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134 Rechtsprechung recht 1990 Heft 4<br />
1. örtliche Zuständigkeit,<br />
2. sachliche Zuständigkeit,<br />
3. Vertretung durch Konsumentenberater,<br />
4. Verfahrensmaximen (Mündlichkeitsprinzip<br />
und Untersuchungsmaxime),<br />
5. Kostenrisiko.<br />
Ein Bericht über 26 kantonale Prozessordnungen<br />
ist hier nicht möglich. Man kann aber<br />
als Gesamturteil festhalten, dass die Dinge im<br />
allgemeinen alles andere als befriedigend<br />
sind. Und daran scheitert ein Konsumentenschutz<br />
durch Zivilrecht denn auch in vielen Fällen<br />
in der Praxis.<br />
V. Ausblick<br />
Die Verwirklichung des einheitlichen europäischen<br />
Marktes ab 1993 wird auf das Konsumentenschutzrecht<br />
der Schweiz nicht ohne<br />
Folgen bleiben können. Sei es durch Zugehö-<br />
Rechtsprechung<br />
Professor Dr. Wolfgang Wiegand, Bern<br />
Zur Haftung für Dienstleistungen<br />
Urteilsanmerkung Zivilrecht<br />
BGE 7 75ll62ff.<br />
I. Sachverhalt<br />
«Die I. AG war von 1969 bis 1978 Kontrollstelle der<br />
Herbert R. AG. ... (R.) verkaufte 1978 sein Unternehmen<br />
und übergab den grössten Teil des Erlöses,<br />
rund 3,1 Millionen, der I. AG mit dem mündlichen<br />
Auftrag, das Geld für ihn anzulegen und zu<br />
verwalten. Als Verwaltungshonorar wurde ein Anteil<br />
von 25% des erzielten Gewinnes verabredet. R.<br />
bevollmächtigte die Treuhandfirma .... ihn gegenüber<br />
zwei Banken mit unbeschränkten Befugnissen<br />
zu vertreten.<br />
Die I. AG, welche das Geld auf dem Wertschriftenmarkt<br />
anlegte, erstellte halbjährliche Abschlüsse,<br />
denen R. aber wenig Beachtung schenkte. Im<br />
Mai 1978 bzw. im September 1979 wies er die<br />
Banken zudem an, ihm keine Konto- und Depotauszüge<br />
mehr zuzustellen. Er bemerkte deshalb<br />
erst Ende August 1981 ... dass die I. AG in grossem<br />
Ausmass Lombardkredite aufgenommen<br />
hatte. Als eine der Banken im Oktober 1981 wegen<br />
Kursverlusten auf den verpfändeten Wertpapieren<br />
rigkeit zum europäischen Wirtschaftsraum<br />
(EWR), sei es durch Beitritt zur Europäischen<br />
Gemeinschaft (EG): Für einen «Sonderfall<br />
Schweiz» wird im Europa der Zukunft immer<br />
weniger Raum bleiben. Fragen des Konsumentenschutzes<br />
werden zunehmend von der<br />
Ebene des nationalen Rechts auf die Ebene<br />
des Europarechts verlagert. Konsumentenschutzrecht<br />
wird daher dann auf dem Niveau<br />
eines Mindeststandards nicht mehr Sache des<br />
nationalen Gesetzgebers sein. Damitzeigtsich<br />
für den Konsumentenschützer in der Schweiz<br />
ein Hoffnungsschimmer am Firmament: Es<br />
wird in naher Zukunft keine «helvetische Verspätung»<br />
mehr geduldet werden. Niemand<br />
wird allerdings glauben, dass dies einen Stimmungswechsel<br />
in der Rechtskultur dieses Landes<br />
zugunsten des Verbraucherschutzes wird<br />
bewirken können. Ein internationalerTrendsetter<br />
wird die Schweiz auf diesem Gebiet wohl<br />
nie werden.<br />
zusätzliche Sicherheiten verlangte, widerrief R. anfangs<br />
November die Bankvollmachten. Er erteilte<br />
in der Folge den Banken trotz Abmahnung der<br />
Treuhandfirma den Auftrag, die risikoreichsten Posten<br />
aus den Wertschriftendepots zu verkaufen.<br />
Für die daraus resultierenden Verluste machte er<br />
die I AG ... verantwortlich.» 1<br />
Das Bezirksgericht Lenzburg hat die Klage des<br />
R. gutgeheissen und die I. AG zu einem Schadenersatz<br />
von rund Fr.685000- nebst Zinsen verurteilt.<br />
Das Obergericht des Kantons Aargau hat das Urteil<br />
bestätigt. Das Bundesgericht hat die Berufung<br />
der Beklagten abgewiesen.<br />
II. Erwägungen des Bundesgerichts<br />
1. Den Ausgangspunkt bildet die Feststellung der<br />
Vorinstanz, «dass die massgebenden Fragen der<br />
Weisungsgebundenheit, der Sorgfaltspflicht der<br />
Beklagten und ihre Haftung für getreue und sorgfältige<br />
Geschäftsführung» unabhängig von der genauen<br />
Qualifizierung des Vertragsverhältnisses<br />
nach Auftragsrecht zu beurteilen sei. Um eine allfällige<br />
Verletzung dieser Pflichten prüfen zu können,<br />
hatte das Bundesgericht den Vertrag auszulegen.<br />
In den Erwägungen wird nur das Ergebnis<br />
mitgeteilt: «Auslegung des Vertrages nach dem<br />
Vertrauensgrundsatz: Die Beklagte musste den<br />
Auftrag zur Vermögensanlage unter den Umständen,<br />
wie sie von der Vorinstanz für das Bundesge-<br />
'S 62
echt 1990 Heft 4 Rechtsprechung 135<br />
rieht verbindlich festgestellt sind, so verstehen,<br />
dass für den Kläger nicht die Vermögensvermehrung,<br />
sondern die Vermögenserhaltung im Vordergrund<br />
stehe.» 2<br />
Ausgehend von diesen Prämissen wendet sich<br />
das Bundesgericht der prozessentscheidenden<br />
Frage zu.<br />
«Gemäss Art. 398 Abs. 2 OR haftet der Beauftragte<br />
dem Auftraggeber für getreue und sorgfältige<br />
Ausführung des ihm übertragenen Geschäftes.<br />
Das Obergericht bejaht die Haftung der Beklagten<br />
wegen einer Verletzung dieser Sorgfaltsund<br />
Treuepflicht. Anstatt übereinstimmend mit<br />
dem primären Interesse des Klägers auf Vermögenserhaltung<br />
das Geld vorsichtig anzulegen,<br />
habe die Beklagte ab 1980 eine spekulative, auf<br />
Kursgewinn ausgerichtete Anlagepolitik betrieben.<br />
Sie habe den Kläger über die Risiken der spekulativen<br />
Geldanlage nicht oder zumindest nur ungenügend<br />
aufgeklärt. ... Den Nachweis, dass sie kein<br />
Verschulden treffe, habe die Beklagte nicht erbracht.»<br />
2. Nach dieser, im wesentlichen die Auffassung<br />
des Obergerichts resümierenden Grundlegung<br />
konkretisiert und vertieft das Bundesgericht dessen<br />
Begründung. In einem ersten Schritt umschreibt<br />
es die Pflichten des Beauftragten in generell-abstrakter<br />
Form:<br />
«Der Beauftragte hat grundsätzlich nicht für den<br />
Erfolg seiner Tätigkeit einzustehen. Haftungsbegründend<br />
ist vielmehr eine unsorgfältige oder<br />
treuwidrige und den Auftraggeber schädigende<br />
Ausführung des Auftrages. Das Mass der Sorgfalt<br />
bestimmt sich nach objektiven Kriterien.<br />
Erforderlich ist die Sorgfalt, welche ein gewissenhafter<br />
Beauftragter in der gleichen Lage bei der<br />
Besorgung der ihm übertragenen Geschäfte anzuwenden<br />
pflegt (Tercier, La partie speciale du Code<br />
des obligations, Rz.2974). Höhere Anforderungen<br />
sind an den Beauftragten zu stellen, der seine Tätigkeit<br />
berufsmässig, gegen Entgelt ausübt (Hofstetter.<br />
SPR, Bd.VII/2, 97 f.; Gautschi, N.24d zu<br />
Art.398 OR; Daniel Guggenheim. Les contrats de<br />
la pratique bancaire suisse, 2 Aufl., 93). Dabei ist<br />
nach der Art des Auftrages zu differenzieren und<br />
