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medtropoleAktuelles aus der Klinik für einweisende Ärzte - Asklepios

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medtropole Aktuelles<br />

Nr. 20 Januar 2010<br />

PSYCHIATRIE:<br />

Persönlichkeitsstörungen und „Sucht“<br />

KARDIOLOGIE:<br />

Drug-Eluting Stents (DES) – ein Update<br />

NEUROCHIRURGIE/ORTHOPÄDIE:<br />

Die „alte“ Wirbelsäule<br />

<strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>einweisende</strong> <strong>Ärzte</strong>


Impressum<br />

Redaktion<br />

Jens Oliver Bonnet<br />

(verantw.)<br />

Prof. Dr. Dr. Stephan Ahrens<br />

Prof. Dr. Christian Arning<br />

PD Dr. Oliver Detsch<br />

Dr. Birger Dulz<br />

PD Dr. Siegbert Faiss<br />

Dr. Christian Frerker<br />

Dr. Annette Hager<br />

Dr. Susanne Huggett<br />

Prof. Dr. Uwe Kehler<br />

Dr. Jürgen Ma<strong>der</strong>t<br />

PD Dr. Jörg Schwarz<br />

PD Dr. Gunther Harald Wiest<br />

Prof. Dr. Gerd Witte<br />

Cornelia Wolf<br />

Her<strong>aus</strong>geber<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en<br />

Hamburg GmbH<br />

Unternehmenskommunikation<br />

Rudi Schmidt V. i. S. d. P.<br />

Rübenkamp 226<br />

22307 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-82 66 36<br />

Fax (0 40) 18 18-82 66 39<br />

E-Mail:<br />

medtropole@asklepios.com<br />

Auflage: 15.000<br />

Erscheinungsweise:<br />

4 x jährlich<br />

ISSN 1863-8341<br />

Editorial<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

die Beiträge <strong>der</strong> vor Ihnen liegenden neuen Ausgabe <strong>der</strong> medtropole zeigen das<br />

breite medizinische Spektrum unserer <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en. Zum einen werden<br />

bewährte Therapiekonzepte in ihrer mo<strong>der</strong>nsten Form angewandt, zum an<strong>der</strong>en<br />

neue Diagnose- und Therapiekonzepte kritisch hinterfragt und bei entsprechen<strong>der</strong><br />

Indikation zum Nutzen unserer Patienten eingesetzt.<br />

In seiner Arbeit über Drug Eluting Stents (DES) gibt Prof. Meyer einen Überblick<br />

über die aktuellen Daten, Wirksamkeit und Sicherheit <strong>der</strong> auf dem Markt<br />

angebotenen DES und diskutiert den aktuellen Stand <strong>der</strong> Indikationen. Die Therapie des Ovarialkarzinoms<br />

ist ein Beispiel da<strong>für</strong>, dass sich durch kontinuierliche Optimierung einer Therapie eine<br />

erhebliche Verbesserung des Therapieerfolges erreichen lässt. So liegt die Fünf-Jahres-Überlebensrate<br />

heute nach Einführung <strong>der</strong> adjuvanten Chemotherapie und radikaler Operation bei 48,4 Prozent!<br />

PD Dr. Schwarz stellt die einzelnen Therapieformen und seine eigenen Ergebnisse vor.<br />

Obwohl mo<strong>der</strong>ne, jodhaltige Kontrastmittel in ihrer Anwendung sicher und gut verträglich sind,<br />

gibt es Kontraindikationen, die eine solche Anwendung verbieten. Hier bietet die von Dr. Malzfeldt<br />

vorgestellte CO2-Angiographie unter bestimmten Bedingungen eine mögliche Alternative.<br />

Technische Entwicklungen sind Vor<strong>aus</strong>setzung mo<strong>der</strong>ner Therapieformen: So erlauben laparoskopische<br />

Techniken in <strong>der</strong> Urologie sogar eine minimal invasive Nierenteilresektion. Die Vorteile<br />

dieser bislang weltweit erst an 15 Zentren etablierten Therapiealternative stellen Dr. Böhme und<br />

Prof. Gross vor. Zentrenbildung ermöglicht eine optimierte Diagnostik und Therapie <strong>für</strong> definierte<br />

Krankheitsbil<strong>der</strong>. So hilft in <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona die Kooperation <strong>der</strong> Fachdisziplinen Un -<br />

fallchirurgie/Orthopädie und Neurochirurgie, die Therapieform <strong>aus</strong>zuwählen und anzuwenden,<br />

die <strong>der</strong> jeweiligen individuellen Situation <strong>der</strong> Patienten adäquat ist. Prof. Kehler, Prof. Wening<br />

und ihre Mitarbeiter berichten über ihre Erfahrungen bei <strong>der</strong> Behandlung <strong>der</strong> „alten“ Wirbelsäule.<br />

Die aktuellen Leitlinien zur Prophylaxe venöser Thromboembolien fasst Dr. El Abd-Müller <strong>für</strong> Sie<br />

zusammen. Dr. Ringelhahn macht auf den Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsstörungen<br />

und Sucht aufmerksam. Die Brisanz dieses Themas wird deutlich, wenn man berücksichtigt, dass<br />

etwa drei bis fünf Prozent <strong>der</strong> gesamten Bevölkerung alkoholabhängig sind, <strong>der</strong> Anteil Alkoholkranker<br />

in <strong>der</strong> Bevölkerungsgruppe „Patienten“ mit etwa 10 bis 15 Prozent noch einmal deutlich<br />

höher liegt und bei Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung sogar je<strong>der</strong> zweite betroffen ist –<br />

<strong>für</strong> uns <strong>Ärzte</strong> eine enorme Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung!<br />

Beim Lesen <strong>der</strong> Artikel wünsche ich Ihnen interessante Anregungen und neue Ideen zum Wohle<br />

unserer gemeinsamen Patienten und verbleibe mit besten Wünschen<br />

Ihr<br />

Prof. Dr. Gerd Witte<br />

Ärztlicher Direktor <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Wandsbek


Inhalt<br />

740 | KARDIOLOGIE<br />

Drug Eluting Stents (DES) – ein Update<br />

744 | GYNÄKOLOGIE<br />

Epitheliales Ovarialkarzinom:<br />

Optimale Therapie verbessert das Überleben signifikant<br />

748 | RADIOLOGIE<br />

CO 2-Angiographie:<br />

Ein Gas als alternatives intravasales Kontrastmittel<br />

751 | PSYCHIATRIE<br />

Persönlichkeitsstörungen und „Sucht“<br />

755 | UROLOGIE<br />

Lokal begrenzter Nierentumor:<br />

Laparoskopische Nierenteilresektion als mo<strong>der</strong>ne Therapie <strong>der</strong> Wahl<br />

758 | NEUROCHIRURGIE/ORTHOPÄDIE<br />

Die „alte“ Wirbelsäule<br />

762 | PERSONALIA<br />

764 | AUGENHEILKUNDE<br />

Vitreoretinale Traktion bei feuchter altersabhängiger Makuladegeneration (AMD)<br />

765 | LABORMEDIZIN<br />

S3-Leitlinie Prophylaxe venöser Thromboembolien<br />

768 | GESCHICHTE DER MEDIZIN<br />

„Spanische“ Grippe – die Mutter aller Pandemien<br />

S. 740<br />

S. 755<br />

S. 768


Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />

Drug Eluting Stents (DES) – ein Update<br />

Prof. Dr. Gerd Peter Meyer<br />

Dr. Frank Hennersdorf<br />

Die Rate <strong>der</strong> Stentimplantationen bei Koronarinterventionen ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen.<br />

Sie liegt in Deutschland <strong>der</strong>zeit bei 80 bis 90 Prozent <strong>der</strong> Koronareingriffe. Im Jahr 2008 wurden mehr als 250.000<br />

Stents in Deutschland eingesetzt. Ein nach wie vor ungelöstes Problem stellt die In-Stent-Rezidivstenose dar, die<br />

vor allem bei herkömmlichen, unbeschichteten Metallstents in etwa 15 bis 25 Prozent <strong>der</strong> Fälle auftritt. [1]<br />

Die Entwicklung sogenannter Drug Eluting<br />

Stents (DES), also Medikamente freisetzen<strong>der</strong><br />

Stents, trug dazu bei, die Re -<br />

stenoserate nach Koronarinterventionen<br />

signifikant zu senken. Allerdings war in<br />

einer Reihe von Studien kein statistisch<br />

signifikanter Unterschied hinsichtlich <strong>der</strong><br />

Mortalität zwischen DES und herkömmlichen<br />

Bare Metal Stents (BMS) nachweisbar.<br />

Erklärt wird <strong>der</strong> fehlende Einfluss auf<br />

die Mortalität durch die mögliche Entstehung<br />

später Stentthrombosen bei DES im<br />

Vergleich zu BMS. Diese Beobachtung<br />

betrifft insbeson<strong>der</strong>e den sogenannten Off-<br />

Label-Use: Stentimplantation bei Bifurkationsstenosen,<br />

langen Läsionen (über 30<br />

mm), venösen Bypässen, Hauptstammstenosen<br />

und chronischen Totalverschlüssen,<br />

sogenannten CTOs. Pathologiestudien an<br />

Patienten, die an einer Stentthrombose verstorben<br />

waren, zeigten einen verzögerten<br />

Einheilungsprozess, charakterisiert durch<br />

Fibrinablagerungen und eine geringere<br />

Endothelialisierung im Vergleich zu BMS.<br />

Zusätzlich spielen lokale Hypersensitivitätsreaktionen<br />

auf DES-Materialien und die<br />

Stent-Malapposition wichtige Rollen in <strong>der</strong><br />

740<br />

Entstehung <strong>der</strong> späten Stentthrombose,<br />

während die frühe Stentthrombose wahrscheinlich<br />

primär mechanisch durch eine<br />

Dissektion o<strong>der</strong> eine ungenügende Stententfaltung<br />

begünstigt wird. Die Weiterentwicklung<br />

<strong>der</strong> im Folgenden genannten drei<br />

Hauptkomponenten verbesserte die Langzeitresultate<br />

<strong>der</strong> DES <strong>der</strong> zweiten Generation<br />

im Vergleich zu den Vorreitern <strong>der</strong><br />

ersten Generation (Taxus ® und Cypher ® ).<br />

Insbeson<strong>der</strong>e dünnere Stentstruts und<br />

Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Dosis und Freisetzungskinetik<br />

des Medikaments scheinen<br />

sich günstig auf die Einheilung und Endothelialisierung<br />

<strong>aus</strong>zuwirken. [2]<br />

Künftige Entwicklungen zielen folgerichtig<br />

nicht nur auf die Verbesserung <strong>der</strong> neointimalen<br />

Suppression, son<strong>der</strong>n auch auf die<br />

Begünstigung des arteriellen Einheilungsprozesses:<br />

Biologisch abbaubare Polymerbeschichtung,<br />

polymerfreie Stenttechnologien,<br />

anti-CD34-Antikörper-Beschichtung<br />

zur Induktion des Endothelialisierungsprozesses<br />

sowie komplett biologisch abbaubare<br />

Stents stehen im Vor<strong>der</strong>grund <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />

Bemühungen. [2]<br />

Im Folgenden geben wir einen kurzen<br />

Überblick über die aktuellen Daten zur<br />

Wirksamkeit und Sicherheit <strong>der</strong> verfügbaren<br />

DES <strong>der</strong> ersten und zweiten Generation<br />

sowie zum aktuellen Stand <strong>der</strong> Indikationen.<br />

Wirksamkeit<br />

Nicht alle DES sind gleichermaßen effektiv<br />

und sicher, es gibt keinen Klasseneffekt.<br />

Eine CE-Zulassung ist nicht gleichbedeutend<br />

mit Wirksamkeit und Sicherheit.<br />

Hohe Evidenz, das heißt Wirksamkeit in<br />

randomisierten Studien mit primärem Endpunkt<br />

dokumentiert, besteht lediglich <strong>für</strong><br />

vier CE-zertifizierte DES (Cypher ® , Taxus ® ,<br />

Endeavor ® und XienceV/Promus ® ), mittlere<br />

Evidenz (Wirksamkeit in klinischen Studien<br />

mit primärem Surrogatendpunkt<br />

dokumentiert) <strong>für</strong> drei CE-zertifizierte DES<br />

(BioMatrix ® , Nobori ® und Yukon ® ). [3] Als<br />

wichtigster klinischer Parameter <strong>der</strong> Wirksamkeit<br />

wird die „Target Vessel Revascularisation“<br />

TVR angesehen. Sie gibt die tatsächliche<br />

klinisch indizierte Notwendigkeit<br />

einer erneuten Revaskularisation wie<strong>der</strong>.


a<br />

Abb. 1: (a) Koronarangiographie eines 52-jährigen Patienten mit instabiler Angina pectoris: langstreckige In-Stent-<br />

Rezidivstenose dreier Bare Metal Stents fünf Monate nach Implantation in die rechte Kranzarterie<br />

(b) Ergebnis nach Behandlung <strong>der</strong> Restenosen mit DES: klinisches Follow-up nach zwölf Monaten ohne erneute<br />

Beschwerden<br />

Unter diesem Aspekt zeigen sich DES<br />

gegenüber BMS bei stabiler KHK und De-<br />

Novo-Stenosen deutlich überlegen, ebenso<br />

bei <strong>der</strong> Behandlung von In-Stent-Rezidivstenosen<br />

in Nativgefäßen in vier randomisierten<br />

Studien im Vergleich zur intrakoronaren<br />

Brachytherapie o<strong>der</strong> alleinigen<br />

Ballonangioplastie. In drei randomisierten<br />

Studien (239 Patienten) wurde ein Paclitaxel<br />

freisetzen<strong>der</strong> Ballonkatheter eingesetzt<br />

mit Vorteilen im Vergleich zur einfachen<br />

Ballonangioplastie. [3] Die kürzlich publizierte<br />

randomisierte PEPCAD II-Studie<br />

ergab – allerdings bei sehr niedriger<br />

Patientenzahl – deutliche Vorteile eines<br />

Paclitaxel-eluting Ballonkatheters im Vergleich<br />

zum Taxus ® -Stent hinsichtlich des<br />

angiographischen Endpunktes und <strong>der</strong><br />

klinischen Ereignisrate. [4]<br />

DES bei akutem Myokardinfarkt<br />

Die Wirksamkeit von DES bei akutem<br />

Myokardinfarkt untersuchte die ebenfalls<br />

kürzlich publizierte HORIZONS-AMI-Studie.<br />

Hierbei wurden rund 3.000 Patienten<br />

randomisiert entwe<strong>der</strong> mit einem Paclit-<br />

b<br />

axel eluting Stent o<strong>der</strong> einem BMS behandelt.<br />

Untersucht wurden zwei primäre<br />

Endpunkte: Die Zwölf-Monate-TLR (Target<br />

Lesion Revascularisation for ischemia) und<br />

ein kombinierter Endpunkt <strong>aus</strong> Tod, Re -<br />

infarkt, Schlaganfall und Stentthrombose.<br />

Die mit einem Paclitaxel-eluting Stent<br />

behandelten Patienten hatten eine signifikant<br />

niedrigere Rate an TLR nach zwölf<br />

Monaten bei vergleichbarem Ergebnis hinsichtlich<br />

des kombinierten Endpunktes.<br />

Diese Studie bestätigt somit die Wirksamkeit<br />

von DES beim akuten Myokardinfarkt<br />

mit ST-Streckenhebung ohne Einschränkungen<br />

hinsichtlich <strong>der</strong> Sicherheit. [5] Erste<br />

Hinweise zur Prognoseverbesserung durch<br />

DES versus BMS <strong>aus</strong> Registerdaten haben<br />

sich nicht bestätigt. Randomisierte kontrollierte<br />

Studien wie die HORIZONS-AMI-<br />

Studie zeigen den Nutzen <strong>der</strong> DES:<br />

Verringerung <strong>der</strong> Notwendigkeit erneuter<br />

Kathetereingriffe bei identischer Mortalität.<br />

Spezielle Gefäßinterventionen<br />

Kardiologie<br />

Zum Einsatz von DES bei venösen Bypässen<br />

ist die Datenlage weiter uneinheitlich,<br />

bei Bifurkationsstenosen werden DES weiter<br />

kontrovers diskutiert. Die Zusammenfassung<br />

<strong>der</strong> sechs bislang erschienenen<br />

Studien zum Bifurkationsstenting ergibt<br />

weiterhin die Empfehlung zum „provisional<br />

stenting“. Das bedeutet, <strong>der</strong> Hauptast<br />

wird gestentet, <strong>der</strong> Seitenast nur bei<br />

Bedarf, z. B. bei drohendem Verschluss. [3]<br />

Hinsichtlich des Einsatzes verschiedener<br />

DES ergaben sich keine Unterschiede.<br />

DES bei koronarer<br />

Drei-Gefäß-Erkrankung<br />

Den Einsatz von DES bei koronarer Drei-<br />

Gefäß-Erkrankung, ungeschützter Hauptstammstenose<br />

o<strong>der</strong> beidem, untersuchte<br />

die Syntax-Studie im Vergleich zur Bypass-<br />

OP. Das Ergebnis war <strong>aus</strong> chirurgischer<br />

Sicht klar: Es zeigte eine Überlegenheit <strong>der</strong><br />

Bypass-OP gegenüber <strong>der</strong> DES-Strategie.<br />

Bei näherem Hinsehen erkennt man aber,<br />

dass <strong>der</strong> Vorteil <strong>der</strong> Bypass-OP vorwie-<br />

741


Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />

gend durch Verhin<strong>der</strong>ung erneuter Eingriffe,<br />

aber nicht durch Verbesserung <strong>der</strong> Mortalität<br />

bedingt war. In <strong>der</strong> Bypass-Gruppe<br />

kam es zudem zu vermehrten Schlaganfällen.<br />

Die koronare Bypass-OP bleibt somit das<br />

Standardverfahren vor allem bei interventionell<br />

schlecht angehbaren Gefäßen. Eine<br />

Subgruppenanalyse zeigt aber ein identisches<br />

Auskommen bei<strong>der</strong> Gruppen bei<br />

einem niedrigen Syntax-Score. In diesen<br />

Score gehen verschiedene Parameter wie<br />

Verkalkungsgrad, Ausprägung <strong>der</strong> Gefäßwindungen,<br />

Einbeziehung von Bifurkationen<br />

etc. ein. Ein niedriger Syntax-Score<br />

steht <strong>für</strong> interventionell gut angehbare Stenosen/Verschlüsse.<br />

[6] Das Vorgehen in<br />

unserer <strong>Klinik</strong> ist daher wie folgt: Patienten<br />

mit koronarer Drei-Gefäß-Erkrankung<br />

wird die Bypassoperation angeboten. Bei<br />

niedrigem Syntax-Score und Vorbehalten<br />

des Patienten gegenüber einer Operation<br />

würden wir interventionell vorgehen.<br />

Diese Entscheidung wird nicht im Kathe -<br />

terlabor, son<strong>der</strong>n in einer geson<strong>der</strong>ten Aufklärung<br />

mit dem Patienten besprochen.<br />

Diabetes mellitus<br />

Studien zur Wirksamkeit von DES beim<br />

Diabetiker mit klinischem Endpunkt liegen<br />

vor, sind aber limitiert. Die publizierten<br />

Studien mit einem primären Surrogatend-<br />

742<br />

Cypher ® Taxus ® Endeavor ® Xience ®<br />

Abb. 2: Elektronenmikroskopische Aufnahmen am Tiermodell 14 Tage nach Implantation von DES <strong>der</strong> 1. Generation (Cypher ® /Taxus ® )<br />

und 2. Generation (Endeavor ® /Xience ® ). Die Endothelialisierung war an den Stentstruts <strong>der</strong> Stents <strong>der</strong> 2. Generation (Pfeile) deutlich<br />

stärker <strong>aus</strong>geprägt. Dies ist sehr wahrscheinlich vorteilhaft in <strong>der</strong> Verhin<strong>der</strong>ung später Stentthrombosen (Nakazawa et al., expert<br />

reviews 2009).<br />

punkt zeigen aber die Überlegenheit<br />

gegenüber BMS bei dieser Zielgruppe,<br />

Unterschiede zwischen Taxus ® und Cypher ®<br />

ergaben sich in einer großen Metaanalyse<br />

mit mehr als 10.000 Patienten nicht. [7] Auch<br />

die randomisierte Endeavor IV-Studie<br />

ergab an 477 Patienten mit Diabetes mellitus<br />

vergleichbare Ergebnisse <strong>für</strong> Sicherheit<br />

und Wirksamkeit im Vergleich zwischen<br />

Taxus ® und Endeavor ® (angiographischer<br />

und klinischer Endpunkt). [8]<br />

Sicherheit<br />

Eine große Metaanalyse von Mortalität,<br />

Myokardinfarkt und Zielgefäßrevaskularisierung<br />

<strong>für</strong> die kombinierten Daten <strong>der</strong><br />

Cypher- und Taxus-Studien, immer im<br />

Vergleich zu einem unbeschichteten Stent,<br />

zeigt einen positiven Trend <strong>für</strong> die DES in<br />

Bezug auf Mortalität und Myokardinfarkt<br />

sowie den erwarteten signifikanten Vorteil<br />

in Bezug auf die Zielgefäßrevaskularisierung.<br />

Die eingangs erwähnte Stentthrombose als<br />

wesentliche Komplikation einer Behandlung<br />

mit einem DES wird heute allgemein<br />

nach den sogenannten ARC-Kriterien standardisiert,<br />

das heißt nach zeitlichem Auftreten<br />

und Wahrscheinlichkeit <strong>der</strong> Diagnose.<br />

Legt man danach eine als definitiv o<strong>der</strong><br />

wahrscheinlich klassifizierte Stentthrombose<br />

zugrunde, zeigte bislang keine randomi-<br />

sierte Studie eine erhöhte Thromboserate<br />

im Vergleich zum BMS. [3] In diesem Zu -<br />

sammenhang ist aber auch auf die weiterhin<br />

erfor<strong>der</strong>liche verlängerte Einnahme<br />

von Clopidogrelhydrogensulfat zusammen<br />

mit ASS hinzuweisen. Hier gilt unverän<strong>der</strong>t:<br />

zwölf Monate o<strong>der</strong> länger <strong>für</strong> Patienten<br />

mit geringem Blutungsrisiko.<br />

Die Dauer <strong>der</strong> dualen Plättchenhemmung<br />

muss aber individuell in Abwägung des<br />

Stentthrombose- und des Blutungsrisikos<br />

festgelegt werden (zum Beispiel nach<br />

Wie<strong>der</strong>eröffnung einer CTO, Bifurkationsstenting,<br />

Diabetes mellitus etc.).<br />

Indikationen<br />

1. Einsatz von DES bei erhöhtem Risiko<br />

einer Restenose:<br />

a. stabile KHK mit einer zu einer Symptomatik/Myokardischämie<br />

führenden<br />

De-Novo-Stenose mit einem Gefäßdurchmesser<br />

≤ 3 mm und/o<strong>der</strong> einer<br />

Stenoselänge ≥ 15 mm<br />

b. nach erfolgreicher Wie<strong>der</strong>eröffnung<br />

eines chronisch verschlossenen Koronargefäßes<br />

c. In-Stent-Rezidivstenose eines unbeschichteten<br />

Koronarstents<br />

– hier ergeben sich zukünftig möglicherweise<br />

alternative Indikationen <strong>für</strong><br />

den medikamentenbeschichteten Ballon


Abb. 3: TLR (Target Lesion Revascularisation) (A) und kombinierter Endpunkt<br />

