medtropoleAktuelles aus der Klinik für einweisende Ärzte - Asklepios
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medtropole Aktuelles<br />
Nr. 20 Januar 2010<br />
PSYCHIATRIE:<br />
Persönlichkeitsstörungen und „Sucht“<br />
KARDIOLOGIE:<br />
Drug-Eluting Stents (DES) – ein Update<br />
NEUROCHIRURGIE/ORTHOPÄDIE:<br />
Die „alte“ Wirbelsäule<br />
<strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>einweisende</strong> <strong>Ärzte</strong>
Impressum<br />
Redaktion<br />
Jens Oliver Bonnet<br />
(verantw.)<br />
Prof. Dr. Dr. Stephan Ahrens<br />
Prof. Dr. Christian Arning<br />
PD Dr. Oliver Detsch<br />
Dr. Birger Dulz<br />
PD Dr. Siegbert Faiss<br />
Dr. Christian Frerker<br />
Dr. Annette Hager<br />
Dr. Susanne Huggett<br />
Prof. Dr. Uwe Kehler<br />
Dr. Jürgen Ma<strong>der</strong>t<br />
PD Dr. Jörg Schwarz<br />
PD Dr. Gunther Harald Wiest<br />
Prof. Dr. Gerd Witte<br />
Cornelia Wolf<br />
Her<strong>aus</strong>geber<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en<br />
Hamburg GmbH<br />
Unternehmenskommunikation<br />
Rudi Schmidt V. i. S. d. P.<br />
Rübenkamp 226<br />
22307 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-82 66 36<br />
Fax (0 40) 18 18-82 66 39<br />
E-Mail:<br />
medtropole@asklepios.com<br />
Auflage: 15.000<br />
Erscheinungsweise:<br />
4 x jährlich<br />
ISSN 1863-8341<br />
Editorial<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
die Beiträge <strong>der</strong> vor Ihnen liegenden neuen Ausgabe <strong>der</strong> medtropole zeigen das<br />
breite medizinische Spektrum unserer <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en. Zum einen werden<br />
bewährte Therapiekonzepte in ihrer mo<strong>der</strong>nsten Form angewandt, zum an<strong>der</strong>en<br />
neue Diagnose- und Therapiekonzepte kritisch hinterfragt und bei entsprechen<strong>der</strong><br />
Indikation zum Nutzen unserer Patienten eingesetzt.<br />
In seiner Arbeit über Drug Eluting Stents (DES) gibt Prof. Meyer einen Überblick<br />
über die aktuellen Daten, Wirksamkeit und Sicherheit <strong>der</strong> auf dem Markt<br />
angebotenen DES und diskutiert den aktuellen Stand <strong>der</strong> Indikationen. Die Therapie des Ovarialkarzinoms<br />
ist ein Beispiel da<strong>für</strong>, dass sich durch kontinuierliche Optimierung einer Therapie eine<br />
erhebliche Verbesserung des Therapieerfolges erreichen lässt. So liegt die Fünf-Jahres-Überlebensrate<br />
heute nach Einführung <strong>der</strong> adjuvanten Chemotherapie und radikaler Operation bei 48,4 Prozent!<br />
PD Dr. Schwarz stellt die einzelnen Therapieformen und seine eigenen Ergebnisse vor.<br />
Obwohl mo<strong>der</strong>ne, jodhaltige Kontrastmittel in ihrer Anwendung sicher und gut verträglich sind,<br />
gibt es Kontraindikationen, die eine solche Anwendung verbieten. Hier bietet die von Dr. Malzfeldt<br />
vorgestellte CO2-Angiographie unter bestimmten Bedingungen eine mögliche Alternative.<br />
Technische Entwicklungen sind Vor<strong>aus</strong>setzung mo<strong>der</strong>ner Therapieformen: So erlauben laparoskopische<br />
Techniken in <strong>der</strong> Urologie sogar eine minimal invasive Nierenteilresektion. Die Vorteile<br />
dieser bislang weltweit erst an 15 Zentren etablierten Therapiealternative stellen Dr. Böhme und<br />
Prof. Gross vor. Zentrenbildung ermöglicht eine optimierte Diagnostik und Therapie <strong>für</strong> definierte<br />
Krankheitsbil<strong>der</strong>. So hilft in <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona die Kooperation <strong>der</strong> Fachdisziplinen Un -<br />
fallchirurgie/Orthopädie und Neurochirurgie, die Therapieform <strong>aus</strong>zuwählen und anzuwenden,<br />
die <strong>der</strong> jeweiligen individuellen Situation <strong>der</strong> Patienten adäquat ist. Prof. Kehler, Prof. Wening<br />
und ihre Mitarbeiter berichten über ihre Erfahrungen bei <strong>der</strong> Behandlung <strong>der</strong> „alten“ Wirbelsäule.<br />
Die aktuellen Leitlinien zur Prophylaxe venöser Thromboembolien fasst Dr. El Abd-Müller <strong>für</strong> Sie<br />
zusammen. Dr. Ringelhahn macht auf den Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsstörungen<br />
und Sucht aufmerksam. Die Brisanz dieses Themas wird deutlich, wenn man berücksichtigt, dass<br />
etwa drei bis fünf Prozent <strong>der</strong> gesamten Bevölkerung alkoholabhängig sind, <strong>der</strong> Anteil Alkoholkranker<br />
in <strong>der</strong> Bevölkerungsgruppe „Patienten“ mit etwa 10 bis 15 Prozent noch einmal deutlich<br />
höher liegt und bei Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung sogar je<strong>der</strong> zweite betroffen ist –<br />
<strong>für</strong> uns <strong>Ärzte</strong> eine enorme Her<strong>aus</strong>for<strong>der</strong>ung!<br />
Beim Lesen <strong>der</strong> Artikel wünsche ich Ihnen interessante Anregungen und neue Ideen zum Wohle<br />
unserer gemeinsamen Patienten und verbleibe mit besten Wünschen<br />
Ihr<br />
Prof. Dr. Gerd Witte<br />
Ärztlicher Direktor <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Wandsbek
Inhalt<br />
740 | KARDIOLOGIE<br />
Drug Eluting Stents (DES) – ein Update<br />
744 | GYNÄKOLOGIE<br />
Epitheliales Ovarialkarzinom:<br />
Optimale Therapie verbessert das Überleben signifikant<br />
748 | RADIOLOGIE<br />
CO 2-Angiographie:<br />
Ein Gas als alternatives intravasales Kontrastmittel<br />
751 | PSYCHIATRIE<br />
Persönlichkeitsstörungen und „Sucht“<br />
755 | UROLOGIE<br />
Lokal begrenzter Nierentumor:<br />
Laparoskopische Nierenteilresektion als mo<strong>der</strong>ne Therapie <strong>der</strong> Wahl<br />
758 | NEUROCHIRURGIE/ORTHOPÄDIE<br />
Die „alte“ Wirbelsäule<br />
762 | PERSONALIA<br />
764 | AUGENHEILKUNDE<br />
Vitreoretinale Traktion bei feuchter altersabhängiger Makuladegeneration (AMD)<br />
765 | LABORMEDIZIN<br />
S3-Leitlinie Prophylaxe venöser Thromboembolien<br />
768 | GESCHICHTE DER MEDIZIN<br />
„Spanische“ Grippe – die Mutter aller Pandemien<br />
S. 740<br />
S. 755<br />
S. 768
Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />
Drug Eluting Stents (DES) – ein Update<br />
Prof. Dr. Gerd Peter Meyer<br />
Dr. Frank Hennersdorf<br />
Die Rate <strong>der</strong> Stentimplantationen bei Koronarinterventionen ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen.<br />
Sie liegt in Deutschland <strong>der</strong>zeit bei 80 bis 90 Prozent <strong>der</strong> Koronareingriffe. Im Jahr 2008 wurden mehr als 250.000<br />
Stents in Deutschland eingesetzt. Ein nach wie vor ungelöstes Problem stellt die In-Stent-Rezidivstenose dar, die<br />
vor allem bei herkömmlichen, unbeschichteten Metallstents in etwa 15 bis 25 Prozent <strong>der</strong> Fälle auftritt. [1]<br />
Die Entwicklung sogenannter Drug Eluting<br />
Stents (DES), also Medikamente freisetzen<strong>der</strong><br />
Stents, trug dazu bei, die Re -<br />
stenoserate nach Koronarinterventionen<br />
signifikant zu senken. Allerdings war in<br />
einer Reihe von Studien kein statistisch<br />
signifikanter Unterschied hinsichtlich <strong>der</strong><br />
Mortalität zwischen DES und herkömmlichen<br />
Bare Metal Stents (BMS) nachweisbar.<br />
Erklärt wird <strong>der</strong> fehlende Einfluss auf<br />
die Mortalität durch die mögliche Entstehung<br />
später Stentthrombosen bei DES im<br />
Vergleich zu BMS. Diese Beobachtung<br />
betrifft insbeson<strong>der</strong>e den sogenannten Off-<br />
Label-Use: Stentimplantation bei Bifurkationsstenosen,<br />
langen Läsionen (über 30<br />
mm), venösen Bypässen, Hauptstammstenosen<br />
und chronischen Totalverschlüssen,<br />
sogenannten CTOs. Pathologiestudien an<br />
Patienten, die an einer Stentthrombose verstorben<br />
waren, zeigten einen verzögerten<br />
Einheilungsprozess, charakterisiert durch<br />
Fibrinablagerungen und eine geringere<br />
Endothelialisierung im Vergleich zu BMS.<br />
Zusätzlich spielen lokale Hypersensitivitätsreaktionen<br />
auf DES-Materialien und die<br />
Stent-Malapposition wichtige Rollen in <strong>der</strong><br />
740<br />
Entstehung <strong>der</strong> späten Stentthrombose,<br />
während die frühe Stentthrombose wahrscheinlich<br />
primär mechanisch durch eine<br />
Dissektion o<strong>der</strong> eine ungenügende Stententfaltung<br />
begünstigt wird. Die Weiterentwicklung<br />
<strong>der</strong> im Folgenden genannten drei<br />
Hauptkomponenten verbesserte die Langzeitresultate<br />
<strong>der</strong> DES <strong>der</strong> zweiten Generation<br />
im Vergleich zu den Vorreitern <strong>der</strong><br />
ersten Generation (Taxus ® und Cypher ® ).<br />
Insbeson<strong>der</strong>e dünnere Stentstruts und<br />
Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Dosis und Freisetzungskinetik<br />
des Medikaments scheinen<br />
sich günstig auf die Einheilung und Endothelialisierung<br />
<strong>aus</strong>zuwirken. [2]<br />
Künftige Entwicklungen zielen folgerichtig<br />
nicht nur auf die Verbesserung <strong>der</strong> neointimalen<br />
Suppression, son<strong>der</strong>n auch auf die<br />
Begünstigung des arteriellen Einheilungsprozesses:<br />
Biologisch abbaubare Polymerbeschichtung,<br />
polymerfreie Stenttechnologien,<br />
anti-CD34-Antikörper-Beschichtung<br />
zur Induktion des Endothelialisierungsprozesses<br />
sowie komplett biologisch abbaubare<br />
Stents stehen im Vor<strong>der</strong>grund <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />
Bemühungen. [2]<br />
Im Folgenden geben wir einen kurzen<br />
Überblick über die aktuellen Daten zur<br />
Wirksamkeit und Sicherheit <strong>der</strong> verfügbaren<br />
DES <strong>der</strong> ersten und zweiten Generation<br />
sowie zum aktuellen Stand <strong>der</strong> Indikationen.<br />
Wirksamkeit<br />
Nicht alle DES sind gleichermaßen effektiv<br />
und sicher, es gibt keinen Klasseneffekt.<br />
Eine CE-Zulassung ist nicht gleichbedeutend<br />
mit Wirksamkeit und Sicherheit.<br />
Hohe Evidenz, das heißt Wirksamkeit in<br />
randomisierten Studien mit primärem Endpunkt<br />
dokumentiert, besteht lediglich <strong>für</strong><br />
vier CE-zertifizierte DES (Cypher ® , Taxus ® ,<br />
Endeavor ® und XienceV/Promus ® ), mittlere<br />
Evidenz (Wirksamkeit in klinischen Studien<br />
mit primärem Surrogatendpunkt<br />
dokumentiert) <strong>für</strong> drei CE-zertifizierte DES<br />
(BioMatrix ® , Nobori ® und Yukon ® ). [3] Als<br />
wichtigster klinischer Parameter <strong>der</strong> Wirksamkeit<br />
wird die „Target Vessel Revascularisation“<br />
TVR angesehen. Sie gibt die tatsächliche<br />
klinisch indizierte Notwendigkeit<br />
einer erneuten Revaskularisation wie<strong>der</strong>.
a<br />
Abb. 1: (a) Koronarangiographie eines 52-jährigen Patienten mit instabiler Angina pectoris: langstreckige In-Stent-<br />
Rezidivstenose dreier Bare Metal Stents fünf Monate nach Implantation in die rechte Kranzarterie<br />
(b) Ergebnis nach Behandlung <strong>der</strong> Restenosen mit DES: klinisches Follow-up nach zwölf Monaten ohne erneute<br />
Beschwerden<br />
Unter diesem Aspekt zeigen sich DES<br />
gegenüber BMS bei stabiler KHK und De-<br />
Novo-Stenosen deutlich überlegen, ebenso<br />
bei <strong>der</strong> Behandlung von In-Stent-Rezidivstenosen<br />
in Nativgefäßen in vier randomisierten<br />
Studien im Vergleich zur intrakoronaren<br />
Brachytherapie o<strong>der</strong> alleinigen<br />
Ballonangioplastie. In drei randomisierten<br />
Studien (239 Patienten) wurde ein Paclitaxel<br />
freisetzen<strong>der</strong> Ballonkatheter eingesetzt<br />
mit Vorteilen im Vergleich zur einfachen<br />
Ballonangioplastie. [3] Die kürzlich publizierte<br />
randomisierte PEPCAD II-Studie<br />
ergab – allerdings bei sehr niedriger<br />
Patientenzahl – deutliche Vorteile eines<br />
Paclitaxel-eluting Ballonkatheters im Vergleich<br />
zum Taxus ® -Stent hinsichtlich des<br />
angiographischen Endpunktes und <strong>der</strong><br />
klinischen Ereignisrate. [4]<br />
DES bei akutem Myokardinfarkt<br />
Die Wirksamkeit von DES bei akutem<br />
Myokardinfarkt untersuchte die ebenfalls<br />
kürzlich publizierte HORIZONS-AMI-Studie.<br />
Hierbei wurden rund 3.000 Patienten<br />
randomisiert entwe<strong>der</strong> mit einem Paclit-<br />
b<br />
axel eluting Stent o<strong>der</strong> einem BMS behandelt.<br />
Untersucht wurden zwei primäre<br />
Endpunkte: Die Zwölf-Monate-TLR (Target<br />
Lesion Revascularisation for ischemia) und<br />
ein kombinierter Endpunkt <strong>aus</strong> Tod, Re -<br />
infarkt, Schlaganfall und Stentthrombose.<br />
Die mit einem Paclitaxel-eluting Stent<br />
behandelten Patienten hatten eine signifikant<br />
niedrigere Rate an TLR nach zwölf<br />
Monaten bei vergleichbarem Ergebnis hinsichtlich<br />
des kombinierten Endpunktes.<br />
Diese Studie bestätigt somit die Wirksamkeit<br />
von DES beim akuten Myokardinfarkt<br />
mit ST-Streckenhebung ohne Einschränkungen<br />
hinsichtlich <strong>der</strong> Sicherheit. [5] Erste<br />
Hinweise zur Prognoseverbesserung durch<br />
DES versus BMS <strong>aus</strong> Registerdaten haben<br />
sich nicht bestätigt. Randomisierte kontrollierte<br />
Studien wie die HORIZONS-AMI-<br />
Studie zeigen den Nutzen <strong>der</strong> DES:<br />
Verringerung <strong>der</strong> Notwendigkeit erneuter<br />
Kathetereingriffe bei identischer Mortalität.<br />
Spezielle Gefäßinterventionen<br />
Kardiologie<br />
Zum Einsatz von DES bei venösen Bypässen<br />
ist die Datenlage weiter uneinheitlich,<br />
bei Bifurkationsstenosen werden DES weiter<br />
kontrovers diskutiert. Die Zusammenfassung<br />
<strong>der</strong> sechs bislang erschienenen<br />
Studien zum Bifurkationsstenting ergibt<br />
weiterhin die Empfehlung zum „provisional<br />
stenting“. Das bedeutet, <strong>der</strong> Hauptast<br />
wird gestentet, <strong>der</strong> Seitenast nur bei<br />
Bedarf, z. B. bei drohendem Verschluss. [3]<br />
Hinsichtlich des Einsatzes verschiedener<br />
DES ergaben sich keine Unterschiede.<br />
DES bei koronarer<br />
Drei-Gefäß-Erkrankung<br />
Den Einsatz von DES bei koronarer Drei-<br />
Gefäß-Erkrankung, ungeschützter Hauptstammstenose<br />
o<strong>der</strong> beidem, untersuchte<br />
die Syntax-Studie im Vergleich zur Bypass-<br />
OP. Das Ergebnis war <strong>aus</strong> chirurgischer<br />
Sicht klar: Es zeigte eine Überlegenheit <strong>der</strong><br />
Bypass-OP gegenüber <strong>der</strong> DES-Strategie.<br />
Bei näherem Hinsehen erkennt man aber,<br />
dass <strong>der</strong> Vorteil <strong>der</strong> Bypass-OP vorwie-<br />
741
Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />
gend durch Verhin<strong>der</strong>ung erneuter Eingriffe,<br />
aber nicht durch Verbesserung <strong>der</strong> Mortalität<br />
bedingt war. In <strong>der</strong> Bypass-Gruppe<br />
kam es zudem zu vermehrten Schlaganfällen.<br />
Die koronare Bypass-OP bleibt somit das<br />
Standardverfahren vor allem bei interventionell<br />
schlecht angehbaren Gefäßen. Eine<br />
Subgruppenanalyse zeigt aber ein identisches<br />
Auskommen bei<strong>der</strong> Gruppen bei<br />
einem niedrigen Syntax-Score. In diesen<br />
Score gehen verschiedene Parameter wie<br />
Verkalkungsgrad, Ausprägung <strong>der</strong> Gefäßwindungen,<br />
Einbeziehung von Bifurkationen<br />
etc. ein. Ein niedriger Syntax-Score<br />
steht <strong>für</strong> interventionell gut angehbare Stenosen/Verschlüsse.<br />
[6] Das Vorgehen in<br />
unserer <strong>Klinik</strong> ist daher wie folgt: Patienten<br />
mit koronarer Drei-Gefäß-Erkrankung<br />
wird die Bypassoperation angeboten. Bei<br />
niedrigem Syntax-Score und Vorbehalten<br />
des Patienten gegenüber einer Operation<br />
würden wir interventionell vorgehen.<br />
Diese Entscheidung wird nicht im Kathe -<br />
terlabor, son<strong>der</strong>n in einer geson<strong>der</strong>ten Aufklärung<br />
mit dem Patienten besprochen.<br />
Diabetes mellitus<br />
Studien zur Wirksamkeit von DES beim<br />
Diabetiker mit klinischem Endpunkt liegen<br />
vor, sind aber limitiert. Die publizierten<br />
Studien mit einem primären Surrogatend-<br />
742<br />
Cypher ® Taxus ® Endeavor ® Xience ®<br />
Abb. 2: Elektronenmikroskopische Aufnahmen am Tiermodell 14 Tage nach Implantation von DES <strong>der</strong> 1. Generation (Cypher ® /Taxus ® )<br />
und 2. Generation (Endeavor ® /Xience ® ). Die Endothelialisierung war an den Stentstruts <strong>der</strong> Stents <strong>der</strong> 2. Generation (Pfeile) deutlich<br />
stärker <strong>aus</strong>geprägt. Dies ist sehr wahrscheinlich vorteilhaft in <strong>der</strong> Verhin<strong>der</strong>ung später Stentthrombosen (Nakazawa et al., expert<br />
reviews 2009).<br />
punkt zeigen aber die Überlegenheit<br />
gegenüber BMS bei dieser Zielgruppe,<br />
Unterschiede zwischen Taxus ® und Cypher ®<br />
ergaben sich in einer großen Metaanalyse<br />
mit mehr als 10.000 Patienten nicht. [7] Auch<br />
die randomisierte Endeavor IV-Studie<br />
ergab an 477 Patienten mit Diabetes mellitus<br />
vergleichbare Ergebnisse <strong>für</strong> Sicherheit<br />
und Wirksamkeit im Vergleich zwischen<br />
Taxus ® und Endeavor ® (angiographischer<br />
und klinischer Endpunkt). [8]<br />
Sicherheit<br />
Eine große Metaanalyse von Mortalität,<br />
Myokardinfarkt und Zielgefäßrevaskularisierung<br />
<strong>für</strong> die kombinierten Daten <strong>der</strong><br />
Cypher- und Taxus-Studien, immer im<br />
Vergleich zu einem unbeschichteten Stent,<br />
zeigt einen positiven Trend <strong>für</strong> die DES in<br />
Bezug auf Mortalität und Myokardinfarkt<br />
sowie den erwarteten signifikanten Vorteil<br />
in Bezug auf die Zielgefäßrevaskularisierung.<br />
Die eingangs erwähnte Stentthrombose als<br />
wesentliche Komplikation einer Behandlung<br />
mit einem DES wird heute allgemein<br />
nach den sogenannten ARC-Kriterien standardisiert,<br />
das heißt nach zeitlichem Auftreten<br />
und Wahrscheinlichkeit <strong>der</strong> Diagnose.<br />
Legt man danach eine als definitiv o<strong>der</strong><br />
wahrscheinlich klassifizierte Stentthrombose<br />
zugrunde, zeigte bislang keine randomi-<br />
sierte Studie eine erhöhte Thromboserate<br />
im Vergleich zum BMS. [3] In diesem Zu -<br />
sammenhang ist aber auch auf die weiterhin<br />
erfor<strong>der</strong>liche verlängerte Einnahme<br />
von Clopidogrelhydrogensulfat zusammen<br />
mit ASS hinzuweisen. Hier gilt unverän<strong>der</strong>t:<br />
zwölf Monate o<strong>der</strong> länger <strong>für</strong> Patienten<br />
mit geringem Blutungsrisiko.<br />
Die Dauer <strong>der</strong> dualen Plättchenhemmung<br />
muss aber individuell in Abwägung des<br />
Stentthrombose- und des Blutungsrisikos<br />
festgelegt werden (zum Beispiel nach<br />
Wie<strong>der</strong>eröffnung einer CTO, Bifurkationsstenting,<br />
Diabetes mellitus etc.).<br />
Indikationen<br />
1. Einsatz von DES bei erhöhtem Risiko<br />
