Grundlagentexte aus der Aufbauphase 2008/2009
Grundlagentexte aus der Aufbauphase 2008/2009
Grundlagentexte aus der Aufbauphase 2008/2009
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MATERIALIEN 1<br />
GrundlaGentexte<br />
<strong>aus</strong> <strong>der</strong><br />
aufbauphase <strong>2008</strong>/<strong>2009</strong>
1<br />
BELA III MATERIALIEN<br />
GRUNDLAGENTEXTE<br />
<strong>2008</strong>/<strong>2009</strong><br />
Zur Einführung<br />
Sing, Roland:<br />
Der BELAIII-Qualitätsverbund – ein Beitrag<br />
zu einem würdigen Leben für Menschen<br />
in Pflegeeinrichtungen 5<br />
Ein Vorwort des Landesseniorenrates<br />
Steiner, Iren:<br />
Der BELA III-Qualitätsverbund –<br />
Synergien durch Netzwerkarbeit 7<br />
Ein Vorwort <strong>der</strong> Projektkoordination<br />
1. BELA III: Dokumente und Geschichte<br />
1.1. Von BETA zu BELA III: Zur Entstehungsgeschichte<br />
eines zukunftsweisenden Projekts 9<br />
1.2. Der Projektantrag: BELA III –<br />
Bürgerengagement für<br />
mehr Lebensqualität im Alter 13<br />
1.3. Inneneinsichten: Die Strukturen, Leistungen<br />
und Arbeitsgrundlagen von BELA III 15<br />
2. Themenhorizonte:<br />
Woran BELA III arbeitet<br />
2.1. Gronemeyer, Reimer u.a.:<br />
Für eine Kultur <strong>der</strong> Koproduktion in <strong>der</strong> Pflege –<br />
kreativ, innovativ, partnerschaftlich 18<br />
2.2. Lüscher, Kurt: BELA III – Beziehungskosmos<br />
und Generationenprojekt: Potentiale in einer<br />
wi<strong>der</strong>sprüchlichen Gegenwart 22<br />
2.3. Lüscher, Kurt: BELA III als Kosmos sozialer<br />
Beziehungen – Einige Leitsätze 31<br />
2.4. Brandenburg, Hermann: Pflegealltag <strong>2009</strong> –<br />
(k)ein Platz für Bürgerengagement? 33<br />
2.5. Brandenburg, Hermann: Über die richtige<br />
Frage, die Öffnung <strong>der</strong> Heime und die Gegenöffentlichkeit<br />
– Fünf Aspekte zum erfolgreichen<br />
Aufbau des BELA III-Netzwerks 37<br />
2.6. Krieg, Beate: Findet mich das Glück<br />
im Pflegeheim? 40<br />
2.7. Goll, Eberhard: Pflegestandards und/o<strong>der</strong><br />
Lebensweltorientierung: Impulse für die<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzung mit BELA III 43<br />
3. Eine erste Bilanz <strong>aus</strong> <strong>der</strong> BELA III-Praxis<br />
3.1. Pfundstein, Thomas/ Störkle, Mario:<br />
BELA III als Marke stark machen – Ideen <strong>aus</strong> <strong>der</strong><br />
Projektevaluation 46<br />
3.2. Blume, Judith: „Nicht je<strong>der</strong> muss das Rad<br />
neu erfinden!“ – Die BELA III-Projektbörse als<br />
Wissenspool und Aust<strong>aus</strong>chplattform 50<br />
3.3. „Wir sagen jetzt nicht mehr: Du hast ja<br />
Alzheimer!“ – BELA bewegt: Drei Beispiele <strong>aus</strong><br />
<strong>der</strong> Praxis 57<br />
3.4. Erfolge und Schwierigkeiten – die BELA III-<br />
Projektregionen 58<br />
4. BELA III Instrumente und Pfade:<br />
Weitere Materialien<br />
4.1. Freiwilligenwerbung und<br />
Zielgruppenarbeit 61<br />
4.2. Demenzbegleitung 64<br />
4.3. Was Menschen<br />
mit Demenz geben können 66<br />
4.4. Netzwerke(n) 68<br />
4.5. Alltagsgestaltung vom Bett <strong>aus</strong> 70<br />
5. Anlagen<br />
• AutorInnenverzeichnis 72<br />
• Abbildungsnachweis, Impressum 74<br />
INHALTSVERZEICHNIS<br />
3
BELA III ZUR EINFÜHRUNG<br />
Bürgerschaftliches Engagement in Pflegeeinrichtungen<br />
schafft mehr Lebensqualität für Bewohnerinnen<br />
und Bewohner. Es ermöglicht Teilhabe und<br />
gemeinsames Erleben. Es baut Brücken zwischen<br />
Generationen. Und es sorgt für die Verwurzelung<br />
<strong>der</strong> Pflegeeinrichtung vor Ort, in <strong>der</strong> Kommune.<br />
Bürgerschaftliches Engagement ist ein Qualitätsfaktor<br />
in <strong>der</strong> Pflege.<br />
Das Projekt BELA III hat einen Qualitätsverbund in<br />
Baden-Württemberg aufgebaut, um bürgerschaftliches<br />
Engagement systematisch zu för<strong>der</strong>n. Ein<br />
Netzwerk von bis zu 100 stationären Einrichtungen<br />
und 42 Trägern schafft den Rahmen, um Anliegen<br />
<strong>der</strong> Freiwilligenarbeit gemeinsam voran zu<br />
bringen.<br />
Die vorliegenden Materialien stellen Konzepte, Ergebnisse<br />
und Themenbeiträge <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Fortbildungs-,<br />
Netzwerk- und Projektarbeit <strong>der</strong> <strong>Aufbauphase</strong><br />
<strong>2008</strong> – 2010 vor.<br />
BELA III Materialienband 1<br />
Her<strong>aus</strong>geber:<br />
Landesseniorenrat Baden-Württemberg e.V.<br />
Der BELA-Trägergemeinschaft gehören an:<br />
Das Ministerium für Arbeit und<br />
Sozialordnung, Familie und Senioren,<br />
Der Städtetag Baden-Württemberg,<br />
Der Landkreistag Baden-Württemberg,<br />
Der Gemeindetag Baden-Württemberg,<br />
Der Landesseniorenrat Baden-Württemberg e.V.<br />
BELA III wird in <strong>der</strong> <strong>Aufbauphase</strong> bis 2010<br />
zu zwei Dritteln von <strong>der</strong> Otto-und-Edith-Mühlschlegel-Stiftung<br />
in <strong>der</strong> Robert-Bosch-Stiftung<br />
geför<strong>der</strong>t. Die Einrichtungen beteiligen sich mit<br />
einem Mitgliedsbeitrag von10 Euro pro Heimplatz.<br />
Weiterführende Informationen finden Sie unter<br />
www.bela3.de<br />
BÜRGERENGAGEMENT<br />
FÜR LEBENSQUALITÄT IM ALTER<br />
(BELA):<br />
DER BELAIII-QUALITÄTSVERBUND<br />
– EIN BEITRAG ZU EINEM<br />
WÜRDIGEN LEBEN<br />
FÜR MENSCHEN IN PFLEGE-<br />
EINRICHTUNGEN<br />
Das Alter selbstbestimmt und somit autonom zu<br />
gestalten, steht als oberstes Ziel in <strong>der</strong> individuellen<br />
Lebensplanung älterer Menschen. Ängste und<br />
Befürchtungen gelten dem Verlust <strong>der</strong> Eigenständigkeit,<br />
<strong>der</strong> möglichen Abhängigkeit, und <strong>der</strong> dadurch<br />
verursachten Fremdbestimmung.<br />
Alte, pflegebedürftige Menschen erwarten, dass<br />
sie auch im Heim ein möglichst selbstbestimmtes<br />
Leben führen können, – ein Leben, das <strong>der</strong> Menschenwürde<br />
entspricht. Die stationäre Pflege muss<br />
eine echte Alternative sein, in <strong>der</strong>, wenn auch eingeschränkt,<br />
autonomes und damit würdiges Leben<br />
garantiert ist. Ältere Menschen möchten darauf<br />
vertrauen können, dass sich das Heim nach ihrer<br />
Lebenssituation richten kann und nicht, dass<br />
die Lebenssituation im Heim sich einem bestimmten<br />
Maß, einer bestimmten Zeiteinheit und einer<br />
bestimmten Qualität anpassen muss.<br />
Menschenwürde und Menschlichkeit verwirklicht<br />
sich in den konkreten Lebenssituationen. Die Individualität<br />
– trotz Pflegebedürftigkeit – verwirklicht<br />
sich u.a. beim Waschen, Essen, Trinken, Schlafen<br />
und Kontakt haben. Notwendig dafür sind Menschen,<br />
die dabei unterstützen können und wollen.<br />
Es geht um ein würdiges Leben und Sterben im<br />
Heim. Um eine Wohnmöglichkeit mit privatem<br />
Charakter. Um Beziehungen und Kontakte nach<br />
Außen, um eine Pflege, die sich nach <strong>der</strong> Lebenssituation<br />
<strong>der</strong> Heimbewohner richten kann und um<br />
die Hoffnung, dass das ernst genommen wird,<br />
was jedem Einzelnen wichtig ist. Und es geht um<br />
die große Erwartung, dass es Menschen gibt, die<br />
<strong>aus</strong>reichend Zeit haben. Das gilt sowohl für die<br />
professionellen Hilfeleistungen als auch für die ehrenamtlichen<br />
Hilfestrukturen.<br />
In Würde alt werden heißt für Menschen, die in<br />
Pflegeheimen leben, dass sie in das Gemeinwesen<br />
eingebunden bleiben müssen. Ein Pflegeheim muss<br />
offen sein für das Leben <strong>der</strong> Gemeinde, muss Zugangsmöglichkeiten<br />
bereitstellen für die Bürgerschaft.<br />
Das Leben <strong>der</strong> Bewohnerinnen und Bewohner<br />
in Pflegeheimen gewinnt durch das Engagement<br />
von Bürgerinnen und Bürgern an Qualität.<br />
Das Alter selbstbestimmt und autonom zu gestalten,<br />
bedeutet für viele ältere und noch leistungsfähige<br />
Menschen, dass sie sich für das Gemeinwesen<br />
engagieren. Nach <strong>der</strong> Berufs- o<strong>der</strong> Familienphase<br />
suchen sie nach Betätigungsfel<strong>der</strong>n, um<br />
ihre Erfahrungen, Kenntnisse und Fähigkeiten<br />
weiter einbringen zu können. Ältere Menschen<br />
unterstützen in vielfältiger Weise die Bewohnerinnen<br />
und Bewohner von Pflegeheimen und för<strong>der</strong>n<br />
damit die Lebensqualität im Heim mit. Dieses Engagement<br />
ist für viele nicht allein ein Geben, son<strong>der</strong>n<br />
ein Gewinn.<br />
Die Seniorenräte in Baden-Württemberg mit ihrer<br />
Glie<strong>der</strong>ung in Orts-, Stadt- und Kreisseniorenräte<br />
sowie auf Landesebene dem Landesseniorenrat<br />
(LSR) sind bestens geeignet, Bürgerinnen und Bürger<br />
entsprechend anzuregen und sie zu motivieren,<br />
sich vor Ort jeweils ganz konkret einzubringen.<br />
Diese dezentralen Strukturen in unserem<br />
Land sind ein hohes und wertvolles Gut, um im<br />
wohlverstandenen Sinne Bürgergesellschaft zu organisieren<br />
bzw. zu sein.<br />
Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass<br />
die Trägergemeinschaft für das Projekt BELA III <strong>aus</strong><br />
dem Ministerium für Arbeit und Sozialordnung,<br />
Familien und Senioren Baden-Württemberg, den<br />
4 5<br />
VORWORTE
Kommunalen Landesverbänden und <strong>aus</strong> dem Landesseniorenrat<br />
Baden-Württemberg besteht.<br />
Gerne hat <strong>der</strong> Landesseniorenrat die formalen<br />
Aufgaben übernommen, die sich <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Projektträgerschaft<br />
ergeben. Dies fiel umso leichter, als<br />
mit <strong>der</strong> Otto-und-Edith-Mühlschlegel-Stiftung in<br />
<strong>der</strong> Robert-Bosch-Stiftung ein finanzieller Projektför<strong>der</strong>er<br />
zur Seite steht, <strong>der</strong> verlässlich und in <strong>der</strong><br />
Sache sehr engagiert ist.<br />
Für den LSR stehen im Zusammenhang mit BELA III<br />
drei Themen zentral im Vor<strong>der</strong>grund. Erstens<br />
möchten wir ein Solidaritätsnetzwerk <strong>der</strong> Generationen<br />
för<strong>der</strong>n,damit sich Bürgerinnen und Bürger<br />
in Pflegeheimen mit einbringen – auf ehrenamtlicher<br />
Basis. Damit können wir erreichen, dass<br />
Pflegeheime für ihr kommunales Umfeld mehr als<br />
bisher geöffnet werden. Des Weiteren sollen mehr<br />
Initiativen, mehr Vertrauen und eine größere Dialogbereitschaft<br />
unter Angehörigen, Mitarbeitern<br />
und den Ehrenamtlichen einschließlich <strong>der</strong> Bewohner<br />
entstehen.<br />
Zum Zweiten liegt uns an einer umfassenden Qualitätssicherung<br />
in den Pflegeheimen. Durch die Organisation<br />
eines landesweiten Verbundsystems<br />
können hier Erfahrungs<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch und Fortschritte<br />
besser erzielt werden, als wenn je<strong>der</strong> Einrichtungsträger<br />
auf sich allein gestellt handelt. Mit<br />
den neuen Vorschriften des Pflegeversicherungsgesetzes<br />
zur Durchführung und Veröffentlichung<br />
von Qualitätsprüfungen kommt diesem Aspekt<br />
noch ein weit<strong>aus</strong> höherer Stellenwert zu als bisher.<br />
Wir wollen auch mit Hilfe von BELA III einen Beitrag<br />
zur Versachlichung leisten, wenn künftig Pflegeheime<br />
nach einem Schulnotensystem bewertet<br />
werden. Jedenfalls wollen wir vom LSR nicht, dass<br />
unqualifizierte und falsche Schlussfolgerungen<br />
<strong>aus</strong> einem solchen Bewertungssystem für das einzelne<br />
H<strong>aus</strong> gezogen werden. Der BELA III-Verbund<br />
kann dabei hilfreich sein.<br />
Zum Dritten liegt uns daran, in <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />
das Image eines notwendigen Pflegeheimaufent-<br />
halts deutlich zu verbessern. Es ist ja richtig, dass<br />
die meisten Menschen gerne zu H<strong>aus</strong>e in ihren eigenen<br />
vier Wänden auch bei Pflegebedürftigkeit<br />
versorgt werden möchten. Trotzdem müssen wir<br />
<strong>der</strong> Tatsache ins Auge sehen, dass es ohne stationäre<br />
Versorgungseinrichtungen in vielen Fällen<br />
eben nicht gehen wird. BELA III soll dazu beitragen,<br />
dass ältere Menschen und ihre Angehörigen<br />
akzeptieren können, dass das Heim als Wohnstätte<br />
nicht nur eine Notlösung ist, <strong>der</strong> mit schlechtem<br />
Gewissen zugestimmt wird, son<strong>der</strong>n eine richtige<br />
Entscheidung für den Einzelfall tatsächlich ist.<br />
Wir sind alle aufgerufen, zu möglichst viel Lebensqualität<br />
beizutragen.<br />
Alte und pflegebedürftige Menschen dürfen erwarten,<br />
dass sie auch im Heim ein möglichst<br />
selbstbestimmtes Leben führen dürfen. Kurz gesagt:<br />
Ein Leben, das <strong>der</strong> Menschenwürde entspricht.<br />
Roland Sing<br />
Vorsitzen<strong>der</strong> des Landesseniorenrates<br />
Baden-Württemberg e.V.<br />
DER BELA III-QUALITÄTSVERBUND<br />
– SYNERGIEN DURCH NETZWERK-<br />
ARBEIT<br />
VORWORT DER PROJEKT-<br />
KOORDINATION<br />
In den kommenden Jahren werden Bürgerengagement<br />
und Freiwilligenarbeit in folge <strong>der</strong> demografischen<br />
Entwicklung vor allem im Bereich <strong>der</strong> Altenhilfe<br />
und Pflege an Bedeutung gewinnen.<br />
Doch schon jetzt ist die Versorgungslandschaft am<br />
Ende des Lebens in Bewegung geraten. Stationäre<br />
Einrichtungen sind keine ruhigen Inseln mehr,<br />
sie sind vielmehr von diesen gesellschaftlichen<br />
Verän<strong>der</strong>ungen betroffen und gezwungen, ihrerseits<br />
Antworten zu entwickeln. Von renommierten<br />
Instituten wie dem Kuratorium Deutsche Altershilfe<br />
wird ein Kurswechsel gefor<strong>der</strong>t hin zu mehr<br />
Partizipation und kleinräumigen und kleingliedrigen<br />
Netzen, die Menschen ermutigen und unterstützen<br />
in eigener Versorgung und Generationensolidarität.<br />
DAS NETZWERK:<br />
VIELE ZU BETEILIGTEN MACHEN<br />
In Baden-Württemberg gelten Netzwerke seit langem<br />
als tragfähige Infrastruktur für bürgerschaftliches<br />
Engagement. Der BELAIII-Qualitätsverbund<br />
geht hier neue trägerübergreifende Wege in <strong>der</strong><br />
stationären Altenhilfe.<br />
Netzwerke haben viel zu bieten. Sie schaffen Synergie<br />
für vier Prozesse:<br />
a) wenn Menschen o<strong>der</strong> Organisationen Ressour-<br />
cen t<strong>aus</strong>chen wollen,<br />
b) für den Aufbau neuer Partnerschaften<br />
c) für partizipative Lernprozesse<br />
d) für neues Denken und Meinungsbildung.<br />
Durch Fortbildung, Erfahrungs<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch und eine<br />
starke öffentliche Stimme stärkt, entlastet und<br />
wertet BELA III Beteiligte in ihrem Engagement auf.<br />
ES GEHT UM 3 SCHWERPUNKTE:<br />
• Netzwerken für Lebensqualität: Information<br />
und Orientierung zum Aufbau neuer Partnerschaften<br />
und Impulse zur Öffnung von Einrichtungen.<br />
• Kompetenz für Lebensqualität: Kompetenzför<strong>der</strong>ung<br />
bei Fachkräften und Freiwilligen durch<br />
Training und Eigenerfahrung.<br />
• Lebensqualität im Dialog: För<strong>der</strong>ung von Verständigung<br />
und Zusammenarbeit zwischen Fachkräften<br />
und Freiwilligen durch Dialog und gemeinsame<br />
Aktivität.<br />
Das Netzwerk umfasst zur Zeit 12 unterschiedlich<br />
entwickelte Regionalgruppen mit regionalen Koordinatorinnen<br />
und Koordinatoren. Engagierte Mitgliedseinrichtungen<br />
und einige Landkreise fungieren<br />
als Knotenpunkte. Ein zentrales Projektbüro<br />
koordiniert die Aktivitäten. Ein wichtiges Anliegen<br />
ist dabei auch die Einbindung von Partnern vor Ort,<br />
von Vertreterinnen und Vertretern <strong>der</strong> Kommunen,<br />
Seniorenräten, Kirchengemeinden, Schulen und Vereinen<br />
bis hin zu Betrieben.<br />
Wie jedes Netzwerk lebt BELA III vom Engagement<br />
und vom regen Aust<strong>aus</strong>ch seiner Mitglie<strong>der</strong>. Und<br />
wie in jedem funktionierenden Netzwerk ist die<br />
Teilnahme freiwillig. Umso wichtiger sind gemeinsame<br />
Grundsätze und Arbeitsprinzipien. Dazu gehören<br />
die Kooperation und <strong>der</strong> Aust<strong>aus</strong>ch über<br />
Regionen- und Trägergrenzen hinweg, die Orientierung<br />
an verbindlichen Qualitätsstandards, die<br />
Offenheit gegenüber neuen Formen <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />
von Haupt- und Ehrenamtlichen und<br />
das Bekenntnis zu Qualifizierung und Weiterbildung.<br />
Für Mitglie<strong>der</strong> liegt <strong>der</strong> wichtigste Nutzen im<br />
trägerübergreifenden Aust<strong>aus</strong>ch und den Kontakten,<br />
die dadurch entstehen. BELA III gibt Anregungen<br />
zu den Themen „För<strong>der</strong>ung von Bürgerengagement“<br />
und „Öffnung“ in Form von<br />
Bildungsangeboten, selbstbestimmten Arbeits-<br />
6 7<br />
NETZWERKARBEIT
gruppen und Konferenzen. Das Netzwerk schafft<br />
den Rahmen, um neue Betreuungskonzepte mit<br />
Freiwilligen und Angehörigen zu entwickeln und<br />
zu erproben.<br />
Diesem Anliegen dienen auch die BELA III-Materialien.<br />
Sie greifen die wichtigsten aktuellen Lernthemen<br />
im Bereich Bürgerengagement <strong>aus</strong> dem<br />
Netzwerk auf und dokumentieren die wirksamsten<br />
Lernprofile <strong>der</strong> <strong>Aufbauphase</strong>. Folgende Materialienbände<br />
sind geplant:<br />
BELA III Materialien Band 1<br />
<strong>Grundlagentexte</strong> <strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Aufbauphase</strong><br />
<strong>2008</strong>/<strong>2009</strong><br />
BELA III Materialien Band 2<br />
Lernprofil: Freiwillige gewinnen mit System<br />
BELA III Materialien Band 3<br />
Lernprofil: Demenzbegleitung<br />
BELA III Materialien Band 4<br />
Lernprofil: Alltagsgestaltung<br />
BELA III Materialien Band 5<br />
Gute Praxis <strong>aus</strong> dem BELA III-Netzwerk<br />
Mit BELA III geht vieles leichter, wenn es um Bürgerengagement<br />
geht. Pflegeeinrichtungen haben<br />
Freiwilligen etwas zu bieten. Sie zählen auf Wissenstransfer<br />
und Kooperation in zentralen Fragen<br />
<strong>der</strong> Freiwilligenarbeit – von <strong>der</strong> Konzeptentwicklung<br />
bis hin zur Qualifizierung. Ihnen gelingen<br />
Schritt für Schritt neue Partnerschaften und sie beteiligen<br />
sich gemeinsam am gesellschaftlichen Dialog.<br />
Nach <strong>der</strong> <strong>Aufbauphase</strong> bis Ende 2010 soll die Verantwortung<br />
in die Hand <strong>der</strong> Träger übergehen.<br />
Der landesweit angelegte Qualitätsverbund soll in<br />
starken Regionen operieren. Der Pflegewissenschaftler<br />
Prof. Dr. Hermann Brandenburg, <strong>der</strong> auch<br />
mit einem Text in diesem ersten Band vertreten ist,<br />
hatte bei <strong>der</strong> BELA III-Auftaktveranstaltung am 15.<br />
Juni <strong>2009</strong> in Fellbach die Bedeutung folgen<strong>der</strong>maßen<br />
umrissen:<br />
„BELA verän<strong>der</strong>t vieles. Der wichtigste Punkt ist <strong>aus</strong><br />
meiner Sicht, dass BELA einen wichtigen Beitrag<br />
zum Pflege-Mix darstellt. Die Pflege <strong>der</strong> Zukunft<br />
(aber auch schon <strong>der</strong> Gegenwart) kann nur im Zusammenwirken<br />
von Professionellen und bürgerschaftlich<br />
Engagierten gelingen. Allein schafft das<br />
keine Gruppe. Und das wäre auch nicht gut o<strong>der</strong><br />
erstrebenswert, denn die Perspektiven müssen und<br />
sollen sich ergänzen. Das Leben ist vielfältig und<br />
BELA ist es auch. Insofern leistet BELA einen Beitrag<br />
zum Wandel <strong>der</strong> Pflegekultur in Deutschland.<br />
Einfach ist das nicht, aber eine Alternative dazu<br />
gibt es <strong>aus</strong> meiner Sicht nicht.“<br />
Iren Steiner, Dipl. Psychologin<br />
Fachliche Koordinatorin <strong>der</strong> BELA-Projekte<br />
1. BELA III:<br />
DOKUMENTE UND GESCHICHTE<br />
1.1.ZUR ENTSTEHUNGS-<br />
GESCHICHTE EINES ZUKUNFTS-<br />
WEISENDEN PROJEKTS<br />
Überarbeiteter und erweiterter Auszug <strong>aus</strong> einem<br />
Redemanuskript <strong>der</strong> Projektkoordinatorin Iren<br />
Steiner, an <strong>der</strong> Konferenz des Bundesministeriums<br />
für Gesundheit, Berlin, 01.07.<strong>2009</strong>:<br />
Bürgerschaftliches Engagement wird in Baden-<br />
Württemberg seit 20 Jahren systematisch geför<strong>der</strong>t,<br />
was <strong>der</strong> wachsenden Bedeutung <strong>der</strong> Freiwilligenarbeit<br />
in <strong>der</strong> Pflege Respekt zollt. Insbeson<strong>der</strong>e<br />
in Pflegeeinrichtungen för<strong>der</strong>t das Engagement<br />
Freiwilliger die Lebensqualität und die gesellschaftliche<br />
Einbindung <strong>der</strong> Bewohnerinnen und<br />
Bewohner. Als Pilotprojekt wurde BETA (Bürgerschaftliches<br />
Engagement und Tagespflege) 1996<br />
gestartet und lief erfolgreich mehrere Jahre. BELA I<br />
und II (Bürgerschaftliches Engagement für Lebensqualität<br />
im Alter) waren Folgeprojekte, die vor<br />
allem auf den Aufbau einer Verbundstruktur sowie<br />
die Schaffung von Fortbildungsangeboten abzielten.<br />
BELA III soll den Verbund <strong>der</strong> Einrichtungen<br />
als Netzwerk stärken, so dass es zum Ende<br />
<strong>der</strong> Projektlaufzeit von den Mitglie<strong>der</strong>n eigenständig<br />
getragen werden kann.<br />
In Baden-Württemberg för<strong>der</strong>n Land und Kommunen<br />
bürgerschaftliches Engagement seit 1990<br />
systematisch. Infolge <strong>der</strong> demografischen Entwicklung<br />
werden in den kommenden Jahren Bürgerengagement<br />
und Freiwilligenarbeit im Bereich <strong>der</strong><br />
Altenhilfe und Pflege an Bedeutung gewinnen,<br />
denn allein in diesem Bundesland wird die Zahl<br />
<strong>der</strong> pflegebedürftigen Menschen bis 2020 auf ca.<br />
310.000 ansteigen. Je<strong>der</strong> dritte Pflegebedürftige<br />
ist auf stationäre Versorgung angewiesen, denn<br />
mit dem demografischen und sozialen Wandel<br />
verringert sich bei steigendem Hilfebedarf die Zahl<br />
<strong>der</strong> Unterstützer. Darauf müssen professionelle<br />
Pflegedienste und stationäre Pflegeeinrichtungen<br />
reagieren und künftig noch stärker als bislang die<br />
Zusammenarbeit mit engagierten Bürgern suchen.<br />
Bürgerschaftliches Engagement in Pflegeeinrichtungen<br />
schafft mehr Lebensqualität für die Bewohner.<br />
Es ermöglicht Teilhabe und gemeinsames<br />
Erleben, es baut Brücken zwischen Generationen<br />
und es sorgt für die Verwurzelung <strong>der</strong> Pflegeeinrichtung<br />
vor Ort, in <strong>der</strong> Kommune. Bürgerschaftliches<br />
Engagement ist ein Qualitätsfaktor in <strong>der</strong><br />
Pflege.<br />
In Baden-Württemberg und auch bundesweit haben<br />
seit über 10 Jahren drei Projektgenerationen<br />
unter dem Stichwort „Bürgerengagement für<br />
Lebensqualität im Alter“ zu dieser Erkenntnis beigetragen.<br />
BETA ALS PILOTPROJEKT<br />
Das erste <strong>der</strong>artige Projekt, BETA - Bürgerschaftliches<br />
Engagement und Tagespflege, wurde<br />
1996 mit fünf Einrichtungen verschiedener Träger<br />
in Baden-Württemberg ins Leben gerufen,<br />
darunter auch zwei Seniorengenossenschaften.<br />
BETA beinhaltete bereits die Grundstrukturen eines<br />
„Wohlfahrtsmixes“, die auch heute wesentlich<br />
zum Erfolg beitragen. Dazu gehörten trägerübergreifende<br />
Kooperation mit Mischfinanzierungen,<br />
kommunale Einbettung, themenbezogene Lernarrangements,<br />
eine gemeinsame Ausrichtung, die<br />
Altern als gemeinschaftliche Verantwortung begreift<br />
sowie regionale und landesweite Vernetzung.<br />
Es wurden lokale Projektgruppen gegründet und<br />
Verbundtreffen mit Beteiligten auf allen Ebenen<br />
organisiert. Das Bundesministerium für Gesundheit<br />
finanzierte die Projektstellen in den Einrichtungen<br />
sowie die Projektkoordination, die Kosten<br />
für Fortbildungen übernahm das Land. Im Rah-<br />
1 BELA III DOKUMENTE<br />
UND GESCHICHTE<br />
8 9
men von BETA entstand auch eine landesweite,<br />
vom Ministerium für Arbeit und Soziales begleitete<br />
Arbeitsgruppe (AG) „Bürgerengagement und<br />
Pflege“, in <strong>der</strong> weitere 30 Einrichtungen vereint<br />
waren, um Wissenstransfer und Kooperationen zu<br />
för<strong>der</strong>n.<br />
In den sieben Jahren Projektlaufzeit hat BETA Freiwilligenarbeit<br />
als systematisches Arbeitsprinzip im<br />
Umfeld von Tagespflege und später auch stationärer<br />
Pflege eingeführt und vorangebracht. Ziel war<br />
zu zeigen, wie entscheidend Bürgerengagement<br />
als Arbeitsprinzip die Lebensqualität von hochbetagten<br />
Menschen in Einrichtungen för<strong>der</strong>t und<br />
welche Rahmenbedingungen dafür notwendig<br />
sind. An allen Standorten arbeiten die bestehenden<br />
Tagespflegeeinrichtungen heute mit tragfähiger<br />
bis maximaler Auslastung, mittlerweile auch<br />
im ländlichen Raum. Das BETA-Projekt hat damit<br />
den Paradigmenwechsel in <strong>der</strong> Freiwilligenarbeit<br />
und den Wandel <strong>der</strong> Altersleitbil<strong>der</strong> <strong>aus</strong>drücklich<br />
aufgegriffen. Im Mittelpunkt bei<strong>der</strong> Diskurse steht<br />
die Ermöglichung und sogar Einfor<strong>der</strong>ung von<br />
Selbstbestimmung und Teilhabe.<br />
DER START VON BELA<br />
Die erfolgreiche Arbeit des BETA-Pilotprojekts<br />
wurde nach <strong>der</strong> zweiten För<strong>der</strong>periode 2002 <strong>aus</strong>geweitet<br />
durch das erste BELA-Projekt: Bürgerschaftliches<br />
Engagement für Lebensqualität im Alter.<br />
Als ein Bestandteil von BELA I fand ein landesweiter<br />
Wettbewerb statt. Darüber hin<strong>aus</strong><br />
erweiterte man das Fortbildungsprogramm für<br />
Freiwillige in stationären Einrichtungen, um <strong>der</strong>en<br />
Engagement zu würdigen und Kompetenzen zu<br />
stärken. Eine empirische Analyse zu Art und Umfang<br />
des Bürgerengagements in <strong>der</strong> stationären<br />
Pflege sowie eine internationale Fachtagung ergänzten<br />
die Projektarbeit auf wissenschaftlicher<br />
Ebene. BELA I wurde finanziert <strong>aus</strong> Mitteln <strong>der</strong><br />
Landesstiftung Baden-Württemberg.<br />
Auch BELA I sowie die AG „Bürgerengagement<br />
und Pflege“ wurden weiterentwickelt: seit 2003<br />
entstand so <strong>der</strong> Praxisverbund (BELA II) als<br />
Gemeinschaftsprojekt von 19 Einrichtungen an<br />
neun Standorten – jeweils mit kommunalen Partnern<br />
und eingebettet in die landesweite BELA II-<br />
Kampagne zur För<strong>der</strong>ung und Stärkung <strong>der</strong> Freiwilligenarbeit<br />
in stationären Einrichtungen. Im<br />
Mittelpunkt <strong>der</strong> Projektarbeit standen sogenannte<br />
Tandems und daran <strong>aus</strong>gerichtet Tandemtrainingstage<br />
und Fortbildungen mit Jahresschwerpunkten<br />
bzw. lokalen Themenschwerpunkten,<br />
Verbundfachtagen und Zielfindungsprozessen in<br />
den einzelnen Einrichtungen. In den drei Jahren<br />
von BELA II nahmen 120 Projekte und über 300<br />
Freiwillige ihre Arbeit auf. In den beteiligten Kommunen<br />
wurden dauerhafte Kooperationen vereinbart<br />
und sogar stadtteilorientierte Kooperationsplattformen<br />
gegründet. Die Finanzierung von BE-<br />
LA II mit einem Gesamtbudget von 330.000 Euro<br />
übernahm die Robert-Bosch-Stiftung.<br />
Die Idee von starker, städteübergreifen<strong>der</strong> Kooperation<br />
nimmt nun mit BELA III, <strong>der</strong> jüngsten Projektgeneration,<br />
Form an. Ziel ist es, bis Ende 2010<br />
ein landesweites, trägerübergreifendes und auf<br />
Dauer angelegtes Netzwerk stationärer Einrichtungen<br />
aufzubauen, basierend auf 12 Knoten mit<br />
regionaler Koordinierungsfunktion und entsprechenden<br />
Mitglie<strong>der</strong>gruppen. Bisher sind 100 Einrichtungen<br />
mit einem Eigenmittelaufkommen von<br />
ca. 78.000 Euro Partner im Netzwerk BELA III.<br />
In <strong>der</strong> bisher 14-jährigen Laufzeit <strong>der</strong> BETA / BELA-<br />
Projekte hat sich die Zahl <strong>der</strong> beteiligten Einrichtungen<br />
kontinuierlich erhöht und zum Ende von<br />
BELA III sollen etwa zehn Prozent aller stationären<br />
Einrichtungen im Land eingebunden sein. Die starke<br />
und unverän<strong>der</strong>te Zusammensetzung <strong>der</strong> Initiativgemeinschaft<br />
– bestehend <strong>aus</strong> Landesseniorenrat,<br />
kommunalen Landesverbänden, Ministerium<br />
für Arbeit und Sozialordnung, Familie und<br />
BELAIII<br />
10 11
Senioren, evangelischer Fachhochschule Freiburg<br />
und Fachkoordination – hat zu dieser Entwicklung<br />
entscheidend beigetragen.<br />
Auf finanzieller Ebene erfolgte mit BELA III eine<br />
wichtige Neuerung durch die Einrichtung eines<br />
Eigenmittelfonds <strong>der</strong> Netzwerkmitglie<strong>der</strong>. Auch<br />
organisatorisch haben die Einrichtungen in den<br />
letzten Jahren mehr Eigenverantwortung übernommen<br />
und strukturieren die Projektarbeit anhand<br />
<strong>der</strong> jeweiligen Möglichkeiten, unterstützt<br />
durch den Wissens- und Erfahrungstransfer im<br />
Netzwerk (z.B. Foren und Arbeitskreise, webbasierte<br />
Projektbörse, eigenständige Regionalgruppen).<br />
Die BETA / BELA-Projekte haben eine ganze Generation<br />
von Projekten geprägt, da sie über ein tragfähiges<br />
Fundament verfügen und beispielhaft zeigen,<br />
wie man bspw. erfolgreich Freiwillige gewinnt,<br />
Strukturen <strong>der</strong> Zusammenarbeit innerhalb<br />
und außerhalb <strong>der</strong> Einrichtungen aufbauen, Projektarbeit<br />
politisch einbetten und gemeinsame<br />
Lernformen erproben kann.<br />
WEITERFÜHRENDE LITERATUR ZU<br />
DEN LEITIDEEN VON BELA:<br />
Brandenburg, Hermann: Kommentar zur Auftaktveranstaltung<br />
„Der Lebensqualität verpflichtet“<br />
des BELA III-Netzwerks, Fellbach, 15.06.<strong>2009</strong><br />
(unveröffentlichtes Manuskript)<br />
Kruse, Andreas: „Kennen wir eine Kultur des<br />
Pflegens? Hilfsbedürftigkeit und Gebrechlichkeit<br />
als Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung für die Gesellschaft“ –<br />
Vortrag im Rahmen <strong>der</strong> Veranstaltung „Zwischen<br />
