Selektion durch vorgeburtliche Diagnostik Ein grundsätzlicher Aspekt in der Diskussion um vorgeburtliche Diagnostik ist die Selektion, das heißt die Identifizierung und Aussonderung von Behinderten. Pränataldiagnostikerinnen betonen, dass es ihnen nicht um Selektion, sondern um individuelle Entscheidungsmöglichkeiten von Schwangeren und werdenden Eltern geht. Reihenuntersuchungen haben aber zum Ziel, eine Bevölkerungsgruppe möglichst vollständig zu untersuchen, um möglichst viele Feten mit Auffälligkeiten zu entdecken. Das Argument für die Durchführung von solcher Tests, dass damit die vielen Kinder mit Down-Syndrom entdeckt werden, die bisher von Frauen unter 35 Jahren geboren wurden (es sind ca. 50 % der Kinder mit Down-Syndrom), legt selektive Ziele nahe. Das Angebot dieser neuen Untersuchungen und die Erwartungen, die damit verbunden sind, fördern eine Haltung in der Gesellschaft, dass es Behinderte doch nicht mehr geben müsste. Diese Haltung übt auch Druck auf Schwangere aus, sich für solche Untersuchungen zu entscheiden, und schränkt ihre Autonomie und Selbstbestimmung vor, während und nach einer möglichen Untersuchung ein. Helga Seyler, Frauenärztin Gekürzter Nachdruck aus Rundbrief 14 des Netzwerkes gegen Selektion durch Pränataldiagnostik Vorgeburtliche Frühdiagnostik auf dem Gesundheitsmarkt Die Medizin beschränkt sich nicht nur auf die einzelnen PatientInnen. Medizin und Gesundheitssektor verwalten auch Krankheiten und managen Risiken aller Art: Qualitätssicherung, Präventionsstrategien und andere wohlklingende Vokabeln verleihen diesem Vorhaben einen positiven Klang. Gerade schwangere oder ungewollt kinderlose Frauen sind Patientinnen, die sich der fürsorglichen Belagerung pränataler und reproduktiver Medizin nur schwer entziehen können. Aber: Nicht Alles wird von der Krankenkasse bezahlt. Mit sogenannten IGeL-Leistungen kann der unternehmensorientierte Gynäkologe seine Einnahmen aufbessern und unangenehme Budgetierungen der Krankenkassenleistungen auffangen. Ein Beispiel: die Frühdiagnostik in der Schwangerschaft. Seit Jahren stehen Ultraschalluntersuchungen im Leistungskatalog der Krankenkassen. Sie gehören als zur Routine in der Schwangerenbetreuung, von Frauen als Pflicht oder Rechtsanspruch wahrgenommen. Ebenso etabliert ist das „Altersrisiko“ und biochemische Testverfahren. Ein eigens gegründete Verein Fetal Medicine Foundation in Deutschland (FMF) setzt sich nun für „neue Wege in der Frühschwangerschaft“ ein, um die Suche nach einem Down- Syndrom und anderen Normabweichungen zu effektivieren. In Gynäkologenpraxen, Kliniken und Labors wird dies als privat zu zahlende Dienstleistung angeboten. Ziel ist eine Reihenuntersuchung („Frühscreening“) bei möglichst allen Schwangeren. Computerprogramme, die Risikoziffern verrechnen, bekommen nur jene Einrichtungen, die bei der FMF Kurse belegt haben und regelmäßig ihre Diagnosen prüfen lassen. Ende 2003 sollen sich bereits 1.500 GynäkologInnen ein Zertifikat, eine neue Software und damit die Anbieterberechtigung besorgt haben. Sie dürfen dann, in Zusammenarbeit mit ordentlich FMF-registrierten Laborunternehmen die Untersuchung im ersten Schwangerschaftsdrittel vermarkten. Bei 800.000 Schwangeren pro Jahr und einem durchschnittlichen Kostenpunkt von 35-50 EUR für die Labors und mindestens 56-85 EUR für die frauenärztlichen Leistungen, gilt der Markt als lukrativ. Laut statistischer Auswertung des Mutterpasses sind mittlerweile 90% der Schwangeren als „Risiko“ eingestuft. Mit diesem Etikett belegt und verunsichert, können Frauen leicht überzeugt werden, die neue Diagnostik
zu kaufen. „Sie wollen Sicherheit: Ein neuer Test gibt sie Ihnen!“ „Das Beste für Mutter und Kind“, wer will da schon Nein sagen? Erika Feyerabend Gekürzter Nachdruck aus Rundbrief 15 14 des Netzwerkes gegen Selektion durch Pränataldiagnostik. Vgl. auch BioSkop, Zeitschrift zur Beobachtung der Biowissenschaften.