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Von "weiblichen Vollmenschen" und Klassenkämpferinnen - KOBRA ...

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<strong>Von</strong> „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ <strong>und</strong> <strong>Klassenkämpferinnen</strong><br />

–<br />

Frauengeschichte <strong>und</strong> Frauenleitbilder<br />

in der proletarischen Frauenzeitschrift<br />

„Die Gleichheit“ (1891-1923)<br />

Inaugural-Dissertation<br />

zur Erlangung des akademischen Grades eines<br />

Doktors der Philosophie (Dr. phil.)<br />

im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften (Fachgebiet Geschichte)<br />

der Universität Kassel<br />

vorgelegt von:<br />

Mirjam Sachse<br />

Erster Gutachter:<br />

Prof. Dr. Jens Flemming<br />

Zweiter Gutachter:<br />

Prof. Dr. Hans-Joachim Bieber<br />

Datum der Disputation: 03.02.2010


Dank<br />

An dieser Stelle möchte ich all jenen Menschen herzlich danken, die maßgeblich zur<br />

Entstehung dieser Dissertation beigetragen haben.<br />

Ich danke Prof. Dr. Jens Flemming <strong>und</strong> Prof. Dr. Hans-Joachim Bieber für ihre<br />

fachkompetenten Ratschläge <strong>und</strong> ihre „doktorväterliche“ Geduld.<br />

Die Rosa Luxemburg Stiftung hat durch das mir bewilligte Stipendium mehr als nur die<br />

finanzielle Gr<strong>und</strong>lage für die Durchführung dieser Dissertation geschaffen. Die fachlichen<br />

Diskussionen <strong>und</strong> Vernetzungen, die ich der ideellen Förderung der Stiftung <strong>und</strong> ihren<br />

MitarbeiterInnen <strong>und</strong> VertrauensdozentInnen verdanke, gaben solidarischen Rückhalt für die<br />

Durchführung meines Forschungsvorhabens <strong>und</strong> lassen hoffen, dass die Auseinandersetzung<br />

mit unserer Gesellschaft <strong>und</strong> unserer Geschichte nie ihre linke Perspektive verlieren wird.<br />

Meinen ehemaligen Kolleginnen in der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung danke<br />

ich für ihre mehr als kollegiale Unterstützung bei Recherche <strong>und</strong> Spurensuche nach dem<br />

<strong>weiblichen</strong> Geschichtsbewusstsein, dessen kompetente Sachwalterinnen sie sind.<br />

Ich danke besonders meinen lieben Eltern <strong>und</strong> Geschwistern für ihre ermutigenden Worte <strong>und</strong><br />

offenen Ohren während der letzten fordernden wie förderlichen Jahre.<br />

Meinen langjährigen Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>innen in Kassel <strong>und</strong> München danke ich für ihre<br />

drängende Ungeduld, für ihre piesackenden Fragen, für all das, was Fre<strong>und</strong>schaft ausmacht<br />

<strong>und</strong> noch mehr. Sie sind in meinen Augen die „GeburtshelferInnen“ dieser Dissertation <strong>und</strong><br />

dürfen nicht ungenannt bleiben: Alexandra Volk, Anett Steinbrecher, Bianka Bux, Joachim<br />

Prokscha, Jochen Staufer, Karin Koch-Bolender, Klaus Steinbock, Martin Norwig, Peter<br />

Tewes, Sabine Schindler, Thomas Schindler, Torsten Bolender, Wolfram Haupt <strong>und</strong> Jürgen<br />

Lachmann.<br />

Danke!<br />

3


Inhaltsverzeichnis<br />

Einleitung ..................................................................................................................................9<br />

1 „Nicht auf Sand gebaut“<br />

– Politische Frauenorganisation <strong>und</strong> -presse in Deutschland 1848 bis 1891 ..........................37<br />

1.1 Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich .................37<br />

1.1.1 Die Revolution von 1848 – Wurzel der deutschen Frauenbewegung ..................37<br />

1.1.1 Der Beginn des „Hüben <strong>und</strong> Drüben“ von proletarischer <strong>und</strong><br />

bürgerlicher Frauenbewegung<br />

– Die Anfänge des Frauenvereinswesens in den 1860er Jahren ...........................41<br />

1.1.2 Frauenagitation ist sozialistische Agitation – Die proletarische Frauenbewegung<br />

als Teil der Arbeiterbewegung ............................................................52<br />

1.2 Die erste deutsche Frauenzeitschrift:<br />

Die „Frauen-Zeitung“ (1849-1852) .................................................................................59<br />

1.3 Die erste proletarische Frauenzeitschrift:<br />

„Die Staatsbürgerin“ (3. Januar 1886-13. Juni 1886) ......................................................65<br />

1.4 Die erste sozialdemokratische Frauenzeitschrift:<br />

„Die Arbeiterin“ (1890-1891) ..........................................................................................77<br />

2 Die erste sozialistische Frauenzeitschrift Deutschlands:<br />

„Die Gleichheit“ (1891-1923) .................................................................................................87<br />

2.1 Zwischen Kontinuität <strong>und</strong> Neubeginn<br />

– Gründung <strong>und</strong> Zielsetzung der „Gleichheit“ ................................................................87<br />

2.2 Amt oder Meinung?<br />

– Die Redaktionen der „Gleichheit“ ................................................................................97<br />

2.2.1 Die „Ära Zetkin“ <strong>und</strong> der Erste Weltkrieg ...........................................................97<br />

2.2.2 Der Erste Weltkrieg, die Entlassung Zetkins im Mai 1917<br />

<strong>und</strong> der Zielsetzungswandel der „Gleichheit“.....................................................115<br />

2.2.3 Die Redakteurinnen der „neuen“ „Gleichheit“...................................................130<br />

2.3 „Für die ‘Gleichheit’ mit der Feder tätig“<br />

– Die MitarbeiterInnen der „Gleichheit“ .......................................................................141<br />

2.3.1 Die MitarbeiterInnen Zetkins .............................................................................141<br />

2.3.2 Die MitarbeiterInnen der neuen Redaktion ........................................................159<br />

2.3.3 Die „Gleichheit“ als Organ der Sozialistischen Fraueninternationale<br />

<strong>und</strong> ihre internationalen Korrespondentinnen ....................................................178<br />

5


2.4 In Fraktur <strong>und</strong> Quartformat<br />

– Preis, Umfang, Erscheinungsweise, Erscheinungsbild, Verlag, Struktur<br />

<strong>und</strong> Inhalte der „Gleichheit“ ..........................................................................................191<br />

2.4.1 Erscheinungsweise, Seitenumfang <strong>und</strong> Preis .....................................................191<br />

2.4.2 Verlag <strong>und</strong> Finanzierung ....................................................................................196<br />

2.4.3 Erscheinungsbild ................................................................................................200<br />

2.4.4 Werbung .............................................................................................................204<br />

2.4.5 Leitartikel, Artikel <strong>und</strong> Rubriken .......................................................................206<br />

2.4.6 Feuilleton <strong>und</strong> Beilagen .....................................................................................217<br />

2.5 Kein Blatt der Massen?!<br />

– Zur Frage der Rezeption der „Gleichheit“ ..................................................................233<br />

3 Zwischen Feuilleton <strong>und</strong> Wissenschaft – Frauengeschichte, Frauenleitbilder <strong>und</strong><br />

Frauenbiographien in der „Gleichheit“..................................................................................243<br />

3.1 Geschichte in der „Gleichheit“.......................................................................................243<br />

3.2 Frauengeschichte in der „Gleichheit“.............................................................................253<br />

3.3 Frauenleitbilder in der „Gleichheit“...............................................................................289<br />

3.3.1 Was ist ein Leitbild<br />

– wie wird es konstruiert <strong>und</strong> welche Funktion erfüllt es?.................................289<br />

3.3.2 Die sozialistische Frauenemanzipationstheorie, proletarische Frauenleitbilder<br />

<strong>und</strong> die moderne Kritik daran..............................................................292<br />

3.3.3 Frauenleitbilder in der „Gleichheit“....................................................................299<br />

3.4 Frauenbiographien in der „Gleichheit“...........................................................................307<br />

4 Zusammenstellung der in der „Gleichheit“ enthaltenen Frauenbiographien,<br />

Jubiläumsartikel <strong>und</strong> Nekrologe – Interpretative Analyse ihrer Leitbildfunktionen ............315<br />

6<br />

4.1 „[…] mit warmem Herzen, klarem Geist <strong>und</strong> starkem Wollen“<br />

– Der „weibliche Vollmensch“ als elementares Leitbild sozialistischer<br />

Frauenbildung ................................................................................................................315<br />

4.1.1 Zum Frauenleitbild des „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“..........................................315<br />

4.1.2 Gelehrte <strong>und</strong> kulturschaffende Frauen ...............................................................324<br />

4.1.3 Frauen der Französischen Revolution ................................................................346<br />

4.1.4 Deutsche Freiheitskämpferinnen <strong>und</strong> Demokratinnen .......................................362<br />

4.1.5 Frauen „von sozialistischer Gesinnung“ ............................................................387


4.2 „[…] wie Mutterdenken, Mutterempfinden, Mutterhandeln […]<br />

der ganzen Menschheit […] zum Segen werden kann“<br />

– Die Mutter der sozialistischen Zukunft .....................................................................407<br />

4.2.1 Zum Frauenleitbild der sozialistischen Mutter <strong>und</strong> der „Mütterlichkeit“...........407<br />

4.2.2 Die erzogene Erzieherin......................................................................................422<br />

4.3 „Genossin seiner Ideale“<br />

– Die Ehefrau als Lebens-, Arbeits- <strong>und</strong> Kampfgefährtin ............................................437<br />

4.3.1 Zum Leitbild der sozialistischen Ehefrau............................................................437<br />

4.3.2 Die Genossin seiner geistigen Ideale .................................................................448<br />

4.3.3 Die Genossin seines Kampfes – die Ehefrauen der 1848er-Revolutionäre ........455<br />

4.3.4 Die Genossinnen führender Genossen ...............................................................469<br />

4.4 „[…] eine Kühnheit des Geistes, eine Kraft des Willens, eine Reinheit<br />

der Gesinnung <strong>und</strong> Größe der Opferfreudigkeit […]“<br />

– Die Klassenkämpferin ................................................................................................487<br />

4.4.1 Zum Frauenleitbild der „Klassenkämpferin“......................................................487<br />

4.4.2 Revolution oder Terror?! – Die <strong>Klassenkämpferinnen</strong> Russlands .....................500<br />

4.4.3 Zwei Kämpferinnen der Pariser Kommune .......................................................522<br />

4.4.4 Kämpferinnen der ersten St<strong>und</strong>e – Engagierte Proletarierinnen unter dem<br />

Sozialistengesetz ................................................................................................533<br />

4.4.4.1 Sympathisantinnen <strong>und</strong> „Parteikleinarbeit“ leistende Mitglieder .......533<br />

4.4.4.2 Risikoträgerinnen der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung<br />

<strong>und</strong> Pionierinnen der frühen proletarischen Frauenbewegung ............539<br />

4.4.5 Organisierte Genossinnen<br />

– Die Stützen der proletarischen Frauenbewegung ............................................565<br />

4.4.6 „[J]unge[…] Frauchen“ – Die junge Generation engagierter Proletarierinnen ..576<br />

4.4.7 In erster Reihe – Führerinnen der deutschen proletarischen Frauenbewegung<br />

<strong>und</strong> Mitarbeiterinnen der „Gleichheit“ .............................................582<br />

4.4.8 Internationale Genossinnen im Klassenkampf ...................................................625<br />

4.4.8.1 Österreich ............................................................................................625<br />

4.4.8.2 Dänemark ............................................................................................627<br />

4.4.8.3 Niederlande .........................................................................................628<br />

4.4.8.4 Belgien ................................................................................................629<br />

4.4.8.5 Schweiz ...............................................................................................631<br />

4.4.8.6 Italien ...................................................................................................633<br />

4.4.8.7 Polen ....................................................................................................644<br />

4.4.8.8 Großbritannien ....................................................................................646<br />

4.4.8.9 USA .....................................................................................................652<br />

4.4.8.10 Südafrika .............................................................................................666<br />

7


4.5 Leitbild ohne historische Vorbilder? – Zum Frauenleitbild der Republikanerin............667<br />

4.6 „[…] reich an Mitgefühl <strong>und</strong> Hilfsbereitschaft gegenüber fremdem Leid,<br />

reich an Bürgersinn <strong>und</strong> Bürgertugend, stark in der Pflichttreue[…]“<br />

– Die Ausnahmeerscheinungen bürgerlicher Frauenrechtelei ......................................689<br />

5 Zusammenfassung .................................................................................................................705<br />

6 Literatur .................................................................................................................................721<br />

6.1 Fachliteratur ...................................................................................................................721<br />

6.1.1 Aufsätze, Sammelwerke, Quellensammlungen <strong>und</strong> Monographien...................721<br />

6.1.2 Nachschlagewerke / Bibliographien / Datenbanken...........................................741<br />

6.1.3 Protokolle ...........................................................................................................743<br />

6.1.4 Graue Literatur ...................................................................................................746<br />

6.1.5 Zeitschriften........................................................................................................748<br />

6.2 Biographische Literatur .................................................................................................753<br />

6.2.1 Für die biographische Recherche verwendete Monographien,<br />

Nachschlage-, Sammelwerke <strong>und</strong> Datenbanken.................................................753<br />

6.2.2 Auto-/Biographische Arbeiten <strong>und</strong> Aufsätze zu den „Gleichheit“-<br />

MitarbeiterInnen..................................................................................................758<br />

6.3 Die frauenbiographischen Artikel aus dem Hauptblatt der „Gleichheit“.......................773<br />

6.1 Auswahl der geschichtlichen Artikel im Hauptblatt der „Gleichheit“...........................787<br />

7 Anhang.....................................................................................................................................III<br />

8<br />

7.1 Gedichtauswahl..................................................................................................................V<br />

7.2 Tabellen.....................................................................................................................XXVII<br />

7.3 Bildmaterial....................................................................................................................XLI<br />

7.3.1 Titelblätter der „Frauen-Zeitung“, „Staatsbürgerin“, „Arbeiterin“<br />

<strong>und</strong> „Gleichheit“.................................................................................................XLI<br />

7.3.2 Porträt- <strong>und</strong> Szenenbilder aus der „Gleichheit“..................................................LVI<br />

7.3.3 Bildnachweis......................................................................................................LXI


Einleitung<br />

Geschichte wird nicht von Frauen gemacht.<br />

„Ihre Leistungen büßen dadurch nichts von ihrem<br />

Werthe ein, daß sie nicht vom Glorienschein des<br />

Großartigen <strong>und</strong> Ungewöhnlichen umstrahlt in die<br />

Augen fallen, daß sie nicht von Dichtern besungen,<br />

von Geschichtschreibern gepriesen werden.“ 1<br />

Dies ist zumindest der Eindruck, den die etablierte Geschichtswissenschaft gerade durch viele<br />

ihrer Gr<strong>und</strong>lagenwerke vermittelt. Die Frauengeschichte, die Geschichte des Frauenalltags <strong>und</strong><br />

der Frauenbewegung bleibt dort nicht selten ausgespart. Schreibt ein Historiker wie Thomas<br />

Nipperdey in seinem Werk „Deutsche Geschichte 1800-1866“, dass die Auswirkungen der<br />

Frauenbewegung „in 50, in 100 Jahren Gesellschaft, Welt <strong>und</strong> Leben mehr als jede andere ‘Be-<br />

wegung’ verwandelt“ 2 hätten, so hat das durchaus Seltenheitswert. Das Gros der einschlägigen<br />

Sach- <strong>und</strong> Schulliteratur scheint dagegen diese Ansicht über die die Welt verändernde Be-<br />

deutung der Frauenbewegung nicht zu teilen. 3 So verw<strong>und</strong>ert es also nicht, dass sich die Frauen<br />

selbst auf die Suche nach ihrer Geschichte begeben mussten <strong>und</strong> dies bis heute tun.<br />

Seit nun fast 40 Jahren versucht die moderne Frauengeschichtsforschung der Vernachlässigung<br />

der Frauenperspektive in Wissenschaft <strong>und</strong> Öffentlichkeit entgegenzuarbeiten. Die Frauen-<br />

geschichtsforschung revidiert, korrigiert oder vervollständigt Geschichtsbilder <strong>und</strong> Wahrneh-<br />

mungen. Zudem ist sie es, von der die entscheidenden Impulse ausgehen, eine Geschichtsfor-<br />

schung jenseits der Mann-Frau-Dichotomie zu konstituieren, d. h. eine gleichberechtigte Ge-<br />

schichtsforschung der Geschlechter. Vorrangiges Ziel der Frauengeschichtsforschung muss es<br />

jedoch bleiben, das Leben bekannter <strong>und</strong> unbekannter Frauen der Vergangenheit zu rekon-<br />

struieren. Dies sind die entscheidenden Voraussetzungen, um die Bedeutung von Geschichte<br />

für das eigene Erleben zu erkennen, ein Erkenntnisprozess, an dessen Ende schließlich nicht<br />

nur ein weibliches Geschichtsbewusstsein stehen könnte, sondern ein konstitutiver Beitrag<br />

1 Die Frauen <strong>und</strong> das Ausnahmegesetz. In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 164f., S. 165. Zur Zitation von Artikeln der<br />

historischen Frauenzeitschriften siehe: Unterpunkt „Quellmaterial <strong>und</strong> Zitation“.<br />

2 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866, S. 124.<br />

Zur Zitation: Innerhalb dieser Einleitung wird die noch vorzustellende zentrale Forschungsliteratur vollständig<br />

belegt. Im weiteren Verlauf wird wie folgt belegt: Nachname der AutorInnen, Kurztitel, Seitenzahl.<br />

Belegwiederholungen werden durch „ebd.“ gekennzeichnet <strong>und</strong> beziehen sich auf den letztgenannten Beleg.<br />

3 Ob allgemeine Geschichtslexika wie der „dtv-Atlas zur Weltgeschichte“, Golo Manns 1958 verfasste<br />

„Deutsche Geschichte des 19. <strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>erts“ oder die neueren Werke von Helmut M. Müller „Deutsche<br />

Geschichte in Schlaglichtern“ von 2004, Peter Zollings „Deutsche Geschichte 1871 bis zur Gegenwart. Wie<br />

Deutschland wurde, was es ist“ von 2005 oder Manfred Mais „Deutsche Geschichte“ von 2003: Zieht man<br />

diese Einführungsliteratur heran, um Gr<strong>und</strong>sätzliches zur Geschichte der Frauenbewegung zu erfahren, ist die<br />

Enttäuschung groß.<br />

9


EINLEITUNG<br />

weiblicher Identitätsbildung.<br />

Ruf bringt das Verhältnis von Geschichtsbewusstsein <strong>und</strong> Identität wie folgt auf den Punkt:<br />

„Die Geschichte der Frauen stellt sich uns als ein stetiger Kreislauf von Aufbruch<br />

<strong>und</strong> Verdrängung dar. Im Bewußtsein um die Mechanismen, die ihn bewegen,<br />

können sowohl Frauen als auch Männer an der Geschichte lernen <strong>und</strong> Folgerungen<br />

daraus ziehen. Das Sichtbarmachen von Frauen mit Hilfe der historischen<br />

Frauenforschung <strong>und</strong> damit die Aneignung von Geschichte, nicht zuletzt das<br />

selbstbewußte Inanspruchnehmen von Definitionsmacht ist ein Weg, Identität zu<br />

entwickeln. Identifikationsmöglichkeiten wiederum beheben die dominierende<br />

Geschichtslosigkeit der Frauen <strong>und</strong> schaffen Tradition – eine ‘weibliche<br />

Genealogie’ <strong>und</strong> ‘weibliche Autorität’.“ 4<br />

Das Sichtbarmachen des <strong>weiblichen</strong> Anteils an Kultur <strong>und</strong> Geschichte, an Politik <strong>und</strong> Gesellschaft<br />

ist ein Sichtbarmachen von Macht- <strong>und</strong> Ohnmachtsverhältnissen aus vielerlei Perspektiven.<br />

Außerdem handelt es sich dabei keineswegs um einen Prozess, der erst unter dem feministischen<br />

Einfluss der „neuen“ Frauenbewegung <strong>und</strong> der Ereignisse des Jahres 1968 begann. Seine Wurzeln<br />

gründen bereits sowohl in den von Frauen verfassten Schriften des Mittelalters 5 als auch be-<br />

sonders in der „alten“ Frauenbewegung des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts.<br />

Sind es auch 100 Jahre, die die „neue“ von der „alten“ Frauenbewegung trennen, weisen ihre<br />

Entwicklung <strong>und</strong> ihre Probleme doch erstaunliche <strong>und</strong> viel sagende Parallelen auf. Jeweils aus<br />

autonomen Frauenprojekten hervorgegangen, stehen beide Bewegungen <strong>und</strong> ihr Kampf um die<br />

politische, soziale <strong>und</strong> rechtliche Gleichberechtigung für ein „Trotz allem“. Dieses Ringen <strong>und</strong><br />

Widerstehen manifestiert sich sowohl in den Erlebnissen <strong>und</strong> Erfahrungen einzelner Frauen als<br />

auch in der Entwicklungsgeschichte einzelner Frauenorganisationen. Der Schritt in die politische<br />

Öffentlichkeit bedeutete für Frauen den Bruch mit den gesellschaftlichen Normen. Diesem folgten<br />

wiederum meist negative Sanktionen in Form öffentlicher <strong>und</strong> rechtlicher Diskriminierung. Die<br />

politisch aktiven Frauen des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts versuchten, aus dieser Not eine Tugend zu machen,<br />

indem sie sich die von Männern auch heute noch oft belächelten eigenen Räume, eigenen<br />

Netzwerke <strong>und</strong> vor allem eigenen Publikationsmöglichkeiten schufen. Auf diese Weise leisteten<br />

sie inneren wie auch öffentlichen Widerstand. Ein wichtiger Teil dieses Widerstandes war die<br />

Suche nach der eigenen Geschichte.<br />

Heute, wie auch im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert, sind es deshalb vor allem Frauenzeitschriften, die – meist als<br />

Organe eines Frauenvereins entstanden – in ihren Inhalten <strong>und</strong> Strukturen das Selbstverständnis,<br />

die Probleme <strong>und</strong> Problemlösungen „bewegter“ Frauen am besten widerspiegeln. 6 Die<br />

4 Ruf, Bildung hat (k)ein Geschlecht, S. 25.<br />

5<br />

In ihrer 1405 verfassten Schrift „Das Buch von der Stadt der Frauen“ beschreibt z. B. Christine de Pisan (um<br />

1364-um 1430) nicht nur das Frauenleben <strong>und</strong> das Frauenbild des Mittelalters, sondern stärkt auch das<br />

Selbstbewusstsein der Frauen ihrer Zeit.<br />

6 So ist auch die seit 1977 von Alice Schwarzer herausgegebene „Emma“ (1977-aktuell) eine feste Größe der<br />

10


EINLEITUNG<br />

Frauenzeitschriften der „alten“ Frauenbewegung sind zudem Medien in zweifacher Hinsicht.<br />

Damals waren sie aktuelle Presseorgane einer zeitgenössischen Öffentlichkeit, heute sind sie<br />

wissenschaftliche Quellen <strong>und</strong> Archivalien. Als aktuelle Presseorgane beschrieben sie nicht nur<br />

die politischen Entwicklungen des deutschen Kaiserreichs <strong>und</strong> der Weimarer Republik <strong>und</strong> wie<br />

diese Zeit zwischen demokratischem Aufbruch <strong>und</strong> konservativer Repression hin <strong>und</strong> her<br />

pendelte, sondern forschten auch nach dem <strong>weiblichen</strong> Anteil an Geschichte. Zwar sind die<br />

Methoden <strong>und</strong> Ergebnisse nicht mit denen moderner Frauengeschichtsforschung vergleichbar,<br />

doch handelt es sich trotzdem um geschichtliche Aufklärungsarbeit. Diese Aufklärungsarbeit<br />

stellte sich in den Dienst der Emanzipation der Frau <strong>und</strong> war damit eindeutig politisch intendiert.<br />

Allein die Gründung einer Frauenzeitschrift war <strong>und</strong> ist ein politisches Votum, ihre konkrete<br />

politische Ausrichtung macht sich jedoch an ihren Inhalten fest. Selbst so genannte „unpolitische“<br />

Frauen- <strong>und</strong> Familienzeitschriften betrieben Politik. Sie taten dies in mehr oder weniger subtiler<br />

Weise <strong>und</strong> durch Vermittlung eines meist konservativen Frauenbildes. Dagegen bekannten sich<br />

politische Frauenzeitschriften meist offen zu einer reformorientierten Strömung oder sogar zu<br />

einer politischen Partei. Besonders das vermittelte Geschichtsbild spiegelt den jeweiligen<br />

politischen Standort einer Frauenzeitschrift wider. Die Auswahl historischer Themen <strong>und</strong><br />

historischer Biographien, die Art ihrer Darstellung <strong>und</strong> Interpretation einer von Frauen <strong>und</strong> für<br />

Frauen gemachten Zeitschrift gibt aufschlussreiche Einblicke in die Theorie <strong>und</strong> Praxis politischer<br />

Frauenbildung.<br />

Der gezielten politischen Frauenbildung <strong>und</strong> Vermittlung eines <strong>weiblichen</strong> Geschichts-<br />

bewusstseins hatte sich während des deutschen Kaiserreichs vor allem eine Frauenzeitschrift<br />

verschrieben: „Die Gleichheit“ (1891-1923) 7 . Mit der „Gleichheit“ wird eine Frauenzeitschrift im<br />

Mittelpunkt dieser Dissertation stehen, deren historische Bedeutung immens <strong>und</strong> sehr viel-<br />

schichtig ist: Sie war Presseorgan der organisierten proletarischen 8 Frauenbewegung Deutsch-<br />

lands, wurde 1901 offiziell parteieigenes Frauenorgan der deutschen Sozialdemokratie <strong>und</strong> 1907<br />

das Organ der Sozialistischen Fraueninternationale 9 . Vorrangig wollte sie aber laut ihres<br />

Untertitels eines sein: „Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen“. Ihre Themen waren die<br />

öffentlichen Meinung, deren Bedeutung nicht unbedingt an einer Auflage von „nur“ 60.000 Exemplaren gemessen<br />

werden kann.<br />

7 Die Hervorhebung von Personennamen wird in dem Unterpunkt „Quellmaterial <strong>und</strong> Zitation“ erläutert.<br />

8 Der Begriff „proletarisch“ oder „Proletariat“ wird hier allgemein für Aspekte <strong>und</strong> Mitglieder der Arbeiterklasse<br />

verwendet. Gleiches gilt für den Begriff „Proletarierin“, der allgemein eine Frau der Arbeiterklasse bezeichnet.<br />

Hinsichtlich besonderer Zusammenhänge wird es dagegen geboten sein, zwischen in „Arbeiterin“ <strong>und</strong> „Arbeiterfrau“,<br />

„Sozialdemokratin“ <strong>und</strong> „Sozialistin“ oder „sozialdemokratisch“ <strong>und</strong> „sozialistisch“ zu unterscheiden.<br />

9 Die Literatur weist verschiedene Bezeichnungen für die Kongresse dieser internationalen Institution auf („Internationale<br />

Konferenz sozialistischer Frauen“, „Internationale sozialistische Frauenkonferenz“). In der vorliegenden<br />

Arbeit wird die Bezeichnung „Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale“ verwendet.<br />

11


EINLEITUNG<br />

Lebenswelt(en) der deutschen Proletarierinnen, deren Erfahrungen mit Gewalt, Unterdrückung<br />

<strong>und</strong> Ohnmacht – sowohl innerhalb ihrer eigenen Familie als auch innerhalb der bürgerlichen<br />

Gesellschaft. Nur allzu gerne verschloss die bürgerliche Öffentlichkeit die Augen vor den harten<br />

<strong>und</strong> ungerechten Lebensumständen der Arbeiterfamilien <strong>und</strong> den Belastungen, die deren<br />

weibliche Mitglieder zu tragen <strong>und</strong> zu ertragen hatten. Der „Gleichheit“ <strong>und</strong> ihrer Redaktion war<br />

der Name Programm. Mit ihm stellte sie die Forderung nach Gleichberechtigung in den<br />

Mittelpunkt. Eine Forderung, die sie zwar mit bürgerlichen Frauen, deren Organisationen <strong>und</strong><br />

Zeitschriften gemeinsam hatte, die sie aber in bestimmter Hinsicht auch von jenen trennte. Sahen<br />

manche Frauen des bürgerlichen Lagers genug Möglichkeiten, im Rahmen des bestehenden<br />

Gesellschaftssystems ihre Gleichberechtigung zu erlangen, erkannten andere die Ursache der<br />

Unterdrückung der Frauen in der kapitalistischen Ordnung selbst begründet. Eine Verbesserung<br />

der Lage der Frauen konnte für sie daher folgerichtig nur aus der Überwindung einer<br />

Gesellschaftsordnung resultieren, welche prinzipiell auf der Ausbeutung des Menschen durch den<br />

Menschen basiert.<br />

Forschungsinteresse<br />

Die „Gleichheit“ ist ein Forschungsgegenstand, in dem sich sowohl Frauen-, Organisations-,<br />

Parteien- <strong>und</strong> Theoriengeschichte wie auch Presse- <strong>und</strong> Alltagsgeschichte in einer sehr intensiven<br />

Wechselbeziehung miteinander verbinden, eine Wechselbeziehung, die einerseits die große<br />

Bedeutung der „Gleichheit“, andererseits ihre sträfliche Vernachlässigung durch die aktuelle<br />

Geschichtswissenschaft erklärt: <strong>Von</strong> der etablierten Geschichtswissenschaft stiefmütterlich<br />

behandelt, weil sie eine Frauenzeitschrift ist, findet sie wiederum als SPD-Zeitschrift wenig<br />

Beachtung innerhalb der Frauengeschichtsforschung. 10 Selbst in vielen Darstellungen zur SPD-<br />

Geschichte wird die „Gleichheit“ nicht einmal namentlich erwähnt. 11 In denjenigen<br />

10 Das Spektrum aktueller Veröffentlichungen vermittelt den Eindruck, dass der Erforschung der bürgerlichen<br />

Frauenbewegung ein deutlicher Vorrang gegeben wird. Teilweise wird der proletarischen Frauenbewegung, die<br />

den Weg des gemeinsam mit den Männern geführten Klassenkampfes wählte, der Charakter einer<br />

Frauenbewegung <strong>und</strong> damit ihre Relevanz für den Forschungsbereich der Frauengeschichte abgesprochen (vgl.<br />

Hamm-Brücher, Seit 70 Jahren Abschied vom Männerwahlrecht, S. 35). Diesem Standpunkt widerspricht Gerhard<br />

sehr treffend in ihrer Arbeit „Unerhört“: „Die Stimmen, die der proletarischen Frauenbewegung jegliche<br />

Zugehörigkeit zur Frauenbewegung absprechen, verkennen, wieviel Frauenbewußtsein <strong>und</strong> -solidarität, spezifisch<br />

Frauenpolitisches durch die besondere Organisierung von Fraueninteressen innerhalb der SPD <strong>und</strong> auch der<br />

Gewerkschaften möglich wurde. Davon zeugen besonders ‘Die Gleichheit’, aber auch die seit 1900 regelmäßig<br />

stattfindenden Frauenkonferenzen, nicht zuletzt der 1911 zum erstenmal weltweit veranstaltete Internationale<br />

Frauentag.“ (Gerhard, Unerhört, S. 199f.; vgl. auch Borneman, Vorwort des Herausgebers, S. 40f.) Auch<br />

Gr<strong>und</strong>lagenwerke wie das „Wörterbuch Geschichte“ ignorieren unter dem Schlagwort „Frauenbewegung,<br />

Frauenemanzipation“ die proletarische Frauenbewegung völlig (vgl. Fuchs/Raab: Wörterbuch Geschichte,<br />

S. 256f.). Ganz anders dagegen ein von Asendorf verfasster Artikel, in dem trotz der gebotenen Kürze bürgerliche<br />

<strong>und</strong> proletarische Frauenbewegung gewürdigt werden (vgl. Asendorf/Flemming/Müller/Ullrich, Geschichte.<br />

Lexikon der wissenschaftlichen Gr<strong>und</strong>begriffe, S. 187-191).<br />

11<br />

12<br />

In den Nachschlagewerken ihrer Zeit wie z. B. „Sperlings Zeitschriften-Adressbuch“ wird die „Gleichheit“ nicht


EINLEITUNG<br />

Forschungsarbeiten, die schließlich den Wert der 33 Jahrgänge der „Gleichheit“ als einzigartiges<br />

Quellenmaterial erkannten, wird sie selbst jedoch kaum zum Gegenstand einer umfassenden<br />

publizistischen Analyse gemacht.<br />

Das vorrangige Forschungsinteresse dieser Dissertation wird es daher sein, die „Gleichheit“ – in<br />

erster Linie ihr Hauptblatt –, die an ihr beteiligten Personen, ihre Strukturen <strong>und</strong> ihr Selbst-<br />

verständnis möglichst detailliert <strong>und</strong> anhand publizistischer Kriterien darzustellen.<br />

Ein weiteres Forschungsinteresse besteht in der Untersuchung der „Gleichheit“ als einem Medium<br />

<strong>weiblichen</strong> Geschichtsbewusstseins. Welche frauengeschichtlichen Inhalte, Frauenbiographien<br />

<strong>und</strong> schließlich Frauenleitbilder finden sich in ihren Artikeln? Welche Rolle spielte die sozialis-<br />

tische Geschichtsauffassung bei der Vermittlung dieser Frauenleitbilder? Welche Auswirkungen<br />

hatte u. a. der Redaktionswechsel 1917 auf die Art der Darstellung <strong>und</strong> die Auswahl der Beiträge?<br />

Im Folgenden werden die gr<strong>und</strong>sätzliche Relevanz dieser beiden Forschungsinteressen <strong>und</strong> die<br />

Definitionen zentraler Begrifflichkeiten in größerem Zusammenhang dargestellt.<br />

Die „Gleichheit“ als Gegenstand einer pressegeschichtlichen Darstellung<br />

Im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert waren Zeitungen <strong>und</strong> Zeitschriften die Medien mit der höchsten Aktualität <strong>und</strong><br />

dem größten Wirkungsgrad – Radio <strong>und</strong> Kino befanden sich dagegen noch in den Anfängen ihrer<br />

massenwirksamen Entwicklung. Allerdings beobachteten <strong>und</strong> kommentierten Presseorgane als<br />

Spiegel des so genannten Zeitgeistes nicht nur die herrschenden gesellschaftlichen Strukturen <strong>und</strong><br />

Strömungen. Sie waren zudem Foren verschiedener avantgardistischer Bewegungen <strong>und</strong> hatten<br />

als solche eine wichtige orientierende Funktion – eine Eigenschaft, die hinsichtlich der zu unter-<br />

suchenden Frauenleitbilder noch eine besondere Rolle spielen wird. Kaum eine andere schriftliche<br />

Quelle vermochte die öffentliche Meinung so unmittelbar darzustellen wie die Presse – sie ent-<br />

steht sprichwörtlich „am Puls der Zeit“. Dieser Umstand macht sie auch jenseits eines rein<br />

publizistischen Interesses zu einem ganz besonderen Forschungsobjekt. Der Schriftsteller, Philo-<br />

loge <strong>und</strong> Literaturhistoriker Robert Eduard Prutz unterstreicht den besonderen Wert dieses<br />

Mediums mit großer Emphase <strong>und</strong> den folgenden Worten:<br />

„Wir treten, indem wir uns in die vergelbten Jahrgänge alter Zeitungen vertiefen,<br />

wie in eine Totenstadt, ein anderes Pompeji, in welchem wir ein längst<br />

entschw<strong>und</strong>enes Geschlecht plötzlich, als ob wir das Rad der Zeit zurückbewegen<br />

könnten, in der ganzen Unmittelbarkeit seines täglichen Daseins, im Innersten<br />

seiner häuslichen Zustände überraschen. Und wie man aus dem verschütteten<br />

als Frauenzeitschrift geführt, sondern in der Rubrik „Rechts- <strong>und</strong> Staatswissenschaften, Politik, Sozialpolitik,<br />

Statistik, Volkswirtschaft <strong>und</strong> öffentliche Wohlfahrt“ (vgl. Sperlings Zeitschriften-Adressbuch. Adressbuch der<br />

hervorragenden politischen Tagesblätter Deutschlands, Oesterreichs <strong>und</strong> der Schweiz. Hand- <strong>und</strong> Jahrbuch der<br />

deutschen Presse. Stuttgart: H.O. Sperling, 41. Jg. (1902)).<br />

13


EINLEITUNG<br />

Pompeji Urnen <strong>und</strong> Salbgefäße ausgegraben hat, die selbst den Duft ihres Inhalts,<br />

das Arom ihrer Kostbarkeiten erhalten hatten: so weht auch aus den aufgedeckten<br />

Schachten des Journalismus uns jenes w<strong>und</strong>ersame Lüftchen an, das die eigentliche<br />

Lebenslust jeder historischen That, der lebendige Athem jedes bedeutenden<br />

Ereignisses ist – jene Luft, ohne deren reinigenden Hauch der Horizont des Geschichtschreibers<br />

ewig bewölkt bleibt, <strong>und</strong> die doch in unserer eigenen Gegenwart<br />

von so Vielen so leicht verkannt wird: die öffentliche Meinung vergangener Jahrh<strong>und</strong>erte,<br />

die hier (<strong>und</strong> hier allein) ihre wandelbare Erscheinung befestigt hat.“ 12<br />

Alte Zeitungen <strong>und</strong> Zeitschriften haben innerhalb der Geschichtsschreibung demnach die<br />

Bedeutung wieder entdeckter Schätze. Aus ihnen sprudelt, wie aus keinen anderen Quellen, das<br />

Leben vergangener, sich wandelnder Zeiten. Zudem reflektieren sie diesen Zeitenwandel in einem<br />

Maße, wie es monographischen Zeugnissen nicht möglich ist, da diese einer weniger steten<br />

öffentlichen Kritik ausgesetzt sind.<br />

Unweigerlich stellt sich daher die Frage, warum alten Zeitungen <strong>und</strong> Zeitschriften trotz ihres<br />

Forschungswertes so wenig Beachtung innerhalb der Geschichtsschreibung zuteil wird.<br />

Pragmatisch betrachtet könnte ein Gr<strong>und</strong> dafür in den umfangreichen Untersuchungen liegen, die<br />

für die sorgfältige Erfassung der organisatorischen Hintergründe <strong>und</strong> Strukturen unabdingbar sind.<br />

Allein die Tatsache, dass der Erscheinungszeitraum einer Zeitung durchaus über mehrere<br />

Jahrzehnte <strong>und</strong> die redaktionelle <strong>und</strong> personelle Organisation entsprechend wechselhaft verlaufen<br />

kann, birgt eine kaum überschaubare Quantität an Informationen <strong>und</strong> damit wiederum eine<br />

aufwändige Recherche- <strong>und</strong> Gliederungsarbeit. Es wäre z. B. eine unzulässige Vereinfachung,<br />

wenn der Eindruck vermittelt würde, dass eine Zeitschrift sich quasi selbst schreibt – eine Zeitung<br />

wird stets gemacht. Wandlungen ihres Erscheinungsbildes, ihres Umfanges, ihrer editorischen <strong>und</strong><br />

personellen Strukturen sind nicht nur Ausdruck einer aktuellen Mode, sondern auch<br />

entscheidender gesellschaftspolitischer <strong>und</strong> persönlicher Konflikte. Gerade diese sind es, die einer<br />

umfangreichen Erforschung <strong>und</strong> Interpretation nicht nur würdig sind, sondern dieser auch<br />

bedürfen. Schlussendlich sind es wohl derartige Erschwernisse, die Anteil an dem Dilemma<br />

haben, wie es bereits für die „Gleichheit“ festgestellt wurde: Pressemedien sind häufig Quellen,<br />

aber selten Gegenstand historischer Forschung.<br />

Nun war die „Gleichheit“ jedoch keine Zeitung. Sie war auch nicht nur eine Zeitschrift oder poli-<br />

tische Zeitschrift. Sie war eine politische Frauenzeitschrift. Die Besonderheiten, die sich hinter<br />

diesen publizistischen Kategorien verbergen, machen eine Erörterung des Begriffs der Zeitschrift<br />

<strong>und</strong> des Begriffs der politischen Zeitschrift im Speziellen unverzichtbar, welche deshalb an dieser<br />

12 Prutz, Geschichte des deutschen Journalismus, S. 7f. Prutz verfasste mit diesem Werk die erste, wenn auch<br />

unvollendet gebliebene „Geschichte des Journalismus“. Vgl. auch: Lewin-Dorsch: Aus alten Zeitungen. In: GL,<br />

21 (1911)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 20/ 78-79.<br />

14


Stelle kurz erfolgen soll.<br />

EINLEITUNG<br />

Nach dem von Haacke 1968 verfassten Gr<strong>und</strong>lagenwerk „Die politische Zeitschrift“ sind folgende<br />

Kriterien für die Charakterisierung eines Presseorgans entscheidend: Kontinuität, Periodizität,<br />

Aktualität, Publizität, Universalität <strong>und</strong> Soziabilität. 13 Eine Zeitschrift ist demnach als eine solche<br />

zu definieren, wenn sie – im Gegensatz zur täglich erscheinenden Zeitung – ein wöchentliches<br />

oder monatliches Erscheinen aufweist, weniger aktuell als vielmehr umfassend <strong>und</strong> vertiefend ist<br />

<strong>und</strong> sich auf einen bestimmten Leserkreis begrenzt. Hinsichtlich der hier im Mittelpunkt<br />

stehenden Frauenzeitschriften trifft Letzteres in besonderem Maße zu. Wenn sie aber auch durch<br />

die Begrenzung ihrer Leserkreise einerseits stark an Publizität <strong>und</strong> Universalität einbüßen, so<br />

stärken Frauenzeitschriften damit andererseits jedoch auch ihre Soziabilität, also ihre „gesell-<br />

schaftsfördernde, gruppenbildende, gemeinschaftsformende Kraft“ 14 . Diese laut Haacke jeder<br />

Zeitschrift innewohnende Kraft steht nicht nur in direktem Bezug zum politischen Gehalt einer<br />

Zeitschrift <strong>und</strong> damit zur politischen Zeitschrift, sie verweist auch bereits auf den Charakter eines<br />

Leitbildes, wie er später noch näher erläutert werden wird.<br />

Eine politische Zeitschrift unterscheidet sich von anderen Zeitschriften vor allem darin, nicht nur<br />

informieren, sondern auch zu Diskussion <strong>und</strong> vor allem zu Aktion anregen zu wollen. Sie bemüht<br />

sich, ihre Leserschaft zu agitieren, d. h. im Sinne einer politischen Idee zu einem entsprechenden<br />

Handeln zu bewegen. 15<br />

Im Falle einer politischen Frauenzeitschrift des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts ist diese politisierende Ziel-<br />

setzung viel gr<strong>und</strong>sätzlicher gegeben als im Falle heutiger Frauenzeitschriften. Im deutschen<br />

Kaiserreich bedeutete bereits die Lektüre einer politischen Frauenzeitschrift eine Anteilnahme am<br />

öffentlichen Geschehen <strong>und</strong> damit einen Bruch mit dem gängigen konservativen Frauen(leit)bild.<br />

Dieses enthielt wiederum viele Argumente für das Bestreben, Frauen von Öffentlichkeit <strong>und</strong> Poli-<br />

tik fernzuhalten. Einen besonders noblen <strong>und</strong> fürsorglichen Eindruck machte man(n), wenn Politik<br />

generell als zu „schmutzig“ <strong>und</strong> unzumutbar für das reine weibliche Wesen deklariert wurde. Dem<br />

eigenen Ego konnte man(n) dagegen schmeicheln, erklärte man(n) Politik schlichtweg als zu<br />

13 Vgl. Haacke, Wilmont: Die politische Zeitschrift 1665-1965, Bd. 1. Stuttgart: K.F. Koehler, 1968, S. 37-40. Die<br />

einzige von Haacke untersuchte Frauenzeitschrift ist allerdings die von Helene Lange (1848-1930) <strong>und</strong> Gertrud<br />

Bäumer (1873-1954) herausgegebene bürgerliche „Die Frau“ (1893-1944) (vgl. Haacke, Die politische Zeitschrift,<br />

Bd. 2, S. 267ff.).<br />

14 Haacke, Die politische Zeitschrift, Bd. 1, S. 40.<br />

15 Kinnebrock verweist hier auf Franz Ronneberger, der die Funktion einer politischen Zeitschrift darin sieht, „eine<br />

‘qualifizierte’ Öffentlichkeit herzustellen, die ‘nicht nur passiv konsumiert, sondern auch diskutiert <strong>und</strong> agiert’,<br />

sodass sich neue (politische) Ideen entwickeln können“ (Ronneberger, Franz: Kommunikationspolitik III.<br />

Kommunikationspolitik als Medienpolitik. Mainz: v. Hase & Koehler, 1986, S. 50f. Zit. nach: Kinnebrock,<br />

Gerechtigkeit erhöht ein Volk!?, S. 158). Im Folgenden wird der Begriff der „Agitation“ im selben positiven<br />

Wortsinn gebraucht wie es die „Gleichheit“ tat, d. h. im Sinne einer „politischen Aufklärungsarbeit“ <strong>und</strong> nicht<br />

einer „politischen Hetze“ (vgl. Wahrig. Deutsches Wörterbuch, S. 168).<br />

15


EINLEITUNG<br />

anspruchsvoll für den <strong>weiblichen</strong> Intellekt.<br />

Es erscheint also, als ob die politische Frauenzeitschrift dem Charakter einer politischen<br />

Zeitschrift par excellence entspricht. Dies trifft aber nur bedingt zu, da auf sie die Definition der<br />

politischen Zeitschrift nicht gänzlich unmodifiziert angewendet werden kann. 16 Denn wie unter-<br />

haltende Frauenzeitschriften nie gänzlich als unpolitisch klassifiziert werden können, enthalten<br />

umgekehrt politische Frauenzeitschriften stets auch einen Unterhaltungs- <strong>und</strong> Ratgeberteil. 17<br />

Weder ist die „Gleichheit“ eine allgemeine Frauenzeitschrift, ausschließlich ein Mitteilungsblatt<br />

ihrer Frauenorganisationen oder nur ein Unterhaltungsblatt für die Frau. Die „Gleichheit“ ist nicht<br />

einer dieser einzelnen Kategorien allein zuzuordnen. Vielmehr vereinte sie alle in sich – wenn<br />

auch mit verschiedenen Schwerpunkten. Gleiches gilt für ihre Vorgängerinnen.<br />

Die „Gleichheit“ als Quelle einer inhaltlich-qualitativen Analyse historischer Frauen-<br />

leitbilder<br />

Neben einer detaillierten Darstellung der „Gleichheit“ beansprucht diese Dissertation, eine Ana-<br />

lyse der in ihren biographischen Artikeln enthaltenen Frauenleitbilder zu leisten. Dies erfordert<br />

zunächst einige Erläuterungen zum Begriff des „Frauenleitbildes“. Dabei soll aufgezeigt werden,<br />

dass sich hinter ihm etwas anderes verbirgt als vielleicht im Alltagsdenken angenommen oder<br />

durch den Begriff suggeriert wird. Bei Frauenleitbildern handelt es sich nicht um eine Be-<br />

schreibung adäquater Lebenswege für Frauen – vorurteilslos <strong>und</strong> zweckdienlich –, sondern<br />

vielmehr um weibliche Stereotypen <strong>und</strong> Rollenklischees. Entweder basieren Frauenleitbilder da-<br />

bei auf althergebrachten Traditionen <strong>und</strong> streben deren Erhalt an, oder aber sie zielen auf eine<br />

Bewusstseinsumbildung <strong>und</strong> einen radikalen Bruch mit den Traditionen – ein Entweder-Oder, das<br />

gegensätzlicher nicht sein könnte. Und doch gelingt es so manchem radikalen Frauenleitbild<br />

erstaunlicherweise nicht, seine traditionellen Wurzeln vollkommen zu kappen. Eine Fülle von<br />

Berührungspunkten <strong>und</strong> Kompromissen zwischen alten <strong>und</strong> neuen Frauenleitbildern scheinen die<br />

Bewusstseinsumbildung zu überdauern oder deren Unvollständigkeit zu bezeugen. Besonders<br />

auffällig zeigt sich dies bei den Mutter-Leitbildern innerhalb der verschiedenen Strömungen der<br />

deutschen Frauenbewegung.<br />

Die proletarische Frauenbewegung definierte sich als Teil der revolutionär-sozialistischen<br />

Arbeiterbewegung <strong>und</strong> forderte als solcher die Umwälzung der kapitalistischen Gesellschaft. Sie<br />

16 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 17.<br />

17 Ein Sonderfall ist z. B. die kulturpolitische Zeitschrift, weil sie mit ihren kulturellen <strong>und</strong> literarischen Themen<br />

traditionelle Interessengebiete der Frauen anspricht. Doch auch in politischen Zeitschriften der SPD wie den<br />

„Sozialistischen Monatsheften“ (1897-1933) ist auffällig, dass kulturelle Themen vornehmlich von <strong>weiblichen</strong><br />

Mitarbeitern behandelt werden.<br />

16


EINLEITUNG<br />

stand für den gemeinsamen revolutionären Klassenkampf gegen die Bourgeoisie <strong>und</strong> den<br />

Kapitalismus. Ein Bruch mit den althergebrachten Traditionen erschien da unumgänglich. Wenn<br />

dem aber so war, welche Alternativen wurden geboten? Agitierten Frauenbewegung <strong>und</strong> Partei für<br />

ein alternatives sozialistisches Gesellschaftsideal, so mussten den Proletarierinnen auch ent-<br />

sprechende Identifikations- <strong>und</strong> Orientierungsmöglichkeiten geboten <strong>und</strong> vermittelt werden.<br />

Unabhängig von den jeweiligen Inhalten hatte man zudem eine geeignete Art <strong>und</strong> Weise zu<br />

finden, um die Masse der indifferenten Proletarierinnen zu erreichen. Nur mittels einer geeigneten<br />

Ansprache konnte man sie gr<strong>und</strong>legend politisieren, für die gewerkschaftliche Organisation <strong>und</strong><br />

die Mitgliedschaft in Vereinen interessieren, sie letztlich für eine aktive Teilnahme am revolu-<br />

tionären Klassenkampf gewinnen. Um diesen möglichst umfassenden – d. h. sowohl intensiven<br />

als auch extensiven – Wandel des bisher gültigen bürgerlich-kapitalistischen Frauenleitbildes zu<br />

erreichen, mussten die Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung die engen Grenzen ihrer<br />

bis zu diesem Zeitpunkt in der Hauptsache auf persönlicher Ansprache beruhenden Agitation<br />

durchbrechen. Zu diesem Zweck bedurfte es, neben Versammlungen <strong>und</strong> Vereinstreffen, dringend<br />

einer eigenen Presse, denn diese eröffnete gerade für die Steuerung, Reproduktion <strong>und</strong> Multi-<br />

plikation politisch motivierter Leitbilder ganz neue Möglichkeiten.<br />

Diese einleitenden thematischen Annäherungen verdeutlichen bereits, dass Presse <strong>und</strong> Leitbilder<br />

sich in ihren Funktionen <strong>und</strong> Zielsetzungen auffällig gut ergänzten. Moderne Medien bedienen<br />

sich zur Informationsübermittlung z. B. der Methoden der Vereinfachung <strong>und</strong> der Wiederholung –<br />

prinzipiell nur zwei Eigenschaften, die in der Natur der Sprache liegen. Jedoch muss man sich<br />

stets vergegenwärtigen, wie Sprache auf eine solche verkürzte <strong>und</strong> standardisierte Weise eben<br />

auch eine Art Konformität herstellt bzw. zwangsläufig herstellen muss. 18 Und so wird ganz neben-<br />

bei deutlich, dass es jenes publizistische „Handwerkszeug“ der Vereinfachung, Wiederholung,<br />

Verkürzung <strong>und</strong> Standardisierung ist, auf dem auch die Wirksamkeit von Frauenleitbildern basiert.<br />

Es ist jedoch entscheidend, dass die Vermittlung von Frauenleitbildern insoweit über eine reine In-<br />

formationsübermittlung hinausgeht, als sie nicht nur auf eine möglichst homogenisierende<br />

Wirkung auf ein ansonsten heterogenes weibliches Publikum abzielt, sondern vor allem auf eine<br />

Verinnerlichung politischer Inhalte. Die „Gleichheit“ fasste zu diesem Zweck z. B. komplexe<br />

wirtschaftliche Zusammenhänge nicht nur in eine einfache <strong>und</strong> vor allem politisch gefärbte<br />

Sprache, sondern gab ihnen immer auch einen direkten Bezug zum proletarischen Alltag. Indem<br />

dieser Alltag überwiegend als elend <strong>und</strong> sorgenvoll dargestellt wurde – was er zweifelsohne ja<br />

18 Auf sehr unterhaltsame Weise beschäftigt sich die Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch in ihrer 1990<br />

erschienenen Publikation „Alle Menschen werden Schwestern“ mit feministischer Sprachkritik.<br />

17


EINLEITUNG<br />

auch war –, bediente man sich zudem einer Emotionalität, welche auch innerhalb einer politischen<br />

Frauenzeitschrift ihren festen Platz hatte – vor allem im Feuilleton.<br />

Der Begriff der Frauenbewegung musste, um keine leere Worthülse zu sein, sowohl einen<br />

Erkenntnisprozess als auch praktisches Handeln umfassen. Die Proletarierinnen sollten verstehen,<br />

dass es in ihrem persönlichen Interesse lag, den Umsturz der kapitalistischen Gesellschaft erst<br />

einmal zu wollen <strong>und</strong> dann auch zu betreiben. Auf den ersten Blick scheint dies in logischer<br />

Konsequenz jenen Traditionsbruch mit dem „Kinder, Küche, Kirche“-Leitkonzept der bürger-<br />

lichen Gesellschaft zu beinhalten. Doch zeigte sich schon bald, dass auch die Proletarierinnen in<br />

ihren klassischen Rollen sowohl „als Arbeiterin, als Frau <strong>und</strong> vor allem auch als Mutter“ 19<br />

angesprochen werden wollten. Um aber mit dieser Art der Ansprache nicht „bourgeoisen“<br />

Frauenleitbildern Vorschub zu leisten, musste sie nach anderen, nach proletarischen Prinzipien<br />

<strong>und</strong> Inhalten erfolgen. Umso strenger sollte nach Meinung einiger Sozialistinnen die „reinliche<br />

Scheidung“ 20 zur bürgerlichen Frauenbewegung <strong>und</strong> ihren Zielsetzungen vollzogen werden.<br />

Die langjährige Vorkämpferin der proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> Redakteurin der<br />

„Gleichheit“ Clara Zetkin (1857-1933) 21 erklärte auf dem Parteitag in Gotha 1896:<br />

19 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 175.<br />

20 Zu diesem zentralen von Zetkin geprägten Begriff für die Charakterisierung des Verhältnisses von proletarischer<br />

<strong>und</strong> bürgerlicher Frauenbewegung vgl. Reinliche Scheidung. In: GL, 04/ 08/ 18.04.1894/ 63. Noch einmal<br />

„reinliche Scheidung“, I. In: GL, 04/ 13/ 27.06.1894/ 102-103. Noch einmal „reinliche Scheidung“, II. In: GL, 04/<br />

15/ 25.07.1894/ 115-117.<br />

21<br />

Die Hervorhebungsweisen von Personennamen werden in dem Unterpunkt „Quellmaterial <strong>und</strong> Zitation“ (S. 23ff.)<br />

eingehend erläutert.<br />

Clara Josephine Zetkin, geb. Eißner, später verh. Z<strong>und</strong>el, wurde im sächsischen Wiederau als Tochter eines<br />

Dorfschullehrers <strong>und</strong> Kantors geboren. Ihre Mutter hatte persönlichen Kontakt zur bürgerlichen Frauenbewegung.<br />

Zetkin besuchte 1874-1878 das Steybersche Institut, ein Lehrerinnenseminar, in Leipzig, dort lernte sie in einem<br />

Kreis linksintellektueller EmigrantInnen aus Russland Ossip Zetkin, ihren späteren Lebensgefährten, kennen.<br />

1878 schloss sie sich der SPD an. Zetkin arbeitete als Erzieherin in Deutschland, Österreich <strong>und</strong> der Schweiz, wo<br />

sie im Vertrieb verbotener SPD-Literatur mitwirkte, <strong>und</strong> wurde schließlich in Paris ansässig. Hier lebte sie seit<br />

1882 in Lebensgemeinschaft mit Ossip Zetkin, verfasste mit ihm gemeinsam Aufsätze für Zeitschriften in<br />

Deutschland <strong>und</strong> brachte zwei Söhne zur Welt, Maxim <strong>und</strong> Kostja. Auf dem Gründungskongress der Zweiten<br />

Internationale im Juli 1889 hielt Zetkin ein viel beachtetes Referat zur „Arbeiterinnen- <strong>und</strong> Frauenfrage der<br />

Gegenwart”. Auf diesem Kongress kam der erste Kontakt zu Emma Ihrer <strong>und</strong> ihrer späteren engen Fre<strong>und</strong>in Rosa<br />

Luxemburg zustande. 1890 kehrte Zetkin nach Deutschland zurück <strong>und</strong> wurde in Stuttgart ansässig. 1899 heiratete<br />

sie den 18 Jahre jüngeren Maler <strong>und</strong> Dichter Georg Friedrich Z<strong>und</strong>el. Mit ihm, der bald durch Porträtmalerei hohe<br />

Einkünfte erzielen sollte, erwarb Zetkin 1903 ein Haus in Sillenbuch. 1917 trennte sich das Ehepaar, 1927 erfolgte<br />

die Scheidung. 1892-1913 wurde Zetkin zu jedem SPD-Parteitag delegiert. 1891-1917 war sie Redakteurin der<br />

„Gleichheit”. Seit 1899 wurden ihre Arbeiten durch zunehmende Blindheit (in den Jahren 1899 bis 1906 erfolgten<br />

drei Augenoperationen) erschwert. 1907 ernannte die Sozialistische Fraueninternationale Zetkin zur internationalen<br />

Sekretärin der sozialistischen Frauen. 1910 stellte Zetkin gemeinsam mit Käte Duncker (1871-1953)<br />

auf der zweiten Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale einen Antrag auf jährliche Ausrichtung eines<br />

„Internationalen Frauentages”. Zetkin war eine erklärte Kriegsgegnerin <strong>und</strong> initiierte 1915 die Berner Frauenfriedenskonferenz.<br />

In Konsequenz wurde ihr 1917 durch den SPD-Vorstand die Redaktion der „Gleichheit“<br />

entzogen <strong>und</strong> sie Mitglied der USPD. 1919 trat sie der KPD bei <strong>und</strong> wurde Redakteurin der „Kommunistin”<br />

(1919-1924). 1920-1930 war sie KPD-Abgeordnete des Reichstages. Seit 1918 war Zetkin in verschiedenen<br />

Funktionen mit dem Aufbau des sowjetischen Bildungssystems <strong>und</strong> der Vertretung der Fraueninteressen in der<br />

18


„Die Agitation unter den proletarischen Frauen muß daher in erster Linie<br />

sozialistische Agitation sein. Ihre Hauptaufgabe ist, die prole-tarischen Frauen zum<br />

Klassenbewußtsein zu wecken <strong>und</strong> für den Klassenkampf zu gewinnen.“ 22<br />

EINLEITUNG<br />

Damit formulierte Zetkin als Gr<strong>und</strong>voraussetzung für die Befreiung der Frau die Einheit von<br />

proletarischer Frauenbewegung <strong>und</strong> sozialistischer Arbeiterbewegung <strong>und</strong> präzisierte somit die so<br />

genannte „sozialistische Frauenemanzipationstheorie“ 23 . Die orthodoxen Sozialistinnen, welche in<br />

der proletarischen Frauen-bewegung bis 1917 die Mehrheit bildeten, lehnten das Leitbild einer<br />

gegen die Männerherrschaft revoltierenden „Frauenrechtlerin“ strikt ab. Dieses Leitbild war in<br />

ihren Augen nur ein Irrweg der bürgerlichen Frauenbewegung <strong>und</strong> letztlich eine Unterminierung<br />

der „Klassen- <strong>und</strong> Geschlechterharmonie“, wie sie innerhalb des Proletariats zugunsten<br />

gemeinsamer Kampfeskraft gepflegt werden sollte. <strong>Von</strong> dieser Strategie brachten sie weder die<br />

Schwierigkeiten angesichts der in Deutschland bestehenden politisch-repressiven Verhältnisse<br />

noch die innerhalb der SPD zunehmenden antifeministischen Tendenzen ab.<br />

Ein Überblick über die in der „Gleichheit“ erschienenen biographischen Artikel lässt allerdings<br />

erahnen, dass im Gegensatz zu diesen Strategieprinzipien ein proletarisches Frauenleitbild unter-<br />

schiedliche Charaktereigenschaften <strong>und</strong> Idealtypen hervorhob – dabei aber auch auf bürgerliche<br />

Tugenden zurückgriff. Die Biographie der radikalen Kommunardin Louise Michel (1839-1905)<br />

steht neben derjenigen von Katharina Elisabeth Goethe (1731-1808), die als Mutter des späteren<br />

Weimarer Dichterfürsten dem Bürgertum zugehörte. Beide scheinen Qualitäten im Sinne eines<br />

proletarischen Frauenleitbildes zu haben <strong>und</strong> beide Personen werden in ihren historischen Lebens-<br />

zusammenhängen beschrieben. Geschichte <strong>und</strong> deren Erforschung – aber auch die sich in ihnen<br />

widerspiegelnde Tradition <strong>und</strong> Tradierung – haben eine wesentliche Bedeutung für die Konstruk-<br />

tion <strong>und</strong> Kontinuität von Frauenleitbildern. Heutige frauengeschichtliche Forschung erhebt oft<br />

den Anspruch, im Namen weiblicher Gleichberechtigung oder wissenschaftlicher Objektivität be-<br />

trieben zu werden. Die „Gleichheit“ verschrieb sich dagegen auch in diesem Bestreben von<br />

Beginn an einer konkreten politischen Richtung. Sie betrieb Erforschung <strong>und</strong> Darstellung histo-<br />

KomIntern betraut. 1925 wurde sie Präsidentin der „Internationalen Roten Hilfe”. Sie unternahm zahlreiche<br />

Reisen innerhalb der Sowjetunion. Zetkins letzter öffentlicher Auftritt in Deutschland war die Eröffnung des<br />

Reichstags 1932 als Alterspräsidentin, bei der sie zur Einheit aller antifaschistischen Kräfte aufrief.<br />

Eine Auswahl biographischer Arbeiten zu Clara Zetkin sind im Verzeichnis biographischer Literatur enthalten,<br />

Arbeiten, die einen Schwerpunkt auf ihre Tätigkeit für die „Gleichheit“ legen im Verzeichnis der Fachliteratur. Im<br />

Weiteren wird vor allem dieser Schwerpunkt hervorgehoben.<br />

22 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 175. Dieses Gr<strong>und</strong>satzreferat machte Zetkin zur<br />

führenden Theoretikerin der proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> zu einer herausragenden Persönlichkeit der<br />

sozialistischen Arbeiterbewegung.<br />

23 Siehe: Bölke, Die Wandlung der Frauenemanzipationsbewegung; Meulenbelt, Feminismus <strong>und</strong> Sozialismus.<br />

19


EINLEITUNG<br />

rischer Ereignisse <strong>und</strong> Persönlichkeiten in der Absicht, politisch Stellung zu beziehen <strong>und</strong> – ganz<br />

deutlich gesagt – ihre Leserinnen entsprechend zu beeinflussen. Diese Symbiose von Geschichts-<br />

vermittlung <strong>und</strong> politischer Zielsetzung gilt es in dieser Arbeit vorzustellen <strong>und</strong> zu interpretieren.<br />

Sek<strong>und</strong>ärliteratur <strong>und</strong> Forschungsstand<br />

Die allgemeine Forschung zur proletarischen Frauenbewegung bietet dem gezielt Suchenden<br />

durchaus einiges an Informationen zur „Gleichheit“. Die Erscheinungsjahre dieser Werke<br />

vermitteln jedoch den unzweifelhaften Eindruck, dass mit den 1980er Jahren auch der For-<br />

schungsdrang zur proletarischen Frauenbewegung insgesamt sein Ende gef<strong>und</strong>en hat. Einen guten<br />

Überblick über die vorhandene Literatur geben zwei in den 1970er <strong>und</strong> 1980er Jahren erstellte<br />

Bibliographien: Die „Bibliographie zur Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse für<br />

die Befreiung der Frau <strong>und</strong> zur Rolle der Frau in der deutschen Arbeiterbewegung. <strong>Von</strong> den<br />

Anfängen bis 1970“ 24 <strong>und</strong> „Proletarische Frauenbewegung: Literatur- <strong>und</strong> Forschungs-<br />

dokumentation 1982-1986“ 25 . Beide sind entsprechend ihrer zeitlichen Begrenzung bereits sehr<br />

ergänzungsbedürftig.<br />

Im Folgenden möchte ich die zentrale Forschungsliteratur vorstellen <strong>und</strong> dabei mit denjenigen<br />

Arbeiten beginnen, die einen ähnlichen Erkenntnisanspruch wie die hier vorliegende Dissertation<br />

haben. Es sind vor allem zwei Arbeiten zu nennen: Bei der ersten handelt es sich um Elisabeth<br />

Vormschlags Dissertation „Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften der<br />

SPD, der USPD, der KPD in den Jahren 1890-1933 <strong>und</strong> der NSDAP in den Jahren 1932-1945“ 26 .<br />

Diese 1970 verfasste <strong>und</strong> – bedauerlicherweise – unveröffentlicht gebliebene Dissertation der<br />

Georg-August-Universität in Göttingen ist m. E. ein herausragender Forschungsbeitrag. Neben der<br />

publizistischen Kategorisierung der „Gleichheit“ als politische Zeitschrift ist der tiefer gehende<br />

24 Bibliographie zur Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse für die Befreiung der Frau <strong>und</strong> zur Rolle<br />

der Frau in der deutschen Arbeiterbewegung. <strong>Von</strong> den Anfängen bis 1970. Bearbeitet von Ingrid u. Hans-Jürgen<br />

Arendt. Hrsg. von der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig im Auftrage der Arbeitsgemeinschaft<br />

„Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse für die Befreiung der Frau“. Leipzig: Selbstverlag, 1974.<br />

25 Proletarische Frauenbewegung: Literatur- <strong>und</strong> Forschungsdokumentation 1982-1986. Bearbeitet von Marit<br />

Borcherding u. Hannelore Schott. Hrsg. vom Informationszentrum Sozialwissenschaften in Zusammenarbeit mit<br />

der Friedrich-Ebert-Stiftung – Bibliothek der sozialen Demokratie. Bonn: Informationszentrum Sozialwissenschaften,<br />

1988.<br />

26 Vormschlag, Elisabeth: Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften der SPD, der USPD, der<br />

KPD in den Jahren 1890-1933 <strong>und</strong> der NSDAP in den Jahren 1932-1945. Dissertation Georg-August-Universität<br />

Göttingen, 1970. Einen ebenfalls informativen, wenn auch wesentlich kürzeren inhaltlichen Vergleich zwischen<br />

der „Gleichheit“ <strong>und</strong> den beiden bürgerlichen Frauenzeitschriften „Die Frauenbewegung“ (1895-1919) <strong>und</strong><br />

„Centralblatt des B<strong>und</strong>es Deutscher Frauenvereine“ (1899-1912/13) stellte Wischermann an. Sie setzte dabei den<br />

Schwerpunkt auf die Themen Sittlichkeit <strong>und</strong> Stimmrecht (vgl. Wischermann, Ulla: Frauenbewegung <strong>und</strong><br />

Öffentlichkeiten um 1900. Netzwerke – Gegenöffentlichkeiten – Protestinszenierungen. Königstein/Taunus:<br />

Helmer, 2003; besonders S. 199-207).<br />

20


EINLEITUNG<br />

Vergleich linker <strong>und</strong> rechter Frauenzeitschriften eine wertvolle wissenschaftliche Leistung. Als<br />

zweite Arbeit ist der sehr prägnante Artikel der dänischen Sprach- <strong>und</strong> Kommunikationswissen-<br />

schaftlerin Kirsten Gomard „Die sozialistische Frauenzeitschrift ‘Die Gleichheit’. Angebot einer<br />

alternativen Frauenidentität?“ 27 von 1988 zu nennen. Die Autorin untersucht hier u. a. 55 bio-<br />

graphische „Gleichheit“-Artikel <strong>und</strong> ordnet diese verschiedenen <strong>weiblichen</strong> Leitbildern zu. Beide<br />

Arbeiten finden Eingang in die vorgelegten Untersuchungen <strong>und</strong> werden dabei einer ausführlichen<br />

Kritik unterzogen.<br />

Eine Arbeit, die augenscheinlich die in dieser Arbeit behandelten Fragestellungen zu betreffen<br />

scheint, ist der 1976 veröffentlichte Artikel „Der Beitrag der ‘Gleichheit’ zur Entwicklung des<br />

Geschichtsbewußtseins ihrer Leserinnen“ 28 von Ruth Götze. Dieser Artikel, der sich inter-<br />

essanterweise sogar punktuell auf die Arbeit Vormschlags bezieht, stellt jedoch lediglich partei-<br />

<strong>und</strong> bewegungsgeschichtliche Inhalte der „Gleichheit“ dar. Frauengeschichtliche Inhalte werden<br />

nicht erwähnt, <strong>und</strong> ein spezifisch weibliches Geschichtsbewusstsein wird nicht als ein Auftrag der<br />

„Gleichheit“ in Betracht gezogen.<br />

Weitere gr<strong>und</strong>legende Publikationen zur „Gleichheit“ sind ein Heft der Zeitschrift „Ariadne“ 29<br />

<strong>und</strong> eine stichwortbezogene Auswertung durch die „Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Frauenfor-<br />

schung“ der Gesamthochschule Kassel. 30 Erstere ist als Publikation der in Kassel ansässigen<br />

Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung die bisher mit Abstand anschaulichste Darstellung<br />

zur „Gleichheit“. In ihr zeichnen verschieden akzentuierte Artikel die Entwicklung <strong>und</strong> Position<br />

der „Gleichheit“, der beteiligten Personen <strong>und</strong> Organisationen nach <strong>und</strong> bieten darüber hinaus vor<br />

27 Gomard, Kirsten: Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“. Angebot einer alternativen Frauenidentität?<br />

In: Augias. Germanistisches Institut der Universität Aarhus, Bd. 28 (1988), S. 25-42. Zwei weitere<br />

Artikel Gomards, die jedoch deutlich kürzer <strong>und</strong> themenspezifischer sind als der bereits genannte sind: Gomard,<br />

Kirsten: Die Agitation der „Gleichheit“ als proletarische Frauenöffentlichkeit untersucht anhand der Beiträge zum<br />

Thema Aufrüstung, Krieg <strong>und</strong> Pazifismus, 1892-1917. In: Die Verantwortung der Literatur in ihrer Zeit.<br />

Ausgewählte Beiträge vom VI. gemeinsamen Kolloquium von Literaturwissenschaftlern der Universität Aarhus<br />

<strong>und</strong> der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. 31. Mai bis 2. Juni 1983 in Greifswald, Greifswalder<br />

Germanistische Forschungen, 6, 1985, S. 65-72. Dies.: Die Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität <strong>und</strong><br />

Utopie. In: Utopie <strong>und</strong> Realität im Funktionsverständnis von Literatur (Französische Revolution – Oktoberrevolution<br />

– Gegenwart). Ausgewählte Beiträge vom VII. gemeinsamen Kolloquium von Literaturwissenschaftlern der<br />

Universität Aarhus <strong>und</strong> der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. 18. <strong>und</strong> 19. Mai 1987 in Greifswald.<br />

Greifswalder Germanistische Forschungen, 10, 1989, S. 40-45.<br />

28 Götze, Ruth: Der Beitrag der „Gleichheit“ zur Entwicklung des Geschichtsbewußtseins ihrer Leserinnen. In:<br />

Wissenschaftliche Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig, 1976, Nr. 3, S. 60-65.<br />

29 Ariadne. Nr. 22: „Ich habe nicht ein Amt, sondern eine Meinung“ – 100 Jahre „Die Gleichheit“ (1892-1923).<br />

Kassel 1992.<br />

30 Auswertung der Zeitschrift „Die Gleichheit“ 1892-1914 nach den Stichworten „Arbeit, Bildung <strong>und</strong> Beruf“.<br />

Bearbeitet von Brigitte Robak u. Jutta Schmidt. Hrsg. von der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Frauenforschung<br />

der Gesamthochschule Kassel, Kassel 1989.<br />

21


EINLEITUNG<br />

allem wertvolle Bild- <strong>und</strong> Dokumentationsmaterialien. Die stichwortbezogene Auswertung,<br />

angelegt als chronologisches Register ausgewählter Artikeldaten, stellt allerdings weniger eine<br />

Gr<strong>und</strong>lage für eine inhaltliche Diskussion, sondern vielmehr ein thematisch sehr begrenztes<br />

Forschungshilfsmittel dar.<br />

Des Weiteren gibt es einige Publikationen, die sich zwar besonders der „Gleichheit“ widmen, dies<br />

jedoch vordergründig anhand einer bestimmten Themenstellung tun – sich ihrer also lediglich als<br />

historische Quelle bedienen. Dem entsprechend sind die Beschreibungen zur „Gleichheit“ selbst<br />

in ihrer Ergiebigkeit sehr unterschiedlich: Fritz Staude veröffentlichte 1974 in den „Beiträgen zur<br />

Geschichte der Arbeiterbewegung“ den Artikel „Die Rolle der ‘Gleichheit’ im Kampf Clara<br />

Zetkins für die Emanzipation“ 31 . Er gibt darin zwar einen guten Überblick über die Entwicklung<br />

<strong>und</strong> Struktur der Zeitschrift sowie über ihre Verknüpfung mit der SPD, konzentriert seine<br />

Betrachtung aber sehr stark auf die dominante Persönlichkeit Zetkins. Letzteres ist eine Eigenart,<br />

die nahezu alle DDR-Veröffentlichungen zur „Gleichheit“ aufweisen <strong>und</strong> die in der hier<br />

vorliegenden Arbeit bewusst thematisiert <strong>und</strong> teilweise durchbrochen werden soll, um gerade auch<br />

den weniger bekannten „Gleichheit“-Mitarbeiterinnen entsprechend Platz <strong>und</strong> Bedeutung ein-<br />

zuräumen.<br />

Die „Gleichheit“-Strukturen sehr gut erfasst <strong>und</strong> in eine kritische Auseinandersetzung mit ihrem<br />

Inhalt <strong>und</strong> Selbstverständnis gesetzt hat Anna-Elisabeth Freier in ihrer 1981 publizierten Arbeit<br />

„‘Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären.’ – Der Antifeminismus der proletarischen<br />

Frauenbewegung im Spiegel der ‘Gleichheit’, 1891-1917“ 32 . Freier analysiert darin erstmals die<br />

bemerkenswerte Verbindung zwischen proletarischer Frauenbewegung <strong>und</strong> einem in ihr prak-<br />

tizierten Antifeminismus. Sie entwickelt dabei einen „sozialisationstheoretisch-psychologische[n]<br />

Standpunkt“ 33 , der auch innerhalb meiner Themenstellung eine wichtige Rolle spielen wird.<br />

Im „Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte” unternimmt 1999 Susanne Kinnebrock unter dem<br />

Titel „Gerechtigkeit erhöht ein Volk?! – Die erste deutsche Frauenbewegung, ihre Sprachrohre<br />

<strong>und</strong> die Stimmrechtsfrage” 34 einen gelungenen Vergleich zwischen der „Gleichheit“ <strong>und</strong> zwei re-<br />

präsentativen bürgerlichen Frauenzeitschriften. Trotz der gebotenen Kürze eines Artikels gibt<br />

Kinnebrock – bevor sie sich thematisch der Gr<strong>und</strong>satzdebatte zum Frauenstimmrecht widmet –<br />

31 Staude, Fritz: Die Rolle der „Gleichheit“ im Kampf Clara Zetkins für die Emanzipation der Frau. In: BzG, Jg. 16<br />

(1974), Nr. 3, S. 427-445.<br />

32 Freier, Anna-Elisabeth: „Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären.“ – Der Antifeminismus der proletarischen<br />

Frauenbewegung im Spiegel der „Gleichheit“, 1891-1917. Frankfurt am Main: Haag <strong>und</strong> Herchen, 1981.<br />

33 Ebd., S. 17.<br />

34 Kinnebrock, Susanne: „Gerechtigkeit erhöht ein Volk!?“ – Die erste deutsche Frauenbewegung, ihre Sprachrohre<br />

<strong>und</strong> die Stimmrechtsfrage. In: JbKG, Jg. 1 (1999), S. 134-171.<br />

22


hier einen guten Überblick über Strukturen <strong>und</strong> Charakter der „Gleichheit”.<br />

EINLEITUNG<br />

Die neueste mir bekannte Publikation zur „Gleichheit“ ist der Artikel von Emmanuelle Wiss „Les<br />

débats sur la transformation sociale et le rôle des femmes dans ‘Die Gleichheit’ (1891-1914)“ 35 .<br />

Der Aufsatz bietet einen Überblick über die Entwicklung <strong>und</strong> den Verbreitungsgrad der „Gleich-<br />

heit“ als Medium. Schwerpunkt sind die in ihr enthaltenen Diskussionen zum Problem der Dop-<br />

pelbelastung <strong>und</strong> Rollenzuschreibung. 36<br />

Einen festen, wenn auch unterschiedlich großen Raum nimmt die „Gleichheit“ in Arbeiten zur<br />

allgemeinen Geschichte der proletarischen Frauenbewegung ein. Werner Thönnessen veröffent-<br />

lichte 1969 unter dem Titel „Frauenemanzipation – Politik <strong>und</strong> Literatur der deutschen Sozial-<br />

demokratie zur Frauenbewegung 1863-1933“ die erste umfassende Arbeit zur proletarischen<br />

Frauenbewegung Deutschlands. Erst zehn Jahre darauf folgte ein gr<strong>und</strong>legender, von einer<br />

AutorInnengruppe der Friedrich-Ebert-Stiftung verfasster Artikel mit dem Titel „Frauenfrage <strong>und</strong><br />

deutsche Sozialdemokratie vom Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts bis zum Beginn der zwanziger Jah-<br />

re“ 37 . Ausgedehntere Arbeiten erschienen in den 1980er Jahren: Heinz Niggemann „Emanzipation<br />

zwischen Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus – Die sozialdemokratische Frauenbewegung im Kaiser-<br />

reich“ 38 , Sabine Richebächer „Uns fehlt nur eine Kleinigkeit. Deutsche proletarische Frauenbe-<br />

wegung 1890-1914“ 39 , Richard J. Evans „Sozialdemokratie <strong>und</strong> Frauenbewegung im deutschen<br />

Kaiserreich“ 40 <strong>und</strong> Elisabeth Haarmann „Schwestern zur Sonne zur Gleichheit. Die Anfänge der<br />

proletarischen Frauenbewegung“ 41 . Diese Werke bilden mittlerweile die Standardliteratur zur<br />

35 Wiss, Emmanuelle: Les débats sur la transformation sociale et le rôle des femmes dans „Die Gleichheit“ (1891-<br />

1914). In: Das linke Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse <strong>und</strong> seine Netzwerke (1890-1960). Hrsg.<br />

von Michael Grunewald in Zusammenarbeit mit Hans Manfred Bock. Bern, Berlin, Brüssel, Frankfurt am Main,<br />

New York, Oxford, Wien: Lang, 2002, S. 75-90.<br />

36 Erwähnt seien neben meiner eigenen (Sachse, Mirjam: ”Heraus, ihr Frauen der Arbeit, erwacht“ – Entwürfe<br />

politischer Frauenbildung im Spiegel der proletarischen Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ (1891-1923).<br />

Magisterarbeit Universität Gesamthochschule Kassel, 2000) hier noch zwei Abschlussarbeiten, die beide die<br />

„Gleichheit“ in den Jahren 1914 bis 1917 untersuchen: Krug, Michaela: „Die Zwillingsschwester des Krieges ist<br />

die Not“ – Zum Diskurs über Weiblichkeit <strong>und</strong> Krieg in der Zeit des Ersten Weltkrieges. Exemplarisch dargestellt<br />

am Beispiel der Zeitschriften „Die Frau“ <strong>und</strong> „Die Gleichheit“. Magisterarbeit Universität Hannover, 2004;<br />

Eichhorn, Beate: Die sozialistische Frauenbewegung im Spiegel der „Gleichheit“ (1914-1917). Diplomarbeit<br />

Universität Wien, 1992.<br />

37 Albrecht, Willy/ Boll, Friedhelm/ Bouvier, Beatrix W./ Leuschen-Seppel, Rosemarie/ Schneider, Michael: Frauenfrage<br />

<strong>und</strong> deutsche Sozialdemokratie vom Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts bis zum Beginn der zwanziger Jahre. In:<br />

Archiv für Sozialgeschichte, Jg. 19 (1979), S. 459-510.<br />

38 Niggemann, Heinz: Emanzipation zwischen Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus – Die sozialdemokratische Frauenbewe-<br />

gung im Kaiserreich. Wuppertal: Hammer, 1981.<br />

39 Richebächer, Sabine: Uns fehlt nur eine Kleinigkeit. Deutsche proletarische Frauenbewegung 1890-1914.<br />

Hamburg: Fischer, 1982.<br />

40 Evans, Richard J.: Sozialdemokratie <strong>und</strong> Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich.Berlin: Dietz, 1984.<br />

41 Haarmann, Elisabeth: Schwestern zur Sonne zur Gleichheit. Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung.<br />

23


EINLEITUNG<br />

Geschichte der proletarischen Frauenbewegung – keines davon ist jedoch bisher neu aufgelegt<br />

worden.<br />

Die meisten der genannten Arbeiten weisen jedoch ein besonderes Desiderat auf: In der<br />

Darstellung der „Gleichheit“ <strong>und</strong> der proletarischen Frauenbewegung gehen sie kaum über das<br />

Jahr 1914 (Beginn des Ersten Weltkriegs) oder 1917 (Entlassung Clara Zetkins aus der „Gleich-<br />

heit“-Redaktion) hinaus. Diese Einschnitte sind durchaus berechtigt, denn sie stellen bedeutende<br />

Wendepunkte in der Geschichte <strong>und</strong> dem Selbstverständnis der deutschen Sozialdemokratie <strong>und</strong><br />

so auch der „Gleichheit“ dar. Jedoch lässt die nähere Betrachtung der folgenden Jahre eben jene<br />

Wende <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen Wandlungen erst voll zu Tage treten. Es ist deshalb ein<br />

zentrales Anliegen dieser Dissertation, die „Gleichheit“ über diese Zäsuren hinaus, nämlich bis<br />

zur Einstellung ihres Erscheinens im Jahre 1923 vorzustellen. Trotzdem wird dabei eine Schwer-<br />

punktsetzung auf die Zeit vor 1917 unvermeidlich sein – zu bedeutend ist die Rolle Clara Zetkins<br />

in der Geschichte der proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> ihres Zentralorgans, zu eng verknüpft<br />

wiederum der Aufbau <strong>und</strong> die Entwicklung der „Gleichheit“ mit der Lebensgeschichte dieser<br />

Frau.<br />

Jede der bisher erschienenen Zetkin-Biographien – wenn auch unterschiedlich in Umfang <strong>und</strong><br />

Präsentation – beschreibt die Gründung der „Gleichheit“ <strong>und</strong> ihre durch Zetkin geprägte politische<br />

Haltung. Zu nennen sind hier in der Reihenfolge ihrer Veröffentlichung vor allem Gertrud G.L.<br />

Alexander (1882-1967) 42 „Clara Zetkins Leben <strong>und</strong> Werk“ 43 , Luise Dornemann „Clara Zetkin.<br />

Leben <strong>und</strong> Wirken“ 44 , Karen Honeycutt „Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in<br />

Wilhelmian Germany“ 45 , Karin Bauer „Clara Zetkin <strong>und</strong> die proletarische Frauenbewegung“ 46 ,<br />

Hamburg: Ergebnisse, 1985.<br />

42 Gertrud Mathilde Bertha Alexander (eine Erklärung für die obigen Initialen G.L. konnte nicht gef<strong>und</strong>en werden),<br />

geb. Gaudin, wurde im thüringischen Ruhla geboren. Sie war Tochter eines Arztes, studierte an der Universität<br />

Jena <strong>und</strong> an der Kunsthochschule Eisenach. 1908 heiratete sie Eduard Alexander, von dem sie 1920 wieder geschieden<br />

wurde. Alexander wurde Mitglied der SPD, während des Ersten Weltkrieges des Spartakusb<strong>und</strong>es <strong>und</strong><br />

schließlich der KPD. Sie betreute den Feuilleton der „Roten Fahne“ (1918-1933) <strong>und</strong> wurde zu einer bekannten<br />

Kunstkritikerin. 1925 siedelte Alexander nach Moskau über, wurde 1925 Frauensekretärin der KomIntern <strong>und</strong><br />

1926 Mitglied der KPdSU. 1931-1933 versah sie das Amt der Bevollmächtigten von der Hauptverwaltung für<br />

Literatur (Gawlit). Alexander war außerdem, Redakteurin an der Staatlichen Zentralbibliothek <strong>und</strong> der Leninbibliothek.<br />

1907 hatte sie Zetkin kennen gelernt <strong>und</strong> für die „Gleichheit“ 1909 die Artikelserie „Die Prometheussage“<br />

verfasst ([Alexander, Gertrude] G. G.: Die Prometheussage. In: GL, 19/ 07/ 04.01.1909/ 103-104.; GL, 19/<br />

08/ 18.01.1909/ 119-121; GL, 19/ 09/ 01.02.1909/ 134-136; GL, 19/ 10/ 15.02.1909/ 146-147; GL, 19/ 11/<br />

01.03.1909/ 166-167.).<br />

43 Alexander, Gertrude G. L.: Aus Clara Zetkins Leben <strong>und</strong> Werk. Berlin: Vereinigung Internationaler Verlags-<br />

Anstalten, 1927.<br />

44 Dornemann, Luise: Clara Zetkin. Leben <strong>und</strong> Wirken. Berlin: Dietz, 1973.<br />

45 Honeycutt, Karen: Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in Wilhelmian Germany. Dissertation<br />

Columbia University, 1975.<br />

46 Bauer, Karin: Clara Zetkin <strong>und</strong> die proletarische Frauenbewegung. Berlin: Oberbaum, 1978.<br />

24


EINLEITUNG<br />

Gilbert Badia „Clara Zetkin – Eine Biographie“ 47 <strong>und</strong> Tânia Puschnerat „Clara Zetkin – Bürger-<br />

lichkeit <strong>und</strong> Marxismus. Eine Biographie“ 48 . Zwei der neuesten, anlässlich Zetkins 150. Geburts-<br />

tag erschienenen Arbeiten sind die Ergebnisse wissenschaftlicher Tagungen: Astrid Franzke <strong>und</strong><br />

Ilse Nagelschmidt (Hrsg) „‘Ich kann nicht gegen meine Überzeugung handeln‘“ – Clara Zetkin<br />

zum 150. Geburtstag“ 49 <strong>und</strong> Ulla Plener (Hrsg.) Clara Zetkin in ihrer Zeit. Neue Fakten, Erkennt-<br />

nisse, Wertungen.“ 50 Außerdem erschien zu demselben Anlass eine mit wertvollen Texten Zetkins<br />

ergänzte kurze Biographie: Florence Hervé (Hrsg.): „Clara Zetkin oder: Dort kämpfen, wo das<br />

Leben ist“. 51<br />

Auch die Biographien anderer Persönlichkeiten, die in das Wirken der „Gleichheit“ auf die eine<br />

oder andere Weise involviert waren, können hinsichtlich einer Betrachtung der „Gleichheit“ sehr<br />

aufschlussreich sein. Besonders erwähnenswert ist die von Angela Graf verfasste Biographie über<br />

Johann Heinrich Wilhelm Dietz (1843-1922) 52 , welche ebenso wie die von ihm mitgegründete<br />

„Gleichheit“ in dem nach ihm benannten Dietz-Verlag erschienen ist. 53 Solche Biographien kön-<br />

nen wichtige Informationen zur Geschichte der „Gleichheit“ beisteuern, weil in ihnen u. a. auch<br />

Auswertungen persönlicher Korrespondenzen vorgenommen wurden.<br />

Aufgr<strong>und</strong> dieser Auswahl des Forschungs- <strong>und</strong> Literaturstandes – die noch durch einige zeit-<br />

genössische Arbeiten zu ergänzen wäre – könnte nun alles in allem der Eindruck entstehen, dass<br />

die proletarische Frauenbewegung ein bereits gründlich bearbeitetes Forschungsfeld ist. Die<br />

47 Badia, Gilbert: Clara Zetkin – Eine Biographie. (Originaltitel: Clara Zetkin, féministe sans frontiéres, 1993.)<br />

Berlin: Dietz, 1994.<br />

48 Puschnerat, Tânia: Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus. Eine Biographie. Essen: Klartext, 2003. Siehe<br />

auch: Sachse, Mirjam: Clara Zetkin – eine von „Ismen“ bestimmte Persönlichkeit?! In: Ariadne, 2004, Nr. 45-46,<br />

S. 149-151.<br />

49 Franzke, Astrid / Nagelschmidt, Ilse (Hrsg.): „Ich kann nicht gegen meine Überzeugung handeln“ – Clara Zetkin<br />

zum 150. Geburtstag. Leipzig: Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, 2008.<br />

50 Plener, Ulla (Hrsg.): Clara Zetkin in ihrer Zeit. Neue Fakten, Erkenntnisse, Wertungen. Material des Kolloquiums<br />

anlässlich ihres 150. Geburtstages am 6. Juli 2007 in Berlin. Berlin: Karl Dietz, 2008.<br />

51 Hervé, Florence (Hrsg.): Clara Zetkin oder: Dort kämpfen, wo das Leben ist. Berlin: Karl Dietz, 2007.<br />

52 J.H.W. Dietz wurde in Lübeck geboren, besuchte die St. Petri-Knabenschule in Lübeck <strong>und</strong> absolvierte dann eine<br />

Ausbildung im Buchdruckgewerbe. 1884-1866 arbeitete er als Buchdrucker in St. Petersburg. 1866-1874 war er<br />

Schriftsetzer <strong>und</strong> Mitarbeiter verschiedener Publikationsorgane. 1881 aus Hamburg ausgewiesen, zog Dietz nach<br />

Stuttgart um. Hier gründete er den Verlag „J.H.W. Dietz” <strong>und</strong> verlegte später neben der „Gleichheit“ noch weitere<br />

SPD-Blätter. 1874 wurde Dietz Mitglied des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“ (ADAV) <strong>und</strong> 1883 wegen<br />

Teilnahme am sozialistischen Kongress in Kopenhagen verhaftet. 1886 wurde er im Freiburger Sozialistenprozess<br />

zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. 1881-1918 Reichstagsabgeordneter, stimmte er 1914 für die Kriegskredite.<br />

Spätere Artikel der „Gleichheit“ sollten Dietz‘ Bedeutung für die proletarische Frauenbewegung <strong>und</strong> deren<br />

Frauenzeitschrift besonders ehren: Zetkin, Clara: Heinrich Dietz zum 70. Geburtstag. In: GL, 24/ 01/ 01.10.1913/<br />

4-5.; Seinen 75. Geburtstag … In: GL, 29/ 02/ 25.10.1918/ 14; Bohm-Schuch, Clara: Unsere Toten. Heinrich<br />

Dietz zum Gedächtnis. In: GL, 32/ 17/ 18/ 01.09.1922/ 163-164.<br />

53 Graf, Angela: J.H.W. Dietz 1843-1922 – Verleger der Sozialdemokratie. Bonn: Dietz, 1998.<br />

25


EINLEITUNG<br />

Materialfülle kann jedoch gravierende Forschungsmängel nicht kaschieren <strong>und</strong> stützt sich zudem<br />

bei näherem Hinsehen meist auf Wiederholungen. Pressegeschichtliche Details wie Struktur <strong>und</strong><br />

Erscheinungsweise werden immer wieder unvollständig oder gar fehlerhaft wiedergegeben. 54 Die<br />

Präsentation der „Gleichheit“-Mitarbeiterschaft bleibt in allen genannten Arbeiten stark verkürzt 55<br />

oder auf wenige bekannte Persönlichkeiten <strong>und</strong> Parteigrößen begrenzt.<br />

Quellmaterial <strong>und</strong> Zitation<br />

Die zentralen Quellen meiner Dissertation sind die 33 Jahrgänge der „Gleichheit“ – vorrangig ihr<br />

Hauptblatt. 56 Die „Gleichheit“-Beilagen „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“, „Für unsere Kin-<br />

der“ oder „Die Frau <strong>und</strong> ihr Haus“ werden nur in Ausnahmefällen herangezogen. 57<br />

Die Jahrgänge der „Gleichheit“ sind leider noch nicht anhand eines Generalregisters erschlossen. 58<br />

Jedoch gibt es einige Jahrgangsregister der „Gleichheit“ (19. Jg. (1909/10) bis 29. Jg. (1919)) 59 ,<br />

mittels derer eine gewisse Übersicht über die Schwerpunkt-setzung in diesem Zeitraum möglich<br />

ist. Allerdings werden darin die Artikel nicht nach AutorInnenschaft oder Stichwort aufgeführt,<br />

sondern lediglich nach Rubriken <strong>und</strong> darin nach Chronologie ihrer Veröffentlichung. Diese<br />

Register können nicht die für eine Untersuchung der „Gleichheit“ notwendige Totalerhebung er-<br />

setzen. Ihre Einrichtung ist aber ein klarer Beleg für das praktische Ansinnen der „Gleichheit“-<br />

54 Beispielsweise gibt Gomard in zwei von ihr verfassten Artikeln jeweils ein anderes Jahr als Ende des Erscheinens<br />

an: 1924 (Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 26.) <strong>und</strong> 1922 (Gomard, Agitation der<br />

„Gleichheit“ als proletarische Frauenöffentlichkeit, S. 66) – beide sind falsch. Auch Thönnessen macht falsche<br />

Angaben hinsichtlich des Einstellungsjahrs der „Gleichheit“ <strong>und</strong> des Redaktionswechsels (vgl. Thönnessen,<br />

Frauenemanzipation, S. 133 u. S. 135).<br />

55 Puschnerat widmet im Hinblick darauf, dass sie die „Gleichheit“ „mit Fug <strong>und</strong> Recht als Quelle für eine Analyse<br />

der Mentalität Zetkins“ heranzieht, ihrer Darstellung erstaunlich wenig Raum. So zeichnet sie z. B. in nur einem<br />

einzigen Absatz die Entwicklungslinie von der Einrichtung ihrer beiden Beilagen 1905 – ein Umstand, der den<br />

Charakter der „Gleichheit“ entscheidend verändern sollte – über die Zensur während des Ersten Weltkrieges bis<br />

zur Entlassung Zetkins 1917 nach (vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 86f.).<br />

56 Der Großteil des verwendeten Quellenmaterials – vor allem nahezu alle Nummern <strong>und</strong> Jahrgänge der „Arbeiterin“<br />

<strong>und</strong> der „Gleichheit“ – sowie die zentrale Sek<strong>und</strong>ärliteratur konnten in der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung<br />

in Kassel eingesehen werden.<br />

57 Für Darstellungen der „Gleichheit“-Beilagen siehe die bisher angeführte Sek<strong>und</strong>ärliteratur <strong>und</strong> im Besonderen:<br />

Schulze, Regina: Die proletarische Mutter als sozialistische Erzieherin – dargestellt auf der Gr<strong>und</strong>lage der Beilage<br />

zur „Gleichheit“ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ von 1905 bis 1917. Dissertation Pädagogische Hochschule<br />

Dresden, 1987; Koch, Arthur: Die Verwirklichung sozialistischer Kindererziehung mit Hilfe der ersten deutschen<br />

proletarischen Kinderzeitschrift „Für unsere Kinder“ (1905-1917). In: Jahrbuch für Erziehungs- <strong>und</strong> Schulgeschichte,<br />

Jg. 7 (1967), S. 49-131; Drust, Heide: „Eine nie versiegende Quelle der Unterhaltung <strong>und</strong> der Belehrung“<br />

– Die Beilagen der „Gleichheit“. In: Ariadne, 1992, Nr. 22, S. 26-30; dies. (Hrsg.): Für unsere Kinder. Texte<br />

aus der Kinderbeilage der „Gleichheit“ 1905-1917. Berlin: Der Kinderbuchverlag, 1986; Krauth, Ulrike: Die Mutter<br />

als Erzieherin. Kindererziehung in der Zeitschrift „Die Gleichheit“ (1905 bis 1913). In: ergebnisse, 1981,<br />

Nr. 15, S. 15-91.<br />

58 Ein solches Generalregister hatte in wissenschaftlicher Voraussicht z. B. Emanuel Wurm als Koredakteur für die<br />

„Neue Zeit“ (1883-1923) erstellt.<br />

59 Erstaunlicherweise wird weder in der ZDB noch in der genannten Sek<strong>und</strong>ärliteratur – mit Ausnahme der Dissertation<br />

von Vormschlag – auf diese Jahrgangsregister verwiesen. Ihre Existenz ist dadurch nahezu unbekannt.<br />

26


EINLEITUNG<br />

Redaktion, diese Frauenzeitschrift auch späterhin noch als Bildungsorgan <strong>und</strong> Nachschlagewerk<br />

zugänglich <strong>und</strong> nutzbar zu machen.<br />

Aus diesen Problemen ergibt sich ein weiteres Anliegen dieser Dissertation: Indem die Strukturen<br />

<strong>und</strong> die Belege der „Gleichheit“ detailliert <strong>und</strong> eindeutig dargestellt werden, soll ein erster Schritt<br />

getan werden, den Zugang zu dieser zentralen schriftlichen Quelle zu erleichtern. Belege zu<br />

Artikeln der „Gleichheit“ werden in den Fußnoten deshalb wie folgt nachgewiesen:<br />

Nachname, Vorname: Aufsatztitel. In: GL, Jahrgang / Nummer / Datum / Seite.<br />

Für die wenigen Fälle, in denen die Beilagen zitiert werden, gilt:<br />

Nachname, Vorname: Aufsatztitel. In: GL, Jahrgang (Jahr)/ „Beilagentitel“ Nummer/ Seite.<br />

Bezüglich „Gleichheit“-Artikeln, die nicht gezeichnet wurden, wird angenommen, dass sie von<br />

den entsprechenden RedakteurInnen verfasst wurden. Artikeln, die nur mit Initialen gezeichnet<br />

wurden, aber einem/einer mutmaßlichen VerfasserIn zugeordnet werden können, wird in eckigen<br />

Klammern jene Mutmaßung vorangestellt; z. B. „[Duncker, Käte?] K. D.“. Ebenso wie die<br />

Schreibweise der VerfasserInnennamen (z. B. Zietz, Louise oder Zietz, Luise) werden auch die<br />

Initialen in ihrer jeweiligen Schreibweise (z.B. Groß- bzw. Kleinschreibung) wie in der<br />

„Gleichheit“ abgedruckt übernommen.<br />

Die in den „Gleichheit“-Artikeln verwendete zeitgenössische Orthographie <strong>und</strong> Schreibweise von<br />

Eigennamen werden unverändert übernommen. So wird auch mit den Hervorhebungen im Text<br />

(vor allem in Sperrdruck) verfahren. Eigene Hervorhebungen im fremden Text erfolgen kursiv<br />

<strong>und</strong> werden mit dem Nachsatz „[Hervorhebungen von M.S.]“ nochmals kenntlich gemacht.<br />

Die Leserschaft der „Gleichheit“ betreffend werde ich vornehmlich von Leserinnen ausgehen,<br />

obwohl nachweislich auch Männer zu ihr gehörten. Um diese sprachlich nicht zu diskriminieren,<br />

werde ich in gegebenen Fällen die sprachbewusste Form „LeserInnen“ verwenden. Im Falle der<br />

Mitarbeiterschaft der „Gleichheit“ wird ähnlich verfahren, jedoch bevorzugt von MitarbeiterInnen<br />

gesprochen.<br />

Mit dieser Dissertation soll anhand der „Gleichheit“ der weibliche Anteil an Geschichte <strong>und</strong> die<br />

Bedeutung zeitgenössischer Presseorgane sichtbar gemacht werden. Zu diesem Zweck wurden<br />

verschiedene Möglichkeiten der typographischen Hervorhebung angewendet:<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich werden die Namen historischer Frauen bei ihrer ersten Nennung fett hervorgehoben<br />

<strong>und</strong> in Klammern mit den Lebensdaten ergänzt, sofern diese ermittelbar waren. Sofern keine<br />

erheblichen Fehler in der Schreibweise der Namen historischer Persönlichkeiten vorliegen, wird<br />

die Schreibweise von der „Gleichheit“ übernommen. Die Namen weiblicher wie auch männlicher<br />

27


EINLEITUNG<br />

Mitarbeiter <strong>und</strong> Autoren der „Gleichheit“ werden außerdem in den Fußnoten durch Kurz-<br />

biographien <strong>und</strong> gegebenenfalls durch eine Auswahl ihrer für die „Gleichheit“ verfassten Artikel<br />

ergänzt. Nicht ermittelbare Lebensdaten werden mit „?“ markiert. Die Namen derjenigen „Gleich-<br />

heit“-MitarbeiterInnen <strong>und</strong> historischen Frauen, deren Biographien in der Zusammenstellung<br />

enthalten sind, werden bei ihrer erstmaligen Nennung nicht nur fett, sondern zusätzlich auch<br />

kursiv hervorgehoben. Bei manchen Frauen, die in den Darstellungen zur Geschichte der Frauen-<br />

bewegung in Deutschland eine zentrale Rolle spielen, wird sich die Hervorhebung ihrer Namen an<br />

gegebener Stelle wiederholen. 60 Ist das Sterbejahr <strong>und</strong> Alter einer Person bekannt, aber das<br />

Geburtsjahr nicht eindeutig ermittelbar, so werden nur die bekannten Angaben in Klammern hin-<br />

zugefügt; z. B. Marie Hoppe (?-1900/ 81-jährig).<br />

Die für die Untersuchung herangezogenen biographischen „Gleichheit“-Artikel sind dem Litera-<br />

turverzeichnis in einem eigens zusammengestellten Verzeichnis angehängt. Dieses ist alphabetisch<br />

geordnet <strong>und</strong> führt für jede Frau nach Erscheinen geordnet alle innerhalb dieser Arbeit<br />

herangezogenen Artikel auf. Außerdem ist jeder dieser Frauen, die einem Leitbild zugeordnet<br />

wurden, eine entsprechende Sigle beigefügt. Auch die biographische Literatur, die für die Vor-<br />

stellung zentraler Personen <strong>und</strong> „Gleichheit“-MitarbeiterInnen herangezogen wurde, ist als<br />

gesondertes Verzeichnis dem Literaturverzeichnis angefügt.<br />

Die Titel zeitgenössischer Presseorgane werden bei ihrer ersten Nennung ebenfalls mit ihren<br />

„Lebensdaten“ ergänzt. 61 Auf diese Weise soll zumindest ein kleiner Eindruck von ihrer Relevanz<br />

für die politische Öffentlichkeit <strong>und</strong> das öffentliche Leben von Frauen gegeben werden.<br />

Methode<br />

Bereits 1976 äußerte die US-amerikanische Historikerin Molly Nolan vehemente Kritik an der<br />

eklatanten Begrenztheit der Methoden <strong>und</strong> Quellen im Rahmen der Erforschung der proleta-<br />

rischen Frauenbewegung. In ihrem Aufsatz „Proletarischer Anti-Feminismus. Dargestellt am Bei-<br />

spiel der SPD-Ortsgruppe Düsseldorf, 1890 bis 1914“ 62 schreibt sie:<br />

„Die Historiker gründen ihre Arbeiten auf Parteitagsprotokolle, Parteiprogramme,<br />

die wichtigsten Parteizeitungen <strong>und</strong> Zeitschriften <strong>und</strong> letztlich auf Briefe,<br />

Memoiren <strong>und</strong> einige allgemeine Statistiken. So wertvoll wie solche Quellen sind,<br />

60 Die Namen entsprechender Frauen, die innerhalb der Fußnoten erstmals auftreten, werden auch mit den<br />

Lebensdaten ergänzt, aber i. d R. nicht weiter hervorgehoben.<br />

61 Die Daten wurden dem Verzeichnis der ZDB entnommen. In einigen Fällen konnten jedoch keine eindeutigen<br />

Zuweisungen vorgenommen werden bzw. müssen vor allem die Jahre, in denen eine Zeitschrift ihr Erscheinen<br />

einstellte, offen bleiben <strong>und</strong> sind mit [?] markiert.<br />

62 Nolan, Molly: Proletarischer Anti-Feminismus. Dargestellt am Beispiel der SPD-Ortsgruppe Düsseldorf, 1890 bis<br />

1914. In: Frauen <strong>und</strong> Wissenschaft. Beiträge zur Berliner Sommeruniversität für Frauen Juli 1976, hrsg. von der<br />

Gruppe Berliner Dozentinnen, Berlin: Courage, 1977, S. 356-377.<br />

28


sie sagen wenig über das Leben <strong>und</strong> das politische Verhalten der <strong>weiblichen</strong> oder<br />

männlichen Mitglieder aus. Nur die geschultesten <strong>und</strong> mächtigen Sozialdemokraten<br />

haben auf den Parteitagen gesprochen.“ 63<br />

EINLEITUNG<br />

Nolans Feststellung war vor allem als eine Kritik an Thönnessen <strong>und</strong> allen sich auf ihn stützenden<br />

US-amerikanischen Studien formuliert, ihrer damaligen Bestandsaufnahme kann aber durchaus<br />

auch hinsichtlich neuerer Arbeiten zugestimmt werden. Tatsächlich wird mit einer Begrenzung der<br />

Quellen auch eine Begrenzung der Methoden <strong>und</strong> Problemstellungen vorgenommen, was wiede-<br />

rum dazu führt, dass bestimmte Entwicklungen verkürzt oder gar verfälscht dargestellt werden. 64<br />

Nolan greift meiner Meinung nach jedoch deutlich zu kurz, wenn sie außerdem behauptet:<br />

„Die meisten SPD-Mitglieder haben die Zeitungen <strong>und</strong> Zeitschriften, die in diesen<br />

Studien benutzt worden sind, offensichtlich nicht gelesen. Die Frauenzeitung ‘Die<br />

Gleichheit’ zum Beispiel wude[sic] auf sehr hohem Niveau geschrieben <strong>und</strong> war<br />

hauptsächlich nur den Funktionärinnen zugänglich <strong>und</strong> verständlich.“ 65<br />

Die Lektüre <strong>und</strong> Analyse der „Gleichheit“ widerlegen diese pauschalisierende Behauptung<br />

Nolans. Zwar kamen in ihr als einem Organ von Partei- <strong>und</strong> Frauenorganisation tatsächlich<br />

bevorzugt die „Elite der Frauenbewegung […] <strong>und</strong> einige andere Prominente, die rednerische <strong>und</strong><br />

schriftstellerische Begabungen entwickelt hatten“ 66 zu Wort, darüber hinaus wurden aber auf aus-<br />

drücklichen Wunsch Zetkins auch Alltagsberichte unbekannter <strong>und</strong> unerfahrener Autorinnen ab-<br />

gedruckt. Solche dürften demnach auch die „Gleichheit“ gelesen haben. Es kann zudem davon<br />

ausgegangen werden, dass an den so genannten „Lese- <strong>und</strong> Diskussionsabenden“, in denen die<br />

„Gleichheit“ zur Gr<strong>und</strong>lektüre wurde, nicht nur die Elite der proletarischen Frauenbewegung teil-<br />

genommen hat. Unbestritten ist, dass das intellektuelle Niveau der „Gleichheit“ sehr hoch war, ein<br />

Sachverhalt, der von Anfang an viele Diskussionen <strong>und</strong> viel Kritik hervorrief. Anfangs beharrte<br />

Zetkin zugegebenermaßen darauf, dass die „Gleichheit“ ein Blatt für Funktionärinnen sei, spätes-<br />

tens 1905 lenkte sie mit der Einrichtung zweier Unterhaltungsbeilagen jedoch ein. Wie Kritik <strong>und</strong><br />

63 Nolan, Proletarischer Anti-Feminismus, S. 359.<br />

64 Beispiel für eine solche Verfälschung ist nach Nolan die Behauptung, die SPD-Parteispitze sei in ein radikalfeministisches<br />

<strong>und</strong> ein revisionistisch-antifeministisches Lager gespalten gewesen. Tatsächlich wird damit der<br />

sozialdemokratische Antifeminismus an einer einzigen politischen Tendenz festgemacht <strong>und</strong> sehr vereinfacht dargestellt.<br />

Dass dem nicht so war <strong>und</strong> ohnehin auch die in der Parteispitze vorherrschenden Verhältnisse nie 1:1 auf<br />

die unteren Ebenen übertragen werden konnten, bestätigen auch spätere Forschungsarbeiten (vgl. Nolan, Proletarischer<br />

Anti-Feminismus, S. 359, die sich hier kritisch auf Honeycutt <strong>und</strong> Thönnessen bezieht) <strong>und</strong> Freier, Dem<br />

Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. 150ff.)<br />

In Bezug auf das „antifeministische“ <strong>und</strong> frauenarbeitsfeindliche Verhalten innerhalb der Arbeiterbewegung teile<br />

ich die Auffassung von Niggemann, dass „in solchen unmarxistischen Aussagen nicht immer Revisionismus oder<br />

Antifeminismus, sondern das Ergebnis eines theorielosen Gefühlssozialismus zu sehen“ (Niggemann, Emanzipation<br />

zwischen Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus, S. 48) ist. Ich weise aber darauf hin, dass auch engagierte, gut geschulte<br />

Sozialisten ein antifeministisches Verhalten an den Tag legen konnten, wenn sie eben nicht nach der<br />

Theorie, sondern nach ihrem Vorurteil handelten.<br />

65 Nolan, Proletarischer Anti-Feminismus, S. 359.<br />

66 Nolan, Proletarischer Anti-Feminismus, S. 358f.<br />

29


EINLEITUNG<br />

Popularisierung tatsächlich die Abonnentinnenzahlen beeinflussten, wird jedoch noch zu klären<br />

sein.<br />

Nolan schlussfolgert trotz allem nicht zu Unrecht, dass<br />

„[w]enn man solche Quellen beutzt[sic], […] man die Geschichte der sozialdemokratischen<br />

Frauenbewegung nur so darstellen [kann], wie sie von oben aussah.“ 67<br />

Damit benennt Nolan aber lediglich das altbekannte <strong>und</strong> nahezu unlösbare Problem, dass der<br />

„einfache Arbeiter“ <strong>und</strong> vor allem die „einfache Arbeiterin“ meist nur im Rahmen statistischer<br />

Erhebungen zum Forschungsgegenstand wurde, selbst aber nie zu Wort gekommen ist. Es gibt nur<br />

wenige Aussagen <strong>und</strong> schon gar keine zeitgenössische Studie, die Gewissheit darüber verschaffen<br />

könnten, wie die Inhalte der „Gleichheit“ aufgefasst, aufgenommen <strong>und</strong> umgesetzt wurden. Diese<br />

Umstände nötigen auch die hier vorliegende Arbeit dazu, die Methoden <strong>und</strong> Inhalte der „Gleich-<br />

heit“ vornehmlich in ihrer gewünschten Wirkung darzustellen <strong>und</strong> zu interpretieren. Zwar streben<br />

neuere, vor allem sozialgeschichtliche Arbeiten eine Erforschung der Basisresonanz <strong>und</strong> der<br />

Frage, ob die Parteispitze die Situation in der Parteimasse immer zutreffend eingeschätzt hatte, an,<br />

aber der „Blick von unten“ bleibt mangels entsprechender Quellen schwierig <strong>und</strong> oft spekulativ.<br />

Deshalb stimme ich besonders Kinnebrock zu, wenn sie anmerkt, dass<br />

„die tatsächlichen Inhalte [von Frauenbewegungszeitschriften; M.S.] […], ihre<br />

spezifischen Funktionen <strong>und</strong> ihre Rolle bei der Förderung des sozialen Wandels –<br />

der Realisierung weiblicher Bürger- <strong>und</strong> Beteiligungsrechte – […] von der Historiographie<br />

kaum aufgearbeitet“ 68 [Hervorhebung von M.S.]<br />

wurden. Denn auch bei Standardquellen wie der „Gleichheit“ oder SPD-Parteitagsprotokollen, die<br />

vollkommen ausgeschöpft scheinen, lohnt sich ein genaueres Hinschauen. Dies umso mehr, da<br />

sich mit den Methoden <strong>und</strong> Erkenntnissen u. a. aus der Sozial-, Frauen- <strong>und</strong> Geschlechterge-<br />

schichte auch in der Geschichtswissenschaft selbst ein Perspektivenwandel vollzogen hat. Diese<br />

neuen Perspektiven machen auch „altbekannte“ Quellen wieder interessant. Für die Erforschung<br />

der proletarischen Frauenbewegung – so die Forderung Nolans <strong>und</strong> Richebächers – muss dies vor<br />

allem bedeuten, Alltagsleben, Sozialisierung, Familien- <strong>und</strong> Arbeitsverhältnisse <strong>und</strong> das politische<br />

Wirken von Frauen auf lokaler <strong>und</strong> regionaler Ebene stärker zu berücksichtigen 69 – eine Forde-<br />

rung, die anfangs tatsächlich eher von den autonomen Einrichtungen der neuen Frauenbewegung<br />

berücksichtigt wurde als von der etablierten Geschichtswissenschaft.<br />

Bei einigen hier angeführten Forschungsarbeiten steht die kritisierte Begrenzung der Quellen-<br />

auswahl <strong>und</strong> der vernachlässigte Perspektivenwandel in einem auffälligen Zusammenhang mit<br />

dem Geschlecht der VerfasserInnen. Zwar bemühen sich die männlichen Autoren, der<br />

67 Nolan, Proletarischer Anti-Feminismus, S. 359.<br />

68 Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk!?, S. 135.<br />

69 Nolan, Proletarischer Anti-Feminismus, S. 359; Richebächer, Lebenszusammenhang <strong>und</strong> Organisation, S. 205.<br />

30


EINLEITUNG<br />

proletarischen Frauenbewegung ihren Platz in der Geschichte der SPD <strong>und</strong> der Arbeiterbewegung<br />

einzuräumen, sie ziehen dafür aber kaum diejenigen Quellen heran, die – wie von Nolan gefordert<br />

– in der „großen Politik“ wie im „kleinen Alltag“ einen frauenspezifischen Blickwinkel ein-<br />

nehmen. Hingegen sind es die <strong>weiblichen</strong> Autoren, die – meist zusätzlich zu ihren eigentlichen<br />

Schwerpunkten – eine Analyse z. B. der Position zur bürgerlichen Frauenbewegung, des gesell-<br />

schaftlichen Frauenbildes <strong>und</strong> des Frauenalltags leisten. Diese Entwicklung steht m. E. in engem<br />

Zusammenhang mit der Institutionalisierung vieler Frauenprojekte <strong>und</strong> Frauengeschichtswerk-<br />

stätten, die – in den 1960er <strong>und</strong> 1970er Jahren gegründet – seit den 1980er Jahren 70 mit der Auf-<br />

arbeitung vergessener Geschichte begonnen haben. Hier entwickelten sich die neuen innovativen<br />

Zugänge, die sozialen, regionalen <strong>und</strong> biographischen Schwerpunkte, mit deren Hilfe Frauen in<br />

der Geschichte sichtbar gemacht werden sollen.<br />

Es verw<strong>und</strong>ert daher auch nicht, wenn die 1975 von Helga Grebing verfasste Publikation „Ge-<br />

schichte der deutschen Arbeiterbewegung“ 71 oder die von Susanne Miller mitherausgegebene<br />

„Kleine Geschichte der SPD“ 72 die proletarische Frauenbewegung <strong>und</strong> auch die „Gleichheit“ mit<br />

keinem einzigen Wort erwähnten – die Zeit war wohl noch nicht gekommen.<br />

Ähnlich der Arbeitsweise Kinnebrocks, die für ihre vergleichende Zeitschriftenanalyse die je-<br />

weiligen Jahrgänge der Zeitschriften „im Rahmen einer Totalerhebung […] systematisch durch-<br />

gesehen“ 73 hat, wurde auch in der vorliegenden Dissertation verfahren <strong>und</strong> die „Gleichheit“ einer<br />

qualitativ-hermeneutischen Inhaltsanalyse unterzogen. Hinsichtlich der Definition der quantitativ<br />

orientierten Forschung als eines Ansatzes, welcher über standardisierte Methoden, Techniken oder<br />

Messinstrumente verfügt, <strong>und</strong> der qualitativ orientierten Forschung, innerhalb derer die Methoden<br />

meist für den jeweiligen Forschungsgegenstand entwickelt <strong>und</strong> differenziert werden, beruft sich<br />

die vorliegende Arbeit vornehmlich auf Philipp Mayrings „Einführung in die qualitative Sozial-<br />

forschung“ 74 . Sich methodisch an der „Gleichheit“ als ihrem Forschungsgegenstand orientierend,<br />

nutzt sie einen ebenfalls von Mayring ausführlich dargelegten Ansatz der qualitativen Forschung:<br />

die Interpretation.<br />

70 So entstand z. B. 1984 aus einer privaten Initiative heraus in Kassel das Archiv der deutschen Frauenbewegung<br />

<strong>und</strong> ein Unterstützerinnenverein (seit 2004 in eine Stiftung umgewandelt).<br />

71 Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 1975.<br />

72 Miller/Potthoff, Kleine Geschichte der SPD. Dieses 1974 erstmals erschienene Werk erfuhr 2002 die 8. Auflage,<br />

doch wurde der entsprechende historische Teil nicht überarbeitet.<br />

73 Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk!?, S. 136.<br />

74 Vgl. Mayring, Philipp: Einführung in die qualitative Sozialforschung. Eine Anleitung zu qualitativem Denken.<br />

5. überarbeitete Aufl. Weinheim, Basel: Beltz, 2002, S. 145.<br />

31


EINLEITUNG<br />

Die Qualitätseinschätzung einer Interpretation, so Mayring, sei aus ihrer argumentativen<br />

Begründung ersichtlich. 75 Qualitatives Denken lasse explizit ein induktives Vorgehen zu <strong>und</strong> so<br />

setzten sich „[a]us einzelnen Beobachtungen […] die ersten Zusammenhangsvermutungen zusam-<br />

men, die dann durch systematische weitere Beobachtungen zu erhärten versucht werden“ 76 . Den<br />

Gr<strong>und</strong>gedanken hermeneutischer, d. h. interpretativer Ansätze skizziert Mayring schließlich so:<br />

„Texte, wie alles vom Menschen Hervorgebachte, sind immer mit subjektiven Bedeutungen,<br />

mit Sinn verb<strong>und</strong>en; eine Analyse der nur äußerlichen Charakteristika<br />

führt nicht weiter, wenn man nicht diesen subjektiven Sinn interpretativ herauskristallisieren<br />

kann.“ 77<br />

Diesbezüglich erscheint die Analyse einer Zeitschrift potenziell besonders ergiebig, da in ihr<br />

äußere Gestaltung <strong>und</strong> innerer Gehalt zusammenspielen <strong>und</strong> beides eine ausgesuchte Botschaft<br />

vermitteln soll. Interessanterweise stellt Mayring fest, dass als systematische Methode der Publi-<br />

zistik für die Analyse von Zeitungsartikeln bisher vor allem die quantitative Inhaltsanalyse heran-<br />

gezogen worden sei. 78 Mit dem Aufkommen der Massenmedien, dem Zweiten Weltkrieg (Analyse<br />

der Feindpropaganda), für Verfassungsschutzzwecke <strong>und</strong> kommerzielle Auftraggeber habe diese<br />

Methode zu Beginn des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts einen Aufschwung <strong>und</strong> wissenschaftliche Spezifizierung<br />

erlebt. Jedoch häuften sich auch die Kritiken, u. a. „‘daß es bisher noch nicht gelungen [sei], mit<br />

Hilfe der Inhaltsanalyse ein griffiges Instrument für die Beschreibung <strong>und</strong> Differenzierung von<br />

Zeitschriften zu entwickeln’.“ 79 Unter diesem Gesichtspunkt ist die Einschätzung des „Zeit-<br />

schriftenforschers“ Rollka sehr interessant, der noch 1985 eine „traditionelle Mißachtung der<br />

Zeitungen <strong>und</strong> des Tagesschrifttums als ernstzunehmende Quelle“ feststellte. Es dominiere ledig-<br />

lich das „‘illustrierende’ Zitieren“ 80 aus diesen wertvollen Quellen. Gerade die Unterhaltungs-<br />

literatur, zu der teilweise auch die biographischen „Gleichheit“-Artikel zu zählen sind, sei als For-<br />

schungsgegenstand viel zu gering geschätzt worden, bis angeregt durch sozialwissenschaftliche<br />

<strong>und</strong> sozialhistorische Ansätze der „mediale[…] Charakter vieler literarischer Produkte“ 81 wieder-<br />

entdeckt werde. Auch die Zeitungswissenschaft stelle verstärkt Fragen sozialer Interaktion in den<br />

Mittelpunkt. 82<br />

75 Vgl. ebd.<br />

76 Mayring, Einführung in die qualitative Sozialforschung, S. 37.<br />

77 Ebd., S. 13f.<br />

78 Mayring, Philipp: Qualitative Inhaltsanalyse. Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Techniken. 8. Aufl., Weinheim, Basel: Beltz, 2003,<br />

S. 24.<br />

79 Koch, V. / Witte, H. / Witte, E. H.: Die Inhaltsanalyse als Meßinstrument. Methodenkritische Aspekte einiger<br />

Inhaltsanalysen von Publikumszeitschriften. In: Publizistik, 1974, Nr. 19, S. 177-184, S. 183. Zit. nach: Mayring,<br />

Qualitative Inhaltsanalyse, S. 25.<br />

80 Rollka, Die Belletristik in der Berliner Presse des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, S. 1.<br />

81 Ebd., S. 6.<br />

82 Ebd., S. 6f.<br />

32


EINLEITUNG<br />

Diesen Fragen nach der sozialen Interaktion sind anhand der „Gleichheit“ <strong>und</strong> anderer Zeit-<br />

schriften bereits Kinnebrock <strong>und</strong> Vormschlag nachgegangen. Beide verzichten dabei ebenfalls<br />

völlig auf quantitative Methoden <strong>und</strong> gehen allein von einer Interpretation des vorgegebenen text-<br />

lichen Materials aus. Kinnebrock jedoch begrenzt sich in ihrer Analyse auf themenspezifische<br />

selbständige Artikel <strong>und</strong> einzelne Meldungen 83 , während Vormschlag das Feuilleton in den Mittel-<br />

punkt ihres Forschungsansatzes stellte. 84 Die vorliegende Arbeit wendet sich dagegen einem<br />

Bereich zu, den zwar auch Gomard in ihrem bereits erwähnten Artikel besprochen, aber nicht aus-<br />

reichend rekonstruiert hat.<br />

Die qualitative Analyse der vorliegenden Arbeit bezieht sich auf die „Gleichheit“ als Publikations-<br />

organ <strong>und</strong> als Quelle eines <strong>weiblichen</strong> Geschichtsbewusstseins. Sie kann sich zu diesem Zweck<br />

nicht nur auf Leitartikel <strong>und</strong> Redaktionsnotizen beschränken, denn zahlreiche Informationen<br />

erschließen sich erst aus der Analyse der Struktur <strong>und</strong> des Erscheinungsbildes dieser Zeitschrift.<br />

Besonders hinsichtlich ihrer Analyse als Quelle frauengeschichtlicher Inhalte sind verschiedenste<br />

Publikationsformen einzubeziehen: Leitartikel, Notizen, Nekrologe <strong>und</strong> Beiträge des Feuilletons.<br />

Die Zusammenstellung der untersuchten Frauenbiographien ist dementsprechend keine beispiel-<br />

hafte Auswahl, sondern eine Rekonstruktion aller im Hauptblatt veröffentlichten Artikel, die<br />

historische bzw. zeitgenössische Frauenbiographien zum Thema haben. Für die Rekonstruktion<br />

wurde der Schwerpunkt auf jene Informationen gelegt, die nicht nur Aufschluss über das Leben<br />

der Person, sondern über deren Charakter <strong>und</strong> damit auch über deren Leitbildfunktion geben.<br />

Besonders jene Charakterbeschreibungen in Verbindung mit dem besonderen Duktus der „Gleich-<br />

heit“ lassen eine systematische Gliederung der Frauenbiographien nach Frauenleitbildern zu. Eine<br />

solche Gliederung kann sowohl kollektivbiographische Zusammenhänge als auch Intentionen<br />

politischer Frauenbildung aufzeigen. Es werden sich dabei sowohl Klischees sozialistischer<br />

Frauenleitbilder bestätigen als auch überraschende Ausnahmen ermitteln lassen. Die Quantität der<br />

hier zu den einzelnen Frauen gegebenen Informationen richtet sich nach Umfang <strong>und</strong> Anzahl der<br />

in der „Gleichheit“ jeweils veröffentlichten Artikel <strong>und</strong> kann entsprechend unterschiedlich aus-<br />

fallen. Die in den Artikeln aufgeführten Angaben zu Personen <strong>und</strong> Ereignissen sollen als solche<br />

nicht verifiziert, sondern in ihrer Bedeutung <strong>und</strong> Wirkung auf die Leserinnen interpretiert werden.<br />

Lediglich die ermittelbaren Lebensdaten <strong>und</strong> Namen der Personen <strong>und</strong> Erscheinungsjahre ihrer<br />

Schriften werden ergänzt. Die Schreibweise von Personennamen wurde aus der „Gleichheit“<br />

übernommen.<br />

83 Vgl. Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 136.<br />

84 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 86 <strong>und</strong> S. 99f.<br />

33


EINLEITUNG<br />

Die Vollständigkeit der frauenbiographischen Artikel <strong>und</strong> ihre Rekonstruktion wurde auch deshalb<br />

angestrebt, um die „entdeckten“ Frauen nun, da sie einmal ins „Auge gefallen sind“, nicht erneut<br />

der Vergessenheit anheim fallen zu lassen.<br />

Inhaltliche Gliederung der Dissertation<br />

Aus dem bisher Dargestellten <strong>und</strong> dem gewählten Schwerpunkt ergibt sich für die hier vor-<br />

liegende Arbeit folgende inhaltliche Gliederung:<br />

1. Eine Überblicksdarstellung der ersten Organisations- <strong>und</strong> Publikationsmöglichkeiten der<br />

proletarischen Frauen des deutschen Kaiserreichs, die als direkte Vorgängerinnen der<br />

„Gleichheit“ zu sehen sind. Die vorliegende Arbeit wird zwar hinsichtlich der Organisations-<br />

geschichte der proletarischen Frauenbewegung keine neuen Erkenntnisse anbieten <strong>und</strong> muss<br />

auch aus Gründen der Kompaktheit auf ihre ausführliche Beschreibung <strong>und</strong> Analyse weitest-<br />

gehend verzichten. 85 Unverzichtbar in Bezug auf ihre Bedeutung für die historischen <strong>und</strong><br />

biographischen Inhalte der „Gleichheit“ ist jedoch das Aufzeigen der Wurzeln proletarischer<br />

Frauenorganisation seit 1848 bis zum Fall des Sozialistengesetzes <strong>und</strong> die Einordnung der<br />

„Gleichheit“ in eine Tradition weiblicher Presseöffentlichkeit.<br />

2. Die Darstellung der „Gleichheit“ als Agitations- <strong>und</strong> Bildungsmittel, als Zeitschrift von<br />

85<br />

34<br />

Frauen für Frauen. Bisherige Forschungsarbeiten sind vorrangig zweigeteilte Darstellungen<br />

der „Gleichheit“. Sie unterscheiden zwischen einer „Ära Zetkin“ <strong>und</strong> der Zeit danach oder<br />

vernachlässigen die Jahre nach der Entlassung Zetkins 1917 gänzlich. Da in den ersten 25<br />

Jahren für Gestaltung <strong>und</strong> Redaktion der „Gleichheit“ vornehmlich Clara Zetkin verantwort-<br />

lich war, kann ohne Zweifel von einer „Ära Zetkin“ gesprochen werden. Ihre Entlassung stellt<br />

eine erhebliche Zäsur dar <strong>und</strong> rechtfertigt eine auf sie abgestimmte Gliederung. Hier soll aber<br />

der – gemäß meiner Recherche – erste Versuch unternommen werden, die „Gleichheit“ <strong>und</strong><br />

ihre „Bausteine“ über ihren gesamten Erscheinungszeitraum darzustellen. Da zu einigen der<br />

an ihr beteiligten Personen bereits ausführliche biographische Studien vorliegen, wird diese<br />

Arbeit den Schwerpunkt auf deren Bedeutung für die „Gleichheit“ legen, da gerade dieses<br />

Engagement für die Zeitschrift in manchen Biographien stark vernachlässigt wurde. Zu<br />

„Gleichheit“-MitarbeiterInnen, deren Biographien weniger gut erschlossen sind, werden,<br />

wenn möglich, zusätzliche Informationen gegeben. In dieser Darstellung werden jene Um-<br />

stände analysiert, die zur Gründung der „Gleichheit“ geführt haben. Es werden ihr Auftrag,<br />

ihre Strukturen, ihr Erscheinungsbild, ihre Finanzen <strong>und</strong> ihr Selbstverständnis untersucht,<br />

Ich verweise hier auf die bereits genannten Gr<strong>und</strong>lagenwerke von Thönnessen, Evans, Niggemann, Albrecht/u a.,<br />

Haarmann <strong>und</strong> Richebächer.


