bettlägerigkeit“ vermeintlich ein allgemein<br />

bekannter Begriff ist – die Definition ist<br />

nicht ganz einfach. Meist wird unter Bettlägerigkeit<br />

ein längerfristiger Daseinszustand verstanden,<br />

bei dem sich <strong>der</strong> betroffene Mensch die<br />

überwiegende Zeit des Tages und in <strong>der</strong> Nacht im<br />

Bett aufhält und ihm die Fähigkeit fehlt, frei zu sitzen.<br />

Die Ursachen sind hierbei vielschichtig.<br />

Unterschieden werden können zudem verschiedene<br />

Formen und Abstufungen <strong>der</strong> Bettlägerigkeit,<br />

meist wird unterteilt in drei Stufen:<br />

Leichte Form: die Betroffenen verbringen<br />

vier bis fünf Stunden des Tages außerhalb des<br />

Bettes in einem Rollstuhl o<strong>der</strong> Sessel<br />

Mittlere Form: die Betroffenen verlassen<br />

das Bett nur, um geringfügige Handlungen<br />

(Toilettengang / Körperpflege) <strong>aus</strong>zuführen<br />

Strikte Form: in <strong>der</strong> strikten Form <strong>der</strong><br />

Bettlägerigkeit steht <strong>der</strong> betroffene Mensch<br />

überhaupt nicht mehr auf<br />

Bettlägrige Menschen sind zudem zu differenzieren<br />

je nach Krankheitsbild und Ursache <strong>der</strong> Bettlägrigkeit<br />

bzw. ihres Pflegebedürfnisses. Unterschieden<br />

werden kann bspw. zwischen geistig rüstigen, jedoch<br />

körperlich kranken Menschen, Menschen mit<br />

Demenz, körperlich schwachen Menschen, Sterbenden<br />

und Menschen mit appalischem Syndrom.<br />

Mit ihren unterschiedlichen Erkrankungen befinden<br />

sich die bettlägrigen Menschen also in so genannten<br />

unterschiedlichen „Stadien“, daher sind<br />

die individuellen Auswirkungen bei den Betroffenen<br />

vielschichtig. Unter an<strong>der</strong>em betroffen sind<br />

die physischen, psychischen aber auch kognitiven<br />

Bereiche, wobei das subjektive Erleben <strong>der</strong> Einzelnen<br />

sehr zu differenzieren ist und somit Teile o<strong>der</strong><br />

auch weitere Aspekte des o.g. Szenario im Erleben<br />

denkbar sind.<br />

Zudem ist es in <strong>der</strong> Regel ein schleichen<strong>der</strong> Prozess<br />

bis hin zur Bettlägerigkeit, eine allmähliche<br />

Ortsfixierung, auf die <strong>der</strong> Verlauf sich zuspitzt; das<br />

Bett wird zum unmittelbaren und dadurch extrem<br />

reduzierten Lebensraum. Gerade <strong>der</strong> Einschränkungen<br />

wegen benötigen die Betroffenen neben ihrer<br />

pflegerischen Versorgung eine intensive Begleitung<br />

und Betreuung. Grundsätzliches Ziel hierbei ist den<br />

Menschen in einer bestmöglichen Behandlung und<br />

Begleitung eine hohe Lebensqualität in allen Phasen<br />

bis hin zum Tod zu ermöglichen.<br />

Darüber hin<strong>aus</strong> gilt es, für die Betroffenen das beschriebene<br />

Szenario möglichst gar nicht erst real<br />

werden zu lassen. Dies bedeutet, ein subjektives<br />

Wohlbefinden herzustellen, Geborgenheit zu vermitteln,<br />

die sozialen Beziehungen und Situationen<br />

unabhängig von <strong>der</strong> notwendigen Pflege zu initiieren<br />

und zu gestalten, <strong>der</strong> Reizarmut entgegen<br />

zu wirken u.a. mit <strong>der</strong> Schaffung eines entsprechenden<br />

Milieus bzw. Umgebung, wobei auch die<br />

individuelle Lebensgeschichte berücksichtigt werden<br />

sollte. Ebenso wichtig ist auch, die Angehörigen<br />

und Mitarbeitenden fachlich und emotional<br />

zu unterstützen.<br />

Um diese Ziele erreichen zu können und sich den<br />

vorhandenen Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ungen zu stellen, ist<br />

