Café40 - KPÖ Oberösterreich
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CCaafféé<br />
<strong>KPÖ</strong><br />
Kultur,<br />
Politik,<br />
Unterhaltung.<br />
Nummer 40, März 2013<br />
Verkaufspreis: 1 Euro<br />
Bumsti!<br />
Scheißegal. Mit<br />
Berufsarmee oder Miliz.<br />
Mia prack’n alle nieder!<br />
Opposition, Koalition,<br />
Basis! Überbau!<br />
Bumsti!<br />
• Linke im Schlachtrausch •<br />
• Heimkinder • Rechtsextremismus •<br />
• Kiffen mit der Innenministerin • Rad fahren •<br />
• Besoffen in Wels • Theaterarbeit • Texta Chroniken •
willkommen<br />
Trainingspause<br />
Beim Zeitung machen ist es oft so<br />
wie beim sportlichen Training. Da<br />
geht es darum, Trainingsreize zum<br />
richtigen Zeitpunkt zu setzen.<br />
Trainiert man zu viel, kann es passieren,<br />
dass man immer müder<br />
wird statt fitter. Man nennt das<br />
Übertraining. Es ist dann eine längere<br />
Pause notwendig, damit sich<br />
der Körper wieder vollständig regenerieren<br />
kann. Das letzte halbe<br />
Jahr war Pause, sie war vermutlich<br />
einem Übertraining geschuldet.<br />
Aber jetzt geht es weiter, mit<br />
Kraft und in alter Frische.<br />
In der vorliegenden Nummer dürfen<br />
wir gleich drei neue AutorInnen<br />
begrüßen: Michael Genner,<br />
Obmann der NGO „Asyl in Not“,<br />
nimmt zur akuten Asyldebatte<br />
Stellung, Marty Huber, Medienarbeiterin<br />
der IG-Kultur, zeigt, was<br />
freie KulturarbeiterInnen vom Arbeitsamt<br />
zu erwarten haben und<br />
Rudi Müllehner, freier Theatermacher,<br />
beschreibt, was er so alles zu<br />
tun hat, und wodurch er daran gehindert<br />
wird, das zu tun was er tun<br />
möchte.<br />
Fastenzeit ist nicht, proklamiert<br />
Berta Blumenkohl. Schon gar<br />
nicht, wenn sie einen Papst in Pension<br />
gehen lassen, möchte man<br />
hinzufügen. Unterhaltsamer wäre<br />
es gewiss gewesen, wenn die Kardinäle<br />
auch hier ihrer Tradition<br />
treu geblieben wären (was sie in<br />
anderen Dingen ganz gut können),<br />
und den Pensionsaspiranten auf<br />
bewährte Weise ermeuchelt hätten.<br />
Aber der Vatikan schwächelt<br />
schon dermaßen, dass er nicht einmal<br />
mehr Stoffe für Drehbücher<br />
hervorbringt. Trotzdem viel Spaß<br />
bei der Lektüre<br />
Ihre Café-<strong>KPÖ</strong>-Redaktion<br />
Cartoon: Baluba<br />
Seite 2<br />
Stärkere<br />
Medikamente<br />
Rado Prostackis Medienambulanz<br />
Innenministerin Mikl-Leitner ist im<br />
Weinviertel aufgewachsen. Daher<br />
kennt sie sich so gut mit Drogen aus.<br />
Da aber die Drogen-UserInnen aus<br />
ihrer näheren Umgebung, jene, die<br />
gerne mit zwei Liter Zweigelt in der<br />
Birne vorwiegend mit ihren Golfs und<br />
Astras Fußgängergruppen niedermähen,<br />
zu ihren und Prölls Kernwähler-<br />
Innenschichten zählen, hat sie die KifferInnen<br />
ins Visier genommen.<br />
Denn als Polizeiministerin muss sie<br />
schließlich jemand ins Visier nehmen<br />
und wer kifft, das besagt die Weinviertler<br />
Volksgemeinschaft, ist mindestens<br />
KinderfresserIn, wenn nicht gar<br />
kommunistisch angehaucht. Also will<br />
sie vor allem diesen auf Teufel komm<br />
raus nachstellen. „Der Drogenkonsum<br />
soll lückenlos beobachtet werden“,<br />
sagt sie. Daher möchte sie zuerst,<br />
dass die Harnuntersuchungen<br />
von Haar-Tests abgelöst werden. Damit<br />
kann sie Drogengebrauch viel län-<br />
ger nachweisen und somit viel mehr<br />
junge Leute drankriegen.<br />
Drankriegen will sie auch jene, die als<br />
Medikament gegen ihre Suchtkrankheit<br />
Methadon oder Substitol erhalten.<br />
Mit der Drogensubstitutionstherapie<br />
will sie ebenfalls sofort abfahren,<br />
das besagt zumindest ein Strategiepapier<br />
aus ihrem Hause. Dass die Polizeiministerin<br />
damit ein kräftiges Ansteigen<br />
der Drogentoten, wie auch<br />
eine Zunahme der Infektionen mit<br />
HIV und Hepatitis billigend in Kauf<br />
nimmt, wie ihr Fachleute ausgerichtet<br />
haben, ist die eine Seite. Das sind Kolateralschäden.<br />
Die andere Seite ist,<br />
dass sich das Polizeiministerium für<br />
die Therapie von Krankheiten zuständig<br />
wähnt. Müssen wir damit rechnen,<br />
dass in Zukunft Erkrankungen der<br />
Wirbelsäule mit Handschellen, Bluthochdruck<br />
mit dem Gummiknüppel<br />
und Depressionen mit Pfefferspray<br />
behandelt werden?
Blankoscheck<br />
für Aufrüstung<br />
Die Abstimmung über das Bundesheer hatte den Zweck, die<br />
Militarisierung der Gesellschaft voranzutreiben. Von Franz Fend.<br />
Würden Wahlen etwas ändern, sagt<br />
der Anarchist, wären sie längst verboten.<br />
So sehr bestätigt, wie bei der Abstimmung<br />
über das Bundesheer, ist<br />
diese Losung schon lange nicht geworden.<br />
Man hätte die StimmbürgerInnen<br />
genauso fragen können, ob sie<br />
gerne eine mit einem Holzprügel über<br />
den Kopf gezogen bekämen oder doch<br />
lieber mit einer Gummiwurst. Wäre<br />
allerdings die Frage so gestellt worden,<br />
könnte man vermuten, hätte es<br />
mehr Menschen gedämmert, dass ein<br />
weder/noch die richtige Antwort gewesen<br />
wäre.<br />
Denn das Resultat dieser so genannten<br />
Volksbefragung war in jedem Fall<br />
ein Blankoscheck für die Aufrüstung.<br />
Nicht von ungefähr meldete sich die<br />
Offiziersgesellschaft gleich nach der<br />
Befragung mit der Forderung, das<br />
Rüstungsbudget müsse um 35 Prozent<br />
erhöht werden, zu Wort. Die viel<br />
schlimmere Folge dieser Volksbefragung<br />
ist jedoch der Fakt, dass Aufrüstung,<br />
Militarisierung, Drill und<br />
Kommiss als alternativlos dargestellt<br />
worden sind. Das hat weit in die Reihe<br />
jener, die sich selber als links beschreiben,<br />
seine Wirkung getan. Da<br />
war im Vorfeld der Befragung in einem<br />
Flugblatt einer Organisation, die<br />
Seite 3<br />
mit dem Begriff revolutionär und sozialistisch<br />
geradezu herumgeworfen<br />
hat die Rede, dass es für junge Männer<br />
durchaus sinnvoll sei an Waffen<br />
ausgebildet zu werden wie auch, dass<br />
man es befürworte, dass jungen Männern<br />
Disziplin gelehrt würde. Etwas<br />
billiger gab es da schon die Solidarwerkstatt<br />
Österreich, vormals Friedenswerkstatt,<br />
die ganz auf Regierungslinie,<br />
bei einer<br />
Podiumsdiskussion BundesheerkritikerInnen<br />
ausschloss, weil die Abschaffung<br />
des Bundesheers nicht zur<br />
Abstimmung stand. Die Solidarwerkstatt<br />
reiht sich somit in einen militaristischen<br />
Mob ein, welcher so tut, als<br />
wäre die Wehrpflicht ein Garant für<br />
Demokratie. Dabei besteht das österreichische<br />
Bundesheer schon jetzt<br />
vorwiegend aus Berufssoldaten. Es ist<br />
flott dabei, wenn es die europäischen<br />
Interessen irgendwo auf der Welt militärisch<br />
durchzusetzen gilt und<br />
wenn’s sein muss, auch im eigenen<br />
Land gegen unbotmäßige BürgerInnen<br />
loszugehen.<br />
Und es hat sich einmal mehr gezeigt,<br />
dass es immer die Alten sind, die die<br />
Jungen in den Krieg schicken. Auch<br />
die angejahrten Recken von der Friedenswerkstatt.<br />
Die Friedl<br />
Freundschaft<br />
Jo mei, die Sozialdemokraten.<br />
Wären sie sozial und wären sie demokratisch,<br />
wir könnten glatt<br />
Freunde sein.<br />
So allerdings…<br />
Seit Jahren laufen sie mir über den<br />
Weg mit ihrer rosa Brille auf der<br />
Nase und erzählen begeistert, was<br />
„die Partei“ nicht schon alles Gute<br />
für „die Leut“ auf die Beine stellte.<br />
Nur wenn man sie zu später Stunde<br />
mal ganz privat mit einigem<br />
Rotwein intus in einem Wirtshaus<br />
erwischt, sind sie meist grantig<br />
und schimpfen, was das Zeug hält:<br />
nix mehr ginge weiter, die Führungsriege<br />
sei ein satter Haufen,<br />
der es sich in seiner Parallelgesellschaft<br />
fein gerichtet hätte …<br />
Aber einen Tag später betrachten<br />
sie wieder alles „nüchtern”: Man<br />
hätte Kompromisse zu schließen,<br />
man müsse sich nach der Decke<br />
strecken, man könne nicht alles<br />
niederreißen, man wäre ja staatstragend<br />
und so weiter.<br />
Ich frag mich dann immer, wer in<br />
aller Welt diesen „Sozis“ so ihr<br />
Hirn zermatscht hat, dass sie all<br />
diesen Blödsinn, den sie da verzapfen,<br />
auch noch selber glauben.<br />
Wahrscheinlich zu viele in Punsch<br />
getränkte rosa Krapferl gemampft,<br />
sonst kann ich mir ihre grenzenlose<br />
Verantwortungslosigkeit den<br />
Leuten gegenüber nicht erklären.<br />
Und bei der nächsten Wahl wird<br />
wieder ein Kreuzerl bei „ihrer Partei“<br />
gemacht und alles geht von<br />
Neuem los. Der Wahnsinn hat Methode<br />
und die Sozialdemokraten<br />
auch.
