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Zur Haftung für privatisierte Staatsbetriebe - Wolfgang Wiegand

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echt 1999 Heft 1<br />

Prof. Dr. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong>, Bern<br />

Fürsprecher Jürg Wichtermann, wiss. Assistent, Bern<br />

<strong>Zur</strong> <strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> <strong>privatisierte</strong> <strong>Staatsbetriebe</strong><br />

I. Von sprudelnden Thermal- und<br />

versiegenden Geldquellen<br />

Bekannt war die Walliser Gemeinde Leukerbad,<br />

pittoresk eingebettet zwischen Torrent-, Rinderund<br />

Daubenhorn, bis vor kurzem vor allem als attraktives<br />

Ziel <strong>für</strong> Badekurgäste und Bergsport-<br />

Touristen. In die Schlagzeilen geraten ist der Ferienort<br />

in der jüngeren Vergangenheit allerdings<br />

weniger seiner Naturschönheiten und Thermalbäder<br />

wegen. Vielmehr hat Leukerbad die Blicke<br />

gleichsam landesweit auf sich gezogen, als die<br />

Gemeinde unlängst etwas Transparenz in ihre Finanzlage<br />

zu bringen versuchte: Die Verschuldung<br />

ist immens und geht in <strong>für</strong> Gemeinden dieser<br />

Grössenordnung geradezu spektakuläre und singulare<br />

Höhen'.<br />

Ereignisse dieser Art sind glücklicherweise<br />

selten. Treten sie ein, so ziehen sie allerdings regelmässig<br />

eine Vielzahl juristischer Weiterungen 2<br />

nach sich. Der Fall Leukerbad rückt indessen vor<br />

allem eine Problematik ins Schlaglicht, die angesichts<br />

des sich immer rascher drehenden Privatisierungskarussells<br />

in Zukunft an Bedeutung gewinnen<br />

wird: Der grössere Teil der Verschuldung<br />

ist hier nicht direkt der Gemeinde zuzurechnen,<br />

sondern belastet primär die (soweit ersichtlich)<br />

privatrechtlich ausgestalteten, rechtlich selbständigen<br />

Gesellschaften der Gemeinde. Sowohl <strong>für</strong><br />

das Gemeinwesen selbst als auch <strong>für</strong> die Gläubiger<br />

der betroffenen Gesellschaften wird damit<br />

die Frage drängend, wer - sollte es zum Insolvenz-<br />

und damit Schadenfall kommen - <strong>für</strong> die<br />

Verbindlichkeiten der Organisationen zu haften<br />

hat. Muss die Gemeinde <strong>für</strong> «ihre» Gesellschaften<br />

einstehen? Dies wäre insbesondere <strong>für</strong> die<br />

1 Die Gemeinde Leukerbad zählt rund 1700 Einwohner Die totale<br />

Nettoverschuldung der «Gruppe Leukerbad» (Munizipal- und<br />

Burgergemeinde sowie acht mit der Gemeinde verflochtene bzw<br />

von ihr beherrschte Gesellschaften IParkhaus, Sportarena, Verkehrsbetriebe,<br />

Torrent-Bahnen, diverse Hotel- und Bäderbetnebel)<br />

beträgt laut Presseberichten Fr 346,5 Mio (NZZ Nr. 127 vom<br />

5. Juni 1998. 14. und Nr. 259 vom 7/8. November 1998, 231. was einer<br />

Pro-Kopf-Verschuldung von über Fr 200000- entsprechen<br />

würde. Der Kanton Wallis hat mittlerweile die Gemeinde unter teilweise<br />

Zwangsverwaltung gestellt (NZZ Nr. 246 vom 23. Oktober<br />

1998, 17).<br />

; So beschäftigen sich mittlerweile u a auch die Strafverfolgungsbehörden<br />

mit dem Fall Leukerbad (NZZ Nr 263 vom 12 November<br />

1998, 21)<br />

Gläubiger erfreulich, zumal Gemeinwesen (jedenfalls<br />

bislang 3 ) als vorzügliche Schuldner gelten.<br />

Oder bleibt, wie mit Blick auf die juristische<br />

Selbständigkeit der involvierten Gesellschaften<br />

zunächst geschlossen werden könnte, der Ausfall<br />

an den Gläubigern hängen?<br />

Die Analyse und die Beurteilung solcher Konstellationen<br />

führt in den Grenzbereich zwischen<br />

staatlicher und privater Haftpflicht. Wie nur wenige<br />

andere Rechtsprobleme ist jenes der (vermögensrechtlichen)<br />

Verantwortlichkeit des Gemeinwesens<br />

<strong>für</strong> sein Tun - vor allem wenn dieses<br />

an der Peripherie herkömmlicher Staatstätigkeit<br />

angesiedelt ist - geprägt von Abgrenzungen<br />

und Interdependenzen zwischen privatrechtlicher<br />

und öffentlichrechtlicher Rechtssphäre.<br />

Die Konsequenzen aus der Bewertung von<br />

<strong>Haftung</strong>slagen, in die öffentliche Gemeinwesen<br />

3 Fraglich ist, ob der Finanzmarkt angesichts der teilweise dramatisch<br />

zunehmenden Verschuldung die schweizerischen Kantone<br />

und Gemeinden auch weiterhin praktisch unbesehen mit<br />

Geldmitteln versorgen wird. Immerhin haben neulich zwei Banken<br />

(Credit Suisse First Boston und Zürcher Kantonalbank) die wichtigsten<br />

öffentlichrechtlichen Schuldner der Schweiz nach ihrer Bonität<br />

bewertet - und längst nicht alle schafften ein Triple-A (vgl. NZZ<br />

Nr. 214 vom 16. September 1998, 33 und Der Bund Nr. 223 vom<br />

25. September 1998, 19) Neuerdings erkundigen sich Bankhäuser<br />

gelegentlich auch bei kantonalen Gemeindeaufsichtsbehörden<br />

nach möglichen Risikodeckungen durch die Kantone <strong>für</strong> anfällige<br />

Ausfälle bei Engagements der Banken in Gemeindehaushalten<br />

Gemäss einer auf Anregung des Kantons St. Gallen unter den Kantonen<br />

durchgeführten Umfrage aus dem Jahr 1997 besteht in keinem<br />

Kanton eine rechtliche Grundlage <strong>für</strong> die subsidiäre <strong>Haftung</strong><br />

des Kantons <strong>für</strong> Gemeinden mit Finanzproblemen; einige Kantone<br />

anerkennen eine faktische <strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> solche Gemeinden oder<br />

schliessen jedenfalls nicht aus, aus politischen Gründen <strong>für</strong> ihre<br />

Gemeinden einzustehen. Die <strong>Haftung</strong> der Kantone <strong>für</strong> ihre notleidenden<br />

Gemeinden wird auch im Zusammenhang mit einer anfälligen<br />

Vernachlässigung der kantonalen Aufsichtspflichten diskutiert<br />

- Nach üblicher Finanzmarktlogik müsste diese Entwicklung früher<br />

oder später dazu führen, dass schlechter bewertete Gemeinwesen<br />

ihre Anleihen und Darlehen nur noch zu unvorteilhafteren Bedingungen<br />

plazieren bzw aufnehmen können. Nach dem Bekanntwerden<br />

des Falles Leukerbad mehren sich denn auch die Be<strong>für</strong>chtungen,<br />

dass die Banken in Zukunft die öffentliche Hand bei der<br />

Darlehensgewährung bzw Anleihensauflage kritischer bonitieren<br />

könnten Ganz neu ist die Überlegung allerdings nicht, berichtete<br />

doch beispielsweise die NZZ schon am 10 Dezember 1997<br />

(Nr 287. 33) im Zusammenhang mit einer Emission der Gemeinde<br />

Zürich, es werde «allerdings da und dort diskutiert, ob der Stadt bei<br />

den gegenwärtigen Finanzaussichten noch das höchste Rating zusteht<br />

» Entsprechend wächst seit •• Leukerbad» denn auch die Nervosität<br />

unter den Gläubigern öffentlichrechtlicher Körperschaften<br />

(vgl. auch NZZ Nr 266 vom 16 November 1998, 24) - und damit<br />

auch bei den Gemeinwesen, <strong>für</strong> die eine Verteuerung der Anleihen<br />

und Darlehen angesichts der da und dort ganz beträchtlichen Verschuldung<br />

gravierende Konsequenzen hätte


<strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong>/Jürg Wichtermann, <strong>Zur</strong> <strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> <strong>privatisierte</strong> <strong>Staatsbetriebe</strong> recht 1999 Heft 1<br />

verwickelt sind, sind indessen unter Umständen<br />

von entscheidender Bedeutung. Dies einerseits<br />

<strong>für</strong> die Gemeinwesen selbst, deren Finanzhaushalt<br />

bzw. deren Refinanzierungsbonität durch<br />

mögliche <strong>Haftung</strong>srisiken belastet wird, und andererseits<br />

<strong>für</strong> die Gläubiger der Gemeinwesen.<br />

Dass die Beurteilung von haftungsrelevanten<br />

Sachlagen im Umfeld von öffentlichrechtlichen<br />

Körperschaften zunehmend schwieriger wird,<br />

hat seinen Grund in erster Linie in den modernen<br />

Organisationsformen, deren sich auch die öffentliche<br />

Hand vermehrt bedient und die - was haftungsrechtlich<br />

vor allem interessiert - dazu führen,<br />

dass ein Gemeinwesen oft nicht mehr bloss<br />

aus einem Rechtssubjekt besteht. Längst erledigt<br />

nicht mehr einfach «die Verwaltung», was an<br />

öffentlichen Aufgaben zu erfüllen ist. Die Verselbständigung<br />

von Trägern öffentlicher Aufgaben in<br />

unterschiedlichsten rechtlichen Ausgestaltungen<br />

erlebt derzeit (und nicht zuletzt unter dem Titel<br />

Privatisierung) eine geradezu boomartige Entwicklung.<br />

Ausgangspunkt der folgenden Darstellung<br />

haftungsrechtlicher Probleme im Grenzland zwischen<br />

Staatshaftung und privatrechtlicher Verantwortlichkeit<br />

bildet ein kurzer Überblick über die<br />

Palette rechtlicher Formen zur Erfüllung öffentlicher<br />

Aufgaben, wobei insbesondere den Konzernierungserscheinungen<br />

in Gemeinwesen Beachtung<br />

zu schenken ist. Aufgrund dieser Auslegeordnung<br />

sollen grundsätzliche Fragen der Staatshaftung<br />

im Zusammenhang mit der Erfüllung öffentlicher<br />

Aufgaben durch Dritte erörtert und<br />

Dritthaftungskonzepten gegenübergestellt werden.<br />

Schliesslich werden die Besonderheiten der<br />

verschiedenen (und namentlich der «<strong>privatisierte</strong>n»)<br />

Organisationsstrukturen der öffentlichen<br />

Aufgabenerfüllung auf ihre haftungsrechtliche<br />

Relevanz hin betrachtet.<br />

II. Privatisierung und Organisation<br />

öffentlicher Aufgabenerfüllung<br />

1. Was ist eine öffentliche Aufgabe?<br />

Die Liste der Aufgaben, die «der Staat» zu erfüllen<br />

hat, ist-je nach politischer Vorgabe und Stimmungslage<br />

- länger oder kürzer. Sie reicht von der<br />

Gewährleistung eines unabhängigen Justizsystems<br />

zur Daseins- und Sozial<strong>für</strong>- bzw. -Vorsorge,<br />

von der Organisation des Bildungswesens über<br />

die Planung der Siedlungsentwicklung und den<br />

Schutz der Umwelt bis hin zum Betrieb einer Au­<br />

tomobilfabrik. Zumindest das letzte Beispiel -<br />

auch wenn es in Westeuropa nach wie vor gang<br />

und gäbe ist 4 - wird sogleich die Frage aufwerfen,<br />

ob es denn tatsächlich Aufgabe «des Staates»<br />

sei, solcherart tätig zu werden. Es zeigt aber<br />

auch die Konturlosigkeit, welche den Begriff der<br />

Staatsaufgabe prägt: Was muss denn der Staat<br />

nun tun, was darf er tun? 5<br />

Für verschiedene Bereiche der staatlichen Aktivität<br />

ist zwar mehr oder weniger unbestritten,<br />

dass sie zum «Kerngeschäft» der Gemeinwesen<br />

gehören. Im Zusammenhang mit solchen Tätigkeiten<br />

ist etwa von genuinen oder originären<br />

Staatsaufgaben die Rede, wobei indessen selbst<br />

hier die Grenzen nur schemenhaft sichtbar werden<br />

6 . Dies ist kaum erstaunlich, geht doch eine<br />

solche Einteilung von einer apriorischen Staatsidee<br />

aus, die dem Gemeinwesen gewisse Aufgaben<br />

kategorisch zuweist. Die Realität zeigt aber,<br />

dass die Aufgabenportefeuilles der Gemeinwesen<br />

einer dynamischen Entwicklung unterliegen,<br />

die auf vorbestehende Kategorisierungen kaum<br />

Rücksicht nimmt und auch von den jeweiligen gesellschaftspolitischen<br />

Auffassungen geprägt ist 7 .<br />

4 So ist etwa das deutsche Bundesland Niedersachsen zu<br />

20 Prozent (mittelbar und unmittelbar) an der WV-AG beteiligt; es<br />

stellt zwei Mitglieder im Aufsichtsrat und verfügt an den Hauptversammlungen<br />

der AG regelmässig über die Stimmenmehrheit. Der<br />

Betrieb staatlicher Automobilproduktionen hat namentlich auch in<br />

Frankreich Tradition.<br />

5 Für die Eidgenossenschaft hat sich eingehend der Schweizerische<br />

Juristentag 1998 in Solothurn mit Zweck und Aufgaben des<br />

Staates befasst; vgl. Paul Richli, Zweck und Aufgaben der Eidgenossenschaft<br />

im Lichte des Subsidiaritätsprinzips, ZSR 7998 II<br />

139ff.; Regula Kägi-Diener, Zweck und Aufgaben der Eidgenossenschaft<br />

aus bundesstaatlicher Sicht, ZSR 1998II 491 ff. Die Literatur<br />

zur Frage der Staatsaufgabe ist reichhaltig. Erwähnt seien nur: Dieter<br />

Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, Baden-Baden 1994; ders.<br />

(Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit<br />

des Rechts, Baden-Baden 1990; Michael Walter Hebeisen,<br />

Staatszweck, Staatsziele, Staatsaufgaben, Chur etc. 1996; Peter<br />

Saladin, Wozu noch Staaten? Zu den Funktionen eines modernen<br />

demokratischen Rechtsstaats in einer zunehmend überstaatlichen<br />

Welt, Bern etc. 1995; Christophe Zumstein. Der Begriff der Staatsaufgabe,<br />

Basel 1980; vgl. auch die ausführlichen Literaturhinweise<br />

bei Paul Richli (a.a.O.), 304ff.<br />

Besondere Fragen wirft die mit der Definition der öffentlichen bzw.<br />

der Staatsaufgabe eng verknüpfte Problematik der unternehmerischen,<br />

wirtschaftlichen Tätigkeit des Staates (vgl. dazu Rene Rhinow/Gerhard<br />

Schmid/Giovanni Biaggini, Öffentliches Wirtschaftsrecht,<br />

Basel etc. 1998, 357 ff., insb. 371 ff.) sowie die Frage der Zulässigkeit<br />

gewinnorientierter Staatstätigkeit auf (vgl. Felix Uhlmann,<br />

Gewinnorientiertes Staatshandeln, Basel 1997, der-abweichend<br />

von der herrschenden, grundsätzlich ablehnenden Meinung<br />

- die Frage bejaht).<br />

6 Vgl. etwa Adrian von Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher<br />

Aufgaben, München 1992, 102 ff.<br />

' Ein Beispiel dazu: Italien hat sich mit dem demnächst vollständigen<br />

Verkauf seiner Telekommunikationsunternehmung (Telecom<br />

Italia) aus diesem Bereich zurückgezogen, während die Schweiz<br />

die Führung einer solchen Unternehmung (Swisscom) auch nach<br />

dem Verkauf einer Aktienminderheit an Private nach wie vor als öffentliche<br />

Aufgabe (inklusive die zumindest vorläufige Pflicht zur Erbringung<br />

der Grundversorgung, Art. 66 Abs.1 des Fernmeldegesetzes<br />

IFMGI vom 30. April 1997) betrachtet. - Zu den Anfängen<br />

der rechtlichen Erfassung der Telekommunikation vgl. Franz Kilger,


echt 1999 Heft 1 <strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong>/Jürg Wichtermann, <strong>Zur</strong> <strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> <strong>privatisierte</strong> <strong>Staatsbetriebe</strong><br />

Aktualität hat die Frage der Staatsaufgaben<br />

vor allem im Zusammenhang mit der Diskussion<br />

um die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen<br />

gewonnen: Einerseits wird ausgelotet, welche<br />

Angebote aus dem staatlichen Aufgabenkatalog<br />

einer Privatisierung überhaupt zugänglich<br />

bzw. welche Aufgaben <strong>für</strong> das Gemeinwesen gewissermassen<br />

existentiell sind 8 . Andererseits<br />

steht - vor allem unter dem Stichwort der Subsidiarität<br />

9 - in Diskussion, welche staatlichen Leistungen<br />

zwingend zu privatisieren sind, weil deren<br />

Erbringung vom Staatsauftrag allenfalls gar<br />

nicht gedeckt ist 10 . Es sind denn auch immer wieder<br />

- und tendenziell erfolglos - Versuche unternommen<br />

worden, den Begriff der staatlichen<br />

bzw. öffentlichen Aufgabe 11 griffiger zu fassen 12 .<br />

Für die Frage der Verantwortlichkeit <strong>für</strong> <strong>privatisierte</strong><br />