einer Restenose:<br />
a. stabile KHK mit einer zu einer Symptomatik/Myokardischämie<br />
führenden<br />
De-Novo-Stenose mit einem Gefäßdurchmesser<br />
≤ 3 mm und/o<strong>der</strong> einer<br />
Stenoselänge ≥ 15 mm<br />
b. nach erfolgreicher Wie<strong>der</strong>eröffnung<br />
eines chronisch verschlossenen Koronargefäßes<br />
c. In-Stent-Rezidivstenose eines unbeschichteten<br />
Koronarstents<br />
– hier ergeben sich zukünftig möglicherweise<br />
alternative Indikationen <strong>für</strong><br />
den medikamentenbeschichteten Ballon
Abb. 3: TLR (Target Lesion Revascularisation) (A) und kombinierter Endpunkt<br />
(Safety MACE [Major Adverse Cardiac Event]) nach zwölf Monaten in <strong>der</strong><br />
HORIZONS-AMI-Studie (NEJM 2009) [5]<br />
2. Keine DES sollten eingesetzt werden,<br />
wenn die Compliance zur verlängerten<br />
Clopidogreleinnahme nicht gegeben ist,<br />
Blutungsrisiken bestehen o<strong>der</strong> nicht aufschiebbare<br />
Operationen geplant sind. Deshalb<br />
sind vor Stentimplantation folgende<br />
Fragen/Situationen zu klären:<br />
a. Anamnese hinsichtlich zu erwarten<strong>der</strong><br />
Compliance<br />
b. multimorbide Patienten mit hoher<br />
Tablettenzahl<br />
c. geplante Operationen<br />
d. erhöhtes, nicht zu beseitigendes<br />
Blutungsrisiko<br />
e. ASS- o<strong>der</strong> Clopidogrelunverträglichkeit<br />
f. bei strikter Indikation zur Dauerantikoagulation<br />
(in Abhängigkeit vom Einzelfall)<br />
Fazit und Ausblick<br />
DES sind eine medizinische Innovation<br />
und haben zur Verbesserung <strong>der</strong> Langzeit -<br />
resultate nach Koronarintervention beigetragen.<br />
Ein statistisch signifikanter Einfluss<br />
auf die Mortalität war bislang nicht schlüssig<br />
nachzuweisen. Da die geringe Wahrscheinlichkeit<br />
einer frühen o<strong>der</strong> späten<br />
Stentthrombose aufgrund <strong>der</strong> verzögerten<br />
Einheilung und Endothelialisierung zur<br />
verlängerten Einnahme von Thienopyridin<strong>der</strong>ivaten<br />
verpflichtet (dies gilt auch <strong>für</strong><br />
die DES <strong>der</strong> zweiten Generation), ist die<br />
Indikation weiterhin individuell zu stellen.<br />
Neue technische Innovationen wie verän<strong>der</strong>tes<br />
Stentdesign, Verbesserungen <strong>der</strong><br />
Polymerbeschichtung und Verän<strong>der</strong>ungen<br />
in <strong>der</strong> Freisetzungskinetik <strong>der</strong> Medikamente<br />
könnten dieses Problem künftig lösen<br />
und die interventionelle Behandlung <strong>der</strong><br />
KHK weiter verbessern. Für das nach wie<br />
vor unzureichend gelöste Problem <strong>der</strong> In-<br />
Stent-Rezidivstenose zeichnet sich durch<br />
die ermutigenden Ergebnisse <strong>der</strong> DEB eine<br />
ernst zu nehmende Alternative ab. Dies ist<br />
insbeson<strong>der</strong>e von Interesse, da die Einnahmedauer<br />
<strong>der</strong> dualen Plättchenhemmung<br />
deutlich verkürzt werden kann.<br />
Literatur<br />
[1] Klein B, Zahn R, Heer T, Hochadel M, Tebbe U, Darius<br />
H et al. Trends im Einsatz von Drug-eluting Stents im klinischen<br />
Einsatz in Deutschland, Herz 2008; 33: 450-4.<br />
[2] Nakazawa G, Finn AV, Kolodgie FD, Virmani R.<br />
A review of current devices and a look at new technology:<br />
drug eluting stents. expert reviews 2009; Vol. 6, No.1, 33-42.<br />
[3] Silber S, Borggrefe M, Böhm M, Hoffmeister HM, Dietz<br />
R, Ertl G, Heusch G. Medikamente freisetzende Koronarstents<br />
(DES) und Medikamente freisetzende Ballonkatheter<br />
(DEB): Aktualisierung des Positionspapiers <strong>der</strong> DGK,<br />
Clin Res Cardiol. 2008; 97(8): 548-63.<br />
[4] Unverdorben M, Vallbracht C, Cremers B, Heuer H,<br />
Hengstenberg C, Maikowski C et al. Paclitaxel-coated balloon<br />
catheter versus paclitaxel-coated stent for the treatment<br />
of coronary in-stent restenosis. Circulation 2009;<br />
119(23): 2986-94.<br />
Kontakt<br />
Prof. Dr. Gerd Peter Meyer<br />
Kardiologie<br />
Abb. 4: Syntax-Studie zum Vergleich DES versus Bypass-OP bei koronarer Drei-Gefäß-Erkrankung<br />
mit/ohne Hauptstammbeteiligung. Die Ergebnisse nach zwölf Monaten zeigen keinen<br />
Unterschied <strong>für</strong> Tod o<strong>der</strong> kombinierten klinischen Endpunkt zwischen den Gruppen bei Vorteilen<br />
<strong>für</strong> die Bypass-OP hinsichtlich notwendiger Re-Eingriffe (NEJM 2009). [6]<br />
III. Med. <strong>Klinik</strong> –<br />
Kardiologie, Angiologie und Pneumologie,<br />
Internistische Intensivmedizin<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />
Paul-Ehrlich-Straße 1<br />
22763 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-81 12 20/21<br />
Fax (0 40) 18 18-81 49 05<br />
E-Mail: gp.meyer@asklepios.com<br />
[5] Stone GW, Lansky AJ, Pocock SJ, Gersh BJ, Dangas G,<br />
Wong SC et al. Paclitaxel-eluting stents versus bare-metal<br />
stents in acute myocardial infarction, N Engl J Med. 2009;<br />
360(19): 1946-59.<br />
[6] Serruys PW, Morice MC, Kappetein AP, Colombo A,<br />
Holmes DR, Mack MJ et al. Percutaneous Coronary Intervention<br />
versus Coronary-Artery Bypass Grafting for Severe<br />
Coronary Artery Disease, N Engl J Med. 2009; 360(10):<br />
961-72.<br />
[7] Mahmud E, Bromberg-Marin G, Palakodeti V, Ang L,<br />
Creanga D, Demaria AN. Clinical efficacy of drug eluting<br />
stents in diabetic patients: a meta analysis. J Am Coll Cardiol.<br />
2008; 51(25): 2385-95.<br />
[8] Kirtane AJ, Gupta A, Iyengar S, Moses JW, Leon MB,<br />
Applegate R et al. Safety and efficacy of drug-eluting and<br />
bare metal stents: comprehensive meta-analysis of randomized<br />
trials and observational studies. Circulation 2009;<br />
119(25): 3198-206.<br />
743
Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />
Epitheliales Ovarialkarzinom:<br />
Optimale Therapie verbessert das<br />
Überleben signifikant<br />
Priv.-Doz. Dr. Jörg Schwarz<br />
Pro Jahr erkranken in Deutschland etwa 8.000 Frauen an einem epithelialen Ovarialkarzinom, rund 6.000<br />
versterben an den Folgen <strong>der</strong> Erkrankung. Wesentliche Ursachen <strong>für</strong> die hohe Mortalität sind <strong>der</strong> lange „stumme“<br />
klinische Verlauf und die fehlenden Frühsymptome, sodass 75 bis 80 Prozent <strong>der</strong> Tumoren erst in einem fortgeschrittenen<br />
Stadium mit Tumorbefall außerhalb des kleinen Beckens o<strong>der</strong> Organmetastasen (Stadium FIGO<br />
III/IV) diagnostiziert werden. Zur Erkennung des Ovarialkarzinoms im Frühstadium steht kein effektives<br />
Screening zur Verfügung. Dennoch verbesserte sich das Gesamtüberleben von Patientinnen mit Ovarialkarzinom<br />
in den vergangenen 30 Jahren kontinuierlich, sodass heute weltweit eine Fünf-Jahres-Überlebensrate von<br />
48,4 Prozent über alle Tumorstadien erreicht wird. Dies ist einerseits <strong>der</strong> Einführung von Platin und Taxanen<br />
in die adjuvante Chemotherapie und an<strong>der</strong>erseits den großen Fortschritten in <strong>der</strong> radikalen Operation, dem<br />
sogenannten Tumordebulking, zu verdanken.<br />
Es gilt heute als unbestritten, dass <strong>der</strong><br />
postoperativ verbleibende Resttumor den<br />
wichtigsten Prognosefaktor bei <strong>der</strong> Be -<br />
handlung des fortgeschrittenen Ovarialkarzinoms<br />
darstellt. Patientinnen, bei denen<br />
makroskopisch kein Resttumor verbleibt,<br />
haben eine statistisch signifikant bessere<br />
Prognose als Patientinnen mit Resttumoren,<br />
insbeson<strong>der</strong>e wenn <strong>der</strong> größte Durchmesser<br />
des verbliebenen Tumorgewebes<br />
größer als ein Zentimeter ist. Lediglich in<br />
<strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> Patientinnen im Stadium<br />
III/IV, die einen postoperativen Tumorrest<br />
unter einem Zentimeter haben o<strong>der</strong> tumorfrei<br />
operiert wurden, überleben 30 Prozent<br />
länger als zehn Jahre und können somit als<br />
geheilt betrachtet werden. [1]<br />
Inzidenz, Epidemiologie, Ätiologie und<br />
Prävention<br />
Die Inzidenz des Ovarialkarzinoms beträgt<br />
in den industrialisierten Län<strong>der</strong>n 14/100.000<br />
und das Lebenszeitrisiko, an einem Ovarialkarzinom<br />
zu erkranken, ein bis zwei Prozent.<br />
Die Ätiologie des Ovarialkarzinoms<br />
ist bisher weitgehend ungeklärt. 95 Prozent<br />
<strong>der</strong> Ovarialkarzinome treten sporadisch<br />
auf. Mögliche Risikofaktoren sind das<br />
744<br />
Lebensalter, Umwelt- und Ernährungsfaktoren<br />
(fleisch- und fetthaltig), Infertilität<br />
und die medikamentöse Ovulations<strong>aus</strong>lösung.<br />
Einen protektiven Effekt haben hingegen<br />
die Zahl <strong>der</strong> Schwangerschaften und<br />
die Einnahme von Ovulationshemmern.<br />
So kann die langzeitige Einnahme oraler<br />
Kontrazeptiva das Risiko auf etwa 60 Prozent<br />
senken. Bei etwa fünf bis zehn Prozent<br />
<strong>der</strong> Ovarialkarzinome liegt eine genetische<br />
Ursache vor. Mutationen <strong>der</strong> Tumorsuppressorgene<br />
BRCA 1 (Chromosom 17) und<br />
BRCA 2 (Chromosom 13) sind mit einem<br />
deutlich erhöhten Risiko <strong>für</strong> ein Mammao<strong>der</strong><br />
Ovarialkarzinom verbunden (bis zu<br />
45 Prozent).<br />
Histologie<br />
Ovarialtumore werden anhand ihres histologischen<br />
Ursprungs in epitheliale, Stromaund<br />
Keimzelltumoren unterteilt. Weiter<br />
unterscheidet man gut- und bösartige<br />
sowie Tumoren mit niedrigem malignen<br />
Potenzial (LMP) o<strong>der</strong> Bor<strong>der</strong>line-Tumoren.<br />
Die epithelialen Ovarialtumoren machen<br />
fast zwei Drittel aller primären Ovarialneoplasien<br />
und circa 90 Prozent <strong>der</strong> malignen<br />
Ovarialtumoren <strong>aus</strong>. Nach dem vorwie-<br />
genden Zelltyp werden die epithelialen<br />
Ovarialtumoren in seröse, muzinöse, endo -<br />
metroide, hellzellige und kleinzellige sowie<br />
nach ihrem Wachstumsmuster in papilläre,<br />
zystische und solide Tumoren differenziert.<br />
Prognosefaktoren<br />
Der wichtigste Prognosefaktor ist die<br />
Tumor<strong>aus</strong>breitung zum Zeitpunkt <strong>der</strong><br />
Diagnose. In Abhängigkeit vom Tumor -<br />
stadium beträgt die Fünf-Jahres-Überlebensrate<br />
des Ovarialkarzinoms im Stadium<br />
I 80 bis 90 Prozent, im Stadium II 40 bis 60<br />
Prozent, im Stadium III 10 bis 25 Prozent<br />
und im Stadium IV unter fünf Prozent. In<br />
frühen Tumorstadien ist <strong>der</strong> histologische<br />
Differenzierungsgrad (Grading) von beson<strong>der</strong>er<br />
prognostischer Bedeutung, bei fortgeschrittenen<br />
Erkrankungen mit einer<br />
Tumor<strong>aus</strong>dehnung über das kleine Becken<br />
hin<strong>aus</strong> (Stadium III/IV) ist <strong>der</strong> postoperative<br />
Tumorrest <strong>der</strong> wichtigste Prognosefaktor.
Abb. 1a: Tumorbefallenes rechtes Zwerchfell – die Tumoren wachsen auf dem<br />
Peritoneum und respektieren die Organgrenze, sodass sie mit dem Peritoneum<br />
komplett entfernt werden können<br />
Tumor<strong>aus</strong>breitung<br />
■ Die häufigste und früheste Form <strong>der</strong><br />
Ausbreitung von Ovarialkarzinomzellen<br />
erfolgt über die Ablösung von Tumorzellen<br />
<strong>aus</strong> <strong>der</strong> Ovarialoberfläche, die mit <strong>der</strong> Zirkulation<br />
<strong>der</strong> Peritonealflüssigkeit in <strong>der</strong><br />
Bauchhöhle verteilt werden und sich auf<br />
dem Peritoneum implantieren. Das Ovarialkarzinom<br />
„respektiert die Organgrenzen“,<br />
sodass es zu keiner Infiltration des Peritoneums<br />
kommt. Dies bildet die Grundlage<br />
<strong>für</strong> die Möglichkeit des radikalen operativen<br />
Vorgehens.<br />
■ Die lymphatische Ausbreitung in die<br />
pelvinen und paraaortalen Lymphknoten<br />
ist <strong>der</strong> zweite typische Metastasierungsweg.<br />
Auch bei auf das kleine Becken<br />
begrenzten Tumoren findet sich bereits in<br />
20 Prozent <strong>der</strong> Fälle eine lymphatische<br />
Metastasierung.<br />
■ Eine hämatogene Dissemination mit<br />
Metastasenbildung in parenchymatösen<br />
Organen (Leber, Lunge) findet sich nur bei<br />
zwei bis drei Prozent <strong>der</strong> Patientinnen und<br />
ist ähnlich wie die organüberschreitende<br />
Infiltration äußerst selten.<br />
Primäre Therapie<br />
■ In frühen Stadien (I und II): Entfernung<br />
von beiden Adnexen und Uterus sowie<br />
von Omentum majus, paraaortale und pelvine<br />
Lymphonodektomie und Peritonealbiopsien<br />
sowie Zwerchfellabstriche zum<br />
Staging.<br />
■ In fortgeschrittenen Stadien (III und IV):<br />
Radikale Operation mit Entfernung sämtlicher<br />
makroskopisch fassbarer Tumor -<br />
manifestationen im Abdomen.<br />
■ In Abhängigkeit vom Tumorstadium<br />
und Grading anschließend Chemotherapie.<br />
Adjuvante Chemotherapie<br />
Gynäkologie<br />
Abb. 1b: Selbe Patientin – rechtes Zwerchfell nach kompletter Deperitonealisierung –<br />
unter dem Peritoneum befindet sich kein Tumor mehr<br />
Die Indikation zur adjuvanten Chemotherapie<br />
richtet sich nach Tumorstadium und<br />
Differenzierungsgrad. Lediglich Patientinnen<br />
mit einem Tumorstadium pT1a und<br />
G1 benötigen keine weitere Therapie. Alle<br />
an<strong>der</strong>en erhalten eine adjuvante Chemotherapie<br />
mit Carboplatin und Taxol über<br />
sechs Zyklen. Bei Patientinnen im Stadium<br />
pT1a > G2 o<strong>der</strong> > pT1a bis IIA kann die<br />
Chemotherapie auf 4 bis 6 Zyklen mit Carboplatin<br />
alleine reduziert werden.<br />
In einer aktuellen Studie zeigte eine japanische<br />
Arbeitsgruppe [5] bei 631 Patientinnen<br />
mit Ovarialkarzinom im Stadium II – IV,<br />
dass die dosisdichte Gabe von Paclitaxel<br />
80mg/m2 wöchentlich in Kombination mit<br />
Carboplatin AUC 6 alle drei Wochen eine<br />
statistisch signifikante Verbesserung <strong>der</strong><br />
medianen Überlebenszeit von 17,2 Monaten<br />
im Standardarm (Paclitaxel 180 mg/m2 und Carboplatin AUC 6 alle drei Wochen)<br />
verglichen mit 28 Monaten im Studienarm<br />
erbrachte. Nach einer Nachbeobachtungszeit<br />
von 29 Monaten entwickelten 160 von<br />
312 (51,3 %) Patientinnen im Studienarm<br />
verglichen mit 200 von 319 (62,7 %) Patien-<br />
745
Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />
tinnen im Standardarm ein Rezidiv o<strong>der</strong><br />
Tumorprogress. Die Vorteile <strong>der</strong> dosisdichten<br />
Therapie beschränkten sich nur auf die<br />
Gruppe mit serösen Tumoren. Patientinnen<br />
mit muzinösen o<strong>der</strong> Klarzelltumoren profitierten<br />
nicht von dem neuen Regime. In -<br />
wieweit die dosisdichte Therapie aufgrund<br />
dieser Daten zur neuen Standardtherapie<br />
erklärt wird, entscheidet <strong>für</strong> Deutschland<br />
die AGO-Ovar. Diese empfielt zurzeit le -<br />
diglich die Teilnahme an weiteren Studien.<br />
Aus meiner Sicht sollte dieses Therapieregime<br />
mit je<strong>der</strong> Patientin mit serösem Ovarialkarzinom<br />
diskutiert werden.<br />
Operation bei frühem Ovarialkarzinom<br />
In 20 bis 25 Prozent <strong>der</strong> Fälle ist <strong>der</strong> Tumor<br />
auf die Ovarien beschränkt. Bei diesen<br />
Patientinnen finden sich jedoch in etwa 30<br />
Prozent <strong>der</strong> Fälle bereits pelvine und insbeson<strong>der</strong>e<br />
paraaortale Lymphknotenmetastasen.<br />
Lymphknotenmetastasen erhöhen das<br />
Stadium von I auf III, sodass immer eine<br />
adjuvante Chemotherapie indiziert ist.<br />
Daher muss auch bei allen Patientinnen<br />
mit einem auf die Ovarien beschränkten<br />
Tumor ein Staging mit pelviner und paraaortaler<br />
Lymphonodektomie, Exploration<br />
des gesamten Abdomen, zytologischen<br />
Abstrichen von den Zwerchfellen und Peritonealbiopsien<br />
im Bereich bei<strong>der</strong> Kolonrinnen<br />
sowie bei muzinösen Tumoren einer<br />
Appendektomie erfolgen. Da gerade<br />
746<br />
Tumoren im Bereich des Mesenteriums<br />
und hinter <strong>der</strong> Leber <strong>der</strong> Laparoskopie<br />
schlecht zugänglich sind, sollte die Operation<br />
immer offen über einen medianen<br />
Längsschnitt durchgeführt werden.<br />
Operation bei fortgeschrittenem<br />
Ovarialkarzinom<br />
Die radikale Operation bei fortgeschrittenem<br />
Ovarialkarzinom hat zum Ziel, sämtliche<br />
sichtbaren Tumoren im Abdomen und<br />
ggf. auch in Leber, Bauchdecke und inguinalen<br />
Lymphknoten (Stadium IV) zu entfernen<br />
(Tumordebulking). Die vollständige<br />
Entfernung allen makroskopischen Tumorgewebes<br />
schafft die Vor<strong>aus</strong>setzung <strong>für</strong><br />
einen optimalen Wirkungsgrad <strong>der</strong> dann<br />
folgenden Polychemotherapie.<br />
Folgende Hypothesen liegen dieser Beobachtung<br />
zugrunde:<br />
1. Mit zunehmen<strong>der</strong> Größe verbleiben<strong>der</strong><br />
Resttumoren sinkt <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> sich teilenden<br />
Zellen im Verhältnis zur Gesamtzellzahl,<br />
die Tumorverdopplungszeiten<br />
verlängern sich. Es kommt zur Abflachung<br />
<strong>der</strong> Wachstumskurve und damit zu einer<br />
vermin<strong>der</strong>ten Sensitivität gegenüber einer<br />
Chemotherapie.<br />
2. Größere Tumoren zeigen eine geringere<br />
Vaskularisation und eine Hypoxie insbe-<br />
Abb. 2: Überlebenskurven von 99 Patientinnen mit<br />
fortgeschrittenem Ovarialkarzinom (Stadium III/IV),<br />
die in den Jahren 1996 bis 2001 in <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong> <strong>für</strong><br />
Gynäkologie des UKE operiert wurden. Die Grafik<br />
zeigt das Überleben in Abhängigkeit vom postoperativen<br />
Tumorrest. Der Unterschied bezüglich <strong>der</strong><br />
Überlebenszeit zwischen tumorfrei operierten Patientinnen<br />
und Patientinnen mit einem Tumorrest bis<br />
9 mm ist statistisch hochsignifikant (p < 0,001) im<br />
Vergleich mit Patientinnen mit einem Resttumor<br />
größer 9 mm. [2]<br />
son<strong>der</strong>e in zentralen Tumorarealen und<br />
sind somit <strong>für</strong> die Chemotherapie schlechter<br />
zugänglich.<br />
3. Vor allem bei großen Tumoren treten<br />
Resistenz bereits nach zwei bis drei Chemotherapiezyklen<br />
und erneutes Tumorwachstum<br />
trotz Chemotherapie ein.<br />
Vor<strong>aus</strong>setzung <strong>für</strong> eine radikale Operation<br />
ist neben dem abdominalen Längsschnitt<br />
von <strong>der</strong> Symphyse bis zum Xyphoid <strong>der</strong><br />
retroperitoneale Zugangsweg insbeson<strong>der</strong>e<br />
im kleinen Becken. Da die Tumoren nicht<br />
durch das Peritoneum wachsen, lassen sie<br />
sich mit dem Peritoneum komplett entfernen<br />
(Abb. 1a und b). Im Bereich des kleinen<br />
Beckens ist meist eine En-bloc-Resektion<br />
von Uterus, Adnexe, Rectosigmoid und<br />