Flüchten<br />
Gleiche<br />
Rechte!<br />
Vor wenigen Wochen präsentierte<br />
die Bundesregierung ihre Pläne<br />
zur Novellierung des Staatsbürgerschaftsgesetzes.<br />
Die Conclusio<br />
vorweg: ÖVP und SPÖ sind nicht<br />
daran interessiert, es Menschen,<br />
die in Österreich leben bzw. die<br />
schon in Österreich geboren wurden<br />
bzw. werden, zu erleichtern,<br />
zu ÖsterreicherInnen zu werden.<br />
Die Auflagen der Novelle - z.B.<br />
nach sechs Jahren kann eingebürgert<br />
werden, wer durchgehend<br />
selbsterhaltungsfähig war sowie<br />
keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch<br />
genommen hat und<br />
Deutsch auf Matura-Fremdsprachenniveau<br />
(B2) beherrscht - dienen<br />
einzig und allein dazu, Menschen<br />
davon abzuhalten, die<br />
österreichische Staatsbürgerschaft<br />
erhalten zu können.<br />
Die Sorge zahlreicher NGO’s an<br />
der Novelle ist voll und ganz zu<br />
teilen - doch eine fortschrittliche<br />
Position kann zugleich nur lauten:<br />
Weg mit dem ganzen Blödsinn,<br />
dass ein Blatt Papier über die Existenz<br />
von Menschen bestimmt!<br />
Gleiche soziale und politische<br />
Rechte für alle Menschen, die in<br />
Österreich leben!<br />
Jenni Zach<br />
Seite 4<br />
Ermordung<br />
ist zumutbar?<br />
Michael Genner, Obmann von „Asyl in Not“, über die aktuelle<br />
Asyldebatte: Endlich der Genfer Konvention nachkommen.<br />
Der Protest der Flüchtlinge hat die<br />
öffentliche Meinung in einem Maße<br />
sensibilisiert, wie es vorher kaum<br />
denkbar schien. Dabei wurden aber<br />
die Probleme, um die es geht, nur verkürzt<br />
wahrgenommen. Erste Kommentare<br />
beschrieben (mit Recht) die<br />
menschenunwürdigen Zustände in<br />
vielen Unterkünften; man versuchte<br />
dann, die Flüchtlinge mit warmen Caritasquartieren<br />
abzuspeisen.<br />
Ein Fortschritt hingegen ist die Debatte<br />
über das Recht auf Arbeit. Dass<br />
sich nun auch Teile der SPÖ bewegen,<br />
ist ein Erfolg des langen Kampfes<br />
gegen den Rassismus innerhalb dessen,<br />
was einst „Arbeiterbewegung“<br />
hieß. Bekanntlich war es der „rote“<br />
Polizeiminister Löschnak, der Asylsuchenden<br />
das Recht zu arbeiten entzog.<br />
Hauptursache der Proteste aber<br />
ist die permanente Missachtung der<br />
Genfer Flüchtlingskonvention, sowie<br />
die gänzliche Verwahrlosung der<br />
Asyljudikatur.<br />
Viele der Hungerstreikenden stammen<br />
aus Pakistan, wo die einst vom<br />
CIA herangezüchteten Taliban einen<br />
Vernichtungskrieg gegen die schiitische<br />
Minderheit führt. Einem von ihnen<br />
haben die Taliban das Haus nie-<br />
dergebrannt. Er entkam, seine Eltern<br />
wurden umgebracht.<br />
Der Asylgerichtshof wies seine Beschwerde<br />
ab: Es sei zwar bekannt,<br />
dass Schiiten Opfer von Anschlägen<br />
werden, jedoch seien 20 Prozent der<br />
Pakistani Schiiten, daher sei die statistische<br />
Wahrscheinlichkeit, dass gerade<br />
unser Klient (dessen Haus schon<br />
niedergebrannt ist, dessen Eltern ermordet<br />
wurden!) einem Anschlag<br />
zum Opfer fiele, doch sehr gering…<br />
Seiner aus Russland stammenden, in<br />
Österreich zum Aufenthalt berechtigten<br />
Frau und ihrem Kind, sei es zumutbar,<br />
mit ihm nach Pakistan zu ziehen.<br />
Die Herren Leitner und Engel<br />
(Asylgerichtshof Linz) haben diese<br />
Entscheidung verfasst. Österreicher<br />
hingegen warnt das Außenamt auf<br />
seiner Homepage vor Reisen nach Pakistan<br />
wegen der dort überall herrschenden<br />
Terrorgefahr…<br />
Es bedarf daher einer grundlegenden<br />
Neuordnung des gesamten Asylwesens:<br />
In Solidarität mit den Flüchtlingen<br />
und in Konsequenz ihres Protests<br />
fordert „Asyl in Not“ die Beseitigung<br />
der Dublin-Verordung und die Ersetzung<br />
des Asylgerichtshofes durch ein<br />
unabhängiges Tribunal.
Seite 5<br />
Dunkelrote<br />
Spaßbremsen<br />
Kommt der Kommunismus wieder? Oder wovor fürchtet sich die<br />
antikommunistische Presse wirklich? Von Günter Hopfgartner.<br />
Eigentlich ist es ja die Wahrheit und<br />
nichts als die Wahrheit: Kommunisten<br />
sind Spaßbremsen! Jedenfalls wenn<br />
es darum geht, die große Party des<br />
freien Marktes richtig abgehen zu lassen<br />
bis das Dach wegfliegt.<br />
Insofern kann man zum Beispiel dem<br />
grobschlächtig konservativen Grazer<br />
Bürgermeister Nagl und seiner sozialdemokratischen<br />
Steigbügelhalterin<br />
Schröck nur zustimmen: die Kommunistin<br />
Elke Kahr durfte auf gar keinen<br />
Fall in irgendwelche Verantwortung<br />
eingebunden werden. Auf die wäre<br />
kein Verlass, jedenfalls nicht in dem<br />
Sinne, wie man es von gestandenen<br />
PolitikerInnen in diesem unserem<br />
Lande erwarten darf, dass sie sich<br />
nämlich im realpolitischen Morgen<br />
nicht mehr um das Geschwätz des<br />
wahlkämpfenden Gestern kümmern.<br />
Weitere Privatisierungen kommunaler<br />
Dienste etwa waren mit ihr nicht<br />
zu diskutieren, wären mit ihr auch<br />
künftig nicht durchzusetzen.<br />
Und das ist keine Frage der persönlichen<br />
Befindlichkeit, sondern eine politische<br />
Grundsatzfrage, wie etwa<br />
Christian Ortner in einem ansonsten<br />
recht einfältigen antikommunistischen<br />
Schmähartikel nach dem Grazer KP-<br />
Wahlerfolg richtig bemerkte: Das<br />
grundlegende Problem mit den KommunistInnen,<br />
über das auch die per-<br />
sönliche Liebenswürdigkeit einzelner<br />
VertreterInnen dieser politischen<br />
Spezies nicht hinwegtäuschen könne,<br />
sei, so Ortner, ihre negative Haltung<br />
zum Privateigentum. Zum privaten<br />
Eigentum an Produktionsmitteln<br />
möchte man ergänzen, aber ansonsten<br />
hat der Stahlhelm-Neoliberale durchaus<br />
den Punkt getroffen: Letztenendes<br />
sehen KommunistInnen die Lösung<br />
für Finanz- und<br />
Wirtschaftskrisen, Ausbeutung, gesellschaftliche<br />
Segmentierung und<br />
Armut als jenseits der Grenzen des<br />
kapitalistischen Systems. Jenseits des<br />
„Privateigentums an Produktionsmitteln“,<br />
wie Ortner sagen würde.<br />
Eine Perspektive jedenfalls, die da<br />
und dort an Plausibilität gewinnt, seit<br />