Bürostuhl und Pflegebett“ des Landesfamilienrates,<br />
17.07.<strong>2009</strong>, Stuttgart<br />
Steiner-Hummel, Irene: „Bürgerschaftliches<br />
Engagement und die Entwicklung einer lebensweltlichen<br />
Pflegekultur“ In: Braun, Ute/ Schmidt,<br />
Roland (Hg.): Entwicklung einer lebensweltlichen<br />
Pflegekultur. Regensburg (Transfer), 1997.<br />
S. 113 – 132<br />
Steiner, Iren: „Lebensqualität kein Zufall.<br />
Freiwillige beteiligen, damit alle gewinnen.“<br />
In: Hebenstreit, Martin (Hg.): Pflegeheim und<br />
Ehrenamt. Ein Leitfaden für die Integration<br />
ehrenamtlich engagierter Menschen. Reihe<br />
Connexia 03, Bregenz <strong>2009</strong>, S. 18 – 39.<br />
Steiner, Iren: „BETA/BELA-Modelle:<br />
Mehr Lebensqualität durch Bürgerengagement.“<br />
In: Pflege 2030: Chancen und Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ungen!<br />
– Dokumentation <strong>der</strong> gemeinsamen Fachtagung<br />
des Bundesministeriums für Gesundheit,<br />
des Instituts für Sozialforschung und Sozialwirtschaft<br />
e.V. (iso) sowie des Kuratoriums Deutsche<br />
Altershilfe. Berlin / Saarbrücken <strong>2009</strong>. S. 61 – 81<br />
1.2. DER PROJEKTANTRAG:<br />
BELA III – MEHR BÜRGER-<br />
ENGAGEMENT FÜR LEBENS-<br />
QUALITÄT IM ALTER<br />
Der folgende Text generiert sich <strong>aus</strong> Auszügen des<br />
Projektantrages und umreißt die Leitideen, Projektziele<br />
und Entwicklungschancen von BELA III.<br />
BELA III hat zum Ziel, die Lebensqualität im Alter<br />
zu verbessern, insbeson<strong>der</strong>e für Bewohnerinnen<br />
und Bewohner stationärer Pflegeeinrichtungen<br />
aber auch für die Freiwilligen, die sich dort engagieren.<br />
Zentral dafür sind die Einbindung <strong>der</strong> Einrichtungen<br />
in das Gemeinwesen sowie die Stärkung<br />
und Fortbildung <strong>der</strong> Freiwilligen.<br />
Das BELA III-Projekt ist eine Gemeinschaftsinitiative<br />
von Land, kommunalen Landesverbänden und<br />
dem Landesseniorenrat in Baden-Württemberg.<br />
Die Projektträgergemeinschaft bildet eine Lenkungsgruppe.<br />
Wesentlicher Inhalt des Projektes ist<br />
die För<strong>der</strong>ung bürgerschaftlichen Engagements<br />
und intergenerativer Solidarität mit dem Ziel <strong>der</strong><br />
Verbesserung von Lebensqualität im Alter.<br />
BELA III will zwei gesellschaftliche Entwicklungstrends<br />
– zunehmen<strong>der</strong> Hilfebedarf einerseits und<br />
steigende Hilfepotentiale an<strong>der</strong>erseits – zusammenbringen.<br />
Dies soll insbeson<strong>der</strong>e an einem<br />
Ort geschehen, an dem die Bedürfnisse <strong>der</strong> pflegebedürftigen<br />
Älteren beson<strong>der</strong>s vielfältig und<br />
dringend sind und gleichzeitig durch das Engagement<br />
eines an<strong>der</strong>en Teils <strong>der</strong> älteren Bevölkerung<br />
ein beson<strong>der</strong>s hoher Beitrag zur Verbesserung von<br />
Lebensqualität im Alter erreicht werden kann: im<br />
Bereich <strong>der</strong> stationären Pflege.<br />
Das Projekt bzw. <strong>der</strong> Projektantrag fußt zum einen<br />
auf den vor<strong>aus</strong>gegangenen Erfahrungen in den<br />
BETA und BELA I / II-Projekten, zum an<strong>der</strong>en auf<br />
dem Wissen, dass die Gruppe von hochaltrigen<br />
Menschen, die auf stationäre Pflege angewiesen<br />
ist, im Zuge <strong>der</strong> demografischen Entwicklung und<br />
<strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Familienstrukturen weiter<br />
wachsen wird. Stationäre Einrichtungen sind <strong>der</strong>zeit<br />
und bis auf weiteres ein bedeutsames und unverzichtbares<br />
Infrastrukturelement in <strong>der</strong> Daseinsfürsorge<br />
für ältere Bürgerinnen und Bürger. Insbeson<strong>der</strong>e<br />
bei fortschreiten<strong>der</strong> demenzieller<br />
Erkrankung o<strong>der</strong> wenn Unterstützung durch familiäre<br />
Netzwerke nicht mehr verlässlich ist, prägen<br />
Pflegeeinrichtungen das Lebensende. Vor diesem<br />
Hintergrund gewinnen Initiativen, die Selbstbestimmung,<br />
Teilhabe und individuelle Wertschätzung<br />
in einer stationären Einrichtung för<strong>der</strong>n, ihre<br />
Wirkung und tragen dazu bei, Wohlbefinden und<br />
Lebensqualität zu steigern.<br />
Bewohner von Pflegeheimen sind von gesellschaftlicher<br />
Ausgrenzung, dem Verlust von individuellen<br />
Kontakt- und Handlungsspielräumen im<br />
Alltag und dem Mangel an biografisch bedeutsamer<br />
kultureller Zugehörigkeit bedroht. Gerade in<br />
diesen Bereichen ist Lebensqualität in Pflegeeinrichtungen<br />
trotz mo<strong>der</strong>ner und verbesserter<br />
räumlicher Rahmenbedingungen beson<strong>der</strong>s verletzlich.<br />
Um zwei <strong>der</strong> vielen Faktoren zu nennen:<br />
vielfach zentralisierte h<strong>aus</strong>wirtschaftliche Dienste<br />
verstärken eine „Monokultur“ im Alltag, und die<br />
mittlerweile verbreitete internationale Zusammensetzung<br />
<strong>der</strong> Mitarbeiter erschwert die sprachliche<br />
Verständigung und kulturelle Zugehörigkeit. Zudem<br />
sind stationäre Einrichtungen in <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />
mit einer Stigmatisierung konfrontiert.<br />
Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite sind stationäre Einrichtungen<br />
wichtige Partner im Sozialraum und tragen<br />
durch ihre weite Verbreitung und durch die Gestaltung<br />
ihrer Dienstleistungen zur Standortqualität<br />
des Gemeinwesens bei: sie bieten Hilfe und<br />
Unterstützung und sind gleichzeitig Beschäftigungsort<br />
und Ausbildungsplatz in den Gemeinden.<br />
Daneben eröffnen sie engagementbereiten<br />
Bürgerinnen und Bürgern Orte für freiwilliges Engagement,<br />
welches wirksam, nützlich und sinnstiftend<br />
ist. So stärken die Einrichtungen Gemein-<br />
DER PROJEKTANTRAG<br />
12 13
sinn und bürgerschaftliche Verantwortung und<br />
tragen zu einem lebendigen Miteinan<strong>der</strong> <strong>der</strong> Generationen<br />
bei. Gerade in <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />
mit Schulen, Kin<strong>der</strong>gärten und an<strong>der</strong>en Bildungseinrichtungen<br />
geben sie Kin<strong>der</strong>n, Jugendlichen<br />
und Erwachsenen Gelegenheit zur Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
mit Hochaltrigkeit und ermöglichen einen<br />
Einblick in den Umgang mit Demenzkranken.<br />
Wie <strong>der</strong> Freiwilligensurvey 2002 und die BELA-Engagiertenbefragung<br />
2005 zeigen, ist die Engagementbereitschaft<br />
in <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> älteren Bürgerinnen<br />
und Bürger durch<strong>aus</strong> <strong>aus</strong>geprägt. Diese<br />
Personengruppe verfügt über Lebenserfahrung,<br />
vielfältige Fähigkeiten und Ressourcen und stellt<br />
dadurch ein großes gesellschaftliches und soziales<br />
Potential dar. Teilweise fehlt es aber an wirkungsvoller<br />
Ansprache und passenden Gelegenheiten<br />
eines auch zeitlich befristeten Engagements. Engagement<br />
für sich und mit An<strong>der</strong>en für gemeinschaftliche<br />
Anliegen hat sich als eine wirksame<br />
Möglichkeit zur Verbesserung <strong>der</strong> Lebensqualität<br />
für Ältere erwiesen. Darüber hin<strong>aus</strong> stellt das spezifische<br />
Engagement für Hochbetagte in stationären<br />
Einrichtungen eine beson<strong>der</strong>s wirkungsvolle<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem eigenen Älterwerden<br />
dar.<br />
Bürgerschaftliche Potentiale können durch Elemente<br />
von Gemeinwesenarbeit erschlossen werden.<br />
Dies setzt bei den Pflegeeinrichtungen eine<br />
Öffnung und Einbindung, eine angemessene Infrastruktur<br />
für die Zusammenarbeit mit Freiwilligen<br />
sowie eine Organisationskultur vor<strong>aus</strong>, die Lebensqualität<br />
und Beteiligung von Freiwilligen als<br />
eigenständige Zielsetzung systematisch bearbeitet.<br />
Im Rahmen des BELA III-Projekts ist dieser Aust<strong>aus</strong>ch<br />
auf gegenseitigen Gewinn und Verstetigung<br />
<strong>aus</strong>gerichtet. Pflegeeinrichtungen wirken zusammen<br />
mit Bürgerinnen und Bürgern, um eine<br />
Verbesserung <strong>der</strong> Lebensqualität aller Beteiligten<br />
zu erreichen.<br />
Strategisch ist das Projekt darauf <strong>aus</strong>gerichtet, das<br />
Arbeitsprinzip Bürgerengagement weiterzuentwickeln,<br />
als eigenständigen Qualitätsfaktor in die<br />
Breite zu bringen und auf diese Weise den Wandel<br />
professioneller Betreuungskonzepte hin zu<br />
partizipativen Formen mit Freiwilligen und Angehörigen<br />
mit Nachdruck zu vollziehen. Im Verbund<br />
initiieren und för<strong>der</strong>n Einrichtungen eine Entwicklung,<br />
die engagementbereite ältere Bürgerinnen<br />
und Bürger in breiterem Umfang als bisher unterstützt,<br />
ihre Potentiale und ihre Erfahrungswerte<br />
mittels sozialem Engagement für Hochbetagte in<br />
stationären Einrichtungen einzubringen und dabei<br />
gleichzeitig für ihre eigene neue Lebensphase<br />
Kompetenzen zu gewinnen. Die Einrichtungen<br />
verbessern die institutionellen Rahmenbedingungen<br />
für einen solchen Prozess, erreichen eine bessere<br />
Einbindung in ihren Sozialraum und stärken<br />
die soziale Teilhabe aller Beteiligten.<br />
Die operativen Ziele bestehen darin, einen Verbund<br />
stationärer Einrichtungen mit mindestens<br />
100 Beteiligten aufzubauen, dieser soll von einem<br />
Projektbüro geleitet werden. Im nachfolgenden<br />
Kapitel wird genauer auf die Struktur des Projektes<br />
eingegangen. Die Beteiligung <strong>der</strong> Pflegeeinrichtungen<br />
an BELA III geht von einer gemeinsamen<br />
Arbeitsgrundlage <strong>aus</strong>. Zu den för<strong>der</strong>lichen<br />
Rahmenbedingungen zählen unter an<strong>der</strong>em die<br />
Entwicklung eines einrichtungsbezogenen Konzeptes<br />
<strong>der</strong> Bürgerbeteiligung als strategische Aufgabe,<br />
verbunden mit <strong>der</strong> aktiven Umsetzung dieses<br />
Konzeptes durch Träger, Leitung und Mitarbeiter.<br />
Für das Netzwerk von großer Wichtigkeit ist<br />
hier bspw. auch die Beteiligung am Wissens- und<br />
Erfahrungstransfer, die Nutzung <strong>der</strong> Qualifizierungsangebote<br />
sowie die Zusammenarbeit mit<br />
lokalen Partnern wie Kommune, Schule o<strong>der</strong> Kirchengemeinde.<br />
1.3. INNENEINSICHTEN:<br />
DIE STRUKTUREN, LEISTUNGEN<br />
UND ARBEITSGRUNDLAGEN DES<br />
BELA III-NETZWERKES<br />
Die folgenden Informationen sind <strong>der</strong> Projektbeschreibung<br />
von BELA III („Ein Netzwerk für mehr<br />
Lebensqualität durch Bürgerengagement in stationären<br />
Pflegeeinrichtungen in Baden-Württemberg“)<br />
entnommen und geben einen Überblick<br />
über die organisatorischen Strukturen des Netzwerkes.<br />
TRÄGERGEMEINSCHAFT<br />
Projektträger sind das Ministerium für Arbeit und<br />
Sozialordnung, Familie und Senioren Baden-Württemberg,<br />
die kommunalen Landesverbände und<br />
<strong>der</strong> Landesseniorenrat. Sie tragen gemeinsam die<br />
Verantwortung und bilden eine Lenkungsgruppe.<br />
TRÄGERVERSAMMLUNG<br />
In <strong>der</strong> Trägerversammlung sind alle Wohlfahrtsverbände<br />
und Organisationen zusammengeschlossen,<br />
die die Mitgliedseinrichtungen im BELA III-<br />
Netzwerk vertreten. Sie trifft sich zweimal pro Jahr<br />
und entscheidet über die grundlegende Ausrichtung<br />
und Mittelverwendung des Netzwerks. Die<br />
Trägerversammlung ist das Entscheidungsgremium<br />
des Netzwerks.<br />
PROJEKTBÜRO<br />
Ein vom Antragsteller beauftragtes Projektbüro<br />
führt die laufenden Geschäfte und verwaltet die<br />
verfügbaren Mittel. Das Projektbüro nimmt insbeson<strong>der</strong>e<br />
Aufgaben <strong>der</strong> Organisation, Koordination,<br />
Mo<strong>der</strong>ation und fachlichen Begleitung wahr.<br />
Es ist zuständig für die Planung und Durchführung<br />
<strong>der</strong> Fortbildungsb<strong>aus</strong>teine. Das Projektbüro ist organisatorisch<br />
angesiedelt beim Diakonischen<br />
Werk <strong>der</strong> evangelischen Kirche in Württemberg.<br />
REGIONALE PARTNER FÜR<br />
DIE REGIONALE KOORDINATION<br />
Regionalpartner sind Einrichtungen <strong>aus</strong> dem Verbund,<br />
die regionale Koordinationsaufgaben<br />
durchführen. Sie bestellen regionale Ansprechpartner<br />
und stellen eine breite regionale und persönliche<br />
Präsenz des Projekts sicher. Gemeinsam<br />
mit den regionalen Mitglie<strong>der</strong>n bemühen sie sich<br />
um Öffentlichkeitsarbeit vor Ort. Sie betreuen die<br />
regionalen Fortbildungen und sorgen für den regelmäßigen<br />
Aust<strong>aus</strong>ch <strong>der</strong> regionalen Mitglie<strong>der</strong>.<br />
FINANZIERUNG:<br />
1/3 EIGENMITTELFONDS UND<br />
2/3 STIFTUNGSBEITRÄGE<br />
Ein Eigenmittelfonds, aufgebaut über Mitgliedsbeiträge<br />
(10 Euro pro Heimplatz und Jahr), gewährleistet<br />
eine nachhaltige Anschlussfinanzierung.<br />
Er schafft damit Sicherheit, Selbstbestimmung<br />
und Kontinuität. Die Gesamtkosten für das<br />
Projekt sind mit 550.000 Euro veranschlagt. Die<br />
Otto-und-Edith-Mühlschlegel-Stiftung in <strong>der</strong> Robert-Bosch-Stiftung<br />
för<strong>der</strong>t das Projekt mit bis zu<br />
400.000 Euro.<br />
EVALUATION<br />
Das Projekt wird evaluiert von Thomas Pfundstein,<br />
Arbeitsschwerpunkt Gerontologie (AGP) <strong>der</strong> evangelischen<br />
Fachhochschule Freiburg.<br />
INNENEINSICHTEN<br />
14 15
LEISTUNGEN DES BELA III -<br />
QUALITÄTSNETZWERKES<br />
Durch Projektför<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Otto-und-Edith-Mühlschlegel-Stiftung<br />
und durch den Aufbau eines Eigenmittelfonds<br />
über Mitgliedsbeiträge kann <strong>der</strong><br />
BELA III-Qualitätsverbund folgende Leistungen für<br />
die Mitglie<strong>der</strong> erbringen:<br />
INFORMATION, ORGANISATION,<br />
MODERATION<br />
Projektsekretariat<br />
Fachliche Begleitung<br />
Koordination und Mo<strong>der</strong>ation<br />
Regionale Ansprechpartner<br />
BETEILIGUNG UND KOMPETENZ-<br />
ENTWICKLUNG IM UMFELD<br />
NEUER PARTIZIPATIVER<br />
BETREUUNGSKONZEPTE<br />
halbjährliches Qualifizierungsprogramm<br />
Mitwirkung bei Schwerpunkten des<br />
Qualifizierungsprogramms<br />
regionale Auftaktgespräche für Interessierte<br />
zentrale Auftakt- und Abschlussveranstaltung<br />
jährliche Verbundkonferenzen<br />
Seminare zum Aufbau von Tandemstrukturen<br />
mit Freiwilligen und Hauptamtlichen<br />
Reflexionstage in <strong>der</strong> Region<br />
regionale projektbezogene Fortbildungsveranstaltungen<br />
Workshops für kommunale Multiplikatoren<br />
freiwillige Mitwirkung in themenbezogenen,<br />
regionalen Mitglie<strong>der</strong>gruppen<br />
Projekt<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch in Form von Studienfahrten<br />
Konzeptentwicklung für Fortbildung im<br />
Themenbereich des Verbundes<br />
Best Practice Kataloge<br />
BELA-Projektbörse<br />
QUALITÄTSAUSWEIS, WÜRDIGUNG<br />
UND AUSZEICHNUNG<br />
Würdigung von 10 Leuchtturmaktivitäten<br />
2010<br />
Verbundzertifikat für die Einrichtung<br />
ÖFFENTLICHE KOMMUNIKATION<br />
DES GEMEINSAMEN ANLIEGENS<br />
das BELA III-Logo<br />
Materialien zum Verbund für die Öffentlichkeitsarbeit<br />
Unterstützung <strong>der</strong> regionalen Öffentlichkeitsarbeit<br />
sowie <strong>der</strong> Kommunikation nach innen<br />
und außen<br />
Zugang zu den Mitglie<strong>der</strong>n des Qualitätsverbundes<br />
die BELA III-Internetplattform<br />
Nutzung öffentlicher Plattformen und<br />
Netzwerke im Verbund aufgrund <strong>der</strong><br />
Trägergemeinschaft von Landesseniorenrat,<br />
kommunalen Landesverbänden und<br />
Ministerium für Arbeit und Soziales<br />
Informationen durch elektronische<br />
Newsletter u.a.<br />
Dokumentation und Evaluation<br />
ARBEITSGRUNDLAGEN FÜR EINE<br />
MITGLIEDSCHAFT<br />
Am BELA III-Qualitätsnetzwerk beteiligen sich<br />
Einrichtungen, die eine deutliche Verbesserung<br />
<strong>der</strong> Lebensqualität für Bewohnerinnen und<br />
Bewohner durch neue partizipative Betreuungsformen<br />
anstreben, in <strong>der</strong> Umsetzung auf Beteiligung<br />
vertrauen und Zusammenarbeit im<br />
Netzwerk als Weg befürworten und praktizieren<br />
wollen.<br />
Zu den gemeinsamen Arbeitsgrundlagen für<br />
interessierte Mitglie<strong>der</strong> beim Aufbau des BELA III-<br />
Qualitätsnetzwerks gehören:<br />
die Bereitschaft, ein einrichtungsbezogenes<br />
Konzept <strong>der</strong> Bürgerbeteiligung als<br />
strategische Aufgabe in Schritten zu<br />
verfolgen;<br />
etwas dafür zu tun, dass die aktive Umsetzung<br />
dieses Konzeptes durch Träger, Leitung<br />
und Mitarbeiter in Gang kommt;<br />
dafür zu sorgen, dass eine Arbeitsstruktur für<br />
das Projektthema aufgebaut wird. Dazu<br />
gehört insbeson<strong>der</strong>e das Prinzip des Tandems<br />
(<strong>aus</strong> Hauptamtlichen und Freiwilligen) als<br />
Ansprechstruktur;<br />
auf ein vertrauensvolles, tolerantes Klima und<br />
auf Partnerschaft aller Akteure zu achten;<br />
sich am Wissens- und Erfahrungstransfer<br />
innerhalb des Qualitätsverbundes<br />
zu beteiligen;<br />
die Qualifizierungs- und Begleitungsangebote<br />
für die eigenen Ziele aktiv zu nutzen;<br />
neue Wege <strong>der</strong> Kofinanzierung zu erproben;<br />
die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern<br />
wie Kommunen, Schulen, Betrieben,<br />
Kin<strong>der</strong>tagesstätten, Kirchengemeinden<br />
o<strong>der</strong> Seniorenräten <strong>aus</strong>zubauen und<br />
zu vertiefen;<br />
die Mitgliedschaft für eine wirksame<br />
Kommunikation nach innen und außen<br />
zu nutzen;<br />
sich an <strong>der</strong> durch die finanzielle För<strong>der</strong>ung<br />
notwendigen Evaluation zu beteiligen.<br />
16 17
2. THEMENHORIZONTE:<br />
WORAN BELA III ARBEITET<br />
18<br />
2. THEMENHORIZONTE:<br />
WORAN BELA III ARBEITET<br />
2.1. FÜR EINE KULTUR<br />
DER KOPRODUKTION IN DER<br />
PFLEGE – KREATIV, INNOVATIV,<br />
PARTNERSCHAFTLICH<br />
Prof. Dr. Reimer Gronemeyer u.a.<br />
Justus-Liebig-Universität, Giessen<br />
Auszug <strong>aus</strong> dem von mehreren Autorinnen und<br />
Autoren gemeinsam verfassten Band „Gemeinsam<br />
Betreuen“ <strong>der</strong> Bosch-Stiftung Stuttgart.<br />
Einen ähnlich lautenden Vortrag mit dem Titel<br />
„BELA III – eine Idee verbindet. Gut leben im hohen<br />
Alter als Aufgabe <strong>der</strong> Bürgergesellschaft“ hatte<br />
Reimer Gronemeyer auf <strong>der</strong> BELA-Verbundkonferenz<br />
am 10. Juli <strong>2008</strong> in Stuttgart gehalten. Im<br />
folgenden Text werden diese Ideen nun <strong>aus</strong>formuliert.<br />
In seinem Artikel umreißt Reimer Gronemeyer das<br />
Konzept <strong>der</strong> Koproduktion. Darunter versteht er<br />
neue Formen <strong>der</strong> Zusammenarbeit mit verschiedenen<br />
Akteuren in <strong>der</strong> Betreuung Pflegebedürftiger<br />
und insbeson<strong>der</strong>e Demenzkranker. Koproduktion<br />
ist dabei nicht einfach nur Kooperation, son<strong>der</strong>n<br />
auch ein schöpferisch-kreativer Prozess, in dem<br />
von den Betroffenen, den Angehörigen, den Fachkräften,<br />
den Freiwilligen und den Technikern gemeinsam<br />
Betreuung gestaltet und organisiert<br />
wird. Dass ein solches Umdenken auch Schwierigkeiten<br />
und Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ungen mit sich bringt, ist<br />
unumgänglich, aber notwendig.<br />
KOPRODUKTION –<br />
DAS KONZEPT FÜR EINE<br />
SCHÖPFERISCHE ANTWORT?<br />
Die wachsende Zahl von Menschen mit Demenzerkrankungen<br />
stellt die deutsche Gesellschaft vor<br />
neue Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ungen – und dies in einer Zeit,<br />
in <strong>der</strong> im Gesundheitsbereich immer weniger finanzielle<br />
Ressourcen zur Verfügung stehen. Bisher<br />
ist die Betreuung dieser Menschen vor allem an<br />
zwei Orten zentriert gewesen: in <strong>der</strong> Familie einerseits,<br />
in pflegenden Institutionen an<strong>der</strong>erseits.<br />
Weil diese Betreuung nicht zufriedenstellend, zu<br />
kostspielig o<strong>der</strong> für die Beteiligten zu belastend<br />
ist, hat die Suche nach neuen Wegen <strong>der</strong> Betreuung<br />
begonnen. Wir schlagen vor, dass künftig<br />
neue Formen <strong>der</strong> Zusammenarbeit gestärkt werden,<br />
in denen verschiedene Akteure mit dem Ziel<br />
<strong>der</strong> Verbesserung <strong>der</strong> Betreuung zusammenwirken<br />
und bezeichnen dieses neue Sozialmodell – im<br />
Anschluss an Debatten in an<strong>der</strong>en Arbeitsfel<strong>der</strong>n<br />
– als Koproduktion. Es ist daran zu erinnern, dass<br />
die Betreuung von Kin<strong>der</strong>n heute schon oft einen<br />
solchen koproduktiven Charakter trägt, wenn<br />
man bedenkt, wie viele Akteure – von <strong>der</strong> Musiklehrerin<br />
über die Eltern bis zur Kin<strong>der</strong>gärtnerin -<br />
an diesem Prozess beteiligt sind.<br />
Koproduktion ist mehr als das Nebeneinan<strong>der</strong> verschiedener<br />
Akteure. Der Vorschlag wird sich <strong>aus</strong>einan<strong>der</strong>setzen<br />
müssen mit den Einwänden „es<br />
geht nicht“ (weil wir ein versäultes Leistungsprinzip<br />
haben, das dafür keine Spielräume lässt) bzw.<br />
„das machen wir schon“ (weil die Zusammenarbeit<br />
verschiedener Kooperateure selbstverständlich<br />
ist). „Koproduktion“ muss deshalb deutlich<br />
machen, dass sie mehr ist als „Kooperation“.<br />
Der Begriff „Koproduktion“ könnte den Eindruck<br />
erwecken, die Betreuung von an Demenz Erkrankten<br />
solle in ein betriebswirtschaftliches Kalkül<br />
überführt werden o<strong>der</strong> es gehe dabei um Organi-<br />
sationsformen, die sich an industrielle Vollzüge<br />
anlehnen. Wir verorten den Begriff aber in zwei<br />
gänzlich an<strong>der</strong>en Kontexten:<br />
Wir verweisen auf die künstlerisch-ästhetische<br />
Ebene und betonen so das innovativ-gestaltende<br />
Element, nicht das ökonomische.<br />
Wir verweisen auf den Ursprung des Begriffs<br />
„Produktion“, in dem das „Schöpferische“ im<br />
Vor<strong>der</strong>grund steht und so die gemeinsame Erfindung,<br />
För<strong>der</strong>ung und Überbietung akzentuiert.<br />
In diesem Sinne ist Koproduktion mehr als Kooperation<br />
und sie setzt fällige Vernetzungen und Integration<br />
vor<strong>aus</strong>.<br />
WER SIND DIE AKTEURE IN DER<br />
KOPRODUKTION?<br />
Wer sind die an diesem Prozess Beteiligten, in dem<br />
neue Formen <strong>der</strong> Betreuung entstehen sollen?<br />
Die Betroffenen, Menschen mit Demenz, sind<br />
zwar Adressaten <strong>der</strong> Betreuung, aber sie sind - soweit<br />
und solange das möglich ist - selbstredend<br />
die wichtigsten Akteure, da ihr Wohlergehen und<br />
ihre Beteiligung im Zentrum stehen.<br />
Die Angehörigen, die heute den bedeutendsten<br />
Pflegeanteil übernehmen, sind eine wichtige<br />
Quelle <strong>der</strong> Betreuung, die aber <strong>der</strong> Entlastung bedarf<br />
– weil die Familie bröckelt, weil die Pflegenden<br />
immer älter werden, weil die Zahl <strong>der</strong> Menschen<br />
mit Demenz zunimmt und weil die räumlichen<br />
Vor<strong>aus</strong>setzungen für häusliche Pflege<br />
häufig fehlen.<br />
Die Professionellen, Mediziner, Pflegepersonal,<br />
Psychologen etc., die im Umgang mit ökonomischen<br />
Zwängen und wachsendem Zeitdruck sich<br />
immer häufiger in <strong>der</strong> Situation sehen, das Gute<br />
19
zu wollen, es aber nicht zustande bringen zu können.<br />
Sie dürften heute deutlicher als früher nach<br />
den Möglichkeiten greifen, die durch Kooperation<br />
und Koproduktion geboten werden und sind<br />
wichtige Motoren für diese Koproduktion. Von ihrer<br />
Bereitschaft, das eigene Territorium zu öffnen,<br />
hängt viel ab. Sie müssen Koproduktion initiieren.<br />
Die Freiwilligen, nach <strong>der</strong>en Mithilfe immer<br />
häufiger gefragt wird, sind eine wichtige Betreuungsquelle,<br />
bei <strong>der</strong> aber noch infrage steht, in<br />
welchem Maße und mit welcher Verlässlichkeit sie<br />
zur Verfügung steht. Angesichts wachsenden Kostendrucks<br />
muss vermieden werden, dass sie kurzerhand<br />
als billige Ressource missbraucht werden.<br />
Sie sollten eher das symbolische Zentrum einer<br />
Koproduktion sein, in <strong>der</strong> sich neue Formen zivilgesellschaftlichen<br />
Aufbruchs manifestieren. Bereits<br />
heute übernehmen Freiwillige in <strong>der</strong> Betreuung<br />
Demenzkranker ca. 15 Prozent <strong>der</strong> Tätigkeiten.<br />
Der Gruppe <strong>der</strong> jungen Alten (50+) wird in<br />
diesem Bereich künftig eine Fülle von Möglichkeiten<br />
zum Engagement erwachsen. Die Mobilisierung<br />
dieser Kräfte ist eine <strong>der</strong> wichtigen Zukunftsaufgaben.<br />
Die Techniker, die vermutlich in Zukunft eine<br />
wachsende Rolle in koproduktiven Strukturen<br />
spielen dürften. Es lässt sich schnell das Szenario<br />
einer hochgradig automatisierten Betreuung<br />
zeichnen (Videoüberwachung, Fernkontrolle medizinischer<br />
Daten und Mel<strong>der</strong>, die Brand- und<br />
Wasserschäden frühzeitig anzeigen). Bis zu einem<br />
gewissen Grad wird man so professionelle Kräfte<br />
überflüssig machen können und damit Kosten<br />
senken, möglicherweise Freiheitsgrade hinzugewinnen.<br />
Die Konkurrenz zwischen perfekter technischer<br />
Betreuung und fragiler, empathischer<br />
menschlicher Betreuung ist im Auge zu behalten,<br />
damit nicht personale Strukturen <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Betreuung<br />
verschwinden.<br />
VORTEILE UND NACHTEILE DES<br />
KONZEPTES<br />
Mit dem Konzept <strong>der</strong> Koproduktion wird einigermaßen<br />
gesichertes Areal verlassen. Was von den<br />
bisherigen Säulen <strong>der</strong> Betreuung von Menschen<br />
mit Demenz – <strong>der</strong> Familie und den Institutionen –<br />
zu erwarten ist und was nicht, kann abgeschätzt<br />
werden. Das hier vorgeschlagene neue Dach ist<br />
gerade am Anfang fragil und genügt möglicherweise<br />
nicht den Sicherheitsbedürfnissen <strong>der</strong> Beteiligten.<br />
Der Aufbruch <strong>aus</strong> traditionellen Formen <strong>der</strong><br />
Betreuung ist aber unabdingbar und es gilt, die<br />
neuen Erfor<strong>der</strong>nisse als Chance zu begreifen.<br />
Der eher kühle Begriff Koproduktion mag gerade<br />
wegen seines irritierenden Charakters zukunftsträchtig<br />
sein. Mit <strong>der</strong> Aufnahme dieses Begriffs ist<br />
<strong>der</strong> Versuch gemacht, ihn <strong>aus</strong> seinen ökonomischindustriellen<br />
Kontexten zu befreien und ihn als<br />
Kraft für den fälligen lokalen und regionalen Aufbruch<br />
zu begreifen. Im Vor<strong>der</strong>grund muss <strong>der</strong> Bezug<br />
zu dem stehen, was Menschen in ihren Kontexten<br />
selber können. Insofern ist <strong>der</strong> Begriff kein<br />
übergeordneter: Zu vitalisieren sind seine<br />
„Dialekte“, also die Frage, was Koproduktion in<br />
unterschiedlichen kulturellen, örtlichen Zusammenhängen<br />
bedeuten kann. Wo die Familie<br />
stark ist, wird Koproduktion ihren Akzent <strong>aus</strong> <strong>der</strong><br />
Familie erhalten, wo das Ehrenamt profiliert ist,<br />
wird die Koproduktion von Freiwilligkeitselementen<br />
durchdrungen sein.<br />
Der Begriff <strong>der</strong> Koproduktion kann so gesehen<br />
auch zum speziellen Ausdruck einer demokratischen,<br />
zivilgesellschaftlich gesicherten Kultur des<br />
Pflegens werden: Koproduktion zielt auf Balancen<br />
statt auf Ganzheitlichkeit und erhöht damit die<br />
Freiheitsgrade <strong>der</strong> Betroffenen.<br />
UMSETZUNG<br />
VON KOPRODUKTION<br />
Koproduktion ist ein Konzept für den Nahbereich.<br />
Aber es hat Konsequenzen auf allen Ebenen:<br />
staatliche Rahmenbedingungen müssen koproduktive<br />
Strukturen ermöglichen und för<strong>der</strong>n, auf<br />
<strong>der</strong> kommunalen Ebene bedarf es deutlicher Stützung,<br />
die aber durch Entlastungen belohnt würden.<br />
Die Durchsetzung von Koproduktion dürfte<br />
von diesen Bedingungen abhängig sein:<br />
Der Druck, <strong>der</strong> durch das wachsende Demenzproblem<br />
entsteht, för<strong>der</strong>t die Suche nach neuen<br />
Modellen.<br />
Das gleichzeitige Verschwinden gewohnter<br />
Modelle staatlicher Daseinsfürsorge unterstützt<br />
diese Suche.<br />
Wenn im Umfeld <strong>der</strong> Demenzproblematik <strong>der</strong><br />
Aufbruch <strong>aus</strong> Versorgungsmentalitäten zugunsten<br />
neuer Formen zivilgesellschaftlichen Engagements<br />
stattfindet, kann diese neue politische Kultur zum<br />
Leitbild auch in <strong>der</strong> Versorgung von Menschen mit<br />
Demenz werden.<br />
Es ist zu erwarten, dass die Interessen <strong>der</strong> Budgetverwaltung<br />
bisweilen quer zur Konzeption <strong>der</strong><br />
Kooperation stehen. Es wird darauf ankommen,<br />
den möglichen Wi<strong>der</strong>stand <strong>aus</strong> diesem Bereich<br />
kreativ umzulenken und als Quelle für Synergieeffekte<br />
zu nutzen.<br />
Auch <strong>aus</strong> professionellen Milieus sind Wi<strong>der</strong>stände<br />
zu erwarten. Den Professionellen ist zu vermitteln,<br />
dass ihr berufliches Selbstverständnis<br />
künftig weniger auf <strong>der</strong> Abhängigkeit ihrer Klientel<br />
fußen sollte als vielmehr auf ihrem Beitrag, die<br />
gesellschaftliche Teilhabe <strong>der</strong> Menschen mit Demenz<br />
zu ermöglichen.<br />
Scham und Schuldgefühle sowie <strong>der</strong> Wunsch,<br />
die Aufgabe <strong>der</strong> Betreuung von Menschen mit Demenz<br />
allein zu bewältigen, können Angehörige<br />
vor Konzepten des gemeinsamen Betreuens zurückschrecken<br />
lassen.<br />
LITERATUR<br />
Bosch, Corry F.M.: Vertrautheit. Studien zur<br />
Lebenswelt dementieren<strong>der</strong> alter Menschen.<br />
Wiesbaden 1998<br />
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm<br />
Grimm, Band 1, Leipzig 1854 s. v. Betreuung<br />
