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Zeitschrift für Islamische Studien 4. Ausgabe

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Amir Dziri: Philosophicus Autodidactus und Theologus Autodidactus<br />

lererst mündlich tradiert und nicht in völliger subjektiver Autonomie erschlossen<br />

wird. 25 Ein zweiter Aspekt in diesem Namenszusatz bezieht sich auf die Rationalitätsfähigkeit<br />

eines hier von Ibn al-Nafīs verteidigten Gelehrsamkeitsideals. Im<br />

Arabischen bedeutet der Begriff „nuṭq“, von dem sich „Nāṭiq“ ableitet, auch immer<br />

das Vorhandensein einer logischen Kohärenz und Plausibilität. Ibn al-Nafīs<br />

will dem Leser also deutlich machen, dass das gemeinhin als antirationalistisch<br />

beschriebene traditionelle Gelehrsamkeitsideal durchaus und innersystemisch<br />

betrachtet ebenfalls rational begründbar sei.<br />

Nun ist Fāḍil Ibn Nāṭiq in der Anordnung des Ibn al-Nafīs nicht selbst der Erzähler,<br />

sondern lediglich ein Transmitter, der über eine hier neu einzuführende<br />

Figur, nämlich die des Kāmil, berichtet, was letzterer wiederum über das Leben<br />

des Propheten Muḥammad zu erzählen weiß. Der Name dieser Figur steht in der<br />

islamischen Ethik und Mystik <strong>für</strong> ein in religiöser Erkenntnis vollkommen ausgereiftes<br />

Subjekt und beschreibt daher einen idealisierten Prototyp, dem nachzukommen<br />

Ziel eines jeden Erkenntnissuchenden sein solle. Vor diesem Hintergrund<br />

ist das Konzept des al-Insān al-Kāmil, welches über die Jahrhunderte in<br />

verschiedenen Entwicklungsphasen konstruiert wurde, zu sehen. 26 Die Realisierung<br />

dieses Konzeptes wird in der muslimischen Tradition besonders durch die<br />

Person des Propheten Muḥammad, über dessen Rolle in der Erzählung im Folgenden<br />

zu sprechen sein wird, signalisiert. 27 Der Prophet Muḥammad selbst wird<br />

als der vollkommenste und gottesnächste Mensch überhaupt betrachtet. Aus einigen<br />

mystischen Ausführungen wird unter Heranziehung von Überlieferungen<br />

seine Rolle sogar derart geschildert, dass er zur Schöpfungsursache schlechthin<br />

wird, da Gott die Welt und die darin lebende Menschheit nur aus dem Grund seiner<br />

Liebe zu seinem Propheten erschaffen habe.<br />

Unabhängig von seiner mystischen Bedeutung spielt die Person des Propheten in<br />

der muslimischen Gelehrsamkeit aber auch eine relevante Rolle in erkenntnistheoretischer<br />

Hinsicht. 28 In den differenten Versionen der Ḥayy ibn Yaqẓān-<br />

Erzählung begegnet uns zum ersten Mal bei Ibn al-Nafīs der Prophet selbst als<br />

Handlungsfigur des Romans. Dies hat folgende Bewandtnis: In der philosophischen<br />

Tradition wird die Erkenntnisfähigkeit des Menschen aus sich selbst heraus<br />

begründet. So wie Abraham in dem koranischen Bericht aus sich selbst heraus<br />

zu der Erkenntnis gelangte, dass es einen Gott geben müsse, so müsse auch<br />

der nach Vervollkommnung und Erleuchtung strebende Mensch aus sich heraus<br />

zu eben dieser Erkenntnis gelangen können. Diese Grundhaltung schließt die<br />

Akzeptanz überlieferter Frömmigkeit nicht aus, wie oben gesehen Ibn Rušd unermüdlich<br />

vernehmen lässt; allerdings räumt es ihren Be<strong>für</strong>wortern einen größeren<br />

Grad an religiöser Selbstverantwortung ein. Indes betrachtet die von Ibn al-<br />

Nafīs beschriebene Haltung die absolute Notwendigkeit der in Form des Prophe-<br />

ten und des Korans geschehenen Offenbarung <strong>für</strong> die normative, aber auch vor<br />

allem <strong>für</strong> die mystische Initiation des Menschen. Ein Traktat wie das von Ibn<br />

Ṭufayl fassten die Verfechter eines Gelehrsamkeitsideals, so wie Ibn al-Nafīs es<br />

propagierte, als Relativierungstendenzen gegen die zentrale Bedeutsamkeit der<br />

prophetisch überlieferten Schriftgelehrsamkeit auf. Aus diesem Grund parodiert<br />

Ibn al-Nafīs im Fortgang seiner Erzählung die Version Ibn Ṭufayls. Die Hand-<br />

lung folgt minutiös der Lesart, welche von der muslimischen Orthodoxie als die<br />

zu verkündende Heilsgeschichte kodifiziert wurde. Ibn al-Nafīs spielt damit in<br />

sublimer Art auf zwei Implikationen an: Erstens wird damit ausgedrückt, dass<br />

die historische Entwicklung des muslimischen Glaubens und der islamischen<br />

Lehre nur so hätte verlaufen können, wie sie tatsächlich verlaufen ist. Wir haben<br />

es hier also mit einer im Nachhinein erfolgten religiösen Bedeutungszuschreibung<br />

zu tun, welche die tatsächlich realiter geschehenen Wirkungsmechanismen<br />

im Dunkeln lässt, ohne hierbei in Versuchung zu geraten, zu behaupten, dass<br />

letztere notwendigerweise anders hätten sein müssen; es geht hier lediglich um<br />

die Konditionierung einer bestimmten historischen Lesart. Zum zweiten impliziert<br />

die Haltung des Ibn al-Nafīs, diese von ihm favorisierte Lesart sei in all ih-<br />

ren aufeinanderfolgenden Entwicklungen auch logisch und rational zwingend<br />

gewesen. Alle heilsgeschichtlich relevanten Ereignisse werden somit zu plausib-<br />

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