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echt 1990 Heft 4 Rechtsprechung 139<br />
c) In beiden Fällen, sowohl bei der Sorgfaltspflicht<br />
als auch bei der Treuepflicht, zeigt sich,<br />
dass deren inhaltliche Bestimmung und die an<br />
das Verhalten des Beauftragten anzulegenden<br />
Massstäbe auf einem Wertungsprozess beruhen<br />
und damit beliebig erweitert werden können.<br />
Diesen Wertungen stehen, da sie an sehr<br />
allgemein gehaltene Kriterien wie Sorgfalt und<br />
Interessenwahrnehmung geknüpft sind, praktisch<br />
keine Kontrollmechanismen entgegen,<br />
die bestimmte Begrenzungen erzwingen würden.<br />
In diesem Wertungsvorgang erfolgt die<br />
Weichenstellung, die über die Haftung entscheidet.<br />
Das gilt für die Haftung des Beauftragten<br />
wie für die Haftung wegen Nebenpflichtverletzungen<br />
ganz allgemein<br />
Der Richter stellt zunächst - wie oben beschrieben<br />
- die Überlegung an, ob der eingetretene<br />
Schaden (die Verletzung eines Rechtsguts<br />
oder der allgemeinen Vermögensinteressen)<br />
vom Gläubiger selbst zu tragen oder ob<br />
dieserSchaden allenfalls auf den Schuldnerzu<br />
überwälzen sei. Kommt er zu letzterem Ergebnis,<br />
so hat er es in der Hand, durch Verfeinerung<br />
und Ausdehnung der allgemeinen Nebenpflichten<br />
- bzw. im Bereich des Auftragsrechts<br />
der Sorgfalts- und Treuepflichten -<br />
diese so zu verschärfen, dass praktisch jedes<br />
Verhalten des Schuldners ohne weiteres als<br />
Pflichtverletzung qualifiziert werden kann, so<br />
dass dieser letztlich den Schaden ausgleichen<br />
muss.<br />
d) Dass das Bundesgericht in dieser Weise<br />
vorgeht, zeigt sich nicht nur im hier besprochenen<br />
Entscheid 21 , sondern lässt sich mit einerganzen<br />
Reihe von Urteilen belegen. Besonders<br />
signifikant ist die Entwicklung im Bereich<br />
des Bankenrechts 22 , aber auch in der Frage der<br />
Arzthaftung 23 oder der Verantwortlichkeit der<br />
Verwaltungsräte 24 . In all diesen Fällen lässt<br />
sich nachweisen, dass die Haftungsbegrün<br />
der Beauftragte müsse auch auf eigene Fehler hinweisen,<br />
um dem Auftraggeber die Geltendmachung von Ersatzansprüchen<br />
zu ermöglichen.<br />
a.a.O.. N.135.<br />
Nachweise bei Derendinger.<br />
21<br />
Zu Recht sprechen Gauch/Sweet (Fn.7). 122. von der<br />
«Kreation» von Schutznormen durch die Gerichte im Deliktsrecht,<br />
wo sich die hier beschriebenen Vorgänge in derselben<br />
Form beobachten lassen Das beruht auf der Identität der<br />
massgebenden Faktoren und der rechtspolitischen Komponenten<br />
"Vgl etwa BGE 112 II 450 und Urteil des BG vom<br />
1.12.1987 - Semjud 1988337. dazu Levym SAG 1989 27'f.<br />
23<br />
Besonders deutlich BGE 113 II 429, dazu<br />
der recht 1988 91 f.<br />
Buchli-Schnei-<br />
24<br />
Übersicht bei Forstmoser, Die aktienrechtliche Verantwortlichkeit.<br />
2 Aufl.. Zürich 1987, Exemplarisch BGE 114 V<br />
78ff, = Pra 7389 Nr. 97.<br />
dung durch eine erkennbare Ausdehnung und<br />
Verschärfung der Haftungsmassstäbe erfolgt.<br />
Auf besonders eindrucksvolle Weise wird<br />
all das durch den inzwischen schon berühmt<br />
gewordenen Entscheid des Bundesgerichts<br />
verdeutlicht, in dem es die «Pflicht des Architekten,<br />
den Bauherrn auf die Notwendigkeit<br />
einer Haftpflichtversicherung hinzuweisen,<br />
wenn der Bau mit besonderen Risiken verbunden<br />
ist. die er als Fachmann besser überblikken<br />
kann als der Bauherr», als einen Teil der<br />
Beratungspflicht des Architekten bezeichnet<br />
25 . Selbst wenn man berücksichtigt, dass<br />
diese Beratungspflicht eine gewisse Verankerung<br />
in den SIA-Normen hatte, so zeigt sich an<br />
diesem Entscheid doch der Kerngedanke, um<br />
den es hier geht, sehr deutlich: Da der Bauherr<br />
infolge fehlender Versicherung einen Schaden<br />
erlitten hatte, weil er seinerseits dem Nachbarn<br />
aufgrund der Haftung gemäss Art. 679 ZGB ersatzpflichtig<br />
wurde, hat das Bundesgericht die<br />
Beratungspflicht des Architekten in der beschriebenen<br />
Weise entwickelt, um damit eine<br />
Haftungsgrundlage zu schaffen, die es dem<br />
Bauherrn ermöglichte, die ihn treffende Vermögenseinbusse<br />
seinerseits auf den Architekten<br />
zu überwälzen.<br />
e) Die Zahl der Beispiele Hesse sich beliebig<br />
vermehren und durch ausländische Urteile ergänzen.<br />
So ist insbesondere im bereits erwähnten<br />
Bereich des Bankenrechts weltweit<br />
eine umfassende Haftungsverschärfung zu beobachten.<br />
Die Praxis in Deutschland'hat einen<br />
ganzen Katalog von Verhaltenspf/ichten der<br />
Banken 26 entwickelt, die diese insbesondere<br />
im Umgang mit sozial schwächeren Kunden zu<br />
einer bis in die allerkleinsten Details reichenden<br />
Beratung und Aufklärung verpflichtet, so<br />
dass das Risiko des Kreditaufnehmenden in<br />
möglichst grossem Masse reduziert wird.<br />
Diese Tendenz ist jedoch nicht nur bei Verträgen<br />
zu beobachten, wo es um die bereits erwähnte<br />
Kompensation von Ungleichgewichtslagen<br />
geht, sie findet sich auch dort, wo ein<br />
eigentlicher Sozialschutz nicht in Betracht<br />
kommt. So sind in Australien Banken zu Schadenersatz<br />
verpflichtet worden, die Grosskunden<br />
die Risiken von Fremdwährungsdarlehen<br />
nicht mit der nötigen Intensität vor Augen ge-<br />
25 BGE 111 II 72<br />
26 Besonders instruktiv die Beiträge von H. P. Westermann,<br />
Brandner und von Rottenburg unter dem (gemeinsamen) Titel<br />
«Verhaltenspflichten der Kreditinstitute bei der Vergabe<br />
von Verbraucherdarlehen» in Zeitschrift für das gesamte<br />
Handelsrecht (ZHR) 1989 123ff. 147ff, 162«.