auch den besonderen Umständen des Einzelfalles<br />
Rechnung zu tragen (Oser/Schönenberger, N.2 zu<br />
Art.398 OR). Bestehen für eine Berufsart oder ein<br />
bestimmtes Gewerbe allgemein befolgte Verhaltensregeln<br />
und Usanzen, können sie bei der Bestimmung<br />
des Sorgfaltsmasses herangezogen<br />
werden (Tercier, a.a.O., Rz. 2979; Guggenheim,<br />
a.a.O. 93; BGE 705II 318).<br />
Aus der Treuepflicht des Beauftragten ergibt<br />
sich, dass er bei der Ausführung des Auftrages die<br />
Interessen des Auftraggebers umfassend zu wahren<br />
und deshalb alles zu unterlassen hat, was diesem<br />
Schaden zufügen könnte (Gautschi, N.5a zu<br />
Art.398 OR; Bucher, Obligationenrecht, Bes Teil,<br />
3.Aufl., 230; Tercier, a.a 0., Rz.2988). Ausfluss der<br />
Treuepflicht ist insbesondere, dass der Beauftragte<br />
den Auftraggeber beraten und informieren muss.<br />
Mit regelmässiger Beratung hat er dem Auftragge-<br />
2 Erwägung 2 (in der amtlichen Sammlung wird nur der zitierte<br />
Text als Resume wiedergegeben; Hervorhebung nicht<br />
im Original).<br />
ber bei der Wahl der geeigneten Massnahmen behilflich<br />
zu sein. Erhält er Anweisungen, welche den<br />
Interessen des Auftraggebers zuwiderlaufen, hat<br />
er abzuraten (Tercier, a.a.O., Rz.2991). Gegenstand<br />
der Informationspflicht bildet alles, was für<br />
den Auftraggeber von Bedeutung ist. Der Beauftragte<br />
hat als Fachmann dem Auftraggeber auch<br />
unaufgefordert über die Zweckmässigkeit des Auftrages<br />
und der Weisungen, die Kosten und Gefahren<br />
sowie die Erfolgschancen Auskunft zu geben<br />
(Hofstetter, a.a.O., 90; Tercier. a.a.O.. Rz 2990).» 3<br />
3. In einem zweiten Schritt prüft das Bundesgericht<br />
dann, inwieweit das Verhalten des Beklagten<br />
diesen Massstäben entsprach, und gelangt zu folgenden<br />
Ergebnissen: «Nach den Feststellungen<br />
der Expertin, die von den Vorinstanzen übernommen<br />
worden und daher für das Bundesgericht verbindlich<br />
sind, hat sie (die Beklagte) das Geld des<br />
Klägers indessen nur in den Jahren 1978 und 1979<br />
im üblichen Rahmen und mit den üblichen Risiken<br />
angelegt und verwaltet. In den Jahren 1980 und<br />
1981 betrieb die Beklagte dagegen eine spekulative,<br />
auf Kursgewinn ausgerichtete Anlagepolitik<br />
und ging dabei Risiken ein, die nach der Expertin<br />
ausserhalb jedes vertretbaren Rahmens lagen ...<br />
(wird näher ausgeführt) ... Aus diesen Umständen<br />
ergibt sich eindeutig, dass die Beklagte durch<br />
übermässige Spekulationen und Kreditaufnahmen<br />
Risiken eingegangen ist, die ein berufsmässiger,<br />
gewissenhafter Vermögensverwalter in der gleichen<br />
Lage vermieden hätte. Damit hat sie ihre<br />
Sorgfaltspflicht verletzt» i<br />
4. Auch die Verletzung der Aufklärungs- und<br />
Treuepflicht wird vom Bundesgericht bejaht: «Die<br />
Beklagte bestreitet auch, den Kläger nicht oder nur<br />
ungenügend über die Gefahren der spekulativen<br />
Geldanlage aufgeklärt zu haben. Nach ihrer Auffassung<br />
war der Kläger aufgrund der Abschlüsse<br />
und Bilanzen ohne weiteres in der Lage, die entsprechenden<br />
Schlüsse zu ziehen und ihr allenfalls<br />
neue Weisungen zu erteilen.<br />
Nach den Feststellungen des Bezirksgerichts,<br />
auf die im angefochtenen Urteil verwiesen wird,<br />
hat die Beklagte die Abschlüsse nicht in einer<br />
Weise erstellt, die es dem in Bankgeschäften unerfahrenen<br />
Kläger ermöglichte, sich ohne grossen<br />
Aufwand ein objektives Bild vom Stand und der<br />
Zusammensetzung des Anlagevermögens zu machen.<br />
Der Grund dafür war vor allem, dass die Bewertung<br />
der Titel nicht nach den Börsen- oder<br />
Marktkursen erfolgte, wie dies gemäss Gutachten<br />
üblich ist, sondern die sogenannten Buchwerte,<br />
d.h. die Anschaffungswerte angegeben wurden. ...<br />
Die Beklagte wendet schliesslich ein, ihr Verhalten<br />
sei nicht kausal für den Eintritt des Schadens,<br />
denn der Kläger habe die Abschlüsse und Bilanzen<br />
zum Teil gar nicht beachtet. Wie bereits dargelegt,<br />
ergibt sich indes aus der Beratungs- und Informationspflicht<br />
des Beauftragten, dass er dem Auftraggeber<br />
regelmässig und auch unaufgefordert<br />
über die Ausführung des Auftrages Auskunft zu<br />
3 E 3a S 64/65.<br />
4 E 3c S.65-66, Hervorhebung nicht im Original
136 Rechtsprechung recht 1990 Heft 4<br />
geben hat. Dies gilt nicht nur für bereits vorgenommene,<br />
sondern auch für zukünftige Massnahmen,<br />
und insbesondere dann, wenn der Beauftragte<br />
beabsichtigt, sein Vorgehen grundsätzlich<br />
zu ändern. Die Beklagte hätte deshalb im Zeitpunkt,<br />
als sie die Anlagepolitik spekulativer und<br />
damit risikoreicher gestalten wollte, den Kläger<br />
von sich aus darüber informieren, ihn auf die Gefahren<br />
und Erfolgsaussichten aufmerksam machen<br />
und seine ausdrückliche Einwilligung einholen<br />
müssen Zudem hätte sie ihn gegebenenfalls dazu<br />
auffordern sollen, ihr konkrete Weisungen zu erteilen.<br />
Das hat sie alles nicht getan und damit gegen<br />
ihre Treuepflicht Verstössen.» 5<br />
III. Bemerkungen<br />
1. Zur Bedeutung des Urteils<br />
Der Entscheid des Bundesgerichts verdient im<br />
Ergebnis wie in der Begründung Zustimmung.<br />
Wenn er dennoch Anlass zu Bemerkungen<br />
gibt, so aus folgenden Gründen: Das Urteil fügt<br />
sich in eine Reihe von Entscheidungen ein, mit<br />
denen das Bundesgericht schrittweise eine<br />
Haftungsausweitung und Haftungsverschärfung<br />
vorgenommen hat. Diese Entwicklung,<br />
auf die bereits in früheren Urteilsbesprechungen<br />
verschiedentlich hingewiesen wurde 6 , ist<br />
nicht auf die Schweiz beschränkt, sondern Teil<br />
einer weltweiten Erscheinung, die auf vielfältigen<br />
Ursachen beruht. Diese sind vorwiegend<br />
sozio-ökonomischer Natur und haben zu einer<br />
internationalen Diskussion 7 überdie Ursachen<br />
und die Konsequenzen dieser Entwicklung geführt,<br />
bei der die rechtspolitische Problematik<br />
im Vordergrund steht Diese ist jedoch eng verbunden<br />
mit der Veränderung dogmatischer<br />
Strukturen des Privatrechts, die zum Teil durch<br />
eben diese Entwicklungen ausgelöst wurden,<br />
andererseits aber auch das Instrumentarium<br />
bilden, mit denen die Haftungsverschärfungen<br />
und Ausdehnungen verwirklicht werden. Das<br />
hier zu besprechende Urteil betrifft primär die<br />
dogmatische Komponente, auf die zunächst<br />
einzugehen ist Es ist jedoch schon jetzt darauf<br />
hinzuweisen, dass zwischen den rechtsdogmatischen<br />
und den rechtspolitischen Aspekten<br />
eine Interdependenz besteht, auf die zurückzukommen<br />
sein wird.<br />
5 E 3d S 66-67. Hervorhebung nicht im Original<br />