EINLEITUNG<br />

wobei insbesondere die im Verlauf ihres Erscheinens sich ergebenden Veränderungen berück-<br />

sichtigt <strong>und</strong> dargestellt werden sollen.<br />

3. Die Verortung von Frauengeschichte, Frauenleitbildern <strong>und</strong> Frauenbiographien in der<br />

„Gleichheit“. Die „Gleichheit“ hob sowohl als sozialistische Zeitschrift wie auch als Frauen-<br />

zeitschrift besondere Geschichtsbereiche hervor, denn die Vermittlung von Geschichte spielte<br />

in ihrer politischen Aufklärungsarbeit eine zentrale Rolle. Es wird ein Überblick über ihre<br />

frauengeschichtlichen Inhalte gegeben <strong>und</strong> anhand ihrer Berufung auf ein bestimmtes Ge-<br />

schichtsbild die daraus resultierende Problematik von Frauenleitbildern <strong>und</strong> ihre Vermittlung<br />

durch Frauenbiographien erörtert.<br />

4. Eine Zusammenstellung der in der „Gleichheit“ veröffentlichten Frauenbiographien,<br />

Jubiläumsartikel <strong>und</strong> Nekrologe, kategorisiert nach den fünf analysierten Frauenleitbildern<br />

„weiblicher Vollmensch“, „sozialistische Mutter“, „sozialistische Ehefrau“ „Klassenkämp-<br />

ferin“ <strong>und</strong> „Republikanerin“. 86 Den biographischen Darstellungen ist jeweils eine Einführung<br />

in das jeweilige Frauenleitbild vorangestellt. Des Weiteren sind in einem besonderen Kapitel<br />

auch die Biographien bürgerlicher Frauen aufgeführt. Innerhalb der Kategorien werden nach<br />

chronologischen <strong>und</strong> thematischen Aspekten Unterkategorien gebildet, in denen wiederum die<br />

rekonstruierten Biographien der Frauen nach Lebensdaten gegliedert sind. Außer den<br />

ermittelbaren Lebensdaten <strong>und</strong> Vornamen mancher Personen geben die rekonstruierten Bei-<br />

träge nur jene Inhalte, Meinungen, Positionen <strong>und</strong> Geschichtsbetrachtungen wieder, die in den<br />

Artikeln zum Ausdruck kommen. Es werden keine ergänzenden Informationen gegeben, son-<br />

dern lediglich die Darstellungen der „Gleichheit“-Autorinnen rekonstruiert <strong>und</strong> interpretiert. 87<br />

5. Die Zusammenfassung <strong>und</strong> quantitative Auswertung der Ergebnisse. Die Umsetzung der<br />

86<br />

einleitend vorgestellten Forschungsaufgabe wird resümiert, Spezifika des sehr umfassend<br />

dargestellten Materials besprochen <strong>und</strong> durch Untersuchungsergebnisse erläutert. Quantitative<br />

<strong>und</strong> qualitative Ergebnisse sowohl zu den Strukturen der „Gleichheit“ als auch zu ihren In-<br />

halten <strong>und</strong> Intentionen schließen die Arbeit ab.<br />

Interessanterweise gibt es eine ältere Forschungsarbeit, die ähnliches mit deutschen Frauenzeitschriften der Nachkriegszeit<br />

unternommen hat: Schwarz, Ingelene: Wesenszüge der modernen deutschen Frauenzeitschrift. Dissertation<br />

der Freien Universität Berlin 1956. In dieser Arbeit wird die publizistische Ansprache der Leserin in die<br />

Kategorien „Die Frau als Gefährtin des Mannes“, „Die Frau als Mutter <strong>und</strong> Hausfrau“, „Die Frau im Beruf“ <strong>und</strong><br />

„Die Frau als Staatsbürgerin“ unterteilt. Schwarz wollte darstellen, „wieweit die Frauenzeitschrift als jeweiliges<br />

Kind ihrer Zeit das Dasein der Frauen charakterisiert <strong>und</strong> ihrerseits formend zu beeinflussen sucht“ (Schwarz,<br />

Ingelene: Wesenszüge der modernen deutschen Frauenzeitschrift, S. 1).<br />

87 Auch Niggemann hat für den umfangreichen biographischen Anhang seines Gr<strong>und</strong>lagenwerks, das die biographischen<br />

Skizzen von mehr als 300 Frauen enthält, die meisten der in der vorliegenden Arbeit rekonstruierten<br />

Artikel nach den objektivierbaren Daten ausgewertet <strong>und</strong> durch Informationen aus weiteren Quellen ergänzt (vgl.<br />

Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus, S. 295-348). Diese Informationen sind z. T. in<br />

die Kurzbiographien der „Gleichheit“-Mitarbeiterinnen eingeflossen.<br />

35


1 „Nicht auf Sand gebaut“<br />

– Politische Frauenorganisation <strong>und</strong> -presse in Deutschland 1848 bis<br />

1891<br />

1.1 Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich<br />

1.1.1 Die Revolution von 1848 – Wurzel der deutschen Frauenbewegung<br />

Um die Bedeutung der „Gleichheit“ als Vernetzungsinstrument der frühen proletarischen<br />

Frauenbewegung <strong>und</strong> als Quelle der Frauengeschichte vollständig ermessen zu können, ist ein<br />

Blick auf das Frauenleben <strong>und</strong> das Frauenvereinswesen im deutschen Kaiserreich unerlässlich.<br />

Aufgezeigt werden soll, wie es Frauen trotz schwieriger gesellschaftlicher Umstände gelang,<br />

spezifisch weibliche Interessen öffentlich zu formulieren <strong>und</strong> zu vertreten. Auffällig ist es, dass<br />

die Entwicklung der deutschen Frauenbewegung sehr stark regional geb<strong>und</strong>en war <strong>und</strong> dass<br />

einzelnen Frauen <strong>und</strong> einzelnen Organisationen eine wichtige Rolle als Initiatorinnen zukam. 1<br />

Sie wurden zu Wegbereiterinnen auch der proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> damit auch zum<br />

Gegenstand der noch zu analysierenden historischen Frauenbiographien der „Gleichheit“.<br />

„Frausein in Deutschland“ – dieses Schlagwort erscheint nicht zeitgeb<strong>und</strong>en. Vor 200 Jahren<br />

jedoch entbehrte es insbesondere einer Voraussetzung: Deutschland.<br />

Das Deutschland des frühen 19. Jahrh<strong>und</strong>erts war nicht mehr als ein „Zusammenschluss“<br />

einzelner Fürstentümer. Zwar basierte dieser Zusammenschluss nicht nur auf Verträgen <strong>und</strong><br />

verwandtschaftlichen Beziehungen einzelner Fürstenhäuser, sondern auch auf einer gemein-<br />

samen kulturellen Tradition, der Alltag der Bevölkerung jedoch war gerade davon stark<br />

beeinflusst, dass je nach Wohn- <strong>und</strong> Aufenthaltsort stets unterschiedliche Gesetze Geltung<br />

hatten. Regierungsform, Verwaltung, Steuerwesen, Währung, Religion, Gesetzgebung <strong>und</strong> Ge-<br />

setzsprechung waren entweder Ausdruck königlicher, großherzoglicher, herzoglicher oder<br />

gräflicher Oberhoheit. Und so lag es auch im Ermessen dieser höher gestellten Minderheit, die<br />

Mehrheit der Bevölkerung oder auch nur bestimmte Personengruppen an politischen Entschei-<br />

dungen teilhaben zu lassen oder sie bewusst von diesen auszuschließen. 2<br />

Deutschland existierte nur als kulturelles <strong>und</strong> nationales Ideal, nicht als einheitlicher Staat. So<br />

1 Für einen Überblick seien hier besonders empfohlen die Arbeiten: Wischermann, Frauenbewegungen <strong>und</strong><br />

Öffentlichkeiten um 1900; Huber-Sperl, Organisiert & engagiert. Darüber hinaus sind es die bereits erwähnten<br />

regionalen Forschungsarbeiten, die einen detaillierteren Blick auf die Besonderheiten <strong>und</strong> weniger bekannten<br />

Persönlichkeiten proletarischer Frauengeschichte geben können.<br />

2 Neben den hier im Mittelpunkt stehenden Aspekten des Geschlechts <strong>und</strong> der politischen Gesinnung war auch<br />

die Religionszugehörigkeit herausragender Gr<strong>und</strong> für gesellschaftliche Ausgrenzung. Zur Geschichte der<br />

Juden in Deutschland siehe: Elbogen/Sterling, Die Geschichte der Juden in Deutschland; Heid/Schoeps, Juden<br />

in Deutschland.<br />

37


„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />

kam es, dass die deutschen Fürstentümer <strong>und</strong> ihre Bevölkerung Anfang des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts die<br />

französische Fremdherrschaft unter Napoleon I. Bonaparte, ihre Beseitigung durch den Sieg der<br />

Allianzmächte im Oktober 1813 in der „Völkerschlacht“ bei Leipzig <strong>und</strong> die nachfolgende<br />

Restauration der ehemals bestehenden staatlichen Verhältnisse jeweils ganz unterschiedlich er-<br />

lebten. Im Rahmen dieser beträchtlichen Umwälzungen entstand eine nationale Bewegung, ja eine<br />

nationale Begeisterung, die teilweise zwar sehr schwärmerisch motiviert war, aber auch ganz<br />

offen die nationale Einheit wie auch die Demokratisierung <strong>und</strong> Liberalisierung staatlicher Ent-<br />

scheidungsinstanzen <strong>und</strong> Entscheidungsprozesse forderte. Getragen wurde diese Bewegung vor<br />

allem von dem liberalen Bürgertum – den Gelehrten, Dichtern, Kaufleuten, Handwerkern <strong>und</strong> vor<br />

allem den Studenten. 3 Bereits hier <strong>und</strong> noch bevor sich im März 1848 in nahezu allen deutschen<br />

Fürstentümern die politischen Spannungen in Form revolutionärer Kämpfe entladen sollten, muss<br />

eine derjenigen Frauen genannt werden, deren persönliches Schicksal eng mit dem Werden der<br />

deutschen Frauenbewegung verknüpft ist. Denn sie trat bereits in der Zeit des so genannten „Vor-<br />

märzes“, in der sich die liberalen Kräfte konsolidierten, mit Wort <strong>und</strong> Tat hervor <strong>und</strong> gilt bis heute<br />

als Vorkämpferin für die Rechte der deutschen Frauen, ja sogar als entscheidende Gründungsfigur<br />

der deutschen Frauenbewegung schlechthin: Louise Otto-Peters (1819-1895). Als Schriftstellerin<br />

sozialkritischer Romane <strong>und</strong> nationalbegeisterte Dichterin bekannte sie sich schon als junges<br />

Mädchen zu ihrer Sehnsucht nach einem geeinten Deutschland <strong>und</strong> stellte sich in die Reihen der<br />

Nationalrevolutionäre. Schon zu Lebzeiten als „Lerche des Völkerfrühlings“ berühmt, wurde<br />

Otto-Peters aber vor allem durch ihr wichtigstes „Unternehmen“, durch die Gründung der ersten<br />

Frauenzeitung Deutschlands, zu einer herausragenden Persönlichkeit, zu einem <strong>weiblichen</strong> Vor-<br />

bild. Die Gründung der „Frauen-Zeitung“ (1849-1852) ist ein Markstein in der Geschichte der<br />

deutschen Frauenbewegung <strong>und</strong> des deutschen Pressewesens, weshalb sie noch an anderer Stelle<br />

näher vorgestellt werden soll.<br />

Voller Hoffnung <strong>und</strong> Tatendrang konstituierte sich 1848 die Nationalversammlung in der<br />

Frankfurter Paulskirche als demokratische Instanz. Ihre auf die Toleranz <strong>und</strong> persönliche Ko-<br />

operation der Monarchen gesetzte Hoffnung wurde jedoch enttäuscht <strong>und</strong> mit massiver militä-<br />

rischer Gewalt vergolten. Die bürgerliche Revolution, die bürgerlichen Revolutionäre scheiterten<br />

<strong>und</strong> ihre Niederlage – in seiner Gänze vor allem festzumachen an der repressiven Gesetzgebung<br />

der nachfolgenden 1850er Jahre – hatte seine massivsten Auswirkungen interessanterweise gerade<br />

3 Als Beispiel seien hier nur die sieben Professoren aus Göttingen, die so genannten „Göttinger Sieben“ (W.E. Albrecht,<br />

F.C. Dahlmann, H. von Ewald, G. Gervinus, J. Grimm, W. Grimm <strong>und</strong> W.E. Weber) genannt, die für ihren<br />

Protest gegen die Aufhebung der hannoveranischen Verfassung mit dem Verlust ihrer Lehrstühle <strong>und</strong> politischer<br />

Verfolgung büßen mussten.<br />

38


1.1.1 DIE REVOLUTION VON 1848 – WURZEL DER DEUTSCHEN FRAUENBEWEGUNG<br />

auf die rechtliche Situation der Frauen. Paradebeispiel dafür ist das 1850 verabschiedete<br />

„Preußische Vereinsgesetz“, welches in § 8 ausdrücklich besagte:<br />

„‘Für Vereine, welche bezwecken, politische Gegenstände in Versammlungen zu<br />

erörtern, gelten […] nachstehende Beschränkungen:<br />

a) sie dürfen keine Frauenspersonen, Schüler <strong>und</strong> Lehrlinge als Mitglieder aufnehmen;<br />

[…]<br />

Frauenspersonen, Schüler <strong>und</strong> Lehrlinge dürfen den Versammlungen <strong>und</strong> Sitzungen<br />

solcher politischen Vereine nicht beiwohnen. Werden dieselben auf die Aufforderung<br />

des anwesenden Abge-ordneten der Obrigkeit nicht entfernt, so ist Gr<strong>und</strong><br />

zur Auflösung der Versammlung oder der Sitzung […] vorhanden.’“ 4<br />

Um die repressive Gewalt dieses Gesetzes in seiner Konsequenz zu erfassen, muss man sich Fol-<br />

gendes vergegenwärtigen: Es waren die Vereine <strong>und</strong> Verbände, die im Deutschland des 19. Jahr-<br />

h<strong>und</strong>erts die entscheidenden Keimzellen politischer Bestrebungen <strong>und</strong> Veränderungen waren –<br />

wo, wenn nicht hier, hätten Frauen am politischen Leben teilnehmen sollen?! 5 Dieses Gesetz wog<br />

umso schwerer als sich mit ihm die staatliche Diskriminierung der Frau, ihr Ausschluss aus der<br />

politischen Öffentlichkeit nicht auf Preußen beschränkte. Preußen war der einflussreichste aller<br />

deutschen Staaten, eine konstitutionelle Monarchie, die sowohl innerhalb Europas als auch inner-<br />

halb des deutschen Reiches nach einer Vormachtstellung strebte. Durch diese preußische Hege-<br />

monie galt der Ausschluss der Frauen <strong>und</strong> Jugendlichen vom politischen Leben nicht nur in<br />

Preußen selbst, sondern auch in preußennahen Staaten wie Bayern, Braunschweig, Anhalt, den<br />

beiden Mecklenburgs, Reuß <strong>und</strong> Lippe. Dagegen genossen „dank“ der Uneinheitlichkeit des<br />

deutschen Reiches die Frauen in Baden, Württemberg, Hessen, den Hansestädten, Sachsen-<br />

Coburg-Gotha <strong>und</strong> Sachsen-Meiningen eine etwas liberalere Vereinsgesetzgebung. 6<br />

Gesetzestexte wie das Preußische Vereinsgesetz von 1850 unterstellten Frauen per se politische<br />

Unreife <strong>und</strong> manifestierten so ihre untergeordnete Stellung in einer patriarchalischen<br />

Gesellschaft. 7 Genau wie Jugendliche galten sie als unmündig <strong>und</strong> nicht geschäftsfähig, weshalb<br />

4<br />

§ 8 der „Verordnung über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit <strong>und</strong> Ordnung gefährdenden Mißbrauchs des<br />

Versammlungs- <strong>und</strong> Vereinigungsrechts“ vom 11. März 1850. In: Preußische Gesetz-Sammlung 1850, S. 277ff.<br />

Zit. nach: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, S. 519-522, S. 520f.<br />

5 Zweifelsohne stellten die schon zu Beginn des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts von Rahel Varnhagen von Ense (d. i. Rahel Levin)<br />

(1771-1833) <strong>und</strong> Henriette Herz (1764-1847) geleiteten Berliner Salons durchaus eine Keimzelle demokratischer<br />

Öffentlichkeit dar, allerdings dürfte deren Ausstrahlung sich auf einige urbane <strong>und</strong> universitäre Kreise beschränkt<br />

haben (vgl. Hertz, Die jüdischen Salons im alten Berlin).<br />

6 Vgl. Honeycutt, Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in Wilhelmian Germany, S. 98. In Bayern<br />

entsprach Artikel 15 der Landesverfassung diesem Standpunkt weiblicher Driskriminierung. Laut Ihrer waren die<br />

liberalen Vereinsgesetze „nicht besser“. Nur Baden <strong>und</strong> seit einem Ministerialerlass 1891 auch Sachsen seien eine<br />

Ausnahme gewesen, da hier das Vereinsgesetz keine Geschlechtsunterschiede seiner Untertanen gekannt habe<br />

(vgl. Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, S. 5).<br />

7 Es war das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794, das durch die Vormachtstellung Preußens die<br />

Rechtsstellung der meisten deutschen Frauen definierte. Erst im Zuge einer gesetzlichen Vereinheitlichung wurde<br />

1896 vom Deutschen Reichstag das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) verabschiedet. Zur rechtlichen Situation der<br />

39


„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />

sie per Gesetz immer der Vorm<strong>und</strong>schaft eines Mannes – Vater, Onkel, Bruder oder Ehegatte – zu<br />

unterstehen hatten, ja diese nach Meinung der Gesetzgeber sogar unbedingt benötigten. Eigene<br />

politische Interessen eigenständig zu vertreten, daran war für die Frauen in Deutschland nicht zu<br />

denken. Ob bekennende Demokraten oder Monarchisten – die Mehrheit der Männer war ohnehin<br />

der Ansicht, dass die Politik ein zu „garstig Lied“ sei <strong>und</strong> damit dem hohen tugendhaften Wesen<br />

einer Frau abträglich. Die Tatsache, dass eine männlich dominierte Gesellschaft Frauen per Gesetz<br />

jedes politische Engagement untersagte, wurde so in das hehre Licht gerückt, dass man(n) sie<br />

doch lediglich vor einem unerträglichen Ehrverlust schützen wolle.<br />

Bemerkenswerterweise gingen die Ordnungshüter bei einem Verstoß gegen dieses Gesetz jedoch<br />

sehr rigoros vor <strong>und</strong> waren dabei wenig auf die weibliche Ehre bedacht. Jeder erfüllungsbeflissene<br />

Polizeibeamte hatte es in der eigenen Hand, die Vereinsversammlung aufzulösen, wenn die in<br />

Anwesenheit von „Frauenspersonen“ behandelten Gegenstände seiner Meinung nach politisch<br />

waren. Oft der genauen Bestimmungen jedoch unk<strong>und</strong>ig, schlossen Polizeibeamte aber auch dann<br />

Frauen von Versammlungen aus, wenn diese öffentlich waren <strong>und</strong> damit Ausnahmen des Gesetzes<br />

darstellten. Angesichts dieser obrigkeitsstaatlichen Willkür sahen sich manche listigen Frauen<br />

gezwungen, die öffentlichen Versammlungen in Männerkleidung zu besuchen 8 oder in möglichst<br />

großen, ihrer Rechte durchaus bewussten Gruppen zu erscheinen. Durch diese Taktik wurde den<br />

Polizeibeamten ein widerrechtliches Eingreifen erschwert <strong>und</strong> die erwachende Frauenbewegung<br />

sammelte ihre ersten Erfolge gegen den Staat.<br />

Derlei Erfolge änderten aber nichts daran, dass der <strong>weiblichen</strong> Bevölkerung der erwähnten Staa-<br />

ten eine Mitgliedschaft in einem politischen Verein verwehrt war. Auch die Vereine selbst dürften<br />

dem Mitgliedsantrag einer Frau niemals stattgegeben haben – zumal aus Sorge um ihre eigene<br />

Existenz, da jedem Verein, der dem Gesetz zuwiderhandelte <strong>und</strong> anwesende Frauen nicht sofort<br />

des Saales verwies, die Auflösung drohte. Das vor allem von Vertreterinnen der sich später her-<br />

ausbildenden proletarischen Frauenbewegung verwendete Bild der Frauen als „Parias“, als „Un-<br />

berührbare“, ist daher in diesem Zusammenhang ungemein zutreffend. Für all diejenigen Frauen,<br />

die sich von diesem Unerwünschtsein <strong>und</strong> dem nicht durchschaubaren Staatsapparat nicht ein-<br />

schüchtern ließen, war es schließlich an der Zeit, eigene Organisationen ins Leben zu rufen. Orga-<br />

nisationen, die sich zum Ziel setzten, aus <strong>weiblichen</strong> Staatsangehörigen Staatsbürgerinnen zu<br />

machen, zu Inhaberinnen gleicher Rechte <strong>und</strong> gleicher Pflichten.<br />

Frauen siehe: Gerhard, Frauen in der Geschichte des Rechts, 1997.<br />

8 Vgl. Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 20.<br />

40


1.1.1 DER BEGINN DES „HÜBEN UND DRÜBEN“ VON PROLETARISCHER UND BÜRGERLICHER FRAUENBEWEGUNG – DIE ANFÄNGE DES FRAUENVEREINSWESENS IN DEN<br />

1860ER JAHREN<br />

1.1.1 Der Beginn des „Hüben <strong>und</strong> Drüben“ von proletarischer <strong>und</strong> bürgerlicher Frauenbewegung<br />

– Die Anfänge des Frauenvereinswesens in den 1860er Jahren<br />

Das erste Jahrzehnt nach der gescheiterten 1848er-Revolution verstrich in den meisten deutschen<br />

Staaten ohne nennenswerte Bestrebungen, die zu einer Politisierung der Gesellschaft oder gar der<br />

Frauen geführt hätten. Die wenigen Frauenvereine, die in diesem Zeitraum gegründet wurden,<br />

hatten fast ausschließlich karitativen Charakter <strong>und</strong> waren in ihrer Wirkung regional begrenzt. 9<br />

Der erste Frauenverein, der sich damit nicht mehr zufrieden geben wollte, sondern im Gegenteil<br />

deutlich politische <strong>und</strong> auch nationale Intentionen besaß, wurde 1865 von einer Frau ins Leben<br />

gerufen, die bereits keine Unbekannte mehr war: Louise Otto-Peters. Damit stellt Otto-Peters, die<br />

in ihrem Leben, Denken <strong>und</strong> Handeln stets auch die größeren Zusammenhänge im Blick behielt,<br />

eine auffällige Konstante dar.<br />

Zusammen mit der Pädagogin Auguste Schmidt (1833-1902) veranstaltete Otto-Peters vom 16.<br />

bis 18. Oktober 1865 in Leipzig den ersten „Deutschen Frauenkongreß“, in dessen Anschluss es<br />

zur Gründung des „Allgemeinen Deutschen Frauenvereins“ (ADF) 10 kam. Wie der Name bereits<br />

anzeigt, waren seine Forderungen gr<strong>und</strong>sätzlicher Art. Er wollte für alle deutschen Frauen<br />

sprechen – unabhängig von Klasse, Beruf oder innerdeutscher Staatsangehörigkeit. Ein Blick auf<br />

seine Statuten <strong>und</strong> in sein ebenfalls neu gegründetes Publikationsorgan „Neue Bahnen“ (1866-<br />

1919) zeigt aber, dass von einem allgemeinen Anspruch nicht die Rede sein konnte. Stand im<br />

Mittelpunkt seiner Bestrebungen stets das Recht auf Bildung <strong>und</strong> Erwerb <strong>und</strong> in direktem<br />

Zusammenhang damit auch das Recht auf politische Mitbestimmung, so war dieses Recht auf Er-<br />

werb zu der damaligen Zeit vornehmlich ein Anliegen bürgerlicher Frauen. Dagegen scheint<br />

weder ein solches Erwerbsrecht noch das eingeforderte Recht auf Bildung im unmittelbaren<br />

Interesse proletarischer Frauen gelegen zu haben. Proletarische Frauen – ob sie wollten oder nicht<br />

– standen ohnehin meist mitten im Erwerbsleben – <strong>und</strong> dies unter sehr schwierigen Bedingungen:<br />

Die Industrialisierung hatte seit den 1850er Jahren Handwerk <strong>und</strong> Handel in sehr großem Maße<br />

9 Für eine tabellarische Übersicht über die ersten Frauenvereine im Deutschen Kaiserreich siehe: Tabelle 1<br />

„Aufstellung früher regionaler proletarischer Frauenorganisationen“ <strong>und</strong> Tabelle 2 „Entstehung <strong>und</strong> Entwicklung<br />

von Frauenorganisationen 1865-1908 in Anzahl der Verbände“.<br />

10 1877 gab Otto-Peters eine Mitgliederzahl des ADF <strong>und</strong> aller angeschlossenen Vereine von 11.000-12.000 Frauen<br />

bekannt (vgl. Twellmann, Die deutsche Frauenbewegung, S. 52). Zu der Entwicklung des Mitgliederstandes<br />

bürgerlicher Frauenvereine (vgl. ebd. <strong>und</strong> Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung <strong>und</strong><br />

Neuer Weiblichkeit, S. 110f.). Kinnebrock bezeichnet die Gründung des ADF als „Geburtsst<strong>und</strong>e der ersten deutschen<br />

Frauenbewegung“, weil sich hier zum ersten Mal „ein nicht nur lokal, sondern deutschlandweit agierender<br />

Frauenverein“ formiert habe. Zu vernachlässigen seien dabei die Vereinsgründungen in der 1848er-Revolution,<br />

weil diese ja im Zuge der Reaktion wieder aufgelöst wurden – also keine langfristigen Gründungen waren (vgl.<br />

Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 139).<br />

41


„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />

verändert. Der technische Fortschritt brachte die maschinelle Arbeitskraft, die nicht nur der<br />

menschlichen direkt Konkurrenz machte, sie nivellierte auch deren Fähigkeiten. Indem nämlich<br />

bei der Bedienung industrieller Maschinen langjährig erworbene handwerkliche Fähigkeiten nur<br />

noch bedingt nötig waren, schwanden die Unterschiede zwischen gelernten <strong>und</strong> ungelernten Ar-<br />

beitskräften. Die Folge war die beliebige Ersetzbarkeit von Arbeitskräften – auch die von<br />

männlichen durch weibliche – <strong>und</strong> ein zunehmender Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt.<br />

Diese Situation versetzte Unternehmer in die Lage, die Arbeitsbedingungen zu diktieren: Nied-<br />

rigere Löhne, längere Arbeitszeiten <strong>und</strong> extrem ges<strong>und</strong>heitsschädliche Arbeitsbedingungen. Nicht<br />

selten waren deshalb Arbeiterfrauen – wollten sie die Versorgung ihrer Familien gewährleisten –<br />

gezwungen, neben ihrer Hausarbeit einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Wenn dies bereits auf<br />

verheiratete Proletarierinnen zutraf, so erst recht auf unverheiratete <strong>und</strong> verwitwete. Manchmal<br />

endete die Erwerbstätigkeit einer proletarischen Frau zwar mit ihrer Heirat, doch nicht selten kam<br />

zu der Erwerbstätigkeit als Arbeiterin nun auch noch die Verantwortung für den familiären Haus-<br />

halt als Arbeiterfrau hinzu – dies bedeutete für viele eine schwere Doppelbelastung.<br />

Die bürgerlichen Frauen forderten das Recht auf Erwerb aber nicht, um sich einigermaßen<br />

sinnvoll zu beschäftigen, sondern es gab auch unter ihnen aus vielerlei Gründen zunehmend<br />

unversorgte Personen, denen, wie den Proletarierinnen, oftmals keine andere Wahl blieb, als ihren<br />

eigenen Unterhalt selbst zu verdienen. Jedoch waren die Art der Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> die Art der<br />

Tätigkeitsbereiche, deren Öffnung sie einforderten, ganz andere als die der Proletarierinnen. Auch<br />

eine längere schulische Ausbildung oder gar ein Hochschulstudium 11 waren für die Masse der<br />

Arbeiterinnen <strong>und</strong>enkbar. Ihre ganze Lebenssituation – vor allem die Notwendigkeit, bereits im<br />

Kindesalter zum Erwerb der Familie beizutragen – ließ dies einfach nicht zu. Doch auch gesetzt<br />

den Fall, dass ihnen die nötige Zeit <strong>und</strong> die finanziellen Mittel zur Verfügung gestanden hätten,<br />

wären ihnen ihre Klassenzugehörigkeit <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen Vorurteile zu einem<br />

unüberwindlichen Hindernis geworden.<br />

So wurde die Gründung des ADF, indem dieser die Frauenbildungsfrage in den Mittelpunkt<br />

rückte, zwar einerseits zum Initial der bürgerlichen Frauenbewegung, andererseits manifestierte<br />

sich in dieser Gründung aber sehr deutlich der auch hinsichtlich weiblicher Interessen existierende<br />

11 Das erste deutsche Mädchengymnasium wurde 1893 in Karlsruhe gegründet. Im Gegensatz zu den Universitäten<br />

in Süddeutschland (Baden 1900) nahmen preußische Universitäten offiziell erst 1908 Studentinnen auf. Einige<br />

deutsche Universitäten – nicht aber unbedingt auch deren Professoren – vergaben bis dahin zumindest den Status<br />

einer Gasthörerin. Frauen, denen das nicht genug war <strong>und</strong> die mittels eines Studiums auch einen Beruf anstrebten,<br />

gingen zum Studium z. B. in die Schweiz. Jedoch wurde vielen Heimkehrenden die Anerkennung ihres Abschlusses<br />

<strong>und</strong> damit die Ausübung ihres Berufes verwehrt. Zur Geschichte des Frauenstudiums in Deutschland siehe:<br />

Schöck-Quinteros/Dickmann, Barrieren <strong>und</strong> Karrieren. Die Anfänge des Frauenstudiums in Deutschland; Schlüter,<br />

Pionierinnen – Feministinnen – Karrierefrauen?.<br />

42


1.1.1 DER BEGINN DES „HÜBEN UND DRÜBEN“ VON PROLETARISCHER UND BÜRGERLICHER FRAUENBEWEGUNG – DIE ANFÄNGE DES FRAUENVEREINSWESENS IN DEN<br />

1860ER JAHREN<br />

Klassenunterschied 12 . Indem bei diesen ersten aufbrechenden Gegensätzen im gemeinsamen<br />

Kampf der Frauen um Gleichberechtigung bereits von einer „Abspaltung“ 13 der proletarischen<br />

Frauenbewegung gesprochen werden kann, bestätigt sich im Rückschluss, dass die Wurzeln jeder<br />

deutschen Frauenbewegung tatsächlich im Bildungsbürgertum zu suchen sind. Angesichts der dar-<br />

gestellten Interessenunterschiede war aber jene Loslösung der proletarischen Frauenbewegung<br />

von der bürgerlichen bzw. bürgerlich dominierten Frauenbewegung unabdingbar. So hatte die<br />

Gründung des ADF auch eine besondere Signalwirkung für die proletarischen Frauen: Vor allem<br />

in denjenigen Staaten, in denen das Preußische Vereinsgesetz nicht wirksam war, gründeten sich<br />

erste Arbeiterinnenvereine – teils in Nachahmung, teils in prinzipieller Auseinandersetzung mit<br />

dem ADF. Interessanterweise wurde jedoch keine nord- oder süddeutsche Stadt, sondern aus-<br />

gerechnet das „urpreußische“ Berlin zum Mittelpunkt der frühen Arbeiterinnenbewegung. 14 Es<br />

wurde Sitz des „Vereins zur Fortbildung <strong>und</strong> geistigen Anregung der Arbeiterfrauen“ (1869-1871)<br />

<strong>und</strong> des „Hausfrauenvereins“ (1873) – beides jedoch noch Organisationen, die nur dem Vereins-<br />

namen nach die Interessen der Arbeiterinnen vertraten. In Wirklichkeit unterstanden auch sie noch<br />

der Leitung bürgerlicher „Damen“ <strong>und</strong> betrieben Arbeiterinnenbildung, die meist karitativ, ethisch<br />

oder religiös intendiert war. Mit politischer Aufklärung oder „dem Ideengange einer Arbeiterfrau<br />

mit ihren Alltagssorgen ums tägliche Brod“ 15 hatte dies noch wenig bis gar nichts zu tun. Für die<br />

Sozialdemokratin <strong>und</strong> Gewerkschafterin Emma Ihrer (1857-1911) 16 war es im Rückblick auf die<br />

Ereignisse deshalb auch nicht verw<strong>und</strong>erlich, dass solcherlei Vereine stets wieder eingingen,<br />

„theils weil die Bürgerlichen es müde waren, Kraft, Zeit <strong>und</strong> Geld aufzuwenden,<br />

ohne Erfolge dafür zu sehen, theils weil Diejenigen, um deren bessere Ausbildung<br />

man sich bemühte, der Sache kein Interesse entgegenbrachten, kurz, weil beide<br />

Theile sich einfach nicht verstanden, da sie gleichsam aus verschiedenen Welten<br />

kamen, ihre Sprache, ihre Gewohnheiten, ihr Denken <strong>und</strong> Fühlen so gr<strong>und</strong>ver-<br />

12 Der öffentlichkeitswirksame Kampf gegen die Rechtlosigkeit der Frau wurde „zunächst von einem Theil der<br />

Frauen der ‘oberen Zehntausend’ […] eingeleitet“ (Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, ihre<br />

Entstehung <strong>und</strong> Entwickelung, S. 3). Auch später zeigte sich, dass viele der Führerinnen der proletarischen<br />

Frauenbewegung zumindest bürgerlicher Herkunft waren – im Falle Zetkins meint Puschnerat sogar von einem<br />

durchgängigen Verhaftetsein in der bürgerlichen Mentalität sprechen zu können (vgl. Puschnerat, Clara Zetkin –<br />

Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus).<br />

13 Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 140.<br />

14 Frühe Publikationen zur Entstehung der Arbeiterinnenbewegung sind: Berger, A.: Die zwanzigjährige Arbeiterinnen-Bewegung<br />

Berlins <strong>und</strong> ihr Ergebnis. Berlin 1889; Ihrer, Emma: Die Organisationen der Arbeiterinnen<br />

Deutschlands, ihre Entstehung <strong>und</strong> Entwicklung. Berlin 1893; Ihrer, Emma: Die Arbeiterinnen im Klassenkampf.<br />

Hamburg 1898; Lüders, Else: Arbeiterinnenorganisation <strong>und</strong> Frauenbewegung. 2. Aufl., Leipzig 1904.<br />

15<br />

Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 7. Dies war ein Kommentar Ihrers zum 1869 von Louise Otto-Peters gegründeten<br />

„Verein zur Fortbildung <strong>und</strong> geistigen Anregung der Arbeiterfrauen“.<br />

16 Da die in der „Gleichheit“ veröffentlichten Nekrologe auf Ihrer in der vorliegenden Arbeit noch detailliert besprochen<br />

werden, wird an dieser Stelle auf eine biographische Information verzichtet.<br />

43


„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />

schieden von einander war, eine natürliche Folge der Klassenunterschiede […].“ 17<br />

Diese Klassenunterschiede konnten <strong>und</strong> durften nicht ohne weiteres ignoriert werden. Arbeiter-<br />

innenvereine unter bürgerlicher Protektion bzw. Bevorm<strong>und</strong>ung waren Ihrers Meinung nach alles<br />

andere als hilfreich für die gedeihliche Entwicklung einer Volksbewegung – <strong>und</strong> eben eine solche<br />

zu werden, war das Ziel der proletarischen Frauenbewegung. Das Wesen einer solchen Frauenbe-<br />

wegung werde dagegen voll entfaltet mittels<br />

„der treibenden inneren Kraft, welche sich gegen äußerliche Hemmnisse stemmt,<br />

im Widerstande erstarkt <strong>und</strong> sich den aufgezwungenen Formen anpaßt, ohne ihren<br />

wahren Kern, ihr eigentliches Wesen zu verlieren“ 18 .<br />

Dieser Wachstumsprozess – so Ihrer im Rückblick auf die Entwicklung – sei zwar langsam, aber<br />

in seiner Selbständigkeit effektiver gewesen als die „künstliche Nachhilfe“ 19 wie sie zu Beginn der<br />

Arbeiterinnenbewegung betrieben worden sei. 20 So gründeten sich in den 80er Jahren des 19. Jahr-<br />

h<strong>und</strong>erts schließlich verstärkt „echte“ Arbeiterinnenvereine, die eben nicht wie der ADF ver-<br />

meintlich allgemeine Fraueninteressen vertreten oder karitative Aufgaben erfüllen wollten,<br />

sondern sich ganz bewusst vorerst einmal branchenspezifisch, d. h. vornehmlich nach Berufs-<br />

gruppen organisierten, um gezielt Arbeiterinnenrechte einzufordern.<br />

Unter diesen Gesichtspunkten war der 1872 in Berlin gegründete „Arbeiterfrauen- <strong>und</strong> Mädchen-<br />

Verein“ etwas wirklich Außergewöhnliches, denn mit seinen Gründerinnen Bertha Hahn (?-?),<br />

Pauline Staegemann (1830-1909), ? Gr<strong>und</strong>emann (?-?) <strong>und</strong> Johanne Schackow (?-1902)<br />

waren es endlich „energische, zielbewußte Arbeiterfrauen“ 21 , die einer Frauenorganisation vor-<br />

standen. Ihre rege Agitationstätigkeit ließ den Verein schnell in ganz Deutschland immer mehr<br />

Nachahmung finden. Weil er durch diesen Erfolg jedoch drohte, zur Keimzelle einer politischen<br />

Bewegung zu werden, wurde er bereits 1877 mit Verweis auf das preußische Vereinsgesetz<br />

aufgelöst. Als eine besondere „Tugend“ der proletarischen Frauenbewegung zeichnete sich jedoch<br />

bereits damals die Beharrlichkeit ab, sodass es bald zu einem neuen Organisationsversuch kam.<br />

Mit Marianne Menzzer (1814-1895) aus Dresden <strong>und</strong> Johanna Friederike Wecker (?-?) aus<br />

Frankfurt am Main waren es 1881 zwei „Demokratinnen vom alten Schlag“ 22 , die die<br />

Arbeiterinnen aufriefen, „sich zu vereinigen <strong>und</strong> gemeinsam zur Wehr zu setzen gegen die krasse<br />

17<br />

Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 7f.<br />

18 Ebd., S. 7.<br />

19 Ebd.<br />

20 Vgl. ebd.<br />

21<br />

Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 8.<br />

22 Ebd., S. 9. Demokratinnen wie Menzzer wurden später von der „Gleichheit“ zwar für ihre Pionierarbeit geehrt,<br />

aber eher der bürgerlichen Frauenbewegung zugerechnet – so auch in der biographischen Zusammenstellung<br />

dieser Arbeit.<br />

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1.1.1 DER BEGINN DES „HÜBEN UND DRÜBEN“ VON PROLETARISCHER UND BÜRGERLICHER FRAUENBEWEGUNG – DIE ANFÄNGE DES FRAUENVEREINSWESENS IN DEN<br />

1860ER JAHREN<br />

Ausbeutung ihrer Arbeitskraft“ 23 . Daraus resultierte die Gründung des „Frauen-Hilfs-Vereins für<br />

Handarbeiterinnen“ (1883). Sein agitatorischer Erfolg <strong>und</strong> die Anzahl der Mitglieder blieb jedoch<br />

sehr gering. Außerdem habe es, so Ihrer kritisch, „den Führenden noch an der nöthigen Einsicht,<br />

sowie auch an Gemeinsinn <strong>und</strong> dem Selbstständigkeitsgefühl“ 24 gefehlt. 25 Dennoch trug auch<br />

dieser Verein zum Wachsen der proletarischen Frauenbewegung bei, denn<br />

„[v]on diesem Verein war ein Häuflein thatkräftiger Frauen zusammen geblieben,<br />

welche durch diese Erfahrungen gelernt hatten, wie man es nicht anfangen dürfe,<br />

um etwas für die Arbeiterinnen Ersprießliches zu erreichen.“ 26 [Hervorhebungen<br />

von M.S.]<br />

Das „Häuflein thatkräftiger Frauen“ wies zwar keine namhaften Frauen der „Ersten St<strong>und</strong>e“,<br />

keine Otto-Peters oder Schmidt auf, aber doch Frauen, die noch zu bekannten Führerinnen einer<br />

originären proletarischen Frauenbewegung werden sollten. Denn es waren Frauen wie Emma<br />

Ihrer, ? Dräger (?-?) <strong>und</strong> ? Haase (?-?), die zunehmend den Führungsanspruch bürgerlicher<br />

Frauen kritisierten, so z. B. wenn diese wie in einer öffentlichen Versammlung in Berlin 1882 ver-<br />

suchten,<br />

„den Arbeiterinnen nicht etwa die Hand zu bieten zum gemeinsamen Kampfe,<br />

sondern […] Protection zu üben über die Frauen <strong>und</strong> Töchter der Arbeiterklasse,<br />

die anerkennen sollten, wie nöthig es sei, für die Hebung der Sittlichkeitdes[sic]<br />

Arbeiterstandes zu sorgen“ 27 .<br />

Allzu oft glaubten bürgerliche Frauen als Expertinnen im Interesse der Arbeiterinnen zu handeln,<br />

wenn sie Debatten über deren Sittlichkeit <strong>und</strong> über die Abschaffung der Prostitution führten. Tat-<br />

sächlich degradierten sie auf diese Weise die Arbeiterinnen aber auch zu Sozialfällen, zu Objekten<br />

bürgerlicher Mildtätigkeit <strong>und</strong> Bevorm<strong>und</strong>ung. Wenn sich also im konkreten Fall in Berlin nur<br />

einige Monate später 1883 ein Verein für Arbeiterinnen – der „Frauen-Hilfs-Verein für Handarbei-<br />

terinnen“ – gründete, dann ist dies durchaus auch als „Trotzreaktion“ zu beurteilen. 28<br />

Das Selbstbewusstsein der Proletarierinnen wuchs – <strong>und</strong> dies in doppelter Hinsicht: Einerseits als<br />

zunehmende Courage <strong>und</strong> andererseits als Bewusstsein der spezifischen Eigenart proletarischer<br />

23 Ebd.<br />

24 Ebd., S. 10.<br />

25 Gr<strong>und</strong> zu dieser Kritik gab z. B. der sonderbare Umstand, dass Fabrikarbeiterinnen als Mitglieder ausgeschlossen<br />

waren, aber bürgerliche Frauen <strong>und</strong> sogar Männer hingegen Ehrenmitglieder werden konnten (vgl. Ihrer, Arbeiterinnen<br />

im Klassenkampf, S. 9). Laut Gerhard sei der Vorwurf Ihrers nicht gerechtfertigt, da eine Unterscheidung<br />

in Hand- <strong>und</strong> Fabrikarbeit in der Blütezeit der Hausindustrie noch keinen Sinn gemacht habe (vgl. Gerhard, Unerhört,<br />

S. 129).<br />

26<br />

27<br />

Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 10.<br />

Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, S. 4.<br />

28 Vgl. ebd., S. 5.<br />

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„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />

Probleme. So entstand 1885 der „Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen“. 29 In ihm<br />

engagierte sich erstmalig gemeinsam eine ganze Reihe herausragender Führerinnen wie Gertrud<br />

Guillaume-Schack (1845-1903), Marie Hofmann (?-?), ? Kreutz (?-?), Ida Cantius (?-?), ?<br />

Leuschner (?-?), erneut auch Staegemann, Haase <strong>und</strong> Ihrer. 30 Dieser Verein weist eine besonders<br />

durchdachte Organisation auf, indem er sich in Fachkommissionen <strong>und</strong> Branchen-Versammlungen<br />

gliederte. Er sammelte statistisches Material, legte eine Bibliothek an, formulierte spezifische<br />

Interessen <strong>und</strong> entwickelte Strategien, diese auch durchzusetzen. 31 Zunehmend erhöhten sich nicht<br />

nur die Zahl seiner Mitglieder, sondern auch die Unstimmigkeiten innerhalb der Gruppe, die<br />

schließlich zur Abspaltung <strong>und</strong> Gründung des „Nord-Vereins“ unter Leitung von ? Pötting (?-?),<br />

? Grothman (?-?) <strong>und</strong> Cantius führten. Die Unstimmigkeiten waren aber wohl nicht so<br />

gravierender Art, dass nicht weiterhin beide Vereine einen gemeinsamen Kreis von ReferentInnen,<br />

Rechtsanwälten <strong>und</strong> Ärzten für ihre Arbeit in Anspruch nehmen konnten. 32<br />

<strong>Von</strong> diesen Berliner Arbeiterinnenvereinen ging eine große agitatorische Wirkung aus. Laut Ihrer<br />

waren es gerade die Negativschlagzeilen in der konservativen Presse, die die Arbeiterinnen in<br />

ganz Deutschland dazu bewegten, es den Berlinerinnen gleichzutun. 33 Schließlich erfolgte im Mai<br />

1886 das absehbare Verbot der drei Berliner Arbeiterinnenvereine „Verein zur Vertretung der<br />

Interessen der Arbeiterinnen“, „Verein der Mantel-Näherinnen“ <strong>und</strong> „Nordverein der Arbeiter-<br />

innen“. Willkommener Vorwand dafür war den Behörden eine als politisch bef<strong>und</strong>ene Petition, in<br />

der die Zulassung von Frauen zu Gewerbegerichten gefordert wurde. Den Hausdurchsuchungen<br />

<strong>und</strong> der Beschlagnahme aller schriftlichen Materialien folgten die Anklage der Leiterinnen <strong>und</strong><br />

viele langwierige Voruntersuchungen. 34 Obwohl „alle Kreuz- <strong>und</strong> Querverhöre […] äußerst ge-<br />

ringe Ergebnisse“ 35 zeitigten, wurden die verantwortlichen Frauen mit Haft- <strong>und</strong> Geldstrafen be-<br />

langt. Es folgte eine grenzüberschreitende Verbotswelle, die auch die jeweiligen Vereine in Halle<br />

29 Für eine nähere Beschreibung des „Vereins zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen“ siehe: Hartwig/<br />

30<br />

Wischermann, Staatsbürgerin.<br />

Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 12. Guillaume-Schack war für diesen Verein die Leitung angetragen<br />

worden, da sie aber als schweizerische Staatsangehörige unter dem Sozialistengesetz mit Ausweisung rechnen<br />

musste, lehnte sie diese ab. Stattdessen wurde sie zur Ehrenpräsidentin gewählt, „weil man sie in irgend einer<br />

Form als betheiligt wünschte. Sie legte aber nach Jahresfrist das Ehrenamt nieder, um nicht in einem Verein, der<br />

auf vollkommene Gleichberechtigung gegründet war, eine Ausnahmestellung einzunehmen“ (ebd.).<br />

31 Die von Guillaume-Schack herausgegebene „Staatsbürgerin“ wird noch eigenständig in dieser Arbeit behandelt;<br />

siehe: Kapitel 1.3.<br />

32 Vgl. ebd., S. 16<br />

33 Vgl. ebd., S. 12.<br />

34 Die polizeiliche Beschlagnahmung führte dazu, dass Arbeiterinnenorganisationen häufig keinerlei Organisationsunterlagen<br />

mehr anlegten, was die Dokumentation <strong>und</strong> geschichtswissenschaftliche Erforschung dieser frühen<br />

Arbeiterinnenvereingungen erheblich erschwert.<br />

35 Ebd., S. 17.<br />

46


1.1.1 DER BEGINN DES „HÜBEN UND DRÜBEN“ VON PROLETARISCHER UND BÜRGERLICHER FRAUENBEWEGUNG – DIE ANFÄNGE DES FRAUENVEREINSWESENS IN DEN<br />

1860ER JAHREN<br />

a. d. S., Luckenwalde, Zietz, Gera, Frankfurt a. M. <strong>und</strong> Düsseldorf wegspülte. 36 Die Existenz der<br />

Mehrzahl dieser Arbeiterinnenvereine war demnach nur von kurzer Dauer gewesen – oft be-<br />

standen sie nur ein paar Monate lang. Der katholische Arbeiterfunktionär Joseph Joos 37 be-<br />

zeichnete sie deshalb als „Verlegenheitsgründungen“ 38 <strong>und</strong> auch Ihrer bekannte selbstkritisch, dass<br />

sich mancher Verein auflösen musste, „ohne bleibende Spuren zu hinterlassen“ 39 . Es ist jedoch die<br />

erwähnte Beharrlichkeit, die die Historikerin Klausmann besonders hervorhebt, wenn sie ihre<br />

Ausführungen zur proletarischen Frauenbewegung Frankfurts der 1880er <strong>und</strong> 1890er Jahre mit<br />

der Überschrift „Der permanente Neuanfang“ 40 versieht.<br />

Diese Kurzlebigkeit der Arbeiterinnenvereine steht in signifikantem Gegensatz zu der Lebens-<br />

dauer der bürgerlichen Frauenvereine. Letztere genossen eine relative Sicherheit vor allzu grober<br />

Verfolgung <strong>und</strong> hatten dies nicht nur ihrer scheinbar unpolitischen Haltung zu verdanken, sondern<br />

auch der Klassenzugehörigkeit ihrer Mitglieder. Ordnungshüter <strong>und</strong> Behörden bewiesen ihnen<br />

gegenüber deutlich mehr Rücksichtnahme als gegenüber einfachen Arbeiterinnen. Die von<br />

(geheim)polizeilichen Beamten ihren Vorgesetzten vorgelegten Mitschriften 41 geben Einschät-<br />

zungen zum Charakter sowohl der Veranstaltung als auch der Rednerinnen <strong>und</strong> lieferten letztlich<br />

im Falle der Arbeiterinnen den Vorwand für ein Verbot des ganzen Vereins, die Verhaftung seiner<br />

leitenden Mitglieder <strong>und</strong> deren Bestrafung, Ausweisung oder Inhaftierung. Einzelne bürgerliche<br />

Vereine erfreuten sich dagegen sogar königlich-hoheitlicher Protektion. Der Lette-Verein (gegr.<br />

36 Vgl. Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, S. 5. In diesem Zusammenhang greift Ihrer den<br />

Entwicklungen voraus <strong>und</strong> erwähnt einen in Breslau gegründeten Verein, der verboten wurde, „weil in einer Sitzung<br />

desselben ein Artikel aus der ‘Gleichheit’, dem Organ der Sozialistinnen, vorgelesen wurde, der die Sammlung<br />

<strong>und</strong> Veröffentlichung von Fabrik-Arbeitsordnungen befürwortete“ (ebd).<br />

37 Der aus dem Elsass stammende Modelltischler <strong>und</strong> spätere Redakteur Joseph Joos (1878-1965) engagierte sich<br />

sehr stark innerhalb des katholischen Arbeiterflügels. Er stand in engem Kontakt mit dem „Volksverein für das<br />

katholische Deutschland“. Dieser war nicht nur Herausgeber der hier herangezogenen Schrift Joos‘ „Die sozialdemokratische<br />

Frauenbewegung in Deutschland“ (1912), sondern auch Abonnent der „Gleichheit“ – die von mir<br />

eingesehene Sammlung ist eine Kopie aus dem Bibliotheksbestand dieses Vereins.<br />

38<br />

Joos, Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Deutschland, S. 12.<br />

39<br />

Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, S. 4. Auch Joos verwendete für alle damals<br />

gegründeten Arbeiterinnenvereine eben jene Formulierung – ohne sie jedoch als Zitat kenntlich zu machen (vgl.<br />

Joos, Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Deutschland, S. 13.) Gerade die schriftstellerische Arbeit<br />

Ihrers – vor allem ihre frühen Standardwerke „Die Organisation der Arbeiterinnen Deutschlands, ihre Entstehung<br />

<strong>und</strong> Entwicklung“ (1893) <strong>und</strong> „Die Arbeiterinnen im Klassenkampf. Anfänge der Arbeiterinnen-Bewegung, ihr<br />

Gegensatz zur bürgerlichen Frauenbewegung <strong>und</strong> ihre nächsten Aufgaben“ (1898) – stehen ganz im Zeichen einer<br />

Geschichtstradition <strong>und</strong> Spurensuche. Eine wichtige Quelle ist die von Ihrer angefertigte <strong>und</strong> nach Ortschaften<br />

alphabetisch geordnete Aufstellung der in Deutschland existierenden regionalen Arbeiterinnenorganisationen. Sie<br />

enthält kurze Angaben zum Gründungsjahr, zu jeweiligen Zielsetzungen, zu den Namen <strong>und</strong> Adressen der<br />

Vorsitzenden, zu Mitgliederzahlen <strong>und</strong> Mitgliedsbeiträgen einschließlich ihrer Verwendung (vgl. Ihrer, Die<br />

Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, S. 8-15, siehe: Tabelle 1 „Aufstellung früher regionaler proletarischer<br />

Frauenorganisationen“).<br />

40<br />

Klausmann, Politik <strong>und</strong> Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich, S. 107.<br />

41 Zum Kampf der Frauen gegen die Behörden siehe: Dertinger, Weiber <strong>und</strong> Gendarm.<br />

47


„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />

1866) zum Beispiel – benannt nach dem Pädagogen Wilhelm Adolf Lette – genoss die Schirm-<br />

herrschaft von Kronprinzessin Viktoria von Preußen (1840-1901). Zu Beginn trat er vor allem<br />

für die Bildung <strong>und</strong> adäquate Erwerbsarbeit „Höherer Töchter“ ein <strong>und</strong> definierte dieses Klientel<br />

auch dadurch sehr deutlich, dass er die „‘in Fabriken <strong>und</strong> beim Landbau beschäftigten Hand-<br />

arbeiterinnen, […] Dienstboten, Wäscherinnen <strong>und</strong> dergleichen’“ 42 von einer Mitgliedschaft aus-<br />

schloss. Aus Sicht bürgerlicher Damen durchaus verständlich, denn die Vorstellung, sich mit dem<br />

eigenen Dienstmädchen in dem selben Verein zu engagieren, war den Damen <strong>und</strong> „Höheren<br />

Töchtern“ dann wohl doch zu viel des Guten. 1877 sollten nach einer Satzungsänderung jedoch<br />

auch ausdrücklich vermeintliche Ausbildungsbedürfnisse von Arbeiterinnen berücksichtigt wer-<br />

den. Die gegründeten „Fortbildungsschulen“ sind jedoch hinsichtlich ihrer politischen Zielset-<br />

zung, nämlich die Jugend unbedingt von der Sozialdemokratie fernzuhalten, kritisch zu bewer-<br />

ten. 43<br />

So verschieden wie die Zielgruppe, so verschieden waren auch die Mittel der proletarischen <strong>und</strong><br />

der bürgerlichen Frauenvereine. Hier das Petitionieren der bürgerlichen – meist gemäßigten –<br />

Frauen, dort die bewusst massenwirksam gestaltete Agitation der Arbeiterinnen. Die bürgerlichen<br />

Petitionen – also das politische Engagement in Form von Bittschriften an Parlamente <strong>und</strong> Ersu-<br />

chen um Schirmherrschaften aus monarchischen Herrscherhäusern, das den Gesetzeshütern wohl<br />

nicht selten eher lästig als gefährlich erschienen sein dürfte – <strong>und</strong> die in ihnen aufgestellten<br />

Forderungen nach Bildung <strong>und</strong> freier Berufswahl konnten für die Arbeiterinnen nur beschwich-<br />

tigende Wirkung haben. Denn angesichts der sozialistischen Zielsetzung einer Befreiung aller<br />

Menschen aus der Unterdrückung durch das kapitalistische System, waren Petitionen ein un-<br />

brauchbares Mittel. Es bedurfte vor allem gleicher „Menschenrechte“ 44 , welche zu erlangen – so<br />

hatte das Scheitern der 1848er Revolution gezeigt – nicht ohne Kampf möglich sein würde.<br />

Zusammenfassend muss demnach hervorgehoben werden, dass die Interessen der deutschen<br />

Frauen im damaligen deutschen Reich alles andere als homogen waren – weder was ihre Inhalte,<br />

noch was die Wahl der Mittel zu ihrer Durchsetzung betrifft. War für die Proletarierinnen der erste<br />

wichtige Schritt, sich aus der Bevorm<strong>und</strong>ung bürgerlicher Frauen zu lösen, so musste ihr zweiter<br />

sein, sich prinzipiell von ihnen abzugrenzen. Vorläufiger Höhepunkt dieses Abgrenzungsprozesses<br />

wurde der internationale „Kongreß für Frauenwerke <strong>und</strong> Frauenbestrebungen“, der vom 19.-<br />

42 Satzung des Lette-Vereins. Zit. nach: Obschernitzki, Der Frau ihre Arbeit!, S. 55. Siehe auch: Gerhard, Unerhört,<br />

S. 87. Kinnebrock sieht in der Gründung des Lettevereins den Anfang <strong>und</strong> im Ausschluss proletarischer Frauenvereine<br />

bei der Gründung des Dachverbandes der deutschen Frauenbewegung, des „B<strong>und</strong>es Deutscher Frauenvereine“<br />

(BDF) im Jahre 1894 das Ende dieses Ausschlussprozesses (vgl. Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein<br />

Volk?!, S. 163, Anm. 37).<br />

43 Vgl. Obschernitzki, Der Frau ihre Arbeit!, S. 55ff.<br />

44 Vgl. Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, S. 4 u. S. 7f.<br />

48


1.1.1 DER BEGINN DES „HÜBEN UND DRÜBEN“ VON PROLETARISCHER UND BÜRGERLICHER FRAUENBEWEGUNG – DIE ANFÄNGE DES FRAUENVEREINSWESENS IN DEN<br />

1860ER JAHREN<br />

26. September 1886 in Berlin stattfand <strong>und</strong> an dem auch führende Frauen der proletarischen<br />

Frauenbewegung teilnahmen. 45 Die Anregung zu diesem Kongress kam von Lina Morgenstern<br />

(1831-1909), die eine bedeutende Initiatorin sozialer Projekte <strong>und</strong> Institutionen für Proletarie-<br />

rinnen war, aber nicht zur proletarischen Frauenbewegung zu zählen ist. Deren Vertreterinnen<br />

waren Clara Zetkin <strong>und</strong> Lily Braun (1865-1916) 46 , die jedoch die Absprache getroffen hatten, auf<br />

jenem Kongress nicht das Wort zu ergreifen. Stattdessen veranstalteten sie später auf proleta-<br />

rischer Seite selbst drei öffentliche Versammlungen. 47 Diese Versammlungen gaben verschiedenen<br />

Frauen, wie z. B. Marie Greifenberg (?-?) 48 <strong>und</strong> Martha Rohrlack (?-?) 49 , die bisher nur wenig<br />

bekannt waren <strong>und</strong> über die auch heute nur wenige Informationen vorhanden sind, die Gelegen-<br />

heit für ein öffentliches Debüt als Rednerinnen der proletarischen Frauenbewegung. Auch Ottilie<br />

45 Vgl. Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 30ff. Ihrer beschrieb diesen Kongress zu Beginn des zweiten Teils<br />

ihres Standardwerkes, der der bürgerlichen Frauenbewegung <strong>und</strong> ihren Kongressen gewidmet ist. Sie stützte sich<br />

hierbei auf die dazu verfassten Artikel der „Gleichheit“ <strong>und</strong> auf die Veranstaltungsprotokolle. Erwähnenswert ist<br />

noch die Teilnahme einer der größten Pädagoginnen der damaligen Zeit: Maria Montessori (1870-1952).<br />

46 Lily Amelia Jenny Emilie Klothilde Johanna Braun, geb. von Kretschman, verwitwete von Gizycki, wurde in<br />

Halberstadt geboren <strong>und</strong> war die Tochter eines preußischen Generals <strong>und</strong> Urenkelin Jerôme Bonapartes, eines<br />

Bruders Napoleons. Sie genoss ausschließlich Privatunterricht. 1893 heiratete sie in Berlin den an den Rollstuhl<br />

gefesselten Professor der Nationalökonomie Georg von Gizycki, der sie mit sozialistischem Gedankengut vertraut<br />

machte <strong>und</strong> 1895 verstarb. Neben der Mitarbeit in Gizyckis „Gesellschaft für ethische Kultur” hatte Braun sich<br />

seit 1894 gemeinsam mit Minna Cauer im Vorstand des radikal-bürgerlichen Vereins „Frauenwohl” engagiert <strong>und</strong><br />

wurde Mitherausgeberin der Zeitung „Die Frauenbewegung“. 1895 folgte ihre erste öffentliche Rede, in der sie für<br />

das Frauenstimmrecht eintrat. Im selben Jahr wurde sie Mitglied der SPD <strong>und</strong> heiratete den SPD-Politiker <strong>und</strong><br />

Herausgeber des „Archivs für soziale Gesetzgebung” (1888-1903) Heinrich Braun. 1887 brachte sie einen Sohn<br />

zur Welt. Sie war schriftstellerisch tätig <strong>und</strong> seit 1897 Mitarbeiterin bei der „Gleichheit”. Besonders engagierte<br />

sich Braun für die Themen Wirtschaftsgenossenschaft, Mutterschutz, weibliche Doppelbelastung <strong>und</strong> Dienstbotenfrage.<br />

Sie bezog zunehmend Position auf dem revisionistischen Flügel der sozialdemokratischen Frauenbewegung<br />

<strong>und</strong> suchte die Kooperation mit bürgerlichen Frauen. Nach ihrer Entlassung aus der „Gleichheit“-Redaktion 1901<br />

wurde sie auch immer mehr aus der SPD-Frauenorganisation ausgeschlossen. Nach Beginn des Ersten Weltkrieg<br />

zählte Braun zu den Kriegsbefürworterinnen (ihr Sohn Otto starb 1917 als Kriegsfreiwilliger).<br />

47 Ebd., S. 43. Die zweite Versammlung wurde von dem überwachenden Polizisten unter dem Vorwand großer Hitze<br />

<strong>und</strong> großen Gedränges zeitlich auf eine St<strong>und</strong>e begrenzt, wodurch nur Braun die Möglichkeit bekam, zu<br />

referieren.<br />

48 Marie Greifenberg, geb. Fein, war Kartonarbeiterehefrau (GL, 08/ 06/ 16.03.1898/ 43). Vermutlich handelt es sich<br />

bei ihrem Ehemann um Hermann Greifenberg, mit dem sie gemeinsam im Juli 1902 in Augsburg beim<br />

Monatstreffen des „Bildungsvereins für Frauen <strong>und</strong> Mädchen“ Vorträge hielt (vgl. GL, 12/ 14/ 02.07.1902/ 110).<br />

Bereits 1897 wurde sie von den Berliner Genossinnen zum SPD-Parteitag in Hamburg delegiert (vgl. Wahl von<br />

Genossinnen zum Hamburger Parteitag. In: GL, 07/ 20/ 29.09.1897/ 157). 1905 meldete sie sich gemeinsam mit<br />

anderen Genossinnen „Zur Frage der gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiterinnen“ (GL, 15/ 10/<br />

17.05.1905/ 56) zu Wort. Seit 1905 war sie Vertrauensperson ins Augsburg <strong>und</strong> 1908 wurde sie Landesvertrauensperson<br />

für Bayern.<br />

49 Martha Rohrlack war 1891 Parteitagsdelegierte. Der „Gleichheit“ ist die Information zu entnehmen, dass Rohrlack<br />

schon seit 1892 als Vortragsreisende für die proletarische Frauenbewegung wirkte. Auch Joos ist es aufgefallen,<br />

dass „eine Frau Rohrlack ein ganzes Jahr […] mit einem Vortrag über Volksaberglauben“ (ebd.) herumging. In<br />

diesem betonte sie, „wie nöthig es sei, daß sich die Frauen eine freie, wissenschaftliche Welterkenntnis aneigneten<br />

<strong>und</strong> der heranwachsenden Generation übermittelten“ (Rohrlack, Frl. [Martha]: Aberglauben. In: GL, 02/ 19/<br />

21.09.1892/ 155). Zu Beginn des Jahres 1896 hatte man sie wegen einer „Siebdrat-Beleidigung“ (gemeint ist vermutlich<br />

der sächsische Strafrechtler Theodor Siebdrat) verhaftet <strong>und</strong> zu einer viermonatigen Haftstrafe verurteilt.<br />

Obwohl Rohrlack zum ersten Mal verurteilt worden war, hatte man ihr jede übliche Vergünstigung versagt <strong>und</strong> sie<br />

in der Strafanstalt Voigtsberg inhaftiert (vgl. Der Freiheit wiedergegeben … In: GL, 06/ 11/ 27.05.1896/ 85).<br />

49


„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />

Baader (1847-1925) 50 trat hier erstmals öffentlich auf. Neben Zetkin, Braun <strong>und</strong> Ihrer sollten sie<br />

alle einen festen Platz in der Organisation der proletarischen Frauenbewegung einnehmen <strong>und</strong><br />

nicht zu Unrecht als Vorkämpferinnen derselben gelten.<br />

Mit der Gründung des „B<strong>und</strong>es Deutscher Frauenvereine“ (BDF) am 28./29. März 1894 in Berlin<br />

wurde die Unvereinbarkeit bürgerlicher <strong>und</strong> proletarischer Fraueninteressen schließlich offen-<br />

sichtlich. 51 Dieser Dachverband stellte einen entscheidenden Schritt auf der Organisationsebene<br />

deutscher Frauenvereine dar. Umso bedeutsamer ist daher die Tatsache, dass proletarische Frauen-<br />

vereine diesem Dachverband nicht beitraten bzw. nicht beitreten durften. Sprechen einige Quellen<br />

von ihrem Ausschluss, so lassen andere die Interpretation eines eigenen Verzichts auf<br />

Mitgliedschaft zu. Die Gründung des BDF gab Zetkin ohne Frage den willkommenen Anlass, eine<br />

auf den Prinzipien des Klassenkampfes basierende „reinliche Scheidung“ 52 zwischen proleta-<br />

rischer <strong>und</strong> bürgerlicher Frauenbewegung zu fordern. Das zu diesem Zeitpunkt bereits 3 Jahre<br />

existierende zentrale Organ der proletarischen Frauenbewegung – die im Mittelpunkt dieser Arbeit<br />

stehende „Gleichheit“ – wurde angesichts zunehmender Ressentiments zu einer „Ruferin […] im<br />

50 Ottilie Baader, verh. Baader-Diederichs, wurde in Rackow bei Frankfurt/Oder geboren <strong>und</strong> war Tochter eines in<br />

einer Fabrik arbeitenden Zuckerschneiders. Dieser war selbst der Sozialdemokratie verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> lehrte Baader<br />

das Lesen sozialistischer Literatur. Im Alter von sieben Jahren verlor sie ihre als Heimarbeiterin tätige Mutter <strong>und</strong><br />

musste von da an für ihre jüngeren Geschwister sorgen. Nach dem Besuch der Mittelschule, wurde sie 1860, im<br />

Alter von 13 Jahren, Handnäherin in einer Berliner Nähfabrik <strong>und</strong> später mit einer eigenen Nähmaschine Heimarbeiterin.<br />

1866 beteiligte sich Baader am Streik der Berliner Mantelnäherinnen <strong>und</strong> kam in Kontakt mit der<br />

Gewerkschaft <strong>und</strong> der SPD. Mit 32 Jahren hielt Baader ihre erste öffentliche Rede, wurde Mitglied der Berliner<br />

Frauenagitationskommission <strong>und</strong> 1891 Mitglied im Vorstand der Arbeiterbildungsschule in Berlin. 1894 wurde sie<br />

zur Vertrauensperson des 4. Berliner Wahlkreises gewählt. Sie war mehrfach Delegierte auf internationalen Konferenzen<br />

<strong>und</strong> SPD-Parteitagen. 1900 übernahm sie das ab 1904 besoldete Amt der „Zentralvertrauensperson der<br />

Genossinnen Deutschlands“. 1908 verzichtete Baader zugunsten von Luise Zietz (1865-1922) auf den Sitz im<br />

SPD-Parteivorstand, behielt aber eine leitende Position im Zentralen Frauenbüro. 1911 heiratete sie den Gastwirt<br />

August Dietrichs aus Oranienburg. Nach der Parteispaltung 1917 blieb Baader Mitglied der SPD. Ihre Autobiographie<br />

„Ein steiniger Weg“ (1921) wurde ein in der Arbeiterschaft viel gelesenes Werk.<br />

Baader ist nicht zu verwechseln mit Ottilie Gerndt (?-?), die 1895 zur ersten Vertrauensperson Berlins gewählt <strong>und</strong><br />

deren Amt manchmal als das der „zentralen Vertrauensperson der Genossinnen Berlins“ bezeichnet wurde, was zu<br />

Verwirrungen führen kann (vgl. GL, 05/ 08/ 17.04.1895/ 58 <strong>und</strong> 05/ 24/ 27.11.1895/ 187). In Zusammenarbeit mit<br />

Zetkin veröffentlichte Gerndt in der „Gleichheit“ verschiedene Bekanntmachungen <strong>und</strong> Aufrufe zur Delegiertenwahl<br />

oder für Spenden (vgl. Gerndt, Ottilie: Genossinnen! In: GL, 05/ 16/ 07.08.1895/ 121-122; Gerndt,<br />

Ottilie / Zetkin, Clara: An die Genossinnen. In: GL, 06/ 19/ 16.09.1896/ 145-146 <strong>und</strong> GL, 06/ 01/ 08.01.1896/ 2).<br />

Bereits im November 1896 wurde Gerndt von Margarete Wengels abgelöst, die jenes Amt bis 1899 innehatte. Das<br />

Amt erübrigte sich mit der Wahl Baaders zur „Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands“. Gerndt wurde im<br />

Ersten Weltkrieg USPD-Mitglied <strong>und</strong> war außerdem 1925-1933 Bezirksverordnete von Berlin-Mitte.<br />

51<br />

Im BDF dominierten laut Schenk anfangs „gemeinnützige <strong>und</strong> sozialkaritative Vereine […] später immer stärker<br />

Frauenberufsorganisationen <strong>und</strong> Hausfrauenvereine. Der Charakter einer sozialen Bewegung verliert sich mehr<br />

<strong>und</strong> mehr. Zuletzt ist der BDF nur noch eine Organisation verschiedener, keineswegs kämpferischer Interessengruppen,<br />

die den Ideenstand des gemäßigten Flügels aus der Zeit des ersten Weltkriegs bewahrt“ (Schenk, Die<br />

feministische Herausforderung, S. 22). Am 5. Mai 1933 löste er sich schließlich unter Druck der Nationalsozialisten<br />

selbst auf.<br />

52 Reinliche Scheidung. In: GL, 04/ 08/ 18.04.1894/ 63. Noch einmal „reinliche Scheidung“, I. In: GL, 04/ 13/<br />

27.06.1894/ 102-103; Noch einmal „reinliche Scheidung“, II. In: GL, 04/ 15/ 25.07.1894/ 115-117.<br />

50


1.1.1 DER BEGINN DES „HÜBEN UND DRÜBEN“ VON PROLETARISCHER UND BÜRGERLICHER FRAUENBEWEGUNG – DIE ANFÄNGE DES FRAUENVEREINSWESENS IN DEN<br />

1860ER JAHREN<br />

Streit“ 53 – einem „Streit, wo ‘ein Hüben <strong>und</strong> Drüben nur gilt’“ 54 . Bürgerliche, besitzende <strong>und</strong> nach<br />

Besitz strebende Frauen wurden von Zetkin zu Klassenfeindinnen erklärt <strong>und</strong> eine wie auch<br />

immer geartete Kooperation mit ihnen – sowohl mit dem gemäßigten als auch mit dem radikalen<br />

Flügel – prinzipiell ausgeschlossen. Eine radikale Position, die nicht von allen Führerinnen der<br />

proletarischen Frauenbewegung vertreten wurde <strong>und</strong> noch des Öfteren für interne Querelen sorgen<br />

sollte.<br />

1898 klärte ganz im Sinne der Zetkin‘schen Position zur bürgerlichen Frauenbewegung –<br />

spöttisch als „Frauenrechtelei“ bezeichnet – auch Ihrer die Fronten:<br />

„Und darum gilt auch für Alle, einzutreten für eine zielbewußte Arbeiterinnenbewegung,<br />

die gänzlich frei ist von bürgerlicher Beeinflussung, welche sie nur<br />

verwässern könnte; aber auch nicht in heimlicher <strong>und</strong> ängstlicher Stille darf die Arbeiterinnenbewegung<br />

zwecklos vegetiren. Stark <strong>und</strong> ihrer Kraft bewußt soll sie<br />

vortreten, frei <strong>und</strong> offen soll sie sich am Emanzipationskampf der Arbeiterklasse<br />

betheiligen; auch für die Proletarierin gilt die Parole: hie Arbeit, hie Kapital!“ 55<br />

Die Befreiung aus jeglicher bürgerlichen Bevorm<strong>und</strong>ung – waren die Motive dafür auch noch so<br />

humanitär – war demnach wichtige Voraussetzung für einen ganz bestimmten nächsten Schritt –<br />

denjenigen an die Seite der revolutionären Arbeiterbewegung. Wenn auch, wie beschrieben, viele<br />

Arbeiterinnenvereine Opfer „zahlreiche[r] Fanggruben“ 56 wurden, so sorgte die offensichtliche<br />

Benachteiligung dieser Vereine doch zugleich auch dafür, dass „[d]ie Beziehungen zur Arbeiter-<br />

bewegung <strong>und</strong> der sozialistischen Partei, anfangs unsicher <strong>und</strong> manchmal gespannt“ 57 zunehmend<br />

„geklärt“ 58 wurden.<br />

53 Die Redaktion <strong>und</strong> der Verlag: Einladung zum Abonnement. In: GL, 02/ 26/ 28.12.1892/ 209.<br />

54 Die Redaktion <strong>und</strong> der Verlag: Einladung zum Abonnement. In: GL, 04/ 26/ 24.12.1894/ 201.<br />

55<br />

56<br />

Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 64.<br />

Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, S. 4.<br />

57 Ebd., S. 6.<br />

58 Ebd.<br />

51


„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />

1.1.2 Frauenagitation ist sozialistische Agitation 59 – Die proletarische Frauenbewegung als<br />

Teil der Arbeiterbewegung<br />

Wie bereits festgestellt wurde, kann man nicht allgemein von der deutschen Frauenbewegung<br />

sprechen, da bürgerliche <strong>und</strong> proletarische Fraueninteressen sehr weit auseinander lagen. Jedoch<br />

stellte auch die proletarische Frauenbewegung keine homogene Gruppe dar. Bereits die Frage<br />

nach ihren engagierten Mitgliedern oder nach ihrer Zielgruppe wirft Definitionsprobleme auf. War<br />

eine Frau lediglich dann „Proletarierin“, wenn sie der Gruppe der Industriearbeiterinnen, der Ver-<br />

körperung des Pauperismus schlechthin, angehörte? Waren deshalb die in bürgerlichen Haushalten<br />

lebenden Dienstmädchen keine Proletarierinnen? Und war es nur die erwerbstätige Arbeiterin,<br />

nicht aber die im eigenen Haushalt tätige Arbeiterfrau?<br />

Es sind wiederum branchenspezifische <strong>und</strong> lebensbedingte Interessen, die hier zum Ausdruck<br />

kommen <strong>und</strong> die unterschiedlicher nicht sein konnten. Dennoch war allen proletarischen Frauen<br />

Folgendes gemeinsam: Zum einen unterlagen sie einer diskriminierenden Gesetzgebung, die sie<br />

meist zu Mündel ihrer Männer machte <strong>und</strong> ihnen jegliche politische Urteilsfähigkeit absprach.<br />

Zum anderen verkauften sie ihre Arbeitskraft an profitorientierte Unternehmer, in deren Bilanzen<br />

<strong>und</strong> Konzepten sie nur Variablen waren, ihr Wert abhängig von den Gesetzen des kapitalistischen<br />

Systems. Als Frauen <strong>und</strong> als Angehörige der Arbeiterklasse standen sie also in einer doppelten<br />

Abhängigkeit. Erstere teilten sie mit nahezu allen Frauen der Welt, Letztere mit allen Männern des<br />

Proletariats.<br />

Tatsächlich aber gestaltete sich auch die Lohnabhängigkeit für Frauen ganz anders <strong>und</strong> wesentlich<br />

vertrackter als für Männer. Zwar hatten sowohl Frauen als auch Männer unter teilweise menschen-<br />

unwürdigen Bedingungen, extrem langen Arbeitszeiten <strong>und</strong> niedrigen Löhnen meist harte<br />

körperliche Arbeit zu leisten, aber im Falle des „schwachen Geschlechts“ waren diese Benachtei-<br />

ligungen gesamtgesellschaftlich akzeptiert. In den „Frauenindustrien“ (Textilindustrie, Beklei-<br />

dungs- <strong>und</strong> Reinigungsindustrie, Nahrungs- <strong>und</strong> Genussmittelindustrie 60 ) waren die Arbeitszeiten<br />

in der Regel länger als in anderen Industriezweigen. Männliche Arbeiter erhielten selbst im Falle<br />

schlechterer Leistungen höhere Löhne. Auch das Älterwerden wirkte sich bei männlichen Ar-<br />

beitern weniger auf den Lohn aus als bei Arbeiterinnen. De facto konnte eine Arbeiterin den Lohn<br />

eines Arbeiters nur in denjenigen Bereichen erzielen, in denen aufreibende Akkordarbeit gefordert<br />

war.<br />

Dies waren allesamt Umstände, von denen nicht nur die Unternehmer profitierten. Männer<br />

59 Vgl. Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 165.<br />

60 Vgl. Albrecht/u. a., Frauenfrage <strong>und</strong> deutsche Sozialdemokratie, S. 464ff.<br />

52


1.1.2 FRAUENAGITATION IST SOZIALISTISCHE AGITATION59 – DIE PROLETARISCHE FRAUENBEWEGUNG ALS TEIL DER ARBEITERBEWEGUNG<br />

erhielten schlicht einen geschlechtsspezifischen Lohnvorteil 61 oder mit anderen Worten: Männer<br />

bekamen eine „‘Geschlechtszulage’“ 62 während genau Gegenteiliges für die Frauen galt, die damit<br />

wiederum zu „Lohndrückerinnen“ <strong>und</strong> „Schmutzkonkurrentinnen“ der Männer wurden. Eine Art<br />

Teufelskreis kristallisierte sich heraus – aufzubrechen nur mittels radikaler – aus sozialistischer<br />

Perspektive nur mittels revolutionärer Umwälzungen.<br />

Erste Schritte in diese Richtung waren die von den Arbeiterinnenvereinen gestellten Forderungen<br />

nach Arbeitsschutzgesetzen, Arbeitszeitverkürzungen <strong>und</strong> höheren Löhnen. Arbeiterinnen rebel-<br />

lierten damit ganz offenk<strong>und</strong>ig gegen das kapitalistische Unternehmerinteresse. Noch bedroh-<br />

licher für das gesamte kapitalistische Gesellschaftssystem wurden sie aber vor allem deshalb, weil<br />

sie mit diesen Forderungen in eine Interessengemeinschaft mit den Gewerkschaften eintraten. Die<br />

Organisation aller Arbeiter <strong>und</strong> Arbeiterinnen in entsprechenden Gewerkschaften versprach das<br />

entscheidende Mittel zu sein, durch das gemeinsam Druck auf das kapitalistische System ausgeübt<br />

werden konnte, um es als moderne Sklaverei zu entlarven <strong>und</strong> letztlich durch eine Vergesell-<br />

schaftung der Produktionsmittel zu beseitigen.<br />

Clara Zetkin erklärte in ihrer bedeutsamen Rede zur „Arbeiterinnen- <strong>und</strong> Frauenfrage der Gegen-<br />

wart“ anlässlich des Gründungskongresses der Zweiten Internationale 1889 in Paris:<br />

„der Konflikt zwischen Menschen- <strong>und</strong> Maschinen-, zwischen Frauen- <strong>und</strong> Männerarbeit<br />

hör[e] dann mit einem Schlage auf, […][wenn] der Konflikt zwischen<br />

Produktionsweise <strong>und</strong> Aneignungsform ein Ende gef<strong>und</strong>en ha[be].“ 63<br />

Ein solidarisches Miteinander war also zugleich Voraussetzung <strong>und</strong> Ergebnis einer Umwälzung<br />

der Produktionsverhältnisse. Im Gegensatz zum Empfinden der meisten männlichen Arbeiter, dass<br />

Frauenarbeit zerstörerische Konkurrenz sei, war es das erklärte Ziel der proletarischen Frauen-<br />

bewegung <strong>und</strong> der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, proletarische Frauen zur Er-<br />

werbstätigkeit zu bringen. In dieser sahen sie gemäß der „Sozialistischen Emanzipationstheorie“ 64 ,<br />

wie sie u. a. in der erwähnten Rede Zetkins zum Ausdruck kommt, ein ihr Klassenbewusstsein<br />

prägendes Moment. Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft sollte die lohndrückende Konkur-<br />

rentin zu einer solidarischen Klassenkämpferin erziehen – der Kampf um bessere Arbeitsbedin-<br />

gungen konnte diesbezüglich erstes Betätigungsfeld sein. Erwerbsarbeit – so die zentrale These –<br />

61 Ein Lohnvorteil, der laut Kuczynski eine Ursache hatte, die rational nicht zu begründen war: „die Tradition des<br />

höheren Männerlohnes“ (Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin, Anm. **, S. 172).<br />

62 Max Weber zit. nach: Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin, S. 174.<br />

63 Zetkin, Clara: Die Arbeiterinnen- <strong>und</strong> Frauenfrage der Gegenwart, S. 10.<br />

64 Zur Analyse der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie siehe: Bölke, Die Wandlung der Frauenemanzipa-<br />

tionstheorie von Marx bis zur Rätebewegung.<br />

53


„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />

hat Anteil an der Bewusstseinsbildung <strong>und</strong> der Integration der Frau in die internationale Arbeiter-<br />

bewegung. Ähnlich <strong>und</strong> doch anders als bei den bürgerlichen Frauenrechtlerinnen sollte sie zum<br />

Mittel weiblicher Gleichberechtigung in Staat <strong>und</strong> Gesellschaft werden – einem Staat <strong>und</strong> einer<br />

Gesellschaft, die sich laut Marx auf ein kapitalistisches Wirtschaftssystem stützen <strong>und</strong> dessen<br />

Überwindung unabdingbare Voraussetzung für eine vollständige Emanzipation aller Frauen (<strong>und</strong><br />

Männer) ist.<br />

Wie konnte sich aber die Kooperation zwischen Arbeiterinnenvereinen <strong>und</strong> Gewerkschaften unter<br />

den beschriebenen repressiven Verhältnissen des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts gestalten? Abgesehen von<br />

einigen wenigen Kontakten 65 ist es vor allem eine „echte[…] proletarische[…] Vereinigung[…]“ 66 ,<br />

die Vorbildcharakter sowohl im internationalen Anspruch als auch in der gewerkschaftlichen Inte-<br />

gration der Frauen hatte: Die „Internationale Gewerksgenossenschaft der Manufaktur-, Fabrik-<br />

<strong>und</strong> Handarbeiter“. Die Gründung der ersten gemischtgeschlechtlichen Gewerkschaft Deutsch-<br />

lands fand 1869 nicht in Berlin, sondern in dem kleinen sächsischen Textilindustriestandort Crim-<br />

mitschau statt. Zetkin sah in ihr enthusiastisch sogar den eigentlichen Beginn einer originären,<br />

d. h. von bürgerlich-liberaler Regie sich emanzipierenden, proletarischen Frauenbewegung. 67 Al-<br />

lein die Möglichkeit der Frauen, sich in Gewerkschaften zu organisieren <strong>und</strong> zu integrieren,<br />

gewährleistete jedoch weder eine tatsächliche aktive Mitgestaltung der Frauen, noch deren Ak-<br />

zeptanz durch die männlichen Genossen. 68 Tatsache ist, dass die erste von der Generalkommission<br />

der Gewerkschaften 1891 veröffentlichte Statistik noch keine <strong>weiblichen</strong> Mitglieder auswies <strong>und</strong><br />

der Anteil 1892 erst bei 1,84% lag. 69 Der Beginn einer die Interessen lohnabhängiger Frauen <strong>und</strong><br />

65 Die 1950 von Elisabeth Todt verfasste Arbeit „Die gewerkschaftliche Betätigung in Deutschland von 1850 bis<br />

1859“ beweist laut Kuczynski, dass es Arbeiterinnen erstaunlicherweise sogar in den repressiven 1850er Jahren<br />

gelang, Kontakt zu den Gewerkschaften herzustellen (vgl. Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin,<br />

S. 160). Die Historikerin <strong>und</strong> Mitarbeiterin Kuczynskis Ruth Hoppe stieß in ihren Forschungsarbeiten laut<br />

Kuczynski auf einen Bericht des Regierungspräsidenten von Magdeburg aus dem Jahre 1851, in welchem ein der<br />

„Deutschen Arbeiterverbrüderung“ nahe stehender „Frauen-Unterstützungsverein“ erwähnt wird. Kuczynski erachtet<br />

diesen 150 weibliche Mitglieder umfassenden Verein als „Zwischenglied der Organisation der Jahre<br />

1848/49 <strong>und</strong> der frühen echten proletarischen Vereinigungen“ (ebd.).<br />

66 Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin, S. 160.<br />

67 Zetkin verdeutlichte dies in der Artikelserie „Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland“<br />

(GL, 16/ 20/ 03.10.1906/ 138 bis GL, 16/ 25/ 12.12.1906/ 178). Frevert gibt für das Jahr 1870 6.000 männliche<br />

<strong>und</strong> 1.000 weibliche Gewerkschaftsmitglieder an (vgl. Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung<br />

<strong>und</strong> Neuer Weiblichkeit, S. 97).<br />

68<br />

In ihrer Bedeutung für die Integration der Frauen in die Arbeiterbewegung wird die Crimmitschauer Gewerkschaft<br />

jedoch von Kuczynski relativiert, wenn er allgemein formuliert: „Aber wenn wir auch für die Frauen genau wie<br />

für die Männer eine gewisse Kontinuität der Organisation von 1848/49 bis in unsere Zeit sollten feststellen können,<br />

so ist doch ebenso offenbar, daß der Organisation der Frauen bis an den Anfang der neunziger Jahre immer<br />

nur wenige <strong>und</strong> schwache waren, ganz gleich, ob die Frauen allein oder zusammen mit den Männern organisiert<br />

waren.“ (Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin, S. 160).<br />

69 <strong>Von</strong> 237.094 Mitgliedern waren nicht mehr als 4.355 weiblich (vgl. Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage<br />

der Arbeiterin, S. 160). Zur Organisationsweise dieser Frauen gibt es jedoch kaum Informationen.<br />

54


1.1.2 FRAUENAGITATION IST SOZIALISTISCHE AGITATION59 – DIE PROLETARISCHE FRAUENBEWEGUNG ALS TEIL DER ARBEITERBEWEGUNG<br />

Männer integrierenden Gewerkschaftspolitik ist daher weniger mit der Gewerkschaftsgründung in<br />

Crimmitschau als mit dem vom 14.-18. März 1892 in Halberstadt abgehaltenen ersten Kongress<br />

der deutschen Gewerkschaften gegeben. Dies ist eine These, welche durch die auf diesem<br />

Kongress von Helma Steinbach (1847-1918) – einer der ersten Gewerkschaftsfunktionärinnen –<br />

eingebrachte <strong>und</strong> angenommene Resolution, die prinzipiell die Aufnahme von Frauen in alle be-<br />

ruflichen Gewerkschaften forderte, gestützt wird. 70 Mit Annahme der Resolution wurde es als<br />

notwendig angesehen, die Frauen mangels geeigneter Kräfte vorerst gemeinsam mit den Männern<br />

zu organisieren – „jedoch“, so Steinbach unmissverständlich, „würden die Frauen sich nicht majo-<br />

risieren lassen“ 71 , eine Drohung allerdings, die nicht erkennen lässt, was die Frauen einem solchen<br />

Verhalten der Männer tatsächlich hätten entgegensetzen können. Zahlenmäßig in der Minderheit<br />

<strong>und</strong> politisch absolute Anfängerinnen, war es schließlich absehbar, dass Frauen keinen leichten<br />

Stand in gemischten Gewerkschaften haben würden. Kuczynski sieht trotz aller Kritik in der An-<br />

nahme der Resolution dasjenige Ereignis, mit dem „ernsthaft, wenn auch immer noch zögernd, die<br />

gewerkschaftliche Organisation der Frauen“ 72 begann. Welcher Art war aber der Erfolg dieser ge-<br />

werkschaftlichen Organisation der Frau? Fest steht, dass trotz zunehmender Organisation bis 1913<br />

keine nennenswerten Veränderungen zu Gunsten der Frauenlöhne bewirkt wurden. 73<br />

Wenn Zetkin also der Gründung der Crimmitschauer Gewerkschaft eine sehr hohe Bedeutung bei-<br />

maß, könnte dies eher in dem Bemühen um historische Kontinuität als in der Honorierung der<br />

realen Tragweite dieses Ereignisses begründet gewesen sein. Kuczynski allerdings sieht im<br />

Gegensatz zu vielen anderen Meinungen die realen Möglichkeiten der Frau, sich am Klassen-<br />

kampf zu beteiligen, weniger in der gewerkschaftlichen Organisation als vielmehr im konkreten<br />

Arbeitskampf. Eine amtliche Mitteilung des Deutschen Handelstages von 1873 beschreibe sehr<br />

präzise verschiedene Streiks <strong>und</strong> belege eine starke Beteiligung von Frauen. Diese Mitteilung be-<br />

zeichnete die Frauen sogar als „Haupttriebfeder“ 74 der Arbeitsniederlegungen <strong>und</strong> meinte damit<br />

nicht nur die wenigen Gewerkschaftsmitglieder, sondern vor allem die Frauen <strong>und</strong> Töchter der<br />

70 Siehe: Haake, Helma Steinbach – eine Reformistin in der Hamburger Arbeiterbewegung zur Zeit des Kaiserreichs.<br />

Haake wollte mit ihrer Magisterarbeit „die Geschichte von Frauen in der SPD erforschen helfen, die sich nicht<br />

notwendigerweise mit jener Geschichte der von Clara Zetkin geführten proletarischen Frauenbewegung deckt“<br />

(vgl. ebd., S. 6). Es ist zu hoffen, dass noch viele weitere solcher Arbeiten verfasst werden, um das historische<br />

Bild der proletarischen Frauenbewegung zu vervollständigen.<br />

71 Protokoll der Verhandlungen des ersten Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands. Hamburg 1892, S. 73. Zit.<br />

nach: Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin, S. 161. Auf diesem Kongress waren verschiedene<br />

gemischtgeschlechtliche oder weibliche Organisationen mit Anträgen vertreten.<br />

72 Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin, S. 161.<br />

73 Vgl. ebd., S. 176.<br />

74 Amtliche Mitteilungen des Deutschen Handelstages. Die Arbeitseinstellungen in Deutschland. Bericht auf Gr<strong>und</strong><br />

des dem Handelstage zugegangenen Materials dem bleibenden Ausschusse erstattet vom General-Secretär. Berlin<br />

1873. Zit. nach: Ebd., S. 162.<br />

55


„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />

Arbeiter. Taktischer Schluss musste sein, engagierte Frauen wie diese nicht nur über die gewerk-<br />

schaftliche Organisation, sondern auch außerhalb der Erwerbsarbeit zu erfassen <strong>und</strong> zu organi-<br />

sieren.<br />

Dieser Aufgabe sollten später in höherem Maße als die Gewerkschaften die politischen Vereine<br />

nachkommen. Als politische Vertretungen der Arbeiter sind vor allem der „Allgemeine Deutsche<br />

Arbeiterverein“ <strong>und</strong> die „Sozialdemokratische Arbeiterpartei“ zu nennen. In den 1860er Jahre ge-<br />

gründet, vereinigten sich 1875 Arbeiterverein <strong>und</strong> Arbeiterpartei in Gotha zur „Sozialistischen Ar-<br />

beiterpartei“, die sich ab 1890 schließlich „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (SPD)<br />

nennen sollte. 75 Zwar besaß die SPD zum Zeitpunkt ihrer Gründung ein vielfältiges theoretisches,<br />

programmatisches <strong>und</strong> institutionelles F<strong>und</strong>ament, jedoch weder weibliche Mitglieder noch eine<br />

gr<strong>und</strong>sätzliche Position zur Frauenfrage. Und doch hatten sich in ihrem Umkreis viele weibliche<br />

Sympathisanten <strong>und</strong> tatkräftige Helferinnen gesammelt, Frauen, deren Treue <strong>und</strong> Einsatzbereit-<br />

schaft 1878 auf eine harte Probe gestellt werden sollte.<br />

Am 21. Oktober 1878 erließ der deutsche Reichstag unter der Reichskanzlerschaft Otto von<br />

Bismarcks das so genannte „Sozialistengesetz“. Die Schikanen, mit denen die Behörden die Füh-<br />

rerInnen <strong>und</strong> Mitglieder der SPD daraufhin drangsalierten, die Verfolgungs- <strong>und</strong> Inhaftierungs-<br />

wellen ähnelten sehr den Repressionen nach der 1848er-Revolution. Alle SPD-nahen Arbeiter-<br />

<strong>und</strong> eben auch Arbeiterinnenvereine wie auch ihre Presseorgane wurden auf Gr<strong>und</strong>lage dieses Ge-<br />

setzes verboten bzw. in die Illegalität gezwungen. Bestes Beispiel für die vor allem ab 1886 mas-<br />

siver werdende Verfolgung ist das Schicksal der Arbeiterinnenvereine Berlins. 76 Durch Vereins-<br />

recht – polemisch als „Juwel“ bezeichnet – <strong>und</strong> Sozialistengesetz doppelt verfolgt, wurde es für<br />

die proletarischen Frauenorganisationen schließlich überlebensnotwendig, ähnlich den Kranken-<br />

kassen oder bürgerlichen Frauenvereinen den Deckmantel unpolitischer Frauenbildungsvereine<br />

anzulegen – ihre Bildungsziele waren jedoch alles andere als unpolitisch. 77<br />

Einerseits gelang es mittels des Sozialistengesetzes, die deutsche Arbeiterbewegung zu kriminali-<br />

sieren <strong>und</strong> ihr nahezu jede Möglichkeit zu nehmen, öffentlich zu agieren. Andererseits aber för-<br />

derte diese repressive Maßnahme dadurch, dass sie Männer wie Frauen in die Illegalität zwang,<br />

ungewollt eine besondere Kampfgemeinschaft. Im gemeinsamen Kampf wurden nun die Be-<br />

75 Die im Vorfeld entscheidenden Organisationsgründungen waren: 1863 Gründung des „Allgemeinen Deutschen<br />

Arbeitervereins“ in Leipzig unter Führung Ferdinand Lasalles. 1869 Gründung der „Sozialdemokratischen Arbeiterpartei“<br />

in Eisenach unter Führung August Bebels <strong>und</strong> Wilhelm Liebknechts. 1864 Gründung der Ersten Internationale<br />

in London.<br />

76 Zu den Berliner Arbeiterinnenvereinen werden anhand der Darstellungen von Frauenpresse <strong>und</strong> verschiedener<br />

Frauenbiographien noch weitere Informationen gegeben.<br />

77 Zur Arbeit der proletarischen Frauenbildungsvereine siehe: Ciupke/Derichs-Kunstmann, Zwischen Emanzipation<br />

<strong>und</strong> „besonderer Kulturaufgabe der Frau“; Führenberg/Koch/Redzepi/Wurms, <strong>Von</strong> Frauen für Frauen.<br />

56


1.1.2 FRAUENAGITATION IST SOZIALISTISCHE AGITATION59 – DIE PROLETARISCHE FRAUENBEWEGUNG ALS TEIL DER ARBEITERBEWEGUNG<br />

hörden überlistet, immer wieder aufs Neue kreative Untergr<strong>und</strong>taktiken entwickelt <strong>und</strong> in soli-<br />

darischem Zusammenhalt anfallende Probleme des alltäglichen Überlebens gelöst. Diese schwere<br />

Zeit politischer Verfolgung wurde zu einer einzigartigen Epoche der sozialdemokratischen Partei-<br />

geschichte. Anekdoten <strong>und</strong> Erfahrungsberichte sollten noch Jahrzehnte später von Generation zu<br />

Generation weitergegeben werden <strong>und</strong> so auch Eingang in die Tradierung einer spezifisch weib-<br />

lichen Geschichte finden – was noch an anderer Stelle darzustellen sein wird.<br />

Die Kampfgemeinschaft zwischen proletarischer Frauenbewegung <strong>und</strong> sozialistischer Arbeiterbe-<br />

wegung wies jedoch schon bald geschlechtsbedingte Probleme auf. Nicht nur die allgemeine poli-<br />

tische Lage, sondern – wie sich mit der Zeit herausstellte – vor allem das erziehungsbedingte<br />

Selbstbild der proletarischen Frauen erschwerte die Agitation unter ihnen. Der bereits 1896 von<br />

Zetkin formulierte Gr<strong>und</strong>satz, es sei nicht spezielle Frauenagitation, sondern sozialistische Agi-<br />

tation, die man betreibe 78 , konnte nur prinzipieller Art sein. Tatsächlich musste die proletarische<br />

Frauenbewegung, um indifferente, also der Politik bisher gleichgültig gegenüberstehende Arbei-<br />

terinnen zu agitieren, eigene, eben geschlechtsspezifische Methoden der Agitation entwickeln.<br />

Darüber hinaus sollten sich die viel beschworenen klassenkämpferischen Prinzipien, die Schick-<br />

salsgemeinschaft mit der Arbeiterbewegung, mit den Gewerkschaften <strong>und</strong> der SPD mit<br />

zunehmenden Organisations- <strong>und</strong> Integrationsgrad der proletarischen Frauenorganisation sehr<br />

verändern. So sehr, dass die Frauenorganisationen schließlich für die Bewahrung einer gewissen<br />

Unabhängigkeit gegenüber den Klassengenossen kämpfen mussten. 79 Die orthodox-marxistischen<br />

Sozialistinnen um Zetkin taten sich jedoch sehr schwer mit der Erkenntnis, dass Genossen auch<br />

Männer sind <strong>und</strong> als solche durchaus auch ein frauenfeindliches Dominanzverhalten aufweisen<br />

können. Indem sie auf politische Prinzipien beharrten <strong>und</strong> sogar jeden gedanklichen Austausch<br />

mit bürgerlichen Feministinnen ablehnten, leisteten sie diesem Verhalten einigen Vorschub. 80<br />

Der Verein <strong>und</strong> das Vereinswesen, so das Fazit aus den bisherigen Schilderungen, war im<br />

Deutschland des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts die Zelle jedes politischen <strong>und</strong> öffentlichen Wirkens. Die<br />

Demokratiebestrebungen der Männer unterschieden sich darin nicht von denen der Frauen, die der<br />

bürgerlichen Damen nicht von denen der proletarischen Arbeiterinnen. 81 Das Herzstück jeder<br />

78 Vgl. Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 165.<br />

79 Vgl. Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, S. 7f.<br />

80 So auch die Meinung Freiers (vgl. Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. 199).<br />

81 Es ist anzunehmen, dass das Vereinsleben im Einzelnen wie z. B. Sitzungsverlauf <strong>und</strong> -reglement unabhängig von<br />

den beschriebenen verschiedenen Lebenssituationen <strong>und</strong> organisatorischen Kooperationen bei bürgerlichen <strong>und</strong><br />

proletarischen Frauenvereinen ähnlich gewesen ist. Selbst zu „Männervereinen“ dürften kaum erhebliche Unterschiede<br />

bestanden haben – auch wenn viele zeitgenössische Karikaturen gerne den Eindruck vermittelten, dass<br />

Diskussionen in Frauenvereinen eher einem „Kaffeeklatsch“ glichen <strong>und</strong> in einem „typisch“ <strong>weiblichen</strong> Gezänk<br />

57


„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />

Öffentlichkeitsarbeit <strong>und</strong> Mitgliederagitation eines Vereins war wiederum sein Presseorgan – zu-<br />

mindest wenn die Gesetzeslage ein solches zuließ. Im folgenden Kapitel sollen deshalb die<br />

herausragenden Momente der proletarischen Frauenpresse Deutschlands dargestellt <strong>und</strong> eine Tra-<br />

ditionslinie zum zentralen Gegenstand dieser Arbeit – zur „Gleichheit“ – aufgezeigt werden.<br />

58<br />

auszuufern pflegten.