die Performance des real existierende<br />
Kapitalismus sich derart erkennbar<br />
desaströs gestaltet.<br />
Und an jenem Punkt kommen auch<br />
hierzulande die KommunistInnen ins<br />
Spiel, als Spielverderber nämlich, die<br />
nicht nur an der schönen neoliberalen<br />
Welt des Kapitalismus herummäkeln,<br />
sondern die, gegen alles „There is no<br />
alternative“-Geraune, die Möglichkeit<br />
einer ganz anderen Welt denkmöglich<br />
und damit „im Spiel“ halten - und<br />
letztlich Verrat am herrschenden<br />
Konsens der Markt-Demokraten<br />
üben. Spaßbremsen, elendige!<br />
Bauern<br />
Schwarze<br />
Finsternis<br />
Gegen angebliche Sozialschmarotzer<br />
boxte Ex-Vizekanzler Josef<br />
Pröll, mittlerweile hochbezahlter<br />
Manager der Raiffeisen-Firma<br />
Agrana, eine Transparenzdatenbank<br />
durch. Geht es hingegen um<br />
die Transparenz der Agrarförderungen<br />
herrscht tiefste Finsternis,<br />
seit die früher übliche Veröffentlichung<br />
solcher Subventionen abgeschafft<br />
wurde. Kritik an Bauernprivilegien<br />
wird von den Agrariern<br />
Berlakovich, Hiegelsberger & Co.<br />
als Neidkomplex abgetan.<br />
90 Prozent der 173.000 Bauern<br />
sind steuerlich pauschaliert, sie<br />
brauchen im Gegensatz zu „normalen“<br />
Selbständigen keinerlei Buchhaltung<br />
führen. Im Ergebnis spart<br />
sich der Durchschnittsbauer<br />
15.000 Euro und zahlt 260 Euro<br />
Einkommensteuer – im Jahr. Und<br />
der Staat fällt um etwa 400 Mio.<br />
Euro um.<br />
Der Bauernbündler Pröll erhöhte<br />
die Pauschalierungsgrenze auf<br />
100.000 Euro Einheitswert. So<br />
zahlen auch 70-Hektar-Betriebe in<br />
Gunstlagen kaum Steuern. Durch<br />
fiktiv niedrige Einkommen dank<br />
Pauschalierung zahlt die Landwirtschaft<br />
niedrige Sozialversicherungsbeiträge.<br />
Daher muss der<br />
Staat bei den Bauernpensionen 81<br />
Prozent Zuschuss leisten – aus<br />
Steuergeldern der Lohnabhängigen.<br />
Bekanntlich ist die Wahrheit den<br />
Menschen zumutbar. Das gilt auch<br />
für Agrarförderungen und Steuerprivilegien.<br />
Leo Furtlehner
In der Debatte über die Einführung<br />
von Biosprit bzw. den Bioethanol-<br />
Treibstoff E10 erweist sich Landwirtschafts-<br />
und Umweltminister Nikolaus<br />
Berlakovich als einsamer Rufer<br />
in der Wüste. Warum lässt sich das im<br />
Bauernbund verankerte Regierungsmitglied<br />
für das Vorhaben von den anderen<br />
Parteien und der veröffentlichten<br />
Meinung prügeln? Die Antwort<br />
ist ganz einfach: Berlakovich erweist<br />
sich als „Steher“, weil er damit Interessen<br />
von Raiffeisen vertritt. Der<br />
Zucker-, Fruchtsaft- und Stärke-Hersteller<br />
Agrana – zu hundert Prozent<br />
im Besitz der Giebelkreuzler – hat<br />
sich in Österreich vorausschauend<br />
längst das Monopol auf die Bioethanol-Fertigung<br />
gesichert.<br />
Die Ernährungsorganisation der<br />
UNO verwies darauf, dass die steigende<br />
Bioethanol-Produktion und die<br />
Waren-Termin-Spekulation auf Getreide<br />
den Hunger auf der Welt – von<br />
dem derzeit rund 925 Millionen Men-<br />
Seite 6<br />
Treuer Diener<br />
seines Herrn<br />
Lutz Holzinger nimmt einen der mächtigsten und aggressivsten Konzerne hierzulande unter die<br />
Lupe. Folge vier einer Reihe über Raiffeisen.<br />
schen direkt betroffen sind – weiter<br />
verschärft. Das war für heimische Politiker<br />
ebenfalls ein gefundenes Fressen.<br />
„Der Standard“ berichtete unter<br />
der Schlagzeile „Breite Politikerfront<br />
ist gegen Biosprit E10“. Der umstrittene<br />
Agrotreibstoff E10 ist in Österreich<br />
nun doch nicht wie geplant am<br />
1. Oktober eingeführt worden. Zwei<br />
Wochen vor dem bis zuletzt von<br />
Landwirtschaftsminister Berlakovich<br />
forcierten Starttermin wurde von diesem<br />
die Notbremse gezogen.<br />
Weichen längst gestellt<br />
In letzter Konsequenz sprachen sich<br />
SPÖ, Grüne, FPÖ und BZÖ ebenso<br />
wie Caritas (wegen der Lebensmittelpreise)<br />
und AK (wegen der Treibstoffkosten)<br />
gegen eine Einführung<br />
von E10 im Herbst aus. Alle Beteiligten<br />
haben in der Debatte so getan, als<br />
seien die Weichen für die Beimischung<br />
von Bioethanol zum Benzin<br />
nach einer Richtlinie der Europäi-<br />
schen Union nicht schon längst gestellt<br />
worden. Zur Entlastung von<br />
Umwelt und Ölimporten soll spätestens<br />
bis 2020 dem Benzin ein 10-prozentiger<br />
Anteil von Bioethanol beigemischt<br />
werden. In Österreich liegt<br />
diesem Plan eine sozialpartnerschaftliche<br />
Vereinbarung zwischen Erdölund<br />
Agrarwirtschaft zugrunde, an der<br />
Josef Pröll als Vorgänger von Berlakovich<br />
als Agrar- und Umweltminister<br />
beteiligt war. Vereinbart wurde u.<br />
a. die Befreiung des Biosprits von der<br />
Mineralölsteuer, die den Treibstoff in<br />
der Tendenz um eine Spur günstiger<br />
als andere Otto-Kraftstoffe machen<br />
soll. Dies ist die Grundvoraussetzung,<br />
um den Biosprit E10 zu einem konkurrenzfähig<br />
Preis anbieten zu können.<br />
Subventioniert wird auch der<br />
Rohstoffanbau.<br />
Dreifache Subvention<br />
Damit ist die Adresse des heimischen<br />
Zuckermonopols Agrana erreicht.<br />
„Die Presse“ schrieb: „Zwei<br />
Drittel der 500.000 Tonnen Getreide<br />
pro Jahr, die für eine Vollversorgung<br />
des Landes mit E10 notwendig<br />
sind, kommen schon heute aus<br />
Österreich und werden von der<br />
Agrana im Ethanolwerk im niederösterreichischen<br />
Pischelsdorf verarbeitet.“<br />
Resümierend heißt es weiter:<br />
„Um E10 an den Kunden zu bringen,<br />
muss der Sprit gleich dreimal gefördert<br />
werden: bei der Herstellung,<br />
der Produktion und schlussendlich<br />
beim Verkauf.“<br />
Das Engagement des Raiffeisen-Konzerns<br />
in alternative Energien ist bisher<br />
nicht sehr glücklich verlaufen.<br />
Umso wichtiger scheint es zu sein,<br />
dass sich die Investitionen in Pischelsdorf<br />
zu rechnen beginnen. Vermutlich<br />
riskiert Berlakovich deshalb eine negative<br />
Presse. Als Vertrauensmann<br />
der Agrarier in der Regierung muss er<br />
in der Frage stehen wie ein Bock. Der<br />
Dank von Raiffeisen ist ihm sicher.