•Zum Beispiel Wiegand/Koller-Tumler recht 1968 104<br />
144<br />
' Exemplarisch der Beitrag von Gauch/Sweet. Deliktshaftung<br />
für reinen Vermögensschaden in Festschrift Keller. Zürich<br />
1969 117ff<br />
2. Die Pflichten des Beauftragten<br />
Im Zentrum des Urteils steht die oben 8 wiedergegebene<br />
Umschreibung der Sorgfalts- und<br />
Treuepflicht des Beauftragten. Das Gericht bemüht<br />
sich darum, die vom Gesetzgeber in<br />
Art.398 OR verwendeten Begriffe zu konkretisieren<br />
und zu präzisieren, wobei es weitgehend<br />
auf in der Literatur entwickelte Vorstellungen<br />
zurückgreifen kann. Dies führt zu einer<br />
Auffächerung, die zugleich aber eine Haftungserweiterung<br />
und -Verschärfung bedeutet.<br />
Dabei handelt es sich um eine Erscheinung,<br />
die keineswegs auf das Auftragsrecht<br />
beschränkt ist; sie weist vielmehr eine starke<br />
Parallelität zur Entwicklung im Bereich der Nebenpflichten<br />
auf. die in zunehmendem Masse<br />
Inhalt und Charakter der Schuldverhältnisse<br />
prägen. Diese Parallelität beruht nicht auf Zufall,<br />
sondern darauf, dass es sich bei den Sorgfalts-<br />
und Treuepflichten des Beauftragten um<br />
nichts anderes als um «institutionalisierte» 9<br />
Nebenpflichten handelt.<br />
Nur wenn das Urteil in diesem Zusammenhang<br />
gesehen wird, kann seine über den Einzelfall<br />
hinausreichende Bedeutung sichtbar<br />
gemacht werden. Dies erfordert zunächst einen<br />
Exkurs, der sich mit der Entwicklung und<br />
der heutigen Funktion der Nebenpflichten befasst.<br />
3. Exkurs: Die Nebenpflichten<br />
a) Auf den ersten Blick erscheint der Begriff der<br />
Nebenpflichten leicht verständlich, denn er bildet<br />
den Korrespondenzbegriff zu den Hauptpflichten<br />
und Messe sich deshalb am einfachsten<br />
dahingehend umschreiben, dass es sich<br />
um all diejenigen Pflichten handelt, die nicht<br />
als Hauptpflichten bezeichnet werden können.<br />
Mit einer solchen negativen Abgrenzung ist indessen<br />
nicht viel gewonnen. In der Sache geht<br />
es vielmehr darum, die Nebenpflichten inhaltlich<br />
zu erfassen und ihren Standort im Schuldrechtssystem<br />
zu bestimmen.<br />
Hierzu sind zahllose Vorschläge und Denkmodelle<br />
entwickelt worden, seitdem sich die<br />
Auffassung durchgesetzt hat, dass das Schuldverhältnis<br />
als ein Organismus zu begreifen<br />
sei 10 , der aus einem Gefüge wechselseitiger<br />
•E3a<br />
• Dazu unten S 138<br />
10 Grundlegend sind verschiedene Arbeiten von Heinrich<br />
Siber, besonders prägnant seine Zusammenfassung in<br />
Plancks Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch II. 1. Vorbemerkung<br />
I 1 (4 Aufl). Berlin 1914
echt 1990 Heft 4 Rechtsprechung 137<br />
Verpflichtungen (und Rechte) unterschiedlicher<br />
Intensität besteht und sich von der Begründung<br />
bis zur Beendigung des Schuldverhältnisses<br />
fortlaufend verändert 11 . Für die hier<br />
darzulegenden Probleme folge ich der von Kramer<br />
vorgeschlagenen Qualifizierung und Einteilung<br />
der Nebenpflichten 12 , die in der<br />
Schweiz in zunehmendem Masse Zustimmung<br />
findet und die ich sachlich für die einzig<br />
brauchbare halte. Er unterscheidet zwischen<br />
Leistungspflichten und (unselbständigen) Nebenpflichten<br />
und unterteilt die Leistungspflichten<br />
in Haupt- und Nebenleistungspflichten,<br />
von denen er die Nebenpflichten folgendermassen<br />
abgrenzt: «Die Leistungspflichten -<br />
seien es Haupt- oder Nebenleistungspflichten<br />
- zeichnen sich von den vertraglichen (oder<br />
vertragsähnlichen) Nebenpflichten dadurch<br />
aus, dass sie mit Hilfe von Erfüllungsansprüchen,<br />
also mit Hilfe von Leistungs- und Unterlassungsklagen<br />
(selbständig) verfolgt werden<br />
können, während bei Nichtbeachtung von<br />
blossen Nebenpflichten lediglich Schadenersatzansprüche<br />
zustehen. Der Unterschied zwischen<br />
Leistungspflichten und Nebenpflichten<br />
liegt daher... allein bei der Klagbarkeit.» 13<br />
Diese Einteilung ermöglicht es, eine Reihe<br />
von Erscheinungen zu erklären, deren Verständnis<br />
sonst schwerfällt. Eine Aufklärungspflicht<br />
kann zum Beispiel eine Leistungspflicht<br />
sein, sie kann aber auch eine Nebenpflicht im<br />
beschriebenen Sinne darstellen.<br />
Beispiel: Hat der Lieferant einer Maschine es<br />
versäumt, eine entsprechende Gebrauchsanleitung<br />
mitzuliefern, so hat der Käufer einen klagbaren<br />
Anspruch auf Lieferung entsprechender Unterlagen<br />
oder Instruktion durch eine geeignete Person.<br />
Hier handelt es sich eindeutig um eine Leistungspflicht.<br />
Hat der Verkäufer eines Gegenstandes den<br />
Käufer über die Gefährlichkeit nicht informiert, so<br />
handelt es sich um einen Verstoss gegen eine Nebenpflicht<br />
Dieser hat (sofern die Voraussetzungen<br />
der Wandlung nicht vorliegen) einen Schadenersatzanspruch<br />
wegen Verletzung der Aufklärungspflicht<br />
zur Folge, der je nach Sachlage auf culpa in<br />
" Dies erlaubt eine Abstufung der verschiedenen Arten von<br />
Pflichten bis hin zur Obliegenheit<br />
'• Berner Kommentar. VI/1/1 (1966). Einl N 89ff. dort auch<br />
Nachweise zu anderen Einteilungen und zur deutschen Literatur,<br />
auf der die schweizerische Doktrin basiert<br />
"A.a.O.. N 91 Man kann die unselbständigen Nebenpflichten<br />
auch als Verhaltenspflichten bezeichnen und dadurch<br />
zum Ausdruck bnngen dass der Schuldner hier keine<br />
erzwingbare Leistung schuldet, wohl aber ein bestimmtes<br />
Verhalten, bei dessen Nichtbeachtung Schadenersatzfolgen<br />
ausgelost werden Dazu Wiegend. Die Leistungsstörungen<br />
recht 1964 18f<br />
contrahendo oder positive Vertragsverletzung ge<br />
stützt werden kann.<br />
Vor allem die zweite Variante dieses Beispiels<br />
macht sichtbar, welche Bedeutung die<br />
Nebenpflichten im heutigen Schuldrechtssystem<br />
gewonnen haben Mit Hilfe dieser Pflichten<br />
ist es möglich, Risikozuweisungen und Risikoverlagerungen<br />
vorzunehmen, bestimmte<br />
Rechtsgüter und Vermögensinteressen des<br />
Gläubigers zu schützen oder ihnen den Schutz<br />
zu versagen Verneint man im gegebenen Beispiel<br />
die Aufklärungspflicht des Verkäufers<br />
über die Gefährlichkeit seiner Ware, so hat der<br />
Käufer den Schaden, der an seinem Eigentum<br />
oder im Rahmen seines Produktionsbetriebes<br />
entsteht, selbst zu tragen Nimmt man dagegen<br />
eine solche Aufklärungspflicht an, so werden<br />
die Vermögensinteressen des Käufers sowie<br />
seine Rechtsgüter (Eigentum, körperliche<br />
Unversehrtheit) vertraglich geschützt, und das<br />
Risiko der Schadenstragung wird auf den Verkäufer<br />
verlagert.<br />
b) Um diese Risikoverlagerung zu bewirken,<br />