<strong>Staatsbetriebe</strong>, um die es in diesem Beitrag<br />

geht, ist die Definition der staatlichen oder<br />

öffentlichen Aufgaben nur von untergeordneter<br />

Bedeutung. Auszugehen ist in diesem Zusammenhang<br />

nämlich davon, dass jede Aufgabe, die<br />

ein Gemeinwesen erfüllt (oder erfüllen lässt), auf<br />

der Willensbildung des zuständigen Organs dieses<br />

Gemeinwesens gründet 13 und damit eine öffentliche<br />

Aufgabe ist - selbst der Betrieb eines<br />

Wirtschaftsunternehmens 14 . Beschliesst ein Ge-<br />

Die Entwicklung des Telegraphenrechts im 19. Jahrhundert mit besonderer<br />

Berücksichtigung der technischen Entwicklung, Frankfurt<br />

a.M. 1993, 81 ff.<br />

8 Um nur auf einige neuere Beiträge hinzuweisen: Martin Kutscha,<br />

Verfassungsfragen der Privatisierung von Staatsaufgaben,<br />

Neue Justiz 7997 393ff.; Won-Wo Lee, Privatisierung als Rechtsproblem,<br />

Köln etc. 1997, 63 ff; Andreas Müller, Staats- und verwaltungsrechtliche<br />

Kriterien <strong>für</strong> die Privatisierung von Staataufgaben,<br />

AJP 199865ff.; ein interdisziplinärer Überblick findet sich bei Christoph<br />

Gusy (Hrsg.), Privatisierung von Staatsaufgaben: Kriterien -<br />

Grenzen - Folgen, Baden-Baden 1998; vgl. auch die Literatur bei<br />

PaulRichliiFn.S), 304ff.<br />

9 Dazu eingehend Paul fl/c/i//(Fn.5), 157ff.<br />

10 Zum Aspekt der Deregulierung vgl. Andreas Lienhard, Deregulierung<br />

- Leitmotiv im Wirtschaftsverwaltungsrecht?, Bern 1995,<br />

105 ff.<br />

11 Nicht immer wird unter staatlicher und öffentlicher Aufgabe<br />

dasselbe verstanden, vgl. etwa Andreas Müllerin. 8), 66; Konstantin<br />

Gogos, Verselbständigte Verwaltungseinheiten als Adressaten<br />

staatlicher Sonderbindungen, Berlin 1997, 28ff.; Nikolaus Müller,<br />

Rechtsformenwahl bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben (Institutional<br />

choice), Köln etc. 1993, 6ff.; Hans Peters, Öffentliche und<br />

staatliche Aufgaben, Festschrift Hans Carl Nipperdey, München<br />

etc. 1965, 877 ff. Demnach sind (vereinfacht) jene Aufgaben öffentlich,<br />

die im Interesse des Gemeinwesens/der Allgemeinheit bzw.<br />

gemeinwohlorientiert erfüllt werden, während eine Staatsaufgabe<br />

dann vorliegen soll, wenn der Staat selbst tätig wird.<br />

,2 Vgl. Nikolaus Müller (Fn. 11), 5, m. w. H.<br />

13 Bei Kantonen und Gemeinden ist üblich, dass diese Gemeinwesen<br />

auch Aufgaben erfüllen, die ihnen von übergeordneten Gemeinwesen<br />

übertragen worden sind. Dies ändert am Charakter der<br />

Aufgabe als öffentliche selbstverständlich nichts.<br />

14 Eine ganz andere Frage ist, wie sich das Gemeinwesen <strong>für</strong> die<br />

Aufgabenerfüllung organisiert (dazu unten im Text) und wie der<br />

Aufgabenträger handelt (gestützt auf öffentliches Recht oder Privatrecht)<br />

bzw. ob zwischen dem Aufgabenträger und dem Leistungsempfänger<br />

(soweit solche vorhanden sind) öffentlichrechtliche<br />

oder privatrechtliche Rechtsverhältnisse vorliegen (vgl. dazu<br />

<strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong>/Jürg Wichtermann, Die Überleitung von<br />

meinwesen, eine Badeanstalt oder ein Kongresshaus<br />

zu betreiben, so wird der Betrieb der Badeanstalt<br />

oder des Kongresshauses zur öffentlichen<br />

Aufgabe. Zweifellos kann - unter Umständen parallel<br />

dazu - auch ein Privater eine Badeanstalt<br />

oder ein Kongresshaus errichten oder betreiben.<br />

Dies ändert nichts daran, dass die Badeanstalt<br />

oder das Kongresshaus des Gemeinwesens im<br />

Auftrag aller, die das Gemeinwesen ausmachen,<br />

und damit als öffentliche Aufgabe betrieben<br />

wird 15 . Auch Banken (oder selbst Casinos 16 ), obwohl<br />

an sich Inbegriff pnvatwirtschaftlicher Tätigkeit,<br />

mutieren zur öffentlichen Aufgabe, wenn sie<br />

durch oder <strong>für</strong> den Staat betrieben werden ".<br />

Das Gemeinwesen hat in diesem Sinn nur öffentliche<br />

Aufgaben. Selbst die Verwaltung des<br />

staatlichen Finanzvermögens, traditionell dem öffentlichen<br />

Einfluss entzogen und privatrechtlichen<br />

Handlungsformen zugänglich, ist letztlich<br />

eine öffentliche Aufgabe, denn auch sie muss -<br />

wenn auch nur mittelbar - den Zielen des Gemeinwesens<br />

dienen 18 . Dabei wird die Berechti-<br />

Rechtsverhältnissen, in: <strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong> (Hrsg.), Rechtliche<br />

Probleme der Privatisierung, BTJP 7997 Bern 1998, 67 ff).<br />

15 Dass die gleiche Tätigkeit einmal vom Gemeinwesen als öffentliche<br />

Aufgabe, ein ander Mal von einer Privatperson als private<br />

Unternehmung vollzogen wird, bleibt nicht ohne Folgen: Das Gemeinwesen<br />

bleibt bei allen seinen (auch wirtschaftlichen) Verrichtungen<br />

immer der Öffentlichkeit und dem Gemeinwohl in einem<br />

weitesten Sinn verpflichtet. Nur konsequent ist es, dass das Gemeinwesen<br />

auch dort, wo es nicht hoheitlich handelt, an staatliche<br />

(Grundrechts-)Pflichten gebunden ist. Umgekehrt gilt dies auch <strong>für</strong><br />

privatrechtliche Rechtssubjekte, die (und soweit sie) öffentliche<br />

Aufgaben wahrnehmen - und zwar unabhängig davon, ob es sich<br />

um staatliche Eigenbetriebe, gemischtwirtschaftliche Gesellschaften<br />

oder vollprivate Unternehmen handelt. Vgl. dazu etwa Konstantinos<br />

Gogos (Fn.11), 187ff.; Yvo Hangartner, Öffentlich-rechtliche<br />

Bindungen privatrechtlicher Tätigkeit des Gemeinwesens, in: Festschrift<br />

Mario M.Pedrazzini, Bern 1990, 129ff., zum Grundrechtsschutz<br />

insb. Markus Müller, Staatshaftungsverfahren und Grundrechtsschutz,<br />

recht 7996 259ff.<br />

16 Die Aktiengesellschaft Congres, Tourisme et Sport (CTS), vollständig<br />

im Eigentum der Gemeinde Biel, führt u.a. das Bieler Kongresshaus,<br />

verwaltet die städtischen Bojenplätze im Bielersee und<br />

ist Konzessionsgeberin <strong>für</strong> ein Casino.<br />

" Sogar Verfassungsrang hat die Aufgabe, eine Bank zu führen,<br />

<strong>für</strong> den Kanton Bern. Gemäss Art 53 der Kantonsverfassung betreibt<br />

der Kanton «zur Förderung der volkswirtschaftlichen und sozialen<br />

Entwicklung» eine Bank, welche «den Kanton und die Gemeinden<br />

bei der Erfüllung ihrer Aufgaben» unterstützt. Diese Formulierung<br />

hebt besonders deutlich den öffentlichen Charakter dieser<br />

Kantonsaufgabe hervor. Allerdings würde auch ein Fehlen dieser<br />

Grundsatznorm nichts daran ändern, dass das Gemeinwesen<br />

eine Bank nur im öffentlichen Interesse betreiben kann. Die Bank<br />

wird erst dann zum Privatbetrieb, wenn sich der Staat völlig zurückzieht<br />

(oder allenfalls, soweit dies nach den einschlägigen Finanzhaushaltsvorschnften<br />

zulässig ist, im Rahmen seiner Anlage des Finanzvermögens<br />

noch am Kapital einer Bank beteiligt).<br />

18 Allerdings gelten <strong>für</strong> das Finanzvermögen insofern andere Regeln,<br />

als dieses grundsätzlich vollständig dem Privatrecht untersteht<br />

{Ulrich Häfelm/Georg Müller, Grundnss des Allgemeinen Verwaltungsrechts,<br />

3. Aufl., Zürich 1998, 465). Die Beteiligung des Gemeinwesens<br />

am Aktienkapital einer Unternehmung als Anlage des<br />

Finanzvermögens (soweit dies nach den einschlägigen öffentlichrechtlichen<br />

Finanzhaushaltsvorschriften überhaupt zulässig ist) hat<br />

demnach keine Staatshaftung zur Folge. Allerdings ist jeweils sehr<br />

genau zu prüfen, ob solche Investitionen tatsächlich Finanzvermögen<br />

darstellen oder ob nicht doch ein öffentlicher Zweck erfüllt


<strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong>/Jürg Wichtermann, <strong>Zur</strong> <strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> <strong>privatisierte</strong> <strong>Staatsbetriebe</strong> recht 1999 Heft 1<br />

gung staatsrechtlicher Überlegungen zum Umfang<br />

von Staats- bzw. öffentlichen Aufgaben (und<br />

damit die Frage, ob das Gemeinwesen einer bestimmten<br />

Tätigkeit überhaupt nachgehen darf)<br />

keineswegs in Abrede gestellt 19 . Nur sind diese<br />

Überlegungen <strong>für</strong> die Frage der <strong>Haftung</strong> irrelevant.<br />

Entsteht bei der Erfüllung einer öffentlichen<br />

Aufgabe ein Schaden, kann sich die öffentliche<br />

Hand nicht darauf berufen, sie hätte diese Tätigkeit<br />

- unter übergeordneten Gesichtspunkten -<br />

eigentlich gar nicht verrichten dürfen. In diesem<br />

Sinn ist <strong>für</strong> die Frage der <strong>Zur</strong>echnung von Verantwortlichkeiten<br />

nicht erforderlich, die Art der von<br />

einem Gemeinwesen erfüllten Aufgaben weiter<br />

zu differenzieren.<br />

2. Die Organisation der Erfüllung öffentlicher<br />

Aufgaben<br />

Längst ist es nicht mehr einfach «der Staat», der<br />

die von ihm verlangten Leistungen erbringt. Seit<br />

Jahrzehnten (und zum Teil bereits seit dem vergangenen<br />

Jahrhundert) ist anerkannt, dass das<br />

Gemeinwesen die Strukturen der Erfüllung seiner<br />

Aufgaben relativ frei gestalten kann.<br />

Waren es rückblickend zunächst vor allem<br />

rechtlich verselbständigte Verwaltungseinheiten<br />

in der Form öffentlichrechtlicher Rechtssubjekte<br />

20 , die zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben beigezogen<br />

wurden, so wird heute ohne weiteres<br />

und schon beinahe als selbstverständlich akzeptiert,<br />

dass das Gemeinwesen auch Subjekte des<br />

Privatrechts (insbesondere privatrechtliche Kapitalgesellschaften)<br />

zur Produktion öffentlicher Leistungen<br />

heranziehen darf. Die schrittweise Entwicklung<br />

hin zu einer relativ umfassenden Inanspruchnahme<br />

sämtlicher öffentlich- und privatrechtlichen<br />

Organisationsinstrumente <strong>für</strong> praktisch<br />

alle öffentlichen Aufgaben zeigt sich auch<br />

darin, dass anfänglich vor allem wirtschaftlich-gewerblich<br />

geprägte Dienstleistungen der öffentlichen<br />

Hand (so typischerweise oft die Wasserund<br />

Energieversorgung) durch verselbständigte<br />

Rechtssubjekte erledigt wurden, während nach<br />

wird. So erfolgt beispielsweise die Beteiligung an einer Aktiengesellschaft,<br />

die ein Parkhaus betreibt, in aller Regel nicht aus Anlageund<br />

Renditezwecken, sondern mit dem Ziel, Parkraum anzubieten<br />

und damit Verkehrspolitik zu betreiben.<br />

19 In diesem Zusammenhang ist auch von Interesse (und umstritten),<br />

ob und wie weit der Staat im Rahmen seiner Tätigkeiten gewinnstrebig<br />

arbeiten darf (vgl. dazu Felix Uhlmann lFn.5l). Für die<br />

Frage der <strong>Haftung</strong> ist dieser Diskussionspunkt aber ebenfalls irrelevant.<br />

M Körperschaften des öffentlichen Rechts (z.B. Gemeinde- oder<br />

Zweckverbände, Dorfkorporationen etc.) oder Anstalten (öffentlichrechtliche<br />

Unternehmungen).<br />

derzeitigem Stand auch die Erledigung hoheitlicher<br />

(und sogar polizeilicher) Aufgaben - auch<br />

durch privatrechtliche Trägerschaften - kaum<br />

mehr in Frage gestellt wird. Der Gedanke, dass<br />

das staatliche Gewaltmonopol - zumindest formell<br />

- gewissermassen privatisierbar geworden<br />

sei, ist der Gegenwart nicht mehr fremd 21 .<br />

Diese Entwicklung hin zu staatlichem Handeln<br />

durch Private (oder «Privatisierte») hat eine Reihe<br />

von Rechtsfragen aufgeworfen, auf die an dieser<br />

Stelle nicht einzugehen ist 22 . Sie hat aber insbesondere<br />

auch - und das interessiert vorliegend -<br />

dazu geführt, dass öffentliche Aufgaben, auch<br />

wenn sie von einem einzigen Gemeinwesen ausgehen,<br />

heute von einer Vielzahl von rechtlich<br />

grundsätzlich selbständigen Rechtsträgern erbracht<br />

werden. Damit verschärft sich nun die<br />

Schwierigkeit, die Verantwortlichkeit <strong>für</strong> allfällige<br />

Schäden im Zusammenhang mit der öffentlichen<br />

Aufgabenerfüllung zuzurechnen. Ist es unter der<br />

idealtypischen (wenn auch längst nicht mehr realistischen)<br />

Voraussetzung, wonach der Staat allein<br />

alle seine Aufgaben selbst erledigt, relativ<br />

leicht, das letztlich haftende Subjekt auszumachen,<br />

kompliziert sich diese <strong>Zur</strong>echnung in Organisationsstrukturen<br />

mit mehreren rechtlich selbständigen<br />

Subjekten regelmässig.<br />

Beschleunigt wird die beschriebene rechtssubjektive<br />

«Zersplitterung» der einzelnen Gemeinwesen<br />

durch die derzeit besonders intensive,<br />

meist durch wirtschaftliche Überlegungen<br />

geförderte Diskussion um die Ausgliederung gewisser<br />

Abteilungen, Betriebe und Zweige aus<br />

den öffentlichen Zentralverwaltungen. Kaum ein<br />

Tag, an dem nicht von Plänen <strong>für</strong> die rechtliche<br />

Verselbständigung von Gemeindewerken, Flughäfen,<br />

Erdgas-, Elektrizitäts- oder Wasserversor-<br />

21 Für die Übertragung an rechtlich verselbständigte Betriebe<br />

standen vorerst Aufgaben mit wirtschaftlichem bzw. dienstleistungsähnlichem<br />

Charakter im Vordergrund (vgl. bspw. Walther<br />

Hug, Die rechtliche Organisation der öffentlichen Unternehmen<br />

von Kanton und Gemeinde, in: Festgabe Fritz Fleiner, Zürich 1937,<br />

131 ff.). Später setzte dann auch die bis heute anhaltende Diskussion<br />

um die Frage ein, ob und inwieweit Verwaltungsaufgaben<br />

i.e.S. an verselbständigte Verwaltungseinheiten oder gar Subjekte<br />

des Privatrechts übertragen werden können (vgl. etwa schon die<br />

Referate von Fritz Ossenbühl und Hans-Ullrich Gallwas, Die Erfüllung<br />

von Verwaltungsaufgaben durch Private, WDStRL 29 Berlin<br />

1971, 137ff., 211 ff.).<br />

" Fragen stellen sich insbesondere im Zusammenhang mit der<br />

Übertragung hoheitlicher Tätigkeiten (und allenfalls Rechtsetzungsbefugnissen)<br />

an Private. Zum Problem der Handlungsform<br />

<strong>privatisierte</strong>r Träger öffentlicher Aufgaben vgl. Pierre Tschannen,<br />

Privatisierung: Ende der Verfügung?, in: <strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong> (Hrsg.),<br />

Rechtliche Probleme der Privatisierung, BTJP 1997 Bern 1998,<br />

218ff. - Zu aufsichtsrechtlichen Problemen des «<strong>privatisierte</strong>n»<br />

Staates vgl. Ulrich Zimmerli/Andreas Lienhard, «Privatisierung»<br />

und parlamentarische Oberaufsicht, in: <strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong> (Hrsg.),<br />

Rechtliche Probleme der Privatisierung, BTJP 1997 Bern 1998,<br />

167ff., 180ff.