Seite 7<br />
Braune Spuren<br />
zur Polizei<br />
Wie sich ÖVP und SPÖ die extreme Rechte warm halten und warum es in <strong>Oberösterreich</strong> partout<br />
keine Neonazis gibt. Von Leo Furtlehner.<br />
Als Religionslehrer ist LH Pühringer<br />
Dogmatismus nicht fremd. Etwa das<br />
Dogma, dass es in <strong>Oberösterreich</strong><br />
keine rechtsextreme Gefahr gibt. Damit<br />
hält er im Landessicherheitsrat<br />
gemeinsam mit der FPÖ regelmäßig<br />
SPÖ und Grüne zum Narren.<br />
Dabei sprechen die Fakten klar gegen<br />
Pühringers Beschwichtigungspolitik:<br />
Von den Braunauer Bulldogs<br />
über den Bund Freier Jugend, die<br />
Nationale Volkspartei und Reinthalers<br />
Bunte in Wels bis zum Objekt 21<br />
zieht sich seit Jahren eine braune<br />
Spur quer durch das Land. Nur unter<br />
dem massiven Druck des OÖ Netzwerkes<br />
gegen Rassismus und Rechtsextremismus<br />
von mittlerweile 67 Organisationen<br />
bequemen sich<br />
Exekutive und Justiz überhaupt dazu<br />
gegen Rechtsextremisten vorzuge-<br />
hen. Aber nur, wenn es gar nicht<br />
mehr vermeidbar ist. Der Eindruck,<br />
dass sie einem Wink aus der Politik<br />
zur Zurückhaltung folgen, entsteht<br />
zwangsläufig.<br />
Verfassungsschutz Teil des<br />
braunen Netzwerks?<br />
Besonders auffällig agiert der Verfassungsschutz.<br />
Der oberste Verfassungsschützer<br />
Gridling lieferte im<br />
ORF-Interview ein Meisterwerk der<br />
Unfähigkeit. Er schloss auch nach<br />
der Ermordung eines Rumänen in<br />
Traun 2011 hartnäckig einen politischen<br />
Hintergrund aus, obwohl der<br />
Anwalt der Opfer eindeutige Beweise<br />
für den rechtsextremen Kontext des<br />
Mörders, eines früheren Bundesheer-<br />
Soldaten, vorlegte. Laut „profil“ hat<br />
ein für den Rechtsextremismus zu-<br />
ständiger Verfassungsschützer einen<br />
Konnex zur Burschenschaft „Arminia<br />
Czernowitz“. Diese warb 2010 mit einem<br />
NSDAP-Plakatmotiv. Auch ein<br />
zweiter Verfassungsschützer hat einen<br />
guten Draht zu Rechtsextremisten.<br />
Laut der ORF-Sendung „Thema“<br />
brüsteten sich Neonazis aus dem<br />
Objekt 21-Netzwerk gegenüber dem<br />
Hausbesitzer, von Freunden in der<br />
Polizei vor Hausdurchsuchungen gewarnt<br />
worden zu sein. Derart bestens<br />
vernetzt darf man sich über das Wuchern<br />
der braunen Szene in <strong>Oberösterreich</strong><br />
nicht zu wundern.<br />
Der Hintergrund für Pühringers Bagatellisierung<br />
ist die Rücksichtnahme<br />
auf die FPÖ. Schon jetzt eilt diese zu<br />
Hilfe, wenn die seit 2003 der ÖVP<br />
koalitionär verbundenen Grünen<br />
nicht spuren. Und weil bekanntlich<br />
die FPÖ nicht erst seit der Machtübernahme<br />
der Burschenschafter<br />
hoffnungslos mit der rechtsextremen<br />
Szene verfilzt ist, genießen auch die<br />
deklarierten Neonazis weitgehend<br />
Narrenfreiheit.<br />
Wird ein Rechtsextremist auf frischer<br />
Tat ertappt, übt man sich in Distanzierung.<br />
Etwa im Fall Lageder in<br />
Wels, der auf Facebook postete „mit<br />
dem kanackengesindel und der dazugehoerigen<br />
sympathisierenden stadtregierung<br />
koits etc muss aufgeraeumt<br />
werden. ich waere für eine gezielte<br />
umsiedlung weit in den osten zB ins<br />
kurhotel ausschwitz“. Oder im Fall<br />
Kitzmüller, der postete „Ich hab’s<br />
schon mal zum Ausdruck gebracht:<br />
ab mit den Schwuchteln hinters VO-<br />
EST-Gelände“. Dass die FPÖ braun<br />
verseucht ist weiß man. Das Problem<br />
ist, dass sich weder ÖVP noch SPÖ<br />
in aller Klarheit abgrenzen und sich<br />
die Zusammenarbeit offenhalten. Wie<br />
etwa in Linz, wo die SPÖ recht offen<br />
mit der FPÖ kooperiert, weil die<br />
ÖVP bockig ist. Und in Salzburg<br />
denkt LH Burgstaller schon recht offen<br />
eine rotblaue Koalition an.
Seite 8<br />
Keine lustige<br />
Erfahrung<br />
Marty Huber über das, was das Arbeitsmarktservice am besten kann: Arbeitslose sekkieren und<br />
wo es geht, die Ansprüche verweigern.<br />
Auf Arbeitslosengeld angewiesen zu<br />
sein, ist keine lustige Erfahrung. Alltagsschikanen<br />
gepaart mit ungewissen<br />
Auskünften, unnütze Kursangebote<br />
und ein Strafregime, dass nur<br />
von wenigen Rechtsbereichen getoppt<br />
wird: Eine Sperre heißt sechs<br />
Wochen kein Arbeitslosengeld und<br />
aus. Dazu kommt ein ausgesprochen<br />
mangelhaftes Jobangebot – kein<br />
Wunder, ist doch ein Großteil des<br />
österreichischen Arbeitsmarkts am<br />
AMS vorbei organisiert. Kompliziert<br />
wird es bekanntermaßen auch, wenn<br />
Zuverdienste ins Spiel kommen, insbesondere<br />
selbstständige.<br />
Arbeitslosenversicherung und<br />
Selbstständigkeit sind in Österreich<br />
systematisch inkompatibel. Das ist<br />
nichts neues, aber je enger die Spielräume<br />
am und durch das AMS werden<br />
(Finanzkrise, allgemeines Featuring<br />
von Law and Order), desto<br />
größer werden die Probleme: Vor-<br />
derhand simple Fragen wie Wasdarf-ich-wie<br />
dazuverdienen werden<br />
schnell zu komplexen Planspielen –<br />
ohne rechtskräftige Beauskunftung,<br />
wieso denn auch – und noch blöder<br />
kann das ausgehen, wenn einfach<br />
mal gearbeitet wird: Rückforderungen<br />
stehen da schnell auf der Türmatte.<br />
Versicherung vor<br />
Arbeitslosen<br />
Im Extremfall kann das dann auch<br />
ein paar Jahre betreffen, und das<br />
vollkommen korrekt: Wir stellen uns<br />
vor, eine kommt nach einem halbwegs<br />
gut bezahlten selbstständigen<br />
Auftrag auf die Idee, dass sie ja Anspruch<br />
auf Arbeitslosengeld haben<br />
könnte (nicht, dass das heutzutage<br />
einfach wäre). Gedacht, getan. Und<br />
siehe da, wenn die Meldung an die<br />
SVA noch nicht ergangen ist, besteht<br />
auf dem Papier tatsächlich Anspruch<br />
auf Arbeitslosengeld – Nachfrage<br />
hin oder her, solange keine SVA-Versicherung<br />
aufrecht ist, gibts (vorläufig)<br />
Geld. Zwei Jahre später kommen<br />
Einkommensteuerbescheid und<br />
rückwirkende Einbeziehung in die<br />
SVA: Donnerwetter! Nun steht die<br />
Arbeitslosigkeit in der Definition<br />
des AMS am Prüfstand, und siehe<br />
da: Tätigkeit war damals aufrecht,<br />
ist heute aufrecht, ergo bestand nie<br />
Arbeitslosigkeit, ergo, Arbeitslosengeld<br />
zurück bis jetzt.<br />
In Wahrheit ist das natürlich ein<br />
bisschen komplizierter, and whoever<br />
knows, was die einzelnen SachbearbeiterInnen<br />
entscheiden. Tatsache<br />
ist, derlei passiert; ohne juristische<br />
Bremsmöglichkeit, ohne Möglichkeit<br />
rückwirkend eine Sozialversicherung<br />
abzuschließen – von Pensionsmonaten<br />
reden wir da erst gar nicht.<br />
Das erstaunliche: Das Ding nennt<br />
sich Versicherung, Arbeitslosenversicherung<br />
– im Verwaltungssprech<br />
passt das ja auch wieder: Versicherung<br />
VOR Arbeitslosen.<br />
Menschen verwalten<br />
Da passen dann auch die jüngsten<br />
Entwicklungen ins Bild: Gerade beschlossen,<br />
müssen Personen, die<br />
über längere Zeiträume bzw. chronisch<br />
erkrankt sind oder auf die<br />
rechtliche Anerkennung ihrer (Teil)-<br />
Invalidität warten, alsbald sie vom<br />
AMS betreut werden. Hintergrund<br />
sind wohl die Frühpensionszahlen:<br />
Jede Verlängerung eines Invaliditätspensionsantrags<br />
gilt als Frühpensionsfall<br />
– aber anstatt Betroffene<br />
einfach dauerhaft in Frühpension zu<br />
schicken, verbunden mit der Möglichkeit,<br />
von selbst und mit selbstgewählter<br />
Unterstützung zurück in die<br />
Arbeitswelt zu kommen, wurde eine<br />
Institution gesucht, die Menschen<br />
verwalten kann.<br />
Wer kommt da in Frage, wenn nicht<br />
das AMS.
