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Info-Brief - bvkm.

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und das geltende Abtreibungs- und Fortpflanzungsrecht sind nicht ethisch neutral, sondern diskriminieren<br />

Menschen mit Handicaps. Weil das Embryonenschutzgesetz eine Geschlechtsauswahl verbietet, hätten<br />

beispielsweise sich auf das falsche Geschlecht des Kindes beziehende Klagen keine Erfolgsaussicht.<br />

Wenn Eltern aber ein Anspruch zugestanden wird, sich gegen ein Kind mit einer Behinderung zu<br />

entscheiden, wie kann man ihnen dann das Recht verwehren, sich gegen ein Kind mit einem bestimmten<br />

Geschlecht zu entscheiden ? Während heute Tests auf Behinderungen und bestimmte Krankheiten mit der<br />

Option später Abbrüche legal routinemäßig durchgeführt werden, wird nach anderen Erkrankungen nicht<br />

gefahndet. Life-Style-Tests, die nach Merkmalen ohne Krankheitswert suchen, gelten gar als anstößig.<br />

Weil Leiden eine höchstpersönliche und subjektive Angelegenheit bildet, lässt sich nicht mit Anspruch auf<br />

Allgemeingültigkeit postulieren, dass ein Leben mit einem behinderten Kind generell eine größere<br />

Belastung darstellt, als das „falsche“ Geschlecht oder etwa die aus einem Urlaubsflirt resultierende<br />

auffällige Hautfarbe des Kindes.<br />

Angesichts solch unausgegorener Grenzsetzungen forciert die „wrongful birth“-Rechtsprechung eine<br />

Anwendungsausweitung der Diagnostik: Wer höchstrichterlich der Frau einen Anspruch auf eine<br />

Behandlung zusichert, die auch mögliche künftige Belastungen minimiert, verwandelt jeden<br />

diagnostischen Fortschritt unmittelbar zu einem legitimen Anspruch: Schon heute wird jedes zehnte Baby<br />

genetisch gecheckt. Nach Angaben des Humangenetikers Karsten Held bilden dabei ein familiäres Risiko<br />

für eine Erbkrankheit oder ein schon vorhandenes Kind mit einer Behinderung nur noch in fünf Prozent<br />

der Fälle den Anlass. Zwar dürften sich künftig einige Ärzte aus der vorgeburtlichen Diagnostik<br />

zurückziehen, weil ihnen die Gewinnmargen angesichts der erforderlichen Versicherungen zu gering<br />

erscheinen. Um Schadensersatzansprüche zu verhindern, dürften die übrigen aber ihr Diagnoseraster<br />

ausweiten und bei der kleinsten Unklarheit zu einem Abbruch raten. Schon heute erfolgt jede fünfte<br />

invasive vorgeburtliche Diagnostik aufgrund einer „psychologischen Indikation“: Ausschlaggebend ist<br />

allein die Angst vor einem behinderten Kind. Neben der Untersuchung klassischer Erbkrankheiten sind<br />

zudem Tests für Volkskrankheiten, wie Krebs, Zucker oder Herz-Kreislauferkrankungen, absehbar. So<br />

häufen sich Anfragen nach einer vorgeburtlichen Diagnostik für erblichen Brust- oder Darmkrebs, die<br />

heute noch unter Verweis auf künftig eventuell mögliche Behandlungsoptionen abgelehnt werden. Dies<br />

erscheint vor dem Hintergrund der Rechtsprechung als ein unhaltbarer Paternalismus. Warum soll eine<br />

Schwangere mit hohem erblichem Brustkrebsrisiko keinen entsprechenden Test beim Ungeborenen<br />

durchführen und auf einen selektiven Abbruch bei einem weiblichen Fötus verzichten ? Fraglos bedeuten<br />

solche häufig schon in den ersten Lebensjahrzehnten ausbrechenden Tumorerkrankungen auch für die<br />

Eltern eine schwere Belastung und materielle Nachteile.<br />

Die für Spätabbrüche juristisch geforderten schwerwiegenden Konfliktlagen und die „Unzumutbarkeit“ für<br />

die Schwangere sind ohnehin nicht objektiv feststellbar. Entsprechende Indikationen beruhen primär auf<br />

den persönlichen Wertvorstellungen des Arztes. Bisweilen wird die Schwangere auch psychiatrisiert,<br />

indem etwa eine Suizidgefahr erfunden wird. Die Folge dieser Indikationsstellung nach Gutsherrenart: An<br />

vielen deutschen Kliniken wird die vorgeburtliche Diagnostik exzessiv angewendet. Bei einem auffälligen<br />

Befund lehnt man indes eine Abtreibung ab. An wenigen Kliniken hingegen dominiert eine freizügige<br />

Praxis später Abbrüche. Für Schwangere heißt dies, dass sie oft durch mehrere Bundesländer pilgern, um<br />

ihr vermeintliches Recht auf einen späten Schwangerschaftsabbruch einzulösen. Die von der CDU/CSU<br />

geforderte Übertragung der Indikationsstellung auf mehrere Schultern würde zwar das Maß individueller<br />

ärztlicher Willkür reduzieren. Doch die ärztlichen Entscheidungen über einen Abbruch blieben weiterhin<br />

durch die in der Ärzteschaft wirksamen Wertvorstellungen und das öffentliche Image einer Erkrankung<br />

bestimmt. Ein Ausweg bestünde in der gänzlichen Abschaffung des § 218. Allein die Schwangere würde<br />

darüber entscheiden, welche Beeinträchtigungen sie hinzunehmen bereit ist. Doch diese persönlichen

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