Peritoneum mit anschließen<strong>der</strong> Descendorectostomie<br />
erfor<strong>der</strong>lich. Weitere obligatorische<br />
Schritte sind die infragastrische<br />
Omentektomie, Appendektomie, Deperitonealisierung<br />
<strong>der</strong> Kolonrinnen und zumeist<br />
nur des rechten Zwerchfells sowie des<br />
Morrison Pouch, die paraaortale und pelvine<br />
Lymphonodektomie und die Resektion<br />
<strong>der</strong> ovariellen Gefäßbündel.<br />
Zum Teil notwendig sind Splenektomie<br />
und Resektion weiterer Darmanteile, atypische<br />
Leberteilresektionen, Cholecystektomie,<br />
Resektion von Omentum minus und<br />
Lymphknoten im Ligamentum hepatoduo-
denale. Am Anfang <strong>der</strong> Operation muss<br />
entschieden werden, ob eine Tumorresektion<br />
mit Resttumoren von weniger als<br />
einem Zentimeter Größe möglich ist.<br />
Kritisch sind dabei ein Tumorbefall <strong>der</strong><br />
gesamten Dünndarm- o<strong>der</strong> Dickdarmserosa<br />
o<strong>der</strong> Tumor im Bereich des Truncus coeliacus<br />
o<strong>der</strong> Pankreas. Eine Operation, bei<br />
<strong>der</strong> Tumorreste über einem Zentimeter<br />
zurückbleiben, verbessert die Prognose <strong>der</strong><br />
Patientin nicht und entspricht den Ergebnissen<br />
einer Explorativlaparotomie.<br />
Eigene Operationsergebnisse<br />
In einer Analyse [2,3] von 99 Patientinnen,<br />
die an einem fortgeschrittenem Ovarialkarzinom<br />
im Stadium FIGO III/IV in <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong><br />
<strong>für</strong> Gynäkologie des UKE in den Jahren<br />
1996 bis 2001 operiert wurden, fanden<br />
sich folgende Ergebnisse: Wichtigster Prognosefaktor<br />
war <strong>der</strong> postoperativ verbliebene<br />
Tumorrest, wobei ein maximaler<br />
Durchmesser von ≤ 9 mm als optimaler<br />
Schwellenwert ermittelt wurde. Bei 57 von<br />
99 Patientinnen (56 %) wurde durch die<br />
Operation makroskopische Tumorfreiheit,<br />
bei 77 von 99 Patientinnen (77 %) ein postoperativer<br />
Tumorrest mit einem Durchmesser<br />
≤ 9mm und bei 85 von 99 Patientinnen<br />
(85 %) ein postoperativer Tumorrest mit<br />
einem Durchmesser ≤ 1 cm erreicht. Nach<br />
fünf Jahren lebten noch 52 Prozent <strong>der</strong><br />
Patientinnen mit einem postoperativen<br />
Tumorrest von ≤ 9 mm, während alle an<strong>der</strong>en<br />
Patientinnen verstorben waren (Abb. 2).<br />
Die operative Komplikationsrate betrug<br />
31 Prozent, die perioperative Mortalität<br />
drei Prozent.<br />
Eine Umfrage <strong>der</strong> Organkommission Ovar<br />
<strong>der</strong> Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische<br />
Onkologie (AGO) an 245 deutschen <strong>Klinik</strong>en<br />
bezüglich <strong>der</strong> Versorgungsrealität zeigte<br />
erhebliche Qualitätsunterschiede insbeson<strong>der</strong>e<br />
in Abhängigkeit davon, wie viele<br />
Patientinnen pro Jahr in einer <strong>Klinik</strong><br />
behandelt wurden. [5] Optimale Operation<br />
und Chemotherapie hatten einen statistisch<br />
hochsignifikanten Einfluss auf die Prognose<br />
<strong>der</strong> Patientinnen (Abb. 3).<br />
Fazit<br />
Die Therapie hat einen signifikanten Einfluss<br />
auf das Überleben von Patientinnen<br />
mit Ovarialkarzinom. Gerade die operative<br />
Therapie bei Patientinnen mit fortgeschrittenem<br />
Ovarialkarzinom erfor<strong>der</strong>t spezielle<br />
operative Fähigkeiten und Erfahrung. Bei<br />
Patientinnen in den Stadien III und IV lässt<br />
sich in Zentren mit entsprechen<strong>der</strong> Erfahrung<br />
in über 80 Prozent <strong>der</strong> Fälle ein optimales<br />
Operationsergebnis erreichen.<br />
Gynäkologie<br />
Abb. 3: Ergebnisse einer Umfrage <strong>der</strong> AGO-Ovar bei 245 <strong>Klinik</strong>en in Deutschland<br />
bezüglich <strong>der</strong> Versorgungsqualität von Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarial -<br />
karzinom (Stadium IIB – IV). Lediglich bei 46,5 % <strong>der</strong> Patientinnen wurde eine<br />
optimale Operation und Chemotherapie durchgeführt, bei 17,1 % war we<strong>der</strong> die<br />
Operation noch die Chemotherapie optimal. Der statistische Unterschied zwischen<br />
den drei Gruppen ist hochsignifikant. Die Grafik demonstriert eindrucksvoll den<br />
Einfluss <strong>der</strong> Qualität <strong>der</strong> Therapie auf das Überleben <strong>der</strong> Patientinnen. [4]<br />
Literatur<br />
[1] Bristow RS, Tomacruz DK, Armstrong DK, Trimble EL,<br />
Montz FJ. Survival effect of maximal cytoreductive surgery<br />
for advanced ovarian carcinoma during the platinum-era:<br />
a metaanalysis. J Clin Oncol 2002; 20: 1248-59.<br />
[2] Schwarz J, Utler C, Yekebas E, Jänicke F. Operative Therapie<br />
des fortgeschrittenen Ovarialkarzinom. Hamburger<br />
<strong>Ärzte</strong>blatt 2006; 1: 6-10.<br />
[3] Utler C, Osterholz T, Schwarz J, Thomssen C, Jänicke F.<br />
Die Bedeutung <strong>der</strong> radikalen zytoreduktiven Chirurgie <strong>für</strong><br />
die Überlebenszeit von Patientinnen mit fortgeschrittenem<br />
Ovarialkarzinom. GebFra 2005; 65: 1168-77.<br />
[4] du Bois A, Rochon J, Lamparter C, Pfisterer J. Die Qualität<br />
<strong>der</strong> Therapie des Ovarialkarzinoms in Deutschland.<br />
Frauenarzt 2009; 50: 742-51.<br />
[5] Katsumata N, Yasuda M, Takahashi F et al. Dose-dense<br />
paclitaxel once a week in combination with carboplatin<br />
every 3 weeks for advanced ovarian cancer: a phase 3,<br />
open-label, randomised controlled trial. Lancet 2009; 374:<br />
1331-8.<br />
Kontakt<br />
Priv.-Doz. Dr. Jörg Schwarz<br />
Abteilung <strong>für</strong> Gynäkologie<br />
und Brustzentrum<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord – Heidberg<br />
Tangstedter Landstraße 400<br />
22417 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-87 31 26<br />
Fax (0 40) 18 18-87 31 27<br />
E-Mail: joe.schwarz@asklepios.com<br />
747
Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />
CO 2-Angiographie:<br />
Ein Gas als alternatives intravasales<br />
Kontrastmittel<br />
Dr. Ernst-Joachim Malzfeldt<br />
Mo<strong>der</strong>ne jodhaltige Kontrastmittel (KM) sind in ihrer Anwendung sicher und in <strong>der</strong> Regel sehr gut verträglich.<br />
Sie stellen den Goldstandard in <strong>der</strong> diagnostischen und interventionellen Radiologie dar und sind <strong>aus</strong> <strong>der</strong><br />
täglichen Praxis nicht mehr wegzudenken. Trotz kontinuierlicher Weiterentwicklungen und Verbesserungen in den<br />
vergangenen Jahren bleiben <strong>für</strong> ihre Anwendung aber weiterhin Risiken, Beschränkungen und Kontraindikationen<br />
bestehen. In erster Linie sind diese durch Einschränkungen <strong>der</strong> Nierenfunktion bedingt, aber auch die Überfunktion<br />
<strong>der</strong> Schilddrüse und schwere Allergien können den Einsatz dieser KM risikoreich gestalten.<br />
Mit <strong>der</strong> Magnetresonanztomographie<br />
(MRT) und dem Einsatz nicht jodhaltiger<br />
KM lassen sich zwar <strong>aus</strong>sagekräftige<br />
Angiographien erzeugen, doch bei Nierenfunktionsstörungen<br />
bietet auch dieses Verfahren<br />
keinen Ausweg. Gadoliniumhaltige<br />
KM werden <strong>für</strong> die nephrogene systemische<br />
Fibrose verantwortlich gemacht, eine<br />
seltene, aber sehr ernste Komplikation.<br />
Zudem lässt sich die MRT nur unter experimentellen<br />
Bedingungen, nicht jedoch in<br />
<strong>der</strong> Praxis <strong>für</strong> Gefäßinterventionen einsetzen.<br />
Alternativen zum jodhaltigen KM sind<br />
also gefor<strong>der</strong>t.<br />
Bildgebung mittels Röntgenverfahren<br />
beruht auf den unterschiedlichen Schwächungseigenschaften<br />
<strong>der</strong> Stoffe: Das darzustellende<br />
Objekt kann nur sicht- und ab -<br />
grenzbar sein, wenn es sich in Bezug auf<br />
die Absorption <strong>der</strong> Strahlen <strong>aus</strong>reichend<br />
von seiner Umgebung abhebt. Ist <strong>der</strong> Un -<br />
terschied – also <strong>der</strong> Kontrast – zu gering,<br />
muss er mithilfe von Kontrastmitteln verstärkt<br />
werden. Die Kontrastverstärkung<br />
748<br />
erfolgt im Normalfall röntgenpositiv durch<br />
Erhöhung <strong>der</strong> Absorption des darzustellenden<br />
Objekts, wie es bei jodhaltigen<br />
Kontrastmitteln <strong>der</strong> Fall ist. Mit einem<br />
Stoff, <strong>der</strong> mehr Röntgenstrahlen als das<br />
umliegende Gewebe durchlässt, lässt sich<br />
aber auch ein röntgennegativer Kontrast<br />
erzeugen, wie er zum Beispiel natürlich bei<br />
<strong>der</strong> Röntgenübersicht des Abdomens durch<br />
Darmgas hervorgerufen wird (Abb. 1).<br />
Ersetzt man in einer Vene o<strong>der</strong> Arterie das<br />
Blut temporär durch ein Gas, kann auf<br />
diese Weise eine Angiographie erzeugt<br />
werden (Abb. 2). Allerdings ist dieser<br />
Kontrast schwächer als bei jodhaltigem<br />
Kontrastmittel. Er lässt sich auch nicht verstärken,<br />
wie es bei Jod durch Erhöhung <strong>der</strong><br />
Konzentration möglich ist. Dennoch reicht<br />
er <strong>aus</strong>, um mithilfe <strong>der</strong> digitalen Subtraktionstechnik<br />
(DSA) brauchbare Bil<strong>der</strong> <strong>für</strong><br />
die Diagnostik und die Kontrolle von Ge -<br />
fäßinterventionen zu generieren (Abb. 3).<br />
Luft eignet sich nicht zur intravasalen An -<br />
wendung, da ihre wesentlichen Bestandteile<br />
Stickstoff und Sauerstoff beide im Blut<br />
relativ schlecht löslich und dadurch komplikationsträchtig<br />
sind. Schon kleine Luftblasen<br />
können zu folgeschweren Embolien<br />
und zum Tod führen. An<strong>der</strong>s liegen die<br />
Bedingungen bei <strong>der</strong> Kohlensäure, die in<br />
<strong>der</strong> Luft zu einem Anteil von 0,038 Volumenprozent<br />
vorkommt. Der Körper produziert<br />
selbst CO2, es ist ihm also gut vertraut.<br />
Allergien gegen das Gas kommen<br />
nicht vor und die Löslichkeit im Blut ist<br />
mehr als 20 Mal höher als die von Sauerstoff<br />
o<strong>der</strong> Stickstoff. Das ins Blut eingebrachte<br />
und gelöste CO2 wird mit dem<br />
Kreislauf in die Lunge transportiert und<br />
während <strong>der</strong> dortigen Passage umgehend<br />
wie<strong>der</strong> abgeatmet, sodass im Patienten<br />
we<strong>der</strong> eine klinisch relevante Erhöhung<br />
<strong>der</strong> CO2-Konzentration noch eine messbare<br />
Verschiebung des pH-Wertes entstehen.
a<br />
Abb. 1: (Aufnahmen im Abstand von einer Sekunde) PTA einer Beckenstenose links in cross-over-Technik:<br />
An <strong>der</strong> Stenose (Pfeil) zerreißt die CO2-Blase zunächst, das anschließende Gefäß füllt sich sekundär<br />
Artefakte durch bewegte Darmluft (Stern)<br />
Technik und Einsatz<br />
<strong>der</strong> CO 2-Angiographie<br />
Grundsätzlich lassen sich sowohl Venen als<br />
auch Arterien mit <strong>der</strong> CO2-Angiographie darstellen. Der Zugang zum zu untersuchenden<br />
Gefäß und die Kathetertechnik<br />
gleichen weitgehend denen, die bei einer<br />
konventionellen röntgenologischen Methode<br />
Anwendung finden. Die zusätzlichen<br />
technischen Vor<strong>aus</strong>setzungen sind gering,<br />
ebenso die notwendigen Investitionen.<br />
Neben <strong>der</strong> CO2-Quelle muss einmalig ein<br />
Reduktionsventil angeschafft werden,<br />
zusätzlich <strong>für</strong> jede Untersuchung steriles<br />
Verbrauchsmaterial. Da das Gas sehr billig<br />
ist, ist auch die gesamte Methode im Vergleich<br />
zu konventionellen Angiographien<br />
kostengünstig.<br />
Man verwendet medizinisch reines CO2 <strong>aus</strong><br />
einer Druckflasche. Die Injektion erfolgt<br />
<strong>aus</strong> einer 100 ml-Spritze mit dosierbarer<br />
Voreinstellung, die über das Reduktionsventil<br />
mit einem Druck von bis zu 1,3 bar<br />
b<br />
befüllt wird. Angepasst an die zu untersuchende<br />
Gefäßregion variieren die verabreichten<br />
Dosen zwischen 20 und maximal<br />
100 ml pro Injektion. [3] Zunächst kostet es<br />
den Untersucher allerdings meist etwas<br />
Überwindung, genau das zu tun, was er<br />
bisher strengstens vermieden hat – Gas mit<br />
<strong>der</strong> Injektion in ein Blutgefäß gelangen zu<br />
lassen. Im Gefäß bildet das eingeblasene<br />
CO2 zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Röntgenaufnahme<br />
eine zusammenhängende, aber nur kurzlebige<br />
Blase, die die Blutsäule verdrängt. [1] In<br />
Richtung des Blutflusses kommt es im weiteren<br />
Verlauf zum Zerreißen dieser Blase,<br />
dann spätestens während <strong>der</strong> kapillaren<br />
Passage zu ihrer vollständigen Resorption.<br />
Insbeson<strong>der</strong>e an Stenosen o<strong>der</strong> Gefäßgabelungen<br />
können diese Blasen aber auch<br />
schon frühzeitig zerreißen (Abb.1). Da CO2 leichter ist als Blut, steigt es auf. Durch entsprechende<br />
Lagerung des Patienten lassen<br />
sich <strong>der</strong> Abtransport beschleunigen und<br />
damit die Überlebenszeit und Kohärenz<br />
<strong>der</strong> Blase verbessern. Auch die Ausbildung<br />
von Gasansammlungen in Gefäßnischen<br />
Radiologie<br />
Abb. 2: Das Rohbild <strong>der</strong> Angiographie über den antegrad<br />
in den rechten Oberschenkelarterien liegenden<br />
Katheter, es wurden 20 ml CO2 injiziert: Das Blut in<br />
<strong>der</strong> rechten A. femoralis und A. profunda femoris ist<br />
temporär vollständig vom Gas verdrängt.<br />
kann so vermieden werden. Für eine<br />
Becken- und Beinangiographie werden<br />
Beine und Füße hoch gelagert, zur Darstellung<br />
<strong>der</strong> rechten Nierenarterie wird <strong>der</strong><br />
Patient in Linksseitenlage gebracht. Zwischen<br />
einzelnen Aufnahmeserien werden<br />
ihm immer zwei Minuten Zeit gegeben,<br />
damit er das CO2 wie<strong>der</strong> vollständig abatmen<br />
kann. Das Gesamtvolumen an CO2 ist<br />
somit nahezu unbeschränkt. Die Handhabung<br />
des Systems ist einfach und sicher,<br />
diagnostische Angiographien verlaufen<br />
ohne zeitlichen Mehraufwand. Muss bei<br />
interventionellen Eingriffen mehrfach zwischen<br />
Behandlung und Darstellung ge -<br />
wechselt werden, wird <strong>der</strong> Aufwand größer,<br />
bleibt aber zumutbar. [4]<br />
Untersucht werden können alle arteriellen<br />
Gefäße unterhalb des Zwerchfells, auch<br />
Viszeralarterien, Venen an allen Extremitäten<br />
sowie Dialyseshunts. CO2 als Bolus ist<br />
allerdings potenziell neurotoxisch. [2] Arterielle<br />
Darstellungen oberhalb des Zwerchfells<br />
sind deshalb tabu, da hier die Gefahr<br />
749
Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />
Abb. 3: Im Subtraktionsbild (DSA) <strong>der</strong> rechten A. femoralis<br />
nach CO2-Injektion. Die Stenose und auch kleine Kolla<br />
teralgefäße kommen in guter Qualität zur Darstellung<br />
(Aufnahme im Rahmen einer Ballondilatation bei einem<br />
83-jährigen Patienten mit grenzkompensierter diabetischer<br />
Nephropathie).<br />
besteht, dass das Gas in Gefäße gelangt,<br />
die das Hirn o<strong>der</strong> Rückenmark versorgen,<br />
und hier zu Schäden führt. Aus dem gleichen<br />
Grund dürfen keine intravenösen<br />
Injektionen durchgeführt werden, wenn<br />
beim Patienten Kurzschlussverbindungen<br />
zum arteriellen System, wie AV-Fisteln <strong>der</strong><br />
Lungengefäße, Vorhof- o<strong>der</strong> Ventrikelseptumdefekte,<br />
vorliegen.<br />
In Abhängigkeit vom Einsatzort berichten<br />
die Patienten von Wärmegefühl, geringen<br />
passageren Schmerzen und Kribbelparästhesien,<br />
selten auch über Schwindel, Übelkeit<br />
und Defäkationsdrang. Insgesamt ist<br />
das Risiko eines Zwischenfalls bei <strong>der</strong> CO2- Angiographie aber gegenüber konventionellen<br />
Techniken nicht erhöht.<br />
750<br />
Indikationen<br />
Akute / chronische Niereninsuffizienz / Transplantat-Nieren<br />
Kontrastmittel-Unverträglichkeit<br />
Latente/manifeste Hyperthyreose<br />
Paraproteinämie<br />
Einsatzgebiete<br />
Diagnostische Angiographien Aorta-Becken-Bein<br />
Interventionen bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK)<br />
AV-Dialyseshunts<br />
Nierenarterienstenosen / Nierentumoren<br />
Quellensuche bei gastrointestinalen Blutungen<br />
In Kombination mit jodhaltigem KM zu dessen Reduzierung<br />
Venendarstellung<br />
Kontraindikationen<br />
Schwere COPD mit erhöhtem pCO 2<br />
Speziell <strong>für</strong> arterielle Applikation:<br />
Angiographie oberhalb des Zwerchfells (außer Hämodialyse-Shunts)<br />
Speziell <strong>für</strong> venöse Applikation:<br />
AV-Shunt <strong>der</strong> Lungengefäße<br />
Vorhof- o<strong>der</strong> Ventrikelseptumdefekt<br />
Spezielle Nebenwirkungen<br />
Schmerzen bei Extremitätenangiographien<br />
Kopfschmerzen und Schwindel<br />
Tachykardien, Wärmegefühl, Kribbelparästhesien<br />
Übelkeit, Erbrechen, Defäkationsdrang<br />
Fazit<br />
Die CO2-Angiographie hat überall dort<br />
ihren Platz, wo im Rahmen diagnostischer<br />
o<strong>der</strong> interventioneller Gefäßdarstellungen<br />
<strong>der</strong> Einsatz jodhaltiger Kontrastmittel risikoreich<br />
o<strong>der</strong> kontraindiziert ist o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en<br />
eingesetztes Volumen beschränkt bleiben<br />
muss. Aufgrund des geringeren Kontrastes<br />
gegenüber den jodhaltigen Kontrastmitteln<br />
ist die Qualität <strong>der</strong> resultierenden Bil<strong>der</strong><br />
etwas eingeschränkt. Dennoch lassen sich<br />
mit entsprechen<strong>der</strong> Technik Gefäßdarstellungen<br />
<strong>aus</strong>reichen<strong>der</strong> diagnostischer Qualität<br />
erzeugen. Der technische Mehraufwand<br />
ist gering, die Methode kann als<br />
sicher, gut verträglich und kostengünstig<br />
empfohlen werden.<br />
Kontakt<br />
Dr. Ernst-Joachim Malzfeldt<br />
Radiologie / Neuroradiologie<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord<br />
Tangstedter Landstraße 400<br />
22417 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-87 93 24<br />
E-Mail: e.malzfeldt@asklepios.com<br />
Literatur<br />
[1] Albrich H, Gmeinwieser J, Manke C, Strotzer M. Transfemorale<br />
Becken-Bein-Angiographie mit CO2: Erfahrungen<br />
mit druck- und volumenkontrollierter Injektion. RöFo.<br />
1999; 177: 384-90.<br />
[2] Caridi JG, Hawkins IF Jr. CO2 digital subtraction angiography:<br />
Potential complication and their prevention. J Vasc<br />
Intervent Radiol. 1997; 8: 383-91.<br />
[3] Cronin P, Patel JV, Kessel DO. Carbon dioxide angiography:<br />
a simple and safe system of delivery. Clinical<br />
Radiology 2005; 60: 123-5.<br />
[4] Kummer-Kloess D, Koess W, Marienhoff N. Angiography<br />
during interventional procedures with carbon dioxide<br />
(CO2) (carbon-angiography) in patients with increased<br />
contrast media risk. Zentralbl Chir. 1997; 122: 725-9.