das Zusammenspiel aller Beteiligter notwendig, da<br />

die vielfältigen Notwendigkeiten nur mit einer Einbindung<br />

aller – den pflegerischen und therapeutischen<br />

Fachkräften, den Angehörigen und den<br />

freiwillig / bürgerschaftlich Engagierten – bewältigt<br />

werden kann. Hierbei gilt es, gemeinsam Inhalte<br />

und Vorgehensweisen zu entwickeln, eine integrative<br />

Begleitung und Bewegung zu ermöglichen,<br />

(selbst)kritisch eigene Haltungen und Pflegephilosophien<br />

zu reflektieren sowie weitere Unterstützungsmöglichkeiten<br />

zu entwickeln. Der Leitgedanke<br />

sollte sein, die Begleitung und Betreuung<br />

bettlägeriger Menschen als gleichermaßen fachliche<br />

und ethische Aufgabe anzusehen.<br />

71


ANHANG<br />

5<br />

VERZEICHNIS DER AUTORINNEN<br />

UND AUTOREN DIESES BANDES<br />

M.A. Judith Blume (Jg. 1983)<br />

Studium <strong>der</strong> Neueren und neuesten Geschichte,<br />

Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Empirische<br />

Kulturwissenschaft in Tübingen, Aix-en-Provence<br />

und Hamburg. Während und seit dem Studium<br />

tätig als freie Lektorin und Texterin sowie als-<br />

Ausstellungsgestalterin. Seit Januar 2010 Promotion<br />

an <strong>der</strong> Goethe-Universität in Frankfurt zum Thema<br />

„Das Klebealbum als Kulturtechnik“.<br />

Prof. Dr. Hermann Brandenburg (Jg. 1959)<br />

Studium <strong>der</strong> Sozialwissenschaften in Bochum sowie<br />

Gerontologie in Heidelberg, gleichzeitig Ausbildung<br />

und Tätigkeit als Altenpfleger. Seit 1996<br />

an <strong>der</strong> Katholischen Fachhochschule Freiburg; seit<br />

2007 Lehrstuhlinhaber für gerontologische Pflege<br />

an <strong>der</strong> Philosophisch-Theologischen Hochschule<br />

Vallendar. Diverse Her<strong>aus</strong>geber- und Mitgliedschaften.<br />

Dr. Eberhard Goll (Jg. 1956)<br />

Nach kaufmännischer Lehre und Studium geschäftsführen<strong>der</strong><br />

Assistent an <strong>der</strong> Uni Mannheim;<br />

Berater und Fortbildner bei <strong>der</strong> Beratungsgesellschaft<br />

für soziale Unternehmen mbH (BSU); seit<br />

1994 Mitglied des geschäftsführenden Vorstands<br />

<strong>der</strong> Samariterstiftung Nürtingen-Oberensingen,<br />

zuständig für den Bereich Altenhilfe. Seit 2003<br />

auch Vorsitzen<strong>der</strong> des württembergischen evangelischen<br />

Fachverbandes für Altenhilfe (WEFA).<br />

Prof. Dr. Reimer Gronemeyer (Jg. 1939)<br />

Studium <strong>der</strong> Theologie in Hamburg, Heidelberg<br />

und Edinburgh. Tätigkeit als Pfarrer in Hamburg,<br />

anschließend Studium <strong>der</strong> Soziologie. Assistent an<br />

den theologischen Fakultäten in Mainz und Bochum,<br />

seit 1975 Professor für Soziologie an <strong>der</strong><br />

Justus-Liebig-Universität in Gießen. Forschungsaufenthalte<br />

