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Grundlagentexte aus der Aufbauphase 2008/2009

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RÜCKBLICK UND AUSBLICK<br />

Eingangs wurde Bezug genommen auf die Zielsetzungen<br />

von BELA III. Dar<strong>aus</strong> ließ sich ableiten,<br />

dass diese Ziele Beziehungsarbeit erfor<strong>der</strong>n. Einige<br />

Aspekte <strong>der</strong> Beziehungsarbeit wurden mit Blick<br />

auf die Praxis erläutert und durchgängig zeigte<br />

sich, dass Beziehungsarbeit in einem Kontext für<br />

alle Beteiligten, die alten Menschen, das Fachpersonal,<br />

die Freiwilligen sowie die Angehörigen als<br />

Beitrag zur Persönlichkeitsentfaltung verstanden<br />

werden muss. In <strong>der</strong> heutigen Zeit erfor<strong>der</strong>t dies<br />

von allen Beteiligten, mit Vieldeutigkeiten, mit Zufälligkeiten<br />

und Schicksalsschlägen, mit Zwiespältigkeiten,<br />

mit Spannungsfel<strong>der</strong>n und somit mit<br />

<strong>der</strong> Erfahrung von Ambivalenzen umzugehen.<br />

Dies lässt sich untermauern, wenn bedacht wird,<br />

dass in den meisten Bereichen die Arbeit auch die<br />

Gestaltung von mehr o<strong>der</strong> weniger offensichtlichen<br />

Generationenbeziehungen erfor<strong>der</strong>t. Denn<br />

diese Beziehungen sind sowohl für den Einzelnen<br />

wie für die Gemeinschaften von beson<strong>der</strong>er Bedeutung<br />

und erfor<strong>der</strong>n den steten dynamischen<br />

Umgang mit Verschiedenheit und Gemeinsamkeit,<br />

mit Nähe und Ferne, mit Eigenständigkeit<br />

und Abhängigkeit; sie erfor<strong>der</strong>n das Eingeständnis<br />

von damit einhergehenden Zwiespältigkeiten.<br />

Damit rücken letztlich allgemeine menschenrechtliche<br />

Begründungen in den Vor<strong>der</strong>grund. Hier ist<br />

zu bedenken, ob dies nicht noch stärker als bisher<br />

hervorgehoben werden könnte. Denn sie sind zugleich<br />

geeignet, die allgemeine politische Tragweite<br />

<strong>der</strong> BELA III-Arbeit zu erhellen. Sie sind anschlussfähig<br />

sowohl an die verfassungsrechtlichen<br />

Grundlagen staatlicher Arbeit als auch an die fundamentalen<br />

Begründungen kirchlicher, kirchennaher<br />

und zivilgesellschaftlicher Träger.<br />

1 Siehe hierzu und zum Folgenden auch: Lüscher,<br />

Kurt: „Homo ambivalens": Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung für<br />

Psychotherapie und Gesellschaft. In: Psychotherapeut,<br />

54, Heft 2, 2010, S. 1- 10<br />

2 Als Ambivalenz verstehe ich hier, Erfahrungen<br />

eines zeitweiligen o<strong>der</strong> dauernden Oszillierens<br />

zwischen polaren Gegensätzen zu umschreiben,<br />

denen Bedeutung für die Identität und dementsprechend<br />

für die Handlungsbefähigung, die sozialen<br />

Beziehungen sowie die Gesellschaftlichkeit<br />

individueller und kollektiver Akteure zugeschrieben<br />

werden kann. Ambivalenzerfahrungen kann<br />

<strong>der</strong> einzelne im Dialog mit sich selbst machen, im<br />

Dialog mit wichtigen An<strong>der</strong>en (seinen Nächsten)<br />

und im Dialog mit generalisierten An<strong>der</strong>en, also<br />

allgemeinen gesellschaftlichen Erwartungen. Hierzu<br />

mit Blick auf die Begriffsgeschichte sowie die<br />

weiter unten erwähnten Strategien des Umgangs<br />

mit Ambivalenzen Lüscher, Kurt in: Dietrich/ Lüscher/<br />

Müller (<strong>2009</strong>), Kap. 1.<br />

3 Hierzu <strong>aus</strong>führlich: Lüscher/ Pajung-Bilger: Forcierte<br />

Ambivalenzen. Konstanz 1998. Siehe ferner:<br />

Lüscher, Kurt: „Ambivalenz und Kreativität im<br />

Alter“ In: Bäurle, P./ Förstl, H./ Hell, D./ Radebold,<br />

H./ Riedel, I./ Stu<strong>der</strong>, K. (Hg.): Spiritualität und Kreativität<br />