1.2 Die erste deutsche Frauenzeitschrift:<br />

Die „Frauen-Zeitung“ (1849-1852)<br />

Das Presse- <strong>und</strong> Vereinswesen der deutschen Frauenbewegung kann auf eine lange <strong>und</strong> doch in<br />

Vergessenheit geratene Geschichte zurückblicken. 82 Damit gerät auch die Tatsache aus dem<br />

Blick, dass sich stets auch Frauen am Kampf um die Ideale der bürgerlichen Emanzipation, für<br />

Demokratie <strong>und</strong> Verfassung mit Wort <strong>und</strong> Tat beteiligt haben. Da die bereits beschriebenen<br />

bürgerlich-revolutionären Ereignisse von 1848 auch die Lebenswelten proletarischer Frauen<br />

nicht unberührt ließen, wurde das Andenken der wagemutigen Revolutionärinnen – selbst wenn<br />

sie meist dem Bürgertum oder gar dem Adel entstammten – auch innerhalb der proletarischen<br />

Frauenbewegung in Ehren gehalten. Es waren Frauen wie Malvida von Meysenbug (1816-<br />

1903), Louise Aston (1815-1871), Mathilde Anneke (1817-1884) <strong>und</strong> die bereits erwähnte<br />

Louise Otto-Peters, die sich gegen die ihnen zugeschriebene Rolle eines unpolitischen Wesens<br />

auflehnten <strong>und</strong> zu den revolutionären Ereignissen eigene Positionen bezogen. Sie taten dies<br />

meist aus weiblicher Sicht <strong>und</strong> in Zeitschriften, die sie selbst gründeten <strong>und</strong> herausgaben. Ihre<br />

enge Beziehung zur bürgerlichen Demokratiebewegung, ihr kühnes Eintreten für eigene<br />

politische Interessen <strong>und</strong> die Einforderung einer öffentlichen Vertretung verweist jedoch auf<br />

das vorhersagbare Schicksal dieser ersten Frauenorgane – keines überlebte die nach-<br />

revolutionäre Repression. Jedoch ist der beschriebene Umstand, dass das Deutsche Reich zu<br />

jener Zeit noch aus zahlreichen Einzelstaaten mit einer jeweils eigenen Rechtssprechung be-<br />

stand, insofern ein glücklicher, als sich dadurch politisch verfolgten Personen immerhin die<br />

Möglichkeit bot, nach einer Ausweisung aus dem einen Staat in einen anderen zu flüchten, um<br />

dort die politische Tätigkeit fortzusetzen. Nicht anders erging es Louise Otto-Peters, nachdem<br />

sie vollkommen selbstverantwortlich am 21. April 1849 erstmals die „Frauen-Zeitung“ heraus-<br />

gebracht hatte.<br />

Die „Frauen-Zeitung“, die jeden Samstag erschien, acht Seiten umfasste <strong>und</strong> im viertel-<br />

jährlichen Abonnement 15 Reichsgroschen kostete, war per Definition der Publizistik zwar<br />

keine „Zeitung“, aber sie war die erste überregionale Frauenzeitschrift Deutschlands. 83 Verlag,<br />

82 Zumindest die ersten Frauenzeitschriften <strong>und</strong> die Frauenliteratur vom Beginn des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts sind<br />

mittlerweile ein gut erforschter Gegenstand der gegenwärtigen Frauengeschichtsforschung. Ich verweise hier<br />

exemplarisch auf die in das Thema einführende Arbeit von Ulla Wischermann „Frauenpublizistik <strong>und</strong> Journalismus.<br />

Vom Vormärz bis zur Revolution von 1848“.<br />

83 Bereits am 1. November 1848 hatte Louise Aston die Zeitung „Der Freischärler. Für Kunst <strong>und</strong> sociales Leben“<br />

herausgegeben. Rollka bezeichnet diese als „Berlins erste ‘Frauenzeitung’“ (Rollka, Die Belletristik in<br />

der Berliner Presse des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, S. 248), doch dieses nach 7 Nummern bereits wieder verbotene Organ<br />

vertrat keine frauenspezifischen Interessen – ihr Charakter als „Frauenzeitung“ ist also sehr unspezifisch.<br />

Auch die „Frauenzeitung“ von Mathilde Franziska Anneke, die erstmals am 27. September 1848 in Köln erschien,<br />

kann trotz ihres Titels nicht als erste deutsche Frauenzeitschrift gelten. Inhaltlich beschäftigte sie sich<br />

hauptsächlich mit den allgemeinen demokratischen Forderungen der Revolutionäre. Der Titel „Frauenzeitung“<br />

wurde wohl bewusst provokativ gewählt, weil Anneke mit ihr die Arbeit ihres als Redakteur arbeitenden, aber<br />

59


„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />

Druck <strong>und</strong> Vertrieb der Zeitschrift lagen in den Händen Theo Haffners, der inhaltlich Louise Otto-<br />

Peters vollkommen freie Hand ließ – sehr privilegierte Bedingungen für ein derartig heikles Pub-<br />

likationsexperiment. Die „Frauen-Zeitung“ war eine Kombination unterschiedlicher publizis-<br />

tischer Formen wie Briefe, Abhandlungen, Skizzen, Erfahrungsberichte, Milieuschilderungen <strong>und</strong><br />

Gedichte mit politischer Tendenz. Die Struktur bestand aus dem Leitartikel <strong>und</strong> einigen wenigen<br />

festen Rubriken. In der Rubrik „Blicke in die R<strong>und</strong>e“, wurden die LeserInnen über „Ereignisse<br />

<strong>und</strong> Aktivitäten von, für oder gegen Frauen“ 84 informiert. Sie stellt laut Geiger/Weigel den ganz<br />

offen politischen Teil der „Frauen-Zeitung“ dar <strong>und</strong> verband „sociale[…], demokratische[…] <strong>und</strong><br />

nationale[…] Elemente[…]“ 85 miteinander. Außerdem gab es die Rubriken „Briefe“, die die<br />

„privat-politische“ Korrespondenz führender Persönlichkeiten enthielt, den „Briefkasten“, die<br />

„Bücherschau“ <strong>und</strong> abschließend meist den „Anzeiger“ bzw. später „Allgemeinen Anzeiger“, in<br />

welchem die Leserinnen zum Kauf ausgewählter Bücher angehalten wurden. Vermutlich waren<br />

darunter auch kostenpflichtige Inserate, die ihren Inserenten 6 Pfennig pro Zeile gekostet hatten.<br />

Otto-Peters hatte ihrer Zeitschrift das Motto „Dem Reich der Freiheit werb’ ich Bürgerinnen“ vor-<br />

angestellt <strong>und</strong> umschrieb damit ihre zentrale Forderung: Die Teilnahme der Frauen am politischen<br />

Leben. In Anerkennung der nicht unerheblichen Leistungen, welche die Frauen dem Staat bereits<br />

durch ihr tägliches Tun erbrachten, sollten sie als gleichberechtigte, aber auch gleichverpflichtete<br />

Bürgerinnen akzeptiert werden. Otto-Peters brachte dies in ihrem programmatischen ersten Leit-<br />

artikel auf den Punkt:<br />

„Wir wollen unser Theil fordern : das Recht, das Rein-Menschliche in<br />

uns in freier Entwickelung aller unserer Kräfte auszubilden, <strong>und</strong> das Recht der<br />

Mündigkeit <strong>und</strong> Selbständigkeit im Staat.<br />

Wir wollen unser Theil verdienen : […] Freiheit <strong>und</strong> Humanität (was im<br />

Gr<strong>und</strong>e zwei gleichbedeutende Worte sind) auszubreiten suchen in allen Kreisen,<br />

welche uns zugänglich sind, in den weiteren des größeren Lebens durch die Presse,<br />

in den engeren der Familie durch Beispiel, Belehrung <strong>und</strong> Erziehung.“ 86<br />

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, distanzierte sich Otto-Peters von den Frauen,<br />

die nach ihrer Meinung ein „emanzipiertes“ Leben darin sahen, „ihr Streben nach geistiger Frei-<br />

heit in der Zügellosigkeit der Leidenschaften zu befriedigen“ 87 . Sie <strong>und</strong> ihre Mitarbeiterinnen<br />

gehörten gewiss nicht zu den „sogenannten ‘Emancipirten’ […], welche das Wort ‘Frauen-Eman-<br />

cipation’ in Mißkredit gebracht haben, indem sie das Weib zur Carricatur des Mannes herab-<br />

verhafteten Ehemannes weiterführte <strong>und</strong> es demnach eine von einer Frau herausgegebene Zeitung war.<br />

84 Vgl. Geiger/Weigel, Sind das noch Damen?, S. 41.<br />

85 „Frauen-Zeitung“ zit. nach: Ebd., S. 42.<br />

86 Programm. In: Frauen-Zeitung, 01/ 01 (Probenummer)/ 21.04.1849/ 1.<br />

87 Ebd.<br />

60


1.2 DIE ERSTE DEUTSCHE FRAUENZEITSCHRIFT: DIE „FRAUEN-ZEITUNG“ (1849-1852)<br />

würdigten“ 88 . Vielmehr sahen sie sich als „Nachfolgerinnen jener edlen Jungfrau aus Bethanien“ 89<br />

– der Jungfrau Maria.<br />

Letzteres kann den moralischen Aspekt der Forderungen Louise Otto-Peters‘ hier nur andeuten.<br />

Entscheidender sind ihre politischen Forderungen, die oft auch bei ihren revolutionären Mitkämp-<br />

fern auf wenig Resonanz stießen – eine Geringschätzung in den eigenen Reihen, die sie mit den<br />

Frauen der Französischen Revolution gemein hatte. Auch diese hatten erkennen müssen, dass die<br />

von den Revolutionären geforderten Menschenrechte im Prinzip nur Männerrechte waren. Otto-<br />

Peters nahm auch Bezug auf diese historischen Vorgängerinnen, wenn sie schreibt:<br />

„Die Geschichte aller Zeiten, <strong>und</strong> die heutige ganz besonders, lehrt: daß diejenigen<br />

auch vergessen wurden, welche an sich selbst zu denken<br />

vergaßen![…]“ 90<br />

Sie appellierte hier sowohl an das Geschichtsbewusstsein ihrer Leserinnen, in gewisser Weise<br />

auch an ihren Egoismus <strong>und</strong> konnte sich bereits an ein durch die Ergebnisse der Revolution ent-<br />

täuschtes, aber auch gewecktes „Frauen-bewußtsein“ 91 richten. Gelesen wurde die „Frauen-Zei-<br />

tung“ überwiegend von Frauen der Handwerker- <strong>und</strong> Bürgerschichten. Dies war zwar nur eine<br />

verhältnismäßig kleine Gruppe – etwa 10% der <strong>weiblichen</strong> Gesamtbevölkerung –, doch es war<br />

nicht die inhaltliche Konzeption, die die „Frauen-Zeitung“ in ihrer Verbreitung so einschränkte,<br />

sondern ihr relativ hoher Preis <strong>und</strong> die mangelnde Möglichkeit für Frauen, auf andere Weise, z. B.<br />

in Leseinstituten, Zugang zu ihr zu erhalten. 92 Otto-Peters bemühte sich jedoch von Anfang an<br />

auch um Leserinnen <strong>und</strong> Mitarbeiterinnen aus der Arbeiterschaft:<br />

„Ich bitte auch diejenigen meiner Schwestern, die nicht Schriftstellerinnen sind,<br />

um Mittheilungen, zunächst die Bedrückten, die armen Arbeiterinnen, auch wenn<br />

sie sich nicht geschickt zum stylisierten Schreiben fühlen; ich werde ihre einfachen<br />

Äußerungen gern, wenn nöthig verdollmetschen – aber es liegt mir daran, daß<br />

gerade ihre Angelegenheiten vor die Oeffentlichkeit kommen, so kann ihnen am<br />

ersten geholfen werden.“ 93<br />

Das Hauptanliegen der Zeitschrift sollte die Bildung der Frauen aller Schichten sein, weshalb sie<br />

sich für eine vermehrte Anstellung von Frauen in den Lehr- <strong>und</strong> Kaufmannsberufen oder für deren<br />

Ausbildung als Erzieherinnen in den Fröbel-Seminaren aussprach. Ideologische Abhandlungen<br />

zur Rolle <strong>und</strong> Bestimmung der Frau waren jedoch genauso wichtig wie Schilderungen aus der Re-<br />

gion – für Beides gab es gleichgroßen Raum – was auch auf die Vernetzungsfunktion der „Frauen-<br />

88 Ebd.<br />

89 Ebd.<br />

90 Ebd.<br />

91 Vgl. Geiger/Weigel, Sind das noch Damen?, S. 40.<br />

92 Vgl. ebd., S. 41.<br />

93 Programm. In: Frauen-Zeitung, 01/ 01 (Probenummer)/ 21.04.1849/ 2.<br />

61


„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />

Zeitung“ hindeutet. 94 Otto-Peters arbeitete zwar selbständig, aber nicht allein – auch andere<br />

couragierte Frauen wirkten mit. Deshalb sei die „Frauen-Zeitung“, so Geiger/Weigel, „als Sprach-<br />

rohr der Zeitbestrebungen […] mehr als die berühmte Ausnahme, das mutige Vorbild als Einzel-<br />

unternehmen“ 95 . Sie lebte vor allem von der Mitarbeit professioneller Publizisten, die anonym<br />

blieben oder nur mit ihren Vornamen zeichneten. Diese offene Konzeption der „Frauen-Zeitung“<br />

veranschauliche, „wie wenig geschlossen der Frauen-Zeitgeist […] in dieser Epoche war“ 96 , denn<br />

die von MitarbeiterInnen verfassten Beiträge vermittelten ein „radikaleres Frauen-Bild“ als die<br />

Gr<strong>und</strong>satzartikel. Jene von Louise Otto-Peters verfassten Gr<strong>und</strong>satzartikel setzten das „Ewig-<br />

Weibliche“, „die Wärme, Hingabe <strong>und</strong> Aufopferung der Frauen gegen den einseitigen ‘Ver-<br />

standes-Despotismus’ der Männer“ 97 . Zwar war auch die volle Entfaltung der Frauen-<br />

Persönlichkeit gesetztes Ziel, doch nicht im Sinne einer „Subjektivität“, die nach Otto-Peters eher<br />

„einer Entfaltungssucht des Individuums“ 98 entspringe. Geiger/Weigel resümieren für das in der<br />

„Frauen-Zeitung“ entwickelte Frauenleitbild:<br />

„Wenn Louise Otto auch Selbständigkeit <strong>und</strong> Mündigkeit für die Frauen forderte,<br />

so schränkte sie doch gleichzeitig das Lebensziel <strong>und</strong> seinen Inhalt für die Frauen<br />

mit der Norm der ‘Hingabe, Aufopferung <strong>und</strong> Liebe’ ein.“ 99<br />

Dieses sind die den Frauen allerdings mehr abverlangten als zugeschriebenen Charakter-<br />

eigenschaften, die auch in der „Gleichheit“ einen wesentlichen Inhalt des Frauenbildes ausmachen<br />

werden.<br />

Wie bereits beschrieben, scheiterte die deutsche Revolution <strong>und</strong> viele Landesfürsten – zumal der<br />

preußische König Friedrich Wilhelm IV., dem 1849 von den bürgerlichen Revolutionären noch die<br />

gesamtdeutsche Kaiserwürde angetragen worden war, die er aber hochmütig zurückgewiesen hatte<br />

– wollten ihre Exempel statuieren, indem sie besonders repressiv gegen Institutionen der<br />

öffentlichen Meinung vorgingen. Auch in der sächsischen Heimat Otto-Peters verebbte die revolu-<br />

tionäre Aufbruchstimmung <strong>und</strong> das sächsische Pressegesetz, welches Frauen nicht gestattete,<br />

selbständig Zeitungen zu redigieren oder herauszugeben 100 , zwang sie 1850, den Druckort der<br />

„Frauen-Zeitung“ in das thüringische Gheda zu verlegen. Aber auch dort konnte die Zeitschrift<br />

94 Geiger/Weigel, Sind das noch Damen?, S. 40.<br />

95 Ebd.<br />

96 Ebd., S. 42.<br />

97 Ebd., S. 41.<br />

98 Ebd.<br />

99 Ebd.<br />

100 Die von Geiger/Weigel herausgegebene Untersuchung „Sind das noch Damen? Vom gelehrten Frauenzimmer-<br />

Journal zum feministischen Journalismus“ bietet nicht nur zur „Frauen-Zeitung“ zahlreiche nützliche Hintergr<strong>und</strong>informationen,<br />

sondern auch zu vielen weiteren politischen Zeitungen, die trotz aller repressiven Gesetze von<br />

Frauen ins Leben gerufen wurden.<br />

62


1.2 DIE ERSTE DEUTSCHE FRAUENZEITSCHRIFT: DIE „FRAUEN-ZEITUNG“ (1849-1852)<br />

nur noch für zwei Jahre der Zensur entgehen. Die Nummer 51 des Jahres 1852 war die letzte<br />

Ausgabe der „Frauen-Zeitung“.<br />

In dem Zeitraum der Jahre 1852 bis 1866 existierte tatsächlich kein einziges politisches Frauen-<br />

organ. 101 Erst mit der bereits beschriebenen Gründung des „Allgemeinen Deutschen Frauen-<br />

vereins“ (ADF) 1865 in Leipzig trat eine deutsche Frauenbewegung hervor, die sich nicht mehr<br />

auf das Wirken einzelner Personen stützte, sondern auf den Statuten <strong>und</strong> publizistischen Medien<br />

selbständiger Organisationen basierte. Auch der ADF gab bereits einige Monate nach seiner Grün-<br />

dung eine neue Frauenzeitschrift mit dem viel sagenden Titel „Neue Bahnen“ heraus. Die „Neue<br />

Bahnen“ war organisatorisch, finanziell <strong>und</strong> personell an den ADF geb<strong>und</strong>en. Dieses Konzept un-<br />

terstützte ein kontinuierliches Erscheinen <strong>und</strong> wurde später von den meisten Frauenzeitschriften,<br />

die von Frauen herausgegeben wurden, übernommen. 102 Was trotz aller Professionalität aber für<br />

Frauenzeitschriften nicht ausgeschlossen werden konnte, war ein Verbot durch die staatlichen Be-<br />

hörden.<br />

101 Aus Tabelle 4 „Die wichtigsten Zeitschriften der deutschen Frauenbewegung“ geht anhand der Erscheinungsdaten<br />

der Frauenzeitschriften sehr klar hervor, wie die repressiven Gesetze die politische Stellungnahme der Frauen<br />

zwar sehr erschwerten, es aber doch nicht vermochten, sie völlig zu unterdrücken.<br />

102 Ab demjenigen Zeitpunkt, da überhaupt von einer organisierten Frauenbewegung die Rede sein konnte, bot die<br />

„Neue Bahnen“ ein deutlich professionelleres F<strong>und</strong>ament als es die „Frauen-Zeitung“ je vermocht hätte – sie besaß<br />

laut Kinnebrock, die in ihrem Artikel mehrere Frauenzeitschriften miteinander vergleicht, „Modellcharakter“<br />

<strong>und</strong> wurde vielfach „kopiert“. Bewegungszeitschriften sicherten zunehmend ihre Existenz durch die Anbindung an<br />

Frauenvereine. Gemeinsame Interessen wurden zu Forderungen formuliert, über ihre Hintergründe aufgeklärt <strong>und</strong><br />

Protest koordiniert. „Kurzum, die bereits bei den ‘Neuen Bahnen’ erkennbare Informations- <strong>und</strong> Organisationsfunktion<br />

der Frauenbewegungszeitschriften wurde auch – besser: gerade – in der Blütezeit der Frauenbewegung<br />

betont, sodass die ‘Neuen Bahnen’ als Ausgangspunkt der deutschen Frauenbewegungspresse überhaupt bezeichnet<br />

werden können.“ (Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 139). Es ist jedoch m. E. anzunehmen<br />

bzw. noch zu untersuchen, inwieweit wiederum von Männern herausgegebene Zeitschriften Modellfunktion für<br />

die „Neue Bahnen“ gehabt haben.<br />

63


1.3 DIE ERSTE PROLETARISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE STAATSBÜRGERIN“ (3. JANUAR 1886-13. JUNI 1886)<br />

1.3 Die erste proletarische Frauenzeitschrift:<br />

„Die Staatsbürgerin“ (3. Januar 1886-13. Juni 1886)<br />

Ebenfalls ausgehend von einem einzelnen Verein schuf sich auch die proletarische Frauen-<br />

bewegung ihr erstes eigenes Organ: Die „Staatsbürgerin“ (1886). Diese ist trotz des wenig<br />

proletarisch anmutenden Titels in der Tat als die erste proletarische Frauenzeitschrift<br />

Deutschlands anzusehen. 103 Ähnlich dem Motto der „Frauen-Zeitung“ drückte der Titel „Staats-<br />

bürgerin“ nicht die Forderung nach bürgerlichen Rechten, sondern vielmehr nach Bürgerrechten<br />

aus. Ihr Untertitel „Organ für die Interessen der Arbeiterinnen <strong>und</strong> der Central-Kranken- <strong>und</strong> Be-<br />

gräbnißkasse für Frauen <strong>und</strong> Mädchen in Deutschland“ 104 steht einerseits für einen allgemein<br />

proletarischen Anspruch, andererseits aber auch für ihren Charakter als Vereinsorgan. 105 Die erste<br />

Nummer der „Staatsbürgerin“, deren Redaktion in den Händen von Gertrud Guillaume-Schack 106<br />

lag, erschien am 3. Januar 1886 <strong>und</strong> bereits Nummer 24 vom 13. Juni des gleichen Jahrgangs<br />

sollte aufgr<strong>und</strong> eines Polizeiverbotes die letzte sein.<br />

Guillaume-Schack sah in den 4.000–5.000 verschiedenen Zeitungen 107 , die zu jener Zeit in<br />

Deutschland existierten, zwar die Interessen der Männer vertreten <strong>und</strong> durch einige von ihnen<br />

auch den „Damen“ die Möglichkeit gegeben, ihre „müßigen St<strong>und</strong>en auszufüllen, aber ein Blatt,<br />

das der Arbeiterin bringt, was dieselbe wissen soll <strong>und</strong> muß, <strong>und</strong> das nicht zu theuer für die<br />

wäre“ 108 , das gab es nicht. In dem Artikel „Unser Zweck“ definierte sie deshalb das Selbstver-<br />

ständnis <strong>und</strong> den Auftrag der „Staatsbürgerin“ wie folgt:<br />

„Wir wollen eine Zeitung für die Frau des Volkes schaffen, die ihre Interessen voll<br />

<strong>und</strong> ganz vertritt.“ 109<br />

103 Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack <strong>und</strong> ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 7.<br />

104 Die „Offenbacher Kranken- <strong>und</strong> Begräbnißkasse für Frauen <strong>und</strong> Mädchen“, deren Entwicklung eng mit der<br />

„Staatsbürgerin“ verknüpft ist, wurde 1883/84 gegründet <strong>und</strong> gilt als die erste überregionale proletarische Frauenorganisation<br />

Deutschlands (vgl. ebd).<br />

105 Vormschlag charakterisiert die „Staatsbürgerin“ als „erste sozialistische Frauenzeitschrift“ [Hervorhebung von<br />

M.S.]. Sie schränkt dann aber diese Charakterisierung hinsichtlich des Umstandes ein, dass sie eher eine spezifische<br />

Stellungnahme zu den Tagesinteressen der Arbeiterinnen als ein ausgeprägtes Klassenkämpfertum umschrieben<br />

habe (vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 59).<br />

106 Zur Biographie Guillaume-Schacks sind in der Literatur sehr unterschiedliche <strong>und</strong> verwirrende Angaben zu finden.<br />

Die wohl prof<strong>und</strong>este Lebensbeschreibung ist ein von ihrer langjährigen Mitkämpferin Marie Hofmann<br />

verfasster, in der „Gleichheit“ veröffentlichter Nachruf, der hier noch an anderer Stelle vorgestellt wird. Vielen<br />

neueren Arbeiten – wie z. B. Thönnessen <strong>und</strong> Eisfeld/Koszyk – sind jedoch erhebliche Defizite hinsichtlich der<br />

biographischen Angaben anzulasten (vgl. Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack <strong>und</strong> ihre Zeitschrift<br />

„Die Staatsbürgerin“, S. 7f.). Als Redakteurin der ersten proletarischen Frauenzeitschrift rückte Guillaume-<br />

Schacks Lebensgeschichte außerdem in den Blickpunkt der DDR-Wissenschaft <strong>und</strong> wurde von dieser einer deutlich<br />

politischen Färbung unterzogen – eine Eigenart, die noch ausgeprägter bei der Person Clara Zetkins auffällt.<br />

107 Vgl. [Guillaume-Schack, Gertrud:] Unser Zweck. In: Staatsbürgerin, 01 / 01 / 03.01.1886 / Reprint S. 1.<br />

108 Ebd.<br />

109 Ebd.<br />

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„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />

Die Bezeichnung „Frau des Volkes“ bezog sich zu Beginn vor allem auf die Mitglieder der Arbei-<br />

terinnenvereine <strong>und</strong> der Kranken- <strong>und</strong> Begräbniskasse für Frauen <strong>und</strong> Mädchen. Deren „Mit-<br />

theilungen über die Vorfälle <strong>und</strong> Arbeiten an den verschiedenen Orten“ 110 , ihre Probleme <strong>und</strong><br />

Fragen wollte die „Staatsbürgerin“ erörtern <strong>und</strong> beantworten. Deshalb wollte sie für alle Berichte<br />

aus der Feder der Arbeiterinnen offen stehen, dem in diesen Berichten zutage tretenden Unrecht<br />

eine Plattform geben, es anklagen <strong>und</strong> „die öffentliche Meinung [als] Schiedsrichteramt“ 111 an-<br />

rufen.<br />

Neben dieser politischen Aufgabe wollte die „Staatsbürgerin“ auch hilfreich in Bezug auf „Ge-<br />

s<strong>und</strong>heitspflege, Kinder-Erziehung, Wissenschaft, Statistik, wirthschaftliche Fragen, die Lohnver-<br />

hältnisse <strong>und</strong> die Gesetze, soweit dieselben die Frauen betreffen“ 112 sein <strong>und</strong> zudem „ausgewählte<br />

belletristische Lektüre“ 113 bieten. Guillaume-Schack beschreibt daher in bildhaften Worten die<br />

Entwicklung der proletarischen Frau:<br />

„Wie Dornröschen nach tausendjährigem Schlafe, ist die Arbeiterin heute erwacht.<br />

Wie das Morgenroth des jungen Tages, bricht sich das Licht des Gedankens in<br />

ihrem Leben Bahn <strong>und</strong> überfluthet heller <strong>und</strong> heller ihr Schaffen im Hause, am<br />

Herd <strong>und</strong> in der Familie, ihr Schaffen in den Werkstätten <strong>und</strong> Fabriken, in Feld <strong>und</strong><br />

Flur, <strong>und</strong> wird ihr zum hellen Stern, der ihr den Weg zu Wissenschaft <strong>und</strong> Kunst<br />

<strong>und</strong> vor allem den Weg zum Wirken <strong>und</strong> Schaffen für die Allgemeinheit zeigt.“ 114<br />

Diese geistige Entwicklung sei nicht zuletzt dem in den letzten Jahren schnell gewachsenem<br />

„Gefühl der Zusammengehörigkeit“ 115 der Arbeiterinnen zuzuschreiben, aus dem heraus sich die<br />

„einsichtsvollsten“ 116 der Frauen zusammengeschlossen hätten, „um sich durch eigne Kraft gegen<br />

das Elend des Lebens, das beständig vor ihrer Thür lauert, zu schützen“ 117 . Guillaume-Schack sah<br />

das Selbstbewusstsein der Arbeiterinnen verändert. Sie, „die den eigentlichsten Kern <strong>und</strong> Mittel-<br />

punkt des Volkes, als Hüterinnen des häuslichen Herdes, <strong>und</strong> als Mütter <strong>und</strong> Erzieherinnen des<br />

künftigen Geschlechtes bilden“ 118 , hätten „begonnen, ihre staatsbürgerlichen Rechte <strong>und</strong> Pflichten<br />

in ihrer ganzen Tragweite zu begreifen“ 119 . Nun wäre es an der „Staatsbürgerin“, diesem hohen<br />

Anspruch gemäß zwischen den Arbeiterinnen „in der ganzen civilisirten Welt, ein gemeinsames<br />

110 Ebd.<br />

111 Ebd.<br />

112 Ebd.<br />

113 Ebd.<br />

114 Ebd.<br />

115 Ebd.<br />

116 Ebd.<br />

117 Ebd.<br />

118 Ebd.<br />

119 Ebd.<br />

66


1.3 DIE ERSTE PROLETARISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE STAATSBÜRGERIN“ (3. JANUAR 1886-13. JUNI 1886)<br />

Band zu schlingen“ 120 . Es ist nicht nur dieser internationale Aspekt, der die „Staatsbürgerin“, ohne<br />

dass die Arbeiterbewegung als Bezugsgröße genannt wird, in deren Nähe rückt. Rhetorisch<br />

versiert macht die Redakteurin der „Staatsbürgerin“ diese Nähe zudem wie folgt deutlich:<br />

„Die Presse hat sich bisher fast einzig <strong>und</strong> allein darauf beschränkt, den deutschen<br />

Frauen mitzutheilen, was überall ‘Mode’ ist, oder ‘gekocht’ wird, wir wollen aber<br />

ein Blatt gründen, das in die Tiefe des Lebens hineingreift <strong>und</strong> sich vorerst einmal<br />

damit beschäftigt, was geschehen kann, damit alle Menschen etwas anzuziehen <strong>und</strong><br />

zu essen haben“ 121 .<br />

Die „Staatsbürgerin“ beanspruchte eben nicht nur ein Blatt zu sein, „das für die geistigen <strong>und</strong><br />

materiellen Interessen der Arbeiterinnen in allen ihren Zweigen einsteht, in das Leben der Arbei-<br />

terinnen neue Gedanken, Zerstreuung <strong>und</strong> Erheiterung bring[t]“ 122 , sondern auch denjenigen<br />

außerhalb der Arbeiterwelt helfen, „das Sein des Volkes verstehen“ 123 zu lernen. All diese Ziele, da<br />

war sich Guillaume-Schack sicher, waren jedoch nur mit der aktiven Unterstützung der Arbeite-<br />

rinnen erreichbar. Nur mittels ihrer schriftlichen Beiträge konnte die Staatsbürgerin „ein getreues<br />

Abbild ihres Daseins“ 124 werden. Nur die aktive Unterstützung ihrer Sympathisantinnen <strong>und</strong> Lese-<br />

rinnen konnte die Verbreitung <strong>und</strong> damit den Erfolg der „Staatsbürgerin“ gewährleisten. 125 Ein<br />

Erfolg, an dem auch dem Offenbacher Verleger Carl Ulrich gelegen war, der sowohl für Druck als<br />

auch Verlag verantwortlich zeichnete. Ulrich war bekennender Sozialdemokrat <strong>und</strong> zudem Ver-<br />

leger des parteinahen „Offenbacher Tageblatts“ (1874-1933). Im hessischen Offenbach jedoch<br />

bedeutete seine politische Gesinnung nicht zwangsläufig eine Bedrohung seiner wirtschaftlichen<br />

Existenz, denn hier fand das Sozialistengesetz eine weniger rigorose Umsetzung als andernorts.<br />

In erster Linie versuchte man die finanzielle Existenz der „Staatsbürgerin“ dadurch zu sichern,<br />

dass sie zum „Obligatorium“, d. h. zum Pflichtabonnement für die örtlichen Filialen der Offen-<br />

bacher Kasse gemacht wurde. Ein Vierteljahresabonnement kostete 75 Pfennig 126 <strong>und</strong> ein Preis-<br />

vergleich zeigt, dass die „Staatsbürgerin“ damit – gemäß ihrer eigenen Zielsetzung – deutlich<br />

billiger war als eine der unpolitischen Unterhaltungs- <strong>und</strong> Modezeitschriften für Frauen. 127 Unver-<br />

120 Ebd.<br />

121 Ebd.<br />

122 Ebd.<br />

123 Ebd.<br />

124 Ebd.<br />

125 Ebd.<br />

126 Dies war derselbe Preis, den bereits ihr Vorgängerorgan, die „Deutsche Buchbinderzeitung“ (1880-1885), gekostet<br />

hatte. Die Zustellung der „Staatsbürgerin“ per Post kostete die AbonnentInnen zusätzliche 15 Pfennig.<br />

127 Solcherlei Zeitschriften wie z. B. „Der Bazar“ (1855-1937) oder die „Illustrierte Frauenzeitung“ (1874-1911) kosteten<br />

im Vierteljahresabonnement bemerkenswerte 2,50 Mark, enthielten allerdings auch u. a. aufwendig <strong>und</strong><br />

ansprechend gestaltete Illustrationen (vgl. Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack <strong>und</strong> ihre Zeitschrift<br />

„Die Staatsbürgerin“, S. 30). Zur Geschichte der „Gartenlaube“ (1853-1937) <strong>und</strong> der „Illustrirten Zeitung“ (1843-<br />

67


„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />

zichtbar ist an dieser Stelle eine Vorstellung von den Größenordnungen damaliger Einkünfte <strong>und</strong><br />

Ausgaben proletarischer Haushalte. Nur anhand der Relation, in der die Ausgaben für eine<br />

Zeitschrift zu einem durchschnittlichen proletarischen Familien- <strong>und</strong> Haushaltsbudget standen,<br />

lässt sich ermessen, welche Bedeutung das „Halten“ eines Zeitschriftenabonnements für die<br />

Haushaltskasse einer Arbeiterfamilie hatte. Abgesehen von regionalen <strong>und</strong> berufsspezifischen<br />

Eigenarten, die die Lebenshaltungskosten <strong>und</strong> Einkommensverhältnisse einer proletarischen<br />

Familie variieren ließen, betrug das durchschnittliche Einkommen eines Arbeiters damals ca. 20-<br />

30 Mark pro Woche – dasjenige einer Arbeiterin lag aber wie bereits beschrieben um vieles<br />

niedriger. 1880 kostete ein Pf<strong>und</strong> Butter eine Mark <strong>und</strong> ¼ Pf<strong>und</strong> Kaffee 30 Pfennig. 128 Ein Zei-<br />

tungsabonnement war demnach durchaus ein finanzielles Opfer <strong>und</strong> die Preisgestaltung der<br />

„Staatsbürgerin“ nahm Rücksicht auf ein anzunehmendes Durchschnittseinkommen ihrer anvi-<br />

sierten Leserschaft.<br />

Die wöchentliche Auflage der „Staatsbürgerin“ dürfte nur einige H<strong>und</strong>ert Exemplare betragen<br />

haben. 129 Einem Polizeibericht zufolge – allerdings nach dem Verbot der „Staatsbürgerin“ ange-<br />

fertigt – ist von 130 PostabonnentInnen auszugehen. 130 Da diese Abonnements nicht ausgereicht<br />

haben dürften, die Kosten der Herstellung vollständig zu decken, verfügte die „Staatsbürgerin“<br />

über weitere Einnahmen durch Inserate <strong>und</strong> Annoncen. 131 Diese waren allerdings nicht etwa kom-<br />

merzieller Art, sondern hauptsächlich Bekanntmachungen der „Offenbacher Kranken- <strong>und</strong><br />

Begräbnißkasse für Frauen <strong>und</strong> Mädchen“, ihres Zentralvorstandes oder ihrer Zweigstellen. In-<br />

haltlich betrafen sie deshalb vor allem die Ankündigung von Versammlungen oder regelmäßige<br />

Berichte zu den Vereinsfinanzen. Eigenwerbung betrieb die „Staatsbürgerin“ vor allem dadurch,<br />

1944) – zwei der erfolgreichsten Unterhaltungs- <strong>und</strong> Familienblätter Deutschlands siehe: Wischermann, Frauenfrage<br />

<strong>und</strong> Presse.<br />

128 Vgl. Saul/u. a., Arbeiterfamilien im Kaiserreich, S. 92, S. 102 u. S. 106. Eine Untersuchung zu den verschiedenen<br />

Typen proletarischer städtischer Haushalte <strong>und</strong> ihre Hauswirtschaft analysierte die Soziologin Margarete Freudenthal<br />

1934 (vgl. Freudenthal, Gestaltwandel der städtischen, bürgerlichen <strong>und</strong> proletarischen Hauswirtschaft<br />

zwischen 1760 <strong>und</strong> 1910, S. 113ff.).<br />

129 Vgl. Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack <strong>und</strong> ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 30.<br />

130 Vgl. ebd. Ob es tatsächlich, wie Gebhardt/Wischermann interpretieren, Zeichen für einen großen Absatz der Zeitschrift<br />

ist, wenn Guilleaume-Schack am 11. April 1886 ihren LeserInnen mitteilte, dass neue AbonnentInnen die<br />

Nummern 1 bis 3 nicht nachgeliefert bekommen könnten, kann in Zweifel gezogen werden. Dieser Umstand kann<br />

schlicht auch auf eine sehr niedrig gehaltene Auflage zu Beginn des Erscheinens zurückgeführt werden. Was auch<br />

erklären würde, warum schließlich auch die gesamten Nummern der ersten drei Monate „vollständig vergriffen“<br />

(Staatsbürgerin, 01/ 15/ 11.04.1886/ Reprint S. 60; vgl. auch Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack<br />

<strong>und</strong> ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 30.) waren.<br />

131 Inserate wurden mit 20 Pfennig, Annoncen von Vereinen <strong>und</strong> Organisationen mit 5 Pfennig pro Petitzeile berechnet.<br />

Die Schriftgrößen eines Druckerzeugnisses richten sich nach einem seit 1879 existierenden Punktesystems:<br />

1 Punkt = 0,3759 mm. Die „Petit“(„Kleine“)-Zeile entspricht 8 Punkten, die außerdem für Inserate in der<br />

„Gleichheit“ verwendete „Nonpareille“ (die „Unvergleichliche“)-Zeile 6 Punkten. Letztere ist die kleinste für<br />

Durchschnittsleser noch lesbare Schrift. Interessanterweise wird die sehr raumgreifende, 9 Punkte entsprechende<br />

Schriftgröße, in der z. B. Leitartikel gedruckt wurden im Schriftsetzerhandwerk „Bourgeois“ oder „Borgis“ genannt<br />

(vgl. Hagemann, Die Zeitung als Organismus, S. 152-154).<br />

68


1.3 DIE ERSTE PROLETARISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE STAATSBÜRGERIN“ (3. JANUAR 1886-13. JUNI 1886)<br />

dass sie Gratisexemplare an die Mitglieder von Arbeiterinnenvereinen <strong>und</strong> BesucherInnen von Ar-<br />

beiterversammlungen verteilte. Hinzu kam, dass die „Staatsbürgerin“ nicht nur von anderen<br />

Arbeiterorganen als Lektüre empfohlen, sondern ihre Gründung sogar durch die „Neue Bahnen“<br />

begrüßt 132 <strong>und</strong> ein enger Kontakt zu Otto-Peters <strong>und</strong> Schmidt geknüpft wurde. Trotz des Abon-<br />

nentInnenkreises <strong>und</strong> der Anzeigenk<strong>und</strong>schaft musste die „Staatsbürgerin“ jedoch vom Verlag be-<br />

zuschusst werden – zu Beginn mit der hohen Summe von 600 Mark. 133<br />

Die „Staatsbürgerin“ erschien wöchentlich. Eine Nummer umfasste in der Regel vier in einem<br />

dreispaltigen Layout gehaltene Seiten. Der Nummer 15 vom 11. April 1886 war erstmals eine ein-<br />

seitige Beilage beigefügt, bei der es sich allerdings nicht um ein eigenständiges Journal oder gar<br />

ein Schnittmuster handelte, sondern um eine Bekanntmachung des Zentralvorstandes der „Cen-<br />

tral-Kranken- & Begräbnißkasse für Frauen & Mädchen Deutschlands“, ein Verzeichnis der<br />

Ausschuss- <strong>und</strong> Vorstandsmitglieder sowie eine eindrucksvolle Adressenliste der Vorstände der<br />

örtlichen Verwaltungsstellen enthaltend. 134 Wie diese Liste eindeutig belegt, war die Offenbacher<br />

Krankenkasse eine in den deutschen Staaten weitverzweigte Organisation. Es wurde deshalb not-<br />

wendig, den örtlichen Vorständen konkrete Anweisung zu geben, säumige Kassenmitglieder zu<br />

mahnen <strong>und</strong> gegebenenfalls Beiträge einzuklagen. Auch die Vorstände selbst wurden in dieser<br />

Beilage, die nun nahezu jeder Nummer beigefügt wurde, auf die Geschäftsordnung hingewiesen<br />

<strong>und</strong> ermahnt, mindestens ein Exemplar der „Staatsbürgerin“ „bei ihrer Postanstalt zu bestellen,<br />

um sich von den Bekanntmachungen des Central-Vorstandes genügend zu unterrichten.“ 135 . Diese<br />

Aufforderung stand ganz in Übereinstimmung mit dem Selbstverständnis der Zeitschrift, denn es<br />

war nun einmal die zentrale Aufgabe der „Staatsbürgerin“, „genügend zu unterrichten“, denn da-<br />

rin bestand ihr Hauptzweck als Informations- <strong>und</strong> Vernetzungsorgan einer überregionalen Organi-<br />

sation.<br />

Das strukturelle Gr<strong>und</strong>schema der „Staatsbürgerin“ lässt sich an folgenden Bestandteilen <strong>und</strong><br />

Rubriken aufzeigen: Leitartikel, „Umschau“, „Korrespondenzen“, Feuilleton, „Allerlei“, Bekannt-<br />

machungen, „Briefkasten“ <strong>und</strong> Annoncen. 136 Die namentlich nicht gezeichneten Leitartikel<br />

132 „Kann man so das Blatt als Fachblatt für die Mitglieder der erwähnten Kassen betrachten, worin es die Garantie<br />

seines Bestehens findet, so behandelt es doch nicht allein den engen Kreis dieser Special-Interessen, sondern geht<br />

über dieselben hinaus <strong>und</strong> bemüht sich, in den arbeitenden Frauen das Bewußtsein ihrer Zusammengehörigkeit zu<br />

wecken, sie zur Selbsthilfe anzuregen <strong>und</strong> zu Staatsbürgerinnen zu erziehen.“ (Neue Bahnen, 21/ 04/ 1886/ 27).<br />

133 Gebhardt/Wischermann erachten diese von Ulrich gemachte Angabe jedoch für unverhältnismäßig hoch, da das<br />

Vorgängerorgan bei gleichem Preis, gleicher Erscheinungsweise <strong>und</strong> einer Auflage von 750 Exemplaren sogar Gewinn<br />

abgeworfen habe (vgl. Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack <strong>und</strong> ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“,<br />

S. 31, Anm. 161).<br />

134 Vgl. Staatsbürgerin, 01/ 15/ 11.04.1886/ Reprint S. 62.<br />

135 Ebd.<br />

136 Vgl. Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack <strong>und</strong> ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 31.<br />

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„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />

wurden von Guillaume-Schack 137 verfasst, wobei selbst die wenigen Leitartikel, die offensichtlich<br />

nicht aus ihrer Feder stammen, von ihr vorgenommene Korrekturen aufweisen – meist in der Art<br />

heutiger „political correctness“, indem sie z. B. den Begriff „Arbeiterinnen“ ergänzte.<br />

Die Rubrik „Umschau“ hatte den Charakter einer Zeitungsrevue, für die Guillaume-Schack uner-<br />

müdlich verschiedene aktuelle Zeitungen auszuwerten schien. Tatsächlich bediente sie sich aber<br />

vor allem des in Arbeiterinnenkreisen sehr beliebten „Berliner Volksblatts“ (1884-1890) – dem<br />

Vorgänger des sozialdemokratischen „Vorwärts“ (1891-1958) 138 – oder ihr zugesandter Zeitungs-<br />

ausschnitte bzw. Originalbeiträge. 139 Die Arbeit einer Redakteurin konnte nicht darin bestehen,<br />

allein eine ganze Zeitschrift inhaltlich zu füllen. Deshalb hatte Guillaume-Schack bereits in der<br />

ersten Nummer der „Staatsbürgerin“ vor allem diejenigen ihrer Leserinnen, die Mitglieder oder<br />

Leiterinnen eines Vereins waren, aufgefordert, über die Tätigkeiten ihrer Organisationen zu be-<br />

richten. Indem daraufhin in Nummer 8 vom 21. Februar 1886 ein Bericht über eine Versammlung<br />

des „Berliner Mantelnäherinnen-Vereins“ erschien, ergab sich für das in Offenbach ansässige<br />

Organ eine erste Verbindung nach Berlin. Dies sowohl zum dortigen Verein der Mantelnäherinnen<br />

<strong>und</strong> zu dessen Vorsitzenden Rosa Büge (?-?) als auch zum „Verein zur Vertretung der Interessen<br />

der Arbeiterinnen“ unter Vorsitz von Marie Hofmann. Wie jedoch bereits beschrieben, wurden<br />

beide Vereine <strong>und</strong> auch andere Berliner Frauenorganisationen bereits im selben Monat verboten.<br />

In dem Bericht, den Guillaume-Schack über dieses Verbot in der „Staatsbürgerin“ veröffentlichte<br />

– bevor diese dann auch selbst verboten wurde –, vertrat sie die Meinung, dass sich<br />

„die Vereine selbst niemals mit irgend einer politischen Thätigkeit befaßt [hätten].<br />

Dieselbe wäre auch schon deshalb unmöglich gewesen, weil die darin vorhandenen<br />

Elemente zu verschieden waren. Conservative <strong>und</strong> Freisinnige, Christlich-Soziale<br />

<strong>und</strong> Sozialdemokraten saßen darin alle auf derselben Bank, überwachten einer den<br />

andern, besser als die Polizei es je im Stande gewesen wäre, <strong>und</strong> sorgten dafür, daß<br />

das Gesetz nicht überschritten wurde, welches Frauen von politischem Handeln<br />

ausschließt.“ 140<br />

Demnach hatte laut Guillaume-Schack also niemals, wie von Behördenseite vorgeworfen, eine<br />

Verbindung zwischen den einzelnen Vereinen bestanden. Stattdessen hätten sich lediglich unlieb-<br />

137 Vgl. ebd. Die Untersuchung der Leitartikel nach Stilistik <strong>und</strong> Diktion zur Klärung der Verfasserschaft zeigt, wie<br />

gründlich sich Gebhardt <strong>und</strong> Wischermann mit der „Staatsbürgerin“ <strong>und</strong> vor allem mit Guillaume-Schack<br />

auseinandergesetzt haben.<br />

138 Der „Vorwärts – Berliner Volksblatt“ wurde 1933 wie alle anderen sozialdemokratischen Presseorgane durch die<br />

nationalsozialistische Regierung verboten. Im Exil <strong>und</strong> nach Ende des Zweiten Weltkrieges gründeten sich mehrere<br />

Zeitschriften, die sich namentlich an den „Vorwärts“ anlehnten.<br />

139 Gebhardt/Wischermann stellen an den Schluss ihrer Darstellungen <strong>und</strong> des „Staatsbürgerin“-Reprints eine besonders<br />

aufschlussreiche Sammlung von Annotationen. An ihr wird deutlich, wieviele Artikel Guillaume-Schack<br />

von anderen Presseorganen übernahm <strong>und</strong> geben „Einblick in die damalige journalistische Arbeitstechnik […],<br />

insbesondere in das Arbeiten mit ‘Schere <strong>und</strong> Kleister’“ (ebd., S. 39).<br />

140 Das Verbot der Berliner Arbeiterinnen-Vereine. In: Staatsbürgerin, 01/ 23/ 06.06.1886/ Reprint S. 108.<br />

70


1.3 DIE ERSTE PROLETARISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE STAATSBÜRGERIN“ (3. JANUAR 1886-13. JUNI 1886)<br />

same „öffentliche[…] <strong>und</strong> verborgene[…] Zänkereien“ 141 zwischen den beiden abgespielt. Der<br />

Richterspruch, so Guillaume-Schack weiter, habe deshalb nur verwirrend auf die beschuldigten<br />

Menschen gewirkt, die sich bis dahin keines Unrechtes bewusst gewesen seien.<br />

Dieser Kommentar gibt ein interessantes zeitgenössisches <strong>und</strong> vielleicht auch exemplarisches Ur-<br />

teil über die Zusammensetzung, Arbeit <strong>und</strong> das Abgrenzungsbedürfnis der ersten Arbeiterinnen-<br />

vereine. Gerade das Bedürfnis nach Abgrenzung spiegelt sich dabei immer wieder auch in den<br />

Inseraten der verschiedenen Vereine wider. Neben den Berichten aus ihrem Vereinsleben ver-<br />

öffentlichte die „Staatsbürgerin“ auch Aufrufe zur Sammlung statistischen Materials. Die Leserin-<br />

nen wurden aufgefordert, Angaben zu Lohn- <strong>und</strong> Arbeitsverhältnissen an „Fr. Rohleder’s Bureau<br />

für Arbeiterangelegenheiten <strong>und</strong> Statistik“ in München schicken. 142 Ein anderes Mal veröffent-<br />

lichten die Berliner Mantelnäherinnen in der „Staatsbürgerin“ einen eigenen Fragenkatalog <strong>und</strong><br />

betonten:<br />

„Jede Arbeiterin, die es ehrlich mit der Arbeiterinnenbewegung meint <strong>und</strong> gewillt<br />

ist, zur Aufbesserung ihrer traurigen Lage mitzuwirken, hat die Pflicht, diesen<br />

Fragebogen auszufüllen <strong>und</strong> denselben baldmöglichst an die Unterzeichnete [Rosa<br />

Büge; M.S.] gelangen zu lassen“ 143 [Hervorhebung von M.S.].<br />

Arbeiterinnen trugen auf diese Weise mit relativ wenig Aufwand zum wissenschaftlichen<br />

Sozialismus <strong>und</strong> damit zum Klassenkampf bei. Die Sammlung statistischer Belege war spätestens<br />

mit Bebels Buch „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“ zu einer wirksamen „Waffe“ der proletarischen<br />

Frauenbewegung geworden. Um die Befähigung zur Sammlung von Fakten <strong>und</strong> Beschreibungen<br />

der eigenen Lebenswirklichkeit zu fördern, warb die „Staatsbürgerin“ in einer ihrer seltenen ge-<br />

werblichen Annoncen für das neue orthographische Wörterbuch von Dr. Konrad Duden:<br />

„Allen Arbeiterinnen <strong>und</strong> auch Arbeitern die sich mit schriftlichen Arbeiten<br />

beschäftigen, kann das Buch auf das Wärmste empfohlen werden […] <strong>und</strong> ist die<br />

beste Anleitung die wir zu dem geringen Preise von 1 Mk. haben.“ 144<br />

Dies war eine an das proletarische Lesepublikum gerichtete Literaturempfehlung, um aus seinen<br />

Reihen potentielle Autoren <strong>und</strong> Autorinnen für die „Staatsbürgerin“-Rubrik „Korrespondenzen“<br />

zu gewinnen. In dieser Rubrik sorgten sie mit ihren Berichte über ihre Lebens- <strong>und</strong> Arbeits-<br />

141 Ebd.<br />

142 Dieser Aufruf erschien in der „Staatsbürgerin“ bis einschließlich Nummer 15. Eine Biographie Rohleders konnte<br />

nicht ermittelt werden.<br />

143 Staatsbürgerin, 01/ 14/ 04.04.1886/ Reprint S. 56. Auch der „Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen“<br />

wollte mittels Fragebogen an diese anscheinend sehr begehrten statistischen Angaben gelangen. In Nummer<br />

14 erschienen gleich zwei Inserate – eines davon vom Vorstand, in dem u. a. Agnes Wabnitz (1841-1894) Mitglied<br />

war –, die zur Einsendung des begehrten Materials aufforderten. Empfängerinnen der Daten sollten Staegemann,<br />

Kreutz oder Ihrer sein (vgl. Staatsbürgerin, 01/ 15/ 11.04.1886/ Reprint S. 60).<br />

144 Staatsbürgerin, 01/ 09/ 28.02.1886/ Reprint S. 36.<br />

71


„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />

situation 145 dafür, „daß die Staatsbürgerin ein getreues Abbild ihres Daseins bildet[e]“ 146 . Die<br />

Rubrik „Briefkasten“ enthielt dagegen – anders als es deren Titel vermuten ließe – keine der-<br />

artigen Leserbriefe, sondern umgekehrt Mitteilungen der Redaktion an LeserInnen <strong>und</strong> Korres-<br />

pondentInnen. 147<br />

Der Feuilleton der „Staatsbürgerin“ weist vornehmlich Fortsetzungserzählungen auf. Über an-<br />

sehnliche neun Nummern erstreckte sich z. B. „Aus der Hexenzeit“ von Louise Otto-Peters. 148<br />

Hinzu kommen einige wenige Gedichte <strong>und</strong> die Rubrik „Allerlei“, die tatsächlich ein Sammel-<br />

surium praktischer Hinweise, Gerichtsprozessberichten, tragischer Schicksalsbeschreibungen <strong>und</strong><br />

kleiner Witze bietet.<br />

Vor allem die verschiedenen sozialpolitischen Artikel – sowohl aus der Feder politisch engagierter<br />

AutorInnen als auch einfacher Arbeiterinnen stammend – sind es, die die „Staatsbürgerin“ aus<br />

heutiger geschichtswissenschaftlicher Sicht zu einer „Chronik proletarischen Frauenlebens in den<br />

achtziger Jahren des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“ 149 machten,<br />

„zu einer Chronik politischer Unterdrückung <strong>und</strong> sozialen Elends <strong>und</strong> des Aufbegehrens<br />

<strong>und</strong> Kämpfens der Arbeiterinnen gegen Verhältnisse, die nicht nur von<br />

der Klassenlage bestimmt wurden, sondern auch vom Herrschaftsanspruch der<br />

Männer, auch der eigenen Klasse.“ 150<br />

Die „Staatsbürgerin“ trat zwar für ein gemeinsames Vorgehen mit den Männern der Arbeiter-<br />

bewegung z. B. in der Frage des Lohnkampfes ein, ermutigte aber die Frauen auch, sich selbst<br />

„ihrer Haut zu wehren“ 151 . Denn es seien die von Frauen zusammengehaltenen Arbeiterfamilien,<br />

in denen man<br />

„eine Opferfreudigkeit, eine Ergebenheit <strong>und</strong> einen Heldenmuth [finde], gegen den<br />

der vom Augenblick geschaffene, so hoch gepriesene Heldenmuth auf dem<br />

Schlachtfelde oder bei irgend einer Gefahr weit zurücksteht“ 152 .<br />

145 Gebhardt/Wischermann haben in den 24 Nummern der „Staatsbürgerin“ über einh<strong>und</strong>ert solcher Artikel ausgemacht,<br />

von denen fast die Hälfte aus Berlin kamen. Vgl. Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack<br />

<strong>und</strong> ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 32.<br />

146 Unser Zweck. In: Staatsbürgerin, 01/ 01/ 03.01.1886/ Reprint S. 1<br />

147 Vgl. Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack <strong>und</strong> ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 32; Staatsbürgerin,<br />

01/ 06/ 07.02.1886/ Reprint S. 23 <strong>und</strong> 01/ 15/ 11.04.1886/ Reprint S. 60. Hier gewinnt man auch Aufschluss<br />

darüber, dass die Initialen „E. J., Berlin“ vermutlich Emma Ihrer zuzuordnen sind.<br />

148 Otto, Louise: Aus der Hexenzeit. In: Staatsbürgerin, 01/ 12/ 21.03.1886/ Reprint S. 46 bis 01/ 20/ 16.05.1886/ Reprint<br />

S. 88. Diese Erzählung handelt von dem Mädchen Osanna, deren Mutter im frühneuzeitlichen Thüringen der<br />

Hexerei angeklagt <strong>und</strong> zum Tode verurteilt wurde. Eine weitere Erzählung Otto-Peters – „Die Spitzenklöpplerin.<br />

Eine Erzählung aus dem sächsischen Erzgebirge“ – erschien in den letzten drei Nummern der „Staatsbürgerin“<br />

<strong>und</strong> konnte nicht abgeschlossen werden (vgl. Otto, Louise: Die Spitzenklöpplerin. Eine Erzählung aus dem sächsischen<br />

Erzgebirge. In: Staatsbürgerin, 01/ 22/ 30.05.1886/ Reprint S. 99 bis 01/ 24/ 13.06.1886/ Reprint S. 112).<br />

149 Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack <strong>und</strong> ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 33.<br />

150 Ebd.<br />

151 Unser Zweck. In: Staatsbürgerin, 01/ 01/ 03.01.1886/ Reprint S. 1.<br />

152 Ebd., S. 2.<br />

72


1.3 DIE ERSTE PROLETARISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE STAATSBÜRGERIN“ (3. JANUAR 1886-13. JUNI 1886)<br />

Vielfach mussten sich die proletarischen Frauen ihrer Stärken erst einmal bewusst werden. Und<br />

sie mussten sich auch im Klaren darüber sein, dass sie plötzlich nur auf sich <strong>und</strong> diese Stärken ge-<br />

stellt sein konnten. Die besser gestellten Arbeiterinnen, d. h. diejenigen, die gerade ihre Not noch<br />

gemeinsam mit einem Ehemann meisterten, konnten schließlich nicht wissen, wann auch sie<br />

fremder Hilfe bedurften. Es war daher nahe liegend, mit den schlechter gestellten Arbeiterinnen<br />

ein „Schutz- <strong>und</strong> Trutzbündniß“ 153 zu schließen. Richten sollte sich dieses „Schutz- <strong>und</strong> Trutz-<br />

bündniß“ jedoch nicht gegen die proletarischen Männer, sondern gegen den Kapitalismus. Dieses<br />

spezifische Verhältnis der Frau zum Kapitalismus wurde von Guillaume-Schack jedoch noch nicht<br />

theoretisch f<strong>und</strong>iert. Gr<strong>und</strong>legende Artikel wie „Utopismus <strong>und</strong> wissenschaftlicher Sozialismus“,<br />

den sie der „Neuen Zeit“ entnommen hatte, erfuhren von ihr keinerlei redaktionelle Überarbeitung<br />

in Bezug auf einen frauenspezifischen Ansatz oder auf die sozialistische Frauenemanzipations-<br />

theorie Bebels. 154<br />

Die „Staatsbürgerin“ war, wie bereits gezeigt wurde, trotz ihres auf den Offenbacher Verein be-<br />

zogenen Untertitels mehr als eine regionale Zeitschrift, sie war vielmehr das Organ der<br />

aufstrebenden Frauenorganisationen in ganz Deutschland – mit besonderen Schwerpunkten in<br />

Berlin <strong>und</strong> in Hamburg. Doch zu dem Zeitpunkt, als die Hamburger Arbeiterinnenvereine<br />

erwogen, die „Staatsbürgerin“ zu ihrer obligatorischen Schulungslektüre zu machen 155 , waren<br />

bereits behördliche Maßnahmen für ihr Verbot getroffen worden. Ab dem 12. Juni 1886 wurden<br />

alle verfügbaren Exemplare der letzten Nummer beschlagnahmt. Über die Gründe für dieses Ver-<br />

bot gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Emma Ihrer ging davon aus, dass ein provokativer<br />

Artikel von Johanna Friederike Wecker zur Gleichberechtigung der Frau den Behörden den<br />

willkommenen Anlass für dieses Verbot geboten habe. 156 Wecker, die bis dahin zwar nur ver-<br />

einzelte, aber dafür auffällig umfangreiche Beiträge <strong>und</strong> sogar Leitartikel für die „Staats-<br />

bürgerin“ 157 verfasst hatte, behandelte in jenem Artikel den Fakt, dass Behörden – unter Verweis<br />

auf die weibliche „Dispositionsunfähigkeit“, d. h. ihre mangelnde Geschäftsfähigkeit – verhei-<br />

153 Ebd., S. 1.<br />

154 Utopismus <strong>und</strong> wissenschaftlicher Sozialismus. In: Staatsbürgerin, 01/ 19/ 09.05.1886/ Reprint S. 81.<br />

155 Vgl. Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack <strong>und</strong> ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 33, Anm.<br />

170.<br />

156 „Auch dieses [Organ, die „Staatsbürgerin; M.S.] fiel bald der Polizei zum Opfer, nachdem ein energischer Artikel<br />

aus der Feder von Frl. Johanna Wecker darin veröffentlicht worden war, der die Gleichstellung aller Frauen<br />

forderte, wozu sie für ihre Beispiele auch die Frauen auf den Thronen herangezogen hatte. Man sah darin<br />

‘Aufreizung zum Klassenhaß’.“ (Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 19). Vgl. auch Gebhardt/Wischermann,<br />

Gertrud Guillaume-Schack <strong>und</strong> ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 33.<br />

157 Wecker ist in Nr. 24, in der Beilage von Nr. 23 <strong>und</strong> in Nr. 17 mit Beiträgen vertreten. Außerdem der Leitartikel:<br />

Wecker, Johanna Fr.: Die Frauen im gewerblichen Leben <strong>und</strong> der Abgeordnete Kalle. (Eine Kritik aus<br />

Frauenkreisen). In: Staatsbürgerin, 01/ 15/ 11.04.1886/ Reprint S. 57-58.<br />

73


„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />

rateten Frauen die Mitgliedschaft im „Verein der Arbeiterinnen Dresdens“ verboten hatten. Sie<br />

kam diesbezüglich zu folgender „juristischen Logik“:<br />

„Mit der ‘dispositionsunfähigen Arbeiterin’ bedingt sich die Ausschließung der verheiratheten<br />

Frauen aller öffentlichen Interessen dienenden Verbindungen! Auch<br />

Ihre Majestät, die hochverdiente Königin Carola, Ihre Majestät, die Deutsche Kaiserin,<br />

fallen unter diese herrliche Bestimmung des deutschen ‘Eherecht‘s’! Es<br />

macht auch die ‘Königin’ ‘dispositionsunfähig!’ […] Dann hinaus mit den übrigen<br />

‘Verheiratheten’ aus den Vereinen der ‘reichen’ Frauen, damit sie ihre ‘Dispositionsunfähigkeit’<br />

besser würdigen lernen <strong>und</strong> sodann bietet dem Gesetz eine<br />

veränderte Auslegung: Laßt Euch von Euren Ehemännern ‘Erlaubnißscheine’ ausstellen,<br />

Mitglied eines ‘Frauenvereins’ zu sein <strong>und</strong> hört zu, was die ‘Polizei’ hierzu<br />

sagt!“ 158<br />

Das „Rote Kreuz“ oder „Vaterländische Frauenvereine“ – Organisationen, die im Ersten Weltkrieg<br />

noch eine wichtige Rolle spielen sollten – waren Vereine, in denen Mitglied zu sein für Damen der<br />

höheren Gesellschaft Ausdruck ihrer privilegierten Stellung <strong>und</strong> ihres karitativen Engagements<br />

war. Weder dieser Umstand noch die von Proletarierinnen geäußerte Kritik an der bevorzugten<br />

Behandlung dieser Institutionen war neu. Selbst das dreiste Pochen auf logische Prinzipien – im<br />

Fall der Wecker‘schen Argumentation besonders schlagkräftig – dürfte für die Behörden weder<br />

ungewöhnlich noch sonderlich beunruhigend gewesen sein. Die „Staatsbürgerin“ aufgr<strong>und</strong> dieses<br />

Artikels zu verbieten, war demnach genauso fadenscheinig wie die angebliche „Dispositions-<br />

unfähigkeit“ verheirateter Arbeiterinnen – doch in ihrer Fadenscheinigkeit blieben die Behörden<br />

immerhin konsequent. 159 Ungewöhnlich <strong>und</strong> verw<strong>und</strong>erlich war eher, dass die Offenbacher Be-<br />

hörden sich noch die Mühe machten, das Publikationsverbot zu begründen, folgten sie doch<br />

zunehmend einer „preußischen“ Handhabung des Sozialistengesetzes.<br />

Die Konsequenzen dieser Entwicklung sollten schließlich auch Guillaume-Schack persönlich be-<br />

treffen: Am 17. Juli 1886 erklärte man ihr, dass sie das Großherzogtum Hessen zu verlassen habe.<br />

Hatten viele Ausgewiesene vor ihr bei Nacht <strong>und</strong> Nebel fliehen müssen, um einer Verhaftung zu<br />

entgehen, so gestaltete sich Guillaume-Schacks Abschied dagegen zu einem regelrechten Demon-<br />

strationszug der sozialdemokratischen Partei. Mehr als h<strong>und</strong>ert Männer <strong>und</strong> Frauen hatten sich zur<br />

Abfahrtszeit auf dem Bahnhof eingef<strong>und</strong>en. Nicht nur, dass sie sozialistische Abzeichen trugen,<br />

sie jubelten ihr zu <strong>und</strong> teilweise soll auch der Ruf: „Es lebe die Sozialdemokratie!“ vernommen<br />

worden sein. 160 Guillaume-Schack verließ das Reichsgebiet Richtung Zürich. Sie wollte nicht wie<br />

158 Wecker, Joh. F.: Eingesandt. In: Staatsbürgerin, 01/ 24/ 13.06.1886/ Reprint S. 114.<br />

159 Die Beilage der „Vossischen Zeitung“ Nr. 330 vom 19. Juli 1886 sah als wahren Gr<strong>und</strong> des Verbotes der „Staats -<br />

bürgerin“ ihre allgemeine Eigenart, „die Lage der <strong>weiblichen</strong> Arbeit in greller, aufreizender Weise dargestellt“ zu<br />

haben (zit. nach: Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack <strong>und</strong> ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“,<br />

S. 33, Anm. 175).<br />

160 Vgl. Bericht nach dem „Frankfurter Journal“ (1783-1810, 1814-1903) in der „Vossischen Zeitung“ (1911-1934)<br />

74<br />

Nr. 332/ 20.07.1886. Zit. nach: Ebd., S. 34.


1.3 DIE ERSTE PROLETARISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE STAATSBÜRGERIN“ (3. JANUAR 1886-13. JUNI 1886)<br />

andere sozialistische EmigrantInnen ihre politische Arbeit in einem benachbarten deutschen Staat<br />

wiederaufnehmen. Eine Weiterführung ihrer politischen Agitation innerhalb des Geltungsbe-<br />

reiches des Sozialistengesetzes hätte nicht nur bedeutet, sich der Gefahr einer weiteren Aus-<br />

weisung auszusetzen, Guillaume-Schack hätte auch riskiert, den Kontakt zu ihrer Familie in<br />

Beuthen a. d. Oder (Niederschlesien) zu erschweren. Ihre „Flucht“ endete deshalb im Herbst<br />

desselben Jahres in London. 161 Hier schloss sie sich den Anarchisten an. Durch diese Positio-<br />

nierung <strong>und</strong> durch persönliche Reibereien kam es schließlich zu einem Zerwürfnis mit führenden<br />

Persönlichkeiten der Sozialdemokratie. 162 Eine erneute Tätigkeit innerhalb der deutschen Frauen-<br />

bewegung ergab sich aber für Guillaume-Schack, die vornehmlich den Kontakt zu Emma Ihrer<br />

pflegte, auch nach dem Fall des Sozialistengesetzes nicht mehr <strong>und</strong> bis zu ihrem Tod 1903 nahm<br />

ihr Interesse an der politischen Lage in Deutschland merklich ab. 163 Mit ihrer publizistischen <strong>und</strong><br />

organisatorischen Tätigkeit in Form der „Staatsbürgerin“ hinterließ sie jedoch ein bedeutendes<br />

Erbe, das angetreten werden musste <strong>und</strong> auch angetreten werden sollte.<br />

161 Selbst in London nahm Guillaume-Schack hilfreichen Einfluss auf die Arbeiterinnenorganisationen, indem sie<br />

zusammen mit Marie Hofmann die vor Gericht stehenden Führerinnen der Berliner Arbeiterinnenvereine finanziell<br />

unterstützte, die ja bereits vor der „Staatsbürgerin“ erst vorläufig <strong>und</strong> dann definitiv verboten worden waren.<br />

Hier erwies sich laut Gebhardt/Wischermann der auf ihrer familiären Herkunft basierende finanzielle Wohlstand<br />

Guillaume-Schacks als ausgesprochen vorteilhaft (vgl. ebd. S. 35).<br />

162 Zum Beispiel mit Friedrich Engels, der schon lange in England lebte <strong>und</strong> bis dahin in engem Kontakt mit Guillaume-Schack<br />

gestanden hatte. Engels war empört darüber, dass Guillaume-Schack auch als Anarchistin versuchte,<br />

weiterhin eine tragende Rolle in der sozialistischen Bewegung zu spielen <strong>und</strong> deshalb 1889 als Delegierte<br />

auf dem Internationalen Arbeiterkongress in Paris erschien. Seine Geringschätzung ihrer Person drückte er 1891 in<br />

einem Brief an Bebel sehr anschaulich aus, wenn er schrieb, dass die deutsche Frauenbewegung – wie sie sich nun<br />

vornehmlich um Ihrer sammelte – „stark angeschackt“ (Friedrich Engels in einem Brief an August Bebel,<br />

29.09./01.10.1891. Zit. nach: Ebd., S. 37) sei.<br />

163 Vgl. ebd., S. 36f.<br />

75


1.4 Die erste sozialdemokratische Frauenzeitschrift:<br />

„Die Arbeiterin“ (1890-1891)<br />

Zwei Gründe rechtfertigen es, die Zeitschrift „Die Arbeiterin“ (1890-1891) 164 als erste<br />

sozialdemokratische Frauenzeitschrift Deutschlands zu bezeichnen:<br />

Erstens: Ihr Kontakt zur erstarkenden Sozialdemokratie basierte von Beginn an nicht wie bei<br />

der „Staatsbürgerin“ auf persönlichen Beziehungen, sondern auf theoretisch f<strong>und</strong>ierten Prin-<br />

zipien. Dies fand – so schlicht ihr Titel wirken mag – deutlichen Ausdruck in ihrem Untertitel<br />

„Zeitschrift für die Interessen der Frauen <strong>und</strong> Mädchen des arbeitenden Volkes. Organ aller auf<br />

dem Boden der modernen Arbeiterbewegung stehenden Vereinigungen der Arbeiterinnen.“ Ein<br />

entscheidender Unterschied zur „Staatsbürgerin“ bestand darin, dass die „Arbeiterin“ sich<br />

demonstrativ als Organ derjenigen Arbeiterinnenvereine verstand, die sich der SPD verb<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> als Teil einer politischen Bewegung sahen. Ganz in der Tradition der „Staatsbürgerin“<br />

stand sie jedoch insofern, als sie sich mit diesem Selbstverständnis unmissverständlich von<br />

bisher bürgerlich dominierten Bildungseinrichtungen für Arbeiterinnen distanzierte, die eher<br />

einen allgemein emanzipatorischen oder feministischen Ansatz verfolgten <strong>und</strong> dabei jegliche<br />

Kritik am Klassensystem aussparten. 165<br />

Zweitens: Mit der Gründung der „Arbeiterin“ bahnte sich nicht nur eine ideelle Verbindung mit<br />

der SPD an, sondern auch eine institutionelle. Trotzdem sollte die „Arbeiterin“ stets nur partei-<br />

nahes <strong>und</strong> nicht parteieigenes Organ sein.<br />

Auf dem Internationalen Arbeiterkongress in Paris 1889 wurden sieben Frauen mit der<br />

Gründung der ersten deutschen „Agitationskommission“ 166 beauftragt – eine davon war Emma<br />

164 Für die folgenden Darstellungen wurde im Bestand der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung in<br />

Kassel Einsicht in die Ausgaben des ersten <strong>und</strong> einzigen Jahrgangs der „Arbeiterin“ genommen. Die Kopie<br />

eines Titelblattes der Arbeiterin ist im Anhang enthalten.<br />

165 Kinnebrock sieht in dieser Anbindung der proletarischen Frauen an die SPD eher ein Negativum, wenn sie<br />

schreibt, dass sich „das große Heer der Proletarierinnen […] fortan in den Dienst v. a. der Sozialdemokratie“<br />

(Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 140) gestellt habe. Sie verweist damit auf das noch<br />

aufzuzeigende ungleiche Machtverhältnis, leugnet m. E. aber die logische Konsequenz aus der übergeordneten<br />

Zielsetzung der proletarischen Frauenbewegung – die Erringung des Sozialismus –, die unzweifelhaft in dieser<br />

Anbindung ihren Ausdruck fand.<br />

166 Seit dem Internationalen Arbeiterkongress in Paris 1889 hatten in Deutschland so genannte „Frauenagitationskommissionen“<br />

die Aufgabe, die Kontakte zur SPD zu halten, Bildungs–materialien zu verteilen, Aufrufe zu<br />

verfassen <strong>und</strong> öffentliche Versammlungen einzuberufen. Die Bewältigung dieser Aufgaben sollte durch die<br />

„Arbeiterin“ eine große organisatorische Hilfestellung erfahren. Eine Agitationskommission war eine recht<br />

lockere <strong>und</strong> damit nicht per Gesetz aufzulösende Organisationsform, die aber dennoch recht durchsetzungsfähig<br />

war (vgl. Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 21f.). Für einen Überblick über die Organisationsstrukturen<br />

der proletarischen Frauenbewegung siehe: Thönnessen, Frauenemanzipation – Politik <strong>und</strong> Literatur<br />

der deutschen Sozialdemokratie zur Frauenbewegung 1863-1933; Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus<br />

<strong>und</strong> Feminismus; Evans, Sozialdemokratie <strong>und</strong> Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich <strong>und</strong> Richebächer,<br />

Uns fehlt nur eine Kleinigkeit.<br />

77


„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />

Ihrer. Seit der Veranstaltung in Paris gab es kaum mehr einen Gewerkschaftskongress oder einen<br />

politischen Parteitag, auf dem Frauen nicht zumindest anwesend waren. Dies spricht dafür, dass<br />

die proletarische Frauenbewegung in ihrer Bedeutung für die SPD zunehmend Beachtung fand<br />

<strong>und</strong> beiden an einer engeren Verknüpfung gelegen war. Auch auf dem Parteitag 1890 in Halle war<br />

die proletarische Frauenbewegung durch die <strong>weiblichen</strong> Mitglieder von vier der gegründeten<br />

„Agitationskommissionen“ vertreten – darunter Emma Ihrer. Ähnlich wie Louise Otto-Peters ver-<br />

körpert auch Emma Ihrer durch ihre herausragende Rolle in der Berliner Arbeiterinnenorganisa-<br />

tion <strong>und</strong> in der Gewerkschaftsbewegung eine besondere personelle Kontinuität. Sie selbst war es<br />

schließlich auch, die auf dem Parteitag in Halle zur Initiatorin einer neuen Frauenzeitschrift<br />

werden sollte. 167 Ihrer beschrieb in ihrem Redebeitrag die bisherigen Entwicklungen wie folgt:<br />

„Die Vorbereitungen zur Herausgabe einer Frauenzeitung sind nahezu abgeschlossen;<br />

es bedarf nur noch der Zustimmung meiner Genossinnen. Beilagen in<br />

der Form von Unterhaltungsblättern haben gar kein Resultat erzielt, sie dienen nur<br />

zur Unterhaltung der Frauen, wie viele andere Klatschblättchen auch. Uns thut eine<br />

wirkliche Frauenzeitung noth, <strong>und</strong> nach den mir gewordenen Mittheilungen bin ich<br />

sicher, daß die Frauen diese Zeitung auf der Höhe der Zeit erhalten werden<br />

(Bravo), vorausgesetzt, daß die Genossen uns in der Weise unterstützen, daß sie<br />

ihre eigenen Frauen dafür anregen. (Heiterkeit <strong>und</strong> Beifall.) Wenn der Mann seiner<br />

Frau sagt, wir halten ja schon eine Zeitung, dann ist alle unsere Mühe vergebens.<br />

Auf dem Pariser Congreß sind alle Genossen verpflichtet worden, die<br />

Frauenbewegung in jeder Weise, also geistig <strong>und</strong> materiell, zu unterstützen. Was ist<br />

bisher geschehen? <strong>Von</strong> Seiten der Männer, mit wenigen Ausnahmen, so gut wie<br />

nichts. Wir Frauen haben noch keine Fonds, <strong>und</strong> man hat uns gesagt: Ihr könnt<br />

nicht zum Parteitag entsandt werden, weil Ihr keine materiellen Mittel habt. Ja, da<br />

hättet Ihr Männer die Pflicht, für uns einzutreten. Wir wollen keine Extrabewegung<br />

für die Frau, keinen Sport; wir wollen nur die allgemeine Arbeiterbewegung<br />

unterstützen, rechnen dann aber auch auf Eure Unterstützung. Also behandeln Sie<br />

uns nicht so kühl abweisend, <strong>und</strong> unterstützen sie uns materiell. Wir haben ein<br />

Recht darauf, von Ihnen als vollberechtigte Genossinnen behandelt zu werden.<br />

Unterstützen sie uns materiell <strong>und</strong> geistig, das wird seine Früchte tragen. Es handelt<br />

sich hier nicht um Spielereien, sondern um den vollen Ernst der Zeit!<br />

(Lebhaftes Bravo <strong>und</strong> Händeklatschen.)“ 168 [Hervorhebungen von M.S.]<br />

Ihrers Ausführungen sind sehr bemerkenswert <strong>und</strong> beschreiben die gr<strong>und</strong>legenden Probleme <strong>und</strong><br />

den mangelnden Rückhalt in der Partei. Die enttäuschenden Erfahrungen mit unterhaltenden<br />

Beilagen waren demnach ausschlaggebend für die Pläne, eine „wirkliche Frauenzeitung“ ins<br />

Leben zu rufen. Ausdrücklich sei hier darauf hingewiesen, dass während des Parteitages keinerlei<br />

Antrag auf Gründung einer Frauenzeitschrift gestellt wurde. Das, was Ihrer in Halle präsentierte,<br />

war bereits ein Zwischenstand der vermutlich am Rande des Pariser Kongresses gefassten Be-<br />

167 Auf diesem Parteitag in Halle 1890 wurde tatsächlich erstmals die Funktion der Presse als wichtigstes Instrument<br />

für die politische Agitation der SPD erfasst <strong>und</strong> diskutiert (vgl. Ressmann, Strukturprobleme sozialdemokratischer<br />

Medienunternehmen, S. 61).<br />

168 Protokoll des SPD-Parteitages Halle a. S. 1890, S. 48f.<br />

78


1.4 DIE ERSTE SOZIALDEMOKRATISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE ARBEITERIN“ (1890-1891)<br />

schlüsse 169 , ein Zwischenstand, der aber hinsichtlich der Unterstützung durch die Parteigenossen<br />

negativ ausfiel. 170 Ihrer – die dieser Enttäuschung auch dadurch Nachdruck verlieh, dass sie die<br />

anwesenden Männer an einer Stelle ihres Redebeitrages direkt anspricht – forderte die volle ver-<br />

sprochene Unterstützung der männlichen Genossen ein. Eine proletarische Frauenzeitschrift <strong>und</strong><br />

die Entwicklung einer proletarischen Frauenbewegung war kein „Sport“, keine „Spielerei“ <strong>und</strong><br />

wollte ernst genommen werden. Tatsächlich war die „Arbeiterin“, indem sie vor allem die Tätig-<br />

keit der so genannten „Frauenagitationskommissionen“ unterstützen sollte, Teil eines groß ange-<br />

legten Planes. Die darin enthaltenen vornehmlich kommunikativen Aufgaben machten ein eigenes<br />

Presseorgan schlichtweg notwendig. Inhaltliche Zielsetzung dieser allgemeinen Agitation war es<br />

vor allem, die erwerbstätigen Frauen verstärkt zum gewerkschaftlichen Zusammenschluss zu<br />

motivieren. Dabei vertrat die „Arbeiterin“ im Gegensatz zur „Staatsbürgerin“ nicht die Interessen<br />

einzelner Organisationen, sondern sprach ein wesentlich breiteres Publikum an. Trotz dieses<br />

Unterschiedes sah sich die „Arbeiterin“ jedoch als direkte Nachfolgerin der „Staatsbürgerin“ <strong>und</strong><br />

auch deren Zielen verpflichtet. So schrieb Ihrer in der gratis verteilten „Probenummer“ der „Ar-<br />

beiterin“, die am 20. Dezember 1890 in einer Auflagenhöhe von stattlichen 12.000 Exemplaren<br />

erschien:<br />

„Wir haben lange gewartet bevor wir auf den von allen Seiten laut gewordenen<br />

Wunsch, eine speziell für die Frauen bestimmte Zeitung herauszugeben, eingingen.<br />

Es ist aber nicht das erstemal, daß ein solches Unternehmen versucht wird <strong>und</strong><br />

guten Erfolg hat. Bereits in der ersten Hälfte der 80er Jahre gab Frau Guillaume-<br />

Schack ‘Die Staatsbürgerin’ heraus (Organ für die Frauen <strong>und</strong> Mädchen des<br />

arbeitenden Volkes), <strong>und</strong> seit dieses nach kaum einjährigem Erscheinen ebenfalls<br />

dem Socialistengesetz zum Opfer fiel, verband uns nur der gleiche Gedanke, das<br />

gleiche Streben mit einander, das Streben nach der völligen Selbständigkeit, auch<br />

der Frauen.“ 171<br />

169 Aus dem Protokoll des Internationalen Arbeiterkongresses gehen keine Informationen hinsichtlich der „Arbei-<br />

terin“ hervor.<br />

170 Aus der dem Protokoll des Parteitages in Halle angefügten Präsenzliste geht hervor, dass Ihrer offiziell als Vertreterin<br />

des Wahlkreises Berlin delegiert war. Zusätzlich wird in dieser Liste ihr Wohnsitz bereits mit Velten angegeben<br />

<strong>und</strong> es erscheint die Bezeichnung „Arbeiterin“ (vgl. ebd., S. 308). Diese bezog sich allerdings nicht etwa<br />

auf ihren Berufsstand, sondern belegt vielmehr, dass sie bereits als Redakteurin der neuen Frauenzeitschrift fungierte.<br />

Die Präsenzliste muss demnach wesentlich später erstellt worden sein, denn sonst wäre es sehr verw<strong>und</strong>erlich,<br />

dass während des gesamten Parteitages kein einziges Mal der Name der neuen Frauenzeitschrift erwähnt<br />

wurde. Der Auffassung, dass Ihrer mehr oder weniger „auf eigene Faust“ die Gründung einer Frauenzeitschrift<br />

umsetzte – die auch die Dietz-Biographin Angela Graf vertritt (vgl. Graf, J. H. W. Dietz 1843-1922 – Verleger der<br />

Sozialdemokratie, S. 204), widerspricht allerdings die von Ihrer selbst getroffene Aussage: „Hier [auf dem Parteitag<br />

in Halle; M.S.] wurde dann auf allseitigen Wunsch die Gründung einer Zeitung für Frauen beschlossen,<br />

welche dem erwachenden Verständniß der Frauen angepaßt sein sollte.“ (Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf,<br />

S. 22). Auch im Großteil der entsprechenden Sek<strong>und</strong>är–literatur wird von einem Beschluss des Parteitages ausgegangen,<br />

obwohl, wie bereits erwähnt, weder ein Antrag noch ein Beschluss in den entsprechenden Protokollen zu<br />

finden ist.<br />

171 Aufruf! In: Arbeiterin, 01/ 01/ 20.12.1890. Genau wie die „Staatsbürgerin“ besitzt die „Arbeiterin“ keine durchgängige<br />

Seitennummerierung, was die Recherchen in ihr erschwert <strong>und</strong> bedingt, dass in den folgenden Zitat-<br />

79


„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />

Ihrer bestritt also nicht die anfängliche Skepsis, die dieses Unternehmen durchaus begleitete,<br />

wenn diese auch der zwingenden Notwendigkeit <strong>und</strong> dem Vertrauen auf eine starke Gemeinschaft<br />

wich.<br />

Letzteres fand seinen Ausdruck in dem im Titelkopf der „Arbeiterin“ erscheinenden Motto „Ein-<br />

tracht macht stark – Bildung macht frei!“. In ihm sind die zwei wichtigsten Anliegen der<br />

„Arbeiterin“ enthalten: Die Förderung einer intensiven proletarischen Solidarität – sowohl der<br />

Proletarierinnen untereinander wie auch gegenüber der internationalen Arbeiterbewegung – <strong>und</strong><br />

die Vermittlung eines umfassenden Wissens um die gesellschaftspolitischen Bedingungen weib-<br />

licher <strong>und</strong> proletarischer Unfreiheit. Bildung kann jedoch nur dann zu wahrer Freiheit verhelfen,<br />

wenn ihr der Schritt des konsequenten Handelns folgt oder, wie es die „Arbeiterin“ für ihre<br />

Aufgabenstellung formulierte, der „Kampf[…] für die Gleichberechtigung des weib-<br />

lichen Geschlechts auf wirthschaftlichem <strong>und</strong> politischem Gebiete“ 172 .<br />

Politische Tageszeitungen, so Ihrer über den Auftrag der „Arbeiterin“, gäben den Informationen<br />

über „den Stand der Arbeiterinnen-Bewegung <strong>und</strong> die Organisation derselben“ 173 nicht genügend<br />

Raum. Auch wollte die „Arbeiterin“ auf die fehlende „Vorbildung“ vieler Frauen stärker Rück-<br />

sicht nehmen, indem sie ihnen in „verständlichster <strong>und</strong> schlichtester Weise“ die „für das ganze<br />

Volk wichtigen Tagesfragen erläutert“ 174 . Ihrer betonte nochmals den projekthaften Charakter der<br />

„Arbeiterin“, wenn sie wie folgt zur Mitarbeit aufrief:<br />

„Es stehen uns keine anderen Mittel zur Verfügung als unsere Arbeitskraft, zu der<br />

jede einzelne Arbeiterin die eigene hinzufügen möge, damit wir nicht Schiffbruch<br />

leiden mit unserem Zeitungsunternehmen, sondern bald beweisen können, was der<br />

weibliche Theil des Proletariats aus eigener Kraft vermag, wenn es gilt, den ärgsten<br />

Feind Aller, den Unverstand zu bekämpfen <strong>und</strong> mit diesem die moderne Ausbeutung<br />

der Frauen auf allen Gebieten.“ 175<br />

Besonders die Betonung des befreienden Elementes der Bildung <strong>und</strong> das Fehlen einer konkreten<br />

Kapitalismuskritik ist an dieser Stelle auffallend. Ihrer war keine ausgesprochene Agitatorin der<br />

sozialistischen Emanzipationstheorie wie sie von Zetkin für die erwerbstätige Proletarierin formu-<br />

liert worden war. Dies wird auch daran deutlich, dass sie schrieb:<br />

„Wenn wir wollen, daß die Bewegung der Frauen erstarkt, müssen wir darauf<br />

bedacht sein, nicht nur die Industriearbeiterin zu gewinnen, sondern auch die<br />

belegen an entsprechender Stelle keine Angabe erfolgen kann.<br />

172 Aufruf! In: Arbeiterin, 01/ 01/ 20.12.1890. Diesem Leitartikel wurde ein Gedicht vorangestellt, dessen Verfasserin<br />

vermutlich Marie Hofmann war <strong>und</strong> in poetischer Form den Zweck der „Arbeiterin“ formuliert. Es ist im Anhang<br />

enthalten.<br />

173 Ebd.<br />

174 Ebd.<br />

175 Ebd.<br />

80


1.4 DIE ERSTE SOZIALDEMOKRATISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE ARBEITERIN“ (1890-1891)<br />

Hausfrau, denn die Letztere ist theilweise ebenso entmündigt wie die Erstere.“ 176<br />

Ihrer beleuchtete bereits zu diesem Zeitpunkt einen Aspekt, der noch für weitere Diskussionen<br />

innerhalb der Führungsriege der proletarischen Frauenbewegung sorgen würde. Wenn ihrer Mei-<br />

nung nach „nicht nur die materielle, sondern auch die geistige Hebung der Frauen“ 177 herbei-<br />

geführt werden müsse, so beinhaltete dies jedoch weniger eine Kritik an der sozialistischen<br />

Frauenemanzipationstheorie als an den Bemühungen der bürgerlichen Frauenbewegung, sich<br />

selbst <strong>und</strong> den Frauen ihrer eigenen Klasse adäquate Erwerbsmöglichkeiten zu schaffen.<br />

Entsprechend des Wohnortes der verantwortlichen Redakteurin <strong>und</strong> Herausgeberin Emma Ihrer<br />

hatte die Redaktion der „Arbeiterin“ ihren Sitz im havelländischen Velten (nordwestlich von<br />

Berlin). Expedition <strong>und</strong> Verlag der „Arbeiterin“ erfolgten dagegen durch den Verlag E. Jensen &<br />

CO. mit Sitz in der Rosenstraße 35 in Hamburg. Nach dem Tod des Verlegers im April 1891 über-<br />

nahm auch dessen Zuständigkeiten die Druckerei von Fr[iedrich] Meyer. 178 Die Wahl Hamburgs<br />

als Verlags- <strong>und</strong> Expeditionsstandort lag einerseits in den sehr guten Vertriebsmöglichkeiten <strong>und</strong><br />

andererseits in der liberalen Vereins- <strong>und</strong> Pressegesetzgebung des norddeutschen Stadtstaates be-<br />

gründet. Die „Arbeiterin“ erschien wöchentlich. Erscheinungstag war der Samstag, welcher ver-<br />

mutlich ganz bewusst in Rücksichtnahme auf die Lebens- <strong>und</strong> Arbeitsgewohnheiten ihrer prole-<br />

tarischen Leserinnen gewählt wurde.<br />

Eine Einzelnummer der „Arbeiterin“ umfasste vier Seiten <strong>und</strong> erschien im Quartformat. Sie kos-<br />

tete zehn Pfennig, im Vierteljahresabonnement eine Mark bzw. direkt per Kreuzband 179 1,40 Mark.<br />

Den „KolporteurInnen“, d. h. den AusträgerInnen, <strong>und</strong> den Vereinen, die die „Arbeiterin“ obliga-<br />

torisch einführten, wurde das Abonnement nach dem Verlagswechsel im September 1891 für<br />

günstigere 70 Pfennig bzw. 60 Pfennig angeboten. 180 Alle EmpfängerInnen der Probenummer wur-<br />

den durch die Redaktion aufgerufen, „die erhaltenen Nummern sofort in Umlauf zu setzen!“ 181 .<br />

Außerdem sollten alle Fachvereine mit <strong>weiblichen</strong> Mitgliedern die Anzahl ihrer Mitglieder <strong>und</strong><br />

176 Ebd.<br />

177 Ebd.<br />

178 Redaktion <strong>und</strong> Verlag: An unsere Leser! In: Arbeiterin, 01/ 14/ 04.04.1891. Im September 1891 wurde Hintzpeter<br />

Geschäftspartner der Meyerschen Druckerei, die dann spätestens (Nr. 35-37 fehlen im Archivbestand) mit Nr. 38<br />

wieder vom Verlag getrennt geführt wurde (vgl. Arbeiterin, 01/ 38/ 19.09.1891).<br />

179 Das „Kreuzband“ – bestehend aus zwei gekreuzten Papierstreifen – bezeichnet eine im Gegensatz zum verschlossenen<br />

Umschlag offene <strong>und</strong> damit bequem zu lösende Verpackung für großformatige Drucksachen, deren Porto<br />

dann ermäßigt wird.<br />

180 Redaktion <strong>und</strong> Verlag: An unsere Leser! In: Arbeiterin, 01/ 38/ 19.09.1891.<br />

181 Arbeiterin, 01/ 01/ 20.12.1890.<br />

81


„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />

die Adresse ihrer Vorstehenden an die Redaktion leiten. 182 So versuchte die „Arbeiterin“, mittels<br />

einer ersten Vernetzung einen möglichst hohen Grad der eigenen Verbreitung zu erreichen. Ge-<br />

nauso wie die „Staatsbürgerin“ betrieb auch die „Arbeiterin“ kein gewerbliches Anzeigengeschäft,<br />

mit dem durch Werbung für kommerzielle Unternehmen oder Privatanzeigen von LeserInnen zu-<br />

sätzliche Einnahmen hätten erzielt werden können. Wenn Annoncen veröffentlicht wurden, so<br />

waren es meist Inserate kooperierender Druckereien, Buchhandlungen <strong>und</strong> Vereine. 183<br />

Die „Arbeiterin“ erschien in einem damals gebräuchlichen dreispaltigen Layout. Besonders auf-<br />

fällig im Druckbild war eine Variation der Schrift- <strong>und</strong> Druckgrößen. Leitartikel <strong>und</strong> auch der<br />

Fortsetzungsroman wurden – dies machte in Bezug auf die Gestaltung einen wesentlichen Unter-<br />

schied zur „Staatsbürgerin“ aus – stets in einem größeren Schriftgrad gedruckt als die restlichen<br />

Bestandteile einer Nummer. Es waren demnach sowohl die wichtigsten Informationen als auch<br />

der in der Gunst der Leserinnen sehr hoch rangierende Unterhaltungsteil, die als Rubriken auf<br />

diese Art besonders hervorgehoben wurden. Dem Feuilleton wurde zudem ein fester, leicht zu<br />

findender <strong>und</strong> vom Hauptteil separierter Platz zugewiesen: Er erschien „unter dem Strich“. Bei<br />

vielen Zeitschriften war es damals üblich, den Feuilleton stets auf die untere Hälfte der zweiten<br />

Seite zu setzen – getrennt durch einen Strich oder ähnliche Markierungen. Bereits diese wenigen<br />

Beschreibungen belegen nicht nur das besondere Einfühlungsvermögen der Redaktion in die<br />

Lesegewohnheiten proletarischer Leserinnen, sondern auch den geschickten Einsatz von Hervor-<br />

hebungen im Druckbild der Zeitschrift.<br />

Neben Leitartikel <strong>und</strong> Feuilleton verliehen mehr oder weniger kontinuierlich geführte Rubriken<br />

der „Arbeiterin“ ein strukturelles Gr<strong>und</strong>schema. Diese lassen sich in inhaltliche, organisatorische<br />

<strong>und</strong> redaktionelle unterscheiden:<br />

182 Vgl. ebd.<br />

Inhaltlich:<br />

– „Wissenschaft“<br />

– „Zur Ges<strong>und</strong>heitspflege“<br />

– „Literarisches“<br />

– Fortsetzungsromane, -novellen<br />

Organisatorisch:<br />

– „Vereine <strong>und</strong> Versammlungen“<br />

– „Aus dem Parlament“ bzw. „Aus dem Reichstage“<br />

– „Dienstbotenfrage“<br />

– „Arbeiterinnen-Bewegung“<br />

183 Für 20 Pfennig pro Zeile konnten diese ihre Bücher <strong>und</strong> Schriftenreihen bewerben. Entsprechend der organisationsunterstützenden<br />

Zielsetzung der „Arbeiterin“ erhielten Vereine zudem noch Rabatt.<br />

82


– „Arbeiterbewegung“<br />

– „Gewerkschaftliches“<br />

Redaktionell:<br />

– „Aus aller Welt“<br />

– „Wochenübersicht“<br />

– „Briefkasten der Redaktion“<br />

– „Verschiedenes“<br />

1.4 DIE ERSTE SOZIALDEMOKRATISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE ARBEITERIN“ (1890-1891)<br />

Die inhaltlichen Rubriken hatten mehr allgemeinbildenden <strong>und</strong> unterhaltenden Charakter. Die<br />

organisatorischen gaben Auskunft über Veranstaltungen <strong>und</strong> ihren Verlauf, über branchenspezi-<br />

fische Organisationen <strong>und</strong> über regionale <strong>und</strong> überregionale Aktivitäten von SPD <strong>und</strong> Gewerk-<br />

schaften. Im „Briefkasten der Redaktion“ hatten vor allem konspirativ verschlüsselte Nachrichten<br />

der Redaktion an einen für die „mitlesenden“ Behörden nicht zu identifizierenden Adressaten<br />

ihren Platz. 184 Bereits im Briefkasten der Probenummer wendet sich Ihrer hier an „S. in B“ oder<br />

„A.W. in B.“ – vielleicht Agnes Wabnitz (1841-1894) in Berlin – um Anfragen zu beantworten<br />

bzw. Hinweise auf die Beschaffenheit eingesandter Berichte zu geben. 185 Außerdem stellt sie in<br />

Aussicht, dass die Erledigung aller Redaktionsarbeiten zügiger erfolgen würde, wenn sie sich ab<br />

Neujahr auf mehrere Frauen verteilen würde. 186<br />

Wie schon in der „Staatsbürgerin“ wurden auch in der „Arbeiterin“ die Leitartikel meist von der<br />

verantwortlichen Redakteurin verfasst. Die von Ihrer verfassten Leitartikel zeichnen sich durch<br />

eine große thematische Vielfalt aus <strong>und</strong> behandelten vornehmlich tagespolitische Themen, ge-<br />

schlechtsspezifische Fragestellungen oder Analysen des kapitalistischen Gesellschaftssystems.<br />

Indem die „Arbeiterin“ über Streiks, Maifeiern <strong>und</strong> Parteitage berichtete, agitierte sie gleichzeitig<br />

für die aktuellen Kämpfe der Sozialdemokratie. Für die Frauenorganisationen war es von<br />

besonderem praktischen Nutzen, dass mittels der „Arbeiterin“ die Proletarierinnen trotz organisa-<br />

tionshemmender Vereinsgesetze in den geltenden Arbeiterschutzgesetzen <strong>und</strong> im Versammlungs-<br />

<strong>und</strong> Vereinigungsrecht geschult werden konnten. Außerdem nahm sich Ihrer der Lösung prole-<br />

tarischer Alltagsprobleme an: Lebensmittelteuerung, Hygiene, Hauswirtschaftliches, Kinderarbeit,<br />

-erziehung, <strong>und</strong> -sterblichkeit, Kellnerinnenelend, Prostitution, Sittlichkeit <strong>und</strong> Volksernährung<br />

stehen hier nur als kleine Auswahl von Leitartikelthemen, die sich der Lösung originär<br />

184 Vgl. Arbeiterin, 01/ 04/ 24.01.1891. Auch um Ihrer die Korrespondenzarbeit zu erleichtern, wurden hier kurz <strong>und</strong><br />

knapp Anfragen beantwortet, die jedoch für Außenstehende völlig unverständlich bleiben mussten (z. B. „A.T.,<br />

Quedlinburg. Sie erhalten bald Nachricht auf Ihren Wunsch“). Eine solche Transparenz der redaktionellen Arbeit<br />

ist in der „Gleichheit“ nicht mehr zu finden.<br />

185 Vgl. Arbeiterin, 01/ 01/ 20.12.1890.<br />

186 Vgl. ebd.<br />

83


„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />

proletarischer Lebensprobleme widmeten. 187 Argumentierte Ihrer auch stets vom Standpunkt der<br />

revolutionären Arbeiterbewegung aus, so überwogen in ihren Texten doch praktische <strong>und</strong> nicht<br />

etwa theoretische oder gar dogmatisch-sozialistische Ansätze. Ihrer gab ihren Leserinnen sogar<br />

einen regelmäßigen Einblick in die Arbeit der bürgerlichen Frauenbewegung <strong>und</strong> deren Kampf<br />

um gleichberechtigte Bildungs- <strong>und</strong> Erwerbsmöglichkeiten. Aber gerade diese Offenheit für die<br />

Emanzipationsbestrebungen, die von der bürgerlichen Frauenbewegung ausgingen sowie die man-<br />

gelnde Bereitschaft, sich von dieser deutlicher abzugrenzen, sollten letztlich Ihrers Ansehen in ra-<br />

dikalen Kreisen schmälern. 188<br />

Jenseits der gesellschaftspolitischen Themen – so kann man im Überblick zusammenfassend<br />

feststellen – befasste sich die „Arbeiterin“ im Interesse ihrer proletarischen Leserinnen auch mit<br />

deren kultureller <strong>und</strong> hauswirtschaftlicher Weiterbildung. Im Unterschied zu den frühen bürgerlich<br />

initiierten Arbeiterinnenvereinen, die ebenfalls die Hebung des proletarischen Lebenswandels an-<br />

gestrebt hatten, aber die proletarischen Familien lediglich als Objekte einer Erziehung im Sinne<br />

bürgerlicher Normen wahrnahmen <strong>und</strong> so die Entwicklung einer originär proletarischen Kultur<br />

vollkommen ignorierten, wollte die „Arbeiterin“ als Sammelbecken proletarischer Kräfte eine<br />

solche fördern <strong>und</strong> umfassend dafür eintreten. Für Arbeiterinnen geschrieben <strong>und</strong> Sprachrohr ihres<br />

sich entwickelnden Klassenbewusstseins wurde die „Arbeiterin“ nach Meinung Joos‘ zum<br />

„erste[n] geistige[n] Mittelpunkt der sozialistischen Frauenbestrebungen“ 189 . Die Zeitschrift zu<br />

einer solchen Bedeutung zu bringen, vermochte Ihrer jedoch nur durch die Mitarbeit von heraus-<br />

ragenden AutorInnen wie Clara Zetkin, Eleanor Marx-Aveling (1855-1898), Minna Kautsky<br />

(1837-1912) <strong>und</strong> Marie Hofmann.<br />

Angesichts der beschriebenen Rahmenbedingungen gab es für die „Arbeiterin“ nicht viele<br />

Möglichkeiten, kostendeckend zu erscheinen. Immer wieder musste sie in ihren Nummern Wer-<br />

bung für sich selbst machen. Der jeder Nummer vorangestellte fett gedruckte Aufruf „Fre<strong>und</strong>e<br />

<strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>innen! Sorgt für die Verbreitung der ‘Arbeiterin’“ belegt zudem die große Bedeutung,<br />

die damals einer gezielten „M<strong>und</strong>propaganda“ zukam. Die Arbeiter- <strong>und</strong> Arbeiterinnenorgani-<br />

sationen, deren Interessen sich die „Arbeiterin“ auf die Fahnen geschrieben hatte, spielten somit<br />

einerseits eine wichtige Rolle als Multiplikatoren, andererseits waren ihre Mitglieder immer auch<br />

187 Außerdem möchte ich noch auf folgende erwähnenswerte Artikel verweisen: Die Judenfrage. In: Arbeiterin, 01/<br />

22/ 30.05.1891 <strong>und</strong> Zetkin, Klara: Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus von Bebel [I-VI]. In: Arbeiterin, 01/ 13/<br />

28.03.1891 bis Arbeiterin, 01/ 18/ 02.05.1891.<br />

188 Ein besonderes Beispiel für diese Einstellung ist die folgende, vermutlich von Ottilie Baader verfasste Notiz:<br />

„Alle Petitionsbogen für die Zulassung der Frauen zum Studium der Medizin müssen in diesem Monat abgeliefert<br />

werden.“ ([Baader, Ottilie?] O. B.[: Ohne Titel.] In: Arbeiterin, 01/ 34/ 22.08.1891). Es bestand hier also noch eine<br />

klassen- <strong>und</strong> taktikübergreifende Solidarität, im Rahmen derer Proletarierinnen sogar Petitionsunterschriften sammelten.<br />

189 Joos, Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Deutschland, S. 14.<br />

84


1.4 DIE ERSTE SOZIALDEMOKRATISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE ARBEITERIN“ (1890-1891)<br />

potentielle Abonnentinnen. Bereits in der Probenummer forderte Ihrer deshalb die Redaktionen<br />

anderer Arbeiterblätter <strong>und</strong> die Vorstände der Arbeitervereine auf, die „Arbeiterin“ zu verbreiten,<br />

sie den ihnen nahe stehenden Frauenkreisen zur Kenntnis zu bringen <strong>und</strong> die Bildung von Arbei-<br />

terinnenvereinen voranzutreiben. Zudem richtete sie an alle EmpfängerInnen von Probenummern<br />

die Aufforderung, die erhaltenen Nummern sofort in Umlauf zu setzen bzw. zur Lektüre weiter-<br />

zugeben. 190 Wie schon für die Redaktion der „Arbeiterin“ damals, so ist es auch für heutige Histo-<br />

rikerInnen kaum möglich, eine exakte Zahl der „Arbeiterin“-LeserInnen festzustellen. 191<br />

Wie wichtig es Ihrer trotzdem war, zumindest einen ungefähren Überblick über die Zahl der Lese-<br />

rinnen zu erlangen, bezeugt ihre folgende, bereits in der zweiten Nummer der „Arbeiterin“ ver-<br />

öffentlichte Bitte:<br />

“Auf´s Dringendste ersuchen wir um energische Verbreitung der Probenummer<br />

(Mehrbedarf steht gern zu Diensten) <strong>und</strong> um schleunige Angabe der Abonnentenzahl,<br />

um die Auflage des Blattes feststellen zu können. Es haben von ca. 400<br />

Städten, die mit 12000 Probenummern versorgt wurden, erst 10 sich gemeldet.” 192<br />

Allerdings dürfte hinter diesem Aufruf weniger ein statistisches als ein gewerbliches Interesse<br />

gestanden haben, denn aus betriebswirtschaftlicher Sicht war es wichtig, die Auflage dem tatsäch-<br />

lichen Bedarf anzupassen. Ein solcher Aspekt dürfte Ihrer nicht gleichgültig gewesen sein, stand<br />

sie doch persönlich <strong>und</strong> mit privaten Geldmitteln für dieses Unternehmen ein – wenn auch unter-<br />

stützt durch ihren allem Anschein nach vermögenden Ehemann, den Apotheker Emanuel Ihrer,<br />

sowie durch eine anonyme Parteigenossin. 193 Doch auch wenn ein Misserfolg kaum absehbare<br />

Auswirkungen auf das Leben Emma Ihrers gehabt hätte, stand für sie das Eintreten für die Sache<br />

der Proletarierinnen <strong>und</strong> das Moment weiblicher <strong>und</strong> persönlicher Emanzipation im Vordergr<strong>und</strong><br />

190 Arbeiterin, 01/ 01/ 20.12.1890.<br />

191 So aufschlussreich die von Redaktionen oder später vom SPD-Parteivorstand gemachten Angaben zum Abonnementstand<br />

verschiedener Zeitschriften sind, so wenig identisch sind sie doch mit der Zahl derjenigen Personen, die<br />

die Zeitschriften tatsächlich erhielten. Noch problematischer wird eine realistische Einschätzung des Verbreitungs-<br />

<strong>und</strong> Wirkungsgrades der „Arbeiterin“, geht man von der Überlegung aus, dass nicht jede Person, die sie erhalten<br />

hat, sie auch intensiv gelesen haben wird. So bleibt der Rezeptionsgrad all der hier vorgestellten Zeitschriften statistisch<br />

nicht belegbar.<br />

192 Arbeiterin, 01/ 02/ 10.01.1891.<br />

193 Deshalb ist laut Honeycutt Ihrers Redebeitrag in Halle 1890 eine an den Parteitag gerichtete, jedoch erfolglos gebliebene<br />

Bitte um finanzielle Unterstützung (vgl. Honeycutt, Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in<br />

Wilhelmian Germany, S. 112). Honeycutt übersieht dabei allerdings, dass Ihrer in ihrem Redebeitrag sehr<br />

enthusiastisch über die Zeitschriftengründung berichtete <strong>und</strong> es nur die rein ideelle Unterstützung der Parteigenossen<br />

war, die von ihr bemängelt wurde. Warum die Parteiführung die „Arbeiterin“ nicht von vornherein<br />

finanziell unterstützte, bleibt ungeklärt. Ihrers finanzielles Engagement wird von Kinnebrock m. E. zu gering bemessen,<br />

wenn diese lediglich schreibt, dass Ihrer die „Arbeiterin“ „bezuschusste“ (Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht<br />

ein Volk?!, S. 141.). Ein „Gleichheit“-Artikel erwähnt zudem eine „stets hervorragend opferbereite[…] wohlhabende[…]<br />

Parteigenossin“ ([Hanna, Gertrud?] G. H.: Emma Ihrer. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/<br />

01.04.1921/ 61), die Ihrer bei der Finanzierung der „Arbeiterin“ unterstützt, sich dabei aber stets bescheiden im<br />

Hintergr<strong>und</strong> gehalten haben soll.<br />

85


„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />

<strong>und</strong> überwog das Streben nach finanziellem Gewinn. 194 Hinsichtlich dieses Konfliktes zwischen<br />

ideellen <strong>und</strong> monetären Interessen ist folgende Notiz in der Rubrik „Briefkasten“ sehr<br />

aufschlussreich. Ihrer bezog sich darin auf eine Anfrage von Frau B. aus H. <strong>und</strong> antwortete:<br />

„Daß der Ueberschuß unseres Zeitungsunternehmens nicht einzelnen Personen,<br />

sondern unserer Sache, speziell der Frauenbewegung zu Gute kommen soll,<br />

bedurfte wohl kaum noch der Erwähnung. Vorläufig aber arbeitet[sic] Redaktion<br />

<strong>und</strong> Verlag nur mit Ausgaben <strong>und</strong> nicht mit Einnahmen. Wenn die ersteren<br />

gedeckt sind, kann doch erst die Rede davon sein, Rechnung zu legen <strong>und</strong> an eine<br />

Vertheilung des Ueberschusses zu denken, der auch durchaus nicht nur für einen<br />

Ort verwerthet werden soll.“ 195<br />

Kaum ins Leben gerufen, hatte die „Arbeiterin“ demnach schon enorme finanzielle Probleme.<br />

Trotz aller nachdrücklichen Aufrufe, fett gedruckten Appelle an säumige AbonnentInnen <strong>und</strong> der<br />

Mahnung, dass „[d]ie nächste Nummer […] ohne Ausnahme nur an Diejenigen [versandt werde],<br />

welche ihr Abonnementsgeld bezahlt haben“ 196 , war die „Arbeiterin“ schon vor Ende ihres ersten<br />

Jahres finanziell nicht mehr tragbar. Dieses Ende gestaltete sich im Vergleich zu dem der „Staats-<br />

bürgerin“ jedoch recht unspektakulär: Die „Arbeiterin“ wurde nicht verboten, sondern musste aus<br />

finanziellen Gründen ihr Erscheinen einstellen. 197<br />

So waren trotz ihrer kurzen Lebensdauer die bisher skizzierten Frauenzeitschriften – die „Frauen-<br />

Zeitung“, die „Staatsbürgerin“ <strong>und</strong> die „Arbeiterin“ –, vor allem aber auch die von ihren Redak-<br />

teurinnen gesetzten ersten Impulse für Struktur <strong>und</strong> Selbstverständnis einer politischen Frauen-<br />

zeitschrift – alles andere als ein F<strong>und</strong>ament aus Sand – es war ein Felsen, auf dem noch viel<br />

Außergewöhnlicheres errichtet werden sollte.<br />

194 Auch andere engagierte Frauen gingen damals für ihre politische Überzeugung erhebliche finanzielle Risiken ein.<br />

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass z. B. auch das Hauptorgan der radikalen bürgerlichen Frauen,<br />

„Die Frauenbewegung“, ab 1904 in einem Kommissionsverlag erschien <strong>und</strong> die Herausgeberin Minna Cauer<br />

(1841-1922) damit die volle finanzielle Verantwortung trug.<br />

195 Arbeiterin, 01/ 03/ 17.01.1891.<br />

196 Die Expedition: Zur Beachtung! In: Arbeiterin, 01/ 38/ 19.09.1891.<br />

197 Diese Entwicklung muss bereits einige Monate vor Erscheinen der letzten Nummer am 19. Dezember 1891 absehbar<br />

gewesen sein, denn laut einiger Studien soll es bereits auf dem SPD-Parteitag in Erfurt im Oktober 1891 Ver -<br />

handlungen um ihre Nachfolgerin gegeben haben. Jedoch sind im Protokoll dieses Parteitages ebenso wie damals<br />

in Halle zur Gründung der „Arbeiterin“ keinerlei Angaben zu finden. Wahrscheinlich wurden die Verhandlungen<br />

zwischen Dietz <strong>und</strong> dem SPD-Vorstand in einem inoffiziellen Rahmen geführt.<br />

86


2 Die erste sozialistische Frauenzeitschrift Deutschlands:<br />

„Die Gleichheit“ (1891-1923)<br />

2.1 Zwischen Kontinuität <strong>und</strong> Neubeginn<br />

– Gründung <strong>und</strong> Zielsetzung der „Gleichheit“<br />

Der „Gleichheit“ sollte im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen ein sehr langes „Leben“<br />

beschieden sein, in welchem sie zahlreiche Wandlungen vollzog. Diese Umstände gestalten den<br />

direkten Vergleich mit ihren Vorgängerinnen schwieriger als bisher. Gründung, Selbstver-<br />

ständnis, Redaktion, MitarbeiterInnen, Struktur <strong>und</strong> Inhalte, Finanzen <strong>und</strong> Rezeption der<br />

„Gleichheit“ werden deshalb in eigenständigen Kapiteln skizziert. Dort wird zu gegebenem<br />

Zeitpunkt eingehender auf die Bedeutung des Ersten Weltkrieges, die Entlassung Zetkins aus<br />

der Redaktion der „Gleichheit“ <strong>und</strong> die Einführungen der Beilagen einzugehen sein, da diese<br />

Ereignisse besondere Auswirkungen auf den Charakter <strong>und</strong> das Selbstverständnis der „Gleich-<br />

heit“ <strong>und</strong> damit auch auf die in ihr enthaltenen Frauenleitbilder hatten.<br />

Die Gründung einer politischen Frauenzeitschrift – dies sollte aus dem bisher Dargestellten<br />

ersichtlich geworden sein – bedurfte auch im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert bestimmter gesellschaftlicher <strong>und</strong><br />

historischer Voraussetzungen. In der Regel handelte es sich um ein von einer einzelnen Organi-<br />

sation finanziell getragenes Unternehmen <strong>und</strong> eine von einzelnen Personen bewusst getroffene<br />

Entscheidung. Diese Hintergründe werden in den meisten geschichtswissenschaftlichen<br />

Studien kaum dargestellt.<br />

Im Falle der „Arbeiterin“ war es vor allem der Wechsel der verantwortlichen Personen, der sich<br />

überraschend schnell <strong>und</strong> umfassend vollzog. Die „Arbeiterin“ selbst veröffentlichte in ihrer<br />

letzten Nummer dazu nur eine schlichte <strong>und</strong> kurze Notiz. In dieser gab Ihrer bekannt, dass die<br />

„Arbeiterin“ mit Quartalsschluss in den Verlag von Johann Heinrich Wilhelm Dietz 1 übergehen<br />

<strong>und</strong> die Redaktion des Blattes von Clara Zetkin übernommen werde. 2 Nichts deutete zu diesem<br />

Zeitpunkt aber auf eine Neugründung hin. Einige Tage später, am 20. Dezember 1891, kün-<br />

digte das ebenfalls im Dietz-Verlag erscheinende Humorblatt „Der wahre Jacob“ (1879-1933)<br />

für den Jahresbeginn 1892 schließlich nicht nur die Übernahme, sondern auch die Titelände-<br />

rung der „Arbeiterin“ an. 3<br />

1 Dietz habe die „Arbeiterin“ nur „unter der Bedingung einer völligen Umgestaltung“ (Handbuch des Vereins<br />

der Arbeiterpresse, 3.1914, S. 125) übernommen.<br />

2 Vgl. Arbeiterin, 01/ 51/ 19.12.1891.<br />

3 Vgl. Graf, J. H. W. Dietz 1843-1922 – Verleger der Sozialdemokratie, S. 206. Der „Wahre Jacob“ war die<br />

erfolgreichste Publikation des Dietz-Verlages <strong>und</strong> spielte für die „Querfinanzierung“ der „Gleichheit“ eine entscheidende<br />

Rolle (vgl. ebd., S. 212 <strong>und</strong> Ressmann, Strukturprobleme sozialdemokratischer Medienunternehmen,<br />

S. 64 <strong>und</strong> S. 76f.). Siehe auch: Tabelle 6 „Zuschüsse an zentrale Parteiorgane im Jahre 1921“. Zur<br />

87


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Die Entscheidung, die „Arbeiterin“ durch die „Gleichheit“ <strong>und</strong> Ihrer durch Zetkin zu ersetzen,<br />

dürfte auf dem Erfurter Parteitag gefasst worden sein. Anscheinend geschah dies jedoch ähnlich<br />

wie bei der „Arbeiterin“ eher abseits der offiziellen Verhandlungen, denn das entsprechende Pro-<br />

tokoll weist keine Verhandlung dieser Frage auf. 4 Noch größere Rätsel geben die Umstände auf,<br />

unter denen die Wahl für die Stelle der Redakteurin ausgerechnet auf Zetkin fiel. Denn was kann<br />

Dietz 5 dazu bewogen haben, Zetkin der viel erfahreneren Ihrer vorzuziehen? Die plausibelste<br />

Erklärung ist die, dass Ihrer für die Zusammenarbeit mit dem in Stuttgart ansässigen Verlag ihren<br />

Wohnsitz in Velten hätte aufgeben müssen. Da sie dies jedoch ablehnte 6 , war Dietz genötigt, um-<br />

zudisponieren. 7 In der Art, wie sich die Absage Ihrers gestaltete, erschien es demnach geradezu<br />

ideal, dass Zetkin mit ihren zwei Söhnen bereits in Stuttgart ansässig war. Zetkin, durch ihre bis-<br />

herigen Tätigkeiten als Lehrerin, Schriftstellerin <strong>und</strong> Sozialistin für die Arbeit einer Zeitschriften-<br />

redakteurin scheinbar ausreichend qualifiziert 8 , war zudem bereits seit 1890 für den Dietz-Verlag<br />

tätig. Sie hatte vor allem die sehr erfolgreiche Übersetzung von Edward Bellamys Zukunftsroman<br />

„Looking Backward“ („Ein Rückblick aus dem Jahr 2000“) verfasst. 9 Wenn Zetkin daher für<br />

Dietz zwar nicht die erste Wahl war, so war sie doch eine „logical choice“ 10 . Auch die Tatsache,<br />

Geschichte des „Wahren Jacob“ siehe: Hickethier, Karikatur, Allegorie <strong>und</strong> Bilderfolge, S. 114ff.<br />

4 Weder die „Arbeiterin“ noch die „Gleichheit“ werden im Parteitagsprotokoll erwähnt. Die Delegiertenliste belegt<br />

zwar die Anwesenheit Ihrers als Vertreterin des Wahlkreises Berlin II (Protokoll des SPD-Parteitages Erfurt 1891,<br />

S. 363), jedoch ist weder sie noch Zetkin im Sprech-Register genannt. Auch ein Jahr später wurde Zetkin im<br />

Protokoll des Parteitags in Berlin immer noch nicht als „Gleichheit“-Redakteurin geführt, sondern lediglich als<br />

Vertreterin der organisierten Frauen Württembergs (vgl. Protokoll des SPD-Parteitages Berlin 1892, S. 275).<br />

Dieses war demnach ihre offizielle Parteifunktion, durch die sie zum Parteitag delegiert wurde – nicht jedoch ihre<br />

Position als Redakteurin der „Gleichheit“.<br />

5 Andere Darstellungen behaupten, dass Dietz zwar ohne Zweifel bei der Besetzung der Redaktion eine große Rolle<br />

gespielt habe, es aber Bebel gewesen sei, der Zetkin den Posten als verantwortliche Redakteurin angetragen habe<br />

(vgl. Graf, J. H. W. Dietz 1843-1922 – Verleger der Sozialdemokratie, S. 206 <strong>und</strong> S. 211; Staude, Die Rolle der<br />

„Gleichheit“ im Kampf Clara Zetkins für die Emanzipation der Frau, S. 427). Zusammenfassend ist daher anzunehmen,<br />

dass zumindest Bebel als Vertreter des Parteivorstandes <strong>und</strong> Dietz als zukünftiger Verleger in gemeinsamer<br />

Absprache auf Zetkin zugegangen sind.<br />

6 Vgl. Graf, J. H. W. Dietz 1843-1922 – Verleger der Sozialdemokratie, S. 206 <strong>und</strong> [Hanna, Gertrud?] G. H.: Emma<br />

Ihrer. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 61.<br />

7 Manche Darstellungen widersprechen dem jedoch <strong>und</strong> vermitteln den Eindruck, Dietz habe sich schon von Beginn<br />

an von Ihrer nicht mehr den nötigen Erfolg für das neue Projekt versprochen <strong>und</strong> deshalb Zetkins Anstellung sogar<br />

zur Bedingung seiner eigenen Mitwirkung gemacht (vgl. Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären,<br />

S. 2. Zu Dietz als „Entdecker“ <strong>und</strong> Förderer Zetkins vgl. auch Götze, Clara Zetkin, S. 20f.; Hohendorf, Clara<br />

Zetkin, S. 45; Bauer, Clara Zetkin, S. 10).<br />

8 Es wäre äußerst einseitig Zetkins „Ein- <strong>und</strong> Aufstieg“ in der proletarischen Frauenbewegung lediglich ihren persönlichen<br />

Kontakten zuzuschreiben. Einseitig ist es auch, Zetkin einen Vorwurf daraus zu machen, dass die Bedingungen,<br />

unter denen es ihr gelang, ihre Existenz zu sichern <strong>und</strong> gleichzeitig ihren Interessen nachzugehen, durchaus<br />

günstig waren <strong>und</strong> sie in ihrer politischen Tätigkeit Erleichterung dadurch erfuhr, dass sie sich eine Haushaltshilfe<br />

leisten konnte (vgl. Nickusch/Schröter, Das programmierte Scheitern proletarischer Frauenemanzipation,<br />

S. 669ff.).<br />

9 Bebel hatte damals die finanziell eher schlecht gestellte Zetkin an Dietz „vermittelt“ (Graf, J. H. W. Dietz 1843-<br />

1922 – Verleger der Sozialdemokratie, S. 211).<br />

10 Honeycutt, Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in Wilhelmian Germany, S. 120.<br />

88


2.1 ZWISCHEN KONTINUITÄT UND NEUBEGINN – GRÜNDUNG UND ZIELSETZUNG DER „GLEICHHEIT“<br />

dass sie sich schon unter den Sozialistinnen einen Namen gemacht hatte 11 , unterstützte diese von<br />

Dietz nach rationalen Erwägungen getroffene Entscheidung.<br />

Das von Dietz in die Fähigkeiten <strong>und</strong> die Person Zetkins gesetzte <strong>und</strong> sicher auch begründete Ver-<br />

trauen war jedoch kein Gr<strong>und</strong>, auf Ihrers „guten Namen“ zu verzichten. Fünf Jahre lang nannte<br />

die „Gleichheit“ in ihrem Titelkopf Emma Ihrer als ihre Herausgeberin <strong>und</strong> ein weiteres Jahr als<br />

ihre Begründerin. 12 Ihre Nennung war einerseits ein Tribut an ihre langjährige Tätigkeit <strong>und</strong> an-<br />

dererseits eine sehr geschickte Werbestrategie, denn keine andere Person stand so wie Ihrer für die<br />

Tradition proletarischer Frauenpresse. 13 Sicherlich hatten Arbeiterinnen, die sich bereits mit sozia-<br />

listischen Theorien <strong>und</strong> vor allem mit der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie<br />

auseinandergesetzt hatten, dies auch anhand der Arbeiten Zetkins getan, unter den einfacheren,<br />

weniger aufgeklärten oder auch unter den älteren Arbeiterinnen, die noch sehr an den Gewerk-<br />

schaften orientiert waren, genoss jedoch Ihrer seit langem großes Ansehen. 14 Das Team „Ihrer-<br />