in Afrika und Osteuropa. Zusammenarbeit<br />

mit Palliative Care und OrganisationsEthik<br />

(Leitung: Prof. Dr. Andreas Heller). Diverse Ehrenamtliche<br />

Tätigkeiten, z.B. Vorstandsvorsitz <strong>der</strong> Aktion<br />

Demenz e.V. und Mitglied im wissenschaftlichen<br />

Beirat <strong>der</strong> BAG Hospiz e.V.<br />

Dr. Beate Krieg (Jg. 1960)<br />

Studium <strong>der</strong> deutschen und vergleichenden Volkskunde,<br />

Kommunikationswissenschaft, Kunstgeschichte,<br />

Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in<br />

München und Innsbruck. Wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />

im Museum für Brotkultur in Ulm, seit<br />

1994 Referentin für Kultur, Öffentlichkeitsarbeit<br />

und Qualifizierungsschulungen für ehrenamtliche<br />

Führungskräfte beim Bildungs- und Sozialwerk<br />

des LandFrauenverbandes Württemberg-Baden in<br />

Stuttgart, seit 1998 stellvertretende Geschäftsführerin<br />

des LandFrauenverbandes Württemberg-Baden,<br />

seit <strong>2008</strong> Geschäftsführerin. Seit <strong>2009</strong> Geschäftsführerin<br />

<strong>der</strong> Arbeitsgemeinschaft ländliche<br />

Erwachsenenbildung (ALEB).<br />

Prof. Dr. Kurt Lüscher (Jg. 1935)<br />

Studium <strong>der</strong> Soziologie in Bern und Basel. Div.<br />

Lehr- und Forschungstätigkeiten u.a. an <strong>der</strong> Columbia<br />

University, NY. Professor für Soziologie an<br />

<strong>der</strong> Universität Bern, von 1971 – 2000 Lehrstuhlinhaber<br />

an <strong>der</strong> Universität Konstanz. Ab 1989 Leiter<br />

des Forschungsschwerpunkts „Gesellschaft<br />

und Familie“. Schwerpunktthemen im Bereich Bildungs-<br />

und Mediensoziologie sowie verstärkt<br />

auch Soziologie <strong>der</strong> Familie und <strong>der</strong> Generationenbeziehungen.<br />

Seit <strong>der</strong> Emeritierung 2000<br />

mehrere Lehraufträge an <strong>der</strong> Universität Bern sowie<br />

in <strong>der</strong> Erwachsenenbildung. Beratertätigkeit<br />

im Bereich <strong>der</strong> Sozialpolitik. Zur Zeit Mitglied u. a.<br />

des wissenschaftlichen Beirates beim Bundesministerium<br />

für Familie, Senioren, Frauen und Jugend<br />

(BMFSFJ).<br />

Thomas Pfundstein (Jg. 1955)<br />

Studium <strong>der</strong> Sozialarbeit. 1995 – 2003 wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter in <strong>der</strong> Kontaktstelle für<br />

praxisorientierte Forschung e.V. an <strong>der</strong> Evangelischen<br />

Fachhochschule Freiburg. Seit 2004 Geschäftsführer<br />

des Institutes für angewandte Sozialforschung<br />

Alter. Gesellschaft. Partizipation.<br />

(AGP). Forschungstätigkeiten in unterschiedlichen<br />

Fel<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Sozialen Gerontologie mit Schwerpunkt<br />