genügt es natürlich nicht, das entsprechende<br />
Verhalten dogmatisch als Nebenpflicht zu begründen,<br />
vielmehr muss eine entsprechende<br />
Sanktion hinzutreten. Diese kann, wie im Beispiel<br />
schon angedeutet, durch die Haftung aus<br />
culpa in contrahendo oder wegen positiver<br />
Vertragsverletzung realisiert werden Zwischen<br />
der Entwicklung dieser beiden Rechtsinstitute<br />
und der Entwicklung der Nebenpflichten<br />
besteht deshalb eine Wechselwirkung Die<br />
Möglichkeit der Sanktion durch die culpa in<br />
contrahendo und die positive Vertragsverletzung<br />
hat einen gewissen Anreiz geschaffen,<br />
immer neue Nebenpflichten zu kreieren und<br />
deren Verletzung mit Schadenersatzfolgen zu<br />
belegen und dadurch die oben dargelegte Risikoverlagerung<br />
herbeizuführen Aus der beschriebenen<br />
Funktion der Nebenpflichten ergibt<br />
sich ohne weiteres, dass sie auch dazu benutzt<br />
werden können, um Ungleichgewichtslagen<br />
zwischen den Vertragspartnern auszugleichen.<br />
Ein solcher Einsatz der Nebenpflichten<br />
im Sinne einer sozialen Kompensation ist z B<br />
im gesamten Konsumentenschutzbereich zu<br />
beobachten' 3 ".<br />
Die hier thesenartig skizzierten Entwicklungen<br />
sind als solche bekannt 14 , werden aber<br />
nicht immer mit der notwendigen Klarheit ge<br />
,M Exemplarisch dazu ZR 1990 Nr 27<br />
'* Vgl die Ansätze bei Gauch/Sweet |Fn 7) Weber Schutz<br />
pflichten - ein Sozialstaatsgedanke' in Festschnft Giger<br />
Bern 1969. 735ff
138 Rechtsprechung recht 1990 Heft 4<br />
sehen. Sie lassen sich in der schweizerischen<br />
Rechtsprechung durch zahlreiche Beispiele<br />
belegen, von denen die Annahme der Pistensicherungspflicht<br />
des Skiliftunternehmens als<br />
vertragliche Nebenpflicht aus Beförderungsvertrag<br />
nur das signifikanteste darstellt 15 .<br />
c) Als Ergebnis ist festzuhalten: Die Nebenpflichten<br />
sind entstanden im Zuge der Verfeinerung<br />
der Schuldrechtsdogmatik, die das<br />
Schuldverhältnis als einen sich entwickelnden<br />
Organismus begreift. Im Rahmen dieses Organismus<br />
werden die Nebenpflichten zur Risikoverteilung<br />
und zur Kompensation von Ungleichgewichtslagen<br />
eingesetzt. Das entsprechende<br />
dogmatische Instrumentarium, mit<br />
dem diese Ziele verwirklichtwerden, bilden die<br />
culpa in contrahendo und die positive Vertragsverletzung.<br />
Diese Funktion der Nebenpflichten<br />
wird schliesslich ganz besonders<br />
deutlich durch die Formulierungen, mit denen<br />
deren Begründung in der Literatur beschrieben<br />
wird. Sie sind, so Kramet 6 , «aus ausdrücklicher<br />
Vereinbarung, aus Vertragsergänzung<br />
oder einfach objektiv aus Artikel 2ZGB abzuleiten».<br />
Gerade diese Wendung führt zurück zu<br />
dem hierzu besprechenden Entscheid.<br />
4. Die Haftungserweiterung bei Dienstleistungen<br />
Das Bundesgericht hat in BGE 77511 62ff., wie<br />
oben bereits dargelegt 17 , die Sorgfalts- und<br />
Treuepflicht des Beauftragten konkretisiert. Es<br />
hat damit nichts anderes getan als das, was in<br />
der eben zitierten Formel von Kramer umschrieben<br />
wird. Der einzige Unterschied besteht<br />
darin, dass auf den Rückgriff auf Art.2<br />
ZGB weitgehend verzichtet werden konnte,<br />
weil im Bereich des Auftragsrechts die Nebenpflichten<br />
gewissermassen institutionalisiert<br />
sind, verpflichtet doch der Gesetzgeber den<br />
Beauftragten in Art.398 OR generell zur Sorgfalt<br />
und Treue. Im übrigen gilt all das, was für<br />
die Nebenpflichten allgemein gesagt wurde,<br />
für diejenigen des Beauftragten in gleicher<br />
Weise Dies lässtsich sowohl aus der Methode<br />
des Vorgehens des Bundesgerichtes als aus<br />
den von ihm gewonnenen Ergebnissen belegen.<br />
a) Das Bundesgericht geht von der zutreffenden<br />
These aus, dass der Beauftragte nicht für<br />
,5 Dazu Weberin 14) und Wiegand/Koller-Tumler (Fn 6)<br />
16 Kramer. a a.O. N.97<br />
" Siehe oben S 136<br />
den Erfolg seiner Tätigkeit einzustehen habe.<br />
Es fügt aber sofort an, dass eine unsorgfältige<br />
oder treuwidrige Erfüllung, die den Auftraggeber<br />
schädigt, den Beauftragten zum Schadenersatz<br />
verpflichtet.<br />
Im Hinblick darauf werden nun die Massstäbe<br />
der Sorgfalt in Stufen festgelegt. Beginnend<br />
mit der nach objektiven Kriterien zu bestimmenden<br />
Sorgfalt eines gewissenhaften<br />
Beauftragten, gesteigert durch höhere Anforderungen<br />
an einen entgeltlich und berufsmässig<br />
Handelnden, wird der Sorgfaltsmassstab<br />
im Hinblick auf die besonderen Umstände des<br />
Einzelfalls sowie die Art des Auftrags verfeinert<br />
und schliesslich durch berufstypische Verhaltensregeln<br />
und Usancen ergänzt.<br />
Es liegt auf der Hand, dass mit diesen Kriterien<br />
das Mass der Sorgfalt, das vom Beauftragten<br />
verlangt wird, praktisch beliebig ausgedehnt<br />
werden kann. Die vom Bundesgericht<br />
verwendeten und auch in der Literatur 18 herangezogenen<br />
Kriterien lassen breiten Ermessensspielraum<br />
offen, und eine Verschärfung<br />
der Massstäbe wird nur in seltensten Fällen als<br />
willkürlich bezeichnet werden können. Dies<br />
bedeutet aber, dass durch eine Haftungsverschärfung<br />
das Risiko der Durchführung des<br />
Auftrags weitgehend vom Auftraggeber auf<br />
den Beauftragten verlagert werden kann, ohne<br />
dass man dessen unmittelbare Erfolgshaftung<br />
begründen müsste 19 .<br />
b) Noch deutlicher lassen sich diese Phänomene<br />
bei der vom Bundesgericht vorgenommenen<br />
Umschreibung der Treuepflicht beobachten.<br />
Ausgehend von der sehr vagen Interessenwahrnehmungspflicht<br />
wird daraus eine<br />
Beratungs- und Informationspflicht abgeleitet.<br />
Die Beratung hat regelmässig zu erfolgen und<br />
umfasst die Verpflichtung von «Anweisungen,<br />
welche den Interessen des Auftraggebers zuwiderlaufen<br />
... abzuraten». Noch umfassender<br />
wird die Informationspflicht umschrieben, deren<br />
«Gegenstand ... bildet alles, was für den<br />
Auftraggeber von Bedeutung ist». Darüber hinaus<br />
soll der Beauftragte auch unaufgefordert<br />
über Zweckmässigkeit, Weisungen, Kosten<br />
sowie Erfolgschancen Auskunft geben 20 .<br />
18<br />
Neben den in Entscheid Zitierten vgl die umfassende<br />
Darstellung bei Derend/nger Die Nicht- und die nichtrichtige<br />
Erfüllung des einfachen Auftrages. 2 nachgef Aufl Fribourg<br />
1990. N 77ff., insbes 126ff, sowie generell Weber Sorgfaltswidrigkeit<br />
- quo vadis?. ZSR 19881 39ff<br />
19<br />
Zur eventuellen Entlastung durch den Exkulpationsbeweis<br />
siehe unten S.141<br />
20<br />
Siehe oben Erw 3a; in der Literatur und der deutschen<br />
Judikatur wird die noch weitergehende Auffassung vertreten.