(Safety MACE [Major Adverse Cardiac Event]) nach zwölf Monaten in <strong>der</strong><br />

HORIZONS-AMI-Studie (NEJM 2009) [5]<br />

2. Keine DES sollten eingesetzt werden,<br />

wenn die Compliance zur verlängerten<br />

Clopidogreleinnahme nicht gegeben ist,<br />

Blutungsrisiken bestehen o<strong>der</strong> nicht aufschiebbare<br />

Operationen geplant sind. Deshalb<br />

sind vor Stentimplantation folgende<br />

Fragen/Situationen zu klären:<br />

a. Anamnese hinsichtlich zu erwarten<strong>der</strong><br />

Compliance<br />

b. multimorbide Patienten mit hoher<br />

Tablettenzahl<br />

c. geplante Operationen<br />

d. erhöhtes, nicht zu beseitigendes<br />

Blutungsrisiko<br />

e. ASS- o<strong>der</strong> Clopidogrelunverträglichkeit<br />

f. bei strikter Indikation zur Dauerantikoagulation<br />

(in Abhängigkeit vom Einzelfall)<br />

Fazit und Ausblick<br />

DES sind eine medizinische Innovation<br />

und haben zur Verbesserung <strong>der</strong> Langzeit -<br />

resultate nach Koronarintervention beigetragen.<br />

Ein statistisch signifikanter Einfluss<br />

auf die Mortalität war bislang nicht schlüssig<br />

nachzuweisen. Da die geringe Wahrscheinlichkeit<br />

einer frühen o<strong>der</strong> späten<br />

Stentthrombose aufgrund <strong>der</strong> verzögerten<br />

Einheilung und Endothelialisierung zur<br />

verlängerten Einnahme von Thienopyridin<strong>der</strong>ivaten<br />

verpflichtet (dies gilt auch <strong>für</strong><br />

die DES <strong>der</strong> zweiten Generation), ist die<br />

Indikation weiterhin individuell zu stellen.<br />

Neue technische Innovationen wie verän<strong>der</strong>tes<br />

Stentdesign, Verbesserungen <strong>der</strong><br />

Polymerbeschichtung und Verän<strong>der</strong>ungen<br />

in <strong>der</strong> Freisetzungskinetik <strong>der</strong> Medikamente<br />

könnten dieses Problem künftig lösen<br />

und die interventionelle Behandlung <strong>der</strong><br />

KHK weiter verbessern. Für das nach wie<br />

vor unzureichend gelöste Problem <strong>der</strong> In-<br />

Stent-Rezidivstenose zeichnet sich durch<br />

die ermutigenden Ergebnisse <strong>der</strong> DEB eine<br />

ernst zu nehmende Alternative ab. Dies ist<br />

insbeson<strong>der</strong>e von Interesse, da die Einnahmedauer<br />

<strong>der</strong> dualen Plättchenhemmung<br />

deutlich verkürzt werden kann.<br />

Literatur<br />

[1] Klein B, Zahn R, Heer T, Hochadel M, Tebbe U, Darius<br />

H et al. Trends im Einsatz von Drug-eluting Stents im klinischen<br />

Einsatz in Deutschland, Herz 2008; 33: 450-4.<br />

[2] Nakazawa G, Finn AV, Kolodgie FD, Virmani R.<br />

A review of current devices and a look at new technology:<br />

drug eluting stents. expert reviews 2009; Vol. 6, No.1, 33-42.<br />

[3] Silber S, Borggrefe M, Böhm M, Hoffmeister HM, Dietz<br />

R, Ertl G, Heusch G. Medikamente freisetzende Koronarstents<br />

(DES) und Medikamente freisetzende Ballonkatheter<br />

(DEB): Aktualisierung des Positionspapiers <strong>der</strong> DGK,<br />

Clin Res Cardiol. 2008; 97(8): 548-63.<br />

[4] Unverdorben M, Vallbracht C, Cremers B, Heuer H,<br />

Hengstenberg C, Maikowski C et al. Paclitaxel-coated balloon<br />

catheter versus paclitaxel-coated stent for the treatment<br />

of coronary in-stent restenosis. Circulation 2009;<br />

119(23): 2986-94.<br />

Kontakt<br />

Prof. Dr. Gerd Peter Meyer<br />

Kardiologie<br />

Abb. 4: Syntax-Studie zum Vergleich DES versus Bypass-OP bei koronarer Drei-Gefäß-Erkrankung<br />

mit/ohne Hauptstammbeteiligung. Die Ergebnisse nach zwölf Monaten zeigen keinen<br />

Unterschied <strong>für</strong> Tod o<strong>der</strong> kombinierten klinischen Endpunkt zwischen den Gruppen bei Vorteilen<br />

<strong>für</strong> die Bypass-OP hinsichtlich notwendiger Re-Eingriffe (NEJM 2009). [6]<br />

III. Med. <strong>Klinik</strong> –<br />

Kardiologie, Angiologie und Pneumologie,<br />

Internistische Intensivmedizin<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />

Paul-Ehrlich-Straße 1<br />

22763 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-81 12 20/21<br />

Fax (0 40) 18 18-81 49 05<br />

E-Mail: gp.meyer@asklepios.com<br />

[5] Stone GW, Lansky AJ, Pocock SJ, Gersh BJ, Dangas G,<br />

Wong SC et al. Paclitaxel-eluting stents versus bare-metal<br />

stents in acute myocardial infarction, N Engl J Med. 2009;<br />

360(19): 1946-59.<br />

[6] Serruys PW, Morice MC, Kappetein AP, Colombo A,<br />

Holmes DR, Mack MJ et al. Percutaneous Coronary Intervention<br />

versus Coronary-Artery Bypass Grafting for Severe<br />

Coronary Artery Disease, N Engl J Med. 2009; 360(10):<br />

961-72.<br />

[7] Mahmud E, Bromberg-Marin G, Palakodeti V, Ang L,<br />

Creanga D, Demaria AN. Clinical efficacy of drug eluting<br />

stents in diabetic patients: a meta analysis. J Am Coll Cardiol.<br />

2008; 51(25): 2385-95.<br />

[8] Kirtane AJ, Gupta A, Iyengar S, Moses JW, Leon MB,<br />

Applegate R et al. Safety and efficacy of drug-eluting and<br />

bare metal stents: comprehensive meta-analysis of randomized<br />

trials and observational studies. Circulation 2009;<br />

119(25): 3198-206.<br />

743


Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />

Epitheliales Ovarialkarzinom:<br />

Optimale Therapie verbessert das<br />

Überleben signifikant<br />

Priv.-Doz. Dr. Jörg Schwarz<br />

Pro Jahr erkranken in Deutschland etwa 8.000 Frauen an einem epithelialen Ovarialkarzinom, rund 6.000<br />

versterben an den Folgen <strong>der</strong> Erkrankung. Wesentliche Ursachen <strong>für</strong> die hohe Mortalität sind <strong>der</strong> lange „stumme“<br />

klinische Verlauf und die fehlenden Frühsymptome, sodass 75 bis 80 Prozent <strong>der</strong> Tumoren erst in einem fortgeschrittenen<br />

Stadium mit Tumorbefall außerhalb des kleinen Beckens o<strong>der</strong> Organmetastasen (Stadium FIGO<br />

III/IV) diagnostiziert werden. Zur Erkennung des Ovarialkarzinoms im Frühstadium steht kein effektives<br />

Screening zur Verfügung. Dennoch verbesserte sich das Gesamtüberleben von Patientinnen mit Ovarialkarzinom<br />

in den vergangenen 30 Jahren kontinuierlich, sodass heute weltweit eine Fünf-Jahres-Überlebensrate von<br />

48,4 Prozent über alle Tumorstadien erreicht wird. Dies ist einerseits <strong>der</strong> Einführung von Platin und Taxanen<br />

in die adjuvante Chemotherapie und an<strong>der</strong>erseits den großen Fortschritten in <strong>der</strong> radikalen Operation, dem<br />

sogenannten Tumordebulking, zu verdanken.<br />

Es gilt heute als unbestritten, dass <strong>der</strong><br />

postoperativ verbleibende Resttumor den<br />

wichtigsten Prognosefaktor bei <strong>der</strong> Be -<br />

handlung des fortgeschrittenen Ovarialkarzinoms<br />

darstellt. Patientinnen, bei denen<br />

makroskopisch kein Resttumor verbleibt,<br />

haben eine statistisch signifikant bessere<br />

Prognose als Patientinnen mit Resttumoren,<br />

insbeson<strong>der</strong>e wenn <strong>der</strong> größte Durchmesser<br />

des verbliebenen Tumorgewebes<br />

größer als ein Zentimeter ist. Lediglich in<br />

<strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> Patientinnen im Stadium<br />

III/IV, die einen postoperativen Tumorrest<br />

unter einem Zentimeter haben o<strong>der</strong> tumorfrei<br />

operiert wurden, überleben 30 Prozent<br />

länger als zehn Jahre und können somit als<br />

geheilt betrachtet werden. [1]<br />

Inzidenz, Epidemiologie, Ätiologie und<br />

Prävention<br />

Die Inzidenz des Ovarialkarzinoms beträgt<br />

in den industrialisierten Län<strong>der</strong>n 14/100.000<br />

und das Lebenszeitrisiko, an einem Ovarialkarzinom<br />

zu erkranken, ein bis zwei Prozent.<br />

Die Ätiologie des Ovarialkarzinoms<br />

ist bisher weitgehend ungeklärt. 95 Prozent<br />

<strong>der</strong> Ovarialkarzinome treten sporadisch<br />

auf. Mögliche Risikofaktoren sind das<br />

744<br />

Lebensalter, Umwelt- und Ernährungsfaktoren<br />

(fleisch- und fetthaltig), Infertilität<br />

und die medikamentöse Ovulations<strong>aus</strong>lösung.<br />

Einen protektiven Effekt haben hingegen<br />

die Zahl <strong>der</strong> Schwangerschaften und<br />

die Einnahme von Ovulationshemmern.<br />

So kann die langzeitige Einnahme oraler<br />

Kontrazeptiva das Risiko auf etwa 60 Prozent<br />

senken. Bei etwa fünf bis zehn Prozent<br />

<strong>der</strong> Ovarialkarzinome liegt eine genetische<br />

Ursache vor. Mutationen <strong>der</strong> Tumorsuppressorgene<br />

BRCA 1 (Chromosom 17) und<br />

BRCA 2 (Chromosom 13) sind mit einem<br />

deutlich erhöhten Risiko <strong>für</strong> ein Mammao<strong>der</strong><br />

Ovarialkarzinom verbunden (bis zu<br />

45 Prozent).<br />

Histologie<br />

Ovarialtumore werden anhand ihres histologischen<br />

Ursprungs in epitheliale, Stromaund<br />

Keimzelltumoren unterteilt. Weiter<br />

unterscheidet man gut- und bösartige<br />

sowie Tumoren mit niedrigem malignen<br />

Potenzial (LMP) o<strong>der</strong> Bor<strong>der</strong>line-Tumoren.<br />

Die epithelialen Ovarialtumoren machen<br />

fast zwei Drittel aller primären Ovarialneoplasien<br />

und circa 90 Prozent <strong>der</strong> malignen<br />

Ovarialtumoren <strong>aus</strong>. Nach dem vorwie-<br />

genden Zelltyp werden die epithelialen<br />

Ovarialtumoren in seröse, muzinöse, endo -<br />

metroide, hellzellige und kleinzellige sowie<br />

nach ihrem Wachstumsmuster in papilläre,<br />

zystische und solide Tumoren differenziert.<br />

Prognosefaktoren<br />

Der wichtigste Prognosefaktor ist die<br />

Tumor<strong>aus</strong>breitung zum Zeitpunkt <strong>der</strong><br />

Diagnose. In Abhängigkeit vom Tumor -<br />

stadium beträgt die Fünf-Jahres-Überlebensrate<br />

des Ovarialkarzinoms im Stadium<br />

I 80 bis 90 Prozent, im Stadium II 40 bis 60<br />

Prozent, im Stadium III 10 bis 25 Prozent<br />

und im Stadium IV unter fünf Prozent. In<br />

frühen Tumorstadien ist <strong>der</strong> histologische<br />

Differenzierungsgrad (Grading) von beson<strong>der</strong>er<br />

prognostischer Bedeutung, bei fortgeschrittenen<br />

Erkrankungen mit einer<br />

Tumor<strong>aus</strong>dehnung über das kleine Becken<br />

hin<strong>aus</strong> (Stadium III/IV) ist <strong>der</strong> postoperative<br />

Tumorrest <strong>der</strong> wichtigste Prognosefaktor.


Abb. 1a: Tumorbefallenes rechtes Zwerchfell – die Tumoren wachsen auf dem<br />

Peritoneum und respektieren die Organgrenze, sodass sie mit dem Peritoneum<br />

komplett entfernt werden können<br />

Tumor<strong>aus</strong>breitung<br />

■ Die häufigste und früheste Form <strong>der</strong><br />

Ausbreitung von Ovarialkarzinomzellen<br />

erfolgt über die Ablösung von Tumorzellen<br />

<strong>aus</strong> <strong>der</strong> Ovarialoberfläche, die mit <strong>der</strong> Zirkulation<br />

<strong>der</strong> Peritonealflüssigkeit in <strong>der</strong><br />

Bauchhöhle verteilt werden und sich auf<br />

dem Peritoneum implantieren. Das Ovarialkarzinom<br />

„respektiert die Organgrenzen“,<br />

sodass es zu keiner Infiltration des Peritoneums<br />

kommt. Dies bildet die Grundlage<br />

<strong>für</strong> die Möglichkeit des radikalen operativen<br />

Vorgehens.<br />

■ Die lymphatische Ausbreitung in die<br />

pelvinen und paraaortalen Lymphknoten<br />

ist <strong>der</strong> zweite typische Metastasierungsweg.<br />

Auch bei auf das kleine Becken<br />

begrenzten Tumoren findet sich bereits in<br />

20 Prozent <strong>der</strong> Fälle eine lymphatische<br />

Metastasierung.<br />

■ Eine hämatogene Dissemination mit<br />

Metastasenbildung in parenchymatösen<br />

Organen (Leber, Lunge) findet sich nur bei<br />

zwei bis drei Prozent <strong>der</strong> Patientinnen und<br />

ist ähnlich wie die organüberschreitende<br />

Infiltration äußerst selten.<br />

Primäre Therapie<br />

■ In frühen Stadien (I und II): Entfernung<br />

von beiden Adnexen und Uterus sowie<br />

von Omentum majus, paraaortale und pelvine<br />

Lymphonodektomie und Peritonealbiopsien<br />

sowie Zwerchfellabstriche zum<br />

Staging.<br />

■ In fortgeschrittenen Stadien (III und IV):<br />

Radikale Operation mit Entfernung sämtlicher<br />

makroskopisch fassbarer Tumor -<br />

manifestationen im Abdomen.<br />

■ In Abhängigkeit vom Tumorstadium<br />

und Grading anschließend Chemotherapie.<br />

Adjuvante Chemotherapie<br />

Gynäkologie<br />

Abb. 1b: Selbe Patientin – rechtes Zwerchfell nach kompletter Deperitonealisierung –<br />

unter dem Peritoneum befindet sich kein Tumor mehr<br />

Die Indikation zur adjuvanten Chemotherapie<br />

richtet sich nach Tumorstadium und<br />

Differenzierungsgrad. Lediglich Patientinnen<br />

mit einem Tumorstadium pT1a und<br />

G1 benötigen keine weitere Therapie. Alle<br />

an<strong>der</strong>en erhalten eine adjuvante Chemotherapie<br />

mit Carboplatin und Taxol über<br />

sechs Zyklen. Bei Patientinnen im Stadium<br />

pT1a > G2 o<strong>der</strong> > pT1a bis IIA kann die<br />

Chemotherapie auf 4 bis 6 Zyklen mit Carboplatin<br />

alleine reduziert werden.<br />

In einer aktuellen Studie zeigte eine japanische<br />

Arbeitsgruppe [5] bei 631 Patientinnen<br />

mit Ovarialkarzinom im Stadium II – IV,<br />

dass die dosisdichte Gabe von Paclitaxel<br />

80mg/m2 wöchentlich in Kombination mit<br />

Carboplatin AUC 6 alle drei Wochen eine<br />

statistisch signifikante Verbesserung <strong>der</strong><br />

medianen Überlebenszeit von 17,2 Monaten<br />

im Standardarm (Paclitaxel 180 mg/m2 und Carboplatin AUC 6 alle drei Wochen)<br />

verglichen mit 28 Monaten im Studienarm<br />

erbrachte. Nach einer Nachbeobachtungszeit<br />

von 29 Monaten entwickelten 160 von<br />

312 (51,3 %) Patientinnen im Studienarm<br />

verglichen mit 200 von 319 (62,7 %) Patien-<br />

745


Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />

tinnen im Standardarm ein Rezidiv o<strong>der</strong><br />

Tumorprogress. Die Vorteile <strong>der</strong> dosisdichten<br />

Therapie beschränkten sich nur auf die<br />

Gruppe mit serösen Tumoren. Patientinnen<br />

mit muzinösen o<strong>der</strong> Klarzelltumoren profitierten<br />

nicht von dem neuen Regime. In -<br />

wieweit die dosisdichte Therapie aufgrund<br />

dieser Daten zur neuen Standardtherapie<br />

erklärt wird, entscheidet <strong>für</strong> Deutschland<br />

die AGO-Ovar. Diese empfielt zurzeit le -<br />

diglich die Teilnahme an weiteren Studien.<br />

Aus meiner Sicht sollte dieses Therapieregime<br />

mit je<strong>der</strong> Patientin mit serösem Ovarialkarzinom<br />

diskutiert werden.<br />

Operation bei frühem Ovarialkarzinom<br />

In 20 bis 25 Prozent <strong>der</strong> Fälle ist <strong>der</strong> Tumor<br />

auf die Ovarien beschränkt. Bei diesen<br />

Patientinnen finden sich jedoch in etwa 30<br />

Prozent <strong>der</strong> Fälle bereits pelvine und insbeson<strong>der</strong>e<br />

paraaortale Lymphknotenmetastasen.<br />

Lymphknotenmetastasen erhöhen das<br />

Stadium von I auf III, sodass immer eine<br />

adjuvante Chemotherapie indiziert ist.<br />

Daher muss auch bei allen Patientinnen<br />

mit einem auf die Ovarien beschränkten<br />

Tumor ein Staging mit pelviner und paraaortaler<br />

Lymphonodektomie, Exploration<br />

des gesamten Abdomen, zytologischen<br />

Abstrichen von den Zwerchfellen und Peritonealbiopsien<br />

im Bereich bei<strong>der</strong> Kolonrinnen<br />

sowie bei muzinösen Tumoren einer<br />

Appendektomie erfolgen. Da gerade<br />

746<br />

Tumoren im Bereich des Mesenteriums<br />

und hinter <strong>der</strong> Leber <strong>der</strong> Laparoskopie<br />

schlecht zugänglich sind, sollte die Operation<br />

immer offen über einen medianen<br />

Längsschnitt durchgeführt werden.<br />

Operation bei fortgeschrittenem<br />

Ovarialkarzinom<br />

Die radikale Operation bei fortgeschrittenem<br />

Ovarialkarzinom hat zum Ziel, sämtliche<br />

sichtbaren Tumoren im Abdomen und<br />

ggf. auch in Leber, Bauchdecke und inguinalen<br />

Lymphknoten (Stadium IV) zu entfernen<br />

(Tumordebulking). Die vollständige<br />

Entfernung allen makroskopischen Tumorgewebes<br />

schafft die Vor<strong>aus</strong>setzung <strong>für</strong><br />

einen optimalen Wirkungsgrad <strong>der</strong> dann<br />

folgenden Polychemotherapie.<br />

Folgende Hypothesen liegen dieser Beobachtung<br />

zugrunde:<br />

1. Mit zunehmen<strong>der</strong> Größe verbleiben<strong>der</strong><br />

Resttumoren sinkt <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> sich teilenden<br />

