Viii-1 1..208 - Dr. Valeria Silvestri, Università La Sapienza, Roma
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Perspektiven für eine europäische Wissensgesellschaft<br />
Jahren ein deutlicher Schub zur verstärkten Verständigung auf Englisch<br />
zu beobachten. Größere Widerstände dagegen kommen vor allem aus<br />
osteuropäischen und frankophonen Ländern und kleineren Fächern,<br />
wo Deutsch und Französisch angestammte Wissenschaftssprachen<br />
sind und diese Stellung auch heute noch international behaupten<br />
(wie in Theologie, Musikwissenschaft, Altertumswissenschaft, Germanistik<br />
etc.). Aus dieser Vielsprachigkeit resultieren sowohl Chancen<br />
als auch Schwierigkeiten. So übt die Vielsprachigkeit in diesen Fächergruppen<br />
einen heilsamen und erkenntnisfördernden Zwang aus, indem<br />
sie die Übersetzung zentraler Konzepte und Begriffe erfordert.<br />
Dies ist ein Gegengift gegen die Verdinglichung und Essentialisierung<br />
von Begriffen und der ihnen abgelagerten historischen Semantik, die<br />
von Sprache zu Sprache verschieden ist. Andererseits können die besonderen<br />
Schwierigkeiten, die sich bei der Kommunikation von Geisteswissenschaftlern<br />
unterschiedlicher Sprachen und Kulturen ergeben,<br />
nicht übersehen werden. Besonders die Älteren unter ihnen sind<br />
– anders als die Naturwissenschaftler – häufig im Englischen ungeübt,<br />
weil sie gewohnt waren, ihre Forschungen in der Muttersprache zu formulieren.<br />
Bei Vorträgen sehen sie sich unweigerlich vor das Dilemma<br />
gestellt, entweder mit der eigenen Muttersprache (etwa Deutsch oder<br />
Französisch) nicht alle Kollegen zu erreichen oder ein Englisch zu sprechen,<br />
das an sprachlicher Differenziertheit gegenüber dem muttersprachlichen<br />
Niveau zurücksteht.<br />
2. Mit der Vielsprachigkeit verbunden ist eine Diversität unterschiedlicher<br />
Wissenschaftskulturen und nationaler Schultraditionen.<br />
Diese sind nach wie vor stark ausgeprägt, viel stärker als in den Naturwissenschaften,<br />
auch wenn es einen wachsenden Einfluss der US-amerikanischen<br />
Geisteswissenschaften bzw. Cultural Studies gibt, die einen<br />
gewissen Konformitätsdruck ausüben. Unterschiede der Schulen mit<br />
ihrem je eigenen Stil, Argumentationsweise und Referenz auf zentrale<br />
Begriffe und Theorien können die Kommunikation wesentlich erschweren.<br />
Französischen Anthropologen, die von Claude Lévy-Strauss,<br />
und Soziologen, die von Pierre Bourdieu geprägt sind, haben Mühe,<br />
sich gegenüber amerikanischen Anthropologen und Sozialwissen-<br />
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