echt 1999 Heft 1 <strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong>/Jürg Wichtermann, <strong>Zur</strong> <strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> <strong>privatisierte</strong> <strong>Staatsbetriebe</strong><br />

gungen, EDV-Diensten, öffentlichen Verkehrsbetrieben<br />

oder Gemeinschaftsantennen und vielem<br />

mehr berichtet wird. Mit einer gewissen Regelmässigkeit<br />

wird bei solchen Umstrukturierungsprozessen<br />

jeweils eine juristische Person des Privatrechts<br />

als neue Rechtsträgerin gewählt. Nicht<br />

zuletzt deshalb werden diese Vorgänge oft als Privatisierungen<br />

bezeichnet. Weil der Privatisierungsbegriff<br />

einerseits mehrdeutig, andererseits<br />

aber <strong>für</strong> die Frage der <strong>Haftung</strong> in einer dezentral<br />

strukturierten Organisation jedenfalls in bestimmten<br />

Punkten von entscheidender Bedeutung<br />

ist, wird nachfolgend soweit erforderlich<br />

kurz darauf eingegangen.<br />

3. Öffentliche Privatisierungen und<br />

staatliche Konzernierungen<br />

Der Begriff der Privatisierung ist ausserordentlich<br />

vielgestaltig. Unterschiedlichste Kriterien können<br />

an ihn angelegt werden, und er eignet sich zur<br />

vielfältigen Kategorienbildung. Entsprechend<br />

umfangreich ist denn auch die Terminologie, welche<br />

die verschiedenen Ausgestaltungen der Privatisierung<br />

näher bezeichnet: So werden beispielsweise<br />

echte und unechte, formelle und materielle,<br />

Voll- und Teil-, Organisations-, Aufgaben-,<br />

Aufgabenwahmehmungs-, Handlungsform-, Finanzierungs-,<br />

Vermögens-, Eigentums- und andere<br />

Privatisierungen unterschieden 23 , 24 . Für die<br />

23 Zum Begriff der Privatisierung vgl. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong>/Jürg<br />

Wichtermann (Fn. 14), 54, 56ff„ m.w. H.; Ulrich Zimmerli/Andreas<br />

Lienhard, (Fn.22), 169ff.; Pierre Tschannen (Fn. 22). 210ff.; Gunnar<br />

Folke Schuppen, Jenseits von Privatisierung und «schlankem»<br />

Staat: Vorüberlegungen zu einem Konzept von Staatsentlastung<br />

durch Verantwortungsteilung, in: Christoph Gusy (Fn.8), 75ff.<br />

24 Das zurzeit aktuellste schweizerische Beispiel einer« Privatisierung»<br />

betrifft die Umstrukturierung der Swisscom. Hier liegt insofern<br />

eine unechte (und somit keine materielle) Privatisierung vor,<br />

als die Gesellschaft (mehrheitlich) nach wie vor im Eigentum der<br />

Eidgenossenschaft steht und damit die Aufgabe, welche die<br />

Swisscom wahrnimmt, grundsätzlich eine öffentliche bleibt. Auch<br />

bezüglich der Rechtsform ist fraglich, ob eine formelle Privatisierung<br />

vorliegt. Die Swisscom ist eine durch öffentliches Recht (Telekommunikationsgesetz,<br />

TUG) und nicht aufgrund des OR gegründete<br />

Gesellschaft, die sich allerdings weitestgehend an die Vorschriften<br />

des Aktienrechts anlehnt (sog. spezialgesetzliche Aktiengesellschaft;<br />

vgl. BBI 1996III 1333). Sie weist damit eine gewisse<br />

Nähe zu Aktiengesellschaften gemäss Art. 763 OR auf (die allerdings<br />

den Kantonen vorbehalten sind). Die Rechtsnatur solcher Organisationen<br />

ist umstritten: Eine (radikale) Ansicht geht etwa davon<br />

aus, dass jede Institution, in denen der Staat Gesamtinteressen<br />

wahrnehme, sei (selbst bei staatlichen Minderheitsbeteiligungen)<br />

als öffentlichrechtliche zu charakterisieren. Wohl könnten solche<br />

Organisationen nach privatrechtlichen Bestimmungen ausgestaltet<br />

werden, doch werde das einschlägige Privatrecht als öffentliches<br />

Recht angewandt {Walter Heusser, Die Flucht des Gemeinwesens<br />

in die privatrechtliche Unternehmung als Rechtsproblem.<br />

Zürich 1949, 101 ff.). Die Swisscom wird insofern teilprivatisiert, als<br />

sich Privatanleger - zwar nur zu 30 Prozent - am Gesellschaftskapital<br />

beteiligen können, und insofern orgamsationspnvatisiert, als sie<br />

organisatorisch wie eine privatrechtliche Aktiengesellschaft ausgestaltet<br />

wird. - Zu den öffentlichen Unternehmen vgl. etwa flenö<br />

Frage der <strong>Haftung</strong>, der <strong>Haftung</strong>szurechnung und<br />

letztlich der <strong>Haftung</strong>sbeschränkung im Zusammenhang<br />

mit <strong>privatisierte</strong>n <strong>Staatsbetriebe</strong>n sind<br />

die meisten Differenzierungen indessen ohne<br />

Belang. Entscheidend ist jedoch, ob eine Umstrukturierung<br />

zu einem neuen oder anderen,<br />

rechtlich eigenständigen Rechtssubjekt führt,<br />

das selbst handeln und demnach auch als <strong>Haftung</strong>ssubjekt<br />

in Betracht gezogen werden kann.<br />

Für die Frage, ob allenfalls das Gemeinwesen (in<br />

welcher Form auch immer) trotz der rechtlichen<br />

Ausgliederung eines Verwaltungsteils belangt<br />

werden kann, ist zudem massgebend, was das<br />

verselbständigte Rechtssubjekt tut, d.h. ob dieser<br />

Rechtsträger eine öffentliche Aufgabe erfüllt<br />

und damit eine Tätigkeit ausübt, die - würde sie<br />

nicht durch das verselbständigte Subjekt wahrgenommen<br />

- vom Gemeinwesen selbst an die<br />

Hand genommen werden müsste, weil es durch<br />

seine zuständigen Organe dazu beauftragt worden<br />

ist 25 .<br />

Solange das Gemeinwesen über <strong>privatisierte</strong><br />

Betriebe weiterhin öffentliche Aufgaben erfüllt,<br />

benützt es die Strukturreformen zur Dezentralisation<br />

der öffentlichen Aufgabenerfüllung 26 . Solche<br />

Konstellationen im Umfeld der staatlichen Leistungserbringung<br />

sind freilich nicht erst ein Phänomen<br />

der Privatisierung. Auch der seit langem<br />

praktizierte Beizug öffentlichrechtlicher selbständiger<br />

Rechtsträger (Anstalten, öffentlichrechtliche<br />

Körperschaften) zur Erfüllung öffentlicher<br />

Aufgaben führt dazu, dass ein Gemeinwesen in<br />

seiner rechtlichen Struktur als ein Konglomerat<br />

mehrerer eigenständiger Rechtssubjekte erscheint.<br />

Dass die Verantwortlichkeit der öffentlichrechtlichen<br />

Organisationen als selbständige<br />

<strong>Haftung</strong>ssubjekte bislang eine untergeordnete<br />

Rolle gespielt hat, liegt in erster Linie darin, dass<br />

<strong>für</strong> diese kraft öffentlichrechtlicher <strong>Haftung</strong>sregelungen<br />

regelmässig ohne weiteres die Muttergemeinwesen<br />

einzustehen haben - und, zum Teil<br />

nicht zu knapp, auch einstehen mussten 27 .<br />

Rhinow/Gerhard Schmid/Giovanni Biaggini (Fn. 5), 365f.; Felix Uhlmann(Fn.5),<br />

25ff.<br />

26 Für die <strong>Haftung</strong>sfragen ist demnach in erster Linie von Bedeutung,<br />

ob eine formelle (rechtliche) Privatisierung vorliegt. Bei einer<br />

materiellen Privatisierung würde sich das Gemeinwesen völlig aus<br />

einer bestimmten Aufgabe zurückziehen und den bisher damit befassten<br />

Verwaltungszweig auflösen oder vollständig an einen Privaten<br />

veräussern. <strong>Haftung</strong>sfragen können sich zwar auch hier ergeben,<br />

allerdings in einem Iva zeitlich) nur eingeschränkten Mass;<br />

vgl. dazu unten im Text.<br />

26 Ulrich Zimmerli/Andreas Lienhard (Fn.22), 176; Pierre Moor,<br />

Des personnes morales de droit public, in: Festschrift Ulrich Häfelin,<br />

Zürich 1989. 517ff.<br />

21 Besonders illustrativ sind etwa die teilweise nicht ganz unerheblichen<br />

Nachschüsse, welche verschiedene Kantone <strong>für</strong> ihre ins<br />

Ungleichgewicht geratenen, in der Form selbständiger Anstalten<br />

auftretenden Kantonalbanken zu leisten hatten; zwar gründete<br />

diese <strong>Haftung</strong> in erster Linie auf der Staatsgarantie, welche die


<strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong>/Jürg Wichtermann, <strong>Zur</strong> <strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> <strong>privatisierte</strong> <strong>Staatsbetriebe</strong> recht 1999 Heft 1<br />

Die Aufsplitterung des Gemeinwesens in eine<br />

im Prinzip unbeschränkte Anzahl von rechtlich eigenständigen<br />

Subjekten und die Wahrnehmung<br />

von Aufgaben des Gemeinwesens durch diese<br />

selbständigen Rechtsträger legt ein dem privatrechtlichen<br />

Gesellschaftsrecht entlehntes Bild<br />

nahe: Das Gemeinwesen erscheint, zusätzlich<br />

untermalt durch die Begleitmusik der modernen<br />

Verwaltungsmanagement-Terminologie, zunehmend<br />

als Konzern: als eine Gesamtheit von unter<br />

einheitlicher wirtschaftlicher Leitung stehenden,<br />

rechtlich selbständigen Unternehmungen 28 .<br />

Grundsätzlich ist denn auch anerkannt, dass Gemeinwesen<br />

konzernwesentliche Charakteristika<br />

entwickeln bzw. dass sie als herrschende Subjekte<br />

juristisch verselbständigte Organisationen<br />

unter einer einheitlichen Leitung zusammenfassen<br />

und insofern grundsätzlich auch konzernrechtlichen<br />

Regelungen unterstellt werden können<br />

29 .<br />

Es ist allerdings bereits hier darauf hinzuweisen,<br />

dass sich das Verhältnis zwischen einer Muttergesellschaft<br />

und ihren Töchtern vom Verhältnis<br />

eines Muttergemeinwesens zu ihren Töchtern<br />

in einem Punkt grundsätzlich unterscheidet:<br />

Das Gemeinwesen ist in der Regel nur sehr beschränkt<br />

frei, eine öffentliche Aufgabe aus dem<br />

Angebotssortiment zu streichen. Die öffentliche<br />

Hand kann sich zwar relativ beliebig strukturieren<br />

und Aufgaben allenfalls auch durch verselbständigte<br />

Rechtsträger erfüllen (lassen). Der Wegfall<br />

eines solchen in die öffentliche Aufgabenerfüllung<br />

eingespannten eigenständigen Rechtssubjektes<br />

entlastet das Gemeinwesen meistens<br />

aber nicht von der Pflicht, die entsprechende Leistung<br />

zu erbringen 30 . Eine rein wirtschaftliche,<br />

Kantone zugunsten ihrer Bankinstitute abgaben, doch ist in der Regel<br />

davon auszugehen, dass auch aufgrund der jeweiligen kantonalen<br />

<strong>Haftung</strong>sgesetze ein kantonales Einstehen unausweichlich geworden<br />

wäre.<br />

28 So die Definition des Konzerns bei Roland von Büren, Der Konzern,<br />

SPR VIII/6, Basel etc. 1997, 15.<br />

39 Roland von Büren (Fn.28), 249; Beat Brechbühl, <strong>Haftung</strong> aus<br />

erwecktem Konzernvertrauen, Bern 1998, 7, Für Deutschland, wo<br />

ebenfalls herrschende Meinung und Praxis ist, dass Gemeinwesen<br />

konzernrechtlich herrschende Unternehmen sein können, vgl. Thomas<br />

Kuhl/Kersten Wagner, Das Insolvenzrisiko der Gläubiger kommunaler<br />

Eigengesellschaften, ZIP 1995433ff., 440 (m. H). Gemäss<br />

dem Beschluss des BGH vom 17.3.1997 («VW-Beschluss», NJW<br />

7997 1855ff.) genügt es nach deutscher Praxis schon, dass das<br />

Gemeinwesen nur ein einziges privatrechtliches Unternehmen<br />

(u.U. auch nur über eine Minderheitsbeteiligung) beherrscht, damit<br />

ein konzernrechtlich relevanter Sachverhalt bejaht werden kann.<br />

30 Besonders deutlich tritt dies bei jenen Aufgaben zu Tage, die einem<br />

Gemeinwesen von einem übergeordeten Gemeinwesen<br />

zwingend zur Erfüllung übertragen werden. So ist beispielsweise<br />

die Abfallentsorgung in den meisten Kantonen Sache der kommunalen<br />

Ebene. Die Gemeinden können durchaus Private mit dieser<br />

Aufgabe betrauen oder selbst privatrechtliche Organisationen<br />

gründen und diese <strong>für</strong> die Abfallentsorgung einsetzen. Fällt nun<br />

aber der mit dieser Aufgabe betraute Träger (aus welchen Gründen<br />

auch immer) weg, so hat ohne weiteres das Gemeinwesen die aus-<br />

private Muttergesellschaft eines Konzerns ist mit<br />

solchen Komplikationen in aller Regel weit weniger<br />

oder gar nicht konfrontiert.<br />

IM. Staatshaftung und<br />

Dritthaftungskonzepte<br />

1. Strukturen von Dritthaftungen 3 '<br />

Wer einen Schaden erleidet, der hat ihn grundsätzlich<br />

selbst zu tragen. Selbstverständlich ist<br />

dieser Grundsatz - auch unabhängig davon, dass<br />

die Regel nur den zufällig eintretenden Schaden<br />

betrifft - in verschiedenster Weise zu relativieren.<br />

In vertraglichen Beziehungen ohnehin 32 ,<br />

aber auch in deliktischen <strong>Haftung</strong>sverhältnissen<br />

haben Gesetzgebung 33 und Praxis längst Risikotragungszuweisungen<br />

vorgenommen, welche<br />

die Pflicht zum Schadensausgleich zwischen<br />

zwei sich gegenüberstehenden Parteien von<br />

ganz anderen Kriterien abhängig machen.<br />

Zusätzliche Fragen werfen <strong>Haftung</strong>skonstellationen<br />

auf, an denen nicht nur zwei, sondern drei<br />

Parteien beteiligt sind, die allerdings jeweils nur<br />

mit einer der beiden anderen Parteien direkt in<br />

«Berührung» kommen, während zur dritten Partei<br />

(höchstens) mittelbar ein Verhältnis besteht.<br />

Vereinfacht lautet die vorab interessierende<br />

Frage in solchen Dreiecksverhältnissen: Haftet<br />

(und wenn ja: unter welchen Voraussetzungen)<br />

eine (Erst-)Person <strong>für</strong> den Schaden, den ein Dritter<br />

erlitten hat, obwohl dieser nur mit einer<br />

(Zweit-)Person in Kontakt getreten ist und mit<br />

der ersten Person an sich keine «Berührung»<br />

hatte? 34 ' 36 .<br />

fallende Leistung sicherzustellen. Im Prinzip gilt diese subsidiäre<br />

Erfüllungsverantwortlichkeit <strong>für</strong> alle öffentlichen Aufgaben, die ein<br />

Gemeinwesen übernimmt, d.h. auch <strong>für</strong> die selbstgewählten. Im<br />

Unterschied zu den übertragenen Aufgaben kann aber das Gemeinwesen<br />

auf die Erfüllung einer selbstgewählten Aufgabe verzichten;<br />

dies allerdings nur durch den Entscheid des zuständigen<br />

Organs (in der Regel ein Legislativorgan) und unabhängig vom<br />

Schicksal des mit der in Frage stehenden öffentlichen Aufgabe betrauten<br />

Dritten.<br />

•" Martin Moser (Die <strong>Haftung</strong> gegenüber vertragsfremden Dritten,<br />

Bern 1998, 3f.) hat auf die teilweise uneinheitliche Terminologie<br />

bei <strong>Haftung</strong>sfällen in Drei-Personen-Verhältnissen hingewiesen.<br />

Wie dort <strong>für</strong> vertragliche <strong>Haftung</strong>slagen wird auch hier generell<br />

von Dritthaftungen gesprochen, wo eine Person <strong>für</strong> einen Schaden<br />

haften soll, der von einer zweiten Person (im Rahmen ihrer Tätigkeit<br />

<strong>für</strong> die erste Person) einer Drittperson zugefügt wird.<br />

32<br />

<strong>Zur</strong> Entwicklung des vertraglichen Schuldverhältnisses vgl.<br />

<strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong>, Von der Obligation zum Schuldverhältnis, recht<br />

/99785ff.<br />

33<br />

Etwa durch die Einführung von Kausal- und Gefährdungshaftungen.<br />

34<br />

Von Interesse ist dies vor allem im Zusammenhang mit reinen<br />

Vermögensschäden, die in der Regel ausservertraglich nicht erfasst<br />

werden. Das klassische Beispiel hierzu bildet der Handwer-


echt 1999 Heft 1 <strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong>/Jürg Wichtermann, <strong>Zur</strong> <strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> <strong>privatisierte</strong> <strong>Staatsbetriebe</strong><br />

Auch im Bereich des staatlichen Tätigseins<br />

kann sich die Frage nach der <strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> fremdes<br />