Zetkin“ stand demnach nicht nur für eine Publikationstradition, sondern löste auch das Genera-<br />

tionenproblem innerhalb der heterogenen Leserschaft der „Gleichheit“.<br />

In ihrer Probenummer formulierten Redaktion <strong>und</strong> Verlag der „Gleichheit“ für sich selbst fol-<br />

gende Zielsetzung:<br />

„‘Die G leichheit’ tritt für die volle gesellschaftliche Befreiung der Frau ein,<br />

wie sie einzig <strong>und</strong> allein in einer im Sinne des Sozialismus umgestalteten Gesellschaft<br />

möglich ist, wo mit der ökonomischen Abhängigkeit eines Menschen<br />

von einem anderen Menschen die Gr<strong>und</strong>ursache jeder sozialen Knechtung <strong>und</strong><br />

Aechtung fällt.“ 15<br />

Gemäß des marxistischen Primats der Ökonomie würden die Frauen also nur in einer von allen<br />

kapitalistischen Mechanismen gelösten sozialistischen Gesellschaft völlig frei sein können. Diese<br />

11 „Not only was Zetkin’s name well-known among socialist women, but Dietz felt on the basis of his acquaintance<br />

with Zetkin that she could be relied upon to do a good job.“ (Honeycutt, Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and<br />

Feminist in Wilhelmian Germany, S. 121).<br />

12 Bis GL, 05/ 02/ 23.01.1895/ 9 findet sich direkt unter dem Untertitel die Zeile „Herausgegeben von Emma Ihrer in<br />

Velten (Mark).“ bzw. dann bis GL, 06/ 26/ 23.12.1896/ 201 „Herausgegeben von Emma Ihrer in Pankow bei<br />

Berlin.“. Mit GL, 07/ 01/ 06.01.1897/ 1 wurde der Wortlaut in „Begründet von Emma Ihrer in Pankow bei Berlin”<br />

geändert. Ein Jahr später mit GL, 08/ 01/ 05.01.1898/ 1 entfällt jeglicher Zusatz. Es wäre zu untersuchen, ob es<br />

einen konkreten entzweienden Anlass für diese Entscheidung gegeben hatte. Ihrer dürfte jedenfalls aufgr<strong>und</strong> der<br />

örtlichen Distanz eher als Autorin denn als Herausgeberin gewirkt haben. Ihr sind Artikel schwer zuzuordnen.<br />

Manche zeichnete sie nur mit „i-„. Zu ihren letzten <strong>und</strong> ohnehin selten gewordenen Artikeln für die „Gleichheit“<br />

gehören: Ihrer, Emma: Das Vereinsrecht der Staatsbürgerinnen in Preußen. In: GL, 14/ 11/ 18.05.1904/ 85-87 <strong>und</strong><br />

ein Bericht über den 7. skandinavischen Arbeiterkongress in Christiania (GL, 17/ 19/ 16.09.1907/ 167).<br />

13 Oder wie Honeycutt schreibt: „This was done to emphasize a continuity between the Arbeiterin and Gleichheit,<br />

and probably also because Emma Ihrer’s name was better known among German working women in the early<br />

1890’s than was Clara Zetkin’s.“ (Honeycutt, Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in Wilhelmian<br />

Germany, S. 122).<br />

14<br />

Interessanterweise ist dieses Generationenproblem nicht an einem Altersunterschied der beiden Protagonistinnen<br />

festzumachen, denn beide waren Jahrgang 1857.<br />

15 Die Redaktion <strong>und</strong> der Verlag: An die Leser! In: GL, 02/ Probenummer/ 28.12.1891/ 1.<br />

89


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Gesellschaft der Zukunft war aber innerhalb des Deutschen Reiches der Gegenwart nur durch den<br />

Klassenkampf erreichbar <strong>und</strong> zu diesem wollte die „Gleichheit“ die Massen mobilisieren, indem<br />

sie als „Ruferin […] im Streit“ 16 wirkte. Zetkin gab dieser Zielsetzung regelmäßig Ausdruck in<br />

ihrer „Einladung zum Abonnement“ 17 , die zu einem obligatorischen Bestandteil eines „Gleich-<br />

heit“-Jahrgangs wurde. Die „Gleichheit“ sei eine Interessenvertreterin der Proletarierinnen <strong>und</strong><br />

mache keinen „Unterschied, ob dieselben dem Proletariat der Kopfarbeit oder dem der Handarbeit<br />

angehören“ 18 . Diese so genannten „Kopfproletarierinnen“ seien durch ihre gehobeneren Lebens-<br />

verhältnisse geblendete Frauen <strong>und</strong> täten sich deshalb mit der Bewusstwerdung ihrer tatsächlichen<br />

Klassenlage schwerer als die im Elend lebenden „Handproletarierinnen“. Zetkin war sich jedoch<br />

sicher, dass auch diese meist bürgerlichen Frauen sich bald nicht mehr der „Erkenntniß der Noth-<br />

wendigkeit“ 19 verschließen <strong>und</strong> Mitglieder der sozialdemokratischen Bewegung werden würden.<br />

Eine spezielle, diesen Prozess vielleicht beschleunigende Agitation unter diesen bürgerlichen<br />

Frauen lehnte sie jedoch stets ab, da sie dies als eine Zersplitterung <strong>und</strong> Vergeudung von Kräften<br />

ansah. Nicht den bürgerlichen Frauen die Angst vor der Schädlichkeit des Sozialismus zu nehmen<br />

sei Aufgabe der proletarischen Frauenbewegung, so Zetkin 1894 in ihrem programmatischen Arti-<br />

kel „Reinliche Scheidung“, sondern „die Masse der proletarischen Frauenwelt zum Bewußtsein<br />

ihrer Klassenlage <strong>und</strong> Klassenleiden zu bringen“ 20 .<br />

Es ist vor allem die Auseinandersetzung mit den Zielen der bürgerlichen Frauenbewegung <strong>und</strong><br />

anderer Reformbewegungen, die für Zetkin in der Probenummer der „Gleichheit“ zum Ausgangs-<br />

punkt einer eigenen Ortsbestimmung wird:<br />

„Sie [die „Gleichheit“; M.S.] geht von der Uerberzeugung aus, daß der letzte<br />

Gr<strong>und</strong> der Jahrtausende alten niedrigen gesellschaftlichen Stellung des <strong>weiblichen</strong><br />

Geschlechts nicht in der jeweiligen ‘von Männern gemachten’ Gesetzgebung,<br />

sondern in den durch wirthschaftliche Zustände bedingten Eigenthumsverhältnissen<br />

zu suchen ist.“ 21<br />

Zetkin sah in der gesetzlichen Gleichberechtigung der Frau nur einen Teilerfolg für die Befreiung<br />

der Frau. Ein Teilerfolg, der, wie z. B. das Frauenwahlrecht, vor allem der Minderheit der gebil-<br />

deten <strong>und</strong> besitzenden Frauen zugute käme. Die große Masse der Frauen würde jedoch weiterhin<br />

16 Die Redaktion <strong>und</strong> der Verlag: Einladung zum Abonnement. In: GL, 02/ 26/ 28.12.1892/ 209.<br />

17 Die „Einladung zum Abonnement“ erschien in der ersten <strong>und</strong> letzten Nummer eines Jahrgangs. Dies geschah sehr<br />

regelmäßig von der letzten Nummer des 2. Jahrgangs bis einschließlich derjenigen des 23. Jahrgang (1912/13),<br />

später aber nur sehr unregelmäßig (vgl. Einladung zum Abonnement. In: GL, 25/ 26/ 17.09.1915/ 173).<br />

18 Die Redaktion <strong>und</strong> der Verlag: An die Leser! In: GL, 02/ Probenummer/ 28.12.1891/ 1.<br />

19 Ebd.<br />

20 Reinliche Scheidung. In: GL, 04/ 08/ 18.04.1894/ 63.<br />

21 Die Redaktion <strong>und</strong> der Verlag: An die Leser! In: GL, 02/ Probenummer/ 28.12.1891/ 1.<br />

90


2.1 ZWISCHEN KONTINUITÄT UND NEUBEGINN – GRÜNDUNG UND ZIELSETZUNG DER „GLEICHHEIT“<br />

in „wirthschaftlicher Abhängigkeit von ihren Ausbeutern“ 22 verbleiben müssen. So erblicke die<br />

„Gleichheit“ im Gegensatz zur bürgerlichen Frauenbewegung<br />

„den Feind der Gleichberechtigung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts weder in dem<br />

Egoismus, noch in den Vorurtheilen der Männerwelt, sie predig[e] nicht den Krieg<br />

von Geschlecht zu Geschlecht, sie glaub[e] nicht an die Messiasrolle einer zu<br />

Gunsten der Frauen veränderten Gesetzgebung“ 23 .<br />

Zetkin wollte damit jedoch nicht sagen, dass auf diesen Teilerfolg verzichtet werden könne. Auch<br />

die „Gleichheit“ fordere die gesetzliche Gleichstellung der Frau mit dem Mann, aber sie solle<br />

nicht „letztes Endziel“ 24 , sondern Mittel zum Zweck sein – ein Mittel im Kampf gegen den Kapi-<br />

talismus, den die Arbeiterin gemeinsam mit dem Arbeiter führen müsse.<br />

Erwerbstätige Arbeiterin war die Proletarierin in den Darstellungen der „Gleichheit“ stets nur aus<br />

Zwang. Ein Zwang, von dem sie sich befreien müsse. Die Hausfrauentätigkeit dagegen wird von<br />

Zetkin prinzipiell nicht in Frage gestellt – ein von heutigen Feministinnen häufig kritisierter Punkt<br />

an der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie 25 . Neben der Tätigkeit für Haus <strong>und</strong> Familie<br />

sollte die Proletarierin nun „noch andere Pflichten“ 26 haben. Zetkin konkretisiert diese in ihrem<br />

ersten „Gleichheit“-Artikel zwar noch nicht, aber bald wurde deutlich, dass es sich u. a. um die<br />

Pflicht handelte, aktiv am Klassenkampf teilzunehmen, sich zu organisieren, sich <strong>und</strong> die Kinder<br />

entsprechend zu bilden. Mit der „Gleichheit“ wollte Zetkin „[z]u der gewissenhaften Erfüllung<br />

dieser Pflichten“ 27 erziehen. Ein schwer zu erreichendes Ziel, da wie sie selbst erkannt hatte, die<br />

„Frau bis jetzt mit ihren Interessen <strong>und</strong> Gefühlen ausschließlich im Hause <strong>und</strong><br />

nicht im öffentlichen Leben wurzelte, nur der Familie, nicht der Allgemeinheit ihr<br />

Interesse entgegenbrachte“ 28 .<br />

Zetkin wollte die in ihrem Familienegoismus gefangene proletarische Arbeiterfrau deshalb nicht<br />

nur auf einer sachlichen Ebene ansprechen, sondern auch emotional – auch dieses jedoch mit<br />

einer erziehenden <strong>und</strong> bildenden Intention:<br />

„Hier gilt es nicht blos den Geist aufzuklären, vielmehr auch das Gemüth zu<br />

bilden, im Herzen die rechte Wärme, die flammende Begeisterung für die neuen<br />

Ziele zu erwecken.“ 29<br />

Es ist der so genannte „Gefühlssozialismus“ den Zetkin hier für ihre Zielsetzung nutzen <strong>und</strong><br />

22 Ebd.<br />

23 Ebd.<br />

24 Ebd.<br />

25 Siehe u. a.: Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären.<br />

26 Die Redaktion <strong>und</strong> der Verlag: An die Leser! In: GL, 02/ Probenummer/ 28.12.1891/ 1.<br />

27 Ebd.<br />

28 Ebd.<br />

29 Ebd.<br />

91


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

stärken möchte. Er stellt – dies wird noch anhand der in der „Gleichheit“ veröffentlichten Frauen-<br />

biographien zu zeigen sein – bei vielen Frauen ein auslösendes Moment für ein Engagement<br />

innerhalb der proletarischen Frauenbewegung dar.<br />

Wie alle anderen bisher vorgestellten Redakteurinnen konnte auch Zetkin nicht umhin, ihre<br />

Leserinnen zur Mitarbeit aufzurufen, denn<br />

„wie ein Blatt wird, das hängt nicht allein von der Redaktion <strong>und</strong> dem Verlag,<br />

sondern auch vom Publikum ab. Möge uns daher die Sympathie <strong>und</strong> Mitarbeit<br />

Aller zu Theil werden, die mit uns die gleichen Ziele verfolgen.“ 30<br />

Diese Ziele wurden in der „Gleichheit“ ganz anders präzisiert als in ihrer Vorgängerin. Für die<br />

„Arbeiterin“ hatte Joseph Joos noch lapidar bemerkt, dass sie zwar von der „‘Ausbeutung der<br />

Frau’ <strong>und</strong> vom ‘<strong>weiblichen</strong> Teil des Proletariats’“ 31 gesprochen, aber „[d]as Wort Sozialismus“ 32<br />

nicht erwähnt habe. Bezüglich der Ausrichtung der „Gleichheit“ musste er konstatieren: „Hier<br />

wird nichts mehr verhüllt <strong>und</strong> vertuscht.“ 33 Demnach lagen zwar Kontinuität <strong>und</strong> Neubeginn in<br />

der Gründung der „Gleichheit“ dicht beieinander, doch ist es vor allem das prinzipielle <strong>und</strong> klare<br />

Bekenntnis zum Sozialismus, welches den entscheidenden Unterschied zu ihren Vorgängerinnen<br />

ausmacht <strong>und</strong> das sich sowohl in ihrem Inhalt als auch ihrer Struktur widerspiegelt. Geprägt<br />

wurde dieses klare Bekenntnis <strong>und</strong> damit das Selbstverständnis <strong>und</strong> die Struktur der „Gleichheit“<br />

als die eines Schulungs- <strong>und</strong> Bildungsorgans für Proletarierinnen von einem wissenschaftlichen<br />

Sozialismus, wie ihn Zetkin verstand. Eine Antwort auf die Frage, ob in ihrer Definition des<br />

Sozialismus Momente von Dogmatismus, von Orthodoxie oder Rechthaberei enthalten waren<br />

oder ob es sich um charakterfeste Kompromisslosigkeit <strong>und</strong> unbequeme Dickköpfigkeit handelte,<br />

ist schwer zu finden <strong>und</strong> sicherlich abhängig von der politischen Perspektive, die man selbst ein-<br />

nimmt.<br />

Die Zielsetzung, die Zetkin bereits frühzeitig für die „Gleichheit“ entwickelte, verdeutlicht, dass<br />

sie die besondere Situation der Proletarierinnen erkannt hatte. Je nachdem, ob ihre Interessen als<br />

Arbeiterinnen oder Arbeiterfrauen, Erwerbstätige oder Hausfrauen überwogen – <strong>und</strong> dazu kam,<br />

dass sie oft mehreres in einem waren – musste ihnen mit der „Gleichheit“ ein spezielles Bildungs-<br />

mittel zur Verfügung gestellt werden. Im Verlaufe ihrer Redaktionstätigkeit wich sie jedoch von<br />

dieser Zielsetzung immer mehr ab. In der Probenummer war noch zu lesen:<br />

30 Ebd.<br />

„Die große Masse der Proletarierinnen der Handarbeit ist ja auch noch nicht zum<br />

31 Joos, Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Deutschland, S. 15.<br />

32 Ebd.<br />

33 Ebd.<br />

92


2.1 ZWISCHEN KONTINUITÄT UND NEUBEGINN – GRÜNDUNG UND ZIELSETZUNG DER „GLEICHHEIT“<br />

Bewußtsein ihrer Klassenlage, ihrer Pflichten <strong>und</strong> Rechte erwacht, <strong>und</strong> trotzdem –<br />

oder vielmehr gerade deswegen – ist sie es, an welche sich ‘Die Gleichheit’ in<br />

erster Linie wendet.“ 34<br />

Später leugnete sie diese erste Zielsetzung, die die „Gleichheit“ zu einem Organ der Massen hatte<br />

gestalten wollen. Angesichts der Entwicklung, welche die „Gleichheit“ schließlich genommen<br />

hatte, <strong>und</strong> ihrer sich nur langsam steigernden Anzahl an Abonnements 35 zog sich Zetkin auf die<br />

Position zurück, von Beginn an nur die Schulung einer Elite beabsichtigt zu haben. Auf diese<br />

Weise wollte sie auch jene KritikerInnen zum Schweigen bringen, die stets das zu anspruchsvolle<br />

intellektuelle Niveau <strong>und</strong> die mangelnde Popularität der „Gleichheit“ anklagten. Dieses Niveau<br />

sah sie außerdem im Mangel an geeigneten Artikeln begründet. Wenn Genossinnen auf den<br />

Frauenkonferenzen klagten, die „Gleichheit“ sei nicht populär genug, so forderte sie Zetkin auf,<br />

doch selbst die gewünschten Beiträge zu verfassen. Zetkin wollte sie dann „mit Kußhand ent-<br />

gegennehmen“ 36 . Zetkin betonte immer wieder, dass es kaum eine SPD-Zeitschrift gab, an der so<br />

viele „Laien“ beteiligt seien. Doch wenn diese erfreulicher Weise ihr Können <strong>und</strong> ihren Stil<br />

weiterentwickelten, könne sie als Redakteurin ihre Arbeiten doch schlecht ablehnen. Zetkin war<br />

sich ihrer Position sehr sicher, denn den KritikerInnen rief sie 1911 nur zu: „Paßt es Ihnen nicht, –<br />

ich klebe nicht am Amt. (Bewegung.)“ 37 .<br />

Die Kritik hatte demnach nie nachgelassen, obwohl Zetkin bereits 1904 dadurch eingelenkt hatte,<br />

indem sie der Einführung zweier populär gehaltener Beilagen zustimmte. Diese Beilagen sind als<br />

eine Ergänzung des bisherigen Schulungs- <strong>und</strong> Aufklärungskonzeptes zu sehen, denn das Haupt-<br />

blatt wurde in seinem Umfang nicht vermindert. Aber auch hinsichtlich ihrer Gestaltung wollte<br />

Zetkin keine Kompromisse eingehen <strong>und</strong> sich etwa mittels einer entsprechenden, den Leserinnen<br />

wohlgefälligen Gestaltung den Zutritt in die Arbeiterfamilien „erkaufen“. Sie wollte die Lese-<br />

rinnen eben nicht auf dem Niveau ansprechen, auf dem sie infolge einer ungenügenden Schul-<br />

bildung standen, sondern sie auf ein höheres heben. Auf den Charakter der sehr erfolgreichen<br />

Beilagen 38 wird im Rahmen der Darstellung der einzelnen „Gleichheit“-Rubriken noch näher ein-<br />

gegangen. 39<br />

34 Die Redaktion <strong>und</strong> der Verlag: An die Leser! In: GL, 02/ Probenummer/ 28.12.1891/ 1.<br />

35 Die ersten Angaben für die Abonnements der „Gleichheit“ gibt es erst ab 1902 (1902: 4.000; 1903: 9.500; 1904:<br />

12.000); siehe: Tabelle 7 „Abonnentinnen der ‘Gleichheit’“.<br />

36 Zetkin im Bericht über die 6. sozialdemokratische Frauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1911,<br />

S. 426.<br />

37 Ebd.<br />

38 Die Zahl der Abonnements hatte sich 1905 durch einen Anstieg auf 23.000 nahezu verdoppelt.<br />

39 Siehe: Kapitel 2.4.5.<br />

93


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Zwar sah Zetkin in „dem Ruf nach Popularität ein sehr tief begründetes <strong>und</strong> wichtiges Bedürf-<br />

nis“ 40 , sie verwies aber zugleich auf die großen Qualitätsunterschiede populärer Unterhaltung.<br />

Auf dem SPD-Parteitag in Jena 1913 betonte sie nochmals, dass die „Gleichheit“ zu Beginn<br />

„ausschließlich das Organ der Genossinnen [sein sollte], die von vornherein eine<br />

Elite des <strong>weiblichen</strong> Proletariats darstellten, die zum Teil schon in der allgemeinen<br />

Bewegung eine größere Schulung erhalten hatte. Diese geschulte Elite zusammenzuhalten<br />

<strong>und</strong> noch weiter zu erziehen, [sei] die vornehmste Aufgabe der ‘Gleichheit’.“<br />

41<br />

Diese Aufgabe habe jene Elite so erfolgreich erfüllt, dass die proletarische Frauenbewegung rasch<br />

wuchs. Die Mehrheit der ihr zuströmenden proletarischen Frauen seien jedoch Gefühlssozialis-<br />

tinnen <strong>und</strong> noch nicht mit dem „ABC“ 42 sozialistischer Auffassungen vertraut. Der Vermittlung<br />

dieses ABCs wolle sich die „Gleichheit“ nun verstärkt zuwenden. Sie sollte nun ein gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

„werbendes Organ“ 43 werden. Für die so geworbenen „Nachrückenden, die morgen oder über-<br />

morgen an unserem eigenen Platz stehen werden“ 44 , war Zetkin sogar bereit, Raum in der „Gleich-<br />

heit“ auch auf Kosten anderer Inhalte zu schaffen. Jedoch nur unter der Bedingung, dass „[a]n<br />

dem Gehalt <strong>und</strong> dem Charakter des übrigen Teils […] nichts geändert“ 45 würde. Der Erste Welt-<br />

krieg verhinderte diese konzeptionelle Weiterentwicklung jedoch.<br />

Bevor die Parteitagsdelegierten in Jena angesichts dieser bereitwilligen Annäherung hätten an-<br />

nehmen können, Zetkin habe mit ihrer Ankündigung irgendeine Form von Fehler eingestanden,<br />

rechtfertigte sie ihre bisherigen redaktionellen Ziele wie folgt:<br />

„Uebrigens will ich dieses bemerken: Was Sie an der ‘Gleichheit’ meinen tadeln zu<br />

müssen, die angeblich unpopuläre Schreibweise, unterscheidet sich im allgemeinen<br />

in nichts von der Schreibweise unserer übrigen Parteipresse. Es sind die nämlichen<br />

Mitarbeiter <strong>und</strong> Mitarbeiterinnen, die auch dort das Wort führen, <strong>und</strong> ich kann<br />

hinzufügen, daß wir vielleicht kein Organ in unserer Partei haben, daß daneben in<br />

so großer Zahl Mitarbeiter <strong>und</strong> Mitarbeiterinnen aus den erwachenden Schichten<br />

des Proletariats zählt, wie gerade die ‘Gleichheit’.“ 46<br />

Es ist demnach auffällig, dass anscheinend von einer Frauenzeitschrift weit größere Erfolge<br />

erwartet wurden als von anderen Parteiorganen 47 – <strong>und</strong> dies, obwohl die „Gleichheit“ ein deutlich<br />

40 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1913, S. 254.<br />

41 Ebd.<br />

42 Ebd.<br />

43 Ebd., S. 255.<br />

44 Ebd.<br />

45 Ebd.<br />

46 Ebd.<br />

47 Laut Protokoll eben jenes Parteitages in Jena 1913 betrug die Zahl der Abonnements der „Gleichheit“ 112.000, die<br />

der „Neuen Zeit“ 10.500, des „Vorwärts“ 157.100 <strong>und</strong> des „Wahren Jacob“ 371.000 (vgl. ebd., S. 30-32) – angesichts<br />

diesen direkten Vergleichs erscheint die an Zetkin geübte Kritik vollkommen unbegründet.<br />

94


2.1 ZWISCHEN KONTINUITÄT UND NEUBEGINN – GRÜNDUNG UND ZIELSETZUNG DER „GLEICHHEIT“<br />

schwierigeres Aufgabenfeld besaß <strong>und</strong> oft wenig Unterstützung durch die Parteiorganisation er-<br />

fuhr, denn nicht nur die bürgerliche Gesellschaft verstand es, die proletarische Frauenbewegung<br />

mit zweierlei Maß zu messen. Auf die Zusammensetzung der „Gleichheit“-Mitarbeiterschaft wird<br />

noch an anderer Stelle eingegangen werden. 48<br />

Schließlich wehrte sich Zetkin gegen den in jener Kritik enthaltenen Vorwurf, ihre Redaktions-<br />

arbeit sei ungenügend:<br />

„Meinen Sie, ich würde in ausgesuchter Bosheit <strong>und</strong> Dummheit gute, populäre<br />

Artikel über unsere sozialistischen Ideen nicht annehmen, wenn ich sie bekäme?<br />

Nicht mit einer, nein mit zwei Kußhänden würde ich sie veröffentlichen. (Große<br />

Heiterkeit.) Aber das Pech ist eben, ich warte <strong>und</strong> warte, jedoch solche Artikel<br />

gehen mir äußerst selten einmal zu.“ 49<br />

Diese Bemerkung Zetkins zeigt, dass es ihr schließlich nicht anders erging als ihren Vor-<br />

gängerinnen Guillaume-Schack <strong>und</strong> Ihrer, die ebenfalls vergeblich auf Beiträge aus den Reihen<br />

der Leserinnen gehofft hatten. Das Ausbleiben einer solchen Beteiligung kann der Redakteurin<br />

einer Frauenzeitschrift nicht zum Vorwurf gemacht werden – zumal im Falle der „Gleichheit“<br />

auch ein Redaktionswechsel nichts daran zu ändern vermochte.<br />

48 Siehe: Kapitel 2.3.<br />

49 Ebd., S. 255.<br />

95


2.2 Amt oder Meinung?<br />

– Die Redaktionen der „Gleichheit“<br />

2.2.1 Die „Ära Zetkin“ <strong>und</strong> der Erste Weltkrieg<br />

Im Folgenden werden die Redakteurinnen der „Gleichheit“ vor allem in ihrer Tätigkeit für<br />

diese dargestellt. Besonders die unbekannteren unter ihnen werden mit einer Auswahl ihrer<br />

Artikel <strong>und</strong> behandelten Themen sowie mit einigen biographischen Informationen vorgestellt.<br />

In den ersten 25 Jahren war es vornehmlich Clara Zetkin, die für die Gestaltung <strong>und</strong> Redaktion<br />

der „Gleichheit“ verantwortlich zeichnete. Bezüglich dieser Tätigkeit von einer „Ära Zetkin“<br />

zu sprechen, ist durchaus gerechtfertigt, denn in den ersten Jahren war sie nicht nur Re-<br />

dakteurin der „Gleichheit“, sondern auch Verfasserin nahezu sämtlicher Artikel. Welch großes<br />

Arbeitspensum sie dabei zu bewältigen hatte, wird aus folgender Tätigkeitsbeschreibung für<br />

den Beruf des Redakteurs deutlich:<br />

„Noch spezifischer ist die Aufgabe des Redakteurs, der allein Anspruch darauf<br />

erheben kann, als Schriftleiter bezeichnet zu werden. Er hat vor allem zu<br />

redigieren, d. h. das einlaufende Material nach den besonderen Anforderungen<br />

des Tages, der Umwelt <strong>und</strong> der einzelnen Zeitung auszuwählen, zu formen <strong>und</strong><br />

druckfertig zu machen. Freilich, um formen zu können, muß er selbst zu<br />

schreiben verstehen, <strong>und</strong> manchmal stellt die eigene Formulierung den Hauptteil<br />

seiner Arbeit dar. Daher muß er sich auf den verschiedensten Sachgebieten auskennen,<br />

sich in die verschiedensten Darstellungsformen einfühlen können. Er<br />

muß wissen, was die Tradition <strong>und</strong> Haltung der Zeitung <strong>und</strong> die Erwartungen<br />

der Leser erfordern, er muß ständig Anregungen geben, Ideen haben <strong>und</strong> an<br />

stillen wie an bewegten Tagen immer frisch <strong>und</strong> unermüdlich sein. Alle die<br />

vielfältigen Anforderungen an den Journalisten müssen von ihm als dem<br />

eigentlichen Zeitungsgestalter erfüllt werden.<br />

Die Vielfalt der journalistischen Anforderungen verlangt schon rein körperlich<br />

vom Zeitungsmann ungewöhnliche Belastungen. Man denke an Nachtarbeit,<br />

Sonntagsarbeit, Überst<strong>und</strong>en, an das nervenaufreibende Getriebe der ‘großen’<br />

Tage <strong>und</strong> der ‘letzten’ Minuten, an die Stöße von Manuskripten, Telegrammen<br />

<strong>und</strong> Zeitungen, die nicht gelesen, sondern überflogen werden müssen, an die<br />

sich jagenden Telefonate, Besprechungen, Besuche, Reisen, Kongresse! Um<br />

alledem gewachsen zu sein, bedarf es strenger Selbstzucht <strong>und</strong> Konzentration,<br />

weiter der Fähigkeit, unabhängig von Stimmungen <strong>und</strong> Launen stets arbeitsbereit<br />

zu sein, sobald die Sache es verlangt, ohne auf Inspiration zu warten oder<br />

Gedanken <strong>und</strong> Formulierungen sorgfältig abwägen zu können, ohne an<br />

Zuverlässigkeit, Frische <strong>und</strong> Stilsicherheit einzubüßen. Nur eine scharfe Intelligenz<br />

<strong>und</strong> ein überdurchschnittliches Gedächtnis für Namen, Zahlen, Tatsachen,<br />

setzen den Journalisten in den Stand, ohne langwierige Nachprüfungen <strong>und</strong><br />

Rückfragen sofort eine sichere Antwort zu wissen, wenn Aktualitäten eine<br />

schnelle Entscheidung verlangen. Aber der Journalist wird erst dann über den<br />

Durchschnitt hinausragen <strong>und</strong> im stande sein, die Öffentlichkeit wirksam anzusprechen,<br />

wenn er es nämlich versteht, eine Linie zu halten, Wege zu weisen,<br />

neue Ideen wirksam zu vertreten. Dazu aber gehören ein starker Glaube an seine<br />

Sache, ja ein Sendungsbewußtsein, eine temperamentvolle Vertretung der<br />

97


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

eigenen Ideen, der Mut, gegen den Strom zu schwimmen <strong>und</strong> schließlich eine stilistische<br />

Ausdrucksfähigkeit, die jeder Aufgabe gewachsen ist. Der führende Journalist<br />

muß also eine Persönlichkeit sein, ein gefestigter <strong>und</strong> geläuterter Charakter,<br />

der sich nicht durch Lockungen oder Drohungen von seinem Weg abbringen<br />

läßt. Für die meisten anderen Berufe – man denke an den Pädagogen, den Gelehrten,<br />

den Arzt, den Kaufmann –, genügt die eine oder die andere der genannten<br />

Eigenschaften. Der Journalist wird es ohne diese Qualitäten nie zu einer führenden<br />

Rolle in der Öffentlichkeit bringen.“ 50<br />

Es erfordert für den Beruf des Redakteurs demnach sowohl Können als auch eine besondere<br />

innere Einstellung. Zetkin war sich bereits sehr früh ihrer Stellung <strong>und</strong> ihrer Verantwortung<br />

bewusst, was einer der Gründe gewesen sein dürfte, weshalb sie es als unnötig erachtete, ihre Arti-<br />

kel namentlich zu zeichnen. Vielleicht wollte sie zudem die „Gleichheit“ nicht als das erscheinen<br />

lassen, was sie anfangs ohne Zweifel war: Eine „One-Woman-Show“ 51 . Offiziell jedoch erklärte<br />

Zetkin diese Eigenart – in der für sie sehr typischen selbstbewussten Art – mit folgenden Worten:<br />

„Ich zeichne meine Artikel überhaupt nie. Es gehört nicht zu meinen Gepflogenheiten,<br />

wie das Gegacker der Henne, welche ein Ei legt, unter jede meiner Arbeiten<br />

meinen Namen zu setzen. Ich glaube der Unterschrift in der Gleichheit umso eher<br />

enthoben zu sein, als ich das Blatt als verantwortliche Redakteurin zeichne <strong>und</strong><br />

damit für jeden Fall die volle Verantwortlichkeit für alles übernehme, was in der<br />

Zeitung zur Veröffentlichung gelangt.“ 52<br />

Zetkin sah ihre Verantwortlichkeit als allumfassend an. So trugen selbst nachdem sie einige<br />

AutorInnen für die „Gleichheit“ gewonnen hatte, einige Artikel unverkennbar ihre redigierend-<br />

korrigierende Handschrift. 53 Sie selbst machte auch gar keinen Hehl aus ihren Bearbeitungen <strong>und</strong><br />

erklärte ihr „erweitertes“ Redaktionsstatut wie folgt:<br />

„Wenn die Ansichten (der Autoren) nur unbedeutend von unseren abweichen, dann<br />

beziehe ich nicht einmal Position. Erscheinen sie mir fragwürdiger, dann füge ich<br />

eine Fußnote oder ein Postskript bei, in welchem ich den Standpunkt des Autors<br />

50 Hagemann, Die Zeitung als Organismus, S. 217f. Es ist anzunehmen, dass Zetkin auch die Aufgaben eines<br />

Umbruchredakteurs wahrgenommen <strong>und</strong> damit das charakteristische Äußere der „Gleichheit“ gestaltet hat.<br />

51 „In the early years of Gleichheit’s existence Zetkin not only edited the paper but wrote most of the articles which<br />

appeared in its pages. Few of these articles were signed, however, since neither editor nor publisher were eager to<br />

have Gleichheit appear as what it actually was at this time, namely a one-woman show.” (Honeycutt, Clara Zetkin:<br />

A Left-wing Socialist and Feminist in Wilhelmian Germany, S. 125; vgl. auch Karstedt, Die „Gleichheit“ – eine<br />

one-woman-show). Der Begriff „One-Woman-Show“ hat eine deutlich negative Konnotation. Richebächer vermag<br />

es neutraler auszudrücken: „Clara Zetkin blieb bis zu ihrer Entlassung aus der Redaktion (1917) ihre [der<br />

„Gleichheit“; M.S.] strukturierende <strong>und</strong> inhaltlich gestaltende Kraft, so daß man Die Gleichheit im wesentlichen<br />

(<strong>und</strong> in den ersten Jahren auch wörtlichen) Sinne als ihr Werk bezeichnen kann.“ (Richebächer, Uns fehlt nur ein<br />

Kleinigkeit, S. 120).<br />

52 Zetkin, Clara [: Ohne Titel]. In: GL, 02/ 26/ 28.12.1892/ 216. Der DDR-Historiker Fritz Staude verteidigt in<br />

seinem Aufsatz diese vermeintliche Arroganz Zetkins. Sie resultiere nicht aus „persönlichem Ehrgeiz“, sondern sei<br />

vielmehr Ausdruck ihres „revolutionäre[n] Verantwortungsbewußtsein[s]“. Er schreibt weiter: „Sie wachte mit<br />

äußerster Gewissenhaftigkeit darüber, daß der Inhalt aller Beiträge den Erfordernissen der gegebenen Situation<br />

entsprach <strong>und</strong> daß jeder Beitrag das Seine leistete in der Auseinandersetzung mit jeweils anstehenden Fragen <strong>und</strong><br />

zugleich der Weiterentwicklung der Bewegung diente.“ (Staude, Die Rolle der „Gleichheit“ im Kampf Clara<br />

Zetkins für die Emanzipation, S. 434).<br />

53 Vgl. Honeycutt, Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in Wilhelmian Germany, S. 126.<br />

98


2.2.1 DIE „ÄRA ZETKIN“ UND DER ERSTE WELTKRIEG<br />

charakterisiere. Wenn dagegen nach meiner Meinung die Ansichten ernsthaft<br />

unseren f<strong>und</strong>amentalen Auffassungen widersprechen, dann polemisiere ich gegen<br />

den Autor.“ 54<br />

Das „Polemisieren“ war für Zetkin mehr als nur reine Boshaftigkeit, ihr „Letztes-Wort-<br />

Fetischismus“ mehr als nur Rechthaberei. Es war ihre Art der Auseinandersetzung mit Beiträgen,<br />

die ihrer Meinung nach der sozialistischen Gesinnung der Leserinnen nicht zuträglich waren. Eine<br />

Diskussionskultur, die auf manche Autorinnen <strong>und</strong> Leserinnen sicherlich abschreckend gewirkt<br />

haben dürfte. 55 Doch auch wenn Zetkins Einfluss groß gewesen sein mag, so war er jedoch nicht<br />

unbeschränkt <strong>und</strong> innerhalb der „Gleichheit“-Redaktion, so Riepl-Schmidt, auch nicht „un-<br />

gebrochen akzeptiert“ 56 . Im Gegensatz zu dem, was Zetkins Worte vermuten lassen, konstatiert<br />

Riepl-Schmidt am Beispiel Anna Blos‘ (1866-1933) 57 , dass selbst „Artikel, die nicht ‘linientreu’<br />

waren“ 58 von der „Gleichheit“-Redakteurin nicht „zensiert oder unterdrückt“ 59 worden seien.<br />

Selbstbewusst formulierte die Redakteurin Zetkin ihre Aufgabe wie folgt: „[I]ch habe nicht ein<br />

Amt, sondern eine Meinung, <strong>und</strong> danach gestalte ich die ‘Gleichheit’.“ 60 Diese Selbstcharak-<br />

terisierung richtet das Augenmerk auf Zetkins Verhältnis zur Parteihierarchie, das von ihren<br />

Biographinnen sehr unterschiedlich bewertet wird. Allerdings lässt sie kaum die Interpretation zu,<br />

wonach Zetkin sich selbst als einen „Parteisoldaten“ 61 gesehen hätte. Denn tatsächlich waren es<br />

54 Clara Zetkin in einem Brief an Käte Duncker, 17.11.1906. Zit. nach: Karstedt, Die Gleichheit – eine „one-woman<br />

show“, S. 18.<br />

55 Auch hinsichtlich der Rezeption der „Gleichheit“ wird diese abschreckende Wirkung noch Gegenstand dieser<br />

Untersuchung sein; siehe: Kapitel 2.5.<br />

56 Riepl-Schmidt, Wider das verkochte <strong>und</strong> verbügelte Leben, S. 167.<br />

57 Anna Blos, geb. Tomasczewska, wurde im schlesischen Liegnitz geboren <strong>und</strong> war Tochter eines Oberstabsarzt Sie<br />

besuchte erst die Viktoria-Pension <strong>und</strong> dann das Prinzeß-Wilhelm-Stift in Karlsruhe i.B.. Blos studierte<br />

Geschichte, Literatur <strong>und</strong> Sprachen an der Universität Berlin, wurde Lehrerin <strong>und</strong> schließlich Oberlehrerin. 1905<br />

heiratete sie Wilhelm Blos (1849-1927), der als Redakteur verschiedener sozialistischer Blätter arbeitete <strong>und</strong> hier<br />

noch an anderer Stelle vorgestellt wird. Blos engagierte sich besonders in der Schulpolitik <strong>und</strong> wurde Mitglied des<br />

Ortsschulrats Stuttgart. Obwohl sie dem rechten Flügel der SPD angehörte <strong>und</strong> eng mit der bürgerlichen<br />

Frauenbewegung im “Deutschen Hausfrauenverein” zusammenarbeitete, war sie seit 1905 Autorin für die<br />

„Gleichheit”. Ab 1914 übernahm sie Tätigkeiten in der Kriegsfürsorge, wurde Vorsitzende des Verbandes der<br />

Stuttgarter Hausfrauen, Mitglied des Ernährungsbeirats <strong>und</strong> Mitglied des Landesvorstandes der SPD. 1919 wurde<br />

sie Abgeordnete der Nationalversammlung <strong>und</strong> hatte bis Juni 1920 ein Mandat als Abgeordnete des Reichstags<br />

inne. Sie verfasste u. a. Schriften, die einen frauengeschichtlichen Bezug haben: „Die Frauen der deutschen<br />

Revolution 1848“ (1928), „Die Frauen in Schwaben. Fünfzehn Lebensbilder“ (1929), „Die Frauenfrage im Lichte<br />

des Sozialismus“ (1930). <strong>Von</strong> besonderer Bedeutung für die vorliegende Arbeit ist ihre von September 1919 bis<br />

Juli 1920 erschienene Artikelreihe „Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, in der folgende acht Frauen porträtiert<br />

wurden: Bettina von Arnim, Charlotte Stieglitz, Rahel Levin, Charlotte von Stein, Malvida von Meysenbug,<br />

Karoline Schlegel-Schelling, Luise Aston <strong>und</strong> Karoline von Humboldt.<br />

58 Riepl-Schmidt, Wider das verkochte <strong>und</strong> verbügelte Leben, S. 167.<br />

59 Ebd.<br />

60 Zetkin im Bericht über die 6. sozialdemokratische Frauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1911,<br />

S. 426.<br />

61 Puschnerat spricht dagegen sogar von einer „parteisoldatische[n] Unterwürfigkeit“ (Puschnerat, Clara Zetkin –<br />

Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 44) Zetkins.<br />

99


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

gleich mehrere Ungeheuerlichkeiten, derer sie sich mit ihrer Erklärung schuldig machte: Wenn die<br />

„Gleichheit“-Redaktion ihrer Ansicht nach kein Parteiamt der SPD war, so sah sie sich demnach<br />

von Parteiinstanzen <strong>und</strong> Parteiströmungen vollkommen unabhängig. Obendrein stellte sie die freie<br />

Diskussion <strong>und</strong> das Recht auf eine persönliche Meinung höher als die Interessen der Partei oder<br />

eine Parteidisziplin bzw. ging davon aus, dass es ohnehin zwischen ihrer Position <strong>und</strong> derjenigen<br />

der Partei zu keinem wesentlichen Dissens kommen könne. Zetkins Selbstcharakterisierung stand<br />

zudem in einer interessanten Kongruenz mit der Idealvorstellung, die der „Neue-Zeit“-Redakteur<br />

Karl Kautsky von einem Chefredakteur-Mitarbeiter-Verhältnis zeichnete:<br />

„‘Er ist nicht der Herr seiner Mitredakteure, sondern nur der erste unter gleichen;<br />

er kann seine Autorität nicht aus seinem Amte ziehen, sondern nur aus der<br />

Überlegenheit seines Wissens, seiner Erfahrungen, seiner Fähigkeiten <strong>und</strong> ihrer<br />

freudigen Anerkennung durch seine Kollegen.’“ 62<br />

Die Bilder, die jedoch von Zetkin als Redakteurin gezeichnet wurden <strong>und</strong> werden, sind sehr<br />

gegensätzlich. Einige BiographInnen <strong>und</strong> ZeitgenossInnen betonen Zetkins kompromisslose<br />

Dominanz, die kein anderes Talent neben dem eigenen <strong>und</strong> keine andere Meinung außer der<br />

ihrigen geduldet habe. 63 Andere sprechen dagegen von einer besonderen Fähigkeit, sich als<br />

erfahrene <strong>und</strong> aufgeschlossene Redakteurin stets um neue AutorInnen bemüht, Hilfestellung<br />

geleistet <strong>und</strong> verborgene Talente gefördert zu haben 64 . So zeichnet z. B. Ilberg folgendes Bild von<br />

dem Redaktionsalltag Zetkins:<br />

„Noch ein letzten prüfenden Blick wirft Clara Zetkin in die Spalten des Blattes.<br />

Dann legt sie es beiseite. Ihre Zeit ist, wie immer, auf die Minute eingeteilt. Ein<br />

ganzer Stapel von Briefen aus der Feder von Arbeiterinnen harrt bereits der<br />

Lektüre, der sie stets viel Sorgfalt widmet. Gerade der Inhalt dieser Post bildet<br />

einen der Gr<strong>und</strong>pfeiler der ‘Gleichheit’, ja noch mehr: So manche Arbeiterin, die<br />

Clara in ungelenken Schriftzügen ihre Sorgen anvertraut hat, ist ganz allmählich<br />

zur ständigen Korrespondentin der Zeitung geworden. Clara weiß Talente<br />

aufzuspüren <strong>und</strong> zu entwickeln.[…] Voll Mitgefühl legt die Redakteurin das<br />

Brieflein beiseite. […] Claras Herz wird niemals abgestumpft.“ 65<br />

Ilberg versucht mit ihrer sehr literarischen Beschreibung nicht nur ein positives mitfühlendes Bild<br />

vom Charakter Zetkins zu zeichnen, sondern auch die „Gleichheit“ als basisnahes Organ dar-<br />

zustellen. 66 Auch Anna Blos beschrieb die Arbeit mit Clara Zetkin als „sehr angenehm“ 67 <strong>und</strong><br />

62 Karl Kautsky zit. nach: Koszyk, Zwischen Kaiserreich <strong>und</strong> Diktatur, S. 23.<br />

63 Vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 67 <strong>und</strong> S. 86 <strong>und</strong> Karstedt, Die Gleichheit –<br />

eine „one-woman show“, S. 16ff. Sehr aussagekräftig für die vielschichtige Persönlichkeit Zetkins sind die von<br />

Karstedt gewählten Zwischenüberschriften „Mutter Theresa oder Mutter Courage“; „‘Pf<strong>und</strong>sweib’ <strong>und</strong> ‘Bestie’“<br />

(ebd.).<br />

64 Vgl. Dornemann, Clara Zetkin. Leben <strong>und</strong> Wirken, S. 108.<br />

65<br />

Ilberg, Clara Zetkin, S. 69.<br />

66 Zur Beteiligung von Leserinnen an der „Gleichheit“ siehe: Kapitel 2.5.<br />

67 Blos, Die Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 25.<br />

100


2.2.1 DIE „ÄRA ZETKIN“ UND DER ERSTE WELTKRIEG<br />

Henriette Fürth (1861-1936) 68 , die Zetkins Polemik sehr deutlich zu spüren bekam, empfand<br />

ihren Führungsstil sogar als sehr mütterlich:<br />

„‘[…] wie treulich sie [Zetkin; M.S.] sich jüngerer oder unerfahrener<br />

Parteigenossen in mütterlicher Fürsorge oder als geistige Beraterin <strong>und</strong> Führerin<br />

annahm. Ich bin ihr jedenfalls zu grossem Dank verpflichtet für Rat <strong>und</strong><br />

Förderung, die sie mir über ein Jahrzehnt hindurch zuteil werden ließ.’“ 69<br />

All dies belegt schließlich vor allem, dass Zetkins Redaktionsarbeit nicht losgelöst von ihrem<br />

Charakter <strong>und</strong> ihrer politischen Einstellung beurteilt 70 <strong>und</strong> weder für die Persönlichkeit Zetkins<br />

noch für die „Gleichheit“ ein alleingültiges Urteil getroffen werden kann. 71<br />

Neben Zetkin war es vor allem Käte Duncker (1871-1953) 72 , die 1906-1908 als zweite<br />

68 Henriette Fürth, geb. Katzenstein, wurde in Gießen geboren. Sie war Tochter eines jüdischen Holzfabrikanten,<br />

besuchte eine höhere Mädchenschule <strong>und</strong> heiratete 1880 den Kaufmann Wilhelm Fürth, einen Vetter der Mutter.<br />

In der Zeit von 1881-1899 brachte sie sechs Töchter <strong>und</strong> zwei Söhne zur Welt. 1885 zog die Familie nach<br />

Frankfurt am Main um. Hier wurde Fürth zu einer Vorkämpferin der Mutterschutzbewegung <strong>und</strong> der „Deutschen<br />

Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten”. In der „Frankfurter Zeitung“ (1874-1926[?]) erschienen<br />

1888 ihre ersten Artikel. Sie publizierte nicht nur in SPD-Blättern (so seit 1894 im „Sozialdemokrat“),<br />

sondern auch in bürgerlichen Frauenzeitschriften, z. B. in „Die Frau”. Ihre erste größere Arbeit handelte von der<br />

Frauenarbeit in der Herrenschneiderei <strong>und</strong> erschien 1896. Sie engagierte sich jedoch nicht nur schriftstellerisch<br />

(teilweise unter dem Pseudonym G. Stein) für sozial-pädagogische, sozial-hygienische <strong>und</strong> wirtschaftliche Fragen,<br />

sondern auch vereinspolitisch. Fürth war außerdem Mitglied des „Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen<br />

Glaubens”. Während des Ersten Weltkrieges arbeitete sie im „Nationalen Frauendienst” mit. Fürth wurde erstes<br />

weibliches Mitglied in der „Deutschen Gesellschaft für Soziologie“. 1919-1924 war sie Stadtverordnete in Frankfurt<br />

am Main. Fürth arbeitete während der Weimarer Republik außerdem als Volksschullehrerin <strong>und</strong> als Bezirksleiterin<br />

der AWO.<br />

69 Fürth, Streifzüge, S. 139. Zit. nach: Klausmann, Politik <strong>und</strong> Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich, S. 138.<br />

70 An der von Puschnerat verfassten Biographie fällt jedoch umgekehrt die starke Vernachlässigung der „Gleichheit“<br />

auf <strong>und</strong> dies, obwohl sie Puschnerat „mit Fug <strong>und</strong> Recht als Quelle für eine Analyse der Mentalität Zetkins“<br />

(Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 86) diente. In nur einem einzigen Absatz skizziert<br />

Puschnerat die Entwicklungslinie von der Einrichtung der beiden Beilagen 1905 über die Zensur während des<br />

Ersten Weltkrieges bis zur Entlassung Zetkins 1917 (vgl. ebd., S. 86f.) <strong>und</strong> bleibt damit äußerst oberflächlich.<br />

71 Vgl. Blos, Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 24f.<br />

72 Käte – eigentlich Paula Kathinka – Duncker, geb. Döll, wurde in Lörrach geboren <strong>und</strong> entstammte einer<br />

Kaufmannsfamilie. Sie war erst fünf Jahre alt, als ihr Vater starb. Sie besuchte ab 1880 die Höhere Töchterschule<br />

in Friedrichsroda, die Hauswirtschaftsschule in Gotha <strong>und</strong> schließlich 1888-1890 ein Lehrerinnenseminar in<br />

Eisenach. Duncker arbeitete als Lehrerin in Friedrichsroda, am Steyberschen Institut in Leipzig <strong>und</strong> in Hamburg,<br />

wo sie in Kontakt mit der Arbeiterbewegung kam. Seit 1894 war sie Mitglied in verschiedenen Bildungsvereinen<br />

<strong>und</strong> ihrer Beteiligung an Arbeiterstreiks folgte 1896 die Entlassung aus dem staatlichen Schuldienst. 1896/97<br />

versah Duncker eine Lehrerinnenstelle an der privaten höheren Mädchenschule in Hamburg – in diese Zeit muss<br />

ihre erste Begegnung mit Zetkin fallen. 1898 wurde sie SPD-Mitglied <strong>und</strong> im selben Jahr heiratete sie den<br />

Musikstudenten <strong>und</strong> späteren SPD-Parteifunktionär Hermann Duncker. Sie brachte drei Kinder zur Welt. Duncker<br />

wirkte als Rednerin <strong>und</strong> Delegierte, bekleidete 1899-1905 das Amt der Leiterin von Frauenabenden <strong>und</strong><br />

engagierte sich besonderes in Bildungs- <strong>und</strong> Frauenerwerbsarbeitsfragen. 1899 wurde sie Mitarbeiterin, später<br />

Vorsitzende des „Frauen- <strong>und</strong> Mädchenvereins Leipzig“. Durch ihren Redaktionsposten bei der „Gleichheit“ lebte<br />

sie 1906-1908 von ihrem Ehemann getrennt in Süddeutschland. 1908-1912 war sie Mitglied des zentralen SPD-<br />

Bildungsausschusses. Duncker stand auf dem radikalen Flügel der SPD, war Kriegsgegnerin <strong>und</strong> Teilnehmerin auf<br />

der Berner Frauenfriedenskonferenz 1915. Es folgten Hausdurchsuchungen <strong>und</strong> Redeverbot. 1916 war sie<br />

Mitgründerin des Spartakusb<strong>und</strong>es <strong>und</strong> dann KPD-Mitglied. Eine Welle von Verhaftungen ließ Duncker erst zu<br />

ihrem Sohn nach Dänemark, später nach Schweden reisen, aber schließlich wieder nach Deutschland zurückkehren.<br />

1921-1923 war Duncker KPD-Abgeordnete des thüringischen Landtags in Gotha. 1933-1938 betrieb sie<br />

die in Friedrichsroda gelegene Pension ihrer Mutter <strong>und</strong> verhalf vielen Verfolgten zur Flucht ins Ausland. 1938<br />

emigrierte Duncker in die USA, wo sie als Hausgehilfin <strong>und</strong> Sprachlehrerin arbeitete. 1947 kehrten die Eheleute<br />

101


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Schriftleiterin der „Gleichheit“ eine besondere Stellung innehatte. Duncker selbst beschrieb ihren<br />

Eintritt in die Redaktion der „Gleichheit“ so:<br />

„Auf einer der alle zwei Jahre stattfindenden sozialistischen Frauenkonferenzen<br />

[Mannheim 1906; M.S.] habe ich der Überlasteten [Clara Zetkin; M.S.] eines Tages<br />

aus dem Gefühl, ihr helfen zu müssen, meine Mitarbeit angeboten <strong>und</strong> erhielt kurze<br />

Zeit später die Aufforderung, in die Redaktion der Frauenzeitung ‘Die Gleichheit’<br />

einzutreten. Jahre engster Zusammenarbeit folgten in Stuttgart, dem Sitz der<br />

Redaktion. Während ich hauptsächlich die neuen Frauenbeilagen bearbeitete, behandelte<br />

Clara Zetkin mit ihrem überragenden Wissen die politischen Themen.“ 73<br />

Zetkin muss demnach durch den Auftritt Dunckers in Mannheim <strong>und</strong> ihr Referat zur Fürsorge für<br />

Schwangere <strong>und</strong> Wöchnerinnen sehr beeindruckt gewesen sein. Doch auch schon vor der<br />

Frauenkonferenz <strong>und</strong> vor diesem Angebot hatte Duncker daran gedacht, für die „Gleichheit“ zu<br />

schreiben 74 , <strong>und</strong> hatte Zetkin sich von deren schriftstellerischen Qualitäten überzeugen können.<br />

Nach den vorliegenden Recherchen 75 erschien Dunckers erster größerer Artikel im Hauptblatt der<br />

„Gleichheit“ bereits im April 1901. Er trug den Titel „Kulturbild aus Wesungen“ 76 <strong>und</strong> beschäf-<br />

tigte sich mit den Folgen eines Hamburger Tabakarbeiterstreiks. 77 Außerdem berichtete Duncker<br />

in ihren Artikeln häufig aus der bürgerlichen Frauenbewegung 78 , entwickelte Ideen für eine<br />

bessere Agitation unter den proletarischen Frauen 79 <strong>und</strong> beteiligte sich an aktuellen Diskussionen<br />

der proletarischen Frauenbewegung 80 . Besonders auffällig ist ihre von November 1911 bis März<br />

Duncker gemeinsam nach Berlin zurück. Beide wurden Mitglieder der SED, waren aber nicht mehr parteipolitisch<br />

aktiv.<br />

73 Duncker, Käte: Temperamentvoll, witzig <strong>und</strong> gescheit. Käte Duncker erzählt von Clara Zetkin. In: Clara Zetkin.<br />

Leben <strong>und</strong> Lehren einer Revolutionärin, S. 12-13, S. 13.<br />

74 Bereits in einem Brief an ihren Ehemann am 15.07.1896 kündigte Duncker den Versuch an, „‘etwas für die<br />

‘Gleichheit’ zu schreiben’“ (Käte Duncker in einem Brief an Hermann Duncker am 15.07.1896. Zit. nach:<br />

Deutschland, Heinz: Käte Duncker (1871-1953), o. S.).<br />

75 Die Angaben zu den ersten in der „Gleichheit“ erschienenen Artikel einer Autorin oder eines Autors werden<br />

mangels eines Gesamtregisters <strong>und</strong> in Anbetracht der vielen Artikel, die ungezeichnet oder nicht zuordenbar<br />

gezeichnet sind, unter Vorbehalt gemacht.<br />

76<br />

[Duncker, Käte?] K. D.: Kulturbild aus Wesungen. In: GL, 11/ 08/ 10.04.1901/ 60-61.<br />

77 Die Tabakfabrikanten waren unter dem Druck dieses Streiks dazu übergegangen, ihre Unternehmen in Gegenden<br />

anzusiedeln, in denen es zuvor keine ähnliche Industrie gab <strong>und</strong> in denen die ArbeiterInnen demnach nicht<br />

organisiert waren – so auch in das im Werratal gelegene Wasungen, das Duncker irrtümlicherweise als Wesungen<br />

bezeichnete. Dieses „Paradies für Zigarrenfabrikanten“ (ebd., S. 60) wurde jedoch gestört, nachdem 1899 erstmals<br />

eine Zahlstelle des Tabakarbeiterverbandes in Wasungen gegründet worden war. Duncker berichtete im Weiteren<br />

des Artikels von einer Versammlung, die sie für diese Zahlstelle abhalten wollte, aber laut polizeilichem Verbot<br />

nicht durfte.<br />

78<br />

79<br />

[Duncker, Käte?] K. D.: Die Generalversammlung des katholischen Frauenb<strong>und</strong>es in München. In: GL, 17/ 01/<br />

09.01.1907/ 4; Der neue Vereinsgesetzentwurf <strong>und</strong> die bürgerlichen Frauen. In: GL, 18/ 04/ 17.02.1908/ 35;<br />

Liberalismus <strong>und</strong> Frauenfrage. In: GL, 18/ 10/ 11.05.1908/ 89-90 (dies war ein Bericht von einem Referat der<br />

bürgerlichen Frauenrechtlerin Else Lüders (1872-1948), welches diese auf dem dritten Parteitag der Freisinnigen<br />

Vereinigung gehalten hatte).<br />

[Duncker, Käte?] K. D.: Was lehren uns die Reichstagswahlen? In: GL, 17/ 04/ 20.02.1907/ 26-27.<br />

80 Duncker, Käte: Zur Frauenkonferenz. I. In: GL, 20/ 09/ 31.01.1910/ 129-130 (Leitartikel).<br />

102


2.2.1 DIE „ÄRA ZETKIN“ UND DER ERSTE WELTKRIEG<br />

1912 erscheinende Artikelserie „Die Teuerung“ 81 , mit der sie den Leiterinnen von Lese- <strong>und</strong><br />

Diskussionsabenden geeigenetes Unterrichtsmaterial an die Hand geben wollte. Dunckers Artikel<br />

für die Kinderbeilage erschienen häufig unter dem Pseudonym „Neuland“, aber auch unter ihrem<br />

richtigen Namen 82 . Zudem ist sie die Verfasserin zweier Nachrufe, deren Rekonstruktionen in der<br />

Zusammenstellung dieser Arbeit zu finden sind. 83 Dunckers Mitarbeit an der „Gleichheit“ endete<br />

im Dezember 1908. Zu diesem Zeitpunkt war sie hochschwanger <strong>und</strong> diese veränderten Familien-<br />

verhältnisse ließen eine aufwendige Redaktionstätigkeit nicht mehr zu – ihre agitatorischen <strong>und</strong><br />

schriftstellerischen Tätigkeiten setzte sie jedoch fort. 84<br />

Wertvoll sind Dunckers – wenn auch zum jeweiligen Zeitpunkt unterschiedlich reflektierten –<br />

Erinnerungen an Zetkin als Redakteurin der „Gleichheit“. In den Briefen an ihren Ehemann<br />

beschrieb sie durchaus auch die Probleme, die sie mit dem dominanten Redaktionsstil Zetkins<br />

hatte:<br />

„‘Die Kindernummer scheint mir diesmal recht nett. Die ist das einzige, was mir<br />

Spaß gemacht hat. (…) Frau Zetkin schreibt mir alles, alles vor, sogar die<br />

Reihenfolge der Artikel. Ich kann mich einfach nicht rühren <strong>und</strong> fungiere<br />

eigentlich nur als Schreibmaschine (…) Seit sie wußte, daß ich den Leiter<br />

[Leitartikel] für die Nummer schreiben sollte, schrieb sie mir viermal höchst<br />

aufgeregt, was ich alles nicht schreiben dürfte – meist Dummheiten <strong>und</strong><br />

Taktlosigkeiten.’“ 85<br />

Trotz dieser Reibereien war das Verhältnis der beiden Frauen aber ein sehr gutes. Duncker ließ<br />

sich nicht endlos von Zetkin gängeln, sondern bewies auch Rückgrat gegenüber der Frau, die für<br />

sie Vorbild war:<br />

„‘Die gute Zetkin ist sichtlich verschnupft (…), weil ich ihr gesagt habe, daß ich<br />

keine Endtermine für meine Arbeit von ihr angegeben wünsche […] Ich habe mir<br />

81 Duncker, Käte: Die Teuerung. Für die Lese- <strong>und</strong> Diskussionsabende [I-VI]. In: GL, 22/ 04/ 15.11.1911/ 51-54 bis<br />

GL, 22/ 13/ 18.03.1912/ 195-199.<br />

82 Es seien hier nur zwei Beispiele mit einem besonders hervorzuhebenden geschichtlichen Bezug genannt:<br />

[Duncker, Käte?] K. D.: Die Sklaverei im Altertum. In: GL, 18 (1908)/ „Für unsere Kinder“ 05/ 33-35; Der<br />

Sklavenaufstand in Sizilien. In: GL, 18 (1908)/ „Für unsere Kinder“ 08/ 57-59.<br />

83<br />

[Duncker, Käte?] K. D.: Flora Schulze – Leipzig †. In: GL, 14/ 25/ 30.11.1904/ 199; Klara Wehmann †. In: GL,<br />

25/ 24/ 20.08.1915/ 161. Weitere Artikel von Käte Duncker <strong>und</strong> eine Beschreibung ihrer Inhalte werden in der von<br />

Ruth Kirsch verfassten Biographie angegeben (vgl. Kirsch, Käte Duncker, S. 76ff.). Aktuell wird außerdem von<br />

Dres. Ruth <strong>und</strong> Heinz Deutschland die schriftstellerische Tätigkeit Dunckers untersucht <strong>und</strong> ein umfassendes<br />

Verzeichnis ihrer Schriften erstellt.<br />

84 Vgl. Kirsch, Käte Duncker, S. 92. 1910 brachte Duncker gemeinsam mit Zetkin auf der Konferenz der<br />

Sozialistischen Fraueninternationale in Kopenhagen den Antrag auf Einrichtung des Internationalen Frauentages<br />

ein. Duncker war dem linken Flügel der SPD zuzuordnen <strong>und</strong> wurde während des Ersten Weltkriegs<br />

Mitbegründerin des Spartakusb<strong>und</strong>es <strong>und</strong> schließlich Mitglied der KPD. Besonders ihre Briefe an ihren Ehemann<br />

Hermann Duncker spiegeln ihre antimilitaristische Haltung wider (vgl. Deutschland, Ich kann nicht durch Morden<br />

mein Leben erhalten).<br />

85 Käte Duncker in einem Brief an Hermann Duncker, 15.02.1907. Zit. nach: Deutschland, Käte Duncker (1871-<br />

1953).<br />

103


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

jetzt vorgenommen, ohne viel Worte zu verlieren, alles so zu machen, wie ich es<br />

gut finde <strong>und</strong> ihre ‘Befehle’ einfach zu ignorieren, wenn ich mit ihnen nicht<br />

einverstanden bin. Entweder sie läßt es geschehen, oder es kommt zum Krach. Die<br />

Kinderbeilage freilich gäbe ich nur sehr ungern auf.’“ 86<br />

Es scheint eine vorwiegend professionelle Beziehung gewesen sein, denn Duncker bezeichnete<br />

Zetkin in diesen Briefen nicht als „Clara“.<br />

Die Nachfolge Dunckers als Beilagen-Redakteurin trat Berta Selinger (1880-?) 87 an. Diese hatte<br />

bis dahin bereits für das Hauptblatt einige Artikel verfasst. 88 In den Beilagen lassen sich jedoch<br />

kaum Hinweise für eine Autoreninnentätigkeit Selingers finden. 89 Es stellt sich sich dadurch die<br />

Frage, ob sie ein Pseudonym verwendete oder sich auf eine redaktionelle Tätigkeit beschränkte.<br />

Das einschneidendste Ereignis für die Redaktion der „Gleichheit“ unter Zetkin war der Eintritt des<br />

Deutschen Reiches in den Ersten Weltkrieg im August 1914. Die Bewilligung der Kriegskredite<br />

durch die SPD-Reichstagsfraktion <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>ene Abkehr von den Gr<strong>und</strong>sätzen der<br />

Internationale waren für Zetkin verständlicherweise eine große Enttäuschung. 90 Während sie<br />

daraufhin in der „Gleichheit“ eine Position gegen die nationalistische SPD-Parteilinie vertrat,<br />

warben andere Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung für ein Engagement in den neu<br />

gegründeten Organisationen des bürgerlich dominierten „Nationalen Frauendienstes“ (NFD). 91<br />

So ist es ausgerechnet Luise Zietz (1865-1922) 92 , die als Vertreterin der <strong>weiblichen</strong><br />

86 Käte Duncker in einem Brief an Hermann Duncker, 11.03.1908. Zit nach: Ebd.<br />

87 Berta Selinger wurde im böhmischen Niemes geboren. Ihr Vater war Fabrikarbeiter <strong>und</strong> sie musste bereits als<br />

Kind ihrer heimarbeitenden Mutter beim Flechten von Rohrmöbeln helfen. Später arbeitete sie als Hilfskraft im<br />

Kleingewerbe, Haushaltshilfe, Lehrmädchen in einer Bücherei <strong>und</strong> Druckereiarbeiterin. Sie besuchte die SPD-<br />

Parteischule in Berlin <strong>und</strong> arbeitete dann unter Zietz im SPD-Frauenbüro <strong>und</strong> unter Zetkin in der „Gleichheit“-<br />

Redaktion.<br />

88 Selinger, Berta: Zur Frauenkonferenz. I. In: GL, 20/ 11/ 28.02.1910/ 164-165; Um Wissen <strong>und</strong> Bildung. In: GL,<br />

21/ 12/ 13.03.1911/ 184. Selinger, B[erta]: Kampf-Weihnacht! In: GL, 22/ 07/ 25.12.1911/ 97-98 (dies war ein die<br />

Frauenagitationsarbeit des Jahres 1911 resümierender Leitartikel).<br />

89 Vgl. Schulze, Die proletarische Mutter als sozialistische Erzieherin, S. 43.<br />

90 Eine von Zetkins ersten schriftlichen Reaktionen auf die Kriegskreditbewilligung ging in Form eines Briefes am<br />

5. August 1914 u. a. an den Redakteur <strong>und</strong> württembergischen Landtagsabgeordneten Johann Westmeyer. Sie<br />

mahnte darin zum Zusammenhalt <strong>und</strong> zur Vernunft. Außerdem schloss sie bereits zu diesem Zeitpunkt nicht aus,<br />

nach dem Krieg aus der SPD auszutreten (Clara Zetkin in einem Brief an Johann Westmeyer, 05.08.1914. Zit.<br />

nach: Kuczynski, Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges <strong>und</strong> die deutsche Sozialdemokratie, S. 97f.).<br />

91 Zum „Nationalen Frauendienst“ <strong>und</strong> zur <strong>weiblichen</strong> Erwerbstätigkeit im Ersten Weltkrieg siehe: Eifert, Wann<br />

kommt das „Fressen“, wann die „Moral“?; Planert, Zwischen Partizipation <strong>und</strong> Restriktion; Scholze, Zur<br />

proletarischen Frauenbewegung in den Weltkriegsjahren 1914 bis 1917; Daniel, Arbeiterfrauen in der<br />

Kriegsgesellschaft; Guttmann, Weibliche Heimarmee.<br />

92 Luise Zietz, geb. Körner, wurde im holsteinischen Bartgeheide geboren <strong>und</strong> war die Tochter eines selbständigen<br />

Wollwirkers <strong>und</strong> Webers. Sie besuchte die Volksschule, arbeitete erst im väterlichen Betrieb mit <strong>und</strong> wurde dann<br />

bei Verwandten als Kindermädchen eingestellt. Einige Jahre später begann sie an der Fröbelschule in Hamburg<br />

eine Ausbildung zur Kindergärtnerin. Sie heiratete den Hafenarbeiter Karl Zietz, doch die Ehe scheiterte. Durch<br />

ihn in Kontakt mit der Arbeiterbewegung Hamburgs gekommen, war Zietz seit 1892 selbst agitatorisch, organisatorisch<br />

<strong>und</strong> schriftstellerisch für die SPD tätig. 1896 hielt Zietz bei einem Hamburger Hafenarbeiterstreik ihre<br />

104


2.2.1 DIE „ÄRA ZETKIN“ UND DER ERSTE WELTKRIEG<br />

Parteimitglieder im Parteivorstand am 28. August 1914 in der „Gleichheit“ einen Artikel<br />

veröffentlichte, in welchem sie nicht nur zur Hilfe bei Auskunfterteilung, in der kommunalen<br />

Arbeit, der Kinderfürsorge <strong>und</strong> der Kranken- <strong>und</strong> Wöchnerinnenhilfe aufforderte, sondern auch<br />

zur Zusammenarbeit mit eben jenem NFD. 93 Verw<strong>und</strong>erlich ist nicht nur die inkonsequente<br />

Position Zietz‘, sondern auch die Tatsache, dass ein solcher Artikel überhaupt hatte in der<br />

„Gleichheit“ erscheinen können. War es vielleicht der sich verschlechternde Ges<strong>und</strong>heitszustand<br />

Zetkins gewesen, der eine günstige Gelegenheit dafür gegeben hatte?<br />

Des Öfteren zwangen nun ges<strong>und</strong>heitliche Probleme Zetkin, ihre Redaktionsarbeit zu<br />

vernachlässigen. Die Rolle ihrer „Koredakteure“ wurde während des Krieges immer bedeutsamer,<br />

aber durch die herrschende Zensur für männliche sozialdemokratische Redakteure auch immer<br />

gefährlicher. Am 1. August 1914 sollte Otto Krille (1878-1954) 94 – ohnehin ein rühriger<br />

Mitarbeiter der „Gleichheit“ <strong>und</strong> Verfasser zahlreicher Gedichte 95 – die zweite Schriftleitung, also<br />

vornehmlich die Redaktion der Beilagen, übernehmen. Dazu kam es allerdings nicht, weil er als<br />

Soldat einberufen wurde. Auch Clara Zetkins Sohn Konstantin Zetkin (1885-1980), der Krille<br />

daraufhin kurzfristig ersetzte <strong>und</strong> vermutlich mit dem Kürzel kz. zeichnete, wurde im März 1915<br />

erste öffentliche Rede. 1900-1908 hatte sie das Amt der Vertrauensperson Hamburgs inne <strong>und</strong> war Mitglied im<br />

Parteivorstand der Hamburger SPD. 1908 wurde Zietz das erste weibliche Mitglied im Vorstand einer politischen<br />

Partei, sie wurde „Reichsfrauensekretärin“ der SPD. Zietz war neben Zetkin die erfolgreichste Agitatorin der SPD<br />

<strong>und</strong> besaß ein besonderes rednerisches Talent, so dass man sie auch als den „<strong>weiblichen</strong> Bebel” bezeichnete. Zu<br />

Beginn des Krieges noch auf SPD-Kurs <strong>und</strong> Unterstützerin des NFD, änderte sich ihre Position gr<strong>und</strong>legend. 1917<br />

erfolgte daraufhin ihre Entlassung aus dem Amt der Reichsfrauensekretärin, als welche sie viele Broschüren <strong>und</strong><br />

Flugschriften verfasst hatte. Sie trat in die USPD ein <strong>und</strong> wurde in dessen Parteivorstand ebenfalls<br />

Frauensekretärin. 1919 wurde Zietz in die Nationalversammlung, 1920 in den Reichstag gewählt. 1922 erlitt sie<br />

während einer Rede im Reichstag einen Ohnmachtsanfall <strong>und</strong> starb am nächsten Morgen.<br />

93 Zietz, Luise: Unsere Aufgaben. In: GL, 24/ 24/ 28.08.1914/ 371. <strong>Von</strong> dieser Haltung distanzierte Zietz sich im<br />

Juni 1915 wieder, indem sie einen von Karl Liebknecht verfassten offenen Brief gegen den Krieg unterschrieb. Sie<br />

wurde schließlich ein überzeugtes Mitglied der USPD. Antje Dertinger vermutet jedoch, dass Luise Zietz, hätte sie<br />

die Wiedervereinigung von USPD <strong>und</strong> SPD erlebt, sich wieder der sozialdemokratischen Mehrheit angeschlossen<br />

hätte (vgl. Dertinger, Frauen im Reichstag, S. 4).<br />

94 Otto Moritz Krille, der auch unter dem Pseudonym Eugen Tubandt schrieb, wurde im sächsischen Börnersdorf<br />

geboren <strong>und</strong> entstammte sehr ärmlichen Verhältnissen. <strong>Von</strong> 1891-1893 besuchte er eine Soldatenknaben-<br />

Erziehungs-Anstalt, brach dann aber eine Ausbildung zum Unteroffizier ab. Er lebte bis 1900 als Fabrikarbeiter in<br />

Dresden <strong>und</strong> begann für sozialdemokratische Blätter Gedichte zu schreiben. Dank einer Gönnerin konnte er in<br />

Berlin verschiedene Universitäten besuchen. Er wurde Redakteur verschiedener sozialdemokratischer Zeitschriften<br />

in Harburg <strong>und</strong> Stuttgart <strong>und</strong> Schriftleiter der literarischen Wochenschrift „Die Lese“ (1910-1920). Krille<br />

gehörte schließlich dem revisionistischen Flügel der SPD an. Aus dem Ersten Weltkrieg kehrte er mit einem<br />

Nervenleiden zurück. Krille war Mitbegründer des überparteilichen Bündnisses zum Schutz der Weimarer<br />

Republik „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ <strong>und</strong> wurde, nun in München lebend, dessen Gausekretär für<br />

Oberbayern-Schwaben. 1933 emigrierte er nach Zürich. Besonders in den Jahren 1903 bis 1914 war Krille<br />

schriftstellerisch produktiv: „Aus engen Gassen“ (1904), „Aus Welt <strong>und</strong> Einsamkeit“ (1905), „Neue Fahrt“ (1908)<br />

<strong>und</strong> „Das stille Buch“ (1913). Das autobiographische Werk „Unter dem Joch. Geschichte einer Jugend“ erschien<br />

1941.<br />

95 Eines seiner Gedichte trägt den Titel „Maria Lwowna Berditschewskaja“ <strong>und</strong> ist, weil es den zu dieser russischen<br />

Revolutionärin verfassten biographischen Artikel ergänzte, im Anhang enthalten.<br />

105


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

zum Kriegsdienst verpflichtet. 96 Er übergab den Posten an Edwin Hoernle (1883-1952) 97 . Sehr<br />

plötzlich musste dieser dann sogar „[d]ie Last der ganzen Redaktionsarbeit“ 98 alleine tragen, denn<br />

Zetkin hatte ein von der internationalen Frauenfriedenskonferenz in Bern 99 verfasstes illegales<br />

Flugblatt mit dem Titel „Frauen des arbeitenden Volkes!“ verteilt <strong>und</strong> war dafür von August bis<br />

Oktober 1915 in Untersuchungshaft genommen worden. Auch im September 1916 war es Hoernle<br />

<strong>und</strong> nicht Zetkin, der als „Gleichheit“-Redakteur mit beratender Stimme am Berliner SPD-<br />

Parteitag teilnahm. 100 Während seiner Zeit als „Gleichheit“-Redakteur wurde Hoernle zweimal<br />

wegen antimilitaristischer Aktionen erst in Untersuchungshaft genommen <strong>und</strong> anschließend zum<br />

Kriegsdienst einberufen. 101<br />

Die Inhaftierung Zetkins <strong>und</strong> die Schwierigkeiten, sie zu vetreten, machten es sogar zeitweise<br />

erforderlich, dass die Redaktionssekretärin Johanna Buchheim (?-?) 102 die Aufgabe der ver-<br />

96 Hier die Titel einiger seiner „Gleichheit“-Artikel: [Zetkin, Konstantin?] Kz.: Der Kaiser <strong>und</strong> die Frauen. In: GL,<br />

20/ 25/ 12.09.1910/ 386-387; Der Sohn seines Vaters. In: GL, 22/ 05/ 27.11.1911/ 67; Scherben. In: GL, 22/ 18/<br />

29.05.1912/ 273 (Leitartikel); Süß <strong>und</strong> ehrenvoll ist es, fürs Vaterland zu sterben. In: GL, 24/ 03/ 29.10.1913/ 41-<br />

42. Die Zusammenarbeit mit seiner Mutter scheint sich schwierig gestaltet zu haben. Zetkin war wenig begeistert<br />

von der Tätigkeit für die „Gleichheit“ <strong>und</strong> wäre lieber seiner Leidenschaft für das Bergsteigen nachgegangen. Dies<br />

<strong>und</strong> seine Neigung zum Müßiggang beschreibt Ettinger in ihrer Biographie zu Rosa Luxemburg, die eine<br />

Liebesbeziehung mit Konstantin Zetkin hatte (vgl. Ettinger, Rosa Luxemburg, S. 177).<br />

97 Edwin Hoernle wurde im württembergischen Cannstatt geboren <strong>und</strong> war Sohn eines Pfarrers <strong>und</strong> Missionars,<br />

weshalb er einige Zeit seiner frühen Kindheit in Indien verbrachte. Nach Privatunterricht, Besuch einer<br />

Lateinschule schlug auch er zuerst die Laufbahn eines Theologen ein <strong>und</strong> studierte 1904-1908 in Tübingen <strong>und</strong><br />

Berlin. 1909 aber gab Hoernle den theologischen Beruf auf, brach mit seiner Familie <strong>und</strong> siedelte nach Berlin<br />

über. 1910 trat er in die SPD ein <strong>und</strong> arbeitete seitdem als Redakteur für verschiedene SPD-Blätter. 1912 über -<br />

nahm Hoernle die Redaktion der „Schwäbischen Tagwacht“ (1890-1933) in Stuttgart, die er jedoch wegen seines<br />

Engagements gegen den Burgfrieden 1914 verlassen musste. 1915 wurde er Leiter des Druckschriftenvertriebes<br />

der Gruppe Internationale. Im November 1918 war Hoernle Mitglied im Arbeiter- <strong>und</strong> Soldatenrat Groß-Stuttgart<br />

<strong>und</strong> schließlich Gründungsmitglied der KPD, in deren Zentralkomitee er 1920 Mitglied wurde. Er engagierte sich<br />

besonders in Bildungs- <strong>und</strong> Jugendfragen, aber auch in Fragen der Agrarwirtschaft <strong>und</strong> wurde ein führender kommunistischer<br />

Politiker, bekleidete hohe Ämter <strong>und</strong> wurde zu verschiedenen internationalen Kongressen delegiert.<br />

1933 emigrierte er im Auftrag der KPD erst in die Schweiz <strong>und</strong> dann in die Sowjetunion, wo er wiederum verschiedene<br />

Ämter in der Agrarpolitik übernahm. 1938 wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. 1942<br />

arbeitete Hoernle als Lehrer in der ersten Schule für deutsche Kriegsgefangene im Lager Oranki. 1945 kehrte<br />

Hoernle nach Deutschland zurück <strong>und</strong> war in der SBZ maßgeblich an den Bodenreformen beteiligt. Ab 1949<br />

bekleidete er einen Lehrstuhl für Agrarpolitik.<br />

98 Die Maßregelung der Redaktion der Gleichheit. In: Frauen-Beilage der „Leipziger Volkszeitung“, 01/ 01/<br />

29.06.1917/ 2-3.<br />

99 Zur Friedensbewegung der deutschen Frauen siehe: Hering/Wenzel, Frauen riefen, aber man hörte sie nicht.<br />

100 Vgl. Protokoll des SPD-Parteitages Berlin 1916, S. 183.<br />

101 Hoernle <strong>und</strong> seine Ehefrau Helene (?-?) wurden im August 1916 wegen „Aufruhrs“ verhaftet. Seine Ehefrau<br />

wurde wegen Krankheit wieder entlassen, Hoernle aber wurde im September zwar nicht wegen Aufruhrs, aber<br />

wegen „Auflaufs“ zu vier Wochen Haft verurteilt (vgl. Im Stuttgarter Aufruhrprozeß … In: GL, 26/ 26/<br />

15.09.1916/ 191; Verhaftungen in Stuttgart. In: GL, 26/ 23/ 04.08.1916/ 175.<br />

102 Marie Johanna Buchheim war nicht nur eine Mitarbeiterin Clara Zetkins, sie war durch ihre Heirat mit Maxim<br />

Zetkin im April 1919 auch deren Schwiegertochter. Sie brachte im Februar 1922 in Stuttgart Sohn Wolfgang zur<br />

Welt. Doch die Ehe scheiterte <strong>und</strong> wurde in den 1920er Jahren wieder geschieden. Briefe von ihr sind im Zetkin-<br />

Nachlass des B<strong>und</strong>esarchivs enthalten. In Publikationen zum Leben Clara Zetkins fand sie bisher keinerlei Erwähnung.<br />

Vermutlich war sie die Tochter des Postbeamten <strong>und</strong> späteren Buchhändlers Ewald Buchheim (?-1912),<br />

der außerdem mehr als 20 Jahre als Leiter der Buchhandelsabteilung des Dietz Verlages <strong>und</strong> damit im Versand der<br />

„Gleichheit“ tätig gewesen war <strong>und</strong> in einem Nachruf geehrt wurde (vgl. Ewald Buchheim †. In: GL, 22/ 11/<br />

106


2.2.1 DIE „ÄRA ZETKIN“ UND DER ERSTE WELTKRIEG<br />

antwortlichen Redakteurin übernahm. So wurden Nummer 24, 25 <strong>und</strong> 26 des 25. Jahrgangs,<br />

Nummer 1 <strong>und</strong> 2 des 26. Jahrgangs <strong>und</strong> auch die Nummer 1 <strong>und</strong> 2 der Beilage „Für unsere Mütter<br />

<strong>und</strong> Hausfrauen“ vertretungsweise von Buchheim redigiert. 103 Die Leitartikel dieser Nummern<br />

behandelten u. a. aktuelle Entwicklungen <strong>und</strong> Alltagsprobleme der Bevölkerung <strong>und</strong> ihr Duktus<br />

lässt eher auf Buchheim als Verfasserin schließen. Im Falle, dass sie quasi noch der Schublade<br />

Zetkins entnommen worden wären, hätten sie entsprechend gezeichnet werden müssen. 104<br />

Zetkin bezog zwar in der „Gleichheit“ eine deutliche <strong>und</strong> prinzipielle Position gegen den Krieg –<br />

konsequent antimilitaristisch <strong>und</strong> dem proletarischen Internationalismus verpflichtet – doch sah<br />

auch sie in ähnlicher Weise wie die bürgerlichen <strong>und</strong> später mehrheitssozialdemokratischen<br />

Frauen in ihm einen Prüfstein für die „Pflichterfüllung“ der Frau:<br />

„In allen Ländern hat der Krieg helles Licht darauf geworfen, wie wertvoll, wie<br />

unentbehrlich die Mitarbeit der Frauen auf wirtschaftlichem Gebiet, wie im<br />

öffentlichen Leben ist, wie bedeutungsvoll ihr häusliches Walten. In reichem Maße<br />

<strong>und</strong> mit größter Selbstlosigkeit erfüllen die Frauen in dieser schweren Zeit<br />

Bürgerpflichten . In der Zukunft hat das nicht nur noch mehr zu geschehen,<br />

sondern dem Eifer, der Hingabe muß auch die Einsicht in das gesellschaftliche<br />

Getriebe <strong>und</strong> Geschehen ebenbürtig sein, <strong>und</strong> die Zielklarheit des Wollens<br />

<strong>und</strong> Handelns, die daraus erwächst.“ 105<br />

Zetkin stellte der nationalistischen Prägung des <strong>weiblichen</strong> Eifers, seiner patriotischen Verklärung,<br />

wie sie der NFD betrieb, die sozialistische Weltanschauung, die Überzeugung von der Not-<br />

wendigkeit einer revolutionären Umwälzung der Gesellschaft entgegen. Angesichts des<br />

enttäuschenden Scheiterns internationaler sozialistischer Solidarität konstatierte sie für die<br />

„Gleichheit“:<br />

„Denn weit davon entfernt, eine Abschwächung <strong>und</strong> Abstumpfung der<br />

sozialistischen Auffassung gesellschaftlicher Dinge zu lehren, predigt der Krieg<br />

mit gewaltiger Stimme die Notwendigkeit der klarsten Herausarbeitung, der<br />

größten Vertiefung der sozialistischen Aufassung, als der unerschütterlichen<br />

19.02.1912/ 170).<br />

103 Vgl. GL, 25/ 24/ 20.08.1915/ 164 bis GL, 26/ 02/ 15.10.1915/ 16. Auf der letzten Seite jeder Nummer ist<br />

folgender Vermerk zu finden: „Verantwortlich für die Redaktion: In Vertretung Hanna Buchheim in Stuttgart.“<br />

(ebd., S. 164).<br />

104 [Buchheim, Johanna?:] Die neuen Höchstpreise. In: GL, 25/ 24/ 20.08.1915/ 157-158; Der Reichstag. In: GL, 25/<br />

25/ 03.09.1915/ 165-166 (hierin entlarvte Buchheim anhand der Reichstagsdebatten den Verteidigungskrieg als<br />

Expansionskrieg). In Nummer 26 stand an der Stelle eines Leitartikels lediglich die für die letzte bzw. erste<br />

Nummer eines Jahrgangs obligatorische „Einladung zum Abonnement“ (GL, 25/ 26/ 17.09.1915/ 173);<br />

Frauenarbeit <strong>und</strong> Frauenlöhne während des Kriegs. In: GL, 26/ 01/ 01.10.1915/ 1-3; Eine vorübergehende<br />

Erscheinung? In: GL, 26/ 02/ 15.10.1915/ 9-10 (dieser Leitartikel kritisierte die Aufhebung der Arbeitsschutzbestimmungen<br />

seit Beginn des Krieges <strong>und</strong> zeigte die Schattenseiten der Frauenarbeit auf, zumal die meisten neu<br />

ins Erwerbsleben gestoßenen Frauen unorganisiert waren. Buchheim nahm nicht an, dass sich an deren<br />

Ausbeutung in Friedenszeiten etwas ändern würde).<br />

105 Die Redaktion <strong>und</strong> der Verlag: Einladung zum Abonnement. In: GL, 25/ 26/ 17.09.1915/ 173.<br />

107


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Gr<strong>und</strong>lage für die künftige Einheit des Erkennens, Wollens <strong>und</strong><br />

Handelns.“ 106<br />

Kämpfte die „Gleichheit“ im Interesse der Arbeiterinnen auch für Reformen innerhalb der bürger-<br />

lichen Gesellschaft, so wollte sie doch auch weiterhin für die „Ablösung dieser Ordnung<br />

durch den Sozialismus kämpfen“ 107 . Sie propagierte damit einen Kampf, der dem Interesse<br />

des Burgfriedens zuwiderlief – wie auch so manche andere Position, die Zetkin in der „Gleich-<br />

heit“ vertrat.<br />

Seit der ersten Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale 1907 in Stuttgart war die<br />

„Gleichheit“ deren offizielles Organ, Zetkin ihre Sekretärin. In Erfüllung dieses Amtes versuchte<br />

sie während des Krieges <strong>und</strong> trotz aller Schwierigkeiten, die durch Militärbehörden <strong>und</strong> durch die<br />

Zensur entstanden, den Kontakt zu den internationalen Genossinnen aufrechtzuerhalten. Den<br />

massiven Eingriffen der Zensurbehörden schlug Zetkin sozusagen ein Schnippchen, indem sie die<br />

zensierten Stellen demonstrativ als weiße Lücken stehen ließ. 108 Der Leitartikel der Nr. 12 des<br />

Jahres 1915 wurde sogar derart zusammengestrichen, dass nicht mehr festzustellen ist, welches<br />

gefährliche Thema er behandelt haben mag. 109 Besonders gründlich wurden jene Artikel zensiert,<br />

die Zetkin zur Berner Frauenkonferenz oder zu ihrer Verhaftung veröffentlichte. 110 Bei manchen<br />

Artikeln ist es wiederum verw<strong>und</strong>erlich, dass sie die Zensur überhaupt unbeanstandet passieren<br />

konnten. 111 Die Zensur beeinträchtigte aber nicht nur das Erscheinungsbild, sondern zuweilen auch<br />

den Erscheinungszeitpunkt einer Nummer. 112 In einem Brief an ihre Fre<strong>und</strong>in <strong>und</strong> niederländische<br />

106 Ebd.<br />

107 Ebd.<br />

108 Erstmals bemerkbar wird diese Besonderheit an dem Leitartikel „Unsere Aufgaben in den Organisationen.“ (In:<br />

GL, 25/ 01/ 02.10.1914/ 1-2). Zetkin schreibt darin etwas doppeldeutig: „Wer im voraus im Geiste die Lücken<br />

abzuschätzen pflegte, die scharfe soziale Zusammenstöße den gewerkschaftlichen <strong>und</strong> politischen Organisationen<br />

des Proletariats kosten konnten, der wird jetzt traurig kaum wissen, wo mit Feststellen, Zählen <strong>und</strong> Vergleichen<br />

beginnen.“ (ebd.).<br />

Vormschlag gibt an, dass diese Möglichkeit des Protestes Zetkin schließlich verboten worden sei. Sie macht<br />

jedoch keine Angabe von wem oder wann (vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer<br />

Frauenzeitschriften, S. 99).<br />

109 Vgl. GL, 25/ 12/ 05.03.1915/ 69-70.<br />

110 Vgl. Ausländische Urteile über die Internationale Sozialistische Frauenkonferenz zu Bern. In: GL, 25/ 17/<br />

14.05.1915/ 103-104 (dieser Beitrag enthielt hauptsächlich Artikel aus englischen Arbeiterzeitungen) <strong>und</strong> vgl.<br />

Zetkin, Klara: Dank. In: GL, 26/ 03/ 29.10.1915/ 20 (Zetkin wollte in diesem Artikel verschiedenen Genossen <strong>und</strong><br />

Genossinnen danken, die mit Sympathiebezeugungen auf ihre Verhaftung <strong>und</strong> Freilassung reagiert hatten. Die<br />

genannten Namen wurden jedoch zensiert).<br />

111 Z. B. Libertas: Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Serbien. In: GL, 27/ 04/ 24.11.1916/ 27-28 oder<br />

Zietz, Luise: Märzforderungen <strong>und</strong> Maiwünsche der Frauen. In: GL, 25/ 18/ 28.05.1915/ 110-111 (Zietz berichtete<br />

darin vom Verlauf des Frauentages <strong>und</strong> der Maifeiern, die aufgr<strong>und</strong> der Zensur nicht als Massenagitation, sondern<br />

in Form von Mitgliederversammlungen stattfinden mussten. Ein darin enthaltenes „Maigelöbnis der Frauen“<br />

beschwörte den Internationalismus des sozialistischen Gedanken. Es sei ein Gelöbnis, das „nun auch zu halten,<br />

[…] Ehrenpflicht aller Genossinnen [sei]!“ (ebd., S. 111)).<br />

112 Vgl. Die Redaktion: An unsere Leserinnen! GL, 26/ 13/ 17.03.1916/ 93.<br />

108


2.2.1 DIE „ÄRA ZETKIN“ UND DER ERSTE WELTKRIEG<br />

Kampfgefährtin Heleen Ankersmit (1869-1944) 113 erklärte Zetkin, dass bereits im August 1914<br />

die Nummer 23 der „Gleichheit“, demnach die erste Kriegsnummer, konfisziert worden sei. 114<br />

Doch hatte die Ausgabe von den Behörden nach einigen Wochen wieder freigegeben werden<br />

müssen. So ist tatsächlich im Erscheinungszeitraum der „Gleichheit“ keine Lücke festzustellen.<br />

Die „Gleichheit“ beobachtete während des Krieges außerdem sehr aufmerksam den Umgang der<br />

Zensurbehörden mit anderen linken Presseorganen. So auch die Geschehnisse um die von Franz<br />

Mehring 115 <strong>und</strong> Rosa Luxemburg (1871-1919) 116 herausgegebene Monatsschrift „Die Inter-<br />

nationale. Zeitschrift für Theorie <strong>und</strong> Praxis des Marxismus“ (1915-1939[?]). Über diese war eine<br />

„Präventivzensur“ verhängt worden, weil sie den Burgfrieden gestört habe. 117 Auch von der<br />

zensurähnlichen Einflussnahme der SPD-Parteileitung auf diejenigen SPD-Organe, deren Redak-<br />

tionen in den Händen linksoppositioneller Sozialdemokraten lagen, berichtete die „Gleichheit“.<br />

113 Heleen (Gerharda Johanna Helena) Ankersmit wurde im niederländischen Deventer geboren. Sie war Tochter<br />

eines Textilfabrikanten. 1908 siedelte sie nach Amsterdam über, wo sie erst Mitglied <strong>und</strong> 1909 internationale<br />

Sekretärin des „Bond van Sociaal-Democratische Vrouwenpropagandaclubs“ (BSDVC) wurde. Ankersmit schrieb<br />

außerdem für dessen Vereinsorgan „De Proletarische Vrouw“ (1905-1940) <strong>und</strong> war Rednerin auf dem ersten in der<br />

Niederlande abgehaltenen Internationalen Frauentag am 8. Mai 1912. Sie war Delegierte verschiedener<br />

internationaler Kongresse. Seit der zweiten Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale 1910 in<br />

Kopenhagen war sie mit Zetkin befre<strong>und</strong>et. Während des Krieges teilte sie deren antimilitaristische Position <strong>und</strong><br />

war 1915 maßgeblich an der Verbreitung der Beschlüsse der Zimmerwalder Konferenz beteiligt. Nachdem die<br />

niederländische Sozialdemokratie beschlossen hatte, eine Regierungskoalition mit den bürgerlichen Parteien<br />

einzugehen, legte Ankersmit 1918 ihr Amt als Sekretärin des BSDVC nieder. Sie trat dem „Revolutionair-<br />

Socialistische Vrouwenbond“ (RSVB) bei <strong>und</strong> nahm 1921 an der zweiten internationalen kommunistischen<br />

Frauenkonferenz in Moskau teil.<br />

114 Vgl. Clara Zetkin in einem Brief an Heleen Ankersmit, 03.12.1914. Zit. nach: Clara Zetkin. Ausgewählte Reden<br />

<strong>und</strong> Schriften, S. 639-656, S. 647. Dieser Brief beschrieb weitere Zensurmaßnahmen gegen die „Gleichheit“ <strong>und</strong><br />

Zetkins Selbsteinschätzung als internationale Sozialistin. Weitere wertvolle <strong>und</strong> bis dahin unveröffentlichte Briefe<br />

von Zetkin an Ankersmit erschienen 1967: Eildermann, Unveröffentlichte Briefe Clara Zetkins an Heleen Ankersmit.<br />

115 Der Redakteur, Historiker <strong>und</strong> Politiker Franz Mehring kann vermutlich als guter Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Kampfgefährte<br />

Zetkins charakterisiert werden, nicht jedoch als ein Mitarbeiter der „Gleichheit“. Zumindest diejenigen seiner<br />

geschichtswissenschaftlichen Artikel, die von der vorliegenden Auswertung erfasst wurden, waren alle zuvor in<br />

der „Neuen Zeit“ erschienen (siehe: „Auswahl der geschichtlichen Artikel im Hauptblatt der ‘Gleichheit’“).<br />

116 Rosa Luxemburg wurde im polnischen Zamosz geboren. 1880-1888 besuchte sie das Gymnasium in Warschau<br />

<strong>und</strong> engagierte sich bereits während der Schulzeit in der polnischen Revolutionär-sozialistischen Partei. Nach<br />

bestandenem Abitur emigrierte Luxemburg 1889 in die Schweiz, wo sie ein Studium der Naturwissenschaften,<br />

Mathematik, Staatswissenschaft <strong>und</strong> Nationalökonomie aufnahm. Dieses schloss sie 1899 mit einer Promotion ab.<br />

Sie wurde tätig als Journalistin <strong>und</strong> Schriftstellerin <strong>und</strong> Mitglied der Polnischen Sozialistischen Partei, später der<br />

Sozialdemokratischen Partei Polens. Zeitweise lebte Luxemburg in Frankreich, ging dann aber eine Scheinehe mit<br />

dem Schriftsetzer Gustav Lübeck ein, um auf diese Weise die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen. Sie wurde<br />

Mitarbeiterin der „Sächsischen Arbeiterzeitung“ (1889-1908) in Dresden <strong>und</strong> schrieb auch für die „Neue Zeit. Ab<br />

1902 wurde Luxemburg für kurze Zeit die Chefredakteurin der „Leipziger Volkszeitung“. Ab 1915 gab sie die<br />

„Internationale“ heraus <strong>und</strong> ab 1916 die „Spartakus-Briefe“. Mehrmals wurde sie während des Ersten Weltkrieges<br />

verhaftet, weil sie gegen den Krieg <strong>und</strong> für die Erhebung der Massen agitierte. 1918/19 war Luxemburg<br />

Gründungsmitglied der KPD. Sie wurde am 15.01.1919 von Mitgliedern der Reichswehr brutal ermordet <strong>und</strong> in<br />

den Berliner Landwehrkanal geworfen.<br />

117 Vgl. Die „Internationale“ unter Präventivzensur. In: GL, 25/ 18/ 28.05.1915/ 114. Zetkin rief in diesem Artikel<br />

außerdem dazu auf, notfalls den Friedensschluss „über die Köpfe der verfassungsmäßig berufenen Stellen<br />

hinweg“ (ebd.) herbeizuführen.<br />

109


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Ihre oppositionellen <strong>und</strong> den Burgfrieden hinterfragenden Meinungen wurden dem Parteivorstand<br />

daher zunehmend unbequem. Tatsächlich waren die Entlassungen verschiedener Redaktionen<br />

zentraler Parteiorgane, die die radikale „Parteiminderheit“ vertraten – darunter der „Vorwärts“ <strong>und</strong><br />

die „Neue Zeit“ –, nur ein Vorgeschmack darauf, was mit der „Gleichheit“ geschehen sollte.<br />

Doch noch begnügten sich Parteivorstand <strong>und</strong> Gewerkschaften damit, Zetkin zwar nicht die<br />

Redaktion der „Gleichheit“, dafür aber ihr bzw. ihrem radikalen Einfluss die Leserinnen zu<br />

entziehen. Bereits auf einer vom 5.-7. April 1915 in Berlin stattfindenden Konferenz der Vertreter<br />

der gewerkschaftlichen Verbandsvorstände hatte man angesichts der vermeintlichen Unzuläng-<br />

lichkeiten der „Gleichheit“ die Neugründung einer Frauenzeitschrift beschlossen. 118 Die General-<br />

kommission der Gewerkschaften Deutschlands gründete die „Gewerkschaftliche Frauenzeitung“,<br />

was anlässlich ihres ersten Erscheinens im Januar 1916 von der „Gleichheit“ sehr sachlich<br />

kommentiert wurde:<br />

„Eine gewerkschaftliche Frauenzeitung erscheint seit dem 1. Januar<br />

vierzehntäglich. Ihre Gründung entspricht dem Beschluß der Konferenz von<br />

Gewerkschaftsvorständen, den wir seinerzeit mitgeteilt <strong>und</strong> gewürdigt haben. Das<br />

Blatt erscheint im Verlag von Karl Legien, Berlin. Verantwortliche Redakteurin ist<br />

Genossin Gertrud Hanna, die erfahrene Gewerkschaftssekretärin, die sich eifrig um<br />

die Organisierung der Arbeiterinnen bemüht.“ 119<br />

Falls Zetkin sich Gedanken über die destruktive Rolle dieses Konkurrenzblattes gemacht haben<br />

sollte, so hat sie diese jedenfalls ihren Leserinnen nicht mitgeteilt. Sie würdigte stattdessen die<br />

Kompetenz ihrer Redakteurin Gertrud Hanna (1876-1944) 120 , die zuvor selbst u.a. auch für die<br />

„Gleichheit“ geschrieben hatte. 121<br />

Wie diese gewerkschaftliche Frauenzeitschrift schließlich gegen die „Gleichheit“ ausgespielt<br />

werden sollte, erfuhr Zetkin nicht aus erster Hand, sondern aus einem Artikel der „Leipziger<br />

118 Vgl. Die Gründung eines gewerkschaftlichen Frauenblattes für die organisierten Arbeiterinnen … In: GL, 25 / 23 /<br />

06.08.1915 / 154-155.<br />

119 Eine gewerkschaftliche Frauenzeitung … In: GL, 26/ 10/ 04.02.1916/ 76.<br />

120 Gertrud Hanna wurde in Berlin geboren <strong>und</strong> im Alter von 14 Jahren Buchdruckereihilfsarbeiterin. Sie trat 1893<br />

der Gewerkschaft bei. 1907 wurde sie Gewerkschaftsangestellte <strong>und</strong> arbeitete als Sekretärin des gewerkschaftlichen<br />

Arbeiterinnenkomitees. Sie wurde damit zur Leiterin der gewerkschaftlichen Frauenagitation. 1916<br />

übernahm sie die Redaktion der „Gewerkschaftlichen Frauenzeitung“. Während des Ersten Weltkrieges arbeitete<br />

sie eng mit der bürgerlichen Frauenbewegung zusammen. 1919-1933 war Hanna Abgeordnete des preußischen<br />

Landtages. 1944 nahm sie sich das Leben.<br />

121 Hanna, Gertrud: Maigedanken. In: GL, 21/ 15/ 24.04.1911/ 226-267; Bürgerliche Reformversuche. In: GL, 21/ 18/<br />

05.06.1911/ 276-278; Bürgerliche Reformversuche. (Schluß.) In: GL, 21/ 19/ 19.06.1911/ 291-293. Später schrieb<br />

Hanna für die „neue“ „Gleichheit“: Hanna, Gertrud: Zur Frage des Frauenwahlrechts zu den Gewerbe- <strong>und</strong><br />

Kaufmannsgerichten In: GL, 30/ 48/ 27.11.1920/ 389-390; Die Frauen <strong>und</strong> der 20. Februar. In: GL, 31/ 04/<br />

15.02.1921/ 29; Die dritte Internationale Arbeiterkonferenz. In: GL, 31/ 24/ 15.12.1921/ 235-236; Vom<br />

internationalen Friedenskongreß im Haag. In: GL, 33/ 01/ 01.01.1923/ 2-3; August Bebel <strong>und</strong> die Gewerkschaften.<br />

In: GL, 33/ 15/ 01.08.1923/ 122-123.<br />

110


2.2.1 DIE „ÄRA ZETKIN“ UND DER ERSTE WELTKRIEG<br />

Volkszeitung“ (seit 1894), den sie in der „Gleichheit“ zitierte. Ausgerechnet eine württem-<br />

bergische Frauenkonferenz hatte beschlossen, dass die von der Wahl-Württembergerin Zetkin<br />

geführte „Gleichheit“ durch die „Gewerkschaftliche Frauenzeitung“ zu ersetzen sei, wenn sie ihre<br />

Haltung nicht ändern <strong>und</strong> vor allem der Meinung der Parteimehrheit nicht mehr Raum geben<br />

sollte. Die „Leipziger Volkszeitung“ mutmaßte, dass dieser Konferenzbeschluss „‘bestellte<br />

Arbeit’“ 122 gewesen sei. Die „Leipziger Volkszeitung“ sah hinter diesen Vorgängen bereits den<br />

Parteivorstand arbeiten, der sowohl die „Neue Zeit“ als auch die „Gleichheit“ im Handstreich<br />

übernehmen wolle. Die „Chemnitzer Volksstimme“ (1891-1933) dagegen stützte den Beschluss<br />

der württembergischen Genossinnen, indem sie behauptet, Zetkin sei bereits seit zwei Jahren nicht<br />

mehr der SPD zugehörig.<br />

Zetkins Antwort auf all diese Vorwürfe setzte zuerst an dem letzten Argument <strong>und</strong> dessen<br />

Entkräftigung an:<br />

„Die Ablehnung der Gemeinschaft mit der blauen Sonderorganisation in Stuttgart,<br />

die unseres Dafürhaltens entgegen der Parteisatzung gegründet wurde, ist nicht<br />

gleichbedeutend mit der Nichtzugehörigkeit zur Sozialdemokratie, solange der<br />

Parteitag nicht die Frage entschieden hat, welche der beiden Stuttgarter Gruppen zu<br />

Recht besteht.“ 123<br />

Sie sah es also nicht als notwendig erwiesen an, dass eine Nichtzugehörigkeit zu einer<br />

mehrheitssozialdemokratischen Gruppe sie automatisch aus der gesamten SPD ausschlösse. Der<br />

Vorwurf, Zetkin sei bereits seit längerer Zeit nicht mehr Parteimitglied <strong>und</strong> zahle auch ihre Partei-<br />

beiträge nicht mehr an die SPD, wurde ihr später aber dennoch auch im Parteiausschuss gemacht.<br />

124 Als Rechtfertigung für die Haltung der „Gleichheit“ konstatierte Zetkin:<br />

„Nach uns zugegangenen Korrespondenzen sind wir bis jetzt der Meinung, daß die<br />

gr<strong>und</strong>sätzliche Haltung der „Gleichheit“ im allgemeinen der gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />

Auffassung entspricht, die die übergroße Mehrzahl unserer Genossinnen beseelt.<br />

Ob diese Meinung richtig oder irrig ist, wird die von den Genossinnen ersehnte<br />

Reichskonferenz der sozialdemokratischen Frauen erweisen oder auch der nächste<br />

Parteitag. Fällt die Entscheidung gegen die gr<strong>und</strong>sätzliche Haltung der Zeitschrift<br />

aus, so weiß Genossin Zetkin, was sie zu tun hat. Die Überzeugung geht vor dem<br />

Amte. Die Redaktion der ‘Gleichheit’.“ 125<br />

122 Leipziger Volkszeitung, Nr. 284 (19.12.1916). Zit. nach: Ein Handstreich gegen die „Gleichheit“? In: GL, 27/ 08/<br />

19.01.1917/ 54-55, S. 54. Anna Blos war später nicht nur der Meinung, dass Zetkin sich nicht um die<br />

Beschwerden gekümmert habe – was m.E. falsch ist –, sie schrieb außerdem ihr jenen Ausspruch von der „bestellten<br />

Arbeit“ zu (vgl. Blos, Die Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 90). Tatsächlich<br />

handelte es sich aber wie dargestellt um eine Einschätzung der „Leipziger Volkszeitung“.<br />

123 Ein Handstreich gegen die „Gleichheit“? In: GL, 27/ 08/ 19.01.1917/ 55.<br />

124 Vgl. Protokoll des SPD-Parteiausschusses vom 18. <strong>und</strong> 19. April 1917, S. 21f.<br />

125 Ein Handstreich gegen die „Gleichheit“? In: GL, 27/ 08/ 19.01.1917/ 55.<br />

111


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Zetkin sah nur die Institutionen der Frauenkonferenz oder den Parteitag als berechtigt an, sie in<br />

ihrer Haltung zu bestätigen oder zurechtzuweisen. Da diese jedoch während des Krieges bedingt<br />

durch Zensur <strong>und</strong> Burgfrieden nicht zusammentreten würden, sah sie sich in einem mehr oder<br />

weniger rechtlosen Raum <strong>und</strong> als letztlich entscheidende Instanz anerkannte sie nur ihr Gewissen.<br />

Sie betonte damit auch, dass sie nach dem entsprechend formulierten Willen einer entsprechend<br />

befugten Institution durchaus bereit sei, Konsequenzen zu ziehen <strong>und</strong> die „Gleichheit“ zu<br />

verlassen.<br />

Einen gewissen Rückhalt hatte man Zetkin in einer bereits im September 1916 abgehaltenen<br />

Konferenz der Sozialdemokratinnen Großberlins gegeben. Auf dieser waren die radikalen<br />

Genossinnen eindeutig in der Mehrheit <strong>und</strong> sie lobten die vorbildliche Haltung der „Gleichheit“.<br />

Zwei Monate später jedoch, am 26. November 1916, hatte in Stuttgart jene bereits erwähnte<br />

Versammlung der sozialdemokratischen Frauen Württembergs stattgef<strong>und</strong>en 126 , die eindeutig<br />

durch die Parteimehrheit dominiert wurde <strong>und</strong> die mit der Sabotage der „Gleichheit“ drohte. Die<br />

sozialdemokratischen Frauen waren demnach genauso gespalten wie der Rest der Partei. Diese<br />

Spaltung drückt sich auch in den Briefen an die „Gleichheit“-Redaktion aus. Sie enthalten sowohl<br />

weitere Kritik als auch Unterstützung. Meist veröffentlichte Zetkin beides nebeneinander stehend,<br />

um bei den Leserinnen keinen unerwünschten Eindruck entstehen zu lassen. Auch folgender Brief<br />

mehrheitssozialdemokratischer Frauen aus Darmstadt wurde veröffentlicht <strong>und</strong> wird hier als ein<br />

Beispiel für den Umgang Zetkins mit den von ihrer Position abweichenden Meinungen komplett<br />

<strong>und</strong> auch mit seinen Rechtschreibfehlern wiedergegeben:<br />

„‘An die Leitung der Redaktion der ‘Gleichheit’<br />

in Händen Klara Zetkin, Stuttgart!<br />

Durch die immer, sich dauernder Steigerung, mit der die soz. Minderheit in<br />

dem Frauenorgan ‘Gleichheit’ Platz nimmt, steigert sich der Unmut der Mehrheits-Frauen,<br />

die gerade in Hessen in überwältigender Zahl sind, daß das soz.<br />

Organ für die Frauen im Mehrheits-Sinne keinen Raum zusteht, bzw. dauernd die<br />

Mehrheits-Fraktion in unnatürlicher Weise verlästert, um etwa vorhandene Frauen,<br />

die im Mehrheits-Sinne denken umzubringen <strong>und</strong> als Streiter für die Minderheit<br />

zu ertziehen! Diese Handlungsweise verdient bald öffentlich gebrandmarkt<br />

zu werden, wenn diese Zuschrift Sie nicht eines besseren belehren sollte. Auch<br />

nach dem Kriege werden die soz. Frauen schon bereit sein, um der heutigen, nur<br />

zur Hälfte dienenden Redaktion ein klägliches Ende zu bereiten. Eine evt.<br />

öffentliche Antwort Ihrerseit in der ‘Gleichheit’ würden wir in der nächsten Nummer<br />

gerne erhoffen. Auch werden wir uns im Falle Ablehnung unserer Forderungen<br />

dem Beispiel Württemberg folgen, <strong>und</strong> die ‘Gleichheit’ sofort abbestellen!<br />

Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang! Dies sollten Sie sich auch beherzigen; denn<br />

126 Vgl. Blos, Die Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 90.<br />

112


2.2.1 DIE „ÄRA ZETKIN“ UND DER ERSTE WELTKRIEG<br />

nach dem Kriege wird mit allen Minderheits-Phantasten formell aufgeräumt!<br />

Also Redefreiheit für die Soz. Mehrheits-Frauen! Gleiches Recht für alle!<br />

Mehrere Mehrheits-Frauen aus Darmstadt!<br />

Sollten ihnen dies wegen evt. fehlender Namensunterschrift nicht glaubhaft sein, so<br />

werden wir jederzeit bereit Sie später anzugeben.’“ 127<br />

Es ist auffällig, dass Zetkin im Falle dieses Briefes nur mäßig ihrer redaktionellen Aufgaben<br />

nachgekommen war. Statt Rechtsschreibungs- oder Verständnisfehler zu korrigieren, hob sie sie<br />

teilweise sogar noch hervor, um sie lächerlich zu machen. Dadurch, dass die Verfasserinnen<br />

vorerst anonym bleiben wollten, liegt jedoch auch der Verdacht nahe, dass es sich um einen von<br />

Zetkin absichtlich falsch gelesenen <strong>und</strong> gesetzten Brief handeln könnte. Zetkins Kommentar zu<br />

dieser Einsendung bleibt jedenfalls unerwartet zurückhaltend:<br />

„Wir glauben, dem Wunsch der Einsenderinnen nach Öffentlichkeit durch den<br />

Abdruck des Briefes im weitesten Maße zu erfüllen. Jeder halbwegs anständige<br />

Mensch wird jedoch begreifen, weshalb wir auf eine Beantwortung verzichten. Die<br />

Redaktion der ‘Gleichheit’“ 128<br />

Ihre Antwort gab Zetkin im Prinzip in jeder Nummer der „Gleichheit“, indem sie trotz der immer<br />

bedrohlicher werdenden Situation im Bezug auf ihren Posten als verantwortliche Redakteurin an<br />

ihrer Meinung festhielt. Auf diese reale Bedrohung verwies M.R. in einem Artikel, der nochmals<br />

die Position jener Großberliner Frauenkonferenz wiedergab. Er/sie schreibt dort:<br />

„Wir haben ferner zu wachen, daß uns unser Frauenorgan, die ‘Gleichheit’, nicht<br />

entrissen wird. Die Anzeichen mehren sich, daß etwas im Werk ist. Anregungen<br />

dazu gehen dem Parteivorstand von verschiedenen Seiten zu. […] Die glänzenden<br />

Erfolge mit der Strangulierung von Minderheitsblättern eifern zur Nachahmung<br />

an.“ 129<br />

Die Situation war jedoch auch etwas verfahren, denn der Parteivorstand behauptete stets, die<br />

Mehrheit der Frauen werde durch Mehrheitssozialdemokratinnen gebildet. Zetkin dagegen sah die<br />

Mehrheit der Frauen im Lager der Minderheit stehen, weil sie den Krieg gr<strong>und</strong>sätzlich ab-<br />

lehnten. 130<br />

Laut einer Auflistung des Frauensekretariats von 1915, beteiligten sich in 29 von 39 Berliner<br />

Parteibezirken die sozialdemokratischen Frauen an der Arbeit in der Kriegswohlfahrtspflege, d. h.<br />

127 Gegen die gr<strong>und</strong>sätzliche Haltung der „Gleichheit“. In: GL, 27/ 08/ 19.01.1917/ 55.<br />

128 Ebd.<br />

129 M. R.: <strong>Von</strong> der Konferenz der Parteifunktionärinnen <strong>und</strong> der in der Gemeinde tätigen Genossinnen von Groß-<br />

Berlin… In: GL, 27/ 10/ 16.02.1917/ 67-69, S. 68.<br />

130 Tatsächlich ist zu betonen, dass die Mitarbeit der Mehrheit von Sozialdemokratinnen im NFD nicht mit<br />

Kriegsbegeisterung gleichzusetzen <strong>und</strong> eine prinzipielle Ablehnung des Krieges nicht auszuschließen ist. Letztere<br />

hätte besonders von Sozialdemokratinnen jedoch nicht nur prinzipiell, sondern aktiv erfolgen müssen.<br />

113


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

10 Bezirke betrieben eine eigenständige soziale Arbeit. 131 Zwar stimme ich Eifert zu, wenn sie<br />

schreibt, dass die Mitarbeit in der Wohlfahrtsarbeit nicht unbedingt mit Kriegsbegeisterung<br />

gleichzusetzen ist. 132 Es ging in erster Linie darum, für aus einer Notsituation entstandenen<br />

Bedürfnissen praktische Lösungen zu finden <strong>und</strong> eine Solidarität zu üben, die über Partei-<br />

prinzipien hinausgeht. So gaben diese Frauen auch bei einem späteren Wechsel in die 1917<br />

gegründete „Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (USPD) die Mitarbeit in der<br />

Kriegswohlfahrt nicht unbedingt auf. 133 SPD- <strong>und</strong> USPD-Frauen führten ihre „traditionellen“<br />

Prinzipien bis auf eine weiter: die Parteidisziplin. Frauen die zum Krieg <strong>und</strong> der Bewilligung der<br />

Kriegskredite die sogenannte „Minderheitenposition“ vertraten – <strong>und</strong> das dürfte die „Frauen-<br />

mehrheit“ gewesen sein – beugten sich nicht der Parteimehrheit <strong>und</strong> hielten still. Sie organisierten<br />

Widerstand, gingen auf die Straße <strong>und</strong> arbeiteten in der Kriegswohlfahrt – nicht für, sondern<br />

gegen den Krieg.<br />

Dieses rebellische Verhalten dürfte darauf zurückzuführen zu sein, dass die Frauen erst seit 1908<br />

in der SPD integriert waren, „weder in der Partei noch in der parteieigenen Presse über einen<br />

nennenswerte Anzahl besoldeter <strong>und</strong> einflußreicher Funtionärinnen“ 134 verfügten <strong>und</strong> zuvor unter<br />

Zetkin, Zietz <strong>und</strong> anderen radikalen Frauen eine relativ autarke Organisation gebildet hatten.<br />

Zur Klärung der Frage, ob die Mehrheit aller sozialdemokratischen Frauen nun wirklich eher<br />

radikal oder eher gemäßigt war, kann verschieden verfahren werden. Zieht man die Mitglieder-<br />

statistik heran <strong>und</strong> die verhältnismäßig wenigen Übertritte zur USPD, so war sie wohl gemäßigt.<br />

Aber war es Überzeugung oder Behäbigkeit, welche die Mehrheit SPD-Mitglieder bleiben ließ?<br />

Die maßgeblichen Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung gingen aus Überzeugung zur<br />

USPD. Zieht man die Abonnementzahlen der „Gleichheit“ heran, so war es aus Sicht des<br />

Parteivorstandes allein Zetkins Verschulden, dass sie so rapide gesunken waren. Zugleich war für<br />

den Parteivorstand damit auch der Beweis für die mehrheitssozialdemokratische Gesinnung der<br />

<strong>weiblichen</strong> Parteimitglieder erbracht. Die Auseinandersetzungen mit dem Parteivorstand hatten<br />

aber ohnehin erst ab 1916 begonnen <strong>und</strong> wurden besonders massiv mit der Entlassung Zietz‘. Zu<br />

diesem jedoch Zeitpunkt waren die Zahlen bereits immens gesunken. 135<br />

131 Vgl. Eifert, Wann kommt das „Fressen“, wann die „Moral“?, S. 106.<br />

132 Vgl. ebd, S. 108.<br />

133 Vgl. ebd., S. 110.<br />

134 Ebd., S. 111.<br />

135 Anzahl der „Gleichheit“-Abonnements: 1914: 124.000, 1915: 46.500; 1916: 35.500. Siehe: Tabelle 7<br />

114<br />

„Abonnentinnen der ‘Gleichheit’“.