echt 1990 Heft 4 Rechtsprechung 139<br />
c) In beiden Fällen, sowohl bei der Sorgfaltspflicht<br />
als auch bei der Treuepflicht, zeigt sich,<br />
dass deren inhaltliche Bestimmung und die an<br />
das Verhalten des Beauftragten anzulegenden<br />
Massstäbe auf einem Wertungsprozess beruhen<br />
und damit beliebig erweitert werden können.<br />
Diesen Wertungen stehen, da sie an sehr<br />
allgemein gehaltene Kriterien wie Sorgfalt und<br />
Interessenwahrnehmung geknüpft sind, praktisch<br />
keine Kontrollmechanismen entgegen,<br />
die bestimmte Begrenzungen erzwingen würden.<br />
In diesem Wertungsvorgang erfolgt die<br />
Weichenstellung, die über die Haftung entscheidet.<br />
Das gilt für die Haftung des Beauftragten<br />
wie für die Haftung wegen Nebenpflichtverletzungen<br />
ganz allgemein<br />
Der Richter stellt zunächst - wie oben beschrieben<br />
- die Überlegung an, ob der eingetretene<br />
Schaden (die Verletzung eines Rechtsguts<br />
oder der allgemeinen Vermögensinteressen)<br />
vom Gläubiger selbst zu tragen oder ob<br />
dieserSchaden allenfalls auf den Schuldnerzu<br />
überwälzen sei. Kommt er zu letzterem Ergebnis,<br />
so hat er es in der Hand, durch Verfeinerung<br />
und Ausdehnung der allgemeinen Nebenpflichten<br />
- bzw. im Bereich des Auftragsrechts<br />
der Sorgfalts- und Treuepflichten -<br />
diese so zu verschärfen, dass praktisch jedes<br />
Verhalten des Schuldners ohne weiteres als<br />
Pflichtverletzung qualifiziert werden kann, so<br />
dass dieser letztlich den Schaden ausgleichen<br />
muss.<br />
d) Dass das Bundesgericht in dieser Weise<br />
vorgeht, zeigt sich nicht nur im hier besprochenen<br />
Entscheid 21 , sondern lässt sich mit einerganzen<br />
Reihe von Urteilen belegen. Besonders<br />
signifikant ist die Entwicklung im Bereich<br />
des Bankenrechts 22 , aber auch in der Frage der<br />
Arzthaftung 23 oder der Verantwortlichkeit der<br />
Verwaltungsräte 24 . In all diesen Fällen lässt<br />
sich nachweisen, dass die Haftungsbegrün<br />
der Beauftragte müsse auch auf eigene Fehler hinweisen,<br />
um dem Auftraggeber die Geltendmachung von Ersatzansprüchen<br />
zu ermöglichen.<br />
a.a.O.. N.135.<br />
Nachweise bei Derendinger.<br />
21<br />
Zu Recht sprechen Gauch/Sweet (Fn.7). 122. von der<br />
«Kreation» von Schutznormen durch die Gerichte im Deliktsrecht,<br />
wo sich die hier beschriebenen Vorgänge in derselben<br />
Form beobachten lassen Das beruht auf der Identität der<br />
massgebenden Faktoren und der rechtspolitischen Komponenten<br />
"Vgl etwa BGE 112 II 450 und Urteil des BG vom<br />
1.12.1987 - Semjud 1988337. dazu Levym SAG 1989 27'f.<br />
23<br />
Besonders deutlich BGE 113 II 429, dazu<br />
der recht 1988 91 f.<br />
Buchli-Schnei-<br />
24<br />
Übersicht bei Forstmoser, Die aktienrechtliche Verantwortlichkeit.<br />
2 Aufl.. Zürich 1987, Exemplarisch BGE 114 V<br />
78ff, = Pra 7389 Nr. 97.<br />
dung durch eine erkennbare Ausdehnung und<br />
Verschärfung der Haftungsmassstäbe erfolgt.<br />
Auf besonders eindrucksvolle Weise wird<br />
all das durch den inzwischen schon berühmt<br />
gewordenen Entscheid des Bundesgerichts<br />
verdeutlicht, in dem es die «Pflicht des Architekten,<br />
den Bauherrn auf die Notwendigkeit<br />
einer Haftpflichtversicherung hinzuweisen,<br />
wenn der Bau mit besonderen Risiken verbunden<br />
ist. die er als Fachmann besser überblikken<br />
kann als der Bauherr», als einen Teil der<br />
Beratungspflicht des Architekten bezeichnet<br />
25 . Selbst wenn man berücksichtigt, dass<br />
diese Beratungspflicht eine gewisse Verankerung<br />
in den SIA-Normen hatte, so zeigt sich an<br />
diesem Entscheid doch der Kerngedanke, um<br />
den es hier geht, sehr deutlich: Da der Bauherr<br />
infolge fehlender Versicherung einen Schaden<br />
erlitten hatte, weil er seinerseits dem Nachbarn<br />
aufgrund der Haftung gemäss Art. 679 ZGB ersatzpflichtig<br />
wurde, hat das Bundesgericht die<br />
Beratungspflicht des Architekten in der beschriebenen<br />
Weise entwickelt, um damit eine<br />
Haftungsgrundlage zu schaffen, die es dem<br />
Bauherrn ermöglichte, die ihn treffende Vermögenseinbusse<br />
seinerseits auf den Architekten<br />
zu überwälzen.<br />
e) Die Zahl der Beispiele Hesse sich beliebig<br />
vermehren und durch ausländische Urteile ergänzen.<br />
So ist insbesondere im bereits erwähnten<br />
Bereich des Bankenrechts weltweit<br />
eine umfassende Haftungsverschärfung zu beobachten.<br />
Die Praxis in Deutschland'hat einen<br />
ganzen Katalog von Verhaltenspf/ichten der<br />
Banken 26 entwickelt, die diese insbesondere<br />
im Umgang mit sozial schwächeren Kunden zu<br />
einer bis in die allerkleinsten Details reichenden<br />
Beratung und Aufklärung verpflichtet, so<br />
dass das Risiko des Kreditaufnehmenden in<br />
möglichst grossem Masse reduziert wird.<br />
Diese Tendenz ist jedoch nicht nur bei Verträgen<br />
zu beobachten, wo es um die bereits erwähnte<br />
Kompensation von Ungleichgewichtslagen<br />
geht, sie findet sich auch dort, wo ein<br />
eigentlicher Sozialschutz nicht in Betracht<br />
kommt. So sind in Australien Banken zu Schadenersatz<br />
verpflichtet worden, die Grosskunden<br />
die Risiken von Fremdwährungsdarlehen<br />
nicht mit der nötigen Intensität vor Augen ge-<br />
25 BGE 111 II 72<br />
26 Besonders instruktiv die Beiträge von H. P. Westermann,<br />
Brandner und von Rottenburg unter dem (gemeinsamen) Titel<br />
«Verhaltenspflichten der Kreditinstitute bei der Vergabe<br />
von Verbraucherdarlehen» in Zeitschrift für das gesamte<br />
Handelsrecht (ZHR) 1989 123ff. 147ff, 162«.