Verhalten stellen. Dezentralisiert das Gemeinwesen<br />

seine Aufgabenerfüllung, indem es da<strong>für</strong><br />

rechtlich selbständige (öffentliche oder private)<br />

Organisationen beizieht, entstehen typischerweise<br />

Dritthaftungsfälle, wenn im Rahmen der<br />

Aufgabenerfüllung Drittpersonen zu Schaden<br />

kommen. Es ist dann nicht das Gemeinwesen<br />

selbst, das handelt, sondern ein eigenständiger<br />

und grundsätzlich auch haftungsfähiger bzw.<br />

haftpflichtiger Rechtsträger. Unter zwei Voraussetzungen<br />

ergeben sich <strong>für</strong> den Geschädigten<br />

aus dem Beizug juristisch selbständiger Personen<br />

keine grundsätzlichen Probleme: Entweder<br />

wird die schädigende Handlung, obwohl durch<br />

ein eigenständiges Subjekt begangen, direkt<br />

dem Gemeinwesen zugerechnet. Oder die handelnde<br />

und dabei schädigende Institution ist solvent.<br />

Interessant wird ein möglicher Rückgriff<br />

aber im Insolvenzfall: Kann die rechtlich selbständige,<br />

<strong>für</strong> das Gemeinwesen eine öffentliche Aufgabe<br />

erfüllende Person ihren Verpflichtungen<br />

nicht (mehr) nachkommen, wird man ohne weiteres<br />

nach Wegen suchen wollen, um das Gemeinwesen<br />

in Pflicht nehmen zu können.<br />

ker, der bei Reparaturarbeiten im Haus des Vertragsnehmers dessen<br />

unbeteiligte Tochter (evtl. nur am Vermögen) schädigt. Solchen<br />

Situationen versucht man dogmatisch mit verschiedenen <strong>Haftung</strong>skonzepten<br />

zu begegnen: bspw. Vertrag mit Schutzwirkung<br />

zugunsten Dritter, Drittschadensliquidation, Berufshaftung und-in<br />

neuerer Zeit in den Vordergrund tretend - Vertrauenshaftung. Vgl.<br />

dazu eingehend Martin /VJoser(Fn.3D, passim; <strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong><br />

(Fn.32), 85 ff.; weiterauch Samuel Siegrist, Der Vertrag mit Schutzwirkung<br />

zugunsten Dritter nach schweizerischem Recht, Zürich<br />

1997; Hans Peter Walter, Vertrauenshaftung im Umfeld des Vertrages,<br />

ZBJV 1996 273ff., Heribert Hirte, Berufshaftung, München<br />

1996, 386ff.<br />

Ein von der Interessenlage her vergleichbarer Fall aus der neuesten<br />

Praxis des Bundesgerichts: Die Revisionsstelle einer Aktiengesellschaft<br />

haftet nicht nur gegenüber der sie mit der Wirtschaftsprüfung<br />

beauftragenden Gesellschaft, sondern grundsätzlich auch gegenüber<br />

Dritten (z.B. Gesellschaftsgläubigern). Die Funktion der<br />

Revisionsstelle sei auch «drittschutzbezogen» zu verstehen. Die<br />

<strong>Haftung</strong> der Revisionsstelle gegenüber Dritten ergibt sich indessen<br />

(wie auch gegenüber der Gesellschaft selbst) direkt aus Art. 755<br />

OR (BGE vom 19.12.1997, Pra 1998 680ff [nicht in der amtl.<br />

Sammlung]; vgl. dazu die Besprechungen von Roger Groner/Hans-<br />

Ueli Vogt, <strong>Zur</strong> <strong>Haftung</strong> der Revisionsstelle gegenüber Investoren,<br />

recht 1998 257ff.. und Lukas Glanzmann in AJP 1998 1235ff. sowie<br />

Kersten Alexander Honold, <strong>Zur</strong> Dritthaftung der Revisionsstelle,<br />

ST 1998 1069ff).<br />

35 Nur vordergründig sind die <strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> Hilfspersonen gemäss<br />

Art. 101 OR und die <strong>Haftung</strong> der juristischen Person <strong>für</strong> ihre Organe<br />

gemäss Art. 55 ZGB Beispiele hier<strong>für</strong>. Tatsächlich hat hier eine (juristische)<br />

Person <strong>für</strong> fremdes Fehlverhalten einzustehen; allerdings<br />

besteht dabei ein direktes Verhältnis zwischen der Erst-Person und<br />

dem Geschädigten bzw. das Verhalten der Organe verpflichtet die<br />

juristische Person direkt. Hingegen könnte im Rahmen der Geschäftsherrenhaftung<br />

nach Art. 55 OR eine solche Konstellation gegeben<br />

sein. Hier wird das Verhalten des Gehilfen dem Geschäftsherrn<br />

zugerechnet, obwohl zwischen dem geschädigten Dritten<br />

und dem Geschäftsherrn unter Umständen keine Beziehung besteht.<br />

2. Das auf «Staatshaftungsfälle»<br />

anwendbare Recht<br />

a) Von der Unfehlbarkeit des Staates zur<br />

staatlichen Kausalhaftung<br />

Das Gemeinwesen agiert, wenn es mit anderen<br />

Rechtssubjekten in Kontakt tritt, oft und in verschiedener<br />

Hinsicht anders als «normale» Akteure.<br />

Namentlich steht ihm in vielen Bereichen<br />

zu, gegenüber anderen Personen autoritativ aufzutreten.<br />

Als Korrelat zu dieser Machtfülle im intersubjektiven<br />

Verkehr und der entsprechenden,<br />

gewollten Ungleichgewichtslage wird das Gemeinwesen<br />

allerdings in der Regel auch bezüglich<br />

seiner Verantwortlichkeit <strong>für</strong> seine Veranlassungen<br />

(oder allenfalls Unterlassungen) anders<br />

behandelt als die anderen Rechtssubjekte. Das<br />

schweizerische Staatshaftungsrecht ist heute -<br />

zwar nicht durchgehend, aber weitestgehend -<br />

geprägt vom Gedanken, dass die öffentliche<br />

Hand grundsätzlich einzustehen hat, wenn sie im<br />

Rahmen ihrer Tätigkeit andere Personen schädigt<br />

- und zwar tendenziell verschuldensunabhängig<br />

36 , d.h. regelmässig im Sinne einer (allenfalls<br />

milden) Kausalhaftung.<br />

Dieser Grundsatz ist sogleich nach mehreren<br />

Seiten einzuschränken bzw. zu präzisieren. Zunächst<br />

ist in Erinnerung zu rufen, dass die heute<br />

vorherrschende Meinung, wonach das Gemeinwesen<br />

relativ umfassend <strong>für</strong> schädigende Auswirkungen<br />

seines Tuns einzustehen hat, keineswegs<br />

selbstverständlich ist. Der seinerzeitige absolutistische<br />

und demnach unfehlbare Staat kam<br />

als <strong>Haftung</strong>ssubjekt nicht in Frage 37 . Und auch<br />

die ersten <strong>Haftung</strong>sgesetze der modernen Staaten<br />

bezeichneten - im Nachhall des staatlichen<br />

Unfehlbarkeitsdogmas - in der Regel zuerst die<br />

Beamten als <strong>Haftung</strong>ssubjekt, während das Gemeinwesen<br />

gar nicht, nur subsidär oder allenfalls<br />

neben der Beamtenschaft belangt werden<br />

konnte 38 . Dass das Rechtssubjekt Staat selbst<br />

die primäre oder originäre 39 Verantwortung <strong>für</strong><br />

von ihm bzw. seinen Organen und Hilfskräften<br />

verursachte Schäden übernimmt, ist im Wesent-<br />

36 Vgl. Balz Gross, Die Haftpflicht des Staates, Zürich 1996. 18ff.<br />

37 Pirmm Bischof, Amtshaftung an der Grenze zwischen öffentlichem<br />

Recht und Obligationenrecht, ZSR 7985 I 70; Offo K Kaufmann,<br />

Die Verantwortlichkeit der Beamten und die Schadenersatzpflicht<br />

des Staates in Bund und Kantonen, ZSR 7953201a ff, 206a f<br />

38 So liess auch das frühere Verantwortlichkeitsgesetz des Bundes<br />

vom 9 Dezember 1850 die Beamten <strong>für</strong> in amtlicher Funktion<br />

(allerdings: schuldhaft) verursachten Schaden einstehen (vgl Balz<br />

Gross, [Fn 36], 32, m H).<br />

39 <strong>Zur</strong> (vor allem dogmatisch interessanten) Unterscheidung von<br />

primärer und originärer <strong>Haftung</strong> vgl. Peter Salzgeber, Die Amtshaftung<br />

im schweizerischen Recht mit besonderer Berücksichtigung<br />

des bündnenschen Verantwortlichkeitsgesetzes vom 29 Oktober<br />

1944, Zürich 1979, 100ff.


<strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong>/Jürg Wichtermann, <strong>Zur</strong> <strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> <strong>privatisierte</strong> <strong>Staatsbetriebe</strong> recht 1999 Heft 1<br />

liehen erst eine Errungenschaft des 20. Jahrhunderts<br />

40 '".<br />

Zu präzisieren ist der Grundsatz der prinzipiellen<br />

<strong>Haftung</strong> des Gemeinwesens im Weiteren vor<br />

allem in zwei Punkten: Zum einen ist die <strong>Haftung</strong><br />

des Gemeinwesens natürlich nicht unabhängig<br />

vom Kriterium der Rechtswidrigkeit seines (oder<br />

allenfalls des ihm zugerechneten) Tuns. Allerdings<br />

ist den Staatshaftungskonzepten praktisch<br />

durchgehend eigen, dass das Gemeinwesen unter<br />

Umständen auch <strong>für</strong> rechtmässiges Tun haftet<br />

42 . Zum andern ist darauf hinzuweisen, dass<br />

mit dem Begriff der Staatshaftung oft nur oder jedenfalls<br />

in erster Linie die deliktische <strong>Haftung</strong> des<br />

Gemeinwesens erfasst wird. Dies lässt sich aus<br />

der Tradition des staatlichen Handelns ausserhalb<br />

konsensualer Rechtsgeschäftsformen erklären:<br />

Der Staat als Autorität verhandelt grundsätzlich<br />

nicht, sondern ordnet an. Seit langem ist allerdings<br />

unbestritten, dass auch das Gemeinwesen<br />

am Geschäftsverkehr teilnehmen kann, soweit<br />

es etwa Erwerbsgeschäfte <strong>für</strong> die verwaltungsinterne<br />

Bedarfsdeckung tätigt. Insofern kann der<br />

Staat auch Partei von privatrechtlichen Rechtsgeschäften<br />

und namentlich von privatrechtlichen<br />

Verträgen sein 43 . Im Weiteren bestehen heute in<br />

40 So das Bundesgesetz vom 14. März 1958 über die Verantwortlichkeit<br />

des Bundes sowie seiner Behördenmitglieder und Beamten<br />

(Verantwortlichkeitsgesetz, VG, SR 170.32) seit 1959; gewisse<br />

Kantone sind erst deutlich später zu diesem System übergegangen<br />

(vgl. Jost Gross, Schweizerisches Staatshaftungsrecht, Bern 1995,<br />

51 ff.). Praktisch verschwunden ist die früher oft anzutreffende<br />

Amtskaution, welche öffentlich Bedienstete beim Antritt einer<br />

Stelle beim Gemeinwesen zu hinterlegen hatten, damit sich dieses<br />

schadlos halten konnte, wenn Dritte das Gemeinwesen <strong>für</strong> Schäden<br />

belangten, die der Beamte verursacht hatte.<br />

41 Diese Entwicklung des Staatshaftungsrechts weist im Übrigen,<br />

auch wenn sie höchstens teilweise von identischen Motiven<br />

geleitet wurde, gewisse Parallelen zur Entwicklung der (deliktischen<br />

und vertraglichen) Verantwortlichkeit <strong>für</strong> Schäden im Privatrecht<br />

auf. Auch hier geht die Tendenz eindeutig dahin, über die Statuierung<br />

von Gefährdungs- und Kausalhaftungen bzw. über die teilweise<br />

massive Ausdehnung von Schutzpflichten Risiken zunehmend<br />

mehr oder weniger verschuldensunabhängig durch diejenigen<br />

tragen zu lassen, welche Schadenspotentiale schaffen. Auch<br />

diese Risikoverteilung und -Verlagerung ist im Wesentlichen durch<br />

die gesellschaftliche und vor allem technische Entwicklung des<br />

20. Jahrhunderts geprägt worden.<br />

42 In der Regel ist dann meist von Entschädigung und nicht von<br />

Schadenersatz aus Staatshaftung die Rede. Typisches Beispiel ist<br />

die Entschädigung <strong>für</strong> materielle oder formelle Enteignungen von<br />

Grundeigentum. Zu den Abgrenzungen vgl. Tobias Jaag, Öffentliches<br />

Entschädigungsrecht, ZBI 7997145ff.<br />

43 Damit wird das Gemeinwesen allerdings nicht zum Privatrechtssubjekt,<br />

wie die oft verwendete Redensart, der Staat handle<br />

in diesen Bereichen als Subjekt des Privatrechts, vermitteln könnte<br />

(so auch die missverständliche Formulierung in Art, 11 Abs. 1 VG<br />

[Fn.40]). Das Gemeinwesen wird kraft öffentlichen Rechts geschaffen<br />

und bleibt - jedenfalls konstitutiv gesehen - immer ein<br />

Subjekt des öffentlichen Rechts, auch wenn es in den Formen des<br />

Privatrechts handelt. Vgl. dazu auch <strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong>/Jürg Wichtermann<br />

(Fn. 14), 59ff. Davon zu unterscheiden ist die Aussage,<br />

wonach das Gemeinwesen als Subjekt des Privatrechts bzw. in privatrechtlichem<br />

Kleid handle, wenn es selbständige privatrechtliche<br />

Rechtssubjekte <strong>für</strong> die Erfüllung öffentlicher Aufgaben einsetze<br />

(vgl. etwa Paul R. Müller, Das öffentliche Gemeinwesen als Subjekt<br />

des Privatrechts, Zürich 1970, 148ff.).<br />

vielen Bereichen insbesondere der öffentlichen<br />

Dienstleistungen privatrechtliche (vertragliche)<br />

Rechtsbeziehungen zwischen den Leistungserbringern<br />

und den Angebotsbezügern. Schliesslich<br />

beansprucht das kooperative Verwaltungshandeln<br />

einen zunehmend breiteren Raum; vertragliches<br />

Handeln des Gemeinwesens wird<br />

demnach auch im Bereich der öffentlichen Aufgabenerfüllung<br />

vermehrt zu einer Form der Gestaltung<br />

von Rechtsverhältnissen zwischen Staat<br />

und Privaten 44 .<br />

Diese Vielfalt hat ihrerseits direkte Auswirkungen<br />

auf die in eine umfassende Betrachtung<br />

staatlicher <strong>Haftung</strong>en einzubeziehenden Felder:<br />

Die Frage nach der <strong>Haftung</strong> bei der Erfüllung öffentlicher<br />

Aufgaben kann, gerade auch wenn sie<br />

den Beizug selbständiger und oft privatrechtlich<br />

konstituierter Organisationen berücksichtigt, keineswegs<br />

auf ausservertragliche Grundlagen beschränkt<br />

bleiben. Dies illustrieren besonders<br />

deutlich auch die eingangs erwähnten Probleme<br />

der Gemeinde Leukerbad: Die meisten Rechtsbeziehungen,<br />

die hier Grundlage einer allfälligen<br />

<strong>Haftung</strong> bilden würden, basieren soweit ersichtlich<br />

auf privatrechtlichen Verträgen, die privatrechtliche<br />

Subjekte in Erfüllung einer öffentlichen<br />

Aufgabe abgeschlossen haben.<br />

b) Deliktische Staatshaftung<br />

Die Linien des schweizerischen Staatshaftungsrechts<br />

sind recht gewunden; sie sollen in aller<br />

Kürze nachgezeichnet werden, soweit sie <strong>für</strong> die<br />

hier interessierende Fragestellung von Belang<br />

sind 45 . Einer der Ausgangspunkte <strong>für</strong> die deliktische<br />

Staatshaftung bildet Art.61 Abs. 1 OR:<br />

Demnach haften die Beamten und Angestellten<br />

der öffentlichen Hand (und nicht etwa das Gemeinwesen<br />

selbst! 46 ) <strong>für</strong> Schäden, die bei der Erfüllung<br />

öffentlicher Aufgaben entstehen, grundsätzlich<br />

nach Zivilrecht, soweit Bund oder Kantone<br />

keine abweichenden <strong>Haftung</strong>sregeln aufstellen<br />

(dies können sie, sie müssen aber nicht).<br />

Freilich haben sowohl die Eidgenossenschaft als<br />

44 Eine gewisse Verbreitung haben Verwaltungsverträge z. B. im<br />

Bereich des Bau- und Planungsrechts sowie im Umweltrecht gefunden.<br />

Auch im Zusammenhang mit der Einführung neuer Verwaltungsformen<br />

(wirkungsorientierte Steuerungsmodelle, New Public<br />

Management) gewinnt die Leistungsvereinbarung als konsensuales<br />

Gestaltungselement an Bedeutung. Zu Verwaltungsverträgen<br />

eingehend etwa Thomas P Müller, Verwaltungsverträge im Spannungsfeld<br />

von Recht, Politik und Wirtschaft, Basel etc. 1997.<br />

45 Umfassende Darstellungen finden sich insbesondere bei Jost<br />

Gross (Fn.40); Balz Gross (Fn.37); <strong>für</strong> Deutschland Fritz Ossenbühl,<br />