2.2.2 DER ERSTE WELTKRIEG, DIE ENTLASSUNG ZETKINS IM MAI 1917 UND DER ZIELSETZUNGSWANDEL DER „GLEICHHEIT“<br />

2.2.2 Der Erste Weltkrieg, die Entlassung Zetkins im Mai 1917<br />

<strong>und</strong> der Zielsetzungswandel der „Gleichheit“<br />

Nachdem der SPD-Parteivorstand am 15. Februar 1917 Luise Zietz aus ihrem Amt als<br />

Frauensekretärin entlassen hatte, rief Zetkin in der „Gleichheit“ zu Solidaritätsbek<strong>und</strong>ungen auf.<br />

In ihrer Artikelreihe „Die Auseinandersetzung in der Sozialdemokratie“ 136 stellte Zetkin die Ent-<br />

lassung Zietz‘ als einen Bruch des SPD-Parteistatuts dar. Deshalb erachtete sie es erstens als eine<br />

„Ehrenpflicht“ 137 , dass die Frauen ihr Recht auf eine Vertretung im Parteivorstand einforderten,<br />

zweitens als eine „Dankespflicht“ 138 gegenüber den herausragenden Leistungen Zietz’ <strong>und</strong> drittens<br />

als eine<br />

„Treupflicht gegen den internationalen Sozialismus, dessen Gr<strong>und</strong>sätze den<br />

nationalistischen Auffassungen der Mehrheitspolitiker nicht geopfert zu haben,<br />

Genossin Zietz’ Verbrechen [gewesen sei].“ 139<br />

Es meldeten sich auch viele Frauenvereine <strong>und</strong> Einzelpersonen entrüstet <strong>und</strong> parteikritisch zu<br />

Wort. Sie sprachen sich für die Beibehaltung der kriegsgegnerischen Linie der „Gleichheit“ aus<br />

<strong>und</strong> hoben das Engagement <strong>und</strong> die Stellung der beiden Kämpferinnen Zetkin <strong>und</strong> Zietz hervor. 140<br />

Es gab aber auch hier wieder Gegenmeinungen <strong>und</strong> auch diese wurden von der „Gleichheit“<br />

veröffentlicht. 141<br />

Im April 1917 kündigten die „ihrer Parteirechte beraubten Oppositionellen“ 142 einen selbständigen<br />

organisatorischen Zusammenschluss an, den allein die intolerante Haltung der Mehrheits-<br />

sozialisten zu verantworten hätte. Es entstand die „Unabhängige Sozialdemokratische Partei<br />

Deutschlands“ (USPD). 143 Anlässlich des Gründungskongresses der USPD veröffentlichte<br />

136 Die Auseinandersetzung in der Sozialdemokratie. In: GL, 27/ 11/ 02.03.1917/ 74-75 bis GL, 27/ 14/ 13.04.1917/<br />

91-92.<br />

137 Die Auseinandersetzung in der Sozialdemokratie, 27/ 12/ 16.03.1917/ 79.<br />

138 Ebd.<br />

139 Ebd.<br />

140 Vgl. Gerlinger, Olga: Für die gr<strong>und</strong>sätzliche Haltung der „Gleichheit“. In: GL, 27/ 10/ 16.02.1917/ 69;<br />

GenossInnen in Harzburg, Bündheim <strong>und</strong> Schleweke: Gegen die Maßregelung der Genossin Zietz. In: GL, 27/ 14/<br />

13.04.1917/ 92; Stellungnahme der Königsberger Genossinnen zur Maßregelung der Genossin Zietz <strong>und</strong> zur<br />

Haltung der „Gleichheit“. In: „Die Gleichheit“, 27/ 15/ 27.04.1917/ 101; Hennig, Auguste: Eine<br />

Frauenbezirkskonferenz zu Leipzig gegen die Maßregelung der Genossin Zietz <strong>und</strong> für die gr<strong>und</strong>sätzliche Haltung<br />

der „Gleichheit“. In: GL, 27/ 17/ 25.05.1917/ 115.<br />

141 Vgl. Jensen, Elise: Für die Mehrheitspolitik. In: GL, 27/ 15/ 27.04.1917/ 99; Siloff, Josephine: Gegen die<br />

gr<strong>und</strong>sätzliche Haltung der „Gleichheit“. In: GL, 27/ 14/ 13.04.1917/ 92-93.<br />

142 Die Auseinandersetzung in der Sozialdemokratie. In: GL, 27/ 14/ 13.04.1917/ 91.<br />

143 Als Ursachen für die Parteispaltung können, so Thönnessen, verschiedene zusammenwirkende Faktoren angesehen<br />

werden: Zu aller erst die Politik des 4. August, dann die zunehmende Bürokratisierung der Parteien, die<br />

einhergeht mit der Vorherrschaft der Gewerkschaften. Auf theoretischer Ebene machte die Revision der<br />

sozialistischen Theorie <strong>und</strong> der Zwiespalt zwischen Parteitheorie <strong>und</strong> reformistischer Praxis eine Spaltung unumgänglich.<br />

Die herrschende Unklarheit über die zu treffenden Nachkriegsmaßnahmen tat ihr Übriges (vgl.<br />

115


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Mathilde Wurm (1874-1935) 144 einen Leitartikel „Die Gothaer Tagung“, in welchem auch sie der<br />

SPD vorwarf, sie sei<br />

„eine Partei, die infolge jahrelanger Erziehung zur Disziplin bis zur Übertreibung<br />

in einem Statut das Steuer erblickte, daß sie durch alle Irrungen <strong>und</strong> Wirrungen zu<br />

führen vermöchte, wenn nur der Steuermann sein Amt richtig verstehe“ 145 .<br />

Hatte sich Zetkin bisher immer auf das Statut der SPD <strong>und</strong> ihre auf diesem Statut beruhende<br />

Stellung berufen, so gab ihr die Gründung der USPD nun die Möglichkeit, nicht nur zum<br />

Widerstand, sondern auch indirekt zum Parteiwechsel aufzurufen. 146<br />

Es war die von Zetkin in einem offiziellen SPD-Parteiorgan geübte offene Kritik am SPD-<br />

Vorstand <strong>und</strong> dessen Burgfriedenspolitik, die den Zustand in den Augen des Parteivorstandes<br />

unhaltbar machte. Dennoch scheute dieser eine offene Debatte <strong>und</strong> zog sich vorzugsweise auf das<br />

fadenscheinige Argument der sinkenden Abonnementzahlen zurück. 147 Zetkin scheint sich über die<br />

entsprechenden Verhandlungen im Parteiausschuss vor allem über den „Vorwärts“ informiert zu<br />

haben. In ihrem Artikel „Parteivorstand <strong>und</strong> Parteiausschuß gegen die gr<strong>und</strong>sätzliche Haltung der<br />

‘Gleichheit’“ 148 zitierte sie entsprechende Passagen des Parteiausschuss-Protokolls nach einem<br />

„Vorwärts“-Artikel. So konnte sie besonders auf die Vorwürfe gesunkener AbonnentInnenzahlen<br />

eingehen <strong>und</strong> gab zu bedenken:<br />

„Er [der starke Rückgang des Abonnementsstandes; M.S.] steht nicht nur in<br />

Zusammenhang mit dem erheblichen Verlust der Partei an <strong>weiblichen</strong> Mitgliedern;<br />

er ist nicht nur zum Teil auch eine Folge der drückenden wirtschaftlichen Not, die<br />

zum Sparen mit jedem Pfennig zwingt. Er ist mit darauf zurückzuführen, daß fast<br />

Thönnessen, Frauenemanzipation, S. 95).<br />

144 Mathilde Wurm, geb. Adler, wurde in Frankfurt am Main geboren <strong>und</strong> arbeitete nach Abschluss einer höheren<br />

Mädchenschule ab 1896 als Fürsorgerin in Berlin. Sie war Mitgründerin der ersten Lehrstellenvermittlung <strong>und</strong><br />

Berufsberatung für schulentlassene Mädchen. 1903-1904 leitete sie die weibliche Abteilung des Zentralvereins für<br />

Arbeitsnachweis in Berlin. Zuvor Mitglied der SPD, trat sie 1917 der USPD bei. So auch ihr Ehemann, der<br />

Journalist <strong>und</strong> SPD-Politiker Emanuel Wurm, welcher in jenem Jahr Staatssekretär im Reichsernährungsamt<br />

wurde <strong>und</strong> 1919 Mitglied der Nationalversammlung. 1917-1921 war Mathilde Wurm Bürgerdeputierte in Berlin,<br />

1920-1933 Reichstagsabgeordnete, 1919 Mitglied im Frauenausschuss <strong>und</strong> 1920-1922 Beisitzerin im Zentralkomitee<br />

der USPD. Bis 1922 arbeitete sie als Redakteurin des USPD-Frauenorgans „Die Kämpferin”, kehrte dann<br />

zur SPD zurück. Ab 1928 gab sie die “Sozialdemokratische Pressekonferenz” heraus <strong>und</strong> war Mitarbeiterin bei<br />

„Der Klassenkampf – Marxistische Blätter” (1927-1932). 1933 emigrierte Wurm nach London, wo sie unter<br />

mysteriösen Umständen gemeinsam mit ihrer Fre<strong>und</strong>in <strong>und</strong> politischen Weggefährtin Dora Fabian (1901-1934)<br />

Suizid beging. Die von Scotland Yard angestellten Nachforschungen über einen möglichen Anschlag<br />

nationalsozialistischer Agenten blieben ergebnislos. Es verdichtete sich die Annahme, dass Fabian vor allem unter<br />

einer unerwiderten Liebe litt <strong>und</strong> schließlich die Verzweiflung über die politische Situation in Deutschland den<br />

Suizid der beiden Frauen motivierte.<br />

145 Wurm, Mathilde: Die Gothaer Tagung. In: GL, 27/ 16/ 11.05.1917/ 105-106, S. 105.<br />

146 Einen offenen Aufruf zum Parteiwechsel konnte ich in der „Gleichheit“ nicht finden.<br />

147 Auch Blos war der Meinung, Zetkin habe „ein vom Parteivorstand bezahltes Amt zu verwalten“ gehabt. Deshalb<br />

sei es „nicht angängig [gewesen], ein solches Amt dazu zu benutzen, den Arbeitgeber, in diesem Fall den Parteivorstand,<br />

in aller Öffentlichkeit anzugreifen in dem von ihm geschaffenen <strong>und</strong> bezahlten Organ“ (Blos, Die<br />

Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 88).<br />

148 Parteivorstand <strong>und</strong> Parteiausschuß gegen die gr<strong>und</strong>sätzliche Haltung der „Gleichheit“. In: GL, 27/ 16/ 11.05.1917/<br />

116<br />

110.


2.2.2 DER ERSTE WELTKRIEG, DIE ENTLASSUNG ZETKINS IM MAI 1917 UND DER ZIELSETZUNGSWANDEL DER „GLEICHHEIT“<br />

unmittelbar nach Kriegsausbruch mehrere große Gewerkschaften sich durch ihre<br />

finanziellen Verpflichtungen zu sozialer Fürsorge gezwungen sahen, die Verabfolgung<br />

der ‘Gleichheit’ an ihre <strong>weiblichen</strong> Mitglieder einzustellen.“ 149<br />

Der Krieg <strong>und</strong> die durch ihn bedingte schlechte Finanzlage der Arbeiterfamilien spielte von<br />

Beginn an eine, wenn nicht sogar die entscheidende Rolle bei der Abwärtsentwicklung der<br />

Abonnementzahlen. Jetzt, anlässlich ihrer Verteidigung gegenüber dem Parteiausschuss, betonte<br />

Zetkin aber endlich auch die schädigende Konkurrenz durch die „Gewerkschaftliche Frauen-<br />

zeitung“ <strong>und</strong> schreibt:<br />

„Die Einengung des Leserkreises nahm naturnotwendig zu, als das<br />

‘Gewerkschaftliche Frauenblatt’ gegründet wurde.“ 150<br />

Zum Kernpunkt hinsichtlich der Frage, ob die Mehrheit der Sozialdemokratinnen gemäßigt oder<br />

radikal war, kommt Zetkin jedoch erst, als sie Kritik an den örtlichen Parteispitzen übt:<br />

„In großem Umfang ist der Rückgang des Abonnementsstandes jedoch bewußt,<br />

absichtlich geschaffen worden durch die systematische Hetz- <strong>und</strong> Wühlarbeit einflußreicher<br />

Genossen, die ihrer eigenen Auffassung gemäß von der gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />

Haltung der ‘Gleichheit’ sagten: ‘Die janze Richtung paßt uns nicht.’ […] Das<br />

Obligatorium der ‘Gleichheit’ ist in mehr als einem Bezirk von den Vereinsvorständen<br />

eigenmächtig aufgehoben worden, ohne daß sie die Genossinnen vorher<br />

befragt hätten.“ 151<br />

Der Umstand, dass viele Gewerkschaftsorganisationen (darunter bereits seit Kriegsbeginn der<br />

Fabrikarbeiterverband, dann auch der Holzarbeiterverband <strong>und</strong> der Tabakarbeiterverband 152 ) die<br />

„Gleichheit“ als Obligatorium kündigten bzw. eigene Blätter oder Frauenbeilagen herausgaben<br />

oder die „Gewerkschaftliche Frauenzeitung“ bezogen, drückte demnach nicht unbedingt die<br />

bewusste Entscheidung der <strong>weiblichen</strong> Organisationsmitglieder aus. Die Leitungen ihrer Organi-<br />

sationen hatten die Entscheidung für sie <strong>und</strong> vor allem über ihre Köpfe hinweg getroffen. Einige<br />

der <strong>weiblichen</strong> Mitglieder reagierten tatsächlich mit großer Empörung darauf, dass ihnen die<br />

„Gleichheit“ genommen wurde <strong>und</strong> hätten ein Abonnement auch eigenständig finanziert. Doch<br />

den <strong>weiblichen</strong> Mitgliedern des Fabrikarbeiterverbandes in Braunschweig wurde von Seiten des<br />

Vorstandes sogar verboten, sich die „Gleichheit“ auf eigene Kosten zu abonnieren. 153<br />

Zum Krieg <strong>und</strong> den Aufkündigungen des Obligatoriums kam hinzu, dass die Beilage „Für unsere<br />

Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ ab Mai 1917 eingestellt werden musste. 154 Dadurch hat die „Gleichheit“<br />

149 Ebd.<br />

150 Ebd.<br />

151 Ebd.<br />

152 Vgl. Bieber, Gewerkschaften in Krieg <strong>und</strong> Revolution, S. 269.<br />

153 Vgl. ebd., S. 910, Fußnote 73.<br />

154 Die ZDB-Datenbank gibt an, dass die Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ nur bis 1915/16 nachgewiesen<br />

werden kann. Im Titelkopf der letzten von Zetkin redigierten „Gleichheit“-Nummer ist sie jedoch noch genannt<br />

117


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

unzweifelhaft an Attraktivität verloren. Einmal auf ein anderes unterhaltsameres Blatt abonniert,<br />

konnten ehemalige „Gleichheit“-Abonnentinnen nur schwer zurückgewonnen werden. Insgesamt<br />

<strong>und</strong> allgemein formuliert ist Thönnessen zuzustimmen, wenn er den Auflagenschw<strong>und</strong> zwischen<br />

1913 <strong>und</strong> 1920 als ein Symptom für den Niedergang <strong>und</strong> Verfall der proletarischen Frauen-<br />

bewegung sieht. 155 Doch enger gefasst war dieser Auflagenschw<strong>und</strong> vor allem der Beweis für den<br />

mangelnden Rückhalt der „Gleichheit“ bei ihren obligatorischen Abonnentinnen.<br />

Es waren aber eben nicht nur die gesunkenen Abonnementzahlen, die dem Parteivorstand<br />

ausreichend Anlass gaben, Konsequenzen zu ziehen, sondern vor allem der Umstand, dass Zetkin<br />

sich mittlerweile offiziell der im April 1917 in Gotha konstituierten USPD 156 angeschlossen hatte.<br />

Zetkins Engagement für die USPD <strong>und</strong> vor allem ihr Parteibeitritt ließen eine weitere Schonung<br />

durch den Vorstand der Mehrheitssozialdemokratie nicht mehr zu. Am 18. April 1917 sprach der<br />

Vorsitzende Friedrich Ebert im dortigen Parteiausschuss aus, was viele schon lange dachten: Er<br />

monierte das stetige Abnehmen der „Gleichheit“-Abonnentinnen <strong>und</strong> die Zunahme der Be-<br />

schwerden aus Partei- <strong>und</strong> Leserinnenkreisen. Bisher hätte man aus<br />

„Gründen der Toleranz […] gegen das Blatt <strong>und</strong> seine Haltung nichts unternommen,<br />

nun aber stellt sich die ‘Gleichheit’ ganz offen in den Dienst der neuen<br />

Partei der Unabhängigen. (Lebhafte Zustimmung <strong>und</strong> Rufe: Schon immer!) Damit<br />

wird natürlich der bisherige Zustand unhaltbar, es muß eine Änderung geschaffen<br />

werden.“ 157<br />

Es war folgendes von Ebert im Auftrag des Parteivorstandes verfasstes Schreiben, das Zetkin im<br />

Mai 1917 erreichte <strong>und</strong> mit welchem ihr ihre sofortige Entlassung aus der sozialdemokratischen<br />

Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ 158 mitgeteilt wurde:<br />

„Berlin SW. 68, den 16. Mai 1917.<br />

Lindenstraße 3.<br />

Frau Klara Zetkin-Z<strong>und</strong>el<br />

Wilhelmshöhe bei Degerloch.<br />

„Schon vor längerer Zeit ist uns mitgeteilt worden, daß Sie nicht mehr Mitglied unsrer<br />

Parteiorganisation sind. Nun sind Sie Mitglied der Partei „Unabhängige Sozialisten“[d.i.<br />

USPD; M.S.] <strong>und</strong> bekleiden ein hervorragendes Vertrauensamt in dieser<br />

Partei. Sie stellen außerdem die Ihnen von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands<br />

anvertraute Redaktion der Gleichheit in den Dienst der neuen Partei. Das hat mit<br />

Recht in weiten Kreisen unsrer Partei Widerspruch hervorgerufen, ist auch un-<br />

(vgl. GL, 27/ 17/ 25.05.1917/ 113). Nach Zetkins Entlassung wird dort nur noch „Für unsere Kinder“ als Beilage<br />

genannt (vgl. GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 117).<br />

155 Vgl. Thönnessen, Frauenemanzipation, S. 133.<br />

156 Zur USPD-Frauenbewegung siehe: Wickert, Unsere Erwählten, Bd. 1, S. 80-87.<br />

157 Protokoll des SPD-Parteiausschusses vom 18. <strong>und</strong> 19. April 1917, S. 6. In: Protokolle der Sitzungen des<br />

Parteiausschusses der SPD 1912 bis 1921, Bd. 1, S. 437.<br />

158 Siehe auch: Sachse, Ich erkläre mich schuldig.<br />

118


2.2.2 DER ERSTE WELTKRIEG, DIE ENTLASSUNG ZETKINS IM MAI 1917 UND DER ZIELSETZUNGSWANDEL DER „GLEICHHEIT“<br />

vereinbar mit den Interessen der Sozialdemokratischen Partei, deren Organ die<br />

Gleichheit ist.<br />

Wir sind deshalb gezwungen, auf Ihre weitere Redaktionstätigkeit für die Gleichheit<br />

vom heutigen Tage an zu verzichten, ebenso auf die weitere Tätigkeit Ihres Hilfsredakteurs<br />

<strong>und</strong> Ihrer Redaktionssekretärin.<br />

Das bisher bezogene Gehalt wird Ihnen bis 30. September 1917 von der Firma J.H.W.<br />

Dietz Nachf., Stuttgart, monatlich ausgezahlt werden. Ihrem Hilfspersonal wird das<br />

Gehalt bis zum Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist weiter bezahlt.<br />

Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.<br />

I.A. gez.: Fr. Ebert“ 159<br />

Die „Gleichheit“, so betonte Ebert, war ein Organ der Mehrheitssozialdemokratie. Zetkin, die<br />

ganz unverhohlen deren „burgfriedliche“ Zielsetzungen ablehnte <strong>und</strong> damit das in sie gesetzte<br />

Vertrauen missbraucht hatte, musste mitsamt ihrem engeren MitarbeiterInnenstab – Hoernle <strong>und</strong><br />

Buchheim – gehen.<br />

Zetkins vorläufige Antwort war ebenfalls nüchtern <strong>und</strong> betont knapp gehalten:<br />

„Ihr Brief vom 16. d. ist am 18. d. hier eingetroffen. Ich habe seinen Inhalt zur Kenntnis<br />

genommen <strong>und</strong> verzichte auf eine Auseinandersetzung mit Ihnen, zu der Ihr<br />

Schreiben <strong>und</strong> Vorgehen Anlaß geben könnte. Klara Zetkin.“ 160<br />

Sie nahm damit ihre Entlassung aus der Redaktion der führenden sozialistischen Frauenzeitung,<br />

die ihrer Ausstoßung aus der SPD-Frauenbewegung gleichkam, anscheinend sehr gelassen hin.<br />

Sie nahm anscheinend auch gelassen hin, dass Nummer 17 des 27. Jahrgangs, die am 25. Mai<br />

1917 erschien, die letzte von ihr redigierte Ausgabe der „Gleichheit“ war <strong>und</strong> man ihr noch nicht<br />

einmal die Gelegenheit gegeben hatte, sich von ihren Leserinnen zu verabschieden <strong>und</strong> die Situa-<br />

tion zu erklären.<br />

Doch es scheint nur so, als hätte Zetkin kampflos das Feld geräumt. Was sie zunächst dringend<br />

benötigte, war eine neue Plattform. Sie wurde ständige Mitarbeiterin der von der „Leipziger<br />

Volkszeitung“ eigens für sie eingerichteten „Frauen-Beilage“ 161 <strong>und</strong> verfasste auf Bitten der<br />

Redaktion einen Abschiedsartikel. 162 Fünf Wochen nach ihrer Entlassung, am 29. Juni 1917,<br />

verschriftlichte Zetkin nicht nur ihre Enttäuschung, sondern wehrte sich auch gegen die Vorwürfe<br />

des Parteiausschusses, gegen die vermeintlichen Gründe ihrer Entlassung. Sie zeichnete ein Bild<br />

159 Veröffentlicht in: Frauen-Beilage der Leipziger Volkszeitung, 01/ 01/ 29.06.1917/ 2<br />

160 Ebd.<br />

161 Diese Frauenbeilage erschien von Juni 1917 bis März 1919.<br />

162 Zetkin, Clara: Klara Zetkins Abschied von der „Gleichheit“. In: Frauen-Beilage der Leipziger Volkszeitung, 01/<br />

01/ 29.06.1917/ 1-2. Bereits am 19. Juni hatte Zetkin im Hauptblatt der „Leipziger Volkszeitung“ einen Artikel mit<br />

dem Titel „An die sozialistischen Frauen aller Länder!“ veröffentlicht, in dem sie ihre Entlassung aus der<br />

Redaktion der „Gleichheit“ bekannt gab <strong>und</strong> damit ihren Verlust als Organ der Sozialistischen<br />

Fraueninternationale (vgl. Dokumente <strong>und</strong> Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Reihe II,<br />

Bd. 1: Juli 1914 – Oktober 1917, S. 647-649).<br />

119


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

von den Umständen, unter denen sie bis zuletzt versucht hatte, die „Gleichheit“-Leserinnen zu<br />

Kriegsgegnerinnen zu erziehen:<br />

„Ich erkläre mich schuldig, daß die Gleichheit sich vom ersten Augenblick an, wo<br />

die sozialdemokratische Reichstagsfraktion die Gr<strong>und</strong>sätze des Sozialismus als<br />

hinderlichen Ballast über Bord warf, in bewußtem Gegensatz zu der entsprechenden<br />

‘Neuorientierung’ gestellt hat. Ich erkläre mich schuldig, daß die Gleichheit die<br />

Mehrheitspolitik mit steigender Schärfe kritisiert <strong>und</strong> bekämpft hat.<br />

… Würde ich anders gehandelt haben, so hätte ich meine Gr<strong>und</strong>sätze als internationale<br />

Sozialistin verleugnen, meiner Vergangenheit, meinem Lebenswerk,<br />

meinem Wesen ins Gesicht schlagen müssen. Ich wäre mir unwürdig des Namens<br />

als Sozialistin erschienen, unwürdig des Vertrauens breiter proletarischer Massen<br />

<strong>und</strong> der führenden Stellung, die ich in der sozialistischen Arbeiterbewegung,<br />

namentlich aber in der internationalen sozialistischen Frauenbewegung inne hatte.<br />

Sozialismus verpflichtet!“ 163<br />

Sie zeigte keine Reue für die von ihr betriebene Opposition, sondern war stolz auf die eigene<br />

persönliche Konsequenz, welche sie auch so dringend von der Mehrheit der SPD-Frauen erwartet<br />

hätte.<br />

„Sozialismus verpflichtet!“ 164 , so Zetkin, die sich damit auch stets den proletarischen Frauen an<br />

sich verpflichtet sah:<br />

„… ich habe die Gleichheit nie als das behagliche Traumstübchen meiner Wünsche<br />

betrachtet. Sie war mir ein anvertrautes Pf<strong>und</strong>, mit dem im Dienste meines Herrn<br />

zu wuchern mir Pflicht <strong>und</strong> Glück war. …<br />

Als Hauptaufgabe der Gleichheit dünkte mir jederzeit die Klärung <strong>und</strong> Vertiefung<br />

des sozialistischen Empfindens <strong>und</strong> Denkens der proletarischen Frauen, eine Klärung<br />

<strong>und</strong> Vertiefung, die als Vorstufe eines unbeugsamen, tatbereiten Wollens <strong>und</strong><br />

eines fruchtbaren, opferfreudigen Handelns unerläßlich ist.“ 165<br />

Was sie nie bei dieser Erziehung zur „Opferfreudigkeit“ bedacht hatte, war, dass sich so viele der<br />

geschulten Proletarierinnen „opferfreudig“ <strong>und</strong> bescheiden in den Dienst einer immer revisionis-<br />

tischer werdenden Partei stellen könnten. Die SPD-Frauen erkannten entweder nicht das Ausmaß<br />

des revisionistischen Wandels der Partei oder hießen ihn sogar gut. Für einen großen Teil der<br />

Proletarierinnen war der SPD-Parteivorstand als oberste Parteiinstanz weiterhin der Verkünder des<br />

einzig wahren Sozialismus. Wie hätten sie mit ihrem Theoriedefizit auch wissen können, dass<br />

verschiedene „Spielarten“ des Sozialismus möglich geworden waren. Zetkin hatte sie ja selbst<br />

jahrzehntelang auf die Parteilinie eingeschworen. Nun war es ihr unmöglich, sie alle von dieser<br />

Linie wieder abzubringen.<br />

Im Kreise der radikalen SPD-Minderheit <strong>und</strong> der USPD galt die Übernahme der „Gleichheit“ als<br />

163 Zetkin, Clara: Klara Zetkins Abschied von der „Gleichheit“. In: Frauen-Beilage der Leipziger Volkszeitung, 01/<br />

01/ 29.06.1917/ 1.<br />

164 Ebd.<br />

165 Ebd.<br />

120


2.2.2 DER ERSTE WELTKRIEG, DIE ENTLASSUNG ZETKINS IM MAI 1917 UND DER ZIELSETZUNGSWANDEL DER „GLEICHHEIT“<br />

„Gewaltakt“ oder „Handstreich“. Käte Duncker sprach in einem Brief an ihren Ehemann Hermann<br />

sogar von einem „Gleichheitsmord“ 166 . Im Kreise des Parteiausschusses dagegen war man mit<br />

dem Verlauf der Angelegenheit sehr zufrieden:<br />

„Die Sache hat natürlich Staub aufgewirbelt, aber die Hauptsache für uns war, daß<br />

wir eine brauchbare Redaktion bekamen. Ich glaube, das ist gelungen. Die bisher<br />

erschienenen beiden Nummern zeigen wohl jedem, daß die ‘Gleichheit’ jetzt auf<br />

dem Wege ist, ihren Aufgaben so gerecht zu werden, wie es hier immer gewünscht<br />

worden ist. Natürlich wird nun im Lande auch eine Hetze gegen die ‘Gleichheit’<br />

getrieben werden. Deshalb bitte ich die Mitglieder des Parteiausschusses, sich mit<br />

größter Entschiedenheit für die Agitation für die ‘Gleichheit’ einzusetzen. Wenn<br />

alle Parteiorganisationen mit Nachdruck für ein Abonnement des Blattes sorgen, so<br />

wird es gelingen eine Aufwärtsentwicklung der ‘Gleichheit’ durchzusetzen.“ 167<br />

Zur neuen verantwortlichen Redakteurin der „Gleichheit“ ernannte der SPD-Parteivorstand Marie<br />

Juchacz (1879-1956) 168 , die bis dahin als Hilfssekretärin für die „Gleichheit“ gearbeitet hatte. 169<br />

Indem Juchacz nicht nur die Nachfolge Zetkins als „Gleichheit“-Redakteurin, sondern auch die<br />

Nachfolge Zietz‘ als Frauensekretärin im Parteivorstand der SPD antrat, versah sie in<br />

Personalunion die beiden bedeutendsten Ämter der sozialdemokratischen Frauenbewegung. Allein<br />

166 Käte Duncker in einem Brief an Hermann Duncker, 23./24.05.1917, SAPMO Stiftung Archiv der Parteien <strong>und</strong><br />

Massenorganisationen der DDR im B<strong>und</strong>esarchiv Berlin, NY 4445/138. Diesen Hinweis verdanke ich Dres. Ruth<br />

<strong>und</strong> Heinz Deutschland (Berlin).<br />

167 Protokoll des SPD-Parteiausschusses vom 26. Juni 1917, S. 44. In: Protokolle der Sitzungen des Parteiausschusses<br />

der SPD 1912 bis 1921, Bd. 1, S. 552.<br />

168 Marie Juchacz, geb. Gohlke, wurde in Landsberg an der Warthe, dem heute 80 km nordöstlich von Frankfurt/Oder<br />

gelegenen polnischen Gorzów Wielkopolski, als älteste Tochter eines teilweise selbständigen Zimmerermeisters<br />

geboren. Sie arbeitete nach Besuch der Volksschule erst zwei Jahre als Dienstmädchen, dann ein halbes Jahr als<br />

Arbeiterin in einer Netz-Fabrik <strong>und</strong> zweieinhalb Jahre als Krankenpflegerin in der „Provinzial-Landes-Irrenanstalt<br />

zu Landsberg“. Schließlich absolvierte sie eine Ausbildung zur Schneiderin. 1906 erfolgte erst die Trennung von<br />

ihrem Ehemann, dem Schneidermeister Bernhard Juchacz, 1911 dann die Scheidung. 1906 zog Juchacz mit ihrer<br />

Schwester Elisabeth Röhl <strong>und</strong> ihren Kindern Charlotte <strong>und</strong> Paul nach Berlin (in der „Gleichheit“ finden sich<br />

anlässlich der Novemberrevolution 1918 zwei Briefe der beiden Kinder (vgl. Zwei Kinderbriefe. In: GL, 29/ 07/<br />

03.01.1919/ 52)). Hier begann ihre agitatorische Tätigkeit für die SPD begann. Die Schwestern wurden Mitglieder<br />

im „Verein der Frauen <strong>und</strong> Mädchen der arbeitenden Klasse”. 1907 wurde Juchacz Vorsitzende des „Frauen- <strong>und</strong><br />

Mädchenbildungsvereins” zu Schöneberg <strong>und</strong> 1908 Mitglied der SPD. Sie war Vorstandsmitglied des<br />

sozialdemokratischen Wahlvereins Neukölln <strong>und</strong> 1910 im Zentralvorstand des sozialdemokratischen Wahlvereins<br />

Teltow-Beeskow tätig. 1913-1917 übernahm sie eine Stellung als hauptamtliche <strong>und</strong> damit besoldete Parteisekretärin<br />

in Köln. Während des Ersten Weltkriegs war Juchacz in der „Nationalen Frauengemeinschaft” <strong>und</strong> in<br />

verschiedenen städtischen Körperschaften <strong>und</strong> privaten Wohlfahrtsorganisationen aktiv. 1917 folgte sie Zietz als<br />

Frauensekretärin im Parteivorstand nach. 1917-1919 übernahm sie zusammen mit Heinrich Schulz die Redaktion<br />

der “Gleichheit”. 1919 wurde sie Abgeordnete der Nationalversammlung <strong>und</strong> hielt dort als erste Frau am 19.<br />

Februar 1919 eine Rede an das Parlament. Im Auftrag des Parteivorstandes gründete Juchacz den Hauptausschuss<br />

für Arbeiterwohlfahrt <strong>und</strong> wurde dessen Vorsitzende. 1920-1933 saß sie als Abgeordnete im Reichstag. 1933<br />

emigrierte die SPD-Politikerin mit ihrem Schwager Emil Kirschmann ins Saarland, flüchtete dann weiter nach<br />

Frankreich <strong>und</strong> 1941 schließlich in die USA, wo sie als Mitglied des Exekutivkomitees „German-American<br />

Council for the Liberation of Germany from Nazism” weiterhin gegen den Nationalsozialismus kämpfte. 1949<br />

kehrte Juchacz nach Deutschland zurück <strong>und</strong> wurde wieder in AWO <strong>und</strong> SPD tätig.<br />

169 Die von Juchacz vor ihrer Übernahme der Redaktion verfassten Artikel sind marginal <strong>und</strong> werden im nächsten<br />

Kapitel vorgestellt.<br />

121


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

daraus lässt sich ablesen, dass Juchacz als eine besonders treue Parteianhängerin einzuschätzen ist<br />

<strong>und</strong> die Parteispitze von ihr keinen Missbrauch ihrer Machtfülle befürchtete. Sie machte die<br />

„Gleichheit“ <strong>und</strong> deren Leserinnen – wie es die „Leipziger Volkszeitung“ es formulierte – „zu<br />

kritiklosen Mitläuferinnen der nationalsozialen Mehrheitspolitik“ 170 .<br />

Juchacz zur Seite stand Heinrich Schulz (1872-1932) 171 . Schulz war von Beruf Lehrer <strong>und</strong> ein<br />

sehr ehrgeiziger Parteifunktionär. Bis zum Kriegseintritt <strong>und</strong> seiner Wandlung zum Nationalisten<br />

hatte er in engem Kontakt mit Zetkin gestanden. 172 Der erste von Schulz für die „Gleichheit“<br />

verfasste Artikel, der hier ermittelt wurde, erschien im September 1905. Es war ein Beitrag zu<br />

einer von Zetkin angeregten LeserInnendiskussion 173 , die sich mit der sozialistischen Jugendagi-<br />

tation beschäftigte <strong>und</strong> sehr ausgedehnt war. 174 Einige Monate später kritisierte er einen spöt-<br />

tischen Artikel des revisionistischen Sozialdemokraten Heinrich Peus, der darin eine besonders<br />

bourgeoise Auffassung vom Geschlechterverhältnis offenbart hatte. 175 Den „Gleichheit“-Lese-<br />

rinnen war Schulz aber vor allem durch seine seit 1905 erscheinenden Artikel zum Thema Kinder-<br />

170 Die Maßregelung der Redaktion der Gleichheit. In: Frauen-Beilage der „Leipziger Volkszeitung“, 01/ 01/<br />

29.06.1917/ 3.<br />

171 Heinrich Schulz wurde in Bremen geboren <strong>und</strong> war Sohn eines Werkmeisters. Er besuchte erst die Volksschule<br />

<strong>und</strong> 1881-1889 die Realschule in Bremen. 1889-1892 folgten eine Ausbildung auf einem Volksschullehrerseminar,<br />

ein Universitätsstudium <strong>und</strong> 1893-1894 der Militärdienst. Anfangs Lehrer in Bremen, wurde er 1894 Lehrer an der<br />

Arbeiterbildungsschule in Berlin, 1895 deren Vorsitzender. Ab 1896 wurde Schulz journalistisch tätig. 1896-1897<br />

bekleidete er das Amt des zweiten Vorsitzenden der “Freien Volksbühne” <strong>und</strong> wirkte 1897-1906 als Redakteur<br />

verschiedener sozialdemokratischer Zeitungen in Erfurt, Magdeburg <strong>und</strong> Bremen. 1906-1919 war Schulz Geschäftsführer<br />

des „Zentralen Bildungsausschusses” <strong>und</strong> damit Leiter des sozialdemokratischen Bildungswesens.<br />

1906-1914 war er nicht nur Lehrer, sondern auch Obmann der Parteischule. 1912-1918 hatte er ein Mandat als<br />

Reichstagsabgeordneter <strong>und</strong> saß 1917-1932 im Parteivorstand der SPD. 1919 in die Nationalversammlung<br />

gewählt (Februar-Juni 1919 deren Vizepräsident), hatte er 1920-1932 erneut Mandate als Reichstagsabgeordneter<br />

inne. 1919-1927 war Schulz Staatssekretär für Schul- <strong>und</strong> Bildungsfragen im Reichsinnenministerium <strong>und</strong> 1919-<br />

1932 Vorsitzender im „Reichsausschuß für sozialistische Bildungsarbeit”. Schulz war Begründer <strong>und</strong> Leiter der<br />

„Deutschen Kunstgemeinschaft” <strong>und</strong> der führende Schul- <strong>und</strong> Kulturpolitiker der SPD.<br />

172 Gemeinsam <strong>und</strong> im Auftrag des Parteivorstandes hatten Schulz <strong>und</strong> Zetkin ein Gr<strong>und</strong>satzprogramm zur<br />

sozialdemokratischen Schulpolitik verfasst, welches auf dem Parteitag in Mannheim 1906 vorgestellt wurde (vgl.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages Mannheim 1906, S. 323-360). Der Pädagoge <strong>und</strong> Philosoph Wolfdietrich Schmied-<br />

Kowarzik ist der Meinung, dass diese gemeinsam entwickelten Leitsätze „zu den theoretisch überzeugendsten <strong>und</strong><br />

fortschrittlichsten [gehören], die jemals in der ‘sozialdemokratischen Partei’ zum Erziehungsproblem entwickelt<br />

worden“ (Schmied-Kowarzik, Kritische Theorie <strong>und</strong> revolutionäre Praxis, S. 140) seien, jedoch hätten sie keinen<br />

Eingang in die politische Praxis der SPD gef<strong>und</strong>en (vgl. ebd.). In der „neuen“ „Gleichheit“ bezog Schulz zu<br />

Zetkins Erziehungsidealen jedoch nur noch ablehnend Stellung: Schulz, Heinrich: Schulreform oder „Revolution“?<br />

In: GL, 30/ 41-42/ 09.10.1920/ 332-333.<br />

173 Schulz, Heinrich: Jugend <strong>und</strong> Sozialismus. VI. In: GL, 15/ 18/ 06.09.1905/ 104.<br />

174 Vgl. Krüger, Franz: Jugend <strong>und</strong> Sozialismus. In: GL, 15/ 15/ 26.07.1905/ 87; Jugend <strong>und</strong> Sozialismus I-II. In: GL,<br />

15/ 16/ 09.08.1905/ 92-93; Jugend <strong>und</strong> Sozialismus III-V. In: GL, 15/ 17/ 23.08.1905/ 97-98; Jugend <strong>und</strong><br />

Sozialismus VI-VII. In: GL, 15/ 18/ 06.09.1905/ 103-105; Jugend <strong>und</strong> Sozialismus IX-X. In: GL, 15/ 19/<br />

20.09.1905/ 110-111; Jugend <strong>und</strong> Sozialismus XI-XII. In: GL, 15/ 20/ 04.10.1905/ 115-116; Jugend <strong>und</strong> Sozialismus<br />

XII-XIV. In: GL, 15/ 22/ 01.11.1905/ 127-128; Jugend <strong>und</strong> Sozialismus XV-XVI. In: GL, 15/ 24/ 29.11.1905/<br />

139-140; Jugend <strong>und</strong> Sozialismus XVII. In: GL, 15/ 26/ 27.12.1905/ 153.<br />

175 Schulz, Heinrich: „Zehn Gebote für die Männer.“. In: GL, 15/ 25/ 13.12.1905/ 146-147; Nochmals die „Zehn<br />

Gebote für die Männer“. In: GL, 16/ 01/ 10.01.1906/ 3.<br />

122


2.2.2 DER ERSTE WELTKRIEG, DIE ENTLASSUNG ZETKINS IM MAI 1917 UND DER ZIELSETZUNGSWANDEL DER „GLEICHHEIT“<br />

<strong>und</strong> Jugenderziehung 176 , seinen Erziehungsratgeber „Die Mutter als Erzieherin“ (1907) 177 <strong>und</strong><br />

unter dem Pseudonym „Ernst Almsloh“ 178 bekannt. In der Kinderbeilage „Für unsere Kinder“ ver-<br />

öffentlichte Schulz in den Jahren 1905 bis 1910 26 Beiträge. 179<br />

Juchacz <strong>und</strong> Schulz waren nun die neuen verantwortlichen RedakteurInnen der „Gleichheit“.<br />

Daher waren es vermutlich diese beiden, die sich „[i]n eigener Sache“ 180 an die Leserinnen rich-<br />

teten, um ihnen die neuen inhaltlichen Richtlinien der „Gleichheit“ bekanntzugeben. 181 Doch<br />

bevor sie sich den neuen Aufgaben zuwandten, schien es Juchacz <strong>und</strong> Schulz ein dringendes<br />

Bedürfnis, die Entlassung Zetkins als unvermeidbare Notwendigkeit zu rechtfertigen. Der Partei-<br />

vorstand habe aufgr<strong>und</strong> Zetkins gegnerischer Position <strong>und</strong> Mitgliedschaft in einer gegnerischen<br />

Partei, vor allem aber angesichts deren Weigerung, selbst die Konsequenzen daraus zu ziehen,<br />

nicht anders handeln können. Er habe deshalb notgedrungen „seinerseits die Schlußfolgerungen<br />

aus der unerträglich gewordenen Sachlage ziehen“ 182 müssen. Zwar war die neue Redaktion deut-<br />

lich darum bemüht, sich von Zetkins Position abzugrenzen, man wollte aber dennoch nicht deren<br />

persönlichen Verdienste gänzlich übergehen. Diese Verdienste seien<br />

„groß, außergewöhnlich groß <strong>und</strong> werden ihr unvergessen bleiben. Wenn<br />

Leidenschaftlichkeit der Kampfführung <strong>und</strong> Hingabe an die Überzeugung, gepaart<br />

mit hoher Intelligenz <strong>und</strong> nimmermüder Arbeitsamkeit, die einzigen Tugenden<br />

eines sozialdemokratischen Kämpfers wären, so könnten nicht viele in unserer<br />

Millionenpartei den Vergleich mit ihr aushalten.“ 183<br />

Juchacz <strong>und</strong> Schulz bestritten nicht, dass Zetkin über viele herausragende Fähigkeiten <strong>und</strong><br />

Tugenden verfügte. Ihrer Meinung nach waren es jedoch nicht diejenigen, die für eine loyale<br />

Sozialdemokratin maßgeblich zu sein hatten. Zetkin hatte es besonders an Gehorsam gegenüber<br />

der Partei gemangelt. Dies sollte sich nun zumindest für die „neue“ „Gleichheit“ ändern:<br />

„[d]ie ‘Gleichheit’ wird auf dem neuen Wege, den sie fürderhin ohne Klara Zetkin<br />

gehen muß, die wertvollen <strong>und</strong> dauernden Anregungen <strong>und</strong> Arbeiten ihrer<br />

176 Schulz, Heinrich: Erziehung ohne Prügel. In: GL, 16/ 06/ 21.03.1906/ 33 (eine relativ kritische Rezension zu<br />

Julian Borchardts – ebenfalls ein Mitarbeiter der „Gleichheit“ – im Berliner Vorwärts-Verlag erschienener Broschüre<br />

„Wie sollen wir unsere Kinder ohne Prügel erziehen?“ (1906))<br />

177 Entstanden aus einer gleichnamigen Artikelreihe, die Schulz regelmäßig in der „Gleichheit“ veröffentlichte. Siehe<br />

auch: Krauth, Die Mutter als Erzieherin.<br />

178 Vgl. Drust, Für unsere Kinder, S. 197. Einer der unter diesem Pseudonym verfassten Artikel war: Almsloh, Ernst:<br />

Heinrich Heine <strong>und</strong> die Frau. In: GL, 16/ 05/ 07.03.1906/ 25-26.<br />

179 Vgl. Drust, Für unsere Kinder, S. 197.<br />

180 Vgl. In eigener Sache. In: GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 117-118.<br />

181 Auffälligerweise ist der Artikel weder gezeichnet noch wurden in ihm die Namen der neuen RedakteurInnen<br />

genannt.<br />

182 Ebd., S. 117.<br />

183 Ebd.<br />

123


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

bisherigen Herausgeberin gern <strong>und</strong> freudig weiterpflegen. Sie glaubt aber, daß sie<br />

diese ernste Pflicht durch ein treues Festhalten an der sozialdemokratischen Partei,<br />

durch ihre ehrliche <strong>und</strong> gewissenhafte Unterstützung ihrer Politik <strong>und</strong> durch eine<br />

Einwirkung auf die sozialdemokratischen Frauen im Sinne der demokratischen<br />

Unterordnung unter die Beschlüsse der Mehrheiten besser erfüllt, als es die<br />

‘Gleichheit’ während des Krieges, besonders während des letzten Jahres, durch ihre<br />

entgegengesetzte Haltung getan hat. Das Programm der sozialdemokratischen<br />

Partei bleibt nach wie vor die Marschroute der<br />

‘Gleichheit’.“ 184<br />

Die Parteilinie wurde jetzt stärker als bisher das Maß aller Dinge. Die „Gleichheit“ vollzog eine<br />

180-Grad-Wende <strong>und</strong> ordnete sich fortan der männerdominierten Parteispitze <strong>und</strong> den<br />

Mehrheitsbeschlüssen unter. Genau diese Unterordnung verlangte sie auch von ihren Leserinnen.<br />

Im Mittelpunkt ihrer Aufklärungsarbeit stand nun eine frauenspezifische Erziehung zu Partei-<br />

genossenschaft <strong>und</strong> Parteigehorsam. Damit wollte sich die „Gleichheit“ von den allgemein<br />

gehaltenen Informationen der Tagesblätter absetzen. 185 Gleichzeitig aber bedeutete dies auch, dass<br />

sich die „Gleichheit“ aus der kritischen Diskussion der „großen“ Politik zurückzog. „[E]inigend,<br />

versöhnend[…] [<strong>und</strong>] ausgleichend“ 186 wollte die neue Redaktion wirken – auch zwischen den<br />

Geschlechtern. Denn auch wenn sie eine Vertreterin weiblicher Interessen sei, strebe die „Gleich-<br />

heit“ doch keinesfalls die Gründung einer Art weiblicher „Sonderorganisation innerhalb der<br />

Gesamtpartei“ 187 an. Wie schon unter Zetkin beabsichtigte man mittels der „Gleichheit“,<br />

„die arbeitenden Frauen mit der politischen Bewegung vertraut zu machen, ihre<br />

politischen <strong>und</strong> staatsbürgerlichen Pflichten <strong>und</strong> Rechte zu vertreten <strong>und</strong> zu<br />

vertiefen, sie daneben aber auch in alle kulturellen Angelegenheiten, besonders<br />

vom Standpunkt der Frau aus, einzuführen. So wird sie den erziehlichen Aufgaben<br />

der Frau, ihren hauswirtschaftlichen Sorgen, der Ges<strong>und</strong>heitspflege, im weiteren<br />

der Pflege von Kunst <strong>und</strong> Wissenschaft die gebührende Aufmerksamkeit widmen.<br />

Politische Schulung, leichtverständliche Belehrung <strong>und</strong> wertvolle Unterhaltung,<br />

das werden wie bisher die drei wichtigsten Richtlinien für die ‘Gleichheit’ sein.“ 188<br />

Das nun von Juchacz <strong>und</strong> Schulz neu abgesteckte Aufgabenfeld der „Gleichheit“ schien also auf<br />

den ersten Blick nicht auffällig anders zu sein. Die politische Schulung sollte im Mittelpunkt<br />

stehen. Sie politische Schulung sollte laut Juchacz <strong>und</strong> Schulz sogar die „Daseinsberechtigung“ 189<br />

der „Gleichheit“ „neben den Gewerkschaftsblättern […] <strong>und</strong> neben der ‘Gewerkschaftlichen<br />

Frauenzeitung’“ 190 ausmachen. Eine Äußerung, die vermuten lässt, dass durchaus bereits Stimmen<br />

184 Ebd.<br />

185 Ebd., S. 118.<br />

186 Ebd.<br />

187 Ebd.<br />

188 Ebd.<br />

189 Ebd.<br />

190 Ebd.<br />

124


2.2.2 DER ERSTE WELTKRIEG, DIE ENTLASSUNG ZETKINS IM MAI 1917 UND DER ZIELSETZUNGSWANDEL DER „GLEICHHEIT“<br />

laut geworden waren, die die Einstellung der „Gleichheit“ gefordert hatten. War auch die<br />

politische Schulung die offizielle Legitimation für das Weiterbestehen der „Gleichheit“, so wollte<br />

sich die „Gleichheit“ nun doch auch vermehrt nach den „praktischen Interessen“, dem<br />

vermeintlichen „Standpunkt der Frau“ ausrichten. Ein Standpunkt, der nicht, wie es vielleicht<br />

durch den Begriff erscheinen könnte, einen ausgeprochen feministischen Anspruch gehabt hätte.<br />

Die „Gleichheit“ sollte schlicht ein „Familienblatt“ 191 werden – „gern gelesen[…]“ 192 <strong>und</strong> „von<br />

den Arbeiterfrauen stets mit Ungeduld erwartet[…]“ 193 . Es scheint demnach, als ob der Charakter<br />

der unterhaltenden Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ somit mehr oder weniger auf das<br />

Hauptblatt überging, die „Gleichheit“ sozusagen „feuilletonisierte“ 194 . Die Begriffe „Sozialismus“<br />

oder gar „Klassenkampf“ blieben in diesem Konzept ausgespart. Die neue Zielsetzung wurde<br />

auch in dem neuen Untertitel der „Gleichheit“ „Zeitschrift für Arbeiterinnen <strong>und</strong><br />

Arbeiterfrauen“ 195 [Hervorhebungen von M.S.] deutlich. Es rückten mit ihm jene Leserinnen<br />

stärker in den Fokus, die vermutlich die Mehrheit ausmachten – die Arbeiterfrauen, die als<br />

Ehefrauen <strong>und</strong> Hausfrauen sowohl politischer Aufklärung als auch praktischer Belehrung<br />

bedurften. Juchacz wollte auch hinsichtlich der Zielgruppe <strong>und</strong> deren Ansprache unbedingt klare<br />

Verhältnisse <strong>und</strong> damit einen Neubeginn schaffen. 196 Nach Meinung Vormschlags, die die<br />

Veränderungen der „Gleichheit“ aus publizistischer Sicht untersuchte, kann durch diesen<br />

Neubeginn nicht mehr „von einer kontinuierlichen Ansprache“ 197 der „Gleichheit“-Leserinnen<br />

gesprochen werden. Zu einer solchen gehöre neben einer Kontinuität „der äußeren Form auch die<br />

Beibehaltung der geistigen Richtung <strong>und</strong> des Stils“ 198 . Wie das eine, so änderte sich bei der<br />

„Gleichheit“ jedoch auch das andere.<br />

191 Ebd.<br />

192 Ebd.<br />

193 Ebd.<br />

194 Zum Begriff der „Feuilletonisierung“ siehe: Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer<br />

Frauenzeitschriften, S. 20 u. S. 159f.<br />

195 GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 117. Auch Vormschlag betont die große Bedeutung dieser unscheinbar anmutenden<br />

Untertiteländerungen, die 1917, 1919 <strong>und</strong> 1922 vorgenommen wurden: „Die verschiedenen Untertitel der Zeitschrift<br />

in jenen Jahren erweisen sich als Produkt der Unsicherheit, ein neues erfolgreiches Konzept zu finden. Bis<br />

zur letzten Nummer des Jahres 1923 ändert die ‘Gleichheit’ bezeichnenderweise viermal ihren Untertitel, ohne<br />

daß davon die äußere Form <strong>und</strong> der Inhalt der Zeitschrift entscheidend betroffen war.“ (Vormschlag, Inhalte,<br />

Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 77).<br />

196 Diesen Neubeginn verdeutlicht auch ein Blick in das Jahrgangsverzeichnis des 27. Jahrgangs (1917/18). Es wird<br />

eine vollkommen neue Rubrizierung der „Gleichheit“ deutlich, die laut Vormschlag auch eine „veränderte<br />

Einstellung zu einzelnen Problemen dokumentier[e]“ (ebd., S. 99).<br />

197 Ebd.<br />

198 Ebd., S. 100.<br />

125


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Selbstbewusst verkündete Juchacz im August 1917, dass sich die Sozialdemokratinnen wieder mit<br />

neuem Vertrauen geschlossen um ihr Presseorgan sammeln würden. Die „Gleichheit“, so Juchacz,<br />

sei endlich wieder der „geistige[…] Mittelpunkt der Bewegung“ 199 . Bereits einen Monat später<br />

teilte sie mit, dass viele Frauen in den Leserkreis der „Gleichheit“ zurückgekehrt seien. 200 Vor<br />

allem jene Frauen,<br />

„die in der ‘Gleichheit’ mehr suchten als eine regelmäßige gedrängte Übersicht des<br />

tief bedauerlichen Parteizerwürfnisses, die von ihr schlichte Belehrung über<br />

politische Angelegenheiten, sachliche Aufklärung über die mannigfachen Vorgänge<br />

in der Frauenbewegung, aber auch stimmungsvolle Erholung von der Unrast des<br />

öffentlichen Lebens durch schöngeistige Unterhaltung“ 201<br />

erwarteten. Dennoch musste die „Gleichheit“ ihre Leserinnen um Mithilfe bei ihrer Werbung<br />

bitten:<br />

„Jede unserer Leserinnen hat eine Verwandte, eine Fre<strong>und</strong>in, eine Mitarbeiterin,<br />

eine Nachbarin, die eigentlich ihrer wirtschaftlichen Lage <strong>und</strong> ihrer Denkungsweise<br />

nach schon längst Bezieherin der ‘Gleichheit’ sein müßte. An sie tretet heran,<br />

liebe Leserinnen, <strong>und</strong> überzeugt sie von der Notwendigkeit, unser Blatt regelmäßig<br />

lesen zu müssen.“ 202<br />

Die „Gleichheit“ musste wie zu Beginn ihres Bestehens nun vor allem M<strong>und</strong>propaganda<br />

betreiben. Die alten Strukturen hatten sich teilweise aufgelöst. Geblieben war der „neuen“<br />

„Gleichheit“ die alte Konkurrenz durch die „Gewerkschaftliche Frauenzeitung“. Obwohl nun eine<br />

gänzlich andere Redaktion in der „Gleichheit“ am Werk war, hatte die Generalkommission keinen<br />

Gr<strong>und</strong> gesehen, ihr Konkurrenzunternehmen einzustellen. Stattdessen konnte deren Redaktion<br />

laut eines vermutlich von Juchacz verfassten Artikels der „Gleichheit“ freudig erklären, „daß ihre<br />

Auflage seit einigen Wochen auf über 100 000 Stück gestiegen sei“ 203 . Zum Gründungszeitpunkt<br />

hätten, so Juchacz weiter,<br />

„wohl nur wenige auf eine so erfreuliche Entwicklung gehofft. Leider ist während<br />

der gleichen Zeit die Auflage der ‘Gleichheit’ aus einer Reihe von Gründen<br />

erheblich zurückgegangen. Wir sprechen aber die Hoffnung aus, daß nunmehr,<br />

nachdem die Hauptgründe beseitigt worden sind, auch die Leserschar der<br />

‘Gleichheit’ sich wieder in aufsteigender Linie bewegen wird.“ 204<br />

Juchacz sah die „Gewerkschaftliche Frauenzeitung“ nicht als Konkurrenz, zog keinerlei Ver-<br />

bindung zwischen dem Anstieg ihrer Auflage <strong>und</strong> dem Verfall derjenigen der „Gleichheit“. Nach<br />

Ansicht der neuen Redaktion hatte maßgeblich der Krieg den Verlust an Leserinnen verursacht.<br />

199 Auf dem Vormarsch. In: GL, 27/ 23/ 17.08.1917/ 157.<br />

200 Vgl. Juchacz, Marie: Seit vier Monaten. In: GL, 27/ 26/ 28.09.1917/ 181.<br />

201 Ebd.<br />

202 Ebd.<br />

203 Die Frau als Arbeiterin. In: GL, 27/ 19/ 02.06.1917/ 131.<br />

204 Ebd.<br />

126


2.2.2 DER ERSTE WELTKRIEG, DIE ENTLASSUNG ZETKINS IM MAI 1917 UND DER ZIELSETZUNGSWANDEL DER „GLEICHHEIT“<br />

Auch der Redaktionswechsel sei eine kriegsbedingte Maßnahme – „schmerzlich <strong>und</strong> bitter“ 205 ,<br />

aber auch „notwendig <strong>und</strong> unerläßlich“ 206 – gewesen:<br />

„Der Krieg [sei] auch in diesem Falle die Ursache für eine Entscheidung, die vor<br />

dem Kriege niemand in der deutschen Sozialdemokratie für möglich gehalten<br />

hätte.“ 207<br />

Das Ende einer „mehr als fünf<strong>und</strong>zwanzigjährige[n] Tätigkeit einer hochbegabten <strong>und</strong><br />

aufopferungsvollen Frau <strong>und</strong> Kämpferin für die sozialdemokratische Partei“ 208 wurde demnach<br />

dem Krieg bzw. dem Umstand zugeschrieben, dass er für die einen ein Verbrechen, für die<br />

anderen eine Notwendigkeit war. Die dienstbeflissenen StellvertreterInnen der Parteispitze,<br />

Juchacz <strong>und</strong> Schulz, waren der Meinung,<br />

„ein starkes <strong>und</strong> freies Deutschland […][sei] die erste Vorbedingung für eine starke<br />

<strong>und</strong> freie deutsche Arbeiterbewegung sowie für die Fortentwicklung der deutschen<br />

Kultur, dieses wertvollen <strong>und</strong> wichtigen Stückes der allgemeinen Kultur“ 209 .<br />

Ganz im Sinne der Partei verteidigten sie damit den Krieg als eine für die Arbeiterbewegung<br />

förderliche Notwendigkeit. Sie glaubten, dass<br />

„gerade die deutschen Frauen vollstes Verständnis für die Haltung der<br />

sozialdemokratischen Reichstagsfraktion haben, da jede andere Haltung die<br />

ungeheuerliche Gefahr einer deutschen Niederlage, zunächst des Eindringens<br />

feindlicher Heere in deutsches Gebiet, später der Unterbindung <strong>und</strong> Lähmung des<br />

deutschen Wirtschaftslebens herbeiführen würde“ 210 .<br />

Durchhalteparolen <strong>und</strong> Schreckensbilder von einer möglichen Niederlage sollten die Frauen der<br />

SPD gewogen halten. Denn ein baldiger Frieden könne nur durch das vertrauensvolle Beschreiten<br />

des von der Partei eingeschlagenen Weges erreicht werden. Der Zwiespalt der Partei, verursacht<br />

von Oppositionellen wie Zetkin, sei dagegen leider nur dazu geeignet, „sein Kommen zu ver-<br />

langsamen“ 211 . Juchacz <strong>und</strong> Schulz machten demnach die USPD, die in ihr vertretenen Kriegs-<br />

gegnerInnen zum Sündenbock für das Andauern des Krieges. Die von der USPD betriebene<br />

Quertreiberei schade der deutschen Sozialdemokratie <strong>und</strong> dem deutschen Volk.<br />

Zu diesem Zeitpunkt – so kurz nach ihrer Entlassung – stellten die Mehrheitssozialdemokratinnen<br />

ihre ehemaligen Genossinnen Zetkin <strong>und</strong> Zietz noch nicht direkt als Verräterinnen dar. Sie waren<br />

205 In eigener Sache. In: GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 117-118, S. 117.<br />

206 Ebd.<br />

207 Ebd.<br />

208 Ebd.<br />

209 In eigener Sache. In: GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 117f.<br />

210 In eigener Sache. In: GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 118.<br />

211 Ebd.<br />

127


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

ihnen eher verdienstvolle aber irrgläubige „Lehrmeisterin[nen]“ 212 , denen man die Gefolgschaft<br />

hatte versagen müssen. Je stetiger sich die neue sozialdemokratische Frauenbewegung jedoch<br />

konsolidierte, desto mehr suchte sie die Abgrenzung zu ihrer Vergangenheit <strong>und</strong> beurteilte das<br />

Verhalten Zetkins <strong>und</strong> Zietz’ schließlich wesentlich negativer:<br />

„Drei Jahre lang krankte die proletarische Frauenbewegung an innerer<br />

Zerrissenheit <strong>und</strong> Unklarheit des Wollens. Die Masse der Frauen wollte sich gefühlsmäßig<br />

im gleichen Schritt <strong>und</strong> Tritt mit ihren Männern halten, also der<br />

bewährten Politik der sozialdemokratischen Partei folgen; sie wurde aber irre<br />

gemacht durch das Verhalten langjähriger Führerinnen, die offen <strong>und</strong> im geheimen<br />

den Anschluß der proletarischen Frauenbewegung an eine neugegründete<br />

sozialistische Partei vorbereiteten.“ 213<br />

Zetkin habe demnach eine Art Verschwörung im Sinn gehabt <strong>und</strong> glücklicherweise habe die SPD<br />

diesen Schaden begrenzen können. Die gut besuchten Werbeversammlungen <strong>und</strong> die<br />

zunehmenden Mitglieds- <strong>und</strong> Abonnementszahlen belegten den Erfolg dieser Schadens-<br />

begrenzung.<br />

Deshalb hatte sich die neue Redaktion vorgenommen, Provokationen Zetkins gänzlich zu<br />

ignorieren. 214 Gr<strong>und</strong>satz sollte sein, „die ‘Gleichheit’ nicht zu einem Tummelplatz für Parteistreit,<br />

Rechthaberei <strong>und</strong> Gezänke zu machen“ 215 <strong>und</strong> deshalb sollte z.B. im September 1918 nur<br />

„ausnahmsweise einmal auf einen Angriff der ‘Frauenbeilage der Leipziger Volkszeitung’“ 216<br />

eingegangen werden. Auch von dem „dreimal“ revolutionären Diskussionsstil auf den Ver-<br />

anstaltungen wollte man sich abgrenzen. Freudig stellte Blos für die erste von Juchacz als Frauen-<br />

sekretärin einberufene Frauenkonferenz am 7. Juli 1917 fest, dass dort „weniger schwungvoll <strong>und</strong><br />

weniger häufig vom Klassenkampf <strong>und</strong> vom revolutionären Sozialismus gesprochen“ 217 worden<br />

sei. Dadurch habe nun im Mittelpunkt einer solchen Veranstaltung „[k]eine radikale Phraseologie,<br />

dafür mehr praktische Arbeit im Dienst des Sozialismus“ 218 gestanden. Die kritisierte „Phra-<br />

seologie“ war jedoch tatsächlich weder aus den Diskussionen der proletarischen Frauenbewegung<br />

noch aus der „Gleichheit“ verbannt. Das zeigt bereits dieser von Blos gegen Zetkin <strong>und</strong> ihre<br />

212 Reitze, Johanna: Was nun? In: GL, 27/ 22/ 154/ 03.08.1917/ 154.<br />

213 Auf dem Vormarsch. In: GL, 27/ 23/ 17.08.1917/ 157.<br />

214 Zetkins polemische Bezeichnungen für die Mitglieder der SPD waren vielfältig: „Pseudosozialisten“,<br />

„Rechtssozialisten“, „Reformsozialisten“, „die Ebert-Scheidemänner“ (Zetkin, Rede – gehalten auf dem USP-<br />

Parteitag am 04.03.1919, S. 4ff.), „Umlerner“, „Nationalsoziale“ (Die Auseinandersetzung in der<br />

Sozialdemokratie. In: GL, 27/ 12/ 16.03.1917/ 79) oder „Sozialimperialisten“ (Die Auseinandersetzung in der<br />

Sozialdemokratie. In: GL, 27/ 14/ 13.04.1917/ 91) <strong>und</strong> deren Maßnahmen gegen oppositionelle Parteimitglieder<br />

als “Gewaltakte“ (ebd.), die schließlich den zu erwartenden Klärungsprozess beschleunigt hätten.<br />

215 „Unabhängiger“ Kampf gegen die Gesetzentwürfe. In: GL, 18/ 26/ 27.09.1918/ 201-202, S. 201.<br />

216 Ebd.<br />

217 Blos, Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 91.<br />

218 Ebd.<br />

128


2.2.2 DER ERSTE WELTKRIEG, DIE ENTLASSUNG ZETKINS IM MAI 1917 UND DER ZIELSETZUNGSWANDEL DER „GLEICHHEIT“<br />

Gefolgsfrauen gerichtete Seitenhieb. Die Polemik der „neuen“ „Gleichheit“ machte sich ab jetzt<br />

nur an einem entsprechend veränderten Feindbild fest <strong>und</strong> es mangelte ihr zudem an einer<br />

besonderen agitatorischen Wirksamkeit.<br />

Vormschlag bestätigt in ihrer Untersuchung den von Juchacz <strong>und</strong> Schulz sogar offen für die<br />

sozialdemokratische Frauenbildung angekündigten Rückzug aus der „großen“ Politik. Seit dem<br />

Redaktionswechsel seien keine „parteipolitische Auseinandersetzungen“ 219 mehr dargestellt<br />

worden <strong>und</strong> „der aggressive Ton, der gerade diese Beiträge gekennzeichnet“ 220 habe, sei „den<br />

nüchternen Worten der sozial- <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitspolitischen Berichte“ 221 gewichen. Laut<br />

Vormschlag habe sich die neue Redaktion „[i]n der Angst, die Leserinnen zu verscheuchen, […]<br />

von der Tagespolitik ab[gekapselt] <strong>und</strong> […] ängstlich jede aktuelle Diskussion [vermieden]“ 222 .<br />

Die „Gleichheit“ habe so in Bezug auf aktuelle Themen „Enthaltsamkeit“ 223 <strong>und</strong> damit auch einen<br />

„bewußte[n] Verzicht auf Einflußnahme“ 224 geleistet. Diese Einschätzung ist m. E. jedoch<br />

angesichts des von Juchacz <strong>und</strong> Schulz entworfenen neuen Redaktionsstatuts <strong>und</strong> der dargestellten<br />

Umgangsweise mit ihren Vorgängerinnen zu spezifizieren. Die „neue“ „Gleichheit“ bewies<br />

durchaus noch einen aggressiven Ton <strong>und</strong> Interesse für die parteipolitischen <strong>und</strong> tagesaktuellen<br />

Themen, jedoch war ihr Blickwinkel ein anderer <strong>und</strong> besonders einseitiger. Den agressiven Ton<br />

bewies sie nun vor allem gegenüber der USPD-Konkurrenz <strong>und</strong> nach Kriegsende gegenüber den<br />

Siegermächten. Die sehr wohl innerhalb der „Gleichheit“ geführten Diskussionen, die Angriffe<br />

gegen die USPD <strong>und</strong> die politischen Artikel verfolgten eine ganz bestimmte Intention: Die<br />

„Gleichheit“-Leserinnen zu überzeugten Sozialdemokratinnen <strong>und</strong> nach 1918 zu überzeugten<br />

Republikanerinnen zu erziehen. Diese einseitige parteidisziplinäre Sichtweise war es, die die von<br />

Vormschlag festgestellte „Enthaltsamkeit“ ausmachte. Sie war es, die die politische Passivität der<br />

SPD-Frauen auf fatale Weise begünstigte. In der Auseinandersetzung mit der Konkurrenz von<br />

links versäumte die „Gleichheit“ <strong>und</strong> auch ihre Nachfolgerinnen die Gefahr von rechts<br />

vehementer zu bekämpfen.<br />

219 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 100.<br />

220 Ebd.<br />

221 Ebd.<br />

222 Ebd.<br />

223 Ebd., S. 101.<br />

224 Ebd.<br />

129


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

2.2.3 Die Redakteurinnen der „neuen“ „Gleichheit“<br />

Die Umstände, unter denen die 38-jährige Juchacz die Redaktion der „Gleichheit“ übernahm,<br />

waren ungewöhnlich schwierig. Deutschland stand kurz vor einer verheerenden Kriegsniederlage<br />

<strong>und</strong> die Lebenssituation der meisten Deutschen war miserabel. Die SPD war gespalten <strong>und</strong> viele<br />

ParteigenossInnen standen sich nun als GegnerInnen gegenüber. Nichts davon konnte die<br />

„Gleichheit“ unberührt lassen. Der anfangs bejubelte Krieg schien nicht enden zu wollen <strong>und</strong> die<br />

allgemeine Unzufriedenheit nahm zu. Sie fand schließlich ihren Höhepunkt in der<br />

Novemberrevolution 1918. Als Träger der Revolution sah die „Gleichheit“, die in ihrer<br />

Berichterstattung in diesem Fall jedoch alles andere als aktuell sein konnte 225 , nicht nur die<br />

Arbeiter <strong>und</strong> Soldaten, sondern auch als die „Dritten im B<strong>und</strong>e: die Frauen!“ 226 . Das Ende des<br />

Krieges <strong>und</strong> das Ende der Monarchie, die Gr<strong>und</strong>legung zu einer demokratischen Republik, das<br />

Frauenwahlrecht, die allesamt als Ergebnisse aus dieser Revolution hervorgingen, seien aktiv von<br />

den Frauen herbeigeführt worden – auch wenn sie quasi „[ü]ber Nacht“ 227 gekommen seien. Aus<br />

dieser Situation heraus waren es vor allem Themen, die die Neuorientierung der SPD 228 , die<br />

Konstituierung der Republik <strong>und</strong> das Frauenwahlrecht betrafen, mit denen sich Juchacz kurz nach<br />

Übernahme der „Gleichheit“-Redaktion befasste. Dagegen hatte sie sich zuvor als Mitarbeiterin<br />

unter Zetkin kaum durch größere Artikel hervorgehoben. 229<br />

Juchacz steht für eine Generation jüngerer Sozialdemokratinnen, die die Zeit des<br />

Sozialistengesetzes, das gemeinsame Ringen von <strong>weiblichen</strong> <strong>und</strong> männlichen Sozialdemokraten<br />

um Parteitheorie <strong>und</strong> politische Beteiligung nicht als politisch Aktive miterlebt hatten. Sie hatten<br />

die SPD nicht mehr kennengelernt als eine durch die politische Repression der Sozialistengesetze<br />

225 Die „Gleichheit“-Redaktion gab folgende Erklärung: „Da die Redaktion unserer Zeitschrift der Fertigstellung <strong>und</strong><br />

Beförderung wegen ungefähr 2 Wochen vor dem Erscheinungstermin jeder einzelnen Nummer abschließen muß,<br />

so konnte in der vorigen Nummer die große revolutionäre Umwälzung leider kaum eine Erwähnung finden,<br />

obwohl die Nummer das Datum des 22. November trägt. Wir bitten wegen diesen Schwierigkeiten, die besonders<br />

jetzt infolge der mangelhaften Beförderungsverhältnisse unvermeidlich sind, um Entschuldigung. Redaktion der<br />

Gleichheit.“ (Ohne Titel. In: GL, 29/ 05/ 06.12.1918/ 40).<br />

226 Ohne Titel. In: GL, 29/ 05/ 06.12.1918/ 33.<br />

227 Ebd. Vier Monate zuvor hatte Juchacz noch von einem außerparlamentarischen Gespräch zwischen Führerinnen<br />

der proletarischen <strong>und</strong> bürgerlichen Frauenstimmrechtsbewegung <strong>und</strong> Mitgliedern des Ausschusses für<br />

Bevölkerungspolitik das Frauenwahlrecht betreffend berichtet (vgl. [Juchacz, Marie?] M. J.: Eine wichtige<br />

Sitzung. In: GL, 28/ 22/ 02.08.1918/ 170-171).<br />

228 [Juchacz, Marie?] M. J.: Das Aktionsprogramm der deutschen Sozialdemokratie. In: GL, 28/ 19/ 21.06.1918/ 145-<br />

146.<br />

229 Der früheste Artikel, der Juchacz im Rahmen der vorliegenden Arbeit zugeordnet werden konnte, erschien 1911<br />

<strong>und</strong> war ein Bericht von der sozialdemokratischen Frauenorganisation in Rixdorf (vgl. Juchacz, Marie: Bericht<br />

von der Frauenorganisation in Rixdorf. In: GL, 21/ 18/ 05.06.1911/ 280-281). Diesem Artikel folgten noch einige<br />

weitere Beiträge über regionale Organisationen: Juchacz, M[arie]: Im siebten sächsischen Reichstagswahlkreis …<br />

In: GL, 22/ 20/ 26.06.1912/ 312; Juchacz, Marie: Jahresbericht der Genossinnen des Wahlkreises Teltow-<br />

Beeskow, Storkow-Charlottenburg. … In: GL, 23/ 02/ 16.10.1912/ 26.<br />

130


2.2.3 DIE REDAKTEURINNEN DER „NEUEN“ „GLEICHHEIT“<br />

geschulte <strong>und</strong> in der Illegalität sich konsolidierende revolutionäre Untergr<strong>und</strong>organisation,<br />

sondern als eine demokratische Repräsentantin in einem bürgerlichen Parteiensystem. 230 Eine<br />

solche SPD brauchte keine <strong>Klassenkämpferinnen</strong> mehr, sondern Wählerinnen. Euphorisch be-<br />

grüßte die „Gleichheit“ das Frauenwahlrecht <strong>und</strong> den Sturz der Monarchie:<br />

„Gestern noch sperrten die Gewalthaber einer vergangenen Zeit dem Werdenden<br />

einer neuen Zeit einsichtslos <strong>und</strong> herausfordernd den Weg.<br />

Heute liegen sie überw<strong>und</strong>en, entwurzelt, gebrochen, ohnmächtig irgendwo abseits<br />

vom Wege <strong>und</strong> warten des Straßenfegers, der sie auf den Kehrichthaufen der<br />

Geschichte wirft.<br />

Gestern noch waren die deutschen Frauen unfrei, ein unterdrücktes Geschlecht, das<br />

auch der erwachenden Demokratie nur mühsam kleine Zugeständnisse abringen<br />

konnte.<br />

Heute sind die deutschen Frauen die freiesten der Welt. Sie haben die volle <strong>und</strong><br />

unbedingte Gleichberechtigung mit dem Manne, sie können zu allen Körperschaften<br />

wählen <strong>und</strong> gewählt werden.“ 231<br />

Wenn auch das Erreichte Anlass sowohl zum Jubel als auch zum Spott gegenüber dem<br />

geschlagenen System gab, so sah die „Gleichheit“ doch auch Anlass zur Besinnung. Denn<br />

„Millionen von Männern haben erst in fürchterlichstem Brudermord fallen müssen, ehe die Bahn<br />

für [die Frauen][…] frei“ 232 geworden sei. Obwohl es nicht das Frauenwahlrecht war, dem dieser<br />

Bruderkampf gegolten hatte, sollten sich die deutschen Frauen, so Juchacz, „dieser Opfer würdig<br />

<strong>und</strong> dankbar“ 233 erweisen. Zudem sollten sie nicht vergessen, „daß es die Demokratie <strong>und</strong> der<br />

Sozialismus waren, die [ihnen][…] die Freiheit <strong>und</strong> die Gleichheit gebracht“ 234 hätten. Es<br />

beunruhigte Juchacz in besonderer Weise, dass dieses in Vergessenheit geraten <strong>und</strong> die Frauen<br />

sich gegenüber der Opfer, die dies gekostet hatte, <strong>und</strong>ankbar erweisen könnten. Deshalb ließ sie<br />

der euphorischen Bekanntgabe einen Artikel folgen, in dem sie nochmals die vielen an die Frauen<br />

gestellten Erwartungen formulierte:<br />

„Wo Rechte gegeben werden, werden auch Pflichten verlangt. Die Wahlen zur<br />

gesetzgebenden Nationalversammlung stehen bevor. Bei diesen Wahlen wird das<br />

Verhalten der Frauen von ausschlaggebender Bedeutung für das zukünftige<br />

Geschick der jungen deutschen Republik sein.“<br />

Die geschulten sozialdemokratischen Genossinnen waren nun gefordert. Sie mussten auf das<br />

230 Für eine eingehendere Betrachtung der neuen SPD-Frauengeneration siehe: Wickert, Unsere Erwählten, Bd. 1.<br />

Wickert analysiert vor allem die politischen Werdegänge derjenigen Frauen, die in der Weimarer Republik als<br />

Abgeordnete des Reichstages wirkten. Die Arbeit enthält eine wertvolle Zusammenstellung biographischer<br />

Informationen, auf die teilweise im anhängenden Verzeichnis biographischer Literatur detaillierter verwiesen<br />

wird. Außerdem sind alle <strong>weiblichen</strong> Reichstagsabgeordneten auch in der Online-Datenbank BIOSOP, alle<br />

<strong>weiblichen</strong> Landtagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Online-Datenbank BIOWEIL erfasst.<br />

231 [Ohne Titel] In: GL, 29/ 05/ 06.12.1918/ 33.<br />

232 Ebd.<br />

233 Ebd.<br />

234 Ebd.<br />

131


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Wahlverhalten der Frauen einwirken, mussten es zugunsten der SPD zum Ausschlag bringen.<br />

Daher war es taktisch erforderlich, dass eben jene Genossinnen regelmäßig auf allgemeinen<br />

Versammlungen sprachen <strong>und</strong> dass wieder sowohl besondere Frauenversammlungen als auch die<br />

nach 1908 teilweise aufgelösten Frauenabende stattfanden. Eine massive Agitation unter den<br />

Frauen musste wieder aufgebaut <strong>und</strong> koordiniert werden. Zumindest was die Sozialdemokratinnen<br />

betraf, setzte Juchacz darauf, dass sie schließlich<br />

„durch jahrelanges Lesen der Parteizeitungen <strong>und</strong> unserer Literatur soweit<br />

vorgebildet [seien], daß nicht allzuviel dazu gehör[e], um sie für die planmäßige<br />

Agitation zu verwenden“ 235 .<br />

Die aufklärende Agitation unter allen Frauen sei „jetzt die dringendste Aufgabe“ 236 , hinter<br />

der „alles andere zurückstehen“ 237 müsse, denn die Sozialdemokratinnen wollten sich<br />

„nicht sagen lassen, daß die Republik in ihrer Weiterentwicklung zum<br />

Sozialismus durch die politische Rückständigkeit der Frauen gehemmt<br />

worden“ 238<br />

sei. Deshalb widmete die „Gleichheit“-Redakteurin Juchacz ihre Artikel besonders der<br />

staatsbürgerlichen Schulung der Frauen <strong>und</strong> machte diese mit der Verfassung der neuen Republik<br />

vertraut. 239 Sie bemühte sich außerdem die sozialistische Idee einer internationalen Solidarität zu<br />

reaktivieren 240 . Ein Anliegen, dem auch die Ausrichtung von Frauentagen <strong>und</strong> der gesetzlich<br />

verankerte 1. Mai-Feiertag zuträglich war. 241 Auch die Regierungsbeteiligung der SPD <strong>und</strong> die<br />

schwierige Konkurrenzsituation mit der USPD 242 waren Themen der von Juchacz verfassten<br />

Artikel. 243 Später befasste sie sich auffällig oft mit Besprechungen zu Büchern bürgerlicher<br />

235 Juchacz, Marie: An die Arbeit! In: GL, 29/ 05/ 06.12.1918/ 34.<br />

236 Ebd.<br />

237 Ebd.<br />

238 Ebd. Weitere ihrer Artikel zu den Verdiensten der SPD um das Frauenwahlrecht <strong>und</strong> die Schulung der Agitatorinnen<br />

waren: Juchacz, Marie: Die Sozialdemokratie <strong>und</strong> die Frauen. In: GL, 29/ 07/ 03.01.1919/ 50-51;<br />

[Juchacz, Marie?] M. J.: Ein R<strong>und</strong>blick über unsere Frauenbewegung. In: GL, 29/ 08/ 17.01.1919/ 59-60;<br />

[Juchacz, Marie?] M. J.: Was nun? In, GL 29/ 09/ 31.01.1919/ 67-68; Juchacz, Marie: Was hat der 9. November<br />

den Frauen gebracht? In: GL, 29/ 38/ 08.11.1919/ 298.<br />

239 Juchacz, Marie: Die Verfassung des Deutschen Reiches. In: GL, 29/ 25/ 09.08.1919/ 194-195 bis GL, 29/ 33/<br />

04.10.1919/ 258-259.<br />

240 Juchacz, Marie: An die sozialistischen Frauen <strong>und</strong> Mütter aller Länder. In: GL, 29/ 18/ 06.06.1919/ 142.<br />

241 Juchacz, Marie: Der erste gesetzlich eingeführte Maifeiertag im neuen Deutschland. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/<br />

122; Juchacz, Marie (i.A. des Parteivorstandes): Maiaufruf zum Frauentag. In: GL, 30/ 18/ 01.05.1920/ 129-130<br />

(dieser Artikel berichtete über den Beschluss des Parteivorstandes, vom 9.-16. Mai 1920 einen Frauentag zu<br />

veranstalten).<br />

242 Juchacz, Marie: Leipzig. In: GL, 32/ 03/ 01.02.1922/ 21 (dies war ein Bericht zur zweiten Reichsfrauenkonferenz<br />

<strong>und</strong> den Parteitag der USPD, der vom 8.-12. Januar 1922 in Leipzig stattfand <strong>und</strong> auf dem noch keine Einigung<br />

der beiden Sozialdemokratien abzusehen war).<br />

243 Juchacz, Marie: Der Eintritt der Sozialdemokraten in die Regierung. In: GL, 31/ 11/ 01.06.1921/ 101-102.<br />

132


2.2.3 DIE REDAKTEURINNEN DER „NEUEN“ „GLEICHHEIT“<br />

Frauenrechtlerinnen 244 <strong>und</strong> schließlich mit der von ihr 1919 gegründeten Arbeiterwohlfahrt 245 .<br />

Dieser Bereich der sozialen Arbeit bot den Frauen zwar besondere Möglichkeiten politischer<br />

Anteilnahme, war zugleich aber auch eine Art Abstellgleis.<br />

Das Verhältnis der beiden neuen „Gleichheit“-RedakteurInnen zueinander scheint nicht<br />

unproblematisch gewesen zu sein. Schulz soll Juchacz nachgesagt haben, dass sie „weder<br />

Erfahrung noch Begabung für eine Redakteurstätigkeit“ 246 habe <strong>und</strong> die „Gleichheit“ lediglich<br />

„nominell […] leite“ 247 . Zumindest das Hauptblatt vermittelt jedoch einen genau gegenteiligen<br />

Eindruck. Im Februar 1919 beendeten Juchacz <strong>und</strong> Schulz ihre Tätigkeit in der „Gleichheit“-<br />

Redaktion, denn beide waren als Abgeordnete in die Nationalversammlung gewählt worden,<br />

Schulz zudem auch in den Parteivorstand. Mit Nummer 15 des 29. Jahrgangs wechselte die<br />

Verantwortlichkeit für die Redaktion der „Gleichheit“ in die Hände der bisherigen Mitarbeiterin<br />

Clara Bohm-Schuch (1879-1936) 248 . 249<br />

Bereits 1906 wurde ein von Klara Bohm verfasstes Gedicht in der „Gleichheit“ veröffentlicht 250<br />

<strong>und</strong> in einer Notiz ihre Tätigkeit als Referentin erwähnt. 251 Doch erst für die „neue“ „Gleichheit“<br />

244 [Juchacz, Marie?] mj.: Heuss-Knapp, Elly: Bürgerk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Volkswirtschaftslehre. In: GL, 27/ 24/ 31.08.1917/<br />

171; [Juchacz, Marie?] M. J.: Kirchhoff, Auguste: Frauenrechte – Volksrechte. In: GL, 28/ 06/ 21.12.1917/ 47. Für<br />

die nun weit positivere Einschätzung bürgerlicher Publikationen spricht auch, dass Juchacz die Zeitschrift „Die<br />

Frau“ (1893/94-1943/44) als von Lange <strong>und</strong> Bäumer „vorzüglich geleitet[…]“ (Ein Urteil bürgerlicher Frauen. In:<br />

GL, 28/ 26/ 17.09.1918/ 202-203, S. 202) <strong>und</strong> „bekannt“ (ebd.) bezeichnete.<br />

245 Juchacz, Marie: Arbeiterwohlfahrt. In: GL, 31/ 17/ 01.09.1921/ 161-162.<br />

246 Wachenheim, Vom Großbürgertum zur Sozialdemokratie, S. 84.<br />

247 Ebd. Schulz‘ Überheblichkeit <strong>und</strong> auch sein Hang zum Opportunismus wurde nicht nur von vielen USPD-<br />

Mitgliedern (z. B. Rühle, Illustrierte Kultur- <strong>und</strong> Sittengeschichte des Proletariats, S. 250f.) kritisiert, sondern fiel<br />

auch seinen ParteigenossInnen auf (vgl. Wachenheim, Vom Großbürgertum zur Sozialdemokratie, S. 84f.)<br />

248 Clara Bohm-Schuch, geb. Bohm, entstammte einem kleinbäuerlichen Elternhaus in Stechow <strong>und</strong> hatte fünf<br />

Geschwister. Nach der Dorfschule, arbeitete sie als Dienstmädchen <strong>und</strong> Verkäuferin, besuchte dann eine Handelsschule<br />

in Berlin-Rixdorf. Neun Jahre lang arbeitete sie als kaufmännische Buchhalterin <strong>und</strong> Korrespondentin.<br />

1904 besuchte sie eine Versammlung, auf der Rosa Luxemburg (1871-1919) referierte, <strong>und</strong> trat seitdem selbst als<br />

Rednerin <strong>und</strong> Initiatorin kultureller Veranstaltungen der Arbeiterbewegung <strong>und</strong> der SPD auf. Sie wurde Mitglied<br />

im „Verein für Frauen <strong>und</strong> Mädchen der Arbeiterklasse” <strong>und</strong> schließlich Leiterin der Berlin-Neuköllner<br />

Kinderschutzkommission. Bohm-Schuch war Initiatorin des ersten Berliner „Heims für arbeitende Jugendliche”<br />

<strong>und</strong> verschiedener kommunaler Mütterberatungsstellen. 1905 (oder 1906) heiratete sie den Kaufmann Willy<br />

Schuch <strong>und</strong> brachte Tochter Clara Maria zur Welt. Seit 1907 verrichtete sie ehrenamtliche Arbeit in der<br />

Gemeindefürsorge. 1916 veröffentlichte sie die Broschüre „Die Kinder im Weltkriege“. 1919 wurde sie<br />

Abgeordnete der Nationalversammlung. Als Mitglied im „Ausschuß zur Erforschung der Kriegsschuld”<br />

boykottierte sie die Abstimmung über die Annahme des Versailler Vertrages. 1920-1933 war sie Reichstagsabgeordnete.<br />

Ihr besonderes Engagement galt Fragen des Kinder- <strong>und</strong> Jugendschutzes. Sie war langjährige<br />

Schriftführerin des Reichstagspräsidiums, Mitarbeiterin in der AWO <strong>und</strong> in der Kinderfre<strong>und</strong>ebewegung. 1933<br />

wurde sie kurzzeitig von der Gestapo in Haft genommen, weil sie sich bei Hermann Göring wegen der<br />

Misshandlung der Berliner Stadtabgeordneten Marie Jankowski durch SA-Schläger beschwert hatte. 1936 starb<br />

Bohm-Schuch <strong>und</strong> ihre große Trauerfeier wurde zu einer politischen Demonstration gegen den Nationalsozialismus.<br />

249 Vgl. In eigener Sache. In: GL, 29/ 14/ 11.04.1919/ 112.<br />

250 Bohm, Klara: Rosen. In: GL, 16/ 13/ 27.06.1906/ 90. Dieses <strong>und</strong> weitere Gedichte sind im Anhang enthalten.<br />

251 Vgl. Bohm-Schuch, Klara: Über den sittlichen Wert der sexuellen Aufklärung in der Arbeiterfamilie sprach die<br />

133


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

verfasste Bohm-Schuch vermehrt größere Artikel u. a. zu Themen der Bevölkerungspolitik 252 <strong>und</strong><br />

der Frauenerwerbstätigkeit 253 .<br />

Außerdem übernahm sie die Ausgestaltung der Rubrik „Politische R<strong>und</strong>schau“ 254 . Bohm-Schuch<br />

setzte sich besonders mit der politischen Konkurrenz der SPD von links <strong>und</strong> rechts auseinander 255<br />

<strong>und</strong> votierte vor allem für die Ablehnung des Versailler Vertrages. Die in ihm enthaltenen Be-<br />

dingungen (Reparationen, Kolonieabtritte <strong>und</strong> Kriegsschuldzuweisung) belasteten nach Meinung<br />

Bohm-Schuchs die junge Republik für lange Zeit mit einem Erbe, das sie nicht zu verantworten<br />

habe.<br />

„Die junge Republik Deutschland soll büßen für die Sünden des Imperialismus <strong>und</strong><br />

des Kapitalismus, die die Monarchie Deutschland heraufbeschwor.“ 256<br />

Der Versailler Vertrag sei ein „Friede der Gewalt“ 257 , „nackt <strong>und</strong> brutal“ 258 , der die Deutschen nach<br />

dem endlich abgeschüttelten Monarchismus nun „in die Fessel des Ententekapitalismus <strong>und</strong><br />

Imperialismus“ 259 der Feinde schlage. Unter diesen Bedingungen sah Bohm-Schuch ein Erstarken<br />

des zerstörerischen Bolschewismus voraus. Dieser sei<br />

„wie eine rasende, zehrende Glut, die unter den Händen des Unterdrückers<br />

aufspringt, vernichtet was in ihren Bereich kommt <strong>und</strong> – zusammenfällt, trostlose<br />

ausgebrannte Trümmer zurücklassend. Er ist die Gewalt der Empörung gegen die<br />

Gewalt der Unterdrückung.“ 260<br />

Aber nicht nur, dass der Friedensvertrag die bolschewistischen Tendenzen fördere, er schwäche<br />

außerdem gerade den Sozialismus, der laut Bohm-Schuch “Gleichheit, Brüderlichkeit <strong>und</strong><br />

Unterzeichnete … In: GL, 22/ 16/ 29.04.1912/ 250; In Begesack <strong>und</strong> Blumenthal fanden gut besuchte Versammlungen<br />

mit dem Thema statt: „Die sexuelle Aufklärung in der Arbeiterfamilie“. In: GL, 23/ 14/ 02.04.1913/<br />

217-218.<br />

252 Bohm-Schuch, Klara: Bevölkerungspolitik. In: GL, 28/ 04/ 23.11.1917/ 25-27.<br />

253 Bohm-Schuch, Klara: Die Frauenarbeit in der Übergangswirtschaft. In: GL, 28/ 21/ 19.07.1918/ 163-165 <strong>und</strong> GL,<br />

28/ 22/ 02.08.1918/ 171-172 (dieser zweiteilige Artikel berichtete über eine vom 20.-21. Juni 1918 in Berlin<br />

stattfindende Tagung, die gemeinsam von BDF <strong>und</strong> dem ständigen Ausschuss zur Förderung der<br />

Arbeiterinneninteressen ausgerichtet wurde.<br />

254 Vgl. Bohm-Schuch, Klara: Aus aller Welt <strong>und</strong> dem Reichstag. 28/ 18/ 07.06.1918/ 138-139. Darin berichtete<br />

Bohm-Schuch relativ unspektakulär über den Sturz des Kaisertums <strong>und</strong> der immer realistischer werdenden<br />

Verfassungsänderung zugunsten eines Frauenwahlrechts (vgl. Bohm-Schuch, Klara: Verfassungsänderung zur<br />

Zuständigkeit des Parlaments für Militärangelegenheiten. In: GL, 29/ 04/ 22.11.1918/ 28-29).<br />

255 Vgl. Bohm-Schuch, Klara: Gegen rechts <strong>und</strong> links! In: GL, 29/ 06/ 20.12.1918/ 43-45; Warum müssen die Frauen<br />

sozialdemokratisch wählen? In: GL, 29/ 07/ 03.01.1919/ 49-50 (hierin richtete sich Bohm-Schuch vor allem gegen<br />

die bürgerlichen Parteien, die vor der Revolution nichts vom Frauenwahlrecht hatten wissen wollen); Im Wahlkampf.<br />

In: GL, 29/ 10/ 14.02.1919/ 73f (dieser Artikel enthielt den Vorwurf an die Spartakisten <strong>und</strong> die USPD,<br />

durch ihr Verhalten die Alldeutschen gestärkt zu haben).<br />

256 Warum auch für uns „unannehmbar“. In: GL, 29/ 18/ 06.06.1919/ 138.<br />

257 Bohm-Schuch, Klara: Friede! In: GL, 29/ 20/ 05.07.1919/ 153.<br />

258 Ebd.<br />

259 Ebd.<br />

260 Ebd.<br />

134


Menschenliebe“ 261 symbolisiere.<br />

2.2.3 DIE REDAKTEURINNEN DER „NEUEN“ „GLEICHHEIT“<br />

Unter der Redaktion Bohm-Schuchs änderte die „Gleichheit“ ein zweites Mal ihren Untertitel <strong>und</strong><br />

machte damit noch einmal unmissverständlich deutlich, welchem linkspolitischen Lager sie sich<br />

verpflichtet fühlte. Der Untertitel „Zeitschrift für die Frauen der Sozialdemokratischen Partei<br />

Deutschlands” 262 manifestierte die Verb<strong>und</strong>enheit der „Gleichheit“ mit der SPD <strong>und</strong> legte zum<br />

ersten Mal den Identifikationschwerpunkt auf die Zugehörigkeit zu einer Partei statt zu einer<br />

Klasse. Weitere Ereignisse, mit denen sich Bohm-Schuch als Redakteurin der „Gleichheit“ in den<br />

Wirren der ersten Republik <strong>und</strong> angesichts ihrer politischen Hemmnisse auseinanderzusetzen<br />

hatte, waren die Schuldfrage 263 , das Schicksal der deutschen Kriegsgefangenen 264 <strong>und</strong> der Kapp-<br />

Putsch im März 1920 265 .<br />

Am 31. Januar 1922 trat Bohm-Schuch nach dreijähriger Tätigkeit auf eigenen Wunsch von der<br />

Redaktion der „Gleichheit“ zurück. Der Parteivorstand übertrug die Schriftleitung der bisherigen<br />

ständigen Mitarbeiterin Elli Radtke-Warmuth (?-?) 266 . 267 Zu ihrer Person ist nur wenig bekannt.<br />

Sie scheint aus Köln zu stammen, denn bereits im Juli 1918 erschien ein mit „E.R. (Köln)“<br />

gezeichneter Artikel, mit welchem die Redaktion in der erstmals eingerichteten Rubrik „Freie<br />

Aussprache“ Folgendes bekannt gab:<br />

„Unter dieser Rubrik veröffentlichen wir Einsendungen, für die die Redaktion der<br />

‘Gleichheit’ den Einsenderinnen die sachliche Verantwortung überläßt, die sie aber<br />

als Anregungen zur öffentlichen Erörterung in der ‘Gleichheit’ oder in den<br />

Zusammenkünften der Frauen geeignet hält. Wir fordern unsere Leserinnen zur<br />

regen Mitarbeit auf, wobei wir den Gegenstand völlig der freien Wahl der Frauen<br />

261 Ebd. Die Verantwortlichen für die Friedensannahme wurden von den deutschen Nationalisten als „Erfüllungspolitiker“<br />

beschimpft. Insgesamt stärkte der Versailler Vertrag die erneute nationalistische Hetze <strong>und</strong> war<br />

Hemmnis für den republikanischen Identifikationsprozess. Die „Gleichheit“ bewies Parteitreue, indem sie die<br />

Entscheidung ihrer Partei rechtfertigte, aber auch nach Inkrafttreten des Vertrages am 10. Januar 1920 kritisch<br />

blieb (vgl. Bohm-Schuch, Klara: Friede! In: GL, 29/ 20/ 05.07.1919/ 153; Nicht weiter durch Blut! In: GL, 30/ 04/<br />

24.01.1920/ 25).<br />

262 GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 249.<br />

263 Bohm-Schuch, Clara: Es soll Licht werden. In: GL, 29/ 37/ 01.11.1919/ 289-290 (der Artikel kündigte an, dass die<br />

Nationalversammlung einen Ausschuss zur Ermittlung der Kriegsschuld eingesetzt habe); Wer trägt die Schuld?<br />

In: GL, 29/ 41/ 29.11.1919/ 321-322.<br />

264 Bohm-Schuch, Clara: Klar sein. In: GL, 29/ 31/ 20.09.1919/ 241-242. (Bohm-Schuch verurteilte darin die<br />

Erschwerung des Transports der deutschen Kriegsgefangenen <strong>und</strong> den französischen Chauvinismus, der sich darin<br />

ausdrückte); Weihnachten. In: GL, 29/ 44/ 20.12.1919/ 345-346 (Bohm-Schuch verwies auf das Schicksal<br />

deutscher Kriegsgefangener in Frankreich <strong>und</strong> die schwierigen innerdeutschen Zustände).<br />

265 Bohm-Schuch, Clara: Der monarchistische Putsch. In: GL, 30/ 13-14/ 03.04.1920/ 97-98; Der monarchistische<br />

Putsch II. In: GL, 30/ 15/ 10.04.1920/ 105-106; Feinde ringsum. In: GL, 30/ 17/ 24.04.1920/ 121-122.<br />

266 Trotz ihrer besonderen Position als „Gleichheit“-Redakteurin sind weder in den herangezogenen Nachschlagewerken<br />

<strong>und</strong> Datenbanken noch in den offiziellen Parteidokumenten biographischen Informationen zu Elli Radtke-<br />

Warmuth enthalten. Im Sommer 1922 scheint Radtke-Warmuth geheiratet zu haben, denn bis dahin zeichnete sie<br />

nur als Elli Radtke.<br />

267 An unsere Leserinnen! In: GL, 32/ 03/ 01.02.1922/ 30.<br />

135


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

überlassen.“ 268<br />

Diese Bekanntmachung stellt eine interessante Neuerung innerhalb der redaktionellen Arbeit der<br />

„Gleichheit“ dar. Sie versuchte damit wohl die Leserinnen verstärkt als „gute Fre<strong>und</strong>in“<br />

anzusprechen. Radtke-Warmuth nutzte die Gelegenheit, die Höhe der Parteibeiträge der Frauen zu<br />

diskutieren.<br />

Des Weiteren verfasste sie eine kleine biographische Skizze des Komponisten Ludwig van<br />

Beethoven <strong>und</strong> einen Nachruf auf den Journalist Franz Diederich. 269 Außerdem beschäftigte sie<br />

sich mit Themen der Mädchenerziehung <strong>und</strong> der unehelichen Mutterschaft. 270 Später verfasste sie<br />

Berichte zur internationalen kommunistischen Frauenkonferenz in Moskau 271 , zur ersten<br />

internationalen Tagung für Sexualreform 272 <strong>und</strong> zum SPD-Parteitag in Augsburg <strong>und</strong> dem<br />

Einigungsparteitag in Nürnberg am 24. September 1922 273 . Auf jenem Parteitag hatte sich der<br />

rechte Flügel der USPD mit der Mehrheitssozialdemokratie vereint, während der linke Flügel zur<br />

KPD stieß. Die USPD hatte sich damit aufgelöst, was zu einer erneuten Veränderung in der<br />

„Gleichheit“-Redaktion führte.<br />

Am 1. November 1922 wurden die Frauenorgane der beiden sozialdemokratischen Parteien<br />

vereint – dies auch personell. Mathilde Wurm (1874-1935) – bis dahin Redakteurin der USPD-<br />

Frauenzeitschrift „Die Kämpferin“ (1919-1922) 274 – wurde Koredakteurin der „Gleichheit“. Noch<br />

1907 bis 1917 hatte Wurm zu den fleißigsten MitarbeiterInnen Zetkins gezählt. 275 Sie schrieb<br />

damals vor allem Berichte <strong>und</strong> Kommentare zu den Großveranstaltungen der Partei oder der ver-<br />

schiedenen Frauenorganisationen – auch der bürgerlichen. 276 Auch zum <strong>weiblichen</strong> Berufsleben<br />

268 [Radtke-Warmuth, Elli?] E. R.: Die Parteibeiträge der Frauen! In: GL, 28/ 20/ 05.07.1918/ 160.<br />

269 [Radtke-Warmuth, Elli?] E. R.: Beethoven In: GL, 30/ 51-52/ 18.12.1920/ 416; Franz Diederich † In: GL, 31/ 06/<br />

15.03.1921/ 53.<br />

270 Radtke, Elli: Zur Mädchenerziehung. In: GL, 30/ 35/ 28.08.1920/ 286; Schutz der unehelichen Mutter. In: GL, 31/<br />

09/ 01.05.1921/ 82-83.<br />

271 [Radtke-Warmuth, Elli?] E. R.: Internationale kommunistische Frauenkonferenz in Moskau. In: GL, 31/ 11/<br />

01.06.1921/ 106; Die internationale kommunistische Frauenkonferenz in Moskau. In: GL, 31/ 15/ 01.08.1921/<br />

149.<br />

272 Radtke, Elli: Sexualreform. In: GL, 31/ 21/ 01.11.1921/ 203-204.<br />

273 [Radtke-Warmuth, Elli?] E. Rdt.: Delegiert Frauen zum Parteitag! In: GL, 32/ 13/ 01.07.1922/ 122; Radtke-<br />

Warmuth, Elli: Zum Parteitag in Augsburg. In: GL, 32/ 17-18/ 01.09.1922/ 157-158; Die Einigung. In: GL, 32/ 19-<br />

20/ 01.10.1922/ 173-174.<br />

274 Die „Kämpferin“ erschien im Verlag Louise Zietz <strong>und</strong> war eine „Mischung aus Funtionärinnen- <strong>und</strong><br />

Schulungszeitschrift für die ‘einfache’ Genossin“ (Geiger/Weigel, Sind das noch Damen?, S. 169). Sie war wenig<br />

populär aufgemacht, zeichnete sich durch einen kämpferischen Sprachgebrauch aus <strong>und</strong> stellte neben<br />

Klassenkampfagitation eher traditionelle Frauenbilder in den Mittelpunkt ihrer Darstellungen. Zur „Kämpferin“<br />

<strong>und</strong> zur von Zetkin redigierten „Kommunistin“ siehe: Geiger/Weigel, Sind das noch Damen?, S. 169ff.; Wilhelms,<br />

Frauenzeitschriften in der Weimarer Republik; Wickert, Unsere Erwählten, Bd. 1.<br />

275 Die Recherche ergab als Wurms ersten Artikel für die „Gleichheit“: Wurm, Mathilde: Die Stellenvermittlung. In:<br />

GL, 17/ 02/ 23.01.1907/ 12 <strong>und</strong> GL, 17/ 03/ 06.02.1907/ 19.<br />

276 U. a.: Wurm, Mathilde: Die Gothaer Tagung. In: GL, 27/ 16/ 11.05.1917/ 105-106; Zur Frauenkonferenz. I. In:<br />

136


2.2.3 DIE REDAKTEURINNEN DER „NEUEN“ „GLEICHHEIT“<br />

<strong>und</strong> zur Jugendarbeit verfasste Wurm zahlreiche Artikel. 277 1919 kehrte die ehemalige Redakteurin<br />

der USPD-Frauenzeitschrift „Die Kämpferin“ in den MitarbeiterInnenstab der „Gleichheit“<br />

zurück <strong>und</strong> scheint auch dort weiterhin eine mehr oder weniger radikale Position vertreten zu<br />

haben. Diese Vermutung ergibt sich daraus, dass Wurm u. a. für Artikel zu Leben <strong>und</strong> Werk von<br />

Marx <strong>und</strong> Bebel oder Berichte internationaler Frauenkonferenzen 278 verantwortlich zeichnete.<br />

Nach Wurms Eintritt in die „neue“ „Gleichheit“-Redaktion wurde abermals ein neuer – seit der<br />

Entlassung Zetkins nun bereits der dritte – Untertitel eingeführt. Dieser setzte sich zusammen aus<br />

dem bisherigen Untertitel der „Kämpferin“ „Zeitschrift für die Frauen <strong>und</strong> Mädchen des<br />

werktätigen Volkes“ <strong>und</strong> dem Zusatz „Organ der Vereinigten SPD“. 279 Das Titelblatt bekam eine<br />

vollkommen neue <strong>und</strong> auffällige Gestaltung mit größerem Titel <strong>und</strong> geschwungenem Banner im<br />

Titelkopf – was später jedoch wieder abgeändert wurde. 280<br />

Elli Radtke-Warmuth <strong>und</strong> Mathilde Wurm waren die beiden letzten Redakteurinnen des<br />

„Gleichheit“-Hauptblattes. Die Beilagen „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ <strong>und</strong> „Für unsere<br />

Kinder“, auf deren Entwicklung an anderer Stelle eingegangen wird, wurden redaktionell<br />

unabhängig betreut. Seit 1919 war die Schwester von Marie Juchacz, Elisabeth Röhl (1888-<br />

1930) 281 , dafür zuständig. Röhl redigierte zusammen mit der ebenfalls in Köln ansässigen Else<br />

GL, 20/ 12/ 14.03.1910/ 181-182; GL, 20/ 16/ 09.05.1910/ 247-248; Eine überflüssige Konferenz. In: GL, 20/ 14/<br />

11.04.1910/ 216-217; Der erste Mai <strong>und</strong> die Arbeiterinnen. In: GL, 22/ 16/ 29.04.1912/ 243-245.<br />

277 U. a.: Wurm, Mathilde: Das weibliche Dienstjahr. In: GL, 25/ 25/ 03.09.1915/ 168-169; Das weibliche Dienstjahr.<br />

(Schluß.). In: GL, 25/ 26/ 17.09.1915/ 176; Die bürgerliche Jugendbewegung. In: GL, 22/ 05/ 27.11.1911/ 67-70;<br />

Unsere Jugendarbeit. In: GL, 22/ 26/ 18.09.1912/ 403-406; Die Gewinnung der <strong>weiblichen</strong> Jugend. In: GL, 24/<br />

06/ 10.12.1913/ 84-86; Die Gewinnung der <strong>weiblichen</strong> Jugend. (Schluß.) In: GL, 24/ 07/ 24.12.1913/ 100-102;<br />

Die militärische Jugendvorbereitung. In: GL, 26/ 08/ 07.01.1916/ 56 bis GL, 26/ 10/ 04.02.1916/ 72-73; Die<br />

proletarische Jugendbewegung in der Kriegszeit. In: GL, 26/ 12/ 03.03.1916/ 86-88.<br />

278 [Wurm, Mathilde?] M. W.: Karl Marx <strong>und</strong> die Frauen. In: GL, 33/ 05/ 01.03.1923/ 33-34; Bebel, der<br />

Klassenkämpfer. In: GL, 33/ 15/ 01.08.1923/ 124; Bebel, der Klassenkämpfer (Schluß). In: GL, 33/ 16/<br />

15.08.1923/ 125-126; Die internationale Frauenkonferenz. In: GL, 33/ 12/ 15.06.1923/ 93-94.<br />

279 GL, 32/ 21/ 01.11.1922/ 189.<br />

280 Beispiele für die Titelblattgestaltung der „Gleichheit“ sind im Anhang enthalten.<br />

281 Elisabeth Röhl, bzw. Kirschmann-Röhl, geb. Gohlke, wurde in Landsberg an der Warthe, dem heute 80 km nordöstlich<br />

von Frankfurt/Oder gelegenen polnischen Gorzów Wielkopolski, als jüngste Tochter eines teilweise<br />

selbständigen Zimmerermeisters geboren. Sie besuchte die Volksschule <strong>und</strong> arbeitete später erst als Dienstmädchen,<br />

dann als Näherin. 1905 zog sie nach Berlin. Seit 1906 waren Röhl <strong>und</strong> ihre Schwester Marie Juchacz<br />

Mitglieder des „Frauen- <strong>und</strong> Mädchen-Bildungsvereins“ in Berlin-Schöneberg <strong>und</strong> der Gewerkschaft. 1907<br />

heiratete sie den Bauarbeiter Röhl, die Ehe wurde aber bald wieder aufgelöst. 1908 trat Röhl der SPD bei, wurde<br />

für diese schriftstellerisch tätig <strong>und</strong> war bis zu ihrem Umzug 1913 nach Köln Mitglied im Vorstand der SPD von<br />

Berlin-Neukölln. Seit 1912 war sie zu verschiedenen Parteitagen delegiert. Während des Ersten Weltkrieges war<br />

Röhl Mitglied mehrerer städtischer Kommissionen <strong>und</strong> besonders in der Wohlfahrtspflege aktiv. 1919-1924<br />

Stadtverordnete in Köln <strong>und</strong> Mitglied des Provinziallandtags Rheinprovinz, war sie außerdem 1919-1920<br />

Reichstagsabgeordnete. Weitere Kandidaturen für den Reichstag blieben erfolglos. 1921-1930 saß sie als<br />

Abgeordnete im preußischen Landtag. Röhl lebte vor <strong>und</strong> nach ihrer Scheidung in einer Lebensgemeinschaft mit<br />

ihrer Schwester. 1921 heiratete sie den sozialdemokratischen Redakteur, Ministerialrat <strong>und</strong><br />

Reichstagsabgeordneten Emil Kirschmann. 1922-1930 gab sie die Beilage „Die arbeitende Frau“ (1921-1930)<br />

heraus. 1919-1930 war Röhl Mitglied des Hauptausschusses der von ihrer Schwester gegründeten AWO <strong>und</strong><br />

Leiterin der AWO-Anstaltskommission. Laut Wachenheim hatte Röhl „eine viel fre<strong>und</strong>lichere Natur als die ältere<br />

137


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Wirminghaus (1867-1939) 282 das Nachfolgeblatt der 1917 eingestellten Beilage „Für unsere<br />

Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“. Diese neue Beilage trug den bezeichnenden Titel „Die Frau <strong>und</strong> ihr<br />

Haus“, wurde von der „Werbestelle für deutsche Frauenkultur“ – nicht von der SPD – herausgege-<br />

ben <strong>und</strong> der „Gleichheit“ erstmals im Juni 1919 <strong>und</strong> zuletzt vermutlich im April 1922 beigelegt. 283<br />

Wirminghaus engagierte sich stark für die Entwicklung bequemerer Frauenkleidung, des so<br />

genannten „Reformkleides“ 284 <strong>und</strong> für eine moderne Wahrnehmung des <strong>weiblichen</strong> Körpers. Es<br />

dürfte ihre Tätigkeit während des Ersten Weltkrieges im „Nationalen Frauendienst“ gewesen sein,<br />

welche sie der Sozialdemokratie näherbrachte. 1919 legte Wirminghaus ihr Amt im „Verein zur<br />

Verbesserung der Frauenkleidung“ nieder <strong>und</strong> widmete sich mit der Zeitschrift „Die Frau <strong>und</strong> ihr<br />

Haus“ den praktischen Bedürfnissen der Arbeiterinnen.<br />

Wie Wirminghaus engagierte sich auch Elisabeth Röhl für die Entwicklung des Reformkleides.<br />

Röhl dürfte als gelernte Näherin einen besonderen Blick auf dieses Thema gehabt haben. Im<br />

Gegensatz zu Wirminghaus schrieb Röhl jedoch auch für das Hauptblatt der „Gleichheit“.<br />

Während des Krieges beschäftigte sie sich darin u. a. mit dem Problem der Kleiderbeschaffung. 285<br />

Später thematisierte Röhl die Ehereform <strong>und</strong> den Katholizismus der „modernen“ Frau. 286 1919<br />

wurde sie Abgeordnete.der Nationalversammlung. Dieses Amt gab ihr die Möglichkeit, von<br />

Februar bis August 1919 für die „Gleichheit“ eine besonders interessante Artikelserie zu ver-<br />

fassen. Im Stil privater Aufzeichnungen schrieb sie die „Tagebuchblätter aus Weimar“ 287 . Röhl<br />

beschrieb darin, wie sie als Abgeordnete die turbulenten Ereignisse in der Nationalversammlung<br />

erlebte <strong>und</strong> gab ihren Leserinnen einen Eindruck von den Tätigkeiten einer Berufspolitikerin. Des<br />

[Juchacz gehabt; M.S.] <strong>und</strong> war allgemein sehr beliebt; sie war auch viel wortgewandter als ihre Schwester“<br />

(Wachenheim, Vom Großbürgertum zur Sozialdemokratie, S. 130). Eine erste Erwähnung in der „Gleichheit“<br />

findet Röhl durch eine von ihr in Südbayern unternommene Agitationstour (vgl. GL 23/ 05/ 27.11.1912/ 75).<br />

282 Wirminghaus war Tochter eines Lehrers, in dessen Andenken sie 1905 das Buch „Karl Strackerjahn – Aus dem<br />

Leben <strong>und</strong> Wirken eines deutschen Schulmannes“ verfasste. Sie war examinierte Klavierlehrerin <strong>und</strong> heiratete<br />

1890 den Syndikus der Kölner Handelskammer <strong>und</strong> späteren Universitätsprofessor Alexander Wirminghaus. Ab<br />

1904 engagierte sie sich im „Verein zur Verbesserung der Frauenkleidung“. Wirminghaus verfasste die Werke<br />

„Die Frau <strong>und</strong> die Kultur des Körpers“ (1911), „Das Kleid der arbeitenden Frau“ (1917) <strong>und</strong> gemeinsam mit Luise<br />

Neyber (?-?) „Bleibe jung. Tägliche Körperübungen der Frau“ (1921). Es ist bezeichnenderweise eine regionale<br />

Arbeit zur Kölner Frauenbewegung, die eine biographische Skizze Wirminghaus‘ enthält (vgl. Roecken, Else<br />

Wirminghaus, S. 179-182).<br />

283 Vgl. GL, 29/ 19/ 20.06.1919/ 145 <strong>und</strong> GL, 32/ 07/ 01.04.1922 (diese Nummer ist im eingesehenen Archivbestand<br />

nicht vorhanden, aber bereits die Folgenummer weist „Die Frau <strong>und</strong> ihr Haus“ nicht mehr im Titelkopf auf).<br />

284 Das Reformkleid galt den fortschrittlichen Frauenvereinen als äußeres Zeichen weiblicher Emanzipation, als<br />

Befreiung aus dem beengenden <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitsschädigenden Korsett. Siehe: Ober, Der Frauen neue Kleider.<br />

285 Röhl, Elisabeth: Krieg <strong>und</strong> Frauenkleider. In: GL, 28/ 19/ 21.06.1918/ 148-150.<br />

286 Röhl, Elisabeth: Ehereform. In: GL, 29/ 14/ 11.04.1919/ 109-111; Die moderne Frau. In: GL 30/ 35/ 28.08.1920/<br />

285-286.<br />

287 Röhl, Elisabeth: Tagebuchblätter aus Weimar. In: GL, 29/ 11/ 28.02.1919/ 88 bis GL, 29/ 16/ 01.05.1919/ 127;<br />

Tagebuchblätter aus Berlin In: GL, 29/ 18/ 06.06.1919/ 144; Tagebuchblätter aus Berlin <strong>und</strong> Weimar. In: GL, 29/<br />

20/ 05.07.1919/ 160; Tagebuchblätter aus Weimar. In: GL, 29/ 21/ 12.07.1919/ 168 bis GL, 29/ 28/ 30.08.1919/<br />

224.<br />

138


2.2.3 DIE REDAKTEURINNEN DER „NEUEN“ „GLEICHHEIT“<br />

Weiteren beschäftigte sie sich mit der Situation unehelicher Mütter <strong>und</strong> Kinder <strong>und</strong> ihrer Berück-<br />

sichtigung im Bürgerlichen Gesetzbuch <strong>und</strong> der Weimarer Verfassung. 288<br />

Das Experiment, Frauen politische <strong>und</strong> unterhaltsame Lektüre in einem einzigen Blatt zu bieten –<br />

wenn auch das eine in Form von Beilagen – war gescheitert. Noch 1921 auf der SPD-Frauen-<br />

konferenz in Görlitz konnte verkündet werden, dass selbst bürgerliche Frauen die „Gleichheit“ als<br />

die „höchstqualifizierte Frauenzeitschrift in ganz Deutschland überhaupt“ 289 erachten würden.<br />

Doch Qualität bewahrte nicht vor dem finanziellen Aus. Vor allem der noch zu schildernde<br />

finanzielle Hintergr<strong>und</strong> wurde ausschlaggebend. Die Überlegung, die „Gleichheit“ wieder zum<br />

Obligatorium der <strong>weiblichen</strong> Parteimitglieder zu machen, wurde auf den Frauenkonferenzen<br />

verworfen, weil die damit verb<strong>und</strong>enen Beitragserhöhungen vermutlich zu mehr Parteiaustritten<br />

geführt hätten. 290 Das Konzept des Experiments wurde aufgegeben <strong>und</strong> in den folgenden Jahren<br />

zwei Nachfolgerinnen herausgegeben: „Die Genossin – SPD-Informationsblatt für Funk-<br />

tionärinnen“ (1924-1933) erschien monatlich <strong>und</strong> diente der Schulung <strong>und</strong> Vernetzung der<br />

Organisationen. Die „Frauenwelt – eine Halbmonatsschrift“ (1924-1933) war ein Unterhaltungs-<br />

blatt, mit dessen Hilfe von den Ortsgruppen auch so genannte „Frauenweltabende“ unterhaltsam<br />

gestaltet wurden. 291<br />

288 Röhl, Elisabeth: Das Recht der unehelichen Mutter. Zur Reform des bürgerlichen Gesetzbuches. In: GL, 30/ 41-<br />

42/ 09.10.1920/ 335-336; Das uneheliche Kind in der „Weimarer Verfassung“. In: GL, 30/ 19/ 08.05.1920/ 140-<br />

