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Grundlagentexte aus der Aufbauphase 2008/2009

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Aktuell greifen Wissmann und Gronemeyer diese<br />

Kritik auf und ergänzen sie um einen wichtigen<br />

Punkt:<br />

„Der aufblühende Sozialstaat hat Abhängigkeiten<br />

geschaffen, die nun - da es zu viele Abhängigkeiten<br />

gibt, die (angeblich) nicht mehr bezahlbar sind<br />

– ein Gefühl erzeugen, wie es <strong>der</strong> Säugling hat,<br />

dem die Mutterbrust entzogen wird. Eine zunehmend<br />

von neoliberalen Ideen infizierte Sozialpolitik<br />

verweist den Einzelnen auf seine Eigeninitiative<br />

– er soll selbst für sein Alter vorsorgen, soll sich<br />

den Gesundheitsimperativen beugen (Bewegung,<br />

gesundes Essen etc.) und sich ehrenamtlich-freiwillig<br />

betätigen, um die entstandenen Löcher im<br />

sozialen Netz selbst zu flicken.“ 12<br />

Dieser Interpretation zufolge ist bürgerschaftliches<br />

Engagement zum einen ein wichtiges Korrektiv<br />

gegen die „Industrialisierung des Sozialen“, gerade<br />

weil es nicht in <strong>der</strong> Logik von Professionen<br />

denkt und handelt, son<strong>der</strong>n für eine Beachtung<br />

von informellen Netzwerken, für eine bürgerschaftliche<br />

Verantwortung vor Ort und für die Beachtung<br />

<strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Generalisten und<br />

Praktiker des Alltags steht. Zweitens steht ein Engagement<br />

für die Zivilgesellschaft immer in einer<br />

Ambivalenz – zwischen <strong>der</strong> Notwendigkeit und<br />

<strong>der</strong> „Schönheit“ des zivilgesellschaftlichen Engagements<br />

und dem Missbrauch als billige Arbeitskraft<br />

im Kontext einer neoliberalen Wirtschaftsund<br />

Sozialpolitik.<br />

3. BELA III STELLT EINE GEGEN-<br />

ÖFFENTLICHKEIT DAR<br />

In <strong>der</strong> öffentlichen Debatte stehen häufig die<br />

Mängel, Skandale und Missstände in <strong>der</strong> stationären<br />

Altenhilfe, beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Pflege, im Mittelpunkt.<br />

Interessant für die Medien sind Negativberichte:<br />

„Betroffene“ werden vor die Kameras gebracht,<br />

<strong>der</strong>en subjektive Perspektive öffentlich<br />

inszeniert. Eine seriöse Analyse <strong>der</strong> Ursachen,<br />

Hintergründe und Bedingungen unterbleibt. Viel<br />

zu wenig werden positive Beispiele öffentlichkeitswirksam<br />

wahrgenommen, Reformansätze diskutiert,<br />

wird Engagement zur Verbesserung <strong>der</strong> Lebensqualität<br />

von alten Menschen gewürdigt. Gerade<br />

dieses „Zurechtrücken“ <strong>der</strong> Einseitigkeit (und<br />

damit auch Falschheit) <strong>der</strong> öffentlichen Berichterstattung<br />

ist eine wichtige Aufgabe <strong>der</strong> bürgerschaftlich<br />

Engagierten. Sie sind direkt in das<br />

„wirkliche“ Leben vor Ort involviert, können <strong>aus</strong><br />

ihrer Sicht die Dinge darstellen und leisten einen<br />

wichtigen Beitrag wie<strong>der</strong>um zur Korrektur – diesmal<br />

allerdings einer medial verzerrten Darstellung<br />

<strong>der</strong> Realität in Heimen.<br />

4. BELA III IST EIN BEITRAG ZUR<br />

ÖFFNUNG DER HEIME<br />

Die Öffnung <strong>der</strong> Heime von innen und von außen<br />

steht an. Die Öffnung von außen meint, dass <strong>der</strong><br />

Kontakt zur Bürgergesellschaft intensiviert wird,<br />

Besuchsdienste regelmäßig ins H<strong>aus</strong> kommen, eine<br />

Perspektive von außen in die Einrichtung hineingetragen<br />

wird. Dazu gehört auch die Beteiligung<br />

<strong>der</strong> politischen Gemeinde. Ergänzt, erweitert<br />

und unterstützt werden muss diese<br />

Öffnung von außen durch eine Öffnung von innen.<br />

Dies bedeutet eine nachhaltige Än<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Organisationen, bei <strong>der</strong> die Logik <strong>der</strong> „Totalversorgung“<br />