Persönlichkeitsstörungen und „Sucht“<br />
Dr. Sven Ringelhahn<br />
Psychiatrie<br />
Rund 9,4 Prozent <strong>der</strong> deutschen Bevölkerung leiden an einer Persönlichkeitsstörung. [1] Behandlungsbedürftig<br />
werden Persönlichkeitsstörungen allerdings weit<strong>aus</strong> seltener. Die Altersverteilung lässt eine Tendenz zur Abnahme<br />
im Alter erkennen, Stadtbevölkerung und sozial schwächere Schichten sind stärker betroffen. [2] 30 bis 40 Prozent<br />
<strong>der</strong> Poliklinikpatienten und 40 bis 50 Prozent <strong>der</strong> stationären Patienten erfüllen unter an<strong>der</strong>em die Kriterien einer<br />
Persönlichkeitsstörung. [3] Starke spezifische Zusammenhänge bestehen zwischen Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen<br />
(Antisoziale, Bor<strong>der</strong>line-, Histrionische o<strong>der</strong> Narzisstische Persönlichkeitsstörung) und Alkohol-/Drogenmissbrauch<br />
bzw. -abhängigkeit. [4]<br />
Das Wort „Sucht“ (germ. suhti-, ahd. suht,<br />
suft, mhd. suht) ist nicht verwandt mit<br />
„suchen“. Es geht auf „siechen“ (ahd. siechen,<br />
mhd. siuchan) zurück, also das Leiden<br />
an einer Krankheit. Im offiziellen Sprachgebrauch<br />
<strong>der</strong> Weltgesundheitsorganisation<br />
(WHO) existierte <strong>der</strong> Begriff Sucht von<br />
1957 bis 1963, bevor er durch Missbrauch<br />
und Abhängigkeit ersetzt wurde. [5] Sucht<br />
ist nach <strong>der</strong> WHO ein Zustand periodischer<br />
o<strong>der</strong> chronischer Intoxikation, verursacht<br />
durch wie<strong>der</strong>holten Gebrauch einer natürlichen<br />
o<strong>der</strong> synthetischen Substanz, <strong>der</strong> <strong>für</strong><br />
das Individuum o<strong>der</strong> die Gemeinschaft<br />
schädlich ist. [6] Dem umgangssprachlichen<br />
Begriff <strong>der</strong> Sucht bzw. Suchterkrankung<br />
am nächsten kommt <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> stoffgebundenen<br />
(legale und illegale Drogen)<br />
und nicht-stoffgebundenen Abhängigkeit.<br />
Die Diagnose Abhängigkeit soll nach ICD-<br />
10 gestellt werden, wenn bei einem Patienten<br />
irgendwann während <strong>der</strong> vergangenen<br />
Jahre mindestens drei von sechs <strong>der</strong> folgenden<br />
Kriterien vorhanden waren:<br />
■ starker Wunsch o<strong>der</strong> Zwang, Substanzen<br />
o<strong>der</strong> Alkohol zu konsumieren<br />
■ vermin<strong>der</strong>te Kontrollfähigkeit bezüglich<br />
des Beginns, <strong>der</strong> Beendigung und<br />
<strong>der</strong> Menge des Substanz- o<strong>der</strong> Alkoholkonsums<br />
■ körperliches Entzugssyndrom<br />
■ Nachweis einer Toleranz. Um die<br />
ursprünglich durch niedrigere Dosen<br />
erreichten Wirkungen <strong>der</strong> Substanz<br />
hervorzurufen, sind zunehmend höhere<br />
Dosen erfor<strong>der</strong>lich.<br />
■ fortschreitende Vernachlässigung an<strong>der</strong>er<br />
Vergnügungen o<strong>der</strong> Interessen<br />
zugunsten des Substanzkonsums<br />
■ anhalten<strong>der</strong> Substanz- o<strong>der</strong> Alkoholkonsum<br />
trotz Nachweises eindeutiger<br />
schädlicher Folgen (körperlicher, sozialer<br />
o<strong>der</strong> psychischer Art)<br />
Der Anteil <strong>der</strong> Abhängigen in <strong>der</strong> deutschen<br />
Bevölkerung beträgt fünf bis sieben<br />
Prozent. Die größte Bedeutung hat mit drei<br />
bis fünf Prozent <strong>der</strong> Bevölkerung, also<br />
rund 2,5 Millionen Betroffenen, die Alkoholabhängigkeit.<br />
Die Zahl <strong>der</strong> Drogenab-<br />
hängigen beträgt etwa 150.000, die Zahl<br />
<strong>der</strong> Medikamentenabhängigen etwa eine<br />
Million. In <strong>Klinik</strong>en ist mit etwa 15 Prozent<br />
ein nicht unerheblicher Teil <strong>der</strong> Patienten<br />
alkoholkrank. Mehr als zehn Prozent aller<br />
Patienten in Allgemeinarztpraxen haben<br />
ein Alkoholproblem.<br />
Persönlichkeitsstörungen und Sucht<br />
Menschen mit z. B. einer Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstörung<br />
zeigen typische Symptome<br />
wie frei flottierende Ängste, Zwangssymptome<br />
im Sinne überwertiger Ideen,<br />
Depressionen, Psychosomatosen, psychotische<br />
Symptome, gemin<strong>der</strong>te Impulskontrolle,<br />
dissoziatives Verhalten, riskantes<br />
Sexualverhalten, Selbstverletzungen, Substanzkonsum<br />
und Delinquenz. Diese Merkmale<br />
sind eng assoziiert mit (polyvalentem)<br />
Substanzkonsum und gehen mit einer<br />
erhöhten Suizidrate (fast zehn Prozent) einher.<br />
Je<strong>der</strong> zweite Patient mit Bor<strong>der</strong>line-<br />
Persönlichkeitsstörung hat ein Alkoholproblem<br />
und nahezu 40 Prozent weisen ein<br />
Drogenproblem auf. Umgekehrt findet sich<br />
751
Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />
bei fast 15 Prozent <strong>der</strong> alkoholabhängigen<br />
Patienten eine Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstörung,<br />
diese Quote beträgt bei Patienten<br />
mit Drogenproblemen 18 Prozent.<br />
Historisch nutzten schon die Menschen vor<br />
etwa 8.000 Jahren die ber<strong>aus</strong>chende Wirkung<br />
des Alkohols durch die Zubereitung<br />
von Bier o<strong>der</strong> Wein. Auch die Verwendung<br />
von R<strong>aus</strong>chdrogen existierte im arabischasiatischen<br />
Kulturkreis und im mittel- und<br />
südamerikanischen Raum (z. B. Opium).<br />
Heute gehören Drogen zum Alltag unserer<br />
Gesellschaft. So gibt es bei den 15-Jährigen<br />
in Hinblick auf Cannabis eine international<br />
vorhandene Baseline <strong>der</strong> Prävalenz von<br />
etwa 30 Prozent mit Probierkonsum. [7] In<br />
dieser Hinsicht bietet die aktuelle Musikszene<br />
mit Amy Winehouse ein instruktives<br />
klinisches Beispiel mit mutmaßlichem Bor<strong>der</strong>line-Verhalten<br />
und Drogen- und Alkoholexzessen,<br />
kombiniert mit einer Magersucht<br />
o<strong>der</strong> Bulimie. [8]<br />
Drogen als Mittel <strong>der</strong> Selbstbehandlung<br />
Drogenkonsum hat also grundlegend mit<br />
<strong>der</strong> erlebten Diskrepanz von realem und<br />
idealem Lebensgefühl zu tun, die vor<br />
allem in <strong>der</strong> Adoleszenz weit verbreitet ist.<br />
Erwünschte Effekte des Drogenkonsums<br />
sind unter an<strong>der</strong>en Entspannung, Euphorisierung,<br />
soziale Zuwendung, Stressmin<strong>der</strong>ung,<br />
allgemeine Anregung o<strong>der</strong> Minde-<br />
752<br />
rung von Ängsten, das Gefühl, produktiver<br />
o<strong>der</strong> kreativer zu sein, ein gehobenes<br />
Selbstwertgefühl. Daher ist es verständlich,<br />
dass Drogen bei Persönlichkeitsstörungshintergrund<br />
zur Befindens- bzw. Affektregulation<br />
genutzt werden. Dabei steht <strong>der</strong><br />
Schutz vor inneren und äußeren Reizen im<br />
Vor<strong>der</strong>grund. Vor allem die hohe Impulsivität<br />
wird durch Substanzkonsum als Form<br />
<strong>der</strong> Selbstbehandlung gedämpft, was ein<br />
exzessives Konsumverhalten, sowohl<br />
Hochdosis-Konsum als auch riskanten<br />
Konsum, begünstigt.<br />
Im Verlauf <strong>der</strong> Suchtentwicklung bekommen<br />
mit dem Suchtmittel assoziierte Reize<br />
gemäß <strong>der</strong> klassischen Konditionierung<br />
eine Auslöserqualität <strong>für</strong> das süchtige<br />
Konsumverhalten. Zusätzlich kommen<br />
allmählich Entzugssymptome auf, die den<br />
Drogenkonsum steigern. Die zwei Lernprinzipien<br />
– das Lernen am Erfolg (operantes<br />
Konditionieren) und das klassische<br />
Konditionieren – sind daher auch Leitkonzepte<br />
<strong>der</strong> klassischen verhaltenstherapeutisch<br />
orientierten Suchttherapie. Psychodynamisch<br />
betrachtet, beruht die Bor<strong>der</strong>line-<br />
Symptomatik im Wesentlichen auf unreifen<br />
Abwehrmechanismen in Form einer Ich-<br />
Schwäche mit primitiver Idealisierung und<br />
Spaltung (Es gibt nur Gut o<strong>der</strong> Böse). Periodische<br />
Omnipotenzgefühle wechseln sich<br />
rasch mit Ohnmachtsgefühlen ab. Diese<br />
bizarre Erlebnis- und Verhaltensweise<br />
beruht auf desintegrierten Selbst- und<br />
Objektrepräsentanzen. Das „harmonische“<br />
Selbst-Erleben im Intoxikationszustand ist<br />
deshalb <strong>der</strong> wesentliche Treiber in die<br />
Sucht. Der Drogenkonsum kann also als<br />
eine spannungsreduzierende, aber auch<br />
aktivierende Selbstmedikation verstanden<br />
werden.<br />
Bei ängstlich akzentuierten Syndromen<br />
wird häufiger Cannabis konsumiert, in seltenen<br />
Fällen auch Opioide, bei Selbstwertkrisen<br />
häufiger Kokain und Amphetamine.<br />
Ecstasy, wenngleich an Bedeutung verlierend,<br />
wird gelegentlich eingenommen, um<br />
das Gefühl <strong>der</strong> Nähe zu an<strong>der</strong>en Menschen<br />
zu bekommen. LSD wird selten eingenommen<br />
und hat dann häufig die Funktion, die<br />
Dissoziation des Erlebens zu steigern, d. h.<br />
einfach in eine an<strong>der</strong>e, bunte Welt einzutreten.<br />
Benzodiazepine und Alkohol werden<br />
am häufigsten eingenommen und zum<br />
Großteil episodisch konsumiert.
Die Drogeneffekte lassen sich in Wirkungsbereiche<br />
unterteilen:<br />
■ Sedierung (wie sie z. B. Opiate und<br />
Opioide, insbeson<strong>der</strong>e aber GABA-erge<br />
Substanzen wie Benzodiazepine vermitteln)<br />
mit dem Ziel <strong>der</strong> Stressvermeidung<br />
■ Stimulation (z. B. Amphetamine,<br />
Kokain) als Steigerung des Selbstkompetenzerlebens<br />
■ „Psycholyse“ im Sinne <strong>der</strong> psychotischen<br />
Dissoziation des Erlebens auf <strong>der</strong><br />
Suche nach einer an<strong>der</strong>en Welt (Effekte,<br />
die vor allem Halluzinogene wie LSD<br />
o<strong>der</strong> Meskalin bewirken können)<br />
In therapeutischer Hinsicht erfor<strong>der</strong>t die<br />
komplexe Erlebens- und Verhaltensdynamik<br />
von Menschen mit Suchtproblemen<br />
vor dem Hintergrund <strong>der</strong> Bor<strong>der</strong>line-Persönlichkeitsstörung<br />
ein beson<strong>der</strong>s umsichtiges<br />
therapeutisches Vorgehen. Die Komplexität<br />
und Dynamik des komorbiden<br />
Störungsbildes erfor<strong>der</strong>n es, die Beziehung<br />
zu den Patienten flexibler zu gestalten, als<br />
es beim Umgang mit Suchtpatienten ohne<br />
diese Störung üblich ist.<br />
Spezifisches Therapieangebot<br />
Die Therapie einer Störung soll an den<br />
Ursachen <strong>aus</strong>gerichtet sein. Für Persönlichkeitsstörung<br />
und Sucht gibt es ein solch<br />
spezifisches Behandlungsangebot in<br />
Deutschland sehr selten. Deshalb hat die II.<br />
psychiatrische Fachabteilung Persönlichkeitsstörungen/Trauma<br />
<strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong><br />
Nord – Ochsenzoll im Dezember 2009<br />
eine weitere spezifische Station <strong>für</strong> Patienten<br />
mit den Diagnosen „Persönlichkeitsstörung<br />
und Sucht“ (PSY 45) eröffnet. Hier<br />
kommen in einem multiprofessionellen<br />
Team tiefenpsychologische sowie verhaltens<br />
therapeutische Elemente zum Einsatz,<br />
um individuell dem Patienten, seinen Problemen<br />
und Krisen gerecht zu werden.<br />
Ein spezifisches Behandlungskonzept dieser<br />
Klientel beinhaltet neben einer Entzugstherapie<br />
auch spezifische Therapieverfahren<br />
wie Übertragungsfokussierte Psychotherapie<br />
(TFP), Mentalisierungsbasierte Therapie<br />
(MBT) o<strong>der</strong> Dialektisch-Behaviorale<br />
Therapie (DBT).<br />
Der motivationale Aspekt <strong>der</strong> DBT er scheint<br />
vor dem Hintergrund häufiger Therapie -<br />
abbrüche unter spezifischen Therapie -<br />
bedingungen von beson<strong>der</strong>er Bedeutung.<br />
Übereinstimmend zeigen alle bislang<br />
publizierten Studien zur Wirksamkeit <strong>der</strong><br />
DBT im Vergleich mit an<strong>der</strong>en Behandlun-<br />
Psychiatrie<br />
gen eine hochsignifikant bessere Therapie-<br />
Compliance. [10] Neben strukturellen Aspekten<br />
(Einbindung in Gruppen- und Einzeltherapie)<br />
spielt sicherlich die therapeutische<br />
Haltung auch bei diesem Aspekt eine we -<br />
sentliche Rolle.<br />
In <strong>der</strong> TFP werden die Wahrnehmungsverzerrungen<br />
im Hier und Jetzt <strong>der</strong> therapeutischen<br />
Übertragungsbeziehung in Form<br />
typischer internalisierter dominanter<br />
Objektdyaden identifiziert und bearbeitet.<br />
Durch intensives Klären, wie<strong>der</strong>holtes Aufzeigen<br />
von Wi<strong>der</strong>sprüchen und metaphorische<br />
Deutungen gewinnt <strong>der</strong> Patient in <strong>der</strong><br />
Interaktion mit dem Therapeuten an Re -<br />
flektionsvermögen und Fähigkeiten zur<br />
Integration des Selbstkonzepts und des<br />
Konzepts von An<strong>der</strong>en sowie zur Integration<br />
abgespaltener Affekte.<br />
Clarkin et al. verglichen in einer randomisierten<br />
und kontrollierten Studie an 90 Bor<strong>der</strong>line-Patienten<br />
TFP mit <strong>der</strong> DBT und<br />
supportiven Therapie nach Rockland<br />
(STP). [11] Alle drei Therapien zeigten Verbesserungen<br />
in vielen Bereichen (Depression,<br />
Angst, allgemeines Funktionieren,<br />
soziale Anpassung). TFP und DBT bewirkten<br />
signifikante Verbesserungen <strong>der</strong> Suizidalität,<br />
TFP und STP erreichten Verbesserungen<br />
in Teilbereichen von Wut und<br />
Impulsivität und nur durch TFP kam es zu<br />
einer Vermin<strong>der</strong>ung von Reizbarkeit sowie<br />
753
Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />
von verbalen und indirekten Angriffen.<br />
Nur unter TFP ließen sich signifikante<br />
positive Verän<strong>der</strong>ungen im Bereich des<br />
„reflective functioning“ und des Bindungsstils<br />
von einer unsicheren zur sicheren Bindung<br />
erreichen. [12] Ein direkter statistischer<br />
Vergleich <strong>der</strong> Therapiearme erfolgte nicht.<br />
Die Behandlung von Persönlichkeitsstörungen<br />
und Sucht sollte folgende Aspekte<br />
berücksichtigen:<br />
■ Aufklärung über das Störungsbild<br />
■ Klärung <strong>der</strong> gemeinsamen Behandlungsziele<br />
■ Individueller Behandlungsvertrag<br />
■ Klärung <strong>der</strong> Behandlungsfoki und<br />
Methodik (DBT, TFP etc.)<br />
■ Klärung <strong>der</strong> Aufgaben und Verantwortlichkeiten<br />
von Therapeut und<br />
Patient <strong>für</strong> die Therapie<br />
■ Hierarchisierung von Problemen<br />
■ Verbesserung <strong>der</strong> Überlebensstrategien<br />
(Umgang mit Krisen)<br />
■ Verbesserung <strong>der</strong> Therapiecompliance<br />
■ Verbesserung <strong>der</strong> Lebensqualität<br />
(Sucht, Depressionen, Ängste usw.)<br />
■ Verbesserung <strong>der</strong> Verhaltensfertigkeiten<br />
(Skills)<br />
■ Verbesserung von Erlebens- und Verhaltensweisen,<br />
die mit dysfunktionalen<br />
Schemata und emotionaler Aktivierung<br />
zusammenhängen<br />
754<br />
In den vergangenen Jahren hat sich die<br />
Auffassung stabilisiert, dass es zunächst<br />
um die Sicherung des Überlebens geht.<br />
Wenngleich das oberste Ziel <strong>der</strong> Suchtbehandlung<br />
in <strong>der</strong> zufriedenen Abstinenz<br />
besteht, ist doch je nach Struktur des<br />
Patienten und Chronifizierung <strong>der</strong> Erkrankung<br />
eine Modifikation des Therapieziels<br />
angezeigt. Dabei sollten psychiatrische/<br />
psychotherapeutische Einzelgespräche und<br />
gegebenenfalls Paar- o<strong>der</strong> Angehörigenge -<br />
spräche erfolgen. Durch enge Zusammenarbeit<br />
mit Abteilungen <strong>für</strong> Abhängigkeitserkrankungen<br />
und dem Suchthilfesystem<br />
lässt sich die Häufung kontraproduktiver<br />
Querüberweisungen verhin<strong>der</strong>n. [12]<br />
Literatur<br />
[1] Maier W, Lichtermann D, Klingler T, Heun R. Prevalences<br />
of personality disor<strong>der</strong>s (DSM-III-R) in the community.<br />
J. Person. Disord. 1992; 6: 187-96.<br />
[2] Bohus M, Stieglitz RD, Fiedler P, Hecht H, Berger M.<br />
Persönlichkeitsstörungen, Psychische Erkrankungen: <strong>Klinik</strong><br />
und Therapie. München, Jena: Urban & Fischer.<br />
[3] Casey PR. The epidemiology of personality disor<strong>der</strong>. In:<br />
Tyrer P. (ed.). Personality disor<strong>der</strong>s: diagnosis, management<br />
and course. Wright, London, Boston, Singapore, Sydney,<br />
Toronto, Wellington 1989: 74-81.<br />
[4] Tyrer P, Gun<strong>der</strong>son J, Lyons M, Tohen M. Extent of<br />
comorbidity between mental state und personality disor<strong>der</strong>s.<br />
J. Person. Disord. 1997; 11: 242-59.<br />
[5] Stieglitz RD, Freyberger HJ, Schnei<strong>der</strong> W. Kompendium.<br />
Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatische<br />
Medizin. Basel: Karger 2002.<br />
Kontakt<br />
Dr. Sven Ringelhahn<br />
II. Fachabteilung Psychiatrie<br />
Persönlichkeitsstörungen/Trauma<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord – Ochsenzoll<br />
Langenhorner Ch<strong>aus</strong>see 560<br />
22419 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-87 19 55<br />
Fax (0 40) 18 18-87 15 36<br />
E-Mail: s.ringelhahn@asklepios.com<br />
[6] Möller HJ, Laux G, Deister A. Duale Reihe: Psychiatrie<br />
und Psychotherapie. Stuttgart: Thieme<br />
[7] EBDD 2008: Jahresbericht 2008.<br />
http://ar2005.emcdda.europa.eu/de/<br />
[8] Bandelow B. Celebrities: Vom schwierigen Glück,<br />
berühmt zu sein. Reinbek Rowohlt 2007.<br />
[9] Koerner K, Dimeff LA. Further data on dialectical behavioral<br />
therapy. Clin. Psychol. 2000; 7: 104-13.<br />
[10] Clarkin JF, Levy KN, Lenzenweger MF, Kernberg OF.<br />
Evaluating three treatments for bor<strong>der</strong>line personality<br />
disor<strong>der</strong>: A multiwave study. Am J Psychiatry. 2007; 164:<br />
922-8.<br />
[11] Levy KN, Clarkin JF, Kernberg OF. Change in attachment<br />
and reflective function in the treatment of bor<strong>der</strong>line<br />
personality disor<strong>der</strong> with transference focused psychotherapy.<br />
J Cons Clin Psychol. 2006; 74(6): 1027-40.<br />
[12] Tretter F. Drogenkonsum und -abhängigkeit bei Bor<strong>der</strong>line-Störungen.<br />
In: Handbuch <strong>der</strong> Bor<strong>der</strong>line-Störungen.<br />
Dulz B, Herpertz SC, Kernberg OF, Sachsse U (Hrsg).<br />
Stuttgart, New York: Schattauer (im Druck).