in <strong>der</strong> Psychotherapie mit älteren Menschen.<br />

Bern 2005. S. 64 – 76<br />

4 Siehe hierzu auch das als Bulletin plus im DJI-<br />

Bulletin erschienene kleine Kompendium „B<strong>aus</strong>teine<br />

<strong>der</strong> Generationenanalyse" (www.dji.de/bulletins).<br />

2.3. BELA III ALS KOSMOS<br />

SOZIALER BEZIEHUNGEN –<br />

EINIGE LEITSÄTZE<br />

Prof. em. Dr.Kurt Lüscher<br />

(Universität Konstanz)<br />

Leitsätze <strong>aus</strong>gehend vom Referat im Rahmen<br />

<strong>der</strong> Auftaktveranstaltung des BELA III-Netzwerks,<br />

Fellbach 15.06.<strong>2009</strong><br />

1) Wir können uns BELA III als einen „Kosmos<br />

sozialer Beziehungen“ vorstellen. Diese Beziehungen<br />

haben einen Fokus, <strong>der</strong> sich zunächst mit<br />

dem geläufigen Begriff <strong>der</strong> Pflege umschreiben<br />

lässt. Um die Ziele von BELA III zu erreichen, muss<br />

somit Beziehungsarbeit geleistet werden. Sachkundige<br />

und engagierte Beziehungsarbeit kann<br />

Lebensqualität schaffen. Diese Lebensqualität ist<br />

maßgeblich für die Persönlichkeitsentwicklung aller<br />

Beteiligter: <strong>der</strong> älteren Menschen, des Fachpersonals,<br />

<strong>der</strong> Freiwilligen und <strong>der</strong> Angehörigen.<br />

2) Beziehungsarbeit erfor<strong>der</strong>t, dass wir uns vor<br />

Idealisierungen hüten, uns die Spannungsfel<strong>der</strong>,<br />

die in den Beziehungen zwischen zwei Menschen,<br />

zwischen Alt und Jung, zwischen Eltern und Kin<strong>der</strong>n<br />

vorkommen können, offen eingestehen und<br />

uns in kreativer Weise damit <strong>aus</strong>einan<strong>der</strong>setzen.<br />

Als Methode bietet sich an zu bedenken, was hinter<br />

dem steckt, was wir im Alltag für selbstverständlich<br />

halten.<br />

3) Wir reden von sozialen Beziehungen, wenn<br />

sich zwei o<strong>der</strong> mehrere Menschen mehrfach in einem<br />

sozialen „Rahmen“ begegnen, sich also an<br />

vor<strong>aus</strong>gehenden Begegnungen orientieren. Soziale<br />

Beziehungen stehen somit in einem Spannungsfeld<br />

zwischen dem Individuum und <strong>der</strong> Gemeinschaft,<br />

zwischen Subjekt und Sozialität. Dementsprechend<br />

lassen sich soziale Beziehungen als<br />

Nährboden <strong>der</strong> Entfaltung zu einer eigenverantwortlichen<br />

und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit<br />

(eines „Selbst“) verstehen.<br />

4) Eine solche Vorstellung von „persönlicher<br />

Identität“ legt nahe anzunehmen, dass die Gestaltung<br />

sozialer Beziehungen und <strong>der</strong> Entfaltung <strong>der</strong><br />

Persönlichkeit mannigfache Erfahrungen eines Hin<br />

und Her (des Oszillierens) zwischen polaren<br />

Gegensätzen mit sich bringen kann. Dafür gibt es<br />

unterschiedliche Umschreibungen, beispielsweise<br />

Eigenständigkeit vs. Abhängigkeit, Vertrautheit vs.<br />

Fremdheit, Nähe vs. Distanz, Liebe vs. Hass. Hier<br />

bietet sich <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Ambivalenz an.<br />

5) In <strong>der</strong> praktischen Beziehungsarbeit und für<br />

die Persönlichkeitsentfaltung in den Heimen sind<br />

u.a. folgende Prozesse von Belang:<br />

(a) Die „sich selbst erfüllende Prophezeiung“: In<br />

<strong>der</strong> Begegnung von Alt und Jung werden ältere<br />

Menschen in ihrem Abhängigkeitsverhalten bestärkt<br />

und so ihre Abhängigkeit verstärkt. Dabei<br />

kann z.B. die Sprache („Babysprache“) bedeutsam<br />

sein.<br />

(b) „Übertragung“, „Projektion“ und „Delegation“:<br />

Frühere Beziehungserfahrungen <strong>der</strong> Beteiligten<br />

werden in die aktuellen Beziehungserfahrungen<br />

übernommen.<br />

(c) Verarbeitung von Traumata (z.B. Kriegskindheit)<br />

(d) Individuelle Wi<strong>der</strong>standsfähigkeiten (Resilienz).<br />

6) Die darin angelegten Dispositionen für die<br />

Erfahrung von Ambivalenzen werden durch Spannungsfel<strong>der</strong><br />

verstärkt, die <strong>der</strong> Tätigkeit <strong>der</strong> „Pflege“<br />

(umfassen<strong>der</strong>: „caring“) eigen sind, beispielsweise<br />

in Pflegehandlungen mit erheblichen Eingriffen<br />

in die Intimsphäre, Pflegehandlungen, die<br />

dem Pflegebedürftigen nur bedingt einsichtig sind<br />

o<strong>der</strong> erhebliche physische o<strong>der</strong> psychische Belastungen<br />

erfor<strong>der</strong>n, Konfrontation mit Wi<strong>der</strong>stand<br />

BELA III ALS KOSMOS SOZIALER<br />

BEZIEHUNGEN<br />

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