Zellen im Verhältnis zur Gesamtzellzahl,<br />

die Tumorverdopplungszeiten<br />

verlängern sich. Es kommt zur Abflachung<br />

<strong>der</strong> Wachstumskurve und damit zu einer<br />

vermin<strong>der</strong>ten Sensitivität gegenüber einer<br />

Chemotherapie.<br />

2. Größere Tumoren zeigen eine geringere<br />

Vaskularisation und eine Hypoxie insbe-<br />

Abb. 2: Überlebenskurven von 99 Patientinnen mit<br />

fortgeschrittenem Ovarialkarzinom (Stadium III/IV),<br />

die in den Jahren 1996 bis 2001 in <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong> <strong>für</strong><br />

Gynäkologie des UKE operiert wurden. Die Grafik<br />

zeigt das Überleben in Abhängigkeit vom postoperativen<br />

Tumorrest. Der Unterschied bezüglich <strong>der</strong><br />

Überlebenszeit zwischen tumorfrei operierten Patientinnen<br />

und Patientinnen mit einem Tumorrest bis<br />

9 mm ist statistisch hochsignifikant (p < 0,001) im<br />

Vergleich mit Patientinnen mit einem Resttumor<br />

größer 9 mm. [2]<br />

son<strong>der</strong>e in zentralen Tumorarealen und<br />

sind somit <strong>für</strong> die Chemotherapie schlechter<br />

zugänglich.<br />

3. Vor allem bei großen Tumoren treten<br />

Resistenz bereits nach zwei bis drei Chemotherapiezyklen<br />

und erneutes Tumorwachstum<br />

trotz Chemotherapie ein.<br />

Vor<strong>aus</strong>setzung <strong>für</strong> eine radikale Operation<br />

ist neben dem abdominalen Längsschnitt<br />

von <strong>der</strong> Symphyse bis zum Xyphoid <strong>der</strong><br />

retroperitoneale Zugangsweg insbeson<strong>der</strong>e<br />

im kleinen Becken. Da die Tumoren nicht<br />

durch das Peritoneum wachsen, lassen sie<br />

sich mit dem Peritoneum komplett entfernen<br />

(Abb. 1a und b). Im Bereich des kleinen<br />

Beckens ist meist eine En-bloc-Resektion<br />

von Uterus, Adnexe, Rectosigmoid und<br />

Peritoneum mit anschließen<strong>der</strong> Descendorectostomie<br />

erfor<strong>der</strong>lich. Weitere obligatorische<br />

Schritte sind die infragastrische<br />

Omentektomie, Appendektomie, Deperitonealisierung<br />

<strong>der</strong> Kolonrinnen und zumeist<br />

nur des rechten Zwerchfells sowie des<br />

Morrison Pouch, die paraaortale und pelvine<br />

Lymphonodektomie und die Resektion<br />

<strong>der</strong> ovariellen Gefäßbündel.<br />

Zum Teil notwendig sind Splenektomie<br />

und Resektion weiterer Darmanteile, atypische<br />

Leberteilresektionen, Cholecystektomie,<br />

Resektion von Omentum minus und<br />

Lymphknoten im Ligamentum hepatoduo-


denale. Am Anfang <strong>der</strong> Operation muss<br />

entschieden werden, ob eine Tumorresektion<br />

mit Resttumoren von weniger als<br />

einem Zentimeter Größe möglich ist.<br />

Kritisch sind dabei ein Tumorbefall <strong>der</strong><br />

gesamten Dünndarm- o<strong>der</strong> Dickdarmserosa<br />

o<strong>der</strong> Tumor im Bereich des Truncus coeliacus<br />

o<strong>der</strong> Pankreas. Eine Operation, bei<br />

<strong>der</strong> Tumorreste über einem Zentimeter<br />

zurückbleiben, verbessert die Prognose <strong>der</strong><br />

Patientin nicht und entspricht den Ergebnissen<br />

einer Explorativlaparotomie.<br />

Eigene Operationsergebnisse<br />

In einer Analyse [2,3] von 99 Patientinnen,<br />

die an einem fortgeschrittenem Ovarialkarzinom<br />

im Stadium FIGO III/IV in <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong><br />

<strong>für</strong> Gynäkologie des UKE in den Jahren<br />

1996 bis 2001 operiert wurden, fanden<br />

sich folgende Ergebnisse: Wichtigster Prognosefaktor<br />

war <strong>der</strong> postoperativ verbliebene<br />

Tumorrest, wobei ein maximaler<br />

Durchmesser von ≤ 9 mm als optimaler<br />

Schwellenwert ermittelt wurde. Bei 57 von<br />

99 Patientinnen (56 %) wurde durch die<br />

Operation makroskopische Tumorfreiheit,<br />

bei 77 von 99 Patientinnen (77 %) ein postoperativer<br />

Tumorrest mit einem Durchmesser<br />

≤ 9mm und bei 85 von 99 Patientinnen<br />

(85 %) ein postoperativer Tumorrest mit<br />

einem Durchmesser ≤ 1 cm erreicht. Nach<br />

fünf Jahren lebten noch 52 Prozent <strong>der</strong><br />

Patientinnen mit einem postoperativen<br />

Tumorrest von ≤ 9 mm, während alle an<strong>der</strong>en<br />

Patientinnen verstorben waren (Abb. 2).<br />

Die operative Komplikationsrate betrug<br />

31 Prozent, die perioperative Mortalität<br />

drei Prozent.<br />

Eine Umfrage <strong>der</strong> Organkommission Ovar<br />

<strong>der</strong> Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische<br />

Onkologie (AGO) an 245 deutschen <strong>Klinik</strong>en<br />

bezüglich <strong>der</strong> Versorgungsrealität zeigte<br />

erhebliche Qualitätsunterschiede insbeson<strong>der</strong>e<br />

in Abhängigkeit davon, wie viele<br />

Patientinnen pro Jahr in einer <strong>Klinik</strong><br />

behandelt wurden. [5] Optimale Operation<br />

und Chemotherapie hatten einen statistisch<br />

hochsignifikanten Einfluss auf die Prognose<br />

<strong>der</strong> Patientinnen (Abb. 3).<br />

Fazit<br />

Die Therapie hat einen signifikanten Einfluss<br />

auf das Überleben von Patientinnen<br />

mit Ovarialkarzinom. Gerade die operative<br />

Therapie bei Patientinnen mit fortgeschrittenem<br />

Ovarialkarzinom erfor<strong>der</strong>t spezielle<br />

operative Fähigkeiten und Erfahrung. Bei<br />

Patientinnen in den Stadien III und IV lässt<br />

sich in Zentren mit entsprechen<strong>der</strong> Erfahrung<br />

in über 80 Prozent <strong>der</strong> Fälle ein optimales<br />

Operationsergebnis erreichen.<br />

Gynäkologie<br />

Abb. 3: Ergebnisse einer Umfrage <strong>der</strong> AGO-Ovar bei 245 <strong>Klinik</strong>en in Deutschland<br />

bezüglich <strong>der</strong> Versorgungsqualität von Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarial -<br />

karzinom (Stadium IIB – IV). Lediglich bei 46,5 % <strong>der</strong> Patientinnen wurde eine<br />

optimale Operation und Chemotherapie durchgeführt, bei 17,1 % war we<strong>der</strong> die<br />

Operation noch die Chemotherapie optimal. Der statistische Unterschied zwischen<br />

den drei Gruppen ist hochsignifikant. Die Grafik demonstriert eindrucksvoll den<br />

Einfluss <strong>der</strong> Qualität <strong>der</strong> Therapie auf das Überleben <strong>der</strong> Patientinnen. [4]<br />

Literatur<br />

[1] Bristow RS, Tomacruz DK, Armstrong DK, Trimble EL,<br />

Montz FJ. Survival effect of maximal cytoreductive surgery<br />

for advanced ovarian carcinoma during the platinum-era:<br />

a metaanalysis. J Clin Oncol 2002; 20: 1248-59.<br />

[2] Schwarz J, Utler C, Yekebas E, Jänicke F. Operative Therapie<br />

des fortgeschrittenen Ovarialkarzinom. Hamburger<br />

<strong>Ärzte</strong>blatt 2006; 1: 6-10.<br />

[3] Utler C, Osterholz T, Schwarz J, Thomssen C, Jänicke F.<br />

Die Bedeutung <strong>der</strong> radikalen zytoreduktiven Chirurgie <strong>für</strong><br />

die Überlebenszeit von Patientinnen mit fortgeschrittenem<br />

Ovarialkarzinom. GebFra 2005; 65: 1168-77.<br />

[4] du Bois A, Rochon J, Lamparter C, Pfisterer J. Die Qualität<br />

<strong>der</strong> Therapie des Ovarialkarzinoms in Deutschland.<br />

Frauenarzt 2009; 50: 742-51.<br />

[5] Katsumata N, Yasuda M, Takahashi F et al. Dose-dense<br />

paclitaxel once a week in combination with carboplatin<br />

every 3 weeks for advanced ovarian cancer: a phase 3,<br />

open-label, randomised controlled trial. Lancet 2009; 374:<br />

1331-8.<br />

Kontakt<br />

Priv.-Doz. Dr. Jörg Schwarz<br />

Abteilung <strong>für</strong> Gynäkologie<br />

und Brustzentrum<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord – Heidberg<br />

Tangstedter Landstraße 400<br />

22417 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-87 31 26<br />

Fax (0 40) 18 18-87 31 27<br />

E-Mail: joe.schwarz@asklepios.com<br />

747


Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />

CO 2-Angiographie:<br />

Ein Gas als alternatives intravasales<br />

Kontrastmittel<br />

Dr. Ernst-Joachim Malzfeldt<br />

Mo<strong>der</strong>ne jodhaltige Kontrastmittel (KM) sind in ihrer Anwendung sicher und in <strong>der</strong> Regel sehr gut verträglich.<br />

Sie stellen den Goldstandard in <strong>der</strong> diagnostischen und interventionellen Radiologie dar und sind <strong>aus</strong> <strong>der</strong><br />

täglichen Praxis nicht mehr wegzudenken. Trotz kontinuierlicher Weiterentwicklungen und Verbesserungen in den<br />

vergangenen Jahren bleiben <strong>für</strong> ihre Anwendung aber weiterhin Risiken, Beschränkungen und Kontraindikationen<br />

bestehen. In erster Linie sind diese durch Einschränkungen <strong>der</strong> Nierenfunktion bedingt, aber auch die Überfunktion<br />

<strong>der</strong> Schilddrüse und schwere Allergien können den Einsatz dieser KM risikoreich gestalten.<br />

Mit <strong>der</strong> Magnetresonanztomographie<br />

(MRT) und dem Einsatz nicht jodhaltiger<br />

KM lassen sich zwar <strong>aus</strong>sagekräftige<br />

Angiographien erzeugen, doch bei Nierenfunktionsstörungen<br />

bietet auch dieses Verfahren<br />

keinen Ausweg. Gadoliniumhaltige<br />

KM werden <strong>für</strong> die nephrogene systemische<br />

Fibrose verantwortlich gemacht, eine<br />

seltene, aber sehr ernste Komplikation.<br />

Zudem lässt sich die MRT nur unter experimentellen<br />

Bedingungen, nicht jedoch in<br />

<strong>der</strong> Praxis <strong>für</strong> Gefäßinterventionen einsetzen.<br />

Alternativen zum jodhaltigen KM sind<br />

also gefor<strong>der</strong>t.<br />

Bildgebung mittels Röntgenverfahren<br />

beruht auf den unterschiedlichen Schwächungseigenschaften<br />

<strong>der</strong> Stoffe: Das darzustellende<br />

Objekt kann nur sicht- und ab -<br />

grenzbar sein, wenn es sich in Bezug auf<br />

die Absorption <strong>der</strong> Strahlen <strong>aus</strong>reichend<br />

von seiner Umgebung abhebt. Ist <strong>der</strong> Un -<br />

terschied – also <strong>der</strong> Kontrast – zu gering,<br />

muss er mithilfe von Kontrastmitteln verstärkt<br />

werden. Die Kontrastverstärkung<br />

748<br />

erfolgt im Normalfall röntgenpositiv durch<br />

Erhöhung <strong>der</strong> Absorption des darzustellenden<br />

Objekts, wie es bei jodhaltigen<br />

Kontrastmitteln <strong>der</strong> Fall ist. Mit einem<br />

Stoff, <strong>der</strong> mehr Röntgenstrahlen als das<br />

umliegende Gewebe durchlässt, lässt sich<br />

aber auch ein röntgennegativer Kontrast<br />

erzeugen, wie er zum Beispiel natürlich bei<br />

<strong>der</strong> Röntgenübersicht des Abdomens durch<br />

Darmgas hervorgerufen wird (Abb. 1).<br />

Ersetzt man in einer Vene o<strong>der</strong> Arterie das<br />

Blut temporär durch ein Gas, kann auf<br />

diese Weise eine Angiographie erzeugt<br />

werden (Abb. 2). Allerdings ist dieser<br />

Kontrast schwächer als bei jodhaltigem<br />

Kontrastmittel. Er lässt sich auch nicht verstärken,<br />

wie es bei Jod durch Erhöhung <strong>der</strong><br />

Konzentration möglich ist. Dennoch reicht<br />

er <strong>aus</strong>, um mithilfe <strong>der</strong> digitalen Subtraktionstechnik<br />

(DSA) brauchbare Bil<strong>der</strong> <strong>für</strong><br />

die Diagnostik und die Kontrolle von Ge -<br />

fäßinterventionen zu generieren (Abb. 3).<br />

Luft eignet sich nicht zur intravasalen An -<br />

wendung, da ihre wesentlichen Bestandteile<br />

Stickstoff und Sauerstoff beide im Blut<br />

relativ schlecht löslich und dadurch komplikationsträchtig<br />

sind. Schon kleine Luftblasen<br />

können zu folgeschweren Embolien<br />

und zum Tod führen. An<strong>der</strong>s liegen die<br />

Bedingungen bei <strong>der</strong> Kohlensäure, die in<br />

<strong>der</strong> Luft zu einem Anteil von 0,038 Volumenprozent<br />

vorkommt. Der Körper produziert<br />

selbst CO2, es ist ihm also gut vertraut.<br />

Allergien gegen das Gas kommen<br />

nicht vor und die Löslichkeit im Blut ist<br />

mehr als 20 Mal höher als die von Sauerstoff<br />

o<strong>der</strong> Stickstoff. Das ins Blut eingebrachte<br />

und gelöste CO2 wird mit dem<br />

Kreislauf in die Lunge transportiert und<br />

während <strong>der</strong> dortigen Passage umgehend<br />

wie<strong>der</strong> abgeatmet, sodass im Patienten<br />

we<strong>der</strong> eine klinisch relevante Erhöhung<br />

<strong>der</strong> CO2-Konzentration noch eine messbare<br />

Verschiebung des pH-Wertes entstehen.


a<br />

Abb. 1: (Aufnahmen im Abstand von einer Sekunde) PTA einer Beckenstenose links in cross-over-Technik:<br />

An <strong>der</strong> Stenose (Pfeil) zerreißt die CO2-Blase zunächst, das anschließende Gefäß füllt sich sekundär<br />

Artefakte durch bewegte Darmluft (Stern)<br />

Technik und Einsatz<br />

<strong>der</strong> CO 2-Angiographie<br />

Grundsätzlich lassen sich sowohl Venen als<br />

auch Arterien mit <strong>der</strong> CO2-Angiographie darstellen. Der Zugang zum zu untersuchenden<br />

Gefäß und die Kathetertechnik<br />

gleichen weitgehend denen, die bei einer<br />

konventionellen röntgenologischen Methode<br />

Anwendung finden. Die zusätzlichen<br />

technischen Vor<strong>aus</strong>setzungen sind gering,<br />

ebenso die notwendigen Investitionen.<br />

Neben <strong>der</strong> CO2-Quelle muss einmalig ein<br />

Reduktionsventil angeschafft werden,<br />

zusätzlich <strong>für</strong> jede Untersuchung steriles<br />

Verbrauchsmaterial. Da das Gas sehr billig<br />

ist, ist auch die gesamte Methode im Vergleich<br />

zu konventionellen Angiographien<br />

kostengünstig.<br />

Man verwendet medizinisch reines CO2 <strong>aus</strong><br />

einer Druckflasche. Die Injektion erfolgt<br />

<strong>aus</strong> einer 100 ml-Spritze mit dosierbarer<br />

Voreinstellung, die über das Reduktionsventil<br />

mit einem Druck von bis zu 1,3 bar<br />

b<br />

befüllt wird. Angepasst an die zu untersuchende<br />

Gefäßregion variieren die verabreichten<br />

Dosen zwischen 20 und maximal<br />

100 ml pro Injektion. [3] Zunächst kostet es<br />

den Untersucher allerdings meist etwas<br />

Überwindung, genau das zu tun, was er<br />

bisher strengstens vermieden hat – Gas mit<br />

<strong>der</strong> Injektion in ein Blutgefäß gelangen zu<br />

lassen. Im Gefäß bildet das eingeblasene<br />

CO2 zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Röntgenaufnahme<br />

eine zusammenhängende, aber nur kurzlebige<br />

Blase, die die Blutsäule verdrängt. [1] In<br />

Richtung des Blutflusses kommt es im weiteren<br />

Verlauf zum Zerreißen dieser Blase,<br />

dann spätestens während <strong>der</strong> kapillaren<br />

Passage zu ihrer vollständigen Resorption.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e an Stenosen o<strong>der</strong> Gefäßgabelungen<br />

können diese Blasen aber auch<br />

schon frühzeitig zerreißen (Abb.1). Da CO2 leichter ist als Blut, steigt es auf. Durch entsprechende<br />

Lagerung des Patienten lassen<br />

sich <strong>der</strong> Abtransport beschleunigen und<br />

damit die Überlebenszeit und Kohärenz<br />

<strong>der</strong> Blase verbessern. Auch die Ausbildung<br />

von Gasansammlungen in Gefäßnischen<br />

Radiologie<br />

Abb. 2: Das Rohbild <strong>der</strong> Angiographie über den antegrad<br />

in den rechten Oberschenkelarterien liegenden<br />

Katheter, es wurden 20 ml CO2 injiziert: Das Blut in<br />

<strong>der</strong> rechten A. femoralis und A. profunda femoris ist<br />

temporär vollständig vom Gas verdrängt.<br />

kann so vermieden werden. Für eine<br />

Becken- und Beinangiographie werden<br />

Beine und Füße hoch gelagert, zur Darstellung<br />

<strong>der</strong> rechten Nierenarterie wird <strong>der</strong><br />

Patient in Linksseitenlage gebracht. Zwischen<br />

einzelnen Aufnahmeserien werden<br />

ihm immer zwei Minuten Zeit gegeben,<br />

damit er das CO2 wie<strong>der</strong> vollständig abatmen<br />

kann. Das Gesamtvolumen an CO2 ist<br />

somit nahezu unbeschränkt. Die Handhabung<br />

des Systems ist einfach und sicher,<br />

diagnostische Angiographien verlaufen<br />

ohne zeitlichen Mehraufwand. Muss bei<br />

interventionellen Eingriffen mehrfach zwischen<br />

Behandlung und Darstellung ge -<br />

wechselt werden, wird <strong>der</strong> Aufwand größer,<br />

bleibt aber zumutbar. [4]<br />

Untersucht werden können alle arteriellen<br />

Gefäße unterhalb des Zwerchfells, auch<br />

Viszeralarterien, Venen an allen Extremitäten<br />

sowie Dialyseshunts. CO2 als Bolus ist<br />

allerdings potenziell neurotoxisch. [2] Arterielle<br />

Darstellungen oberhalb des Zwerchfells<br />

sind deshalb tabu, da hier die Gefahr<br />

749


Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />

Abb. 3: Im Subtraktionsbild (DSA) <strong>der</strong> rechten A. femoralis<br />

nach CO2-Injektion. Die Stenose und auch kleine Kolla<br />

teralgefäße kommen in guter Qualität zur Darstellung<br />

(Aufnahme im Rahmen einer Ballondilatation bei einem<br />

83-jährigen Patienten mit grenzkompensierter diabetischer<br />

Nephropathie).<br />

besteht, dass das Gas in Gefäße gelangt,<br />

die das Hirn o<strong>der</strong> Rückenmark versorgen,<br />

und hier zu Schäden führt. Aus dem gleichen<br />

Grund dürfen keine intravenösen<br />

Injektionen durchgeführt werden, wenn<br />

beim Patienten Kurzschlussverbindungen<br />

zum arteriellen System, wie AV-Fisteln <strong>der</strong><br />

Lungengefäße, Vorhof- o<strong>der</strong> Ventrikelseptumdefekte,<br />

vorliegen.<br />

In Abhängigkeit vom Einsatzort berichten<br />

die Patienten von Wärmegefühl, geringen<br />

passageren Schmerzen und Kribbelparästhesien,<br />

selten auch über Schwindel, Übelkeit<br />

und Defäkationsdrang. Insgesamt ist<br />

das Risiko eines Zwischenfalls bei <strong>der</strong> CO2- Angiographie aber gegenüber konventionellen<br />