Feyerabend, Erika: „Prekarität des ‚nackten’<br />
Lebens“ In: Fantômas 6, 2005<br />
Historisches Wörterbuch <strong>der</strong> Philosophie, Band 7,<br />
1989 s.v. Produktion<br />
Lévinas, Emmanuel, zitiert bei Robert Spaemann:<br />
„Sind alle Menschen Personen? Über neue<br />
philosophische Rechfertigungen <strong>der</strong> Lebensvernichtung“<br />
In: Stössel, Jürgen-Peter (Hg.):<br />
Tüchtig o<strong>der</strong> tot. Die Entsorgung des Leidens.<br />
Freiburg 1991. S. 133<br />
Pleschberger, Sabine: „Bloß nicht zur Last<br />
fallen!“ Leben und Sterben in Würde <strong>aus</strong> <strong>der</strong><br />
Sicht alter Menschen in Pflegeheimen.<br />
Dissertation, Gießen 2004<br />
Wissmann, Peter: „Wir müssen Brücken zu ihnen<br />
bauen“ In: Freitag, 16. Januar 2004, S. 18<br />
Wörterbuch des Unmenschen,<br />
Artikel „Betreuen“. München 1970, S. 19 – 23<br />
20 21
BEZIEHUNGSKOSMOS<br />
UND GENERATIONENPROJEKT<br />
2.2. BELA III –<br />
BEZIEHUNGSKOSMOS<br />
UND GENERATIONENPROJEKT:<br />
POTENTIALE IN EINER<br />
WIDERSPRÜNGLICHEN<br />
GEGENWART<br />
Prof. em. Dr.Kurt Lüscher<br />
(Universität Konstanz)<br />
Stark gekürztes und überarbeitetes Referat, gehalten<br />
auf <strong>der</strong> Auftaktveranstaltung des BELA III-<br />
Netzwerks, Fellbach 15.06.<strong>2009</strong><br />
BELA III als Netzwerk verschiedener Pflegeeinrichtungen<br />
und <strong>der</strong> darin ehrenamtlich engagierten<br />
Bürgerinnen und Bürger wirkt sich auf die Lebensqualität<br />
<strong>der</strong> Bewohnerinnen und Bewohner <strong>aus</strong>,<br />
die in ihren sozialen Beziehungen positiv gestärkt<br />
werden. Kurt Lüscher beleuchtet die verschiedenen<br />
Aspekte des freiwilligen Engagements und<br />
<strong>der</strong> Beziehungen gerade vor dem Hintergrund einer<br />
generationenübergreifenden Arbeit.<br />
Ausgangspunkt dieser Überlegungen sollen die<br />
ersten Sätze des Grundsatztextes von BELA III sein:<br />
„Lebensqualität und Bürgerengagement in<br />
Pflegeeinrichtungen gehören zusammen. Generationenübergreifende<br />
Solidarität in <strong>der</strong><br />
Gesellschaft lebt, wenn Pflegeeinrichtungen<br />
sich öffnen, Bürgerinnen und Bürger sich engagieren<br />
und die Zusammenarbeit gelingt.“<br />
Man sollte sich BELA III als einen „Kosmos sozialer<br />
Beziehungen“ vorstellen. Diese Beziehungen haben<br />
einen Fokus, den man zunächst mit dem geläufigen<br />
Begriff <strong>der</strong> Pflege umschreiben könnte.<br />
Um die Ziele von BELA zu erreichen, muss somit<br />
Beziehungsarbeit geleistet werden. Sachkundige<br />
und engagierte Beziehungsarbeit kann Lebensqualität<br />
schaffen. Diese Lebensqualität ist maßgeblich<br />
für die Persönlichkeitsentwicklung aller<br />
Beteiligten: <strong>der</strong> älteren Menschen, des Fachpersonals,<br />
<strong>der</strong> Freiwilligen und <strong>der</strong> Angehörigen.<br />
Doch: was sind eigentlich soziale Beziehungen?<br />
Worin liegt das Beson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Pflegebeziehungen<br />
und welche Gestalt nehmen sie an, wenn sich<br />
Fachleute, Freiwillige und Angehörige damit befassen?<br />
Und welche Aufgaben stellen sich dabei für<br />
die Beziehungen dieser Personengruppen untereinan<strong>der</strong>?<br />
Welches Gepräge ergibt sich <strong>aus</strong> dem<br />
Umstand, dass es sich meistens auch um Generationenbeziehungen<br />
handelt?<br />
Beim Thema Generationenbeziehungen läuft man<br />
Gefahr, zu idealisieren und das, was sein soll mit<br />
dem zu vermengen, was ist. Dies geschieht in <strong>der</strong><br />
Generationenforschung und auch in programmatischen<br />
Diskussion nur allzu oft: vor allem im Blick<br />
auf Familie und Verwandtschaft wird häufig ein<br />
heiles Bild <strong>der</strong> Solidarität <strong>der</strong> Generationen entworfen.<br />
Doch diese versteht sich nicht von selbst,<br />
son<strong>der</strong>n verlangt engagierte und sachkundige Arbeit<br />
– eben Beziehungsarbeit. Dabei gilt es, sich die<br />
Spannungsfel<strong>der</strong>, die in den Beziehungen zwischen<br />
zwei Menschen, zwischen Alt und Jung,<br />
zwischen Eltern und Kin<strong>der</strong>n vorkommen können,<br />
offen einzugestehen und sich in kreativer Weise<br />
damit <strong>aus</strong>einan<strong>der</strong>zusetzen. Nur so ergibt sich die<br />
Chance, neue Wege zu erkennen und neue Formen<br />
<strong>der</strong> Gemeinschaftlichkeit zu erproben.<br />
SOZIALE BEZIEHUNGEN:<br />
SPANNUNGSFELDER ZWISCHEN<br />
INDIVIDUUM UND GEMEIN-<br />
SCHAFT, SUBJEKT UND<br />
SOZIALITÄT<br />
Geht man von dem <strong>aus</strong>, was man für „selbstverständlich“<br />
hält, so muss zunächst die Definition sozialer<br />
Beziehungen geklärt werden. Eine mögliche<br />
Antwort könnte lauten: Soziale Beziehungen sind,<br />
wenn sich zwei o<strong>der</strong> mehrere Menschen mehrfach<br />
in einem sozialen „Rahmen“ begegnen, also sich<br />
an vor<strong>aus</strong>gehenden Begegnungen (Interaktionen)<br />
orientieren. Dieser „Rahmen“ o<strong>der</strong> soziale Kontext<br />
kann bereits bestehen als Familie, als Heim, als<br />
Schule, als Verein. Er kann allerdings auch von den<br />
Beteiligten geschaffen werden.<br />
Soziale Beziehungen stehen somit in einem Spannungsfeld<br />
zwischen dem Individuum und <strong>der</strong> Gemeinschaft,<br />
zwischen Subjekt und Sozialität.<br />
Dementsprechend lassen sich soziale Beziehungen<br />
als Nährboden <strong>der</strong> Entfaltung zu einer eigenständigen<br />
und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit<br />
(eines „Selbst“) verstehen.<br />
Diese Vorstellungen legen zugleich nahe anzunehmen,<br />
dass die Gestaltung sozialer Beziehungen<br />
und <strong>der</strong> Entfaltung <strong>der</strong> Persönlichkeit mannigfache<br />
Erfahrungen eines Hin und Her (des Oszillierens)<br />
zwischen polaren Gegensätzen mit sich bringen<br />
kann. Dafür gibt es unterschiedliche Umschreibungen,<br />
bspw. Eigenständigkeit vs. Abhängigkeit,<br />
Vertrautheit vs. Fremdheit, Nähe vs. Distanz, Liebe<br />
vs. Hass. Hier bietet sich <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Ambivalenz<br />
an. 1<br />
Das Spannungsfeld zwischen Individuum und Gesellschaftlichkeit<br />
hat Georg Simmel auf originelle<br />
Weise in <strong>der</strong> 1908 erstmals erschienenen „Soziologie“<br />
unter <strong>der</strong> grundsätzlichen Frage „Wie ist Gesellschaft<br />
möglich“ abgehandelt. Er argumentiert<br />
sinngemäß wie folgt: Wir erfahren den an<strong>der</strong>en als<br />
Zugehörigen eines Standes, einer Gemeinschaft,<br />
als ein Allgemeines und werden so seiner Subjektivität<br />
nie völlig gerecht. Wir können ihn aber auch<br />
nicht als reines Subjekt, losgelöst von seinen sozialen<br />
Zugehörigkeiten, wahrnehmen. Ein beson<strong>der</strong>s<br />
weitreichendes Beispiel dafür ist das gegenseitige<br />
Verhältnis von Frauen und Männern.<br />
In <strong>der</strong> neueren Handlungstheorie wird die Spannung<br />
und die damit einhergehende Ungewissheit,<br />
die zugleich eine Offenheit ist, als doppelte Kontingenz<br />
umschrieben: die Erfahrungen, die <strong>der</strong> eine<br />
macht, werden zum Bezugspunkt <strong>der</strong> Erfahrungen<br />
des an<strong>der</strong>en und dieses Wechselspiel kann sowohl<br />
bedacht als auch gestaltet werden, indem <strong>der</strong> eine<br />
22 23
in Vorwegnahme <strong>der</strong> Erwartungen des an<strong>der</strong>en<br />
handelt, sich aber dessen nicht völlig gewiss sein<br />
kann. Damit wird gedanklich Raum für das Unbestimmte<br />
und den Zufall geschaffen. Das beinhaltet<br />
aber auch, dass soziale Beziehungen offen sein<br />
können.<br />
SOZIALE BEZIEHUNGEN UND DAS<br />
SELBST: DIE „SICH SELBST<br />
ERFÜLLENDE PROPHEZEIUNG“<br />
Die polaren Gegensätze, die das Spannungsfeld<br />
von Subjektivität und Sozietät (Gemeinschaftlichkeit,<br />
Gesellschaftlichkeit) <strong>aus</strong>machen, umschreiben<br />
wir je nach Umständen, je nach Aufgabe, je<br />
nach Tätigkeiten, auf unterschiedliche Weise. Sie<br />
sind vor allem auch erkennbar in <strong>der</strong> zwischenmenschlichen<br />
Kommunikation. In <strong>der</strong> praktischen<br />
Arbeit in Heimen ist die Einsicht, dass <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />
Mensch immer auch verallgemeinert wahrgenommen<br />
wird, unter <strong>der</strong> allgemeinen Erkenntnis<br />
<strong>der</strong> „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“ und<br />
hier im Hinblick auf die Begegnung von Alt und<br />
Jung bekannt. Wenn ältere Menschen in ihrem<br />
Abhängigkeitsverhalten bestärkt werden und Zeichen<br />
<strong>der</strong> Unabhängigkeit negiert werden, führt<br />
dies zu einer Verstärkung <strong>der</strong> Abhängigkeit.<br />
Beispielhaft und bedenkenswert sind in diesem<br />
Zusammenhang gewisse Muster jüngerer Menschen<br />
in ihren Gesprächen mit älteren Menschen.<br />
So kommt es dabei zu (oft durch<strong>aus</strong> gut gemeinten)<br />
Überanpassungen: Wird vermin<strong>der</strong>te Hörfähigkeit<br />
vermutet, dann wird laut gesprochen.<br />
Wird vermutet, die Denkfähigkeit sei eingeschränkt,<br />
werden die Gesprächsinhalte von vornherein<br />
beschränkt. Eine weitere, häufig angewendete<br />
Strategie in Gesprächen zwischen Alt und<br />
Jung besteht darin, dass zügig das eigene Alter<br />
offengelegt wird, etwa zur Legitimation, zur Abgrenzung,<br />
zum Beweis von Lebenserfahrung o<strong>der</strong><br />
zur Kompensation pflegerischer Abhängigkeit.<br />
Diese sich selbst erfüllende Prophezeiung in sozi-<br />
alen Beziehungen lässt sich in einem Bild subsumieren,<br />
das sich insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> Sozialpsychologie<br />
und Soziologie seit Beginn des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
großer Beliebtheit erfreut, bekannt als<br />
Spiegelmetapher: Wer ich bin, spiegeln mir die<br />
an<strong>der</strong>en; ich sehe mich im Spiegel <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en.<br />
Daran ist Wahres, doch es legt auch eine zu starke<br />
Betonung <strong>der</strong> Sozialität in diesem Wechselspiel<br />
nahe.<br />
DIE BEZIEHUNGSDYNAMIK<br />
DER ÜBERTRAGUNG<br />
Ein weiteres, differenziertes Modell <strong>der</strong> Dynamik<br />
sozialer Beziehungen entstammt <strong>der</strong> Psychoanalyse,<br />
die Theorie <strong>der</strong> Übertragung. Es gibt dazu differenzierte<br />
und unterschiedliche Darstellungen. Im<br />
Grundsatz geht es bekanntlich um das Folgende:<br />
in <strong>der</strong> intensiven Beziehungsdynamik, die sich<br />
innerhalb einer Therapie aufbaut, projiziert <strong>der</strong> Patient<br />
auf den Therapeuten Erfahrungen, die er mit<br />
an<strong>der</strong>en Menschen gemacht hat. Er schreibt also<br />
dem Therapeuten eine an<strong>der</strong>e Identität zu. Später<br />
ist diese Vorstellung durch jene <strong>der</strong> Gegenübertragung<br />
ergänzt worden, womit Projektionen des<br />
Therapeuten auf den Patienten gemeint sind. Diese<br />
Dynamik geht mit Erfahrungen <strong>der</strong> Unsicherheit,<br />
des Oszillierens, allerdings auch des Neuen<br />
einher. Hier zeigt sich, dass die Erfahrung von Ambivalenzen<br />
2 auch positive, soziale bzw. kreative<br />
Folgen haben kann.<br />
Davon kann man sich anregen lassen, denn bestehen<br />
nicht auch Parallelen zwischen <strong>der</strong> Enge und<br />
Intimität von Pflegebeziehungen und jener <strong>der</strong><br />
Psychotherapie? Mit <strong>der</strong> gebotenen Vorsicht wird<br />
man sagen dürfen: Phänomene <strong>der</strong> Übertragung<br />
sind auch in <strong>der</strong> Pflegearbeit mit alten Menschen<br />
zu beobachten. Der Übertragung verwandt ist ein<br />
weiteres Phänomen, das insbeson<strong>der</strong>e bei Generationenbeziehungen<br />
diagnostiziert worden ist:<br />
die Delegation. Sie besteht darin, dass Eltern ihre<br />
Kin<strong>der</strong> dahin gehend zu beeinflussen versuchen,<br />
konkrete Aufgaben und Aufträge zu erfüllen, die<br />
sie selbst während ihres Lebens nicht o<strong>der</strong> nicht<br />
<strong>aus</strong>reichend zu erledigen vermochten.<br />
Eine weitere wichtige Erkenntnis <strong>der</strong> Psychoanalyse<br />
besagt, dass frühe Schädigungen <strong>der</strong> körperlichen<br />
und psychischen Integrität - als Traumata -<br />
über lange Zeit nachwirken können. Es ist bspw.<br />
anzunehmen, dass in den BELA III-Einrichtungen<br />
Menschen leben, die ihre Kindheit und Jugend im<br />
Krieg erlebt und traumatische Erfahrungen gemacht<br />
haben. Solche neuen Einsichten können<br />
möglicherweise dazu beitragen, diese Menschen<br />
und ihre psychischen Anfälligkeiten besser zu verstehen.<br />
Jedenfalls bestätigt sich hier, wie wichtig<br />
die in unterschiedlichen Formen praktizierte Biografiearbeit<br />
ist. Ein differenziertes Verständnis <strong>der</strong><br />
Dynamik sozialer Beziehungen im Lebenslauf<br />
kann dabei hilfreich sein, um in den Schil<strong>der</strong>ungen<br />
Hinweise auf die persönliche Befindlichkeit zu gewinnen.<br />
Die können dann im persönlichen Gespräch<br />
vertieft werden.<br />
Schließlich ist das Selbst (die persönliche Identität)<br />
auch eine Eigenleistung. Sie drückt sich in dem<br />
Anteil <strong>aus</strong>, den das Subjekt selbst an <strong>der</strong> Interpretation<br />
und <strong>der</strong> Gestaltung sozialer Beziehungen<br />
hat. Bedeutsam ist überdies die Besinnung auf<br />
sich selbst, also die Reflexion seiner selbst im Verhältnis<br />
zu den an<strong>der</strong>en.<br />
Wir wissen allerdings auch alle, dass es alte Menschen<br />
gibt, welche die Fähigkeit weitgehend verloren<br />
haben, sich zu erinnern, sich zurechtzufinden<br />
und über sich selbst nachzudenken. Diese Situation<br />
ist insbeson<strong>der</strong>e für die Angehörigen<br />
schwer zu ertragen. Die amerikanische Familientherapeutin<br />
Pauline Boss spricht in diesem Zusammenhang<br />
von einem „ambiguous loss“, einem<br />
uneindeutigen Verlust. Der Mitmensch ist<br />
zwar physisch präsent, jedoch psychisch abwesend.<br />
Der Umgang mit dieser Uneindeutigkeit<br />
geht in beiden Fällen mit erheblichen psychischen<br />
Belastungen einher. Hier zeigt sich, wie wichtig<br />
Selbsthilfegruppen als Ergänzung zur Arbeit in<br />
den Heimen sein können.<br />
PFLEGE – CARING<br />
Soziale Beziehungen konkretisieren sich auch im alltäglichen<br />
Tun, also in <strong>der</strong> Pflege. Auch hier ist eine<br />
Definition notwendig, wobei dabei das Englische<br />
„to care“ und „caring" weiterhilft. Das heißt, es<br />
geht einerseits gewiss darum, die elementaren Bedürfnisse<br />
des an<strong>der</strong>en zu befriedigen, aber auch<br />
darum, sich um ihn zu kümmern, sich um ihn zu<br />
sorgen. Es gibt ein „taking care for“, ein „caring<br />
of“ und ein „caring about“. Auch ist es – als<br />
„caring“ – ein stetes Tun, eine Haltung und nicht<br />
nur eine einzelne Handlung.<br />
Diese ganzheitliche Sicht ist insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong><br />
feministischen Literatur entfaltet worden und über<br />
diese allmählich in die Ökonomie eingedrungen.<br />
Auf diese Weise wurde nicht nur die Arbeitsteilung<br />
zwischen den Geschlechtern kritisiert, son<strong>der</strong>n<br />
auch die strikte Abgrenzung <strong>der</strong> Sphären des<br />
Privaten und des Öffentlichen. Das ist für die politische<br />
Würdigung eines Projekts wie BELA III von<br />
großer Tragweite. Denn <strong>der</strong> Einbezug von Freiwilligen<br />
im Rahmen eines umfassenden Verständnisses<br />
von Pflege überwindet in gewisser Weise diese<br />
Grenzziehung.<br />
In <strong>der</strong> Pflege überschneiden sich mehrere Bereiche:<br />
die Gewährleistung unmittelbarer Lebensbedürfnisse,<br />
sozusagen die Lebens- bzw. Existenzsicherung,<br />
die Zuwendung als Gewährleistung eines<br />
sozialen Eingebettetseins und schließlich ein<br />
Lernen im Sinne einer Bekräftigung bereits erworbener<br />
sowie des Erwerbs neuer Fertigkeiten und<br />
Fähigkeiten. Weitergedacht und auf BELA III übertragen<br />
ergibt sich dar<strong>aus</strong> die These, dass es sich<br />
dabei nicht allein um ein Projekt <strong>der</strong> Alten- und<br />
<strong>der</strong> Gesundheitspolitik, son<strong>der</strong>n auch um ein solches<br />
<strong>der</strong> Bildungspolitik handelt.<br />
Verstanden als „Sozialisation“ erweist sich<br />
„caring“ für die Persönlichkeitsentwicklung aller<br />
24 25
Beteiligten als bedeutsam. Welches sind also unter<br />
beziehungstheoretischen Gesichtspunkten - über<br />
die konkreten Handreichungen und Tätigkeiten<br />
hinweg – wichtige Anfor<strong>der</strong>ungen, die an Fachpersonal<br />
und Freiwillige, „caregiver“, unter dem<br />
Gesichtspunkt ihrer eigenen Persönlichkeitsentfaltung<br />
gestellt werden?<br />
Eine Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung für das Fachpersonal sind<br />
die Spannungsfel<strong>der</strong>, die sich als solche zwischen<br />
Empathie und Sachlichkeit, Zuwendung und Abstand<br />
sowie Nähe und Distanz kennzeichnen lassen.<br />
Dazu bedarf es einer Professionalität, gerade<br />
im Umgang mit körperlichen Spannungsfel<strong>der</strong>n<br />
wie Intimität. Bereits in den 1960er Jahren hat <strong>der</strong><br />
amerikanische Soziologe Merton den Umgang mit<br />
Ambivalenzen als ein Kernstück von Professionalität<br />
in den medizinischen Berufen gekennzeichnet.<br />
Ambivalenzerfahrungen entstehen etwa bei<br />
Pflegehandlungen, die erhebliche physische o<strong>der</strong><br />
psychische Belastungen erfor<strong>der</strong>n (z.B. schmerzhaft<br />
sind), in Grenzbereichen ethischen Handelns<br />
(Fixierung am Bett, Sterbehilfe) o<strong>der</strong> generell bei<br />
<strong>der</strong> Anwendung von Zwang.<br />
Wie kann professionell damit umgegangen werden?<br />
Ein erster Schritt besteht darin, sich selbst diese<br />
Zwiespältigkeiten einzugestehen. Darin schließt<br />
sich als zweiter Schritt an, dass sie im Kreis von Kolleginnen<br />
und Kollegen zur Sprache gebracht werden,<br />
auch und gerade, wenn es um heikle Fragen<br />
geht. Oft geschieht dies in informeller Weise. Ein bevorzugter,<br />
weil geschützter Ort ist bisweilen das<br />
Personalzimmer, denn es stellt sozusagen die Hinterbühne<br />
des pflegerischen Arbeitens dar. Der dritte<br />
Schritt besteht darin, in <strong>der</strong> Aus- und Weiterbildung<br />
zu versuchen, typischen Formen des Umgangs mit<br />
Ambivalenzen her<strong>aus</strong>zuarbeiten. 3 Doch die Typisierung,<br />
so hilfreich sie ist, hat ihre Grenzen, weil eben<br />
die Subjektivität sowohl des „caretakers“ als auch<br />
des „caregivers“ mit im Spiel ist. So bleibt als viertes<br />
<strong>der</strong> Erfahrungs<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch in <strong>der</strong> Supervision als ein<br />
wichtiges Mittel.<br />
DIE ROLLE DER FREIWILLIGEN<br />
Soweit <strong>der</strong> Blick auf die Fachleute, doch welchen<br />
Stellenwert haben diese Probleme für die Freiwilligen?<br />
Wie gehen sie bspw. mit den Informationen<br />
um, die üblicherweise als vertraulich, als Teil des<br />
Berufsgeheimnisses angesehen werden?<br />
Zunächst spricht einiges für die Vermutung, dass<br />
diese Ambivalenzen von Freiwilligen weniger intensiv<br />
wahrgenommen werden. Ihr Einsatz ist weniger<br />
intensiv, die Beziehungen sind weniger eng,<br />
oft tangieren sie den Bereich des Intimen weniger.<br />
Man kann auch vermuten, dass Freiwillige ihre Arbeit<br />
in erster Linie <strong>aus</strong> einer Haltung von Zuwendung,<br />
also Empathie, gestalten. Es scheint sogar<br />
pl<strong>aus</strong>ibel, dass sie darin oftmals ein Gegengewicht<br />
o<strong>der</strong> eine Ergänzung zur professionellen Tätigkeit<br />
bilden. Das ist ein starkes Argument für ihren Einsatz.<br />
Dennoch sollte man die latenten Spannungen<br />
nicht übersehen, die einerseits in den Beziehungen<br />
<strong>der</strong> Freiwilligen zu den zu pflegenden<br />
Menschen, an<strong>der</strong>seits in jenen zum Fachpersonal<br />
bestehen und unverhofft aufbrechen können.<br />
An diesem Punkt setzt eine tragende Idee von<br />
BELA III an: die Bildung von Tandems. Nicht nur<br />
sind sie <strong>der</strong> Zusammenarbeit an sich för<strong>der</strong>lich,<br />
son<strong>der</strong>n sie stellen eine Mischform zwischen<br />
Supervision und „Mentoring“ dar. Dabei können<br />
die beiden Mitglie<strong>der</strong> eines Teams abwechselnd<br />
sowohl Gebende als auch Nehmende sein.<br />
BELA III kann so als Kosmos sozialer Beziehungen<br />
gelten. Dazu gehören auch jene, in denen die Angehörigen<br />
involviert sind. Dass auch diese Beziehungen<br />
für die Altenarbeit wichtig sind, ist allgemein<br />
bekannt. Angesichts <strong>der</strong> dualen Struktur von<br />
BELA III ist die Rolle <strong>der</strong> Angehörigen möglicherweise<br />
von jener in an<strong>der</strong>en Projekten <strong>der</strong> Altenarbeit<br />
verschieden.<br />
GENERATIONENBEZIEHUNGEN 4<br />
Viele <strong>der</strong> sozialen Beziehungen in BELA III sind<br />
selbstverständlich auch Generationenbeziehungen.<br />
Doch <strong>der</strong> Begriff Generationen ist doppeldeutig,<br />
nein: mehrdeutig.<br />
Doppeldeutig zunächst: von Generationen ist im<br />
Sinne des Gegenübers von Alt und Jung die Rede,<br />
vorab in <strong>der</strong> Gesellschaft. Dabei steht in <strong>der</strong> Regel<br />
die Differenz im Vor<strong>der</strong>grund. Von Generationen<br />
ist jedoch auch die Rede, wenn die Abfolge von<br />
Großeltern-Eltern-Kin<strong>der</strong>n gemeint ist, also im<br />
Kontext von Familie und Verwandtschaft. Hier<br />
denkt man zunächst an Verbundenheit (Gemeinsamkeit).<br />
Die aktuelle Generationenrhetorik untermauert<br />
häufig diese Unterscheidung im Sinne eines<br />
Gegensatzes, den man mit einer leichten Übertreibung<br />
so charakterisieren kann: hier die guten, intakten<br />
Generationenbeziehungen in <strong>der</strong> Familie,<br />
dort die schlechten, jedenfalls die gefährdeten<br />
Generationenbeziehungen in <strong>der</strong> Gesellschaft.<br />
Bezug genommen wird dabei zum einen auf mögliche<br />
Konflikte hinsichtlich <strong>der</strong> Verteilung öffentlicher<br />
Ressourcen, auf Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />
über die Zukunft <strong>der</strong> Rentenversicherung, auf<br />
Beschwörungen eines Kriegs <strong>der</strong> Generationen.<br />
Zum an<strong>der</strong>en auf mehr o<strong>der</strong> weniger repräsentative<br />
Untersuchungen, die angeblich eine große<br />
Solidarität unter Familiengenerationen belegen.<br />
Übersehen wird dabei, dass sie in <strong>der</strong> Regel lediglich<br />
Hilfeleistungen zwischen einem Drittel o<strong>der</strong><br />
höchstens <strong>der</strong> Hälfte <strong>der</strong> Studienteilnehmer dokumentieren<br />
und somit große Teile <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
außer Acht lassen.<br />
Auch in <strong>der</strong> Familie gibt es manifeste o<strong>der</strong> latente<br />
Konflikte und in <strong>der</strong> Gesellschaft gibt es Solidarität.<br />
Den Grund kann man auch in einer etwas<br />
abstrakteren Weise umschreiben: wenn von Generationen<br />
– in <strong>der</strong> Familie und in <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
– die Rede ist, geht es immer um beides, um Verschiedenheit<br />
und Gemeinsamkeit, um Verbunden-<br />
heit und Eigenständigkeit. Und es geht darum,<br />
wie sich die Menschen als Einzelne und als Gruppe<br />
in diesen Spannungsfel<strong>der</strong>n positionieren, wie<br />
sie in den Spannungsfel<strong>der</strong>n gelebter Generationenbeziehungen<br />
ihre – individuelle o<strong>der</strong> kollektive<br />
– Identität finden. Die Polarität, die soziale Beziehungen<br />
als Spannungsfel<strong>der</strong> von Subjekt und Sozialität<br />
kennzeichnet, findet sich in den Generationenbeziehungen<br />
wie<strong>der</strong>. Weil Generationenbeziehungen<br />
in vielen Lebensbereichen von Belang<br />
sind, können sie die Erfahrung dieser Spannungsfel<strong>der</strong><br />
beeinflussen.<br />
Auch die Beziehungen zwischen zu pflegenden<br />
Menschen und Pflegepersonal sind in <strong>der</strong> Regel<br />
Beziehungen zwischen Alt und Jung. Mit einer gewissen<br />
Abweichung gilt dies auch hinsichtlich <strong>der</strong><br />
Beziehungen zwischen zu Pflegenden und Freiwilligen.<br />
Allerdings liegt es nahe, dann zwischen jungen<br />
Alten und alten Alten zu unterscheiden und<br />
die Grenzen sind fließend. Doch auch dies, die Abgrenzung,<br />
gehört zur Erfahrung von Generationenzugehörigkeiten.<br />
Indes: von Generationen ist noch in einem weiteren<br />
Sinne die Rede, nämlich als historisch-zeitgeschichtliche<br />
Generationen. Das ist dann <strong>der</strong> Fall,<br />
wenn – was für Menschen in den BELA III-Einrichtungen<br />
durch<strong>aus</strong> noch zutreffen dürfte, diese als<br />
<strong>der</strong> Flakhelfer-Generation zugehörig gelten. O<strong>der</strong><br />
eben als jener Generation <strong>der</strong> Kriegskin<strong>der</strong>, die<br />
ohne Väter dafür in engster Verbundenheit mit einer<br />
sich aufopfernden Mutter aufgewachsen ist.<br />
In den BELA III-Einrichtungen gibt es vermutlich<br />
auch einige, die sich als 68er-Generation verstehen,<br />
unter den Pflegenden vielleicht o<strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />
Verwaltung. Und schließlich gibt es wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e,<br />
die als sogenannte Baby-Boomer die Erfahrung<br />
gemacht haben, stets zu viele zu sein und befürchten,<br />
dass dies jetzt auch im Alter noch so sein<br />
wird. Noch an<strong>der</strong>e fühlen sich möglicherweise angesprochen,<br />
wenn man sie als Angehörige <strong>der</strong><br />
Internet-Generation bezeichnet, die geprägt ist<br />
26 27
von <strong>der</strong> allgegenwärtigen Verfügbarkeit elektronischer<br />
Kommunikation.<br />
Die unterschiedlichen Generationenzugehörigkeiten<br />
hängen miteinan<strong>der</strong> zusammen, sind miteinan<strong>der</strong><br />
verflochten, können sich überlagern und<br />
gegenseitig reiben. Heutige Eltern sind an<strong>der</strong>e Eltern<br />
als jene <strong>der</strong> 68er-Generation. So ist die Generationenperspektive<br />
geeignet, um eine größere<br />
Lebensnähe zu erreichen: Menschen können sich<br />
immer auch verstehen und können immer auch<br />
handeln als Alt o<strong>der</strong> Jung, als Tochter o<strong>der</strong> Mutter,<br />
als Zugehörige einer historischen Generation.<br />
Je nach Umständen werden die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />
Generationenzugehörigkeit und die sich dabei ergebenden<br />
Beziehungserfahrungen hervorgehoben.<br />
Sozusagen jede Fernseh-Diskusssion bietet<br />
dazu Anschauungsmaterial. Dabei werden die eigenen<br />
Generationenerfahrungen zur Rechtfertigung<br />
des eigenen Standpunkts herangezogen.<br />
Denn Generationenzugehörigkeiten sind ein Teil<br />
<strong>der</strong> Zuschreibung persönlicher Identität, ein Teil<br />
des Verständnisses seiner selbst. Ob und in welcher<br />
Weise dieser Teil <strong>der</strong> Persönlichkeit aktiviert<br />
wird, hängt von den näheren Umständen ab.<br />
Über die Generationenperspektive ergibt sich solchermaßen<br />
eine Verknüpfung zwischen dem „Beziehungskosmos“<br />
BELA III und <strong>der</strong> Dynamik postmo<strong>der</strong>ner<br />
gesellschaftlicher Entwicklung. Es ist<br />
dies eine Zeit <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>sprüche: die Vorherrschaft<br />
<strong>der</strong> Idee des Fortschritts ist gebrochen. Demgegenüber<br />
wird stets betont, dass sich Kräfte einan<strong>der</strong><br />
gegenüberstehen, sich überlagern, Spannungsfel<strong>der</strong><br />
bilden. Nicht von ungefähr ist auch in<br />
soziologischen Analysen von einer „ambivalenten<br />
Gesellschaftlichkeit“ die Rede. Die Allgegenwart<br />
<strong>der</strong> Medien erhöht nicht nur die Gegensätze, son<strong>der</strong>n<br />
vermehrt sie, indem die Menschen darüber<br />
Bescheid wissen.<br />
Diese Spannungen lassen sich in wenigen Stichworten<br />
beispielhaft umschreiben:<br />
einerseits eine Rationalisierung in vielen Lebensbereichen,<br />
an<strong>der</strong>erseits eine Emotionalisierung<br />
sozialer Beziehungen<br />
einerseits eine <strong>aus</strong>geprägte Individualisierung,<br />
an<strong>der</strong>seits eine Zuwendung zu fundamentalistischen<br />
Weltanschauungen<br />
parallel zur Zunahme von Wohlstand nimmt<br />
auch die Armut zu<br />
die allgemeine Verbreitung und Zugänglichkeit<br />
globaler Informationen verbindet sich mit einem<br />
großen Interesse an personenbezogenen, intimen<br />
„Erzählungen“<br />
Technologien sind allgegenwärtig und gleichzeitig<br />
besteht ein intensives Interesse an Körperlichkeit<br />
und „Natürlichkeit“.<br />
Durchgängig zu berücksichtigen ist überdies, dass<br />
sich das Verhältnis <strong>der</strong> Altersgruppen als Folge <strong>der</strong><br />
erhöhten durchschnittlichen Lebenserwartung,<br />
des Rückgangs <strong>der</strong> Geburten und den Wan<strong>der</strong>ungsbewegungen<br />
verän<strong>der</strong>t und sich gleichzeitig<br />
die gemeinsame Lebensspanne zwischen drei und<br />
sogar vier Generationen in Verwandtschaft und<br />
Gesellschaft erweitert.<br />
Die neuen Formen <strong>der</strong> Kommunikation beeinflussen<br />
die sozialen Beziehungen und insbeson<strong>der</strong>e<br />
auch die Generationenbeziehungen. Sie tragen<br />
zur Verbreitung des Wissens um spezifische Lebensformen<br />
und Verhaltensweisen bei. Sie ermöglichen<br />
dichte Formen <strong>der</strong> Werbung, die sich an alle<br />
Altersgruppen richtet. Ihre „Wirkungen“ entfalten<br />
die Medien über die vermittelten Inhalte,<br />
ebenso aber auch über den Umgang mit den Geräten<br />