140 Rechtsprechung recht 1990 Heft 4<br />
führt haben. Sie haben nach Ansicht der australischen<br />
Gerichte ihre Sorgfaltspflicht nicht<br />
hinreichend wahrgenommen 27 .<br />
5. Gründe für die Haftungsverschärfung<br />
Die Tatsache, dass es sich bei dieser Tendenz<br />
um einen weltweiten Prozess handelt, macht<br />
es erforderlich, über die Ursachen nachzudenken:<br />
Die hier für die Schweiz skizzierte und in<br />
den erwähnten Urteilen in symptomatischer<br />
Weise sichtbar werdende Ausdehnung der<br />
Pflichten des Beauftragten wirft die Frage auf,<br />
warum es zu einer derartigen Verschärfung der<br />
Haftung für Dienstleistungen kommt. Es ist gezeigt<br />
worden, dass die dogmatischen Mittel,<br />
mit denen diese bewirkt werden, nur das Instrumentarium<br />
bilden und dass dahinter Wertungsprozesse<br />
stehen, die näherer Erklärung<br />
bedürfen. Diese muss im vorliegenden Rahmen<br />
auf schlagwortartige Andeutungen beschränktwerden:<br />
Die Gesellschaft, in der wir leben, wird unter<br />
anderem auch als Dienstleistungs- und Konsumgesellschaft<br />
beschrieben. Mit diesen<br />
Schlagworten, so problematisch sie im einzelnen<br />
sein mögen, ist ein Schlüssel für das Verständnis<br />
der beschriebenen Entwicklung gegeben.<br />
Einerseits werden Dienstleistungen aller Art<br />
vom Anbieter in immer zunehmendem Masse<br />
nicht mehr als individuelle Leistung von Menschen,<br />
sondern immer mehr wie Produkte angepriesen<br />
und «verkauft». Hieraus ergibt sich<br />
fürdenjenigen, der sie in Anspruch nimmt, mit<br />
einer gewissen Selbstverständlichkeit eine Erwartungshaltung,<br />
die durch die Werbung noch<br />
unterstützt wird. Diese bestärkt den Kunden in<br />
der Annahme, dass es sich bei solchen Dienstleistungen<br />
um fehlerfreie Produkte handelt, die<br />
für ein menschliches Versagen keinen Raum<br />
mehr lassen. Zum Wesen der Konsumgesellschaft<br />
gehört es, den Kunden in eben diesen<br />
Erwartungen durch die Ausdehnung der Pflichten<br />
desjenigen, der Leistungen anbietet, zu<br />
schützen 28 . Dieser Schutz wird nun immer<br />
mehr ausgedehnt, von der eigentlichen Produktehaftung<br />
über die Haftung für Dienstleistungen<br />
mit produktähnlichem Charakter wie<br />
"Vgl. den Bericht der NZZ vom 24.7.1989, 'S. 7. wo zu<br />
Recht auf die Ausweitung des Verantwortlichkeitsprinzips<br />
und die Parallelität zur Produkthaftung hingewiesen wird. Ich<br />
danke dem Korrespondenten der NZZ in Australien, der mir<br />
die Urteile hat zukommen lassen.<br />
28 Dazu Wiegand, Die Rezeption amerikanischen Rechts,<br />
Festgabe für den Schweiz. Juristentag, ZBJV 124 tas , Bern<br />
1988. 229. 249 ff.<br />
etwa Reiseveranstaltungen oder «Leistungspakete»<br />
von Computerfirmen (Hardware, Software<br />
und Kundendienst) bis hin zum allumfassenden<br />
«Service» der Banken und Treuhandgesellschaften,<br />
und er greift schliesslich auch<br />
Über auf Dienstleistungen, die immer noch wesentlich<br />
von Menschen getragen werden, wie<br />
z. B. diejenigen im Bereich der Medizin 29 . Zusammenfassend<br />
und vielleicht überspitzt kann<br />
man sagen, dass sich hiereine Entwicklung anbahnt,<br />
die zu einer Produktehaftung für Dienstleistungen<br />
führt 30 . Hält man sich diese rechtspolitischen<br />
Tendenzen vor Augen, ist es um so<br />
dringender, sich mit dem zweiten Element der<br />
Haftung zu befassen, das letztlich darüber entscheidet,<br />
ob der Beauftragte, der die Dienstleistung<br />
erbringt, wirklich einstehen muss oder<br />
ob er sich von der Haftung befreien kann.<br />
Diese Entscheidung fällt im Bereich der Beweislastverteilung<br />
und der Exkulpationsmöglichkeiten,<br />
wobei auch hierwiederum zunächst<br />
der rechtsdogmatische Aspekt zu behandeln<br />
ist.<br />
6. Die Vertragsverletzung und ihr Beweis<br />
Das Bundesgericht geht, ohne dies näher zu<br />
erläutern - wozu auch kein Anlass bestand -,<br />
von folgender Konzeption 31 aus:<br />
Der Beauftragte schuldet dem Auftraggeber<br />
die getreue und sorgfältige Erledigung des<br />
übertragenen Geschäftes. Er haftet ihm für die<br />
Verletzung dieser geschuldeten und vertraglich<br />
gebotenen Sorgfalt. Will der Auftraggeber<br />
ihn wegen dieser Vertragsverletzung in Anspruch<br />
nehmen, so hat er diese Pflichtverletzung<br />
sowie deren Kausalitätfürden eingetretenen<br />
Schaden zu beweisen. Dem Beauftragten<br />
steht die Möglichkeit offen, sich durch den Exkulpationsbeweis<br />
von der Haftung zu befreien.<br />
Diese Konzeption ist die einzig richtige. Sie<br />
entspricht dem allgemeinen LeistungsstörungsrechtderArt.97ff.<br />
OR, von dem abzuweichen<br />
im Auftragsrecht keinerlei Anlass besteht<br />
32 . Alle Versuche, sei es hinsichtlich der<br />
"Dazu Wiegand, Arzt und Recht, Bern 1985, Einl. S.13f.<br />
30 Vgl, schon den Hinweis in Fn 27; in diesem Sinne auch<br />
Weber (Fn. 18). 50, und Widmer. Die Versicherung und die<br />
Haftung der Erbringer von Dienstleistungen, SVZ 1982 65,<br />
67 ff.<br />
3 ' Vgl. Erw. 3 vor ä. oben S.135.<br />
3! Wiegand (Fn.13). recht 1983 1, 3; 1984 13, 19 sowie für<br />
das Auftragsrecht in Arzt und Recht (Fn.29). 81. 96, 101 ff.;<br />
und Weber (Fn.18). 57f., speziell für die Vermögensverwaltung<br />
Guggenheim, Die Verträge der schweizerischen Bankpraxis.<br />
3Aufl , Zürich 1986. 70, 256 u.ö.; Gutzwiller. Der Vermögensverwaltungsvertrag.<br />
Zürich 1989. 45f
echt 1990 Heft 4 Rechtsprechung 141<br />
Sorgfaltspflicht 33 oder der Exkulpationsmöglichkeit<br />
34 des Beauftragten, Abweichungen<br />
vorzusehen, lassen sich weder überzeugend<br />
begründen noch sind sie erforderlich. Eventuell<br />
gebotene Korrekturen lassen sich vielmehr<br />
einerseits durch die Beweisanforderungen,<br />
zum anderen aber vor allem durch den Spielraum,<br />
den man für Exkulpationsmöglichkeiten<br />
eröffnet, in angemessener Weise verwirklichen.<br />
Auch auf diesem Gebiet fallen denn die<br />
eigentlichen Entscheidungen durch eine Wertung,<br />
die wiederum nicht auf rechtsdogmatischen,<br />
sondern auf rechtspolitischen Erwägungen<br />
beruht.<br />
a) Der Nachweis der Pflichtverletzung bereitet<br />
in der Regel keine Schwierigkeiten. Dies wird<br />
durch das hier besprochene Urteil auf anschauliche<br />
Weise belegt. Gelingt es dem Auftraggeber,<br />
einen Schaden zu beweisen, und<br />
wird dann, wie in deroben abgedruckten Erwägung<br />
35 z. B., die Aufklärungspflicht des Beauftragten<br />
umfassend und weitreichend formuliert,<br />
so ergeben sich Pflichtverletzung und deren<br />
Kausalität für den eingetretenen Schaden<br />
