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182 Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung das Bild einer überforderten Dorfverwaltung zu einer self-fulfilling prophecy. Dies alles hat erheblich zu einer Unsicherheit über die Entscheidungs- und Verwaltungsstrukturen beigetragen. Die neue politische Freiheit und regionale Selbständigkeit haben also sehr unterschiedliche und teils problematische Folgen gehabt. Die weitere Entwicklung ist noch nicht abzusehen. Denn nach jahrelangem Tauziehen hat das politische Zentrum die 1999er Dezentralisierungsgesetzgebung revidiert. Alles deutet darauf hin, dass die Macht der Distrikte zugunsten der Provinzverwaltung eingeschränkt wird. Auf Dorfebene nimmt das Gesetz No. 32 von 2004 den demokratischen Spielraum teilweise wieder zurück. Dennoch meinen wir, dass die bisherigen Veränderungen, und vor allem die Wiedervereinigung der kleinen desa- Dörfer zu ihrem ursprünglichen nagari, ihr eigenes Momentum bekommen haben, das auch durch die neuerliche stärkere Rezentralisierung der staatlichen Verwaltung nicht ungeschehen gemacht werden kann. Langfristige Entwicklungen der Gerichtsbarkeit in Westsumatra Franz und Keebet von Benda-Beckmann Aufbauend auf der Forschung Keebet von Benda-Beckmanns in den 1970er Jahren wird in Zusammenarbeit mit dem Institut für Alternative Streitschlichtung der Universitas Andalas in Padang eine Langzeitstudie über alle staatlichen Zivil-, religiösen und Verwaltungsgerichte in der Provinz Westsumatra in Angriff genommen. Die zentralen Fragen des Projekts richten sich auf die Inanspruchnahme der unterschiedlichen Gerichte und des in ihnen zur Anwendung kommenden Rechts. Wie viele ehemalige Kolonien hat Indonesien eine lange Geschichte konfliktreicher Beziehungen zwischen staatlichem, islamischem und Gewohnheitsrecht, auch Adat oder Adatrecht genannt. Die jeweilige gesellschaftliche Bedeutung zeigt sich unter anderem in dem Recht, das durch staatliche Instanzen angewendet wird. Dort, wo ein bestimmter Gerichtszweig fest mit einer Teilrechtsordnung verbunden ist, wie bei den religiösen Gerichten mit dem islamischen Recht, gibt die unterschiedliche Einschaltung ziviler und religiöser Instanzen einen direkten Hinweis auf deren relative gesellschaftliche Bedeutung. Die Untersuchung zeigt, dass entgegen vieler Erwartungen die Rolle des Adatgewohnheitsrechts unter Einfluss der Modernisierung und der politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen zugunsten des staatlichen Rechts zurückgedrängt wird. Viele politische und wissenschaftliche Beobachter haben schon seit langem den Niedergang oder das Verschwinden des Adatrechts vorhergesagt. Darüber hinaus gibt es in Indonesien, aber nicht nur dort, eine Diskussion darüber, inwieweit islamisches Recht generell an Einfluss gewinnt und möglicherweise im Begriff ist, nicht nur Gewohnheitsrecht, sondern immer mehr auch staatliches Recht zu ersetzen. Die Forschung geht deshalb auch der
Projektgruppe Rechtspluralismus 183 Frage nach, ob sich die 1989 erweiterte Zuständigkeit der islamischen Gerichte in einer Zunahme ihrer Rolle als islamisches Recht anwendende Instanz niedergeschlagen hat. Im Mittelpunkt dieser Frage steht das Erbrecht, wo das Verhältnis zwischen islamischem Recht und Adatgewohnheitsrecht eine besonders turbulente Geschichte hat. Denn das matrilinear strukturierte Adaterbrecht der Minangkabau wurde und wird immer wieder von Anhängern eines strikten Islam in Minangkabau angegriffen, die die Anwendung islamischen Erbrechts verlangen. Von vielen Seiten wurde erwartet, dass die islamischen Gerichte eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung des islamischen Erbrechts spielen würden, wenn ihre Zuständigkeit dahingehend erweitert würde. Das wäre dann ein wichtiges Indiz dafür, dass islamisches Recht Adatgewohnheitsrecht ersetzte. Hierzu wurden die von den jeweiligen Gerichten in einem Zeitraum von 25 Jahren behandelten Fälle ermittelt. Bisher wurden die Daten bis 2000 analysiert. Daraus geht eindeutig hervor, dass Parteien in Westsumatra, im Gegensatz zum Beispiel zu Aceh, mit ihren Vererbungsstreitigkeiten weiterhin fast ausschließlich zu den staatlichen Zivilgerichten gehen, die nach wie vor Gewohnheitsrecht anwenden. Das Familienland matrilinearer Abstammungsgruppen wird weiterhin über die weibliche Linie vererbt, und selbsterworbene Güter werden zu gleichen Teilen an die Kinder vererbt. Letzteres wird durch die Zivilgerichte als „verändertes Adatrecht“ betrachtet. Religiöse Gerichte wenden zwar islamisches Erbrecht an; von ihnen wird jedoch nur sehr selten Gebrauch gemacht. Ein weiteres Ziel des Projekts besteht darin, die langfristigen Entwicklungen bei Landkonflikten zu untersuchen, weil dort die Beziehung zwischen staatlichem und Gewohnheitsrecht am spannungsreichsten ist. Die Erwartung vieler Beobachter war, dass die Modernisierung der Landwirtschaft in der Region zu einer deutlichen Abnahme des Gewohnheitsrechts führen würde. Es zeigt sich, dass trotz aller Modernisierung nur ein geringfügiger Teil des landwirtschaftlichen Grundbesitzes nach den Regeln des staatlichen Agrarrechts in individuelle Eigentumsrechte konvertiert ist. Aus unserer vorläufigen Analyse der in den Gerichten behandelten Fälle lässt sich schließen, dass Landstreitigkeiten immer noch die Mehrzahl der Fälle der staatlichen Zivilgerichte ausmachen und dass diese überwiegend nach Adatrecht entschieden werden. Die Rolle des staatlichen Rechts hat zwar im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts geringfügig an Bedeutung gewonnen; das Gewohnheitsrecht spielt aber immer noch eine überragende Rolle. Die Bevölkerung von Westsumatra ist offenbar sehr gut in der Lage, ihre Landwirtschaft zu modernisieren, ohne das Gewohnheitsrecht aufzugeben.
Seite 1 und 2: Projektgruppe Rechtspluralismus 175
Seite 7: Projektgruppe Rechtspluralismus 181

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