Seite 9<br />
Religiosität &<br />
Uniformität<br />
Gerlinde Grünn im Gespräch mit dem Historiker Michael John über die Misstände in<br />
Kinderheimen: „Das Eis der Zivilisation ist dünn“.<br />
Eine Frage beschäftigt mich: Wie<br />
kann es sein, dass die Aufklärung<br />
der seit den 70ern bekannten Missständen<br />
in Kinder- und Jugendheimen<br />
erst jetzt angegangen wird. Im<br />
März 2012 hat die Stadt Linz zwei<br />
Opfern von Übergriffen in Kinderund<br />
Erholungsheimen Entschädigungszahlungen<br />
für erlittene Qualen<br />
zuerkannt. Weitere Fälle stehen<br />
noch an. Die Suche nach Antworten<br />
führt mich an die Linzer Universität<br />
zu Dr. Michael John, seines Zeichens<br />
Historiker mit feinem Gespür<br />
für die ungeschriebenen Geschichten<br />
der Underdogs der Gesellschaft.<br />
Anfang 2003 trat der Heimleiter des<br />
Jugendwohnheims Wegscheid mit<br />
dem Ersuchen um die Aufarbeitung<br />
der Geschichte des Jugendheims an<br />
John heran. Der Heimleiter war seit<br />
den 90er Jahren immer wieder mit<br />
aufgebrachten ehemaligen Zöglingen<br />
konfrontiert, die angesichts der<br />
Entschädigungszahlungen an Opfer<br />
des NS-Regimes nun auch die Anerkennung<br />
ihres erlittenen Unrechts<br />
einforderten. John meint: „Es ist<br />
auch immer eine Frage der Artikulationsfähigkeit.<br />
Es gibt nach 1945<br />
eine chronologische Abfolge der<br />
Entschädigung von Opfergruppen.<br />
Je schwächer eine Gruppe, je weniger<br />
artikulationsfähig, wie etwa ehemalige<br />
Heimkinder, Fürsorgefälle,<br />
desto später kommt sie dran. Und<br />
natürlich lässt sich die NS-Geschichte<br />
nicht mit den Vorgängen in<br />
der Zweiten Republik vergleichen.“<br />
In Pionierarbeit machte sich John<br />
daran, die Geschichte des Jugendwohnheims<br />
Wegscheid wissenschaftlich<br />
aufzuarbeiten. Erst Mitte der<br />
50er Jahre trat das OÖ Landesfürsorgegesetz<br />
in Kraft, bis dahin galten<br />
die NS-Reichsgesetze. Nicht wenige<br />
Heimerzieher hatten eine einschlägige<br />
NS-Vergangenheit und agierten<br />
zwischen Überlastung und Überforderung.<br />
„Uniformität, vordergründige<br />
Religiosität, rigide Ordnung,<br />
strenge Regeln und strikte Sexualitätsfeindlichkeit<br />
charakterisierten<br />
die Heime. Das Eis der Zivilisation<br />
ist dünn“, so John.<br />
Kinderheim gestürmt<br />
Ob mir Spartakus was sage, fragt er<br />
mich. Ich spitze die Ohren. Die<br />
Gruppe Spartakus, hervorgegangen<br />
aus der <strong>KPÖ</strong>, Sektion 6, hatte An-<br />
fang der 1970er Jahre eine Kampagne<br />
„Öffnet die Heime“ gestartet. In<br />
Linz wurde die erste Kommune „Die<br />
rote Lokomotive“ gegründet, im heißen<br />
Sommer 1971 von den Spartakisten<br />
das Jugendheim Wegscheid gestürmt<br />
und entflohene Zöglinge<br />
versteckt. Als Folge dieser Turbulenzen<br />
wurde eine Anweisung erlassen,<br />
dass demütigende Strafen in Heimen<br />
zu unterlassen sind. 1973 wurde mit<br />
dem OÖ Sozialhilfegesetz der Arbeitszwang<br />
aufgehoben. Das gesellschaftliche<br />
Klima hatte sich gewandelt.<br />
Das Züchtigungsrecht von<br />
Eltern, Lehrern und Lehrherren<br />
wurde schrittweise abgeschafft. Erst<br />
1989 erfolgte der Quantensprung<br />
des generellen Verbots von körperlichen<br />
und seelischen Qualen zum<br />
Zwecke der Erziehung.<br />
2006 schloss Michael John seine Forschungsarbeit<br />
mit einer Wanderausstellung<br />
über Wegscheid ab. Diese<br />
wurde jedoch vom Land <strong>Oberösterreich</strong><br />
eingemottet. Warum, das müsse<br />
man die Verantwortlichen fragen, so<br />
John. 2010 war das Schicksal der<br />
Heimkinder jedoch nicht mehr ignorierbar,<br />
der Historiker wurde erneut<br />
mit der Aufarbeitung des Schicksals<br />
der Heimkinder beauftragt.<br />
Bundesweit wurden Opferschutzkommissionen<br />
eingesetzt. Das Land<br />
<strong>Oberösterreich</strong> zahlte 2011 als „finanzielle<br />
Geste“ an 51 ehemalige<br />
Opfer von physischer, psychischer<br />
und sexueller Gewalt in landeseigenen<br />
Einrichtungen 622.500 Euro aus<br />
und beauftragte eine historische<br />
Aufarbeitung der Geschehnisse. Was<br />
jetzt noch offen ist, frage ich Dr.<br />
John: „Die soziale Absicherung fehlt<br />
noch. Viele haben im Heim gearbeitet<br />
ohne versichert zu sein.“ Schätzungen<br />
gehen von bis zu 50.000 Betroffenen<br />
in Österreich aus, denen<br />
wichtige Pensionsversicherungszeiten<br />
fehlen. Sozialminister Hundstorfer<br />
klappt derzeit noch die Ohren<br />
runter.
Crank Storys<br />
Kacke am<br />
Radweg<br />
Mein Kollege René Kobler, einer<br />
der eifrigsten Cyklisten der Stadt,<br />
hat in der letzten Nummer angemerkt,<br />
dass es die ÖVP sei, die<br />
immer wieder die Nummerntaferl<br />
für Fahrräder forderte, wie auch<br />
die Senkung des Alkohol-Grenzwertes<br />
auf o,5 Promille. Was die<br />
Nummerntafern betrifft, passt das<br />
zur ÖVP, nicht jedoch was die Alkohol-Toleranz<br />
betrifft. Denn sie<br />
hat sich immer wieder als Lobbyistin<br />
jener hervorgetan, die Alkohol<br />
produzieren, ihn im Umlauf<br />
bringen und ihn in rauen Mengen<br />
zu sich nehmen. Sie ist die Partei<br />
der besoffen-mit-dem-Auto-Fahrer.<br />
Aber vermutlich fährt ihre<br />
Klientel nicht mit dem Rad, und<br />
ab und zu ein paar RadfahrerInnen<br />
abgeschossen, damit kann sie<br />
ganz gut leben.<br />
Die Forderung, dass die Benutzungspflicht<br />
für Radwege schleunigst<br />
abgeschafft werden sollte,<br />
ist in der Zwischenzeit schon erfüllt<br />
und dass die Stadtwache<br />
Fahradabstellplätze bewachen<br />
sollte scheitert an mehrerlei Hindernissen.<br />
Nämlich daran, dass es<br />
keine ordentlichen Radparkplätze<br />
gibt und daran, dass die Stadtwächter<br />
lieber Straßenbahn fahren.<br />
Sie könnten dann auch gleich<br />
die Radwege von Hundekacke<br />
reinigen (wie etwa jenen Haufen<br />
der seit Wochen den Radweg in<br />
der Schubertstraße ziert), ist man<br />
geneigt zu fordern. Aber vermutlich<br />
sind sie dazu ebenfalls zu faul<br />
oder zu dumm, also bleibt nur die<br />
alte Ansage, die Stadtwache ratzeputz<br />
abzuschaffen.<br />
Rado Prostacki<br />
Seite 10<br />
Straßenbahn<br />
verstecken?<br />
Die Planung der neuen Bim-Linie ist nach wie vor ein<br />
sonderbares Gewurstle. Michael Schmida.<br />
Letzten Herbst veranstaltete die Linzer-SP<br />
ein „Stadtfest für die 2. Bim-<br />
Achse“ mit dem an die Krocha angelehnten<br />
Titel. In der Ankündigung des<br />
Festes posaunten die StadtsozialdemokratInnen<br />
lautstark: „Alle Linzer<br />
Parteien haben schon zugestimmt.<br />
Jetzt braucht es die Unterstützung<br />
des Landes!“<br />
Alle Linzer Parteien? Nicht ganz! Die<br />
<strong>KPÖ</strong> hat sich gegen die zweite Straßenbahnachse,<br />
in der von der Stadt<br />
bevorzugten unterirdischen Variante,<br />
ausgesprochen. Anfang Jänner dieses<br />
Jahres wurde ein Grundsatzbeschluss<br />
mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP,<br />
FPÖ, Grünen und BZÖ im Gemeinderat<br />
gefasst. Wenn es nach dem Beschluss<br />
der Stadt geht, sollen von der<br />
mehr als sechs Kilometer langen<br />
Strecke, fast fünf Kilometer unterirdisch<br />
verlaufen. Damals widersprach<br />
Gerlinde Grünn, die Gemeinderätin<br />
der <strong>KPÖ</strong>: „Straßenbahnen gehören,<br />
wie ihr Name schon sagt, auf die Straße<br />
und nur ausnahmsweise für kurze<br />
Strecken unter die Erde. Wenn wie im<br />
vorliegenden Projekt zwei Drittel unterirdisch<br />
geplant werden, steht der<br />
Verdacht im Raum, dass man damit<br />
die Menschen bewusst unter die Erde<br />
verlagern will, um die Oberfläche für<br />
den Autoverkehr freizuhalten.“ Ne-<br />
ben der verkehrspolitisch falschen<br />
Entscheidung, sind es auch die hohen<br />
Kosten, welche gegen eine unterirdische<br />
„Linie 4“ sprechen. Durch die<br />
unterirdische Führung belaufen sich<br />
die Kosten auf mehr als 400 Millionen<br />
Euro. Eine rein oberirdische Variante<br />
würde hingegen weniger als die Hälfte,<br />
nämlich nur 150 Millionen Euro<br />
kosten. Dabei ist noch gar nicht berücksichtigt:<br />
Je geringer der unterirdische<br />
Streckenanteil, desto geringer<br />
auch die Folgekosten für den Betrieb<br />
und die Bauinstandhaltung.<br />
Wahrscheinlich ist der Kostenfaktor<br />
auch der Hauptgrund, warum nun<br />
nicht einmal mehr die Unterstützung<br />
der eigenen Landespartei sicher ist:<br />
So ließen die SP-Landesgranden,<br />
Neo-Landesrat Entholzer und Landeschef<br />
Ackerl aufhorchen, in dem sie<br />
sich für eine weitgehend oberirdische<br />
Linie 4 aussprachen. Die Argumente<br />
ähnelten sehr stark, der schon zuvor<br />
geäußerten Kritik von <strong>KPÖ</strong> und Verkehrsinitiativen.<br />
Nun einigten sich<br />
Stadt und Land auf eine Neuplanung<br />
der Trasse in Urfahr (Kostenersparnis<br />
bis zu 63 Millionen Euro), während<br />
der Abschnitt südlich der Donau bis<br />
zum Lenaupark weiterhin eine „U-<br />
Bahn“ bleiben soll. Das letzte Wort ist<br />
aber auch da noch nicht gesprochen.