Staatshaftungsrecht, 5. Aufl., München 1998.<br />

46 Die Gemeinwesen selbst haften (<strong>für</strong> den nicht-gewerblichen<br />

Bereich) als Ausfluss des Legalitätsprinzips nur, soweit sie entsprechende<br />

Rechtsgrundlagen schaffen.


echt 1999 Heft 1 <strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong>/Jürg Wichtermann, <strong>Zur</strong> <strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> <strong>privatisierte</strong> <strong>Staatsbetriebe</strong><br />

auch praktisch alle Kantone 47 mittlerweile eigene<br />

<strong>Haftung</strong>snormen erlassen. Dabei haben sie in der<br />

Regel die handelnden Organe bzw. das Personal<br />

als (direkte) <strong>Haftung</strong>ssubjekte aus der klägerischen<br />

Schusslinie genommen und an ihrer Stelle<br />

das Gemeinwesen selbst als <strong>Haftung</strong>ssubjekt<br />

eingesetzt. Zudem sehen die entsprechenden Erlasse<br />

regelmässig Kausalhaftungen vor. Es bleibt<br />

aber doch immerhin bemerkenswert, dass die<br />

subsidiäre Normierung staatlicher <strong>Haftung</strong> im Zivilrecht<br />

zu suchen ist. Gleichzeitig liegt hier auch<br />

der Ursprung der Tatsache, dass - wie in anderen<br />

Rechtsgebieten - auch im Staatshaftungsrecht<br />

ein ausgeprägter Föderalismus herrscht.<br />

c) Gewerbliche und nicht-gewerbliche<br />

Tätigkeiten des Staates<br />

Eine weitere und wesentliche (Abgrenzungs-)<br />

Frage im Umfeld der <strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> bei der Erfüllung<br />

öffentlicher Aufgaben entstandene Schäden<br />

stellt sich vor allem deshalb, weil sich die Bestimmung<br />

des <strong>für</strong> die Beurteilung des konkreten<br />

Schadenereignisses einschlägigen Rechts im<br />

Wesentlichen an der Frage entscheidet, welchen<br />

Charakter die betreffende öffentliche Aufgabe<br />

aufweist. Rechtliche Ausgangslage da<strong>für</strong> bildet<br />

die in Art. 61 Absatz 2 OR angelegte Unterscheidung<br />

zwischen gewerblichen und nicht-gewerblichen<br />

amtlichen Tätigkeiten 48 . Das Bundesprivatrecht<br />

schränkt den Bereich des kantonalen (und<br />

kommunalen) Verantwortlichkeitsrechts insofern<br />

ein 49 , als es <strong>für</strong> die <strong>Haftung</strong> aus gewerblicherlätigkeit<br />

zwingend die Anwendung der zivilrechtlichen<br />

Regeln vorschreibt 50 . Nur die Verantwortlichkeit<br />

aus nicht-gewerblicher Tätigkeit darf, jedenfalls<br />

gemäss dem Gesetzeswortlaut, von den<br />

" 7 Die durch die Kantone erlassenen <strong>Haftung</strong>sregelungen <strong>für</strong> öffentlichrechtliche<br />

Rechtssubjekte sind öffentlichrechtlicher Natur.<br />

Art. 61 OR korreliert insofern mit Art. 59 Abs. 1 ZGB, wonach <strong>für</strong> die<br />

öffentlichrechtlichen Körperschaften und Anstalten das öffentliche<br />

Recht der Kantone (und des Bundes) grundsätzlich vorbehalten<br />

bleibt (BK-ßre/im, Art. 61 OR n.4; mit Differenzierungen BK-f?/emer,<br />

Art. 59 ZGB 117ff., insb. 122, 124, 131).<br />

"Art.61 OR trifft zwei Unterscheidungen: Auf einer ersten<br />

Ebene differenziert Abs. 1 zwischen amtlichen und privaten Verrichtungen.<br />

Amtlich sind alle Tätigkeiten, die in (funktionaler) Erfüllung<br />

einer öffentlichen Aufgabe unternommen werden. Damit wird<br />

die Privatsphäre der <strong>für</strong> das Gemeinwesen tätigen Personen abgegrenzt,<br />

nicht aber eine private Tätigkeitssphähre des Gemeinwesens<br />

ausgeschieden. Auf einer zweiten Ebene unterscheidet<br />

Abs. 2 zwischen gewerblichen und nicht-gewerblichen Verrichtungen<br />

(dazu sogleich im Text); vgl. Pirmin Bischof (Fn.37), 76ff.<br />

49 Vgl. Jost Gross (Fn.40), 102ff.<br />

50 Der generelle Verweis auf die <strong>Haftung</strong>svorschriften des Bundeszivilrechts<br />

(Art. 61 Abs. 2 OR: «(...] Bestimmungen dieses Abschnittes<br />

[...]») hat zur Konsequenz, dass die Konzeption von<br />

Art. 61 OR <strong>für</strong> den gewerblichen Bereich eine <strong>Haftung</strong> des Gemeinwesens<br />

als Geschäftsherr (Art. 55 OR) einschliesst, während <strong>für</strong><br />

den nicht-gewerblichen Teil nach dem Wortlaut von Art. 61 Abs. 1<br />

OR eine ausschliessliche Beamtenhaftung zulässt (vgl. auch Jost<br />

Gross [Fn. 40), 104).<br />

Kantonen abweichend normiert werden. Allerdings<br />

wird heute mehrheitlich vertreten, dass die<br />

privatrechtlichen <strong>Haftung</strong>sregeln nur einen Minimalstandard<br />

darstellen, den zu überschreiten den<br />

Gemeinwesen freigestellt sei 51 ' 62 .<br />

Für den Geschädigten bedeutet dies, dass er,<br />

will er seinen Anspruch gegen ein Gemeinwesen<br />

richten, zunächst zu prüfen hat, ob die schädigende<br />

Handlung in Erfüllung einer gewerblichen<br />

oder einer nicht-gewerblichen Tätigkeit erfolgt<br />

ist. Je nachdem hat er nach öffentlichrechtlichem<br />

<strong>Haftung</strong>srecht oder nach Bundeszivilrecht vorzugehen.<br />

Dieser Entscheid ist deshalb nicht einfach<br />

zu treffen, weil die Unterscheidung zwischen gewerblichem<br />

und nicht-gewerblichem 53 amtlichem<br />

Handeln ausserordentlich grosse Probleme<br />

bereitet. Es ist denn auch bis heute kaum<br />

gelungen, schlüssige Kriterien <strong>für</strong> eine Abgrenzung<br />

zu entwickeln 54 .<br />

Entsprechend zufällig und uneinheitlich zeigt<br />

sich die Kasuistik. Kein Kriterium ist jedenfalls die<br />

51 BK-Brehm, Art.61 N 49 m.H. Kantonale Verantwortlichkeitsnormen<br />

sind denn oft auch vorteilhafter <strong>für</strong> die Geschädigten, da<br />

sie auf das Erfordernis eines Verschuldens verzichten. Damit kann<br />

indessen unter Umständen eine wettbewerbsrechtlich nicht irrelevante<br />

Verzerrung entstehen, wenn ein Gemeinwesen eine öffentliche,<br />

gewerbliche Leistung in Konkurrenz zu Privaten erbringt, die<br />

Leistungserbringung durch das Gemeinwesen aber durch eine<br />

Kausalhaftung gewissermassen besser abgesichert ist als jene des<br />

Privaten.<br />

52 Der Bund wird in Art. 61 Abs. 2 OR konsequenterweise nicht erwähnt,<br />

da er ohnehin an «sein» Bundesrecht und damit allenfalls an<br />

Bundeszivilrecht gebunden ist. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang,<br />

dass die Eidgenossenschaft über ihre Kompetenz<br />

zum Erlass von Privatrecht im Prinzip auch beliebig die (privatrechtliche)<br />

<strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> gewerbliche amtliche Verrichtungen regeln und<br />

insbesondere <strong>Haftung</strong>sbeschränkungen vorsehen kann, die über<br />

das OR hinausgehen.<br />

53 Teilweise wird als Gegensatz zu gewerblichen von hoheitlichen<br />

Tätigkeiten gesprochen (bspw. BK-ßrehm, Art.61 N14ff; Ulrich<br />

Häfelin/Georg Müller [Fn. 18], 446). Diese Abgrenzung ist - ebenfalls<br />

- unscharf, zumal auch gewerbliche Tätigkeiten hoheitlich<br />

(verstanden als <strong>für</strong> das Gemeinwesen aufgrund öffentlichen<br />

Rechts verbindlich anordnendes Tätigwerden eines Organs des<br />

Gemeinwesens) verrichtet werden können (z.B. Elektrizitätsversorgung)<br />

bzw. auch nicht-hoheitliches Handeln durchaus nicht<br />

zwingend gewerblich sein muss. Allerdings hat die Praxis, soweit<br />

sie im vorliegenden Zusammenhang zwischen gewerblichen und<br />

nicht-hoheitlichen Verrichtungen im Sinne von Art.61 OR unterscheidet,<br />

einen derart weiten Begriff der Hoheitlichkeit entwickelt,<br />

dass von seiner ursprünglichen Abgrenzungskraft nurmehr wenig<br />

übriggeblieben ist. Indessen leidet bereits der Begriff der Hoheitlichkeit<br />

selbst (wie jener der Gewerbsmässigkeit) an einer gewissen<br />

Konturlosigkeit. Als Kriterien der hoheitlichen Verwaltungstätigkeit<br />

werden etwa die Anwendung öffentlichen Rechts und/oder<br />

das Vorliegen eines Subordinationsverhältnisses genannt (Ulrich<br />

Häfelin/Georg Mü/fer [Fn. 18], 5f.). Gerrit Manssen (Privatrechtsgestaltung<br />

durch Hoheitsakt, Tübingen 1994, 19) bezeichnet als Hoheitsakte<br />

die staatlichen Rechtsakte, die auf öffentlichrechtlicher<br />

Grundlage beruhen. Da die Tätigkeiten der staatlichen Verwaltung<br />

- mit gewissen Ausnahmen - grundsätzlich immer auf öffentlichem<br />

Recht basieren, erscheint dieses Kriterium <strong>für</strong> sich allein wenig<br />

geeignet, den Bereich des hoheitlichen Handelns einzugrenzen;<br />

zu ergänzen wäre es mit dem Erfordernis einer gewissen Verbindlichkeit<br />

des staatlichen Handelns bzw. einer einseitigen Handlungs-<br />

oder Anordnungsbefugnis des Gemeinwesens im Rahmen<br />

seines Verhaltens.<br />

54 Jost Gross (Fn. 40), 107; Thomas Poledna, Haftpflicht von Staat<br />

und Beamten, SVZ 7996 57.


<strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong>/Jürg Wichtermann, <strong>Zur</strong> <strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> <strong>privatisierte</strong> <strong>Staatsbetriebe</strong> recht 1999 Heft 1<br />

Rechtsnatur des Verhältnisses zwischen dem<br />

Gemeinwesen und dem Geschädigten. So wird<br />

beispielsweise die Tätigkeit von Spitälern regelmässig<br />

und in weiten Bereichen als nicht-gewerblich<br />

bzw. «hoheitlich» qualifiziert und dem<br />

öffentlichen Recht unterstellt, unabhängig davon,<br />

ob der Patient ein öffentlichrechtliches oder ein<br />

privatrechtliches Behandlungsverhältnis eingegangen<br />

ist, und unter Umständen auch unabhängig<br />

davon, ob es sich um ein öffentliches oder ein<br />

Privatspital handelt 55 . Als gewerblich gilt dagegen<br />

etwa der Betrieb eines Elektrizitätswerkes,<br />

obwohl die Stromversorgung ebenso zur staatlichen<br />

Daseinsvorsorge gezählt werden kann, der<br />

Betrieb eines Elektrizitätswerkes in aller Regel<br />

ebenso durch öffentlichrechtlichen Akt begründet<br />

wird 56 und das Verhältnis zu den Leistungsbezügern<br />

ebenso als öffentlichrechtliche Beziehung<br />

ausgestaltet werden kann 57 . Die Konsequenz aus<br />

dieser Kategorisierung müsste an sich geradezu<br />

alarmieren, wenn man bedenkt, dass das Gemeinwesen<br />

<strong>für</strong> nicht-gewerbliche Tätigkeiten (zu<br />

denen weitgehend auch das Spitalwesen gehören<br />

soll) nach Art. 61 Abs. 1 OR grundsätzlich gar<br />

keine <strong>Haftung</strong> übernehmen müsste: Würde ein<br />

Kanton darauf verzichten, sich eine (primäre)<br />

Staatshaftung aufzuerlegen, bliebe dem geschädigten<br />

Patienten - neben einem eventuellen Ver-<br />

55 Vgl. bspw. das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons<br />

Bern vom 16.April 1991 i.S. M.F. gegen Stiftung Kinderspital X<br />

(BVR 7997 462ff.): «Handelt ein Spital - auch ein Privatspital - als<br />

Teil der staatlichen Leistungsverwaltung, sind <strong>Haftung</strong>sansprüche<br />

aus dieser Tätigkeit grundsätzlich nach öffentlichem Recht zu beurteilen»<br />

(Erw. 2). Ohne weitere Begründung (aber unter Verweis auf<br />

die Praxis des Bundesgerichts) wird dabei davon ausgegangen,<br />

dass «Krankenbetreuung in amtlicher Eigenschaft [...] nicht den gewerblichen<br />

Tätigkeiten zugerechnet» werde. - In der Praxis wird<br />

überdies bei der Zuordnung eines Sachverhaltes zum Teil gar nicht<br />

geprüft, ob ein deliktisches oder vertragliches Verhältnis vorliegt<br />

bzw. ob das in Frage kommende öffentliche <strong>Haftung</strong>sregime überhaupt<br />

auf vertragliche Schadenersatzansprüche anwendbar ist.<br />

Diese Prüfung wäre auch unabhängig von der Unterscheidung zwischen<br />

gewerblichen und nicht-gewerblichen Verrichtungen erforderlich.<br />

Dies deshalb, weil Staatshaftungskonzeptionen in der Regel<br />

und ausgehend von der systematischen Einordnung von Art. 61<br />

OR in erster Linie die deliktische Verantwortlichkeit des Gemeinwesens<br />

ordnen. - <strong>Zur</strong> Spital- und Arzthaftung vgl. Heinrich Honseil<br />

(Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, Zürich 1994, darin insbesondere<br />

die Beiträge von Moritz Kuhn, 31 ff., und <strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong>,<br />

119ff; Thomas Eichenberger, Die Rechtsstellung des Arztes am<br />

öffentlichen Spital, Bern 1995; Josf Gross, <strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> medizinische<br />

Behandlung, Bern 1987.<br />

66 Auch wenn ein Elektrizitätswerk als juristische Person des Privatrechts<br />

ausgestaltet ist, bedarf es eines öffentlichrechtlichen Aktes<br />

des Gemeinwesens, wenn es als (Mit-)Gründerin oder (Mit-)Eignerin<br />

des Werkes auftritt.<br />

57 So hat etwa der Kanton Bern das Rechtsverhältnis zwischen<br />

den Stromanbietern und Strombezügern unabhängig von der<br />

Rechtsnatur des Energielieferanten ex lege als öffentlichrechtliches<br />

Verhältnis definiert (Art. 32 Abs. 3 des bernischen Energiegesetzes<br />

[EnG] vom 14. Mai 1981).-<strong>Zur</strong> Frage des Rechtsverhältnisses<br />

zwischen einem Elektrizitätswerk einer Gemeinde und Strombezügern<br />

vgl. BGE vom 27.September 1996 in ZBI 7997 410ff.,<br />

welcher Entscheid allerdings gewisse Fragen offenlässt (vgl. dazu<br />

die dortige Bemerkung der Redaktion).<br />

tragsanspruch gegen das Spital - gerade noch ein<br />

Anspruch aus Art. 41 OR gegen den (dann hoffentlich<br />

noch solventen) Spitalarzt.<br />

Die insgesamt unbefriedigend gelöste Problematik<br />

der Abgrenzung zwischen gewerblichen<br />

und nicht-gewerblichen Tätigkeiten ist zumindest<br />

<strong>für</strong> die Rechtsanwendung von grosser Bedeutung,<br />

resultiert doch daraus, wie auch die Rechtsprechung<br />

zeigt, regelmässig Unsicherheit über<br />

das im konkreten Fall anwendbare <strong>Haftung</strong>sregime.<br />

Nicht zur Verbesserung der Situation trägt<br />

zudem bei, dass die Praxis in der Frage des anwendbaren<br />

<strong>Haftung</strong>srechts teilweise eher nach<br />

optimalen Anspruchsgrundlagen <strong>für</strong> die Geschädigten<br />

sucht 58 . Dabei wird die Diskussion der-an<br />

sich grundlegenden - Frage, wieweit und warum<br />

eine gegenüber Privaten verschärfte <strong>Haftung</strong> des<br />

Gemeinwesens begründet sei, oft nicht geführt<br />

oder sie tritt zumindest in den Hintergrund 69 .<br />

d) Strengere <strong>Haftung</strong> des Staates?<br />

Gerade diese letzte Frage wäre jedoch vordringlich<br />

zu stellen: Das Staatshaftungsrecht hat im<br />

Laufe seiner Entwicklung das allgemeine (Bundeszivil-)<strong>Haftung</strong>srecht<br />