Lokal begrenzter Nierentumor:<br />
Laparoskopische Nierenteilresektion<br />
als mo<strong>der</strong>ne Therapie <strong>der</strong> Wahl<br />
Dr. Holger Böhme, Prof. Dr. Andreas Gross<br />
Ein Großteil <strong>der</strong> Nierentumoren wird<br />
heute jedoch im sehr frühen Stadium<br />
durch Ultraschalluntersuchungen bei <strong>der</strong><br />
Vorsorge o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Abklärung einer an<strong>der</strong>en<br />
Symptomatik diagnostiziert. Diese<br />
Tumoren sind oft sehr klein und lokal<br />
begrenzt. Histologische Studien zeigten<br />
einen relativ hohen Anteil benigner Raumfor<strong>der</strong>ungen<br />
(bis zu 15 Prozent). In <strong>der</strong><br />
Bildgebung ist jedoch, abgesehen vom eindeutigen<br />
Bild des Angiomyolipoms, keine<br />
exakte Dignitätseinschätzung möglich. Ein<br />
auf die Niere begrenzter Tumor kann also<br />
sowohl benigner als auch maligner Natur<br />
sein. Eine histologische Sicherung präoperativ<br />
durch eine CT-gestützte Punktion ist<br />
umstritten. Daher ist eine primäre Nephrektomie,<br />
so komplikationsarm sie auch sei,<br />
immer mit dem Risiko verbunden, eine<br />
Niere mit einer gutartigen Entität zu ent-<br />
fernen. [1]<br />
Nierenteilresektion<br />
Multicenterstudien zeigten bei einer primären<br />
Nierenteilresektion bei Tumoren bis<br />
vier Zentimetern [2] keine signifikanten<br />
Unterschiede bezüglich des Gesamtüberlebens.<br />
Neuere Publikationen zeigen sogar<br />
bis zu einer Tumorgröße von sieben Zentimetern<br />
[3] gleiche Überlebenszeiten wie bei<br />
<strong>der</strong> radikalen Tumornephrektomie. Bei<br />
einer Nierenteilresektion profitiert <strong>der</strong><br />
Patient also bei gleichem tumorspezifischem<br />
Therapieerfolg vom Nierenerhalt.<br />
Daher ist bei den meisten heute diagnostizierten<br />
Nierentumoren zumindest <strong>der</strong> Versuch<br />
einer Nierenteilresektion zu erwägen.<br />
Primär sollte unser Vorgehen also bei lokal<br />
begrenztem Tumorgeschehen bis vier Zentimetern,<br />
in speziellen Fällen sogar bis sieben<br />
Zentimetern, eine Tumorenukleation<br />
Urologie<br />
Historisch gesehen ist die Standardtherapie eines malignen Nierentumors bei kontralateral intakter Niere die<br />
radikale Tumornephrektomie. Sie kann laparoskopisch o<strong>der</strong> offen chirurgisch erfolgen. Lokal begrenzte Nierentumoren<br />
werden so mit hoher Effizienz und <strong>aus</strong>gezeichneter Langzeitprognose behandelt. Daher war es weit<br />
verbreitet, bei einem lokal begrenzten Nierentumor initial die Indikation zur Nephrektomie zu stellen. Die geringe<br />
Morbidität und Mortalität bei relativ kurzem Krankenh<strong>aus</strong>aufenthalt führt zu einer <strong>aus</strong>geprägten Akzeptanz,<br />
auch laparoskopisch ist <strong>der</strong> Eingriff nach entsprechen<strong>der</strong> Lernkurve gut durchführbar, die Langzeitergebnisse<br />
bezüglich des Tumorüberlebens sind dem offen-chirurgischen Vorgehen vergleichbar.<br />
mit intraoperativer Schnellschnittuntersuchung<br />
<strong>der</strong> Absetzungsrän<strong>der</strong> sein. Bei<br />
einem Großteil <strong>der</strong> Eingriffe ist so ein Nierenerhalt<br />
möglich. Somit geht <strong>der</strong> Trend<br />
weg von <strong>der</strong> primären Tumornephrektomie<br />
hin zur Nierenteilresektion. Ob dies<br />
laparoskopisch o<strong>der</strong> offen chirurgisch<br />
erfolgt, hängt von den Fähigkeiten des<br />
Operationsteams ab, wobei die laparoskopische<br />
Vorgehensweise wesentlich schwieriger<br />
zu etablieren ist.<br />
In unserer <strong>Klinik</strong> erfolgte <strong>der</strong> Zugang bei<br />
malignen Raumfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Niere<br />
initial transperitoneal offen chirurgisch<br />
beziehungsweise per lumbalem Zugang.<br />
Seit 13 Jahren ist so ein nierenerhaltendes<br />
Vorgehen in bis zu 90 Prozent <strong>der</strong> Operationen<br />
möglich, mehr als 300 Nierenteilresektionen<br />
wurden offen chirurgisch durchgeführt.<br />
755
Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />
Abb. 1: CT-Bild eines linksseitigen Nierentumors im<br />
Mittelgeschoss<br />
Abb. 4: Die Niere wird freipräpariert, am unteren<br />
Bildrand ist das Colon descendens, links die Milz und<br />
in <strong>der</strong> Bildmitte die linke Niere sichtbar<br />
Seit November 2007 ist die laparoskopische<br />
Nierenteilresektion etabliert, die seitdem<br />
bei entsprechen<strong>der</strong> Indikation die offenchirurgische<br />
Vorgehensweise ersetzt hat.<br />
Im November 2009 führten wir die 52.<br />
laparoskopische Teilresektion erfolgreich<br />
durch.<br />
Im Vergleich zur offenen Vorgehensweise<br />
ist beim laparoskopischen Verfahren die<br />
Operationswunde wesentlich kleiner. Während<br />
beim konventionellen Vorgehen eine<br />
Schnittlänge von 15 bis 20 cm erfor<strong>der</strong>lich<br />
ist, genügen bei <strong>der</strong> laparoskopischen Operation<br />
drei Zehn-Millimeter-Inzisionen und<br />
ein etwa 3 bis 4 cm großen Bergeschnitt.<br />
Dar<strong>aus</strong> resultiert ein wesentlich geringerer<br />
postoperativer Schmerz mit verkürzter<br />
Rekonvaleszenz. Der Blutverlust ist ebenfalls<br />
deutlich niedriger. In <strong>der</strong> Literatur ist<br />
zudem eine vermin<strong>der</strong>te Immunsuppression<br />
infolge des niedrigeren operativen<br />
756<br />
Abb. 2: Die Lagerung erfolgt in Seitenlagerung auf <strong>der</strong><br />
kontralateralen Seite zur zu operierenden Niere<br />
Abb. 5: Der Nierenhilus ist dargestellt, mit einer<br />
Gefäßklemme wird die Nierenvene freipräpariert,<br />
daneben ist die Nierenarterie sichtbar, am oberen<br />
Bildrand zur Orientierung ist die Niere<br />
Traumas beschrieben. [4,5] Der onkologische<br />
Therapieerfolg ist vergleichbar. Die Operationstechnik<br />
entspricht an <strong>der</strong> Niere dem<br />
offen-chirurgischen Standard. Ein Nachteil<br />
ist die etwas verlängerte Ischämiezeit. Sie<br />
ist bei <strong>der</strong> laparoskopischen Vorgehensweise<br />
etwa zehn Minuten länger als bei<br />
offener Teilresektion und beträgt im Mittel<br />
25 Minuten. [4,5] Aufgrund <strong>der</strong> technisch sehr<br />
anspruchsvollen Operationstechnik ist die<br />
laparoskopische Nierenteilresektion <strong>der</strong>zeit<br />
nur an 15 Zentren weltweit fest etabliert.<br />
Operationstechnik<br />
Bei offen-chirurgischer und laparoskopischer<br />
Nierenteilresektion ist die Vorgehensweise<br />
bis auf den Zugangsweg identisch.<br />
Die Niere wird dargestellt und mobilisiert,<br />
Arterie und Vene werden an Gefäßzügel<br />
angeschlungen und <strong>der</strong> Tumorbefund freipräpariert.<br />
Nach Unterbrechen <strong>der</strong> Blutzu-<br />
Abb. 3: Der Zugang erfolgt durch vier 10-mm-Trokare,<br />
über den Trokar im linken Unterbauch wird das<br />
Enukleat im Bergebeutel geborgen<br />
Abb. 6: Nierenarterie (orange) und Vene (blau) sind<br />
dargestellt und mit Gefäßzügeln angeschlungen<br />
fuhr erfolgt die Tumorenukleation und das<br />
Teilresektat wird in einen Bergebeutel verbracht.<br />
Der Defekt im Nierenparenchym<br />
wird mithilfe einer speziellen Nahttechnik<br />
und hämostyptischen Materials (z. B. Tabotamp)<br />
verschlossen, das Tumorenukleat<br />
zur Schnellschnittuntersuchung eingesandt.<br />
Der Pathologe trifft eine Aussage zu<br />
Dignität und Tumorfreiheit <strong>der</strong> chirurgischen<br />
Resektionsrän<strong>der</strong>. Bei Tumornachweis<br />
im Absetzungsrand muss eine Nachresektion<br />
erfolgen o<strong>der</strong>, ist diese unmöglich,<br />
eine Nephrektomie.<br />
Indikationsstellung<br />
Das nierenerhaltende Vorgehen konventionell<br />
offen chirurgisch o<strong>der</strong> laparoskopisch<br />
ist prinzipiell bei Nierentumoren bis sieben<br />
Zentimetern indiziert. Ein Tumorzapfen in<br />
<strong>der</strong> Vena renalis o<strong>der</strong> cava stellt dagegen<br />
eine Kontraindikation zum Nierenerhalt
Abb. 7: Der Tumorbefund (vergleiche auch CT)<br />
ist dargestellt<br />
Abb. 10: Fortlaufende Naht des Parenchyms mit<br />
Clipsicherung (resorbierbare Clips) unter Blutleere<br />
dar. Pulmonale Vorerkrankungen mit<br />
erheblicher Einschränkung <strong>der</strong> Atemfunktion<br />
und Voroperationen im Oberbauch<br />
sind oft Kontraindikationen zur Laparoskopie.<br />
Zentrale Nierentumoren, die die<br />
Nierenkontur nicht überschreiten, sind aufgrund<br />
<strong>der</strong> mangelhaften Darstellbarkeit<br />
laparoskopisch schwer operabel. Hier ist<br />
die konventionelle Vorgehensweise mit<br />
intraoperativer sonographischer Tumorortung<br />
vorzuziehen.<br />
Im Zeitalter des „fast track“ in <strong>der</strong> postoperativen<br />
Phase erfolgen auch nach Nierenteilresektionen<br />
eine unmittelbare Mobilisierung<br />
<strong>der</strong> Patienten und ein sofortiger<br />
Kostaufbau. Laparoskopisch operierte<br />
Patienten zeigen dabei einen deutlich niedrigeren<br />
Schmerzmittelbedarf und sind<br />
schneller mobilisierbar. Der stationäre<br />
Krankenh<strong>aus</strong>aufenthalt ist bei diesen<br />
Patienten im Durchschnitt um zwei Tage<br />
Abb. 8: In Ischämie (sichtbar am blutleeren<br />
Nierenparenchym) wird <strong>der</strong> Nierentumor (in Bildmitte)<br />
enukleiert<br />
Abb. 11: Die Blutzufuhr ist freigegeben, die Parenchymnaht<br />
suffizient; die Niere ist wie<strong>der</strong> sehr gut durchblutet<br />
(vergleiche Parenchym mit vorangegangenen Bil<strong>der</strong>n)<br />
kürzer. Damit ist die laparoskopische Vorgehensweise<br />
<strong>für</strong> den Patienten bei entsprechen<strong>der</strong><br />
Indikationsstellung <strong>der</strong> konventionellen<br />
Vorgehensweise vorzuziehen. Eine<br />
primäre Nephrektomie ist heute nur noch<br />
bei lokal fortgeschrittenen Tumoren indiziert.<br />
Literatur<br />
[1] Clark PE, Schover LR, Uzzo RG, Hafez KS, Rybicki LA,<br />
Novick AC. Quality of life and psychological adaption after<br />
surgical treatment for localized renal cell carcinoma:<br />
impact of the amount of remaining renal tissue. Urology.<br />
2001; 57: 252.<br />
[2] Lee CT, Katz J, Shi W, Thaler HT, Reuter VE, Russo P.<br />
Surgical management of renal tumors 4 cm or less in a<br />
contemporary cohort. J Urol. 2000; 163: 730.<br />
[3] Leibovich BC, Blute ML, Cheville JC, Lohse CM, Weaver<br />
AL, Zincke H. Nephron sparing surgery for appropriately<br />
selected renal cell carcinoma between 3 and 7 cm results in<br />
outcome similar to radical nephrectomy, J Urol. 2004; 171:<br />
1066-70.<br />
Kontakt<br />
Dr. Holger Böhme<br />
Urologische Abteilung<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>um Barmbek<br />
Rübenkamp 220, 22291 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-82 98 21<br />
Fax (0 40) 18 18-82 98 29<br />
E-Mail: h.boehme@asklepios.com<br />
Urologie<br />
Abb. 9: Verschluss des Defekts im Nierenparenchym:<br />
Hier wird das „Tumorbett“ mit fortlaufen<strong>der</strong> Naht<br />
versorgt<br />
Abb. 12: Statt eines großen Oberbauchquerschnittes<br />
o<strong>der</strong> eines Flankenzugangs bestehen am Ende nur drei<br />
10-mm-Inzisionen und ein 3 cm langer Bergeschnitt<br />
[4] Gill IS, Kavoussi LR, Lane BR, Blute ML, Babineau D,<br />
Colombo JR Jr, et al. Comparison of 1.800 laparoscopic and<br />
open partial nephrectomies for single renal tumors. J Urol.<br />
2007; 178(1): 41-6.<br />
[5] Janetschek, G. Pro and contra. Renal partial resection:<br />
laparoscopy versus percutaneous-ablative kidney tumor<br />
therapy. Pro laparoscopy, Aktuelle Urol. 2007; 38(2): 101-3.<br />
757
Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />
Die „alte“ Wirbelsäule<br />
Marcus Lücke,<br />
Andrzej Zylinski,<br />
Prof. Dr. Jürgen-Volker Wening,<br />
Prof. Dr. Uwe Kehler<br />
Die Wirbelsäule des alternden Menschen entwickelt häufig degenerative Verän<strong>der</strong>ungen, die verschiedene<br />
Schmerzsyndrome und teilweise <strong>aus</strong>geprägte neurologische Ausfälle verursachen können. Die mo<strong>der</strong>ne Wirbelsäulenchirurgie<br />
bietet in zunehmendem Maße Optionen, die Beschwerden effektiv zu verbessern. Sie kann damit<br />
helfen, eine gute Lebensqualität und Selbstständigkeit bis ins hohe Alter zu erhalten.<br />
Der demografischen Entwicklung entsprechend<br />
wird die Wirbelsäulenchirurgie ein<br />
überproportional wachsen<strong>der</strong> Sektor <strong>der</strong><br />
Medizin sein. Vor allem die Verbesserung<br />
<strong>der</strong> Situation des Individuums, aber auch<br />
eine Verringerung <strong>der</strong> Krankheitsfolgekosten,<br />
zum Beispiel durch Verlängerung <strong>der</strong><br />
Pflegeunabhängigkeit und Min<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
konservativen Behandlungskosten, werden<br />
ihre zunehmende sozialpolitische Bedeutung<br />
<strong>aus</strong>machen. Die verschiedenen Krankheitsbil<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Wirbelsäule des alternden<br />
Menschen erfor<strong>der</strong>n gering invasive, den<br />
Körper wenig belastende mikrochirurgische<br />
Therapieansätze, in an<strong>der</strong>en Situationen<br />
aber auch die effektive Instrumentation<br />
<strong>der</strong> Wirbelsäule. Dies erfor<strong>der</strong>t eine enge<br />
Kooperation <strong>der</strong> Fachdisziplinen Unfall -<br />
chirurgie/Orthopädie und <strong>der</strong> Neurochirurgie,<br />
um in <strong>der</strong> jeweiligen individuellen<br />
Situation die Stärken <strong>der</strong> jeweiligen Disziplin<br />
einsetzen zu können. Hier sollen mit<br />
<strong>der</strong> osteoporotischen Fraktur und <strong>der</strong> de -<br />
generativ bedingten zervikalen Myelopathie<br />
zwei Probleme mit wirbelsäulenchirurgischer<br />
Relevanz dargestellt werden.<br />
758<br />
Degenerative Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> HWS (Osteochondrose<br />
mit Retrospondylose, Bandscheibenprotusionen<br />
o<strong>der</strong> -vorfälle, Spondylarthrose, Pseudospondylolisthesis,<br />
segmentale Instabilität)<br />
Konstitutionell enger Spinalkanal und Anomalien<br />
Ligamentäre Verän<strong>der</strong>ungen: Ossifikation des hinteren<br />
Längsbandes (OPLL)<br />
Raumfor<strong>der</strong>ungen:<br />
Intraspinale Tumoren, Abszesse, Blutungen<br />
Trauma<br />
Spaltbildungen im Rückenmark (Syringomyelie) bei<br />
Fehlbildungen, Traumen u. a.<br />
Tab. 1: Ursachen <strong>der</strong> zervikalen Myelopathie<br />
■ lumbale und zervikale Bandscheibenvorfälle<br />
■ osteoporotische Fraktur mit lokalem Schmerzsyndrom<br />
■ degenerativ bedingte Skoliose<br />
■ lumbale Spinalkanalstenose mit <strong>der</strong> Symptomatik<br />
<strong>der</strong> Claudicatio spinalis<br />
■ Pseudospondylolisthesis<br />
■ zervikale Spinalkanalstenose mit Myelo- und<br />
Radikulopathie<br />
Häufige Erkrankungen <strong>der</strong> alternden Wirbelsäule<br />
1. Zervikale Myelopathie<br />
Die zervikale Myelopathie ist mit etwa 50<br />
operativen Behandlungen auf 100.000 Einwohner<br />
angesichts <strong>der</strong> demographischen<br />
Entwicklung eine zunehmend häufig auftretende<br />
Erkrankung, die aufgrund ihres<br />
meist schleichend einsetzenden Charakters<br />
sowohl vom Patienten als auch von den<br />
behandelnden <strong>Ärzte</strong>n anfangs oft verkannt<br />
wird. Damit sinken die Chancen auf eine<br />
effektive Behandlung. [1] Die weit<strong>aus</strong> häufigsten<br />
Ursachen sind degenerativ bedingt<br />
(Tab. 1). Frühzeitige Diagnose und konsequente,<br />
meist operative Behandlungen sind<br />
entscheidend <strong>für</strong> einen langfristig guten<br />
Verlauf. Letztlich kann jegliche Art <strong>der</strong><br />
dauerhaften o<strong>der</strong> bewegungsabhängigen<br />
(bei Instabilität) mechanischen Bedrängung<br />
des zervikalen Rückenmarks eine zervikale<br />
Myelopathie verursachen. Weitere, nichtmechanische<br />
Ursachen (Tab. 1) können<br />
vaskulär, metabolisch, degenerativ o<strong>der</strong><br />
entzündlich sein.