Techniken nicht erhöht.<br />

750<br />

Indikationen<br />

Akute / chronische Niereninsuffizienz / Transplantat-Nieren<br />

Kontrastmittel-Unverträglichkeit<br />

Latente/manifeste Hyperthyreose<br />

Paraproteinämie<br />

Einsatzgebiete<br />

Diagnostische Angiographien Aorta-Becken-Bein<br />

Interventionen bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK)<br />

AV-Dialyseshunts<br />

Nierenarterienstenosen / Nierentumoren<br />

Quellensuche bei gastrointestinalen Blutungen<br />

In Kombination mit jodhaltigem KM zu dessen Reduzierung<br />

Venendarstellung<br />

Kontraindikationen<br />

Schwere COPD mit erhöhtem pCO 2<br />

Speziell <strong>für</strong> arterielle Applikation:<br />

Angiographie oberhalb des Zwerchfells (außer Hämodialyse-Shunts)<br />

Speziell <strong>für</strong> venöse Applikation:<br />

AV-Shunt <strong>der</strong> Lungengefäße<br />

Vorhof- o<strong>der</strong> Ventrikelseptumdefekt<br />

Spezielle Nebenwirkungen<br />

Schmerzen bei Extremitätenangiographien<br />

Kopfschmerzen und Schwindel<br />

Tachykardien, Wärmegefühl, Kribbelparästhesien<br />

Übelkeit, Erbrechen, Defäkationsdrang<br />

Fazit<br />

Die CO2-Angiographie hat überall dort<br />

ihren Platz, wo im Rahmen diagnostischer<br />

o<strong>der</strong> interventioneller Gefäßdarstellungen<br />

<strong>der</strong> Einsatz jodhaltiger Kontrastmittel risikoreich<br />

o<strong>der</strong> kontraindiziert ist o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en<br />

eingesetztes Volumen beschränkt bleiben<br />

muss. Aufgrund des geringeren Kontrastes<br />

gegenüber den jodhaltigen Kontrastmitteln<br />

ist die Qualität <strong>der</strong> resultierenden Bil<strong>der</strong><br />

etwas eingeschränkt. Dennoch lassen sich<br />

mit entsprechen<strong>der</strong> Technik Gefäßdarstellungen<br />

<strong>aus</strong>reichen<strong>der</strong> diagnostischer Qualität<br />

erzeugen. Der technische Mehraufwand<br />

ist gering, die Methode kann als<br />

sicher, gut verträglich und kostengünstig<br />

empfohlen werden.<br />

Kontakt<br />

Dr. Ernst-Joachim Malzfeldt<br />

Radiologie / Neuroradiologie<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord<br />

Tangstedter Landstraße 400<br />

22417 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-87 93 24<br />

E-Mail: e.malzfeldt@asklepios.com<br />

Literatur<br />

[1] Albrich H, Gmeinwieser J, Manke C, Strotzer M. Transfemorale<br />

Becken-Bein-Angiographie mit CO2: Erfahrungen<br />

mit druck- und volumenkontrollierter Injektion. RöFo.<br />

1999; 177: 384-90.<br />

[2] Caridi JG, Hawkins IF Jr. CO2 digital subtraction angiography:<br />

Potential complication and their prevention. J Vasc<br />

Intervent Radiol. 1997; 8: 383-91.<br />

[3] Cronin P, Patel JV, Kessel DO. Carbon dioxide angiography:<br />

a simple and safe system of delivery. Clinical<br />

Radiology 2005; 60: 123-5.<br />

[4] Kummer-Kloess D, Koess W, Marienhoff N. Angiography<br />

during interventional procedures with carbon dioxide<br />

(CO2) (carbon-angiography) in patients with increased<br />

contrast media risk. Zentralbl Chir. 1997; 122: 725-9.


Persönlichkeitsstörungen und „Sucht“<br />

Dr. Sven Ringelhahn<br />

Psychiatrie<br />

Rund 9,4 Prozent <strong>der</strong> deutschen Bevölkerung leiden an einer Persönlichkeitsstörung. [1] Behandlungsbedürftig<br />

werden Persönlichkeitsstörungen allerdings weit<strong>aus</strong> seltener. Die Altersverteilung lässt eine Tendenz zur Abnahme<br />

im Alter erkennen, Stadtbevölkerung und sozial schwächere Schichten sind stärker betroffen. [2] 30 bis 40 Prozent<br />

<strong>der</strong> Poliklinikpatienten und 40 bis 50 Prozent <strong>der</strong> stationären Patienten erfüllen unter an<strong>der</strong>em die Kriterien einer<br />

Persönlichkeitsstörung. [3] Starke spezifische Zusammenhänge bestehen zwischen Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen<br />

(Antisoziale, Bor<strong>der</strong>line-, Histrionische o<strong>der</strong> Narzisstische Persönlichkeitsstörung) und Alkohol-/Drogenmissbrauch<br />

bzw. -abhängigkeit. [4]<br />

Das Wort „Sucht“ (germ. suhti-, ahd. suht,<br />

suft, mhd. suht) ist nicht verwandt mit<br />

„suchen“. Es geht auf „siechen“ (ahd. siechen,<br />

mhd. siuchan) zurück, also das Leiden<br />

an einer Krankheit. Im offiziellen Sprachgebrauch<br />

<strong>der</strong> Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO) existierte <strong>der</strong> Begriff Sucht von<br />

1957 bis 1963, bevor er durch Missbrauch<br />

und Abhängigkeit ersetzt wurde. [5] Sucht<br />

ist nach <strong>der</strong> WHO ein Zustand periodischer<br />

o<strong>der</strong> chronischer Intoxikation, verursacht<br />

durch wie<strong>der</strong>holten Gebrauch einer natürlichen<br />

o<strong>der</strong> synthetischen Substanz, <strong>der</strong> <strong>für</strong><br />

das Individuum o<strong>der</strong> die Gemeinschaft<br />

schädlich ist. [6] Dem umgangssprachlichen<br />

Begriff <strong>der</strong> Sucht bzw. Suchterkrankung<br />

am nächsten kommt <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> stoffgebundenen<br />

(legale und illegale Drogen)<br />

und nicht-stoffgebundenen Abhängigkeit.<br />

Die Diagnose Abhängigkeit soll nach ICD-<br />

10 gestellt werden, wenn bei einem Patienten<br />

irgendwann während <strong>der</strong> vergangenen<br />

Jahre mindestens drei von sechs <strong>der</strong> folgenden<br />

Kriterien vorhanden waren:<br />

■ starker Wunsch o<strong>der</strong> Zwang, Substanzen<br />

o<strong>der</strong> Alkohol zu konsumieren<br />

■ vermin<strong>der</strong>te Kontrollfähigkeit bezüglich<br />

des Beginns, <strong>der</strong> Beendigung und<br />

<strong>der</strong> Menge des Substanz- o<strong>der</strong> Alkoholkonsums<br />

■ körperliches Entzugssyndrom<br />

■ Nachweis einer Toleranz. Um die<br />

ursprünglich durch niedrigere Dosen<br />

erreichten Wirkungen <strong>der</strong> Substanz<br />

hervorzurufen, sind zunehmend höhere<br />

Dosen erfor<strong>der</strong>lich.<br />

■ fortschreitende Vernachlässigung an<strong>der</strong>er<br />

Vergnügungen o<strong>der</strong> Interessen<br />

zugunsten des Substanzkonsums<br />

■ anhalten<strong>der</strong> Substanz- o<strong>der</strong> Alkoholkonsum<br />

trotz Nachweises eindeutiger<br />

schädlicher Folgen (körperlicher, sozialer<br />

o<strong>der</strong> psychischer Art)<br />

Der Anteil <strong>der</strong> Abhängigen in <strong>der</strong> deutschen<br />

Bevölkerung beträgt fünf bis sieben<br />

Prozent. Die größte Bedeutung hat mit drei<br />

bis fünf Prozent <strong>der</strong> Bevölkerung, also<br />

rund 2,5 Millionen Betroffenen, die Alkoholabhängigkeit.<br />

Die Zahl <strong>der</strong> Drogenab-<br />

hängigen beträgt etwa 150.000, die Zahl<br />

<strong>der</strong> Medikamentenabhängigen etwa eine<br />

Million. In <strong>Klinik</strong>en ist mit etwa 15 Prozent<br />

ein nicht unerheblicher Teil <strong>der</strong> Patienten<br />

alkoholkrank. Mehr als zehn Prozent aller<br />

Patienten in Allgemeinarztpraxen haben<br />

ein Alkoholproblem.<br />

Persönlichkeitsstörungen und Sucht<br />

Menschen mit z. B. einer Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstörung<br />

zeigen typische Symptome<br />

wie frei flottierende Ängste, Zwangssymptome<br />

im Sinne überwertiger Ideen,<br />

Depressionen, Psychosomatosen, psychotische<br />

Symptome, gemin<strong>der</strong>te Impulskontrolle,<br />

dissoziatives Verhalten, riskantes<br />

Sexualverhalten, Selbstverletzungen, Substanzkonsum<br />

und Delinquenz. Diese Merkmale<br />

sind eng assoziiert mit (polyvalentem)<br />

Substanzkonsum und gehen mit einer<br />

erhöhten Suizidrate (fast zehn Prozent) einher.<br />

Je<strong>der</strong> zweite Patient mit Bor<strong>der</strong>line-<br />

Persönlichkeitsstörung hat ein Alkoholproblem<br />

und nahezu 40 Prozent weisen ein<br />

Drogenproblem auf. Umgekehrt findet sich<br />

751


Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />

bei fast 15 Prozent <strong>der</strong> alkoholabhängigen<br />

Patienten eine Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstörung,<br />

diese Quote beträgt bei Patienten<br />

mit Drogenproblemen 18 Prozent.<br />

Historisch nutzten schon die Menschen vor<br />

etwa 8.000 Jahren die ber<strong>aus</strong>chende Wirkung<br />

des Alkohols durch die Zubereitung<br />

von Bier o<strong>der</strong> Wein. Auch die Verwendung<br />

von R<strong>aus</strong>chdrogen existierte im arabischasiatischen<br />

Kulturkreis und im mittel- und<br />

südamerikanischen Raum (z. B. Opium).<br />

Heute gehören Drogen zum Alltag unserer<br />

Gesellschaft. So gibt es bei den 15-Jährigen<br />

in Hinblick auf Cannabis eine international<br />

vorhandene Baseline <strong>der</strong> Prävalenz von<br />

etwa 30 Prozent mit Probierkonsum. [7] In<br />

dieser Hinsicht bietet die aktuelle Musikszene<br />

mit Amy Winehouse ein instruktives<br />

klinisches Beispiel mit mutmaßlichem Bor<strong>der</strong>line-Verhalten<br />

und Drogen- und Alkoholexzessen,<br />

kombiniert mit einer Magersucht<br />

o<strong>der</strong> Bulimie. [8]<br />

Drogen als Mittel <strong>der</strong> Selbstbehandlung<br />

Drogenkonsum hat also grundlegend mit<br />

<strong>der</strong> erlebten Diskrepanz von realem und<br />

idealem Lebensgefühl zu tun, die vor<br />

allem in <strong>der</strong> Adoleszenz weit verbreitet ist.<br />

Erwünschte Effekte des Drogenkonsums<br />

sind unter an<strong>der</strong>en Entspannung, Euphorisierung,<br />

soziale Zuwendung, Stressmin<strong>der</strong>ung,<br />

allgemeine Anregung o<strong>der</strong> Minde-<br />

752<br />

rung von Ängsten, das Gefühl, produktiver<br />

o<strong>der</strong> kreativer zu sein, ein gehobenes<br />

Selbstwertgefühl. Daher ist es verständlich,<br />

dass Drogen bei Persönlichkeitsstörungshintergrund<br />

zur Befindens- bzw. Affektregulation<br />

genutzt werden. Dabei steht <strong>der</strong><br />

Schutz vor inneren und äußeren Reizen im<br />

Vor<strong>der</strong>grund. Vor allem die hohe Impulsivität<br />

wird durch Substanzkonsum als Form<br />

<strong>der</strong> Selbstbehandlung gedämpft, was ein<br />

exzessives Konsumverhalten, sowohl<br />

Hochdosis-Konsum als auch riskanten<br />

Konsum, begünstigt.<br />

Im Verlauf <strong>der</strong> Suchtentwicklung bekommen<br />

mit dem Suchtmittel assoziierte Reize<br />

gemäß <strong>der</strong> klassischen Konditionierung<br />

eine Auslöserqualität <strong>für</strong> das süchtige<br />

Konsumverhalten. Zusätzlich kommen<br />

allmählich Entzugssymptome auf, die den<br />

Drogenkonsum steigern. Die zwei Lernprinzipien<br />

– das Lernen am Erfolg (operantes<br />

Konditionieren) und das klassische<br />

Konditionieren – sind daher auch Leitkonzepte<br />

<strong>der</strong> klassischen verhaltenstherapeutisch<br />

orientierten Suchttherapie. Psychodynamisch<br />

betrachtet, beruht die Bor<strong>der</strong>line-<br />

Symptomatik im Wesentlichen auf unreifen<br />

Abwehrmechanismen in Form einer Ich-<br />

Schwäche mit primitiver Idealisierung und<br />

Spaltung (Es gibt nur Gut o<strong>der</strong> Böse). Periodische<br />

Omnipotenzgefühle wechseln sich<br />

rasch mit Ohnmachtsgefühlen ab. Diese<br />

bizarre Erlebnis- und Verhaltensweise<br />

beruht auf desintegrierten Selbst- und<br />

Objektrepräsentanzen. Das „harmonische“<br />

Selbst-Erleben im Intoxikationszustand ist<br />

deshalb <strong>der</strong> wesentliche Treiber in die<br />

Sucht. Der Drogenkonsum kann also als<br />

eine spannungsreduzierende, aber auch<br />

aktivierende Selbstmedikation verstanden<br />

werden.<br />

Bei ängstlich akzentuierten Syndromen<br />

wird häufiger Cannabis konsumiert, in seltenen<br />

Fällen auch Opioide, bei Selbstwertkrisen<br />

häufiger Kokain und Amphetamine.<br />

Ecstasy, wenngleich an Bedeutung verlierend,<br />

wird gelegentlich eingenommen, um<br />

das Gefühl <strong>der</strong> Nähe zu an<strong>der</strong>en Menschen<br />

zu bekommen. LSD wird selten eingenommen<br />

und hat dann häufig die Funktion, die<br />

Dissoziation des Erlebens zu steigern, d. h.<br />

einfach in eine an<strong>der</strong>e, bunte Welt einzutreten.<br />

Benzodiazepine und Alkohol werden<br />

am häufigsten eingenommen und zum<br />

Großteil episodisch konsumiert.


Die Drogeneffekte lassen sich in Wirkungsbereiche<br />

unterteilen:<br />

■ Sedierung (wie sie z. B. Opiate und<br />

Opioide, insbeson<strong>der</strong>e aber GABA-erge<br />

Substanzen wie Benzodiazepine vermitteln)<br />

mit dem Ziel <strong>der</strong> Stressvermeidung<br />

■ Stimulation (z. B. Amphetamine,<br />

Kokain) als Steigerung des Selbstkompetenzerlebens<br />

■ „Psycholyse“ im Sinne <strong>der</strong> psychotischen<br />

Dissoziation des Erlebens auf <strong>der</strong><br />

Suche nach einer an<strong>der</strong>en Welt (Effekte,<br />

die vor allem Halluzinogene wie LSD<br />

o<strong>der</strong> Meskalin bewirken können)<br />

In therapeutischer Hinsicht erfor<strong>der</strong>t die<br />

komplexe Erlebens- und Verhaltensdynamik<br />

von Menschen mit Suchtproblemen<br />

vor dem Hintergrund <strong>der</strong> Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstörung<br />

ein beson<strong>der</strong>s umsichtiges<br />

therapeutisches Vorgehen. Die Komplexität<br />

und Dynamik des komorbiden<br />

Störungsbildes erfor<strong>der</strong>n es, die Beziehung<br />

zu den Patienten flexibler zu gestalten, als<br />

es beim Umgang mit Suchtpatienten ohne<br />

diese Störung üblich ist.<br />

Spezifisches Therapieangebot<br />

Die Therapie einer Störung soll an den<br />

Ursachen <strong>aus</strong>gerichtet sein. Für Persönlichkeitsstörung<br />

und Sucht gibt es ein solch<br />

spezifisches Behandlungsangebot in<br />

Deutschland sehr selten. Deshalb hat die II.<br />

psychiatrische Fachabteilung Persönlichkeitsstörungen/Trauma<br />

<strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong><br />

Nord – Ochsenzoll im Dezember 2009<br />

eine weitere spezifische Station <strong>für</strong> Patienten<br />

mit den Diagnosen „Persönlichkeitsstörung<br />

und Sucht“ (PSY 45) eröffnet. Hier<br />

kommen in einem multiprofessionellen<br />

Team tiefenpsychologische sowie verhaltens<br />

therapeutische Elemente zum Einsatz,<br />

um individuell dem Patienten, seinen Problemen<br />

und Krisen gerecht zu werden.<br />

Ein spezifisches Behandlungskonzept dieser<br />

Klientel beinhaltet neben einer Entzugstherapie<br />

auch spezifische Therapieverfahren<br />

wie Übertragungsfokussierte Psychotherapie<br />

(TFP), Mentalisierungsbasierte Therapie<br />

(MBT) o<strong>der</strong> Dialektisch-Behaviorale<br />

Therapie (DBT).<br />

Der motivationale Aspekt <strong>der</strong> DBT er scheint<br />

vor dem Hintergrund häufiger Therapie -<br />

abbrüche unter spezifischen Therapie -<br />

bedingungen von beson<strong>der</strong>er Bedeutung.<br />

Übereinstimmend zeigen alle bislang<br />

publizierten Studien zur Wirksamkeit <strong>der</strong><br />

DBT im Vergleich mit an<strong>der</strong>en Behandlun-<br />

Psychiatrie<br />

gen eine hochsignifikant bessere Therapie-<br />

Compliance. [10] Neben strukturellen Aspekten<br />

(Einbindung in Gruppen- und Einzeltherapie)<br />

spielt sicherlich die therapeutische<br />

Haltung auch bei diesem Aspekt eine we -<br />

sentliche Rolle.<br />

In <strong>der</strong> TFP werden die Wahrnehmungsverzerrungen<br />

im Hier und Jetzt <strong>der</strong> therapeutischen<br />

Übertragungsbeziehung in Form<br />

typischer internalisierter dominanter<br />

Objektdyaden identifiziert und bearbeitet.<br />

Durch intensives Klären, wie<strong>der</strong>holtes Aufzeigen<br />

von Wi<strong>der</strong>sprüchen und metaphorische<br />

Deutungen gewinnt <strong>der</strong> Patient in <strong>der</strong><br />

Interaktion mit dem Therapeuten an Re -<br />

flektionsvermögen und Fähigkeiten zur<br />

Integration des Selbstkonzepts und des<br />

Konzepts von An<strong>der</strong>en sowie zur Integration<br />

abgespaltener Affekte.<br />

Clarkin et al. verglichen in einer randomisierten<br />

und kontrollierten Studie an 90 Bor<strong>der</strong>line-Patienten<br />

TFP mit <strong>der</strong> DBT und<br />

supportiven Therapie nach Rockland<br />

(STP). [11] Alle drei Therapien zeigten Verbesserungen<br />

in vielen Bereichen (Depression,<br />

Angst, allgemeines Funktionieren,<br />

soziale Anpassung). TFP und DBT bewirkten<br />

signifikante Verbesserungen <strong>der</strong> Suizidalität,<br />

TFP und STP erreichten Verbesserungen<br />

in Teilbereichen von Wut und<br />

Impulsivität und nur durch TFP kam es zu<br />

einer Vermin<strong>der</strong>ung von Reizbarkeit sowie<br />

753


Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />

von verbalen und indirekten Angriffen.<br />

Nur unter TFP ließen sich signifikante<br />

positive Verän<strong>der</strong>ungen im Bereich des<br />

„reflective functioning“ und des Bindungsstils<br />

von einer unsicheren zur sicheren Bindung<br />

erreichen. [12] Ein direkter statistischer<br />

Vergleich <strong>der</strong> Therapiearme erfolgte nicht.<br />

Die Behandlung von Persönlichkeitsstörungen<br />

und Sucht sollte folgende Aspekte<br />

berücksichtigen:<br />

■ Aufklärung über das Störungsbild<br />

■ Klärung <strong>der</strong> gemeinsamen Behandlungsziele<br />

■ Individueller Behandlungsvertrag<br />

■ Klärung <strong>der</strong> Behandlungsfoki und<br />

Methodik (DBT, TFP etc.)<br />

■ Klärung <strong>der</strong> Aufgaben und Verantwortlichkeiten<br />

von Therapeut und<br />

Patient <strong>für</strong> die Therapie<br />

■ Hierarchisierung von Problemen<br />

■ Verbesserung <strong>der</strong> Überlebensstrategien<br />

(Umgang mit Krisen)<br />

■ Verbesserung <strong>der</strong> Therapiecompliance<br />

■ Verbesserung <strong>der</strong> Lebensqualität<br />

(Sucht, Depressionen, Ängste usw.)<br />

■ Verbesserung <strong>der</strong> Verhaltensfertigkeiten<br />

(Skills)<br />

■ Verbesserung von Erlebens- und Verhaltensweisen,<br />

die mit dysfunktionalen<br />

Schemata und emotionaler Aktivierung<br />

zusammenhängen<br />

754<br />

In den vergangenen Jahren hat sich die<br />

Auffassung stabilisiert, dass es zunächst<br />

um die Sicherung des Überlebens geht.<br />

Wenngleich das oberste Ziel <strong>der</strong> Suchtbehandlung<br />

in <strong>der</strong> zufriedenen Abstinenz<br />

besteht, ist doch je nach Struktur des<br />

Patienten und Chronifizierung <strong>der</strong> Erkrankung<br />

eine Modifikation des Therapieziels<br />

angezeigt. Dabei sollten psychiatrische/<br />

psychotherapeutische Einzelgespräche und<br />

gegebenenfalls Paar- o<strong>der</strong> Angehörigenge -<br />

spräche erfolgen. Durch enge Zusammenarbeit<br />

mit Abteilungen <strong>für</strong> Abhängigkeitserkrankungen<br />

und dem Suchthilfesystem<br />

lässt sich die Häufung kontraproduktiver<br />

Querüberweisungen verhin<strong>der</strong>n. [12]<br />

Literatur<br />

[1] Maier W, Lichtermann D, Klingler T, Heun R. Prevalences<br />

of personality disor<strong>der</strong>s (DSM-III-R) in the community.<br />

J. Person. Disord. 1992; 6: 187-96.<br />

[2] Bohus M, Stieglitz RD, Fiedler P, Hecht H, Berger M.<br />

Persönlichkeitsstörungen, Psychische Erkrankungen: <strong>Klinik</strong><br />

und Therapie. München, Jena: Urban & Fischer.<br />

[3] Casey PR. The epidemiology of personality disor<strong>der</strong>. In:<br />