Schnell vergeht ein Sommer, und mit<br />
dem 1. September, während unsereins<br />
noch dem Volksstimmefest frönte,<br />
begann der Herbst in Wels. Natürlich<br />
mit der herbstlichen<br />
Landwirtschaftsmesse, oder vielmehr<br />
mit den Höhepunkten dieser:<br />
Auftritten von Mandy Haimbuchner,<br />
H. C. Strache und Eva Glawischnig.<br />
Die ersteren beiden luden zu einer<br />
Großveranstaltung nicht-anonymer<br />
Alkoholiker in den „Zipfer-Bierstadl“,<br />
wo die nächsten Ziele der<br />
Blauen ausgegeben wurden: Bürgermeister<br />
in Wels, zweiter Platz in<br />
<strong>Oberösterreich</strong> und überhaupt 33,4<br />
Prozent. Glawischnig meidete das<br />
Bierzelt, blieb ansonsten auch unbeeindruckt:<br />
„Ich bin mir sicher, dass<br />
ich besser Maßkrüge tragen kann als<br />
Strache“, wird sie in den OÖN zitiert.<br />
Na dann.<br />
Etwas seltsame Leute<br />
Neben dem Besuch des Führers ergab<br />
sich im Herbst aber noch etwas<br />
Erfreuliches für die FPÖ Wels: der<br />
Antritt des neuen Bezirksparteisekretärs,<br />
Helmut Wimmer. Wimmer<br />
lieferte in den vergangenen Jahren<br />
Seite 11<br />
Die Krüge der<br />
Glawischnig<br />
Wös: Alkoholisch doch etwas seltsam, Oida! Ein heiterer und volksbildnerisch wertvoller<br />
Herbstrückblick von Thomas Rammerstorfer<br />
als Mitarbeiter der „Welser Rundschau“<br />
und der „<strong>Oberösterreich</strong>ischen<br />
Nachrichten“ bereits wichtige<br />
Beiträge zur politischen Bewusstseinsverformung.<br />
Unvergessen sind<br />
Höhepunkte seiner Schlagzeilen-<br />
Kunst wie „Sie gacken sich an!“.<br />
Rechtschreibfehler im Original.<br />
Stets um das Wohl und Wehe der<br />
Stadt besorgt, klärte er auch gerne<br />
in persönlichen Briefen Menschen<br />
über das wahre Wesen des Infoladens<br />
auf. So schrieb er einer vom<br />
Laden geladenen Referentin über<br />
ihre Gastgeber: „Es war der Infoladen<br />
Wels, der als Vertretung der Anarchisten,<br />
zudem eng mit der <strong>KPÖ</strong><br />
liiert, gilt“ und das seien „ideologisch<br />
doch etwas seltsame Leute“.<br />
Crème der Neonazi-Szene<br />
Die letzten Jahre werkte Wimmer<br />
dann als stellvertretender Chefredakteur<br />
der Bundesheer-Zeitung<br />
„Einsatz!“ der „Moser Medien<br />
Group“. Diese war im Vorjahr wegen<br />
der Beschäftigung der „Crème<br />
de la Crème der Neonaziszene“ (O-<br />
Ton Verteidigungsministerium, zit.<br />
nach „Der Standard“, 15. September<br />
2011) in negative Schlagzeilen geraten.<br />
Inwieweit diese Kollegenschaft<br />
Wimmer auch „ideologisch doch etwas<br />
seltsam“ erschien ist nicht bekannt.<br />
Jedenfalls ist er nun für die<br />
Öffentlichkeitsarbeit der Welser<br />
FPÖ zuständig und wir freuen uns<br />
auf viele heitere Stunden.<br />
Saufgelage per Verordnung<br />
Heitere Stunden bescherte den Welser<br />
Freiheitlichen ihr „Weinlesefest“<br />
(mit Fassbier) im Burggarten. Das<br />
erfreut auch mich: Nach über einem<br />
Jahrzehnt des Widerstandes sind die<br />
Blauen hier endlich auf die Linie des<br />
Infoladens eingeschwenkt und ignorieren<br />
das zuvor mitbeschlossene<br />
und heftig verteidigte Alkoholverbot<br />
in Parkanlagen. Vor einiger Zeit blödierte<br />
FP-Stadtrat Kroiss für die<br />
Vertreibung der Obdachlosen vom<br />
Bahnhofsvorplatz. Es „könnten mit<br />
einem generellen Alkoholkonsumverbot<br />
die dortigen Saufgelage per<br />
Verordnung eingedämmt werden“,<br />
hieß es in einer Presseaussendung.<br />
So wie im Burggarten, wo dieses Alkoholverbot<br />
aber ignoriert wird:<br />
eben von der FPÖ.
Genießen<br />
Fasten<br />
Nostalgie<br />
Na so ein Pech – heuer wirds nix<br />
mit dem Fasten! Die Firma Niemetz<br />
will gerettet werden! Also<br />
her mit den Schwedenbomben,<br />
den Manja- und Swedy-Stangerl!<br />
Außerdem wär’s traurig wenn das<br />
fleischgewordene Watzl-Double<br />
plötzlich die ganze Stadt mit seiner<br />
Hausfrauen-Mehlspeis versorgen<br />
würde.<br />
Womit wir bei den Fischen wären.<br />
Bei der sonntäglichen Zeitungslektüre<br />
stolperte ich über<br />
das entzückende Wort „Donaudickwanst“.<br />
So nannte man den<br />
Donau-Hering. In meiner Kindheit<br />
saß „the whole family“ am<br />
Aschermittwoch rund um den Resopaltisch<br />
meiner Großeltern und<br />
aß Omis seltsame Erdäpfelschmarrn-Kreation.<br />
Dazu briet<br />
sie Zwiebel in Butter-Öl-Mischung<br />
an, stampfte reichlich<br />
Erdäpfeln und manschte faschierte<br />
Salzlappen (Salzhering) drunter.<br />
Versteht sich von selbst, dass<br />
das mit ordentlichen Mengen<br />
G’spritztem Weiß runtergespült<br />
wurde. Mein Großvater legte viel<br />
Wert auf eine Knacker dazu.<br />
Die Familie in der Form gibt’s<br />
schon lange nicht mehr. Aber<br />
herrlicherweise Freunde, die am<br />
Aschermittwoch zum „Hering im<br />
Pelzmantel“ kommen und mit uns<br />
Wodka saufen. Es gilt folgende<br />
russische Devise: Essen bis zum<br />
Schluckauf, saufen bis zum Abwinken,<br />
singen bis zur Heiserkeit<br />
und tanzen bis zum Umfallen.<br />
Berta Blumenkohl<br />
Seite 12<br />
Dunkle Orte<br />
in New Orleans<br />
Bärbel Staub über einen Detektivroman, der auch ein bizarres,<br />
bewegendes Portrait einer Stadt und Ihrer Menschen ist.<br />
Zwei Jahre nach der Sturmkatastrophe<br />
2005 ist New Orleans immer<br />
noch ein Ort der Zerstörung. Claire<br />
DeWitt, die beste Detektivin der<br />
Welt, kennt die Abgründe ihrer Lieblingsstadt.<br />
Und sie versteht ihr Handwerk.<br />
Stets begleiten sie die Weisheit<br />
des berühmten französischen Detektivs<br />
Jacques Silette und der Erfahrungsschatz<br />
ihrer Lehrmeisterin Constance<br />
Darling. Ihr neuer Klient Leon<br />
beauftragt sie, das Verschwinden seines<br />
Onkels Vic Willing aufzuklären.<br />
Claire DeWitt jedoch weiß: Die<br />
Menschen wollen die Wahrheit nicht<br />
erfahren. Je näher sie den Tatsachen<br />
kommt, desto mehr zieht sich der<br />
Auftraggeber zurück, bis er ihr den<br />
Fall gänzlich entziehen will. Das ist<br />