sowie über den allgemeinen sozialen, politischen<br />
und kulturellen Stellenwert, <strong>der</strong> den Medien<br />
zugerechnet wird.<br />
In dieser Situation wendet sich <strong>der</strong> Blick gewissermaßen<br />
zurück und lässt uns fragen, welche beson<strong>der</strong>en<br />
Impulse von <strong>der</strong> Beziehungs- und Generationenarbeit<br />
in einem Projekt wie BELA III <strong>aus</strong>gehen<br />
können. Dazu einige abschließende<br />
Gedanken.<br />
Die Generationenperspektive ist geeignet, unser<br />
Verständnis von Lernen und Sozialisation zu erweitern.<br />
Das gilt auch und geradezu in einem hohen<br />
Maße für jene sich <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Pflege ableitenden<br />
Lern- und Sozialisationsprozesse, die in den BELA<br />
III-Einrichtungen stattfinden. Nicht nur lernen die<br />
Jungen von den Alten und die Alten von den Jungen,<br />
son<strong>der</strong>n beide lernen gemeinsam. Sie können<br />
dies im Bewusstsein tun, in einer Generationenfolge<br />
zu stehen. So können sie sich mit dem<br />
gemeinsamen Erbe <strong>aus</strong>einan<strong>der</strong>setzen und es sich<br />
je auf eigene Weise aneignen.<br />
Die Generationenperspektive ist indessen auch<br />
geeignet die Einsicht zu untermauern, dass die Erfahrung<br />
von Ambivalenzen einen wesentlichen<br />
Teil menschlichen Zusammenlebens und <strong>der</strong> Gestaltung<br />
sozialer Beziehungen <strong>aus</strong>macht. Dabei ist<br />
wichtig festzuhalten: unvoreingenommen, nüchtern,<br />
also analytisch betrachtet, sind Ambivalenzerfahrungen<br />
– an<strong>der</strong>s als in <strong>der</strong> Alltagssprache –<br />
nicht von vornherein negativ zu konnotieren. Sie<br />
sind ein Bestandteil, sogar eine Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Beziehungsarbeit.<br />
Über die Potentiale <strong>der</strong> Generationenbeziehungen<br />
kann man indessen auch auf an<strong>der</strong>e Weise nachdenken.<br />
Die Erfahrung zeigt, dass das Verhältnis<br />
zwischen Kin<strong>der</strong>n, Eltern und Großeltern nicht<br />
notwendigerweise und <strong>aus</strong>schließlich in <strong>der</strong> Logik<br />
des T<strong>aus</strong>ches gleichwertiger Güter und Leistungen<br />
gestaltet werden muss. Die einen können für die<br />
an<strong>der</strong>en Leistungen erbringen, die überhaupt<br />
nicht, nicht sofort und unmittelbar, son<strong>der</strong>n allenfalls<br />
mittelbar über das Erbe zurückerstattet werden.<br />
Analoges gilt für das Verhältnis von Alt und<br />
Jung im Wohlfahrtsstaat. Jedenfalls beinhaltet das<br />
Umlageverfahren <strong>der</strong> Rentenversicherung einen<br />
imaginären Vertrag unter mindestens drei Generationen.<br />
Kurz: die Gestaltung von Generationenbeziehungen<br />
beinhaltet die Möglichkeit, einen<br />
sozio-kulturellen Mehrwert zu schaffen.<br />
Man kann hier auf einen allgemeinen Begriff in<br />
<strong>der</strong> Gerontologie zurückgreifen, jenen <strong>der</strong> Generativität.<br />
Die Idee <strong>der</strong> Generativität lässt sich in einer<br />
ersten Verallgemeinerung mit <strong>der</strong> Vorstellung<br />
verknüpfen, dass Menschen die Fähigkeit haben,<br />
die Existenz nachfolgen<strong>der</strong> Generationen zu bedenken.<br />
Sie können in einem hohen Maße ihr generatives<br />
Verhalten steuern. Die meisten haben<br />
die Möglichkeit, sich für o<strong>der</strong> gegen Elternschaft<br />
zu entscheiden. Im Weiteren können die Menschen<br />
das Wohl und die Zukunft nachfolgen<strong>der</strong><br />
Generationen reflektieren und entsprechend handeln.<br />
Dies lässt sich als Verpflichtung und Verantwortlichkeit<br />
für den Einzelnen und – sinngemäß –<br />
auch für soziale Institutionen postulieren. Eine<br />
weitergehende zweite Verallgemeinerung, die in<br />
jüngster Zeit in die Diskussion eingebracht worden<br />
ist, trägt <strong>der</strong> Erfahrung bzw. Einsicht Rechnung,<br />
dass auch die Jüngeren individuell und kollektiv<br />
ein Bewusstsein für das Wohl <strong>der</strong> Älteren entwickeln<br />
können. Dementsprechend kann man –<br />
noch allgemeiner – Generativität als die menschliche<br />
Fähigkeit umschreiben, individuell und kollektiv<br />
um das gegenseitige Angewiesensein <strong>der</strong> Generationen<br />
zu wissen, dies im eigenen Handeln<br />
bedenken zu können und, normativ formuliert,<br />
bedenken zu sollen. Darin liegen spezifische Potentiale<br />
<strong>der</strong> Sinngebung für das individuelle und<br />
gemeinschaftlich-gesellschaftliche Leben.<br />
Das Äquivalent von Generativität im Alltag <strong>der</strong> Beziehungsarbeit<br />
stellt die Erfahrung <strong>der</strong> „Verlässlichkeit“<br />
dar – verstanden als Haltung, in <strong>der</strong> sich<br />
die Menschen gegenseitig um ihrer selbst willen<br />
achten, schätzen und lieben, und ihre Beziehungen<br />
ungeachtet aller Konflikte und Ambivalenzen<br />
als unkündbar verstehen, weil sie im Kleinen wie<br />
im Großen um ihre schicksalshafte Verbundenheit<br />
wissen.<br />
28 29
RÜCKBLICK UND AUSBLICK<br />
Eingangs wurde Bezug genommen auf die Zielsetzungen<br />
von BELA III. Dar<strong>aus</strong> ließ sich ableiten,<br />
dass diese Ziele Beziehungsarbeit erfor<strong>der</strong>n. Einige<br />
Aspekte <strong>der</strong> Beziehungsarbeit wurden mit Blick<br />
auf die Praxis erläutert und durchgängig zeigte<br />
sich, dass Beziehungsarbeit in einem Kontext für<br />
alle Beteiligten, die alten Menschen, das Fachpersonal,<br />
die Freiwilligen sowie die Angehörigen als<br />
Beitrag zur Persönlichkeitsentfaltung verstanden<br />
werden muss. In <strong>der</strong> heutigen Zeit erfor<strong>der</strong>t dies<br />
von allen Beteiligten, mit Vieldeutigkeiten, mit Zufälligkeiten<br />
und Schicksalsschlägen, mit Zwiespältigkeiten,<br />
mit Spannungsfel<strong>der</strong>n und somit mit<br />
<strong>der</strong> Erfahrung von Ambivalenzen umzugehen.<br />
Dies lässt sich untermauern, wenn bedacht wird,<br />
dass in den meisten Bereichen die Arbeit auch die<br />
Gestaltung von mehr o<strong>der</strong> weniger offensichtlichen<br />
Generationenbeziehungen erfor<strong>der</strong>t. Denn<br />
diese Beziehungen sind sowohl für den Einzelnen<br />
wie für die Gemeinschaften von beson<strong>der</strong>er Bedeutung<br />
und erfor<strong>der</strong>n den steten dynamischen<br />
Umgang mit Verschiedenheit und Gemeinsamkeit,<br />
mit Nähe und Ferne, mit Eigenständigkeit<br />
und Abhängigkeit; sie erfor<strong>der</strong>n das Eingeständnis<br />
von damit einhergehenden Zwiespältigkeiten.<br />
Damit rücken letztlich allgemeine menschenrechtliche<br />
Begründungen in den Vor<strong>der</strong>grund. Hier ist<br />
zu bedenken, ob dies nicht noch stärker als bisher<br />
hervorgehoben werden könnte. Denn sie sind zugleich<br />
geeignet, die allgemeine politische Tragweite<br />
<strong>der</strong> BELA III-Arbeit zu erhellen. Sie sind anschlussfähig<br />
sowohl an die verfassungsrechtlichen<br />
Grundlagen staatlicher Arbeit als auch an die fundamentalen<br />
Begründungen kirchlicher, kirchennaher<br />
und zivilgesellschaftlicher Träger.<br />
1 Siehe hierzu und zum Folgenden auch: Lüscher,<br />
Kurt: „Homo ambivalens": Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung für<br />
Psychotherapie und Gesellschaft. In: Psychotherapeut,<br />
54, Heft 2, 2010, S. 1- 10<br />
2 Als Ambivalenz verstehe ich hier, Erfahrungen<br />
eines zeitweiligen o<strong>der</strong> dauernden Oszillierens<br />
zwischen polaren Gegensätzen zu umschreiben,<br />
denen Bedeutung für die Identität und dementsprechend<br />
für die Handlungsbefähigung, die sozialen<br />
Beziehungen sowie die Gesellschaftlichkeit<br />
individueller und kollektiver Akteure zugeschrieben<br />
werden kann. Ambivalenzerfahrungen kann<br />
<strong>der</strong> einzelne im Dialog mit sich selbst machen, im<br />
Dialog mit wichtigen An<strong>der</strong>en (seinen Nächsten)<br />
und im Dialog mit generalisierten An<strong>der</strong>en, also<br />
allgemeinen gesellschaftlichen Erwartungen. Hierzu<br />
mit Blick auf die Begriffsgeschichte sowie die<br />
weiter unten erwähnten Strategien des Umgangs<br />
mit Ambivalenzen Lüscher, Kurt in: Dietrich/ Lüscher/<br />
Müller (<strong>2009</strong>), Kap. 1.<br />
3 Hierzu <strong>aus</strong>führlich: Lüscher/ Pajung-Bilger: Forcierte<br />
Ambivalenzen. Konstanz 1998. Siehe ferner:<br />
Lüscher, Kurt: „Ambivalenz und Kreativität im<br />
Alter“ In: Bäurle, P./ Förstl, H./ Hell, D./ Radebold,<br />
H./ Riedel, I./ Stu<strong>der</strong>, K. (Hg.): Spiritualität und Kreativität<br />
in <strong>der</strong> Psychotherapie mit älteren Menschen.<br />
Bern 2005. S. 64 – 76<br />
4 Siehe hierzu auch das als Bulletin plus im DJI-<br />
Bulletin erschienene kleine Kompendium „B<strong>aus</strong>teine<br />
<strong>der</strong> Generationenanalyse" (www.dji.de/bulletins).<br />
2.3. BELA III ALS KOSMOS<br />
SOZIALER BEZIEHUNGEN –<br />
EINIGE LEITSÄTZE<br />
Prof. em. Dr.Kurt Lüscher<br />
(Universität Konstanz)<br />
Leitsätze <strong>aus</strong>gehend vom Referat im Rahmen<br />
<strong>der</strong> Auftaktveranstaltung des BELA III-Netzwerks,<br />
Fellbach 15.06.<strong>2009</strong><br />
1) Wir können uns BELA III als einen „Kosmos<br />
sozialer Beziehungen“ vorstellen. Diese Beziehungen<br />
haben einen Fokus, <strong>der</strong> sich zunächst mit<br />
dem geläufigen Begriff <strong>der</strong> Pflege umschreiben<br />
lässt. Um die Ziele von BELA III zu erreichen, muss<br />
somit Beziehungsarbeit geleistet werden. Sachkundige<br />
und engagierte Beziehungsarbeit kann<br />
Lebensqualität schaffen. Diese Lebensqualität ist<br />
maßgeblich für die Persönlichkeitsentwicklung aller<br />
Beteiligter: <strong>der</strong> älteren Menschen, des Fachpersonals,<br />
<strong>der</strong> Freiwilligen und <strong>der</strong> Angehörigen.<br />
2) Beziehungsarbeit erfor<strong>der</strong>t, dass wir uns vor<br />
Idealisierungen hüten, uns die Spannungsfel<strong>der</strong>,<br />
die in den Beziehungen zwischen zwei Menschen,<br />
zwischen Alt und Jung, zwischen Eltern und Kin<strong>der</strong>n<br />
vorkommen können, offen eingestehen und<br />
uns in kreativer Weise damit <strong>aus</strong>einan<strong>der</strong>setzen.<br />
Als Methode bietet sich an zu bedenken, was hinter<br />
dem steckt, was wir im Alltag für selbstverständlich<br />
halten.<br />
3) Wir reden von sozialen Beziehungen, wenn<br />
sich zwei o<strong>der</strong> mehrere Menschen mehrfach in einem<br />
sozialen „Rahmen“ begegnen, sich also an<br />
vor<strong>aus</strong>gehenden Begegnungen orientieren. Soziale<br />
Beziehungen stehen somit in einem Spannungsfeld<br />
zwischen dem Individuum und <strong>der</strong> Gemeinschaft,<br />
zwischen Subjekt und Sozialität. Dementsprechend<br />
lassen sich soziale Beziehungen als<br />
Nährboden <strong>der</strong> Entfaltung zu einer eigenverantwortlichen<br />
und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit<br />
(eines „Selbst“) verstehen.<br />
4) Eine solche Vorstellung von „persönlicher<br />
Identität“ legt nahe anzunehmen, dass die Gestaltung<br />
sozialer Beziehungen und <strong>der</strong> Entfaltung <strong>der</strong><br />
Persönlichkeit mannigfache Erfahrungen eines Hin<br />
und Her (des Oszillierens) zwischen polaren<br />
Gegensätzen mit sich bringen kann. Dafür gibt es<br />
unterschiedliche Umschreibungen, beispielsweise<br />
Eigenständigkeit vs. Abhängigkeit, Vertrautheit vs.<br />
Fremdheit, Nähe vs. Distanz, Liebe vs. Hass. Hier<br />
bietet sich <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Ambivalenz an.<br />
5) In <strong>der</strong> praktischen Beziehungsarbeit und für<br />
die Persönlichkeitsentfaltung in den Heimen sind<br />
u.a. folgende Prozesse von Belang:<br />
(a) Die „sich selbst erfüllende Prophezeiung“: In<br />
<strong>der</strong> Begegnung von Alt und Jung werden ältere<br />
Menschen in ihrem Abhängigkeitsverhalten bestärkt<br />
und so ihre Abhängigkeit verstärkt. Dabei<br />
kann z.B. die Sprache („Babysprache“) bedeutsam<br />
sein.<br />
(b) „Übertragung“, „Projektion“ und „Delegation“:<br />
Frühere Beziehungserfahrungen <strong>der</strong> Beteiligten<br />
werden in die aktuellen Beziehungserfahrungen<br />
übernommen.<br />
(c) Verarbeitung von Traumata (z.B. Kriegskindheit)<br />
(d) Individuelle Wi<strong>der</strong>standsfähigkeiten (Resilienz).<br />
6) Die darin angelegten Dispositionen für die<br />
Erfahrung von Ambivalenzen werden durch Spannungsfel<strong>der</strong><br />
verstärkt, die <strong>der</strong> Tätigkeit <strong>der</strong> „Pflege“<br />
(umfassen<strong>der</strong>: „caring“) eigen sind, beispielsweise<br />
in Pflegehandlungen mit erheblichen Eingriffen<br />
in die Intimsphäre, Pflegehandlungen, die<br />
dem Pflegebedürftigen nur bedingt einsichtig sind<br />
o<strong>der</strong> erhebliche physische o<strong>der</strong> psychische Belastungen<br />
erfor<strong>der</strong>n, Konfrontation mit Wi<strong>der</strong>stand<br />
BELA III ALS KOSMOS SOZIALER<br />
BEZIEHUNGEN<br />
30 31
o<strong>der</strong> gar gewalttätigen Verhaltensweisen <strong>der</strong> Pflegebedürftigen.<br />
7) Der Umgang mit diesen Ambivalenzen ist<br />
kennzeichnend für professionelles Handeln. Ein<br />
erster Schritt besteht darin, sich selbst diese Zwiespältigkeiten<br />
einzugestehen. Darin schließt sich als<br />
zweiter Schritt an: dass sie im Kreis von Kolleginnen<br />
und Kollegen zur Sprache gebracht werden,<br />
auch und gerade, wenn es um heikle Fragen geht.<br />
Der dritte Schritt besteht darin, in <strong>der</strong> Aus- und<br />
Weiterbildung zu versuchen, typische Formen des<br />
Umgangs mit Ambivalenzen her<strong>aus</strong>zuarbeiten.<br />
Viertens ist <strong>der</strong> Erfahrungs<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch in <strong>der</strong> Supervision<br />
wichtig.<br />
8) Im Rahmen des Projekts BELA III ist es notwendig<br />
zu klären, ob und in welcher Weise <strong>der</strong>artige<br />
Probleme bzw. Spannungsfel<strong>der</strong> für die Freiwilligen<br />
von Belang sind. Ein wichtiges Mittel sind<br />
dabei die sogenannten Tandems. Sie sind <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />
an sich för<strong>der</strong>lich. Man kann sie eine<br />
Mischform von Supervision und „Mentoring“<br />
betrachten. Die beiden Mitglie<strong>der</strong> eines Tandems<br />
sind im Blick auf die gemeinsamen Aufgaben abwechselnd<br />
sowohl Gebende als auch Nehmende.<br />
Tandems sind gut geeignet, mit Ambivalenzen<br />
umzugehen.<br />
9) BELA III ist dadurch gekennzeichnet, dass<br />
die darin vorkommenden sozialen Beziehungen<br />
mehr o<strong>der</strong> weniger offensichtlich auch Generationenbeziehungen<br />
sind und sich dadurch die Erfahrungen<br />
von Gemeinsamkeit und Verschiedenheit,<br />
Vertrautheit und Fremdheit, Beharren und Verän<strong>der</strong>n<br />
verstärken können. Gleichzeitig bietet BELA<br />
III die Möglichkeiten, die damit einhergehenden<br />
Generationenpotentiale zu nutzen und zu för<strong>der</strong>n.<br />
Dazu gehören:<br />
eine Beziehungsgestaltung, die über „gegenseitiges<br />
Aufrechnen“ und T<strong>aus</strong>ch hin<strong>aus</strong>geht und<br />
die Schaffung eines sozio-kulturellen Mehrwerts<br />
(„Humanvermögen“) ermöglicht<br />
das spezifische Lernen im Generationenverbund<br />
(„generative Sozialisation“): „Voneinan<strong>der</strong><br />
– miteinan<strong>der</strong> – in Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem<br />
gemeinsamen Erbe“<br />
die Entfaltung <strong>der</strong> menschlichen Fähigkeit zur<br />
„Generativität“ in allen Lebensphasen<br />
die Einbettung in eine die unterschiedlichen<br />
Politikfel<strong>der</strong> verknüpfende, die menschenrechtlichen<br />
Begründungen hervorhebende „Generationenpolitik“.<br />
10) Über die mehrfachen Generationenbeziehungen<br />
ist BELA III in die gesellschaftlichen Entwicklungen<br />
und ihre durch die neuen Kommunikationsformen<br />
aller Art geprägte wi<strong>der</strong>sprüchliche<br />
Dynamik eingebettet. Darin ist die Entfaltung <strong>der</strong><br />
Generationenpotentiale im Rahmen einer übergreifenden<br />
Generationenpolitik geboten (Stichworte:<br />
Generationengerechtigkeit – Verlässlichkeit<br />
– Nachhaltigkeit – Humanvermögen).<br />
ZITIERTE LITERATUR (AUSWAHL)<br />
Boss, Pauline: Leben mit ungelöstem Leid.<br />
München 2000<br />
Dietrich, Walter/ Lüscher, Kurt/ Müller, Christoph:<br />
Ambivalenzen erkennen, <strong>aus</strong>halten und<br />
gestalten. Zürich <strong>2009</strong><br />
Fischer, Andreas: Söhne ohne Väter.<br />
Moraki Film GmbH (www.moraki.de), 2007<br />
Hoch, Hans/ Klie, Thomas/ Wegner, Martina:<br />
2. Wissenschaftlicher Landesbericht zu Bürgerschaftlichem<br />
Engagement und Ehrenamt<br />
in Baden-Württemberg in den Jahren 2004 bis<br />
2006, hg. vom Sozialministerium Baden-<br />
Württemberg. Stuttgart <strong>2008</strong><br />
Illouz, Eva: Die Errettung <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Seele.<br />
Frankfurt a.M., <strong>2009</strong><br />
Klosinski, Gunther (Hrsg.): Großeltern heute –<br />
Hilfe o<strong>der</strong> Hemmnis? Tübingen <strong>2008</strong><br />
Krappmann, Lothar/ Lepenies, Annette (Hrsg.):<br />
Alt und Jung. Frankfurt a.M. 1997 (Darin die<br />
Aufsätze von Krappmann sowie Kruse/ Thimm)<br />
Lüscher, Kurt/ Liegle, Ludwig: Generationenbeziehungen<br />
in Familie und Gesellschaft.<br />
Konstanz 2003<br />
Radebold, Hartmut: Abwesende Väter.<br />
Folgen <strong>der</strong> Kriegskindheit. Göttingen 2000<br />
Weitere Literatur und Downloads:<br />
www.kurtluescher.de<br />
2.4. PFLEGEALLTAG <strong>2009</strong> –<br />
(K)EIN PLATZ FÜR<br />
BÜRGERENGAGEMENT?<br />
Prof. Dr. Hermann Brandenburg<br />
(Philosophisch-Theologische Hochschule<br />
Vallendar / Katholische Fachhochschule<br />
Freiburg)<br />
Leicht überarbeiteter Auszug <strong>aus</strong> dem<br />
Vortragsmanuskript für die 2. Verbundkonferenz<br />
des BELA III-Qualitätsnetzwerks, Stuttgart,<br />
27.11.<strong>2009</strong><br />
Durch den Wandel im Selbstverständnis <strong>der</strong> Pflegeeinrichtungen<br />
muss neu überdacht werden, inwieweit<br />
bürgerschaftliches Engagement für alle<br />
Beteiligten sinnvoll eingebunden werden kann.<br />
Der folgende Artikel geht hierbei auf die Notation<br />
<strong>der</strong> „fairen Kooperation“ ein und untersucht den<br />
Begriff und seine Bedeutungen auf <strong>der</strong> theoretischen<br />
und praktischen Ebene.<br />
Der Pflegealltag steht vor großen Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ungen.<br />
Die Zeiten, in denen alte Menschen noch mit<br />
den Stock ins Heim gekommen sind, sind vorbei.<br />
Heutzutage kommen immer mehr alte Menschen<br />
direkt <strong>aus</strong> dem Krankenh<strong>aus</strong>, z.T. mit einem Katheter,<br />
häufig in hohem Maße abhängig von pflegerischer<br />
Unterstützung. Das durchschnittliche Alter<br />
liegt bei über 83 Jahren, <strong>der</strong> Gesundheitszustand<br />
ist durch Multimorbidität gekennzeichnet,<br />
Demenz und Palliativpflege sind zu zentralen Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
an stationäre Einrichtungen geworden.<br />
Es scheint daher, dass bürgerschaftliches Engagement<br />
in diesem Bereich ein weniger drängendes<br />
Problem sei – dem ist aber nicht so!<br />
Bürgerschaftliches Engagement ist notwendig,<br />
weil alleine durch die Arbeit von beruflich und<br />
professionell mit Pflege und Versorgung befassten<br />
Berufsgruppen die Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ungen nicht zu<br />
PFLEGEALLTAG <strong>2009</strong><br />
32 33
meistern sind. Es steht außer Zweifel, dass bürgerschaftliches<br />
Engagement vor allem deswegen notwendig<br />
ist, damit ein hohes Maß an Lebensqualität<br />
in den Heimen aufrechterhalten und weiter<br />
entwickelt werden kann. Bürgerschaftlich Engagierte<br />
stellen mit ihrer eigenen Logik ein wichtiges<br />
Korrektiv gegenüber <strong>der</strong> Eigenlogik <strong>der</strong> Profis<br />
(Mediziner, Pflegende, Sozialarbeiter, an<strong>der</strong>e therapeutische<br />
Gruppen) dar. Es ist genau dieser Mix,<br />
<strong>der</strong> letztlich eine Perspektive zur Bewältigung <strong>der</strong><br />
anstehenden Pflege-, Betreuungs- und Versorgungsfragen<br />
bieten kann – und genau deshalb ist<br />
auch BELA III notwendig und wichtig.<br />
Dies setzt vor<strong>aus</strong>, dass eine faire Kooperation zwischen<br />
allen Beteiligten ermöglicht wird, und hier<br />
sind beson<strong>der</strong>s zwei Aspekte von Bedeutung. In<br />
einem ersten Schritt werden einige Grundlagen einer<br />
fairen Kooperation angesprochen und dabei<br />
auf das Modell des amerikanischen Philosophen<br />
John Rawls Bezug genommen. In einem zweiten<br />
Schritt werden einige empirische Befunde dargelegt,<br />
die illustrieren, welche Fallstricke bei <strong>der</strong> fairen<br />
Kooperation zu beachten sind.<br />
FAIRE KOOPERATION ALS<br />
GRUNDLAGE DER ZUSAMMEN-<br />
ARBEIT ZWISCHEN<br />
BESCHÄFTIGTEN<br />
UND ENGAGIERTEN<br />
Hintergrund ist ein Wi<strong>der</strong>spruch, auf den Bettmer<br />
(<strong>2008</strong>) hingewiesen hat: Einerseits erhoffen sich<br />
die Heime einen sogenannten Mehrwert durch die<br />
bürgerschaftlich Engagierten, und zwar indem sie<br />
diese in ihre Organisation, ihren Alltag und ihre<br />
Routinen integrieren. An<strong>der</strong>erseits besteht seitens<br />
<strong>der</strong> bürgerschaftlich Engagierten <strong>der</strong> Anspruch<br />
auf Selbstbestimmung, Mitwirkung, Mitgestaltung.<br />
Man muss also danach fragen, wie eine Zusammenarbeit<br />
von Heim, Professionellen und bürgerschaftlich<br />
Engagierten gestaltet werden kann –<br />
ohne dass die zuletzt genannte Gruppe allzu<br />
forsch in die Arbeitslogik <strong>der</strong> Heime „eingebunden“<br />
wird.<br />
Eine für beide Seiten „faire Kooperation“, von <strong>der</strong><br />
alle Seiten profitieren, ist demnach in Aushandlungsprozessen<br />
zu erarbeiten. Ein entsprechendes<br />
Modell dafür kann man <strong>der</strong> „Theorie <strong>der</strong> Gerechtigkeit“<br />
von John Rawls (1975) entnehmen. Er<br />
geht davon <strong>aus</strong>, dass sich alle Beteiligten grundsätzlich<br />
auf etwas Neues, Gemeinsames einstellen<br />
müssen, damit die Zusammenarbeit gelingt. Eigene<br />
Denkweisen und Handlungen müssen in Frage<br />
gestellt werden, eine Distanz zur eigenen professionellen<br />
Haltung – und damit die Einsicht in <strong>der</strong>en<br />
Bedingtheit und Relativität – sind erfor<strong>der</strong>lich.<br />
Sonst kann Zusammenarbeit in multi- bzw. interdisziplinärer<br />
Hinsicht nicht gelingen. Rawls hat folgende<br />
Kriterien aufgestellt, denen ein „faires System<br />
<strong>der</strong> Kooperation“ genügen muss 5 :<br />
Es „wird von öffentlich anerkannten Regeln<br />
und Verfahren geleitet, die von den Beteiligten akzeptiert<br />
und von diesen als angemessene Regeln<br />
für ihr Handeln betrachtet werden.“<br />
„Faire Bedingungen <strong>der</strong> Kooperation konkretisieren<br />
eine Vorstellung von Reziprozität: alle, die<br />
sich beteiligen und ihren Beitrag leisten, so wie es<br />
die Regeln und Verfahren for<strong>der</strong>n, müssen nach<br />
Maßgabe einer geeigneten Vergleichsbasis in angemessener<br />
Weise davon profitieren.“<br />
„Die Idee sozialer Kooperation setzt eine Vorstellung<br />
davon vor<strong>aus</strong>, was für jeden Teilnehmer<br />
rationalerweise vorteilhaft o<strong>der</strong> gut ist. Die Vorstellung<br />
des Guten konkretisiert, was die an <strong>der</strong><br />
Kooperation Beteiligten - seien es nun Individuen,<br />
Familien, Vereinigungen o<strong>der</strong> sogar Regierungen<br />
von Völkern – zu erreichen versuchen, wenn das<br />
System von ihrem eigenen Standpunkt <strong>aus</strong> betrachtet<br />
wird.“<br />
Mit diesem pragmatischen Ansatz möchte Rawls<br />
zeigen, dass es denkbar und möglich ist, in <strong>der</strong><br />
Kooperation zu einem tragfähigen, „übergreifenden<br />
Konsens“ zu gelangen, ohne – und das ist<br />
entscheidend – die eigenen Überzeugungen und<br />
Handlungsziele aufzugeben. Rawls hat keinen absoluten<br />
Wahrheitsanspruch im Blick. Sein Ziel ist<br />
es vielmehr das Bewusstsein dafür zu schärfen,<br />
dass Bürger ihre individuellen Interessen besser<br />
verfolgen können, wenn sie Kooperationen eingehen.<br />
Vor<strong>aus</strong>setzung hierbei ist laut Rawls, „eine<br />
Konzeption des Guten zu entwickeln, zu revidieren,<br />
rational zu verfolgen“ 6 . Wechselseitige Anerkennung<br />
ist also zwingend und ermöglicht dann<br />
eine „faire Kooperation“, die nicht nur <strong>aus</strong> <strong>der</strong><br />
Perspektive <strong>der</strong> eigenen Disziplin, Eigeninteressen<br />
etc. definiert wird.<br />
VORAUSSETZUNGEN VON<br />
LÖSUNGSANSÄTZEN – EIN BLICK<br />
IN DIE FORSCHUNG<br />
Empirisch wird das Thema Kooperation (und <strong>der</strong>en<br />
Fallstricke) sowohl in <strong>der</strong> Pädagogik, in <strong>der</strong> Soziologie,<br />
in <strong>der</strong> Psychologie und in an<strong>der</strong>en Disziplinen<br />
untersucht. Interessant sind vor allem die<br />
Ergebnisse und Einschätzungen <strong>der</strong> Kollegin Ulrike<br />
Höhmann, die vor einigen Jahren eine wichtige<br />
Studie 7 zu <strong>der</strong> anstehenden Thematik durchgeführt<br />
hat. Inhaltlich ging es um eine „kooperative<br />
Qualitätsentwicklung“ im Gesundheitswesen und<br />
zwar unter Beteiligung von Kommunen, Kliniken,<br />
ambulanten Diensten, H<strong>aus</strong>ärzten und Angehörigen.<br />
Konkret stand die Entwicklung und Arbeitsweise<br />
einer Pflegekonferenz im Vor<strong>der</strong>grund, die<br />
u.a. das Entlassungsmanagement und die nachstationäre<br />
Behandlung und Versorgung von Alterspatienten<br />
verbessern wollte. Höhmann hat<br />
aufgrund ihrer Erkenntnisse in diesem Projekt Vorschläge<br />
erarbeitet, wie eine Zusammenarbeit und<br />
faire Kooperation zwischen den Beteiligten gelingen<br />
kann. Die Ergebnisse lassen sich auch auf die<br />
Zusammenarbeit zwischen Beschäftigen und Engagierten<br />
im Heim beziehen.<br />
Folgende Aspekte sind von Bedeutung:<br />
1) Es muss inhaltlich über die Frage <strong>der</strong> Lebensqualität<br />
und <strong>der</strong> dafür als notwendig erachteten<br />
Merkmale ein Dialog zwischen den Beteiligten geführt<br />
werden. Dies bedeutet auch, dass eine entsprechende<br />
Debatte von unten geför<strong>der</strong>t, angeregt,<br />
und unterstützt wird – unverzichtbar ist dabei<br />
die Einbindung von bürgerschaftlich<br />
Engagierten in alle Prozesse und Fragestellungen.<br />
2) Der systematische Aufbau von berufs- und<br />
einrichtungsübergreifenden Kooperationsverfahren,<br />
die institutionalisiert und verbindlich geregelt<br />
sind, ist ein weiterer „Meilenstein“. Nicht nur inhaltliche<br />
Absprachen sind notwendig, son<strong>der</strong>n<br />
auch Verfahren (und Regeln), welche die Verbindlichkeit<br />
<strong>der</strong> Absprachen sicherstellen. Dabei geht<br />
es auch um die Bereitschaft zu modellhaftem Lernen<br />
und Kompetenzerwerb, um so genannte „kooperative<br />
Selbstqualifizierungsprozesse“ 8 . Ausgehend<br />
vom wechselseitigen Kennenlernen <strong>der</strong><br />
Denkweisen des jeweils an<strong>der</strong>en sollen Kommunikations-<br />
und Aust<strong>aus</strong>chprozesse geför<strong>der</strong>t und die<br />
Zusammenarbeit auf feste Grundlagen gestellt<br />
werden. Die wichtigste dabei ist die gegenseitige<br />
Wertschätzung und Anerkennung.<br />
3) Dies gelingt nicht von heute auf morgen.<br />
Und die Unterstützung durch eine neutrale, fachlich<br />
akzeptierte (externe) Mo<strong>der</strong>ation kann hilfreich<br />
sein, damit die „Macht- und Interessenasymmetrie<br />
<strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> in vertrauensbildende Dialoge<br />
kanalisiert“ 9 werden kann.<br />
Die Grundmerkmale von Lösungsansätzen hat Ulrike<br />
Höhmann auf drei Ebenen skizziert: auf <strong>der</strong><br />
Ebene <strong>der</strong> Region (Kommunen, Landkreise), <strong>der</strong><br />
Ebene des Managements <strong>der</strong> Einrichtungen sowie<br />
<strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Berufsgruppen.<br />
Zentrale Vor<strong>aus</strong>setzungen auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Regionen<br />
ist beispielsweise die Bereitschaft zur För<strong>der</strong>ung<br />
langfristiger berufs- und einrichtungs-<br />
34 35
übergreifen<strong>der</strong> Abstimmungsprozesse und die<br />
Unterstützung inhaltlich <strong>aus</strong>gerichteter Kooperationsbeziehungen<br />
bei <strong>der</strong> Öffnung <strong>der</strong> Heime<br />
o<strong>der</strong> die Bereitschaft zur Initiierung, Begleitung,<br />
Unterstützung von Prozessen, z.B. durch Auftaktveranstaltungen,<br />
Dokumentationen, Einbindung<br />
von fachlicher Unterstützung, Gewinnung von<br />
qualifizierten Mo<strong>der</strong>atoren sowie die Bereitschaft,<br />
die Ergebnisse von bürgerschaftlichem Engagement<br />
in politische Entscheidungen mit einzubinden<br />
und Weiterentwicklungen zu för<strong>der</strong>n.<br />
Auf <strong>der</strong> Ebene des Managements ist die Bereitschaft,<br />
die Kooperationsformen bei <strong>der</strong> Vielfalt<br />
<strong>der</strong> Beschäftigten und <strong>der</strong> bürgerschaftlich Engagierten<br />
fair und auf gleicher Augenhöhe zu gestalten,<br />
eine wichtige Vor<strong>aus</strong>setzung. Dabei müssen<br />
die Grenzen <strong>der</strong> Instrumentalisierung von bürgerschaftlich<br />
Engagierten akzeptiert werden und die<br />
Einrichtungen dürfen bürgerschaftlich Engagierte<br />
nicht allein im Sinne einer professionellen „Anerkennungskultur“<br />
<strong>der</strong> eigenen Logik unterwerfen.<br />
Dies bedeutet auch, dass kompetente Vertretungen<br />