auf neue Wohnformen im Alter, Qualitätsmanagement<br />

und Entwicklung <strong>der</strong> Angebotsstruktur.<br />

Dipl. Psych. Iren Steiner (Jg. 1949)<br />

Studium <strong>der</strong> Psychologie. Trainerin für kreatives<br />

Lernen. Langjährige Projekt-, Beratungs- und Fortbildungstätigkeit<br />

in gemeinwesenorientierter Altenarbeit<br />

mit den Schwerpunkten Unterstützung<br />

von pflegenden Angehörigen in <strong>der</strong> Gemeinde,<br />

För<strong>der</strong>ung des bürgerschaftlichen Engagements,<br />

Pflegekultur und Biografiearbeit. 2003 – 2006 Leiterin<br />

des BELA-Praxisverbundes „Bürgerengagement<br />

für Lebensqualität im Alter“ für 19 Einrich-<br />

tungen <strong>der</strong> stationären Altenhilfe in Baden-Württemberg.<br />

Seit 2004 Projektverantwortliche für das<br />

Bundesprogramm „Pflegebegleiter“ (freiwilliges<br />

Engagement für die Begleitung von pflegenden<br />

Angehörigen), Regionalbüro Süd beim Paritätischen<br />

Bildungswerk, Stuttgart. Seit <strong>2008</strong> fachliche<br />

Koordinatorin des BELA III-Netzwerks.<br />

M.A. Mario Störkle (Jg. 1979)<br />

Studium <strong>der</strong> Soziologie. Wissenschaftliche Honorartätigkeiten<br />

u.a. für Sozial- und Jugendamt Freiburg.<br />

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsschwerpunkt<br />

Gerontologie und Pflege (AGP) an<br />

<strong>der</strong> Evangelischen Hochschule Freiburg. Seit <strong>2009</strong><br />

wissenschaftlicher Assistent am Institut für soziokulturelle<br />

Entwicklung an <strong>der</strong> Hochschule Luzern.<br />

Prof. Dr. Ralf Vandamme (Jg. 1963)<br />

Studium <strong>der</strong> Politikwissenschaften, Soziologie und<br />

Germanistik. Seit 1999 Fachberater für Bürgerschaftliches<br />

Engagement im StädteNetzWerk BE in<br />

Baden Württemberg, einem <strong>aus</strong> 64 Städten bestehenden<br />

Netzwerk mit den Schwerpunkten Erfahrungs<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch,<br />

Weiterentwicklung <strong>der</strong> Engagementför<strong>der</strong>ung<br />

und Kommunale Entwicklungsb<strong>aus</strong>teine<br />

für Engagement und Partizipation. Seit<br />

<strong>2009</strong> Dozent an <strong>der</strong> Hochschule Mannheim im<br />

Fachbereich Sozialwesen.<br />

Gabriele Scholz-Weinrich (Jg. 1955)<br />

Studium <strong>der</strong> Sozialarbeit und <strong>der</strong> sozialen Gerontologie,<br />

Arbeit in verschiedenen Tätigkeitsfel<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />

Altenhilfe. Seit 1995 freiberufliche Trainerin in Organisationen<br />

/ bei Trägerin <strong>der</strong> Alten – und Gesundheitshilfe<br />

mit den Schwerpunkten Bildung und Beratung.<br />

Sowohl Initiierung als auch Mitarbeit in vielfältigen<br />

Projekten: u.a. Patientenbegleitung (hess.<br />

Altenhilfepreis), vertikale Kooperation, die Würde<br />

des Alters ist antastbar, Bundesprogramm Pflegebegleiter,<br />

Angehörigenunterstützung. Langjähriger<br />

Lehrauftrag an <strong>der</strong> FH Frankfurt.<br />

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ABBILDUNGSNACHWEIS<br />

Alle Grafiken, sofern nicht an<strong>der</strong>s<br />

gekennzeichnet, wurden den jeweiligen Projektpräsentationen<br />

bzw. Quelltexten entnommen.<br />

Das Copyright liegt bei den Autorinnen<br />

und Autoren.<br />

Fotos <strong>der</strong> Autorinnen und Autoren wurden<br />

zur Verfügung gestellt bzw. entnommen von<br />

www.reimergronemeyer.de (R. Gronemeyer),<br />

www.kurtluescher.de (K. Lüscher),<br />

www.samariterstiftung.de (E.Goll),<br />

www.alterssozialplanung.de (T. Pfundstein) und<br />

www.zfs.uni-freiburg.de (M. Störkle).<br />

IMPRESSUM<br />

Her<strong>aus</strong>geber: Landesseniorenrat<br />

Realisierung: Iren Steiner, fachliche Koordination<br />

BELA III, Bissingen<br />

Redaktionelle Bearbeitung: Wanda Hummel,<br />

Amaya Steinhilber<br />

Gestaltung: Michael Wiesinger, Freiburg<br />

Druck: Schwarz auf Weiss, Freiburg<br />

© Landesseniorenrat Baden-Württemberg, 2010

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