Grundlagentexte aus der Aufbauphase 2008/2009
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- in eine höhere Pflegestufe einteilen, obwohl sie<br />
diese nicht unbedingt brauchte. Es bedeutete<br />
aber, dass sie mehr Kontakt mit dem Pflegepersonal<br />
hatte. Meine Mutter äußerte sich kurz darauf<br />
befriedigt darüber, dass die PflegerInnen gesprächsfreudiger<br />
geworden seien. Wir wagten<br />
nicht, ihr zu sagen, was die neue Vereinbarung<br />
war und vor allem nicht, wie viel mehr dies kostete.<br />
Sie konnte es sich leisten, das war nicht das<br />
Problem. Aber sie hätte es als verletzend und demütigend<br />
empfunden, dass sie für kleine Handreichungen,<br />
ein Gespräch und gemeinsames Lachen<br />
bezahlen musste, für etwas, was sie als normale<br />
Zwischenmenschlichkeit empfand und was für sie<br />
selbst gegenüber an<strong>der</strong>en Menschen, die Hilfe<br />
brauchten, über Jahrzehnte selbstverständlich<br />
war. Der entscheidende Punkt ist, dass Zwischenmenschlichkeit,<br />
Freundlichkeit und ein bisschen<br />
Unterstützung Zeit, Energie und ein Minimum von<br />
Beziehungs-Kontinuität brauchen. Dafür ist in den<br />
Pflegeplänen jedoch immer weniger Zeit vorgesehen.<br />
Und trotzdem ist diese Zeit eine ökonomische<br />
Vor<strong>aus</strong>setzung für eine gute Pflege.“<br />
Die Verteilung von Pflegearbeit ist eine gesellschaftliche<br />
und politische Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung mit hoher Relevanz<br />
für viele Handlungsfel<strong>der</strong>. Deshalb bedarf es<br />
grundsätzlich einer ideellen und monetären Aufwertung<br />
<strong>der</strong> Care-Arbeit im öffentlichen und im<br />
privaten Bereich. Zudem gibt es einen großen Bedarf<br />
an Ergänzung von familiärer Betreuung sowie<br />
Entlastung <strong>der</strong> pflegenden Angehörigen.<br />
PFLEGE IST WEIBLICH<br />
Wie <strong>aus</strong> dem jüngsten Bericht des Statistischen<br />
Landesamtes hervorgeht, sind von den 237.000<br />
pflegebedürftigen Personen 72 Prozent Frauen.<br />
Davon werden zwei Drittel zu H<strong>aus</strong>e und ein Drittel<br />
in Pflegeheimen gepflegt. Über 80 Prozent <strong>der</strong><br />
Pflegekräfte sind weiblich und über 70 Prozent<br />
sind ehrenamtlich in diesem Bereich tätig.<br />
Grundsätzlich gilt meines Erachtens <strong>der</strong> Satz: „Wir<br />
tun gut, uns umeinan<strong>der</strong> zu kümmern“ – die Beiträge<br />
ehrenamtlichen Engagements sind ein Stück<br />
Lebensqualität für Bewohnerinnen und Bewohner<br />
von Pflegeheimen, gleichzeitig sollten aber auch<br />
Pflegende im privaten Umfeld in den Blick genommen<br />
und ihnen Chancen geschaffen werden. Gerade<br />
im ländlichen Raum sind es vielfach Frauen,<br />
die die Eltern- bzw. Schwiegerelterngeneration zu<br />
H<strong>aus</strong>e pflegen o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Pflegesituation erheblich<br />
unterstützen. Hier gilt es, durch Kurzzeitpflegemöglichkeiten<br />
und Veranstaltungsangebote<br />
Pflegende zu entlasten.<br />
Wie bei <strong>der</strong> Pflegetagung des Landesfamilienrates<br />
in Baden-Württemberg <strong>2009</strong> deutlich wurde und<br />
wie auch die Ergebnisse des BELA III-Netzwerkes<br />
zeigen, ergeben sich über örtliche Initiativen positive<br />
Verän<strong>der</strong>ungen. Doch wie die Referenten <strong>der</strong><br />
Tagung „Vom Mythos <strong>der</strong> Wahlfreiheit“ vor einem<br />
Jahr verdeutlichten und wie auch die Ökonomin<br />
Mascha Madörin postuliert, brauchen wir zukünftig<br />
verlässliche Rahmenbedingungen von Gesellschaft<br />
und Staat.<br />
Dies ist beson<strong>der</strong>s deshalb von entscheiden<strong>der</strong> Bedeutung,<br />
weil<br />
„die Anzahl <strong>der</strong> von Angehörigen Gepflegten<br />
(Pflegegeldempfänger) vergleichsweise schwächer<br />
zunimmt als die Zahl <strong>der</strong> ambulant und stationär<br />
Gepflegten. Dies erklärt sich dar<strong>aus</strong>, dass sich die<br />
Familienstrukturen weiter verän<strong>der</strong>n werden. Die<br />
Zahl <strong>der</strong> für die häusliche Pflege infrage kommenden<br />
Kin<strong>der</strong> (zumeist Töchter und Schwiegertöchter)<br />
nimmt <strong>aus</strong> den geburtenstarken Jahrgängen<br />
her<strong>aus</strong> zwar zu; aber eben weniger stark als die<br />