gewissermassen überholt<br />

und bietet dem Geschädigten nun in der Regel<br />

einen teilweise deutlich besseren Schutz.<br />

Was seinerzeit mit der zwangsweisen Unterstellung<br />

der gewerblichen Tätigkeit des Gemeinwesens<br />

unter das zivile Haftpflichtrecht des Bundes<br />

als Schutzdispositiv konzipiert wurde - der Staat<br />

sollte wenigstens <strong>für</strong> seine gewerblichen Tätigkeiten<br />

gleich einstehen müssen wie ein Privater<br />

-, hat seine Rechtfertigung in vielen Teilen<br />

verloren. Vielmehr fragt sich heute angesichts<br />

der sehr weit gezogenen Charakterisierung staatlicher<br />

Leistungen als nicht-gewerblich bzw. hoheitlich,<br />

wieweit es tatsächlich angezeigt sei, das<br />

Gemeinwesen auch bei der Erfüllung solcher öffentlicher<br />

Aufgaben mit teilweise ausgesprochenem<br />

Dienstleistungscharakter anders, d.h. in der<br />

Regel strenger zu behandeln als einen Privaten,<br />

der die gleiche Leistung anbietet. Diese Entwicklung<br />

hat denn auch schon verschiedentlich Kritik<br />

hervorgerufen. Insbesondere wurde angeregt,<br />

die im Allgemeinen strenge(re)n Staatshaftungsregeln<br />

in ihrer Anwendung auf den Bereich des<br />

tatsächlich hoheitlichen Handelns zurückzuführen<br />

und im Übrigen grundsätzlich privatrechtliche<br />

<strong>Haftung</strong>snormen anzuwenden 60 . Allerdings sind<br />

^BK-Brehm, Art. 61 N 32.<br />

59 Vgl. dazu Emil W. Stark, Einige Gedanken zur Haftpflicht <strong>für</strong><br />

staatliche Verrichtungen, SJZ 7990 1 ff., 6 ff.<br />

60 Insbesondere hat Emil W.Stark (Fn.59), 7f„ dies postuliert.


echt 1999 Heft 1 <strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong>/Jürg Wichtermann, <strong>Zur</strong> <strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> <strong>privatisierte</strong> <strong>Staatsbetriebe</strong><br />

bislang weder die Lehre 61 noch die Gesetzgebung<br />

62 diesem Vorschlag gefolgt. Hingegen zielt<br />

nun der Entwurf <strong>für</strong> die Gesamtrevision des Haftpflichtrechts<br />

in diese Richtung 63 .<br />

e) Vertragliche Staatshaftung?<br />

Zu beachten ist weiterhin, dass Art. 61 OR und<br />

damit die Unterscheidung zwischen gewerblicher<br />

und nicht-gewerblicher Verrichtung grundsätzlich<br />

nur <strong>für</strong> die ausservertragliche <strong>Haftung</strong><br />

massgebend sind 64 . Handelt das Gemeinwesen<br />

in konsensualen Rechtsgeschäftsformen, sind<br />

hingegen - im Rahmen der Rechtsordnung - prinzipiell<br />

auch die <strong>Haftung</strong>smodalitäten einer aushandelbaren<br />

Vereinbarung zugänglich. Dies gilt<br />

nicht nur dort, wo das Gemeinwesen privatrechtliche<br />

Rechtsgeschäfte abschliesst, sondern auch<br />

<strong>für</strong> den Bereich der öffentlichrechtlichen Verträge,<br />

jedenfalls soweit diese unter Bedingungen<br />

zustande kommen, die beiden Partnern grundsätzlich<br />

den freien Entscheid über den Abschluss<br />

der Bindung belassen 65 . Damit kommt auch zum<br />

Ausdruck, dass (jedenfalls unter haftungsrechtlichen<br />

Gesichtspunkten) unerheblich ist, ob das<br />

Gemeinwesen - immer vorausgesetzt, dass vertragliches<br />

Handeln konkret überhaupt zulässig ist<br />

61 So setzt sich bspw. Jost Gross (Fn.40), 108ff., explizit und ablehnend<br />

mit der Idee Starks auseinander.<br />

62 Auf kantonaler Ebene haben in der jüngeren Vergangenheit beispielsweise<br />

sowohl der Kanton Zürich als auch der Kanton Bern<br />

ihre <strong>Haftung</strong>sgesetze so abgefasst, dass ihr Anwendungsbereich<br />

nach wie vor der herkömmlichen Abgrenzungslinie zwischen gewerblichen<br />

und anderen staatlichen Tätigkeiten folgt. Art. 47 Abs. 1<br />

des bernischen Gesetzes vom 5. November 1992 über das öffentliche<br />

Dienstrecht (Personalgesetz) lautet: «Der Kanton haftet <strong>für</strong><br />

den Schaden, den er, d. h. seine Behörden oder Kommissionen, deren<br />

Mitglieder sowie seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in<br />

Ausübung ihrer amtlichen Tätigkeit Dritten widerrechtlich zugefügt<br />

haben.» Der Kanton Zürich hat im Rahmen der Revision vom 2. Dezember<br />

1990 betreffend das <strong>Haftung</strong>sgesetz vom 14. September<br />

1969 (HG) die entsprechenden Formulierungen sogar ausdrücklich<br />

der weiteren Fassung angepasst: War vor der Revision noch von einer<br />

<strong>Haftung</strong> aus hoheitlichen Verrichtungen die Rede, ist nurmehr<br />

explizit eine <strong>Haftung</strong> aus öffentlichrechtlichen bzw. amtlichen Verrichtungen<br />

vorgesehen (§§3 und 6 HG).<br />

63 Art. 3 des Vorentwurfs (VE) zu einem Allgemeinen Teil des Haftpflichtrechts<br />

erklärt grundsätzlich das Bundeszivilrecht <strong>für</strong> die <strong>Haftung</strong><br />

des Gemeinwesens <strong>für</strong> anwendbar. Art. 4 VE lässt den Kantonen<br />

bloss noch die Möglichkeit, <strong>für</strong> hoheitliches Handeln «im eigentlichen<br />

Sinne» {Pierre Widmer, Plädoyer <strong>für</strong> die Gesamtrevision<br />

und Vereinheitlichung des schweizerischen Haftpflichtrechts, SVZ<br />

79973ff., 13) abweichende Bestimmungen vorzusehen. <strong>Zur</strong> Kritik<br />

am Vorschlag des VE, die <strong>Haftung</strong> des Gemeinwesens grundsätzlich<br />

zu vereinheitlichen, vgl. Pierre Moor/Denis Piotet, La responsable<br />

des cantons ä raison d'actes illicites: Droit public ou droit<br />

prive?, ZBI 1996 481 ff.; die Autoren hegen vor allem verfassungsrechtliche,<br />

aber auch praktische Bedenken gegen den Vorschlag.<br />

Zuversichtlicher Pierre Wessner. La privatisation de la responsabilite<br />

publique: un des objectifs de la revision totale du droit de la responsable,<br />

in: Festschrift Jean-Francois Aubert, Basel etc. 1996,<br />

573ff.<br />

64 Vgl. Jost Gross (Fn.40), 103.<br />

65 Eine Vertragsfreiheit besteht <strong>für</strong> das Gemeinwesen allerdings<br />

insofern nur beschränkt, da dieses auch im Rahmen dieser Handlungsform<br />

in der Regel deutlich stärker an rechtliche Vorgaben gebunden<br />

ist als Private.<br />

- die öffentlichen Aufgaben aufgrund Öffentlichoder<br />

privatrechtlicher Vereinbarung erfüllt 66 . Im<br />

einen wie im anderen Fall bieten sich, zumal ein<br />

öffentlichrechtliches Vertragsrecht nur in Ansätzen<br />

besteht, die privatrechtlichen Vertragsregeln<br />

<strong>für</strong> eine (allenfalls sinngemässe) Anwendung<br />

an 67 . Von besonderer Bedeutung ist in diesem<br />

Zusammenhang die Möglichkeit, durch Vereinbarung<br />

die gegenseitige (und vor allem auch staatliche)<br />

Haftpflicht beschränken zu können 68 .<br />

Vorliegend von besonderem Interesse ist nun<br />

aber, welchen Einfluss Privatisierungsprozesse<br />

auf die schlaglichtartig beleuchtete deliktische<br />

und vertragliche <strong>Haftung</strong> des Gemeinwesens haben<br />

können. Auszugehen ist dabei vom Grundsatz,<br />

dass selbständige Rechtssubjekte grundsätzlich<br />

allein <strong>für</strong> von ihnen verursachte Schäden<br />

haften. Die besondere Stellung des Gemeinwesens<br />

und die besondere Art der Aufgaben, die es<br />

erfüllt, verlangen indessen eine differenzierte Betrachtungsweise,<br />

die unter Umständen zur<br />

Durchbrechung der <strong>Haftung</strong>sbeschränkung auf<br />

die in die öffentliche Aufgabenerfüllung involvierten<br />

Rechtssubjekte führt. Welche Wege da<strong>für</strong> in<br />

Frage kommen, soll zunächst im Überblick dargestellt<br />

werden.<br />

3. Mögliche Konstruktionen der <strong>Haftung</strong> des<br />

Gemeinwesens <strong>für</strong> Drittschäden<br />

a) Allgemeines<br />

Selbständige Rechtssubjekte haften - eine gültige<br />

Anspruchsgrundlage vorausgesetzt - grund-<br />

66 Fritz Gygi (Verwaltungsrecht, Bern 1986, 207) geht davon aus,<br />

dass die Abgrenzung zwischen verwaltungsrechtlichen und privatrechtlichen<br />

Verträgen danach vorzunehmen sei, ob das Gemeinwesen<br />

die ihm aufgetragenen Verwaltungsaufgaben erfülle oder<br />

nicht. Diese Abgrenzung ist jedenfalls nicht zwingend. Gerade die<br />

Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch <strong>privatisierte</strong> Rechtsträger<br />

kann dazu führen, dass öffentliche Leistungen aufgrund privatrechtlicher<br />

Rechtsverhältnisse erbracht werden.<br />

67 Soweit zivilrechtliches Vertragsrecht bei Fehlen entsprechender<br />

öffentlichrechtlicher Regelungen analog <strong>für</strong> die Beurteilung öffentlichrechtlicher<br />

Verträge herangezogen wird, gelangen die privatrechtlichen<br />

Regeln als öffentliches Recht zur Anwendung. Dies<br />

ist insofern unspektakulär, als das öffentliche Recht regelmässig<br />

auf Institute des Privatrechts zurückgreift, wenn ein vergleichbarer<br />

Regelungsbedarf besteht, das öffentliche Recht selbst aber keine<br />

Regel bereithält (bspw. Verjährungsregelungen etc.). - Nach dem<br />

deutschen Verwaltungsverfahrensgesetz sind die Bestimmungen<br />

des BGB ergänzend auch auf verwaltungsrechtliche Verträge anwendbar,<br />

soweit nicht öffentliches Recht entgegensteht (§ 62<br />

VwVfG; vgl. zum Ganzen auch Herbert Grziwotz, Einführung in die<br />

Vertragsgestaltung im Öffentlichen Recht, JuS 7998807ff., 902ff.,<br />

1013ff.)<br />

^ Jost Gross (Fn.40, 326f. m.H.) konstatiert bezüglich des<br />

Rechts der Nicht- und Schlechterfüllung vertraglich vereinbarter<br />

Leistungen des Gemeinwesens ein «Regelungsdefizit». Zum<br />

Rechtsschutzdefizit beim informalen Staatshandeln vgl. Markus<br />

Mü//er(Fn.15).


<strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong>/Jürg Wichtermann, <strong>Zur</strong> <strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> <strong>privatisierte</strong> <strong>Staatsbetriebe</strong> recht 1999 Heft 1<br />

sätzlich allein <strong>für</strong> freiwillig oder unfreiwillig eingegangene<br />

Verbindlichkeiten. Die Figur selbständiger<br />

Rechtssubjekte erfüllt damit auch eine Funktion,<br />

die in der heutigen komplexen Wirtschaftswelt<br />

nicht mehr wegzudenken ist: jene der <strong>Haftung</strong>sbeschränkung.<br />

Besonders deutlich tritt dies<br />

bei den juristischen Personen (des öffentlichen<br />

und des Privatrechts) zutage. Das vor allem (aber<br />

nicht nur) den Kapitalgesellschaften inhärente<br />

Prinzip der <strong>Haftung</strong>sbeschränkung auf das Vermögen<br />

der juristischen Person macht es - volkswirtschaftlich<br />

grundsätzlich erwünscht - überhaupt<br />

erst möglich, schadensträchtige Leistungen<br />

mit kalkulierbarem Risiko anzubieten 69 . So<br />

kommt es, dass sowohl die Aktiengesellschaft<br />

als auch der Kanton oder die Gemeinde prinzipiell<br />

allein mit ihrem eigenen Vermögen <strong>für</strong> ihre Verbindlichkeiten<br />

einzustehen haben. Halten sich<br />

diese juristischen Personen nun ihrerseits wieder<br />

weitere juristische Personen, so gilt das Gleiche<br />

grundsätzlich auch <strong>für</strong> diese. Konkretisiert: Gründet<br />

etwa ein Kanton oder eine Gemeinde eine<br />

rechtlich selbständige Organisation (Aktiengesellschaft,<br />

Anstalt etc.) und lässt sie durch diese<br />

eine öffentliche Aufgabe erfüllen, so haftet im<br />

Prinzip nur diese <strong>für</strong> eingegangene Verbindlichkeiten.<br />

Dieser Grundsatz wird nun allerdings verschiedentlich<br />

durchbrochen. Für die Frage, ob und wieweit<br />

ein Gemeinwesen <strong>für</strong> Pflichten der <strong>für</strong> sie tätigen<br />

rechtlich selbständigen Personen einzustehen<br />

hat, ist wiederum auszugehen von der oben<br />

diskutierten Frage, welchen Charakters die durch<br />

die rechtlich selbständige Person erfüllte öffentliche<br />

Aufgabe ist. Handelt es sich um eine gewerbliche<br />

Verrichtung, so ist grundsätzlich nach privatrechtlichen<br />

<strong>Haftung</strong>sregeln zu prüfen, ob allenfalls<br />

trotzdem das Gemeinwesen belangt werden<br />

kann. Ist die schadensstiftende Tätigkeit hingegen<br />

nicht-gewerblicher Art, so ist zunächst das<br />

öffentlichrechtliche <strong>Haftung</strong>sregime <strong>für</strong> die Beantwortung<br />

dieser Frage massgebend. Und<br />

schliesslich ist auch hier zu berücksichtigen, dass<br />

vertragliche Ansprüche grundsätzlich nach vertraglichen<br />

<strong>Haftung</strong>sregeln abzuwickeln sind. Dabei<br />

kann aufgrund der speziellen Stellung des Gemeinwesens<br />

der Figur der vertraglichen Vertrauenshaftung<br />

ganz besonderes Gewicht zukommen<br />

70 . Diese vor allem in der privatrechtlichen<br />

Vertragshaftung entwickelten Grundsätze lassen<br />

" Zum <strong>Haftung</strong>sprivileg der juristischen Person (und den damit<br />

verbundenen auch negativen Folgen wie z. B der Sozialisierung<br />

von Verlusten) vgl. Karl Hofstetter. Sachgerechte <strong>Haftung</strong>sregeln<br />

<strong>für</strong> Multinationale Konzerne, Tübingen 1995.77 ff; Kristine Kuzmic,<br />

<strong>Haftung</strong> aus «Konzernvertrauen», Zürich 1998, 22ff.<br />

*> Vgl. Martin Moser (Fn 31). passim.<br />

sich sinngemäss ohne weiteres auf öffentlichrechtliche<br />

Vertragsverhältnisse übertragen.<br />

b) Bei nicht-gewerblicher Tätigkeit<br />

Das Verantwortlichkeitsgesetz des Bundes 71 und<br />

ein grosser Teil der <strong>Haftung</strong>sgesetze der Kantone<br />

72 sehen vor, dass dort, wo selbständige (öffentlich-<br />

oder privatrechtliche) Rechtssubjekte <strong>für</strong><br />

das Gemeinwesen eine öffentliche nicht-gewerbliche<br />

Aufgabe wahrnehmen, diese Rechtssubjekte<br />

primär zu belangen sind. Je nachdem<br />

haben diese selbständigen Organisationen oder<br />

Personen nach den gleichen Grundsätzen wie<br />

das übertragende Gemeinwesen (d.h. allenfalls<br />

verschuldensunabhängig) oder nach den <strong>Haftung</strong>sgrundsätzen<br />

des Rechts, dem das selbständige<br />

Rechtssubjekt angehört, zu haften 73 . Praktisch<br />

immer steht aber das Gemeinwesen nach<br />

diesen Verantwortlichkeitsregelungen bereit, bei<br />

Insolvenz des eigenständigen Aufgabenträgers<br />

subsidiär und im gleichen Umfang zu haften, wie<br />

wenn es die Aufgabe selbst erfüllt hätte. Dahinter<br />

steht - zu Recht - die Überlegung, den Geschädigten<br />

durch den Beizug eigenständiger Rechtssubjekte<br />

<strong>für</strong> die Erfüllung öffentlicher Aufgaben<br />

nicht schlechter zu stellen, als wenn das Gemeinwesen<br />

direkt tätig wird. Umgekehrt wird dem Gemeinwesen<br />

durch diesen gesetzlich angeordne-<br />

" Bundesgesetz vom 14. März 1958 über die Verantwortlichkeit<br />

des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten (Verantwortlichkeitsgesetz,<br />

VG; SR 170.32). Einschlägig sind vor allem<br />

Art. 3 Abs. 1 (verschuldensunabhängige <strong>Haftung</strong> des Bundes <strong>für</strong> in<br />

Ausübung amtlicher Tätigkeit Dritten widerrechtlich zugefügten<br />

Schaden), Art. 11 Abs. 1 (Anwendbarkeit des Zivilrechts bei gewerblichen<br />

Verrichtungen [«Soweit der Bund als Subjekt des Zivilrechts<br />

auftritt....»)) und Art. 19 Abs. 1 (<strong>Haftung</strong> der Organe und Angestellten<br />

