149-158 (2718 KB)
149-158 (2718 KB)
149-158 (2718 KB)
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
echt 1990 Heft 4 Rechtsprechung 137<br />
Verpflichtungen (und Rechte) unterschiedlicher<br />
Intensität besteht und sich von der Begründung<br />
bis zur Beendigung des Schuldverhältnisses<br />
fortlaufend verändert 11 . Für die hier<br />
darzulegenden Probleme folge ich der von Kramer<br />
vorgeschlagenen Qualifizierung und Einteilung<br />
der Nebenpflichten 12 , die in der<br />
Schweiz in zunehmendem Masse Zustimmung<br />
findet und die ich sachlich für die einzig<br />
brauchbare halte. Er unterscheidet zwischen<br />
Leistungspflichten und (unselbständigen) Nebenpflichten<br />
und unterteilt die Leistungspflichten<br />
in Haupt- und Nebenleistungspflichten,<br />
von denen er die Nebenpflichten folgendermassen<br />
abgrenzt: «Die Leistungspflichten -<br />
seien es Haupt- oder Nebenleistungspflichten<br />
- zeichnen sich von den vertraglichen (oder<br />
vertragsähnlichen) Nebenpflichten dadurch<br />
aus, dass sie mit Hilfe von Erfüllungsansprüchen,<br />
also mit Hilfe von Leistungs- und Unterlassungsklagen<br />
(selbständig) verfolgt werden<br />
können, während bei Nichtbeachtung von<br />
blossen Nebenpflichten lediglich Schadenersatzansprüche<br />
zustehen. Der Unterschied zwischen<br />
Leistungspflichten und Nebenpflichten<br />
liegt daher... allein bei der Klagbarkeit.» 13<br />
Diese Einteilung ermöglicht es, eine Reihe<br />
von Erscheinungen zu erklären, deren Verständnis<br />
sonst schwerfällt. Eine Aufklärungspflicht<br />
kann zum Beispiel eine Leistungspflicht<br />
sein, sie kann aber auch eine Nebenpflicht im<br />
beschriebenen Sinne darstellen.<br />
Beispiel: Hat der Lieferant einer Maschine es<br />
versäumt, eine entsprechende Gebrauchsanleitung<br />
mitzuliefern, so hat der Käufer einen klagbaren<br />
Anspruch auf Lieferung entsprechender Unterlagen<br />
oder Instruktion durch eine geeignete Person.<br />
Hier handelt es sich eindeutig um eine Leistungspflicht.<br />
Hat der Verkäufer eines Gegenstandes den<br />
Käufer über die Gefährlichkeit nicht informiert, so<br />
handelt es sich um einen Verstoss gegen eine Nebenpflicht<br />
Dieser hat (sofern die Voraussetzungen<br />
der Wandlung nicht vorliegen) einen Schadenersatzanspruch<br />
wegen Verletzung der Aufklärungspflicht<br />
zur Folge, der je nach Sachlage auf culpa in<br />
" Dies erlaubt eine Abstufung der verschiedenen Arten von<br />
Pflichten bis hin zur Obliegenheit<br />
'• Berner Kommentar. VI/1/1 (1966). Einl N 89ff. dort auch<br />
Nachweise zu anderen Einteilungen und zur deutschen Literatur,<br />
auf der die schweizerische Doktrin basiert<br />
"A.a.O.. N 91 Man kann die unselbständigen Nebenpflichten<br />
auch als Verhaltenspflichten bezeichnen und dadurch<br />
zum Ausdruck bnngen dass der Schuldner hier keine<br />
erzwingbare Leistung schuldet, wohl aber ein bestimmtes<br />
Verhalten, bei dessen Nichtbeachtung Schadenersatzfolgen<br />
ausgelost werden Dazu Wiegend. Die Leistungsstörungen<br />
recht 1964 18f<br />
contrahendo oder positive Vertragsverletzung ge<br />
stützt werden kann.<br />
Vor allem die zweite Variante dieses Beispiels<br />
macht sichtbar, welche Bedeutung die<br />
Nebenpflichten im heutigen Schuldrechtssystem<br />
gewonnen haben Mit Hilfe dieser Pflichten<br />
ist es möglich, Risikozuweisungen und Risikoverlagerungen<br />
vorzunehmen, bestimmte<br />
Rechtsgüter und Vermögensinteressen des<br />
Gläubigers zu schützen oder ihnen den Schutz<br />
zu versagen Verneint man im gegebenen Beispiel<br />
die Aufklärungspflicht des Verkäufers<br />
über die Gefährlichkeit seiner Ware, so hat der<br />
Käufer den Schaden, der an seinem Eigentum<br />
oder im Rahmen seines Produktionsbetriebes<br />
entsteht, selbst zu tragen Nimmt man dagegen<br />
eine solche Aufklärungspflicht an, so werden<br />
die Vermögensinteressen des Käufers sowie<br />
seine Rechtsgüter (Eigentum, körperliche<br />
Unversehrtheit) vertraglich geschützt, und das<br />
Risiko der Schadenstragung wird auf den Verkäufer<br />
verlagert.<br />
b) Um diese Risikoverlagerung zu bewirken,<br />
genügt es natürlich nicht, das entsprechende<br />
Verhalten dogmatisch als Nebenpflicht zu begründen,<br />
vielmehr muss eine entsprechende<br />
Sanktion hinzutreten. Diese kann, wie im Beispiel<br />
schon angedeutet, durch die Haftung aus<br />
culpa in contrahendo oder wegen positiver<br />
Vertragsverletzung realisiert werden Zwischen<br />
der Entwicklung dieser beiden Rechtsinstitute<br />
und der Entwicklung der Nebenpflichten<br />
besteht deshalb eine Wechselwirkung Die<br />
Möglichkeit der Sanktion durch die culpa in<br />
contrahendo und die positive Vertragsverletzung<br />
hat einen gewissen Anreiz geschaffen,<br />
immer neue Nebenpflichten zu kreieren und<br />
deren Verletzung mit Schadenersatzfolgen zu<br />
belegen und dadurch die oben dargelegte Risikoverlagerung<br />
herbeizuführen Aus der beschriebenen<br />
Funktion der Nebenpflichten ergibt<br />
sich ohne weiteres, dass sie auch dazu benutzt<br />
werden können, um Ungleichgewichtslagen<br />
zwischen den Vertragspartnern auszugleichen.<br />
Ein solcher Einsatz der Nebenpflichten<br />
im Sinne einer sozialen Kompensation ist z B<br />
im gesamten Konsumentenschutzbereich zu<br />
beobachten' 3 ".<br />
Die hier thesenartig skizzierten Entwicklungen<br />
sind als solche bekannt 14 , werden aber<br />
nicht immer mit der notwendigen Klarheit ge<br />
,M Exemplarisch dazu ZR 1990 Nr 27<br />
'* Vgl die Ansätze bei Gauch/Sweet |Fn 7) Weber Schutz<br />
pflichten - ein Sozialstaatsgedanke' in Festschnft Giger<br />
Bern 1969. 735ff