Kribbelparästhesien und Taubheitsgefühl, vorzugsweise<br />
distal in den oberen Extremitäten<br />
Progredientes Schwächegefühl in den oberen<br />
Extremitäten, meist handbetont mit Feinmotorikstörungen<br />
(„Gegenstände fallen <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Hand“)<br />
Progrediente Gangstörung im Sinne einer Ataxie<br />
Progrediente spastische Para- o<strong>der</strong> Tetraparese mit<br />
Pyramidenbahnzeichen und Reflexsteigerung<br />
Vegetative Symptomatik<br />
(Blasen-/Mastdarm-/Potenzstörungen)<br />
Lokale und/o<strong>der</strong> radikuläre Schmerzsyndrome<br />
Klinische Manifestation<br />
Charakteristisch ist <strong>der</strong> meist langsam progrediente<br />
Verlauf <strong>der</strong> Rückenmarkssymptomatik<br />
im Wechsel mit stabilen Phasen.<br />
Häufig assoziiert sind ein unspezifischer<br />
chronischer Nackenschmerz als Ausdruck<br />
einer degenerativen Wirbelsäulenverän<strong>der</strong>ung,<br />
zudem radikuläre Symptome wie<br />
Zervikobrachialgien, radikulär bedingte<br />
Paresen o<strong>der</strong> Sensibilitätsstörungen, da<br />
Nervenwurzeln gleichermaßen komprimiert<br />
werden können (Tab. 2). Die Myelopathie<br />
kann aber auch vollständig schmerzfrei<br />
verlaufen! Bei großen zervikalen Bandscheibenvorfällen,<br />
Traumen, Tumoren o<strong>der</strong><br />
Abszessen kann die Symptomatik akut<br />
o<strong>der</strong> subakut bis hin zum <strong>aus</strong>geprägten<br />
Querschnittsyndrom imponieren.<br />
Diagnostik<br />
Die Diagnose ist vor allem aufgrund <strong>der</strong><br />
klinischen Symptomatik in Kombination<br />
mit dem Nachweis einer Myelonkompression<br />
im bildgebenden Verfahren zu stellen<br />
(Abb. 1a, 2a). Das MRT ist bei Verdacht auf<br />
eine Myelopathie die entscheidende Untersuchung,<br />
oft kann es direkt die Myelonschädigung<br />
nachweisen. Das CT spielt nur<br />
noch eine untergeordnete Rolle, kann aber<br />
in <strong>der</strong> präoperativen Planung zur Darstellung<br />
knöcherner Strukturen dienen (Tab. 3).<br />
Primäre Diagnostik<br />
Anamnese und neurologische Untersuchung<br />
MRT <strong>der</strong> HWS, insbeson<strong>der</strong>e sagittal und axial in<br />
T2-Wichtung<br />
Eventuell ergänzende Diagnostik<br />
Elektrophysiologie: SEP, MEP (Nachweis einer<br />
Myelonschädigung), EMG, NLG (Abgrenzung peripherer<br />
Nervenschäden, u. a. Karpaltunnelsyndrom,<br />
Polyneuropathie)<br />
Röntgenaufnahmen <strong>der</strong> HWS in den Funktions -<br />
stellungen (Nachweis einer Instabilität)<br />
CT <strong>der</strong> HWS mit Myelographie<br />
Therapie<br />
Bei manifester Myelopathie und nachgewiesener<br />
mechanischer Ursache ist meist<br />
die Operation indiziert. Bei <strong>der</strong> am häu -<br />
figs ten degenerativ bedingten Stenose wird<br />
in Abhängigkeit von <strong>der</strong> Lokalisation und<br />
Ausdehnung <strong>der</strong> Stenosierungsursache,<br />
Stabilität und Harmonik <strong>der</strong> HWS-Glie<strong>der</strong>ung<br />
über das operative Verfahren entschieden<br />
(Tab. 4). Meist liegt eine Stenosierung<br />
auf Bandscheibenebene vor, sodass<br />
die ventrale Dekompression mit Cage-<br />
Implantation das häufigste Verfahren ist<br />
(Abb. 1). Die Implantation einer Band -<br />
scheibenprothese als potenziell bewegungserhaltendes<br />
Verfahren spielt bei <strong>der</strong><br />
Myelopathie keine Rolle. Bei langstreckiger<br />
ventraler Kompression ist gegebenenfalls<br />
<strong>der</strong> aufwendigere Wirbelkörpersatz indiziert.<br />
Neuere Hybridimplantate vereinigen<br />
Platten und Cages (Abb. 2).<br />
Dorsale Operationsverfahren werden insbeson<strong>der</strong>e<br />
bei Stenosierungen von überwiegend<br />
dorsal und bei längerstreckigen<br />
Stenosen über zwei bis drei Wirbelkörper<br />
angewendet. Ein Vorteil ist das geringere<br />
Organverletzungsrisiko. Bei <strong>der</strong> einfachen<br />
Laminektomie besteht die Gefahr einer<br />
Restenosierung durch eine sekundäre<br />
kyphotische Fehlstellung. Daher kommt<br />
zunehmend die zusätzliche Stabilisierung<br />
mittels Fixateur interne zum Einsatz.<br />
Ergebnisse<br />
Neurochirurgie/Orthopädie<br />
Operative Verfahren von ventral<br />
Ventrale Spondylodese (Discektomie und Cage-<br />
Implantation), ggf. Verplattung<br />
Wirbelkörperersatz mit Beckenkammspan o<strong>der</strong><br />
Cage, ventrale Verplattung<br />
Bewegungserhaltendes Verfahren<br />
(Bandscheibenprothese)<br />
Operative Verfahren von dorsal<br />
Laminektomie<br />
Laminektomie mit Stabilisierung (Fixateur interne)<br />
Laminoplastie<br />
Tab. 2: Symptome <strong>der</strong> zervikalen Myelopathie Tab. 3: Diagnostik <strong>der</strong> zervikalen Myelopathie Tab. 4: Operative Verfahren <strong>der</strong> zervikalen Myelopathie<br />
Eine zumindest partielle Verbesserung <strong>der</strong><br />
Symptomatik wird postoperativ bei etwa<br />
60 bis 90 Prozent, eine Verschlechterung in<br />
4 bis 15 Prozent <strong>der</strong> operierten Fälle angegeben.<br />
[2,3] Insbeson<strong>der</strong>e Patienten mit relativ<br />
frisch aufgetretener, noch mil<strong>der</strong> Symptomatik<br />
profitieren, sodass die frühzeitige<br />
operative Behandlung angestrebt werden<br />
sollte. Der Langzeiterfolg ist allerdings<br />
noch nicht durch <strong>aus</strong>sagekräftige Studien<br />
belegt. Bei einer fortgeschrittenen Myelopathie<br />
ist keine entscheidende Besserung<br />
zu erwarten, die Verhin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Progredienz<br />
ist schon als Erfolg <strong>der</strong> Dekompression<br />
zu werten.<br />
2. Osteoporotische Wirbelkörperfraktur<br />
In Deutschland wird die Zahl <strong>der</strong> Osteoporosekranken<br />
auf rund sechs Millionen<br />
geschätzt. 2005 war ein Viertel <strong>der</strong> Bürger<br />
in Deutschland über 60 Jahre alt, die mittlere<br />
Lebenserwartung lag bei 82,4 Jahren.<br />
Schwerwiegendste Folge <strong>der</strong> Osteoporose<br />
und Endpunkt <strong>der</strong> Erkrankung ist häufig<br />
eine Fraktur. Wirbelsäulenfrakturen auf <strong>der</strong><br />
Basis einer Osteoporose sind Folgen inadäquater<br />
Traumen. Unabhängig von <strong>der</strong> Therapie<br />
stellt die Wirbelfraktur einen substanziellen<br />
Risikofaktor <strong>für</strong> weitere Brüche<br />
dar. Die Wahrscheinlichkeit, weitere Frakturen<br />
an <strong>der</strong> Wirbelsäule zu erleiden, steigt<br />
auf das Fünffache im Vergleich zu gesunden<br />
Kontrollpersonen. Analysedaten lassen<br />
759
Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />
Abb. 1a: sagittales MRT in T2 mit Spinalkanalstenose<br />
HW 4/5 und 5/6 und Myelonkompression<br />
erkennen, dass etwa die Hälfte dieser<br />
Patienten in den ersten drei Jahren nach<br />
<strong>der</strong> erstmalig diagnostizierten Wirbelfraktur<br />
eine weitere erlebt.<br />
Richtungsweisend sind die Anamnese und<br />
<strong>der</strong> klinische Befund. Das Nativröntgenbild<br />
mit Darstellung des betroffenen Wirbelsäulenabschnitts<br />
in zwei Ebenen erhärtet<br />
den Verdacht, die Aktualität <strong>der</strong> Fraktur<br />
wird aber erst durch das MRT sicher nachvollzogen.<br />
Ein erheblicher Anteil von Wirbelkörperfrakturen<br />
ist auf Nativbil<strong>der</strong>n<br />
ohne Vergleichsaufnahmen nicht als „frisch“<br />
zu erkennen!<br />
Therapeutische Optionen<br />
Grundsätzlich besteht das konzeptionelle<br />
Regime <strong>der</strong> Frakturbehandlung im fortgeschrittenen<br />
Lebensalter unverän<strong>der</strong>t: Die<br />
deutliche Mehrheit <strong>der</strong> osteoporotischen<br />
Frakturen sind Sinterungsfrakturen ohne<br />
Beteiligung <strong>der</strong> Hinterkante und ohne Instabilitätsmerkmale.<br />
Therapeutisch ist eine<br />
angemessene Analgesie mit Bettruhe möglich.<br />
Korsettbehandlungen sind nicht hilfreich<br />
und scheitern oft an <strong>der</strong> Kooperation<br />
des Verletzten und den Betreuungsmöglichkeiten<br />
des Umfeldes. Lange Bettruhe<br />
birgt die Problematik <strong>der</strong> Verschlechterung<br />
des Allgemeinzustandes und <strong>der</strong> Dekubitusentwicklung<br />
trotz intensiver prophylaktischer<br />
Pflegemaßnahmen.<br />
760<br />
Abb. 1b: postoperative Röntgenkontrolle mit den PEEK-<br />
Cages in beiden Segmenten<br />
Der Wunsch nach schneller Schmerzfreiheit<br />
und Mobilität ohne Einschränkung des<br />
Bewegungsradius führte zu operativen<br />
Behandlungskonzepten mit minimalinva -<br />
siven Ansätzen. An <strong>der</strong> Wirbelsäule sind<br />
zwei Verfahren etabliert, die auf dem<br />
Effekt <strong>der</strong> Stabilisierung durch Knochenzement<br />
mit Schmerzreduktion beruhen: die<br />
Vertebroplastie und die Kyphoplastie.<br />
Vertebroplastie/Kyphoplastie<br />
Beide Verfahren lassen sich prinzipiell in<br />
Lokalanästhesie durchführen. Über Stichinzisionen<br />
werden dünne Kanülen transpedikulär<br />
o<strong>der</strong> extrapedikulär in den Wirbelkörper<br />
eingeführt, die korrekte Lage und<br />
auch die Verteilung des Kontrastmittels<br />
werden unter Bildwandler o<strong>der</strong> CT unmittelbar<br />
kontrolliert. Im Allgemeinen sind<br />
2 bis 6 ml Knochenzement erfor<strong>der</strong>lich,<br />
um die im Wirbelkörper vorhandenen<br />
Hohlräume aufzufüllen. Während bei <strong>der</strong><br />
Ver tebroplastie eine Formwie<strong>der</strong>herstellung<br />
nicht möglich ist, wird dies bei <strong>der</strong><br />
Ky pho plastie durch einen beidseitigen<br />
transpedikulären Zugang (Abb. 3 bis 5)<br />
mit aufblasbarem Ballon vor <strong>der</strong> Knochenzementinjektion<br />
erreicht. Als Verband<br />
genügt ein Pflaster, eine unmittelbare Vollbelastung<br />
ist möglich.<br />
Die Komplikationsquote hängt vom Frakturtyp<br />
ab, wobei <strong>der</strong> Austritt von Knochenzement<br />
in die Weichteile nicht a priori zu<br />
einer klinisch relevanten Symptomatik<br />
Abb. 2a: MRT einer langstreckigen schweren Stenosierung<br />
HW 3/4, 4/5 und 5/6 mit Kyphosierung<br />
Abb 3: Kyphoplastie – intraoperative Darstellung <strong>der</strong><br />
beiden Hohlkanülen. Die Menge des Kontrastmittels<br />
und <strong>der</strong> Druck in den Ballons können dabei kontrolliert<br />
werden.<br />
führt. Bei komplexen Frakturen kann das<br />
Kontrastmittel in den Spinalkanal <strong>aus</strong>laufen.<br />
Dringt Zement in den spinalen Venenplexus<br />
ein, ist dies bei kleinen Mengen nicht<br />
mit Beschwerden verbunden. Beschrieben<br />
sind in Einzelfällen Ablagerungen in <strong>der</strong><br />
Vena cava, <strong>der</strong> Lunge sowie im Herzen,<br />
Lungenembolien, paradoxe zerebrale<br />
Embolisationen, Querschnittslähmungen,<br />
Wurzel- und Rückenmarkkompressionen<br />
sowie Spondylitiden.<br />
Folgefrakturen<br />
Osteoporose bringt als systemische Erkrankung<br />
mit sich, dass Wirbelkörperfrakturen<br />
in mehreren Segmenten entstehen. Dieses<br />
Phänomen tritt auch bei konservativ behandelten<br />
Einsegmentfrakturen auf. Wird<br />
ein Wirbelkörper durch Zement von innen<br />
versteift, brechen durch Osteoporose geschwächte,<br />
darüber und darunter liegende
Abb 2b: Z.n. Wirbelkörpersatz HW 5 mit Cage von<br />
ventral und Laminektomie HW 3 und 4<br />
Abb 4: Zementverteilung im Wirbelkörper nach<br />
Kyphoplastie<br />
Wirbel bei axialer Belastung. Dies hat dazu<br />
geführt, dass Wirbelkörper teilweise multisegmental<br />
(prophylaktisch) mit Zement<br />
aufgefüllt werden, um nicht nur die Fraktur<br />
selbst, son<strong>der</strong>n die insgesamt geschwächten<br />
Wirbel in anschließenden Segmenten<br />
zu stabilisieren.<br />
Die inzwischen vorliegenden, langjährigen<br />
Erfahrungen belegen, dass beide Verfahren<br />
Schmerzen reduzieren und eine rasche Mobilisation<br />
ermöglichen. Bei angemessener<br />
Compliance ist eine ambulante Behandlung<br />
möglich. Komplikationen sind gemessen<br />
an <strong>der</strong> Häufigkeit des Eingriffs gering, bei<br />
komplexen Frakturen mit Hinterkantenfraktur<br />
wird Zurückhaltung empfohlen.<br />
Grundsätzlich sollte die Grun<strong>der</strong>krankung<br />
Osteoporose diagnostiziert und mitbehandelt<br />
werden.<br />
a<br />
Abb 5: Kyphoplastie – [a] prä- und [b] postoperative Dokumentation nach Aufrichtung und Stabilisierung einer<br />
BWK 10 Fraktur<br />
Ausblick<br />
Die Kooperation <strong>der</strong> Fachrichtungen Unfallchirurgie/Orthopädie<br />
und Neurochirurgie<br />
mit ihren jeweiligen Kompetenzen<br />
und Schwerpunkten wird wichtiger, um<br />
<strong>der</strong> steigenden Diversität und Entwicklung<br />
<strong>der</strong> technischen Aspekte <strong>der</strong> Wirbelsäulenchirurgie<br />
einerseits und dem zunehmend<br />
wissenschaftlich begründeten ergebnisorientierten<br />
Anspruch an<strong>der</strong>erseits gerecht<br />
zu werden. Durch eine Zentrumsbildung,<br />
wie etwa im Wirbelsäulenzentrum <strong>der</strong><br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona, kann die gesamte<br />
Expertise zum Nutzen <strong>der</strong> Patienten<br />
zusammengeführt werden.<br />
Literatur<br />
[1] Patil PG, Turner DA, Pietrobon R. National trends in<br />
surgical procedures for degenerative cervical spine disease:<br />
1990-2000. Neurosurgery. 2005; 57(4): 753-8.<br />
[2] Edwards CC 2nd, Riew KD, An<strong>der</strong>son PA, Hilibrand<br />
AS, Vaccaro AF. Cervical myelopathy. Current diagnostic<br />
and treatment strategies. Spine J 2003; 3: 68-81.<br />
[3] Wada E, Suzuki S, Kanazawa A, Matsuoka T, Miyamoto<br />
S, Yonenobu K. Subtotal corpectomy versus laminoplasty<br />
for multilevel cervical spondyloticmyelopathy: a long-term<br />
follow-up study over 10 years. Spine. 2001; 26: 1443-7.<br />
[4] Gangi A, Kastler BA, Dietemann JL. Percutaneous vertebroplasty<br />
guided by a combination of CT and fluoroscopy.<br />
AJNR Am J Neuroradiol. 1994; 15(1): 83-6.<br />
[5] Harrop JS, Prpa B, Reinhardt MK, Lieberman IH. Primary<br />
and secondary osteoporosis incidence of subsequent<br />
vertebral compression fracture after kyphoplasty. Spine.<br />
2004; 29(19): 2120-5.<br />
b<br />
Kontakt<br />
Prof. Dr. Uwe Kehler<br />
Marcus Lücke<br />
Abteilung <strong>für</strong> Neurochirurgie<br />
Tel. (0 40) 18 18-81 16 70<br />
Fax (0 40) 18 18-81 49 11<br />
E-Mail: u.kehler@asklepios.com<br />
Prof. Dr. Jürgen-Volker Wening<br />
Andrzej Zylinski<br />
Abteilung <strong>für</strong> Orthopädie/Unfallchirurgie<br />
Tel. (0 40) 18 18-81 16 21<br />
Fax (0 40) 18 18-81 49 09<br />
E-Mail: j.wening@asklepios.com<br />
Wirbelsäulenzentrum<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />
Paul-Ehrlich-Straße 1<br />
22763 Hamburg<br />
Neurochirurgie/Orthopädie<br />
[6] Minne H, Pfeifer M, Begerow B, Pollähne W. Osteoporose.<br />
Orthopäde. 2002; 31: 681-99.<br />
[7] Armsen N, Boszczyk B. Vertebro-/kyphoplasty: History,<br />
development, results. Eur J Trauma. 2005; 31(5): 433-41.<br />
761
Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />
KONTAKT<br />
Prof. Dr. Ulrich Budde<br />
Hämostaseologie<br />
MEDILYS Laborgesellschaft mbH<br />
Paul-Ehrlich-Straße 1<br />
22763 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-81 59 75<br />
Fax (0 40) 18 18-81 49 48<br />
E-Mail: u.budde@asklepios.com<br />
Prof. Dr. Ulrich Budde Dr. Erik Fritzsche<br />
MEDILYS:<br />
Neuer Leiter <strong>für</strong> Hämostaseologie<br />
Prof. Dr. Ulrich Budde leitet seit Januar<br />
den Bereich Hämostaseologie bei MEDI-<br />
LYS. Budde wurde 1944 in Olsberg geboren,<br />
wuchs in Dortmund auf und studierte<br />
Humanmedizin in Bonn. Nach zwei Jahren<br />
Weiterbildung in <strong>der</strong> Anästhesie des Krankenh<strong>aus</strong>es<br />
Düren nahm er 1975 die Weiterbildung<br />
zum Arzt <strong>für</strong> Transfusionsmedizin<br />
im Institut <strong>für</strong> Experimentelle Hämatologie<br />
und Transfusionsmedizin <strong>der</strong> Universität<br />
Bonn unter Prof. Egli auf. 1984 erhielt er<br />
den Johann-Lukas-Schoenlein-Preis und<br />
begann eine langjährige Zusammenarbeit<br />
mit Ted Zimmerman und Zaverio Ruggeri<br />
in <strong>der</strong> Scripps Research Foundation im<br />
kalifornischen La Jolla. 1985 habilitierte<br />
sich Budde mit <strong>der</strong> Arbeit „Das von-Wille -<br />
brand-Syndrom: Diagnose, Klassifikation<br />
und Therapie“. Im gleichen Jahr wechselte<br />
er in das Gerinnungslabor des UK Eppendorf,<br />
1986 wurde er dann Leiter <strong>der</strong> Transfusionsmedizin<br />
und Hämostaseologie des<br />
AK Harburg. 1997 wurde Budde zum Professor<br />
<strong>der</strong> Universität Hamburg berufen.<br />
1997 bis 2009 arbeitete er im nie<strong>der</strong>gelas -<br />
senen Bereich, zuletzt im AescuLabor<br />
Hamburg. Bei MEDILYS wird Budde das<br />
diag nostische Angebot im Bereich <strong>der</strong> Spezialgerinnung<br />
<strong>für</strong> die <strong>Klinik</strong>en wie auch<br />
<strong>für</strong> die ambulanten Kunden erweitern.<br />
Da<strong>für</strong> steht am Standort Altona rund um<br />
die Uhr ein hochspezialisiertes Labor zur<br />
Verfügung. Ein weiterer wichtiger Aspekt<br />
seiner Arbeit ist die Teilnahme an großen<br />
Zulassungsstudien.<br />