«einer mit öffentlichrechtlichen Aufgaben des Bundes<br />

betrauten und ausserhalb der ordentlichen Bundesverwaltung stehenden<br />

Organisation» <strong>für</strong> in Ausübung der mit diesen Aufgaben<br />

verbundenen Tätigkeit Dritten oder dem Bund widerrechtlich zugefügten<br />

Schaden).<br />

12 Beispiele: Kanton Bern: Art. 48 des Personalgesetzes (Fn.64),<br />

Abs. 1 «Öffentliche Organisationen des kantonalen Rechts und private<br />

Organisationen oder Personen, die unmittelbar mit kantonalen<br />

öffentlichen Aufgaben betraut sind, haften <strong>für</strong> den Schaden, den<br />

ihre Organe oder Angestellten Dritten in Erfüllung ihrer Aufgabe widerrechtlich<br />

zugefügt haben.» Abs.2: Wird ein Schaden, <strong>für</strong> den<br />

eine Organisation ausserhalb der Kantonsverwaltung verantwortlich<br />

geworden ist. nicht gedeckt, so haftet der Kanton <strong>für</strong> den Ausfall.<br />

In diesem Umfang geht die Forderung der Geschädigten auf<br />

den Kanton über.» - Kanton Zürich: 5 4a des <strong>Haftung</strong>sgesetzes<br />

(Fn.62). Abs. 1: «Dieses Gesetz findet auf Private keine Anwendung.»<br />

Abs. 2: «Wenn ihnen die Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen<br />

Aufgabe in selbständiger Erwerbstätigkeit übertragen wurde,<br />

haftet die öffentlich-rechtliche Körperschaft oder Anstalt, soweit<br />

jene a) die <strong>für</strong> den verursachten Schaden geschuldete Entschädigung<br />

nicht zu leisten vermag, oder b) mangels Verschulden zur<br />

Schadenersatzleistung nicht verpflichtet werden konnten.»<br />

73 Konkret bedeutet dies, dass bspw eine (evtl gemischtwirtschaftliche)<br />

Aktiengesellschaft <strong>für</strong> Schaden, die sie in Erfüllung einer<br />

öffentlichen, nicht-gewerblichen Aufgabe verursacht kausal<br />

haftet, wenn das einschlägige öffentliche <strong>Haftung</strong>srecht (wie etwa<br />

im Bund oder im Kanton Bern) die <strong>Haftung</strong>sregeln des Gemeinwesens<br />

auch auf rechtlich selbständige Aufgabenträger ausdehnt


echt 1999 Heft 1 <strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong>/Jürg Wichtermann, <strong>Zur</strong> <strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> <strong>privatisierte</strong> <strong>Staatsbetriebe</strong><br />

ten Durchgriff verwehrt, über die Zwischenschaltung<br />

rechtlich selbständiger Aufgabenträger<br />

seine <strong>Haftung</strong> zu beschränken.<br />

Neben der gesetzlichen «Drittschadenshaftung»<br />

lässt sich die Haftpflicht des Gemeinwesens<br />

auch dort begründen, wo selbständige aussenstehende<br />

Rechtssubjekte <strong>für</strong> das Gemeinwesen<br />

eine Organfunktion übernehmen 74 . In aller<br />

Regel wird sich die Übertragung einer Organstellung<br />

auf einen privat- oder öffentlichrechtlichen<br />

eigenständigen Aufgabenträger mit der Übertragung<br />

einer - im engeren Sinne - hoheitlichen Aufgabe<br />

auf dieses Rechtssubjekt decken, weshalb<br />

diese Verantwortlichkeit jedenfalls durch die gesetzliche<br />

<strong>Haftung</strong>sübernahme durch das Gemeinwesen<br />

bereits abgedeckt ist. Von Bedeutung<br />

kann dies jedoch dort sein, wo ein Gemeinwesen<br />

keine subsidiäre Auffanghaftung vorsieht:<br />

Eine staatliche Organfunktion kann nicht ohne die<br />

(zumindest subsidiäre) <strong>Haftung</strong> des Gemeinwesens<br />

auf eine aussenstehende Person übertragen<br />

werden. Deshalb ist <strong>für</strong> solche Konstellationen<br />

eine generelle direkte bzw. primäre <strong>Haftung</strong><br />

des Gemeinwesens anzunehmen, sobald Organfunktionen<br />

auf selbständige (unter Umständen<br />

auch privatrechtlich konstituierte) Subjekte übertragen<br />

werden, kommt es doch an sich einem begrifflichen<br />

Widerspruch gleich, fremde Subjekte<br />

als eigene Organe einzusetzen, <strong>für</strong> ihr Handeln<br />

aber nicht oder nur subsidiär einstehen zu wollen.<br />

Handelt eine juristische Person (wie das Gemeinwesen)<br />

durch ihre Organe, so handelt sie selbst<br />

und wird direkt verpflichtet.<br />

c) Bei gewerblicher Tätigkeit<br />

Erfüllt das Gemeinwesen eine öffentliche Aufgabe<br />

mit gewerblichem Charakter, so haftet es,<br />

wie oben dargestellt, grundsätzlich nach den Regeln<br />

des Zivilrechts, und zwar im Prinzip sowohl<br />

<strong>für</strong> deliktische als auch <strong>für</strong> vertragliche Schadenersatzansprüche.<br />

Dieser Grundsatz ist entsprechend<br />

zu übertragen auf die Situation, da das Gemeinwesen<br />

solche Aufgaben durch eigenständige<br />

privat- oder öffentlichrechtliche Subjekte erledigen<br />

lässt. Die neben dem nun in der Regel<br />

hinzutretenden Verschuldenserfordernis einschneidendste<br />

Konsequenz <strong>für</strong> den Geschädigten<br />

ist, dass das Gemeinwesen jetzt nicht mehr<br />

ohne weiteres subsidiär <strong>für</strong> den möglichen Aus-<br />

" Das Gemeinwesen haftet zumindest <strong>für</strong> die Handlungen und<br />

Unterlassungen seiner exekutiven Organe Nicht immer klar ist.<br />

wie weit das Gemeinwesen auch <strong>für</strong> legislative Organe (Stimmberechtigte.<br />

Parlamente) haftet (vgl dazu Beatrice Weber-Düriet, Die<br />

Staatshaftung im Bauwesen. ZBI 1997 385ff, 395) Grundsätzlich<br />

werden auf dieser Ebene Entscheide mit unter Umständen weitreichenden<br />

(strategischen) Folgen gefatrt<br />

fall einsteht, wenn der Aufgabenträger insolvent<br />

wird.<br />

Nun kennt allerdings auch das Privatrecht verschiedene<br />

Formen der <strong>Haftung</strong>serweiterung <strong>für</strong><br />

Personen, die andere <strong>für</strong> sich tätig lassen werden.<br />

Ehe jedoch solchen Möglichkeiten nachgegangen<br />

und die Belangung des Gemeinwesens<br />

auf diesem Weg geprüft wird, ist eine kurze Vorüberlegung<br />

erforderlich. Öffentliche Aufgaben<br />

werden, wenn nicht der Staat selbst tätig wird, in<br />

der Regel an eine Organisation und damit meist<br />

einer juristischen Person übertragen. Kann ein<br />

solches Rechtssubjekt seinen Verpflichtungen<br />

nicht mehr nachkommen, unterliegt es grundsätzlich<br />

der Zwangsvollstreckung, was im Regelfall<br />

zur Liquidation und damit zum Konkurs führt.<br />

Auch das Gemeinwesen ist nach schweizerischem<br />

Recht betreibungsfähig. Allerdings ist die<br />

Zwangsvollstreckung gegen die öffentliche Hand<br />

in zwei Richtungen eingeschränkt: Zum ersten ist<br />

eine Betreibung auf Konkurs nicht möglich, da<br />

eine solche die Existenz des betroffenen staatlichen<br />

Gebildes vernichten würde. Zum zweiten<br />

ist die (verbleibende) Pfändbarkeit grundsätzlich<br />

auf das Finanzvermögen beschränkt, während<br />

das Verwaltungsvermögen, d.h. die unmittelbar<br />

der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienenden<br />

Werte, unpfändbar ist 76 .<br />

Pfand- und verwertbar sind hingegen die<br />

Werte von öffentlichrechtlichen Unternehmen<br />

(Anstalten) der Gemeinwesen - auch wenn sie<br />

der unmittelbaren Erfüllung einer öffentlichen<br />

Aufgabe dienen und demnach klarerweise Verwaltungsvermögen<br />

darstellen 76 . Dies muss um<br />

so mehr auch <strong>für</strong> privatrechtlich organisierte Träger<br />

öffentlicher Aufgaben gelten: auch sie sind<br />

grundsätzlich konkursfähig. Damit ergibt sich die<br />

Situation, dass Vermögenswerte, die unmittelbar<br />

der Erfüllung öffentlicher (und unter Umständen<br />

sogar hoheitlicher) Aufgaben dienen, im einen<br />

Fall verwertet werden können (wenn diese<br />

Werte im Eigentum eines selbständigen Rechtsobjektes<br />

stehen), im anderen Fall jedoch nicht<br />

(wenn das Gemeinwesen selbst Eigentümerin<br />

ist). Diese Situation ist kaum sachlich begründbar.<br />

Immerhin fragt sich, ob sich aus dieser Sach-<br />

''<strong>Zur</strong> Problematik im Zusammenhang mit der Unpfändbarkeit<br />

von Verwaltungsvermögen vgl Wotfgang <strong>Wiegand</strong>/Jürg Wictitermann<br />

(Fn 14). 117«<br />

" Für Gemeinden Art.8 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 4 Dezember<br />

1947 über die Schuldbetreibung gegen Gemeinden und andere<br />

Körperschaften des kantonalen öffentlichen Rechts (SR<br />

282.111; kantonale und eidgenössische Anstalten sind nach dem<br />

Bundesgesetz vom 11 April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs<br />

(SchKG, SR 281 11 zu betreiben, allerdings ebenfalls nur auf<br />

Pfändung (Kurt Amoon/Dominik Gasser, Grundnss des Schuldbetreibungs-und<br />

Konkurvechts, 6 Auf). Bern 1997. 57t I


<strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong>/Jürg Wichtermann, <strong>Zur</strong> <strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> <strong>privatisierte</strong> <strong>Staatsbetriebe</strong> recht 1999 Heft 1<br />

läge <strong>für</strong> das Gemeinwesen nicht zumindest eine<br />

Konkursabwendungspflicht <strong>für</strong> den von der Verwertung<br />

bedrohten Aufgabenträger ergibt. Eine<br />

solche Pflicht besteht indessen höchstens indirekt:<br />

Das Gemeinwesen muss grundsätzlich die<br />

Aufgaben erbringen, zu denen es verpflichtet ist<br />

bzw. zu denen es sich selbst verpflichtet hat. Eine<br />

direkte Pflicht, <strong>für</strong> die notleidenden Verbindlichkeiten<br />

der <strong>für</strong> sie tätigen Subjekte einzustehen,<br />

entsteht daraus hingegen auch dann nicht, wenn<br />

das Gemeinwesen am Aufgabenträger beteiligt<br />

ist 77 .<br />

Damit bleibt die Frage, ob das Gemeinwesen<br />

allenfalls aufgrund zivilrechtlicher <strong>Haftung</strong>serweiterungen<br />

<strong>für</strong> durch Träger öffentlicher Aufgaben<br />

verursachte Schäden einzustehen hat. Im Vordergrund<br />

stehen dabei einerseits die Figuren der deliktischen<br />

und vertraglichen <strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> Erfüllungsgehilfen<br />

bzw. Hilfspersonen 78 und damit generell<br />

der Organisationshaftung, andererseits<br />

und vor allem aber die Instrumente der Konzernhaftung<br />

79 . Namentlich die <strong>für</strong> die <strong>Haftung</strong> in Konzernen<br />

entwickelten Grundsätze lassen sich im<br />

Allgemeinen gut auf Strukturen übertragen, wie<br />

sie von Gemeinwesen <strong>für</strong> die Organisation ihrer<br />

Aufgabenerfüllung gewählt werden. Dabei ist die<br />

hier am Anfang stehende Frage nach dem Bestehen<br />

eines Konzernverhältnisses in der Regel zu<br />

bejahen, führen doch die selbständigen Subjekte,<br />

die eine öffentliche Aufgabe erfüllen, von vornherein<br />

ein tendenziell weniger eigendynamisches<br />

Leben als vergleichbare Tochterunternehmungen<br />

der Privatwirtschaft: Das Gemeinwesen<br />

überträgt öffentliche Aufgaben, die von einem öffentlichen<br />

Organ bestellt werden und die mehr<br />

oder weniger genau umschrieben sind. Zudem<br />

ist die öffentliche Hand zumindest wesensmässig<br />

verpflichtet, die <strong>für</strong> sie tätigen selbständigen<br />

Subjekte zu beaufsichtigen. Das Kriterium der<br />

einheitlichen Leitung rechtlich selbständiger Unternehmen<br />

durch das Gemeinwesen und damit<br />

die grundsätzliche Konzernqualität solcher Konstellationen<br />

dürften regelmässig gegeben sein.<br />

Für die Annahme eines Konzernverhältnisses<br />

ist unwesentlich, wie das Gemeinwesen die<br />

selbständigen Organisationen unter einheitlicher<br />

" In Deutschland wird neben der Konkursabwendungspflicht des<br />

Gemeinwesens zum Teil auch ein <strong>Haftung</strong>sdurchgriff auf das Gemeinwesen<br />

aufgrund öffentlichen Rechts diskutiert. Die Frage ist<br />

umstritten, wird aber tendenziell verneint (vgl. Thomas Kuhl/Kersten<br />

Wagner lFn.29), 437ff.).<br />

78 Art. 55 und 101 OR.<br />

79 Bspw. <strong>Haftung</strong> des Muttergemeinwesens als Beteiligte (Aktionärin,<br />

Dotationskapitalgeberin) an Tochtergesellschaften und -anstalten;<br />

<strong>Haftung</strong> des Muttergemeinwesens als Geschäftsführerin<br />

ihrer Tochterunternehmungen, <strong>Haftung</strong> aus Konzernvertrauen etc.<br />

Zu den verschiedenen <strong>Haftung</strong>statbeständen im Konzern vgl. einlassen<br />

Karl Hofstetter (Fn. 69), 175 ff.<br />

Leitung zusammenfasst. Entscheidend ist allein,<br />

dass das Gemeinwesen einen entsprechenden<br />

Leitungseinfluss geltend machen kann. Möglich<br />

ist dies sowohl über Beteiligungen 80 als auch<br />

durch vertragliche bzw. gesetzliche Bindungen<br />

des die öffentliche Aufgabe erfüllenden Rechtsträgers<br />

81 . Das Vorliegen eines Konzerntatbestandes<br />

führt noch nicht ohne weiteres dazu, dass<br />

das Gemeinwesen <strong>für</strong> ein Tochterunternehmen<br />

einzustehen hat; auch hier müssen die weiteren<br />

Elemente der jeweiligen <strong>Haftung</strong>sfiguren 82 erfüllt<br />

sein. Jedenfalls besteht aber <strong>für</strong> das Gemeinwesen<br />

das unter Umständen erhebliche Risiko, auch<br />

im Rahmen gewerblicher öffentlicher Aufgaben<br />

<strong>für</strong> verselbständigte (und damit auch <strong>für</strong> formell<br />

<strong>privatisierte</strong>) Aufgabenträger zu haften, soweit<br />

die Organisationsstruktur der Aufgabenerfüllung<br />

Konzernqualität aufweist 83 .<br />

Ein weiteres <strong>Haftung</strong>srisiko <strong>für</strong> das Gemeinwesen<br />

besteht dort, wo sich die öffentliche Hand<br />

in einer Aktiengesellschaft, an der sie ein öffentliches<br />

Interesse hat (und der sie deshalb in der Regel<br />

eine öffentliche Aufgabe zu erfüllen übertragen<br />

hat), statutarisch das Recht auf Vertretung im<br />

Verwaltungsrat (oder in der Revisionsstelle) einräumt<br />

(Art.762 OR) 84 . Diesfalls ordnet (und beruft)<br />

das Gemeinwesen seine Vertreter direkt ab,<br />

ohne dass die Generalversammlung dazu Stellung<br />

nehmen könnte. Die Direktvertretung des<br />

80 Das Gemeinwesen kann Alleineigentümer einer juristischen<br />

Person sein, d.h. zu 100 Prozent beteiligt sein. Aber auch eine Minderheitsbeteiligung<br />

kann u.U. genügen, um ein Unternehmen zu<br />

beherrschen.<br />

81 Roland von Büren (Fn.28), 250.<br />

82 Beispiele: <strong>Haftung</strong>sdurchgriff aufgrund der Aktionärsstellung<br />

des Gemeinwesens; beispielsweise ist etwa auch das Vorschieben<br />

juristischer Personen zu Umgehungszwecken (Institutsmissbrauch)<br />

verpönt; <strong>Haftung</strong> des Muttergemeinwesens als Aktionärin<br />

aus deliktischem Verhalten gegenüber der Tochterunternehmung<br />

oder als Geschäftsführer der Tochterunternehmung (zum Ganzen<br />

einlässlich Karl Hofstetter [Fn.69] 177ff.). Von Interesse ist weiter<br />

gerade im Zusammenhang mit der besonderen Stellung und dem<br />

Ruf des Gemeinwesens als grundsätzlich solventer Schuldner die<br />

(allerdings teilweise umstrittene) <strong>Haftung</strong> aus Konzernvertrauen<br />

(vgl. BGE 120II331 ff.; dazu <strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong>, ZBJV 7996321 ff.;<br />