<strong>der</strong> verschiedenen Berufsgruppen mit einem<br />
qualifizierten Mandat für ihre Aushandlungsprozesse<br />
<strong>aus</strong>zustatten sind.<br />
Auf <strong>der</strong> dritten Ebene, jener <strong>der</strong> Beschäftigten und<br />
Engagierten, ist ein wechselseitiges Interesse und<br />
Respekt vor den Erfahrungen und Kompetenzen<br />
<strong>der</strong> jeweils an<strong>der</strong>en zu entwickeln und die Neugier<br />
darauf nicht aufzugeben. Zugleich muss eine Motivation,<br />
Lernbereitschaft und Ambiguitätstoleranz<br />
im Umgang mit dem jeweils an<strong>der</strong>en als Vor<strong>aus</strong>setzung<br />
gelten, ebenso wie die Bereitschaft zu<br />
Kompromissen.<br />
Zum Abschluss soll hier <strong>der</strong> Psychiater Hans Förstl<br />
zitiert werden, <strong>der</strong> als einer <strong>der</strong> wichtigsten Demenzforscher<br />
in unserer Gesellschaft gilt. Er<br />
spricht die Perspektive <strong>der</strong> gesellschaftlichen Verantwortung<br />
für das Thema <strong>der</strong> Demenz an:<br />
„Der soziale Aust<strong>aus</strong>ch und die Gruppenkohärenz<br />
wurde bei unseren Vorfahren, ehe eine wohlklin-<br />
gende, festgesetzte Sprache zur Verfügung stand,<br />
durch gegenseitige Fellpflege vorgenommen („social<br />
grooming“). Die Kultur einer Gesellschaft<br />
zeigt sich daran, wie wohl sie dem Grundbedürfnis<br />
nach Nähe <strong>der</strong> Artgenossen dann noch entsprechen<br />
kann, wenn das Fell dünner wird.“ 10<br />
LITERATUR<br />
Bettmer, Franz: „Faire Kooperation“<br />
als Grundlage bürgerschaftlichen Engagements.<br />
Baltmannsweiler <strong>2008</strong><br />
Förstl, Hans: „Demenzen in Theorie und Praxis.<br />
Von <strong>der</strong> Anthropologie zur Therapie“ In: Wetzstein,<br />
Verena (Hg.): Ertrunken im Meer des<br />
Vergessens? Alzheimer-Demenz im Spiegel von<br />
Ethik, Medizin und Pflege. Freiburg 2005.<br />
S. 31 – 40<br />
Höhmann, Ulrike: „Vor<strong>aus</strong>setzungen und Möglichkeiten<br />
berufs- und einrichtungsübergreifen<strong>der</strong><br />
Kooperation zur Verbesserung <strong>der</strong> Versorgungsqualität<br />
pflegebedürftiger Menschen“<br />
In: Stemmer, Renate (Hg.): Qualität in <strong>der</strong> Pflege<br />
– trotz knapper Ressourcen. Hannover <strong>2009</strong>.<br />
S. 11 – 28<br />
Höhmann, Ulrike/ Müller-Mundt, Gabriele/<br />
Schulz, Brigitte: Qualität durch Kooperation.<br />
Frankfurt 1998<br />
Huber, Josef: Die verlorene Unschuld <strong>der</strong> Ökologie.<br />
Frankfurt am Main 1982<br />
Rawls, John: Politischer Liberalismus. Frankfurt<br />
am Main 2003<br />
Rawls, John: Eine Theorie <strong>der</strong> Gerechtigkeit.<br />
Frankfurt am Main 1979<br />
Wissmann, Peter/ Gronemeyer, Reimer:<br />
Demenz und Zivilgesellschaft – eine Streitschrift.<br />
Frankfurt <strong>2008</strong><br />
2.5. ÜBER DIE RICHTIGE<br />
FRAGE, DIE ÖFFNUNG DER HEIME<br />
UND DIE GEGENÖFFENTLICHKEIT.<br />
FÜNF ASPEKTE ZUM ERFOLG-<br />
REICHEN AUFBAU DES BELA III-<br />
NETZWERKS<br />
Prof. Dr. Hermann Brandenburg<br />
Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar,<br />
Katholische Fachhochschule Freiburg<br />
Gekürztes Manuskript eines Kommentars zur<br />
Auftaktveranstaltung<br />
„Der Lebensqualität verpflichtet“ des BELA III-<br />
Netzwerks, Fellbach, 15.06.<strong>2009</strong><br />
In kurzen und prägnanten Betrachtungen geht<br />
<strong>der</strong> folgende Artikel auf fünf verschiedene Aspekte<br />
<strong>der</strong> Arbeit von BELA III ein und untersucht diese<br />
auf ihren Nutzen hinsichtlich einer nachhaltigen<br />
und erfolgreichen Arbeit des Netzwerkes.<br />
Sinn und Zweck von BELA III ist <strong>der</strong> Aufbau eines<br />
Netzwerks stationärer Einrichtungen mit dem Ziel<br />
Lebensqualität im Alter zu för<strong>der</strong>n. Folgende fünf<br />
Aspekte sind meines Erachtens für den nachhaltigen<br />
Erfolg wichtig:<br />
BELA III rückt die richtige Frage ins Zentrum<br />
BELA III ist ein Modell gegen die „Industriali-<br />
sierung des Sozialen“<br />
BELA III stellt eine Gegenöffentlichkeit dar<br />
BELA III ist ein Beitrag zur<br />
„Öffnung <strong>der</strong> Heime“<br />
BELA III bietet die Chance für eine<br />
„faire Kooperation“ von Profis<br />
und bürgerschaftlich Engagierten<br />
1. BELA III RÜCKT DIE RICHTIGE<br />
FRAGE INS ZENTRUM<br />
In <strong>der</strong> stationären Altenhilfe gab es in den letzten<br />
Jahren einen Wandel <strong>der</strong> Leitbil<strong>der</strong> und Paradigmen.<br />
Noch weit bis in die 80er und 90er Jahre des<br />
letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts ging es primär um Sicherheit<br />
und Gesundheit <strong>der</strong> Heimbewohner. Nun stehen<br />
Fragen <strong>der</strong> Lebensqualität im Zentrum, es geht um<br />
objektive und subjektive Merkmale. Im Kern geht<br />
es um ein Spektrum – vom körperlichen Wohlbefinden<br />
über Würde und Privatheit bis hin zu<br />
Wohnkomfort und Servicequalität. Diese Verän<strong>der</strong>ung<br />
von <strong>der</strong> Funktionalität hin zur Lebensqualität<br />
ist wichtig, sie rückt die Lebensqualität <strong>der</strong> Bewohnerinnen<br />
und Bewohner in den Mittelpunkt.<br />
Es geht nicht mehr allein um die Verbesserung <strong>der</strong><br />
medizinischen, pflegerischen o<strong>der</strong> sozialarbeiterischen<br />
Versorgung und Betreuung – berücksichtigt<br />
werden sollen die tatsächlichen Interessen <strong>der</strong> alten<br />
Menschen, ihre Ziele, ihre Wünsche, ihre Erwartungen.<br />
2. BELA III IST EIN MODELL<br />
GEGEN DIE „INDUSTRIALISIE-<br />
RUNG DES SOZIALEN“<br />
Informelle Formen <strong>der</strong> Betreuung, Zuwendung<br />
und Pflege sind sukzessive und immer mehr durch<br />
formelle Systeme und Professionen ersetzt worden.<br />
Entstanden sind Fürsorgeorganisationen,<br />
Pflegedienste, psychosoziale Angebote, kurz: <strong>der</strong><br />
Sozialstaat und seine Angebote. So wichtig und<br />
notwendig diese Dienste auch sind, ihre Grenzen<br />
sind bereits vor Jahren betont worden. Der Medizinkritiker<br />
Huber sprach von einer<br />
„Sozialindustrie, die für alle da ist - und die auch<br />
vor keinem Halt macht … Wir erleben ein schubartiges<br />
Wachstum <strong>der</strong> sozialen Berufe. Es deutet<br />
darauf hin, dass wir in eine Phase eintreten, die eine<br />
Industrialisierung des Gemeinschaftslebens bedeutet.“<br />
11<br />
DER AUFBAU DES<br />
BELA III-NETZWERKS<br />
36 37
Aktuell greifen Wissmann und Gronemeyer diese<br />
Kritik auf und ergänzen sie um einen wichtigen<br />
Punkt:<br />
„Der aufblühende Sozialstaat hat Abhängigkeiten<br />
geschaffen, die nun - da es zu viele Abhängigkeiten<br />
gibt, die (angeblich) nicht mehr bezahlbar sind<br />
– ein Gefühl erzeugen, wie es <strong>der</strong> Säugling hat,<br />
dem die Mutterbrust entzogen wird. Eine zunehmend<br />
von neoliberalen Ideen infizierte Sozialpolitik<br />
verweist den Einzelnen auf seine Eigeninitiative<br />
– er soll selbst für sein Alter vorsorgen, soll sich<br />
den Gesundheitsimperativen beugen (Bewegung,<br />
gesundes Essen etc.) und sich ehrenamtlich-freiwillig<br />
betätigen, um die entstandenen Löcher im<br />
sozialen Netz selbst zu flicken.“ 12<br />
Dieser Interpretation zufolge ist bürgerschaftliches<br />
Engagement zum einen ein wichtiges Korrektiv<br />
gegen die „Industrialisierung des Sozialen“, gerade<br />
weil es nicht in <strong>der</strong> Logik von Professionen<br />
denkt und handelt, son<strong>der</strong>n für eine Beachtung<br />
von informellen Netzwerken, für eine bürgerschaftliche<br />
Verantwortung vor Ort und für die Beachtung<br />
<strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Generalisten und<br />
Praktiker des Alltags steht. Zweitens steht ein Engagement<br />
für die Zivilgesellschaft immer in einer<br />
Ambivalenz – zwischen <strong>der</strong> Notwendigkeit und<br />
<strong>der</strong> „Schönheit“ des zivilgesellschaftlichen Engagements<br />
und dem Missbrauch als billige Arbeitskraft<br />
im Kontext einer neoliberalen Wirtschaftsund<br />
Sozialpolitik.<br />
3. BELA III STELLT EINE GEGEN-<br />
ÖFFENTLICHKEIT DAR<br />
In <strong>der</strong> öffentlichen Debatte stehen häufig die<br />
Mängel, Skandale und Missstände in <strong>der</strong> stationären<br />
Altenhilfe, beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Pflege, im Mittelpunkt.<br />
Interessant für die Medien sind Negativberichte:<br />
„Betroffene“ werden vor die Kameras gebracht,<br />
<strong>der</strong>en subjektive Perspektive öffentlich<br />
inszeniert. Eine seriöse Analyse <strong>der</strong> Ursachen,<br />
Hintergründe und Bedingungen unterbleibt. Viel<br />
zu wenig werden positive Beispiele öffentlichkeitswirksam<br />
wahrgenommen, Reformansätze diskutiert,<br />
wird Engagement zur Verbesserung <strong>der</strong> Lebensqualität<br />
von alten Menschen gewürdigt. Gerade<br />
dieses „Zurechtrücken“ <strong>der</strong> Einseitigkeit (und<br />
damit auch Falschheit) <strong>der</strong> öffentlichen Berichterstattung<br />
ist eine wichtige Aufgabe <strong>der</strong> bürgerschaftlich<br />
Engagierten. Sie sind direkt in das<br />
„wirkliche“ Leben vor Ort involviert, können <strong>aus</strong><br />
ihrer Sicht die Dinge darstellen und leisten einen<br />
wichtigen Beitrag wie<strong>der</strong>um zur Korrektur – diesmal<br />
allerdings einer medial verzerrten Darstellung<br />
<strong>der</strong> Realität in Heimen.<br />
4. BELA III IST EIN BEITRAG ZUR<br />
ÖFFNUNG DER HEIME<br />
Die Öffnung <strong>der</strong> Heime von innen und von außen<br />
steht an. Die Öffnung von außen meint, dass <strong>der</strong><br />
Kontakt zur Bürgergesellschaft intensiviert wird,<br />
Besuchsdienste regelmäßig ins H<strong>aus</strong> kommen, eine<br />
Perspektive von außen in die Einrichtung hineingetragen<br />
wird. Dazu gehört auch die Beteiligung<br />
<strong>der</strong> politischen Gemeinde. Ergänzt, erweitert<br />
und unterstützt werden muss diese<br />
Öffnung von außen durch eine Öffnung von innen.<br />
Dies bedeutet eine nachhaltige Än<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Organisationen, bei <strong>der</strong> die Logik <strong>der</strong> „Totalversorgung“<br />
und Institutionalisierung unterbrochen<br />
wird. Es geht darum, dass Heime sich (auch)<br />
als ein Angebot für das Wohnquartier bzw. das<br />
Wohnumfeld sehen. Nicht allein die Pflege und<br />
die Versorgung, son<strong>der</strong>n z.B. die Bereitstellung<br />
von Räumen, etwa für ein Bürgerbüro, für Kulturund<br />
Bildungsaktivitäten ist möglich, so dass sich<br />
das Heim stärker als integraler Bestandteil eines<br />
größeren Ganzen, eingebettet in kommunale Verantwortlichkeiten<br />
definiert. Damit verbunden ist<br />
letztlich eine Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Leitenden;<br />
im Kern geht es um Kooperation und<br />
Kommunikation verschiedener Einrichtungen.<br />
5. BELA III BIETET DIE CHANCE<br />
FÜR EINE „FAIRE“ KOOPERATION<br />
ALS GRUNDLAGE DER ALTEN-<br />
ARBEIT<br />
Nach Bettmer 13 gibt es zwei Aspekte, die für eine<br />
faire Kooperation zu bedenken sind (s.o.): die<br />
verschiedenen Ausgangsbedingungen <strong>der</strong> bürgerschaftlich<br />
Engagierten und <strong>der</strong> Profis sowie die<br />
Eigenlogik <strong>der</strong> Organisationen. Organisationen<br />
sollen die internen Bedingungen für die Kooperation<br />
bereitstellen, indem sie organisationsexternen<br />
Personen Möglichkeiten zur Partizipation und Beteiligung<br />
eröffnen. Beide Aspekte sind nur dann<br />
(relativ) konfliktfrei zu lösen, wenn die Öffnung<br />
<strong>der</strong> Organisationen für bürgerschaftliches Engagement<br />
einen so genannten Mehrwert für die<br />
Organisationen selbst verspricht. Ein entsprechendes<br />
Modell dafür kann man – wie im vorigen Text<br />
erwähnt – <strong>der</strong> „Theorie <strong>der</strong> Gerechtigkeit“ des<br />
großen amerikanischen Philosophen John Rawls<br />
(1975) entnehmen.<br />
FAZIT<br />
BELA III verän<strong>der</strong>t vieles. Der wesentliche Punkt<br />
dabei ist, dass BELA III einen wichtigen Beitrag<br />
zum Pflege-Mix darstellt. Die Pflege <strong>der</strong> Zukunft<br />
(aber auch schon <strong>der</strong> Gegenwart) kann nur im Zusammenwirken<br />
von Professionellen und bürgerschaftlich<br />
Engagierten gelingen: die Perspektiven<br />
müssen und sollen sich ergänzen. Das Leben ist<br />
vielfältig, BELA III ist es auch. Und insofern leistet<br />
BELA III einen Beitrag zum Wandel <strong>der</strong> Pflegekultur<br />
in Deutschland – einfach ist das nicht, aber –<br />
alternativlos.<br />
LITERATUR:<br />
Bettmer, Franz: „Faire Kooperation“<br />
als Grundlage bürgerschaftlichen Engagements.<br />
Baltmannsweiler <strong>2008</strong><br />
Förstl, Hans: „Demenzen in Theorie und Praxis.<br />
Von <strong>der</strong> Anthropologie zur Therapie“<br />
In: Wetzstein, Verena (Hg.): Ertrunken im Meer<br />
des Vergessens? Alzheimer-Demenz im Spiegel<br />
von Ethik, Medizin und Pflege. Freiburg 2005.<br />
S. 31 – 40<br />
Höhmann, Ulrike: „Vor<strong>aus</strong>setzungen und<br />
Möglichkeiten berufs- und einrichtungsübergreifen<strong>der</strong><br />
Kooperation zur Verbesserung <strong>der</strong><br />
Versorgungsqualität pflegebedürftiger<br />
Menschen“ In: Stemmer, Renate (Hg.): Qualität<br />
in <strong>der</strong> Pflege – trotz knapper Ressourcen.<br />
Hannover <strong>2009</strong>. S. 11 – 28<br />
Höhmann, Ulrike/ Müller-Mundt, Gabriele/<br />
Schulz, Brigitte: Qualität durch Kooperation.<br />
Frankfurt 1998<br />
Huber, Josef: Die verlorene Unschuld <strong>der</strong><br />
Ökologie. Frankfurt am Main 1982<br />
Rawls, John: Politischer Liberalismus. Frankfurt<br />
am Main 2003<br />
Rawls, John:<br />
Eine Theorie <strong>der</strong> Gerechtigkeit. Frankfurt am<br />
Main 1979<br />
Wissmann, Peter/ Gronemeyer, Reimer:<br />
Demenz und Zivilgesellschaft – eine Streitschrift.<br />
Frankfurt <strong>2008</strong><br />
38 39
FINDET MICH DAS GLÜCK<br />
IM PFLEGEHEIM?<br />
40<br />
2.6. FINDET MICH DAS GLÜCK<br />
IM PFLEGEHEIM ?<br />
Dr. Beate Krieg<br />
LandFrauenverband Württemberg-Baden e.V.<br />
Überarbeiteter Vortrag, gehalten auf <strong>der</strong><br />
2. Verbundkonferenz des BELA III -Qualitätsnetzwerks,<br />
Stuttgart, 27.11.<strong>2009</strong><br />
Bürgerschaftliches Engagement und Ehrenamt in<br />
Pflegeeinrichtungen werten das Leben für alle Beteiligten<br />
auf – umso wichtiger ist es, zu beleuchten<br />
und zu hinterfragen, <strong>aus</strong> welchen situativen<br />
Zusammenhängen sowohl auf persönlicher als<br />
auch gesellschaftlich-sozialer Ebene ein Engagement<br />
geschehen kann und wie diese Erkenntnisse<br />
sinnvoll in eine Überarbeitung des Konzeptes des<br />
freiwilligen Engagements eingebettet werden<br />
können. Der folgende Text beleuchtet einige <strong>der</strong><br />
Aspekte, beson<strong>der</strong>s denjenigen <strong>der</strong> „weiblichen“<br />
Konnotation <strong>der</strong> Pflege.<br />
In ihrem Projekt „Findet mich das Glück?“ greift<br />
das Schweizer Künstlerduo Fischli/Weiss alltägliche<br />
Ideen, Gedanken und Fragen auf – Fragen,<br />
die unbeantwortet bleiben und trotzdem den Mechanismen<br />
des Alltäglichen auf die Spur gehen<br />
wollen. In ihrer Fragensammlung, die als Kunstbuch<br />
nach <strong>der</strong> Biennale in Venedig 2003 erschienen<br />
ist, eröffnet beson<strong>der</strong>s eine einen grundsätzlichen<br />
und interessanten Zugang zu BELA III:<br />
„Könnte ich meine immerwährenden Anstrengungen<br />
normal zu erscheinen, für etwas Besseres einsetzen?“<br />
Einen an<strong>der</strong>en Zugang ermöglicht „Das kleine<br />
Buch vom wahren Glück“ des erfolgreichen Benediktinerpaters<br />
Anselm Grün. Auf die Fragestellung<br />
„Wo wohnt das Glück?“ schreibt er:<br />
„Glück wohnt in <strong>der</strong> Seele, im inneren Bereich des<br />
Menschen. Dort, wo <strong>der</strong> Mensch mit sich im Ein-<br />
klang ist, wo er seine Einmaligkeit spürt, dort wo<br />
er um seine göttliche Würde weiß, dort ist ein<br />
Glück, das ihm kein Misserfolg, kein Verlust und<br />
keine Ablehnung zu rauben vermag.“ 16<br />
Beide Zitate umschreiben, was Ehrenamt bedeutet<br />
– was diejenigen, die sich mit ihrer Zeit und ihren<br />
Ideen einbringen und diejenigen, die dies in ihrem<br />
Alltag erfahren, bereichert. Bürgerschaftliches Engagement,<br />
<strong>der</strong> Einsatz, den ehrenamtlich Engagierte<br />
auf vielfältige Weise für das Gemeinwohl<br />
leisten, schafft Lebensqualität.<br />
EHRENAMTLICHES<br />
ENGAGEMENT UND DESSEN<br />
HERAUSFORDERUNGEN<br />
Bürgerschaftliches Engagement ist ein freiwilliger<br />
Beitrag, <strong>der</strong> von Jugendlichen, Frauen und Männern<br />
in ganz unterschiedlichen Bereichen eingebracht<br />
wird. Daher kann <strong>der</strong> Stellenwert von ehrenamtlich<br />
Engagierten für die Gesellschaft gar<br />
nicht hoch genug eingeschätzt werden. Im<br />
Bundesland Baden-Württemberg gibt es glücklicherweise<br />
eine Vielzahl Ehrenamtlicher.<br />
Das Engagement <strong>der</strong> ehrenamtlichen Führungskräfte<br />
im LandFrauenverband Württemberg-<br />
Baden hat – laut Satzung – zum Ziel, Bildungsangebote<br />
für Frauen im ländlichen Raum umzusetzen.<br />
Ein Drittel <strong>der</strong> Gesamtheit aller<br />
Veranstaltungen in den LandFrauenvereinen sind<br />
auf das Gemeinwohl <strong>aus</strong>gerichtet. Diese reichen<br />
von <strong>der</strong> Durchführung des Kin<strong>der</strong>ferienprogramms<br />
über die Mitgestaltung eines Dorffestes<br />
bis hin zum Besuch <strong>der</strong> Pflegestation im Advent.<br />
Mit inhaltlichen Beiträgen bereichern unsere ehrenamtlich<br />
Engagierten vor Ort ganz unterschiedliche<br />
Gruppen.<br />
Zunehmend steht die am besten <strong>aus</strong>gebildete<br />
Frauengeneration aller Zeiten ehrenamtlichem Engagement<br />
nur noch bedingt zur Verfügung. Deshalb<br />
kommt <strong>der</strong> Vereinbarkeit von Familie, Beruf<br />
und ehrenamtlichem Engagement ein hoher gesellschaftlicher<br />
Stellenwert zu. In Gesprächen mit<br />
den im Verband tätigen Frauen erfährt man, dass<br />
ehrenamtliches Engagement zu Bereicherung,<br />
Zufriedenheit und Stärkung <strong>der</strong> Persönlichkeit<br />
führen kann.<br />
BIOGRAFIE UND EHRENAMT-<br />
LICHES ENGAGEMENT<br />
Ehrenamtliches Engagement verläuft nicht kontinuierlich,<br />
son<strong>der</strong>n die Tätigkeitsfel<strong>der</strong> in den verschiedenen<br />
Lebensabschnitten verän<strong>der</strong>n sich.<br />
Klar wird dies am Beispiel einer 78-jährigen<br />
Grundschullehrerin: sie war nach ihrer Pensionierung<br />
noch fünf Jahre in <strong>der</strong> ehrenamtlichen H<strong>aus</strong>aufgabenbetreuung<br />
für sozial benachteiligte Kin<strong>der</strong><br />
tätig. Danach entschied sie sich, als „grüne<br />
Dame“ im Pflegeheim aktiv zu werden. Wöchentliche<br />
Besuche bei Menschen, die wenig o<strong>der</strong> gar<br />
keinen Besuch bekommen. Zuhören bei Lebensgeschichten,<br />
Vorlesen, Verständnis schaffen, Zuversicht<br />
und Mut geben. Das Positive dabei ist<br />
stets, dass sie gestärkt <strong>aus</strong> diesen Tagen hervorgeht.<br />
Sie findet die Lebensgeschichten und Erzählungen<br />
spannend, weiß, dass sie dort gebraucht<br />
wird. Gleichzeitig relativieren sich die eigenen<br />
Sorgen und Nöte. Wertschätzung erfahren die<br />
„grünen Damen“ seitens des Pflegeheimes durch<br />
Rückmeldungen <strong>der</strong> Mitarbeiter sowie durch eine<br />
jährliche Danke-schön-Veranstaltung. Darüber<br />
hin<strong>aus</strong> engagiert sich diese Frau sonntags im örtlichen<br />
Heimatmuseum beim Museumsdienst. Sie<br />
kümmert sich zudem mit großer Freude um ihre<br />
Enkel und ihren Garten. Schließlich bleibt ihr noch<br />
genügend Zeit, an einem Literaturkreis und verschiedenen<br />
Bildungsveranstaltungen im Sinne des<br />
„Lebenslangen Lernens“ teilzunehmen.<br />
Dieses Beispiel ist kein Einzelfall. Es zeigt zudem,<br />
dass neben ehrenamtlichem Engagement immer<br />
noch Zeit für die Familie und Zeit für sich selbst<br />
bleibt.<br />
Hier kommt erneut das Zitat von Fischli/Weiss in<br />
die Diskussion:<br />
„Könnte ich meine immerwährenden Anstrengungen<br />
normal zu erscheinen, für etwas Besseres einsetzen?“<br />
Wenn sich Menschen überlegen, wie sie ihre freie<br />
Zeit gestalten - für sich und für an<strong>der</strong>e, so ergeben<br />
sich vielseitige Möglichkeiten sich vor Ort „für etwas<br />
Besseres“ einzubringen.<br />
Gerade in einem Pflegeheim ist das Engagement<br />
von unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen<br />
eine Bereicherung für die Bewohnerinnen und Bewohner<br />
– wenn sich Kin<strong>der</strong>gartenkin<strong>der</strong>, Schülerinnen<br />
und Schüler, Frauen und Männer mit ihren<br />
Fähigkeiten einbringen können.<br />
PFLEGE UND GESELLSCHAFTS-<br />
POLITISCHE<br />
RAHMENBEDINGUNGEN<br />
In vielen Bereichen stehen <strong>der</strong>zeit gesellschaftspolitische<br />
Rahmenbedingungen für Pflegende auf<br />
dem Prüfstand. Die feministische Ökonomin Mascha<br />
Madörin stellte vor kurzem in Stuttgart in einem<br />
Beitrag zu „Pflege – eine Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung<br />
für die Gesundheitsökonomie“ am Beispiel <strong>der</strong><br />
Schweiz eine Rechnung auf, die sehr zum Nachdenken<br />
anregt – mit folgendem Ergebnis:<br />
„Frauen werden nach wie vor vorwiegend als Kostenverursacherinnen<br />
o<strong>der</strong> Klientinnen, nicht aber<br />
als die wichtigsten bezahlten und unbezahlten Arbeitskräfte<br />
des Gesundheitswesens gesehen. Eine<br />
Gen<strong>der</strong>-relevante Gesundheitsökonomie müsste<br />
aber bei dieser Frage ansetzen und dabei, dass die<br />
Arbeit im Gesundheitswesen Teil <strong>der</strong> Wohlfahrtsökonomie<br />
ist.“<br />
Sie schil<strong>der</strong>te weiter:<br />
„Als meine Mutter, eine Dorffrau, mit fast 96 Jahren<br />
in ein Alters- und Pflegeheim eintrat, war sie<br />
anfänglich über die Wortkargheit des Personals<br />
schockiert und fühlte sich sehr verunsichert. Meine<br />
Schwester und ich ließen sie - ohne ihr Wissen<br />
41
- in eine höhere Pflegestufe einteilen, obwohl sie<br />
diese nicht unbedingt brauchte. Es bedeutete<br />
aber, dass sie mehr Kontakt mit dem Pflegepersonal<br />
hatte. Meine Mutter äußerte sich kurz darauf<br />
befriedigt darüber, dass die PflegerInnen gesprächsfreudiger<br />
geworden seien. Wir wagten<br />
nicht, ihr zu sagen, was die neue Vereinbarung<br />
war und vor allem nicht, wie viel mehr dies kostete.<br />
Sie konnte es sich leisten, das war nicht das<br />
Problem. Aber sie hätte es als verletzend und demütigend<br />
empfunden, dass sie für kleine Handreichungen,<br />
ein Gespräch und gemeinsames Lachen<br />
bezahlen musste, für etwas, was sie als normale<br />
Zwischenmenschlichkeit empfand und was für sie<br />
selbst gegenüber an<strong>der</strong>en Menschen, die Hilfe<br />
brauchten, über Jahrzehnte selbstverständlich<br />
war. Der entscheidende Punkt ist, dass Zwischenmenschlichkeit,<br />
Freundlichkeit und ein bisschen<br />
Unterstützung Zeit, Energie und ein Minimum von<br />
Beziehungs-Kontinuität brauchen. Dafür ist in den<br />
Pflegeplänen jedoch immer weniger Zeit vorgesehen.<br />
Und trotzdem ist diese Zeit eine ökonomische<br />
Vor<strong>aus</strong>setzung für eine gute Pflege.“<br />
Die Verteilung von Pflegearbeit ist eine gesellschaftliche<br />
und politische Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung mit hoher Relevanz<br />
für viele Handlungsfel<strong>der</strong>. Deshalb bedarf es<br />
grundsätzlich einer ideellen und monetären Aufwertung<br />
<strong>der</strong> Care-Arbeit im öffentlichen und im<br />
privaten Bereich. Zudem gibt es einen großen Bedarf<br />
an Ergänzung von familiärer Betreuung sowie<br />
Entlastung <strong>der</strong> pflegenden Angehörigen.<br />
PFLEGE IST WEIBLICH<br />
Wie <strong>aus</strong> dem jüngsten Bericht des Statistischen<br />
Landesamtes hervorgeht, sind von den 237.000<br />
pflegebedürftigen Personen 72 Prozent Frauen.<br />
Davon werden zwei Drittel zu H<strong>aus</strong>e und ein Drittel<br />
in Pflegeheimen gepflegt. Über 80 Prozent <strong>der</strong><br />
Pflegekräfte sind weiblich und über 70 Prozent<br />
sind ehrenamtlich in diesem Bereich tätig.<br />
Grundsätzlich gilt meines Erachtens <strong>der</strong> Satz: „Wir<br />
tun gut, uns umeinan<strong>der</strong> zu kümmern“ – die Beiträge<br />
ehrenamtlichen Engagements sind ein Stück<br />
Lebensqualität für Bewohnerinnen und Bewohner<br />
von Pflegeheimen, gleichzeitig sollten aber auch<br />
Pflegende im privaten Umfeld in den Blick genommen<br />
und ihnen Chancen geschaffen werden. Gerade<br />
im ländlichen Raum sind es vielfach Frauen,<br />
die die Eltern- bzw. Schwiegerelterngeneration zu<br />
H<strong>aus</strong>e pflegen o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Pflegesituation erheblich<br />
unterstützen. Hier gilt es, durch Kurzzeitpflegemöglichkeiten<br />
und Veranstaltungsangebote<br />
Pflegende zu entlasten.<br />
Wie bei <strong>der</strong> Pflegetagung des Landesfamilienrates<br />
in Baden-Württemberg <strong>2009</strong> deutlich wurde und<br />
wie auch die Ergebnisse des BELA III-Netzwerkes<br />
zeigen, ergeben sich über örtliche Initiativen positive<br />
Verän<strong>der</strong>ungen. Doch wie die Referenten <strong>der</strong><br />
Tagung „Vom Mythos <strong>der</strong> Wahlfreiheit“ vor einem<br />
Jahr verdeutlichten und wie auch die Ökonomin<br />
Mascha Madörin postuliert, brauchen wir zukünftig<br />
verlässliche Rahmenbedingungen von Gesellschaft<br />
und Staat.<br />
Dies ist beson<strong>der</strong>s deshalb von entscheiden<strong>der</strong> Bedeutung,<br />
weil<br />
„die Anzahl <strong>der</strong> von Angehörigen Gepflegten<br />
(Pflegegeldempfänger) vergleichsweise schwächer<br />
zunimmt als die Zahl <strong>der</strong> ambulant und stationär<br />
Gepflegten. Dies erklärt sich dar<strong>aus</strong>, dass sich die<br />
Familienstrukturen weiter verän<strong>der</strong>n werden. Die<br />
Zahl <strong>der</strong> für die häusliche Pflege infrage kommenden<br />
Kin<strong>der</strong> (zumeist Töchter und Schwiegertöchter)<br />
nimmt <strong>aus</strong> den geburtenstarken Jahrgängen<br />
her<strong>aus</strong> zwar zu; aber eben weniger stark als die<br />
Zahl <strong>der</strong> Pflegebedürftigen. Hinzu kommt, dass<br />
auch die Frauenerwerbsarbeit ansteigt und die<br />
Anfor<strong>der</strong>ungen an den Erwerbstätigen, beruflich<br />
mobil zu sein, weiter wachsen.“<br />
Dies verän<strong>der</strong>t die Situation <strong>der</strong> zu Pflegenden.<br />
Darüber hin<strong>aus</strong> wirkt sich hinsichtlich des demografischen<br />
Wandels die Entwicklung <strong>der</strong> Erwerbspersonenzahl<br />
<strong>aus</strong>. Bis 2015 kann die Zahl <strong>der</strong> Er-<br />
werbspersonen ansteigen und ab 2025 unter das<br />
aktuelle Niveau sinken. Dar<strong>aus</strong> folgt ein mo<strong>der</strong>ater<br />
Anstieg <strong>der</strong> Erwerbsbeteiligung insbeson<strong>der</strong>e<br />
bei älteren Erwerbspersonen. Daher gilt es qualitative<br />
und quantitative Möglichkeiten in <strong>der</strong> Betreuung<br />
zum Wohle <strong>der</strong> Pflegebedürftigen weiter zu<br />
entwickeln.<br />
LITERATUR<br />
Brachat-Schwarz,Werner: „Der demografische<br />
Wandel. Auswirkungen auf die künftige<br />
Entwicklung <strong>der</strong> Erwerbspersonenzahl in Baden-<br />
Württemberg“ In: Statistisches Monatsheft<br />
Baden-Württemberg 12/<strong>2009</strong>, S. 9<br />
Burger, Franz/ Weber, Matthias: „Vor<strong>aus</strong>berechnung<br />
<strong>der</strong> Pflegebedürftigen und des Pflegepersonals<br />
in Baden-Württemberg“ In: Statistisches<br />
Monatsheft Baden-Württemberg 4/<strong>2009</strong>, S. 12<br />
Burger, Franz/ Weber, Matthias: „Deutlicher<br />
Zuwachs an Pflegebedürftigen und Pflegeeinrichtungen“<br />
In: Statistisches Monatsheft Baden-<br />
Württemberg 4/<strong>2009</strong>, S. 31<br />
Daumüller, Rosemarie: „Nur eine Frage <strong>der</strong><br />
Kin<strong>der</strong>betreuung? Vereinbarkeit von Beruf und<br />
Familie“ - Beitrag im Rahmen <strong>der</strong> Tagung<br />
„Vom Mythos <strong>der</strong> Wahlfreiheit“<br />
Fischli, Peter/ Weiss, David: Findet mich das<br />
Glück? Köln 2003<br />
Grün, Anselm: Das kleine Buch vom wahren<br />
Glück. Freiburg 2001<br />
Madörin, Mascha: „Pflege – eine Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung<br />
für die Gesundheitsökonomie“<br />
In: Managed Care 7/8 2005<br />
2.7. PFLEGESTANDARDS<br />
UND/ODER<br />
LEBENSWELTORIENTIERUNG:<br />
IMPULSE FÜR DIE AUSEINANDER-<br />
SETZUNG MIT BELA III<br />
Dr. Eberhard Goll<br />
Vorstand Altenhilfe Samariterstiftung, Nürtingen<br />
Ausformulierte Stichworte <strong>der</strong> Impulsreferate, gehalten<br />
auf <strong>der</strong> 2. Verbundkonferenz des BELA III -<br />
Qualitätsnetzwerks, Stuttgart, 27.11.<strong>2009</strong><br />
Die im BELA III-Projekt vernetzten Pflegeeinrichtungen<br />
sehen sich mit neuen Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ungen<br />
konfrontiert, die an die Einrichtungen gerichteten<br />
For<strong>der</strong>ungen spiegeln sich auch in <strong>der</strong> Netzwerkarbeit<br />
des Projektes wi<strong>der</strong>. Diese Neu<strong>aus</strong>richtung<br />
und die verstärkte Einbindung ehrenamtlich Engagierter<br />
haben für die Einrichtungen bestimmte<br />
Folgen, die ebenso positiv sein können wie auch<br />
gewisse Grenzen offenlegen, inwieweit die Bewohner<br />
als auch die Einrichtung und die Netzwerkarbeit<br />
von und mit BELA III betroffen sind.<br />
PFLEGEHEIME ZWISCHEN PFLEGE-<br />
STANDARDS UND LEBENSWELT-<br />
ORIENTIERUNG<br />
Für die stationäre Pflege wird seit einigen Jahren<br />
eine stärkere Lebensweltorientierung gefor<strong>der</strong>t.<br />