762<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Wandsbek:<br />
Neuer Bereich Wirbelsäulenchirurgie<br />
Am 1. Februar 2010 übernahm Dr. Erik<br />
Fritzsche die Leitung des neuen Bereiches<br />
Wirbelsäulenchirurgie unter dem Dach <strong>der</strong><br />
Abteilung <strong>für</strong> Orthopädie und Unfallchirurgie<br />
in <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Wandsbek.<br />
Der bisherige leitende Oberarzt <strong>der</strong> Neurochirurgie<br />
in <strong>der</strong> ENDO-<strong>Klinik</strong> Hamburg<br />
wird hier einen neuen Schwerpunkt <strong>für</strong><br />
Wirbelsäulenchirurgie etablieren. Nach<br />
dem Studium <strong>der</strong> Medizin in Hamburg<br />
begann Fritzsche seine ärztliche Weiterbildung<br />
in <strong>der</strong> Abteilung <strong>für</strong> Neurochirurgie<br />
des AK Altona unter Prof. Halves.<br />
Im Jahr 2000 wechselte er als Assistenzarzt<br />
an die <strong>Klinik</strong> <strong>für</strong> Neurochirurgie des Universitätskrankenh<strong>aus</strong>es<br />
Eppendorf (UKE).<br />
2004 erhielt er die Facharztanerkennung<br />
<strong>für</strong> Neurochirurgie. 2005 wurde er Funktionsoberarzt<br />
<strong>für</strong> Wirbelsäulenchirurgie am<br />
UKE, 2006 erhielt Fritzsche ein Stipendium<br />
<strong>der</strong> AO-Spine/EANS im Orthocenter München/Harlaching<br />
unter <strong>der</strong> Leitung von<br />
Prof. H. M. Mayer. Ende 2006 wechselte er<br />
als Leiten<strong>der</strong> Oberarzt nach Dortmund, wo<br />
er ein interdisziplinäres Wirbelsäulenzentrum<br />
am <strong>Klinik</strong>um Dortmund aufbaute<br />
und etablierte. Private Gründe zogen ihn<br />
Anfang 2009 zurück nach Hamburg, wo er<br />
in <strong>der</strong> ENDO-<strong>Klinik</strong> tätig war.<br />
In <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Wandsbek möchte<br />
Dr. Fritzsche einen neuen Schwerpunkt mit<br />
<strong>der</strong> Wirbelsäulenchirurgie aufbauen und<br />
gemeinsam mit <strong>der</strong> Unfallchirurgie und<br />
Orthopädie den Standort Wandsbek <strong>für</strong><br />
den Bereich Wirbelsäulenerkrankungen<br />
etablieren.<br />
K O N T A K T<br />
Dr. Erik Fritzsche<br />
Leiten<strong>der</strong> Arzt Bereich Wirbelsäulenchirurgie<br />
Abteilung <strong>für</strong> Orthopädie und Unfallchirurgie<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Wandsbek<br />
Alphonsstraße 14<br />
22043 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-83 12 74<br />
Fax (0 40) 18 18-83 16 20<br />
E-Mail: e.fritzsche@asklepios.com<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg:<br />
Neuer Sektionsleiter Angiologie<br />
im Gefäßzentrum<br />
Am 1. Januar 2010 übernahm Dr. Reimund<br />
Prokein als Nachfolger von Dr. Schulenburg<br />
die Leitung <strong>der</strong> Sektion Angiologie<br />
im Gefäßzentrum Hamburg Harburg. Bisher<br />
war er Ärztlicher Leiter des Kerckhoff-<br />
Rehabilitations-Zentrums in Bad Nauheim<br />
und versorgte als KV-ermächtigter Arzt die<br />
gefäßchirurgische Ambulanz <strong>der</strong> HELIOS<br />
William Harvey <strong>Klinik</strong> in Bad Nauheim.<br />
Prokein wurde 1958 in Darmstadt geboren,<br />
studierte von 1976 bis 1982 Humanmedizin<br />
an <strong>der</strong> Justus-Liebig-Universität Gießen<br />
und promovierte dort über das Thema<br />
„Zur Pharmakokinetik des Prednisolon:<br />
Einfluss unterschiedlicher Kostformen auf<br />
die enterale Resorption“ mit <strong>der</strong> Gesamtnote<br />
„sehr gut“. Nach Ableistung seines<br />
Wehrdienstes als Stabsarzt begann Prokein<br />
1984 seine Facharzt<strong>aus</strong>bildung zum Internisten<br />
in den <strong>Klinik</strong>en des Hochtaunuskreises<br />
Bad Homburg, Lehrkrankenh<strong>aus</strong><br />
<strong>der</strong> Universitäten Frankfurt und Gießen.<br />
1990 erhielt er die Anerkennung als Facharzt<br />
<strong>für</strong> Innere Medizin und war von 1992<br />
bis 1995 als Oberarzt und Vertreter des<br />
Chefarztes in einer kardiologischen<br />
Schwerpunkt-Rehaklinik in Bad Nauheim<br />
tätig. 1995 trat er in die William Harvey<br />
<strong>Klinik</strong> ein, wo er zunächst als Oberarzt, ab<br />
2000 als Leiten<strong>der</strong> Arzt auf dem Gebiet <strong>der</strong><br />
Gefäßmedizin arbeitete.<br />
2007 wurde ihm als Ärztlichem Leiter des<br />
Kerckhoff-Rehabilitations-Zentrums die<br />
Aufgabe übertragen, Angiologie und Kardiologie<br />
integrativ in <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong> zusam -
Dr. Reimund Prokein<br />
menzuführen. Die Verbindung zur Akutmedizin<br />
war durch seine Tätigkeit in <strong>der</strong><br />
HELIOS William Harvey <strong>Klinik</strong> weiterhin<br />
gegeben; gleichzeitig war damit auch die<br />
persönliche Anbindung von Gefäßchirurgie<br />
und Rehabilitation <strong>für</strong> die Patienten<br />
gesichert. 1996 hatte Prokein die Schwerpunktbezeichnung<br />
„Angiologie“ sowie die<br />
Zusatzbezeichnung „Rehabilitationswesen“<br />
erworben. Sein beson<strong>der</strong>es Interesse<br />
gilt <strong>der</strong> Notfallmedizin. 1988 hatte er die<br />
Qualifikation <strong>für</strong> den Fachkundenachweis<br />
„Rettungsmedizin“ und 1991 als „Leiten<strong>der</strong><br />
Notarzt“ erworben, 1996 wurde er als<br />
Ehrenbeamter des Wetteraukreises berufen,<br />
1997 gründete er den Verein „Leitende<br />
Notärzte Wetterau e.V.“. Mit seinem Wechsel<br />
in die <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg ist Prokein<br />
wie<strong>der</strong> vollständig in die Akutmedizin<br />
zurückgekehrt und möchte durch seine<br />
Tätigkeit als Angiologe die Interdisziplinarität<br />
des Gefäßzentrums unterstützen und<br />
das Angebot <strong>der</strong> Diagnostik und Therapie<br />
von Arterien- und Venenerkrankungen<br />
auch auf die Lymphgefäße <strong>aus</strong>weiten.<br />
KONTAKT<br />
Dr. Reimund Prokein<br />
Sektion Angiologie, Abt. <strong>für</strong> Gefäßchirurgie<br />
Gefäßcentrum Harburg<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg<br />
Eißendorfer Pferdeweg 52<br />
21075 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-86 33 91<br />
Fax (0 40) 18 18-86 21 48<br />
E-Mail: r.prokein@asklepios.com<br />
Dr. Susanne Tiede<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg:<br />
Neue Sektion <strong>für</strong> Onkologie<br />
Seit dem 1. November 2009 leitet Dr. Su -<br />
sanne Tiede die Sektion Onkologie in <strong>der</strong><br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg. Bis dahin arbeitete<br />
sie in <strong>der</strong> Abteilung <strong>für</strong> Onkologie und<br />
Palliativmedizin <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong><br />
Barmbek. Frau Tiede wurde in Hamburg<br />
geboren und studierte Humanmedizin an<br />
<strong>der</strong> Universität Hamburg. Den chirurgischen<br />
Teil des Praktischen Jahres absolvierte<br />
sie an <strong>der</strong> Charing Cross and Westminster<br />
Medical School, University of London.<br />
Ihr AiP absolvierte sie in <strong>der</strong> 2. Medizinischen<br />
Ab teilung und <strong>der</strong> Pathologie des<br />
AK Wandsbek sowie im Kreiskrankenh<strong>aus</strong><br />
Brunsbüttel (Abteilung <strong>für</strong> Innere Medizin<br />
und Lungenerkrankungen).<br />
1993 kam Dr. Tiede nach Hamburg zurück<br />
und setzte ihre Ausbildung in <strong>der</strong> 2. Medizinischen<br />
Abteilung des AK Barmbek bei<br />
Prof. Schwedes fort (Schwerpunkt Diabetes<br />
und Endokrinologie). 1995 wechselte sie in<br />
die Abteilung <strong>für</strong> Onkologie und Palliativmedizin<br />
zu Dr. Müllerleile, 1998 erhielt sie<br />
die Facharztanerkennung <strong>für</strong> Innere Medizin.<br />
Von 1998 bis 2001 vertiefte sie ihre<br />
hämatologischen und onkologischen<br />
Kenntnisse in Freiburg/Breisgau bei Prof.<br />
Unger. Dort war sie schwerpunktmäßig in<br />
<strong>der</strong> Clinical Trial Unit tätig und zudem<br />
maßgeblich am Aufbau einer ambulanten<br />
Beratungseinrichtung <strong>für</strong> Tumorpatienten<br />
zum Einholen systematisch erarbeiteter<br />
Zweitmeinungen beteiligt („Second Opinion“).<br />
Im Juni 2000 schloss Susanne Tiede<br />
in Freiburg ihre Weiterbildung mit <strong>der</strong><br />
KONTAKT<br />
Dr. Susanne Tiede<br />
Sektionsleitung Onkologie<br />
2. Medizinische Abteilung<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg<br />
Eißendorfer Pferdeweg 52<br />
21075 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-86 33 25<br />
Fax (0 40) 18 18-86 30 78<br />
E-Mail: s.tiede@asklepios.com<br />
Personalia<br />
Schwerpunktbezeichnung Hämatologie<br />
und Internistische Onkologie ab. 2001<br />
kehrte sie nach Barmbek zurück und arbeitete<br />
hier im Bereich <strong>der</strong> onkologischen<br />
Ambulanz, im Konsildienst sowie in den<br />
Organzentren und war auch prägend an<br />
<strong>der</strong> Weiterentwicklung <strong>der</strong> Palliativstation<br />
beteiligt. In <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg<br />
möchte Frau Dr. Tiede nun den Sektionsbereich<br />
Onkologie aufbauen. Ihr eindeutiger<br />
Schwerpunkt liegt dabei in <strong>der</strong> interdisziplinären<br />
Zusammenarbeit mit allen an<strong>der</strong>en<br />
Abteilungen <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong>, um die Versorgung<br />
von Patienten mit hämatologischen<br />
Erkrankungen und soliden Tumoren qualitativ<br />
und quantitativ weiter zu verbessern<br />
und zu intensivieren. In diesem Rahmen<br />
ist sie unter an<strong>der</strong>em im Brustzentrum<br />
Sü<strong>der</strong>elbe aktiv und an <strong>der</strong> Gründung<br />
eines interdisziplinären onkologischen<br />
Darmzentrums beteiligt. Ein weiterer<br />
Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in <strong>der</strong> palliativmedizinischen<br />
Versorgung von Tumorpatienten.<br />
Die Gründung einer interdisziplinären<br />
Palliativstation in <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong><br />
<strong>Klinik</strong> Harburg gehört ebenfalls zu ihren<br />
geplanten Projekten.<br />
763
Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />
Neuere Untersuchungen legen einen<br />
Zusammenhang zwischen vitreoretinalen<br />
Traktionen im Bereich <strong>der</strong> Makula und <strong>der</strong><br />
Entstehung einer feuchten AMD nahe. [1,2,3]<br />
Es wird vermutet, dass diese Traktion einen<br />
chronischen Reiz auf den Pigmentepithel-<br />
Bruchsche Membran-Photorezeptorkomplex<br />
<strong>aus</strong>übt. Hierdurch könnten Durchtrittstellen<br />
<strong>für</strong> choroidale Neovaskularisationsmembranen<br />
(CNV) entstehen. Ebenso<br />
können dadurch bedingte chronische Entzündungsprozesse<br />
in diesem Bereich <strong>für</strong><br />
die Entstehung o<strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> feuchten<br />
AMD verantwortlich sein. Zu dieser<br />
Fragestellung hat die Augenklinik <strong>der</strong><br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord eine von <strong>der</strong> Ethikkommission<br />
Hamburg genehmigte Studie<br />
begonnen.<br />
Bei einer großen Zahl von Patienten nach<br />
pars plana Vitrektomie (PPV) bei macular<br />
pucker o<strong>der</strong> Makulaforamen soll die Inzidenz<br />
<strong>der</strong> feuchten AMD untersucht werden.<br />
Da im Rahmen <strong>der</strong> PPV sämtliche vitreo -<br />
retinalen Traktionen operativ entfernt worden<br />
sind, ist eine geringere Inzidenz <strong>der</strong><br />
feuchten AMD in <strong>der</strong> operierten Gruppe<br />
zu erwarten als bei den Partneraugen <strong>der</strong><br />
Patienten o<strong>der</strong> nicht operierten Patienten.<br />
764<br />
Da es sich bei <strong>der</strong> AMD um eine chronische<br />
Erkrankung handelt, wird ein minimaler<br />
Zeitabstand <strong>der</strong> PPV zur Nachuntersuchung<br />
von fünf Jahren festgelegt. Es<br />
handelt sich nicht um eine Interventionsstudie.<br />
Ausschlusskriterien sind nach <strong>der</strong><br />
Vitrektomie aufgetretene visusrelevante<br />
retinale Gefäßverschlüsse, Netzhautab -<br />
lösungen o<strong>der</strong> Trübungen <strong>der</strong> optischen<br />
Medien (Katarakt, Hornhaut), die eine<br />
Beurteilung <strong>der</strong> Makula nicht zulassen.<br />
Es entstehen keine Kosten <strong>für</strong> die Krankenkassen<br />
o<strong>der</strong> Patienten. Die Patienten erhalten<br />
eine Fahrkostenp<strong>aus</strong>chale je nach Entfernung<br />
zum Wohnort. Um statistisch<br />
<strong>aus</strong>sagekräftige Ergebnisse zu erzielen, sollen<br />
320 Patienten nachuntersucht werden.<br />
Nach schriftlicher Einladung <strong>der</strong> Patienten<br />
und Benachrichtigung <strong>der</strong> behandelnden<br />
Augenärzte vereinbaren wir mit den<br />
Augenheilkunde<br />
Vitreoretinale Traktion bei feuchter<br />
altersabhängiger Makuladegeneration<br />
(AMD)<br />
Dr. Annette Hager, Bettina Otte, Prof. Dr. Dr. Wolfgang Wiegand<br />
OCT-Bild eines Patienten mit vitreoretinaler Traktion<br />
(Pfeil) und feuchter AMD (subretinale Flüssigkeit und<br />
intraretinales Ödem)<br />
Amsler-Gitter mit Angabe von Metamorphopsien<br />
(wellige Linien), die typischerweise bei Patienten mit<br />
feuchter AMD, aber auch macular pucker (retinale<br />
Faltenbildung durch epiretinale Gliose) auftreten<br />
Pa tienten einen Termin zur Nachunter -<br />
suchung. Nach <strong>der</strong> Anamnese, insbeson<strong>der</strong>e<br />
in Bezug auf die Risikofaktoren <strong>der</strong><br />
feuchten AMD (Nikotinabusus, Familienanamnese<br />
etc.), folgt eine klinische Unter -<br />
suchung. Neben Visus, Amsler-Gitter und<br />
Fundusuntersuchung wird im OCT die<br />
vitreoretinale Grenzfläche dargestellt. Bei<br />
klinischem Verdacht auf eine feuchte AMD<br />
wird zusätzlich eine Fluoreszenzangio -<br />
graphie durchgeführt.<br />
Wir danken allen mitbehandelnden Ärztinnen<br />
und <strong>Ärzte</strong>n <strong>für</strong> die Unterstützung bei<br />
dieser Untersuchung.<br />
Literatur<br />
[1] Krebs I, Brannath W, Glittenberg C, Zeiler F, Sebag J,<br />
Bin<strong>der</strong> S. Posterior vitreomacular adhesion: a potential risk<br />
factor for exudative age-related macular degeneration?<br />
Am J Ophthalmol. 2007; 144: 741-6.<br />
[2] Mojana F, Cheng L, Bartsch DG, Silva GA, Kozak I,<br />
Nigam N, Freeman WR. The role of abnormal vitreomacular<br />
adhesion in age-related macular degeneration: spectral<br />
optical coherence tomography and surgical results. Am J<br />
Ophthalmol 2008; 146: 218-27.<br />
[3] Lee SJ, Lee CS, Koh HJ. Posterior vitreomacular adhesion<br />
and risk of exudative age-related macular degeneration:<br />
paired eye study. Am J Ophthalmol. 2009; 147(4):<br />
621-6.<br />
Kontakt<br />
Dr. Annette Hager, Bettina Otte<br />
Augenabteilung<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord – Heidberg<br />
Tangstedter Landstraße 400<br />
22417 Hamburg<br />
Telefonische Terminabsprache <strong>für</strong><br />
Untersuchungstermine im Rahmen <strong>der</strong> Studie:<br />
Silke Wichmann<br />
Tel. (0 40) 18 18-87 90 24<br />
E-Mail: s.wichmann@asklepios.com
S3-Leitlinie Prophylaxe venöser<br />
Thromboembolien<br />
Dr. H. El Abd-Müller<br />
Die Leitlinie umfasst alle Fachgebiete, in<br />
denen VTE-Prophylaxe eine Rolle spielt,<br />
aber nicht die Akuttherapie von Krankheitsbil<strong>der</strong>n,<br />
bei denen eine Thrombosierung<br />
o<strong>der</strong> Embolisierung bereits eingetreten<br />
ist, Fragen des therapeutischen Einsatzes<br />
von Antikoagulanzien o<strong>der</strong> Bereiche, in<br />
denen an<strong>der</strong>e Formen <strong>der</strong> Antikoagulation<br />
o<strong>der</strong> Lyse im Vor<strong>der</strong>grund stehen, die<br />
Bridging-Antikoagulation und die neuen<br />
oralen Antikoagulanzien.<br />
Bei den Empfehlungen wird zwischen drei<br />
Empfehlungsgraden (Tab. 1) unterschieden.<br />
Sie berücksichtigen neben <strong>der</strong> Güte<br />
<strong>der</strong> zugrunde liegenden Evidenz auch die<br />
Direktheit/externe Validität und Homo -<br />
genität <strong>der</strong> Gesamtevidenz, die Nutzen-<br />
Risiko-Abwägung, die klinische Relevanz<br />
<strong>der</strong> Effektivitätsmaße <strong>der</strong> Studien, die<br />
Umsetzbarkeit in <strong>der</strong> Versorgungsrealität<br />
sowie ethische Verpflichtungen.<br />
Warum ist eine generelle VTE-Prophylaxe<br />
notwendig?<br />
■ Häufigkeit tiefer Venenthrombosen in<br />
früheren placebo-kontrollierten Studien<br />
■ Kein Test <strong>für</strong> die individuelle Risikobestimmung<br />
verfügbar<br />
■ 80 Prozent <strong>der</strong> tödlichen Lungenembolien<br />
ohne klinische Thrombosezeichen<br />
■ Aber: individuelle Indikationsstellung<br />
unter Abwägung von Wirksamkeit und<br />
Blutungsgefahr (Nutzen-Risiko-Abwägung)<br />
(Tab. 2)<br />
Risikofaktoren<br />
Labormedizin<br />
Medizinische Fachgesellschaften und Organisationen haben gemeinsam die frühere S3-Leitlinie zur Prophylaxe<br />
venöser Thromboembolien (VTE) bearbeitet und aktualisiert. Im Folgenden finden Sie eine Zusammenstellung <strong>der</strong><br />
wichtigsten Abschnitte und Empfehlungen, die <strong>für</strong> verschiedene Bereiche von Bedeutung sind. Die Leitlinie basiert<br />