ihr nicht neu, es passiert jedes Mal.<br />
Zunächst muss sie aber das Rätsel<br />
des grünen Papageien ergründen.<br />
Die Ermittlungen sind gefährlich, die<br />
Spur führt zu einer Gruppe Jugendlicher,<br />
die ohnehin wenig Chancen<br />
hatten und, durch den Hurrikan endgültig<br />
aus der Bahn geworfen, um zu<br />
überleben zu allem bereit sind. Waffenhandel,<br />
Drogen, Prostitution,<br />
nichts ist diesen Kids erspart geblieben.<br />
Doch Claire DeWitt begegnet<br />
ihnen auf Augenhöhe und erkennt<br />
hinter der abgebrühten Fassade die<br />
schutzlosen, missbrauchten Kinder.<br />
Auch eine Schussattacke kann sie<br />
nicht abschrecken, sie enthüllt beharrlich,<br />
was sich in den letzten Tagen<br />
im Leben des Verschwundenen<br />
zugetragen hat. Der angesehene<br />
Staatsanwalt war ein Kinderschänder,<br />
und hat dennoch vor seinem<br />
plötzlichen Verschwinden etwas Gutes<br />
getan: als die Stadt überflutet<br />
war, hat er mit seinem Boot viele<br />
Menschen gerettet. Ist er bei dieser<br />
Rettungsaktion ertrunken? Vieles<br />
spricht dafür. Während ihrer Recherchen<br />
bedrängt sie die Erinnerung<br />
an einen persönlichen ungelösten<br />
Fall: auch sie wollte die<br />
Wahrheit nicht wissen.<br />
Sara Gran lässt den klassischen Detektivroman<br />
aufleben. Ihre Heldin<br />
Claire DeWitt ist jedoch mehr als ein<br />
eiskalter Profi. Sie reflektiert ihr eigenes<br />
Verhalten und versteht die<br />
Schwächen ihres Gegenübers, weil<br />
sie ihre eigenen kennt. Was an diesem<br />
Buch besonders beeindruckt, ist<br />
die Schilderung der Stadt. Das Leben<br />
in New Orleans beutelt seine Bewohner,<br />
und Sara Gran führt uns an<br />
dunkle Orte voller Verzweiflung und<br />
Hoffnungslosigkeit. Und lässt uns<br />
teilhaben an dem verblassten Glanz<br />
einer alten, großen Diva.<br />
Sara Gran: Die Stadt der Toten; Droemer<br />
Verlag, München 2012
Seite 13<br />
Spektakelkunst<br />
& Tourismus<br />
Rudi Müllehner ist freier Theatermacher. Für die derzeitige Situation der freien Theaterarbeit fällt<br />
es ihm schwer, salonfähige Worte zu finden.<br />
Ich bin 38 Jahre alt, gelernter<br />
Schauspieler, arbeite seit 15 Jahren<br />
in Linz als freier Theatermacher und<br />
leite hier die „bühne04“. Meine Aufgaben<br />
sind vielfältig: Kartenreservierungen<br />
abwickeln, Termine und<br />
Ensemble koordinieren, kalkulieren<br />
und abrechnen, Öffentlichkeitsarbeit,<br />
Stücke auswählen, Bühnenbilder<br />
bauen, einleuchten, musizieren,<br />
inszenieren und - nicht zuletzt -<br />
schauspielen.<br />
Auch das Suchen und Finden von<br />
Räumen für Proben und Vorstellungen<br />
gehört zu meinen Aufgaben.<br />
Eine Suche, die sich seit geraumer<br />
Zeit als immer aufwändiger, schwieriger<br />
und manchmal sogar als unlösbar<br />
erweist. Ein engagiertes Team,<br />
ein aufgeschlossenes Publikum und<br />
halbwegs finanzielle Mittel, um produzieren<br />
zu können, das haben wir.<br />
Was uns aber fehlt, sind Räume und<br />
das Geld, diese auszustatten und zu<br />
betreiben. Dass so wenig Mittel für<br />
Kunst und Kultur zur Verfügung<br />
stehen, wie uns immer gesagt wird,<br />
kann angesichts der vielen<br />
Flaggschiffe, die in Linz ankern,<br />
nicht der Fall sein, siehe AEC, Lentos,<br />
Landestheater, seit kurzem Tabakfabrik<br />
und Kulturquartier und<br />
ab April auch das Musiktheater. Ob<br />
letzteres sinnvoll, wichtig oder gar<br />
notwendig ist, das weiß ich nicht.<br />
Was mir aber widerstrebt, das ist<br />
die Jubelberichterstattung im<br />
Vorfeld.<br />
Behinderung der Freien<br />
Die darin mitschwingende Sorge um<br />
die Auslastung ist allerdings berechtigt.<br />
Für den Umbau des Großen<br />
Hauses an der Promenade werden<br />
zudem in Kürze wieder ein paar<br />
Millionen Euro locker gemacht. Alles<br />
schön und gut, würde die großzügige<br />
Dotierung der Großen nicht<br />
zu Lasten der Kleinen gehen, wie<br />
die jüngsten Kürzungen der freien<br />
Theater durch das Land OÖ zeigen,<br />
ganz zu schweigen von den geringen<br />
Summen, die die Stadt Linz uns<br />
jährlich zur Verfügung stellt. Es ist<br />
und bleibt aber vor allem der Raummangel,<br />
der die Arbeit der Freien<br />
massiv behindert. Eine fixe Wirkungsstätte<br />
für uns zu schaffen, das<br />
würde nur einen Bruchteil von dem<br />
ausmachen, was oben genannte Institutionen<br />
jährlich an Subventionen<br />
verschlingen. Dass man uns im Jahr<br />
2009 eine Hafenhalle hinstellt und<br />
diese dann nach dem Kulturhauptstadtjahr<br />
wieder abreißt, ist eine<br />
Provokation. Dass das Land OÖ im<br />
Kulturquartier „Kulturtarife“ verlangt,<br />
die die freie Szene von vornherein<br />
ausschließen, ebenso.<br />
Verantwortung liegt bei<br />
der Politik<br />
Dass im neuen Kulturentwicklungsplan<br />
freie Kulturarbeit ein wichtiges<br />
Thema ist, ist begrüßenswert. Dass<br />
wir – wie der höchste Kulturpolitiker<br />
der Stadt kürzlich in einer Zeitung<br />
zitiert wurde – künftig verstärkt<br />
in Schulen, Volkshäusern und<br />
im öffentlichen Raum auftreten dürfen,<br />
für diesen Vorschlag finde ich<br />
kein salonfähiges Wort. Das ist nämlich<br />
genau der untragbare Status<br />
Quo, den wir seit vielen Jahren haben.<br />
Auch die „Ansprechpartner“,<br />
die es laut dem KEPneu in den großen<br />
Institutionen künftig für uns geben<br />
soll, werden mir keine anderen<br />
Tarife nennen, geschweige denn<br />
Räume und Technik aus dem Hut<br />
zaubern können.<br />
Die Verantwortung liegt bei der Politik.<br />
Wenn eine angemessene Unterstützung<br />
der Freien Szene nicht<br />
stattfindet, so liegt es nicht am Geld,<br />
sondern am politischen Willen. Dieser<br />
Wille hat mit Wertschätzung zu<br />
tun und muss sich daher auch in<br />
Euros niederschlagen, ansonsten<br />
wird es in der Kulturstadt Linz früher<br />
oder später nur noch tourismustaugliche<br />
Prestige- und Spektakelkultur<br />
geben.