Jean-Nicolas Druey, Urteilsanmerkung in SZW 7995 95ff.; Marc<br />

Amstutz/Rolf Watter, Urteilsanmerkung in AJP 1995 502 ff; Rainer<br />

Gonzenbach, Senkrechtstart oder Bruchlandung? Unvertraute Vertrauenshaftung<br />

aus «Konzernvertrauen», recht 1995 502ff; Markus<br />

Wick. Die Vertrauenshaftung im schweizerischen Recht, AJP<br />

79951270ff.; nun einlässlich Kristina Kuzmic [Fn.69]. <strong>Zur</strong> Konzernhaftung<br />

und insbesonderen zur <strong>Haftung</strong> aus Konzernvertrauen vgl.<br />

neuestens BGE 124 III 297ff., 303f. - Setzt das Gemeinwesen<br />

etwa seinen Ruf ein, um die Finanzierung seiner Tochterunternehmen<br />

zu erleichtern (oder distanziert es sich nicht klar von seinen<br />

Unternehmen, was angesichts der öffentlichen Aufgabe, die diese<br />

Unternehmen erfüllen, nicht ganz einfach ist), besteht unter Umständen<br />

ein beachtliches <strong>Haftung</strong>srisiko <strong>für</strong> die öffentliche Hand,<br />

jedenfalls sofern die Gläubiger nicht bösgläubig sind.<br />

83<br />

Für Deutschland vgl. Thomas Kuhl/Kersten Wagner (Fn.29),<br />

440ff.<br />

84<br />

Dabei ist die Zusammensetzung des Aktionariats unerheblich<br />

(nur Private, Private und Gemeinwesen, nur Gemeinwesen; vgl.<br />

OR-Wernli, Art. 762 N 5). Das Gemeinwesen muss nicht zwingend<br />

Aktien der Gesellschaft besitzen.


echt 1999 Heft 1 <strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong>/Jürg Wichtermann, <strong>Zur</strong> <strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> <strong>privatisierte</strong> <strong>Staatsbetriebe</strong><br />

Gemeinwesens hat eine Direkthaftung des Gemeinwesens<br />

<strong>für</strong> ihre Vertreter zur Folge 85 . Der<br />

Vertreter des Gemeinwesens in einer Aktiengesellschaft,<br />

die grundsätzlich als gewinnstrebiges<br />

Unternehmen konzipiert ist, kommt oft mehr<br />

oder weniger zwangsläufig in einen Interessenkonflikt<br />

86 , muss er doch einerseits darauf hinwirken,<br />

dass die der Gesellschaft übertragene öffentliche<br />

Aufgabe optimal erbracht wird, andererseits<br />

aber auch die Interessen der Gesellschaft<br />

selbst im Auge behalten 87 .<br />

IV. <strong>Haftung</strong> des Staates bei echten<br />

Privatisierungen<br />

Die bisherigen Betrachtungen sind davon ausgegangen,<br />

dass die neben dem Gemeinwesen<br />

rechtlich selbständigen Rechtssubjekte mindestens<br />

teilweise eine öffentliche Aufgabe erfüllen.<br />

Soweit solche Verselbständigungen im Rahmen<br />

von Privatisierungsprozessen erfolgt sind, handelt<br />

es sich demnach um formelle bzw. unechte<br />

Privatisierungen. Dass solchen Konstellationen<br />

das hauptsächliche Augenmerk gewidmet wird,<br />

hat seinen Grund vor allem darin, dass echte, vollständige<br />

Privatisierungen in der Schweiz kaum<br />

ein Thema sind. Dies nicht zuletzt deshalb, weil<br />

hierzulande - anders als im umliegenden Ausland<br />

- kaum je Verstaatlichungswellen 88 in grösserem<br />

Stile rollten und deshalb auch das Potential an<br />

echt privatisierungsfähigen Verwaltungszweigen<br />

relativ klein ist 89 .<br />

Trotzdem soll kurz auf die <strong>Haftung</strong> des Gemeinwesens<br />

gegenüber Dritten <strong>für</strong> echte Privatisierungen<br />

eingegangen werden. Der Begriff der<br />

echten Privatisierung impliziert, dass eine Leistung<br />

(in der Regel mit dem dazugehörigen Betrieb)<br />

aus der Verwaltung ausgegliedert und ohne<br />

jede Beteiligung und Einflussnahme des Gemein-<br />

85<br />

Art. 762 Abs.4 OR.<br />

86<br />

Roland von Büren (Fn.28), 252; Michael Stämpfli, Die gemischtwirtschaftliche<br />

Aktiengesellschaft. Bern 1991, 18ff.<br />

87<br />

Vermehrt sehen deshalb Gemeinwesen davon ab, sich bei ausgegliederten<br />

Aufgaben in der Organisation vertreten zu lassen,<br />

welche die Aufgabe nun <strong>für</strong> das Gemeinwesen erfüllt.<br />

88<br />

Eine der wenigen grossen Verstaatlichungen betraf Ende des<br />

19. Jahrhunderts die Eisenbahnen.<br />

88<br />

Ein besonders abstruses Beispiel <strong>für</strong> den (vermeintlichen) Anwendungsbereich<br />

von echten Privatisierungen ist das folgende:<br />

<strong>Zur</strong> Entledigung Altlast-kontaminierter Liegenschaften (und der damit<br />

verbundenen <strong>Haftung</strong> bzw. Sanierungspflicht) soll Gemeinwesen<br />

geraten worden sein, diese Liegenschaften in eine privatrechtliche<br />

Aktiengesellschaft einzubringen und die Gesellschaft anschliessend<br />

in Konkurs gehen zu lassen. Abgesehen davon, dass<br />

die Altlast-Sanierungspfllicht subsidiär voraussichtlich wieder auf<br />

die öffentliche Hand zurückfallen würde, hätte das Gemeinwesen<br />

ohnehin <strong>für</strong> die konkursite Gesellschaft zu haften (zu prüfen wären<br />

u.a deliktische, konzernrechtliche <strong>Haftung</strong>sgrundlagen, insbesondere<br />

auch Durchgriffsmöglichkeiten und eventuell Ansprüche aus<br />

Art. 181 OR).<br />

wesens von Privaten weitergeführt wird 90 . Dieser<br />

Vorgang entspricht im Wesentlichen demjenigen<br />

eines Unternehmenskaufes bzw. einer Geschäftsübernahme,<br />

<strong>für</strong> welche Art. 181 OR eine<br />

zweijährige Nachhaftung des bisherigen Schuldners<br />

<strong>für</strong> bestehende Forderungen vorsieht 91 .<br />

Diese Bestimmung ist ohne weiteres auch auf<br />

die Übernahme eines Betriebes der öffentlichen<br />

Hand durch einen Privaten anwendbar. Der Vorentwurf<br />

zum Fusionsgesetz 92 schlägt vor, diese<br />

Frist auf fünf Jahre zu verlängern.<br />

Die Nachhaftungsfrist des Gemeinwesens gilt<br />

grundsätzlich auch dort, wo nur formell privatisiert<br />

wird. Sie ist in diesem Bereich in der Regel<br />

allerdings nur insofern von grösserer Bedeutung,<br />

als der formell <strong>privatisierte</strong> Rechtsträger eine gewerbliche<br />

öffentliche Aufgabe erfüllt. Soweit der<br />

selbständige Aufgabenträger nicht-gewerbliche<br />

öffentliche Aufgaben erfüllt, haftet hingegen das<br />

Gemeinwesen (mindestens subsidiär) ohnehin.<br />

V. Fazit<br />

Reorganisiert das Gemeinwesen seine Aufgabenerfüllung<br />

und bildet es da<strong>für</strong> neue Strukturen,<br />

so wird da<strong>für</strong> zunehmend der Weg über organisatorische<br />

- und vor allem rechtliche - Ausgliederungen<br />

gewählt. Diese Prozesse sind unter dem<br />

Schlagwort Privatisierung bekannt geworden, obwohl,<br />

solange das Gemeinwesen mittels der ausgegliederten<br />

Einheiten weiterhin öffentliche Aufgaben<br />

erfüllt oder erfüllen lässt, eine eigentliche<br />

Privatisierung nicht stattfindet 93 . Beweggründe<br />

<strong>für</strong> solche Neustrukturierungen sind zumeist das<br />

Streben nach effektiverer und effizienterer Aufgabenerfüllung<br />

und mehr organisatorischer Flexibilität.<br />

Hin und wieder scheint aber auch das Argument<br />

der haftungsrechtlichen Optimierung<br />

mitzuschwingen 94 . Gerade dazu eignen sich die<br />

90 An sich wäre auch denkbar, dass die öffentliche Hand eine Aufgabe<br />

nicht mehr wahrnimmt, ohne dass sie von Privaten weitergeführt<br />

wird.<br />

91 Eine (echte) Privatisierung wird nur dann durch die Übernahme<br />

von Gesellschaftsanteilen erfolgen können, wenn der Betrieb bereits<br />

als juristische Person des Privatrechts ausgestaltet war. Diesfalls<br />

greift Art. 181 OR nicht (vgl. Rudolf Tschäni, Unternehmensübernahmen<br />

nach Schweizer Recht, 2. Aufl., Basel etc. 1991, 48f).<br />

- Nach dem VE FusG (Fn.94 gleich folgend) wären Ausgliederungen<br />

und damit auch echte Privatisierungen von «Instituten des öffentlichen<br />

Rechts» mittels Fusion oder Umwandlung möglich (dazu<br />

<strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong>/Jürg Wichtermann [Fn. 14), 82ff.).<br />

92 VE zu einem Bundesgesetz über die Fusion, Spaltung und Umwandlung<br />

von Rechtsträgern (Fusionsgesetz, FusG) vom November<br />

1997.<br />

93 Oft wird in der Diskussion die Rechtsform eines Trägers öffentlicher<br />

Aufgaben mit dem Umfeld der Aufgabenerbringung verwechselt:<br />

Eine Aktiengesellschaft allein macht noch keinen Markt.<br />

94 So etwa Jolanta Kren Kostkiewicz. Am Ende war die Aktiengesellschaft<br />

- Möglichkeiten der Umwandlung öffentlichrechtlicher<br />

Körperschaften, in: Festschrift Rolf Bär. Bern 1998, 227.


<strong>Wolfgang</strong> <strong>Wiegand</strong>/Jürg Wichtermann, <strong>Zur</strong> <strong>Haftung</strong> <strong>für</strong> <strong>privatisierte</strong> <strong>Staatsbetriebe</strong> recht 1999 Heft 1<br />

meisten «Privatisierungen» allerdings nicht oder<br />

nur beschränkt. Die Gründe da<strong>für</strong> lassen sich wie<br />

folgt zusammenfassen:<br />

- Die Qualifikation einer bestimmten Tätigkeit<br />

als Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe hängt<br />

nicht davon ab, in welcher (Rechts-) Form sie<br />

erbracht wird. Jede Aufgabe wird zur öffentlichen<br />

Aufgabe, wenn das zuständige Organ eines<br />

Gemeinwesens den Willen äussert, die<br />

entsprechende Aufgabe durch oder (durch<br />

Dritte) <strong>für</strong> das Gemeinwesen erfüllen zu lassen.<br />

- Das Staatshaftungsrecht, das sich in erster Linie<br />

mit der deliktischen <strong>Haftung</strong> des Gemeinwesens<br />

befasst, erfasst das gesamte staatliche<br />

Verhalten 95 , unterscheidet jedoch zwischen<br />

gewerblichem und nicht-gewerblichem<br />

Handeln der öffentlichen Hand. Für das gewerbliche<br />

amtliche Handeln haftet das Gemeinwesen<br />

(unter Umständen neben den<br />

handelnden Personen selbst) grundsätzlich<br />

nach Bundeszivilrecht. Für das nicht-gewerbliche<br />

(«hoheitliche» i.w. S.) Handeln sehen die<br />

meisten <strong>Haftung</strong>sgesetze regelmässig eine<br />

(überwiegend verschuldensunabhängige) <strong>Haftung</strong><br />

des Gemeinwesens nach kantonalem<br />

oder eidgenössischem öffentlichem Verantwortlichkeitsrecht<br />

vor.<br />

- Für Verbindlichkeiten aus öffentlich- und privatrechtlichen<br />

Verträgen haftet das Gemeinwesen<br />

in erster Linie nach den vertraglichen<br />

<strong>Haftung</strong>sregeln. Soweit das öffentliche Recht<br />

keine besonderen Bestimmungen enthält,<br />

wird dabei auch auf öffentlichrechtliche Verträge<br />

(analog) Privatrecht anzuwenden sein.<br />

- Diese Grundsätze gelten grundsätzlich (und<br />

immer unter dem Vorbehalt weitergehender<br />

öffentlichrechtlicher <strong>Haftung</strong>sregeln) auch<br />

dann, wenn das Gemeinwesen die Erfüllung<br />

seiner (gewerblichen oder nicht-gewerblichen)<br />

Aufgaben an rechtlich selbständige öffentlich-<br />

oder privatrechtlich konstituierte<br />

Rechtssubjekte überträgt. Abweichungen ergeben<br />

sich insofern, als die öffentliche Hand<br />

im Bereich des nicht-gewerblichen Handelns<br />

in der Regel nur noch subsidiär (aber dann immerhin<br />

meistens voll) <strong>für</strong> das Fehlverhalten<br />

des Aufgabenträgers einzustehen hat. Im Bereich<br />

des gewerblichen Handelns ergeben<br />

sich Abweichungen dadurch, dass bei Fehlver-<br />

95 Vorliegend interessiert in erster Linie die Verhaltenshaftung<br />

des Gemeinwesens; <strong>für</strong> dessen Zustandshaftung greifen in der Regel<br />

die entsprechenden zivilrechtlichen <strong>Haftung</strong>sgrundlagen<br />

(Werkeigentümerhaftung etc.). Vorbehalten bleibt im Weiteren<br />

auch die <strong>Haftung</strong> des Gemeinwesens <strong>für</strong> Gefährdungen aufgrund<br />

besonderer öffentlich- oder privatrechtlicher <strong>Haftung</strong>snormen (vgl.<br />

Jost Gross (Fn.40l. 26ff.).<br />

halten des selbständigen Aufgabenträgers aus<br />

Sicht des Gemeinwesens Drittschäden entstehen,<br />

<strong>für</strong> die das Gemeinwesen dann haftet,<br />

wenn nach zivilrechtlichen Regeln die Voraussetzungen<br />

<strong>für</strong> eine Dritthaftung erfüllt sind.<br />

- Auch bei echten Privatisierungen bleibt <strong>für</strong> das<br />

Gemeinwesen das Risiko einer Nachhaftung<br />

bestehen; allerdings bestehen diesbezüglich<br />

keine Besonderheiten gegenüber anderen<br />

Nachhaftungen <strong>für</strong> die Veräusserung von Vermögen<br />

oder eines Geschäftes.<br />

Die kurze Übersicht zeigt: Auch dezentralisierte<br />

Strukturen in Form «<strong>privatisierte</strong>r» Rechtsträger<br />

zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben bergen<br />

ein unter Umständen erhebliches <strong>Haftung</strong>srisiko<br />

<strong>für</strong> das dahinterstehende Gemeinwesen. Dies ist<br />

nicht weiter zu dramatisieren, entspricht dieser<br />

Befund doch den Entwicklungen, die das <strong>Haftung</strong>srecht<br />

ganz allgemein prägen. Indessen ist<br />

dort Aufmerksamkeit angezeigt, wo in Privatisierungen<br />

grundsätzliche <strong>Haftung</strong>serleichterungen<br />

<strong>für</strong> die öffentliche Hand gesehen werden. Die Abschaffung<br />

der Staatsgarantie beispielsweise<br />

würde die betroffenen Kantone zwar von der Tragung<br />

dieser Instituts- oder Deckungsgarantie 96<br />

entbinden, nicht aber von den grundsätzlichen<br />

<strong>Haftung</strong>srisiken des Kantons <strong>für</strong> seine rechtlich<br />

eigenständige Bank, solange diese <strong>für</strong> den Kanton<br />

und im öffentlichen Auftrag eine Kantonalbank<br />

betreibt 97 .<br />

Fritz Fleinerhat seinerzeit den Umstand, dass das<br />

Gemeinwesen gewisse öffentliche Aufgaben<br />

durch (oft staatliche beherrschte) privatrechtliche<br />

Subjekte erfüllen lässt, mit der seither oft zitierten<br />

Wendung der «Flucht von Staat und Gemeinde<br />

in das Privatrecht» umschrieben 98 . Fleiner<br />

zog den Schluss, mit der Entscheidung über<br />

den öffentlichrechtlichen oder privatrechtlichen<br />

Charakter einer Anstalt werde «das Urteil über<br />

alle ihre möglichen rechtlichen Beziehungen gefällt»,<br />

unter anderem auch «über die <strong>Haftung</strong> des<br />

Staates oder der Gemeinde <strong>für</strong> Versehen oder<br />

Vergehen der Beamten». Die Entwicklung des<br />

Staatshaftungsrechts und des <strong>Haftung</strong>srechts<br />

ganz allgemein hat diese Aussage mittlerweile<br />

sehr stark relativiert.<br />

96 Zum Inhalt der Staatsgarantie vgl. Peter Nobel, Wolken über<br />

dem Begriff der Staatsgarantie, ST 1996 229ff., 231 f.<br />

" Zumindest missverständlich ist denn auch, wenn die im Rahmen<br />

der Revision des Bankengesetzes vorgeschlagene Aufhebung<br />

der Staatsgarantie als Instrument bezeichnet wird, mit dem<br />

die Steuerzahler vor finanziellem Schaden geschützt werden könnten<br />

(Der Bund, Nr. 239 vom 14. Oktober 1998, 31).<br />

96 Fritz Fleiner, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts,<br />

8. Aufl., Tübingen 1928, 326ff.

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