Auch mit dem BELA III-Projekt sind solche For<strong>der</strong>ungen<br />
verbunden. Pflegeheime haben jedoch als<br />
Institutionen ihre Eigengesetzlichkeiten, die z.T. als<br />
Grenzen einer stärkeren Lebensweltorientierung<br />
erlebt werden. Auch externe Anspruchs- und<br />
Interessengruppen sowie Institutionen richten Erwartungen<br />
an Pflegeheime, die mehr in die eine<br />
o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Richtung gehen. Im Folgenden werden<br />
wichtige Elemente einer Ausrichtung an Pflegestandards<br />
einerseits und Beispiele für eine Lebensweltorientierung<br />
in <strong>der</strong> Pflege an<strong>der</strong>erseits<br />
kurz skizziert.<br />
PFLEGESTANDARDS<br />
42 43
44<br />
Die Zielrichtung Standardisierung in <strong>der</strong> Pflege<br />
wird durch folgende Punkte unterstützt bzw. beför<strong>der</strong>t:<br />
1. Die Prüfungen des Medizinischen Dienstes<br />
des Krankenversicherung (MDK) führen vermehrt<br />
zu einer „Medizinisierung“ <strong>der</strong> Pflege, da sich 35<br />
Kriterien <strong>der</strong> Prüfung auf die Pflege beziehen,<br />
aber nur drei Kriterien auf das Wohnen.<br />
2. In stationären Einrichtungen gelten klare Leitlinien,<br />
etwa was Hygienestandards, Brandschutz<br />
o<strong>der</strong> Haftungsfragen anbelangt. So trägt z.B. <strong>der</strong><br />
Heimträger die volle Verantwortung für alles, was<br />
mit den Bewohnern im Heim geschieht. Die Heimaufsicht<br />
kontrolliert, ob Heime dieser Verantwortung<br />
auch nach kommen.<br />
3. Heimgesetze und entsprechende Richtlinien<br />
<strong>der</strong> Prüfbehörden zeigen die Tendenz auf, dass<br />
Bewohnerinnen und Bewohner bei Bedarf Anspruch<br />
auf eine umfassende Vollversorgung im<br />
Heim haben, z.B. bei <strong>der</strong> Begleitung zum Arzt<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Verwaltung des Taschengeldes. Heimträger<br />
und Einrichtungen selbst sorgen mit ihrem<br />
Qualitätsmanagement auch für eine Standardisierung<br />
<strong>der</strong> Arbeitsabläufe.<br />
4. Und schließlich ist eine solche Einrichtung immer<br />
auch ein Ort, in dem Fachkräfte auf möglichst<br />
hohem Niveau <strong>aus</strong>gebildet werden. Berufsverbände<br />
und Ausbildungsinstitution for<strong>der</strong>n klare Standards<br />
für die Ausbildung und für die spätere Tätigkeit<br />
<strong>der</strong> Mitarbeitenden in einem Pflegeheim.<br />
Lebensweltorientierung hingegen bedeutet,<br />
das Zusammenleben <strong>der</strong> Pflegebedürftigen viel<br />
eher als H<strong>aus</strong>gemeinschaft zu verstehen – mit Betonung<br />
auf <strong>der</strong> gemeinsamen Bewältigung des<br />
Alltags.<br />
Dar<strong>aus</strong> entstehen neue Berufsbil<strong>der</strong>, wie etwa Alltagsbegleiter<br />
und Betreuungsassistenten. Zudem<br />
findet in viel größerem Maße eine Öffnung <strong>der</strong><br />
Häuser statt – mo<strong>der</strong>ne Einrichtungen sind häufig<br />
verbunden mit einer Begegnungsstätte, sie bieten<br />
offenen Mittagstisch o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e öffentliche Aktivitäten<br />
an.<br />
Auf diese Weise kommt es zu einer stärkeren Vernetzung<br />
mit dem Gemeinwesen, beispielsweise<br />
durch die Einbeziehung von Ehrenamtlichen o<strong>der</strong><br />
bürgerschaftlich Engagierten <strong>aus</strong> Firmen, Gruppen<br />
und Kreisen (Corporate Social Responsibility).<br />
Auch die Angehörigen sind in aller Regel stärker<br />
eingebunden, was zu einer stärker „geteilten Verantwortung“<br />
aller Beteiligten führt.<br />
WAS BRINGT BÜRGERSCHAFT-<br />
LICHES ENGAGEMENT<br />
FÜR DIE BEWOHNER UND<br />
DIE EINRICHTUNG?<br />
Bürgerschaftliches Engagement in einer Pflegeeinrichtung<br />
bringt viele positive Effekte mit sich, birgt<br />
folgende Chancen und Möglichkeiten:<br />
Soziale Kontrolle und an<strong>der</strong>e Perspektive(n) für<br />
Bewohnerinnen und Bewohner, aber auch für Mitarbeitende<br />
und die Einrichtung<br />
Mehr „Zeit für Menschen“, insbeson<strong>der</strong>e für<br />
die Bewohner durch die Mitarbeit <strong>der</strong> Ehrenamtlichen<br />
und auch durch die Entlastung <strong>der</strong> Mitarbeitenden<br />
des Heimes<br />
Multiplikatoren und Fürsprecher zu finden<br />
(denn die Glaubwürdigkeit <strong>der</strong> Aussagen von freiwillig<br />
Engagierten und Angehörigen ist höher als<br />
die von Mitarbeitenden)<br />
Mitarbeiter zu finden (über Kontakte in die Familien<br />
bzw. über die Engagierten)<br />
stärkere Lebensweltorientierung (eine Verbindung<br />
schaffen von „Draußen nach Drinnen“ und<br />
umgekehrt, mehr Beteiligung am Gemeinwesen)
GRENZEN DES BÜRGERSCHAFT-<br />
LICHEN ENGAGEMENTS<br />
UND CHANCEN VON BELA III<br />
Doch es gibt auch Grenzen für bürgerschaftliches<br />
Engagement in einzelnen Einrichtungen bzw.<br />
Chancen für einen Verbund wie BELA III, so bspw.<br />
Grenzen in <strong>der</strong> Gewinnung von bürgerschaftlich<br />
Engagierten: das BELA III-Netzwerk gibt Anregungen,<br />
wie man Freiwillige gewinnen kann (Angehörige<br />
gibt es z.B. in jedem Heim)<br />
Grenzen in <strong>der</strong> Qualifizierung <strong>der</strong> Arbeit von<br />
bürgerschaftlich Engagierten und <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />
mit den Hauptamtlichen: BELA III bietet Fortbildungsreihen<br />
Grenzen in <strong>der</strong> Koordination des bürgerschaftlichen<br />
Engagements und im Aufbau eines Konzeptes:<br />
über BELA III könnte ggf. erreicht werden,<br />
dass <strong>der</strong>artige Aufwendungen pflegesatzrelevant<br />
werden<br />
Grenzen in <strong>der</strong> Verlässlichkeit/ Planbarkeit, in<br />
<strong>der</strong> Mitbestimmung und bei den Qualitätsmaßstäben<br />
<strong>der</strong> Arbeit bürgerschaftlich Engagierter: BELA<br />
III kann auch die Unterschiede zwischen Hauptund<br />
Ehrenamtlichen verdeutlichen<br />
Grenzen durch Konkurrenz und Wettbewerb:<br />
bei BELA III gemeinsam neue Chancen entdecken<br />
Grenzen in <strong>der</strong> Außendarstellung und <strong>der</strong> Beeinflussung<br />
des Images von stationären Pflegeeinrichtungen:<br />
eine starke Stimme in <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />
ist die Chance von BELA III mit möglichst hoher<br />
Beteiligung <strong>der</strong> Einrichtungen und glaubwürdigen<br />
Partnern wie Sozialministerium, Landesseniorenrat<br />
und kommunalen Spitzenverbänden.<br />
3<br />
EINE ERSTE BILANZ<br />
AUS DER BELA III-PRAXIS<br />
45
ALS MARKE<br />
STARK MACHEN<br />
46<br />
3. ERSTE BILANZ AUS DER<br />
BELA III-PRAXIS 3.1. BELA III ALS<br />
MARKE STARK MACHEN: IDEEN<br />
AUS DER PROJEKTEVALUATION<br />
Thomas Pfundstein, Mario Störkle<br />
Evangelische Hochschule Freiburg<br />
Der vorliegende Bericht stellt den Zwischenstand<br />
<strong>der</strong> Projektevaluation dar, soweit sie <strong>der</strong>zeit dargestellt<br />
werden kann. Bisher erhobene Daten umfassen:<br />
die Befragung sowohl <strong>der</strong> teilnehmenden als<br />
auch <strong>der</strong> nicht-teilnehmenden Einrichtungen (sogenannte<br />
Non-Response-Analyse), die Ergebnisse<br />
eines Ideenmeetings zur Weiterentwicklung des<br />
BELA III-Netzwerkes, sowie eine Evaluation <strong>der</strong><br />
bisherigen Fortbildungsveranstaltungen. Noch<br />
nicht in <strong>der</strong> Analyse berücksichtigt sind die geplanten<br />
Erhebungen wie die Zwischen- und Endbefragung<br />
<strong>der</strong> teilnehmenden Einrichtungen, die<br />
Fortsetzung <strong>der</strong> Evaluation <strong>der</strong> Fortbildungsveranstaltungen,<br />
sowie eine Analyse des BELA III-Netzwerkes<br />
und eine Befragung <strong>der</strong> kommunalen<br />
Netzwerkpartner.<br />
BEFRAGUNG DER TEILNEHMEN-<br />
DEN EINRICHTUNGEN<br />
Zunächst sollen hier die Ergebnisse <strong>der</strong> Befragung<br />
<strong>der</strong> teilnehmenden Einrichtungen dargestellt werden.<br />
Die Befragung fand telefonisch vom 01.10.<br />
bis 19.11.<strong>2008</strong> statt, 76 <strong>der</strong> damals 88 BELA III-<br />
Einrichtungen konnten befragt werden. Die Befragung<br />
konzentrierte sich hierbei auf die folgenden<br />
Schwerpunkte:<br />
Strukturdaten <strong>der</strong> Einrichtungen<br />
Informationswege von BELA III<br />
Aktivitäten <strong>der</strong> Engagierten<br />
Würdigung und Integration von Engagierten<br />
Zusammenarbeit mit externen Gruppen<br />
Erwartungshaltung gegenüber BELA III<br />
Die Erhebung <strong>der</strong> Strukturdaten ergab, dass 37%<br />
<strong>der</strong> Einrichtungen eine Größe von 50 - 100 Plätzen<br />
haben, gefolgt von 26% <strong>der</strong> Einrichtungen<br />
mit bis zu 50 Plätzen und 24% <strong>der</strong> Einrichtungen<br />
mit 100 bis 150 Plätzen. Einrichtungen mit mehr<br />
Plätzen sind weniger häufig vertreten: 9% haben<br />
150 bis 200 Plätze, und lediglich 4% haben mehr<br />
als 200 Plätze.<br />
Mehr als die Hälfte <strong>der</strong> Einrichtungen sind frei<br />
bzw. gemeinnützig (51%), von Stiftungen getragen<br />
sind 27%, kommunal finanziert 14% und<br />
privat lediglich 4%. Fast zwei Drittel <strong>der</strong> Einrichtungen<br />
(63%) liegen im Stadt-/ Ortskern, 36% in<br />
Wohngebieten in Randlage. Mit einem Prozent ist<br />
<strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Einrichtungen, die außerhalb bebauter<br />
Gebiete liegt, verschwindend gering.<br />
Das Netzwerk entwickelte sich in den Regionen<br />
von Baden-Württemberg sehr unterschiedlich. Eine<br />
deutliche Ballung bestand in den Kreisen Esslingen<br />
(17) und Stuttgart (11), gefolgt von Kreisen<br />
mit relativer Dichte wie Ravensburg (6), Ludwigsburg<br />
(5), Göppingen (5) und Mannheim (5). Die<br />
restlichen Mitgliedseinrichtungen (39) verteilten<br />
sich teils solitär über die an<strong>der</strong>en Kreise.<br />
Informationen über BELA III und das geplante<br />
Netzwerk erlangten die Einrichtungen überwiegend<br />
auf direktem Wege. Hinweise und Anregungen<br />
seitens des Projektbüros, von Gremien und<br />
Vorgesetzten zählten zu den wesentlichen Informationsquellen.<br />
Auch die vorherige Teilnahme an<br />
BELA I/ II motivierte entscheidend zur weiteren<br />
Teilnahme. Unterrepräsentiert zeigten sich hier die<br />
klassische öffentliche Repräsentanz und Aufmerksamkeit<br />
wie bspw. Anschreiben, Presseberichte<br />
und Internetauftritt. Die Idee von BELA III vermittelte<br />
sich wie auch schon in BELA I und II<br />
hauptsächlich über den persönlichen Kontakt und<br />
eine gemeinsame Haltung.<br />
Der Großteil <strong>der</strong> Freiwilligen in den BELA III-Einrichtungen<br />
ist in den Bereichen Beschäftigung<br />
(65%) und Ausflüge, Spaziergänge, Begleitung<br />
(59%) aktiv. Knapp die Hälfte (45%) übernimmt<br />
Besuchsdienste, dicht gefolgt vom Cafédienst,<br />
den 41% <strong>der</strong> Engagierten übernehmen. Jeweils<br />
knapp ein Drittel ist in den Bereichen Pflege, Veranstaltungsorganisation<br />
und Gottesdienstbegleitung<br />
tätig. 13% sehen einen Schwerpunkt <strong>der</strong><br />
Unterstützung in <strong>der</strong> Hospizarbeit. Dass das Engagement<br />
nicht nur in <strong>der</strong> Unterstützung und Begleitung<br />
<strong>der</strong> Bewohnerinnen und Bewohner liegen<br />
kann, zeigt sich in <strong>der</strong> Tatsache, dass immerhin<br />
13% <strong>der</strong> Freiwilligen ihr Engagement im Bereich<br />
<strong>der</strong> Verwaltung einbringen und damit einen Beitrag<br />
zur Organisation des Pflegeheimes leisten.<br />
Dies spiegelt sich auch in den Ergebnissen zur<br />
Würdigung und Integration <strong>der</strong> Engagierten wi<strong>der</strong>:<br />
Würdigung erfolgt vor allem durch Feste, Ausflüge<br />
und Geschenke, die Integration in Organisationsabläufe<br />
wird meist durch Fortbildung (teilweise<br />
mit Hauptamtlichen) und Teamsitzungen gesichert.<br />
Voll integriert in die Ablauf- und Entscheidungsprozesse<br />
<strong>der</strong> Einrichtungen sind aber nur<br />
wenige Engagierte. Die Teilnahme an Dienstbesprechungen<br />
o<strong>der</strong> die Einbindung in Entschei-<br />
dungsprozesse und Pflegeplanung wurde nur sehr<br />
selten realisiert.<br />
Neben diesem persönlichen Engagement werden<br />
alle BELA III-Einrichtungen auch durch gesellschaftliche<br />
Gruppen unterstützt. An vor<strong>der</strong>ster<br />
Stelle <strong>der</strong> externen Gruppen und Organisationen,<br />
die die Einrichtungen unterstützen, sind Kirchengemeinden<br />
(81%) und Schulen/ Kin<strong>der</strong>gärten<br />
(80%), gefolgt von freien Initiativen und Vereinen<br />
(67%). In je<strong>der</strong> vierten BELA III-Einrichtung engagieren<br />
sich Hospiz-Gruppen (26%). In <strong>der</strong> Form<br />
<strong>der</strong> Unterstützung zeigt sich auch hier: an erster<br />
Stelle stehen soziale Zusammenkünfte wie Veranstaltungen<br />
und Feste (75%), gefolgt von Besuchen<br />
(55%), Beschäftigung (51%) und Gottesdienstgestaltung<br />
(43%)..<br />
Beson<strong>der</strong>s interessant für die Zwischenevaluation<br />
war die Frage, welche Erwartungen die Einrichtungen<br />
an BELA III haben. Die Ergebnisse zeigen<br />
folgende Wünsche:<br />
47
Aust<strong>aus</strong>ch, Anregung, Inspiration (68%)<br />
Akquise von neuen Engagierten (30%)<br />
BELA III soll eine „Marke“ werden (25%)<br />
Weiterbildung <strong>der</strong> Mitarbeiter und<br />
Engagierten (25%)<br />
Netzwerkaufbau (24%)<br />
Bessere Zusammenarbeit<br />
von Hauptamtlichen und Engagierten (7%)<br />
BEFRAGUNG DER NICHT-TEILNEH-<br />
MENDEN EINRICHTUNGEN<br />
Bessere Informationen zur Bekanntheit und <strong>der</strong><br />
Motivation zum Beitritt ins BELA III-Netzwerk sollte<br />
mit einer repräsentativen Befragung <strong>der</strong> nichtteilnehmenden<br />
Einrichtungen (Non-Response-<br />
Analyse) erreicht werden. Hierzu wurden in einem<br />
Zufallsverfahren 10% <strong>der</strong> nicht-teilnehmenden<br />
Einrichtungen <strong>aus</strong>gewählt und telefonisch befragt.<br />
Insgesamt nahmen 102 Einrichtungen an dieser<br />
Befragung teil.<br />
Das leitfadengestützte Interview glie<strong>der</strong>te sich in<br />
vier Themenbereiche.<br />
Bekanntheit von BELA III<br />
Informationswege von BELA III<br />
Gründe für die Nichtteilnahme an BELA III<br />
Strukturdaten <strong>der</strong> Einrichtungen<br />
Jede zweite Einrichtung gab an über BELA III informiert<br />
zu sein. Häufige Informationswege, ähnlich<br />
wie die Ergebnisse <strong>der</strong> Befragung <strong>der</strong> teilnehmenden<br />
Einrichtungen, waren hier die Hinweise des<br />
Projektbüros, <strong>der</strong> Gremien und/o<strong>der</strong> <strong>der</strong> eigenen<br />
Träger. Auch hier zeigte sich, dass die die klassischen<br />
Mittel <strong>der</strong> nicht zielgerichteten Öffentlichkeitsarbeit<br />
wie Presseberichte und Internetpräsenz<br />
wenig bis gar nicht zum Bekanntheitsgrad<br />
von BELA III beitragen.<br />
Auf die Frage, welche Gründe gegen eine Teilnahme<br />
an BELA III für die jeweiligen Einrichtungen<br />
zum Tragen kamen, antworteten die meisten mit<br />
dem zusätzlichen Verwaltungs- und Personalaufwand<br />
(25% bzw. 19%). Zudem schien einigen <strong>der</strong><br />
Nutzen nicht klar ersichtlich (13%), bzw. das Projekt<br />
nicht <strong>aus</strong>gereift genug (12%). Weitere Gründe<br />
<strong>der</strong> Nichtteilnahme lagen in <strong>der</strong> bereits guten<br />
Einbindung in an<strong>der</strong>e Netzwerke (10%), sowie<br />
<strong>der</strong> bereits vorhandenen und als gut interpretierten<br />
Einbindung <strong>der</strong> Engagierten in den Einrichtungen<br />
(8%).<br />
IDEENMEETING<br />
Am 28.11.<strong>2008</strong> wurde von Seiten des Evaluationsträgers<br />
ein Ideenmeeting zur Weiterentwikklung<br />
des BELA III-Netzwerks in Karlsruhe angeboten.<br />
Eingeladen waren alle Interessierten, die über<br />
Aufbau und Fortbestand des Netzwerks nach Projektende<br />
diskutieren wollten, insbeson<strong>der</strong>e die bekannten<br />
Akteure des Netzwerkes <strong>aus</strong> den Bereichen<br />
<strong>der</strong> kommunalen Partner, <strong>der</strong> Mitgliedseinrichtungen<br />
und <strong>der</strong> Einrichtungsträger. Der zur<br />
Verfügung stehende Nachmittag stand unter drei<br />
Fragestellungen:<br />
Warum ist BELA wichtig –<br />
Motivationslagen an BELA III?<br />
BELA III nach sechs Monaten –<br />
eine erste Bilanz?<br />
Anregungen: Wie geht es weiter?<br />
Die Motivation zur Teilnahme an BELA III kann<br />
grob in sechs Fel<strong>der</strong> eingeordnet werden. Zum einen<br />
war in <strong>der</strong> Diskussion <strong>der</strong> Teilnehmenden ersichtlich,<br />
dass die BELA III-Strukturen als notwendig<br />
angesehen werden, um auf den demografischen<br />
Wandel zu reagieren. Des weiteren können<br />
die BELA III-Strukturen laut Meinung <strong>der</strong> Anwesenden<br />
zur Öffnung des Ehrenamtes, weg von<br />
den verkrusteten Strukturen des klassischen Ehrenamtes,<br />
beitragen. Eine Teilnahme an BELA III<br />
sollte zudem hilfreich sein, die Akquise von Engagierten<br />
zu verbessern und neue Wege in <strong>der</strong> gemeinsamen<br />
Weiterbildung von Professionellen<br />
und Engagierten zu beschreiten.<br />
Die im Rahmen des Ideenmeetings aufgezeigte erste<br />
Bilanz nach sechs Monaten Projektlaufzeit von<br />
BELA III zählte mehrere positive Aspekte auf, darunter<br />
die guten Rückmeldungen von den Treffen <strong>der</strong><br />
Regionalpartner (Esslingen, Kirchheim), aber auch<br />
die Anregungen und entscheidenden Anstöße für<br />
die Kooperation mit Schulen und zu Tandemwochen<br />
(beides <strong>aus</strong> Karlsruhe). Des weiteren regte BE-<br />
LA IIII einen eher „passiven“ Freundeskreis einer<br />
Einrichtung wie<strong>der</strong> zur Diskussion an (Karlsruhe).<br />
Als negativer Aspekt wurde her<strong>aus</strong>gestellt, dass es<br />
noch keine gute Außenwahrnehmung von BELA III<br />
gibt. Diese Bilanz floss auch in den dritten Teil <strong>der</strong><br />
Zukunftswerkstatt ein, den Anregungen für die<br />
weitere Arbeit. Diese Anregungen können wie<br />
folgt zusammengefasst werden:<br />
BELA III muss als eine Marke präsent sein,<br />
zu <strong>der</strong> Einrichtungen dazugehören wollen<br />
BELA III als „Wertegemeinschaft“ muss<br />
stärker in den Einrichtungen erkennbar sein<br />
Vorschlag eines Bonus- o<strong>der</strong> Punktesystems,<br />
um Engagierte zu würdigen<br />
Ausbau <strong>der</strong> Zusammenarbeit mit Kommunen,<br />
um eine bessere Außenwirkung<br />
für Engagierte zu bekommen<br />
Politische Anerkennung und Würdigung<br />
des Netzwerks durch kommunale Vertretung,<br />
nicht nur durch symbolische Beiträge<br />
<strong>der</strong> Kommune<br />
Zukünftige Finanzierung über eine Stiftung<br />
o<strong>der</strong> Fundraising<br />
BELA III in Zukunft als Stiftungsidee unter<br />
Beteiligung von Trägern, Kommunen<br />
und eventuell Kassen<br />
EVALUATION<br />
DER FORTBILDUNGS-<br />
VERANSTALTUNGEN<br />
Die Fortbildungsveranstaltungen wurden schriftlich<br />
mit Hilfe von Fragebögen für alle Teilnehmenden<br />
<strong>der</strong> Fortbildungen von November bis Dezember<br />
<strong>2008</strong> auf den jeweiligen Veranstaltungen evaluiert,<br />
insgesamt 10 <strong>der</strong> 14 Fortbildungen flossen<br />
in die Analyse ein, mit insgesamt 139 Bögen.<br />
Schwerpunkte <strong>der</strong> Befragung bildeten zum einen<br />
die Bewertung <strong>der</strong> Veranstaltung, und zum an<strong>der</strong>en<br />
die Strukturdaten <strong>der</strong> Teilnehmenden.<br />
Insgesamt kann eine positive Resonanz auf den<br />
strukturellen, inhaltlichen und organisatorischen<br />
Ablauf <strong>der</strong> einzelnen Veranstaltungen festgestellt<br />
werden.<br />
Aus den erhobenen Strukturdaten <strong>der</strong> Teilnehmenden<br />
ist erkennbar, dass 62% professionelle<br />
Fachkräfte waren, 31% freiwillig Engagierte und<br />
7% Sonstige.<br />
48 49
PROJEKTBÖRSE BELA III<br />
3.2. „NICHT JEDER MUSS DAS<br />
RAD NEU ERFINDEN!“ –<br />
DIE BELA III-PROJEKTBÖRSE<br />
ALS WISSENSPOOL<br />
UND AUSTAUSCHPLATTFORM<br />
Judith Blume<br />
Kulturwissenschaftlerin<br />
Gekürzte bzw. leicht überarbeitete Auszüge <strong>aus</strong><br />
dem Abschlussbericht zur Projektbörse<br />
ÜBER DIE PROJEKTBÖRSE<br />
Die Projektbörse, ein wichtiger Bestandteil des<br />
Projektantrages von BELA III, wurde über mehrere<br />
Monate aufgebaut und dann veröffentlicht bzw.<br />
auf die Homepage von BELA III gestellt und nutzbar<br />
gemacht. Die Projektbörse soll die Projekte<br />
und Erfahrungen, die die einzelnen Institutionen<br />
in <strong>der</strong> Arbeit mit Ehrenamtlichen gesammelt haben,<br />
festhalten und damit zum einen den direkten<br />
und flexiblen Aust<strong>aus</strong>ch zwischen den Einrichtungen<br />
för<strong>der</strong>n und zum an<strong>der</strong>en die Vielfältigkeit<br />
des Netzwerks auch nach außen präsentieren.<br />
VORGEHENSWEISE<br />
Zunächst wurde mithilfe vorhandener Materialien<br />
<strong>der</strong> aktuelle Status <strong>der</strong> thematischen und strukturellen<br />
Grundzüge des BELA III-Netzwerkes zusammengetragen,<br />
eine inhaltliche Konzeption <strong>der</strong><br />
Projektbörse sowie ein Interviewleitfaden erstellt.<br />
Alle Mitglie<strong>der</strong> des Netzwerkes wurden über das<br />
Projekt informiert und gleichzeitig Überblicksdaten<br />
über die BELA III-Projektaktivitäten erhoben.<br />
Dazu wurden zum einen strukturelle Daten sowie<br />
allgemeine Informationen über die jeweiligen Einrichtungen<br />
gesammelt. Im Anschluss daran wurden<br />
Telefoninterviews mit den jeweiligen Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeitern geführt, um detaillierte<br />
Informationen über jeweilige Projekte und<br />
Arbeitsbereiche zu erfahren sowie Erwartungen<br />
und Wünsche an BELA III abzufragen. Mithilfe all<br />
dieser Informationen wurde ein kurzes Portfolio<br />
bzw. ein Profil je<strong>der</strong> Einrichtung zusammengestellt.<br />
Dieses Profil wurde dann zur Autorisierung<br />
an die jeweilige Einrichtung gesendet, anhand <strong>der</strong><br />
Kommentare und Korrekturen überarbeitet und<br />
anschließend in Übereinstimmung mit <strong>der</strong> Konzeption<br />
<strong>der</strong> Projektbörse verschlagwortet.<br />
Parallel dazu und in regelmäßigen Abständen fanden<br />
Koordinationsgespräche sowie ein Aust<strong>aus</strong>ch<br />
über die inhaltliche und strukturelle Weiterentwikklung<br />
<strong>der</strong> Projektbörse statt.<br />
SYSTEMATISIERUNG<br />
Die befragten Einrichtungen lassen sich grob in<br />
vier Gruppen einteilen. Als Kriterien wurden hierbei<br />
zum einen <strong>der</strong> Stand bzw. Grad <strong>der</strong> Einbindung<br />
von Ehrenamtlichen, die Zusammenarbeit<br />
von Haupt- und Ehrenamtlichen sowie die Existenz<br />
von Konzepten und Standards im Bereich<br />
<strong>der</strong> ehrenamtlichen Arbeit herangezogen. Die Einteilung<br />
erfolgte nicht anhand empirischer Daten,<br />
son<strong>der</strong>n wurde auf Grundlage des Eindruckes bei<br />
den Gesprächen erstellt, ohne die Überschneidungen<br />
bzw. Zwischenpositionen zu berücksichtigen.<br />
Die Einteilung hat also keinen statistischen Anspruch,<br />
son<strong>der</strong>n soll lediglich einen groben Überblick<br />
ermöglichen.<br />
Gruppe A: Ehrenamtliche Arbeit befindet sich<br />
noch im Aufbau, d.h. es gibt bislang keine o<strong>der</strong><br />
nur vereinzelt wenige Ehrenamtliche (13 Einrichtungen).<br />
Gruppe B: Ehrenamtliche Arbeit befindet sich<br />
noch im Aufbau, aber es wurde ein deutliches<br />
Interesse an BELA III und an einem strukturierten<br />
Aufbau formuliert (13 Einrichtungen).<br />
Gruppe C: Es gibt bereits mehrere/ zahlreiche Aktivitäten,<br />
die Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen<br />
wird thematisiert und bearbeitet<br />
und man setzt sich generell mit BELA III Themen<br />
<strong>aus</strong>einan<strong>der</strong> (34 Einrichtungen).<br />
Gruppe D: Es gibt nicht nur zahlreiche Aktivitäten,<br />
son<strong>der</strong>n die Ehrenamtlichen sind auch stark in<br />
die generelle Arbeit eingebunden. Es existiert ein<br />
Konzept und ein großes Interesse an den Themen<br />
von BELA III; BELA III ist dann meist nicht nur ein<br />
Aust<strong>aus</strong>chforum, son<strong>der</strong>n hat auch eine politische<br />
Dimension (16 Einrichtungen).<br />
KOMMUNIKATION<br />
UND FEEDBACK<br />
Insgesamt verlief die Kontaktaufnahme und die<br />
Kommunikation gut, viele <strong>der</strong> Teilnehmenden<br />
zeigten sich offen für eine Zusammenarbeit.<br />
Schwierigkeiten resultierten zumeist eher <strong>aus</strong><br />
strukturellen Hürden wie variierenden Arbeitsund<br />
Bürozeiten und damit verbundenen Problemen<br />
in <strong>der</strong> Terminfindung. Auch <strong>der</strong> Kontakt via<br />
Email ist nicht in allen Einrichtungen zuverlässig,<br />
zum Teil wird dieses Kommunikationsmedium zu<br />
selten genutzt, als dass es für einen verlässlichen<br />
Informations<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch in Frage kommen kann.<br />
Dies sollte auch bei <strong>der</strong> Informationsweiterleitung<br />
von Seiten <strong>der</strong> Projektzentrale berücksichtigt werden,<br />
da bisher Internetkommunikation und Email-<br />
Rundbriefe als eines <strong>der</strong> zentralen Bestandteile<br />
des BELA III-Netzwerkes genutzt werden.<br />
Eine weitere Schwierigkeit in manchen Interviews<br />
war die Unsicherheit einiger Gesprächspartner in<br />
<strong>der</strong> Benutzung und dem Verstehen von „BELA III-<br />
Projektvokabular" und <strong>der</strong> fehlenden Erfahrung<br />
bzw. Anbindung mit/ an BELA III. Somit war es z.T.<br />
schwierig für die Gesprächspartner, die Schlagworte<br />
in <strong>der</strong> Arbeit von BELA III in Bezug auf die Stärken<br />
<strong>der</strong> eigenen Einrichtung zu benennen bzw. ein<br />
Bewusstsein für die eigene Arbeit zu erarbeiten.<br />
Das Feedback zur Befragung, zur geplanten Projektbörse<br />
und zur Arbeit von BELA III insgesamt<br />
war generell positiv. Dazu mehr im nun folgenden<br />
Abschnitt.<br />
EVALUATION DES NETZWERKES<br />
Neben <strong>der</strong> Erstellung <strong>der</strong> Profile für die Projektbörse<br />
dienten die Interviews auch zur Evaluation <strong>der</strong><br />
bisherigen Netzwerkarbeit. Die bisherigen Erfahrungen<br />
sowie Vorteile von BELA III wurden festgehalten,<br />
jedoch auch Probleme und Schwierigkeiten<br />
nachgefragt. Daneben konnten auch Wünsche und<br />
Erwartungen an das BELA III-Netzwerk geäußert<br />
werden.<br />
Laut Befragung zeigten sich in Bezug auf die Vorteile<br />
und positiven Erfahrungen als Teil des BELA III-<br />
Netzwerkes die folgenden übergreifenden Themen:<br />
1. BELA III ALS AUSTAUSCH<br />
Der offene Wissens- und Informations<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch<br />
innerhalb des BELA III-Netzwerkes wurde stets als<br />
größter Vorteil genannt. Beson<strong>der</strong>s hervorgehoben<br />
wurde dabei die erlebte trägerübergreifende<br />
Zusammenarbeit und fehlende Konkurrenzsituation.<br />
Zudem schätzen alle Befragten die Möglichkeit,<br />
BELA III als Raum für neue Ideen nutzen bzw.<br />
auf die Erfahrungswerte an<strong>der</strong>er Einrichtungen<br />
zurückgreifen zu können.<br />
2. BELA III ALS WISSENSPOOL<br />
Die professionelle Arbeit aller haupt- und ehrenamtlichen<br />
Mitglie<strong>der</strong> des Netzwerkes stellt für die<br />
Befragten einen beson<strong>der</strong>en Vorteil dar; <strong>der</strong> Aust<strong>aus</strong>ch<br />
ermögliche so einen professionellen Input<br />
und konkrete Impulse auf stets aktuellem Stand.<br />
Auch die Fortbildungen werden - als Möglichkeit<br />
aktuelles Wissen zu erwerben - sehr hochwertig<br />
eingeschätzt.<br />
3. BELA III ALS RAUM<br />
FÜR REFLEXION<br />
Die Möglichkeit, innerhalb des BELA III-Netzwerkes<br />
verschiedenste Themen - bspw. Ehrenamt, Altenpflege,<br />
Lebensqualität, Gemeinschaft, Verantwortung<br />
- auf professioneller und struktureller<br />
Ebene zu diskutieren, wird ebenfalls von vielen als<br />
50 51
REFLEXION<br />
WAS KANN UND IST BELA?<br />
AUSTAUSCH<br />
WISSEN<br />
GEMEINSCHAFT<br />
ÖFFENTLICHKEITSARBEIT<br />
GESELLSCHAFT<br />
ein großer Vorteil angesehen. Abseits von <strong>der</strong> alltäglichen<br />
Arbeit könnten diese Themen im Kontext<br />
gesellschaftlicher Verän<strong>der</strong>ungen und Strukturen<br />
beleuchtet werden, die kollektive Reflexion<br />
ermögliche eine Positionierung und Distanz, die<br />
einer einzelnen Einrichtung nur schwierig möglich<br />
sei. Zusätzlich zur Möglichkeit, in diesem Raum<br />
neue Kontakte zu knüpfen und neue Thematiken<br />
zu besprechen, bestärke diese diskursive Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
das Gemeinschaftsgefühl und somit<br />
auch die Motivation zur Zusammenarbeit <strong>der</strong> einzelnen<br />
Personen und Organisationen.<br />
4. BELA III ALS<br />
ÖFFENTLICHKEITSARBEIT<br />
Vielen Befragten lag am Herzen, dass BELA III auch<br />
als gemeinsame Stimme nach „außen", in die Öffentlichkeit<br />
und Gesellschaft hineinwirke und so<br />
das Ansehen <strong>der</strong> Altenarbeit verbessere. An<strong>der</strong>e<br />
sahen (zusätzlich) in dem Netzwerk die Möglichkeit<br />
und Aufgabe <strong>der</strong> eher politischen Positionierung<br />
sowie die damit verbundene Verantwortung,<br />
Themen wie Altenpflege stärker in <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />
und Politik präsent zu machen und auch die<br />
Wertigkeit des ehrenamtlichen Engagements zu<br />
stärken.<br />
Die abgefragten Probleme und Schwierigkeiten<br />
lassen sich ebenfalls in verschiedene Kategorien<br />
zusammenfassen:<br />
1. AUFTEILUNG IN REGIONEN<br />
Immer wie<strong>der</strong> wurde deutlich, dass ein klares Ungleichgewicht<br />
in <strong>der</strong> Aktivität und Einbindung <strong>der</strong><br />