141.<br />

289 Diese Befürchtungen teilten nicht alle Funktionärinnen der SPD, da in ihren Bezirken ein Obligatorium ohne<br />

Mitgliederverlust möglich gewesen war (vgl. Arning im Bericht über den Reichsfrauentag. In: Protokoll des SPD-<br />

Parteitages in Görlitz 1921, S. 66).<br />

290 Vgl. ebd.<br />

291 Vgl. ebd. Diese „Frauenweltabende“ wurden von Seiten der männlichen Genossen ungerechtfertigter Weise oft<br />

abfällig als „Kaffeeklatsch“ abgetan. (Juchacz im Protokoll des SPD-Parteitages Kiel 1927, S. 59). Hinsichtlich<br />

einer kritischen Betrachtung des unterhaltenden Schwerpunktes der „Frauenwelt“ siehe Kapitel 3.3.3.<br />

139


2.3 „Für die ‘Gleichheit’ mit der Feder tätig“<br />

– Die MitarbeiterInnen der „Gleichheit“<br />

2.3.1 Die MitarbeiterInnen Zetkins<br />

Nachdem bisher diejenigen Personen charakterisiert wurden, die die „Gleichheit“ ins Leben<br />

riefen <strong>und</strong> als verantwortliche RedakteurInnen am Leben erhielten, werden nun einige ihrer<br />

MitarbeiterInnen <strong>und</strong> eine Auswahl ihrer Themen näher vorgestellt. Im Vordergr<strong>und</strong> aller<br />

Darstellungen sollen der Beginn <strong>und</strong> Verlauf ihrer Tätigkeit für die „Gleichheit“ <strong>und</strong> ein kurzer<br />

Einblick in ihre Arbeitsfelder stehen. 292 Dabei wird keine konkrete Unterscheidung in<br />

„ständige“ <strong>und</strong> andere MitarbeiterInnen der „Gleichheit“ getroffen, sondern diese wird viel-<br />

mehr bewusst als ein, wie Lion es ausdrückt, „Gemeinsamkeitswerk“ 293 betrachtet. Das Fehlen<br />

entsprechender Redaktionsunterlagen erschwert zudem die Ermittlung, welche AutorInnen als<br />

„ständige“ MitarbeiterInnen zu betrachten sind <strong>und</strong> welche nicht. Auch an der Anzahl der<br />

erschienenen Artikel lässt sich dieser Status nicht festmachen. Zum Mitarbeiterstamm der<br />

„Gleichheit“ zählen bekannte FunktionärInnen, Redakteure <strong>und</strong> Journalisten der SPD, Per-<br />

sonen, die in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zu diesen standen 294 , Personen aus den<br />

regionalen <strong>und</strong> lokalen Organisationen <strong>und</strong> Personen, von denen lediglich ein Name, ein Pseu-<br />

donym oder die Initialen ermittelbar sind. Bei Personen, deren Biographien gut erforscht sind<br />

oder deren Vorbildfunktion in den nachfolgenden Kapiteln noch näher vorgestellt wird, wird im<br />

Weiteren auf eine ausführliche biographische Darstellung verzichtet.<br />

Zetkin, die in den ersten Jahren gezwungen war, die meisten Artikel selbst zu verfassen, hob<br />

anlässlich ihres 50. Geburtstages stolz die Bedeutung <strong>und</strong> Zusammensetzung ihres Mit-<br />

arbeiterInnenstabes hervor:<br />

„Leserinnen <strong>und</strong> Leser der ‘Gleichheit’ haben mich zu meinem 50. Geburtstag<br />

im reichsten Maße mit Beweisen ihrer Sympathie <strong>und</strong> Anerkennung bedacht.<br />

Sie sind mir ganz besonders wertvoll als Ausdruck der engen, ich bin versucht<br />

zu sagen persönlichen Fühlung, welche zwischen der ‘Gleichheit’ <strong>und</strong> ihrem<br />

Leserkreis besteht. Aber was die ‘Gleichheit’ im Laufe von 16 arbeits- <strong>und</strong><br />

292 Der angegebene Zeitpunkt des Eintritts einer Person in die „Gleichheit“-Mitarbeiterschaft wurde aus der<br />

Durchsicht der „Gleichheit“ ermittelt <strong>und</strong> muss bis zur digitalen Erstellung eines Autorenregisters unbestätigt<br />

bleiben. Auch für die Entschlüsselung vieler Initialen <strong>und</strong> Zeichen ist ein solches Register erforderlich.<br />

In einer Auswertung der in der „Gleichheit“ veröffentlichten Kurzmeldungen betreffs der Themen Stimmrecht<br />

<strong>und</strong> Prostitution <strong>und</strong> ihrer VerfasserInnen weist Wischermann die besonderen Strukturen persönlicher Vernetzung<br />

innerhalb der proletarischen Frauenbewegung auf (vgl. Wischermann, Frauenbewegung <strong>und</strong> Öffentlichkeiten<br />

um 1900, S. 127ff.).<br />

293 Lion, Zur Soziologie der Frauenbewegung, S. 94.<br />

294 Zu der Bedeutung von Verwandtschaft auf der regionalen Ebene der proletarischen Frauenbewegung in<br />

Frankfurt am Main siehe: Klausmann, Politik <strong>und</strong> Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich, S. 346ff.<br />

141


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

erfolgreichen Jahren vielen Zehntausenden geworden ist, das ist nicht allein eine<br />

Frucht meines Wirkens. Es ist auch der treuen Unterstützung geschuldet, welche<br />

die Zeitschrift seitens ihrer Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeiter erfahren hat, das Wort<br />

in seinem weitesten Sinne genommen, so daß es alle begreift, die für die<br />

‘Gleichheit’ mit der Feder tätig sind, wie alle jene, die durch Ratschläge ihre Ausgestaltung,<br />

durch mühevolle Kleinarbeit ihre Verbreitung fördern. Sie alle haben<br />

sich um das Werk der Sammlung <strong>und</strong> theoretischen Schulung der Proletarierinnen<br />

für den Klassenkampf wohlverdient gemacht, das die vornehmste Aufgabe des<br />

Blattes ist. Wie sie sich bei Arbeit <strong>und</strong> Kampf zu mir gesellen, so gehören sie auch<br />

bei der Ehrung solidarisch mir zur Seite. Es ist mir daher ein Herzensbedürfnis,<br />

den innigen Dank für alle, deren Liebe mich erfreute, <strong>und</strong> denen ich nicht<br />

persönlich die Hand drücken kann, mit der wärmsten Anerkennung für alle Genannten<br />

<strong>und</strong> Ungenannten zu verbinden, deren hingebungsvolle Mitarbeit die<br />

‘Gleichheit’ trägt.“ 295<br />

Zetkin formulierte diesen Dank an ihre MitarbeiterInnen zu einem Zeitpunkt, da der Erfolg der<br />

„Gleichheit“ eine besondere – vor allem quantitativ messbare – Form angenommen hatte. <strong>Von</strong><br />

1905 bis 1906 hatte sich die Zahl der Abonnentinnen von 23.000 auf 46.000 verdoppelt. Dies war<br />

sowohl ein Verdienst Zetkins <strong>und</strong> ihrer AutorInnen als auch der wachsenden Parteistrukturen, des<br />

Verlags <strong>und</strong> der ExpediteurInnen. An der Schnittstelle zwischen inhaltlicher <strong>und</strong> expeditierender<br />

Arbeit für die „Gleichheit“ standen die Agitatorinnen. Es sind in den ersten Jahren vor allem deren<br />

Berichte über Vortragsreisen, die auf ihren Agitationsreisen die „Gleichheit“ verteilten <strong>und</strong><br />

Vereinsgründungen anstießen, die neben den Artikeln Zetkins die Seiten der „Gleichheit“ füllen.<br />

Sie sind es, die die Rubrik „Aus der Bewegung“ ausmachen <strong>und</strong> damit beste Rechenschaft über<br />

die fortschreitende Vernetzung der proletarischen Frauenbewegung ablegen. Meist referierten die<br />

Agitatorinnen denselben Vortrag in mehreren Veranstaltungen. Dies lässt sich daran erkennen,<br />

dass sich die Vortragstitel in der nach Ortsnamen geordneten Rubrik „Aus der Bewegung“<br />

wiederholen. 296 Sehr häufig griffen die Agitatorinnen dabei Themen auf, die in ihren theoretischen<br />

Ausführungen auf Zetkin oder Bebel basierten oder die aktuelle politische Diskussion wider-<br />

spiegelten. Als Agitatorinnen waren vor allem Genossinnen tätig, die bereits ein gewisses Maß an<br />

Schulung erfahren <strong>und</strong> innerhalb ihrer regionalen Frauenorganisation eine führende Position inne<br />

hatten. Zu diesen gehörten beispielsweise die bereits erwähnten Helma Steinbach, Martha<br />

Rohrlack <strong>und</strong> Marie Wackwitz (1865-?) 297 . Letztere hatte zu einem ihrer Agitationsauftritte<br />

295 Zetkin, Clara: Ein Wort des Dankes. In: GL, 17/ 15/ 22.07.1907/ 127.<br />

296 Joos belächelte als zeitgenössischer Kritiker der proletarischen Frauenbewegung diese bescheidenen Anfänge<br />

sozialistischer Frauenagitationsreisen. Er hatte jedoch auch nicht ganz Unrecht, wenn er feststellte: „Die wenigen<br />

Frauen, die zur Verfügung standen, hielten allenthalben gleichlautende Vorträge.“ (Joos, Die sozialdemokratische<br />

Frauenbewegung in Deutschland, S. 15).<br />

297 Marie Wackwitz, geb. Zinske, wurde in Dresden geboren <strong>und</strong> besuchte die Volksschule. 1889 trat sie dem<br />

Arbeiterbildungsverein Dresden <strong>und</strong> Löbtau bei. Seit 1901 wirkte sie als reisende Agitatorin der SPD vor allem in<br />

Sachsen <strong>und</strong> wurde 1905 Vertrauensperson für Dresden. 1917 wurde Wackwitz Mitglied der USPD <strong>und</strong> Dezember<br />

1920 der VKPD. Aus der KPD trat sie jedoch 1921 wieder aus <strong>und</strong> blieb parteilos, bis sie sich wieder der USPD<br />

<strong>und</strong> schließlich der SPD anschloss. Nachdem sie 1917 nicht mehr für die „Gleichheit“ arbeitete, wurde sie 1919<br />

142


folgende besondere Begebenheit zu erzählen:<br />

2.3.1 DIE MITARBEITERINNEN ZETKINS<br />

„In Wechselburg konnten es einige Frauen gar nicht begreifen, daß eine Frau in<br />

einer Versammlung reden sollte. ‘Das ist gar keine richtige Frau,’ hatten sie gemeint,<br />

‘der hat man bloß eine Perücke aufgesetzt <strong>und</strong> einen Rock angezogen.’ Aber<br />

als sie sahen, daß tatsächlich eine Frau referierte, war ihre Freude groß, <strong>und</strong> sie<br />

baten die Referentin, recht bald wieder zu kommen.“ 298<br />

Auch Ottilie Baader (1847-1925) war als Agitatorin für die proletarische Frauenbewegung<br />

unterwegs. Sie war anfangs vor allem in der Berliner Frauenorganisation engagiert <strong>und</strong> verfasste<br />

für die „Gleichheit“ Berichte aus dem Berliner „Bildungsverein für Frauen <strong>und</strong> Mädchen“. 1900<br />

wurde sie in Mainz auf der ersten sozialdemokratischen Frauenkonferenz 299 mit nur zwei<br />

Gegenstimmen in das zentrale <strong>und</strong> von der Parteikasse seit 1904 besoldete Amt der „Vertrauens-<br />

person der Genossinnen Deutschlands“ 300 gewählt. Als solche verfasste sie bis 1908 einen<br />

jährlichen Rechenschaftsbericht. Diese Berichte wurden – wenn auch nicht wortgleich – sowohl<br />

in der „Gleichheit“ 301 als auch in den jeweiligen Parteitagsprotokollen 302 veröffentlicht. Sie geben<br />

besonders wertvollen Aufschluss über Entwicklung <strong>und</strong> Finanzen der „Gleichheit“ wie der<br />

gesamten proletarischen Frauenbewegung. 303 Im Parteitagsprotokoll von 1909 war der Bericht zur<br />

Mitarbeiterin der USPD-Frauenzeitschrift „Die Kämpferin“. Wackwitz arbeitete als Schriftstellerin <strong>und</strong> für die<br />

AWO. 1920-1924 war Wackwitz Reichstagsabgeordnete. Nachfolgende Kandidaturen blieben erfolglos – die<br />

letzte im September 1930. Neben ihren Agitationsberichten veröffentlichte Wackwitz in der „Gleichheit“ Artikel,<br />

die meist organisatorische oder agitationsstrategische Inhalte hatten, z. B.: Wackwitz, Marie: Zur Frage der<br />

Agitation. In: GL, 14/ 18/ 24.08.1904/ 138-139; Ein Wort zur Gestaltung unserer Diskussionsabende. In: GL, 20/<br />

26/ 26.09.1910/ 403-404.<br />

298 Wackwitz, Marie: Ohne Titel. In GL, 18/ 14/ 06.07.1908/ 127.<br />

299 Die Frauenkonferenzen fanden jeweils alle zwei Jahre im Vorfeld eines SPD-Parteitages statt (siehe<br />

Literaturverzeichnis).<br />

300 Vgl. Ohne Titel. In: GL, 09/ 25/ 06.12.1899/ 198-199.<br />

301 Baader, Ottilie: Erster Vierteljahresbericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands. In: GL, 11/ 05/<br />

27.02.1901/ 37; Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands. In: GL, 12/ 21/ 08.10.1902/ 165-<br />

166; GL, 13/ 18/ 26.08.1903/ 141-142; GL, 14/ 19/ 07.09.1904/ 146-147; GL, 14/ 20/ 21.09.1904/ 155-156; GL,<br />

15/ 17/ 23.08.1905/ Beilage; GL, 16/ 18/ 05.09.1906/ Beilage; [der Bericht von 1907 fehlt oder erschien vielleicht<br />

nicht]; GL, 18/ 17/ 17.08.1908/ Beilage. Bemerkenswert ist, dass diese Berichte in ihrem Umfang stetig<br />

zunahmen, ab 1905 als Beilage der „Gleichheit“ beigefügt wurden <strong>und</strong> 1908 – im Jahr der Integration der Frauen<br />

in die Parteiorganisation – schließlich der letzte <strong>und</strong> umfangreichste von allen erschien. Der Berichte von 1908<br />

enthält ein Verzeichnis der Namen <strong>und</strong> Adressen aller Vertrauenspersonen. Diese Angaben sind für die aktuelle<br />

regionale Frauengeschichtsforschung sehr aufschlussreich (vgl. weitere Verzeichnisse in: GL, 12/ 16/ 30.07.1902/<br />

128; GL, 12/ 18/ 27.08.1902/ 144; GL, 13/ 01/ 01.01.1913/ 8 <strong>und</strong> verschiedene Nachträge. Das umfangreichste<br />

Verzeichnis erschien mit der Beilage in Jg. 15).<br />

302 Im Protokoll des SPD-Parteitages in Lübeck 1901 fehlte der Bericht noch <strong>und</strong> in München 1902 <strong>und</strong> Dresden<br />

1903 gab Baader keinen Berichtszeitraum an. Doch zunehmend wurde auch die Art <strong>und</strong> Weise ihrer<br />

Berichterstattung professioneller (vgl. Literaturverzeichnis).<br />

303 Die Finanzen der „Gleichheit“ werden noch an anderer Stelle dargelegt. Die Finanzangelegenheiten der<br />

proletarischen Frauenbewegung hatten ihren Schlusspunkt darin, dass Baader den Agitationsfonds 1908 an den<br />

Parteikassierer übergeben musste: 413,24 Mark <strong>und</strong> ein Bankguthaben bei der Deutschen Bank über 5.423,10<br />

Mark (vgl. Baader, Ottilie: Zur Beachtung! In: GL, 19/ 09/ 01.02.1909/ 138).<br />

143


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Frauenorganisation der SPD nur noch eine Rubrik des Parteivorstandsberichtes. 304<br />

1911 heiratete Baader den Gastwirt August Dietrichs aus Oranienburg <strong>und</strong> nahm den<br />

Doppelnamen Baader-Dietrichs an. Unter diesem Namen – bzw. auch unter der Schreibweise<br />

Diederichs-Baader – veröffentlichte sie sogar in der „neuen“ „Gleichheit“ noch einige wenige<br />

Artikel 305 , die zusammenfassend als Rückblenden auf die Anfänge der proletarischen Frauen-<br />

bewegung charakterisiert werden können.<br />

Während Baader als absolute Gefolgsfrau Zetkins gilt, wird Lily Braun (1865-1916) oft als deren<br />

Gegenspielerin charakterisiert. 306 Braun wurde erstmals 1895 in der „Gleichheit“ erwähnt. Sie trug<br />

damals noch den Namen Lily von Gizycki <strong>und</strong> hatte auf einer Agitationsversammlung der<br />

Arbeiter-Bildungsschule in Berlin einen Vortrag mit dem Titel „Die Frau in der Gegenwart“<br />

gehalten. Zetkin kommentierte diesen Vortrag wie folgt:<br />

„Die Referentin, welche der bürgerlichen Frauenbewegung angehört, entwickelte<br />

in ihrem Vortrag das Programm bürgerlicher Frauenrechtelei, deren Endziel die<br />

Forderung der politischen Gleichberechtigung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts ist.<br />

Trefflich, klar <strong>und</strong> scharf präzisierte ihren Ausführungen gegenüber Genossin<br />

Rohrlack den Charakter <strong>und</strong> die Ziele der proletarischen Frauenbewegung, deren A<br />

<strong>und</strong> O nicht der Kampf für Frauenrechte sei, sondern der Kampf gegen das<br />

Kapital.“ 307<br />

Braun war damals augenscheinlich noch keine Anhängerin der Sozialdemokratie, sondern eine der<br />

führenden Persönlichkeiten der radikalen bürgerlichen Frauenbewegung. Doch dies sollte sich<br />

ändern. 1896 trat sie der SPD bei, engagierte sich fortan in der proletarischen Frauenbewegung 308<br />

304 Im Parteivorstandsbericht wurden u. a. die Arbeiten des von Zietz geleiteten zentralen Frauenbüros<br />

zusammengefasst. Man erfährt, dass von diesem Büro aus „fast allwöchentlich Artikel an die gesamte Parteipresse<br />

gegangen [seien], die sich besonders an die Frauen wandten <strong>und</strong> gr<strong>und</strong>sätzlich sowie in agitatorischer Form<br />

Stellung nahmen zu den aktuellen, politischen Tagesfragen“. Inwieweit diese Artikel tatsächlich auch von der<br />

Parteipresse veröffentlicht wurden, geht aus dem Bericht nicht hervor. Jedoch sprach der Bericht des nächsten<br />

Jahres bereits davon, dass sich diese Artikel „gut eingebürgert“ (Protokoll des SPD-Parteitages Magdeburg 1910,<br />

S. 22) hätten. Die Agitation unter den Frauen wurde also von der Parteizentrale fortgesetzt <strong>und</strong> zur<br />

Frauenwahlrechtsagitation 1911 die erstaunliche Anzahl von 2.460.000 Flugblättern ausgegeben (vgl. Protokoll<br />

des SPD-Parteitages Jena 1911, S. 21).<br />

305 Baader-Dietrichs, Ottilie: Vor dreißig Jahren. In: GL, 30/ 18/ 01.05.1920/ 131-132; Dietrichs-Baader, Ottilie:<br />

Unsere Toten. In: GL, 32/ 17-18/ 01.09.1922/ 164 (Nachruf auf den SPD-Mitbegründer Alwin Gerisch);<br />

Diederichs-Baader, Ottilie: Zu Bebels 83. Geburtstag. In: GL, 33/ 03/ 01.02.1923/ 18-19.<br />

306 Die Auseinandersetzung Braun Zetkin wird sowohl auf politischer als auch auf privater Ebene von vielen Studien<br />

behandelt. Meist wird darin eine persönliche Feindseligkeit zwischen den beiden Frauen <strong>und</strong> vor allem der<br />

geradezu totalitäre Anspruch Zetkins konstatiert. Zu der sehr konfliktreichen Beziehung zwischen Braun <strong>und</strong><br />

Zetkin empfiehlt sich neben dem Studium der im Literaturverzeichnis genannten biographischen Studien die<br />

kritische Lektüre der von Braun 1909 <strong>und</strong> 1911 verfassten „Memoiren einer Sozialistin“ <strong>und</strong> der davon beeinflussten<br />

Studie des Zeitgenossen Josef Joos (Joos, Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Deutschland,<br />

S. 21ff.).<br />

307 [Braun, Lily] Gizycki, Frau v.: Die Frau in der Gegenwart. In: GL, 05/ 03/ 06.02.1895/ 19.<br />

308 Parallel zum bereits erwähnten internationalen „Kongreß für Frauenwerke <strong>und</strong> Frauenbestrebungen“, der vom 19.-<br />

26. September 1886 in Berlin stattfand, organisierte die proletarische Frauenbewegung drei große<br />

Volksversammlungen. Braun sprach auf einer zum Thema „Frauenfrage <strong>und</strong> Sozialdemokratie“. Vgl. Die<br />

Massenversammlungen der Berliner Genossinnen. In: GL, 06/ 21/ 14.10.1896/ 163.<br />

144


2.3.1 DIE MITARBEITERINNEN ZETKINS<br />

<strong>und</strong> veröffentlichte in der „Gleichheit“ ihren ersten Artikel. Er trug den Titel „Bürgerliche <strong>und</strong><br />

proletarische Frauenbewegung“ 309 <strong>und</strong> verglich sie das Verhältnis, dass diese beiden Strömungen<br />

in Deutschland <strong>und</strong> in England zueinander hatten. Sie hatte diesen Artikel mit dem Doppelnamen<br />

Braun-Gizycki gezeichnet, welcher anzeigt, dass sie mittlerweile den sozialdemokratischen Publi-<br />

zisten Heinrich Braun geheiratet hatte. Unter diesem Doppelnamen veröffentlichte sie noch einige<br />

weitere Artikel wie z.B. „Karneval“ 310 in welchem sie sich mit der Pauperisierung auseinander-<br />

setzte. Nach einer Reise nach Großbritannien beschäftigte sie sich mit dem Kampf der englischen<br />

Frauenbewegung um das Frauenwahlrecht. 311 Diese Reise zu den englischen Kampfgenossinnen<br />

dürfte auch für den Artikel „Die nächsten Aufgaben der deutschen Arbeiterinnenbewegung“ 312<br />

Anregung gegeben haben, welcher für viel Aufregung in der „Gleichheit“-Redaktion sorgte <strong>und</strong><br />

die Gemüter ihrer Mitarbeiterinnen erregte. Die darin geäußerten Ideen <strong>und</strong> Vorschläge für eine<br />

Institutionalisierung <strong>und</strong> Professionalisierung der proletarischen Frauenbewegung wurden vor<br />

allem, aber nicht nur von Zetkin heftig angegriffen. Sie sollen hier etwas eingehender betrachtet<br />

werden, da sie teilweise den Aufgabenbereich der „Gleichheit“ berühren.<br />

Ausgehend von den Lebensbedingungen der großen Masse der Frauen <strong>und</strong> den rigiden staatlichen<br />

Repressionen sah Braun die nächsten Aufgaben der proletarischen Frauenbewegung so:<br />

„Sie [die nächsten Aufgaben, M.S.] theilen sich ein in die Wirksamkeit nach innen<br />

<strong>und</strong> die Wirksamkeit nach außen. Unter der Wirksamkeit nach innen verstehe ich<br />

diejenige, welche sich auf den Kreis beschränkt, der schon zu uns gehört. Weil er<br />

schon zu uns gehört, wird die Wirksamkeit in seiner Mitte, wie mir scheint,<br />

vielfach vernachlässigt, <strong>und</strong> doch sollte er die Kerntruppe bilden, aus der die<br />

Offiziere hervorgehen. Um das zu ermöglichen, um ein Auseinanderlaufen, ein<br />

Allerleianfangen <strong>und</strong> Wenigvollenden nicht aufkommen zu lassen, muß für ihn,<br />

trotz der Auflösung der Arbeiterinnenvereine, der Agitationskommissionen u.s.w.,<br />

eine feste Organisation geschaffen werden, die sich in verschiedene rein praktische<br />

Arbeitsgebiete eintheilt.“ 313<br />

Brauns Hauptaugenmerk lag demnach – gemäß ihrer besonderen organisatorischen Fähigkeiten<br />

<strong>und</strong> zum Zwecke einer effizienteren Bildungs- <strong>und</strong> Agitationsarbeit – in einer zunehmenden Insti-<br />

tutionalisierung. Die Arbeitsgebiete, die einerseits der Ausbildung einer Kerngruppe von geschul-<br />

ten Kämpferinnen zuträglich sein sollten, aber andererseits auch eines festen Personalstammes<br />

309 [Braun, Lily] Braun-Gizycki, Lily: Bürgerliche <strong>und</strong> proletarische Frauenbewegung. In: GL, 06/ 23/ 11.11.1896/<br />

179-180.<br />

310 [Braun, Lily] Braun-Gizycki, Lily: Karneval. In: GL, 07/ 04/ 17.02.1897/ 26-27.<br />

311 [Braun, Lily] Braun-Gizycki, Lily: Der Sieg der Bewegung für das Frauenwahlrecht im englischen Parlament. In:<br />

GL, 07/ 04/ 17.02.1897/ 32.<br />

312 [Braun, Lily] Braun-Gizycki, Lily: Die nächsten Aufgaben der deutschen Arbeiterinnenbewegung. In: GL, 07/ 06/<br />

17.03.1897/ 41-42.<br />

313 Ebd., S. 41.<br />

145


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

solcher Kämpferinnen bedurften, ordneten sich in vier Arbeitsgruppen: Die erste Gruppe sollte<br />

sich um statistische Erhebungen über die Lage der Arbeiterinnen in Deutschland bemühen. Die<br />

zweite Gruppe sollte sich mit dem bibliographischen Sammeln, Ordnen <strong>und</strong> Veröffentlichen aller<br />

frauenrelevanten Gesetzestexte <strong>und</strong> mit der Schaffung einer Informationsstelle beschäftigen. Die<br />

dritte Gruppe hätte sich der praktischen juristischen Beratung widmen sollen, indem sie eine<br />

Beschwerdestelle für Arbeiterinnen einrichtete. Die vierte <strong>und</strong> letzte Gruppe wäre für<br />

Veröffentlichungen in der Presse <strong>und</strong> die Herausgabe von Flugblättern zuständig gewesen. Die<br />

Einrichtung dieser vier Arbeitsgruppen entspricht im Gr<strong>und</strong>e einer Umgestaltung des bisher von<br />

der proletarischen Frauenbewegung genutzten „Systems der Vertrauenspersonen“ 314 .<br />

Zetkin hielt diese Arbeitsgruppen zwecks „wissenschaftlich-praktischer Hilfsarbeiten“ 315 , wie sie<br />

geringschätzig deren Aufgabengebiete bezeichnete, r<strong>und</strong>weg für überflüssig <strong>und</strong> kräfteverschwen-<br />

dend. Für sie drängten sich zwei Fragen auf:<br />

„[L]iegt – soweit der Plan auf die Schulung unserer Kerntruppen abzweckt – ein<br />

solches Erziehungsprogramm im Interesse einer Bewegung, welche einen<br />

entschiedenen Parteicharakter trägt? Und die andere, haben wir in den sozialistischen<br />

Frauenkreisen – ohne daß unsere Hauptaufgabe der Agitation unter den<br />

Massen leidet – die nöthigen Personen- <strong>und</strong> Geldkräfte, um den Vorschlag als<br />

Arbeitsprogramm durchzuführen?“ 316<br />

Zetkin verneinte diese Fragen <strong>und</strong> sah Brauns Vorschlag entsprechend als Abzug personaler<br />

Kräfte <strong>und</strong> finanzieller Mittel von der eigentlichen Aufgabe der sozialistischen Frauenbewegung,<br />

nämlich der,<br />

„die Proletarierinnen zum Klassenbewußtsein zu wecken, sie aus einer indifferenten<br />

oder hemmenden zu einer treibenden Kraft im wirthschaftlichen <strong>und</strong><br />

politischen Klassenkampfe des Proletariats zu verwandeln, sie zu bewußten Sozialistinnen<br />

zu erziehen.“ 317<br />

Zu diesem Zweck hatte nach Meinung Zetkins ein Erziehungsprogramm zuallererst die Bildung<br />

auf zwei entscheidenden Gebieten zu fördern: „dem Gebiete der Nationalökonomie <strong>und</strong> der<br />

314 Der SPD-Parteitag in Berlin 1892 fasste den Entschluss, für die proletarische Frauenorganisation das System der<br />

Vertrauensmänner zu übernehmen. Im Fall der proletarischen Frauenorganisationen empfahl sich nämlich kein<br />

ortsfestes, starres Organisationskonstrukt, da dieses von den rigiden Polizeimaßnahmen zu schnell zerschlagen<br />

worden wäre. Die Frauen, die diese Vernetzungspositionen einnahmen, wurden „Vertrauenspersonen“ genannt.<br />

Regelmäßig veröffentlichten sie in der „Gleichheit“ Berichte über die Entwicklung der Frauenbewegung ihres<br />

„Bezirks“. Sie waren ab 1905 berechtigt, in den Ländern, in denen Frauen nicht Mitglieder der SPD sein konnten,<br />

freiwillige Beiträge entgegenzunehmen. Diese Möglichkeit der Sympathiebezeugung wurde von vielen Frauen<br />

wahrgenommen. Zu der zahlenmäßigen Entwicklung der Vertrauenspersonen siehe: Tabelle 9 „Zahl der<br />

<strong>weiblichen</strong> Vertrauenspersonen (bis 1907) <strong>und</strong> Vorstandsmitglieder (ab 1909) 1901-1912“. Zum Verhältnis der<br />

Anzahl weiblicher Parteimitglieder zu den freiwilligen Beiträgerinnen siehe: Tabelle 11 „Mitglieder der<br />

sozialdemokratischen Frauenbewegung 1901-1907“.<br />

315 Zetkin, Klara: Kritische Bemerkungen zu Genossin Brauns Vorschlag. In: GL, 07/ 06/ 17.03.1897/ 42.<br />

316 Ebd.<br />

317 Ebd.<br />

146


2.3.1 DIE MITARBEITERINNEN ZETKINS<br />

Geschichte, <strong>und</strong> zwar der sozialistischen Auffassung entsprechend.“ 318 Die Erfassung national-<br />

ökonomischer <strong>und</strong> historischer Hintergründe, d. h. die Arbeit an der Theorie, setzte Zetkin hier<br />

dem praktischen Vorschlag Brauns entgegen.<br />

Die Auseinandersetzung um Brauns Ideen wurde in der „Gleichheit“ in heftigster Form<br />

fortgesetzt. 319 In einem späteren Artikel relativierte Braun daraufhin ihre Ausführungen: Der<br />

Umstand, dass ihre Gegnerinnen sich veranlasst gesehen hätten, „aus der Mücke einen Ele-<br />

phanten“ 320 zu machen, beruhe auf einem leicht zu behebenden Missverständnis:<br />

„Ich gestehe gern zu, an dem Mißverständnis selbst mit die Schuld zu tragen, da<br />

ich meinem, die Diskussion einleitenden Artikel den Titel: ‘Die nächsten Aufgaben<br />

der deutschen Arbeiterinnenbewegung’, statt ‘Eine Aufgabe für die deutsche<br />

Arbeiterinnenbewegung’ gab.“ 321<br />

Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass lediglich Brauns Wortwahl diese massive Kritik<br />

hervorrief. Vielmehr hatte sie ihren Vorschlag zu einer Zeit gemacht, als die „Marschrichtung“<br />

von Zetkin bereits irreversibel vorgegeben war. Deshalb charakterisiert Joos Brauns Bedeutung<br />

für die proletarische Frauenbewegung sehr zutreffend, wenn er schrieb, sie sei<br />

„[e]ine Sozialistin gemäßigter Richtung [gewesen], talentvoll genug, um neue<br />

Wege weisen, gewandt genug, um Einfluß auf Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Feind gewinnen zu<br />

können; eine Überleiterin zu anderer Art proletarischer Frauenbewegung<br />

vielleicht“ 322 .<br />

Eine „andere Art proletarischer Frauenbewegung“, wie sie aber von Zetkin nicht gewollt war.<br />

Dieser Konflikt zwischen Zetkin <strong>und</strong> Braun war jedoch keineswegs das Ende ihrer Zusammen-<br />

arbeit. Im Gegenteil: Er war der Auftakt für ein engagiertes Wirken Brauns in der proletarischen<br />

Frauenbewegung <strong>und</strong> in der „Gleichheit“. 323 Zetkin gab am 7. Juli 1897 stolz Brauns „regelmäßige<br />

<strong>und</strong> umfangreiche Mitarbeiterschaft“ 324 bekannt <strong>und</strong> hob in der Bekanntmachung hervor, dass<br />

diese neue Mitarbeiterin über „treffliche[…], weitreichende[…] Kenntnisse auf dem Gebiete der<br />

318 Ebd. S. 43<br />

319 Zetkins zweiter Artikel zu Brauns Vorschlägen (Zetkin, Klara: Kritische Bemerkungen zu Genossin Brauns<br />

Vorschlag, II. In: GL, 07/ 07/ 31.03.1897/ 50-51) lud schließlich viele andere Führerinnen der proletarischen<br />

Frauenbewegung ein, sich ebenfalls in den nächsten fünf Nummern zur Diskussion zu äußern.<br />

320 Braun, Lily: Zur Debatte über meinen Vorschlag. In: GL, 07/ 14/ 07.07.1897/ 107. Die Erwiderung Brauns hatte<br />

erst verspätet veröffentlicht werden können. Zetkin nannte als Gr<strong>und</strong> dafür den „leidigen Raummangel[…]“ <strong>und</strong><br />

kündigte ihn für die nächste Nummer an (vgl. Die Redaktion der „Gleichheit“: Zur Beachtung. In: GL, 07/ 13/<br />

23.06.1897/ 98).<br />

321 Ebd.<br />

322 Joos, Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Deutschland, S. 61.<br />

323 Braun, Lily: Warum kann die Frauenbewegung nicht unabhängig bleiben? In: GL, 07/ 10/ 12.05.1897/ 76-78<br />

(Braun sprach sich darin dafür aus, dass die Frauenorganisationen politisch Position beziehen müssten); Das<br />

Frauenstimmrecht in England. In: GL, 07/ 13/ 23.06.1897/ 102-103 (da in ihm der Vermerk „Nach Lily Braun“<br />

gemacht wurde, scheint es sich um eine verkürzte Fassung eines ihrer früher verfassten Artikel zu handeln).<br />

324 Die Redaktion: An die Leserinnen <strong>und</strong> Leser. In: GL, 07/ 14/ 07.07.1897/ 106.<br />

147


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Frauenbewegung, der socialen Gesetzgebung ec. ec.“ 325 verfüge. Neben einem großen organisa-<br />

torischen Talent <strong>und</strong> strukturiertem Denken durfte Braun nach Einschätzung Zetkins außerdem<br />

eine „lichtvolle Darstellungsweise“ 326 ihr Eigen nennen. Hohe Erwartungen wurden in sie <strong>und</strong> in<br />

die von ihr initiierte Umgestaltung der Rubrik „Kleine Nachrichten“ in einen gut geordneten<br />

„Notizentheil“ gesetzt. 327 Unter diesen Umständen <strong>und</strong> weil sie quasi Mitglied der Redaktion<br />

wurde, kann Braun tatsächlich als „ständige“ Mitarbeiterin bezeichnet werden.<br />

Braun verfasste nun u. a. Berichte über den Verlauf internationaler Kongresse der bürgerlichen<br />

Frauenbewegung 328, , doch war ihre Position zu Beginn weniger die einer Mittlerin zwischen<br />

beiden Frauenbewegungen, als die einer Insiderin. Auch als Vertreterin der proletarischen Frauen-<br />

bewegung fand sie immer noch Einlass in die bürgerliche Frauenbewegung <strong>und</strong> setzte sich<br />

kritisch mit dieser auseinander. 329<br />

Auch auf literarischem 330 <strong>und</strong> geschichtswissenschaftlichem 331 Gebiet war Braun eine Be-<br />

reicherung der „Gleichheit“-Mitarbeiterschaft. 1897 selbst Mutter geworden, machte sie in einem<br />

325 Ebd.<br />

326 Vgl. ebd.<br />

327 Ebd.<br />

328 Braun, Lily: Der Internationale Frauenkongreß in Brüssel. In: GL, 07/ 18/ 01.09.1897/ 139-141; Der internationale<br />

Frauenkongreß in London. In: GL, 09/ 15/ 19.07.1899/ 115-117; Der internationale Frauenkongreß in London.<br />

(Schluß.) In: GL, 09/ 16/ 02.08.1899/ 122-124. Braun <strong>und</strong> Zetkin hatten eine Einladung zu dem Kongress<br />

abgelehnt (vgl. Zur Theilnahme am Internationalen Frauenkongreß, …. In: GL, 09/ 06/ 15.03.1899/ 48).<br />

329 Braun, Lily: Die Ethik des Kampfes.In: GL, 09/ 20/ 27.09.1899/ 155-156 (Besprechung eines Artikels von Dr. Fr.<br />

Wilh. Förster, dem Sekretär des internationalen Ethischen B<strong>und</strong>es, der im Zentralblatt des BDF erschien <strong>und</strong> das<br />

Verhältnis zwischen bürgerlicher <strong>und</strong> proletarischer Frauenbewegung zum Thema hatte. Braun hatte sich vor<br />

ihrem Eintritt in die SPD im Ethischen B<strong>und</strong> engagiert); Foerster, Fr. W.: Zur „Ethik des Kampfes“. Eine<br />

Entgegnung. In: GL, 09/ 22/ 25.10.1899/ 173-174; Herrn Foerster zur Erwiderung. In: GL, 09/ 22/ 25.10.1899/<br />

174; „Wandlungen.“ In: GL, 10/ 25/ 05.12.1900/ 194-195 (in diesem Artikel bezieht sich Braun auf einen in der<br />

„Frauenbewegung“ veröffentlichten Artikel der bürgerlichen Frauenrechtlerin Maria Lischnewska (?-?)). Zetkin,<br />

Klara: Nachschrift zu Genossin Brauns Artikel. In: GL, 10/ 25/ 05.12.1900/ 195 (Zetkin kritisiert darin Brauns<br />

Argumentation, dass die Agitation unter den bürgerlichen Frauen ebenso wichtig sei wie jene unter den<br />

Arbeiterinnen).<br />

Es war für die „Gleichheit“ aus Agitationszwecken sogar lohnend, von der Untersagung der Vorträge Brauns<br />

durch bürgerliche Institutionen zu berichten (vgl. Als Zunftzopf <strong>und</strong> Möchte-gern-Staatsretter… In: GL, 09/ 23/<br />

08.11.1899/ 184 (Der Rektor der Berliner Universität untersagte einen Vortrag von Braun mit der Begründung,<br />

dass deren literarische Leistungen weniger wissenschaftlicher als agitatorischer Natur seien); Ueber Organisation,<br />

Aufgaben <strong>und</strong> Entwicklung des B<strong>und</strong>es deutscher Frauenvereine … In: GL, 10/ 12/ 06.06.1900/ 96 (Während die<br />

bürgerliche Frauenrechtlerin Marie Stritt (1855-1928) einen Vortrag im „Sozialwissenschaftlichen<br />

Studentenverein“ hatte halten dürfen, war es zuvor Braun untersagt worden)).<br />

330 Braun, Lily: Die Predigt von der Freude. In: GL, 07/ 21/ 13.10.1897/ 161-162 (eine Erzählung, die als Leitartikel<br />

erschien); Ein Weihnachtslied. In: GL, 08/ 26/ 21.12.1898/ 204-205.<br />

331 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. [I-VI]. In: GL, 09/ 01/ 04.01.1899/ 3-6 bis GL, 09/ 12/ 07.06.1899/<br />

92-94 (diese Artikelreihe erschien bereits in der Zeitschrift „Archiv für soziale Gesetzgebung <strong>und</strong> Statistik“<br />

(1888-1903), Bd. 13, Heft 1 <strong>und</strong> 2. Augenfällig ist die Verwendung von Fußnoten, die Brauns wissenschaftliches<br />

Arbeiten belegen). Braun, Lily: Auch eine Goethe-Feier. Zu Goethes 150jährigem Geburtstag am 28. August<br />

1899. In: GL, 09/ 18/ 30.08.1899/ 140-142 (Braun schilderte hier Kindheitserinnerungen <strong>und</strong> ihre erste<br />

Annäherung an die Werke Goethes. Ihre Großmutter Jenny von Gustedt (1811-1890), die eine enge Fre<strong>und</strong>in<br />

Goethes gewesen war, hatte sie zu dieser Lektüre angehalten).<br />

148


2.3.1 DIE MITARBEITERINNEN ZETKINS<br />

Leitartikel anlässlich der Reichstagswahlen im Mai 1898 die Mutterpflichten im Wahlkampf zum<br />

Thema. 332 In demselben Jahr wurde Braun als Delegierte zum Parteitag in Stuttgart gewählt, sie<br />

gab dieses Mandat jedoch zurück. 333<br />

Themen aus der Arbeitswelt der Proletarierinnen waren als Gegenstand ihrer Artikel eher die<br />

Ausnahme. 334 Aber gerade Brauns Überlegungen zum Alltagsleben der Arbeiterinnen, ihr Modell<br />

für die Einrichtung von Haushaltungs- bzw. Wirtschaftsgenossenschaften, brachten sie in einen<br />

neuerlichen prinzipiellen Konflikt mit Zetkin. 335 Zetkin kritisierte in einem mehrteiligen<br />

Leitartikel Brauns Buch „Frauenarbeit <strong>und</strong> Hauswirthschaft“, das 1901 im Vorwärts-Verlag<br />

erschienen war. Wie bereits 1897 kam es erneut zum öffentlichen Schlagabtausch in der<br />

„Gleichheit“. Braun wies die Vorwürfe strikt zurück 336 <strong>und</strong> dieser Konflikt markiert schließlich<br />

den Bruch zwischen ihr <strong>und</strong> Zetkin. Braun wurde schließlich im selben Jahr als „Gleichheit“-<br />

Mitarbeiterin entlassen <strong>und</strong> ihr Name verschwand aus dem Titelkopf der Rubrik „Notizentheil“ 337 .<br />

Sie wurde von Zetkin zunehmend diskriminiert. So dürfte es der „Gleichheit“-Redakteurin sehr<br />

gelegen gewesen sein, dass die durch ges<strong>und</strong>heitliche Probleme beeinträchtigte Agitationstätigkeit<br />

Brauns von Frauenorganisationen offen bemängelt wurde. 338 Zwar erschienen keine von Braun<br />

verfassten Artikel mehr in der „Gleichheit“, doch noch manches Mal wurde sie in<br />

Versammlungsberichten erwähnt. 339 Schließlich zog sie sich auch aus der SPD-Politik immer mehr<br />

zurück.<br />

Brauns Werk „Die Frauenfrage, ihre geschichtliche Entwicklung <strong>und</strong> wirthschaftliche Seite“<br />

(1901) wurde auch von der „Gleichheit“ besprochen. Interessanterweise war der Verfasser der<br />

Rezension der SPD-Politiker <strong>und</strong> Journalist Georg Ledebour (1850-1947) 340 <strong>und</strong> nicht Zetkin,<br />

332 Braun, Lily: Mutterpflichten im Wahlkampf. In: GL, 08/ 11/ 25.05.1898/ 81-83.<br />

333 Vgl. Stellungnahme der Genossinnen zum Stuttgarter Parteitag. In: GL, 08/ 20/ 28.09.1898/ 158-159.<br />

334 Braun, Lily: Die Ziegelei-Verordnung. In: GL, 07/ 26/ 22.12.1897/ 202-204.<br />

335 Zetkin, Klara: Die Wirthschaftsgenossenschaft. I. In: GL, 11/ 13/ 19.06.1901/ 97-99; Die<br />

Wirthschaftsgenossenschaft. II. In: GL, 11/ 14/ 03.07.1901/ 105-106; Die Wirthschaftsgenossenschaft. III. In: GL,<br />

11/ 15/ 17.07.1901/ 113-114; Die Wirthschaftsgenossenschaft. IV. In: GL, 11/ 16/ 31.07.1901/ 121-122.<br />

336 Braun, Lily: Die Wirthschaftsgenossenschaft. Eine Entgegnung. In: GL, 11/ 18/ 28.08.1901/ 140-142.<br />

337 Vgl. GL, 11/ 12/ 05.06.1901/ 94.<br />

338 Vgl. Ueber die Frage der Frauenagitation … In: GL 09/ 21/ 11.10.1899/ 167. Braun ließ schließlich über die<br />

„Gleichheit“ bekanntgeben, dass sie „durch ihre seit längerer Zeit angegriffene Ges<strong>und</strong>heit gezwungen [sei], für<br />

mehrere Monate zur Erholung nach Südtirol zu gehen, <strong>und</strong> deshalb in nächster Zeit keine Referate zu übernehmen<br />

vermag“ (Zur Beachtung. In: GL, 10/ 03/ 31.01.1900/ 24).<br />

339 Vgl. Die Betheiligung der Frauen an der Maifeier … In: GL, 12/ 11/ 21.05.1902/ 87; Braun, Lily: Die Frau <strong>und</strong><br />

der Sozialismus. In: GL, 12/ 13/ 18.06.1902/ 102 (Braun hatte in Frankfurt a. M. <strong>und</strong> Mainz einen Vortrag<br />

gehalten, in dem sie auf die geschichtlichen Entwicklungen des Sozialismus <strong>und</strong> ihre Idee der<br />

Haushaltsgenossenschaften einging).<br />

340 Georg Ledebour wurde in Hannover geboren <strong>und</strong> war Sohn eines Kanzleibeamten. Im Alter von 10 Jahren war er<br />

bereits Vollwaise. Er absolvierte eine Ausbildung zum Handlungsgehilfen <strong>und</strong> war Sanitäter im Deutsch-<br />

149


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

die vielleicht zu sehr darüber pikiert war, dass sie in dem Buch kaum Erwähnung fand. 341<br />

Ledebour äußert sich zu dem Werk sehr wohlwollend. Brauns 1903 erschienene Schrift „Die<br />

Frauen <strong>und</strong> die Politik“ wurde von der „Gleichheit“ ebenfalls sehr positiv aufgenommen. 342<br />

Es ist umstritten, ob Zetkin in Braun schließlich nur eine unliebsame <strong>und</strong> <strong>und</strong>ankbare 343<br />

Konkurrentin oder tatsächlich eine Gefahr für die Klarheit der Bewegung beseitigt wissen wollte.<br />

Stets machte sie Braun jedenfalls zum Vorwurf, dass sie nicht aus proletarischen Verhältnissen<br />

stammte <strong>und</strong> noch zu sehr in der bürgerlichen Frauenbewegung verhaftet sei – ein Vorwurf, der<br />

Zetkin in jüngerer Zeit selbst gemacht wird. 344<br />

Braun erlag 1916 einem Herzanfall. Ihr vermutlich von Zetkin verfasster Nachruf erschien<br />

auffälligerweise nicht im Hauptblatt der „Gleichheit“, sondern in der Beilage „Für unsere Mütter<br />

<strong>und</strong> Hausfrauen“. Es wird Braun darin bescheinigt, ein so genanntes „ewiges Talent“ gewesen zu<br />

sein. 345 Wertschätzung erfuhren Brauns Arbeiten <strong>und</strong> besonders ihre „Frauenfrage“ schließlich erst<br />

wieder nach dem Redaktionswechsel 1917. Nur drei Monate nach der Entlassung Zetkins<br />

verfasste Anna Blos eine Rezension 346 , die Brauns Arbeit als „große[s] Werk“ 347 <strong>und</strong> als<br />

wertvolle „Hinterlassenschaft“ 348 erachtete. Brauns Nachlass war nun, da die sozialdemokratische<br />

Frauenbewegung ihren Radikalismus abgelegt hatte <strong>und</strong> die Annäherung an die bürgerliche<br />

Frauenbewegung suchte, sozusagen wieder „‘Gleichheits’-fähig“. Besonders Blos griff die Werke<br />

Französischen Krieg. 1871-1878 arbeitete Ledebour vor allem als Sprachlehrer. 1878-1882 war er als<br />

Korrespondent verschiedener bürgerlicher Zeitschriften in England tätig. Nachdem er erst Mitglied der<br />

Demokratischen Partei war, trat er 1890 der SPD bei. Seit 1891 schrieb Ledebour für den „Vorwärts“, wurde dort<br />

fester Mitarbeiter <strong>und</strong> außerdem ab 1900 Mitarbeiter der „Neuen Zeit“. 1895 heiratete er Minna Stamfuß.<br />

Während des Ersten Weltkrieges trat Ledebour der USPD bei, wurde Redakteur des „Klassenkampfes“ (1922-<br />

1928[?]) <strong>und</strong> 1918 Mitglied im Berliner Arbeiter- <strong>und</strong> Soldatenrat. 1900-1918 <strong>und</strong> 1920-1924 war Ledebour<br />

Abgeordneter des Reichstages. Nach 1924 blieben seine Kandidaturen erfolglos. 1927 gründete Ledebour die<br />

„Weltliga gegen Imperialismus“ mit. Er trat 1931 der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) bei <strong>und</strong><br />

emigrierte 1933 in die Schweiz.<br />

341 Ledebour, Georg: Die Frauenfrage. I. In: GL, 12/ 15/ 16.07.1902/ 115-118; Die Frauenfrage. II. In: GL, 12/ 16/<br />

30.07.1902/ 122-124.<br />

342 Die Frauen <strong>und</strong> die Politik. In: GL, 13/ 10/ 06.05.1903/ 80.<br />

343 1901 veröffentlichte Braun ihre Schrift „Die Frauenfrage, ihre geschichtliche Entwicklung <strong>und</strong> ihre<br />

wirtschaftliche Seite“, in der Zetkin kaum Beachtung fand, was sie durchaus verärgert haben dürfte.<br />

344 Siehe: Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus.<br />

345 Vgl. Lily Braun †. In: GL, 26 (1916)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 25/ 97. Es wirkt angesichts der<br />

Bedeutung Brauns für die „Gleichheit“ <strong>und</strong> die proletarische Frauenbewegung sehr befremdlich, dass ihr Nachruf<br />

lediglich in der Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ erschien <strong>und</strong> ihm Artikel wie „Vom Würzen der<br />

Speisen II.“ von M.Kt. [Marie Kunert?] folgten.<br />

346 Blos, Anna: „Die Frauenfrage“ von Lily Braun. In: GL, 27/ 26/ 28.09.1917/ 185-187; „Die Frauenfrage“ von Lily<br />

Braun. (Schluß.) In: GL, 28/ 01/ 12.10.1917/ 5-7.<br />

347 Blos, Anna: „Die Frauenfrage“ von Lily Braun. In: GL, 27/ 26/ 28.09.1917/ 186.<br />

348 Ebd. Entscheidender Kritikpunkt war der hohe Preis der Ausgabe, der das Werk der „Allgemeinheit schwer<br />

zugänglich“ (ebd.) machte. Blos votierte für eine Umarbeitung <strong>und</strong> eine „billige Volksausgabe“ (ebd.).<br />

150


2.3.1 DIE MITARBEITERINNEN ZETKINS<br />

Brauns häufig auf. 349 Auf den Vorschlag, deren „Memoiren einer Sozialistin“ in den Frauenlese-<br />

abenden zu behandeln, reagierte die bekennende Bew<strong>und</strong>erin Brauns dann aber doch ablehnend.<br />

Sie seien aufgr<strong>und</strong> ihres Romancharakters für diese Veranstaltungen nicht geeignet. Sie enthielten<br />

„manches, was besser ungeschrieben geblieben wäre <strong>und</strong> was sehr kritisch gelesen werden“ 350<br />

müsse, ja, sie könnten als Stoff für Frauenleseabende sogar „Unheil anrichten“ 351 .<br />

Wie die Karriere Brauns war auch die der Luise Zietz (1865-1922) sehr rasant. So wie Braun<br />

sollte auch sie mit Zetkin manchen Konflikt austragen. Zietz gilt als eine besondere Führerin der<br />

proletarischen Frauenbewegung, weil sie wie Baader aus proletarischen Verhältnissen stammte.<br />

Erwerbstätig als Dienstmädchen, Tabakarbeiterin <strong>und</strong> Kaffeeverleserin, kam sie schließlich durch<br />

ihren Ehemann Karl Zietz in Kontakt mit der Hamburger Arbeiterbewegung. 352 Bereits 1897<br />

wurde Zietz erstmals zu einem Parteitag delegiert. Später gründete sie in Hamburg die erste<br />

Dienstmädchenorganisation. Ihr erster für die „Gleichheit“ verfasster Artikel erschien im Januar<br />

1898. 353 Zetkin blickt in ihrem in der „Kommunistischen Fraueninternationale“ (1921-1925) ver-<br />

öffentlichten Nachruf auch auf diese ersten Jahre zurück:<br />

„Während eines Streiks Hamburger Arbeiter – dafern meine Erinnerung nicht<br />

täuscht, der Bäcker – knüpften sich Beziehungen zu mir, als Redakteurin der<br />

‘Gleichheit’. Luise Zietz schickte einen Bericht ein, der allein eine ganze Nummer<br />

der Zeitschrift gefüllt hätte, <strong>und</strong> indem die Verfasserin in einem ebenso harten<br />

Kampf mit der deutschen Sprache stand, als mit der Bourgeoisie. Jedoch der Bericht<br />

zeigte sinnfällig eine überdurchschnittliche Begabung, scharfen proletarischen<br />

Instinkt <strong>und</strong> das ernste Ringen um Klarheit über die sozialen Erscheinungen. Er<br />

wurde der Ausgangspunkt einer vieljährigen, fruchtbaren Kampfesgemeinschaft für<br />

uns beide <strong>und</strong> einer persönlichen Fre<strong>und</strong>schaft, die vor dieser Kampfesgemeinschaft<br />

zerbrach. Die regelmäßige Mitarbeit Luise Zietz‘ an der ‘Gleichheit’ <strong>und</strong> die<br />

damit verb<strong>und</strong>ene Korrespondenz wurden für die strebsame Genossin zur Schule<br />

349 Blos, Anna: Alt-Weimarer Tage. In: GL, 29/ 14/ 11.04.1919/ 109-111 (darin enthalten waren u. a. Zitate aus der<br />

von Braun herausgegebenen Biographie ihrer Großmutter Jenny v. Gustedt).<br />

350 Blos, Anna[: Ohne Titel.] In: GL, 30/ 07/ 14.02.1920/ 55.<br />

351 Ebd.<br />

352 1896/97 hatte Zietz im Rahmen eines Hafenarbeiterstreiks ihren ersten öffentlichen Auftritt als Rednerin, kurze<br />

Zeit später erfolgte die Ehescheidung. Evans sieht darin einen Zusammenhang (vgl. Evans, Sozialdemokratie <strong>und</strong><br />

Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich S. 161), Notz dagegen vermutet, dass die Ehe von Anfang an nicht<br />

sehr glücklich gewesen sei (vgl. Notz, Alle, die ihr schafft <strong>und</strong> euch mühet im Dienste anderer, seid einig!,<br />

S. 137). Die Ausbildung als Kindergärtnerin an der Hamburger Fröbelschule markierte, so Notz, neben der<br />

Lektüre von Bebels berühmten Buch „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“ „den Beginn ihres Aufstiegs zu einer der bedeutendsten<br />

Politikerinnen ihrer Zeit“ (ebd.).<br />

353 Zietz, Lisa: Die Lohn- <strong>und</strong> Arbeitsbedingungen der Kaffee-Verleserinnen. In: GL, 08/ 02/ 19.01.1898/ 10-11. Der<br />

Druckfehler „Lisa“ statt „Luise“ dürfte dazu geführt haben, dass Zeisler in der seiner Dissertation angehängten<br />

tabellarischen Zusammenstellung jenen ersten Artikel unerwähnt ließ. Laut dieser Zusammenstellung war Zietz‘<br />

erster „wesentlicher“ Artikel „Stellungnahme der Hamburger Genossinnen zum Streik der Bäcker <strong>und</strong> zum<br />

Brotboykott“ (In: GL, 08/ 16/ 03.08.1898) (vgl. Zeisler, Luise Zietz, Anhang S. 22ff.). Übersehen oder nicht als<br />

wesentlich erachtet wurde von Zeisler auch der Artikel: Zietz, Louise: Kaffeeverleserinnen als Heimarbeiterinnen.<br />

In: GL, 08/ 13/ 22.06.1898/ 100-101. Erst ab 1904 zeichnete Zietz ihre Artikel einheitlich als Luise Zietz (vgl.<br />

Zietz, Luise: Der Hamburger Bierboykott. In: GL, 14/ 13/ 15.06.1904/ 98-99).<br />

151


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

theoretischer Klärung <strong>und</strong> Vertiefung, wie ihre rege Betätigung in Versammlungen,<br />

bei Agitations- <strong>und</strong> Organisationsarbeit zur Schule vielseitiger Praxis.“ 354<br />

Zu Beginn ihrer Mitarbeit an der „Gleichheit“ berichtete Zietz vornehmlich aus der aktuellen<br />

Hamburger Arbeiterbewegung <strong>und</strong> schließlich bevorzugt über verschiedene weibliche Lebens-<br />

<strong>und</strong> Arbeitsbedingungen 355 . Dies tat sie jedoch nicht nur für die „Gleichheit“, sondern auch für<br />

andere SPD-Presseorgane. 356 Auffällig ist, dass sich nach 1908 die Gesamtzahl ihrer<br />

Veröffentlichungen halbierte, was wohl ihrer zeitlichen Beanspruchung durch das in diesem Jahr<br />

übernommene Amt im Parteivorstand <strong>und</strong> als Leiterin des „Frauenbüros“ geschuldet sein dürfte.<br />

Ungeklärt ist, wie Zetkin die Wahl Zietz‘ in den Parteivorstand aufgenommen hat. Sah sie sich<br />

von Zietz quasi ausgestochen 357 , oder hatte Zetkin dieses Amt gar nicht gewollt, um nicht der<br />

direkten Kontrolle durch den Parteivorstand zu unterstehen? Nach der Art <strong>und</strong> Weise, wie Zetkin<br />

ihre Position als „Gleichheit“-Redakteurin definierte, ist m. E. eher anzunehmen, dass sie dieses<br />

Amt gr<strong>und</strong>sätzlich nicht angestrebt hatte. 358<br />

Zietz war eine der bekanntesten der durch die verschiedenen Landkreise <strong>und</strong> Städte reisenden<br />

Agitatorinnen, eine hervorragende Rednerin, die große Volksnähe bewies <strong>und</strong> von den Behörden<br />

sicherlich deshalb als sehr gefährlich eingestuft <strong>und</strong> häufig verhaftet wurde. 359 Zietz war aber auch<br />

ein theoretisch geschultes Mitglied der Führungsgruppe der proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong><br />

deren politischer Radikalität verb<strong>und</strong>en. Innerhalb der „Gleichheit“-Mitarbeiterschaft nahm Zietz<br />

keine Position ein, die Zetkins Autorität <strong>und</strong> Führungskraft untergraben hätte. Daher kann Zietz<br />

nicht als Konkurrentin zu Zetkin charakterisiert werden, auch wenn Evans in Bezug auf die<br />

354 Zetkin, Luise Zietz †, Reprint S. 673. Notz führt dagegen Zietz‘ Mitarbeit für die „Gleichheit“ auf einen anlässlich<br />

des Parteitags 1897 in Berlin entstandenen Kontakt mit Clara Zetkin <strong>und</strong> Ottilie Baader zurück (vgl. Notz, Alle,<br />

die ihr schafft <strong>und</strong> euch mühet im Dienste anderer, seid einig!, S. 137).<br />

355 Vgl. Fußnote 58 <strong>und</strong> Zietz, Louise: Frauen als Speicherarbeiter in Hamburg. In: GL, 11/ 22/ 23.10.1901/ 171-172.<br />

356 Insgesamt veröffentlichte Zietz in der „Gleichheit“ bis 1917 28 Leitartikel, 86 Artikel, 66 Berichte <strong>und</strong> 210<br />

Kurzberichte/Notizen (vgl. Zeisler, Luise Zietz, Anhang S. 17). Diese veröffentlichte Zietz nicht allein in der<br />

„Gleichheit“, sondern auch im „Vorwärts“ in der „Neuen Zeit“, in der „Leipziger Volkszeitung“ <strong>und</strong> ihrer<br />

Frauenbeilage, in „Der Proletarier“ (1892-1933), im „Zentralorgan des Verbandes der Hausangestellten“ (1909-<br />

1923), der „Arbeiter-Jugend“ (1909-1933), diversen lokalen SPD-Blättern <strong>und</strong> in den USPD-Organen „Freiheit“<br />

(1918-1922) <strong>und</strong> „Die Kämpferin“ (vgl. ebd., S. 22-27).<br />

357 „Durch die Wahl von Luise Zietz verlor Clara Zetkin, die für die reformistische Parteiführung zu kritisch<br />

geworden war, ihre Vormachtstellung in der proletarischen Frauenbewegung. Die wollte sie natürlich nicht<br />

kampflos aufgeben.“ (Notz, Alle, die ihr schafft <strong>und</strong> euch mühet im Dienste anderer, seid einig!, S. 141.; vgl. auch<br />

Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 133).<br />

358 Die biographische Literatur gibt zur Reaktion Zetkins keinerlei Aufschluss.<br />

359 Zietz verfasste für die „Gleichheit“ einen Artikel, in welchem sie ihre eigenen Erfahrungen als Arrestierte<br />

beschrieb (vgl. Zietz, Louise: Die Untersuchung der <strong>weiblichen</strong> Gefangenen. In: GL, 10/ 03/ 31.01.1900/ 18-19).<br />

1906 wurde Zietz wegen „Verächtlichmachung irgendwelcher Staatseinrichtungen“ angeklagt <strong>und</strong> zeichnete sich<br />

laut Zetkin „bei ihrer Agitation gerade dadurch aus, daß sie die nötige unerbittliche Schärfe <strong>und</strong> Leidenschaft in<br />

der Kritik der fluchbeladenen kapitalistischen Ordnung <strong>und</strong> ihres Staates mit einer klugen Beachtung der<br />

Gesetzestexte verbindet, an der sich recht viele Hüter des Gesetzes ein Beispiel nehmen könnten“ (GL, 16/ 08/<br />

18.04.1906/ 52).<br />

152


Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung der Meinung ist, dass sie<br />

2.3.1 DIE MITARBEITERINNEN ZETKINS<br />

„erst unter Führung von Luise Zietz aufhörte, eine kleine Sekte zu sein, <strong>und</strong> für die<br />

Frauen der Arbeiterklasse in einem allgemeineren Sinn repräsentativ wurde.“ 360<br />

Zetkins Rückblick auf das Leben Luise Zietz‘ – gerade was ihre Bedeutung für die proletarische<br />

Frauenbewegung betrifft – ist dagegen viel kritischer. Zietz sei<br />

„kein schöpferischer Geist [gewesen], der neue, eigene Gedanken gab oder neue<br />

Prägung von Gedanken fand, allein ihr eignete eine hervorragende rezeptive <strong>und</strong><br />

reproduktive Begabung“ 361 .<br />

Dieses Urteil dürfte nicht ganz frei von persönlichen Vorbehalten gewesen sein 362 , doch vor allem<br />

war es beeinflusst von Zietz‘ Positionierung innerhalb der Partei, die Zetkin wie folgt beschreibt:<br />

„Lange focht sie [Zietz; M.S.] auf dem linken Flügel der Partei <strong>und</strong> erreichte in<br />

diesen Zeiten den Höhepunkt ihres Reifens, ihrer Entwicklung. Ein Wandel, ein<br />

Abwärts begann sich zu vollziehen, nachdem sie 1908 als Vertreterin der Frauen in<br />

den Parteivorstand gewählt worden war, ein Amt, das ihr jeder Parteitag der<br />

Vorkriegszeit anvertraute. […] Allein immer augenscheinlicher ward das<br />

Hinübergleiten zu einer ‘vernünftigen, sachlich begründeten’ Opposition, zum<br />

‘Zentrum’ 363 , das opportunistisches Handeln mit gr<strong>und</strong>satztreuen Phrasen verbrämte.<br />

[…] Sie ließ widerstandslos, kampflos den Verrat der Sozialdemokratie,<br />

der Zweiten Internationale geschehen.“ 364<br />

Das „Hin <strong>und</strong> Her ihrer Ueberzeugung“ 365 zeigte sich in ihrem Wechsel zwischen linkem Flügel<br />

der SPD, Reformismus, Burgfrieden <strong>und</strong> erneutem Kampf gegen den Krieg, den sie schließlich als<br />

Mitglied der USPD aufnahm – diese Entwicklung wird noch anhand ihres in der „Gleichheit“<br />

erschienenen Nachrufs näher zu beleuchten sein.<br />

Ein Mitglied der Führungsgruppe der proletarischen Frauenbewegung, das nach dem Ersten<br />

Weltkrieg im Gegensatz zu Zietz nicht als Abgeordnete der USPD, sondern der SPD im Reichstag<br />

wirken sollte, war Marie Kunert (1871-1957) 366 . Kunert hat für diese Dissertation besondere<br />

360 Evans, Sozialdemokratie <strong>und</strong> Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich, S. 169.<br />

361 Zetkin, Luise Zietz †, Reprint S. 673<br />

362 Ein weiterer persönlicher Gr<strong>und</strong> der Abneigung zwischen Zietz <strong>und</strong> Zetkin sieht Notz in einem Ereignis, das mit<br />

der Redaktionsarbeit in der „Gleichheit“ zusammenhängt. 1909 habe Zetkin eine Schwägerin Rosa Luxemburgs<br />

als Sekretärin in der Redaktion der „Gleichheit“ anstellen wollen. Dafür hätte jedoch Zietz ihren Platz als ständige<br />

„Gleichheit“-Mitarbeiterin räumen müssen. Da der Parteivorstand hinter Zietz stand <strong>und</strong> Zetkins Einspruch bei<br />

der Kontrollkommission, der sie selbst angehörte, nicht fruchtete, habe Zetkin daraufhin gedroht, die Herausgeberschaft<br />

der Gleichheit niederzulegen. Dies habe Luxemburg jedoch verhindert. Doch der Streit hatte damit<br />

noch nicht sein Ende gef<strong>und</strong>en. Nun habe Zetkin mit Unterstützung Luxemburgs versucht, die Entlassung Zietz‘<br />

aus dem Frauenbüro zu erreichen, um sie durch die parteilinke Käte Duncker zu ersetzen. Doch auch hier konnte<br />

sich Zetkin nicht durchsetzen (vgl. Notz, Alle, die ihr schafft <strong>und</strong> euch mühet im Dienste anderer, seid einig!,<br />

S. 141).<br />

363 Die „Zentristen“ hatten eine zwischen den Flügeln vermittelnde Position einnehmen wollen. Erst ein<br />

herausragender Vertreter des linken Flügels, wurde später auch Karl Kautsky ein Zentrist.<br />

364 Zetkin, Luise Zietz †, Reprint S. 674.<br />

365 Ebd., S. 675.<br />

366 Marie Kunert, geb. Bombe, absolvierte eine Lehrerinnenausbildung <strong>und</strong> heiratete 1890 den SPD-Politiker,<br />

153


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Bedeutung, da sie für drei biographische Artikel verantwortlich zeichnete. 367 Die ausgebildete<br />

Lehrerin <strong>und</strong> Schriftstellerin begann ihre journalistische Tätigkeit für verschiedene SPD-Organe<br />

1889. Kunerts Arbeiten für die „Gleichheit“ erschienen sowohl im Hauptblatt als auch in der<br />

Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“. Aus einem ihrer ersten „Gleichheit“-Artikel mit<br />

dem Titel „Moderne Sklaverei“ 368 erfuhren die Leserinnen z. B., dass in Deutschland ca. 50<br />

verschiedene Gesindeordnungen existierten, 15 davon allein in Bayern. Kunerts Hauptaugenmerk<br />

aber lag auf Fragen der Reformkleidung <strong>und</strong> der Ernährung. 369<br />

Auch die gebürtige Österreicherin Luise Kautsky (1864-1944) 370 hatte Bedeutung für die ge-<br />

schichtsbewusstseinsbildende Arbeit der „Gleichheit“. Die zweite Ehefrau 371 des Parteitheoretikers<br />

Redakteur des „Vorwärts“ <strong>und</strong> Reichstagsabgeordneten Fritz Kunert. Ab 1899 war sie journalistisch <strong>und</strong><br />

redaktionell für die SPD-Presse <strong>und</strong> als Übersetzerin tätig. 1921-1928 war Kunert Mitglied des Preußischen<br />

Landtages (von 1921-1925 für die USPD bzw. ab 27.09.1922 für die Vereinigte SPD <strong>und</strong> 1925-1928 für die SPD),<br />

1928-1933 Reichstagsabgeordnete <strong>und</strong> vor allem sozialpolitisch tätig. 1933 emigrierte sie nach Zürich <strong>und</strong> ließ<br />

sich später im Tessin nieder.<br />

367 Kunert, Marie: Minna Kautsky. In: GL, 17/ 12/ 10.06.1907/ 100-101; [Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel.<br />

In: GL, 21/ 25/ 11.09.1911/ 391; Elise Schweichel zum Gedächtnis. In: GL, 22/ 11/ 19.02.1912/ 167.<br />

368 Kunert, Marie: Moderne Sklaverei. In: GL, 04/ 11/ 30.05.1894/ 84-86. Außerdem im Hauptblatt erschienen: Die<br />

Lehrerinnen <strong>und</strong> das Frauenwahlrecht. In: GL, 21/ 12/ 13.03.1911/ 183-184; Gegen die Abtreibungsparagraphen.<br />

In: GL, 33/ 13/ 01.07.1923/ 107-108 (es handelte sich dabei um eine von ihr im Preußischen Landtag gehaltene<br />

Rede).<br />

369 Kunert, Marie: Zur Reform der Frauenkleidung. I. In: GL, 20 (1910) / „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 15/<br />

58-59; Zur Reform der Frauenkleidung. II. In: GL, 20 (1910) / „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 17/ 66-67;<br />

Zitronen <strong>und</strong> Apfelsinen. In: GL, 21 (1911) / „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 09/ 35; Reform der Ernährung.<br />

I. In: GL, 23 (1913)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 24/ 94-95; Reform der Ernährung. II. In: GL, 23<br />

(1913)/ 25/ 98-99; Reform der Ernährung. III. In: GL, 23 (1913)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 26/ 103;<br />

Für die Hausfrau – Vegetarische Würstchen … In: GL, 23 (1913)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 26/ 103;<br />

Krieg <strong>und</strong> Geschlechtskrankheiten. In: GL, 26 (1916)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 09/ 33-34.<br />

370 Luise Kautsky, geb. Ronsperger, entstammte einer wohlhabenden jüdischen Konditorenfamilie aus Wien. Sie war<br />

eine Fre<strong>und</strong>in Minna Kautskys <strong>und</strong> heiratete 1890 deren Sohn Karl. 30 Jahre lebte sie mit ihm vor allem in<br />

Deutschland, da der Sitz der von Karl redigierten „Neue Zeit“ der Stuttgarter Dietz-Verlag war. Hier kamen ihre<br />

drei Söhne Karl, Felix <strong>und</strong> Benedikt zur Welt. Kautsky übersetzte viele sozialistische Gr<strong>und</strong>lagenwerke <strong>und</strong><br />

verfasste biographische Skizzen zur Dänin Nina Bang (1866-1928), zur Deutschen Luise Zietz <strong>und</strong> zur Russin<br />

Vera Sassulitsch (1849-1919). Ihre Fre<strong>und</strong>schaft zu Rosa Luxemburg stand über den politischen Differenzen, die<br />

diese später mit Karl Kautsky hatte. 1914-1917 arbeitete Kautsky im Bildungsausschuss der SPD <strong>und</strong> wurde<br />

später Stadtverordnete in Berlin-Charlottenburg. 1923 gab Kautsky die von Luxemburg an sie <strong>und</strong> Karl<br />

gerichteten Briefe heraus („Luxemburg, Rosa: Briefe an Karl <strong>und</strong> Luise Kautsky (1896-1918)“) <strong>und</strong> 1929 erschien<br />

das von Kautsky verfasste Buch „Rosa Luxemburg. Ein Gedenkbuch“. 1924 kehrte das Ehepaar Kautsky nach<br />

Wien zurück. 1938 emigrierte das Ehepaar erst nach Prag <strong>und</strong> schließlich nach Amsterdam, wo Karl im Oktober<br />

1938 starb. Kautsky hatte keine legalen Papiere für den Aufenthalt in Holland. Dennoch lehnte sie ein Visum nach<br />

Großbritannien ab, da sie ansonsten den Briefkontakt zu ihrem im Konzentrationslager Buchenwald inhaftierten<br />

Sohn Benedikt verloren hätte. Nur wenige Tage nach ihrem 80. Geburtstag wurde Kautsky aufgegriffen, erst in<br />

das Lager Oswiecem <strong>und</strong> schließlich nach Auschwitz-Birkenau verschleppt. Dort gelang es mutigen<br />

Mitgefangenen, ihr einen Platz auf der Krankenstation zu verschaffen, wo sie 1944 verstarb.<br />

371 Insoweit es sich um für die „Gleichheit“ verfasste Artikel handelt, ist es eher unwahrscheinlich, dass Kautskys<br />

erste Ehefrau Louise (eigentl. Ludowika Josefa) Kautsky (1860-1959), geb. Strasser, als Verfasserin der mit L.K.<br />

oder L.Ky. gezeichneten Artikel in Frage kommt. Denn Kautsky, 1888 geschieden <strong>und</strong> seit 1890 als Sekretärin<br />

Friedrich Engels' in London lebend, heiratete bereits 1894 den Arzt Ludwig Freyberger. Tatsächlich hatte ihre<br />

schriftstellerische Tätigkeit, u. a. für die „Wiener Arbeiterinnenzeitung“, vor dieser zweiten Heirat für Verwirrung<br />

gesorgt. Deshalb hatte Karl Kautsky ihr nahe legen wollen, ihren Mädchennamen voranzustellen. Auch diese<br />

Überlegung wiederum sorgte für viele Missverständnisse <strong>und</strong> trübte das bisher gute Verhältnis sowohl zu seiner<br />

geschiedenen Frau wie auch zu Engels. Das Kapitel, in welchem der entsprechende Briefwechsel zwischen<br />

154


2.3.1 DIE MITARBEITERINNEN ZETKINS<br />

Karl Kautsky zeichnete verantwortlich für einige biographische Artikel. Während sie unter Zetkin<br />

u. a. eine achtteilige Artikelserie zur „Schulspeisung“ 372 veröffentlichte, waren es in der „neuen“<br />

„Gleichheit“ nur noch einige ihrer Lebenserinnerungen 373 .<br />

Oft als Autorin der „Gleichheit“ angeführt wird die wohl berühmteste Frau auf der Seite der<br />

Linken: Rosa Luxemburg (1871-1919). Luxemburg gilt allerdings, da sie selten frauen-<br />

spezifische Aspekte in den Vordergr<strong>und</strong> ihres politischen Wirkens stellte, nicht als Protagonistin<br />

der proletarischen Frauenbewegung. Sie war eine enge Fre<strong>und</strong>in Zetkins <strong>und</strong> teilte deren radikale<br />

Ansichten, bzw. inspirierte diese sogar. 374 Luxemburgs erster „Gleichheit“-Beitrag war, so das<br />

Ergebnis der Durchsicht der „Gleichheit“, ein 1905 veröffentlichter Leitartikel, der sich mit der<br />

Revolution in Russland beschäftigte. 375 Luxemburgs allgemeinpolitische Arbeit wie auch ihre<br />

Führungsposition innerhalb der Partei erklären, warum nahezu jeder ihrer „Gleichheit“-Beiträge<br />

in Form eines Leitartikels veröffentlicht wurde. Während des Ersten Weltkriegs wurde sie selbst<br />

aufgr<strong>und</strong> ihrer prinzipiellen antimilitaristischen <strong>und</strong> dem Geist des proletarischen<br />

Internationalismus verpflichteten Haltung – wie auch Karl Liebknecht – oft zum Gegenstand<br />

verschiedener „Gleichheit“-Notizen. Die „Gleichheit“ berichtete über ihre Aktionen, ihre Verhaf-<br />

tungen, Gerichtsprozesse, Verurteilungen <strong>und</strong> Freilassungen. 376 Der „neuen“ „Gleichheit“ dagegen<br />

ist sogar Luxemburgs Ermordung im Januar 1919 – zumindest im untersuchten Hauptblatt – keine<br />

einzige Zeile wert. 377<br />

Die „Gleichheit“ war eine politische Frauenzeitschrift von Frauen für Frauen. Das vorhergehende<br />

Kapitel zur „Gleichheit“-Redaktion <strong>und</strong> das große I in dem Begriff „MitarbeiterInnen“ markieren<br />

allerdings bereits, dass durchaus auch Männer für die „Gleichheit“ tätig waren. Während des<br />

Ersten Weltkrieges war – wie am Lebensweg Edwin Hoernles gezeigt – die Einberufung zum<br />

Kriegsdienst den Militärbehörden eine willkommene Strafmaßnahme für prinzipientreue männ-<br />

Kautsky <strong>und</strong> Engels in der Zeit vom 13.05.1892 bis 10.07.1892 veröffentlicht wurde, trägt den treffenden Titel<br />

„Der Krieg um den Kriegsnamen“ (vgl. Friedrich Engels' Briefwechsel mit Karl Kautsky, S. 339-357).<br />

372 Kautsky, Luise: Schulspeisung. [I-VIII]. In: GL, 18/ 10/ 11.05.1908/ 86-87 bis GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 182-183.<br />

373 Kautsky, Luise: Mai-Erinnerungen. In: GL, 33/ 09-10/ 01.05.1923/ 71-79.<br />

374 Zetkin habe ihre Verehrung für Luxemburg <strong>und</strong> Bebel bis hin zum Heiligenkult gesteigert. Vgl. Puschnerat, Clara<br />

Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 92.<br />

375 Luxemburg, Rosa: Die Revolution in Rußland. In: GL, 15/ 03/ 08.02.1905/ 13.<br />

376 Hier eine Auswahl der über Rosa Luxemburg verfassten „Gleichheit“-Artikel, von denen die meisten in der<br />

Notizenteil-Rubrik „Burgfrieden“ erschienen: Genossin Luxemburg verurteilt. In: GL, 24/ 12/ 04.03.1914/ 178-<br />

179; Positive Arbeit. In: GL, 24/ 22/ 22.07.1914/ 337-339; Ein Jahr Gefängnis für Genossin Luxemburg, … In:<br />

GL, 25/ 04/ 13.11.1914/ 24; Ein Aufschub der Strafvollstreckung gegen Genossin Luxemburg. In: GL, 25/ 10/<br />

05.02.1915/ 58; Aus dem preußischen Abgeordnetenhaus. In: GL, 25/ 13/ 19.03.1915/ 78; Die Strafvollstreckung<br />

gegen Genossin Luxemburg … In: GL, 25/ 13/ 19.03.1915/ 78; Genossin Luxemburg verhaftet. In: GL, 26/ 23/<br />

04.08.1916/ 175; Genossin Luxemburg in Leipzig verurteilt. In: GL, 27/ 05/ 08.12.1916/ 36; Genossin Rosa<br />

Luxemburg wieder in Freiheit. In: GL, 26/ 12/ 03.03.1916/ 89.<br />

377 Vgl. GL, 29/ 09/ 31.01.1919/ 65-72.<br />

155


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

liche Sozialdemokraten. Eine Strafmaßnahme, die nicht selten damit endete, dass die zum Krieg<br />

gezwungenen aus diesem nicht mehr zurückkehrten. So erging es auch dem Mitarbeiter der<br />

Kinderbeilage Henry Möhring (?-1916) 378 . Möhring verfasste unter dem Pseudonym „Roland“ 379<br />

vor allem Buchempfehlungen, kulturhistorische Skizzen, Märchen <strong>und</strong> kulturkritische Artikel. Er<br />

wurde 1915 zum Kriegsdienst eingezogen <strong>und</strong> durch einen Kopfschuss getötet. Sein letztes in der<br />

„Gleichheit“ veröffentlichtes Märchen „Unfried <strong>und</strong> seine Gesellen“ habe er direkt von der Front<br />

geschickt. Laut der „Gleichheit“-Redaktion war dieses Märchen der Beweis dafür, dass Möhring<br />

„mitten in der Verrohung <strong>und</strong> den Schrecken des Krieges seinen Idealen der Menschlichkeit <strong>und</strong><br />

des Friedens treu geblieben“ 380 sei.<br />

Zwei weitere männliche Mitarbeiter, die vor allem durch ihre Themengebiete – Nationalökonomie<br />

<strong>und</strong> Geschichte – <strong>und</strong> durch die von der „Gleichheit“-Redaktion gegebenen Informationen zu<br />

ihrer Person auffallen, waren Julian Borchardt (1868-1932) 381 <strong>und</strong> Manfred Wittich (1851-<br />

1902) 382 .<br />

378 Möhring stammte gebürtig aus einer Hamburger Arbeiterfamilie, sein Vater war Zigarrenmacher. Nach dem<br />

Besuch der Volksschule <strong>und</strong> des Hamburger Lehrerseminars arbeitete er seit 1907 als Lehrer an einer Volksschule<br />

im Arbeitervorort Rothenburgsort. Er war Mitglied des Hamburger Jugendschriftenausschusses. Möhring hinterließ<br />

nach seinem Tod eine Frau <strong>und</strong> eine kleine Tochter (vgl. Henry Möhring gefallen. In: GL, 26/ 21/ 07.07.1916/<br />

159).<br />

379 Einige Artikel von Möhring als Roland: <strong>Von</strong> guten <strong>und</strong> schlechten Büchern für unsere Kinder. II. In: GL, 21<br />

(1911)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 05/ 18; Roland: Sedan! In: GL, 21/ 24/ 28.08.1911/ 376; Roland: <strong>Von</strong><br />

guten <strong>und</strong> schlechten Büchern für unsere Kinder. I. In: GL, 21 (1911)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 04/<br />

15; Roland: Gegen die Frauenverblödung im Kino. In: GL, 23/ 08/ 08.01.1913/ 115-116. Drust dagegen gibt an,<br />

dass sich hinter dem Pseudonym „Roland“ der Lehrer Emil Krause (1870-1943) verborgen habe (vgl. Drust, Für<br />

unsere Kinder, S. 202).<br />

380 Vgl. ebd.<br />

381 Julian Borchardt wurde im preußischen Bromberg geboren. Er war Sohn eines jüdischen Kaufmanns <strong>und</strong> nach<br />

Abschluss einer Lehre als Handlungsgehilfe selbst einige Jahre in Berlin als Kaufmann tätig. 1896-1900 arbeitete<br />

er als Bibliothekar <strong>und</strong> Lehrer in Brüssel, ein Studium an der Universität Brüssel schloss er nicht ab. Seit den<br />

1890er Jahren warBorchardt als Redakteur für verschiedene SPD-Blätter tätig (u. a. in Königsberg <strong>und</strong> Harburg).<br />

1906 erschien seine Broschüre „Wie sollen wir unsere Kinder ohne Prügel erziehen?“. 1907-1913 wurde er von<br />

dem zentralen Bildungsausschuss der SPD als Wanderlehrer besonders für die Nationalökonomie angestellt. 1911-<br />

1913 war Borchardt Abgeordneter des preußischen Landtags. Nach einem Konflikt mit der SPD-Führung gründete<br />

er erst eine eigene oppositionelle Zeitschrift – „Lichtstrahlen“ – <strong>und</strong> trat dann aus der SPD aus. Borchardt<br />

plädierte stark für eine Abspaltung der sozialdemokratischen Kriegsgegner von der SPD. Die „Lichtstrahlen“<br />

wurden Organ der 1914 von Borchardt mitgegründeten Gruppe „Internationale Sozialisten Deutschlands“ (ISD)<br />

<strong>und</strong> später der „Internationalen Kommunisten Deutschlands“ (IKD). Borchardt war Teilnehmer an der Zimmerwalder<br />

Konferenz (vgl. Koller, Subversive Ornithologen. Die Internationale Sozialistische Konferenz von<br />

Zimmerwald von 1915; Humbert-Droz, Der Krieg <strong>und</strong> die Internationale. Die Konferenzen von Zimmerwald <strong>und</strong><br />

Kienthal). 1916 wurden die „Lichtstrahlen“ verboten, der „Leuchtturm“ (1918) folgte ihnen nach. 1918 wurde<br />

Borchardt aus der IKD ausgeschlossen <strong>und</strong> war nun parteilos. 1919-1921 gab er erneut die „Lichtstrahlen“ heraus.<br />

1920 erschien Borchardts Volksausgabe des „Kapitals“. Er wurde Mitglied im „Schutzverband Deutscher<br />

Schriftsteller“ <strong>und</strong> Mitbegründer des „B<strong>und</strong>es proletarisch-revolutionärer Schriftsteller“, außerdem Lehrer an der<br />

Marxistischen Arbeiterschule (MASCH). Einem 1931 erfolgten Ruf an das Marx-Engels-Institut in Moskau<br />

konnte er aus Krankheitsgründen nicht nachkommen.<br />

382 Manfred Wittich studierte an der Universität Leipzig Philologie <strong>und</strong> machte während seines Studiums die<br />

Bekanntschaft mit Bebel, Wilhelm Liebknecht <strong>und</strong> Motteler. Er verfasste u. a. Artikel für den sozialdemokratischen<br />

„Volksstaat“ (1869-1879). 1878 ging Wittich nach erfolgreichem Examen für das Lehramt an<br />

Gymnasien nach Dresden <strong>und</strong> unterrichtete an einer Privatschule Latein, Griechisch, Geschichte <strong>und</strong> Deutsch.<br />

156


2.3.1 DIE MITARBEITERINNEN ZETKINS<br />

Borchardt verfasste für die „Gleichheit“ von 1904 bis 1911 vor allem allgemeinverständliche<br />

Erläuterungen zu nationalökonomischen Aspekten der sozialistischen Theorie. Seine Artikel<br />

tragen z. B. leicht fassbare Titel wie „Woher kommt der Wert?“ oder „Woher kommt der<br />

Profit?“. 383 Dieses Bemühen um gr<strong>und</strong>legende Einblicke in die Nationalökonomie dürften der<br />

Tätigkeit Borchardts als Wanderlehrer geschuldet sein. Ab der ersten Nummer des 17. Jahrgangs<br />

erschien regelmäßig eine mit „J.B.“ gezeichnete Artikelserie mit dem Titel „Umsturz <strong>und</strong> Revo-<br />

lution“ 384 . Darin äußerte sich vermutlich Borchardt in sehr ausführlicher Darstellung zur sozialen<br />

Frage <strong>und</strong> übte Kritik an den reformerischen Strömungen. Seiner Meinung nach müssten alle<br />

Entwicklungen auf einen Umsturz hinaus laufen <strong>und</strong> der Träger dieser Revolution, denn nichts<br />

anderes sei ein negativ konnotierte Umsturz, sei das Proletariat. Borchardt verfasste gemeinsam<br />

mit Zetkin <strong>und</strong> Duncker die Schrift „Die Erziehung der Kinder in der proletarischen Familie“, die<br />

allerdings erst 1960 herausgegeben wurden. 385 1913 wurde Borchardt Herausgeber der Zeitschrift<br />

„Lichtstrahlen – Zeitschrift für Internationalen Kommunismus“ (1913/14-1920). Die Mitarbeit an<br />

der „Gleichheit“ scheint er zu diesem Zeitpunkt aufgegeben zu haben. Inwieweit auch sein<br />

Austritt aus der SPD mit der Beendigung seiner Mitarbeit zu tun hatte, geht aus der „Gleichheit“<br />

selbst nicht hervor. Diese blieb Borchardt aber verb<strong>und</strong>en, denn im Februar 1916 berichtete sie,<br />

dass er in Berlin ohne Angabe von Gründen verhaftet <strong>und</strong> erst zwei Monate später wieder ent-<br />

lassen worden sei. 386<br />

Manfred Wittich war bereits in den ersten Jahrgängen der „Gleichheit“ regelmäßig mit Artikeln<br />

<strong>und</strong> Berichten 387 vertreten. Unter diesen auch drei biographische Artikel, die noch eingehender<br />

betrachtet werden. 1901 erkrankte Wittich an einem schweren Blasen- <strong>und</strong> Rückenleiden, das zu<br />

Zuvor – 1884 – hatte er den staatlichen Schuldienst aufgegeben, um für die Sozialdemokratie ausschließlich als<br />

Schriftsteller <strong>und</strong> Agitator tätig zu sein. Gemeinsam mit Emanuel Wurm gab er die Dresdner Jugendzeitschrift<br />

„Der Volksfre<strong>und</strong>“ (?-?) heraus. 1887 heiratete Wittich die Kindergärtnerin Anna Rothe (?-?) (Rothe dürfte die<br />

Verfasserin des Werkes „Manfred Wittich. Ein Lebens- <strong>und</strong> Charakterbild. Dem deutschen Proletariat gewidmet<br />

von A.R.“ (1902) sein) <strong>und</strong> das Ehepaar siedelte 1890 nach Leipzig über. 1890-1894 arbeitete Wittich als<br />

Redakteur des Leipziger SPD-Organs „Der Wähler“ (1887-1894). Er verfasste u. a. biographische Arbeiten zu<br />

Ulrich von Hutten, Hans Sachs <strong>und</strong> J.W. von Goethe.<br />

383 Borchardt, Julian: <strong>Von</strong> der sozialen Frage. In: GL,14/ 20/ 21.09.1904/ 156-158; Vom Wert. I./ 15/ 01/ 11.01.1905/<br />

2; Woher kommt der Profit? In: GL,15/ 19/ 20.09.1905/ 110 <strong>und</strong> GL, 15/ 20/ 04.10.1905/ 116-117; Woher kommt<br />

der Wert? I. In: GL,15/ 06/ 22.03.1905/ 32; Woher kommt der Wert? II. In: GL, 15/ 08/ 19.04.1905/ 44; Der<br />

Mehrwert. I. In: GL, 16/ 03/ 07.02.1906/ 14; Der Mehrwert. II. In: GL, 16/ 04/ 21.02.1906/ 20; „Harmonie der<br />

Interessen.“ Ein Kapitel praktischer Nationalökonomie. In: GL, 21/ 21/ 17.07.1911/ 324-325.<br />

384 [Borchardt, Julian?] J. B.: Umsturz <strong>und</strong> Revolution [I-IV]. In: GL, 17/ 09.01.1907/ 3-4 bis GL, 17/ 11/<br />

27.05.1907/ 91-92.<br />

385 Zetkin/Duncker/Borchardt/Hohendorf: Die Erziehung der Kinder in der proletarischen Familie.<br />

386 Aus der Schutzhaft entlassen … In: GL, 26/ 16/ 28.04.1916/ 120.<br />

387 So erfuhr man aus der Rubrik „Arbeiterinnenbewegung“, dass Wittich z. B. auf einer öffentlichen Volksversammlung<br />

in Altona <strong>und</strong> Ottensen eine Rede mit dem Titel „Bauern <strong>und</strong> arme Leute zur Reformationszeit“<br />

gehalten hatte (Vgl. GL, 05/ 13/ 26.06.1895/ 98).<br />

157


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

einem nervlichen Zusammenbruch führte. Seine letzten Lebensjahre waren laut eines vermutlich<br />

von Zetkin verfassten Nachrufs vor allem eine durch finanzielle Not erschwerte Zeit. 388 Zetkin<br />

hob seine besondere Begabung <strong>und</strong> Bildung hervor, mit denen er leicht in eine „behäbige<br />

bürgerliche Existenz“ 389 hätte gelangen können. Wittich habe diese Fähigkeiten aber stattdessen in<br />

den Dienst des Sozialismus, in die „Erhebung <strong>und</strong> Läuterung des Menschenthums“ 390 gestellt.<br />

Außerdem besaß Wittich laut Zetkin viel Humor <strong>und</strong> beißenden Witz, aber auch eine besondere<br />

berufliche Penibilität – wie man aus einem seiner Briefe an die „Gleichheit“-Redaktion erfährt:<br />

„‘Ich schreibe gr<strong>und</strong>sätzlich nur nach genauer Kenntnißnahme der Werke über<br />

einen Dichter, <strong>und</strong> von der Christen 391 kenne ich Mehreres noch nicht, halte<br />

mich also nach meinem starren Gr<strong>und</strong>sätzen zur Zeit nicht für befugt ,<br />

über sie zu schreiben. Ich weiß wohl, daß diese Arbeitsart unpraktisch ist vom<br />

Erwerbsstandpunkt aus, aber, selbst Feind <strong>und</strong> Bekämpfer aller Redensartenmacherei<br />

in Kunst <strong>und</strong> Wissenschaft, kann <strong>und</strong> darf ich selbst auch nicht anders<br />

arbeiten.’“ 392<br />

Wittich ist einer derjenigen „Gleichheit“-AutorInnen, deren Artikel ein hohes wissenschaftliches<br />

Niveau aufweisen, das wiederum den meisten „Gleichheit“-Leserinnen ein besonderes Lese-<br />

Engagement abverlangt haben dürfte.<br />

388 Manfred Wittich †. In: GL, 12/ 16/ 30.07.1902/ 125-126, S. 125.<br />

389 Ebd., S. 126.<br />

390 Ebd., S. 125.<br />

391 Wittich sollte für die „Gleichheit“ einen Beitrag über das Werk der Dichterin Ada Christen (1839-1901) verfassen.<br />

392 Manfred Wittich in einem Brief an Clara Zetkin. Zit. nach: Ebd., S. 126.<br />

158


2.3.2 Die MitarbeiterInnen der neuen Redaktion<br />

2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION<br />

Eine Zeitschriftenredaktion baut vor allem auf diejenigen MitarbeiterInnen, die ihre eigene<br />

Haltung mittragen. Es ist deshalb interessant zu untersuchen, wie sich die Mitarbeiterschaft der<br />

„Gleichheit“ nach dem im Mai 1917 erzwungenen Redaktionswechsel zusammensetzte. Erstes<br />

auffälliges Ergebnis ist, dass für die „neue“ „Gleichheit“ nun AutorInnen schrieben, die zuvor von<br />

Zetkin anscheinend vergrault worden waren oder zu einer jüngeren Generation gehörten.<br />

<strong>Von</strong> besonderer Bedeutung für die im Mittelpunkt dieser Arbeit stehenden Frauenbiographien ist<br />

die „Gleichheit“-Mitarbeiterin Anna Blos (1866-1933). 1905 lud Zetkin Blos zur Mitarbeit an der<br />

„Gleichheit“ ein. Blos betonte in einer ihrer späteren Schriften „aus persönlicher Erfahrung […],<br />

daß die Arbeit mit Klara Zetkin als Schriftleiterin sehr angenehm“ 393 gewesen sei. Zwar habe<br />

Zetkin ihre ersten eingesandten Artikel noch ohne ihr Einverständnis korrigiert, doch eine<br />

schriftliche Beschwerde ihrerseits <strong>und</strong> ein „sehr fre<strong>und</strong>liche[r] Entschuldigungsbrief“ 394 Zetkins<br />

bereinigten die Angelegenheit. „<strong>Von</strong> da an“, so Blos, „vollzog sich unsere gemeinschaftliche<br />

Arbeit ganz reibungslos.“ 395<br />

Auch Ehemann Wilhelm Blos (1849-1927) 396 schrieb für die „Gleichheit“ – u. a. zwei hier noch<br />

vorzustellende biographische Skizzen 397 . Vor allem das den beiden Eheleuten gemeinsame große<br />

geschichtswissenschaftliche Interesse dürfte eine Erklärung für die ausgesprochen harmonische<br />

393 Blos, Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 25.<br />

394 Ebd.<br />

395 Ebd.<br />

396 Wilhelm Josef Blos wurde im badischen Wertheim geboren <strong>und</strong> war Sohn eines Arztes. 1868-1870 absolvierte er<br />

ein Philologiestudium in Freiburg <strong>und</strong> begann später eine journalistische Tätigkeit in der süddeutschen<br />

bürgerlichen Presse. Er trat 1872 der SPD bei <strong>und</strong> wurde Mitarbeiter u. a. beim sozialdemokratischen<br />

„Braunschweiger Volksfre<strong>und</strong>“ (1871-1906), ab 1873 beim „Volksstaat“. Ab 1875 wirkte Blos als Redakteur beim<br />

„Hamburg-Altonaer Volksblatt“ (1875-1878), später bei der „Gerichtszeitung“ (1878-1881). Aus Hamburg<br />

ausgewiesen, zog Blos nach Bremen, wo er Betreiber eines Korrespondenzbüros, dann Redakteur des<br />

„Norddeutschen Wochenblatts“ (1882-1886[?]) wurde. Schließlich siedelte der sozialdemokratische Historiker<br />

1883 nach Stuttgart über, wo er in die Redaktion der „Neuen Zeit“ <strong>und</strong> des „Wahren Jacob“ eintrat, in denen er bis<br />

1923 mitwirkte. Er wirkte außerdem noch an weiteren sozialdemokratischen Blättern u. a. dem „Vorwärts“ mit.<br />

Mit Unterbrechungen war Blos ab 1877 Reichstagsabgeordneter. 1905 heiratete er die Lehrerin Anna<br />

Tomasczewska. 1914 gehörte er zu den Befürwortern der Kriegskredite <strong>und</strong> übernahm 1918 den Vorsitz der<br />

Provisorischen Regierung. 1919/1920 amtierte Blos als bis dahin erster <strong>und</strong> seitdem einziger sozialdemokratischer<br />

Staatspräsident Württembergs. Als solcher ließ er einen württembergischen Generalstreik gewaltsam niederschlagen<br />

<strong>und</strong> stellte zur Niederschlagung der bayerischen Räterepublik Truppen zur Verfügung. 1922 erschien<br />

eine seiner letzten Veröffentlichung „<strong>Von</strong> der Monarchie zum Volksstaat“. Für die „Gleichheit“ verfasste Blos<br />

mehrere Artikel, u. a.: Aus dem „tollen Jahre“. In: GL, 16/ 08/ 18.04.1906/ 50-51 (beschreibt die Ereignisse des<br />

Jahres 1848); Die Frauen im Bauernkrieg. In: GL, 16/ 04/ 21.02.1906/ 19-20; [Blos, Wilhelm?] W. B.: Die Frau<br />

im Kriege. In: GL, 19 (1909)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 09/ 36.<br />

397 [Blos, Wilhelm?] W. B.: Aus dem Leben einer Revolutionärin. In: GL, 15/ 11/ 31.05.1905/ 63-64 (Louise Aston);<br />

Blos, Wilhelm: Eine deutsche Republikanerin. In: GL, 18/ 02/ 20.01.1908/ 13-14 (Amalie Struve).<br />

159


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Ehe sein, die sie führten. Weniger harmonisch war das Verhältnis zwischen Wilhelm Blos <strong>und</strong><br />

Zetkin. Während des Ersten Weltkriegs wurde er von Zetkin stark wegen seiner burgfriedlichen<br />

Haltung kritisiert – so stark, dass nach eigener Aussage Anna Blos aus diesem Gr<strong>und</strong> ihre Mit-<br />

arbeit an der „Gleichheit“ einstellte. 398<br />

Die von Anna Blos verfassten historischen Frauenbiographien erschienen sowohl in der „alten“<br />

als auch in der „neuen“ „Gleichheit“. Sie war keine umstrittene Persönlichkeit, die wie Braun<br />

durch wagemutige Ideen oder wie Zietz durch eine besonders herausragende Position innerhalb<br />

der proletarischen Frauenbewegung auffiel. Blos nahm kaum Stellung zu aktuellen Diskussionen,<br />

sondern beschränkte sich bevorzugt auf das Themengebiet der Geschichte. 399 Ihre diesbezüglichen<br />

Artikel scheinen in den kritischen Augen Zetkins, die in der Geschichte ja doch immerhin ein sehr<br />

zentrales Bildungsgebiet sah, unbedenklich gewesen zu sein. Wenn Blos jedoch Stellung zu<br />

aktuellen Themen nahm, dann bevorzugt zu Themen der Schulbildung (z. B. Mitwirkung von<br />

Frauen in den Schulbehörden, Schulkommissionen <strong>und</strong> Arbeiterschulen) 400 , zu den<br />

Reichstagswahlen 401 , zum Versailler Vertrag 402 oder der Agitation unter den Ehefrauen der<br />

Genossen 403 . Während 1919 ihr Ehemann Ministerpräsident Baden-Württembergs wurde, wurde<br />

sie Abgeordnete des Reichstages.<br />

Mit ihrem 1930 erschienenen Werk „Die Frauenfrage im Lichte des Sozialismus“ schuf Blos<br />

zudem ein Gr<strong>und</strong>lagenwerk zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung. Die in ihm ent-<br />

haltenen Informationen zur „Gleichheit“ sind sehr kritisch zu bewerten, denn Blos flechtete stark<br />

ihre subjektiven Erlebnisse <strong>und</strong> Meinungen ein. Diese sehr persönliche Perspektive ergibt<br />

allerdings eine sehr wertvolle Wahrnehmung von Zetkin <strong>und</strong> der „Gleichheit“. 404 Man erfährt<br />

außerdem, dass in den ersten Jahren die AutorInnen für ihre Mitarbeit an der „Gleichheit“ kein<br />

398 Vgl. Blos, Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 25.<br />

399 Da eine Vielzahl dieser Artikel in dem gesonderten Verzeichnis biographischer Artikel aufgeführt werden, wird an<br />

dieser Stelle auf ihre Auflistung verzichtet.<br />

400 Blos, Anna: Die Tätigkeit der Frau in der Gemeinde [I- XVI]. In: GL, 23/ 18/ 28.05.1913/ 279-280 bis GL, 24/ 17/<br />

13.05.1914/ 259-260.<br />

401 Blos, Anna: Was wir nicht vergessen dürfen! In: GL, 30/ 22/ 29.05.1920/ 173 (hierin wandte sich Blos gegen die<br />

bürgerlichen Parteien).<br />

402 Blos, Anna: Warum auch für uns „unannehmbar“. In: GL, 29/ 18/ 06.06.1919/ 138-139 (anlässlich der Vorlegung<br />

des Versailler Vertrages am 12. Mai 1919 bezeichnete sie diesen als „ein[en] Schrei des Jammers“ (ebd.))<br />

403 [Blos, Anna?] A. B.: Eine Aufgabe für alle. In: GL, 33/ 01/ 01.01.1923/ 6 (Blos wollte die Ehefrauen der<br />

Parteigenossen verstärkt an die Organisation heranführen).<br />

404 So empfand Blos z. B. Zetkins Lebensstil angesichts ihrer betonten Radikalität als sehr heuchlerisch (vgl. ebd.,<br />

S. 25; zur Kritik an Zetkins „unproletarischem“ Lebensstil siehe vor allem: Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit<br />

<strong>und</strong> Marxismus, S. 78ff.). Trotzdem war Blos davon überzeugt, dass sie „eine der allerbedeutendsten<br />

Frauen nicht nur der Sozialdemokratie, sondern in der gesamten Frauenwelt überhaupt“ (Blos, Geschichte der<br />

sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 24) sei <strong>und</strong> die „Gleichheit“ „lange Zeit eine der besten, wenn<br />

nicht die beste Frauenzeitung in Deutschland überhaupt“ (ebd.).<br />

160


2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION<br />

Honorar erhielten. 405 Besonders bemerkenswert ist aber, dass Blos die Position Zetkins, mit der<br />

„Gleichheit“ ein bewusst unpopulär gehaltenes „Gegengewicht“ 406 zu den bürgerlichen Unter-<br />

haltungsblättern schaffen zu wollen, verteidigte.<br />

Solange Zetkin die unbestrittene Führerin <strong>und</strong> Theoretikerin der proletarischen Frauenbewegung<br />

war, nutzte sie die „Gleichheit“ bewusst für die radikale Beeinflussung ihrer LeserInnen – der<br />

Funktionärinnen wie auch der Basis. Ihre Autorität konnte aber nicht verhindern, dass viele Funk-<br />

tionärinnen immer öfter eigene, sehr pragmatische Ansichten entwickelten <strong>und</strong> ihre prinzipiellen<br />

Vorbehalte gegenüber der bürgerlichen Frauenbewegung nicht teilten. Einige Frauen stellten sich<br />

ganz offen auf die Seite der so genannten „Revisionisten“, die eine weniger dogmatische als<br />

pragmatische Auslegung der marxistischen Lehren propagierten. 407 Diese Sozialdemokratinnen<br />

arbeiteten z. B. bevorzugt für die „Sozialistischen Monatshefte“, dem zentralen Organ der<br />

Revisionisten.<br />

Zu diesen RevisionistInnen ist auch Henriette Fürth (1861-1936) zu zählen, die sogar von 1901<br />

bis 1907 die Rubrik „Frauenbewegung“ der „Sozialistischen Monatshefte“ betreute. 408 Bereits im<br />

Dezember 1896 trug Fürth mit Zetkin ein Artikelgefecht in der „Gleichheit“ aus, in welchem sie<br />

sich für die Kooperation mit bürgerlichen Frauen aussprach. Fürth löste das Gefecht mit einem<br />

Artikel aus, in welchem sie das von Zetkin auf dem SPD-Parteitag 1896 in Gotha gehaltene<br />

Gr<strong>und</strong>satzreferat zur Frauenagitation besprach <strong>und</strong> der zudem ihr erster für die „Gleichheit“<br />

verfasster Artikel gewesen sein dürfte. Zetkin hatte in Gotha betont, dass die Emanzipation der<br />

proletarischen Frau nicht ein gemeinsames Werk der Frauen aller Klassen sein könne, sondern nur<br />

Ergebnis des von Männern <strong>und</strong> Frauen des Proletariats geführten Klassenkampfes. Klassen-<br />

solidarität ginge über Geschlechtersolidarität. Dieses Referat Zetkins bezeichnete Fürth ironisch<br />

als „revolutionär zum ersten – revolutionär zum zweiten – <strong>und</strong> revolutionär zum dritten Mal!“ 409<br />

Sie machte Zetkin zum Vorwurf, dass entgegen des revolutionären Ansinnens ihrer Agitations-<br />

strategien „auf dem Gebiet der Erziehung, dem der Selbst- wie der Massenerziehung, nichts ge-<br />

405 Vgl. ebd. Auf dem Parteitag 1905 in Jena erklärte Zetkin, „daß der ganze Mitarbeiterstab der ‘Gleichheit’ mit der<br />

größten Uneigennützigkeit arbeitet. Es gibt vielleicht kein Partei-Organ, dessen Mitarbeiter sich mit so geringem<br />

Honorar begnügen, wie es bei der ‘Gleichheit’ der Fall ist.“ (Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1905,<br />

S. 282).<br />

406 Ebd., S. 25.<br />

407 Zum Revisionismus der SPD siehe Grebing, Der Revisionismus.<br />

408 Zudem arbeitete Fürths Bruder Simon Katzenstein als fester Mitarbeiter für die „Sozialistischen Monatshefte“ <strong>und</strong><br />

auch für die „Gleichheit“. Umso auffälliger ist es, dass die Würdigung, die er zum 70. Geburtstag seiner<br />

Schwester verfasste, ihre Arbeit für die „Gleichheit“ <strong>und</strong> sämtliche MitstreiterInnen vollkommen unerwähnt ließ<br />

(vgl. Katzenstein, Henriette Fürth).<br />

409 Fürth, Henriette: Die Frauenbewegung <strong>und</strong> der sozialdemokratische Parteitag. In: GL, 06 / 25/ 09.12.1896/ 197.<br />

161


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

schehen“ 410 sei. Durch die kompromisslose Haltung der Sozialistinnen verpasse die proletarische<br />

Frauenbewegung Chancen, gemeinsam mit den Bürgerlichen auch endlich Bahnbrechendes auf<br />

dem Gebiet der Frauenbildung zu erreichen. Aber selbst diejenigen bürgerlichen Frauen, die eine<br />

Tendenz zur Sozialdemokratie hätten <strong>und</strong> für sie gewonnen werden könnten, würden durch Ra-<br />

dikale wie Zetkin,<br />

„von dem Terrorismus der Führerinnen […], von der Vergewaltigung, die darin<br />

liegt, daß man unweigerlich, sonder Kritik noch Zweifel zum alleinseligmachenden<br />

revolutionären Prinzip schwören soll“ 411 ,<br />

abgeschreckt. Zetkins Bedenken, dass eine Kooperation oder bloße Duldung bürgerlicher Frauen<br />

in den eigenen Reihen das sozialistische Prinzip „verwässern“ 412 könne, empfand Fürth als<br />

„thöricht“ 413 .<br />

Zetkin musste sich angesichts solcher Vorwürfe nicht nur persönlich, sondern auch als Vertreterin<br />

eines wissenschaftlichen Sozialismus herausgefordert sehen. Sie lehnte den Pragmatismus Fürths<br />

strikt ab <strong>und</strong> pointierte, „daß das gr<strong>und</strong>sätzlich <strong>und</strong> hauptsächlich Trennende über das<br />

praktisch <strong>und</strong> nebensächlich Gemeinsame überwieg[e].“ 414 Sie verteidigte damit ihre<br />

dogmatisch-ablehnende Haltung gegenüber der bürgerlichen „Frauenrechtelei“ <strong>und</strong> bezeichnete<br />

die Kritik Fürths als<br />

„[d]as sittlich entrüstete Jammergetön einer zarten Seele über die bösen<br />

mißtrauischen proletarischen Frauen, welche in zwanzig Jahren nicht genug lernen,<br />

um jede sich Sozialdemokratin nennende Bourgeoisdame mit Cymbeln <strong>und</strong><br />

Posaunen zu em-pfangen“ 415 .<br />

Sozialistinnen wie Fürth, die Zetkin gerne als „Auch-Sozialisten“ betitelte, seien genauso wie die<br />

bürgerlichen Frauen der Vorstellung verfallen, dass Petitionen <strong>und</strong> Bittstellungen wirksamer als<br />

der Klassenkampf sein könnten. Letzteres aber, <strong>und</strong> nicht „das Attentat auf die Thränendrüsen der<br />

Besitzenden“ 416 , so Zetkin, sei der einzige gangbare Weg, die Besitzenden zu entmachten <strong>und</strong><br />

schließlich eine sozialistische Gesellschaft zu gründen. Die Aufgabe der „Auch-Sozialistinnen“<br />

sah Zetkin vornehmlich darin, als unscheinbare „Zersetzungsbazillen […] der kapitalistischen Ge-<br />

sellschaft“ 417 zu wirken. 418<br />

410 Ebd., S 198.<br />

411 Ebd.<br />

412 Ebd.<br />

413 Ebd.<br />

414 Zetkin, Klara: Zur Antwort. In: GL, 06 / 25/ 09.12.1896/ 198.<br />

415 Ebd., S. 199.<br />

416 Ebd.<br />

417 Ebd.<br />

418 Auch hier zeigt sich wieder eine gewisse innere Zerrissenheit Zetkins, die einerseits bürgerliche Frauen verachtete<br />

<strong>und</strong> verpönte, aber andererseits einigen von ihnen, den heimlichen Sympathisantinnen des Sozialismus, innerhalb<br />

162


2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION<br />

Wen hätte es verw<strong>und</strong>ert, wenn sich Fürth, „bissig“ belehrt von der „Chefideologin“ 419 der<br />

proletarischen Frauenbewegung, jeglicher Meinung von nun an enthalten hätte?! Sie nahm jedoch<br />

den Fehdehandschuh auf <strong>und</strong> gab der „Antwort zur Antwort“, dass sie es für „thöricht <strong>und</strong><br />

eitel“ 420 halte, B<strong>und</strong>esgenossinnen aus dem Lager der bürgerlichen Frauen zurückzuweisen. Denn<br />

ihrer Meinung nach habe die bürgerliche Frauenbewegung gar nicht genug Potential, um der<br />

sozialistischen Sache in irgendeiner Weise gefährlich zu werden. Viel eher stünde quasi deren<br />

Vereinnahmung durch den Sozialismus kurz bevor. Sobald dies erfolgt sei, könnten alle weiteren<br />

Ziele durchaus auch auf demokratischem, d. h. den bürgerlichen Frauen genehmeren Wege um-<br />

gesetzt werden. Mit dieser Argumentation wich Fürth vollends vom revolutionären Prinzip ab. 421<br />

Zetkin setzte in dieser Debatte den Schlusspunkt, indem sie Fürth die Ziele <strong>und</strong> den<br />

durchtriebenen Charakter der bürgerlichen „Frauenrechtelei“ noch einmal vor Augen führte. Über<br />

allem stehe das klassensolidarische Prinzip. Auch die bürgerlichen Feministinnen seien trotz ihrer<br />

energischen Männerfeindlichkeit diesem Prinzip verschrieben. Sollte die bürgerliche Frauen-<br />

bewegung – ob mit oder ohne Kooperation der Proletarierinnen – ihre Zielsetzungen erreichen, so<br />

würde sie bald nichts mehr von einer Geschlechtersolidarität mit den Proletarierinnen wissen<br />

wollen. Alle bürgerlichen Frauen würden stattdessen gemeinsam mit ihren Männern, denen sie<br />

dann ja gleichgestellt wären, die konsequente Unterdrückung des Proletariats fortführen. Zetkin<br />

war davon überzeugt, dass<br />

„die K lassenlage <strong>und</strong> nicht die G es chlechtslage für den Gebrauch der<br />

Macht ausschlaggebend ist.“ 422<br />

Sie warnte vor einer Beeinflussung der ungeschulten Massen durch bürgerliche Propaganda.<br />

Wenn aber diese Massen erst einmal voll <strong>und</strong> ganz für den Sozialismus gewonnen seien, könne<br />

Fürth von ihr aus treiben, was sie wolle, <strong>und</strong> „das Eiapopei des Zusammengehens flöten, soviel<br />

ihr beliebt“ 423 .<br />

Die Mainzer Frauenkonferenz 1900 fasste in der Frage der Kooperation mit bürgerlichen Frauen<br />

schließlich den verbindlichen Beschluss, dass „[d]as gelegentliche Hand in Hand wirken einzelner<br />

Genossinnen <strong>und</strong> Frauenrechtlerinnen […] Privatsache [sei], die dem persönlichen Geschmack<br />

<strong>und</strong> Taktgefühl überlassen“ 424 sein sollte. So oblag es der persönlichen Verantwortung einer jeden<br />

der „Gleichheit“ ein Betätigungsfeld bieten wollte.<br />

419 Gerhard, Unerhört, S. 179.<br />

420 Fürth, Henriette: Der Antwort zur Antwort. In: GL, 06/ 26/ 23.12.1896/ 203.<br />

421 Ebd., S. 204.<br />

422 Zetkin, Klara: Ein letztes Wort zur Erwiderung. In: GL, 6/ 26/ 23.12.1896/ 206.<br />

423 Ebd., S. 207.<br />

424 Proletarische <strong>und</strong> bürgerliche Frauenbewegung. In: GL, 10/ 24/ 21.11.1900/ 185.<br />

163


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Genossin, ob es vertretbar war, mit Klassenfeindinnen zu kooperieren. Gr<strong>und</strong>legende <strong>und</strong><br />

wichtige Angelegenheiten sollten aber von dieser ganz im Sinne Fürths getroffenen Regelung<br />

ausgenommen bleiben. Zetkin war sich in ihrem Kommentar zu dieser Entscheidung der Frauen-<br />

konferenz sicher, dass keine „Frauenrechtlerin“ bereit sein würde, um der „‘prinzipiellen<br />

Verständigung’“ 425 mit der proletarischen Frauenbewegung willen, den Gr<strong>und</strong>satz der soziali-<br />

stischen Revolution öffentlich mitzutragen. Und wenn es eine solche Bürgerliche je geben sollte,<br />

so habe sie es ihrer Meinung nach verdient, „als ein Unikum in Spiritus aufbewahrt zu werden “426 .<br />

Zetkin blieb also bei ihrer Einschätzung <strong>und</strong> Geringschätzung der bürgerlichen Frauen <strong>und</strong> harrte<br />

ruhig der weiteren Entwicklung.<br />

Auch nach dieser heftigen Kontroverse schrieb Fürth weiterhin für die „Gleichheit“, ja sie hatte<br />

sogar stets ein sehr gutes Verhältnis zu Zetkin. 427 Sie beschäftigte sich u. a. mit den Propa-<br />

gandataktiken der bürgerlich-konservativen Zentrum-Partei 428 , mit den Ges<strong>und</strong>heitsverhältnissen<br />

von Arbeiterinnen 429 , mit Prostitution <strong>und</strong> Hygiene 430 . 1899 bis 1918 scheint Fürth keine größeren<br />

Artikel für die „Gleichheit“ verfasst zu haben. Für die „neue“ „Gleichheit“ wiederum verfasste sie<br />

u. a. einen historischen Rückblick auf den Kampf um das Frauenwahlrecht 431 , Kommentare zum<br />

Wilson-Programm 432 <strong>und</strong> zur Eherechtsreform. 433 Besonders interessant sind ihre Artikel zur<br />

„Akademie der Arbeit“, einer am 1. April 1921 eröffneten Bildungseinrichtung, in der akademisch<br />

nicht vorgebildeten Personen Hochschulunterricht erteilt werden sollte. Fürth rief auf, möglichst<br />

viele Frauen in diese Einrichtung zu „delegieren“. 434 Dies scheint nicht erfolgt zu sein, denn sie<br />

musste vier Monate später konstatieren, dass Frauen keinen Anteil an dieser Einrichtung hatten:<br />