und Institutionalisierung unterbrochen<br />

wird. Es geht darum, dass Heime sich (auch)<br />

als ein Angebot für das Wohnquartier bzw. das<br />

Wohnumfeld sehen. Nicht allein die Pflege und<br />

die Versorgung, son<strong>der</strong>n z.B. die Bereitstellung<br />

von Räumen, etwa für ein Bürgerbüro, für Kulturund<br />

Bildungsaktivitäten ist möglich, so dass sich<br />

das Heim stärker als integraler Bestandteil eines<br />

größeren Ganzen, eingebettet in kommunale Verantwortlichkeiten<br />

definiert. Damit verbunden ist<br />

letztlich eine Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Leitenden;<br />

im Kern geht es um Kooperation und<br />

Kommunikation verschiedener Einrichtungen.<br />

5. BELA III BIETET DIE CHANCE<br />

FÜR EINE „FAIRE“ KOOPERATION<br />

ALS GRUNDLAGE DER ALTEN-<br />

ARBEIT<br />

Nach Bettmer 13 gibt es zwei Aspekte, die für eine<br />

faire Kooperation zu bedenken sind (s.o.): die<br />

verschiedenen Ausgangsbedingungen <strong>der</strong> bürgerschaftlich<br />

Engagierten und <strong>der</strong> Profis sowie die<br />

Eigenlogik <strong>der</strong> Organisationen. Organisationen<br />

sollen die internen Bedingungen für die Kooperation<br />

bereitstellen, indem sie organisationsexternen<br />

Personen Möglichkeiten zur Partizipation und Beteiligung<br />

eröffnen. Beide Aspekte sind nur dann<br />

(relativ) konfliktfrei zu lösen, wenn die Öffnung<br />

<strong>der</strong> Organisationen für bürgerschaftliches Engagement<br />

einen so genannten Mehrwert für die<br />

Organisationen selbst verspricht. Ein entsprechendes<br />

Modell dafür kann man – wie im vorigen Text<br />

erwähnt – <strong>der</strong> „Theorie <strong>der</strong> Gerechtigkeit“ des<br />

großen amerikanischen Philosophen John Rawls<br />

(1975) entnehmen.<br />

FAZIT<br />

BELA III verän<strong>der</strong>t vieles. Der wesentliche Punkt<br />

dabei ist, dass BELA III einen wichtigen Beitrag<br />

zum Pflege-Mix darstellt. Die Pflege <strong>der</strong> Zukunft<br />

(aber auch schon <strong>der</strong> Gegenwart) kann nur im Zusammenwirken<br />

von Professionellen und bürgerschaftlich<br />

Engagierten gelingen: die Perspektiven<br />

müssen und sollen sich ergänzen. Das Leben ist<br />

vielfältig, BELA III ist es auch. Und insofern leistet<br />

BELA III einen Beitrag zum Wandel <strong>der</strong> Pflegekultur<br />

in Deutschland – einfach ist das nicht, aber –<br />

alternativlos.<br />

LITERATUR:<br />

Bettmer, Franz: „Faire Kooperation“<br />

als Grundlage bürgerschaftlichen Engagements.<br />

Baltmannsweiler <strong>2008</strong><br />

Förstl, Hans: „Demenzen in Theorie und Praxis.<br />

Von <strong>der</strong> Anthropologie zur Therapie“<br />

In: Wetzstein, Verena (Hg.): Ertrunken im Meer<br />

des Vergessens? Alzheimer-Demenz im Spiegel<br />

von Ethik, Medizin und Pflege. Freiburg 2005.<br />

S. 31 – 40<br />

Höhmann, Ulrike: „Vor<strong>aus</strong>setzungen und<br />

Möglichkeiten berufs- und einrichtungsübergreifen<strong>der</strong><br />

Kooperation zur Verbesserung <strong>der</strong><br />

Versorgungsqualität pflegebedürftiger<br />

Menschen“ In: Stemmer, Renate (Hg.): Qualität<br />

in <strong>der</strong> Pflege – trotz knapper Ressourcen.<br />

Hannover <strong>2009</strong>. S. 11 – 28<br />

Höhmann, Ulrike/ Müller-Mundt, Gabriele/<br />

Schulz, Brigitte: Qualität durch Kooperation.<br />

Frankfurt 1998<br />

Huber, Josef: Die verlorene Unschuld <strong>der</strong><br />

Ökologie. Frankfurt am Main 1982<br />

Rawls, John: Politischer Liberalismus. Frankfurt<br />

am Main 2003<br />

Rawls, John:<br />

Eine Theorie <strong>der</strong> Gerechtigkeit. Frankfurt am<br />

Main 1979<br />

Wissmann, Peter/ Gronemeyer, Reimer:<br />

Demenz und Zivilgesellschaft – eine Streitschrift.<br />

Frankfurt <strong>2008</strong><br />

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