unterschiedlichen Regionen existiert. Da es mithin<br />
deutliche strukturelle Unterschiede zwischen den<br />
einzelnen Regionen gibt, besteht dabei auch die<br />
Gefahr, die Mitglie<strong>der</strong> in den weniger eingebundenen<br />
Einrichtungen wie<strong>der</strong> zu verlieren – gerade<br />
weil die Regionaltreffen häufig als Motivationsschübe<br />
funktionieren.<br />
2. GRÖSSE DES NETZWERKES<br />
Die generelle Größe und die <strong>aus</strong> ihr resultierende<br />
Vielfalt des gesamten Netzwerks wurde neben<br />
den dar<strong>aus</strong> resultierenden Vorteilen auch als Problem<br />
formuliert. Hier treffen einzelne Institutionen<br />
mit unterschiedlichen Arbeitsansätzen und einem<br />
sehr unterschiedlichen Grad <strong>der</strong> Beteiligung von<br />
Ehrenamtlichen aufeinan<strong>der</strong>, die zudem verschiedene<br />
Interessen im Netzwerk vertreten – <strong>der</strong><br />
Wunsch nach konkreten Impulsen und praktischer<br />
Hilfe trifft auf den Anspruch einer politischen Dimension<br />
<strong>der</strong> Netzwerkarbeit. Diese Diversität hat<br />
zum einen viel Potential, stellt aber auch eine <strong>der</strong><br />
zentralen Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ungen für eine reibungslose<br />
und für alle befriedigende Zusammenarbeit dar,<br />
die we<strong>der</strong> elitär sein sollte noch an thematischer<br />
Schärfe verlieren darf.<br />
3. DOPPELSTRUKTUREN<br />
Im Raum Stuttgart gibt es bereits eine Gemeinschaftsinitiative,<br />
die die unterschiedlichen Einrichtungen<br />
im Bereich <strong>der</strong> Altenpflege trägerübergreifend<br />
vernetzt. Zwar wurde diese Zusammenarbeit<br />
positiv erwähnt, gleichzeitig aber auch problematisiert,<br />
dass sich damit eine doppelte Vernetzung<br />
für den Raum Stuttgart ergibt, die wenig produktiv<br />
zu sein scheint.<br />
Zum Abschluss sollen hier noch einige <strong>der</strong> geäußerten<br />
Vorschläge für die weitere Arbeit und Ausrichtung<br />
des BELAIII-Netzwerkes sowie Themenwünsche<br />
für zukünftige Fortbildungen erwähnt werden:<br />
Einrichtung eines Ehrenamtlichen-Notdienstes<br />
(für Begleitungen ins Krankenh<strong>aus</strong> etc.)<br />
Organisation von Tandems zwischen Ehrenamtlichen:<br />
Zusammenarbeit zwischen alten und<br />
jungen bzw. erfahrenen und neuen Ehrenamtlichen<br />
organisieren<br />
Schulungen für Hauptamtliche, die mit Ehrenamtlichen<br />
zusammen arbeiten bzw. die Ehrenamtlichen<br />
koordinieren<br />
52 53
Themenwünsche für Fortbildungen:<br />
Aufbau von Ehrenamt, Gewinnung<br />
bzw. Einbindung von Ehrenamtlichen,<br />
Zielgruppenansprache<br />
Betreuung von Ehrenamtlichen<br />
Strukturierte Zusammenarbeit<br />
Biographische Arbeit<br />
Demenz<br />
Alltagsbegleiter<br />
Öffentlichkeitsarbeit/<br />
Formulierung <strong>der</strong> eigenen Position<br />
Besuchsdienst<br />
Abschließend lässt sich sagen, dass die teilnehmenden<br />
Einrichtungen zumeist bereitwillig am<br />
Aufbau <strong>der</strong> Projektbörse partizipiert haben und<br />
generell <strong>der</strong> Arbeit im BELA III-Netzwerk aufgeschlossen<br />
und erwartungsvoll gegenüberstehen.<br />
54 55
EINSTELLUNG<br />
PRAXIS<br />
3.3. „WIR SAGEN JETZT NICHT<br />
MEHR: DU HAST JA ALZHEIMER!“<br />
- BELA BEWEGT: DREI BEISPIELE<br />
AUS DER PRAXIS<br />
Auszug <strong>aus</strong> dem Sachbericht <strong>der</strong> Projektkoordination<br />
<strong>2009</strong><br />
1998 IM RAHMEN<br />
DES BETA-PROJEKTS:<br />
Eine solitäre Tagespflegeeinrichtung des DPWV<br />
eröffnet in einem Wohnquartier, das durch den<br />
Abzug amerikanischer Soldaten eine starke Umstrukturierung<br />
erfahren hat. Stadtteilorientierte<br />
Community Development-Prozesse wurden von<br />
<strong>der</strong> Kommune bereits eingeleitet. Es gibt eine<br />
Stadtteilkonferenz, in <strong>der</strong> auch die Tagespflegeeinrichtung<br />
beteiligt ist. Freiwillige werden in <strong>der</strong><br />
Tagespflege über Biografiearbeit interessiert. Es<br />
entstehen Erzählwerkstätten. Auch eine Schulklasse<br />
beteiligt sich über Netzwerkkontakte <strong>der</strong><br />
Projektmitarbeiterin ein halbes Jahr regelmäßig<br />
an diesen Stunden. Fazit: „Wir sagen jetzt nicht<br />
mehr, du hast ja Alzheimer“.<br />
2004 IM RAHMEN DES BELA II-<br />
PRAXISVERBUNDES:<br />
In Rottenburg wird eine neue Einrichtung eröffnet<br />
– in einem Stadtteil, <strong>der</strong> vorwiegend Wohnbezirk<br />
ist. Von <strong>der</strong> Mitwirkung im Praxisverbund erhofft<br />
sich <strong>der</strong> Träger eine systematische Einbindung und<br />
Unterstützung. Die kommunale Fachstelle für Bürgerengagement<br />
richtet eine Stadtteilgruppe ein, in<br />
<strong>der</strong> die meisten öffentlichen Einrichtungen und<br />
Vereinigungen mitwirken. In unmittelbarer Nähe<br />
befindet sich auch die Hochschule für Forstwirtschaft.<br />
Zum Thema Lebensqualität entsteht das<br />
Projekt „Barfußpfad im Pflegeheim“ als studentischer<br />
Beitrag zur Wald- und Umweltpädagogik.<br />
Der nahegelegene Kin<strong>der</strong>garten kommt zum gemeinsamen<br />
Barfußpfadlaufen. Dar<strong>aus</strong> entwickelt<br />
sich eine fortlaufende Erlebnispfad-Kooperation<br />
zwischen Hochschule, Heim, Heimbewohnern und<br />
Kin<strong>der</strong>garten. Gruppen von Heimbewohnern besuchen<br />
den Kin<strong>der</strong>garten und die Hochschule.<br />
<strong>2009</strong> IM RAHMEN DES BELA III-<br />
NETZWERKS:<br />
In Karlsruhe - Stutensee ermöglicht <strong>der</strong> Hinweis<br />
auf das BELA III-Landesnetzwerk einer BELA III-<br />
Einrichtung zum ersten Mal eine systematische<br />
Schulkooperation zur Beteiligung von Schülergruppen<br />
über mehrere Monate aufzubauen. Der<br />
Einsatz findet statt im Rahmen <strong>der</strong> neuen Stundentafel<br />
„Sozialengagement“. Im Netzwerk<br />
gründet sich ein Forum „Kooperation mit Schulen“<br />
als thematische Arbeitsgruppe, an <strong>der</strong> Einrichtungen<br />
<strong>aus</strong> an<strong>der</strong>en Regionen sowie Lehrer<br />
mitwirken. Es entsteht die Idee, Freiwillige im<br />
Rahmen von BELA III zu gewinnen und als Begleiter<br />
für Schülergruppen in Pflegeheimen <strong>aus</strong>zubilden.<br />
BELA BEWEGT: 3 BEISPIELE<br />
56 57
DIE PROJEKTREGIONEN<br />
3.4. ERFOLGE UND<br />
SCHWIERIGKEITEN –<br />
DIE BELA III-PROJEKTREGIONEN<br />
Die vorliegenden Informationen sind dem Sachbericht<br />
<strong>2009</strong> <strong>der</strong> fachlichen Koordination entnommen<br />
und stellen den <strong>der</strong>zeitigen Stand und die aktuelle<br />
Situation <strong>der</strong> Arbeit in den BELA III-Projektregionen<br />
dar. Der BELA III-Qualitätsverbund ist im<br />
Jahr <strong>2009</strong> mit 5 Meilensteinen angetreten, unter<br />
Meilenstein 4 wurde festgelegt, das Netzwerk<br />
weiter <strong>aus</strong>zubauen und die Netzwerkarbeit zu intensivieren.<br />
Ende <strong>2009</strong> verzeichnete das BELA III-Netzwerk 96<br />
Mitglie<strong>der</strong> mit 7467 Plätzen. 11 Einrichtungen sind<br />
<strong>2009</strong> neu beigetreten.<br />
Auftakt- und Impulsveranstaltungen trugen zu<br />
mehr Öffentlichkeit bei und aktivierten breitere<br />
Kreise, führten jedoch nur begrenzt zu Neueintritten.<br />
Präsentationen im Bodenseekreis, im Zollernalbkreis,<br />
im Albdonaukreis, in Südbaden und in<br />
Nordwürttemberg <strong>2009</strong> verweisen auf deutliche<br />
Grenzen weiterer Beteiligung durch externe Informations-<br />
und Kontaktveranstaltungen, wie sie bisher<br />
durchgeführt wurden.<br />
Persönliche Vermittlung und fachliche Zusammenhänge<br />
(vgl. Evaluationsergebnisse, Kapitel 3.1.)<br />
führten erfolgreicher zur Mitglie<strong>der</strong>gewinnung<br />
und die enge Kooperation mit Landkreispartnern<br />
erscheint beson<strong>der</strong>s tragfähig.<br />
Neue Mitglie<strong>der</strong> finden sich vor allem in aktiven<br />
Regionen. Neun Einrichtungen sind <strong>aus</strong> verschiedenen,<br />
zumeist strukturellen Gründen, <strong>aus</strong>geschieden.<br />
Einige Einrichtungen setzten zudem an<strong>der</strong>e<br />
Prioritäten und die Erweiterung wird u.a. gebremst<br />
durch unklare Zukunftsperspektiven von<br />
BELA III. Eine landesweite Ausweitung erfor<strong>der</strong>t<br />
deshalb einen Strategiewechsel.<br />
Neue Mitglie<strong>der</strong> entstehen <strong>aus</strong> Netzwerkprozessen<br />
her<strong>aus</strong>. Die Kooperationsformen sollten hierbei<br />
den Regionen angepasst werden. Bisher ist die<br />
Ausweitung in neue Regionen noch nicht gelungen,<br />
es bestehen weiterhin folgende 12 regionale<br />
Knoten:<br />
1. Esslingen<br />
2. Stuttgart<br />
3. Oberndorf/ Tübingen/ Tuttlingen/<br />
Rottweil/ Reutlingen<br />
4. Ravensburg/ Bodenseekreis<br />
5. Böblingen<br />
6. Ludwigsburg<br />
7. Bad Saulgau/ Alb-Donaukreis<br />
8. Karlsruhe<br />
9. Freiburg/ Breisgau Hochschwarzw.<br />
10. Mannheim<br />
11. Rems-Murr-Kreis<br />
12. Göppingen<br />
Die verschiedenen Regionen können anhand verschiedener<br />
Merkmale bestimmten Gruppen zugeordnet<br />
werden, die im folgenden kurz zusammengefasst<br />
sind:<br />
6 WACHSTUMSREGIONEN:<br />
Göppingen, Stuttgart, Ludwigsburg, Esslingen,<br />
Region Oberndorf/ Tübingen/ Tuttlingen/ Rottweil/<br />
Reutlingen, Karlsruhe<br />
Merkmale:<br />
bereits beachtlicher Organisationsgrad o<strong>der</strong><br />
wachsende Gruppe (6 – 20)<br />
verlässliche Koordination und Eigenaktivität in<br />
<strong>der</strong> Gruppe nach innen und außen<br />
gemeinsame Zielsetzungen o<strong>der</strong> Vorhaben<br />
Einbettung in Landkreis- o<strong>der</strong> kommunale<br />
Strukturen<br />
erfolgreiche Präsentationen, guter Bekannt<br />
heitsgrad<br />
3 REGIONEN MIT INNERER<br />
KONSOLIDIERUNG:<br />
Böblingen, Freiburg, Mannheim<br />
Merkmale:<br />
kleine Gruppen (2 – 5) ohne Zeichen<br />
für Erweiterung, geringe Trägervielfalt<br />
verlässliche Koordination und Eigenaktivität<br />
in <strong>der</strong> Gruppe vor allem nach innen<br />
gemeinsamer Ausrichtungsprozess ist<br />
gelungen<br />
wenig Einbettung in Landkreis- o<strong>der</strong><br />
kommunale Strukturen<br />
3 REGIONEN MIT STAGNATION<br />
ODER DEUTLICHEN GRENZEN DER<br />
NETZWERKBILDUNG:<br />
Bad Saulgau, Ravensburg/ Bodenseekreis,<br />
Rems-Murr-Kreis<br />
Merkmale:<br />
kleine Gruppen, große örtliche Distanzen<br />
geringe Trägervielfalt, wenig entwickelter<br />
Zusammenhalt<br />
Koordination mit begrenzten Ressourcen<br />
und/ o<strong>der</strong> geringer Resonanz für Zusammenarbeit<br />
begrenzter o<strong>der</strong> kein gemeinsamer<br />
Ausrichtungsprozess<br />
keine aktive Unterstützung durch<br />
Landkreis- o<strong>der</strong> kommunale Stellen<br />
Zudem hat sich die regionale Koordination in<br />
vier Regionen verän<strong>der</strong>t:<br />
Freiburg: Stellenwechsel des Regionalpartners,<br />
Übernahme durch zwei an<strong>der</strong>e Mitgliedseinrichtungen<br />
ist gelungen.<br />
Bad Saulgau/ Albdonau-Region: Rückführung<br />
in den Status einer Arbeitsgemeinschaft ohne Regionalpartnerschaft.<br />
Wegen Überlastung kann<br />
auch das H<strong>aus</strong> St. Ulrika, Mengen, keine Regionalpartnerschaft<br />
übernehmen. Die Gruppe verkleinert<br />
sich und bildet eine Arbeitsgemeinschaft. Für<br />
Fortbildungsorganisation zeichnen die jeweiligen<br />
Einrichtungen verantwortlich.<br />
Ravensburg/ Bodenseekreis: Nach mehreren<br />
Klärungsgesprächen in <strong>der</strong> Region zeichnet sich<br />
keine ergänzende Partnerschaft <strong>aus</strong> den Mitgliedseinrichtungen<br />
ab. Der Landkreis wird nicht<br />
in eine regionale Vernetzung einsteigen. Zur Zeit<br />
wird geprüft, ob die Stellen Herz und Gemüt <strong>der</strong><br />
Schiedel-Stiftung in eine Kooperation mit dem<br />
Adolf-Gröber-H<strong>aus</strong> eintreten werden. Dadurch<br />
könnten Einrichtungen <strong>aus</strong> dem Allgäu besser integriert<br />
werden.<br />
Stadt Stuttgart: Die Gemeinschaftsinitiative formiert<br />
sich und sucht eine eigenständige regionale<br />
Koordinationsstruktur zu etablieren.<br />
58 59
4<br />
INSTRUMENTE UND PFADE<br />
VON BELA III<br />
4. INSTRUMENTE UND PFADE VON<br />
BELA III: EIN AUSBLICK<br />
AUF WEITERE MATERIALIEN<br />
Dieses abschließende Kapitel gibt einen Ausblick<br />
auf weitere Themen innerhalb von BELA III, denen<br />
nachfolgende Bände <strong>der</strong> vorliegenden BELA<br />
III-Materialien-Reihe gewidmet werden sollen. In<br />
kurzen Zusammenfassungen sind die Themen<br />
Freiwilligenwerbung und Zielgruppenarbeit, Demenzbegleitung,<br />
Netzwerke und Alltagsgestaltung<br />
hier zunächst vorgestellt. Zu jedem dieser<br />
Aspekte soll im Verlauf des Projektes ein eigener<br />
Band mit <strong>aus</strong>führlichen Texten und Materialien<br />
publiziert werden.<br />
4.1. FREIWILLIGENWERBUNG<br />
UND ZIELGRUPPENARBEIT:<br />
GUT VERNETZT IST VIEL<br />
GEWONNEN – NEUE FREIWILLIGE<br />
GEWINNEN?<br />
Mario Nantscheff<br />
Managementberatung und Weiterbildung<br />
Generiert <strong>aus</strong> Folienpräsentationen vom<br />
10.12.<strong>2009</strong><br />
Ein Netzwerk ist abhängig von seinen Angehörigen,<br />
und engagementbereite künftige Freiwillige<br />
sind ein wichtiger Teil davon. Sie sind als Mitwirkende<br />
allerdings zu wertvoll, um sie allein dafür zu<br />
gewinnen und einzusetzen, wofür das Netzwerk<br />
bzw. die darin verankerten Einrichtungen sie „im<br />
Moment gut gebrauchen können“. Mitwirkende<br />
sollten nach ihrem Potential und Talent eingesetzt<br />
und behandelt werden, bspw. als Unterstützer, als<br />
För<strong>der</strong>er, als Berater o<strong>der</strong> als Begleiter. Aber auch<br />
als Botschafter, als Empfehler und als Kontakter<br />
können sie wertvolle Arbeit leisten.<br />
Freiwillige sollten daher nicht als homogene Gruppe<br />
gesehen, son<strong>der</strong>n als individuelle Menschen<br />
mit ihren jeweils eigenen Talenten, entsprechend<br />
<strong>der</strong>er sie auch angesprochen, angeregt und gewonnen<br />
werden sollten. Dasselbe gilt für neue potentielle<br />
Netzwerkpartner. Leitfragen hier sind:<br />
Was können ganz bestimmte Freiwillige<br />
für die Lebensqualität <strong>der</strong> Bewohner/ Klienten<br />
einer Einrichtung tun?<br />
Was können ganz bestimmte Freiwillige für<br />
den Bestand <strong>der</strong> eigenen Einrichtung tun?<br />
Kann die Einrichtung den künftigen<br />
Freiwilligen bieten, was sie wirklich suchen?<br />
Wie ist zu erfahren, was die Freiwilligen wirklich<br />
suchen?<br />
Nützlich und sinnvoll ist hier ein offensives, systematisches<br />
Freiwilligenmarketing, ein komplexes<br />
Unterfangen, bei dem es verschiedene Aspekte<br />
zu berücksichtigen gibt. Generell sollte es einem<br />
Leitfaden folgen, <strong>der</strong> offensiv und systematisch<br />
ist.<br />
Grundlegend ist folgendes rekursives Vorgehen zu<br />
empfehlen: zunächst <strong>aus</strong> dem generellen Umfeld,<br />
dem so genannten Markt, „affine" Kontakte filtern,<br />
<strong>aus</strong> diesen Kontakten dann Interessenten<br />
machen, die Interessenten zu Ehrenamtlichen machen,<br />
und schlussendlich diese Ehrenamtlichen zu<br />
Empfehlern (für neue Freiwillige) entwickeln. Um<br />
diese affinen Kontakte zu filtern, sind einige Fragen<br />
nützlich: Wen filtern wir wo r<strong>aus</strong> und zeigen<br />
ihm dann den Weg zu uns? Wie „erwischen“ wir<br />
genau die, die uns unterstützen könnten? Wen<br />
suchen wir eigentlich? An wen haben wir bisher<br />
vielleicht noch gar nicht gedacht?<br />
Neben diesen eher allgemeinen Fragen kann es<br />
nützlich sein, die genauen Anfor<strong>der</strong>ungen an<br />
Qualitäten und gesuchten Eigenschaften zu definieren,<br />
um sowohl für sich selbst als auch für die<br />
Freiwilligen ein genaues Profil und eine genaue<br />
Beschreibung anfertigen zu können. Freiwillige<br />
sollten dabei individuell betrachtet werden – was<br />
können ganz bestimmte Freiwillige für die Lebensqualität<br />
unserer Bewohner tun? Was können<br />
ganz bestimmte Freiwillige für den Bestand unserer<br />
Einrichtung tun? Und auch die Einrichtung<br />
sollte ganz genau in ihren Bedürfnissen und Angeboten<br />
betrachtet werden – können wir künftigen<br />
Freiwilligen bieten, was sie wirklich suchen?<br />
Wie erfahren wir, was sie wirklich suchen?<br />
Beispielsweise ist es sinnvoll, die Hobbies und<br />
Interessen sowie die schon bestehenden Vernetzungen<br />
<strong>der</strong> zu gewinnenden Freiwilligen zu erfahren,<br />
um dieses Wissen bei <strong>der</strong> Ansprache und<br />
den Angeboten auch anzuwenden.<br />
ZIELGRUPPENARBEIT<br />
60 61
Diese genaue Betrachtung kann dann zu einer<br />
Zielgruppenaufstellung genutzt werden. Wenn<br />
man weiß, wen man gewinnen will, können in einem<br />
nächsten Schritt die Motive <strong>der</strong> Zielgruppe<br />
erkannt und bedient werden. Dabei ist ein Mehrwissen<br />
über die Zielgruppe hilfreicher, als das<br />
Heim o<strong>der</strong> die Bewohner in den Mittelpunkt zu<br />
stellen: wichtig, um Ehrenamtliche zu gewinnen,<br />
ist den zu gewinnenden Freiwilligen zu kennen,<br />
seine Motive und Kontakte, um auf ihn individuell<br />
eingehen zu können.<br />
Die Motive <strong>der</strong> einzelnen Zielgruppen können in<br />
so genannten Sinus Milieus abgebildet werden,<br />
die die soziale Lage und die Grundorientierung<br />
<strong>der</strong> einzelnen Personen erfasst. Die obige Grafik<br />
bietet einen Überblick:<br />
Hier gilt es im Blick zu halten: welche Zielgruppe<br />
ist für die Einrichtung ein Gewinn? Wen wollen sie<br />
sich „angeln“?<br />
Die so definierten Zielgruppen <strong>der</strong> einzelnen Einrichtung<br />
müssen nicht nur angesprochen werden,<br />
ihnen muss auch eine passende „Einflugschneise“<br />
geboten werden. Die zweite Grafik illustriert, wie<br />
Interessierte <strong>der</strong> einzelnen definierten Zielgruppen<br />
angeworben werden können:<br />
Je<strong>der</strong> Zielgruppe kann dann entsprechend eine individuelle<br />
Ansprache angepasst werden, die die<br />
jeweiligen Fragen beantwortet und Anregungen<br />
bietet. Freiwillige einer Jugendmusikschule können<br />
bspw. für einen Jazz-Brunch interessiert und<br />
in diesen eingebunden werden, ein politischer<br />
Sonntagmorgen mit einem ehemaligen Zeitungs-<br />
redakteur gestaltet werden. Weiterbildungen mit<br />
Zertifikaten könnten ebenso angeboten werden -<br />
bspw. zur Hospitzbegleiter/in - o<strong>der</strong> aber eine<br />
Hundeprämierung, in die ein tierlieber o<strong>der</strong> gar<br />
schon in einem Verein tätiger Interessierter als Jury<br />
eingebunden wird. Generell sollte hier immer<br />
berücksichtigt werden, dass nicht die Einrichtung<br />
bzw. die Bewohner im Fokus stehen sollten, son<strong>der</strong>n<br />
<strong>der</strong> zu gewinnende Freiwillige mit seinen<br />
Motiven und Kontakten.<br />
62 63
DEMENZBEGLEITUNG,<br />
EIN LERNFELD<br />
64<br />
4.2. MENSCHEN MIT DEMENZ<br />
BEGLEITEN, EIN LERNFELD<br />
MIT GROSSEN POTENTIALEN –<br />
ERFAHRUNG AUS DEM AUFBAU<br />
VON BETREUUNGSGRUPPEN MIT<br />
FREIWILLIGEN<br />
Sabine Hipp<br />
Alzheimer-Gesellschaft Baden-Württemberg e.V.<br />
Referat bei <strong>der</strong> Veranstaltung „Wir sind<br />
Nachbarn“, Bietigheim-Bissingen, 06.05.<strong>2009</strong><br />
Eine hohe Beteiligung von ehrenamtlich/ bürgerschaftlich<br />
Engagierten o<strong>der</strong> auch Freiwilligen (je<br />
nach begrifflichen Vorlieben) für ein Betreuungsverhältnis<br />
von 1:1 ist die tragende Säule des Konzepts<br />
<strong>der</strong> Betreuungsgruppen für Demenzkranke.<br />
Die Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg<br />
e.V. för<strong>der</strong>t und unterstützt die Gründung von Betreuungsgruppen<br />
und begleitet die aktuell über<br />
400 bestehenden Betreuungsgruppen im Land.<br />
Dabei ist die Sorge für die Qualifizierung <strong>der</strong><br />
ehrenamtlich/ bürgerschaftlich Engagierten wie<br />
<strong>der</strong> Fachkräfte eine Schwerpunktaufgabe.<br />
Betreuungsgruppen für Demenzkranke haben das<br />
Ziel, pflegende Angehörige zeitweise zu entlasten.<br />
Die Betreuungszeit wird in <strong>der</strong> Regel ein- bis zweimal<br />
pro Woche für drei Stunden möglichst wohnortnah<br />
– oft in Mehrzweckräumen von Gemeinden<br />
o<strong>der</strong> auch Sozialstationen – angeboten. Die<br />
fachliche Leitung liegt bei einer Fachkraft. Diese<br />
leitet das Team <strong>der</strong> freiwilligen Mitarbeiter und ist<br />
auch Ansprechpartnerin für die pflegenden Angehörigen.<br />
Bei <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> Nachmittage<br />
kommt es vor allem darauf an, dass die demenzkranken<br />
Menschen sich wohl fühlen.<br />
Diesem Ziel dient <strong>der</strong> hohe Betreuungsschlüssel,<br />
<strong>der</strong> eine individuelle Zuwendung und Begleitung<br />
<strong>der</strong> demenzkranken Menschen ermöglicht. Denn<br />
Menschen mit Demenz fühlen sich in einer Gruppe<br />
meist nicht angesprochen, son<strong>der</strong>n brauchen<br />
einen ganz persönlichen Kontakt. Vor allem aber<br />
können Menschen mit her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ndem Verhalten<br />
hier eher getragen o<strong>der</strong> sehr unruhige Personen<br />
begleitet werden, wenn sie die Situation verlassen<br />
möchten – sie müssen nicht gestoppt werden.<br />
Um diese Aufgaben bewältigen zu können, benötigen<br />
alle an <strong>der</strong> Betreuung Beteiligten theoretisches<br />
Wissen und praktische Kompetenz. Differenzierte<br />
Qualifizierungsmaßnahmen sind daher<br />
bei <strong>der</strong> Gründung von Betreuungsgruppen<br />
(Grundschulung) wie auch für bestehende Betreuungsgruppen<br />
(Fortbildungsangebote) notwendig<br />
und hilfreich. Zielgruppen <strong>der</strong> Fortbildungsangebote<br />
sind darüber hin<strong>aus</strong> auch haupt- und ehrenamtliche<br />
MitarbeiterInnen in den Häuslichen Betreuungsdiensten,<br />
ein Angebot, das als Pendant<br />
zu den Betreuungsgruppen im häuslichen Bereich<br />
gesehen werden kann.<br />
Hauptziel <strong>der</strong> Grundschulung von freiwilligen Mitarbeitern<br />
in Betreuungsgruppen ist <strong>der</strong> Erwerb<br />
von Grundkenntnissen im Bereich demenzieller Erkrankungen<br />
und Wissen über den Umgang mit<br />
Demenzkranken. Dadurch sollen die Teilnehmer<br />
eine Vorstellung vom (an<strong>der</strong>en) Erleben und<br />
Wahrnehmen demenzkranker Menschen entwikkeln.<br />
Sie sollen die erkrankten Menschen in <strong>der</strong>en<br />
An<strong>der</strong>ssein verstehen und akzeptieren können<br />
und sie vor allem auch als Individuen sehen (u.a.<br />
biografische und krankheitsphasenbezogene<br />
Aspekte). Ferner soll falschen Erwartungen o<strong>der</strong><br />
Vorstellungen entgegen gewirkt werden (z.B. die<br />
betreuten Menschen sollen etwas dazu lernen).<br />
Auch für die Situation pflegen<strong>der</strong> Angehöriger soll<br />
Verständnis geweckt werden.Weitere Ziele sind<br />
die Identifikation mit dem Betreuungsangebot sowie<br />
die Entwicklung von Arbeitsfähigkeit und Zusammengehörigkeitsgefühl<br />
im Team. Themen <strong>der</strong><br />
Grundschulung für Mitarbeiter sind also v.a.:<br />
demenzielle Erkrankungen<br />
die Situation pflegen<strong>der</strong> Angehöriger<br />
das Konzept <strong>der</strong> Betreuungsgruppen<br />
<strong>der</strong> Umgang mit Demenzkranken<br />
Beschäftigungsmöglichkeiten<br />
In Fortbildungen für ehrenamtliche Mitarbeiter,<br />
die bereits in einer Betreuungsgruppe mitarbeiten,<br />
soll das demenzspezifische Wissen und die Kompetenz<br />
im Umgang mit den betreuten Personen<br />
vertieft und differenziert werden. Es soll die Motivation<br />
für den weiteren Einsatz überprüft und gestärkt<br />
und die Arbeitsweise vor Ort reflektiert, ggf.<br />
korrigiert, ergänzt und bestätigt werden. Die Teilnehmer<br />
<strong>der</strong> Fortbildungen sollen die Gelegenheit<br />
haben, sich mit aktuellen Fragen und Themen im<br />
Aust<strong>aus</strong>ch mit an<strong>der</strong>en <strong>aus</strong>einan<strong>der</strong>setzen zu können.<br />
Die Themen bei den begleitenden Fortbildungsveranstaltungen<br />
beziehen sich vor allem auf den<br />
Umgang mit Demenzkranken und auf Beschäftigungsmöglichkeiten.<br />
Gerade die Frage, wie die<br />
Betreuungszeit gestaltet werden kann, wird in den<br />
Fortbildungen häufig angeboten. Sie ist für die<br />
Teilnehmer meist ein wichtiges Thema, das häufig<br />
gewünscht wird. Es hat sich auch gezeigt, dass bei<br />
den Fortbildungen dem Erfahrungs<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch genügend<br />
Zeit eingeräumt werden soll und dass die<br />
Referenten über eigenes Erfahrungswissen mit<br />
Demenzkranken verfügen sollten.<br />
Themen bei diesen Fortbildungen sind z.B.:<br />
wertschätzen<strong>der</strong>, validieren<strong>der</strong> Umgang mit<br />
Demenzkranken<br />
Bewegungsangebote, Sitztänze<br />
Kinästhetik und Basale Stimulation<br />
Spiele, Malen, 10-Minuten-Aktivierung,<br />
Märchen erzählen<br />
Aggressives Verhalten: Verstehen,<br />
Vorbeugen, Umgang<br />
Spiritualität und Ernährung<br />
Das Fortbildungskonzept <strong>der</strong> Alzheimer Gesellschaft<br />
Baden-Württemberg e.V. hat neben den<br />
genannten Zielen und Inhalten die verschiedenen<br />
Zielgruppen und Ebenen im Blick.<br />
Für die Betreuungsgruppen ist dabei gedacht an:<br />
Grundschulungen bei <strong>der</strong> Gründung einer<br />
Betreuungsgruppe vor Ort<br />
Grundschulungen für neue ehrenamtliche<br />
Mitarbeiter, die zu bestehenden Betreuungsgruppen<br />
hinzu kommen<br />
Regionale Fortbildungen für Fachkräfte und<br />
Ehrenamtliche (Teams)<br />
Fortbildungen <strong>aus</strong>schließlich für ehrenamtlich/<br />
bürgerschaftlich Engagierte bzw. Freiwillige<br />
Fortbildungen <strong>aus</strong>schließlich für Fachkräfte<br />
Neu ab <strong>2009</strong>: Informationsveranstaltung zum<br />
Aufbau u.a. auch von Betreuungsgruppen<br />
Bis auf die Grundschulungen vor Ort sind alle diese<br />
Angebotsformen im jährlichen Fortbildungsprogramm<br />
<strong>der</strong> Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg<br />
e.V. enthalten.<br />
Rückmeldungen <strong>der</strong> Teilnehmer zu den Fortbildungen<br />
sind z.B. folgende:<br />
„Jetzt schaue ich erst einmal hin, bevor ich helfe.“<br />
(Fortbildung: Integrative Validation)<br />
„Wir sind in vielem bestätigt worden - das gibt uns<br />
Rückhalt.“<br />
„Es ist ganz prima, dass Sie hier extra etwas für<br />
uns Ehrenamtliche anbieten!“<br />
Oft begrüßen die Teilnehmer zudem, dass sie von<br />
den Fortbildungen auch privat profitieren.<br />
65
HILFE BEI DEMENZ<br />
66<br />
4.3. WAS MENSCHEN<br />
MIT DEMENZ GEBEN KÖNNEN –<br />
UND WAS SIE VON UNS<br />
BRAUCHEN<br />
Gabriele Scholz-Weinrich<br />
Sozialgerontologin, Bad Vilbel<br />
Gekürztes Redemanuskript zum Start<br />
<strong>der</strong> Demenzbegleitung-Fortbildungsreihe<br />
in Ludwigsburg, Frühsommer <strong>2009</strong><br />
Demenz ist ein umfassendes und komplexes Thema,<br />
das unter sehr vielschichtigen Gesichtspunkten<br />
erörtert werden kann. Im folgenden werden<br />
daher einige wenige Aspekte aufgegriffen. Beim<br />
Definieren des Begriffs „Demenz“ lässt sich zunächst<br />
ein Feld <strong>der</strong> Assoziationen aufspannen, in<br />
dem <strong>der</strong> Begriff meist wahr genommen wird. Negative<br />
und positive Konnotationen können hier<br />
gegenübergestellt werden:<br />
DEPRESSION VS. SOLIDARITÄT<br />
ALLEIN VS. ENGAGEMENT<br />
UNMUT VS. GEMEINSCHAFT<br />
DURCHEINANDER VS. FREIWILLIG<br />
ANGST VS. HERAUSFORDERUNG<br />
ZIELLOS VS. ZUSAMMEN<br />
Demenz gilt in <strong>der</strong> öffentlichen Wahrnehmung<br />
fast immer als <strong>der</strong> Begriff für ein negativ, defizitär<br />
o<strong>der</strong> auch angstbesetztes Krankheitsbild und wird<br />
meist lediglich unter medizinischen und/ o<strong>der</strong> finanziellen<br />
Aspekten erörtert. In Deutschland leben<br />
ca. 1,2 Millionen Menschen mit Demenz, ca.<br />
70% davon werden in häuslichem Umfeld betreut<br />
- vor allem in den ländlichen Gebieten sind sie in<br />
familiären Strukturen eingebunden. Jedoch fehlt<br />
dieser häuslichen Pflege oft die ergänzende Unterstützung.<br />
Die restlichen 30% leben in Einrichtungen<br />
<strong>der</strong> Altenhilfe, meist in Alten-Pflegeheimen,<br />
da alternative Wohn- und Lebensformen bisher<br />
noch eine eher untergeordnete Rolle spielen, diese<br />
erst langsam entstehen.<br />
Aus <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> Einrichtungen <strong>der</strong> Altenhilfe<br />
sind ca. 50 - 70% <strong>der</strong> Bewohner dem Personenkreis<br />
<strong>der</strong> an Demenz erkrankten Personen zuzuordnen<br />
und eine demenzielle Erkrankung gilt<br />
zwischenzeitlich als häufigster Grund für eine<br />
Heimübersiedlung.<br />
Demenz ist <strong>der</strong> Oberbegriff für Erkrankungsbil<strong>der</strong>,<br />
die mit einem Verlust <strong>der</strong> geistigen Funktionen<br />
wie Denken, Erinnern, Orientieren und Verknüpfen<br />
von Denkinhalten einhergehen. Menschen mit<br />
Demenz erleben im Verlauf ihrer Erkrankung vielschichtige<br />
Beeinträchtigungen, letztendlich bedeutet<br />
an einer Demenz zu erkranken, perspektivisch<br />
an <strong>der</strong> Bewältigung des Alltags zu scheitern.<br />
Allerdings muss immer bedacht werden, dass<br />
Menschen mit Demenz natürlich keine homogene<br />
Gruppe bilden. Sie unterscheiden sich u.a. durch<br />
die Art <strong>der</strong> Demenz, das Stadium <strong>der</strong> Erkrankung,<br />
die Ausprägung <strong>der</strong> Symptome, den Grad <strong>der</strong> Mobilität<br />
und <strong>der</strong> Persönlichkeitsstruktur. Für alle<br />
Menschen mit Demenz ist wichtig, die Selbstachtung<br />
und -bestimmung zu erhalten, mithin ein positives<br />
Fremdbild zu erfahren. Daher reagieren viele<br />