auf Literaturrecherchen, Prüfungen, Bewertungen und dem Abgleich mit internationalen Leitlinien.<br />
Studienqualität Evidenzstärke Empfehlung Beschreibung Symbol<br />
Systematische Übersichtsarbeit (Metaanalyse) o<strong>der</strong><br />
RCT (Therapie) o<strong>der</strong> Kohortenstudie (Risikofaktoren,<br />
Diagnostik) von hoher Qualität<br />
RCT o<strong>der</strong> Kohortenstudie von eingeschränkter<br />
Qualität<br />
RCT o<strong>der</strong> Kohortenstudie von schlechter Qualität,<br />
alle an<strong>der</strong>en Studiendesigns, Expertenmeinung<br />
Tab. 1: Graduierung <strong>der</strong> Evidenz- und Empfehlungsstärke<br />
hoch „soll“<br />
Starke Empfehlung<br />
mäßig „sollte“ Empfehlung �<br />
schwach „kann“<br />
Empfehlung<br />
offen<br />
��<br />
→<br />
Das individuelle Risiko <strong>für</strong> die Entwicklung<br />
einer venösen Thromboembolie setzt<br />
sich <strong>aus</strong> expositionellen und dispositionellen<br />
Risikofaktoren zusammen:<br />
■ Das expositionelle Risiko ist durch Art<br />
und Umfang eines operativen Eingriffs<br />
o<strong>der</strong> Traumas bzw. einer akuten<br />
Erkrankung bzw. mit Immobilisation<br />
charakterisiert.<br />
■ Das dispositionelle Risiko umfasst<br />
angeborene und erworbene personenbezogene<br />
Faktoren.<br />
Beide Aspekte sollen bei <strong>der</strong> Einschätzung<br />
des individuellen VTE-Risikos berücksichtigt<br />
werden. ↑↑<br />
765
Medtropole | Ausgabe 20 | Januar 2010<br />
Major-Kriterien<br />
Apoplex<br />
Akuter Herzinfarkt<br />
Akutes Versagen des Atemtrakts<br />
Akute Herzinsuffizienz<br />
Akute Erkrankung + Thrombose in <strong>der</strong> Anamnese<br />
Akute Erkrankung + Hyperkoagulopathie<br />
Minor-Kriterien<br />
Sepsis<br />
Tumorleiden / Myeloproliferative Erkrankung<br />
Entzündliche Erkrankung<br />
Nephrotisches Syndrom<br />
Hormonbehandlung (Kontrazeption, Substitution)<br />
Dehydratation<br />
Zusatzkriterien<br />
Alter über 60 Jahre<br />
Bettruhe<br />
Adipositas<br />
Chronisch venöse Insuffizienz<br />
Chopard et al. J IM 2005<br />
Prophylaxe indiziert bei:<br />
1 Major-Kriterium<br />
2 Minor-Kriterien<br />
1 Minor-Kriterium + 1 Zusatzkriterium<br />
Tab. 2: Indikationen <strong>für</strong> eine Thromboseprophylaxe in<br />
<strong>der</strong> Inneren Medizin<br />
Einteilung in Risikogruppen<br />
■ Zur Einschätzung des VTE-Risikos auf<br />
<strong>der</strong> Basis von expositionellen und dispositionellen<br />
Risikofaktoren sollte eine<br />
Einteilung in drei Risikogruppen<br />
(gering, mittel, hoch) erfolgen. ↑<br />
■ Art und Umfang <strong>der</strong> VTE-Prophylaxe<br />
sollen sich nach <strong>der</strong> Einteilung<br />
■ in diese Risikogruppen<br />
■ und nach Kontraindikationen richten<br />
(Tab. 3).<br />
Vor Beginn einer medikamentösen VTE-<br />
Prophylaxe ist die Aufklärung <strong>der</strong> Patienten<br />
über Nutzen und Risiken von Anti -<br />
koagulanzien eine klare rechtliche Vorgabe.<br />
766<br />
Geringes VTE-Risiko<br />
Mittleres VTE-Risiko<br />
Hohes VTE-Risiko<br />
Aufklärung des Patienten über die<br />
VTE-Prophylaxe<br />
Operative Medizin Nicht-operative Medizin<br />
kleine operative Eingriffe<br />
Tab. 3: Beispielhafte Risikokategorien<br />
Verletzung ohne o<strong>der</strong> mit geringem<br />
Weichteilschaden<br />
kein zusätzliches bzw. nur geringes dispositionelles<br />
Risiko, sonst Einstufung in<br />
höhere Risikokategorie<br />
■ Die getroffene Risikoabschätzung einer<br />
VTE und die sich dar<strong>aus</strong> ergebenden<br />
Maßnahmen <strong>der</strong> VTE-Prophylaxe müssen<br />
bezüglich Nutzen, Risiko und<br />
Alternativen mit dem Patienten im<br />
Rahmen eines Aufklärungsgespräches<br />
besprochen werden. ��↑<br />
■ Das Aufklärungsgespräch kann formlos<br />
geführt werden. Es sollte in seinen<br />
wesentlichen Inhalten aber ebenso wie<br />
die etwaige Verweigerung des Patienteneinverständnisses<br />
und/o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
ärztliche Verzicht auf eine VTE-Prophylaxe<br />
schriftlich dokumentiert werden.<br />
Infektion o<strong>der</strong> akut-entzündliche<br />
Erkrankung ohne Bettlägerigkeit<br />
zentralvenöse Katheter/Portkatheter<br />
kein zusätzliches bzw. nur geringes<br />
dispositionelles Risiko, sonst Einstufung<br />
in höhere Risikokategorie<br />
länger dauernde Operationen akute Herzinsuffizienz (NYHA III/IV)<br />
gelenkübergreifende Immobilisation <strong>der</strong><br />
unteren Extremität im Hartverband<br />
arthroskopisch assistierte Gelenkchirurgie<br />
an <strong>der</strong> unteren Extremität<br />
kein zusätzliches bzw. nur geringes dispositionelles<br />
Risiko, sonst Einstufung in<br />
höhere Risikokategorie<br />
größere Eingriffe in Bauch- und Beckenregion<br />
bei malignen Tumoren o<strong>der</strong> entzündlichen<br />
Erkrankungen<br />
Polytrauma, schwerere Verletzungen<br />
Wirbelsäule, Becken und/o<strong>der</strong> untere<br />
Extremität<br />
größere Eingriffe an Wirbelsäule, Becken,<br />
Hüft- o<strong>der</strong> Kniegelenk<br />
größere operative Eingriffe in Körperhöhlen<br />
<strong>der</strong> Brust-, Bauch- und/o<strong>der</strong> Beckenregion<br />
akut dekomp., schwere COPD ohne<br />
Beatmung<br />
stationär behandlungsbedürftige maligne<br />
Erkrankung<br />
kein zusätzliches bzw. nur geringes dispositionelles<br />
Risiko, sonst Einstufung in<br />
höhere Risikokategorie<br />
Schlaganfall mit Beinparese<br />
akut dekompensierte, schwere COPD mit<br />
Beatmung<br />
Sepsis<br />
schwer erkrankte Patienten mit intensivmedizinischer<br />
Behandlung<br />
Aus forensischen Gründen ist es ferner<br />
wichtig, das Aufklärungsgespräch schriftlich<br />
zu dokumentieren. Eine praktische<br />
Erleichterung bieten schriftliche Aufklärungsbögen,<br />
auch wenn sie das Arzt-Patient-<br />
Gespräch nicht ersetzen können. [1,2,3,4]<br />
Beispiel-Entwürfe <strong>für</strong> solche Aufklärungsbögen<br />
stellt die Autorin auf Anfor<strong>der</strong>ung gern zur<br />
Verfügung.<br />
Ein separates rechtliches Problem ist <strong>der</strong><br />
Einsatz nicht zugelassener Medikamente in<br />
<strong>der</strong> VTE-Prophylaxe. Nach dem Arzneimittelgesetz<br />
sind Medikamente nur <strong>für</strong> be -<br />
stimmte Indikationen zugelassen. Fehlt<br />
diese Zulassung, darf <strong>der</strong> Arzt im Rahmen<br />
seiner ärztlichen Therapiefreiheit das<br />
Medikament dennoch auf eigene Verantwortung<br />
einsetzen, sofern er dies medizinisch<br />
rechtfertigen kann. Außerdem muss<br />
er den Patienten über den Off-Label-Use<br />
informieren (Abb. 1 und 2).
■ Zur medikamentösen VTE-Prophylaxe stehen<br />
Heparine, Fondaparinux und an<strong>der</strong>e Antikoagulanzien<br />
zur Verfügung.<br />
■ Unter Abwägung von Effektivität, Blutungs- und<br />
HIT II-Risiko soll NMH gegenüber UFH bevorzugt<br />
eingesetzt werden. ��<br />
■ In einer Reihe von Indikationen kann ebenso<br />
Fondaparinux eingesetzt werden.<br />
■ Kontraindikationen und fachspezifische<br />
Beson<strong>der</strong>heiten sollen berücksichtigt werden. ��<br />
■ An<strong>der</strong>e Antikoagulanzien sind wirksam, aber nur<br />
bei bestimmten Indikationen sinnvoll bzw. zugelassen.<br />
■ ASS sollte zur VTE-Prophylaxe nicht eingesetzt<br />
werden. �<br />
■ Die Dauer <strong>der</strong> Prophylaxe soll sich am Fortbestehen<br />
relevanter Risikofaktoren <strong>für</strong> venöse<br />
Thromboembolien orientieren. ��<br />
■ Ist die Fortführung <strong>der</strong> Prophylaxe notwendig,<br />
soll <strong>der</strong> weiterbehandelnde Arzt darüber informiert<br />
werden. ��<br />
Abb. 1: Arzneimittel zur medikamentösen<br />
VTE-Prophylaxe<br />
Wo finde ich welche Leitlinie?<br />
Alle Leitlinien <strong>der</strong> AWMF-Mitgliedsgesellschaften:<br />
http://www.leitlinien.net<br />
Langfassung <strong>der</strong> Leitlinie<br />
„Prophylaxe <strong>der</strong> venösen Thromboembolie<br />
(VTE)“: www.leitlinien.net/003-001.pdf<br />
Kontakt<br />
Dr. med. Hala El Abd-Müller<br />
Labormedizin<br />
■ Die VTE-Prophylaxe soll in <strong>der</strong> ambulanten Medizin nach den gleichen Kriterien erfolgen wie die<br />
Prophylaxe im Krankenh<strong>aus</strong>. ��<br />
■ Wird ein Patient <strong>aus</strong> dem Krankenh<strong>aus</strong> in die ambulante Versorgung entlassen, ist zu entscheiden,<br />
ob eine im Krankenh<strong>aus</strong> begonnene Prophylaxe fortgesetzt werden muss. Dabei sollte auf den<br />
Empfehlungen des Krankenh<strong>aus</strong>es basierend gehandelt werden. �<br />
■ Die Zeitdauer <strong>der</strong> Prophylaxe soll sich am Fortbestehen relevanter Risikofaktoren <strong>für</strong> venöse<br />
Thromboembolien orientieren. ��<br />
■ Bei einem weiter deutlich erhöhten VTE-Risiko und insbeson<strong>der</strong>e in folgenden Situationen soll<br />
eine medikamentöse Prophylaxe länger fortgeführt werden: ��<br />
− orthopädische/unfallchirurgische Eingriffe am Hüftgelenk (28 – 35 Tage postoperativ)<br />
− orthopädische/unfallchirurgische Eingriffe am Kniegelenk (11 – 14 Tage postoperativ)<br />
− tumorbedingte Operationen im Bauch- o<strong>der</strong> Beckenbereich (4 – 5 Wochen postoperativ)<br />
■ Immobilität ohne akute Erkrankung ist keine Indikation <strong>für</strong> eine über allgemeine Basismaßnahmen<br />
(Bewegungsübungen, adäquate Hydrierung) hin<strong>aus</strong>gehende Thromboembolieprophylaxe.<br />
■ Auch Langstreckenreisen sind per se keine Indikation.<br />
■ Bei Vorliegen zusätzlicher, dispositioneller Risikofaktoren kann eine <strong>der</strong> Risikoeinschätzung<br />
entsprechende VTE-Prophylaxe erfolgen. →<br />
■ Beim Einsatz von Heparinen, insbeson<strong>der</strong>e UFH – deutlich weniger bei NMH, ist zu bedenken,<br />
dass das Risiko von HIT II ab dem 5. Tag <strong>der</strong> Therapie bis zum 14. Tag am größten ist. ��<br />
Abb. 2: Beson<strong>der</strong>heiten <strong>der</strong> VTE-Prophylaxe in <strong>der</strong> ambulanten Medizin<br />
Literatur<br />
[1] Hinz P, Lubenow N, Ekkernkamp A, Greinacher A.<br />
Aufklärung über die Heparin-induzierte Thrombozytopenie<br />
im Rahmen <strong>der</strong> Thromboseprophylaxe mit Heparin.<br />
Pilot-Studie bei 460 unfallchirurgischen Patienten. Dtsch<br />
Med Wochenschr 2003; 128: 2184-8.<br />
[2] Andreas M, Debong B. Thromboseprophylaxe bei<br />
Gehgips: Aufklärung über Risiken und Behandlungs -<br />
alternativen. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21.11.1995<br />
- VI ZR 329/94. Chirurg BDC 1997; 36: 53-4.<br />
[3] Lubenow N, Hinz P, Ekkernkamp A, Greinacher A.<br />
Should patients be informed about the risk of<br />
Heparin-induced thrombocytopenia before prolonged lowmolecular-weight<br />
heparin thromboprophylaxis post-trauma/orthopedic<br />
surgery? Eur J Haematol 2007; 79: 187-90.<br />
[4] Ulsenheimer K. Arztstrafrecht in <strong>der</strong> Praxis (3. Auflage).<br />
Heidelberg: C. F. Müller Verlag; 2003.<br />
Kompetenzfeldsprecherin Spezialgerinnung<br />
MEDILYS Laborgesellschaft mbH<br />
c/o <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />
Paul-Ehrlich-Straße 1<br />
22763 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-81 86 72<br />
Fax (0 40) 18 18-81 49 37<br />
E-Mail: h.elabd@asklepios.com<br />
www.medilys.de<br />
767
ISSN 1863-8341<br />
Geschichte <strong>der</strong> Medizin<br />
„Spanische“ Grippe –<br />
die Mutter aller Pandemien<br />
Jens Oliver Bonnet<br />
Ihren Namen „Spanische“ Grippe erhielt<br />
sie nur, weil vor allem die spanische Presse<br />
über die Pandemie berichtete, während<br />
die Zeitungen <strong>der</strong> meisten an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong><br />
während des Krieges unter Zensur standen:<br />
Mit 500 Millionen Infizierten und 20<br />
bis 40 Millionen Todesopfern kos tete die<br />
Grippepandemie von 1918 bis 1920<br />
wesentlich mehr Menschenleben als <strong>der</strong><br />
Erste Weltkrieg. [1]<br />
Erstmals schil<strong>der</strong>te Hippokrates 412 v. Chr.<br />
den Ausbruch einer Epidemie mit den<br />
Symptomen einer Influenza. Der Name<br />
„Influenza“ entstammt <strong>der</strong> bis ins Mittelalter<br />
herrschenden Theorie, alle Krankheiten<br />
seien durch die Planeten beeinflusst (coeli<br />
influencia = Einfluss <strong>der</strong> Gestirne). Im<br />
18. Jahrhun<strong>der</strong>t erkannte man, dass Grippe<br />
vor allem im Winter auftritt, und sprach<br />
fortan vom Einfluss <strong>der</strong> Kälte (influenza<br />
di freddo). Grippeepidemien traten in den<br />
meisten Län<strong>der</strong>n und Jahren auf, wenn die<br />
Viren durch Mutation <strong>der</strong> Oberflächenantigene<br />
eine neue Chance zur Verbreitung er -<br />
hielten. In Intervallen von 10 bis 50 Jahren<br />
kam es zu globalen, durch neue Influenza-<br />
Subtypen verursachten Pandemien. So verbreitete<br />
sich 1580 eine Pandemie innerhalb<br />
von sechs Monaten von Asien über Afrika<br />
nach Europa und schließlich nach Amerika.<br />
Allein in Rom for<strong>der</strong>te sie mehr als<br />
8.000 Todesopfer. 1729 brach in Russland<br />
eine Pandemie <strong>aus</strong>, die weltweit drei Jahre<br />
lang in mehreren Wellen zahlreiche Menschenleben<br />
kostete. Weitere Pandemien traten<br />
1781/82, 1830 bis 1833 und 1898 bis<br />
1900 auf. [1]<br />
Doch keine Pandemie verlief jemals so verheerend<br />
wie die Spanische Grippe 1918 bis<br />
1920. Ihr Ursprung wird zwar in China<br />
vermutet, doch nahezu zeitgleich mit den<br />
ersten chinesischen Meldungen kam es im<br />
März 1918 in Detroit, South Carolina und<br />
im Gefängnis von San Quentin zu Krank-<br />
www.medtropole.de<br />
Dezember 1918: Polizisten in Seattle, <strong>aus</strong>gestattet mit<br />
Masken des American Red Cross<br />
heits<strong>aus</strong>brüchen. Soldaten <strong>der</strong> American<br />
Expeditionary Force (AEF) brachten die<br />
Grippe im April 1918 über den Hafen von<br />
Bordeaux nach Europa. Von hier <strong>aus</strong> verbreitete<br />
sie sich nach Italien, Spanien und<br />
Deutschland, begann, den Kriegsverlauf zu<br />
beeinflussen. Mit britischen Soldaten gelangte<br />
sie nach Russland, wo sie sehr schnell<br />
um sich griff. Die Infektion erreichte Afrika,<br />
die indischen Metropolen Bombay und<br />
Kalkutta, schließlich erneut China, Neuseeland<br />
und die Philippinen. Zunächst schien<br />
die Erkrankung trotz vieler Infektionen<br />
eher mild zu verlaufen und nicht gefährlicher<br />
zu sein als frühere Grippewellen.<br />
Nach einigen Wochen nahmen die Infektionen<br />
überall stark ab, die Bedrohung schien<br />
vorüber. Doch dann, im August 1918, brach<br />
die Influenza auf einem Boot <strong>aus</strong>, das von<br />
England nach Freetown in Sierra Leone<br />
unterwegs war. Nach <strong>der</strong> Landung wurde<br />
die erkrankte Crew in ein Krankenh<strong>aus</strong><br />
gebracht. In rascher Folge erkrankten<br />
Hafenarbeiter und schließlich zahlreiche<br />
Einwohner von Freetown. Schnell wurde<br />
klar, dass die Krankheit nun ungleich heftiger<br />
und tödlicher verlief. Im französischen<br />
Brest, einem <strong>der</strong> wichtigsten Versorgungshäfen<br />
während des Krieges, nahm eine<br />
zweite, gefährlichere Epidemie ihren Ausgang,<br />
die sich per Schiff über Boston in die<br />
USA verbreitete. [2] Im Januar 1919 schließlich<br />
erreichte die Pandemie Australien.<br />
Experten schätzen, dass etwa die Hälfte<br />
<strong>der</strong> damaligen Weltbevölkerung infiziert<br />
Notfalllazarett während <strong>der</strong> Pandemie 1918 im<br />
US-Army-Ausbildungslager Camp Funston, Kansas<br />
war, rund ein Viertel litt an klinischen<br />
Symptomen. Einzigartig war auch, dass<br />
die Todesopfer dieser Pandemie vor allem<br />
unter 20- bis 40-Jährigen auftraten. Doch<br />
die Auswirkungen <strong>der</strong> weltweiten Infektion<br />
blieben nicht auf die Jahre 1918 bis<br />
1920 begrenzt. Denn alle seither aufgetretenen<br />
Pandemien (1957/58, 1968/69) und –<br />
mit Ausnahme <strong>der</strong> Vogelgrippeviren H5N1<br />
und H7N7 – alle Grippefälle weltweit wurden<br />
von Abkömmlingen des damaligen<br />
Virenstammes verursacht. Neben mutierten<br />
H1N1-Viren entstanden in <strong>der</strong> Folge<br />
auch H2N2- und H3N2-Viren, die neben<br />
Schlüsselgenen des 1918-Virus auch Vogelgrippegene<br />
enthalten. Bevorzugt mutieren<br />
verschiedene Virustypen im Schwein zu<br />
einem neuen Erreger. So ist die 2009 aufgetretene<br />
Neue Influenza eine Reassortante,<br />
die neben Bestandteilen des 1918-Virus<br />
Grippegensegmente eurasischer Schweine<br />
enthält. [3] Wie sich dieses Virus weiter verän<strong>der</strong>t<br />
und ob – wie bei <strong>der</strong> Spanischen<br />
Grippe – eine zweite, eventuell gefährlichere<br />
Welle auftreten wird, wird die<br />
Zukunft zeigen.<br />
Literatur<br />
[1] Potter CW. A history of Influenza. J Appl Microbiol.<br />
2001; 91(4): 572-9.<br />
[2] Glezen WP. Emerging infections: pandemic influenza.<br />
Epidemiology Year Reviews. 1996; 18: 65-76.<br />
[3] Morens DM, Taubenberger JK, Fauci AS. The persistent<br />
legacy of the 1918 influenza virus. N Engl J Med. 2009;<br />
361(3): 225-9.