Zahl <strong>der</strong> Pflegebedürftigen. Hinzu kommt, dass<br />
auch die Frauenerwerbsarbeit ansteigt und die<br />
Anfor<strong>der</strong>ungen an den Erwerbstätigen, beruflich<br />
mobil zu sein, weiter wachsen.“<br />
Dies verän<strong>der</strong>t die Situation <strong>der</strong> zu Pflegenden.<br />
Darüber hin<strong>aus</strong> wirkt sich hinsichtlich des demografischen<br />
Wandels die Entwicklung <strong>der</strong> Erwerbspersonenzahl<br />
<strong>aus</strong>. Bis 2015 kann die Zahl <strong>der</strong> Er-<br />
werbspersonen ansteigen und ab 2025 unter das<br />
aktuelle Niveau sinken. Dar<strong>aus</strong> folgt ein mo<strong>der</strong>ater<br />
Anstieg <strong>der</strong> Erwerbsbeteiligung insbeson<strong>der</strong>e<br />
bei älteren Erwerbspersonen. Daher gilt es qualitative<br />
und quantitative Möglichkeiten in <strong>der</strong> Betreuung<br />
zum Wohle <strong>der</strong> Pflegebedürftigen weiter zu<br />
entwickeln.<br />
LITERATUR<br />
Brachat-Schwarz,Werner: „Der demografische<br />
Wandel. Auswirkungen auf die künftige<br />
Entwicklung <strong>der</strong> Erwerbspersonenzahl in Baden-<br />
Württemberg“ In: Statistisches Monatsheft<br />
Baden-Württemberg 12/<strong>2009</strong>, S. 9<br />
Burger, Franz/ Weber, Matthias: „Vor<strong>aus</strong>berechnung<br />
<strong>der</strong> Pflegebedürftigen und des Pflegepersonals<br />
in Baden-Württemberg“ In: Statistisches<br />
Monatsheft Baden-Württemberg 4/<strong>2009</strong>, S. 12<br />
Burger, Franz/ Weber, Matthias: „Deutlicher<br />
Zuwachs an Pflegebedürftigen und Pflegeeinrichtungen“<br />
In: Statistisches Monatsheft Baden-<br />
Württemberg 4/<strong>2009</strong>, S. 31<br />
Daumüller, Rosemarie: „Nur eine Frage <strong>der</strong><br />
Kin<strong>der</strong>betreuung? Vereinbarkeit von Beruf und<br />
Familie“ - Beitrag im Rahmen <strong>der</strong> Tagung<br />
„Vom Mythos <strong>der</strong> Wahlfreiheit“<br />
Fischli, Peter/ Weiss, David: Findet mich das<br />
Glück? Köln 2003<br />
Grün, Anselm: Das kleine Buch vom wahren<br />
Glück. Freiburg 2001<br />
Madörin, Mascha: „Pflege – eine Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung<br />
für die Gesundheitsökonomie“<br />
In: Managed Care 7/8 2005<br />
2.7. PFLEGESTANDARDS<br />
UND/ODER<br />
LEBENSWELTORIENTIERUNG:<br />
IMPULSE FÜR DIE AUSEINANDER-<br />
SETZUNG MIT BELA III<br />
Dr. Eberhard Goll<br />
Vorstand Altenhilfe Samariterstiftung, Nürtingen<br />
Ausformulierte Stichworte <strong>der</strong> Impulsreferate, gehalten<br />
auf <strong>der</strong> 2. Verbundkonferenz des BELA III -<br />
Qualitätsnetzwerks, Stuttgart, 27.11.<strong>2009</strong><br />
Die im BELA III-Projekt vernetzten Pflegeeinrichtungen<br />
sehen sich mit neuen Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ungen<br />
konfrontiert, die an die Einrichtungen gerichteten<br />
For<strong>der</strong>ungen spiegeln sich auch in <strong>der</strong> Netzwerkarbeit<br />
des Projektes wi<strong>der</strong>. Diese Neu<strong>aus</strong>richtung<br />
und die verstärkte Einbindung ehrenamtlich Engagierter<br />
haben für die Einrichtungen bestimmte<br />
Folgen, die ebenso positiv sein können wie auch<br />
gewisse Grenzen offenlegen, inwieweit die Bewohner<br />
als auch die Einrichtung und die Netzwerkarbeit<br />
von und mit BELA III betroffen sind.<br />
PFLEGEHEIME ZWISCHEN PFLEGE-<br />
STANDARDS UND LEBENSWELT-<br />
ORIENTIERUNG<br />
Für die stationäre Pflege wird seit einigen Jahren<br />
eine stärkere Lebensweltorientierung gefor<strong>der</strong>t.<br />
Auch mit dem BELA III-Projekt sind solche For<strong>der</strong>ungen<br />
verbunden. Pflegeheime haben jedoch als<br />
Institutionen ihre Eigengesetzlichkeiten, die z.T. als<br />
Grenzen einer stärkeren Lebensweltorientierung<br />
erlebt werden. Auch externe Anspruchs- und<br />
Interessengruppen sowie Institutionen richten Erwartungen<br />
an Pflegeheime, die mehr in die eine<br />
o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Richtung gehen. Im Folgenden werden<br />
wichtige Elemente einer Ausrichtung an Pflegestandards<br />
einerseits und Beispiele für eine Lebensweltorientierung<br />
in <strong>der</strong> Pflege an<strong>der</strong>erseits<br />
kurz skizziert.<br />
PFLEGESTANDARDS<br />
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