Weder im Lehrpersonal, noch im Aufsichtsrat waren sie zu finden <strong>und</strong> selbst bei den<br />

„Schülerinnen“ waren nur zwei (eine von einer Postbehörde <strong>und</strong> eine andere von einer christ-<br />

lichen Gewerkschaft) vertreten. 435 Außerdem war Fürth die Verfasserin einiger zum Teil erbau-<br />

425 Ebd., S. 186.<br />

426 Ebd.<br />

427 Vgl. Klausmann, Politik <strong>und</strong> Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich, S. 139.<br />

428 [Fürth, Henriette?] H. F.: Dringende Aufgaben. In: GL, 08/ 15/ 20.07.1898/ 115.<br />

429 Fürth, Henriette: Ges<strong>und</strong>heitsverhältnisse der preußischen Industriearbeiterinnen. In: GL, 08/ 20/ 28.09.1898/<br />

154-156.<br />

430 Fürth, Henriette: Prostitution <strong>und</strong> Frauenkrankheiten. In: GL, 08/ 13/ 22.06.1898/ 99.<br />

431 Fürth, Henriette: Zum Wahlrecht der Frauen. In: GL, 29/ 07/ 03.01.1919/ 54-55; GL, 29/ 08/ 17.01.1919/ 63.<br />

432 Fürth, Henriette: Warum wir hoffen dürfen! In: GL, 29/ 06/ 20.12.1918/ 42-43.<br />

433 Fürth, Henriette: Caveant consules! In: GL, 29/ 26/ 16.08.1919/ 202.<br />

434 Fürth, Henr[iette]: Die Akademie der Arbeit <strong>und</strong> die Frauen. In: GL, 31/ 04/ 15.02.1921/ 34-35.<br />

435 Vgl. Fürth, Henr[iette]: Akademie der Arbeit. In: GL, 31/ 11/ 01.06.1921/ 102.<br />

164


2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION<br />

licher, zum Teil aber auch kämpferischer Gedichte, die in der „Gleichheit“ veröffentlicht<br />

wurden. 436<br />

Auch Wilhelmine Kähler (1864-1941) 437 war eine „Gleichheit“-Mitarbeiterin <strong>und</strong> Agitatorin der<br />

„ersten St<strong>und</strong>e“. Bereits im März 1892 erschien in der Rubrik „Kleine Nachrichten“ eine Notiz zu<br />

einem von ihr in Flensburg gehaltenen Vortrag, in dem sie sich auch auf geschichtliche Themen<br />

bezogen hatte. 438 Bevorzugt in Aufrufen 439 oder in als persönliche Briefe gestalteten Artikeln<br />

wandte sich die Gewerkschafterin Kähler an die „Gleichheit“-Leserinnen <strong>und</strong> gegen die Indif-<br />

ferenz proletarischer Frauen. 440 Ihre Verb<strong>und</strong>enheit zu Führungspersonen der Gewerkschaftsbewe-<br />

gung zeigte sich in den von ihr verfassten Nachrufen auf Paula Thiede (1870-1919) <strong>und</strong> Carl<br />

436 Zwei dieser Gedichte sind im Anhang enthalten.<br />

437 Wilhelmine Kähler, geb. Mohs, verheiratete Reimes-Kähler, wurde im holsteinischen Kellinghusen geboren. Sie<br />

war das dritte von sieben Kindern eines Steinmetz <strong>und</strong> besuchte erst die Volksschule, arbeitete dann 2 ½ Jahre als<br />

Dienstmädchen (dies könnten die Jahre sein, in denen sie als Wirtschafterin für den Dichter Detlev von Liliencron<br />

arbeitete; vgl. Schroeder, Luise: Unsere Frauen in der deutschen Nationalversammlung. In: GL, n: GL, 29/ 11/<br />

28.02.1919/ 84-87, S. 84) <strong>und</strong> schließlich als Arbeiterin einer Buchdruckerei. 1903 verfasste Kähler für die<br />

„Gleichheit“ den Artikel „Lebenserinnerungen einer Arbeiterin“ (GL, 13/ 02/ 14.01.1903/ 12-13), in welchem sie<br />

in sehr literarischer Weise von ihrem Leben <strong>und</strong> der Geburt ihres ersten Kindes, das nur wenige Minuten lebte,<br />

erzählte. 1882 heiratete sie den Zigarrenarbeiter Carl Kähler. Seit Ende der 1880er Jahren stand sie der SPD nahe.<br />

1890 gründete Kähler den „Zentralverein der Fabrik- <strong>und</strong> Hausarbeiterinnen Deutschlands“ <strong>und</strong> wurde<br />

Vorsitzende dieses Verbandes. Außerdem wirkte sie als stellvertretende Vorsitzende im „Verband der Hausangestellten<br />

Deutschlands“ <strong>und</strong> als Redakteurin des Verbandsorgans. 1892-1899 trat sie die Nachfolgerin Ihrers in<br />

der Generalkommission der Gewerkschaften an. 1900 wurde sie Vertrauensperson der Genossinnen Schleswig-<br />

Holsteins. Im selben Jahr zog sie mit ihrem Ehemann, der sich als Zigarrenfabrikant selbstständig machte, nach<br />

Dresden, wo sie erneut zur Vertrauensperson gewählt wurde. 1902 trat sie der SPD bei. Im selben Jahr gab sie<br />

jedoch aufgr<strong>und</strong> der großen Arbeitsbelastung ihr Amt einer Vertrauensperson auf. Als Agitatorin wirkte Kähler vor<br />

allem für den „Verband der Fabrik-, Land-Hilfsarbeiter <strong>und</strong> -Arbeiterinnen“, den „Verband aller in der Textilindustrie<br />

beschäftigten Arbeiter <strong>und</strong> Arbeiterinnen Deutschlands“ <strong>und</strong> den „Deutschen Tabakarbeiter-Verband“.<br />

Nach dem Tod ihres Ehemannes zog sie 1906 nach Düsseldorf um. 1907 war sie Delegierte auf der Konferenz der<br />

Sozialistischen Fraueninternationale in Stuttgart. 1910 zog sie nach Berlin um. Sie gab 1910-1914 die<br />

Korrespondenz „Für unsere Frauen“ (?-?) heraus. Während des Ersten Weltkrieges war Kähler Mitglied im Beirat<br />

des Hamburgischen Kriegsversorgungsamtes, des Speisenauschusses der Kriegsküchen, Pflegerin der Kriegshilfe<br />

<strong>und</strong> der Hinterbliebenenfürsorge. 1916 war sie Herausgeberin der „Sozialdemokratischen Artikel-Korrepondenz“<br />

(?-?). 1919 wurde Kähler zur Abgeordneten der Nationalversammlung gewählt, nahm bis 1921 ein Mandat als<br />

Reichstagsabgeordnete <strong>und</strong> anschließend bis 1924 das einer preußischen Landtagsabgeordneten wahr. 1922-1925<br />

war sie Herausgeberin von „Frauenhausschatz. Jahrbuch für Arbeiterfrauen <strong>und</strong> Töchter“ (1922-1925[?]). 1924<br />

heiratete sie den ehemaligen Sekretär der SPD-Reichstagsfraktion Wilhelm Reimes <strong>und</strong> kehrte mit diesem nach<br />

Kellinghusen in Norddeutschland zurück, wo sie 1927-1932 ein Heim der AWO leitete. Ihren Ruhestand verlebte<br />

sie gemeinsam mit ihrem Ehemann in Bonn.<br />

438 Kähler, Wilhelmine: [Ohne Titel] In: GL, 02/ 06/ 23.03.1892/ 51. Kählers Bezugnahme auf die Geschichte wird<br />

auch in zwei weiteren ihrer Vortragstitel deutlich: „Antike <strong>und</strong> moderne Sklaverei“ (vgl. GL, 13/ 04/ 11.02.1903/<br />

30, Vortrag anlässlich einer Bäckerversammlung in Plauen) <strong>und</strong> „Die bürgerliche Revolution von 1848/49 <strong>und</strong> das<br />

preußische Dreiklassenwahlsystem (vgl. GL, 16/ 08/ 18.04.1906/ 52, Vortrag anlässlich einer Volksversammlung<br />

in Mühlberg a.d.E.,). Zudem verband sie die Geschichte der Arbeiterbewegung mit der der Frauenagitation (vgl.<br />

Kähler, Wilhemine: Einst <strong>und</strong> jetzt. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/ 122-123).<br />

439 Kähler, Wilhelmine: Frauenpflicht in den wirthschaftlichen <strong>und</strong> politischen Kämpfen. In: GL, 11/ 21/ 09.10.1901/<br />

162-163 (gegen den Indifferentismus); Ein ernstes Wort zu ernster Zeit! In: GL, 15/ 13/ 28.06.1905/ 75.<br />

440 Kähler, Wilhemine: Brief von der Agitation in der Provinz Sachsen. In: GL, 14/ 17/ 10.08.1904/ 135; [Kähler,<br />

Wilhelmine] W. K.: Bunte Bilder von der Wahlagitation. In: GL, 13/ 16/ 29.07.1903/ 124-126; Aus Schlesien. In:<br />

GL, 13/ 19/ 09.09.1903/ 150-151; Aus Schlesien. In: GL, 13/ 24/ 18.11.1903/ 190-191.<br />

165


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Legien. 441<br />

Ihren eigenen Worten nach zu urteilen wurde Hedwig Wachenheim (1891-1969) 442 von Zetkin<br />

regelrecht vergrault. Wachenheim war Zetkin durch ihre im Presseorgan der bürgerlich-<br />

gemäßigten Frauenbewegung „Die Frau“ (1893/94-1943/44) erschienenen Artikel aufgefallen. In<br />

ihren Memoiren beschrieb Wachenheim, wie es dann schließlich zu ihrer ersten Veröffentlichung<br />

in der „Gleichheit“ kam <strong>und</strong> welche Verärgerung sie wegen des Redaktionsstils Zetkins<br />

empf<strong>und</strong>en hatte:<br />

„Ich schrieb damals auch eine Studie über die Jugenderlasse der Generalkommandos,<br />

die als oberste Stelle der Armee u. a. das Recht hatten, Polizeiverordnungen zu<br />

erlassen, <strong>und</strong> von diesem Recht – entsprechend ihrer Auffassung von jugendlicher<br />

Tugend – reichlich Gebrauch machten. Sie verboten Jugendlichen, sich abends<br />

nach einer bestimmten Zeit auf der Straße aufzuhalten, auf der Straße zu rauchen,<br />

bestimmte Versammlungen zu besuchen u. a. m., <strong>und</strong> mischten sich auf allen<br />

Gebieten in das Jugendlichen-Leben ein. Klara Zetkin nahm mir den Artikel ab <strong>und</strong><br />

veröffentlichte ihn in drei aufeinanderfolgenden Nummern der Gleichheit, vergaß<br />

aber nie, an verschiedenen Stellen ihre radikalen Schnörkel anzubringen, ohne zu<br />

vermerken, daß diese von ihr stammten. Ich war sehr stolz, daß Artikel von mir in<br />

einem Zentralblatt der Partei erschienen, doch gab ich dann die Mitarbeit auf. Zur<br />

Bloßstellung der Generäle hätten die Artikel viel mehr bewirkt, wenn sie nicht mit<br />

linksradikalen Bemerkungen versehen gewesen wären.“ 443<br />

Fühlte sich Wachenheim einerseits durch die Anerkennung ihres Talents geehrt, wollte sie<br />

andererseits doch auch nicht von Zetkin bevorm<strong>und</strong>et werden. Deshalb gab sie schon bald die<br />

Mitarbeit an der „Gleichheit“ wieder auf. Zwar bescheinigte sie Zetkin an anderer Stelle, die<br />

441 Kähler, Wilhemine: Paula Thiede †. In: GL, 29/ 13/ 28.03.1919/ 100-101; Carl Legien <strong>und</strong> die Arbeiterinnen. In:<br />

GL, 31/ 02/ 15.01.1921/ 10.<br />

442 Hedwig Wachenheim wurde in Mannheim geboren. Die Tochter einer jüdischen Bankiersfamilie besuchte 1897-<br />

1907 die Höhere Töchterschule in Mannheim <strong>und</strong> 1912-1914 die Soziale Frauenschule in Berlin. 1914 trat sie der<br />

SPD bei <strong>und</strong> arbeitete 1914-1915 in Mannheim als Fürsorgerin. 1916-1917 wurde Wachenheim in der Kommission<br />

des NFD in Berlin angestellt <strong>und</strong> 1917-1919 war sie Angestellte bei der Berliner Milchversorgung. 1919-<br />

1921 wirkte sie als Frauenreferentin bei der Reichszentrale für Heimatdienst, im Anschluss 1922-1933 war sie<br />

Abteilungsleiterin bei der Reichsfilmprüfstelle <strong>und</strong> Regierungsrätin. Ab 1919 war Wachenheim Mitglied des<br />

Hauptausschusses der Arbeiterwohlfahrt <strong>und</strong> ab 1926 Chefredakteurin der Zeitschrift „Arbeiterwohlfahrt” (1926-<br />

1933). Ab 1928 arbeitete sie als Lehrerin <strong>und</strong> zuletzt als Leiterin der Berliner Wohlfahrtsschule der AWO. 1933<br />

wurde Wachenheim jedoch aus all diesen Ämtern entlassen. 1928-1933 saß sie als Abgeordnete im preussischen<br />

Landtag <strong>und</strong> als Mitglied im Hauptausschuss des „Deutschen Vereins für öffentliche <strong>und</strong> private Fürsorge”. 1933<br />

emigrierte Wachenheim nach Frankreich <strong>und</strong> 1935 in die USA. 1936-1946 engagierte sie sich in verschiedenen<br />

deutschen Gruppierungen, die sich mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus <strong>und</strong> dem Wiederaufbau<br />

Deutschlands beschäftigten. 1946 kehrte Wachenheim nach Deutschland zurück <strong>und</strong> übernahm die Leitung einer<br />

Kinderwohlfahrtsabteilung. 1949-1951 versah sie das Amt der stellvertretenden Leiterin der Wohlfahrtsabteilung<br />

der US-Hochkommission Frankfurt am Main. 1955 nahm sie einen Forschungsauftrag der University of California<br />

Berkley über das Gebiet der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung wahr. Sie starb während eines<br />

Aufenthaltes in Deutschland. Ihre Forschungsarbeit erschien 1967 unter dem Titel „Die deutsche Arbeiterbewegung<br />

1844 bis 1914“ <strong>und</strong> 1973 ihre Memoiren „Vom Großbürgertum zur Sozialdemokratie. Memoiren einer<br />

Reformistin“.<br />

443 Wachenheim, Vom Großbürgertum zur Sozialdemokratie, S. 60. Wachenheims erster „Gleichheit“-Artikel konnte<br />

von mir bei der Durchsicht leider nicht ausfindig gemacht werden.<br />

166


2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION<br />

„Gleichheit“ mit „viel Eifer <strong>und</strong> Geschick“ 444 geleitet zu haben, dies „allerdings auf der radikalen<br />

Linie“ 445 – <strong>und</strong> diese dürfte Wachenheim letztendlich noch mehr missfallen haben als Zetkins<br />

redaktionellen Eigenarten.<br />

Als Wachenheim nun für die „neue“ „Gleichheit“-Redaktion wieder zur Verfügung stand, war sie<br />

mittlerweile zu einer einflussreichen Parteifunktionärin geworden. Sie hatte sich bewusst auf dem<br />

rechten, d. h. dem reformistischen Flügel der SPD positioniert, pflegte aber auch zu Opposi-<br />

tionellen wie z. B. zu Mathilde Wurm einen engen Kontakt. 446 Nach dem Redaktionswechsel<br />

widmete sie sich nach Absprache mit Bohm-Schuch in regelmäßigen Artikeln der Wohlfahrts- <strong>und</strong><br />

Armenpflege, der Jugendfürsorge 447 , aber auch der republikanischen <strong>und</strong> parteipolitischen<br />

Schulung der Frauen 448 .<br />

Auch Johanna Reitze (1878-1949) 449 hatte bereits ihre ersten Artikel in der „Gleichheit“<br />

veröffentlicht, als diese noch unter der Redaktion Zetkins stand. 450 Doch erst nach dem Re-<br />

daktionswechsel trat sie als Mitarbeiterin deutlicher hervor. Oft hatten ihre Beiträge einen<br />

444 Wachenheim, Vom Großbürgertum zur Sozialdemokratie, S. 58.<br />

445 Ebd.<br />

446 Ebd., S. 63-64. Wachenheims Memoiren sind jedoch nicht nur hinsichtlich ihrer Einschätzungen einzelner<br />

Personen besonders wertvoll, sondern auch hinsichtlich ihrer Beurteilung der Situation, wie sie sich nach der<br />

Parteispaltung darstellte.<br />

447 Vgl. ebd., S. 122. Hier eine Auswahl ihrer Artikel: Wachenheim, Hedwig: Die Sozialbeamtin. In: GL, 28/ 14/<br />

12.04.1918/ 107-108; Soziale Fürsorge <strong>und</strong> Sozialdemokratie. In: GL, 29/ 09/ 31.01.1919/ 70-72; GL, 29/ 10/<br />

14.02.1919/ 79-80; GL, 29/ 11/ 28.02.1919/ 85-86; Beibehaltung der Frauenreferate. In: GL, 29/ 40/ 22.11.1919/<br />

316-318; Der Gesetzentwurf über die Gr<strong>und</strong>schule. In: GL, 30/ 10/ 06.03.1920/ 73-74; Auswärtige Politik der<br />

bürgerlichen Frauenbewegung. In: GL, 30/ 28/ 10.07.1920/ 229; GL, 30/ 29/ 17.07.1920/ 234; Vorschläge zur<br />

Frauenbildungsarbeit. In: GL, 30/ 32/ 07.08.1920/ 258-259; GL, 30/ 33/ 14.08.1920/ 266-267; Vom Außendienst<br />

der Jugendfürsorgerin. In: GL, 31/ 01/ 01.01.1921/ 2-3;<br />

448 Wachenheim, Hedwig: Besprecht das Parteiprogramm! In: GL, 31/ 24/ 15.12.1921/ 236-237; GL, 32/ 01/<br />

01.01.1922/ 7-8.<br />

449 Johanna Reitze, geb. Leopold entstammte einer kinderreichen Hamburger Arbeiterfamilie <strong>und</strong> besuchte bis 1892<br />

die Volksschule. Sie arbeitete zunächst als Schneiderin, dann als Dienstmädchen <strong>und</strong> schließlich als Druckerei-<br />

Hilfsarbeiterin, wodurch sie mit organisierten Genossen <strong>und</strong> der Arbeiterbewegung in Kontakt kam. Ab 1890 war<br />

Reitze agitatorisch für die Arbeiterbewegung tätig, wurde Begründerin <strong>und</strong> von 1890-1893 Zentralvorsitzende des<br />

Verbandes der Fabrik- <strong>und</strong> Handarbeiterinnen. 1892-1898 war sie Mitglied der Generalkommission der<br />

Gewerkschaften Deutschlands. Sie gab die Korrespondenz „Für unsere Frauen” (?-?) <strong>und</strong> eine sozialdemokratische<br />

Artikel-Korrespondenz heraus <strong>und</strong> übernahm die Redaktion des Zentralorgans des Verbandes der<br />

Hausangestellten. 1900 heiratete sie. Seit 1902 SPD-Mitglied, war sie vor allem von Bebels Buch beeindruckt<br />

worden. Nach einem sechsmonatigen Studium an der Parteischule in Berlin 1904 engagierte sie sich aktiv in der<br />

Hamburger Frauenbewegung. 1908-1919 war sie Landesvorstandsmitglied der Hamburger SPD. Während des<br />

Ersten Weltkrieges organisierte Reitze die „Hamburgische Kriegshilfe“, wurde Mitglied des „Hamburger<br />

Versorgungsamtes“ <strong>und</strong> des „Speiseausschusses für Kriegsküchen“. Sie engagierte sich in der Kriegsfolgenhilfe<br />

<strong>und</strong> der Kriegshinterbliebenenfürsorge. 1919-1921 war sie Mitglied der Hamburger Bürgerschaft. 1919 wurde<br />

Reitze zudem in die Nationalversammlung gewählt, wurde Referentin im Reichswirtschaftsministerium<br />

(Notstandsfürsorge für Bergarbeiter) <strong>und</strong> 1919-1933 Mitglied im Parteiausschuss. 1920-1924 hatte sie ein Mandat<br />

als Reichstagsabgeordnete inne. Nach 1933 blieb Reitze in Hamburg <strong>und</strong> wurde 1944 von der Gestapo in<br />

Schutzhaft genommen. 1945 bis zu ihrem Tod engagierte sie sich vor allem in der AWO.<br />

450 U. a.: Reitze, Johanna: Die Stellung der Frau einst <strong>und</strong> jetzt. In: GL, 18/ 06/ 16.03.1908/ 53.<br />

167


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

regionalen Bezug zu ihrer Wirkungsstätte Hamburg 451 . Im März 1919 veröffentlichte Reitze in der<br />

„Gleichheit“ den richtungweisenden Artikel „Die Presse <strong>und</strong> die Frauen“ 452 . Darin forderte sie,<br />

dass die Proletarierinnen angeleitet werden müssten, ihre häuslichen Pflichten mit mehr Effizienz<br />

zu bewältigen, um sich dann in der so erkämpften freien Zeit politisch zu engagieren. Mit diesem<br />

hausfrauenspezifischen Auftrag sollte ihrer Meinung nach auch die Beilage „Für unsere Mütter<br />

<strong>und</strong> Hausfrauen“ wieder erscheinen, die 1917 vermutlich auf Gr<strong>und</strong> von Papierknappheit ein-<br />

gestellt worden war. Vor allem müssten nun die Redaktionen aller Parteiblätter den Frauen-<br />

interessen verstärkt Rechnung tragen. Sie hätten ausnahmslos alle eine Frauenecke einzurichten,<br />

die jedoch mehr zu leisten habe als bisher. Dieser Artikel enthielt außerdem konkrete Ideen für<br />

eine Neugestaltung der „Gleichheit“, die tatsächlich wenig später umgesetzt wurden.<br />

Reitze war eine Befürworterin der Kooperation mit Teilen der bürgerlichen Frauenbewegung. In<br />

einem Artikel zu einer BDF-Generalversammlung, die im September 1919 in Hamburg<br />

stattgef<strong>und</strong>en hatte, äußerte sie die Überzeugung, dass eine partielle Annäherung möglich wäre.<br />

Obwohl noch immer verschiedene Standpunkte vertreten würden, müsste dennoch keine<br />

Gr<strong>und</strong>anschauung aufgegeben werden. 453 In anderen Artikeln kamen Reitzes Tätigkeit als Parla-<br />

mentarierin <strong>und</strong> Anhängerin eines „wieder entdeckten“ Internationalismus der SPD zum Aus-<br />

druck. In ihnen präsentierte sie den Leserinnen der „Gleichheit“ die „Maienwünsche der weib-<br />

lichen Parlamentarier“ 454 oder die „Maienhoffnung auf die Internationale“ 455 .<br />

Anna Mosegaard (1881-1954) 456 war nicht nur eine der wenigen Dienstbotinnen, die sich in der<br />

„Gleichheit“ zu Wort meldeten, sie veröffentlichte zudem die einzige private Suchanzeige. Diese<br />

lautete wie folgt:<br />

„Kann mir eine Genossin für die Sommermonate, in schöner Gegend Deutsch-<br />

451 Reitze, Johanna: Die Tätigkeit der Hamburger Genossinnen während des Krieges. In: GL, 27/ 21/ 20.07.1917/<br />

146-147; Was Bebel uns Hamburgern war. In: GL, 33/ 15/ 01.08.1923/ 123.<br />

452 Reitze, Johanna: Die Presse <strong>und</strong> die Frauen. In: GL, 29/ 13/ 28.03.1919/ 98. Zwei Jahre später verfasste Reitze mit<br />

dem Artikel „Die Frauen <strong>und</strong> die Presse“ (In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 63-64) eine heftige Kritik an der Wirkung<br />

der Klatschpresse auf den Geist der Frau. Die sozialdemokratische Presse müsse die Macht der bürgerlichen<br />

Presse brechen: „Aus einer Wählerin muß eine überzeugte sozialdemokratische Kämpferin werden.“ (ebd.;<br />

Hervorhebungen im Original als Sperrdruck).<br />

453 Reitze, Johanna: Der B<strong>und</strong> Deutscher Frauenvereine … In: GL, 29/ 36/ 25.10.1919/ 287.<br />

454 Reitze, Johanna: Maienwünsche der <strong>weiblichen</strong> Parlamentarier. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/ 123-124; <strong>Von</strong> Weimar<br />

bis Augsburg. In: GL, 32/ 17/ 18/ 01.09.1922/ 158-159.<br />

455 Reitze, Hanna: Maienhoffnung auf die Internationale. In: GL, 33/ 09/ 10/ 01.05.1923/ 66-67.<br />

456 Anna Mosegaard, geb. Sachse, wurde in Nordhausen im Harz geboren <strong>und</strong> wuchs in einem Waisenhaus auf. Nach<br />

dem Besuch der Volksschule arbeitete sie im Alter von 14 Jahren erst als Dienstmädchen <strong>und</strong> ab 1901 als<br />

Tabakarbeiterin. 1901 heiratete sie den Tabakspinner Mosegaard <strong>und</strong> gebar drei Kinder. 1906-1919 wirkte sie in<br />

Hardersleben als Hausfrau, zog 1919 nach Silkeberg um <strong>und</strong> wurde im selben Jahr Abgeordnete des preußischen<br />

Landtages. 1923 kehrte sie nach Hardersleben zurück, wo sie Mitglied des Preisprüfungsausschusses, der Lebensmittelkommission<br />

<strong>und</strong> der Jugendpflege wurde. Bereits in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg war sie<br />

schriftstellerisch (Erzählungen, Theaterstücke, Märchenspiele) <strong>und</strong> für die SPD-Presse tätig gewesen.<br />

168


2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION<br />

lands, ein einfach möbliertes Zimmer mit Küchenbenutzung für mich <strong>und</strong> meinen<br />

achtjährigen Sohn gegen Bezahlung überlassen bzw. anweisen? Gefl. Angebote<br />

sind zu richten an die Redaktion der ‘Gleichheit’.“ 457<br />

Es ist eine absolute Seltenheit, dass die „Gleichheit“ für solcherlei private Problemlösungen<br />

genutzt wurde.<br />

Mosegaard beschäftigte besonders das Problem der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz <strong>und</strong> die<br />

Frage der sexuellen Aufklärung von Kindern. In ihren Beiträgen erzählte sie den „Gleichheit“-<br />

Leserinnen aus ihrem Erfahrungsschatz als Proletarierin <strong>und</strong> Mutter. Sie wollte den „Gleichheit“-<br />

Leserinnen eine praktische Ratgeberin sein <strong>und</strong> beschrieb z. B. ihr eigenes Vorgehen zur sexuellen<br />

Aufklärung ihrer Tochter <strong>und</strong> ihres ältesten Sohnes. Mosegaard war es wichtig, dass Mütter ihren<br />

Kindern die Gefahren von Geschlechtskrankheiten vermittelten, damit diese sich nicht aus purer<br />

Unwissenheit infizierten. 458 Außerdem berichtete sie in ihrem einzigen im Hauptblatt der „alten“<br />

„Gleichheit“ erschienenem Artikel aus ihrem Dienstbotinnenalltag <strong>und</strong> von der Vielzahl sexueller<br />

Belästigungen durch ihre männlichen Arbeitgeber, infolge derer sie schließlich den Entschluss<br />

gefasst habe, Fabrikarbeiterin zu werden. 459 Ein weiterer Artikel Mosegaards im Hauptblatt<br />

erschien nach den Wahlen zur Nationalversammlung 1919 460 <strong>und</strong> in der Form von Tage-<br />

bucheintragungen nach der Reichstagswahl 1920. 461 Laut Drust veröffentlichte Mosegaard von<br />

1908 bis 1914 vor allem regelmäßig Artikel in der Beilage „Für unsere Kinder“. 462<br />

Obwohl sie selbst wahrscheinlich nie als Dienstbotin gearbeitet hatte, befasste sich auch Wally<br />

Zepler (1865[?]-?) 463 sehr engagiert mit der Dienstbotenfrage. Sie tat dies 1898 mit einem an die<br />

„alte“ „Gleichheit“ gerichteten Artikel, der zudem den Charakter eines Leserinnenbriefes hat. 464<br />

457 Mosegaard, Anna: [Ohne Titel.] In: GL, 31/ 09/ 01.05.1921/ 90.<br />

458 Mosegaard, Anna: Ein Wort an unsere Mütter. In: GL, 31/ 01/ 01.01.1921/ 3-5.<br />

459 Mosegaard, Anna: Die „unsittlichen“ Dienstboten? In: GL, 22/ 02/ 23.10.1911/ 31.<br />

460 Mosegaard, Anna: Betrachtungen einer Frau vor dem Wahllokal. In: GL, 29/ 12/ 14.03.1919/ 91-92.<br />

461 Mosegaard, Anna: Und dennoch …! In: GL, 30/ 29/ 17.07.1920/ 238.<br />

462 Vgl. Drust, Für unsere Kinder, S. 201.<br />

463 Wally Zepler war verheiratet mit dem Sozialdemokraten, Arzt <strong>und</strong> Lyriker Georg Zepler (1859-1925). Dieser war<br />

Herausgeber der Zeitschrift „Der Demokrat. Zeitschrift für freiheitliche Politik <strong>und</strong> Literatur“ (1909-1911), später<br />

der Zeitschrift „Der Weg“ (vermutlich „politische Zeitschrift für gottfreies Menschtum“; 3.1911-1920),<br />

Stadtverordneter Berlins <strong>und</strong> 1913 Gründer des „B<strong>und</strong>es Konfessionsloser jüdischer Abstammung“. Wally Zepler<br />

betreute 1908-1916 die Rubrik „Frauenbewegung“ in den „Sozialistischen Monatsheften“, die sie von Henriette<br />

Fürth übernahm. Entsprechend groß ist die Anzahl, der von ihr für diese Zeitschrift verfassten Artikel. Außerdem<br />

war sie Vorstandsmitglied des Berliner Frauenbildungsvereins. Es erschienen u. a. folgende Schriften: „Welchen<br />

Wert hat die Bildung für die Arbeiterin?“ (1899), „Die Frauen <strong>und</strong> der Krieg“ (1916), „Sozialismus <strong>und</strong><br />

Frauenfrage“ (1919), „Akademiker <strong>und</strong> Sozialdemokratie“ (1919). Es ist anzunehmen, dass Wally Zepler ein<br />

Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung wurde. Die Datenbank der Gedenkstätte Yad Vashem führt<br />

folgende Daten an, die aber nicht eindeutig der Sozialdemokratin Zepler zuzuordnen sind: Wally Zepler, geb.<br />

Wygodzinsky, lebte vor dem Zweiten Weltkrieg in Bendorf (Deutschland) <strong>und</strong> starb dort 1940 (vgl. Central<br />

Database of Shoah Victim’s Names: http://www.yadvashem.org).<br />

464 Zepler, Wally: Zur Dienstbotenfrage. Eine Erwiderung. In: GL, 08/ 19/ 14.09.1898/ 147-148.<br />

169


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Jedoch erst für die „neue“ „Gleichheit“ schrieb Zepler regelmäßig. Sie verfasste mehrere Artikel<br />

zum Thema Frauenwahlrecht 465 <strong>und</strong> rezensierte Bebels „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“ 466 .<br />

Außerdem ehrte sie in jeweiligen Nachrufen den Physiker Leo Arons 467 <strong>und</strong> die bürgerliche<br />

Frauenrechtlerin Minna Cauer (1841-1922) 468 . Zepler war in den „Sozialistischen Monatsheften“<br />

für die Betreuung mehrerer Rubriken, u. a. als Nachfolgerin Fürths für die Rubrik „Frauen-<br />

bewegung“, zuständig. Auch aus diesem Gr<strong>und</strong> dürfte sich ihre Mitarbeit in der „Gleichheit“ in<br />

Grenzen gehalten haben.<br />

Eine derjenigen Mitarbeiterinnen, die keinerlei Artikel in der „alten“ „Gleichheit“ veröffentlicht<br />

hatten <strong>und</strong> zu den neuen wie auch jüngeren Genossinnen der SPD gehörten, war Olga Essig<br />

(1884-1965) 469 . Die erst nach der Novemberrevolution 1918 der SPD beigetretene promovierte<br />

Sozialwissenschaftlerin veröffentlichte in der „Gleichheit“ eine Artikelreihe zur Sozialisierung der<br />

Hauswirtschaft, in der sich viele Ideen von Lily Braun wiederfinden. 470 Essig widmete sich<br />

außerdem der politischen Schulung, indem sie u. a. einen Vorschlag für einen Unterrichtsplan in<br />

Staatsbürgerk<strong>und</strong>e zur Diskussion stellte. 471 Vor allem aber engagierte sie sich in der Reform des<br />

Mädchenberufsschulwesens. 472<br />

Betrachtet man eine Auswahl von Erna Büsings (1889-1952) 473 Artikeln für die „Gleichheit“, so<br />

465 Zepler, Wally: Für das Frauenwahlrecht. In: GL, 27/ 25/ 14.09.1917/ 173-174; Preußische Wahlreform <strong>und</strong><br />

Frauenwahlrecht. In: GL, 28/ 07/ 04.01.1918/ 50-52<br />

466 Zepler, Wally: Die Frauen <strong>und</strong> die Zukunft des Sozialismus. In: GL, 29/ 07/ 03.01.1919/ 51-53.<br />

Zepler, Wally: Bebel <strong>und</strong> die Frauen In: GL, 33/ 15/ 01.08.1923/ 119-121.<br />

467 Zepler, Wally: Leo Arons In: GL, 29/ 39/ 15.09.1919/ 306-307.<br />

468 Zepler, Wally: Unsere Toten. In: GL, 32/ 17-18/ 01.09.1922/ 164-165.<br />

469 Olga Essig war Tochter einer westpreußichen Bauernfamilie. Nach einer Berufstätigkeit als Kontoristin <strong>und</strong><br />

Buchhalterin <strong>und</strong> dem Abitur an einer Oberrealschule absolvierte sie 1908-1914 an der staatlichen kaufmännischen<br />

Fortbildungsschule in Bromberg eine Ausbildung als Diplomhandelslehrerin. Während des Ersten<br />

Weltkrieges studierte sie an den Universitäten Breslau <strong>und</strong> Frankfurt am Main Wirtschafts- <strong>und</strong> Sozialwissenschaften<br />

sowie Pädagogik. 1918 in die SPD eingetreten, wurde sie 1919 Mitarbeiterin der Frankfurter<br />

Stadtverwaltung für den Aufbau des Berufschulwesens, 1920 Leiterin der städtischen Frauenarbeitsschule in<br />

Mainz. 1922-1924 arbeitete sie im thüringischen Ministerium für Volksbildung. 1929 wurde Essig Oberschulrätin<br />

für das gesamte Berufsschulwesen Hamburgs <strong>und</strong> außerdem war sie seit 1930 Mitglied des „B<strong>und</strong>es entschiedener<br />

Schulreformer“. In der NS-Zeit folgte ihre Zwangspensionierung. 1948 wurde sie in ihr Amt wiedereingesetzt.<br />

1946 gründete sie den „Deutschen Frauenring“ Hamburgs mit <strong>und</strong> war 1946-1948 <strong>und</strong> 1950-1952 dessen Vorsitzende.<br />

1959 wurde Essig mit dem Großen B<strong>und</strong>esverdienstkreuz ausgezeichnet.<br />

470 Essig, Olga: Die Sozialisierung der Hauswirtschaft. In: GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 241-242.; Die Sozialisierung der<br />

Hauswirtschaft (Schluß). In: GL, 30/ 31/ 31.07.1920/ 250-251.<br />

471 Essig, Olga: Staatsbürgerliche Schulung sozialistischer Frauen. In: GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 249-250. Zur<br />

politischen Schulung der Leserinnen ist auch eine Zusammenstellung von Dokumentenausschnitten zu zählen:<br />

Essig, Olga: Dokumente des Kampfes der Sozialdemokratie um die Befreiung der Frau. In: GL, 30/ 23/<br />

05.06.1920/ 186.<br />

472 Vgl. Hagemann, Sie widmete ihre ganze Kraft dem Aufbau des Mädchenberufsschulwesens.<br />

473 Vielleicht handelt es sich um die Jugendbuchautorin Erna Büsing, die – in Bremerhaven <strong>und</strong> Berlin ansässig –<br />

folgende Werke verfasste: „Mit 20 Zirkuselefanten um die Welt“ (1938), „Sturz ins Notnetz“ (1946), „Die Nacht<br />

der toten Schiffe“ (1947) <strong>und</strong> „Über uns das Zirkuszelt“ (o.J.). Diese Titel lassen auf eine Existenz der Verfasserin<br />

im Schausteller- <strong>und</strong> Artistengewerbe vermuten. Ob es sich tatsächlich um die „Gleichheit“-Autorin handelt, muss<br />

170


2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION<br />

fällt zuerst die plakative Art ihrer Titel auf. Diese sind jedoch bezüglich des Inhaltes nicht<br />

besonders aussagekräftig. Büsing beschrieb anhand ihrer Tagebuchblätter die Ereignisse des<br />

Ersten Weltkriegs 474 , um dann für die Nachkriegssituation die immer noch bestehende Spaltung<br />

der deutschen Bevölkerung zu konstatieren <strong>und</strong> sich gegen die an die Weimarer Republik<br />

gestellten Reparationsforderungen auszusprechen 475 . Büsing sah die SPD als Konkursverwalterin<br />

der von der bürgerlichen Gesellschaft verschuldeten Kriegsmisere. 476 Sie setzte sich außerdem mit<br />

dem Verhalten der Presse während <strong>und</strong> am Ende des Krieges auseinander, besonders mit der<br />

bürgerlichen <strong>und</strong> monarchistischen. 477<br />

Die Mitarbeit Toni Senders (1888-1964) 478 begann in der „Gleichheit“ erst 1922 <strong>und</strong> mündete<br />

darin, dass sie 1928 bis 1933 eines der beiden Nachfolgeblätter der „Gleichheit“, die<br />

„Frauenwelt“ , redigierte. 479 1923 verfasste Sender einen für das Leitbild der „Klassenkämpferin“<br />

sehr interessanten Artikel zum Klassenbewusstein 480 – ein Begriff, der in der „Gleichheit“ nach<br />

1917 nur noch selten Verwendung fand. Senders thematischer Schwerpunkt war die Gewerk-<br />

schaftsbewegung. 481 Dieser Umstand richtete abschließend das Augenmerk auf den Einfluss der<br />

gewerkschaftlich engagierten Frauen in der „Gleichheit“.<br />

Wie nach dem Redaktionswechsel die verstärkte Mitarbeit von Gewerkschafterinnen auffällt, so<br />

an dieser Stelle ungeklärt bleiben.<br />

474 Büsing, Erna: Wie ich als Frau den Krieg sah. In: GL, 30/ 09/ 28.02.1920/ 67-68; Wie ich als Frau den Krieg sah.<br />

In: GL, 30/ 11/ 13.03.1920/ 83-85<br />

475 Büsing, Erna: Hat das Volk gesiegt? In: GL, 30/ 16/ 17.04.1920/ 116-117; Konsequenz. In: GL, 30/ 30/<br />

24.07.1920/ 243-245 (gegen die zu leistenden Reparationsforderungen).<br />

476 Büsing, Erna: Die Zertretenen. In: GL, 32/ 24/ 15.12.1922/ 218 (SPD).<br />

477 Büsing, Erna: Die Meinungsfabrik. In: GL, 30/ 26/ 26.06.1920/ 210; Habt Selbstachtung. In: GL, 32/ 14-15/<br />

15.07.1922/ 131-132.<br />

478 Toni – eigentlich Sidonie Zippora – Sender war Tochter einer Kaufmannsfamilie <strong>und</strong> besuchte Höhere Töchterschulen<br />

in Biebrich a. Rh. <strong>und</strong> Frankfurt am Main. Sie arbeitete als Bürogehilfin <strong>und</strong> bis 1918 als Büroangestellte<br />

in Frankfurt am Main <strong>und</strong> Paris. 1908 trat sie der SPD <strong>und</strong> Gewerkschaft bei. 1917 wurde sie Mitglied der USPD,<br />

1918 Mitglied der Exekutive des Arbeiter- <strong>und</strong> Soldatenrates in Frankfurt am Main, 1919 der USPD-Programmkommission,<br />

war 1920-1922 Mitglied des USPD-Beirats. 1919-1921 übernahm sie die Redaktion des USPD-<br />

Organs „Volksrecht“ (1919-1922). Als Schriftstellerin lebte sie in Frankfurt am Main, Dresden <strong>und</strong> Berlin. 1922<br />

wurde Sender wieder Mitglied der SPD, verschiedener ihrer Kommissionen <strong>und</strong> des zentralen SPD-Parteiausschusses.<br />

Ab 1920 redigierte sie die „Betriebsrätezeitschrift für die Metallindustrie“ (1920-1930; in ZDB nachgewiesen<br />

als „Betriebsräte-Zeitschrift für Funktionäre der Metallindustrie“). 1919-1924 hatte sie das Amt einer<br />

Stadtverordneten in Frankfurt am Main inne <strong>und</strong> 1920-1933 war sie Reichstagsabgeordnete. 1933 emigrierte sie<br />

erst in die Tschechoslowakei <strong>und</strong> dann nach Belgien. Sie arbeitete weiterhin als Korrespondentin für verschiedene<br />

Zeitungen. 1935 reiste sie in die USA, wo sie sich weiterhin in der Gewerkschaftsbewegung engagierte. 1940 erschien<br />

ihre Autobiographie „Toni Sender – the Autobiography of a German Rebel“.<br />

479 Verantwortlicher Redakteur der „Frauenwelt“ war bis einschließlich 1927 Richard Lohmann. Erst nach vielen<br />

Klagen – auch weil ein Mann keine Frauenzeitschrift leiten könne – wurde Sender zur Redakteurin bestimmt.<br />

480 Sender, Tony: Das Klassenbewußtsein als Quelle unserer Kraft. In: GL, 33/ 06/ 15.03.1923/ 41-42.<br />

481 Sender, Tony: Die Frau in den Gewerkschaften. In: GL, 32/ 21/ 01.11.1922/ 194; Die Frau in den Gewerkschaften<br />

(Schluß). In: GL, 32/ 22/ 15.11.1922/ 200-201.<br />

171


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

auch diejenige von Frauen der bürgerlichen Frauenbewegung. Nur ein Register könnte aber<br />

letztlich Aufschluss über die Zusammensetzung der Gruppe von bürgerlichen Frauen geben, die es<br />

nun als vertretbar erachteten, für die ehemals so radikale „Gleichheit“ tätig zu sein. Eine dieser<br />

bürgerlichen Frauen war Alice Salomon (1872-1948) 482 , die vorwiegend in der Wohlfahrtspflege<br />

<strong>und</strong> in der Ausbildung zur Wohlfahrtspflege tätig war. Salomon erachtete besonders die<br />

Wohlfahrtspflege als berufliche Aufstiegschance für Arbeitermädchen. Diesbezüglich sind einige<br />

von ihr verfasste Artikel in der „Gleichheit“ zu finden. 483<br />

Auch über die seit Redaktionswechsel verhältnismäßig intensivere Mitarbeit von Männern könnte<br />

nur ein vollständiges Register samt Entschlüsselung der Initialen ausreichende Auskunft geben.<br />

Eine Veränderung in diese Richtung hatte sich mit Heinrich Schulz als Redakteur bereits<br />

angedeutet <strong>und</strong> setzte sich teilweise unter den MitarbeiterInnen fort.<br />

Im Falle Simon Katzensteins (1868-1945) 484 treffen mehrere Besonderheiten zusammen: Er war<br />

der Bruder Henriette Fürths <strong>und</strong> arbeitete wie diese nicht nur für die „Gleichheit“ – dies sowohl<br />

unter Zetkin als auch nach deren Entlassung –, sondern auch für die „Sozialistischen<br />

482 Alice Salomon wurde in Berlin geboren. Sie war drittes von acht Kindern einer großbürgerlichen jüdischen Familie.<br />

1893 trat sie den „Mädchen- <strong>und</strong> Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit“ <strong>und</strong> 1900 dem „B<strong>und</strong> Deutscher<br />

Frauenvereine“ bei, dessen stellvertretende Vorsitzende sie bis 1920 war. 1902-1906 studierte Salomon trotz<br />

fehlendem Abitur Nationalökonomie in Berlin <strong>und</strong> graduierte 1908 zum Dr. phil.. Ihre Dissertation erschien unter<br />

dem Titel „Die Ursachen der ungleichen Entlohnung von Männer- <strong>und</strong> Frauenarbeit“. 1909 wurde sie<br />

Schriftführerin des „Internationalen Frauenb<strong>und</strong>es“. Salomon konvertierte 1914 zur evangelischen Konfession.<br />

1919 übernahm sie den Vorsitz der von ihr gegründeten „Konferenz sozialer Frauenschulen Deutschlands“. Aus<br />

dem Vorstand des BDF war sie 1920 zurückgetreten, weil man sie aus Angst vor antisemitischer Hetze in der Neubesetzung<br />

des Vorsitzes übergangen hatte. 1925 gründete Salomon die „Deutsche Akademie für soziale <strong>und</strong> pädagogische<br />

Arbeit“, dieser bedeutenden Einrichtung für Weiterbildung <strong>und</strong> Forschung folgte 1929 die Gründung der<br />

„International Association of Schools of Social Work“, deren Vorsitz Salomon lange Jahre innehatte. 1932 erhielt<br />

die engagierte Sozialreformerin die silberne Staatsmedaille Preußens <strong>und</strong> die Ehrendoktorwürde der Universität<br />

Berlin, doch 1933 enthob man sie all ihrer Ämter. 1938 emigrierte Salomon in die USA <strong>und</strong> wurde 1944 USamerikanische<br />

Staatsbürgerin.<br />

483 Salomon, Alice: Zum Eintritt in den sozialen Beruf. In: GL, 29/ 22/ 19.07.1919/ 171-173; Die Ergebnisse der Sonderlehrgänge<br />

für Arbeiterinnen zur Ausbildung in der Wohlfahrtspflege. In: GL, 30/ 44/ 30.10.1920/ 362-363; Die<br />

Ergebnisse der Sonderlehrgänge für Arbeiterinnen zur Ausbildung in der Wohlfahrtspflege (Schluß). In: GL, 30/<br />

45/ 06.11.1920/ 370.<br />

484 Simon Katzenstein, Sohn eines Holzfabrikanten <strong>und</strong> Bruder von Henriette Fürth, studierte 1885-1890 Geschichte,<br />

Philosophie, Jura <strong>und</strong> Volkswirtschaft in Gießen, Leipzig <strong>und</strong> Zürich. 1889 trat der SPD bei, weshalb er 1893 aus<br />

dem hessischen Justizdienst entlassen wurde. 1894-1896 arbeitete Katzenstein als Redakteur in Leipzig, 1897-<br />

1898 in Mainz. 1894-1895 war er als Mitglied der SPD-Agrarkommission tätig. 1903-1906 wirkte er als Herausgeber<br />

<strong>und</strong> als Arbeitersekretär <strong>und</strong> Lehrer in der Arbeiter- <strong>und</strong> Gewerkschaftsschulung. Bis 1913 war Katzenstein<br />

Vorstandsmitglied im Arbeiter-Abstinentenb<strong>und</strong>. 1915-1918 erst Stadtverordneter, ab 1925 schließlich Bezirksverordneter<br />

in Berlin-Charlottenburg, war er außerdem 1917-1919 volkswirtschaftlicher Mitarbeiter der Zentraleinkaufsgesellschaft<br />

deutscher Genossenschaften <strong>und</strong> im Reichswirtschaftsministerium. 1919 wurde Katzenstein<br />

Mitglied der Nationalversammlung, seine Kandidaturen für den Reichstag blieben jedoch meist erfolglos,<br />

lediglich 1919-1920 nahm er ein Reichstagsmandat wahr. 1928-1933 wirkte er als Herausgeber der Zeitschrift<br />

„Arbeiter-Abstinentenb<strong>und</strong>“ (?-?) <strong>und</strong> zog 1933 nach Saarbrücken, wo er Mitarbeiter verschiedener Zeitschriften<br />

wurde. Im Januar 1935 emigrierte Katzenstein über Frankreich, Holland <strong>und</strong> Großbritannien nach Dänemark, im<br />

Mai 1935 nach Stockholm, wo er sich in Konsumgenossenschaften engagierte <strong>und</strong> Arbeiten zum Alkoholimus in<br />

Deutschland verfasste.<br />

172


2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION<br />

Monatshefte“. Bereits 1894 fand in der „Gleichheit“ ein Vortrag Katzensteins Erwähnung, den er<br />

unter dem Titel „Die Bedeutung des 18. März für das Proletariat“ in Homburg auf einer öffent-<br />

lichen Volksversammlung für Männer <strong>und</strong> Frauen gehalten hatte. 485 Neben einigen Artikeln zur<br />

Geschichte der Rechtswissenschaft <strong>und</strong> ihre Position in der Klassengesellschaft 486 <strong>und</strong> weiterer<br />

rechtswissenschaftlicher Erläuterungen 487 verfasste Katzenstein auch den Artikel „Die prole-<br />

tarische Frau <strong>und</strong> der Alkohol“ 488 , in welchem er sich mit den Auswirkungen des Alkoholmiss-<br />

brauchs <strong>und</strong> entsprechendem Zahlenmaterial beschäftigte.<br />

Vor allem der Redakteur Kurt Heilbut (1888-1943) 489 arbeitete seit 1918 regelmäßig für die<br />

„Gleichheit“. Er richtete ein besonderes Augenmerk auf die kulturelle Bildung der Frauen <strong>und</strong><br />

Mädchen, indem er z. B. gegen den Einfluss des „Sch<strong>und</strong>kinos“ anschrieb. 490 Heilbuts Vorstellung<br />

von der „eigentlichen Erfüllung der Frau“ 491 <strong>und</strong> von der Mutterschaft als Teilhabe am<br />

Produktionsprozess wird in der von ihm 1922 angestellten Überlegung deutlich, „ob nicht<br />

vielleicht die Teilung zwischen den beiden Geschlechtern so sei, dass der Mann die geniale Arbeit<br />

schaffe, <strong>und</strong> die Frau den genialen Menschen“ 492 . Auf diese Vorstellung wird noch hinsichtlich des<br />

in den Frauenbiographien enthaltenen Mutterideals näher einzugehen sein. Heilbut beschäftigte<br />

485 Vgl. GL, 04/ 07/ 04.04.1894/ 52.<br />

486 Siehe: Tabelle „Auswahl der geschichtlichen Artikel im Hauptblatt der ‘Gleichheit’“.<br />

487 Katzenstein, Simon: Das Privatrecht – Vertragsfreiheit. In: GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 183-184.<br />

488 Katzenstein, Simon: Die proletarische Frau <strong>und</strong> der Alkohol. In: GL, 17/ 19/ 16.09.1907/ 158-159.<br />

489 Die Datenbank der Gedenkstätte Yad Vashem enthält unterschiedliche Angaben zur Biographie Kurt Heilbuts.<br />

Dort sind unter dem Namen Kurt Heilbut zwei Einträge zu finden. Beide geben diesselben Geburts- <strong>und</strong><br />

Sterbedaten an, beide als Geburtsort Freiburg im Breisgau <strong>und</strong> Sterbeort das Konzentrationslager Auschwitz. Der<br />

Eintrag durch Heilbuts Sohn Hellfried nennt als Heilbuts Eltern Sigm<strong>und</strong> <strong>und</strong> Sophie, der andere Eintrag Samuel<br />

<strong>und</strong> Sara, geb. von der Felde. Dieser zweite Eintrag erwähnt zudem die Ehefrau Heilbuts, Klara (vgl. Central<br />

Database of Shoah Victim’s Names). Weitere Informationen enthält ein Artikel aus der Taz, in welchem der älteste<br />

Sohn Heilbuts, Peter, die Geschichte seiner Flucht während eines Todesmarsches aus dem KZ Sachsenhausen im<br />

Mai 1945 beschreibt (vgl. Haarhoff, Heike: Todesmarsch in die Freiheit). Zu Beginn des nationalsozialistischen<br />

Terrors habe Heilbut, der u. a. als politischer Redakteur für die „Dresdner Volkszeitung“ (1854-1933) arbeitete<br />

<strong>und</strong> 1919 Parteisekretär der Berliner SPD wurde, mit seiner Frau Clara <strong>und</strong> seinen drei Kindern im sächsischen<br />

Freital gewohnt. Dort wurden sie auch erstmals Opfer antisemitischer Übergriffe <strong>und</strong> dort ist heute eine Straße<br />

nach Heilbut benannt. Für die „Gleichheit“ verfasste Heilbut mehrere Artikel <strong>und</strong> er war vermutlich auch<br />

regelmäßig an der Gestaltung der Rubrik „Politische Umschau“ beteiligt.<br />

490 Heilbut, Kurt: Im Kampf gegen den Kinosch<strong>und</strong>. In: GL, 30/ 01/ 03.01.1920/ 4-5. [Heilbut, Kurt?] K. H.:<br />

Kinosch<strong>und</strong>. In: GL, 30/ 06/ 07.02.1920/ 44 (Heilbut konstatiert, dass die Statistik in 250 Filmen 142 Morde <strong>und</strong><br />

Selbstmorde <strong>und</strong> 176 Diebstähle zählte <strong>und</strong> ruft zum Boykott schlechter Filme auf). Eine Auswahl weiterer<br />

Artikel Heilbuts: Heilbut, Kurt: Frauenstimmrecht <strong>und</strong> Gefühlspolitik. In: GL, 28/ 07/ 04.01.1918/ 56; Schweigen<br />

<strong>und</strong> arbeiten? In: GL, 28/ 16/ 10.05.1918/ 122; „Heimatheer deutscher Frauen.“ In: GL, 28/ 24/ 30.08.1918/ 185-<br />

186; Zum ersten Mai. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/ 128; Zur neuen Ehereform. In: GL, 29/ 17/ 23.05.1919/ 132-<br />

133; Die Urform der Ehe. In: GL, 29/ 45-46/ 27.12.1919/ 357-358; Rußland <strong>und</strong> wir. In: GL, 30/ 06/ 07.02.1920/<br />

45-47; Mädchenabende. In: GL, 30/ 08/ 21.02.1920/ 62; Unsere weibliche Jugend. In: GL, 31/ 04/ 15.02.1921/ 33-<br />

34<br />

491 [Heilbut, Kurt?] K. H.: Ist die Frau weniger begabt als der Mann? In: GL, 32/ 12/ 15.06.1922/ 115-117, S. 115.<br />

492 Ebd., S. 116<br />

173


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

sich mit Themen, die unter der Redaktion Zetkins wohl nicht einem Mann übertragen worden<br />

wären. Dies auch dann nicht, wenn dieser wie Heilbut ganz in der Tradition Bebels stand <strong>und</strong><br />

seine Empathie sogar soweit ging, dass er in einem Bebel gewidmeten Gedicht aus Frauen-<br />

perspektive schrieb:<br />

„Wir Frauen – ein minderwertig Geschlecht, / Verhöhnt, verachtet, ohne Recht. /<br />

Man sagte uns stets: die Geschichte lehrt, / Daß dem Mann allein die Herrschaft<br />

gehört. / Daß die Frau nichts versteht von des Lebens Nöten / Als das Haus zu<br />

hüten <strong>und</strong> höchstens – zu beten.“ 493<br />

Diese Strophe ist nicht nur beispielhaft für den für Heilbut typischen Pathos, sondern enthält<br />

zudem eine bemerkenswerte Kritik an der konventionellen Auffassung von Geschichte <strong>und</strong> dem<br />

<strong>weiblichen</strong> Anteil daran. Weniger pathetisch befassten sich Wilhelm Soldes (?-?) 494 mit Themen<br />

des Frauenwahlrechts <strong>und</strong> der Ehe 495 oder Paul Lensch (1873-1926) 496 mit Themen der Ge-<br />

schichte. 497 Lensch erachtete es anscheinend als für eine Frauenzeitschrift besonders angemessen,<br />

die Lebensgeschichte von Männern in den Mittelpunkt zu stellen. 498<br />

493 Heilbut, Kurt: An Bebel. In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210 (dieses Gedicht ist im Anhang enthalten). Weitere<br />

Gedichte Heilbuts: Der Mann von Illinois. In: GL, 28/ 19/ 21.06.1918/ 146 (Gedicht zur Annahme des<br />

Frauenwahlrechts im US-amerikanischen Repräsentantenhaus mit einer Stimme Mehrheit); Draußen. In: GL, 28/<br />

21/ 19.07.1918/ 167; Zwei Mütter. GL, 29/ 17/ 23.05.1919/ 130 (dieses Gedicht ist ebenfalls im Anhang<br />

enthalten). Für weitere Artikel siehe: Tabelle „Auswahl der geschichtlichen Artikel im Hauptblatt der ‘Gleichheit’“.<br />

494 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu<br />

Wilhelm Soldes.<br />

495 Soldes, Wilhem: Frauenwahlrecht <strong>und</strong> Parteiorgansiation. In: GL, 30/ 20/ 15.05.1920/ 151-153; Die bürgerliche<br />

Frauenbewegung <strong>und</strong> das Wahlrecht. In: GL, 30/ 22/ 29.05.1920/ 178-179; Der Siegeslauf des Frauenwahlrechts<br />

in der Welt. In: GL, 30/ 24/ 12.06.1920/ 194-195; Sozialisierung der Frau oder sozialistische Ehe? In: GL, 30/ 41-<br />

42/ 09.10.1920/ 340-341.<br />

496 Paul Lensch wurde in Potsdam geboren. Sein Vater war Oberregierungsrat. Nach einem Studium der Nationalökonomie<br />

in Berlin <strong>und</strong> Straßburg arbeitete er seit 1900 als Schriftsteller <strong>und</strong> Redakteur der „Freien Presse für<br />

Elsaß-Lothringen“ (1898-1964[?]). 1901-1902 hielt er sich zu Studienzwecken in Frankreich <strong>und</strong> England auf.<br />

1902-1913 war Lensch Redakteur der „Leipziger Volkszeitung“. 1912-1918 hatte er ein Mandat als Reichstagsabgeordneter<br />

inne. Zunächst einer der Kriegsgegner, wurde Lensch Mitglied einer Gruppe innerhalb der SPD, die<br />

den Krieg marxistisch zu legitimieren versuchte <strong>und</strong> führendes Mitglied der SPD. 1918 war Lensch Vertreter des<br />

Rats der Volksbeauftragten bei der Obersten Heeresleitung. 1919-1925 bekleidete er eine außerordentliche Professur<br />

für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Berlin. 1921-1922 erst Mitarbeiter, wurde er 1922 Redakteur<br />

<strong>und</strong> 1925 erneut Mitarbeiter der bürgerlichen „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ (1922-1945). 1922 erfolgte ein<br />

Auschluss aus der SPD bzw. Lensch kam durch Austritt dem Ausschluss zuvor. Zu seinen politischen Werken<br />

gehört u. a. „Die Sozialdemokratie <strong>und</strong> der Weltkrieg“ (1915).<br />

497 Paul Lensch fiel bereits 1916 durch eine Einsendung an die noch von Zetkin geleitete „Gleichheit“-Redaktion auf.<br />

In dieser monierte er vermeintlich falsche Informationen zu Lebenslauf <strong>und</strong> Tätigkeit Franz Mehrings wie sie die<br />

„Gleichheit“ anlässlich dessen siebzigsten Geburtstag veröffentlicht habe. Lensch, der gemeinsam mit Mehring an<br />

der Redaktion der „Leipziger Volkszeitung“ beteiligt gewesen war, sah dessen Verdienst als vollkommen überhöht<br />

an <strong>und</strong> kritisierte die „Gleichheit“ für ihre Darstellungsweise. Die Reaktion Zetkins darauf war sehr ironisch <strong>und</strong><br />

trotzig: „Wir warten ab, ob die Tätigkeit des Genossen Lensch für die ‘Leipziger Volkszeitung’ die gleiche Würdigung<br />

finden wird, wenn auch nicht an seinem siebzigsten Geburtstag, so doch vielleicht schon am fünften Jahres -<br />

tag seines ‘Umlernens’ oder seiner Mitgliedschaft in der berühmten ‘Gesellschaft von 1914’“. (Redaktion der<br />

„Gleichheit“[: Ohne Titel ] In: GL, 26/ 14/ 31.03.1916/ 103).<br />

498 Lensch, Paul: Zum Luthertag. In: GL, 28/ 02/ 26.10.1917/ 9-10. (Lensch betont darin die Bedeutung Luthers für<br />

die „Geburt der freien Persönlichkeit“); Karl Marx. In: GL, 28/ 15/ 26.04.1918/ 113-114.<br />

174


2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION<br />

Nicht nur angesichts solcher bekannten Autorinnen wie Baader, Zietz <strong>und</strong> Luxemburg konnte<br />

Zetkin 1905 selbstbewusst betonen<br />

„daß die ‘Gleichheit’ auch für ihre Beilage wie für ihren übrigen Inhalt nur<br />

Parteigenossen <strong>und</strong> Genossinnen als Mitarbeiter“ 499 [Hervorhebung von M.S.]<br />

habe. Das vermehrt kritisierte hohe theoretische Niveau der „Gleichheit“, das nicht zuletzt von<br />

eben dieser Zusammensetzung der AutorInnen herrührte, ließ es Zetkin 1913 aber zweckdienlich<br />

erscheinen,<br />

„hinzu[zu]fügen, daß wir vielleicht kein Organ in unserer Partei haben, daß<br />

daneben in so großer Zahl Mitarbeiter <strong>und</strong> Mitarbeiterinnen aus den erwachenden<br />

Schichten des Proletariats zählt, wie gerade die ‘Gleichheit’.“ 500<br />

Ähnlich sah es Baader in nahezu jedem ihrer Berichte als „Vertrauensperson der Genossinnen<br />

Deutschlands“: Die „Zahl der Proletarierinnen, die für die ‘Gleichheit’ schriftstellerisch thätig“ 501<br />

waren, nahm stetig zu. Dies sei zugleich ein Beweis dafür, dass die Gruppe der agitatorisch tätigen<br />

Genossinnen – auf dem Parteitag in Lübeck noch von Baader selbst als „Häuflein“ 502 bezeichnet –<br />

im stetigen Wachsen begriffen war. Die Mitarbeit an der „Gleichheit“ galt ihr als wichtiges Mittel<br />

zur Ausbildung „manch tüchtiger Kraft“ 503 für die Agitation. Einige Jahre später verkündete<br />

Baader stolz, dass<br />

„[z]u dem bisherigen tüchtigen Stamm bewährter Rednerinnen […] junge<br />

Kräfte hinzugekommen [seien], welche sich bereits als recht wirkungsvolle<br />

Agitatorinnen erwiesen“ 504<br />

hätten. Hinzu komme, dass auch die Zahl derjenigen Genossinnen wachse, „welche durch<br />

Berichte, Artikel, Notizen an der ‘Gleichheit’ mitarbeiten“ 505 <strong>und</strong> was Baader als „begrüßen-<br />

des Anzeichen geistigen Lebens im <strong>weiblichen</strong> Proletariat“ 506 wertete. Baader machte damit ins-<br />

gesamt bedeutsame Aussagen zur Wirksamkeit <strong>und</strong> Rezeption der „Gleichheit“, der noch in einem<br />

eigenen Kapitel nachgegangen wird.<br />

So war nicht nur der Anstieg der „Gleichheit“-Abonnentinnenzahl<br />

499 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1905, S. 281. Vormschlag bestätigt dies in ihrer Studie, wenn sie<br />

schreibt, dass „[m]eistens […] die Beiträge von führenden <strong>und</strong> in der Parteiarbeit stehenden Personen verfaßt“<br />

(Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 99) wurden.<br />

500 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1913, S. 255.<br />

501 Baader, Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands, München 1902, S. 40.<br />

502 Baader im Protokoll des SPD-Parteitages Lübeck 1901, S. 124.<br />

503 Baader, Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands, München 1902, S. 40.<br />

504 Baader, Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands, Mannheim 1906, S. 72.<br />

505 Ebd S. 74.<br />

506 Ebd.<br />

175


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

„der beste Beweis dafür, daß die proletarische Frauenbewegung an äußerer<br />

Ausdehnung wie innerer Reife gewinnt. Als ein besonders begrüßenswertes<br />

Symptom muß bezeichnet werden, daß die Zahl der Mitarbeiterinnen der<br />

‘Gleichheit’ stetig wächst, welche sich aus dem <strong>weiblichen</strong> Proletariat rekrutieren.“<br />

507<br />

Auch eine hier nicht konkret genannte Zahl der einfachen Proletarierinnen unter den „Gleichheit“-<br />

Mitarbeiterinnen, verliert betreffs der Rezeption der „Gleichheit“ jedoch an Aussagekraft, wenn<br />

die Soziologin Hilde Lion (1893-1970) 508 allgemein für die Autorenauswahl der „Gleichheit“<br />

feststellt, dass die Einsendung von Manuskripten „mehr reaktiv als spontan“ 509 erfolgt sei – womit<br />

die Reaktion auf eine Aufforderung durch die Schriftleitung gemeint sein dürfte. War es demnach<br />

nicht wahrheitsgemäß, wenn Zetkin 1913 hervorhob, dass sich an der Gestaltung der „Gleichheit“<br />

viele „Mitarbeiter <strong>und</strong> Mitarbeiterinnen aus den erwachenden Schichten des Proletariats“ 510<br />

beteiligten? Tatsächlich lassen sich Namen in der „Gleichheit“ finden, die nicht nur den<br />

Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> auch nicht nur namhaften VertreterInnen des<br />

orthodoxen Marxismus zuzuordnen sind.<br />

Generell muss die These von Evans <strong>und</strong> Nolan bestätigt werden, dass es auch hier meist die<br />

erwerbstätigen Ehefrauen der führenden Genossen waren, die sich durch ein politisches <strong>und</strong><br />

schriftstellerisches Engagement hervorhoben. 511 Hausangestellte <strong>und</strong> junge, unverheiratete Frauen<br />

beteiligten sich insgesamt weniger aktiv an der Bewegung 512 <strong>und</strong> sind auch als Autorinnen der<br />

„Gleichheit“ selten zu finden. Doch muss zur Verteidigung der „Gleichheit“ eingeworfen werden,<br />

dass es ihren Vorgängerinnen – <strong>und</strong> wie gesehen auch ihrer neuen Redaktion – nicht anders<br />

ergangen war. Auch sie hatten immer wieder ermutigende Aufrufe veröffentlicht, die Resonanz<br />

darauf bleibt jedoch ungewiss.<br />

Generell muss auch festgestellt werden, dass den „Mitarbeitern <strong>und</strong> Mitarbeiterinnen aus den<br />

erwachenden Schichten des Proletariats“ biographisch nur sehr schwer nachgespürt werden kann.<br />

507 Baader, Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deuschlands, Dresden 1903, S. 50.<br />

508 Hilde Lion wurde in Hamburg geboren. Sie begann 1917 am Sozialpädagogischen Institut in Hamburg eine Ausbildung,<br />

die sie als examinierte Sozialarbeiterin <strong>und</strong> Lehrerin abschloss. Dieser folgte ein Studium der Volkswirtschaft<br />

<strong>und</strong> Pädagogik in Freiburg, Hamburg, Berlin <strong>und</strong> Köln <strong>und</strong> 1924 die Promotion. Ab 1925 bekleidete<br />

Lion das Amt der Leiterin des Jugendleiterinnenseminars des Vereins „Jugendheim“ in Berlin. 1929-1933 war sie<br />

Direktorin der „Deutschen Akademie für soziale <strong>und</strong> pädagogische Frauenarbeit“ in Berlin. Außerdem wurde sie<br />

Vorsitzende der „Vereinigung der Dozentinnen an sozialpädagogischen Lehranstalten“. 1933 erfolgte ihre Entlassung<br />

aus ihrem Amt <strong>und</strong> sie emigrierte nach Großbritannien, wo sie ein Forschungsstipendium wahrnahm. 1934<br />

wurde Lion Gründerin <strong>und</strong> Leiterin der „Stoatley Rough School“ in Haslemere/Surrey, wo während des Krieges<br />

viele Flüchtlingskinder Aufnahme fanden.<br />

509 Lion, Zur Soziologie der Frauenbewegung, S. 90.<br />

510 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1913, S. 255.<br />

511 Vgl. Evans, Sozialdemokratie <strong>und</strong> Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich, S. 206 <strong>und</strong> Nolan,<br />

Proletarischer Anti-Feminismus, S. 365.<br />

512 Nolan, Proletarischer Anti-Feminismus, S. 371.<br />

176


2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION<br />

Dies vor allem, wenn sie in der „Gleichheit“ nur einen einzigen – vielleicht noch dazu unge-<br />

zeichneten – Artikel veröffentlicht haben. Einige weibliche Autoren dürften es sogar in den Jahren<br />

vor dem Reichsvereinsgesetz 1908 bewusst vermieden haben, ihre Beiträge namentlich zu zeich-<br />

nen. Initialen <strong>und</strong> Zeichen wie ***, ! oder #, die teilweise auch von den internationalen Korres-<br />

pondentinnen verwendet wurden, finden sich sogar noch in den späteren Jahrgängen der „Gleich-<br />

heit“ <strong>und</strong> sind kaum entsprechenden Personen zuzuordnen. 513 Soweit nicht die Artikel selbst, z. B.<br />

durch die enthaltenen Beschreibungen des persönlichen Alltags Auskunft über ihre Verfasserinnen<br />

geben, können es nur die Forschungen in privaten Nachlässen tun.<br />

Auch wenn hier nur eine kleine Auswahl der MitarbeiterInnen – ProletarierInnen <strong>und</strong> Partei-<br />

genossInnen – <strong>und</strong> wenige ihrer Artikel vorgestellt werden konnten, so dürfte doch deutlich<br />

geworden sein, dass das Bild der „Gleichheit“ als das einer reinen „One-Woman-Show“ nicht zu-<br />

treffend ist.<br />

513 Vgl. von # gezeichnete Artikel in der Politischen <strong>und</strong> Gewerkschaftlichen R<strong>und</strong>schau in Nummer 5 des 23.<br />

Jahrgangs der „Gleichheit“ <strong>und</strong> X.Y.Z.: Aus der holländischen Frauenbewegung. In: GL, 08/ 19/ 14.09.1898/ 148-<br />

149.<br />

177


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

2.3.3 Die „Gleichheit“ als Organ der Sozialistischen Fraueninternationale <strong>und</strong> ihre<br />

internationalen Korrespondentinnen<br />

Der Relativierung des Bildes der „Gleichheit“ als dem einer „One-Woman-Show“ ist auch der<br />

Blick auf die große Zahl internationaler Autorinnen zuträglich. Es ist die Gruppe von Autorinnen,<br />

die von bisherigen Forschungsarbeiten sehr vernachlässigt wurde. Dies ist umso unerklärlicher, da<br />

Zetkins Bemühen um eine internationale Vernetzung von Beginn an eine Priorität der „Gleichheit“<br />

war. 514 Ein Bemühen, das sich nach der Ernennung Zetkins zur Sekretärin der Sozialistischen<br />

Fraueninternationale <strong>und</strong> der „Gleichheit“ zum offiziellen Organ dieser Institution im August<br />

1907 deutlich verstärkte. 515<br />

Auf der in Stuttgart stattfindenden Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale gab Baader<br />

folgenden Bericht für die sozialdemokratische Frauenbewegung Deutschlands ab:<br />

„Die Bewegung ist vor allem zur prinzipiellen Klarheit <strong>und</strong> Festigkeit erzogen<br />

worden durch die ‘Gleichheit’, […]. Die ‘Gleichheit’ hat die Frauenfrage nach<br />

ihren verschiedenen Seiten hin konsequent vom Standpunkt des historischen<br />

Materialismus aus methodisch durchgearbeitet. Sie hat damit die prinzipielle<br />

Gr<strong>und</strong>lage der sozialistischen Frauenbewegung geschaffen <strong>und</strong> ihre taktischen<br />

Richtlinien gezogen Jahrelang hatte die ‘Gleichheit’ eine sehr kleine Verbreitung.<br />

Oft genug verlacht, als unter dem Ausschluß der Öffentlichkeit erscheinend,<br />

verfolgte sie das Ziel, das sie sich gesteckt hatte. Die Redakteurin, Genossin<br />

Zetkin, ließ sich von dem Geschrei, die Zeitschrift sei zu hoch, sie müsse auf ein<br />

niedrigeres Niveau gestellt werden, nicht beirren. Es war schwer, die Frauen an die<br />

ernste Lektüre zu gewöhnen, aber es ist doch gelungen.“ 516<br />

Baader zeichnete hier ein realistisches Bild von der Entwicklung der „Gleichheit“, von ihren<br />

Schwierigkeiten, aber auch ihren Möglichkeiten. Die Schwierigkeit lag vor allem in der Frage der<br />

Übersetzung in andere Sprachen. Die „Gleichheit“ wurde schließlich – <strong>und</strong> laut des in ihr selbst<br />

veröffentlichten Berichts 517 – vorläufig nur bis zur nächsten Konferenz zum zentralen Organ der<br />

Sozialistischen Fraueninternationale ernannt. Dies außerdem nur unter der Bedingung, dass die an<br />

sie eingehenden Berichte internationaler Korrespondentinnen gesammelt, in die drei Kongress-<br />

sprachen übersetzt <strong>und</strong> an die entsprechenden Stellen gesendet würden. Zetkin sagte dies zu. Ob<br />

514 Eines von vielen Dokumenten, die den internationalen Kontakt Zetkins hervorheben wurde vor Kurzem veröffentlicht.<br />

Es handelt sich um einen am 20.11.1911 verfassten Brief Zetkins an Kata Dalström (1858-1923), die<br />

Führerin der schwedischen Frauenbewegung. Zetkin bat darin Dalström um einen Artikel für eine Publikation zum<br />

ersten Internationalen Frauentag (vgl. Sachse, Clara Zetkins Märzentag).<br />

515 Der Vorschlag, die Redaktion der „Gleichheit“ zur „Zentralstelle“ der „Schaffung regelmäßiger Beziehungen<br />

zwischen den organisierten Genossinnen der einzelnen Länder“ zu machen, stammte von Ihrer, die entsprechende<br />

einstimmig angenommene Resolution von Zietz (vgl. Victor Adler – Briefwechsel mit August Bebel <strong>und</strong> Karl<br />

Kautsky, S. 62, Fußnote 13a). Diese detaillierten Informationen gehen nicht aus dem Bericht für die Erste<br />

Internationale Konferenz sozialistischer Frauen hervor. Jedoch wurde der Verlauf der Diskussionen <strong>und</strong> die<br />

maßgebliche Beteiligung Ihrers <strong>und</strong> Zietz‘ in dem Artikel „Die erste Internationale Konferenz sozialistischer<br />

Frauen“ (In: GL, 17/ 18/ 02.09.1907/ 150-151) beschrieben.<br />

516 Berichte für die Erste Internationale Konferenz sozialistischer Frauen Stuttgart 1907, S. 16.<br />

517 Die erste Internationale Konferenz sozialistischer Frauen. In: GL, 17/ 18/ 02.09.1907/ 150-151, S. 150.<br />

178


2.3.3 DIE „GLEICHHEIT“ ALS ORGAN DER SOZIALISTISCHEN FRAUENINTERNATIONALE UND IHRE INTERNATIONALEN KORRESPONDENTINNEN<br />

<strong>und</strong> wie diese Übersetzungen tatsächlich erfolgten, konnte im Rahmen der Untersuchungen für<br />

die vorliegende Arbeit nicht ermittelt werden.<br />

Auf dem darauf folgenden Parteitag in Nürnberg verkündete Baader als Vertrauensperson der<br />

Genossinnen Deutschlands stolz, dass die Wahl für das Organ der Sozialistischen Frauen-<br />

internationale auf die „Gleichheit“ gefallen sei. Die „Gleichheit“-Redaktion unter Zetkin hatte nun<br />

einmal „bereits die meiste internationale Fühlung“ 518 . Die „Gleichheit“ sei<br />

„die geeignetste Stelle für die Veröffentlichung der internationalen Korrespondenzen<br />

[…], weil sie das sozialistische Frauenblatt [sei], das in den meisten<br />

Ländern von Genossinnen gelesen“ 519 [Hervorhebung von M.S.]<br />

würde. Ihre Inhalte, vor allem die „aus den verschiedenen Ländern einlaufenden Korres-<br />

pondenzen“ 520 , spiegelten<br />

„eine mehr oder minder regelmäßige Verbindung mit sozialistischen Frauenorganisationen<br />

[…] in Oesterreich, Böhmen, Schweiz, Holland, Belgien, England,<br />

Finnland, Dänemark, Vereinigte Staaten von Nordamerika (Organisationen deutsch<br />

<strong>und</strong> englisch sprechender Genossinnen)“ 521<br />

wider. Es zeigt sich jedoch auch hier das generelle Problem, festzustellen, inwieweit die „Gleich-<br />

heit“ tatsächlich im Ausland rezipiert wurde. Waren es nur Frauenorganisationen, die sie abonniert<br />

hatten oder gab es auch EinzelabonnentInnen? Die Tatsache, dass es Zetkin während des Ersten<br />

Weltkrieges trotz Zensur gelang, einzelne Exemplare an die internationalen Genossinnen zu ver-<br />

senden, geht aus ihrer Korrespondenz hervor. So schrieb sie 1915 an Heleen Ankersmit im<br />

neutralen Holland, dass sie ihr drei Nummern der „Gleichheit“ in je zwei Exemplaren zugeschickt<br />

habe – jeweils ein Exemplar war für den Versand nach England bestimmt. 522 Die „Gleichheit“<br />

erschien komplett in deutscher Sprache <strong>und</strong> von Übersetzungen oder einem Druck übersetzter Ex-<br />

emplare ist nichts bekannt. Es ist demnach nicht feststellbar, ob <strong>und</strong> wie ausländischen Leserinnen<br />

die Inhalte der „Gleichheit“ vermittelt wurden. Auch der Bericht des Vereins Arbeiterpresse kann<br />

nur feststellen, dass die „Gleichheit“ in<br />

„[g]anz Deutschland <strong>und</strong> vielfach auch unter den deutschlesenden Genossinnen im<br />

Ausland, besonders in Oesterreich, der Schweiz, Holland <strong>und</strong> den Vereinigten<br />

Staaten“ 523 [Hervorhebung von M.S.]<br />

verbreitet war. Auch über die Höhe der ins Ausland expedierten Exemplare geben die heran-<br />

518 Baader, Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands, Nürnberg 1908, S. 100.<br />

519 Ebd.<br />

520 Ebd. S. 101.<br />

521 Ebd. S. 100.<br />

522 Clara Zetkin in einem Brief an Heleen Ankersmit am 16.01.1915. In: Eildermann, Ünveröffentlichte Briefe Clara<br />

Zetkins an Heleen Ankersmit, S, 670-671, S. 670.<br />

523 Handbuch des Vereins Arbeiterpresse, Jg. 3 (1914), S. 125.<br />

179


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

gezogenen Quellen keinerlei Auskunft.<br />

Nachdem Zetkin das Amt einer internationalen Sekretärin übertragen worden war, wandelte sich<br />

ihr Selbstverständnis als Führerin der deutschen proletarischen Frauenbewegung entscheidend.<br />

Sie war nun einem internationalen Gremium <strong>und</strong> dessen Prinzipien verpflichtet <strong>und</strong> verstand sich<br />

nun noch stärker als bisher als Verfechterin unbedingter internationaler Solidarität. Ihre Loyalität<br />

gegenüber der Fraueninternationale hatte eine besondere Bedeutung für die Berichterstattung in<br />

der „Gleichheit“, für die Einrichtung des internationalen Frauentages <strong>und</strong> für die Haltung der<br />

„Gleichheit“ während des Ersten Weltkrieges, der in seiner internationalen wie zerstörerischen<br />

Dimension bisher einzigartig war. Bereits in den Jahren vor Kriegsbeginn wurde die<br />

Durchführung des Internationalen Frauentages von Seiten des Parteivorstandes zunehmend<br />

hintertrieben. Dies spiegelt die revisionistische Tendenz der SPD wider <strong>und</strong> erklärt die Ver-<br />

änderung in Zetkins Parteiloyalität. Die Befürwortung des deutschen Kriegseintritts bedeutete<br />

schließlich das abrupte Ende des Sozialdemokratismus Zetkins. Sie gab nun alles daran, dass die<br />

„Gleichheit“ ihrem internationalen Auftrag unbedingt treu blieb <strong>und</strong> betrieb in ihr eine gegen die<br />

Linie der SPD-Führung gerichtete Anti-Kriegs-Propaganda. Es lag in der Art der Umstände, dass<br />

jeder Anti-Kriegs-Artikel der „Gleichheit“ zugleich ein Anti-SPD-Artikel sein musste. Zetkin<br />

bemühte sich weiterhin <strong>und</strong> trotz aller durch die Zensur verursachten Schwierigkeiten um eine<br />

internationalistische <strong>und</strong> damit antimilitaristische Gesinnung ihrer Leserinnen. Enttäuscht musste<br />

sie aber feststellen, dass deren Loyalität nicht denselben Prinzipien galt wie die ihre. Inwieweit<br />

diese unkritische Haltung <strong>und</strong> Parteidisziplin der „Gleichheit“-Leserinnen als Rezeptionsergebnis<br />

der „Gleichheit“ <strong>und</strong> damit sogar quasi als „Arbeitserfolg“ Zetkins betrachtet werden kann, wird<br />

in Kapitel 2.5 besprochen werden.<br />

Durch ihre bewegte Biographie besaß Zetkin viele persönliche Kontakte ins Ausland. Ihre<br />

Ausbildung als Fachlehrerin für moderne Sprachen <strong>und</strong> ihre außergewöhnlichen Sprachkenntnisse<br />

(u. a. Russisch, Englisch, Italienisch <strong>und</strong> Französisch) ermöglichten es ihr, sich einen<br />

umfassenden Überblick über die internationale sozialistische Presse zu verschaffen. So konnte die<br />

„Gleichheit“ einen Blick über die Grenzen der eigenen Nation hinaus werfen. Sie berichtete, wie<br />

Ilberg in ihrer Zetkin-Biographie schreibt, über<br />

„das Leben <strong>und</strong> die Mühsal der Frauen in anderen Ländern […] – der Näherinnen<br />

in Paris, der Baumwollpflückerinnen im Süden Amerikas <strong>und</strong> der Bäuerinnen auf<br />

Rußlands weiten Steppen. So würden die deutschen Arbeiterinnen Sympathie<br />

empfinden für die Proletarierinnen in aller Welt, Gefühle tiefer Verb<strong>und</strong>enheit.“ 524<br />

Deutsche Proletarierinnen sollten demnach nicht nur nüchtern über die Entwicklungen anderer<br />

Arbeiterinnenbewegungen informiert werden. Es ging um mehr. Sie sollten Empathie für die<br />

524 Ilberg, Clara Zetkin, S. 59-60.<br />

180


2.3.3 DIE „GLEICHHEIT“ ALS ORGAN DER SOZIALISTISCHEN FRAUENINTERNATIONALE UND IHRE INTERNATIONALEN KORRESPONDENTINNEN<br />

Probleme ihrer Klassengenossinnen empfinden <strong>und</strong> mindestens zu ebenbürtigen Opferleistungen<br />

wie diese motiviert werden. Die proletarische Frauenbewegung Deutschlands sah sich stets in<br />

einem internationalen Vergleich – um nicht zu sagen – einer internationalen Konkurrenz. So teilte<br />

Baader bereits 1902 ganz im Zetkin‘schen Sinne – vielleicht sogar mit einiger Formulierungshilfe<br />

von ihr – dem Parteitag von München mit:<br />

„Die ‘Gleichheit’, der unsere proletarische Frauenbewegung an erster Stelle die<br />

gr<strong>und</strong>sätzliche Klarheit <strong>und</strong> Reife verdankt, die sie von der Bewegung der meisten<br />

Länder auszeichnet, ist den thätigen Genossinnen unentbehrlich als geistiges Band,<br />

als Mittel des Zusammenhalts, der Belehrung <strong>und</strong> politischen Schulung.“ 525 [Hervorhebungen<br />

von M.S.]<br />

Die proletarische Frauenbewegung hatte demnach nicht nur auf nationaler Ebene erhebliche Fort-<br />

schritte vorzuzeigen, sondern auch im internationalen Vergleich eine Führungsposition inne.<br />

Entsprechend berichtete die „Gleichheit“ auch über Neugründungen ausländischer Frauen-<br />

zeitschriften. So z. B. über die „Zenský List“ (1892-1900[?]) 526 in Tschechien, „La Fronde“ (1897-<br />

1903) 527 in Frankreich, „The Woman Worker“ (1916-1921[?]) 528 in England oder Frauen-<br />

zeitschriften in Russland 529 <strong>und</strong> Indien. 530 Die Berichte über Jubiläen befre<strong>und</strong>eter Arbeiterinnen-<br />

organe feierten die stabile Entwicklung einer internationalen proletarischen Frauenbewegung. 531<br />

Die „Gleichheit“ unter neuer Redaktion berichtete dagegen bevorzugt von Neugründungen oder<br />

525 Baader, Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands, München 1902, S. 40.<br />

526 Seit 1. Juli 1892 erschien in Brünn das tschechische Frauenblatt für Arbeiterinnen „ZenskýList“ (vgl. GL, 02/ 14/<br />

13.07.1892/ 118). Bereits im nächsten Jahr musste die „Gleichheit“ in zwei Nummern darüber berichten, dass<br />

zwei Mitarbeiterinnen dieser Zeitschrift wegen „Vagabondage“ verhaftet, aber auch wieder entlassen worden<br />

waren (vgl. GL, 03/ 02/ 25.01.1893/ 13 u. GL, 03/ 05/ 08.03.1893/ 37).<br />

Die ZDB weist nur den 7. Jahrgang von 1898 nach, die Österreichische Nationalbibliothek jedoch auch den<br />

8. Jahrgang von 1900.<br />

527 Die „La Fronde“ erschien in Paris <strong>und</strong> war eine Zeitschrift von Frauen für Frauen. Sie wird allerdings von Zetkin<br />

für ihre Darstellung der deutschen Frauenbewegung kritisiert (vgl. Eine Tageszeitung von <strong>und</strong> für Frauen… In:<br />

GL, 08/ 01/ 05.01.1898/ 8; Die französische Tageszeitung „La Fronde“… In: GL, 08/ 07/ 30.03.1898/ 55). Die<br />

„Gleichheit“ entlieh sich der „La Fronde“ auch einen Feuilleton-Artikel zu einem völkerk<strong>und</strong>lichen Thema:<br />

Jacobi, Eugenie: Howa-Frauen. In: GL, 10/ 25/ 05.12.1900/ 196. Jacobi (?-?) war bereits im selben Jahrgang als<br />

Übersetzerin für die „Gleichheit“ tätig gewesen (vgl. Lipinska, Melanie: Medizinerinnen des Mittelalters [I-IV].<br />

In: GL, 10/ 11/ 23.05.1900/ 84-85 bis GL, 10/ 14/ 04.07.1900/ 108-109).<br />

528 Eine neue Arbeiterinnenzeitung in London… In: GL, 26/ 10/ 04.02.1916/ 75. Herausgeberinnen dieser Zeitschrift,<br />

die bereits eine Vorgängerin gleichen Namens hatte, waren Susan Lawrence (1871-1947) <strong>und</strong> Mary MacArthur<br />

(1880-1921), Mitarbeiterinnen u. a. Beatrice Webb (1858-1943).<br />

529 Eine russische Frauenzeitung… In: GL, 08/ 24/ 23.11.1898/ 191. Diese Zeitung besaß einen ähnlichen Aufbau wie<br />

die „Gleichheit“ <strong>und</strong> legte einen Schwerpunkt auf die Geschichte der Entwicklung der Frau <strong>und</strong> die Biographien<br />

hervorragender Frauen.<br />

530 Eine Monatszeitschrift für die indischen Frauen … In: GL, 11/ 20/ 25.09.1901/ 159. Außerdem: Eine Frauenzeitschrift<br />

in böhmischer Sprache… In: GL, 10/ 12/ 06.06.1900/ 96 (diese Zeitschrift erschien jedoch interessanterweise<br />

in Chicago <strong>und</strong> hatte wie die „La Fronde“ einen <strong>weiblichen</strong> Mitarbeiterstab).<br />

531 Vgl. Eine bereichernde <strong>und</strong> erfreuende Lektüre für die Proletarierinnen… In: GL, 22/ 19/ 12.06.1912/ 304 (zum<br />

zwanzigjährigen Bestehen der österreichischen, von Adelheid Popp redigierten „Arbeiterinnenzeitung“ erschien<br />

das „Gedenkbuch, Zwanzig Jahre österreichische Arbeiterinnenbewegung“ (1912)).<br />

181


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Neuerscheinungen bürgerlicher Frauenzeitschriften – ohne jedoch damit eine klassenkämpferische<br />

Zielsetzung zu verfolgen. 532 Die deutlichste Kritik daran kam von Mathilde Wurm, die von der<br />

USPD wieder zur SPD gestoßen war, aber damit keine Wandlung zur Mehrheitssozialdemokratin<br />

durchgemacht hatte. Sie forderte immer wieder die Berichterstattung aus der Frauenbewegung im<br />

Ausland ein <strong>und</strong> wollte diese nach Einstellung der „Gleichheit“ auch in den Redaktionen der<br />

„Gleichheit“-Nachfolgerin „Die Genossin“ nicht nur wiedergegeben, sondern auch kommentiert<br />

sehen. 533<br />

Die „Gleichheit“ verfügte als offizielles Organ der Sozialistischen Fraueninternationale über eine<br />

große Zahl internationaler KorrespondentInnen. Diese AutorInnen informierten die deutschen<br />

Proletarierinnen über die politischen Entwicklungen, proletarischen Arbeitsbedingungen <strong>und</strong><br />

Arbeitskämpfe ihres Landes, über deren Niederlagen <strong>und</strong> Erfolge. Diese internationale Ver-<br />

netzung war ein zentrales Element des „Gleichheit“-Selbstverständnisses als Vertreterin eines<br />

umfassenden Klassenkampfes, getreu des marxistischen Mottos: Proletarierinnen aller Länder<br />

vereinigt Euch! So wurden nicht nur der Militarismus <strong>und</strong> der Expansionsdrang der deutschen<br />

Regierung, das Ausbeutungssystem deutscher Kapitalisten aufgedeckt <strong>und</strong> angeprangert, sondern<br />

vielmehr zum Kapitalismus als einem weltumspannenden Unterdrückungssystem Stellung<br />

bezogen.<br />

Bevor an dieser Stelle die ausländischen KorrespondentInnen vorgestellt werden, muss vor allem<br />

eine deutsche Mitarbeiterin erwähnt werden, die in den ersten Jahrgängen häufig aus Groß-<br />

britannien berichtete: Helene Simon (1862-1947) 534 . Simon unternahm im April 1895 eine<br />

532 Wohlwollend stellte die „neue“ „Gleichheit“ die von den radikalen Frauenrechtlerinnen Lida Gustava Heymann<br />

(1868-1943) <strong>und</strong> Anita Augspurg (1857-1943) herausgegebene „Die Frau im Staat“ (1919-1933) <strong>und</strong> deren<br />

Zielsetzung vor: „Ohne Rücksicht auf herrschende Vorurteile, unabhängig von politischen Parteien oder<br />

bestehenden Frauen- <strong>und</strong> Männervereinen […], das politische Leben vom Standpunkt der Forderungen <strong>und</strong> der<br />

Mitwirkung der Frau <strong>und</strong> unter dem Gesichtspunkt der Völkerverständigung zu betrachten.“ (Die Frau im Staate<br />

… In: GL, 29/ 10/ 14.02.1919/ 79). Auch über ein Verzeichnis aller in Deutschland erscheinenden Frauenzeitschriften,<br />

das der Allgemeine Deutsche Frauenverein 1917 herausgab <strong>und</strong> in dem auch dem BDF nicht<br />

angeschlossene Organisationen <strong>und</strong> ihre Organe vertreten waren, wurde sehr wohlwollend <strong>und</strong> keineswegs<br />

kritisch berichtet (vgl. Der allgemeine deutsche Frauenverein… In: GL, 27/ 25/ 14.09.1917/ 177).<br />

533 Vgl. Wurm im Bericht über die Reichsfrauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages Kiel 1927, S. 317; dies.<br />

im Bericht über die Reichsfrauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages Heidelberg 1925, S. 352.<br />

534 Helene Simon war Tochter einer jüdischen Bankiersfamilie. 1895-1897 studierte sie Nationalökonomie <strong>und</strong><br />

Sozialwissenschaften in London (besuchte dort die Slums <strong>und</strong> Fabriken des East End). Sie beschäftigte sich mit<br />

den sozialpolitischen Schriften der linksintellektuellen Fabier, wurde 1896 Mitglied der „Fabian Society“ <strong>und</strong><br />

stand in Kontakt mit Beatrice <strong>und</strong> Sidney Webb. Simon beschäftigte sich mit sozialen Fragen, mit dem Frauen-<br />

<strong>und</strong> Kinderschutz. 1897 nahm sie ein Studium an der Universität Berlin bei Professor Gustav Schmoller auf.<br />

1900-1914 erschienen von ihr einige biographische Studien zu Robert Owen, William Godwin <strong>und</strong> Mary<br />

Wollstonecraft (1759-1797). Simon engagierte sich dann für den Arbeitsschutz, die Jugendhilfe <strong>und</strong> die Schulspeisung<br />

<strong>und</strong> wurde Mitglied überparteilicher Wohlfahrtsausschüsse. 1907 war sie Mitglied im Ständigen<br />

Ausschuss zur Förderung der Arbeiterinnen-Interessen. Während des Ersten Weltkrieges war sie im NFD aktiv. Ab<br />

1917 war sie Mitherausgeberin der Zeitschrift „Soziale Kriegshinterbliebenenfürsorge“ (1916-1920) <strong>und</strong><br />

engagierte sich ab 1919 in der AWO <strong>und</strong> in der SPD. 1933 zog sie sich aus der Öffentlichkeit zurück, bot in ihrer<br />

182


2.3.3 DIE „GLEICHHEIT“ ALS ORGAN DER SOZIALISTISCHEN FRAUENINTERNATIONALE UND IHRE INTERNATIONALEN KORRESPONDENTINNEN<br />

Studienreise nach London <strong>und</strong> beschrieb in einigen Artikeln die Situation der englischen Arbei-<br />

terinnenbewegung. 535 1922 schließlich berichtete die „neue“ „Gleichheit“ von einer besonderen<br />

Ehre, die Simon zuteil geworden war. Die Universität Heidelberg hatte ihr die Ehrendoktorwürde<br />

der Philosophischen Fakultät (Fachgebiet Nationalökonomie) verliehen. 536 Simon war die erste<br />

Sozialdemokratin, der eine solche Würde zuerkannt wurde <strong>und</strong> verdankte sie laut der „Gleichheit“<br />

letztendlich ihrer jahrelangen „äußerst tüchtige[n] <strong>und</strong> erfolgreiche[n] Arbeit in der Wohl-<br />

fahrtspflege“ 537 . Während des Krieges leitete Simon den „Arbeitsausschuss der Kriegerwitwen-<br />

<strong>und</strong> -waisenfürsorge“, schrieb als ständige Mitarbeiterin für die Zeitschrift „Soziale Praxis“ (seit<br />

1890) <strong>und</strong> veröffentlichte die Broschüre „Aufgaben <strong>und</strong> Ziele der neuzeitlichen Wohlfahrtspflege“<br />

(1922). Ihre Tätigkeit für die „alte“ „Gleichheit“ oder die „Neue Zeit“ blieb in jenem Bericht<br />

jedoch gänzlich unerwähnt. 538<br />

Aus der Schweiz erreichten die „Gleichheit“-Redaktion vor allem mit d. z. gezeichnete Artikel. 539<br />

Hinter diesen Initialen ist Dionys Zinner (?-?) 540 aus Winterthur zu vermuten, denn dieser<br />

zeichnete später für ähnliche Artikel namentlich verantwortlich. Zinner beschrieb vor allem die<br />

Zustände in der Schweiz <strong>und</strong> ihrer Arbeiterinnenbewegung. 541 Hinsichtlich der Zuordnung von<br />

Artikeln können auch Fehler der Redaktion oder der Drucksetzung nicht ausgeschlossen werden.<br />

Zum Beispiel dürfte der mit D. Z. gezeichnete Artikel „Zur Lage der Fabrikarbeiterinnen in Ham-<br />

burg“ 542 , der einen 1898 erschienenen Amtsbericht des Hamburger Fabrikinspektors untersucht,<br />

Wohnung Verfolgten Zuflucht <strong>und</strong> emigrierte schließlich 1939 nach London. Simon hatte seit 1899 in engem<br />

Kontakt zu Elisabeth Gnauck-Kühne (1850-1917), einer Vertreterin der bürgerlichen Frauenbewegung <strong>und</strong><br />

Sozialwissenschaftlerin, gestanden <strong>und</strong> veröffentlichte 1928/29 deren autobiographische Aufzeichnungen.<br />

535 Die „Gleichheit“ veröffentlichte u. a.: Simon, Helene: Die gewerkschaftliche Organisation der Arbeiterinnen in<br />

England. In: GL, 06/ 07/ 01.04.1896/ 55-56; Aus dem Norden Englands. In: GL, 06/ 15/ 22.07.1896/ 119-120.<br />

536 Helene Simons Ernennung zum Ehrendoktor … In: GL, 32/ 17/ 18/ 01.09.1922/ 170.<br />

537 Ebd.<br />

538 Laut Klöhn veröffentlichte Simon in der Zeit zwischen 1896 <strong>und</strong> 1899 sechs Artikel in der „Gleichheit“ (vgl.<br />

Klöhn, Helene Simon (1862-1947), S. 149).<br />

539 So z. B. die Notizen: Fort- <strong>und</strong> Berufsbildung für das weibliche Geschlecht in der Schweiz; Gleiche Arbeit,<br />

gleicher Lohn für Mann <strong>und</strong> Frau; Die Würde eines Doktors der Staatswissenschaften … (dies war eine Notiz zur<br />

Promotion Rosa Luxemburgs an der Universität Zürich); Studentinnen an Schweizer Universitäten (alle in: GL,<br />

08/ 17/ 17.08.1898/ 136).<br />

540 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine eindeutigen biographischen<br />

Informationen zu Dionys Zinner. Unter diesem Namen erschienen u. a. folgende Werke: „Fest-Schrift zur<br />

Halbjahrh<strong>und</strong>ert-Feier des Allgemeinen Arbeiterbildungs-Vereins Winterthur. 1850-1900“ (1900) <strong>und</strong> „Geschichte<br />

der deutschen Schuhmacherbewegung“ (1904). Es dürfte sich bei Zinner auch um einen der Herausgeber des<br />

„Schuhmacher-Fachblattes“ (1878-1883) handeln.<br />

541 Zinner, D[ionys]: Der gesetzliche Schutz der Fabrikarbeiterinnen in der Schweiz. In: GL, 09/ 05/ 01.03.1899/ 37-<br />

38; Die Durchführung der Arbeiterinnenschutzgesetze in der Schweiz. In: GL, 09/ 13/ 21.06.1899/ 101-103;<br />

Volksabstimmung über ein Arbeiterinnenschutzgesetz in der Schweiz. In: GL, 13/ 02/ 13.01.1904/ 14-15; Z[inner,<br />

Dionys]: Die Durchführung des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes im Kanton Zürich. In: GL, 18/ 14/<br />

06.07.1908/ 126-127.<br />

542 D. Z.: Zur Lage der Fabrikarbeiterinnen in Hamburg. In: GL, 10/ 01/ 03.01.1900/ 3-4.<br />

183


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

nicht von Zinner, sondern von Zietz stammen.<br />

Aus der sozialistischen Frauenbewegung der USA berichtete für die „Gleichheit“ vor allem Meta<br />

Lilienthal Stern (1876-1948) 543 , die Mitglied des US-amerikanischen Frauenkomitees der<br />

„Socialist Party“ war. Sterns regelmäßig seit 1909 erschienenen Artikel beschrieben meist übliche<br />

Agitationsarbeit. 544 1910 berichtete sie sehr ausführlich über eine Konferenz der sozialistischen<br />

Frauen von New York. 545 Außerdem verfasste sie Nachrufe auf zwei Vorkämpfer der sozia-<br />

listischen Bewegung in den USA 546 sowie Berichte von Großdemonstrationen zum Frauen-<br />

wahlrecht 547 . Spätere Artikel besprachen die Einrichtung eines Büros, das die Naturalisation<br />

eingewanderter Frauen fördern sollte 548 oder kritisierten den Militarismus der US-amerikanischen<br />

Regierung, die für ihren Eintritt in den Ersten Weltkrieg aufrüstete 549 .<br />

Aus Österreich kamen Artikel von einer der bekanntesten internationalen Sozialdemokratinnen:<br />

Adelheid Popp (1869-1939) 550 . Popp veröffentlichte erstmals 1892 in der „Gleichheit“-Rubrik<br />

543 Meta Lilienthal Stern, geb. Lilienthal, war älteste Tochter deutscher Immigranten. Ihre Eltern Frederick W. <strong>und</strong><br />

Augusta Lilienthal emigrierten 1861 in die USA. Ihr Vater ließ sich als Arzt in New York nieder. Er wurde<br />

Mitgründer der „New Yorker Volkszeitung“ (1878-1932) <strong>und</strong> der Freidenker-Gesellschaft sowie Mitglied der<br />

Socialist Labour Party <strong>und</strong> der Sozialistischen Internationale. Er starb 1910 77jährig. Auch die Mutter war<br />

führendes Mitglied der Socialist Labour Party <strong>und</strong> außerdem Redakteurin der Frauenseite der „New Yorker<br />

Volkszeitung“. Stern schrieb ebenfalls für die „New Yorker Volkszeitung“ sowie für den „New York Call“ (1908-<br />

1923). Sie wurde 1908 Mitglied des „Woman‘s National Comitee (WNC) <strong>und</strong> später der „Womens‘s Trade Union<br />

League“ (WTUL). Die Journalistin verfasste 1910 eine autorisierte englische Übersetzung von Bebels „Die Frau<br />

<strong>und</strong> der Sozialismus“ <strong>und</strong> schrieb außerdem unter dem literarischen Pseudonym „Hebe“ (d.i. Die griechische<br />

Göttin der Jugend). 1947 erschien ihre Autobiographie „Dear Remembered World: Childhood Memories of an Old<br />

New Yorker“.<br />

544 Stern, Meta L[ilienthal]: <strong>Von</strong> der sozialistischen Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten. In: GL, 19/ 21/<br />

19.07.1909/ 335-336; <strong>Von</strong> der sozialistischen Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten. In: GL, 19/ 24/<br />

30.08.1909/ 384; <strong>Von</strong> der sozialistischen Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten. In: GL, 19/ 25/ 13.09.1909/<br />

400; <strong>Von</strong> der sozialistischen Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten. In: GL, 20/ 06/ 20.12.1909/ 94-95;<br />

Fortschritt der sozialistischen Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten. In: GL, 22/ 23/ 07.08.1912/ 366-367;<br />

Aus der sozialistischen Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten. … In: GL, 22/ 24/ 21.08.1912/ 383-384.<br />

545 Stern, Meta L[ilienthal]: Konferenz der sozialistischen Frauen von New York. In: GL, 20/ 07/ 03.01.1910/ 111-<br />

112; Konferenz der sozialistischen Frauen von New York, … In: GL, 20/ 08/ 17.01.1910/ 127; Die sozialistische<br />

Frauenkonferenz in New York, … In: GL, 20/ 09/ 31.01.1910/ 143.<br />

546 Stern, Meta L[ilienthal]: Ein Pionier. In: GL, 22/ 12/ 04.03.1912/ 183-184 (Nachruf auf Alexander Jonas, einen<br />

us-amerikanischen Sozialisten deutscher Abstammung); William Mailly, ein sozialistischer Vorkämpfer. In: GL,<br />

23/ 02/ 16.10.1912/ 23-24.<br />

547 Stern, Meta L[ilienthal]: Eine riesige Demonstration für das Frauenstimmrecht. … In: GL, 23/ 06/ 11.12.1912/ 94-<br />

95 (in New York City hatte am 9. November 1912 ein Fackelzug anlässlich einer von der „Männerliga für<br />

Frauenstimmrecht“ organisierten Demonstration stattgef<strong>und</strong>en); Einführung des Frauenstimmrechts in vier<br />

weiteren Staaten der nordamerikanischen Union. In: GL, 23/ 06/ 11.12.1912/ 94-95; Nationaler Kongreß der<br />

amerikanischen Frauenrechtlerinnen. In: GL, 23/ 09/ 22.01.1913/ 143-144 (Stern berichtete darin vom 24. Jahreskongreß<br />

der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen vom 20.-25. November in Philadelphia. In einer Nachschrift<br />

kritisiert die „Gleichheit“-Redaktion – vermutlich Zetkin – eine Kooperation zwischen amerikanischen Sozialistinnen<br />

<strong>und</strong> bürgerlichen Frauenrechtlerinnen auf das Heftigste).<br />

548 Stern, Meta L[ilienthal]: Die Erwerbung des Bürgerrechts der Vereinigten Staaten durch eingewanderte Frauen …<br />

In: GL, 23/ 18/ 28.05.1913/ 287.<br />

549 Stern-Lilienthal, Meta: Der amerikanische Militarismus <strong>und</strong> die Frauen. In: GL, 26/ 16/ 28.04.1916/ 117-118.<br />

550 Adelheid Popp, geb. Dworschak, war Tochter eines Webers. 1876-1879 besuchte sie die Volksschule <strong>und</strong> arbeitete<br />

ab 1893 in einer Fabrik für Bronzeerzeugnisse, anschließend in einer Korkfabrik. Schon damals war Popp<br />

184


2.3.3 DIE „GLEICHHEIT“ ALS ORGAN DER SOZIALISTISCHEN FRAUENINTERNATIONALE UND IHRE INTERNATIONALEN KORRESPONDENTINNEN<br />

„Aus der Bewegung“ einen kurzen Kommentar zu einem österreichischen Frauentag. 551 Ein erster<br />

größerer Artikel trug den Titel „Die Wiener Arbeiterinnen im Wahlkampf“ 552 . Auch später<br />

behandelte Popp bevorzugt aktuelle Wahlkämpfe in Wien oder Österreich 553 oder berichtete über<br />

die bürgerliche Frauenbewegung ihres Landes 554 . In einer für Zetkin schwierigen Zeit, in der diese<br />

gegen die eigene Partei anschreiben musste, bewies Popp solidarisches Mitgefühl <strong>und</strong><br />

internationales Bewusstsein:<br />

„Inmitten der schweren Sorgen <strong>und</strong> Lasten des Tages haben wir nicht vergessen,<br />

was wir der Fraueninternationale 1910 gelobt haben: An einem Tage im Jahre für<br />

die politische Gleichberechtigung der Frauen unsere Stimme zu erheben.“ 555<br />

Popp stand demnach auf der prinzipientreuen Seite Zetkins. Deshalb war auch nach Kriegsende<br />

<strong>und</strong> Redaktionswechsel lange Zeit kein Artikel mehr von ihr zu finden. Erst wieder 1922 erschien<br />

von ihr ein Artikel, in welchem sie die Bedeutung der Genfer Konvention für den Wiederaufbau<br />

Österreichs thematisierte. 556<br />

Eine besondere Bedeutung für die proletarische Frauenbewegung aller deutschsprachigen Länder<br />

hatte die Veröffentlichung von Popps Jugenderinnerungen. Sie erschienen 1909 unter dem Titel<br />

„Die Jugendgeschichte einer Arbeiterin“ <strong>und</strong> wurden mehrfach in der „Gleichheit“ beworben oder<br />

rezensiert. 557 Nachdem einige Leserinnen an die „Gleichheit“-Redaktion die Anfrage gerichtet<br />

hatten, wo das Buch käuflich zu erwerben sei, musste Zetkin mitteilen, dass es aufgr<strong>und</strong> einer Ab-<br />

lehnung durch den Vorwärts-Verlag im bürgerlichen Verlag Ernst Reinhardt in München<br />

politisch aktiv. 1889 wurde sie Mitglied des Wiener Arbeiterinnen-Bildungsvereins <strong>und</strong> ab 1890 redete sie auf<br />

öffentlichen Versammlungen. 1893-1934 war Popp verantwortliche Redakteurin der Wiener „Arbeiterinnen-<br />

Zeitung“ (1892-1924) <strong>und</strong> gehörte seit 1893 außerdem zu den Gründerinnen verschiedener Lese- <strong>und</strong><br />

Bildungsvereine. 1894 heiratete sie den sozialdemokratischen Politiker Julius Popp (siehe: Julius Popp in Wien †.<br />

In: GL, 13/ 02/ 14.01.1903/ 16). 1898 wurde Popp Mitglied des sozialdemokratischen Frauenreichskomitees<br />

Österreichs, 1903 Mitglied des Parteivorstand der österreichischen Sozialdemokratie. 1918-1923 war sie Mitglied<br />

des Wiener Gemeinderates, 1919-1934 Abgeordnete des Nationalrates, in welchem sie besonders engagiert für<br />

Dienstbotenrechte wirkte. Nach dem Ersten Weltkrieg trat Popp für die Wiederbelebung der Sozialistischen<br />

Fraueninternationale ein. 1926 wurde sie Vertreterin der Frauen in der Exekutive der sozialistischen<br />

Arbeiterinternationale. 1933 schied Popp aus ges<strong>und</strong>heitlichen Gründen aus der aktiven Politik aus.<br />

551 [Popp, Adelheid] Dworschak, Frl.: Ohne Titel. In: GL, 02/ 11/ 01.06.1892/ 94.<br />

552 Popp, Adelheid: Die Wiener Arbeiterinnen im Wahlkampf. In: GL, 07/ 07/ 31.03.1897/ 53-54.<br />

553 Popp, Adelheid: Der Wahlrechtskampf in Wien. In: GL, 09/ 16/ 02.08.1899/ 124-126; Der Wahlrechtskampf in<br />

Österreich. In: GL, 16/ 21/ 17.10.1906/ 144-145 (Popp formulierte darin einen Vorwurf an Zetkin, die die<br />

Stimmrechtsbewegung in Österreich falsch beurteile; Zetkin gab in einer Nachschrift eine vorläufige Antwort zu<br />

diesem Vorwurf (vgl. ebd. S. 145) <strong>und</strong> ließ eine ausführliche Replik folgen: Zetkin, Klara: Frauenstimmrecht <strong>und</strong><br />

Wahlrechtskampf in Österreich. In: GL, 16/ 22/ 31.10.1906/ 151-153)<br />

554 Popp-Dworschak, Adelheid: Die christlichsoziale Frauenbewegung in Wien. In: GL, 08/ 05/ 02.03.1898/ 37-38.<br />

555 Popp, Adelheid: Gruß aus Oesterreich. In: GL, 26/ 13/ 17.03.1916/ 93.<br />

556 Popp, Adelheid: Die Bedeutung der Genfer Konvention für die Arbeiterinnen. In: GL, 32/ 24/ 15.12.1922/ 214-<br />

215.<br />

557 Die Jugendgeschichte einer Arbeiterin. In: GL, 19/ 15/ 26.04.1909/ 228-231.<br />

185


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

erscheinen müsse. 558 Zwei Nummern später musste die „Gleichheit“ diese Kritik berichtigen. Der<br />

Vorwärts-Verlag hatte eingewandt, dass er durchaus das Buch hätte veröffentlichen wollen. Es sei<br />

ihm aber kein Manuskript zur vorhergehenden Prüfung zugegangen. Des Weiteren konnte die<br />

„Gleichheit“ aber ergänzen, dass der Reinhardt-Verlag immerhin bereit sei, GenossInnen beim<br />

Kauf des Buches einen Rabatt zu gewähren. 559<br />

Eine weitere für die „Gleichheit“ arbeitende Sozialistin von internationalem Ruf war die Russin<br />

Alexandra Kollontay (1872-1952) 560 . Erstmals findet sich ihr Name in der „Gleichheit“<br />

anlässlich einer Wahlrechtsdemonstration in London am 26. April 1909. 561 Auch Zetkin hatte an<br />

dieser zeitgleich mit dem bürgerlichen Internationalen Frauenstimmrechtskongress stattfindenden<br />

Veranstaltung teilgenommen. Bereits im folgenden Jahr erschien in der „Gleichheit“ ein mehr-<br />

teiliger Artikel Kollontays zur wirtschaftlichen Lage der Arbeiterinnen in Russland. 562 Im<br />

Weiteren waren es vornehmlich Berichte zu Maifeiern <strong>und</strong> zum internationalen Frauentag, die die<br />

„Gleichheit“ aus Russland erreichten <strong>und</strong> in denen Kollontay die Unterdrückung der Arbeiter-<br />

bewegung im Zarenreich beschrieb. 563 Kollontay kritisierte 1912 das gerichtliche Vorgehen gegen<br />

sozialdemokratische Duma-Abgeordnete 564 , berichtete in demselben Jahr über die Frauenstimm-<br />

558 Vgl. Zur Antwort. In: GL, 19/ 17/ 24.05.1909/ 272.<br />

559 Vgl. „Die Jugendgeschichte einer Arbeiterin“ … In: GL, 19/ 19/ 21.07.1909/ 304.<br />

560 Alexandra Kollontay (die heute gängigere Schreibweise ist Kollontai), geb. Domontowitsch, entstammte einer<br />

adeligen Familie. Der Privatunterricht, den sie erhielt, umfasste vor allem Sprachkenntnisse – diese sollten ihr für<br />

ihre diplomatische Karriere sehr hilfreich sein.1893 heiratete sie „unter Stand“ den Ingenieur Wladimir Kollontay<br />

<strong>und</strong> gebar einen Sohn. Nach fünf Jahren verließ sie ihren Ehemann <strong>und</strong> nahm in Zürich ein Studium auf. Sie<br />

arbeitete vor allem zu den Themen der Arbeiterinnen, des Mutterschutzes, der Sexualmoral <strong>und</strong> Prostitution. Sie<br />

trat auf verschiedenen internationalen Konferenzen als Rednerin auf. Den Beginn des Ersten Weltkriegs erlebt sie<br />

in Deutschland, <strong>und</strong> reiste dann nach Norwegen. Zu Beginn eine Gegnerin, wurde sie schließlich eine Anhängerin<br />

Lenins <strong>und</strong> begab sich auf eine Agitationsreise durch die USA. 1917 kehrte Kollontay in ihre Heimatstadt St.<br />

Petersburg zurück, wo sie verhaftet, nach einem Putsch der Bolschewisten jedoch wieder frei gelassen wurde. Sie<br />

erhielt einen Sitz im Zentralkomitee <strong>und</strong> wurde Volkskommissarin für Soziales. 1918 ging sie mit dem<br />

Marinekommissar Pawel Dybenko eine Zivilehe ein, die sie 1922 wieder lösten. In diesem Jahr ging Kollontay als<br />

Leiterin der sowjetischen Handelsvertretung nach Oslo, wo sie schließlich auch als politische Vertreterin der<br />

UdSSR eingesetzt wurde. Nach einer kurzen Versetzung nach Mexiko (1926-27), kehrte sie nach Oslo zurück <strong>und</strong><br />

wurde schließlich Gesandte in Schweden. 1942 erlitt sie einen Schlaganfall, dessen Folgen in Form von<br />

Lähmungserscheinungen sie zunehmend beeinträchtigten. 1945 ging Kollontay, mit verschiedenen internationalen<br />

Ehrungen gewürdigt, in den Ruhestand nach Moskau. U. a. verfasste sie die Werke „Soziale Gr<strong>und</strong>lagen der<br />

Frauenfrage“ (1909) <strong>und</strong> „Gesellschaft <strong>und</strong> Mutterschaft“ (1913).<br />

561 Ein Demonstrationsmeeting für das Wahlrecht aller Großjährigen ohne Unterschied des Geschlechts … In: GL,<br />

19/ 17/ 24.05.1909/ 269-270.<br />

562 Kollontay, Alexandra: Die ökonomische Lage der russischen Arbeiterinnen [I-III]. In: GL, 20/ 24/ 29.08.1910/<br />

371-372 bis GL, 20/ 26/ 26.09.1910/ 402-403.<br />

563 Kollontay, Alexandra: Der erste Mai im Zarenreich. In: GL, 21/ 15/ 24.04.1911/ 228-229; Der<br />

sozialdemokratische Frauentag. In Rußland. In: GL, 23/ 14/ 02.04.1913/ 215-216; Auch Rußland wird einen<br />

Frauentag haben. In: GL, 24/ 12/ 04.03.1914/ 180-181; Die Bedeutung des sozialdemokratischen Frauentags in<br />

Rußland. In: GL, 24/ 16/ 29.04.1914/ 247-248.<br />

564 Für Opfer der Klassenjustiz im Zarenreich … In: GL, 22/ 13/ 18.03.1912/ 194-195.<br />

186


2.3.3 DIE „GLEICHHEIT“ ALS ORGAN DER SOZIALISTISCHEN FRAUENINTERNATIONALE UND IHRE INTERNATIONALEN KORRESPONDENTINNEN<br />

rechtsfrage in Schweden 565 <strong>und</strong> gab 1914 einen aktuellen Überblick über die in Russland exis-<br />

tierenden Blätter für Arbeiterinnen 566 . In jenem Jahr wurde Kollontay selbst zum Gegenstand der<br />

„Gleichheit“-Berichterstattung. Im Dezember 1914 wurde sie aus Schweden ausgewiesen, weil sie<br />

gegen den Krieg agitiert hatte. 567 Auch Kollontays Mitarbeit endete mit dem Redaktionswechsel.<br />

In ihrem Bericht zur zweiten Konferenz der Kommunistischen Fraueninternationale, die am 15.<br />