Betroffene zunächst mit Bagatellisierung <strong>der</strong><br />
Krankheit, mit Verleugnung, Projektion, Angst<br />
und Scham, sozialem Rückzug, Depressionen und<br />
Verzweiflung.<br />
Dies zeigt deutlich, dass die kognitiven und intellektuellen<br />
Kompetenzen <strong>der</strong> Menschen zwar zunehmend<br />
eingeschränkt sind, die emotionalen<br />
und sozialen Kompetenzen aber nach wie vor uneingeschränkt<br />
präsent sind. Dar<strong>aus</strong> leitet sich die<br />
Frage ab, was Menschen mit Demenz brauchen,<br />
welche Hilfsangebote für sie wirksam sein können.<br />
Grundsätzlich sollten die verschiedenen Möglichkeiten<br />
und Inhalte <strong>der</strong> Betreuung, Begleitung und<br />
Versorgung jeweils an den jeweiligen Menschen<br />
und dessen Bedarfslage orientiert sein. Insgesamt<br />
geht es bei <strong>der</strong> Begleitung und Pflege von Menschen<br />
mit Demenz darum, eine „neue Kultur des<br />
Helfens“ zu entwickeln, Verantwortung zu übernehmen<br />
und dafür die entsprechenden Vor<strong>aus</strong>setzungen<br />
zu schaffen – immer auf <strong>der</strong> Grundlage einer<br />
ethischen und akzeptierenden Grundhaltung.<br />
Denn eine Definition bzw. Wahrnehmung <strong>der</strong><br />
Menschen mit Demenz <strong>aus</strong>schließlich über das<br />
Krankheitsbild ist ethisch und fachlich inakzeptabel.<br />
Um den unterschiedlichen Lebensstilen und<br />
Bedürfnissen Rechnung zu tragen, sind entsprechende,<br />
angemessene Unterstützungsformen zu<br />
entwickeln, jeweils im Zusammenspiel von pflegerischen<br />
/ therapeutischen/ medizinischen Fachkräften,Angehörigen<br />
und freiwillig bzw. bürgerschaftlich<br />
Tätigen. Die Begleitung von Menschen mit<br />
Demenz sollte nicht kritiklos nur den so genannten<br />
Spezialisten überlassen bleiben, auch Angehörige<br />
und Freiwillige sind als Experten einzubinden.<br />
Gemeinsam kann dann auf die jeweiligen Bedürfnisse<br />
<strong>der</strong> Menschen mit Demenz eingegangen<br />
werden, bspw. dem Bedürfnis nach Bewahrung<br />
<strong>der</strong> Identität, nach Zuwendung und Geborgenheit,<br />
Sicherheit und Schutz, aber auch nach sozialer<br />
Anerkennung und Einbindung, nach Erfolgserlebnissen<br />
und Anerkennung und ebenso nach<br />
Spaß und Freude – auch danach, Sexualität zu leben.<br />
Generell geht es um die Befriedigung <strong>der</strong><br />
Grundbedürfnisse. In allen Kontakten und Begegnungen<br />
ist immer zu berücksichtigen, dass nicht<br />
die Defizite im Vor<strong>der</strong>grund stehen, son<strong>der</strong>n die<br />
Erhaltung <strong>der</strong> Individualität und die Wahrnehmung<br />
<strong>der</strong> Fähigkeiten und Kompetenzen eines jeden<br />
Einzelnen.<br />
Auf <strong>der</strong> Handlungsebene kann dies bedeuten,<br />
dass eine wertschätzende Grundhaltung angenommen<br />
und bspw. auch auf eine angemessene<br />
Kommunikation geachtet wird. Generell sollte den<br />
Menschen mit Demenz eine größtmögliche Selbständigkeit<br />
z.B. bei Körperpflege o<strong>der</strong> Nahrungs-<br />
aufnahme eingeräumt und die „Beschäftigung“<br />
den persönlichen Interessen angepasst werden.<br />
Wie bei jedem Menschen ist eine positive Verstärkung<br />
und die Vermittlung von Interesse und Zuneigung<br />
wichtig, das Unterstreichen <strong>der</strong> liebenswerten<br />
und nicht <strong>der</strong> her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>nden Verhaltensweisen.<br />
Für die begleitenden Menschen bedeutet dies<br />
nicht nur, sich (neuen) Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ungen zu stellen,<br />
son<strong>der</strong>n auch, den Zugang zu einer an<strong>der</strong>en<br />
Realität zu bekommen, die eigenen Grenzen zu<br />
erkennen und wenn möglich zu überschreiten.<br />
Dies bedeutet auch, nicht in Aktionismus zu verfallen,<br />
son<strong>der</strong>n individuell sich auf das Tempo und<br />
die emotionalen und sozialen Gegebenheiten <strong>der</strong><br />
Menschen mit Demenz einzulassen. Dabei wird<br />
die eigene Beziehungsfähigkeit gefor<strong>der</strong>t und geför<strong>der</strong>t,<br />
das eigene kommunikative Verhalten<br />
muss reflektiert werden – und zusätzlich bietet<br />
dies für die begleitende Person die Möglichkeit, an<br />
<strong>der</strong> Lebensgeschichte und dem Erfahrungswissen<br />
des Menschen mit Demenz zu partizipieren.<br />
Menschen mit Demenz sind jedoch nicht nur von<br />
einer (individuellen) angemessenen Beziehungsgestaltung<br />
abhängig, son<strong>der</strong>n auch von gesellschaftlichen<br />
und sozialpolitischen Rahmenbedingungen.<br />
Großer Handlungsbedarf besteht vor allem darin,<br />
Verän<strong>der</strong>ungen anzustoßen, und das Thema Demenz<br />
in den Kommunen und <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />
transparent zu machen, diese zu sensibilisieren<br />
und den Menschen mit Demenz so eine Teilhabe<br />
am Leben in <strong>der</strong> Kommune bzw. <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
zu ermöglichen. Menschen mit Demenz müssen in<br />
erster Linie als Mitbürger und nicht als Kranke<br />
wahrgenommen werden. Dann kann auch ein<br />
besseres Miteinan<strong>der</strong> und ein größeres Interesse<br />
an nachbarschaftlicher Hilfe bzw. bürgerschaftlichem<br />
Engagement angeregt werden. Nicht zuletzt<br />
können dann auch Versorgungslücken aufgezeigt<br />
und zu <strong>der</strong>en Beseitigung beigetragen werden.<br />
67
NETZWERKEN<br />
68<br />
4.4. NETZWERKE(N):<br />
NETZWERKE. CHANCEN, RISIKEN,<br />
ANFORDERUNGEN.<br />
Dr. Ralf Vandamme<br />
Städtetag Baden-Württemberg<br />
Generiert <strong>aus</strong> einer Folienpräsentation<br />
Zunächst <strong>der</strong> Versuch einer Definition: Was bedeutet<br />
<strong>der</strong> Begriff „Netzwerk“ und was haben wir<br />
damit zu tun? Weswegen sind Netzwerke für uns<br />
wichtig und nützlich?<br />
Allgemein gesagt ist ein Netzwerk eine Struktur,<br />
die verschiedene individuelle Personen, Gruppen<br />
und Organisationen miteinan<strong>der</strong> verbindet, zwischen<br />
ihnen Kanäle <strong>der</strong> Kommunikation und Information<br />
aufbaut. Jede Instanz, jede Person o<strong>der</strong><br />
Gruppe bzw. Organisation bildet somit einen Knoten<br />
innerhalb des jeweiligen Netzwerkes. Netzwerke<br />
können hierbei ganz verschiedene Größen<br />
und Ausprägungen haben, eher informell und versteckt<br />
sein, inhärent o<strong>der</strong> geplant, engmaschig<br />
o<strong>der</strong> lose.<br />
Ohne dass man sich dessen unbedingt bewusst<br />
ist, sind die meisten Menschen Angehörige verschiedenster<br />
Netzwerke und damit auch Netzwerkmanagerinnen<br />
und -manager. Das bedeutet<br />
auch, dass jede/r nicht nur Teil eines Netzwerkes<br />
ist, son<strong>der</strong>n auch mehr o<strong>der</strong> weniger aktiv darin<br />
eingebunden – ein Knoten für weitere Personen<br />
und Gruppen. Beispielsweise ist eigentlich jede<br />
Person Teil eines familialen Netzwerkes und/ o<strong>der</strong><br />
eines sozialen Netzwerkes <strong>aus</strong> Freunden und Bekannten.<br />
Nachbarschaft und Vereine bilden ebenso<br />
„private" Netzwerke. Daneben gibt es die professionellen<br />
Netzwerke, die sich über eine Berufsgruppe<br />
bzw. Beschäftigung mit einem Thema<br />
definieren, und <strong>der</strong>en Angehörige sich auch darüber<br />
vernetzen. Nicht nur innerhalb einer Profes-<br />
sion gibt es diese Netzwerke, son<strong>der</strong>n auch interdisziplinär<br />
bzw. professionsübergreifend, man<br />
denke bspw. an professionelle Interessengruppen.<br />
Ebenfalls übergreifend in diesem Sinne, ohne dabei<br />
einen Fokus auf Professionen zu legen, sind<br />
Netzwerke <strong>aus</strong> Engagierten und Hauptamtlichen<br />
zu einem Thema wie bspw. caritative Netzwerke,<br />
in denen Menschen <strong>aus</strong> unterschiedlichstem<br />
Hintergrund mit dem gleichen Ziel bzw. Interesse<br />
zusammen kommen und sich bündeln.<br />
Generell können Netzwerke mit Hilfe von zwei<br />
Kriterien unterschieden werden, nämlich Kriterien<br />
die beschreiben, wie Netzwerke gesteuert und geformt<br />
werden: Mitgliedschaft und Steuerung.<br />
In familialen und professionellen Netzwerken etwa<br />
unterscheidet sich dies fundamental. So ist die<br />
Mitgliedschaft in familialen Netzwerken tendenziell<br />
unkündbar, in professionellen hingegen freiwillig.<br />
Und während in familialen Netzwerken die<br />
Steuerung auf emotionalen Ausgleich bedacht ist,<br />
steht in professionellen Netzwerken die Rentabilität<br />
und <strong>der</strong> Interessen<strong>aus</strong>gleich im Vor<strong>der</strong>grund.<br />
Für unsere Arbeit relevant sind hier v.a. die professionellen<br />
Netzwerke.<br />
Das wichtigste Medium aller Netzwerke ist die<br />
Kommunikation, und so sollte in einem professionellen<br />
Netzwerk auch die Kommunikation professionell<br />
organisiert sein.<br />
Dies betrifft zum einen die Kommunikationsqualität.<br />
Hierbei sollt darauf Wert gelegt werden, dass<br />
die Kommunikation inhaltlich-fachlich fundiert sowie<br />
zielgerichtet ist.<br />
Zum an<strong>der</strong>en betrifft dies die notwendig gleichmäßige<br />
Intensität <strong>der</strong> Kommunikation, was bedeutet,<br />
dass ein Netzwerk keine sogenannten<br />
stummen Knoten, etwa allzu passive Mitglie<strong>der</strong>,<br />
haben kann. Zudem dürfen keine allzu langen Ruhep<strong>aus</strong>en<br />
in <strong>der</strong> Netzwerkaktivität entstehen. Regelmäßige<br />
Treffen innerhalb eines Netzwerkes<br />
können sehr sinnvoll sein, um diesen beiden Punkten<br />
zu genügen.<br />
Wozu aber sind professionelle Netzwerke überhaupt<br />
wichtig? Was sind sie in <strong>der</strong> Lage zu leisten?<br />
Vier Punkte sind hierbei zu nennen:<br />
Netzwerke bilden einen Ressourcenpool<br />
für Wissen, Kreativität, Erfahrung<br />
und Infrastruktur<br />
Netzwerke stellen Zugang her, bündeln<br />
Informationen und Kontakte<br />
Netzwerke entwickeln fachliche Qualität<br />
mithilfe und durch den Erfahrungs<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch,<br />
sowie <strong>der</strong> Formulierung von Bedarfen<br />
Netzwerke bilden Meinung,<br />
insbeson<strong>der</strong>e, wenn sie kampagnenfähig sind<br />
Das Funktionieren von professionellen Netzwerken<br />
basiert auf dem so genannten Ringt<strong>aus</strong>ch, ein<br />
Prinzip des verteilten bzw. zyklischen Gebens. Als<br />
Teil des Netzwerkes gibt man etwas hinein (Wissen,<br />
Information, etc.), ohne dass <strong>der</strong> Adressat, also<br />
eine bestimmte Person/ Organisation, direkt etwas<br />
als Gegenleistung zurück gibt. Die Gegenleistung<br />
erfolgt sowohl zeitversetzt, als auch meist<br />
von einer an<strong>der</strong>en Person/ Organisation, mithin eines<br />
an<strong>der</strong>en Knotens des Netzwerkes, o<strong>der</strong> aber<br />
auch <strong>der</strong> Zentrale, sollte diese existieren. Bei <strong>der</strong><br />
Netzwerksteuerung, die bspw. durch diese Zentrale<br />
erfolgen kann o<strong>der</strong> aber durch alle Netzwerkangehörige<br />
gleichermaßen, muss demnach auf eine<br />
Balance und ein Ausgleich geachtet werden: keine<br />
Instanz, kein Knoten, keine Person o<strong>der</strong> Organisation<br />
sollte langfristig gesehen nur „draufzahlen",<br />
nur geben, da sonst eine festgefahrene Hierarchie<br />
<strong>der</strong> (reichen) Gebenden und (armen)<br />
Nehmenden entstünde, die es zu vermeiden gilt.<br />
Jedes professionelle Netzwerk ist mit verschiedenen<br />
Schwierigkeiten konfrontiert, die es anzugehen<br />
und zu lösen gilt – oftmals ebenfalls ein zyklischer<br />
Prozess. Zum einen stehen verschiedene Einrichtungen<br />
in Konkurrenz zueinan<strong>der</strong>, was zu<br />
Spannungen führen kann. Zum an<strong>der</strong>en ist die<br />
Motivation <strong>der</strong> einzelnen Mitglie<strong>der</strong>/ Angehörigen<br />
nicht notwendigerweise dieselbe, grob gesagt<br />
gibt es meist einen Unterschied im Engagement<br />
und <strong>der</strong> Motivation zwischen hauptamtlichen und<br />
ehrenamtlichen Netzwerkangehörigen. Entgegen<br />
bzw. unabhängig vom Anteil des „Gebens", <strong>der</strong><br />
Leistung und <strong>der</strong> Intensität <strong>der</strong> Mitarbeit fokussiert<br />
die gesellschaftliche Anerkennung oftmals<br />
auf das ehrenamtliche Engagement. Dies muss<br />
berücksichtigt und aufgefangen werden.<br />
Mit diesem Wissen im Hintergrund gilt es nun die<br />
Chancen durch BELA III aufzuzeigen: durch die alle<br />
Einrichtungen verbindenden, gemeinsamen Ziele<br />
kann sowohl das Ansehen aller Einrichtungen<br />
und ihrer Mitarbeiterschaft verbessert werden, als<br />
auch insgesamt durch das bürgerschaftliche Engagement<br />
an Qualität hinzugewonnen werden.<br />
Ebenso wird durch die gemeinsamen Interessen<br />
von Hauptamt und Engagement die Lebensqualität<br />
<strong>der</strong> Klienten gesteigert. Des weiteren kann<br />
durch die erhöhte Anerkennung <strong>der</strong> Hauptamtlichen<br />
auch <strong>der</strong> Aust<strong>aus</strong>ch mit <strong>der</strong> Gesellschaft erhöht<br />
werden.<br />
Für all diese Punkte ist ein Netzwerk sowie die<br />
Netzwerkarbeit wichtig und notwendig. Insbeson<strong>der</strong>e<br />
zwei Punkte sind her<strong>aus</strong>zustellen, warum<br />
Netzwerkarbeit so wichtig ist und warum gemeinsames<br />
Arbeiten für die gleichen Ziele sinnvoller ist<br />
als getrenntes:<br />
1. Engagementför<strong>der</strong>ung ist Image-Arbeit.<br />
Das öffentliche Bewusstsein än<strong>der</strong>t niemand im<br />
Alleingang.<br />
2. BELA III würde viele Mitstreiterinnen<br />
und Mitstreiter gewinnen, wenn es ein selbstverständlicher<br />
und von <strong>der</strong> Fachöffentlichkeit<br />
gepriesener „Trend“ wäre. Einen Trend schafft<br />
niemand im Alleingang.<br />
69
LEBENSRAUM BETT<br />
70<br />
4.4. ALLTAGSGESTALTUNG<br />
VOM BETT AUS<br />
„VOM BETT AUS LEBEN –<br />
LEBENSRAUM BETT“ – EINE FACH-<br />
LICHE HERAUSFORDERUNG<br />
IN DER ALTENHILFE<br />
Gabriele Scholz-Weinrich<br />
Sozialgerontologin, Bad Vilbel<br />
Für diesen Band verfasster Text<br />
Stellen Sie sich vor, Sie seien – irgendwann einmal<br />
– so pflegebedürftig, dass Sie Ihr Bett nicht mehr<br />
<strong>aus</strong> eigener Kraft verlassen können. Dies bedeutet<br />
eine deutliche Verän<strong>der</strong>ung in den Lebensumständen,<br />
meist mit einer Einschränkung <strong>der</strong> Lebensqualität<br />
verbunden. Aspekte können bspw. sein:<br />
eingeschränkte bzw. sehr begrenzte<br />
Bewegungsspielräume<br />
<strong>der</strong> Tagesablauf in den Einrichtungen wird<br />
durch relativ starre Strukturen und Abläufe<br />
bestimmt, meist durch die morgendliche und<br />
abendliche Pflege sowie die Mahlzeiten<br />
getaktet<br />
Mitarbeiter/innen, die aufgrund <strong>der</strong> vielfältigen<br />
Anfor<strong>der</strong>ungen nur wenig Zeit für die einzelnen<br />
Bewohner/innen haben<br />
ein reizarmes Zimmer, <strong>aus</strong> <strong>der</strong> falschen<br />
Annahme her<strong>aus</strong>, dass Menschen im Alter eine<br />
„reizvolle Gestaltung sowieso nicht mehr<br />
mitbekommen“ o<strong>der</strong> die Gestaltung nicht<br />
ihren Bedarfslagen entspricht<br />
die Wahrnehmung und Definition <strong>der</strong> Bewoh<br />
ner/innen über ihre (altersbedingten) Defizite<br />
persönliche Kontakte (fast) nur über/ bei<br />
Pflegehandlungen<br />
eingeschränkte Kommunikation,<br />
keine direkte Ansprache, das Handeln von<br />
Dritten nicht kommuniziert<br />
Angehörige, die sich überfor<strong>der</strong>t fühlen,<br />
nicht wissen, wie sie sich verhalten, was sie<br />
tun können und letztendlich ganz weg bleiben<br />
soziale Beziehungen und soziale Situationen<br />
finden nur ganz punktuell statt<br />
wenig zielgerichtete Aktivation und<br />
Mobilisierung<br />
Dieses Szenario muss nicht notwendigerweise eintreten,<br />
jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit sieht<br />
<strong>der</strong> Alltag in vielen Pflege- und Altenhilfeeinrichtungen<br />
oftmals genau so <strong>aus</strong>. Es wird deutlich,<br />
dass <strong>der</strong> Lebensraum und die Lebensqualität stark<br />
eingeschränkt sind. Dem gilt es etwas entgegen<br />
zu setzen.<br />
Die Begleitung und Betreuung von bettlägerigen<br />
Menschen war in <strong>der</strong> Gerontologie und Altenhilfe<br />
viele Jahre ein fast vergessenes Thema, erst seit<br />
einiger Zeit ist es stärker in das Bewusstsein und<br />
damit in den Fokus von Theorie und Praxis gerückt.<br />
Auch wenn Bettlägerigkeit ein alltägliches<br />
Phänomen <strong>der</strong> Pflege ist, liegt kein differenziertes<br />
Wissen über Gründe, Formen, Entwicklung und<br />
Bewältigung des Phänomens vor. Auch über Prävention<br />
und Rehabilitation ist wenig bekannt. Es<br />
besteht unbedingt weiterer Bedarf nach Forschung<br />
und Klärung.<br />
Auch wenn „Bettlägerigkeit“ vermeintlich ein allgemein<br />
bekannter Begriff ist – die Definition ist<br />
nicht ganz einfach. Meist wird unter Bettlägerigkeit<br />
ein längerfristiger Daseinszustand verstanden,<br />
bei dem sich <strong>der</strong> betroffene Mensch die<br />
überwiegende Zeit des Tages und in <strong>der</strong> Nacht im<br />
Bett aufhält und ihm die Fähigkeit fehlt, frei zu sitzen.<br />
Die Ursachen sind hierbei vielschichtig.<br />
Unterschieden werden können zudem verschiedene<br />
Formen und Abstufungen <strong>der</strong> Bettlägerigkeit,<br />
meist wird unterteilt in drei Stufen:<br />
Leichte Form: die Betroffenen verbringen<br />
vier bis fünf Stunden des Tages außerhalb des<br />
Bettes in einem Rollstuhl o<strong>der</strong> Sessel<br />
Mittlere Form: die Betroffenen verlassen<br />
das Bett nur, um geringfügige Handlungen<br />
(Toilettengang / Körperpflege) <strong>aus</strong>zuführen<br />
Strikte Form: in <strong>der</strong> strikten Form <strong>der</strong><br />
Bettlägerigkeit steht <strong>der</strong> betroffene Mensch<br />
überhaupt nicht mehr auf<br />
Bettlägrige Menschen sind zudem zu differenzieren<br />
je nach Krankheitsbild und Ursache <strong>der</strong> Bettlägrigkeit<br />
bzw. ihres Pflegebedürfnisses. Unterschieden<br />
werden kann bspw. zwischen geistig rüstigen, jedoch<br />
körperlich kranken Menschen, Menschen mit<br />
Demenz, körperlich schwachen Menschen, Sterbenden<br />
und Menschen mit appalischem Syndrom.<br />
Mit ihren unterschiedlichen Erkrankungen befinden<br />
sich die bettlägrigen Menschen also in so genannten<br />
unterschiedlichen „Stadien“, daher sind<br />
die individuellen Auswirkungen bei den Betroffenen<br />
vielschichtig. Unter an<strong>der</strong>em betroffen sind<br />
die physischen, psychischen aber auch kognitiven<br />
Bereiche, wobei das subjektive Erleben <strong>der</strong> Einzelnen<br />
sehr zu differenzieren ist und somit Teile o<strong>der</strong><br />
auch weitere Aspekte des o.g. Szenario im Erleben<br />
denkbar sind.<br />
Zudem ist es in <strong>der</strong> Regel ein schleichen<strong>der</strong> Prozess<br />
bis hin zur Bettlägerigkeit, eine allmähliche<br />
Ortsfixierung, auf die <strong>der</strong> Verlauf sich zuspitzt; das<br />
Bett wird zum unmittelbaren und dadurch extrem<br />
reduzierten Lebensraum. Gerade <strong>der</strong> Einschränkungen<br />
wegen benötigen die Betroffenen neben ihrer<br />
pflegerischen Versorgung eine intensive Begleitung<br />
und Betreuung. Grundsätzliches Ziel hierbei ist den<br />
Menschen in einer bestmöglichen Behandlung und<br />
Begleitung eine hohe Lebensqualität in allen Phasen<br />
bis hin zum Tod zu ermöglichen.<br />
Darüber hin<strong>aus</strong> gilt es, für die Betroffenen das beschriebene<br />
Szenario möglichst gar nicht erst real<br />
werden zu lassen. Dies bedeutet, ein subjektives<br />
Wohlbefinden herzustellen, Geborgenheit zu vermitteln,<br />
die sozialen Beziehungen und Situationen<br />
unabhängig von <strong>der</strong> notwendigen Pflege zu initiieren<br />
und zu gestalten, <strong>der</strong> Reizarmut entgegen<br />
zu wirken u.a. mit <strong>der</strong> Schaffung eines entsprechenden<br />
Milieus bzw. Umgebung, wobei auch die<br />
individuelle Lebensgeschichte berücksichtigt werden<br />
sollte. Ebenso wichtig ist auch, die Angehörigen<br />
und Mitarbeitenden fachlich und emotional<br />
zu unterstützen.<br />
Um diese Ziele erreichen zu können und sich den<br />
vorhandenen Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ungen zu stellen, ist<br />
das Zusammenspiel aller Beteiligter notwendig, da<br />
die vielfältigen Notwendigkeiten nur mit einer Einbindung<br />
aller – den pflegerischen und therapeutischen<br />
Fachkräften, den Angehörigen und den<br />
freiwillig / bürgerschaftlich Engagierten – bewältigt<br />
werden kann. Hierbei gilt es, gemeinsam Inhalte<br />
und Vorgehensweisen zu entwickeln, eine integrative<br />
Begleitung und Bewegung zu ermöglichen,<br />
(selbst)kritisch eigene Haltungen und Pflegephilosophien<br />
zu reflektieren sowie weitere Unterstützungsmöglichkeiten<br />
zu entwickeln. Der Leitgedanke<br />
sollte sein, die Begleitung und Betreuung<br />
bettlägeriger Menschen als gleichermaßen fachliche<br />
und ethische Aufgabe anzusehen.<br />
71
ANHANG<br />
5<br />
VERZEICHNIS DER AUTORINNEN<br />
UND AUTOREN DIESES BANDES<br />
M.A. Judith Blume (Jg. 1983)<br />
Studium <strong>der</strong> Neueren und neuesten Geschichte,<br />
Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Empirische<br />
Kulturwissenschaft in Tübingen, Aix-en-Provence<br />
und Hamburg. Während und seit dem Studium<br />
tätig als freie Lektorin und Texterin sowie als-<br />
Ausstellungsgestalterin. Seit Januar 2010 Promotion<br />
an <strong>der</strong> Goethe-Universität in Frankfurt zum Thema<br />
„Das Klebealbum als Kulturtechnik“.<br />
Prof. Dr. Hermann Brandenburg (Jg. 1959)<br />
Studium <strong>der</strong> Sozialwissenschaften in Bochum sowie<br />
Gerontologie in Heidelberg, gleichzeitig Ausbildung<br />
und Tätigkeit als Altenpfleger. Seit 1996<br />
an <strong>der</strong> Katholischen Fachhochschule Freiburg; seit<br />
2007 Lehrstuhlinhaber für gerontologische Pflege<br />
an <strong>der</strong> Philosophisch-Theologischen Hochschule<br />
Vallendar. Diverse Her<strong>aus</strong>geber- und Mitgliedschaften.<br />
Dr. Eberhard Goll (Jg. 1956)<br />
Nach kaufmännischer Lehre und Studium geschäftsführen<strong>der</strong><br />
Assistent an <strong>der</strong> Uni Mannheim;<br />
Berater und Fortbildner bei <strong>der</strong> Beratungsgesellschaft<br />
für soziale Unternehmen mbH (BSU); seit<br />
1994 Mitglied des geschäftsführenden Vorstands<br />
<strong>der</strong> Samariterstiftung Nürtingen-Oberensingen,<br />
zuständig für den Bereich Altenhilfe. Seit 2003<br />
auch Vorsitzen<strong>der</strong> des württembergischen evangelischen<br />
Fachverbandes für Altenhilfe (WEFA).<br />
Prof. Dr. Reimer Gronemeyer (Jg. 1939)<br />
Studium <strong>der</strong> Theologie in Hamburg, Heidelberg<br />
und Edinburgh. Tätigkeit als Pfarrer in Hamburg,<br />
anschließend Studium <strong>der</strong> Soziologie. Assistent an<br />
den theologischen Fakultäten in Mainz und Bochum,<br />
seit 1975 Professor für Soziologie an <strong>der</strong><br />
Justus-Liebig-Universität in Gießen. Forschungsaufenthalte<br />
in Afrika und Osteuropa. Zusammenarbeit<br />
mit Palliative Care und OrganisationsEthik<br />
(Leitung: Prof. Dr. Andreas Heller). Diverse Ehrenamtliche<br />
Tätigkeiten, z.B. Vorstandsvorsitz <strong>der</strong> Aktion<br />
Demenz e.V. und Mitglied im wissenschaftlichen<br />
Beirat <strong>der</strong> BAG Hospiz e.V.<br />
Dr. Beate Krieg (Jg. 1960)<br />
Studium <strong>der</strong> deutschen und vergleichenden Volkskunde,<br />
Kommunikationswissenschaft, Kunstgeschichte,<br />
Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in<br />
München und Innsbruck. Wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />
im Museum für Brotkultur in Ulm, seit<br />
1994 Referentin für Kultur, Öffentlichkeitsarbeit<br />
und Qualifizierungsschulungen für ehrenamtliche<br />
Führungskräfte beim Bildungs- und Sozialwerk<br />
des LandFrauenverbandes Württemberg-Baden in<br />
Stuttgart, seit 1998 stellvertretende Geschäftsführerin<br />
des LandFrauenverbandes Württemberg-Baden,<br />
seit <strong>2008</strong> Geschäftsführerin. Seit <strong>2009</strong> Geschäftsführerin<br />
<strong>der</strong> Arbeitsgemeinschaft ländliche<br />
Erwachsenenbildung (ALEB).<br />
Prof. Dr. Kurt Lüscher (Jg. 1935)<br />
Studium <strong>der</strong> Soziologie in Bern und Basel. Div.<br />
Lehr- und Forschungstätigkeiten u.a. an <strong>der</strong> Columbia<br />
University, NY. Professor für Soziologie an<br />
<strong>der</strong> Universität Bern, von 1971 – 2000 Lehrstuhlinhaber<br />
an <strong>der</strong> Universität Konstanz. Ab 1989 Leiter<br />
des Forschungsschwerpunkts „Gesellschaft<br />
und Familie“. Schwerpunktthemen im Bereich Bildungs-<br />
und Mediensoziologie sowie verstärkt<br />
auch Soziologie <strong>der</strong> Familie und <strong>der</strong> Generationenbeziehungen.<br />
Seit <strong>der</strong> Emeritierung 2000<br />
mehrere Lehraufträge an <strong>der</strong> Universität Bern sowie<br />
in <strong>der</strong> Erwachsenenbildung. Beratertätigkeit<br />
im Bereich <strong>der</strong> Sozialpolitik. Zur Zeit Mitglied u. a.<br />
des wissenschaftlichen Beirates beim Bundesministerium<br />
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend<br />
(BMFSFJ).<br />
Thomas Pfundstein (Jg. 1955)<br />
Studium <strong>der</strong> Sozialarbeit. 1995 – 2003 wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter in <strong>der</strong> Kontaktstelle für<br />
praxisorientierte Forschung e.V. an <strong>der</strong> Evangelischen<br />
Fachhochschule Freiburg. Seit 2004 Geschäftsführer<br />
des Institutes für angewandte Sozialforschung<br />
Alter. Gesellschaft. Partizipation.<br />
(AGP). Forschungstätigkeiten in unterschiedlichen<br />
Fel<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Sozialen Gerontologie mit Schwerpunkt<br />
auf neue Wohnformen im Alter, Qualitätsmanagement<br />
und Entwicklung <strong>der</strong> Angebotsstruktur.<br />
Dipl. Psych. Iren Steiner (Jg. 1949)<br />
Studium <strong>der</strong> Psychologie. Trainerin für kreatives<br />
Lernen. Langjährige Projekt-, Beratungs- und Fortbildungstätigkeit<br />
in gemeinwesenorientierter Altenarbeit<br />
mit den Schwerpunkten Unterstützung<br />
von pflegenden Angehörigen in <strong>der</strong> Gemeinde,<br />
För<strong>der</strong>ung des bürgerschaftlichen Engagements,<br />
Pflegekultur und Biografiearbeit. 2003 – 2006 Leiterin<br />
des BELA-Praxisverbundes „Bürgerengagement<br />
für Lebensqualität im Alter“ für 19 Einrich-<br />
tungen <strong>der</strong> stationären Altenhilfe in Baden-Württemberg.<br />
Seit 2004 Projektverantwortliche für das<br />
Bundesprogramm „Pflegebegleiter“ (freiwilliges<br />
Engagement für die Begleitung von pflegenden<br />
Angehörigen), Regionalbüro Süd beim Paritätischen<br />
Bildungswerk, Stuttgart. Seit <strong>2008</strong> fachliche<br />
Koordinatorin des BELA III-Netzwerks.<br />
M.A. Mario Störkle (Jg. 1979)<br />
Studium <strong>der</strong> Soziologie. Wissenschaftliche Honorartätigkeiten<br />
u.a. für Sozial- und Jugendamt Freiburg.<br />
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsschwerpunkt<br />
Gerontologie und Pflege (AGP) an<br />
<strong>der</strong> Evangelischen Hochschule Freiburg. Seit <strong>2009</strong><br />
wissenschaftlicher Assistent am Institut für soziokulturelle<br />
Entwicklung an <strong>der</strong> Hochschule Luzern.<br />
Prof. Dr. Ralf Vandamme (Jg. 1963)<br />
Studium <strong>der</strong> Politikwissenschaften, Soziologie und<br />
Germanistik. Seit 1999 Fachberater für Bürgerschaftliches<br />
Engagement im StädteNetzWerk BE in<br />
Baden Württemberg, einem <strong>aus</strong> 64 Städten bestehenden<br />
Netzwerk mit den Schwerpunkten Erfahrungs<strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>ch,<br />
Weiterentwicklung <strong>der</strong> Engagementför<strong>der</strong>ung<br />
und Kommunale Entwicklungsb<strong>aus</strong>teine<br />
für Engagement und Partizipation. Seit<br />
<strong>2009</strong> Dozent an <strong>der</strong> Hochschule Mannheim im<br />
Fachbereich Sozialwesen.<br />
Gabriele Scholz-Weinrich (Jg. 1955)<br />
Studium <strong>der</strong> Sozialarbeit und <strong>der</strong> sozialen Gerontologie,<br />
Arbeit in verschiedenen Tätigkeitsfel<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />
Altenhilfe. Seit 1995 freiberufliche Trainerin in Organisationen<br />
/ bei Trägerin <strong>der</strong> Alten – und Gesundheitshilfe<br />
mit den Schwerpunkten Bildung und Beratung.<br />
Sowohl Initiierung als auch Mitarbeit in vielfältigen<br />
Projekten: u.a. Patientenbegleitung (hess.<br />
Altenhilfepreis), vertikale Kooperation, die Würde<br />
des Alters ist antastbar, Bundesprogramm Pflegebegleiter,<br />
Angehörigenunterstützung. Langjähriger<br />
Lehrauftrag an <strong>der</strong> FH Frankfurt.<br />
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ABBILDUNGSNACHWEIS<br />
Alle Grafiken, sofern nicht an<strong>der</strong>s<br />
gekennzeichnet, wurden den jeweiligen Projektpräsentationen<br />
bzw. Quelltexten entnommen.<br />
Das Copyright liegt bei den Autorinnen<br />
und Autoren.<br />
Fotos <strong>der</strong> Autorinnen und Autoren wurden<br />
zur Verfügung gestellt bzw. entnommen von<br />
www.reimergronemeyer.de (R. Gronemeyer),<br />
www.kurtluescher.de (K. Lüscher),<br />
www.samariterstiftung.de (E.Goll),<br />
www.alterssozialplanung.de (T. Pfundstein) und<br />
www.zfs.uni-freiburg.de (M. Störkle).<br />
IMPRESSUM<br />
Her<strong>aus</strong>geber: Landesseniorenrat<br />
Realisierung: Iren Steiner, fachliche Koordination<br />
BELA III, Bissingen<br />
Redaktionelle Bearbeitung: Wanda Hummel,<br />
Amaya Steinhilber<br />
Gestaltung: Michael Wiesinger, Freiburg<br />
Druck: Schwarz auf Weiss, Freiburg<br />
© Landesseniorenrat Baden-Württemberg, 2010