Widerstand<br />
Zum 75. Jahrestag des „Anschlusses”<br />
Österreichs an Nazideutschland<br />
im März 1938 gedenken<br />
Mauthausen Komitee<br />
Österreich, Arbeiterkammer<br />
<strong>Oberösterreich</strong>, die Pfarre St.<br />
Franziskus und die Gewerkschaftsjugend<br />
der Opfer im ehemaligenNS-Arbeitserziehungslager<br />
Schörgenhub. Nach der<br />
Begrüßung und einer Information<br />
gehen die TeilnehmerInnen zum<br />
nahegelegenen Mahnmal in der<br />
Daimlerstraße. Dort hält AK-Direktor<br />
Josef Moser die Gedenkrede.<br />
Mit einer Rezitation von<br />
SchülerInnen und einer Kranzniederlegung<br />
endet die Kundgebung.<br />
Dienstag, 12. März 2013, 18 Uhr,<br />
Saal der Pfarre St. Franziskus in Linz<br />
Kleidertauschparty<br />
Viele Kleider, Schuhe und Zubehör<br />
liegen unbenützt in den<br />
Schränken. Dabei wurden sie oft<br />
unter unwürdigen Bedingungen<br />
von Frauen hergestellt. Miese Arbeitsbedingungen,<br />
schlechte Bezahlung<br />
und der Einsatz von gesundheitsschädlichen<br />
Chemikalien dürfen auch uns<br />
Konsumentinnen nicht egal sein.<br />
Jedes nicht gekaufte Kleidungsstück<br />
ist ein Beitrag zu einer anderen<br />
Welt. Daher: Kleidung tauschen,<br />
Geld sparen, Freude<br />
schenken. Tauschwaren sind neuwertige<br />
und modische Damenkleidung<br />
XS bis XXL, Taschen,<br />
Schuhe, Kopfbedeckungen, Accessoires.<br />
Der Verein FRAGE<br />
bietet Kleidertausch mit Kaffee<br />
und kulinarischen Köstlichkeiten.<br />
Samstag, 16. März 2013, 10 bis 17<br />
Uhr, Linz, Melicharstraße 8<br />
Seite 14<br />
Kommen Was ist der<br />
Mensch?<br />
Daniel Steiner über Texta-Chroniken, der vollständigen<br />
Sammlung der Texta-Lyrics.<br />
Bei Texta-Z handelt es sich um eine<br />
vollständige Textsammlung der bislang<br />
18-jährigen Geschichte der Linzer<br />
Rapgruppe. Selbstredend in erster<br />
Linie für Fans gedacht und geschrieben,<br />
können jedoch auch weniger<br />
HipHop-affine LeserInnen mit diesem<br />
Buch ihre Freude haben. Raptexte<br />
ohne dazugehörige musikalische<br />
Untermalung lassen sich durchaus als<br />
Gedichte, wie auch als Theaterminiaturen<br />
lesen.<br />
Die Herren von Texta gehören mit Sicherheit<br />
zu den Menschen, die mit offenen<br />
Augen und Ohren durch die<br />
Welt gehen und ihre Mitmenschen<br />
nicht ausschließlich mit „Wir feiern<br />
die HipHop-Kultur“-Texten fadisieren,<br />
ganz im Gegenteil. Exemplarisch<br />
für die thematische Bandbreite seien<br />
hier aus dem fast 100 Texten umfassenden<br />
Buch nur drei näher beschrieben:<br />
„Globaler Respekt“, vom Album<br />
„Gediegen“ aus dem Jahre 1997; ein<br />
Grundsatzstatement zur sogenannten<br />
„Asylproblematik“ am Anfang der<br />
textaschen Karriere: „Respekt geht an<br />
die, die auch dich respektieren - Unser<br />
Planet ist eine Kugel, Grenzen existieren<br />
nur auf Papier - gezogen mit<br />
Blut und Gewalt, jeder Meter Land<br />
mit Menschenleben bezahlt. ... Herkunft,<br />
Name, Rasse scheren mich ei-<br />
nen Dreck - Verdienst du Respekt,<br />
bekommst du Respekt.“ Eine durchaus<br />
notwendige Standortbestimmung,<br />
für die damals noch junge Gruppe in<br />
einer fast genauso jungen Szene. Vier<br />
Jahre später, die Nummer „Kanten“<br />
vom Album „Blickwinkel“. Hier<br />
nimmt sich Texta nicht weniger vor,<br />
als die vier Fragen - Was kann ich<br />
wissen? Was soll ich tun? Was darf<br />
ich hoffen? Was ist der Mensch? –<br />
von Immanuel Kant in einen Raptext<br />
zu verpacken, übrigens herrlich konzentriert<br />
im Refrain „Ich will endlich<br />
Erkenntnis!“<br />
Doch auch Selbstbeschäftigung steht<br />
auf dem Programmzettel von Texta,<br />
am schönsten rap-präsentiert in der<br />
Nummer „You’re Driving Me Wild“<br />
vom aktuellen Album „Grotesk“. Eine<br />
Aufarbeitung der vielschichtigen und<br />
mit Sicherheit nicht immer einfachen<br />
Beziehungen der Bandmitglieder untereinander.<br />
„Nach boid 20 johr wirds<br />
uns monchmoi z'steil. Ma frogt si mit<br />
da Zeit, samma wirklich no Freind?“<br />
Selbstbeschimpfung der symphatischen<br />
Art, denn: „I waß nua ans:<br />
Waunn ma aufhean, daunn trong de<br />
Gondln Traua!“ Stimmt, weitermachen,<br />
meine Herren!<br />
Texta–z Die Texta Chroniken; Milena-<br />
Verlag, Wien, 2012
Nach einigen Wochen auf den staubigen<br />
und holprigen Straßen der Insel<br />
ging Joseph die Luft aus. Mühsam<br />
schleppte Groll sich über Bodenunebenheiten,<br />
und der Wulst an den<br />
Hinterreifen wurde immer breiter.<br />
Nicht mehr lange, und die Felge würde<br />
schutzlos aufliegen.<br />
Also fuhr Groll die nächstliegende<br />
Tankstelle an. Ein älterer, kleiner<br />
Mann mit einem wettergegerbten Gesicht<br />
hockte in der Waschhalle, er<br />
hörte sich Grolls Bitte geduldig an,<br />
dann stand er auf, lotste den Rollstuhl<br />
zu einem vorsintflutlichen Kompressor<br />
und bemühte sich umständlich,<br />
Luft in die Reifen zu pumpen. Mehr<br />
als geschätzte zwei Bar schaffte er allerdings<br />
nicht. Zu wenig, sagte Groll.<br />
Seit vierzig Jahren presse er Luft in<br />
Autoschläuche, erwiderte der Alte,<br />
und noch nie habe jemand mehr als<br />
zwei Bar verlangt. Er brauche aber<br />
mehr, sagte Groll, zwei Bar seien keinesfalls<br />
ausreichend. Dann solle er es<br />
bei einer anderen Tankstelle versuchen,<br />
meinte der Alte, er könne ihm<br />
nicht helfen.<br />
Eine halbe Stunde und drei Tankstellen<br />
später gab Groll auf. Nirgendwo<br />
waren mehr als zwei Bar zu bekommen.<br />
Traurig rollte er auf der Makarios<br />
Avenue zurück. Als er beim Alten<br />
mit dem Ledergesicht vorbeikam, sah<br />
er, wie dieser die Brückenwaage kehrte.<br />
Eben hatte ein Pick-up die Anlage<br />
verlassen und Sand und Staub aufgewirbelt.<br />
Inmitten einer Staubwolke zu<br />
kehren, zeugt mehr von Ordnungssinn,<br />
denn von Verstand, dachte Groll<br />
noch, aber als er näher fuhr, sah er,<br />
daß der Mann fein säuberlich Steinchen<br />
und Erdkrumen von der Waage<br />
kehrte. Sie ginge sonst kaputt, sagte<br />
er erklärend, als Groll näher gekommen<br />
war. Und dann, mit einem Blick<br />
auf den Rollstuhl, sah er, daß immer<br />
noch Luft fehlte. Sie versuchten es<br />
neuerlich mit dem alten Gerät, brach-<br />
Seite 15<br />
Zypriotischer<br />
Luftdruck<br />
Herr Groll erfährt in Zypern, dass die Luft gratis ist, obwohl es Schwierigkeiten gab, genug zu<br />
bekommen. Von Erwin Riess.<br />
ten aber wieder nur zwei Bar zustande.<br />
Er solle hier warten, rief da der<br />
Alte Groll zu, schwang sich auf ein<br />
klappriges Fahrrad und fuhr davon.<br />
Eine halbe Stunde später war er mit<br />
einem seltsamen Gerät zurück, das<br />
wie eine Steueranlage von LKW-Kränen<br />
aussah. Er schraubte das alte Gerät<br />
ab und setzte das mitgebrachte<br />
ein. Dann schob er den Rollstuhl so,<br />
daß der Verschluß auf das Ventil geschraubt<br />
werden konnte, drückte<br />
Groll das Gerät in die Hand und<br />
preßte den Verschluß auf das Ventil.<br />
Ein explosionsartiges Zischen, und<br />
der Zeiger auf der Skala kletterte auf<br />
drei, vier, fünf Bar. In einem zweiten<br />
Versuch kamen sie auf die gewünschten<br />
sieben. Es sei verrückt, mit so viel<br />
Druck hier herumzufahren, sagte der<br />
Alte, dadurch sei keine Federung gegeben.<br />
Groll antwortete, das mache<br />
nichts, sein Kreuz sei ohnehin nicht<br />
mehr zu gebrauchen, und schließlich<br />
sei das ein Rennreifen, der die Leichtgängigkeit<br />
des Rollstuhls wesentlich<br />
erhöhe, wodurch die mangelnde Federung<br />
mehr als wettgemacht würde.<br />
Kopfschüttelnd schloß der Alte das<br />
Gerät an den zweiten Reifen an.<br />
Nachdem auch der aufgepumpt war,<br />
holte Groll seine Geldbörse aus dem<br />
Netz und fragte, wieviel er schuldig<br />
sei. Der Alte machte ein Gesicht, als<br />
würde er nachdenken, dann sagte er,<br />
jede Silbe einzeln betonend: In<br />
Cyprus, my friend, the air is free!<br />
Groll hob die eine Hand zum Gruß,<br />
mit der anderen beschleunigte er auf<br />
dem asphaltierten Vorplatz. Joseph<br />
lief jetzt fast von alleine.
Thomas Fatzineks Songbook der ArbeiterInnenbewegung #7<br />
Impressum:<br />
Aktuell, Nummer 02, März 2013. Medieninhaberin (Verlegerin),<br />
Herausgeberin: <strong>KPÖ</strong>-<strong>Oberösterreich</strong>, Melicharstraße 8, 4020<br />
Linz, Telefon: (0732) 652156, Mail: ooe@kpoe.at; Web:<br />
http://ooe.kpoe.at Bankverbindung: Oberbank 480 2195 00, Bankleitzahl<br />
15.000.<br />
Redaktion: Franz Fend, Leo Furtlehner, Gerlinde Grünn, Renate<br />
Hofmann, Michael Schmida, Daniel Steiner. Grafik: Alois Franz.<br />
Lektorat: Wellwell.<br />
Druck: digitaldruck.at, Leobersdorf<br />
Österreichische Post AG / Sponsoring-Post. Vertragsnummer 02Z030467 S.<br />
Benachrichtigungspostamt 4020 Linz. Bei Unzustellbarkeit bitte zurück an <strong>KPÖ</strong>,<br />
Melicharstraße 8, 4020 Linz.