fast von selbst.<br />
b) Als problematisch erweist sich allenfalls der<br />
Nachweis eines Verstosses gegen die Sorgfaltspflicht.<br />
Manche Autoren wollen die<br />
Schwierigkeiten dadurch umgehen, dass sie<br />
den Begriff der Sorgfalt aus der Vertragsverletzung<br />
überhaupt herausnehmen und ihn allein<br />
dem Verschulden zuordnen 36 . Dies bedeutet<br />
einerseits nur eine Problemverschiebung, ist<br />
andererseits aber auch sachlich nicht haltbar.<br />
Richtig ist vielmehr, dass der Beauftragte Sorgfalt<br />
schuldet, so wie jeder andere Schuldner<br />
seinem Gläubiger ebenfalls sorgfältiges Vorgehen<br />
als Nebenpflicht 37 schuldet. Eine Verletzung<br />
dieser Sorgfaltspflicht ist Voraussetzung,<br />
damit überhaupt von einem haftungsbegründenden<br />
Tatbestand die Rede sein kann:<br />
denn erst durch die Annahme dieser Sorgfaltspflicht<br />
wird in der oben beschriebenen 38<br />
33 So etwa Derendinger (Fn. 18). N.340ff.. der damit aber<br />
seinen eigenen Grundpositionen widerspricht<br />
34 Das gilt auch für den an sich interessanten Versuch von<br />
Werro. La distinction entre l'obligation de resultat et l'obligation<br />
de moyens, une nouvelle approche de la repartition du<br />
fardeau de la preuve de la taute dans la responsabilite contractuelle.<br />
ZSR 198925b. Die Unterscheidung ist sachlogisch<br />
richtig (dazu Merz. SPR VI, 1, 129), sie führt jedoch zu einer<br />
Lösung, die den rechtspolitisch gebotenen Differenzierungen<br />
nicht Rechnung trägt.<br />
35 Erw.3d.<br />
36 Siehe insbes Derendinger (fn. 18). a.a.O.<br />
37 Wiegand. a.a.O. recht 1984 18<br />
»Siehe oben S 139<br />
Weise entschieden, dass dem Schuldner eine<br />
Verpflichtung zum Schutz der Vermögensinteressen<br />
und Rechtsgüter des Gläubigers obliegt,<br />
und nur wenn der Schuldner diese Pflicht<br />
verletzt, besteht ein Grund für seine Haftung.<br />
Infolgedessen kann auf einen Beweis des<br />
Sorgfaltsverstosses nicht verzichtet werden.<br />
Eine gewisse Schwierigkeit besteht darin,<br />
dass-wie sich aus deroben dargelegten, vom<br />
Bundesgericht vorgenommenen Konkretisierung<br />
der Sorgfaltsmassstäbe ergibt - zur Feststellung<br />
des Sorgfaltsverstosses häufig besondere<br />
Anstrengungen erforderlich sind, so<br />
wie im vorliegenden Fall die Einholung einer<br />
Expertise. Diese Schwierigkeiten, die vor allem<br />
in Arztprozessen Anlass zu Diskussionen gegeben<br />
haben, dürfen jedoch nicht als Vorwand<br />
dienen, auf den für die Zuweisung von Schäden<br />
unerlässlichen Nachweis der Pflichtverletzung<br />
zu verzichten. Das vorliegende Urteil bildet<br />
ein schönes Beispiel dafür, dass dies auch<br />
möglich ist.<br />
7. Exkulpation<br />
Wenn dieser Nachweis, bei dem Schaden,<br />
Pflichtverletzung und Kausalität in der Regel<br />
Hand in Hand gehen, geführt worden ist, stellt<br />
sich die letzte zentrale Frage, ob und inwieweit<br />
dem Schuldner eine Exkulpationsmöglichkeit<br />
eingeräumtwird. Dass eran sich eine Exkulpationsmöglichkeit<br />
hat, ergibt sich aus Art. 97 OR<br />
und ist nach zutreffender und herrschender<br />
Meinung auch im Auftragsrecht selbstverständlich;<br />
davon geht das Bundesgericht ohne<br />
nähere Begründung im vorliegenden Fall zu<br />
Recht aus.<br />
a) Fraglich ist allein, welchen Spielraum der in<br />
Anspruch genommene Beauftragte überhaupt<br />
hat, um den Entlastungsbeweis zu führen. Im<br />
vorliegenden Urteil hatte das Bundesgericht<br />
keinen Anlass, auf diese Frage einzugehen. Sie<br />
stellt sich vor allem beim Verstoss gegen Sorgfaltspflichten<br />
undwird in letzterZeit mit grosser<br />
Intensität diskutiert 39 ; dies aus folgenden<br />
Gründen:<br />
Seit langer Zeit hat sich in der schweizerischen<br />
Literatur und Judikatur der sogenannte<br />
objektivierte Fahrlässigkeitsbegriff durchge-<br />
39 Neben dem mehrfach zitierten Aufsatz von Weber<br />
(Fn.18). der umfangreiche Nachweise enthält, vgl noch Oswald.<br />
Analyse der Sorgfaltspflichtverletzung im vertraglichen<br />
wie ausservertraglichen Bereich. Zürich 1988
142 Rechtsprechung recht 1990 Heft 4<br />
setzt 40 . Dieser besagt, dass bei der Überprüfung<br />
der Vorwerfbarkeit des Verhaltens nicht<br />
auf die individuellen Eigenschaften des konkreten<br />
Schuldners, sondern auf den durchschnittlichen<br />
Schuldner in dieser Situation abzustellen<br />
sei. Dieserobjektivierte und typisierte<br />
Fahrlässigkeitsmassstab deckt sich nun weitgehend<br />
mit der vertraglich geschuldeten Sorgfaltspflicht,<br />
die - wie oben dargelegt - ebenfalls<br />
nach objektiven Kriterien bemessen wird.<br />
b) Geht man von diesem Fahrlässigkeitsbegriff<br />
aus, so kann der Schuldner nur in den seltensten<br />
Fällen einen Exkulpationsbeweis führen.<br />
Vor diesem Hintergrund sind Tendenzen zu<br />
verstehen, die darauf zielen, den Entlastungsbeweis<br />
zu erleichtern und den Verschuldensmassstab<br />
wieder stärker nach subjektiven Kriterienzu<br />
bestimmen 41 . Es ist nicht Absicht dieser<br />
Urteilsbesprechung, zu diesem Thema<br />
Stellung zu nehmen, sondern aufzuzeigen,<br />
dass es sich dabei wiederum nicht um ein<br />
rechtsdogmatisches, sondern um ein rein<br />
rechtspolitisches Problem handelt. Ob und inwieweit<br />
man den Exkulpationsbeweis zulässt,<br />
hängt davon ab, wie man sich generell zurTendenz<br />
der Haftungsverschärfung stellt. Je stärker<br />
man den Verschuldensmassstab subjektiviert,<br />
um so mehr Wertungsspielräume werden<br />
dem Richter eröffnet, um die Haftung letztlich<br />
trotz Vorliegen aller Haftungsvoraussetzungen<br />
abzulehnen. Hält man dagegen die<br />
strikte Haftung für Dienstleistungen, aberauch<br />
für sonstige Nebenpflichtverletzungen im Bereich<br />
der übrigen Vertragsverhältnisse für<br />
sachgerecht, so kommt eine Subjektivierung<br />
des Verschuldensmassstabes nicht in Betracht.<br />
8. Ansätze für ein Konzept<br />
Um zu einer sachgerechten Lösung zu kommen,<br />
muss man sich auf das zurückbesinnen,<br />
was oben als Funktion der Nebenpflichten und<br />
der auftragsrechtlichen Treue- und Sorgfaltspflichten<br />
beschrieben worden ist. Sie dienen<br />
dem Richter dazu, die Risikosphären von Gläubiger<br />
und Schuldner gegeneinander abzugrenzen<br />
und teils nach sozialen Kriterien (Kompensation<br />
von Ungleichgewichtslagen), teils<br />
nach allgemeinen Interessenabwägungen<br />
40 Dazu grundlegend OWnger. Haftpflichtrecht I, 4Aufl Zürich<br />
1975. 45. und Fellmann. Der Verschuldensbegriff im Deliktsrecht.<br />
ZSR 1987 I 339<br />
41 Vor allem Fellmann (Fn 40).<br />
dem einen oder anderen durch Begründung<br />