Tyrer P. (ed.). Personality disor<strong>der</strong>s: diagnosis, management<br />

and course. Wright, London, Boston, Singapore, Sydney,<br />

Toronto, Wellington 1989: 74-81.<br />

[4] Tyrer P, Gun<strong>der</strong>son J, Lyons M, Tohen M. Extent of<br />

comorbidity between mental state und personality disor<strong>der</strong>s.<br />

J. Person. Disord. 1997; 11: 242-59.<br />

[5] Stieglitz RD, Freyberger HJ, Schnei<strong>der</strong> W. Kompendium.<br />

Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatische<br />

Medizin. Basel: Karger 2002.<br />

Kontakt<br />

Dr. Sven Ringelhahn<br />

II. Fachabteilung Psychiatrie<br />

Persönlichkeitsstörungen/Trauma<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord – Ochsenzoll<br />

Langenhorner Ch<strong>aus</strong>see 560<br />

22419 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-87 19 55<br />

Fax (0 40) 18 18-87 15 36<br />

E-Mail: s.ringelhahn@asklepios.com<br />

[6] Möller HJ, Laux G, Deister A. Duale Reihe: Psychiatrie<br />

und Psychotherapie. Stuttgart: Thieme<br />

[7] EBDD 2008: Jahresbericht 2008.<br />

http://ar2005.emcdda.europa.eu/de/<br />

[8] Bandelow B. Celebrities: Vom schwierigen Glück,<br />

berühmt zu sein. Reinbek Rowohlt 2007.<br />

[9] Koerner K, Dimeff LA. Further data on dialectical behavioral<br />

therapy. Clin. Psychol. 2000; 7: 104-13.<br />

[10] Clarkin JF, Levy KN, Lenzenweger MF, Kernberg OF.<br />

Evaluating three treatments for bor<strong>der</strong>line personality<br />

disor<strong>der</strong>: A multiwave study. Am J Psychiatry. 2007; 164:<br />

922-8.<br />

[11] Levy KN, Clarkin JF, Kernberg OF. Change in attachment<br />

and reflective function in the treatment of bor<strong>der</strong>line<br />

personality disor<strong>der</strong> with transference focused psychotherapy.<br />

J Cons Clin Psychol. 2006; 74(6): 1027-40.<br />

[12] Tretter F. Drogenkonsum und -abhängigkeit bei Bor<strong>der</strong>line-Störungen.<br />

In: Handbuch <strong>der</strong> Bor<strong>der</strong>line-Störungen.<br />

Dulz B, Herpertz SC, Kernberg OF, Sachsse U (Hrsg).<br />

Stuttgart, New York: Schattauer (im Druck).


Lokal begrenzter Nierentumor:<br />

Laparoskopische Nierenteilresektion<br />

als mo<strong>der</strong>ne Therapie <strong>der</strong> Wahl<br />

Dr. Holger Böhme, Prof. Dr. Andreas Gross<br />

Ein Großteil <strong>der</strong> Nierentumoren wird<br />

heute jedoch im sehr frühen Stadium<br />

durch Ultraschalluntersuchungen bei <strong>der</strong><br />

Vorsorge o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Abklärung einer an<strong>der</strong>en<br />

Symptomatik diagnostiziert. Diese<br />

Tumoren sind oft sehr klein und lokal<br />

begrenzt. Histologische Studien zeigten<br />

einen relativ hohen Anteil benigner Raumfor<strong>der</strong>ungen<br />

(bis zu 15 Prozent). In <strong>der</strong><br />

Bildgebung ist jedoch, abgesehen vom eindeutigen<br />

Bild des Angiomyolipoms, keine<br />

exakte Dignitätseinschätzung möglich. Ein<br />

auf die Niere begrenzter Tumor kann also<br />

sowohl benigner als auch maligner Natur<br />

sein. Eine histologische Sicherung präoperativ<br />

durch eine CT-gestützte Punktion ist<br />

umstritten. Daher ist eine primäre Nephrektomie,<br />

so komplikationsarm sie auch sei,<br />

immer mit dem Risiko verbunden, eine<br />

Niere mit einer gutartigen Entität zu ent-<br />

fernen. [1]<br />

Nierenteilresektion<br />

Multicenterstudien zeigten bei einer primären<br />

Nierenteilresektion bei Tumoren bis<br />

vier Zentimetern [2] keine signifikanten<br />

Unterschiede bezüglich des Gesamtüberlebens.<br />

Neuere Publikationen zeigen sogar<br />

bis zu einer Tumorgröße von sieben Zentimetern<br />

[3] gleiche Überlebenszeiten wie bei<br />

<strong>der</strong> radikalen Tumornephrektomie. Bei<br />

einer Nierenteilresektion profitiert <strong>der</strong><br />

Patient also bei gleichem tumorspezifischem<br />

Therapieerfolg vom Nierenerhalt.<br />

Daher ist bei den meisten heute diagnostizierten<br />

Nierentumoren zumindest <strong>der</strong> Versuch<br />

einer Nierenteilresektion zu erwägen.<br />

Primär sollte unser Vorgehen also bei lokal<br />

begrenztem Tumorgeschehen bis vier Zentimetern,<br />

in speziellen Fällen sogar bis sieben<br />

Zentimetern, eine Tumorenukleation<br />

Urologie<br />

Historisch gesehen ist die Standardtherapie eines malignen Nierentumors bei kontralateral intakter Niere die<br />

radikale Tumornephrektomie. Sie kann laparoskopisch o<strong>der</strong> offen chirurgisch erfolgen. Lokal begrenzte Nierentumoren<br />

werden so mit hoher Effizienz und <strong>aus</strong>gezeichneter Langzeitprognose behandelt. Daher war es weit<br />

verbreitet, bei einem lokal begrenzten Nierentumor initial die Indikation zur Nephrektomie zu stellen. Die geringe<br />

Morbidität und Mortalität bei relativ kurzem Krankenh<strong>aus</strong>aufenthalt führt zu einer <strong>aus</strong>geprägten Akzeptanz,<br />

auch laparoskopisch ist <strong>der</strong> Eingriff nach entsprechen<strong>der</strong> Lernkurve gut durchführbar, die Langzeitergebnisse<br />

bezüglich des Tumorüberlebens sind dem offen-chirurgischen Vorgehen vergleichbar.<br />

mit intraoperativer Schnellschnittuntersuchung<br />

<strong>der</strong> Absetzungsrän<strong>der</strong> sein. Bei<br />

einem Großteil <strong>der</strong> Eingriffe ist so ein Nierenerhalt<br />

möglich. Somit geht <strong>der</strong> Trend<br />

weg von <strong>der</strong> primären Tumornephrektomie<br />

hin zur Nierenteilresektion. Ob dies<br />

laparoskopisch o<strong>der</strong> offen chirurgisch<br />

erfolgt, hängt von den Fähigkeiten des<br />

Operationsteams ab, wobei die laparoskopische<br />

Vorgehensweise wesentlich schwieriger<br />

zu etablieren ist.<br />

In unserer <strong>Klinik</strong> erfolgte <strong>der</strong> Zugang bei<br />

malignen Raumfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Niere<br />

initial transperitoneal offen chirurgisch<br />

beziehungsweise per lumbalem Zugang.<br />

Seit 13 Jahren ist so ein nierenerhaltendes<br />

Vorgehen in bis zu 90 Prozent <strong>der</strong> Operationen<br />

möglich, mehr als 300 Nierenteilresektionen<br />

wurden offen chirurgisch durchgeführt.<br />

755


Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />

Abb. 1: CT-Bild eines linksseitigen Nierentumors im<br />

Mittelgeschoss<br />

Abb. 4: Die Niere wird freipräpariert, am unteren<br />

Bildrand ist das Colon descendens, links die Milz und<br />

in <strong>der</strong> Bildmitte die linke Niere sichtbar<br />

Seit November 2007 ist die laparoskopische<br />

Nierenteilresektion etabliert, die seitdem<br />

bei entsprechen<strong>der</strong> Indikation die offenchirurgische<br />

Vorgehensweise ersetzt hat.<br />

Im November 2009 führten wir die 52.<br />

laparoskopische Teilresektion erfolgreich<br />

durch.<br />

Im Vergleich zur offenen Vorgehensweise<br />

ist beim laparoskopischen Verfahren die<br />

Operationswunde wesentlich kleiner. Während<br />

beim konventionellen Vorgehen eine<br />

Schnittlänge von 15 bis 20 cm erfor<strong>der</strong>lich<br />

ist, genügen bei <strong>der</strong> laparoskopischen Operation<br />

drei Zehn-Millimeter-Inzisionen und<br />

ein etwa 3 bis 4 cm großen Bergeschnitt.<br />

Dar<strong>aus</strong> resultiert ein wesentlich geringerer<br />

postoperativer Schmerz mit verkürzter<br />

Rekonvaleszenz. Der Blutverlust ist ebenfalls<br />

deutlich niedriger. In <strong>der</strong> Literatur ist<br />

zudem eine vermin<strong>der</strong>te Immunsuppression<br />

infolge des niedrigeren operativen<br />

756<br />

Abb. 2: Die Lagerung erfolgt in Seitenlagerung auf <strong>der</strong><br />

kontralateralen Seite zur zu operierenden Niere<br />

Abb. 5: Der Nierenhilus ist dargestellt, mit einer<br />

Gefäßklemme wird die Nierenvene freipräpariert,<br />

daneben ist die Nierenarterie sichtbar, am oberen<br />

Bildrand zur Orientierung ist die Niere<br />

Traumas beschrieben. [4,5] Der onkologische<br />

Therapieerfolg ist vergleichbar. Die Operationstechnik<br />

entspricht an <strong>der</strong> Niere dem<br />

offen-chirurgischen Standard. Ein Nachteil<br />

ist die etwas verlängerte Ischämiezeit. Sie<br />

ist bei <strong>der</strong> laparoskopischen Vorgehensweise<br />

etwa zehn Minuten länger als bei<br />

offener Teilresektion und beträgt im Mittel<br />

25 Minuten. [4,5] Aufgrund <strong>der</strong> technisch sehr<br />

anspruchsvollen Operationstechnik ist die<br />

laparoskopische Nierenteilresektion <strong>der</strong>zeit<br />

nur an 15 Zentren weltweit fest etabliert.<br />

Operationstechnik<br />

Bei offen-chirurgischer und laparoskopischer<br />

Nierenteilresektion ist die Vorgehensweise<br />

bis auf den Zugangsweg identisch.<br />

Die Niere wird dargestellt und mobilisiert,<br />

Arterie und Vene werden an Gefäßzügel<br />

angeschlungen und <strong>der</strong> Tumorbefund freipräpariert.<br />

Nach Unterbrechen <strong>der</strong> Blutzu-<br />

Abb. 3: Der Zugang erfolgt durch vier 10-mm-Trokare,<br />

über den Trokar im linken Unterbauch wird das<br />

Enukleat im Bergebeutel geborgen<br />

Abb. 6: Nierenarterie (orange) und Vene (blau) sind<br />

dargestellt und mit Gefäßzügeln angeschlungen<br />

fuhr erfolgt die Tumorenukleation und das<br />

Teilresektat wird in einen Bergebeutel verbracht.<br />

Der Defekt im Nierenparenchym<br />

wird mithilfe einer speziellen Nahttechnik<br />

und hämostyptischen Materials (z. B. Tabotamp)<br />

verschlossen, das Tumorenukleat<br />

zur Schnellschnittuntersuchung eingesandt.<br />

Der Pathologe trifft eine Aussage zu<br />

Dignität und Tumorfreiheit <strong>der</strong> chirurgischen<br />

Resektionsrän<strong>der</strong>. Bei Tumornachweis<br />

im Absetzungsrand muss eine Nachresektion<br />

erfolgen o<strong>der</strong>, ist diese unmöglich,<br />

eine Nephrektomie.<br />

Indikationsstellung<br />

Das nierenerhaltende Vorgehen konventionell<br />

offen chirurgisch o<strong>der</strong> laparoskopisch<br />

ist prinzipiell bei Nierentumoren bis sieben<br />

Zentimetern indiziert. Ein Tumorzapfen in<br />

<strong>der</strong> Vena renalis o<strong>der</strong> cava stellt dagegen<br />

eine Kontraindikation zum Nierenerhalt


Abb. 7: Der Tumorbefund (vergleiche auch CT)<br />

ist dargestellt<br />

Abb. 10: Fortlaufende Naht des Parenchyms mit<br />

Clipsicherung (resorbierbare Clips) unter Blutleere<br />

dar. Pulmonale Vorerkrankungen mit<br />

erheblicher Einschränkung <strong>der</strong> Atemfunktion<br />

und Voroperationen im Oberbauch<br />

sind oft Kontraindikationen zur Laparoskopie.<br />

Zentrale Nierentumoren, die die<br />

Nierenkontur nicht überschreiten, sind aufgrund<br />

<strong>der</strong> mangelhaften Darstellbarkeit<br />

laparoskopisch schwer operabel. Hier ist<br />

die konventionelle Vorgehensweise mit<br />

intraoperativer sonographischer Tumorortung<br />

vorzuziehen.<br />

Im Zeitalter des „fast track“ in <strong>der</strong> postoperativen<br />

Phase erfolgen auch nach Nierenteilresektionen<br />

eine unmittelbare Mobilisierung<br />

<strong>der</strong> Patienten und ein sofortiger<br />

Kostaufbau. Laparoskopisch operierte<br />

Patienten zeigen dabei einen deutlich niedrigeren<br />

Schmerzmittelbedarf und sind<br />

schneller mobilisierbar. Der stationäre<br />

Krankenh<strong>aus</strong>aufenthalt ist bei diesen<br />

Patienten im Durchschnitt um zwei Tage<br />

Abb. 8: In Ischämie (sichtbar am blutleeren<br />

Nierenparenchym) wird <strong>der</strong> Nierentumor (in Bildmitte)<br />

enukleiert<br />

Abb. 11: Die Blutzufuhr ist freigegeben, die Parenchymnaht<br />

suffizient; die Niere ist wie<strong>der</strong> sehr gut durchblutet<br />

(vergleiche Parenchym mit vorangegangenen Bil<strong>der</strong>n)<br />

kürzer. Damit ist die laparoskopische Vorgehensweise<br />

<strong>für</strong> den Patienten bei entsprechen<strong>der</strong><br />

Indikationsstellung <strong>der</strong> konventionellen<br />

Vorgehensweise vorzuziehen. Eine<br />

primäre Nephrektomie ist heute nur noch<br />

bei lokal fortgeschrittenen Tumoren indiziert.<br />

Literatur<br />

[1] Clark PE, Schover LR, Uzzo RG, Hafez KS, Rybicki LA,<br />

Novick AC. Quality of life and psychological adaption after<br />

surgical treatment for localized renal cell carcinoma:<br />

impact of the amount of remaining renal tissue. Urology.<br />

2001; 57: 252.<br />

[2] Lee CT, Katz J, Shi W, Thaler HT, Reuter VE, Russo P.<br />

Surgical management of renal tumors 4 cm or less in a<br />

contemporary cohort. J Urol. 2000; 163: 730.<br />

[3] Leibovich BC, Blute ML, Cheville JC, Lohse CM, Weaver<br />

AL, Zincke H. Nephron sparing surgery for appropriately<br />

selected renal cell carcinoma between 3 and 7 cm results in<br />

outcome similar to radical nephrectomy, J Urol. 2004; 171:<br />

1066-70.<br />

Kontakt<br />

Dr. Holger Böhme<br />

Urologische Abteilung<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>um Barmbek<br />

Rübenkamp 220, 22291 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-82 98 21<br />

Fax (0 40) 18 18-82 98 29<br />

E-Mail: h.boehme@asklepios.com<br />

Urologie<br />

Abb. 9: Verschluss des Defekts im Nierenparenchym:<br />

Hier wird das „Tumorbett“ mit fortlaufen<strong>der</strong> Naht<br />

versorgt<br />

Abb. 12: Statt eines großen Oberbauchquerschnittes<br />

o<strong>der</strong> eines Flankenzugangs bestehen am Ende nur drei<br />

10-mm-Inzisionen und ein 3 cm langer Bergeschnitt<br />

[4] Gill IS, Kavoussi LR, Lane BR, Blute ML, Babineau D,<br />

Colombo JR Jr, et al. Comparison of 1.800 laparoscopic and<br />

open partial nephrectomies for single renal tumors. J Urol.<br />

2007; 178(1): 41-6.<br />

[5] Janetschek, G. Pro and contra. Renal partial resection:<br />

laparoscopy versus percutaneous-ablative kidney tumor<br />

therapy. Pro laparoscopy, Aktuelle Urol. 2007; 38(2): 101-3.<br />

757


Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />

Die „alte“ Wirbelsäule<br />

Marcus Lücke,<br />

Andrzej Zylinski,<br />

Prof. Dr. Jürgen-Volker Wening,<br />

Prof. Dr. Uwe Kehler<br />

Die Wirbelsäule des alternden Menschen entwickelt häufig degenerative Verän<strong>der</strong>ungen, die verschiedene<br />

Schmerzsyndrome und teilweise <strong>aus</strong>geprägte neurologische Ausfälle verursachen können. Die mo<strong>der</strong>ne Wirbelsäulenchirurgie<br />

bietet in zunehmendem Maße Optionen, die Beschwerden effektiv zu verbessern. Sie kann damit<br />

helfen, eine gute Lebensqualität und Selbstständigkeit bis ins hohe Alter zu erhalten.<br />

Der demografischen Entwicklung entsprechend<br />

wird die Wirbelsäulenchirurgie ein<br />

überproportional wachsen<strong>der</strong> Sektor <strong>der</strong><br />

Medizin sein. Vor allem die Verbesserung<br />

<strong>der</strong> Situation des Individuums, aber auch<br />

eine Verringerung <strong>der</strong> Krankheitsfolgekosten,<br />

zum Beispiel durch Verlängerung <strong>der</strong><br />

Pflegeunabhängigkeit und Min<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

konservativen Behandlungskosten, werden<br />

ihre zunehmende sozialpolitische Bedeutung<br />

<strong>aus</strong>machen. Die verschiedenen Krankheitsbil<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Wirbelsäule des alternden<br />

Menschen erfor<strong>der</strong>n gering invasive, den<br />

Körper wenig belastende mikrochirurgische<br />

Therapieansätze, in an<strong>der</strong>en Situationen<br />

aber auch die effektive Instrumentation<br />

<strong>der</strong> Wirbelsäule. Dies erfor<strong>der</strong>t eine enge<br />

Kooperation <strong>der</strong> Fachdisziplinen Unfall -<br />

chirurgie/Orthopädie und <strong>der</strong> Neurochirurgie,<br />

um in <strong>der</strong> jeweiligen individuellen<br />

Situation die Stärken <strong>der</strong> jeweiligen Disziplin<br />

einsetzen zu können. Hier sollen mit<br />

<strong>der</strong> osteoporotischen Fraktur und <strong>der</strong> de -<br />

generativ bedingten zervikalen Myelopathie<br />

zwei Probleme mit wirbelsäulenchirurgischer<br />

Relevanz dargestellt werden.<br />

758<br />

Degenerative Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> HWS (Osteochondrose<br />

mit Retrospondylose, Bandscheibenprotusionen<br />

o<strong>der</strong> -vorfälle, Spondylarthrose, Pseudospondylolisthesis,<br />

segmentale Instabilität)<br />

Konstitutionell enger Spinalkanal und Anomalien<br />

Ligamentäre Verän<strong>der</strong>ungen: Ossifikation des hinteren<br />

Längsbandes (OPLL)<br />

Raumfor<strong>der</strong>ungen:<br />

Intraspinale Tumoren, Abszesse, Blutungen<br />

Trauma<br />

Spaltbildungen im Rückenmark (Syringomyelie) bei<br />

Fehlbildungen, Traumen u. a.<br />

Tab. 1: Ursachen <strong>der</strong> zervikalen Myelopathie<br />

■ lumbale und zervikale Bandscheibenvorfälle<br />

■ osteoporotische Fraktur mit lokalem Schmerzsyndrom<br />

■ degenerativ bedingte Skoliose<br />

■ lumbale Spinalkanalstenose mit <strong>der</strong> Symptomatik<br />

<strong>der</strong> Claudicatio spinalis<br />

■ Pseudospondylolisthesis<br />

■ zervikale Spinalkanalstenose mit Myelo- und<br />

Radikulopathie<br />

Häufige Erkrankungen <strong>der</strong> alternden Wirbelsäule<br />

1. Zervikale Myelopathie<br />

Die zervikale Myelopathie ist mit etwa 50<br />

operativen Behandlungen auf 100.000 Einwohner<br />

angesichts <strong>der</strong> demographischen<br />

Entwicklung eine zunehmend häufig auftretende<br />

Erkrankung, die aufgrund ihres<br />

meist schleichend einsetzenden Charakters<br />

sowohl vom Patienten als auch von den<br />

behandelnden <strong>Ärzte</strong>n anfangs oft verkannt<br />

wird. Damit sinken die Chancen auf eine<br />

effektive Behandlung. [1] Die weit<strong>aus</strong> häufigsten<br />

Ursachen sind degenerativ bedingt<br />

(Tab. 1). Frühzeitige Diagnose und konsequente,<br />

meist operative Behandlungen sind<br />

entscheidend <strong>für</strong> einen langfristig guten<br />

Verlauf. Letztlich kann jegliche Art <strong>der</strong><br />

dauerhaften o<strong>der</strong> bewegungsabhängigen<br />

(bei Instabilität) mechanischen Bedrängung<br />

des zervikalen Rückenmarks eine zervikale<br />

Myelopathie verursachen. Weitere, nichtmechanische<br />

Ursachen (Tab. 1) können<br />

vaskulär, metabolisch, degenerativ o<strong>der</strong><br />

entzündlich sein.


