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Von "weiblichen Vollmenschen" und Klassenkämpferinnen - KOBRA ...

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1.1.1 DIE REVOLUTION VON 1848 – WURZEL DER DEUTSCHEN FRAUENBEWEGUNG<br />

auf die rechtliche Situation der Frauen. Paradebeispiel dafür ist das 1850 verabschiedete<br />

„Preußische Vereinsgesetz“, welches in § 8 ausdrücklich besagte:<br />

„‘Für Vereine, welche bezwecken, politische Gegenstände in Versammlungen zu<br />

erörtern, gelten […] nachstehende Beschränkungen:<br />

a) sie dürfen keine Frauenspersonen, Schüler <strong>und</strong> Lehrlinge als Mitglieder aufnehmen;<br />

[…]<br />

Frauenspersonen, Schüler <strong>und</strong> Lehrlinge dürfen den Versammlungen <strong>und</strong> Sitzungen<br />

solcher politischen Vereine nicht beiwohnen. Werden dieselben auf die Aufforderung<br />

des anwesenden Abge-ordneten der Obrigkeit nicht entfernt, so ist Gr<strong>und</strong><br />

zur Auflösung der Versammlung oder der Sitzung […] vorhanden.’“ 4<br />

Um die repressive Gewalt dieses Gesetzes in seiner Konsequenz zu erfassen, muss man sich Fol-<br />

gendes vergegenwärtigen: Es waren die Vereine <strong>und</strong> Verbände, die im Deutschland des 19. Jahr-<br />

h<strong>und</strong>erts die entscheidenden Keimzellen politischer Bestrebungen <strong>und</strong> Veränderungen waren –<br />

wo, wenn nicht hier, hätten Frauen am politischen Leben teilnehmen sollen?! 5 Dieses Gesetz wog<br />

umso schwerer als sich mit ihm die staatliche Diskriminierung der Frau, ihr Ausschluss aus der<br />

politischen Öffentlichkeit nicht auf Preußen beschränkte. Preußen war der einflussreichste aller<br />

deutschen Staaten, eine konstitutionelle Monarchie, die sowohl innerhalb Europas als auch inner-<br />

halb des deutschen Reiches nach einer Vormachtstellung strebte. Durch diese preußische Hege-<br />

monie galt der Ausschluss der Frauen <strong>und</strong> Jugendlichen vom politischen Leben nicht nur in<br />

Preußen selbst, sondern auch in preußennahen Staaten wie Bayern, Braunschweig, Anhalt, den<br />

beiden Mecklenburgs, Reuß <strong>und</strong> Lippe. Dagegen genossen „dank“ der Uneinheitlichkeit des<br />

deutschen Reiches die Frauen in Baden, Württemberg, Hessen, den Hansestädten, Sachsen-<br />

Coburg-Gotha <strong>und</strong> Sachsen-Meiningen eine etwas liberalere Vereinsgesetzgebung. 6<br />

Gesetzestexte wie das Preußische Vereinsgesetz von 1850 unterstellten Frauen per se politische<br />

Unreife <strong>und</strong> manifestierten so ihre untergeordnete Stellung in einer patriarchalischen<br />

Gesellschaft. 7 Genau wie Jugendliche galten sie als unmündig <strong>und</strong> nicht geschäftsfähig, weshalb<br />

4<br />

§ 8 der „Verordnung über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit <strong>und</strong> Ordnung gefährdenden Mißbrauchs des<br />

Versammlungs- <strong>und</strong> Vereinigungsrechts“ vom 11. März 1850. In: Preußische Gesetz-Sammlung 1850, S. 277ff.<br />

Zit. nach: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, S. 519-522, S. 520f.<br />

5 Zweifelsohne stellten die schon zu Beginn des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts von Rahel Varnhagen von Ense (d. i. Rahel Levin)<br />

(1771-1833) <strong>und</strong> Henriette Herz (1764-1847) geleiteten Berliner Salons durchaus eine Keimzelle demokratischer<br />

Öffentlichkeit dar, allerdings dürfte deren Ausstrahlung sich auf einige urbane <strong>und</strong> universitäre Kreise beschränkt<br />

haben (vgl. Hertz, Die jüdischen Salons im alten Berlin).<br />

6 Vgl. Honeycutt, Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in Wilhelmian Germany, S. 98. In Bayern<br />

entsprach Artikel 15 der Landesverfassung diesem Standpunkt weiblicher Driskriminierung. Laut Ihrer waren die<br />

liberalen Vereinsgesetze „nicht besser“. Nur Baden <strong>und</strong> seit einem Ministerialerlass 1891 auch Sachsen seien eine<br />

Ausnahme gewesen, da hier das Vereinsgesetz keine Geschlechtsunterschiede seiner Untertanen gekannt habe<br />

(vgl. Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, S. 5).<br />

7 Es war das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794, das durch die Vormachtstellung Preußens die<br />

Rechtsstellung der meisten deutschen Frauen definierte. Erst im Zuge einer gesetzlichen Vereinheitlichung wurde<br />

1896 vom Deutschen Reichstag das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) verabschiedet. Zur rechtlichen Situation der<br />

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