oder Ablehnung von Nebenpflichten Risiken<br />
zuzuweisen. Durch die Verknüpfung mit der<br />
Lehre von der culpa in contrahendo und der<br />
positiven Vertragsverletzung ist damit eine<br />
Konzeption entstanden, die eine differenziertere<br />
und in der Regel sachgerechte Lösung der<br />
Probleme ermöglicht. Wenn dies aber richtig<br />
ist, so ergibt sich daraus auch, wohin die Entwicklung<br />
inZukunft gesteuert werden muss: Je<br />
geringer das personale Elementar* der Dienstleistung<br />
ist, je weniger diese durch die Beteiligung<br />
individueller Personen geprägt wird, um<br />
so mehr nähert sie sich einem Produkt an. Liegen<br />
diese Voraussetzungen vor, wie das bei<br />
Leistungen von Banken, Treuhandgesellschaften<br />
und anderen Dienstleistungsgewerben der<br />
Fall ist, so ist es gerechtfertigt, deren Sorgfaltsund<br />
Treuepflichten auszuweiten und ihnen insbesondere<br />
die Exkulpation durch Berufung auf<br />
individuelle Eigenschaften zu verwehren; denn<br />
es handelt sich eben nicht um Leistungen von<br />
Individuen, sondern von Institutionen. Je mehr<br />
aber Dienstleistungen durch personale Elemente<br />
geprägt sind, um so mehr muss dem bei<br />
Beurteilung der Interessenlage Rechnung getragen<br />
werden. Dies führt meines Erachtens<br />
nicht notwendig dazu, dass die Treue- und<br />
Sorgfaltspflichten weniger weitgehend formuliert<br />
werden, obwohl auch dies im Einzelfall<br />
sein kann. Entscheidend ist jedoch, dass bei<br />
der Exkulpation hier in stärkerem Masse die Individualität<br />
berücksichtigt werden kann und<br />
muss 42 ; denn es handelt sich eben noch um individuelle<br />
Leistungen und nicht um Dienstleistungsprodukte.<br />
Auf diese Weise sind sachgerechte Differenzierungen<br />
möglich, die im übrigen weitgehend<br />
auch auf die Behandlung der Nebenpflichten<br />
im allgemeinen zutreffen und sich<br />
nahtlos in das System der Leistungsstörungen<br />
einfügen Zugleich ist es auf diese Weise möglich,<br />
rechtspolitische Zielsetzungen systematisch<br />
und dogmatisch in angemessener Form<br />
zu verwirklichen.<br />
IV. Schlussbetrachtung<br />
Die Besprechung des Entscheides hat gezeigt,<br />
dass Schuldrechtsdogmatik und Haftungsrecht<br />
sich in einer entscheidenden Umbruchsphase<br />
befinden.<br />
42 So schon Wiegand (Fn.29). 110f.: in diesem Sinne auch<br />
Weber (Fn 18). 56f.
echt 1990 Heft 4 Information 143<br />
Schuldner und Gläubigereines Vertragsverhältnisses<br />
sind heute durch ein Geflecht wechselseitiger<br />
Neben- oder Verhaltenspflichten<br />
miteinanderverbunden, dem mindestens gleiches<br />
Gewicht zukommt wie den ursprünglichen<br />
Hauptpflichten. Es handelt sich dabei um<br />
eine grundlegende Strukturveränderung der<br />
Schuldverhältnisse, deren Ende und Tragweite<br />
noch nicht abzusehen ist. Aufgrund der Verknüpfung<br />
dieser Entwicklung mit den Figuren<br />
der culpa in contrahendo und der positiven<br />
Vertragsverletzung ist es möglich geworden,<br />
durch «Kreation» 43 von immer neuen Nebenpflichten<br />
das Risiko zwischen den Vertragspartnern<br />
praktisch beliebig zu verteilen. Die<br />
Vorteile und die Gefahren einer solchen Entwicklung<br />
liegen auf der Hand. So erwünscht<br />
und legitim es ist, mit Hilfe derartiger Verhaltenspflichten<br />
Ungleichgewichtslagen auszutarieren<br />
und in einem gewissen Grade soziale<br />
Kompensation zu betreiben -wie dies etwa in<br />
Deutschland bezüglich der Verhaltenspflichten<br />
der Banken geschieht 44 , so offenkundig<br />
sind die Gefahren eines solchen Vorgehens.<br />
Sie werden gerade im Bereich der Dienstleistungen<br />
besonders deutlich. Hier muss vor<br />
Überspannungen gewarnt werden, wie etwa<br />
jener oben erwähnten «Treuepflicht» des Be-<br />
Information<br />
Lic. iur. Christoph Lerch, Zürich<br />
Vereinbarung zwischen den<br />
schweizerischen Rechtsfakultäten<br />
über die gegenseitige Anerkennung<br />
von Semestern und Prüfungen sowie<br />
Zulassung zum Doktorat<br />
Unter dem Eindruck der gesamteuropäischen Bestrebungen<br />
um Studentenaustausch und um gegenseitige<br />
Anerkennung von Fähigkeitsausweisen<br />
haben sich die schweizerischen Rechtsfakultäten<br />
durchgerungen und am 23. Juni dieses Jahres in<br />
St. Gallen eine Vereinbarung unterzeichnet, die den<br />
schweizerischen Studentenaustausch erleichtern<br />
soll.<br />
Die geschlossene Vereinbarung beschlägt das<br />
ganze Studium von der Anrechnung der Semester<br />
43 Siehe Fn.21.<br />
"Siehe Fn 26<br />
auftragten, den Auftraggeber auf bei der Erfüllung<br />
des Auftrags erfolgte Fehler und somit<br />
auf Schadenersatzmöglichkeiten gegen sich<br />
selbst aufmerksam zu machen 45 .<br />
Entscheidender aber als derartige punktuelle<br />
Korrekturen ist eine Besinnung auf das<br />
Grundsätzliche: Die Möglichkeiten, die Verhaltenspflichten<br />
des Beauftragten und die Nebenpflichten<br />
des Schuldners ganz generell auszuweiten<br />
und dadurch Risikoverlagerungen herbeizuführen,<br />
stellen nur ein dogmatisches Instrumentarium<br />
dar. Die eigentliche Entscheidung<br />
fällt auf der Wertungsebene Es muss<br />
entschieden werden, ob Risikoverlagerungen<br />
erwünscht sind, oder anders ausgedrückt, ob<br />
Vermögensinteressen und Rechtsgüter einer<br />
Partei durch das geschilderte Instrumentarium<br />
geschützt werden sollen. Deshalb muss man<br />
sich immer bewusst sein, dass Ausdehnung<br />
oder Einschränkung von Verhaltenspflichten<br />
im Bereich der Dienstleistungen bzw. von Nebenpflichten<br />
in den sonstigen Vertragsverhältnissen<br />
zuerst eine rechtspolitische Abwägung<br />
voraussetzen. Auf dieser Ebene wird entschieden,<br />
in welchen Bereichen und in welchem<br />
Ausmass die Tendenz zur Haftungsverschärfung<br />
weitergeführt, oder aber eingedämmt<br />
werden soll.<br />
über die Anerkennung von schriftlichen Arbeiten bis<br />
zurZulassungzum Doktorat. Sie tritt auf das Wintersemester<br />
1990/91 in Kraft.<br />
Die wichtigsten Regelungen werden im folgenden<br />
kurz dargestellt.<br />
1. Anrechnung von Semestern<br />
Grundsätzlich werden die an einer Fakultät ordnungsgemäss<br />
absolvierten Semestervon den anderen<br />
Fakultäten anerkannt. Studenten müssen aber in<br />
der Regel an derjenigen Fakultät, an der sie die Zwischen-<br />
bzw. die Lizentiatsprüfungen ablegen wollen,<br />
mindestens ein bzw vier Semester absolvieren<br />
2. Anerkennung von schriftlichen Arbeiten<br />
An einer Fakultät angenommene schriftliche Seminar-<br />
und Hausarbeiten werden vorbehaltslos, Di-<br />
"Siehe Fn 20