Kribbelparästhesien und Taubheitsgefühl, vorzugsweise<br />

distal in den oberen Extremitäten<br />

Progredientes Schwächegefühl in den oberen<br />

Extremitäten, meist handbetont mit Feinmotorikstörungen<br />

(„Gegenstände fallen <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Hand“)<br />

Progrediente Gangstörung im Sinne einer Ataxie<br />

Progrediente spastische Para- o<strong>der</strong> Tetraparese mit<br />

Pyramidenbahnzeichen und Reflexsteigerung<br />

Vegetative Symptomatik<br />

(Blasen-/Mastdarm-/Potenzstörungen)<br />

Lokale und/o<strong>der</strong> radikuläre Schmerzsyndrome<br />

Klinische Manifestation<br />

Charakteristisch ist <strong>der</strong> meist langsam progrediente<br />

Verlauf <strong>der</strong> Rückenmarkssymptomatik<br />

im Wechsel mit stabilen Phasen.<br />

Häufig assoziiert sind ein unspezifischer<br />

chronischer Nackenschmerz als Ausdruck<br />

einer degenerativen Wirbelsäulenverän<strong>der</strong>ung,<br />

zudem radikuläre Symptome wie<br />

Zervikobrachialgien, radikulär bedingte<br />

Paresen o<strong>der</strong> Sensibilitätsstörungen, da<br />

Nervenwurzeln gleichermaßen komprimiert<br />

werden können (Tab. 2). Die Myelopathie<br />

kann aber auch vollständig schmerzfrei<br />

verlaufen! Bei großen zervikalen Bandscheibenvorfällen,<br />

Traumen, Tumoren o<strong>der</strong><br />

Abszessen kann die Symptomatik akut<br />

o<strong>der</strong> subakut bis hin zum <strong>aus</strong>geprägten<br />

Querschnittsyndrom imponieren.<br />

Diagnostik<br />

Die Diagnose ist vor allem aufgrund <strong>der</strong><br />

klinischen Symptomatik in Kombination<br />

mit dem Nachweis einer Myelonkompression<br />

im bildgebenden Verfahren zu stellen<br />

(Abb. 1a, 2a). Das MRT ist bei Verdacht auf<br />

eine Myelopathie die entscheidende Untersuchung,<br />

oft kann es direkt die Myelonschädigung<br />

nachweisen. Das CT spielt nur<br />

noch eine untergeordnete Rolle, kann aber<br />

in <strong>der</strong> präoperativen Planung zur Darstellung<br />

knöcherner Strukturen dienen (Tab. 3).<br />

Primäre Diagnostik<br />

Anamnese und neurologische Untersuchung<br />

MRT <strong>der</strong> HWS, insbeson<strong>der</strong>e sagittal und axial in<br />

T2-Wichtung<br />

Eventuell ergänzende Diagnostik<br />

Elektrophysiologie: SEP, MEP (Nachweis einer<br />

Myelonschädigung), EMG, NLG (Abgrenzung peripherer<br />

Nervenschäden, u. a. Karpaltunnelsyndrom,<br />

Polyneuropathie)<br />

Röntgenaufnahmen <strong>der</strong> HWS in den Funktions -<br />

stellungen (Nachweis einer Instabilität)<br />

CT <strong>der</strong> HWS mit Myelographie<br />

Therapie<br />

Bei manifester Myelopathie und nachgewiesener<br />

mechanischer Ursache ist meist<br />

die Operation indiziert. Bei <strong>der</strong> am häu -<br />

figs ten degenerativ bedingten Stenose wird<br />

in Abhängigkeit von <strong>der</strong> Lokalisation und<br />

Ausdehnung <strong>der</strong> Stenosierungsursache,<br />

Stabilität und Harmonik <strong>der</strong> HWS-Glie<strong>der</strong>ung<br />

über das operative Verfahren entschieden<br />

(Tab. 4). Meist liegt eine Stenosierung<br />

auf Bandscheibenebene vor, sodass<br />

die ventrale Dekompression mit Cage-<br />

Implantation das häufigste Verfahren ist<br />

(Abb. 1). Die Implantation einer Band -<br />

scheibenprothese als potenziell bewegungserhaltendes<br />

Verfahren spielt bei <strong>der</strong><br />

Myelopathie keine Rolle. Bei langstreckiger<br />

ventraler Kompression ist gegebenenfalls<br />

<strong>der</strong> aufwendigere Wirbelkörpersatz indiziert.<br />

Neuere Hybridimplantate vereinigen<br />

Platten und Cages (Abb. 2).<br />

Dorsale Operationsverfahren werden insbeson<strong>der</strong>e<br />

bei Stenosierungen von überwiegend<br />

dorsal und bei längerstreckigen<br />

Stenosen über zwei bis drei Wirbelkörper<br />

angewendet. Ein Vorteil ist das geringere<br />

Organverletzungsrisiko. Bei <strong>der</strong> einfachen<br />

Laminektomie besteht die Gefahr einer<br />

Restenosierung durch eine sekundäre<br />

kyphotische Fehlstellung. Daher kommt<br />

zunehmend die zusätzliche Stabilisierung<br />

mittels Fixateur interne zum Einsatz.<br />

Ergebnisse<br />

Neurochirurgie/Orthopädie<br />

Operative Verfahren von ventral<br />

Ventrale Spondylodese (Discektomie und Cage-<br />

Implantation), ggf. Verplattung<br />

Wirbelkörperersatz mit Beckenkammspan o<strong>der</strong><br />

Cage, ventrale Verplattung<br />

Bewegungserhaltendes Verfahren<br />

(Bandscheibenprothese)<br />

Operative Verfahren von dorsal<br />

Laminektomie<br />

Laminektomie mit Stabilisierung (Fixateur interne)<br />

Laminoplastie<br />

Tab. 2: Symptome <strong>der</strong> zervikalen Myelopathie Tab. 3: Diagnostik <strong>der</strong> zervikalen Myelopathie Tab. 4: Operative Verfahren <strong>der</strong> zervikalen Myelopathie<br />

Eine zumindest partielle Verbesserung <strong>der</strong><br />

Symptomatik wird postoperativ bei etwa<br />

60 bis 90 Prozent, eine Verschlechterung in<br />

4 bis 15 Prozent <strong>der</strong> operierten Fälle angegeben.<br />

[2,3] Insbeson<strong>der</strong>e Patienten mit relativ<br />

frisch aufgetretener, noch mil<strong>der</strong> Symptomatik<br />

profitieren, sodass die frühzeitige<br />

operative Behandlung angestrebt werden<br />

sollte. Der Langzeiterfolg ist allerdings<br />

noch nicht durch <strong>aus</strong>sagekräftige Studien<br />

belegt. Bei einer fortgeschrittenen Myelopathie<br />

ist keine entscheidende Besserung<br />

zu erwarten, die Verhin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Progredienz<br />

ist schon als Erfolg <strong>der</strong> Dekompression<br />

zu werten.<br />

2. Osteoporotische Wirbelkörperfraktur<br />

In Deutschland wird die Zahl <strong>der</strong> Osteoporosekranken<br />

auf rund sechs Millionen<br />

geschätzt. 2005 war ein Viertel <strong>der</strong> Bürger<br />

in Deutschland über 60 Jahre alt, die mittlere<br />

Lebenserwartung lag bei 82,4 Jahren.<br />

Schwerwiegendste Folge <strong>der</strong> Osteoporose<br />

und Endpunkt <strong>der</strong> Erkrankung ist häufig<br />

eine Fraktur. Wirbelsäulenfrakturen auf <strong>der</strong><br />

Basis einer Osteoporose sind Folgen inadäquater<br />

Traumen. Unabhängig von <strong>der</strong> Therapie<br />

stellt die Wirbelfraktur einen substanziellen<br />

Risikofaktor <strong>für</strong> weitere Brüche<br />

dar. Die Wahrscheinlichkeit, weitere Frakturen<br />

an <strong>der</strong> Wirbelsäule zu erleiden, steigt<br />

auf das Fünffache im Vergleich zu gesunden<br />

Kontrollpersonen. Analysedaten lassen<br />

759


Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />

Abb. 1a: sagittales MRT in T2 mit Spinalkanalstenose<br />

HW 4/5 und 5/6 und Myelonkompression<br />

erkennen, dass etwa die Hälfte dieser<br />

Patienten in den ersten drei Jahren nach<br />

<strong>der</strong> erstmalig diagnostizierten Wirbelfraktur<br />

eine weitere erlebt.<br />

Richtungsweisend sind die Anamnese und<br />

<strong>der</strong> klinische Befund. Das Nativröntgenbild<br />

mit Darstellung des betroffenen Wirbelsäulenabschnitts<br />

in zwei Ebenen erhärtet<br />

den Verdacht, die Aktualität <strong>der</strong> Fraktur<br />

wird aber erst durch das MRT sicher nachvollzogen.<br />

Ein erheblicher Anteil von Wirbelkörperfrakturen<br />

ist auf Nativbil<strong>der</strong>n<br />

ohne Vergleichsaufnahmen nicht als „frisch“<br />

zu erkennen!<br />

Therapeutische Optionen<br />

Grundsätzlich besteht das konzeptionelle<br />

Regime <strong>der</strong> Frakturbehandlung im fortgeschrittenen<br />

Lebensalter unverän<strong>der</strong>t: Die<br />

deutliche Mehrheit <strong>der</strong> osteoporotischen<br />

Frakturen sind Sinterungsfrakturen ohne<br />

Beteiligung <strong>der</strong> Hinterkante und ohne Instabilitätsmerkmale.<br />

Therapeutisch ist eine<br />

angemessene Analgesie mit Bettruhe möglich.<br />

Korsettbehandlungen sind nicht hilfreich<br />

und scheitern oft an <strong>der</strong> Kooperation<br />

des Verletzten und den Betreuungsmöglichkeiten<br />

des Umfeldes. Lange Bettruhe<br />

birgt die Problematik <strong>der</strong> Verschlechterung<br />

des Allgemeinzustandes und <strong>der</strong> Dekubitusentwicklung<br />

trotz intensiver prophylaktischer<br />

Pflegemaßnahmen.<br />

760<br />

Abb. 1b: postoperative Röntgenkontrolle mit den PEEK-<br />

Cages in beiden Segmenten<br />

Der Wunsch nach schneller Schmerzfreiheit<br />

und Mobilität ohne Einschränkung des<br />

Bewegungsradius führte zu operativen<br />

Behandlungskonzepten mit minimalinva -<br />

siven Ansätzen. An <strong>der</strong> Wirbelsäule sind<br />

zwei Verfahren etabliert, die auf dem<br />

Effekt <strong>der</strong> Stabilisierung durch Knochenzement<br />

mit Schmerzreduktion beruhen: die<br />

Vertebroplastie und die Kyphoplastie.<br />

Vertebroplastie/Kyphoplastie<br />

Beide Verfahren lassen sich prinzipiell in<br />

Lokalanästhesie durchführen. Über Stichinzisionen<br />

werden dünne Kanülen transpedikulär<br />

o<strong>der</strong> extrapedikulär in den Wirbelkörper<br />

eingeführt, die korrekte Lage und<br />

auch die Verteilung des Kontrastmittels<br />

werden unter Bildwandler o<strong>der</strong> CT unmittelbar<br />

kontrolliert. Im Allgemeinen sind<br />

2 bis 6 ml Knochenzement erfor<strong>der</strong>lich,<br />

um die im Wirbelkörper vorhandenen<br />

Hohlräume aufzufüllen. Während bei <strong>der</strong><br />

Ver tebroplastie eine Formwie<strong>der</strong>herstellung<br />

nicht möglich ist, wird dies bei <strong>der</strong><br />

Ky pho plastie durch einen beidseitigen<br />

transpedikulären Zugang (Abb. 3 bis 5)<br />

mit aufblasbarem Ballon vor <strong>der</strong> Knochenzementinjektion<br />

erreicht. Als Verband<br />

genügt ein Pflaster, eine unmittelbare Vollbelastung<br />

ist möglich.<br />

Die Komplikationsquote hängt vom Frakturtyp<br />

ab, wobei <strong>der</strong> Austritt von Knochenzement<br />

in die Weichteile nicht a priori zu<br />

einer klinisch relevanten Symptomatik<br />

Abb. 2a: MRT einer langstreckigen schweren Stenosierung<br />

HW 3/4, 4/5 und 5/6 mit Kyphosierung<br />

Abb 3: Kyphoplastie – intraoperative Darstellung <strong>der</strong><br />

beiden Hohlkanülen. Die Menge des Kontrastmittels<br />

und <strong>der</strong> Druck in den Ballons können dabei kontrolliert<br />

werden.<br />

führt. Bei komplexen Frakturen kann das<br />

Kontrastmittel in den Spinalkanal <strong>aus</strong>laufen.<br />

Dringt Zement in den spinalen Venenplexus<br />

ein, ist dies bei kleinen Mengen nicht<br />

mit Beschwerden verbunden. Beschrieben<br />

sind in Einzelfällen Ablagerungen in <strong>der</strong><br />

Vena cava, <strong>der</strong> Lunge sowie im Herzen,<br />

Lungenembolien, paradoxe zerebrale<br />

Embolisationen, Querschnittslähmungen,<br />

Wurzel- und Rückenmarkkompressionen<br />

sowie Spondylitiden.<br />

Folgefrakturen<br />

Osteoporose bringt als systemische Erkrankung<br />

mit sich, dass Wirbelkörperfrakturen<br />

in mehreren Segmenten entstehen. Dieses<br />

Phänomen tritt auch bei konservativ behandelten<br />

Einsegmentfrakturen auf. Wird<br />

ein Wirbelkörper durch Zement von innen<br />

versteift, brechen durch Osteoporose geschwächte,<br />

darüber und darunter liegende


Abb 2b: Z.n. Wirbelkörpersatz HW 5 mit Cage von<br />

ventral und Laminektomie HW 3 und 4<br />

Abb 4: Zementverteilung im Wirbelkörper nach<br />

Kyphoplastie<br />

Wirbel bei axialer Belastung. Dies hat dazu<br />

geführt, dass Wirbelkörper teilweise multisegmental<br />

(prophylaktisch) mit Zement<br />

aufgefüllt werden, um nicht nur die Fraktur<br />

selbst, son<strong>der</strong>n die insgesamt geschwächten<br />

Wirbel in anschließenden Segmenten<br />

zu stabilisieren.<br />

Die inzwischen vorliegenden, langjährigen<br />

Erfahrungen belegen, dass beide Verfahren<br />

Schmerzen reduzieren und eine rasche Mobilisation<br />

ermöglichen. Bei angemessener<br />

Compliance ist eine ambulante Behandlung<br />

möglich. Komplikationen sind gemessen<br />

an <strong>der</strong> Häufigkeit des Eingriffs gering, bei<br />

komplexen Frakturen mit Hinterkantenfraktur<br />

wird Zurückhaltung empfohlen.<br />

Grundsätzlich sollte die Grun<strong>der</strong>krankung<br />

Osteoporose diagnostiziert und mitbehandelt<br />

werden.<br />

a<br />

Abb 5: Kyphoplastie – [a] prä- und [b] postoperative Dokumentation nach Aufrichtung und Stabilisierung einer<br />

BWK 10 Fraktur<br />

Ausblick<br />

Die Kooperation <strong>der</strong> Fachrichtungen Unfallchirurgie/Orthopädie<br />

und Neurochirurgie<br />

mit ihren jeweiligen Kompetenzen<br />

und Schwerpunkten wird wichtiger, um<br />

<strong>der</strong> steigenden Diversität und Entwicklung<br />

<strong>der</strong> technischen Aspekte <strong>der</strong> Wirbelsäulenchirurgie<br />

einerseits und dem zunehmend<br />

wissenschaftlich begründeten ergebnisorientierten<br />

Anspruch an<strong>der</strong>erseits gerecht<br />

zu werden. Durch eine Zentrumsbildung,<br />

wie etwa im Wirbelsäulenzentrum <strong>der</strong><br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona, kann die gesamte<br />

Expertise zum Nutzen <strong>der</strong> Patienten<br />

zusammengeführt werden.<br />

Literatur<br />

[1] Patil PG, Turner DA, Pietrobon R. National trends in<br />

surgical procedures for degenerative cervical spine disease:<br />

1990-2000. Neurosurgery. 2005; 57(4): 753-8.<br />

[2] Edwards CC 2nd, Riew KD, An<strong>der</strong>son PA, Hilibrand<br />

AS, Vaccaro AF. Cervical myelopathy. Current diagnostic<br />

and treatment strategies. Spine J 2003; 3: 68-81.<br />

[3] Wada E, Suzuki S, Kanazawa A, Matsuoka T, Miyamoto<br />

S, Yonenobu K. Subtotal corpectomy versus laminoplasty<br />

for multilevel cervical spondyloticmyelopathy: a long-term<br />

follow-up study over 10 years. Spine. 2001; 26: 1443-7.<br />

[4] Gangi A, Kastler BA, Dietemann JL. Percutaneous vertebroplasty<br />

guided by a combination of CT and fluoroscopy.<br />

AJNR Am J Neuroradiol. 1994; 15(1): 83-6.<br />

[5] Harrop JS, Prpa B, Reinhardt MK, Lieberman IH. Primary<br />

and secondary osteoporosis incidence of subsequent<br />

vertebral compression fracture after kyphoplasty. Spine.<br />

2004; 29(19): 2120-5.<br />

b<br />

Kontakt<br />

Prof. Dr. Uwe Kehler<br />

Marcus Lücke<br />

Abteilung <strong>für</strong> Neurochirurgie<br />

Tel. (0 40) 18 18-81 16 70<br />

Fax (0 40) 18 18-81 49 11<br />

E-Mail: u.kehler@asklepios.com<br />

Prof. Dr. Jürgen-Volker Wening<br />

Andrzej Zylinski<br />

Abteilung <strong>für</strong> Orthopädie/Unfallchirurgie<br />

Tel. (0 40) 18 18-81 16 21<br />

Fax (0 40) 18 18-81 49 09<br />

E-Mail: j.wening@asklepios.com<br />

Wirbelsäulenzentrum<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />

Paul-Ehrlich-Straße 1<br />

22763 Hamburg<br />

Neurochirurgie/Orthopädie<br />

[6] Minne H, Pfeifer M, Begerow B, Pollähne W. Osteoporose.<br />

Orthopäde. 2002; 31: 681-99.<br />

[7] Armsen N, Boszczyk B. Vertebro-/kyphoplasty: History,<br />

development, results. Eur J Trauma. 2005; 31(5): 433-41.<br />

761


Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />

KONTAKT<br />

Prof. Dr. Ulrich Budde<br />

Hämostaseologie<br />

MEDILYS Laborgesellschaft mbH<br />

Paul-Ehrlich-Straße 1<br />

22763 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-81 59 75<br />

Fax (0 40) 18 18-81 49 48<br />

E-Mail: u.budde@asklepios.com<br />

Prof. Dr. Ulrich Budde Dr. Erik Fritzsche<br />

MEDILYS:<br />

Neuer Leiter <strong>für</strong> Hämostaseologie<br />

Prof. Dr. Ulrich Budde leitet seit Januar<br />

den Bereich Hämostaseologie bei MEDI-<br />

LYS. Budde wurde 1944 in Olsberg geboren,<br />

wuchs in Dortmund auf und studierte<br />

Humanmedizin in Bonn. Nach zwei Jahren<br />

Weiterbildung in <strong>der</strong> Anästhesie des Krankenh<strong>aus</strong>es<br />

Düren nahm er 1975 die Weiterbildung<br />

zum Arzt <strong>für</strong> Transfusionsmedizin<br />

im Institut <strong>für</strong> Experimentelle Hämatologie<br />

und Transfusionsmedizin <strong>der</strong> Universität<br />

Bonn unter Prof. Egli auf. 1984 erhielt er<br />

den Johann-Lukas-Schoenlein-Preis und<br />

begann eine langjährige Zusammenarbeit<br />

mit Ted Zimmerman und Zaverio Ruggeri<br />

in <strong>der</strong> Scripps Research Foundation im<br />

kalifornischen La Jolla. 1985 habilitierte<br />

sich Budde mit <strong>der</strong> Arbeit „Das von-Wille -<br />

brand-Syndrom: Diagnose, Klassifikation<br />

und Therapie“. Im gleichen Jahr wechselte<br />

er in das Gerinnungslabor des UK Eppendorf,<br />

1986 wurde er dann Leiter <strong>der</strong> Transfusionsmedizin<br />

und Hämostaseologie des<br />

AK Harburg. 1997 wurde Budde zum Professor<br />

<strong>der</strong> Universität Hamburg berufen.<br />

1997 bis 2009 arbeitete er im nie<strong>der</strong>gelas -<br />

senen Bereich, zuletzt im AescuLabor<br />

Hamburg. Bei MEDILYS wird Budde das<br />

diag nostische Angebot im Bereich <strong>der</strong> Spezialgerinnung<br />

<strong>für</strong> die <strong>Klinik</strong>en wie auch<br />

<strong>für</strong> die ambulanten Kunden erweitern.<br />

Da<strong>für</strong> steht am Standort Altona rund um<br />

die Uhr ein hochspezialisiertes Labor zur<br />

Verfügung. Ein weiterer wichtiger Aspekt<br />

seiner Arbeit ist die Teilnahme an großen<br />

Zulassungsstudien.<br />

762<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Wandsbek:<br />

Neuer Bereich Wirbelsäulenchirurgie<br />

Am 1. Februar 2010 übernahm Dr. Erik<br />

Fritzsche die Leitung des neuen Bereiches<br />

Wirbelsäulenchirurgie unter dem Dach <strong>der</strong><br />

Abteilung <strong>für</strong> Orthopädie und Unfallchirurgie<br />

in <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Wandsbek.<br />

Der bisherige leitende Oberarzt <strong>der</strong> Neurochirurgie<br />

in <strong>der</strong> ENDO-<strong>Klinik</strong> Hamburg<br />

wird hier einen neuen Schwerpunkt <strong>für</strong><br />

Wirbelsäulenchirurgie etablieren. Nach<br />

dem Studium <strong>der</strong> Medizin in Hamburg<br />

begann Fritzsche seine ärztliche Weiterbildung<br />

in <strong>der</strong> Abteilung <strong>für</strong> Neurochirurgie<br />

des AK Altona unter Prof. Halves.<br />

Im Jahr 2000 wechselte er als Assistenzarzt<br />

an die <strong>Klinik</strong> <strong>für</strong> Neurochirurgie des Universitätskrankenh<strong>aus</strong>es<br />

Eppendorf (UKE).<br />

2004 erhielt er die Facharztanerkennung<br />

<strong>für</strong> Neurochirurgie. 2005 wurde er Funktionsoberarzt<br />

<strong>für</strong> Wirbelsäulenchirurgie am<br />

UKE, 2006 erhielt Fritzsche ein Stipendium<br />

<strong>der</strong> AO-Spine/EANS im Orthocenter München/Harlaching<br />

unter <strong>der</strong> Leitung von<br />

Prof. H. M. Mayer. Ende 2006 wechselte er<br />

als Leiten<strong>der</strong> Oberarzt nach Dortmund, wo<br />

er ein interdisziplinäres Wirbelsäulenzentrum<br />

am <strong>Klinik</strong>um Dortmund aufbaute<br />

und etablierte. Private Gründe zogen ihn<br />

Anfang 2009 zurück nach Hamburg, wo er<br />

in <strong>der</strong> ENDO-<strong>Klinik</strong> tätig war.<br />

In <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Wandsbek möchte<br />

Dr. Fritzsche einen neuen Schwerpunkt mit<br />

<strong>der</strong> Wirbelsäulenchirurgie aufbauen und<br />

gemeinsam mit <strong>der</strong> Unfallchirurgie und<br />

Orthopädie den Standort Wandsbek <strong>für</strong><br />

den Bereich Wirbelsäulenerkrankungen<br />

etablieren.<br />

K O N T A K T<br />

Dr. Erik Fritzsche<br />

Leiten<strong>der</strong> Arzt Bereich Wirbelsäulenchirurgie<br />

Abteilung <strong>für</strong> Orthopädie und Unfallchirurgie<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Wandsbek<br />

Alphonsstraße 14<br />

22043 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-83 12 74<br />

Fax (0 40) 18 18-83 16 20<br />

E-Mail: e.fritzsche@asklepios.com<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg:<br />

Neuer Sektionsleiter Angiologie<br />

im Gefäßzentrum<br />

Am 1. Januar 2010 übernahm Dr. Reimund<br />

Prokein als Nachfolger von Dr. Schulenburg<br />

die Leitung <strong>der</strong> Sektion Angiologie<br />

im Gefäßzentrum Hamburg Harburg. Bisher<br />

war er Ärztlicher Leiter des Kerckhoff-<br />

Rehabilitations-Zentrums in Bad Nauheim<br />

und versorgte als KV-ermächtigter Arzt die<br />

gefäßchirurgische Ambulanz <strong>der</strong> HELIOS<br />

William Harvey <strong>Klinik</strong> in Bad Nauheim.<br />

Prokein wurde 1958 in Darmstadt geboren,<br />

studierte von 1976 bis 1982 Humanmedizin<br />

an <strong>der</strong> Justus-Liebig-Universität Gießen<br />

und promovierte dort über das Thema<br />

„Zur Pharmakokinetik des Prednisolon:<br />

Einfluss unterschiedlicher Kostformen auf<br />

die enterale Resorption“ mit <strong>der</strong> Gesamtnote<br />

„sehr gut“. Nach Ableistung seines<br />

Wehrdienstes als Stabsarzt begann Prokein<br />

1984 seine Facharzt<strong>aus</strong>bildung zum Internisten<br />

in den <strong>Klinik</strong>en des Hochtaunuskreises<br />

Bad Homburg, Lehrkrankenh<strong>aus</strong><br />

<strong>der</strong> Universitäten Frankfurt und Gießen.<br />

1990 erhielt er die Anerkennung als Facharzt<br />

<strong>für</strong> Innere Medizin und war von 1992<br />

bis 1995 als Oberarzt und Vertreter des<br />

Chefarztes in einer kardiologischen<br />

Schwerpunkt-Rehaklinik in Bad Nauheim<br />

tätig. 1995 trat er in die William Harvey<br />

<strong>Klinik</strong> ein, wo er zunächst als Oberarzt, ab<br />

2000 als Leiten<strong>der</strong> Arzt auf dem Gebiet <strong>der</strong><br />

Gefäßmedizin arbeitete.<br />

2007 wurde ihm als Ärztlichem Leiter des<br />

Kerckhoff-Rehabilitations-Zentrums die<br />

Aufgabe übertragen, Angiologie und Kardiologie<br />

integrativ in <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong> zusam -


Dr. Reimund Prokein<br />

menzuführen. Die Verbindung zur Akutmedizin<br />

war durch seine Tätigkeit in <strong>der</strong><br />

HELIOS William Harvey <strong>Klinik</strong> weiterhin<br />

gegeben; gleichzeitig war damit auch die<br />

persönliche Anbindung von Gefäßchirurgie<br />

und Rehabilitation <strong>für</strong> die Patienten<br />

gesichert. 1996 hatte Prokein die Schwerpunktbezeichnung<br />

„Angiologie“ sowie die<br />

Zusatzbezeichnung „Rehabilitationswesen“<br />

erworben. Sein beson<strong>der</strong>es Interesse<br />

gilt <strong>der</strong> Notfallmedizin. 1988 hatte er die<br />

Qualifikation <strong>für</strong> den Fachkundenachweis<br />

„Rettungsmedizin“ und 1991 als „Leiten<strong>der</strong><br />

Notarzt“ erworben, 1996 wurde er als<br />

Ehrenbeamter des Wetteraukreises berufen,<br />

1997 gründete er den Verein „Leitende<br />

Notärzte Wetterau e.V.“. Mit seinem Wechsel<br />

in die <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg ist Prokein<br />

wie<strong>der</strong> vollständig in die Akutmedizin<br />

zurückgekehrt und möchte durch seine<br />

Tätigkeit als Angiologe die Interdisziplinarität<br />

des Gefäßzentrums unterstützen und<br />

das Angebot <strong>der</strong> Diagnostik und Therapie<br />

von Arterien- und Venenerkrankungen<br />

auch auf die Lymphgefäße <strong>aus</strong>weiten.<br />

KONTAKT<br />

Dr. Reimund Prokein<br />

Sektion Angiologie, Abt. <strong>für</strong> Gefäßchirurgie<br />

Gefäßcentrum Harburg<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg<br />

Eißendorfer Pferdeweg 52<br />

21075 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-86 33 91<br />

Fax (0 40) 18 18-86 21 48<br />

E-Mail: r.prokein@asklepios.com<br />

Dr. Susanne Tiede<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg:<br />

Neue Sektion <strong>für</strong> Onkologie<br />

Seit dem 1. November 2009 leitet Dr. Su -<br />

sanne Tiede die Sektion Onkologie in <strong>der</strong><br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg. Bis dahin arbeitete<br />

sie in <strong>der</strong> Abteilung <strong>für</strong> Onkologie und<br />

Palliativmedizin <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong><br />

Barmbek. Frau Tiede wurde in Hamburg<br />

geboren und studierte Humanmedizin an<br />

<strong>der</strong> Universität Hamburg. Den chirurgischen<br />

Teil des Praktischen Jahres absolvierte<br />

sie an <strong>der</strong> Charing Cross and Westminster<br />

Medical School, University of London.<br />

Ihr AiP absolvierte sie in <strong>der</strong> 2. Medizinischen<br />

Ab teilung und <strong>der</strong> Pathologie des<br />

AK Wandsbek sowie im Kreiskrankenh<strong>aus</strong><br />

Brunsbüttel (Abteilung <strong>für</strong> Innere Medizin<br />

und Lungenerkrankungen).<br />

1993 kam Dr. Tiede nach Hamburg zurück<br />

und setzte ihre Ausbildung in <strong>der</strong> 2. Medizinischen<br />

Abteilung des AK Barmbek bei<br />

Prof. Schwedes fort (Schwerpunkt Diabetes<br />

und Endokrinologie). 1995 wechselte sie in<br />

die Abteilung <strong>für</strong> Onkologie und Palliativmedizin<br />

zu Dr. Müllerleile, 1998 erhielt sie<br />

die Facharztanerkennung <strong>für</strong> Innere Medizin.<br />

Von 1998 bis 2001 vertiefte sie ihre<br />

hämatologischen und onkologischen<br />

Kenntnisse in Freiburg/Breisgau bei Prof.<br />

Unger. Dort war sie schwerpunktmäßig in<br />

<strong>der</strong> Clinical Trial Unit tätig und zudem<br />

maßgeblich am Aufbau einer ambulanten<br />

Beratungseinrichtung <strong>für</strong> Tumorpatienten<br />

zum Einholen systematisch erarbeiteter<br />

Zweitmeinungen beteiligt („Second Opinion“).<br />

Im Juni 2000 schloss Susanne Tiede<br />

in Freiburg ihre Weiterbildung mit <strong>der</strong><br />

KONTAKT<br />

Dr. Susanne Tiede<br />

Sektionsleitung Onkologie<br />

2. Medizinische Abteilung<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg<br />

Eißendorfer Pferdeweg 52<br />

21075 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-86 33 25<br />

Fax (0 40) 18 18-86 30 78<br />

E-Mail: s.tiede@asklepios.com<br />

Personalia<br />

Schwerpunktbezeichnung Hämatologie<br />

und Internistische Onkologie ab. 2001<br />

kehrte sie nach Barmbek zurück und arbeitete<br />

hier im Bereich <strong>der</strong> onkologischen<br />

Ambulanz, im Konsildienst sowie in den<br />

Organzentren und war auch prägend an<br />

<strong>der</strong> Weiterentwicklung <strong>der</strong> Palliativstation<br />

beteiligt. In <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg<br />

möchte Frau Dr. Tiede nun den Sektionsbereich<br />

Onkologie aufbauen. Ihr eindeutiger<br />

Schwerpunkt liegt dabei in <strong>der</strong> interdisziplinären<br />

Zusammenarbeit mit allen an<strong>der</strong>en<br />

Abteilungen <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong>, um die Versorgung<br />

von Patienten mit hämatologischen<br />

Erkrankungen und soliden Tumoren qualitativ<br />

und quantitativ weiter zu verbessern<br />

und zu intensivieren. In diesem Rahmen<br />

ist sie unter an<strong>der</strong>em im Brustzentrum<br />

Sü<strong>der</strong>elbe aktiv und an <strong>der</strong> Gründung<br />

eines interdisziplinären onkologischen<br />

Darmzentrums beteiligt. Ein weiterer<br />

Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in <strong>der</strong> palliativmedizinischen<br />

Versorgung von Tumorpatienten.<br />

Die Gründung einer interdisziplinären<br />

Palliativstation in <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong><br />

<strong>Klinik</strong> Harburg gehört ebenfalls zu ihren<br />

geplanten Projekten.<br />

763


Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />

Neuere Untersuchungen legen einen<br />

Zusammenhang zwischen vitreoretinalen<br />

Traktionen im Bereich <strong>der</strong> Makula und <strong>der</strong><br />

Entstehung einer feuchten AMD nahe. [1,2,3]<br />

Es wird vermutet, dass diese Traktion einen<br />

chronischen Reiz auf den Pigmentepithel-<br />

Bruchsche Membran-Photorezeptorkomplex<br />

<strong>aus</strong>übt. Hierdurch könnten Durchtrittstellen<br />

<strong>für</strong> choroidale Neovaskularisationsmembranen<br />

(CNV) entstehen. Ebenso<br />

können dadurch bedingte chronische Entzündungsprozesse<br />

in diesem Bereich <strong>für</strong><br />

die Entstehung o<strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> feuchten<br />

AMD verantwortlich sein. Zu dieser<br />

Fragestellung hat die Augenklinik <strong>der</strong><br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord eine von <strong>der</strong> Ethikkommission<br />

Hamburg genehmigte Studie<br />

begonnen.<br />

Bei einer großen Zahl von Patienten nach<br />

pars plana Vitrektomie (PPV) bei macular<br />

pucker o<strong>der</strong> Makulaforamen soll die Inzidenz<br />

<strong>der</strong> feuchten AMD untersucht werden.<br />

Da im Rahmen <strong>der</strong> PPV sämtliche vitreo -<br />

retinalen Traktionen operativ entfernt worden<br />

sind, ist eine geringere Inzidenz <strong>der</strong><br />

feuchten AMD in <strong>der</strong> operierten Gruppe<br />

zu erwarten als bei den Partneraugen <strong>der</strong><br />

Patienten o<strong>der</strong> nicht operierten Patienten.<br />

764<br />

Da es sich bei <strong>der</strong> AMD um eine chronische<br />

Erkrankung handelt, wird ein minimaler<br />

Zeitabstand <strong>der</strong> PPV zur Nachuntersuchung<br />

von fünf Jahren festgelegt. Es<br />

handelt sich nicht um eine Interventionsstudie.<br />

Ausschlusskriterien sind nach <strong>der</strong><br />

Vitrektomie aufgetretene visusrelevante<br />

retinale Gefäßverschlüsse, Netzhautab -<br />

lösungen o<strong>der</strong> Trübungen <strong>der</strong> optischen<br />

Medien (Katarakt, Hornhaut), die eine<br />

Beurteilung <strong>der</strong> Makula nicht zulassen.<br />

Es entstehen keine Kosten <strong>für</strong> die Krankenkassen<br />

o<strong>der</strong> Patienten. Die Patienten erhalten<br />

eine Fahrkostenp<strong>aus</strong>chale je nach Entfernung<br />

zum Wohnort. Um statistisch<br />

<strong>aus</strong>sagekräftige Ergebnisse zu erzielen, sollen<br />

320 Patienten nachuntersucht werden.<br />

Nach schriftlicher Einladung <strong>der</strong> Patienten<br />

und Benachrichtigung <strong>der</strong> behandelnden<br />

Augenärzte vereinbaren wir mit den<br />

Augenheilkunde<br />

Vitreoretinale Traktion bei feuchter<br />

altersabhängiger Makuladegeneration<br />

(AMD)<br />

Dr. Annette Hager, Bettina Otte, Prof. Dr. Dr. Wolfgang Wiegand<br />

OCT-Bild eines Patienten mit vitreoretinaler Traktion<br />

(Pfeil) und feuchter AMD (subretinale Flüssigkeit und<br />

intraretinales Ödem)<br />

Amsler-Gitter mit Angabe von Metamorphopsien<br />

(wellige Linien), die typischerweise bei Patienten mit<br />

feuchter AMD, aber auch macular pucker (retinale<br />

Faltenbildung durch epiretinale Gliose) auftreten<br />

Pa tienten einen Termin zur Nachunter -<br />

suchung. Nach <strong>der</strong> Anamnese, insbeson<strong>der</strong>e<br />

in Bezug auf die Risikofaktoren <strong>der</strong><br />

feuchten AMD (Nikotinabusus, Familienanamnese<br />

etc.), folgt eine klinische Unter -<br />

suchung. Neben Visus, Amsler-Gitter und<br />

Fundusuntersuchung wird im OCT die<br />

vitreoretinale Grenzfläche dargestellt. Bei<br />

klinischem Verdacht auf eine feuchte AMD<br />

wird zusätzlich eine Fluoreszenzangio -<br />

graphie durchgeführt.<br />

Wir danken allen mitbehandelnden Ärztinnen<br />

und <strong>Ärzte</strong>n <strong>für</strong> die Unterstützung bei<br />

dieser Untersuchung.<br />

Literatur<br />

[1] Krebs I, Brannath W, Glittenberg C, Zeiler F, Sebag J,<br />

Bin<strong>der</strong> S. Posterior vitreomacular adhesion: a potential risk<br />

factor for exudative age-related macular degeneration?<br />

Am J Ophthalmol. 2007; 144: 741-6.<br />

[2] Mojana F, Cheng L, Bartsch DG, Silva GA, Kozak I,<br />

Nigam N, Freeman WR. The role of abnormal vitreomacular<br />

adhesion in age-related macular degeneration: spectral<br />

optical coherence tomography and surgical results. Am J<br />

Ophthalmol 2008; 146: 218-27.<br />

[3] Lee SJ, Lee CS, Koh HJ. Posterior vitreomacular adhesion<br />

and risk of exudative age-related macular degeneration:<br />

paired eye study. Am J Ophthalmol. 2009; 147(4):<br />

621-6.<br />

Kontakt<br />

Dr. Annette Hager, Bettina Otte<br />

Augenabteilung<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord – Heidberg<br />

Tangstedter Landstraße 400<br />

22417 Hamburg<br />

Telefonische Terminabsprache <strong>für</strong><br />

Untersuchungstermine im Rahmen <strong>der</strong> Studie:<br />

Silke Wichmann<br />

Tel. (0 40) 18 18-87 90 24<br />

E-Mail: s.wichmann@asklepios.com


S3-Leitlinie Prophylaxe venöser<br />

Thromboembolien<br />

Dr. H. El Abd-Müller<br />

Die Leitlinie umfasst alle Fachgebiete, in<br />

denen VTE-Prophylaxe eine Rolle spielt,<br />

aber nicht die Akuttherapie von Krankheitsbil<strong>der</strong>n,<br />

bei denen eine Thrombosierung<br />

o<strong>der</strong> Embolisierung bereits eingetreten<br />

ist, Fragen des therapeutischen Einsatzes<br />

von Antikoagulanzien o<strong>der</strong> Bereiche, in<br />

denen an<strong>der</strong>e Formen <strong>der</strong> Antikoagulation<br />

o<strong>der</strong> Lyse im Vor<strong>der</strong>grund stehen, die<br />

Bridging-Antikoagulation und die neuen<br />

oralen Antikoagulanzien.<br />

Bei den Empfehlungen wird zwischen drei<br />

Empfehlungsgraden (Tab. 1) unterschieden.<br />

Sie berücksichtigen neben <strong>der</strong> Güte<br />

<strong>der</strong> zugrunde liegenden Evidenz auch die<br />

Direktheit/externe Validität und Homo -<br />

genität <strong>der</strong> Gesamtevidenz, die Nutzen-<br />

Risiko-Abwägung, die klinische Relevanz<br />

<strong>der</strong> Effektivitätsmaße <strong>der</strong> Studien, die<br />

Umsetzbarkeit in <strong>der</strong> Versorgungsrealität<br />

sowie ethische Verpflichtungen.<br />

Warum ist eine generelle VTE-Prophylaxe<br />

notwendig?<br />

■ Häufigkeit tiefer Venenthrombosen in<br />

früheren placebo-kontrollierten Studien<br />

■ Kein Test <strong>für</strong> die individuelle Risikobestimmung<br />

verfügbar<br />

■ 80 Prozent <strong>der</strong> tödlichen Lungenembolien<br />

ohne klinische Thrombosezeichen<br />

■ Aber: individuelle Indikationsstellung<br />

unter Abwägung von Wirksamkeit und<br />

Blutungsgefahr (Nutzen-Risiko-Abwägung)<br />

(Tab. 2)<br />

Risikofaktoren<br />

Labormedizin<br />

Medizinische Fachgesellschaften und Organisationen haben gemeinsam die frühere S3-Leitlinie zur Prophylaxe<br />

venöser Thromboembolien (VTE) bearbeitet und aktualisiert. Im Folgenden finden Sie eine Zusammenstellung <strong>der</strong><br />

wichtigsten Abschnitte und Empfehlungen, die <strong>für</strong> verschiedene Bereiche von Bedeutung sind. Die Leitlinie basiert<br />

auf Literaturrecherchen, Prüfungen, Bewertungen und dem Abgleich mit internationalen Leitlinien.<br />

Studienqualität Evidenzstärke Empfehlung Beschreibung Symbol<br />

Systematische Übersichtsarbeit (Metaanalyse) o<strong>der</strong><br />

RCT (Therapie) o<strong>der</strong> Kohortenstudie (Risikofaktoren,<br />

Diagnostik) von hoher Qualität<br />

RCT o<strong>der</strong> Kohortenstudie von eingeschränkter<br />

Qualität<br />

RCT o<strong>der</strong> Kohortenstudie von schlechter Qualität,<br />

alle an<strong>der</strong>en Studiendesigns, Expertenmeinung<br />

Tab. 1: Graduierung <strong>der</strong> Evidenz- und Empfehlungsstärke<br />

hoch „soll“<br />

Starke Empfehlung<br />

mäßig „sollte“ Empfehlung �<br />

schwach „kann“<br />

Empfehlung<br />

offen<br />

��<br />

→<br />

Das individuelle Risiko <strong>für</strong> die Entwicklung<br />

einer venösen Thromboembolie setzt<br />

sich <strong>aus</strong> expositionellen und dispositionellen<br />

Risikofaktoren zusammen:<br />

■ Das expositionelle Risiko ist durch Art<br />

und Umfang eines operativen Eingriffs<br />

o<strong>der</strong> Traumas bzw. einer akuten<br />

Erkrankung bzw. mit Immobilisation<br />

charakterisiert.<br />

■ Das dispositionelle Risiko umfasst<br />

angeborene und erworbene personenbezogene<br />

Faktoren.<br />

Beide Aspekte sollen bei <strong>der</strong> Einschätzung<br />

des individuellen VTE-Risikos berücksichtigt<br />

werden. ↑↑<br />

765


Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />

Major-Kriterien<br />

Apoplex<br />

Akuter Herzinfarkt<br />

Akutes Versagen des Atemtrakts<br />

Akute Herzinsuffizienz<br />

Akute Erkrankung + Thrombose in <strong>der</strong> Anamnese<br />

Akute Erkrankung + Hyperkoagulopathie<br />

Minor-Kriterien<br />

Sepsis<br />

Tumorleiden / Myeloproliferative Erkrankung<br />

Entzündliche Erkrankung<br />

Nephrotisches Syndrom<br />

Hormonbehandlung (Kontrazeption, Substitution)<br />

Dehydratation<br />

Zusatzkriterien<br />

Alter über 60 Jahre<br />

Bettruhe<br />

Adipositas<br />

Chronisch venöse Insuffizienz<br />

Chopard et al. J IM 2005<br />

Prophylaxe indiziert bei:<br />

1 Major-Kriterium<br />

2 Minor-Kriterien<br />

1 Minor-Kriterium + 1 Zusatzkriterium<br />

Tab. 2: Indikationen <strong>für</strong> eine Thromboseprophylaxe in<br />

<strong>der</strong> Inneren Medizin<br />

Einteilung in Risikogruppen<br />

■ Zur Einschätzung des VTE-Risikos auf<br />

<strong>der</strong> Basis von expositionellen und dispositionellen<br />

Risikofaktoren sollte eine<br />

Einteilung in drei Risikogruppen<br />

(gering, mittel, hoch) erfolgen. ↑<br />

■ Art und Umfang <strong>der</strong> VTE-Prophylaxe<br />

sollen sich nach <strong>der</strong> Einteilung<br />

■ in diese Risikogruppen<br />

■ und nach Kontraindikationen richten<br />

(Tab. 3).<br />

Vor Beginn einer medikamentösen VTE-<br />

Prophylaxe ist die Aufklärung <strong>der</strong> Patienten<br />

über Nutzen und Risiken von Anti -<br />

koagulanzien eine klare rechtliche Vorgabe.<br />

766<br />

Geringes VTE-Risiko<br />

Mittleres VTE-Risiko<br />

Hohes VTE-Risiko<br />

Aufklärung des Patienten über die<br />

VTE-Prophylaxe<br />

Operative Medizin Nicht-operative Medizin<br />

kleine operative Eingriffe<br />

Tab. 3: Beispielhafte Risikokategorien<br />

Verletzung ohne o<strong>der</strong> mit geringem<br />

Weichteilschaden<br />

kein zusätzliches bzw. nur geringes dispositionelles<br />

Risiko, sonst Einstufung in<br />

höhere Risikokategorie<br />

■ Die getroffene Risikoabschätzung einer<br />

VTE und die sich dar<strong>aus</strong> ergebenden<br />

Maßnahmen <strong>der</strong> VTE-Prophylaxe müssen<br />

bezüglich Nutzen, Risiko und<br />

Alternativen mit dem Patienten im<br />

Rahmen eines Aufklärungsgespräches<br />

besprochen werden. ��↑<br />

■ Das Aufklärungsgespräch kann formlos<br />

geführt werden. Es sollte in seinen<br />

wesentlichen Inhalten aber ebenso wie<br />

die etwaige Verweigerung des Patienteneinverständnisses<br />

und/o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

ärztliche Verzicht auf eine VTE-Prophylaxe<br />

schriftlich dokumentiert werden.<br />

Infektion o<strong>der</strong> akut-entzündliche<br />

Erkrankung ohne Bettlägerigkeit<br />

zentralvenöse Katheter/Portkatheter<br />

kein zusätzliches bzw. nur geringes<br />

dispositionelles Risiko, sonst Einstufung<br />

in höhere Risikokategorie<br />

länger dauernde Operationen akute Herzinsuffizienz (NYHA III/IV)<br />

gelenkübergreifende Immobilisation <strong>der</strong><br />

unteren Extremität im Hartverband<br />

arthroskopisch assistierte Gelenkchirurgie<br />

an <strong>der</strong> unteren Extremität<br />

kein zusätzliches bzw. nur geringes dispositionelles<br />

Risiko, sonst Einstufung in<br />

höhere Risikokategorie<br />

größere Eingriffe in Bauch- und Beckenregion<br />

bei malignen Tumoren o<strong>der</strong> entzündlichen<br />

Erkrankungen<br />

Polytrauma, schwerere Verletzungen<br />

Wirbelsäule, Becken und/o<strong>der</strong> untere<br />

Extremität<br />

größere Eingriffe an Wirbelsäule, Becken,<br />

Hüft- o<strong>der</strong> Kniegelenk<br />

größere operative Eingriffe in Körperhöhlen<br />

<strong>der</strong> Brust-, Bauch- und/o<strong>der</strong> Beckenregion<br />

akut dekomp., schwere COPD ohne<br />

Beatmung<br />

stationär behandlungsbedürftige maligne<br />

Erkrankung<br />

kein zusätzliches bzw. nur geringes dispositionelles<br />

Risiko, sonst Einstufung in<br />

höhere Risikokategorie<br />

Schlaganfall mit Beinparese<br />

akut dekompensierte, schwere COPD mit<br />

Beatmung<br />

Sepsis<br />

schwer erkrankte Patienten mit intensivmedizinischer<br />

Behandlung<br />

Aus forensischen Gründen ist es ferner<br />

wichtig, das Aufklärungsgespräch schriftlich<br />

zu dokumentieren. Eine praktische<br />

Erleichterung bieten schriftliche Aufklärungsbögen,<br />

auch wenn sie das Arzt-Patient-<br />

Gespräch nicht ersetzen können. [1,2,3,4]<br />

Beispiel-Entwürfe <strong>für</strong> solche Aufklärungsbögen<br />

stellt die Autorin auf Anfor<strong>der</strong>ung gern zur<br />

Verfügung.<br />

Ein separates rechtliches Problem ist <strong>der</strong><br />

Einsatz nicht zugelassener Medikamente in<br />

<strong>der</strong> VTE-Prophylaxe. Nach dem Arzneimittelgesetz<br />

sind Medikamente nur <strong>für</strong> be -<br />

stimmte Indikationen zugelassen. Fehlt<br />

diese Zulassung, darf <strong>der</strong> Arzt im Rahmen<br />

seiner ärztlichen Therapiefreiheit das<br />

Medikament dennoch auf eigene Verantwortung<br />

einsetzen, sofern er dies medizinisch<br />

rechtfertigen kann. Außerdem muss<br />

er den Patienten über den Off-Label-Use<br />

informieren (Abb. 1 und 2).


■ Zur medikamentösen VTE-Prophylaxe stehen<br />

Heparine, Fondaparinux und an<strong>der</strong>e Antikoagulanzien<br />

zur Verfügung.<br />

■ Unter Abwägung von Effektivität, Blutungs- und<br />

HIT II-Risiko soll NMH gegenüber UFH bevorzugt<br />

eingesetzt werden. ��<br />

■ In einer Reihe von Indikationen kann ebenso<br />

Fondaparinux eingesetzt werden.<br />

■ Kontraindikationen und fachspezifische<br />

Beson<strong>der</strong>heiten sollen berücksichtigt werden. ��<br />

■ An<strong>der</strong>e Antikoagulanzien sind wirksam, aber nur<br />

bei bestimmten Indikationen sinnvoll bzw. zugelassen.<br />

■ ASS sollte zur VTE-Prophylaxe nicht eingesetzt<br />

werden. �<br />

■ Die Dauer <strong>der</strong> Prophylaxe soll sich am Fortbestehen<br />

relevanter Risikofaktoren <strong>für</strong> venöse<br />

Thromboembolien orientieren. ��<br />

■ Ist die Fortführung <strong>der</strong> Prophylaxe notwendig,<br />

soll <strong>der</strong> weiterbehandelnde Arzt darüber informiert<br />

werden. ��<br />

Abb. 1: Arzneimittel zur medikamentösen<br />

VTE-Prophylaxe<br />

Wo finde ich welche Leitlinie?<br />

Alle Leitlinien <strong>der</strong> AWMF-Mitgliedsgesellschaften:<br />

http://www.leitlinien.net<br />

Langfassung <strong>der</strong> Leitlinie<br />

„Prophylaxe <strong>der</strong> venösen Thromboembolie<br />

(VTE)“: www.leitlinien.net/003-001.pdf<br />

Kontakt<br />

Dr. med. Hala El Abd-Müller<br />

Labormedizin<br />

■ Die VTE-Prophylaxe soll in <strong>der</strong> ambulanten Medizin nach den gleichen Kriterien erfolgen wie die<br />

Prophylaxe im Krankenh<strong>aus</strong>. ��<br />

■ Wird ein Patient <strong>aus</strong> dem Krankenh<strong>aus</strong> in die ambulante Versorgung entlassen, ist zu entscheiden,<br />

ob eine im Krankenh<strong>aus</strong> begonnene Prophylaxe fortgesetzt werden muss. Dabei sollte auf den<br />

Empfehlungen des Krankenh<strong>aus</strong>es basierend gehandelt werden. �<br />

■ Die Zeitdauer <strong>der</strong> Prophylaxe soll sich am Fortbestehen relevanter Risikofaktoren <strong>für</strong> venöse<br />

Thromboembolien orientieren. ��<br />

■ Bei einem weiter deutlich erhöhten VTE-Risiko und insbeson<strong>der</strong>e in folgenden Situationen soll<br />

eine medikamentöse Prophylaxe länger fortgeführt werden: ��<br />

− orthopädische/unfallchirurgische Eingriffe am Hüftgelenk (28 – 35 Tage postoperativ)<br />

− orthopädische/unfallchirurgische Eingriffe am Kniegelenk (11 – 14 Tage postoperativ)<br />

− tumorbedingte Operationen im Bauch- o<strong>der</strong> Beckenbereich (4 – 5 Wochen postoperativ)<br />

■ Immobilität ohne akute Erkrankung ist keine Indikation <strong>für</strong> eine über allgemeine Basismaßnahmen<br />

(Bewegungsübungen, adäquate Hydrierung) hin<strong>aus</strong>gehende Thromboembolieprophylaxe.<br />

■ Auch Langstreckenreisen sind per se keine Indikation.<br />

■ Bei Vorliegen zusätzlicher, dispositioneller Risikofaktoren kann eine <strong>der</strong> Risikoeinschätzung<br />

entsprechende VTE-Prophylaxe erfolgen. →<br />

■ Beim Einsatz von Heparinen, insbeson<strong>der</strong>e UFH – deutlich weniger bei NMH, ist zu bedenken,<br />

dass das Risiko von HIT II ab dem 5. Tag <strong>der</strong> Therapie bis zum 14. Tag am größten ist. ��<br />

Abb. 2: Beson<strong>der</strong>heiten <strong>der</strong> VTE-Prophylaxe in <strong>der</strong> ambulanten Medizin<br />

Literatur<br />

[1] Hinz P, Lubenow N, Ekkernkamp A, Greinacher A.<br />

Aufklärung über die Heparin-induzierte Thrombozytopenie<br />

im Rahmen <strong>der</strong> Thromboseprophylaxe mit Heparin.<br />

Pilot-Studie bei 460 unfallchirurgischen Patienten. Dtsch<br />

Med Wochenschr 2003; 128: 2184-8.<br />

[2] Andreas M, Debong B. Thromboseprophylaxe bei<br />

Gehgips: Aufklärung über Risiken und Behandlungs -<br />

alternativen. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21.11.1995<br />

- VI ZR 329/94. Chirurg BDC 1997; 36: 53-4.<br />

[3] Lubenow N, Hinz P, Ekkernkamp A, Greinacher A.<br />

Should patients be informed about the risk of<br />

Heparin-induced thrombocytopenia before prolonged lowmolecular-weight<br />

heparin thromboprophylaxis post-trauma/orthopedic<br />

surgery? Eur J Haematol 2007; 79: 187-90.<br />

[4] Ulsenheimer K. Arztstrafrecht in <strong>der</strong> Praxis (3. Auflage).<br />

Heidelberg: C. F. Müller Verlag; 2003.<br />

Kompetenzfeldsprecherin Spezialgerinnung<br />

MEDILYS Laborgesellschaft mbH<br />

c/o <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />

Paul-Ehrlich-Straße 1<br />

22763 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-81 86 72<br />

Fax (0 40) 18 18-81 49 37<br />

E-Mail: h.elabd@asklepios.com<br />

www.medilys.de<br />

767


ISSN 1863-8341<br />

Geschichte <strong>der</strong> Medizin<br />

„Spanische“ Grippe –<br />

die Mutter aller Pandemien<br />

Jens Oliver Bonnet<br />

Ihren Namen „Spanische“ Grippe erhielt<br />

sie nur, weil vor allem die spanische Presse<br />

über die Pandemie berichtete, während<br />

die Zeitungen <strong>der</strong> meisten an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong><br />

während des Krieges unter Zensur standen:<br />

Mit 500 Millionen Infizierten und 20<br />

bis 40 Millionen Todesopfern kos tete die<br />

Grippepandemie von 1918 bis 1920<br />

wesentlich mehr Menschenleben als <strong>der</strong><br />

Erste Weltkrieg. [1]<br />

Erstmals schil<strong>der</strong>te Hippokrates 412 v. Chr.<br />

den Ausbruch einer Epidemie mit den<br />

Symptomen einer Influenza. Der Name<br />

„Influenza“ entstammt <strong>der</strong> bis ins Mittelalter<br />

herrschenden Theorie, alle Krankheiten<br />

seien durch die Planeten beeinflusst (coeli<br />

influencia = Einfluss <strong>der</strong> Gestirne). Im<br />

18. Jahrhun<strong>der</strong>t erkannte man, dass Grippe<br />

vor allem im Winter auftritt, und sprach<br />

fortan vom Einfluss <strong>der</strong> Kälte (influenza<br />

di freddo). Grippeepidemien traten in den<br />

meisten Län<strong>der</strong>n und Jahren auf, wenn die<br />

Viren durch Mutation <strong>der</strong> Oberflächenantigene<br />

eine neue Chance zur Verbreitung er -<br />

hielten. In Intervallen von 10 bis 50 Jahren<br />

kam es zu globalen, durch neue Influenza-<br />

Subtypen verursachten Pandemien. So verbreitete<br />

sich 1580 eine Pandemie innerhalb<br />

von sechs Monaten von Asien über Afrika<br />

nach Europa und schließlich nach Amerika.<br />

Allein in Rom for<strong>der</strong>te sie mehr als<br />

8.000 Todesopfer. 1729 brach in Russland<br />

eine Pandemie <strong>aus</strong>, die weltweit drei Jahre<br />

lang in mehreren Wellen zahlreiche Menschenleben<br />

kostete. Weitere Pandemien traten<br />

1781/82, 1830 bis 1833 und 1898 bis<br />

1900 auf. [1]<br />

Doch keine Pandemie verlief jemals so verheerend<br />

wie die Spanische Grippe 1918 bis<br />

1920. Ihr Ursprung wird zwar in China<br />

vermutet, doch nahezu zeitgleich mit den<br />

ersten chinesischen Meldungen kam es im<br />

März 1918 in Detroit, South Carolina und<br />

im Gefängnis von San Quentin zu Krank-<br />

www.medtropole.de<br />

Dezember 1918: Polizisten in Seattle, <strong>aus</strong>gestattet mit<br />

Masken des American Red Cross<br />

heits<strong>aus</strong>brüchen. Soldaten <strong>der</strong> American<br />

Expeditionary Force (AEF) brachten die<br />

Grippe im April 1918 über den Hafen von<br />

Bordeaux nach Europa. Von hier <strong>aus</strong> verbreitete<br />

sie sich nach Italien, Spanien und<br />

Deutschland, begann, den Kriegsverlauf zu<br />

beeinflussen. Mit britischen Soldaten gelangte<br />

sie nach Russland, wo sie sehr schnell<br />

um sich griff. Die Infektion erreichte Afrika,<br />

die indischen Metropolen Bombay und<br />

Kalkutta, schließlich erneut China, Neuseeland<br />

und die Philippinen. Zunächst schien<br />

die Erkrankung trotz vieler Infektionen<br />

eher mild zu verlaufen und nicht gefährlicher<br />

zu sein als frühere Grippewellen.<br />

Nach einigen Wochen nahmen die Infektionen<br />

überall stark ab, die Bedrohung schien<br />

vorüber. Doch dann, im August 1918, brach<br />

die Influenza auf einem Boot <strong>aus</strong>, das von<br />

England nach Freetown in Sierra Leone<br />

unterwegs war. Nach <strong>der</strong> Landung wurde<br />

die erkrankte Crew in ein Krankenh<strong>aus</strong><br />

gebracht. In rascher Folge erkrankten<br />

Hafenarbeiter und schließlich zahlreiche<br />

Einwohner von Freetown. Schnell wurde<br />

klar, dass die Krankheit nun ungleich heftiger<br />

und tödlicher verlief. Im französischen<br />

Brest, einem <strong>der</strong> wichtigsten Versorgungshäfen<br />

während des Krieges, nahm eine<br />

zweite, gefährlichere Epidemie ihren Ausgang,<br />

die sich per Schiff über Boston in die<br />

USA verbreitete. [2] Im Januar 1919 schließlich<br />

erreichte die Pandemie Australien.<br />

Experten schätzen, dass etwa die Hälfte<br />

<strong>der</strong> damaligen Weltbevölkerung infiziert<br />

Notfalllazarett während <strong>der</strong> Pandemie 1918 im<br />

US-Army-Ausbildungslager Camp Funston, Kansas<br />

war, rund ein Viertel litt an klinischen<br />

Symptomen. Einzigartig war auch, dass<br />

die Todesopfer dieser Pandemie vor allem<br />

unter 20- bis 40-Jährigen auftraten. Doch<br />

die Auswirkungen <strong>der</strong> weltweiten Infektion<br />

blieben nicht auf die Jahre 1918 bis<br />

1920 begrenzt. Denn alle seither aufgetretenen<br />

Pandemien (1957/58, 1968/69) und –<br />

mit Ausnahme <strong>der</strong> Vogelgrippeviren H5N1<br />

und H7N7 – alle Grippefälle weltweit wurden<br />

von Abkömmlingen des damaligen<br />

Virenstammes verursacht. Neben mutierten<br />

H1N1-Viren entstanden in <strong>der</strong> Folge<br />

auch H2N2- und H3N2-Viren, die neben<br />

Schlüsselgenen des 1918-Virus auch Vogelgrippegene<br />

enthalten. Bevorzugt mutieren<br />

verschiedene Virustypen im Schwein zu<br />

einem neuen Erreger. So ist die 2009 aufgetretene<br />

Neue Influenza eine Reassortante,<br />

die neben Bestandteilen des 1918-Virus<br />

Grippegensegmente eurasischer Schweine<br />

enthält. [3] Wie sich dieses Virus weiter verän<strong>der</strong>t<br />

und ob – wie bei <strong>der</strong> Spanischen<br />

Grippe – eine zweite, eventuell gefährlichere<br />

Welle auftreten wird, wird die<br />

Zukunft zeigen.<br />

Literatur<br />

[1] Potter CW. A history of Influenza. J Appl Microbiol.<br />

2001; 91(4): 572-9.<br />

[2] Glezen WP. Emerging infections: pandemic influenza.<br />

Epidemiology Year Reviews. 1996; 18: 65-76.<br />

[3] Morens DM, Taubenberger JK, Fauci AS. The persistent<br />

legacy of the 1918 influenza virus. N Engl J Med. 2009;<br />

361(3): 225-9.

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