Juni 1921 in Moskau tagte, erwähnte Radtke-Warmuth jedoch die Wahl Kollontays zur Sekretärin<br />

der Kommunistischen Fraueninternationale. 568<br />

Die an dieser Stelle hervorgehobenen Frauen sind nicht die einzigen, die von Zetkin motiviert<br />

wurden, aus der sozialistischen Frauenbewegung ihres Landes zu berichten, jedoch ist deren<br />

Tätigkeit von einer auffälligen Kontinuität. Ihre oft mit dem Kürzel „I.K.“ – vermutlich für „Inter-<br />

nationale Korrespondenz“ – versehenen Artikel stehen für den Anspruch der „Gleichheit“, das<br />

Organ der Sozialistischen Fraueninternationale zu sein. Es ist eine im Februar 1910 heraus-<br />

gegebene sehr spezielle Nummer der „Gleichheit“, die einerseits eben diesen Anspruch <strong>und</strong><br />

andererseits die große Bedeutung Bebels für die Frauenbewegung der ganzen Welt veran-<br />

schaulicht. Diese Nummer erschien anlässlich Bebels 70. Geburtstag <strong>und</strong> enthält Glückwünsche<br />

<strong>und</strong> Danksagungen, die in ihrem pathetischen Ausdruck die Bedeutung seines Wirkens, besonders<br />

die Bedeutung seines Werkes „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“ hervorheben. Es sind darin Beiträge<br />

namhafter <strong>und</strong> bereits vorgestellter „Gleichheit“-Mitarbeiterinnen wie Zetkin 569 , Luxemburg 570 ,<br />

Zietz, Baader, Kähler, 571 Wurm 572 , Popp 573 <strong>und</strong> Kollontay 574 enthalten. „<strong>Von</strong> jenseits des Ozeans“<br />

aus den USA schrieben sowohl das nationale Komitee der „Socialist Party“ 575 als auch Stern 576<br />

565 Kollontay, Alexandra: Die Frauenstimmrechtsfrage in Schweden. In: GL, 22/ 21/ 10.07.1912/ 324-326.<br />

566 Kollontay, Alexandra: Arbeiterinnenblätter in Rußland. In: GL, 24/ 19/ 10.06.1914/ 303-304.<br />

567 Die Ausweisung unserer russischen Genossin Kollontay aus Schweden … In: GL, 25/ 06/ 11.12.1914/ 32.<br />

568 Vgl. [Radtke-Warmuth, Elli?] E. R.: Internationale kommunistische Frauenkonferenz in Moskau. In: GL, 31/ 11/<br />

01.06.1921/ 106.<br />

569 Zetkin, Klara: August Bebel. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 145-146.<br />

570 Luxemburg, Rosa: Der politische Führer der deutschen Arbeiterklasse. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 146-149.<br />

571 Zietz, Luise/ Baader, Ottilie/ Kähler, Wilhelmine: Was Bebel den Proletarierinnen gab. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/<br />

150-151.<br />

572 Wurm, Mathilde: Bebels Einfluß auf die bürgerliche Frau. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 151-152.<br />

573 Popp, Adelheid: Oesterreichs Proletarierinnen zu Bebels Geburtstag. In: GL 20/ 10/ 14.02.1910/ 153-154.<br />

574 Kollontay, Alexandra: Das ist auch unser Festtag. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 155.<br />

575 Nationales Frauenkomitee der „Socialist Party“ USA: <strong>Von</strong> jenseits des Ozeans. In: GL 20/ 10/ 14.02.1910/ 157.<br />

576 Stern, Meta L[ilienthal]/ u. a.: <strong>Von</strong> jenseits des Ozeans. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 157.<br />

187


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

einen Beitrag. Bebel wurden außerdem durch Helene Grünberg (1874-1928) 577 Glückwünsche<br />

der deutschen Gewerkschaften vermittelt 578 <strong>und</strong> Luise Kautsky war es wichtig, den „Gleichheit“-<br />

Leserinnen Persönliches aus dem Leben Bebels mitzuteilen 579 . Aus Italien schrieb Anna<br />

Kulischoff (1857-1925) 580 , im Auftrag des Sozialdemokratischen Frauenvereins Kopenhagen Eli-<br />

sabeth Jörgensen (?-?) 581 <strong>und</strong> als schweizerische Arbeiterinnensekretärin Marie Walter (1872-<br />

1949) 582 . Hilja Pärssinen (1876-1935) 583 vertrat mit ihrem Gruß die sozialdemokratischen Frauen<br />

Finnlands <strong>und</strong> Dora Montefiore (1851-1933) 584 die sozialistischen Frauen Englands. Auch der<br />

577 Helene Grünberg war Tochter eines Berliner Gastwirts <strong>und</strong> absolvierte nach der Volksschule eine Ausbildung zur<br />

Schneiderin. Im Alter von 22 Jahren trat sie dem „Verband der Schneider <strong>und</strong> Schneiderinnen“ bei <strong>und</strong> wurde<br />

schließlich sogar Vorstandsmitglied. 1905 wurde sie in Nürnberg die erste hauptamtliche Arbeiterinnensekretärin<br />

Deutschlands. 1906 gründete sie den „Verein der Nürnberger Dienstmädchen, Waschfrauen <strong>und</strong> Putzfrauen“ <strong>und</strong><br />

war eine wichtige Initiatorin der Dienstbotenbewegung. Außerdem war sie sehr in der Jugendbewegung aktiv.<br />

1907 nahm sie an der Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale <strong>und</strong> 1908-1922 regelmäßig an den SPD-<br />

Parteitagen teil. 1919 wurde Grünberg für die SPD Mitglied der Nationalversammlung <strong>und</strong> 1920 bekam sie ein<br />

Mandat als Reichstagsabgeordnete. Seit 1923/24 litt sie jedoch zunehmend an einem Nervenleiden <strong>und</strong> an<br />

Depressionen. 1928 nahm sie sich das Leben.<br />

578 Grünberg, Helene: Bebel als Mitbegründer <strong>und</strong> Förderer der freien Gewerkschaften. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/<br />

149-150.<br />

579 Kautsky, Luise: Persönliches über Bebel. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 152-153.<br />

580 Kulischoff, Anna: Grüße aus Italien. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 155-156.<br />

581 Jörgensen, Elisabeth: Herzlicher Glückwunsch aus Dänemark. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 156. Die<br />

herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu Elisabeth<br />

Jörgensen.<br />

582 Walter, Marie: Dem Kampfeshelden der arbeitenden Frauen, unserem Bebel, ein Huldigungsgruß von den<br />

Schweizer Genossinnen. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 156.<br />

Marie Walter-Hüni hatte 1909-1917 das Amt der Präsidentin des schweizerischen Arbeiterinnenverbandes inne,<br />

nachdem sie Margarethe Faas-Hardegger (1882-1963) 1909 als Arbeiterinnensekretärin des Schweizerischen Gewerkschaftsb<strong>und</strong>es<br />

nachgefolgt war. Ihr folgte Rosa Bloch(-Bollag) (1880-1922).<br />

583<br />

Pärssinen, Hilja: Die sozialdemokratischen Frauen Finnlands dem verehrten Vorkämpfer August Bebel. In: GL,<br />

20/ 10/ 14.02.1910/ 156-157.<br />

Hilja Pärssinen, geb. Lindgren, war Tochter eines Pfarrers <strong>und</strong> wandte sich nach einer Lehrerinnenausbildung der<br />

Arbeiterbewegung Finnlands zu. Sie war maßgeblich am Kampf für das 1906 gewährte Frauenwahlrecht beteiligt<br />

<strong>und</strong> engagierte sich außerdem in der Abstinenzbewegung <strong>und</strong> für alleinerziehende Mütter. 1907 war sie als<br />

Delegierte auf der Gründungskonferenz der Sozialistischen Fraueninternationale in Stuttgart anwesend. 1907-<br />

1914, 1917 <strong>und</strong> 1929-1935 war sie sozialdemokratische Abgeordnete im finnischen Parlament. Nach dem<br />

Bürgerkrieg 1918, einer Flucht nach Russland <strong>und</strong> der Rückkehr nach Finnland, wurden Pärssinen <strong>und</strong> ihr<br />

Ehemann inhaftiert. 1923 wurde sie begnadigt. Pärssinen, die mehrere Gedichtbände verfasste, erlag einer<br />

Brustkrebserkrankung <strong>und</strong> hatte sich ein Jahr vor ihrem Tod von ihrem Ehemann scheiden lassen. Die kurz<br />

gefasste Übersetzung aus der leider nur auf finnisch veröffentlichten biographischen Literatur verdanke ich Pirkko<br />

Isohanni (Kassel).<br />

584 Montefiore, Dora M.: Der sozialistischen Frauen Englands Gruß an August Bebel. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/<br />

188<br />

154-155.<br />

Dora Montefiore, geb. Dorothy Frances Fuller, war Britin <strong>und</strong> lernte in den 1870er Jahren den australischen<br />

Händler George Barrow Montefiore kennen. Sie heiratete ihn <strong>und</strong> brachte zwei Kinder zur Welt. 1889 verscholl<br />

ihr Ehemann auf See <strong>und</strong> Montefiore musste ihre Rechtlosigkeit als Mutter ihrer Kinder erkennen. Daraufhin<br />

engagierte sich Montefiore in der Frauenbewegung New South Wales‘ <strong>und</strong> wurde Sozialistin. 1911 übernahm sie<br />

die Redaktion der „International Socialist Review of Australasia“ (1907-1920). Sie engagierte sich in der Social<br />

Democratic Federation, Social Democratic Party, British Socialist Party <strong>und</strong> in der „Women’s Social and Political<br />

Union“. Sie war Delegierte auf verschiedenen internationalen Kongressen. Während des Ersten Weltkrieges wurde<br />

Montefiore Mitglied der Kommunistischen Partei Großbritanniens <strong>und</strong> 1920 in deren Exekutive gewählt. 1923


2.3.3 DIE „GLEICHHEIT“ ALS ORGAN DER SOZIALISTISCHEN FRAUENINTERNATIONALE UND IHRE INTERNATIONALEN KORRESPONDENTINNEN<br />

Vorstand des Verbandes des sozialdemokratischen Frauenklubs der Niederlande 585 ließ es sich<br />

nicht nehmen, dem Jubilar zu gratulieren. Mit dieser Nummer schuf Zetkin ein besonderes Abbild<br />

sozialistischer Frauensolidarität <strong>und</strong> als Redakteurin der „Gleichheit“ war sie selbst der Mittel-<br />

punkt dieses internationalen Zusammenhalts.<br />

Tatsächlich war Zetkin nicht die einzige Sozialistin, die während des Krieges mutig an dem<br />

Prinzip der internationalen Solidarität festhielt. Auch die österreichischen Sozialistinnen blieben<br />

prinzipientreu <strong>und</strong> führten sogar im Kriegsjahr 1917 einen Internationalen Frauentag durch. Auch<br />

wenn dieser von seinem ursprünglichen Termin am 25. März auf den 15. April verschoben werden<br />

musste, schrieb Zetkin doch voll des Lobes für die Standfestigkeit der Österreicherinnen, wobei<br />

die Resignation über die Haltung der deutschen Genossinnen zwischen den Zeilen durchaus<br />

erkennbar wird:<br />

„Bis jetzt ist Österreich das einzige kriegführende Land, dessen Genossinnen sich<br />

rühmen dürfen, auch im dritten Jahre des greuelvollen Völkerringens einen Frauentag<br />

zu begehen, der den gemeinsamen Forderungen der Sozialistinnen aller Länder,<br />

der internationalen Solidarität der Proletarierinnen Ausdruck verleiht. Die sozialdemokratischen<br />

Frauen Deutschlands gehen in unserer Fraueninternationale nicht<br />

mehr führend voran. Möchten sie wenigstens nachfolgen.“ 586<br />

Auch diese Hoffnung Zetkins wurde zumindest von den Sozialdemokratinnen enttäuscht. Nach<br />

Kriegsende begann die „neue“ „Gleichheit“ nur zaghaft damit, sich jener gr<strong>und</strong>sätzlichen inter-<br />

nationalen Solidarität wieder zu erinnern. Es fiel ihr umso schwerer, da sie den Versailler Vertrag<br />

<strong>und</strong> die Antwort auf die Schuldfrage als eine schwere Belastung jeder Völkerverständigung inter-<br />

pretierte. 587 Die Berichte internationaler Korrespondentinnen blieben selten, die Sozialistische<br />

Fraueninternationale hatte ihr Organ verloren.<br />

kehrte sie nach Australien zurück <strong>und</strong> war 1924 Repräsentantin der Kommunistischen Partei Australiens auf dem<br />

5. Weltkongress der KomIntern in Moskau. 1927 erschien ihre Autobiographie „From a Victorian to a Modern“.<br />

585 Vorstand des Verbandes des sozialdem. Frauenklubs der Niederlande: Dankbarer Gruß der sozialdemokratischen<br />

Frauen der Niederlande zu Bebels 70. Geburtstag. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 156.<br />

586 Der Frauentag der österreichen Genossinnen … In: GL, 27/ 12/ 16.03.1917/ 84.<br />

587 Der neue Geist. In: GL, 29/ 18/ 06.06.1919/ 137-138.<br />

189


2.4 In Fraktur <strong>und</strong> Quartformat<br />

– Preis, Umfang, Erscheinungsweise, Erscheinungsbild, Verlag, Struktur <strong>und</strong><br />

Inhalte der „Gleichheit“<br />

2.4.1 Erscheinungsweise, Seitenumfang <strong>und</strong> Preis<br />

Während der 32 Jahre ihres Erscheinens erlebte die „Gleichheit“ zahlreiche Veränderungen. 588<br />

Einige davon waren krisenbedingte Notwendigkeiten, andere Ausdruck ihres sich im Wandel<br />

befindlichen Selbstverständnisses. Preis, Seitenumfang <strong>und</strong> Erscheinungsweise änderten sich,<br />

Rubriken kamen hinzu oder verschwanden. Kann der folgende Überblick über diese Ver-<br />

änderungen <strong>und</strong> die jeweils neuen Strukturen der „Gleichheit“ auch nicht vollständig sein, so<br />

vergegenwärtigt er doch die Probleme <strong>und</strong> Problemlösungen der jeweiligen verantwortlichen<br />

RedakteurInnen <strong>und</strong> Verleger. 589<br />

Da die „Gleichheit“ sich nicht nur im übertragenen Sinne als Nachfolgerin der „Arbeiterin“<br />

verstand, erachtete sie deren ersten <strong>und</strong> einzigen Jahrgang als ihren eigenen. 590 Dieses<br />

traditionelle Selbstverständnis hinderte die neue Redaktion jedoch nicht, einige bedeutungs-<br />

volle Neuerungen vorzunehmen. Erschien die Probenummer der „Gleichheit“ entsprechend der<br />

Tradition der „Arbeiterin“ noch an einem Samstag, so kam ihre erste reguläre Nummer ganz<br />

pragmatisch am 1. Januar des Jahres 1893 heraus, an einem Montag. 591 Ab Nummer 6 war es<br />

bis auf wenige Ausnahmen schließlich stets ein Mittwoch, an dem die „Gleichheit“ druckfrisch<br />

in die Hände ihrer Leserinnen gelangte. 592<br />

Im Gegensatz zur „Arbeiterin“ war die „Gleichheit“ keine wöchentlich, sondern eine vierzehn-<br />

täglich erscheinende Zeitschrift – eine so genannte „Halbmonatsschrift“. Lediglich für den<br />

Zeitraum von Juli 1919 bis Ende 1920 versuchte die neue Redaktion durch ein wöchentliches<br />

588 Kinnebrocks kommunikationswissenschaftlicher Artikel kann zwar wegen des geringen Umfangs eines<br />

Artikels nicht auf die späteren strukturellen Veränderungen der „Gleichheit“ eingehen, ist aber trotzdem eine<br />

der seltenen Arbeiten, die über die Struktur, das Layout <strong>und</strong> den Preis der „Gleichheit“ informiert (vgl.<br />

Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 142). Andere Arbeiten – vor allem jene, die sich auf die Zeit<br />

vor 1917 beschränken – machen nur knappe Angaben zur Struktur der „Gleichheit“.<br />

589 Erst ein Gesamtregister bzw. eine digitale Überarbeitung wird die „Gleichheit“ als eine wertvolle historische<br />

Quelle der Geschichts- <strong>und</strong> Kommunikationswissenschaft erschließen.<br />

590 Bauer gibt in ihrer Zetkin-Biographie an, dass der Jahrgang der „Arbeiterin“ nicht mehr erhalten <strong>und</strong> der erste<br />

Jahrgang der „Gleichheit“ ihr in einer Leipziger Bibliothek nicht einsehbar gewesen sei (vgl. Bauer, Clara<br />

Zetkin, S. 185 Anm. 2). Ich vermute, dass Bauer nicht bekannt war, dass die „Gleichheit“ die Jahrgangszählung<br />

der „Arbeiterin“ weiterführte <strong>und</strong> somit keinen eigenen ersten Jahrgang besitzt.<br />

591 Vgl. GL, 02/ Probenummer/ 28.12.1891; GL, 02/ 01/ 11.01.1892/ 1.<br />

592 Vgl. GL, 02/ 06/ 23.03.1892/ 49. Diese Angabe ist bis zu einer 1905 vorgenommenen Umgestaltung des<br />

Layouts dem Titelkopf zu entnehmen, danach fiel die Angabe des Wochentags gänzlich weg (vgl. GL, 15/ 01/<br />

11.01.1905/ 1).<br />

191


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Erscheinen die Aktualität <strong>und</strong> damit die Attraktivität der „Gleichheit“ zu steigern. 593 Aber aus<br />

finanziellen Gründen konnte sie diese Erscheinungsweise nicht beibehalten.<br />

Die erste Nummer eines „Gleichheit“-Jahrgangs erschien jeweils im Januar. „Technische Ver-<br />

änderungen“ 594 machten es jedoch 1908 erforderlich, den 18. Jahrgang vorzeitig zu schließen.<br />

Welcher Art diese technischen Veränderungen waren, die es erforderlich machten, die erste<br />

Nummer des 19. Jahrgangs nun bereits am 12. Oktober 1908 herauszugeben, wurde nicht<br />

erläutert. 595 Sie wurden von Veränderungen in Spaltenlayout <strong>und</strong> Seitenumfang begleitet, die es<br />

ermöglichen sollten, dem Hauptblatt die beiden 1905 eingeführten Beilagen nun nicht mehr nur<br />

im Wechsel, sondern gemeinsam beizulegen. Zwar gedachte die Redaktion, damit „dringenden<br />

Wünschen“ 596 der Leserinnen nachzukommen, aber „[e]s versteht sich von selbst“, so Redaktion<br />

<strong>und</strong> Verlag,<br />

„daß die ‘Gleichheit’ in der neuen Gestalt in betreff ihres Charakters, des Zieles,<br />

das sie verfolgt, die alte bleibt, daß sie aber danach trachten wird, unter den gewandelten<br />

äußeren Bedingungen immer Besseres zu leisten“ 597 .<br />

Es scheint, dass die „Gleichheit“ offen geäußerten Bedürfnissen ihrer Leserinnen Rechnung<br />

tragen wollte, ohne den Eindruck zu erwecken, der Popularität nun doch größere Bedeutung bei-<br />

zumessen.<br />

Wie die „Arbeiterin“ erschien auch die „Gleichheit“ im Quartformat 598 . Jedoch betrug ihr Seiten-<br />

umfang von Beginn an nicht vier, sondern acht Seiten. Im Zuge der Einführung der beiden<br />

Beilagen im Januar 1905 wechselte die „Gleichheit“ jedoch nicht nur zu einem dreispaltigen Lay-<br />

out, ihr Hauptblatt fasste nun außerdem meist nur noch sechs Seiten. 599 1907 waren es in der<br />

Regel wieder acht Seiten, 1908 aber teilweise sogar zehn oder zwölf Seiten <strong>und</strong> schließlich wurde<br />

im Rahmen jener im Oktober 1908 vorgenommenen „technischen“ Umstellung der Umfang auf<br />

16 Seiten verdoppelt. Auch an der Seitenzahl der „Gleichheit“ lassen sich die Auswirkungen des<br />

Ersten Weltkriegs auf die SPD-Presse aufzeigen. Bereits die dritte „Kriegsnummer“ umfasste nur<br />

593 Vgl. GL, 29/ 20/ 05.07.1919/ 153 <strong>und</strong> GL, 31/ 01/ 01.01.1921/ 1.<br />

594 Redaktion <strong>und</strong> Verlag: Zur Beachtung! In: GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 181.<br />

595 Vgl. GL, 19/ 01/ 12.10.1908/ 1. Ab dem 30. Jahrgang (1920) – unter der neuen Redaktion – erschien die erste<br />

Nummer eines „Gleichheit“-Jahrgangs wieder im Januar. Für diese Umstellung musste der 29. Jahrgang früher<br />

geschlossen werden <strong>und</strong> umfasste deshalb nur 46 statt der während ihres wöchentlichen Erscheinens üblichen 52<br />

Nummern.<br />

596 Redaktion <strong>und</strong> Verlag: Zur Beachtung! In: GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 181.<br />

597 Ebd.<br />

598 Das Quartformat (°4) steht für ein Format von 4 Blättern bzw. 8 Seiten <strong>und</strong> eine Buchrückenhöhe von 30-35 cm.<br />

Die in der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung vorhandenen Originale der „Gleichheit“ haben die<br />

Maße 32 cm Höhe x 23,5 cm Breite.<br />

599 Vgl. GL, 15/ 01/ 11.01.1905/ 1-6. Ausnahme war z. B eine „Märznummer“, die zehn Seiten umfasste (vgl. GL,<br />

192<br />

16/ 06/ 21.03.1906/ 31-40).


2.4.1 ERSCHEINUNGSWEISE, SEITENUMFANG UND PREIS<br />

noch vier Seiten 600 <strong>und</strong> im Oktober 1914 erschien erstmals eine erste Nummer der „Gleichheit“<br />

ohne obligatorische „Einladung zum Abonnement“. Was die Leserin auf der letzten Seite dieser<br />

Nummer fand, war nur folgende nüchterne Information:<br />

„Mit dieser Nummer beginnt der 25. Jahrgang der Gleichheit. Probenummern<br />

stehen zur Verfügung. Wir ersuchen um umgehende Bestellung. Expedition der<br />

Gleichheit, Stuttgart, Furtbachstraße 12.“ 601<br />

Die von Zetkin ansonsten eher kämpferisch gehaltene „Einladung zum Abonnement“ dürfte<br />

entweder der Zensur oder der Papierknappheit zum Opfer gefallen sein. Beides wiederum war<br />

auch verantwortlich dafür, dass der Seitenumfang der „Gleichheit“ in dieser Zeit sehr unregel-<br />

mäßig entweder vier, sechs oder acht Seiten betrug. Die Zensur behinderte zudem die<br />

„Gleichheit“-Redaktion so stark, dass größere zeitliche Unregelmäßigkeiten auftraten, die es u. a.<br />

erforderlich machten, den 25. Jahrgang mit 27 statt 26 Nummern abzuschließen. Auch die<br />

Tatsache, dass nach dem Redaktionswechsel betreffs des achtseitigen Umfangs <strong>und</strong> des Er-<br />

scheinungszeitpunktes der „Gleichheit“ wieder eine gewisse Regelmäßigkeit einkehrte, spricht für<br />

deren Angepasstheit.<br />

Doppelter Seitenumfang, halbierte Erscheinungsweise, selber Preis. Genauso wie ihre Vorgänge-<br />

rin kostete die „Gleichheit“ zehn Pfennig. 602 Dieser Preis wurde unglaubliche 27 Jahre beibehalten<br />

– unbeeinflusst von der Einführung der Beilagen oder der Rohstoffknappheit während des<br />

Krieges. Im Abonnement jedoch war die „Gleichheit“ auffällig günstiger als die „Arbeiterin“: Ein<br />

Postabonnement betrug vierteljährlich 55 Pfennig (statt einer Mark), im Kreuzband 85 Pfennig<br />

(statt 1,40 Mark). Diese günstigen Konditionen trugen dazu bei, die „Gleichheit“ als Obligatorium<br />

für Frauenorganisationen interessant zu machen <strong>und</strong> Leserinnen dauerhaft zu binden. 603<br />

600 Vgl. GL, 24/ 24/ 28.08.1914/ 369-372. Auch die nächste Nummer umfasste nur vier Seiten.<br />

601 GL, 25/ 01/ 02.10.1914/ 8.<br />

602 Mit 10 Pfennig pro Nummer waren die „Arbeiterin“ <strong>und</strong> die „Gleichheit“ für damalige Verhältnisse relativ günstig<br />

(vgl. auch Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 142). 1903 veröffentlichte die „Gleichheit“ die von<br />

einer Berliner Arbeiterfrau verfasste Aufstellung über Einnahmen (1.666,56 Mark/Jahr) <strong>und</strong> Ausgaben (1575,56<br />

Mark/Jahr) ihrer Familie. Diese weist u. a. jährliche Ausgabeposten wie Zeitungen (darunter die „Modenwelt“<br />

(1865/66-1942[?])) (13,20 Mark) <strong>und</strong> Bier, Tabak, Versammlungsbesuch (123,84 Mark) auf. Ein Brot kostete laut<br />

dieser Aufstellung 50 Pfennig, ½ Pf<strong>und</strong> Fleisch 35 Pfennig, ½ Pf<strong>und</strong> Butter 60 Pfennig <strong>und</strong> 10 Pf<strong>und</strong> Kartoffeln<br />

19 Pfennig (vgl. Jeetze, M.: Einnahmen <strong>und</strong> Ausgaben einer Berliner Arbeiterfamilie. In: GL, 13/ 20/ 28.09.1903/<br />

157-158).<br />

603 Jedoch kam es bereits vor dem Ersten Weltkrieg <strong>und</strong> den Auseinandersetzungen in der SPD zu Kündigungen des<br />

obligatorischen Abonnements durch viele gewerkschaftliche Verbände. So heisst es in einem Bericht des Parteivorstandes<br />

1909, dass die Propaganda für die „Gleichheit“ sehr erfolgreich gewesen sei, „[t]rotzdem die Schneider<br />

die ‘Gleichheit’ für ihre <strong>weiblichen</strong> Mitglieder abbestellten <strong>und</strong> dafür das ‘Fachblatt’ ausgestalteten, die Hausangestellten<br />

sich ein eigenes Organ schufen, <strong>und</strong> trotz der schweren Krise, die mit bleiernem Druck auf der<br />

gesamten Arbeiterschaft lastete“ (Bericht des Parteivorstand im Protokoll des SPD-Parteitages Leipzig 1909,<br />

S. 23).<br />

193


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

So stieg die Abonnentinnenzahl bis zum Ersten Weltkrieg stetig an <strong>und</strong> sogar während der Stag-<br />

nationsphase zwischen März <strong>und</strong> Juli 1914 hatte die „Gleichheit“ 13.000 von insgesamt 23.000<br />

neuen Abonnements auf die Parteipresse vorzuweisen. Doch dann hatte auch die „Gleichheit“, wie<br />

jede andere der 91 Tageszeitungen <strong>und</strong> 65 Parteidruckereien, über die die SPD zu diesem<br />

Zeitpunkt verfügte, mit immer größer werdenden Problemen zu kämpfen. Nicht nur, dass die SPD<br />

bereits in den ersten Kriegsjahren 63 Prozent ihrer Mitglieder <strong>und</strong> damit ihre Presse auch eine<br />

große Zahl ihrer Leser verloren hatte. Auch gestaltete sich die praktische Pressearbeit immer<br />

schwieriger, weil viele der männlichen Pressemitarbeiter zur Front einberufen <strong>und</strong> Artikel fast so<br />

knapp wie Treibstoff <strong>und</strong> Papier wurden. Benzinsperre, Beschlagnahmung von Lastwagen <strong>und</strong><br />

Gummireifen, Preisexplosion bei Rohstoffen wie Papier <strong>und</strong> Druckerschwärze, Kosten für die<br />

Gratisexemplare, die für die Agitation in Lazaretten <strong>und</strong> an der Front verwendet wurden, <strong>und</strong><br />

sinkende Einnahmen bei der Werbung 604 betrafen alle Parteiblätter gleichermaßen. Doch diese<br />

Zusammenhänge ignorierte der SPD-Parteivorstand geflissentlich, als er den „Gleichheit“- Abon-<br />

nementverlust der letzten Jahre zum Vorwand nahm, um Zetkin zu entlassen.<br />

Der günstige Preis der „Gleichheit“ konnte von der neuen Redaktion nicht gehalten werden.<br />

Kostete die „Gleichheit“-Einzelnummer im Oktober 1918 15 Pfennig, das Abonnement 95 Pfen-<br />

nig, im Kreuzband 1,45 Mark, so markierte knapp ein Jahr später die Nummer des 5. Juli 1919<br />

eine auffällige Wende: Nicht nur, dass sich mit einer Verdopplung der Erscheinungsweise auch der<br />

Einzelnummerpreis verdoppelte, bedingt durch die beigefügten Beilagen vervielfachten sich auch<br />

die Abonnementpreise. 605 Obwohl ab Januar 1921 die „Gleichheit“ wieder nur vierzehntäglich er-<br />

schien, wurde die Preiserhöhung dennoch nur im Abonnement wieder etwas zurückgenommen. 606<br />

Schließlich war es zudem die allgemeine Inflation, die ab Oktober 1922 den Preis der „Gleich-<br />

heit“ rasant ansteigen ließ. Im November 1922 kostete eine Einzelnummer sechs Mark, im<br />

Abonnement 24 Mark. 607 <strong>Von</strong> nun an verdoppelte sich der Einzelpreis der „Gleichheit“ fast im<br />

monatlichen Rhythmus, bis er am 1. September 1923 mit Nummer 17 des 33. Jahrgangs seinen<br />

endgültigen Höhepunkt erreichte: 40.000 Mark. Ein endgültiger Höhepunkt deshalb, weil dies der<br />

Preis der letzten nachweisbaren „Gleichheit“-Nummer war. Es ist merkwürdig, dass in dieser<br />

letzten vorhandenen Ausgabe keinerlei Hinweis auf das Ende der „Gleichheit“ gegeben wurde.<br />

Bezeichnend für das baldige Ende ist es aber, dass alle Postabonnentinnen aufgefordert wurden,<br />

604 Vgl. Koszyk, Zwischen Kaiserreich <strong>und</strong> Diktatur, S. 32.<br />

605 Vgl. GL, 29/ 20/ 05.07.1919/ 153. Siehe: Tabelle 8 „Preisentwicklung der ‘Gleichheit’“.<br />

606 Vgl. GL, 31/ 01/ 01.01.1921/ 1.<br />

607 Der Abonnementpreis wurde später nicht mehr im Titelblatt der „Gleichheit“ angegeben. Ob damit auch der<br />

Verkauf im Abonnement nicht mehr stattfand, konnte nicht geklärt werden.<br />

194


2.4.1 ERSCHEINUNGSWEISE, SEITENUMFANG UND PREIS<br />

zusätzlich zu den von ihnen gezahlten Geldern das Doppelte nachzuzahlen. 608 Es seien die zu-<br />

nehmenden wirtschaftlichen Notstände, „die Teuerung für Papier <strong>und</strong> Druckkosten, Fahrgelder<br />

<strong>und</strong> ähnliches“ 609 , aber auch die finanzielle Situation in den Arbeiterfamilien, die jede Form der<br />

schriftlichen Agitation immens erschwert habe. Deshalb konstatierte Juchacz bereits im Mai 1923,<br />

dass „nur das gesprochene Wort […] noch umsonst“ 610 sei <strong>und</strong> dass daher „mehr als je […] die<br />

Frauen auf die Werbearbeit von M<strong>und</strong> zu M<strong>und</strong> angewiesen“ 611 wären. So hatte die „fortdauernde<br />

Erhöhung der Herstellungskosten“ 612 erst den Preis <strong>und</strong> dann die „Gleichheit“ selbst „unhaltbar“ 613<br />

gemacht. Wie das Ende der „Arbeiterin“ war auch das Ende der „Gleichheit“ vor allem durch<br />

finanzielle Probleme verursacht.<br />

608 An unsere Postabonnenten. In: GL, 33/ 17/ 01.09.1923/ 133.<br />

609 Juchacz, Marie: Die Frauen in der deutschen Partei. In: GL, 33/ 9-10/ 01./15.05.1923/ 68.<br />

610 Ebd.<br />

611 Ebd.<br />

612 An unsere Postabonnenten. In: GL, 33/ 17/ 01.09.1923/ 133.<br />

613 Ebd.<br />

195


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

2.4.2 Verlag <strong>und</strong> Finanzierung<br />

Zum finanziellen Hintergr<strong>und</strong> der „Gleichheit“ gehört jedoch nicht nur der Preis, den die<br />

Leserinnen <strong>und</strong> Abonnentinnen für sie zu zahlen hatten, sondern auch der Preis für ihre Herstel-<br />

lung als Publikationsorgan des Verlagsunternehmens Dietz. Es muss im Interesse eines Verlegers<br />

liegen, mit einer Zeitschrift baldmöglichst schwarze Zahlen zu schreiben. 614 Johann Heinrich<br />

Wilhelm Dietz scheint jedoch in diesem Fall seine unternehmerischen Interessen hinter die der<br />

Partei gestellt zu haben. In einem 1913 von Zetkin zu Dietz‘ 70. Geburtstag veröffentlichten Arti-<br />

kel wertete diese es als dessen großen<br />

„Verdienst […], daß die ‘Gleichheit’ sich frei entfalten konnte, daß sie ungehindert<br />

durch Rücksichten auf die Geschäftslage nur ihre Aufgabe im Auge zu halten<br />

vermochte: die Proletarierinnen zum Klassenkampf zu rufen <strong>und</strong> durch die sozialistische<br />

Erkenntnis für den Klassenkampf zu schulen“ 615 .<br />

Weder der Spott über den mäßigen Erfolg der „Gleichheit“, noch die Meinungsverschiedenheiten,<br />

die durchaus zwischen Redakteurin <strong>und</strong> Verleger aufgekommen seien, hätten Dietz jemals dazu<br />

verleitet, in die Redaktion, in deren „geistige Bewegungsfreiheit, […] Unabhängigkeit <strong>und</strong> Selb-<br />

ständigkeit“ 616 eingreifen zu wollen. Seine Tätigkeit als Verleger habe Dietz, so Zetkin, „in erster<br />

Linie als einen Beruf <strong>und</strong> nicht als ein Geschäft aufgefaßt“ 617 . Glücklicherweise verfügte Dietz<br />

aber neben allem Idealismus tatsächlich auch über ein gutes Stück Geschäftssinn. Sein größter<br />

Erfolg als Verleger <strong>und</strong> Geschäftsmann war die Herausgabe des „Wahren Jacob“. Mit den Ge-<br />

winnen aus dem Verkauf dieses überaus erfolgreichen Humorblattes, war es problemlos möglich,<br />

die „Gleichheit“ <strong>und</strong> andere finanziell weniger abgesicherte Publikationsprojekte querzufinan-<br />

zieren. Ohne den „Wahren Jacob“ hätte es die „Gleichheit“ vielleicht nie gegeben.<br />

1904 war es dann soweit: Die „Gleichheit“ schrieb mit bescheidenen 74,70 Mark ihre ersten<br />

schwarzen Zahlen. 618 Dies aber nicht mehr als Eigentum des Dietz-Verlages, sondern als<br />

Zeitschrift in Besitz der SPD. Bereits am 1. April 1901 waren die im Dietz-Verlag erscheinenden<br />

Blätter „Neue Zeit“, „Gleichheit“ <strong>und</strong> der „Wahre Jacob“ in das Eigentum der Sozialdemokra-<br />

tischen Partei Deutschlands übergegangen. 619 Offiziell war die „Gleichheit“ damit Zeitschrift des<br />

614 „Jahrzehntelang“, so Bohm-Schuch, sei die „Gleichheit“ Dietz‘ „Sorgenkind, aber gerade darum eines seiner<br />

liebsten“ (Bohm-Schuch, Clara: Unsere Toten. Heinrich Dietz zum Gedächtnis. In: GL, 32/ 17/ 18/ 01.09.1922/<br />

163-164, S. 163) <strong>und</strong> der Umzug von Verlag, Druck <strong>und</strong> Redaktion 1919 nach Berlin für ihn „ein harter Schlag“<br />

(ebd.) gewesen.<br />

615 Zetkin, Clara: Heinrich Dietz zum 70. Geburtstag. In: GL, 24/ 01/ 01.10.1913/ 4-5, S. 4.<br />

616 Ebd., S. 5.<br />

617 Ebd.<br />

618 Siehe: Tabelle 5 „Geschäftsjahresabrechnungen der ‘Gleichheit’“.<br />

619 Protokoll des SPD-Parteitages Lübeck 1901, S. 32.<br />

196


2.4.2 VERLAG UND FINANZIERUNG<br />

„Vorwärts-Verlages“ 620 , wesentliche Veränderungen in ihrer praktischen Arbeit ergaben sich<br />

dadurch jedoch nicht. Stuttgart blieb sogar dann noch Sitz von Verlag, Druckerei, Redaktion <strong>und</strong><br />

auch Expedition 621 nachdem der SPD-Parteifunktionär <strong>und</strong> Publizist Paul Singer (1844-1911) 622<br />

Druck <strong>und</strong> Verlag übernommen hatte 623 . Der Status als offizielles Parteiorgan brachte es jedoch<br />

mit sich, dass nun den entsprechenden Parteiinstanzen die Finanzierung der „Gleichheit“ offen<br />

gelegt werden musste. Der Parteivorstand veröffentlichte deshalb auf dem Parteitag 1904 in<br />

Bremen einen Vorjahresbericht, in welchem erstmals nicht nur für den „Vorwärts“, sondern auch<br />

für die „Gleichheit“, die „Neue Zeit“ <strong>und</strong> den „Wahren Jacob“ eine detaillierte Kostenaufstellung<br />

enthalten war. 624 Sowohl aus einer dieser Kostenaufstellungen als auch aus dem entsprechenden<br />

„Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands“ geht 1904 jener erwähnte<br />

Überschuss der „Gleichheit“ von 74,70 Mark hervor. So mäßig dieses Ergebnis auch erschien, der<br />

Parteivorstand sah darin den Vorboten weiterer Erfolge <strong>und</strong> gab bekannt, dass im folgenden<br />

Geschäftsjahr 1905 erneut mit einem Überschuss zu rechnen sei. Diese Prognose brachte nicht nur<br />

Optimismus zum Ausdruck, sondern resultierte aus dem Umstand, dass der Überschuss viel<br />

größer hätte ausfallen können, wären nicht 15.000 „Gleichheit“-Exemplare zur Agitation ver-<br />

wandt, also kostenlos verteilt worden. 625 Die Prognose des Parteivorstandes bestätigend, verbuchte<br />

die „Gleichheit“ 1905 daher einen stattlichen Gewinn von 3.996,15 Mark <strong>und</strong> 1906 sogar von<br />

620 Inhaber der Vorwärts-Buchdruckerei <strong>und</strong> Verlagsanstalt waren Paul Singer, August Bebel <strong>und</strong> Eugen Ernst (1864-<br />

1954) (vgl. Ressmann, Strukturprobleme sozialdemokratischer Medienunternehmen, S. 64, Anm. 183).<br />

621 <strong>Von</strong> der Furthbach-Straße 12 in Stuttgart gelangte die „Gleichheit“ in alle Teile des deutschen Reiches <strong>und</strong> da-<br />

rüber hinaus.<br />

622 Paul Singer wurde in Berlin geboren <strong>und</strong> war Sohn eines jüdischen Kaufmannes. Bis 1869 arbeitete er als Handlungsgehilfe.<br />

Als Mitinhaber einer Damenmäntelfabrik konnte er sich ab 1887 als wohlhabender Privatier aus dem<br />

Erwerbsleben zurückziehen. Er wurde einer der einflussreichsten Geldgeber der SPD. Bereits ab 1868 gründete<br />

Singer verschiedene Vereine <strong>und</strong> Presseorgane mit. Er war von 1885 bis zu seinem Tode 1911 Mitglied des SPD-<br />

Parteivorstandes, außerdem seit 1890 nahezu auf jedem Parteitag Mitglied des Präsidiums. 1884-1911 war Singer<br />

Reichstagsabgeordneter.<br />

623 Vgl. GL, 15/ 01/ 11.01.1905/ 6.<br />

624 Bis 1914 waren diese Aufstellungen in Form übersichtlicher Tabellen ein fester Bestandteil der<br />

Parteitagsprotokolle. Umso auffälliger ist es, dass diese Verfahrensweise seit Beginn der Weimarer Republik<br />

weder für den „Vorwärts“ noch für andere Parteiblätter fortgesetzt wurde.<br />

625 Vgl. Protokoll des SPD-Parteitages Bremen 1904, S. 27. Diese erstaunlich hohe Zahl kostenloser Exemplare ist<br />

umso verw<strong>und</strong>erlicher, wenn man Zetkins ablehnende Haltung gegenüber solcher Werbemaßnahmen kennt. Sie<br />

nahm an, dass kostenlose Exemplare von den Proletarierinnen weder materiell noch inhaltlich wirklich als<br />

wertvoll wahrgenommen werden würden (vgl. Zetkin im Protokoll des Parteitages Gotha 1896, S. 166f.).<br />

Interessant ist diesbezüglich die Meinung von Koszyk/Eisenfeld, dass die „Gleichheit“ nur durch diese Gratisabgaben<br />

überhaupt größere Verbreitung finden konnte, da sie sich ansonsten durch ihre Theorielastigkeit <strong>und</strong> ihr<br />

hohes Niveau selbst im Wege gestanden habe (vgl. Koszyk / Eisenfeld, Die Presse der deutschen Sozialdemokratie,<br />

S. 19). Laut Vormschlag jedoch beruhte die Gewinnung neuer AbonnentInnen „[w]ährend der ersten Jahre<br />

des Erscheinens […] allein auf der Hausagitation“ (Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer<br />

Frauenzeitschriften, S. 73). In der Tat ist beides nicht von der Hand zu weisen <strong>und</strong> widerspricht sich auch nicht,<br />

denn die persönliche Ansprache, der Besuch in einem Proletarierhaushalt, politische Gespräche <strong>und</strong> das<br />

Überlassen eines Gratisexemplars der „Gleichheit“ waren die besten Möglichkeiten einer Mitgliederwerbung<br />

außerhalb der bestehenden Vereinsstrukturen.<br />

197


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

12.583,79 Mark 626 . Innerhalb eines Jahres hatte die „Gleichheit“ ihren Gewinn somit verdreifacht.<br />

Dieses sogar im fünfstelligen Bereich liegende Ergebnis blieb jedoch im Bericht des Partei-<br />

vorstandes völlig unkommentiert, obwohl nun endlich, 14 Jahre nach ihrem ersten Erscheinen, die<br />

„Gleichheit“ auch auf einem finanziellen Erfolgskurs war – einem Erfolgskurs, von dem erst<br />

Krieg <strong>und</strong> Inflation sie wieder abbringen <strong>und</strong> damit auch ihr Ende vorbereiten sollten.<br />

Ab 1. Juli 1919 wurde die „Gleichheit“ dann schließlich doch nicht mehr in Stuttgart, sondern<br />

vom Vorwärts-Verlag in Berlin gedruckt <strong>und</strong> vertrieben. Der Wechsel des Druckortes sollte<br />

gewährleisten, „daß Redaktion <strong>und</strong> Druckerei in engerer Verbindung“ 627 standen. Die neue<br />

Redaktion hatte nämlich schon bald nach der Entlassung Zetkins Quartier in der Lindenstraße 3<br />

genommen <strong>und</strong> sich damit auch räumlich in die Nähe zum SPD-Parteivorstand begeben. Die<br />

engere Verbindung zwischen Redaktion <strong>und</strong> Druckerei <strong>und</strong> ein wöchentliches statt vierzehn-<br />

tägliches Erscheinen sollten die Aktualität <strong>und</strong> damit die Attraktivität der „Gleichheit“ steigern.<br />

Der Erfolg dieser Strategie war jedoch nur ein sehr kurzfristiger. Im Juni 1920 gemahnte die<br />

„Gleichheit“-Redaktion ihre Leserinnen anlässlich des bevorstehenden Quartalswechsel „zur<br />

Pflicht, für ihre Zeitschrift „Die Gleichheit“ zu werben“ 628 . Sie eröffnete ihnen zu diesem<br />

Zweck eine sehr einfache Rechnung:<br />

„Bedenkt, daß sich die Zahl der bisherigen Bezieher mit einem Schlage verdoppelt,<br />

wenn jede Leserin, jede Fre<strong>und</strong>in unseres Blattes nur einen Abonnenten zuführt.<br />

Wie leicht ist das!“ 629<br />

Die Qualitäten der „Gleichheit“ sprachen nach Meinung ihrer Redaktion für sich selbst. Sie gebe<br />

„nicht nur Anregung, Belehrung nach allen Richtungen hin, sondern sie stärk[e] das notwendige<br />

Selbstbewußtsein <strong>und</strong> Verantwortungsgefühl der Frau“ 630 , sie helfe „ihr bei der Erringung<br />

innerlicher Freiheit <strong>und</strong> äußerer politischer <strong>und</strong> sozialer Rechte“ 631 . Deutlich formulierte die Re-<br />

daktion damit einen ungewohnt individuell-emanzipatorischen Anspruch, welcher den Bruch mit<br />

der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie <strong>und</strong> der mit ihr verb<strong>und</strong>enen Strategie des Klas-<br />

senkampfes vollzog. Dieser Bruch manifestierte sich noch an anderer Stelle desselben Artikels. So<br />

wurden die noch lieferbaren „Gleichheit“-Exemplare der Jahrgänge 20 bis 26 – Jahrgänge, die<br />

noch unter der Redaktion Zetkins veröffentlicht worden waren – lediglich als „Sammlungen von<br />

626 Vgl. Protokoll des SPD-Parteitages Essen 1907, S. 50. In diesem Berichtsjahr wies auch die „Neue Zeit“ erstmalig<br />

einen Gewinn auf.<br />

627 Redaktion <strong>und</strong> Verlag der „Gleichheit“: An die Leserinnen der „Gleichheit“. In: GL, 29/ 18/ 06.06.1919/ 137.<br />

Diese Änderungen gehen zurück auf den erwähnten Artikel von Johanna Reitze „Die Presse <strong>und</strong> die Frauen“ (In:<br />

GL, 29/ 13/ 28.03.1919/ 98).<br />

628 Ebd.<br />

629 Ebd.<br />

630 Ebd.<br />

631 Ebd.<br />

198


2.4.2 VERLAG UND FINANZIERUNG<br />

historischem Werte, aus Kämpfen <strong>und</strong> Siegen “632 feilgeboten. Klassenkampf, so die neue Bot-<br />

schaft der neuen „Gleichheit“, war gestern.<br />

632 GL, 30/ 26/ 26.06.1920/ 215. Jeder dieser Jahrgänge konnte – solange der Vorrat reichte – für 3,50 Mark beim<br />

Dietz-Verlag in Stuttgart bestellt werden.<br />

199


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

2.4.3 Erscheinungsbild<br />

Auch das Erscheinungs- <strong>und</strong> Druckbild der „Gleichheit“ war zu Beginn mit dem der „Arbeiterin“<br />

nahezu identisch. Beide verwendeten einen gängigen Titelkopfentwurf <strong>und</strong> den althergebrachten<br />

Schrifttyp „Fraktur“ – auch „deutsche Schrift“ genannt. Es ist in Anbetracht des Bemühens der<br />

neuen Redaktion um Veränderung <strong>und</strong> Abgrenzung sehr verw<strong>und</strong>erlich, dass sie nicht auch eine<br />

Modernisierung des Schriftbildes durchführte. Lediglich die von der neuen „Gleichheit“-Re-<br />

daktion vermehrt aufgenommenen kommerziellen Anzeigen waren meistens in dem modernen<br />

Schrifttyp „Antiqua“ 633 – („lateinische Schrift“) – gehalten. 634<br />

Einer der auffälligsten Unterschiede zwischen „Arbeiterin“ <strong>und</strong> „Gleichheit“ war die Gestaltung<br />

der Seiten, genauer gesagt, der Spalten. Im Gegensatz zur dreispaltigen „Arbeiterin“ erschien die<br />

„Gleichheit“ meist in einem deutlich lesefre<strong>und</strong>licheren zweispaltigen Layout. Dieses wurde<br />

jedoch im Januar 1905 im Rahmen der Einführung der beiden Beilagen durch ein dreispaltiges<br />

Layout ersetzt. Die gleichzeitig vorgenommene Reduzierung des Seitenumfangs hätte eine Redu-<br />

zierung des Inhalts bedeutet, was jedoch durch die Wahl einer kleineren Schriftgröße kompensiert<br />

wurde. 635 Infolge dieser Veränderungen ging die 1897 optimierte Übersichtlichkeit verloren. Wie<br />

bereits beschrieben, wurde im Oktober 1908 im Rahmen weiterer Änderungen das zweispaltige<br />

Layout wieder eingerichtet. 636<br />

Nach dem Redaktionswechsel 1917 folgten die Veränderungen an der „Gleichheit“ einer Tendenz,<br />

die sich auch an fast allen anderen Frauenzeitschriften der Weimarer Republik aufzeigen lässt. 637<br />

So fand man nun auch in der „Gleichheit“ zunehmend mehr Illustrationen (optische Hervor-<br />

hebungen <strong>und</strong> Rahmen im Jugendstil, Werbung, Schnittmuster, Stiche, idyllische Szenenbilder).<br />

Aber das sozialdemokratische Frauenblatt war dennoch weit davon entfernt, eine Illustrierte zu<br />

sein. Im Gegensatz zu bürgerlichen Frauenzeitungen wie „Die Welt der Frau“ (1904-1920) 638 gab<br />

633 Eine der sozialdemokratischen Zeitschriften, die sich besonders um einen moderneren Anschein bemühten <strong>und</strong><br />

deshalb in „Antiqua“ gedruckt wurden, waren die „Sozialistischen Monatshefte“.<br />

634 In diesem Zusammenhang ist schließlich auch zu erwähnen, dass zu Beginn des Jahres 1903 die Orthographie der<br />

„Gleichheit“ modernisiert wurde (vgl. GL, 13/ 01/ 01.01.1903). Die für die ältere Orthographie markanteste<br />

Stelle, nämlich die Überschrift für den „Notizentheil“ bzw. Notizenteil“ wurde anscheinend bei der Umstellung<br />

übersehen. Sie wird erst zwei Nummern später angepasst (vgl. GL, 13/ 03/ 28.02.1903/ 23).<br />

635 Vgl. Die Redaktion <strong>und</strong> der Verlag: Einladung zum Abonnement. In: GL, 14/ 26/ 14.12.1904/ 201.<br />

636 Vgl. Redaktion <strong>und</strong> Verlag: Zur Beachtung! In: GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 181.<br />

637 Vgl. Wilhelms, Frauenzeitschriften in der Weimarer Republik, S. 65. Wilhelms analysiert innerhalb eines sehr anschaulichen<br />

Aufsatzes „Die Kämpferin“, „Die Frau im Staat“, „Die schaffende Frau“, „Frauenwelt“ <strong>und</strong> die<br />

„Blätter des Jüdischen Frauenb<strong>und</strong>es“. Sie konstatiert in ihrer Analyse eine Anpassung „der Publikationsorgane<br />

der linken Frauenöffentlichkeit an die Inhalte der traditionellen Frauenpresse“ (ebd., S. 65f.) <strong>und</strong> zugleich eine<br />

Modernisierung (vgl. ebd., S. 66).<br />

638 „Die Welt der Frau“ war zeitweise die Beilage der „Gartenlaube“ (1853-1937), einem sehr populären illustrierten<br />

200<br />

Familienblatt.


2.4.3 ERSCHEINUNGSBILD<br />

es in der „Gleichheit“ bis zuletzt keine Fotos – wenn es Abbildungen gab, dann meist<br />

Zeichnungen <strong>und</strong> Stiche. Die ersten Illustrationen dieser Art erschienen im März 1893. Es waren<br />

Porträts Louise Michels – diese „Gleichheit“-Ausgabe sollte anlässlich des vermeintlichen Todes<br />

der bedeutenden französischen Sozialistin als besondere Agitationsnummer verteilt werden. 639 Seit<br />

dem Redaktionswechsel erschienen anlässlich kirchlicher Feiertage wie Weihnachten 640 , Ostern<br />

oder Pfingsten auf den Titelseiten großformatige Szenenbilder, die besonders kitschig anmuteten.<br />

641 Anlass <strong>und</strong> Umsetzung der Bilder sprechen für die neue Richtung der „Gleichheit“-Redaktion,<br />

ihre Leserinnen über ihr Verhaftetsein in Religion <strong>und</strong> bürgerlichem Familienideal anzusprechen.<br />

Neben diesen althergebrachten Klischees zog aber auch moderne Technik ins Titelblatt der<br />

„neuen“ „Gleichheit“ ein: Seit Nr. 19 des 27. Jahrgangs teilte man dort der Leserin mit, dass die<br />

Redaktion nun auch per „Fernsprecher: Amt Moritzplatz 14 838“ 642 zu erreichen war.<br />

Im April 1923 änderte sich das Layout der „Gleichheit“ nochmals auf sehr markante Weise. Nicht<br />

nur ein kompletter Neuentwurf des Titelblattes war vorgenommen worden, nun wurden die Titel<br />

der Artikel über zwei Spalten hinweg ungewöhnlich fett gedruckt <strong>und</strong> ihnen außerdem die Namen<br />

der AutorInnen in demselben fetten Druck direkt vor- oder nachgestellt. Im bisherigen Erschei-<br />

nungsbild der „Gleichheit“ war eine derartige Hervorhebung der AutorInnennamen vollkommen<br />

unüblich gewesen. Sie könnte durchaus als Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins der „Gleich-<br />

heit“-Mitarbeiterinnen als Berufs-Journalistinnen gedeutet werden.<br />

Doch alle ausgefeilten Modernisierungs- <strong>und</strong> Popularisierungsmaßnahmen konnten den Abon-<br />

nentinnenverlust der „Gleichheit“ nicht aufhalten. Trotz eines gefälligeren Äußeren blieb der<br />

Abonnement-Höchststand aus dem Jahr 1914 mit 124.000 Exemplaren für die neue Redaktion<br />

unerreichbar. 643<br />

Im Gegensatz zur „Arbeiterin“ verfügte die „Gleichheit“ über eine wesentliche Neuerung: Die<br />

Seiten eines jeden Jahrgangs waren durchgängig nummeriert. In Ergänzung mit einem von 1909<br />

bis 1919 jährlich herausgegebenen Inhaltsverzeichnis 644 , machte diese Seitennummerierung aus<br />

639 Vgl. die Porträtbilder „Louise Michel als Kommune-Kämpferin“ (GL, 03/ 06/ 22.03.1893/ 44) <strong>und</strong> „Louise<br />

Michel 1892“ (GL, 03/ 06/ 22.03.1893/ 45), die außerdem im Anhang enthalten sind.<br />

640 Welch unterschiedliche Beachtung das Weihnachtsfest in der „Gleichheit“ erfuhr, beschrieb auch Lion (vgl. Lion,<br />

Zur Soziologie der Frauenbewegung, S. 91-92).<br />

641 Beispiele für diese Illustrationen <strong>und</strong> die Titelblattgestaltung sind im Anhang enthalten.<br />

642 Vgl. GL, 27/ 19/ 22.06.1917/ 125 (Titelblatt).<br />

643 Zur Entwicklung der „Gleichheit“-Abonnements siehe: Tabelle 7 „Abonnentinnen der ‘Gleichheit’“.<br />

644 Da die ZDB keinerlei Hinweis auf die Verzeichnisse gibt <strong>und</strong> auch Vormschlag lediglich in einer Fußnote auf sie<br />

verweist (vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 86, Fußnote 1),<br />

ist die Existenz dieser Jahrgangsverzeichnisse nahezu unbekannt.<br />

201


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

der „Gleichheit“ ein leicht handhabbares <strong>und</strong> zugängliches Bildungs- <strong>und</strong> Schulungsorgan –<br />

zumindest in struktureller Hinsicht. Die Jahrgangsverzeichnisse wiederum bauten auf einem<br />

Inhaltsverzeichnis auf, welches seit Februar 1897 zwischen Titelkopf <strong>und</strong> Leitartikel einer jeden<br />

Nummer zu finden war. All diese vermeintlich unauffälligen Zusätze in Titelblatt <strong>und</strong> Seiten-<br />

gestaltung unterstützten die auf Wissenschaftlichkeit <strong>und</strong> Schulung angelegte Ausrichtung der<br />

„Gleichheit“. Umso erstaunlicher ist es, dass die Einführung jenes Verzeichnisses – von einem<br />

richtigen Register kann leider keine Rede sein 645 – nicht auf eine Initiative Zetkins zurückgeht. Es<br />

war stattdessen Zietz, die auf der Frauenkonferenz 1908 in Nürnberg Zetkin offiziell bat, dies-<br />

bezüglich beim Verlag vorzusprechen, weil „[f]ür viele Genossinnen, die sich die ‘Gleichheit’<br />

einbinden lassen, […] ein solches Verzeichnis sehr wertvoll“ 646 sein würde. Denn<br />

„[g]erade der Umstand, daß die ‘Gleichheit’ eine so unendliche Fülle von Material<br />

bringt, über Lohn- <strong>und</strong> Arbeitsbedingungen, über gesetzliche Bestimmungen, das<br />

wir als Agitationsmaterial immer verwenden können, macht es sehr wünschenswert,<br />

daß die ‘Gleichheit’ als Nachschlagewerk benutzt werden kann“ 647 .<br />

Demnach sollte ein Verzeichnis vor allem den wissenschaftlichen <strong>und</strong> gesellschaftsanalytischen<br />

Charakter der „Gleichheit“ – weniger ihre Tagesaktualität – unterstreichen. Nicht verw<strong>und</strong>erlich<br />

ist es daher, dass auch Zetkin an der Einführung eines solchen Verzeichnisses interessiert war <strong>und</strong><br />

eine solche zumindest erwogen hatte. Deshalb antwortete sie auf Zietz‘ Bitte:<br />

„Niemand vermißt ein solches Inhaltsverzeichnis häufig schmerzlicher, als ich<br />

selbst. Die ‘Gleichheit’ ist jetzt 17 Jahre alt <strong>und</strong> man findet sich manchmal wirklich<br />

nur schwer zurecht. Ich wollte auch schon einmal ein General-Nachschlageregister<br />

schaffen, aber immer war die Zeit zu knapp. Für die Zukunft gelobe ich jedoch<br />

Besserung. (Beifall.)“ 648<br />

Mit dieser Entscheidung, die Zetkin auch deshalb am Herzen gelegen haben dürfte, weil ihr<br />

redaktionelles Vorbild „Die Neue Zeit“ ebenfalls ein General-Register besaß, wurde der praktische<br />

Wert der „Gleichheit“ für die proletarische Frauenbewegung enorm gesteigert. Sowohl die durch-<br />

schnittliche LeserIn als auch die LeiterIn eines Frauenbildungsvereins, konnte nun auf die<br />

Informationen <strong>und</strong> Artikel in der von ihr möglichst jahrgangsweise gesammelten „Gleichheit“<br />

schnell <strong>und</strong> zielgerichtet zugreifen. 649 Diese Neuerung bedeutete aber auch eine Arbeitser-<br />

645 Die Strukturierung ist sehr einfach <strong>und</strong> obwohl sogar unter den kleinen Rubriken einzelne Titel aufgeführt<br />

werden, gibt es doch im Gegensatz zum Generalregister der „Neuen Zeit“ weder eine Verschlagwortung noch eine<br />

alphabetische Namensliste der Autorinnen.<br />

646 Zietz im Bericht über die 5. sozialdemokratische Frauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages Nürnberg<br />

1908, S. 482.<br />

647 Ebd.<br />

648 Zetkin ebd., S. 484.<br />

649 Trotz aller Kritik an der Ausdrucksform der „Gleichheit“ (z. B. Übertreibungen, Zynismen, Schlagwortkultur <strong>und</strong><br />

Phrasen (vgl. Lion, Zur Soziologie der Frauenbewegung, S. 92)) sah auch Lion eben in jener „unbestreitbaren<br />

Bedeutung für die Proletarierin als Lese- <strong>und</strong> Lehrbuch, als Nachschlagewerk, als Sammlung von<br />

Agitationsmaterial, als Chronik ihrer Bewegung“ (ebd., S. 95) „eine Lebensleistung großen Wurfs“ (ebd., S. 96).<br />

202


2.4.3 ERSCHEINUNGSBILD<br />

leichterung für die MitarbeiterInnen von Presse, Archivwesen <strong>und</strong> Wissenschaft – damals wie<br />

heute. 650<br />

650 Daher ist es umso bedauerlicher, dass nur wenige dieser Verzeichnisse erhalten geblieben <strong>und</strong> auch diese wenigen<br />

Exemplare selbst in wissenschaftlichen Bibliotheken <strong>und</strong> Archiven kaum aufzufinden <strong>und</strong> schwer zugänglich sind.<br />

Schwer zugänglich deshalb, weil die ohnehin unvollständig vorhandenen Exemplare entgegen des Ansinnens ihrer<br />

Herausgeberinnen bisher nirgends als Nachschlagewerk, das diesen Namen verdient, zur Verfügung gestellt<br />

werden.<br />

203


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

2.4.4 Werbung<br />

Zusätzlich zu den Revenuen aus den Abonnements erzielte die „Gleichheit“ von Beginn an auch<br />

Einnahmen aus Anzeigengeschäften. Prinzipiell nahm Zetkin jedoch trotz der bescheidenen<br />

finanziellen Ausgangssituation ausschließlich Inserate parteieigener oder parteinaher Organisa-<br />

tionen <strong>und</strong> Verlage an. 651 Dies sollte sich aufgr<strong>und</strong> der wirtschaftlichen Notlage während <strong>und</strong> nach<br />

dem Ersten Weltkrieg unter der Redaktion Juchacz‘ gänzlich ändern.<br />

Die erste rein kommerzielle Werbung erschien in der „Gleichheit“-Nummer des 20. September<br />

1919. Die untere Hälfte der letzten Seite enthielt – durch einen schwarzen Rahmen optisch einer-<br />

seits hervorgehoben <strong>und</strong> andererseits vom übrigen Teil des Blattes getrennt – mehrere Anzeigen.<br />

Darin beworben wurden u. a. Pelze, Waschmittel, Faltencreme, Bücher des „Vorwärts“-Verlags,<br />

Diabetesmittel, Caramel-Bier <strong>und</strong> die Dienstleistungen einer chemischen Wäscherei. 652 Erstaun-<br />

licherweise handelte es sich also zum Großteil um Produkte, die kaum zu den alltäglichen<br />

Gebrauchsgütern einer durchschnittlichen Proletarierfamilie gehört haben dürften. Konnten sich<br />

die werbenden Unternehmen so in dem Adressatenkreis der „Gleichheit“ geirrt haben? Wahr-<br />

scheinlicher ist, dass diese befremdliche Produktpalette bedeutsame Rückschlüsse auf<br />

entsprechende Veränderungen innerhalb der Gruppe der „Gleichheit“-Leserinnen zulässt. Die<br />

Vermutung liegt nahe, dass es nun noch stärker als zuvor vor allem Arbeiter- <strong>und</strong> Parteifunktio-<br />

närsfrauen oder auch die materiell etwas besser gestellten Vertreterinnen des Typus der „Neuen<br />

Frau“ 653 waren, die ein „Gleichheit“-Abonnement hielten. Eine Vermutung, die jedoch kaum durch<br />

statistisches Material oder Erhebungen zur Rezeption gestützt werden kann. Das Bild der eitlen,<br />

einen Pelz tragenden Proletarierin wird jedoch dadurch wieder zurechtgerückt, dass der mit<br />

Abstand größte <strong>und</strong> regelmäßigste Inserent das Butter <strong>und</strong> Schmalz produzierende Unternehmen<br />

„Reichelt“ mit seinen allein in Groß-Berlin 145 existierenden Filialen war. 654 Allgemein muss<br />

berücksichtigt werden, dass bedingt durch die politischen Ereignisse <strong>und</strong> gesellschaftlichen<br />

Rahmenbedingungen die weibliche Leserschaft vermehrt als eigenverantwortliche Konsumen-<br />

651 Am Inseratspreis der „Arbeiterin“ von 20 Pfennig pro Zeile hielt auch die „Gleichheit“ fest. Vereine erhielten<br />

besondere Rabattbedingungen. Zu den Anzeigenpreisen siehe: Tabelle 8 „Preisentwicklung der ‘Gleichheit’“. Die<br />

Werbung für Parteiliteratur war eine gr<strong>und</strong>sätzliche Aufgabe der „Gleichheit“ – so die auf dem Parteitag 1913<br />

vertretene Meinung –, die sie nicht hinreichend erfüllt habe. Nicht eine einzige Broschüre aus der seit dem Jahr<br />

1912 im „Vorwärts“-Verlag herausgegebenen Reihe „Sozialdemokratische Frauenbibliothek“ sei in ihr empfohlen<br />

oder besprochen worden (vgl. Ryneck im Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1913, S. 262). Zur Gründung dieser<br />

Reihe siehe: Protokoll des SPD-Parteitages Chemnitz 1912, S. 17.<br />

652 Vgl. GL, 29/ 31/ 20.09.1919/ 248.<br />

653 Zur „Neuen Frau“ siehe: Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung <strong>und</strong> Neuer Weiblichkeit;<br />

Soden/Schmidt, Neue Frauen: die zwanziger Jahre; Frauenalltag <strong>und</strong> Frauenbewegung im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />

Bd. 2: Frauenbewegung <strong>und</strong> die „Neue Frau“ 1890-1933.<br />

654 Auch Unternehmen, die heute noch existent sind, warben in der „Gleichheit“. Z. B. warb „Messmer’s Thee“ für<br />

sich mit den Worten: „Das beste Frühstück – Billigstes Volksgetränk“ (GL, 31/ 06/ 15.03.1921/ 55).<br />

204


2.4.4 WERBUNG<br />

tinnen <strong>und</strong> Familienernährerinnen in den Fokus werbender Unternehmen gerückt wurden. In den<br />

Familien der Weimarer Republik nahmen stärker als zuvor die Frauen den Platz <strong>und</strong> die Rolle des<br />

Familienvorstandes ein.<br />

Der relative Anteil kommerzieller Werbung an einer Ausgabe der „Gleichheit“ stieg frappierend<br />

schnell an: Bereits zwei Nummern nach Einführung kommerzieller Werbung nahm diese bereits<br />

die komplette letzte Seite ein. 655 <strong>Von</strong> Nummer 5 des 31. Jahrgangs hatte man fast 2 ½ der<br />

insgesamt 12 Seiten an werbende Unternehmen verkauft. 656 Zwar gab es weiterhin einzelne Agi-<br />

tationsnummern wie z. B. die Mai-Doppelnummer vom 1. Mai 1923, die gr<strong>und</strong>sätzlich keinerlei<br />

Werbung enthielten, doch insgesamt verlief die Entwicklung merkbar auf Kosten des Platzes für<br />

„partei- <strong>und</strong> berufsbezogene[…] Artikel“ 657 . Die neue Redaktion vernachlässigte ihre vorrangige<br />

Zielsetzung, politisch zu agitieren, zugunsten der gebotenen Räson, konsumistisch zu animieren.<br />

Es ist nicht ersichtlich, ob es dieser inhaltliche Mangel war, der von einigen Leserinnen kritisiert<br />

wurde, doch Ende 1920 an die „Gleichheit“-Redaktion „ergangene Anfragen <strong>und</strong> Beanstan-<br />

dungen“ nötigten diese,<br />

„die Leserinnen darauf aufmerksam [zu machen], daß die Redaktion mit der Inseratenannahme<br />

nichts zu tun hat. Inseratenteil <strong>und</strong> redaktioneller Teil werden völlig<br />

getrennt geführt, <strong>und</strong> letzterer hat auf Annahme <strong>und</strong> Ablehnung der Inserate keinen<br />

Einfluß, ist also für den Inhalt des Inseratenteils unseres Blattes nicht verantwortlich“<br />

658 .<br />

Doch blieb auch die Werbebranche wie auch die werbenden Unternehmen von den Folgen der<br />

Inflation nicht verschont. Neben ihrem eigenen Preis musste die „Gleichheit“ auch die Preise für<br />

Inserate stetig erhöhen <strong>und</strong> verlor zugleich doch immer mehr Leserinnen <strong>und</strong> Inserenten. 659 So<br />

hatte man für Nummer 2 des 33. Jahrgangs schließlich nur noch für eine halbe Seite Anzeigen<br />

akquirieren können <strong>und</strong> sechs Nummern später füllte sich bereits nur noch ein Drittel einer<br />

„Gleichheit“-Seite mit Werbung. 660<br />

655 Vgl. GL, 29/ 33/ 04.10.1919/ 264. Für die weitere Zunahme von Werbung in der „Gleichheit“ vgl. GL, 30/ 07/<br />

14.02.1920/ 55 (Anzeigenanteil von 1 1/3 Seite); GL, 30/ 11/ 13.03.1910/ 87 (Anzeigenanteil von 1 ½ Seiten);<br />

GL, 30/ 12/ 20.03.1920/ 95 (Anzeigenanteil von 1 ¾ Seiten); GL, 30/ 16/ 17.04.1920/ 119-120 (Anzeigenanteil<br />

von 2 Seiten).<br />

656 Vgl. GL, 31/ 05/ 01.03.1921/ 46-48 (Anzeigenanteil von 2 ¼ Seiten).<br />

657 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 102.<br />

658 Die Redaktion. In: GL, 30/ 50/ 11.12.1920/ 410.<br />

659 Siehe: Tabelle 7 „Abonnentinnen der ‘Gleichheit’“ <strong>und</strong> Tabelle 8 „Preisentwicklung der ‘Gleichheit’“.<br />

660 Vgl. GL, 33/ 02/ 15.01.1923/ 16 <strong>und</strong> GL, 33/ 08/ 15.04.1923/ 64.<br />

205


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

2.4.5 Leitartikel, Artikel <strong>und</strong> Rubriken<br />

Vormschlag definiert als die drei großen Themenkomplexe der „Gleichheit“:<br />

„1. Die historische Entwicklung <strong>und</strong> die gegenwärtige Arbeit der Frauenbewegung.<br />

2. Die historische Entwicklung <strong>und</strong> die gegenwärtige Arbeit der Sozialdemokratie <strong>und</strong><br />

der Gewerkschaften.<br />

3. Aktuelle soziale Forderungen <strong>und</strong> Darstellungen von Mißständen.“ 661<br />

Tatsächlich lassen sich diese drei Themenbereiche in allen Bausteinen der „Gleichheit“-Struktur<br />

wiederfinden: Sowohl in den Leitartikeln, Artikeln als auch kleineren Rubriken wurden ent-<br />

sprechende Inhalte transportiert. Auch die eher kulturellen Inhalten gewidmeten Beilagen <strong>und</strong> das<br />

Feuilleton wiesen eine Schwerpunktsetzung auf, durch die sie zur politischen Aufklärungsarbeit<br />

der „Gleichheit“ beitrugen.<br />

Der Leitartikel als das klassische Mittel der Meinungsführung an sich 662 hatte auch in der<br />

„Gleichheit“ eine f<strong>und</strong>ierende, informierende oder auch agitierende Intention. Die Leitartikel the-<br />

matisierten den Kampf der proletarischen Frauenbewegung um die Emanzipation der Frau, indem<br />

in ihnen vor allem ihre Haltung zur bürgerlichen Frauenbewegung zum Ausdruck kam <strong>und</strong> die<br />

Diskriminierungen durch Gesetzgebung <strong>und</strong> Polizei angeprangert wurden. Durch sie wurde der<br />

Kampf des Proletariats gegen den Kapitalismus <strong>und</strong> dessen Stützwerk aus Gesetzgebung <strong>und</strong><br />

Militarismus dokumentiert. Durch sie wurden aber auch die Leserinnen zur Mithilfe am<br />

Wahlkampf aufgerufen, die Berichte der Großveranstaltungen, von Parteitagen, Internationalen<br />

Frauentagen <strong>und</strong> Frauenkonferenzen veröffentlicht. Während des Krieges machte Zetkin in ihren<br />

prägnanten Leitartikeln schließlich Front gegen den Krieg <strong>und</strong> gegen die eigene Partei. Nach dem<br />

Redaktionswechsel war es vor allem der „Bruderzwist“ <strong>und</strong> der Kampf gegen den Versailler<br />

Vertrag, die Ton <strong>und</strong> Inhalt der Leitartikel bestimmten. Diejenigen Leitartikel, die sich schließlich<br />

mit der Wiedervereinigung der beiden Sozialdemokratien auf dem Nürnberger Gesamtparteitag<br />

befassten, sprachen von den Hoffnungen der zerstrittenen Sozialistinnen, gemeinsam große Er-<br />

folge in der politischen Bildung der Frauen zu erzielen. Das nächste beherrschende Leitartikel-<br />

Thema waren schließlich die aus den Wiedergutmachungsansprüchen der Besatzungsmächte,<br />

insbesondere Frankreichs, resultierenden Zustände im Ruhrgebiet. 663 Nachdem sich die Weimarer<br />

Republik <strong>und</strong> ihr demokratisches Parteiensystem konsolidiert hatte, befasste sich die „Gleichheit“<br />

auch in ihren Leitartikeln mit religiösen Fragen. Es galt, das religionsfeindliche Bild vom<br />

661 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 86.<br />

662 Vgl. Hagemann, Die Zeitung als Organismus, S. 57.<br />

663 Vgl. Radtke-Warmuth, Elli: Weihnachten 1922. In: GL, 32/ 24/ 15.12.1922/ 213; Wurm, Mathilde: Neue<br />

Gefahren. In: GL, 33/ 03/ 01.02.1923/ 17; Nemitz, Anna: Noch immer Krieg. In: GL, 33/ 9-10/ 01./15.05.1923/<br />

82.<br />

206


2.4.5 LEITARTIKEL, ARTIKEL UND RUBRIKEN<br />

Sozialismus zu entkräften, um den Einfluss des Zentrums auf die weibliche SPD-Wählerschaft zu<br />

mindern. Auf den „Gleichheit“-Titelblättern feierte man nun die hohen kirchlichen Feiertage <strong>und</strong><br />

immer mehr Schöngeistiges fand Platz auf der bisher politischen Fragen vorbehaltenen ersten<br />

Seite. Die neue Redaktion ließ fast jedem Leitartikel ein Gedicht folgen 664 <strong>und</strong> im 30. Jahrgang<br />

finden sich verstreut zwischen den Artikeln sogenannte „Splitter“ (Zitate, Sprüche Verse).<br />

Artikel – vor allem Leitartikel – namentlich zu zeichnen, hatte Zetkin für sich selbst, wie bereits<br />

erwähnt, als unnötig angesehen <strong>und</strong> dies mit ihrer für alle offensichtlichen redaktionellen Ver-<br />

antwortung begründet. Auch ihre Nachfolgerinnen blieben meist dabei, insbesondere Leitartikel<br />

nicht zu zeichnen, denn der ungezeichnete Leitartikel, so der Kommunikationswissenschaftler<br />

Walter Hagemann, deutet eben nicht auf ein „Verdecken der Verantwortlichkeiten“ 665 hin, sondern<br />

verfolgt den Zweck der „Entpersönlichung“ 666 :<br />

„[I]n diesem Falle fühlt sich der Verfasser als Glied einer gleichgestimmten Gesinnungsgemeinschaft.<br />

Indem er von ‘wir’ <strong>und</strong> ‘uns’ spricht, tritt er als Träger einer<br />

Gemeinschaftsidee in Erscheinung, die nicht sein individuelles Geistesgut, sondern<br />

eine ihm aufgetragene Aufgabe darstellt.“ 667<br />

Die Leitartikel der „Gleichheit“ sollten eine Gemeinschaft proletarischer Frauen schaffen. Die<br />

Namen der AutorInnen – so machen es auch die Initialen <strong>und</strong> Symbole der nicht zu identi-<br />

fizierenden MitarbeiterInnen deutlich – wurden bewusst entweder eingesetzt oder ausgelassen.<br />

Die Artikel der „Gleichheit“ fußten anfangs vor allem auf der von Zetkin <strong>und</strong> Bebel entwickelten<br />

sozialistischen Frauenemanzipationstheorie. Laut dieser war die soziale Frage sowie die Frage der<br />

Emanzipation der Frau im Gr<strong>und</strong>e nur von der ökonomischen Verfassung der gegenwärtigen<br />

Gesellschaft <strong>und</strong> deren Kritik her zu beantworten. In den Artikeln <strong>und</strong> Abhandlungen der „Gleich-<br />

heit“ wurde deshalb die Erwerbstätigkeit der Frau sowohl gr<strong>und</strong>sätzlich – vom Standpunkt der<br />

Parteipolitik, der Agitation <strong>und</strong> Organisation – als auch exemplarisch – z. B. in der Beschreibung<br />

der Arbeitsbedingungen verschiedener Berufszweige – zum zentralen Thema gemacht. Vorm-<br />

schlag bemerkt, dass ab 1905 die Artikel <strong>und</strong> Abhandlungen deutlich umfangreicher wurden.<br />

„Bereits aus Raumgründen mußten längere Abhandlungen bis 1905 ausgespart<br />

werden. Während die ‘fortgeschrittenen Proletarierinnen’ der Information <strong>und</strong> des<br />

Datenmaterials über den neuesten Stand der Bewegung bedurften, mußten für ein<br />

breiteres Publikum theoretische Abhandlungen über Sozialismus <strong>und</strong> Frauenbewegung<br />

eingeführt werden. Die Auseinandersetzungen innerhalb der Sozialdemokratie<br />

tragen das Ihre dazu bei, daß theoretische Probleme auf breiterem Raum<br />

664 Welche inhaltlichen Bezüge das jeweilige Gedicht zum Leitartikel hatte, müsste an anderer Stelle noch dezidiert<br />

untersucht werden.<br />

665 Hagemann, Die Zeitung als Organismus, S. 61.<br />

666 Ebd.<br />

667 Ebd.<br />

207


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

diskutiert werden als in den ersten Jahrgängen.“ 668<br />

Der größere Umfang einzelner Artikel erklärt sich demnach nicht nur aus der Umgestaltung der<br />

„Gleichheit“ <strong>und</strong> der Reduzierung des Feuilletonanteils im Hauptblatt, sondern auch aus<br />

inhaltlich-konzeptionellen Veränderungen. Vormschlag stellt darüber hinaus eine gewisse Weit-<br />

schweifigkeit <strong>und</strong> auch Wiederholung der in den Artikeln der„Gleichheit“ behandelten Themen<br />

fest. Es sollte<br />

„die bedauernswerte Lage der Arbeiterinnen <strong>und</strong> Arbeiterfrauen immer von neuem<br />

angeprangert werden, um so die Mängel des kapitalistischen Systems <strong>und</strong> der<br />

monarchistischen Verfassung bloßzulegen“ 669 .<br />

Wenig plausibel erscheint es, wenn Vormschlag diese Vorgehensweise nicht als einen „direkten“<br />

Angriff gegen Regierung <strong>und</strong> Regierungssystem interpretiert 670 , gingen doch aus den Be-<br />

schreibungen proletarischer Arbeitsbedingungen oft sehr konkrete Forderungen zur Verbesserung<br />

der Arbeitsbedingungen hervor. Zum Beispiel wurde für die Forderung des Achtst<strong>und</strong>entages auf<br />

diese Weise sowohl in den Gewerkschafts- als auch in den Parteiorganisationen erfolgreich<br />

agitiert.<br />

Nicht nur die Leitartikel, sondern auch Artikel <strong>und</strong> Abhandlungen wurden von der neuen Re-<br />

daktion dem vorrangigen Ziel unterstellt, den Versailler Vertrag als ungerecht <strong>und</strong> unrechtmäßig<br />

anzuprangern. Zu den überragenden Themen gehörten weiterhin die Nationalversammlung , die<br />

neue Verfassung, das Wahlverhalten der Frauen <strong>und</strong> die Wohlfahrtspflege. Man wandte sich vor-<br />

nehmlich der Rolle der Frau als einer inner- aber auch außerfamiliären Sozialarbeiterin zu. Die<br />

proletarische Frauenbewegung regredierte, so Thönnessen, zur „Schulungsorganisation sozialer<br />

Nothelferinnen“ 671 . Die „Gleichheit“ berichtete – wie an den Tätigkeitsfeldern einzelner Mit-<br />

arbeiterInnen bereits beschrieben – verstärkt u. a. über die rechtliche Gleichstellung des unehe-<br />

lichen Kindes, die Arbeiterwohlfahrt, den Geburtenrückgang, die gesetzliche Bekämpfung von<br />

Geschlechtskrankheiten <strong>und</strong> den Kampf gegen den Abtreibungsparagraphen.<br />

Entwicklung <strong>und</strong> Aufgaben einer politischen Zeitschrift spiegeln sich aber nicht nur in<br />

Leitartikeln, Artikeln <strong>und</strong> Abhandlungen wider, sondern auch in der Entwicklung <strong>und</strong> den<br />

Aufgaben einzelner Rubriken <strong>und</strong> Beilagen. Sie sind wichtige strukturelle Bestandteile einer Zeit-<br />

schrift <strong>und</strong> stehen im besonderen Maße für die erstrebte Vernetzung der Organisationen <strong>und</strong> für<br />

die Vielfalt der Informationen, die die Leserinnen erreichen sollten. Die eingangs von Vormschlag<br />

668 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 97.<br />

669 Ebd., S. 97-98.<br />

670 Vgl. ebd.<br />

671 Thönnessen, Frauenemanzipation, S. 7.<br />

208


2.4.5 LEITARTIKEL, ARTIKEL UND RUBRIKEN<br />

definierten Themenbereiche lassen sich auch in diesen Bestandteilen der „Gleichheit“<br />

wiedererkennen. Zudem stehen aber manche der ersten Rubriken auch für den Charakter der<br />

„Gleichheit“ als Ratgeber <strong>und</strong> Kulturzeitschrift, der sich schließlich in der Einführung der<br />

Beilagen besonders ausprägte. Für die Hauptblatt-Rubriken gilt die von Vormschlag formulierte<br />

Charakterisierung:<br />

„Minutiös sind die Einzelheiten des Kampfes der Sozialdemokratie <strong>und</strong> der<br />

Gewerkschaften um politische <strong>und</strong> soziale Gleichstellung verzeichnet, sowie die<br />

Ereignisse der Frauenbewegung des In- <strong>und</strong> Auslandes. Ein Durchblättern der<br />

einzelnen Jahrgänge verschafft einen Einblick in die Lage der Arbeiterschaft in den<br />

verschiedenen Gebieten Deutschlands <strong>und</strong> in den einzelnen Industriezweigen.<br />

Strategische Überlegungen <strong>und</strong> taktische Kniffe kennzeichnen die<br />

Auseinandersetzungen mit dem wirtschaftlichen <strong>und</strong> politischen Gegner wie auch<br />

die Angriffe auf Passivität <strong>und</strong> Indifferenz gegenüber sozialistischen Zielen in den<br />

eigenen Reihen.“ 672<br />

Die vornehmliche Aufgabe der verschiedenen Rubriken war es, diese vielfältigen Inhalte<br />

möglichst übersichtlich zu vermitteln. Bezüglich der dafür notwendigen Strukturierung konnte<br />

sich die „Gleichheit“ zwar erneut an ihrer Vorgängerin, der „Arbeiterin“, orientieren, doch wahrte<br />

sie nicht nur eine gewisse Kontinuität, sie setzte auch auf eine Optimierung.<br />

Wie zuvor in der „Arbeiterin“ folgten den obligatorischen Leitartikeln <strong>und</strong> Artikeln die Rubriken<br />

„Arbeiterinnen-Bewegung“ <strong>und</strong> „Kleine Nachrichten“. Diese zwei in einem sehr engen <strong>und</strong><br />

kleinen Druck gehaltenen Rubriken wirken auf den ersten Blick relativ unübersichtlich. Umso<br />

mehr stechen jedoch die größer <strong>und</strong> fett gedruckten Ortsnamen, Schlagworte <strong>und</strong> „Halbsatz“-<br />

Überschriften aus ihnen hervor. Dieses redaktionelle Kalkül gab den Leserinnen nicht nur einen<br />

schnelleren Überblick über die gesamte proletarische Frauenbewegung, sondern vor allem<br />

gezielte Informationen zu ihrer eigenen jeweiligen lokalen <strong>und</strong> regionalen Organisation. Es waren<br />

vor allem jene beiden Rubriken, die die große Bedeutung der „Gleichheit“ als<br />

Vernetzungsinstrument der proletarischen Frauenbewegung ausmachten.<br />

Über eine erste Veränderung der Rubrik „Arbeiterinnen-Bewegung“ wurden die „Gleichheit“-<br />

Leserinnen bereits im Dezember 1892 in Kenntnis gesetzt. Obwohl der Umfang der Rubrik sich<br />

zukünftig verringern sollte, wurden die Leserinnen aufgefordert, besonders für diese Rubrik<br />

eigenständig entsprechende Berichte zu verfassen <strong>und</strong> an die Redaktion zu schicken. 673 Die in der<br />

Rubrik skizzierten Veranstaltungen wurden in öffentliche Versammlungen <strong>und</strong> in Vereins-<br />

versammlungen unterschieden. Unter den jeweiligen Städtenamen – die zudem größer <strong>und</strong> in<br />

alphabetischer Reihenfolge gedruckt waren – fanden die Leserinnen Angaben zu der aus-<br />

672 Ebd., S. 86<br />

673 Vgl. Zur Kenntnißnahme unserer Leserinnen. In: GL, 02/ 25/ 14.12.1892/ 203.<br />

209


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

richtenden Organisation, zum Vortragsthema <strong>und</strong> den Namen der/des Vortragenden. In der Rubrik<br />

„Kleine Nachrichten“ hob man dagegen jeweils den ersten Satz oder Halbsatz eines Artikels her-<br />

vor. Besonders häufig enthielt sie detaillierte Schilderungen proletarischer Arbeitsbedingungen,<br />

von Lohnkämpfen <strong>und</strong> von Misshandlungen der Arbeiterinnen – auch die Namen der jeweiligen<br />

Betriebe <strong>und</strong> Verantwortlichen blieben nicht ungenannt.<br />

Im Oktober 1895 wurde die Rubrik „Arbeiterinnen-Bewegung“ in „Aus der Bewegung“<br />

umbenannt. 674 Immer noch wurden Ortsnamen, Institutionen, Vortragende, Schlagwörter <strong>und</strong>/oder<br />

Vortragstitel optisch hervorgehoben. Zusätzlich erfolgte aber schließlich eine Unterteilung in die<br />

zwei Unterrubriken „<strong>Von</strong> der Agitation“ 675 <strong>und</strong> „<strong>Von</strong> den Organisationen“ 676 . 1905 wurden unter<br />

der Rubrik „Aus der Bewegung“ auch eine „Genossenschaftliche R<strong>und</strong>schau“ 677 , eine „Politische<br />

R<strong>und</strong>schau“ 678 <strong>und</strong> eine „Gewerkschaftliche R<strong>und</strong>schau“ 679 eingeführt. Vermutlich geschah dies in<br />

Anlehnung an andere sozialdemokratische Presseorgane wie die „Neue Zeit“ <strong>und</strong> die „Sozialis-<br />

tischen Monatshefte“. In der Gewerkschaftlichen R<strong>und</strong>schau wurden 1908 die „Gleichheit“-<br />

Leserinnen unter anderem zum Boykott der Musik-Schallplatten der Firma „Favorite“ aufgerufen,<br />

weil diese ihren Arbeitern das Koalitionsrecht verweigerte. 680 1913 berichtete eine Person mit dem<br />

Kürzel # , dass es „[i]n der elektronischen Weltfirma von Robert Bosch in Stuttgart“ 681 zu einer<br />

Aussperrung gekommen sei. Obwohl Bosch im „Rufe sozialen Verständnisses“ 682 stand, weil er<br />

u. a. den Achtst<strong>und</strong>entag eingeführt hatte, <strong>und</strong> obwohl er in einem fre<strong>und</strong>schaftlichen Verhältnis<br />

zu Zetkin stand, vertrat die „Gleichheit“ in Fragen der Arbeiterinnenrechte selbst gegenüber be-<br />

674 Vgl. GL, 05/ 21/ 16.10.1895/ 162.<br />

675 Seit GL, 07/ 07/ 31.03.1897/ 52.<br />

676 Seit GL, 09/ 06/ 15.03.1899/ 45 (diese Rubrik erschien deutlich seltener als die Rubrik „<strong>Von</strong> der Agitation“).<br />

677 Vgl. GL, 15/ 02/ 25.01.1905/ 11 (hier noch als Rubrik des Notizenteils). Anfangs von Katzenstein betreut, wurde<br />

diese Rubrik ab Nummer 24 des 16. Jahrgangs vornehmlich von H. Fl. geschrieben. Im 23. Jahrgang sind es vor<br />

allem Artikel von H. F. (vermutlich Henriette Fürth), im 29. Jahrgang von Adolf Rupprecht, die diese Rubrik<br />

prägen.<br />

678 Vgl. GL, 15/ 03/ 08.02.1905/ 16. Die politische R<strong>und</strong>schau des 15. Jahrgangs wurde vornehmlich von G.L. (eventuell<br />

Georg Ledebour), ab Nummer 2 des 17. Jahrgangs von H.B. <strong>und</strong> ab Nummer 13 des 24. Jahrgangs vor allem<br />

von A.Th. gestaltet – all diese Initialen wie auch die später verwendeten Symbole wie □ konnten nicht zugeordnet<br />

werden. Im 16. Jahrgang beschäftigte sich die politische R<strong>und</strong>schau hauptsächlich mit der Berichterstattung über<br />

die revolutionäre Bewegung in Russland. Der 17. Jahrgang enthielt an dieser Stelle vor allem Berichterstattungen<br />

aus dem Reichstag <strong>und</strong> zu den Wahlen. Schließlich übernahm K. H. – hinter diesem Kürzel verbarg sich<br />

vermutlich Kurt Heilbut – die Gestaltung dieser Rubrik, die letztmalig im 29. Jahrgang (vgl. GL, 29/ 17/<br />

23.05.1919/ 136) erschien <strong>und</strong> dann durch die ähnliche, nur noch selten erscheinende Rubrik „Umschau“ ersetzt<br />

wurde.<br />

679 Vgl. ebd. Diese Rubrik wurde wie bereits erwähnt im 15. Jahrgang vornehmlich von Katzenstein, aber auch von<br />

einer Person, die mit # zeichnete gestaltet. (vgl. z. B. Bericht vom Kölner Gewerkschaftskongreß. In: GL, 15/ 12/<br />

14.06.1905/ 71).<br />

680 Vgl. GL, 19/ 05/ 07.12.1908/ 79.<br />

681 GL, 23/ 20/ 25.06.1913/ 317.<br />

682 Ebd.<br />

210


2.4.5 LEITARTIKEL, ARTIKEL UND RUBRIKEN<br />

fre<strong>und</strong>eten Unternehmen eine klare Position. Die „Gewerkschaftliche“ <strong>und</strong> „Genossenschaftliche<br />

R<strong>und</strong>schau“ der „Gleichheit“ war aber auch Schauplatz nationaler Ressentiments – dies sogar<br />

unter der Redaktion Zetkins. Die Vereinsvertreterinnen betonten in ihren Berichten die Tüchtigkeit<br />

ihrer Organisationen <strong>und</strong> deren gutes Funktionieren im Bestreben, das deutsche Wirtschaftsleben<br />

aufrechtzuerhalten. Nicht nur, dass sie sich ihrer tragenden Rolle an der Heimatfront brüsteten <strong>und</strong><br />

so zur Kriegsunterstützung beitrugen, zudem traten sie bereits vor Kriegsbeginn u. a. in Gestalt<br />

der Konsumvereine in eine direkte Konkurrenz mit anderen Nationen. Stolz verkündete die<br />

„Gleichheit“ im Januar 1914, dass „das erste <strong>und</strong> klassische Land der Konsumvereine!“ 683 – Eng-<br />

land – in seiner Leistungsfähigkeit wohl bald eingeholt sei.<br />

Die Rubrik „<strong>Von</strong> der Agitation“ bot überwiegend Berichte über Ort <strong>und</strong> Verlauf einer Demonstra-<br />

tion, den Inhalt eines Vortrages, die Anzahl der Teilnehmenden <strong>und</strong> die Anzahl neu geworbener<br />

Mitglieder. An ihnen wird auffällig, dass die „Gleichheit“ lokale öffentliche Veranstaltungen<br />

selten im Vorfeld ankündigte oder bewarb. Solcherlei Werbung erfolgte lediglich für die jährlichen<br />

Maidemonstrationen, Parteitage <strong>und</strong> internationalen Frauentage. Lokal begrenzte Veranstaltungen<br />

müssen demnach weiterhin vornehmlich persönlich, per Handzettel oder Plakat angekündigt<br />

worden sein. Unverständlicherweise ließ die „Gleichheit“ ein ihr gegebenes agitatorisches <strong>und</strong> or-<br />

ganisatorisches Potential ungenutzt. Waren die Veranstaltungen zu spontan oder zu geheim, um in<br />

einem vierzehntäglich erscheinendem Blatt vorab beworben zu werden? Wenn ja, dann hätte<br />

dieses Manko mit der zunehmenden Organisation der Frauen <strong>und</strong> mit dem Reichsvereinsgesetz<br />

1908 behoben werden können, was aber nicht geschah.<br />

Die Rubrik „Aus der Bewegung“ <strong>und</strong> ihre beiden ersten Unterrubriken waren der Beitrag der<br />

„Gleichheit“ zur Organisation der proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> somit ein wichtiges<br />

Element des Selbstverständnisses <strong>und</strong> der Aufgabenstellung der „Gleichheit“. Als zentrales Organ<br />

der proletarischen Frauenbewegung vermittelte sie nicht nur allgemeine Inhalte politischer Bil-<br />

dung <strong>und</strong> Agitation, sondern informierte über Vereinsgründungen, Mitgliederentwicklungen <strong>und</strong><br />

die Verläufe lokaler Arbeitskämpfe – kurzum: Sie berichtete wirklich „aus der Bewegung“ <strong>und</strong><br />

vernetzte deren Trägerinnen. Indem Agitatorinnen <strong>und</strong> Bezirke namentlich genannt wurden,<br />

wurde unzweifelhaft auch eine „gegenseitige Verb<strong>und</strong>enheit“ 684 gefördert – eine Verb<strong>und</strong>enheit<br />

sowohl unterhalb den Agitatorinnen, den interessierten Leserinnen als auch zwischen diesen bei-<br />

683 GL, 25/ 09/ 22.01.1914/ 50.<br />

684 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 95.<br />

211


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

den Gruppen. Die Agitatorinnen wünschten sich, dadurch nicht nur ein Gruppenbewusstsein, ein<br />

„Wir-Gefühl“ 685 zu fördern, sondern möglichst auch ein Klassenbewusstsein. Die Arbeit für<br />

Bewegung <strong>und</strong> „Gleichheit“ bot aber auch die Möglichkeit, sich persönlich zu profilieren <strong>und</strong> gab<br />

damit Gr<strong>und</strong> für Konkurrenzstreitigkeiten innerhalb der proletarischen Frauenbewegung. Grup-<br />

penbewusstsein <strong>und</strong> persönliche Ebene schufen nach Meinung Vormschlags für die „Gleichheit“<br />

zusätzlich die Möglichkeit, „eine gewisse Kontrolle über die Agitationsarbeit in den einzelnen<br />

Bezirken aus[zuüben]“ 686 . Dort konnte das „Wir-Gefühl“ jedoch auch schnell in die Ablehnung<br />

„alles Außerhalbstehende[n]“ 687 umschlagen. Auch dies ist ein Phänomen, welches sich in den<br />

Rubriken wiederfindet. Besonders auffälliges Beispiel für einen solchen Ausschluss ist die der<br />

Entlassung Zetkins auf dem Fuße folgende Umbenennung der Rubrik „Aus der Bewegung“ in<br />

„Aus unserer Bewegung“. 688 Die neue Redaktion bestätigte damit bereits in ihrer ersten Nummer –<br />

<strong>und</strong> später umso deutlicher mit den Änderungen der „Gleichheit“-Untertitel – die auch für die<br />

Frauenbewegung der SPD geltende These, dass Ausgrenzung eine Form der Identitätsstiftung ist.<br />

Zu Erscheinungsbeginn besaß die „Gleichheit“ genau wie die „Arbeiterin“ die Rubrik „Kleine<br />

Nachrichten“, die ihrem Namen entsprechend eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Mitteilungen<br />

enthielt. Seit Februar 1896 erschien in den „Kleinen Nachrichten“ eine Unterrubrik mit dem Titel<br />

„Ausländische Frauenbewegung“, in der vornehmlich Braun über die Fortschritte anderer<br />

nationaler Frauenbewegungen <strong>und</strong> über die steigende Zahl von Frauen in akademischen Berufen<br />

berichtete. 689 Schließlich war es auch Braun, die gemeinsam mit Zetkin den die „Kleinen Nach-<br />

richten“ ersetzenden „Notizentheil“ 690 einrichtete. Bis zu Brauns Entlassung war dieser sehr gut<br />

strukturierte Teil der „Gleichheit“ stets mit der Bemerkung versehen, dass er aus der Feder „von<br />

Lily Braun <strong>und</strong> Klara Zetkin“ stammte. Die Redaktion maß ihm große Bedeutung bei <strong>und</strong> wollte<br />

zu seinen Gunsten sogar den für die Artikel zur Verfügung stehenden Raum kürzen. Im „voll-<br />

ständig, reichhaltig <strong>und</strong> vor Allem so übersichtlich als möglich“ 691 gestalteten Notizenteil sollte<br />

685 Vgl. ebd.<br />

686 Ebd.<br />

687 Ebd.<br />

„Thatsachenmaterial […] über die Arbeits- <strong>und</strong> Lebensbedingungen<br />

der proletarischen Frauen , über den Stand <strong>und</strong> die Entwicklung<br />

der Arbeiterinnenorganisationen im In- <strong>und</strong> Ausland, über den Stand <strong>und</strong><br />

688 Vgl. GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 122.<br />

689 Vgl. Die Redaktion: An die Leserinnen <strong>und</strong> Leser. In: GL, 06/ 04/ 19.02.1896/ 32.<br />

690 Vgl. GL, 07/ 14/ 07.07.1897/ 111-112.<br />

691 Die Redaktion: An die Leserinnen <strong>und</strong> Leser. In: GL, 07/ 14/ 07.07.1897/ 106.<br />

212


2.4.5 LEITARTIKEL, ARTIKEL UND RUBRIKEN<br />

die Entwicklung der Frauenbewegung allerwärts, über die Fabrikinspektion<br />

ec. ec.“ 692<br />

erscheinen, wobei der „sozialen Gesetzgebung “ 693 besondere Aufmerksamkeit gewidmet<br />

werden sollte. Der erste erschienene Notizenteil gliederte sich in folgende Unterrubriken: „Ge-<br />

werkschaftliche Arbeiterinnen-Organisation“, „Soziale Gesetzgebung“, „Frauenarbeit auf dem<br />

Gebiete der Industrie, des Handels <strong>und</strong> Verkehrswesens“, „Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen“<br />

<strong>und</strong> „Frauenbewegung“. 694 Manche der Unterrubriken des Notizenteils entstanden aus einmaligen<br />

konkreten Anlässen, andere erschienen relativ regelmäßig. Ersteren zuzurechnen sind vor allem<br />

die Rubriken mit dem Titel „Die Polizei im Kampf gegen die proletarische Frauenbewegung“<br />

oder „Die Staatsanwaltschaft […]“ bzw. „Die Behörden im Kampfe gegen die proletarischen<br />

Frauen“ 695 , in denen über die Auflösungen von Versammlungen, Verhaftungen <strong>und</strong> Gerichts-<br />

verhandlungen berichtet wurde. Weitere Rubrikentitel offenbaren die Vielfalt der Thematik:<br />

„Weibliche Fabrikinspektoren“, „Sozialistische Frauenbewegung im Auslande“ 696 , „Ges<strong>und</strong>heits-<br />

schädliche Folgen industrieller Frauenarbeit“ 697 , „Publikationen zur Frauenfrage“, „Kinder-<br />

arbeit“ 698 , „Schul- <strong>und</strong> Erziehungswesen“ 699 , „Sittlichkeitsfrage“ 700 , „Frauenstimmrecht“ 701 ,<br />

„Statistisches zur Frauenfrage“ 702 , „Soziale Fürsorge für Kinder <strong>und</strong> Mütter“ 703 , „Frauengenossen-<br />

schaften“, „Soziale Reformen“ 704 , „Dienstbotenfrage“ 705 .<br />

Braun <strong>und</strong> Zetkin legten mit dem Notizenteil den Gr<strong>und</strong>stein für eine übersichtliche Gliederung<br />

der Rubriken. Dass am 5. Juni 1901 der Notizenteil erstmals ohne den erwähnten Hinweis auf die<br />

für ihn Verantwortlichen erschien, markierte den Zeitpunkt von Brauns Entlassung aus der<br />

„Gleichheit“-Redaktion. 706<br />

692 Ebd.<br />

693 Ebd.<br />

694 Vgl. GL, 07/ 14/ 07.07.1897/ 111-112.<br />

695 Vgl. GL, 07/ 08/ 17.04.1907/ 65-66.<br />

696 Vgl. für die Einführung beider Rubriken GL, 07/ 15/ 21.07.1897/ 119-120.<br />

697 Vgl. GL, 07/ 17/ 18.08.1897/ 134.<br />

698 Vgl. für die Einführung beider Rubriken GL, 07/ 21/ 13.10.1897/ 167-168.<br />

699 Vgl. GL, 07/ 25/ 08.12.1897/ 199.<br />

700 Vgl. GL, 07/ 26/ 22.12.1897/ 208.<br />

701 Vgl. GL, 08/ 02/ 19.01.1898/ 15.<br />

702 Vgl. GL, 08/ 03/ 02.02.1898/ 24.<br />

703 Vgl. GL, 08/ 17/ 17.08.1898/ 135.<br />

704 Vgl. für die Einführung beider Rubriken GL, 08/ 21/ 12.10.1898/ 167.<br />

705 Vgl. GL, 08/ 26/ 21.12.1898/ 207.<br />

706 Braun hatte, wie bereits erwähnt, mehrere Vorschläge für die vernetzende <strong>und</strong> agitierende Aufgabenstellung der<br />

proletarischen Frauenbewegung zur Diskussion gestellt. Ihr waren jedoch statt Anerkennung nur Kritik <strong>und</strong><br />

213


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Der Notizenteil wurde auch ohne Braun weitergeführt <strong>und</strong> entwickelte sich fort. Wenn auch<br />

auffällig seltener, wurden doch auch weiterhin neue Rubriken wie „Vereinsrecht der Frauen“ 707 ,<br />

„Frauen in öffentlichen Ämtern“ 708 <strong>und</strong> „Bürgerliches Recht der Frau“ 709 eingerichtet. Angesichts<br />

der Fülle von Rubriken ist es nicht verw<strong>und</strong>erlich, dass der Notizenteil neben der Rubrik „Aus der<br />

Bewegung“ einen großen Teil einer „Gleichheit“-Nummer ausmachen konnte. 710<br />

Während des Ersten Weltkriegs nutzte Zetkin einzelne Rubriken, um der kriegsbefürwortenden<br />

Politik des Parteivorstandes ihr eigenes Verständnis von proletarischem Internationalismus <strong>und</strong><br />

ihre Sicht der neuen Lage entgegenzusetzen: Am 16. Oktober 1914 erschien zum ersten Mal die<br />

Rubrik „Für den Frieden“ 711 . Die „Gleichheit“ berichtete darin u. a. von Friedensk<strong>und</strong>gebungen in<br />

den USA, vom Frauenb<strong>und</strong> der Deutschen Friedensgesellschaft <strong>und</strong> Friedensk<strong>und</strong>gebungen des<br />

Internationalen Frauenstimmrechtsverbandes. 712 Später waren es vor allem Berichte zu den<br />

revolutionären Ereignissen in Russland, die in dieser Rubrik veröffentlicht wurden. Direkte Kritik<br />

an der Politik der eigenen Partei aber übte die „Gleichheit“ besonders in der Rubrik „Burgfrieden“<br />

713 . Sie enthielt vor allem Berichte über die Maßnahmen der Behörden gegen Rosa Luxemburg<br />

<strong>und</strong> Karl Liebknecht. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wurde die Rubrik Opfer der Zensur <strong>und</strong> von der<br />

Redaktion mit dem unauffälligeren Namen „Aus dem öffentlichen Leben“ versehen. 714 Über die<br />

anhaltenden Querelen innerhalb der Partei – so z. B. über die Spaltung der sozialdemokratischen<br />

Fraktion des Preußischen Abgeordnetenhauses – informierte Zetkin seit Februar 1916 in der Rub-<br />

rik „Aus der Partei“ 715 .<br />

Ablehnung entgegengebracht worden. Nach ihrer Entlassung verschwand ihr Name aus der „Gleichheit“. So, wie<br />

anlässlich der Einrichtung des Frauenbüros 1908 nichts <strong>und</strong> niemand daran erinnerte, dass diese Initiative hierfür<br />

von Braun ausgegangen war, so wurde auch ihr Verdienst um die Redaktion des Notizenteils nahezu vergessen.<br />

707 Vgl. GL, 11/ 15/ 17.07.1901/ 117.<br />

708 Vgl. GL, 13/ 10/ 06.05.1903/ 80.<br />

709 Vgl. GL, 13/ 13/ 17.06.1903/ 104.<br />

710 Laut Vormschlag füllten beide Rubriken in den ersten Jahren fast 50% des achtseitigen Umfangs einer Nummer<br />

(vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 94; Vormschlag verweist<br />

hier auf GL, 07/ 14/ 07.07.1897).<br />

711 Vgl. GL, 25/ 02/ 16.10.1914/ 11-12.<br />

712 Vgl. ebd.<br />

713 Vgl. GL, 25/ 09/ 22.01.1915/ 51.<br />

714 Vgl. GL, 26/ 22/ 21.07.1916/ 168.<br />

715 Die Spaltung der sozialdemokratischen Fraktion des Preußischen Abgeordnetenhauses. In: GL, 27/ 10/<br />

16.02.1917/ 69-70. Interessanterweise sprach Zetkin in ihrem ersten in dieser Rubrik erscheinenden Artikel von<br />

einer „reinlichen Scheidung“. Hatte sie mit diesem Begriff bisher vor allem das Verhältnis zur bürgerlichen<br />

Frauenbewegung definiert, so warf sie nun den Mehrheitspolitikern vor, eine solche innerhalb der Partei provoziert<br />

zu haben (vgl. ebd.).<br />

214


2.4.5 LEITARTIKEL, ARTIKEL UND RUBRIKEN<br />

Die neue „Gleichheit“-Redaktion hatte für den Notizenteil in seiner bisherigen Gestalt keinerlei<br />

Verwendung. Direkt in der ersten Nummer der „neuen“ „Gleichheit“ vom 8. Juni 1917 erschienen<br />

viele neue Rubriken, deren Überschriften in einen auffälligen schwarzen Rahmen gesetzt waren.<br />

<strong>Von</strong> diesen ersten neuen Rubriken erschienen in besonderer Regelmäßigkeit: „Politische Um-<br />

schau“, „Gewerkschaftliche Monatsschau“, „Vom Fortgang des Frauenrechts“, „Die Frau in der<br />

Gemeinde“, „Die Mutter als Erzieherin“ <strong>und</strong> „Bücherschau“. 716 Die Rubrik „Die Frau als<br />

Arbeiterin“ 717 erschien dagegen sehr unregelmäßig. Wenig später kamen weitere Rubriken wie<br />

„Aus der bürgerlichen Frauenbewegung“ 718 <strong>und</strong> „Volkserziehung“ 719 hinzu. Es wurde kaum eine<br />

der letzten Rubriken der „alten“ „Gleichheit“ von der neuen Redaktion übernommen. So auch<br />

nicht die Rubrik „Sozialistische Frauenbewegung im Ausland“. Statt ihrer erschien auffällig spät<br />

– am 14. September 1917 – die Rubrik „Aus der Frauenbewegung des Auslandes“ 720 . Der Titel<br />

zeigt, wie klassenkämpferische Begrifflichkeiten zunehmend aus der „Gleichheit“ verschwanden<br />

<strong>und</strong> wie sehr der Kontakt zu den ausländischen Frauenorganisationen geschwächt war. Zwar<br />

enthielt jene Rubrik stets mehrere kleine Artikel, doch größere Beiträge ausländischer<br />

Aktivistinnen wie sie unter der Redaktion Zetkins üblich waren, blieben aus. Ein Gr<strong>und</strong> dafür<br />

könnte u. a. gewesen sein, dass die verbindende internationale Forderung nach dem<br />

Frauenwahlrecht mittlerweile durch die Einführung desselben in einigen Staaten nicht mehr den<br />

gemeinsamen Minimalkonsens darstellte. Ein weiterer Gr<strong>und</strong> war jedoch sicherlich der Umstand,<br />

dass durch die Entlassung Zetkins nun die für die internationalen Kontakte <strong>und</strong> die internationale<br />

Berichterstattung entscheidende Person fehlte.<br />

Schließlich machten im Verlauf der Jahrgänge noch folgende Rubriken Gesicht <strong>und</strong> Inhalt der<br />

„Gleichheit“ aus: „Die Frau im Beruf“ 721 , „Bevölkerungspolitik“ 722 , „Kriegerfrauen <strong>und</strong> Krieger-<br />

witwen“ 723 <strong>und</strong> die Rubrik „Wohlfahrtspflege“, die als Auftakt über die Gründung der Arbeiter-<br />

716 Vgl. GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 119-124.<br />

717 Vgl. ebd.<br />

718 Vgl. GL, 27/ 19/ 22.06.1917/ 132. Diese Rubrik stehe für die, so Vormschlag, „Annäherung, welche das Aufgeben<br />

des Postulats des Klassenkampfes ermöglicht“ (Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer<br />

Frauenzeitschriften, S. 100) habe.<br />

719 Vgl. ebd.<br />

720 Vgl. GL, 27/ 25/ 14.09.1917/ 177. Die Rubrik enthielt bei ihrem ersten Erscheinen einen Bericht aus Bulgarien<br />

<strong>und</strong> einen über eine im russischen Kasan abgehaltene Konferenz muslimischer Frauen.<br />

721 Vgl. ebd., S. 179.<br />

722 Vgl. GL, 28/ 12/ 15.03.1918/ 96.<br />

723 Vgl. GL, 28/ 24/ 30.08.1918/ 191.<br />

215


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

wohlfahrt berichtete. 724 Die bereits erwähnte Rubrik „Freie Aussprache“ 725 , die die „sachliche<br />

Verantwortung“ 726 <strong>und</strong> den „Gegenstand der Einsendung“ 727 völlig frei bei den Einsenderinnen<br />

beließ, besaß zwar einen interessanten Projektcharakter, weist jedoch kaum Artikel auf. 728<br />

724 Vgl. Juchacz, Marie: Arbeiterwohlfahrt. In: GL, 30/ 25/ 19.06.1920/ 206. Bereits am 13. November des Vorjahres,<br />

so erfährt man aus dem Artikel, hatte der Parteiausschuss auf Anregung des Parteivorstandes beschlossen, einen<br />

Haupstausschuss für Arbeiterwohlfahrt zu gründen (vgl. ebd.). Juchacz setzte diesen Artikel fort: Juchacz, Marie:<br />

Arbeiterwohlfahrt. II. In: GL, 30/ 26/ 26.06.1920/ 214-215; Arbeiterwohlfahrt. III. In: 30/ 27/ 03.07.1920/ 223.<br />

725 Vgl. GL, 28/ 19/ 21.06.1918/ 152. Wie häufig diese Rubrik erschien konnte nicht zuverlässig recherchiert werden.<br />

Ein weiteres Mal erschien sie in GL, 28/ 20/ 05.07.1918/ 160.<br />

726 [Ohne Titel:] In: GL, 28/ 19/ 21.06.1918/ 152.<br />

727 Ebd.<br />

728 Einer der in dieser Rubrik erschienenen Artikel gibt hinsichtlich der Rezeption der „Gleichheit“ einigen<br />

Aufschluss <strong>und</strong> soll an gegebener Stelle noch herangezogen werden.<br />

216


2.4.6 Feuilleton <strong>und</strong> Beilagen<br />

2.4.6 FEUILLETON UND BEILAGEN<br />

Das Feuilleton ist derjenige Teil der „Gleichheit“, der sowohl in den damaligen Diskussionen wie<br />

auch in den neueren Studien am häufigsten bemängelt wird. Während die „Zeit-GenossInnen“ vor<br />

allem die Theorielastigkeit der „Gleichheit“ kritisierten <strong>und</strong> sich für eine Erweiterung des unter-<br />

haltsamen Teils aussprachen 729 , bemängeln heutige WissenschaftlerInnen dagegen eine „Feuil-<br />

letonisierung“ der „Gleichheit“. Das Niveau des „Gleichheit“-Feuilletons in Gestalt der Beilagen<br />

„Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ <strong>und</strong> „Für unsere Kinder“ sowie später „Die Frau <strong>und</strong> ihr<br />

Haus“ habe zunehmend einen ungünstigen Einfluss auf den Inhalt des Hauptblattes genommen.<br />

Es ist besonders Vormschlag, die sich in ihrer Studie der Analyse dieses Prozesses der Feuille-<br />

tonisierung widmet. 730 Wirklich setzte dieser Prozess erst mit der Einführung der Beilagen ein,<br />

wogegen in den Jahren zuvor „unter dem Strich“ ein besonderes Wechselspiel zwischen Feuilleton<br />

<strong>und</strong> Berichtteil zu beobachten war. Dieses Wechselspiel charakterisiert Vormschlag als eine „Agi-<br />

tation in Erzählform“ 731 :<br />

„Das Mitgefühl der Leserin mit den Ausgebeuteten <strong>und</strong> vom Leben Benachteiligten,<br />

welches wiederum ein Klassengefühl weckt, wird durch die Simplizität<br />

der Erzählung kaum geschmälert. Die rührend-sentimentale Beschreibung des<br />

Schicksals der ausgenutzten, zur Prostitution verführten <strong>und</strong> zum Selbstmord getriebenen<br />

Dienstboten, Näherinnen <strong>und</strong> Fabrikarbeiterinnen besitzt den Vorzug<br />

jeder Trivialliteratur, durch Verwendung bekannter Klischees besonders eingänglich<br />

zu sein.“ 732<br />

Vormschlag bescheinigt damit der „Gleichheit“-Redaktion eine ausgeklügelte Form der<br />

Leserinnenansprache. Ebensolches konstatiert auch Gomard, bezieht diesen besonderen Brücken-<br />

schlag jedoch weniger auf den Schreibstil als auf die Struktur der „Gleichheit“:<br />

„Die Texte im Feuilleton waren weitgehend Paralleltexte zu den Artikeln.“ 733<br />

Erschien z. B. ein Artikel über Heimarbeit, so folgte oft in derselben oder in der nächsten<br />

729 Rückblickend schrieb Lion bereits 1926: „Durch die Geschichte der ‘Gleichheit’ zieht sich die Beanstandung ihrer<br />

Unpopularität.“ (Lion, Zur Soziologie der Frauenbewegung, S. 93). Die Zetkin‘sche „Gleichheit“ war nicht nur<br />

auf den von 1900 bis 1911 ungefähr alle zwei Jahre stattfindenden sozialdemokratischen Frauenkonferenzen,<br />

sondern auch auf den Parteitagen Gegenstand längerer Diskussionen (vgl. die Protokolle der SPD-Parteitage<br />

Stuttgart 1898 (S. 131f.); Bremen 1904 (S. 373f.); Jena 1905 (S. 279ff.); Magdeburg 1910 (S. 216ff.); Jena 1911<br />

(S. 254ff.); Chemnitz 1912 (S. 257f.); Jena 1913 (S. 254ff.); Würzburg 1917 (S. 284ff., S. 247ff., S. 254, S. 267,<br />

S. 307f.)). Auf dem Parteitag 1916 in Berlin war bemerkenswerterweise zwar die Haltung der parteiinternen<br />

Opposition, aber nicht die Haltung der„Gleichheit“ Diskussionsthema.<br />

730 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 20.<br />

731 Ebd., S. 107.<br />

732 Ebd., S. 107f. Vormschlag verweist hier auf: Goebeler, Dorothee: Aus Hunger. In: GL, 06/ 08/ 15.04.1896/ 59-62;<br />

GL, 06/ 09/ 29.04.1896/ 68-70; Lüders, C.: Eine alltägliche Geschichte. In: GL, 05/ 11/ 29.05.1895/ 84-85;<br />

Schulz, Carl Th.: Aristokratische Frauen. In: GL, 05/ 15/ 24.07.1895/ 118 <strong>und</strong> andere Erzählungen <strong>und</strong> Gedichte<br />

der ersten Jahrgänge, die teilweise anonym veröffentlicht wurden.<br />

733 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 27.<br />

217


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Nummer eine Erzählung oder ein Gedicht 734 ähnlichen Inhalts. Die „Gleichheit“ betrieb auf diese<br />

Weise, so Gomard, eine geschickte „Agitation für Kopf <strong>und</strong> Herz“ 735 – dies sowohl in Artikeln als<br />

auch im Feuilleton. Die „Gleichheit“-Leserinnen wurden somit auf einer Ebene angesprochen, auf<br />

der ihre Gruppen- <strong>und</strong> Berufsheterogenität zweitrangig war. Der Appell an ihre Gefühle deckte<br />

sich mit ihrem Bedürfnis nach Ablenkung von ihren Alltagsproblemen. Dieses Bedürfnis war<br />

allen gemeinsam <strong>und</strong> schuf Identität. Während sich viele bürgerliche Frauen- <strong>und</strong> Unterhaltungs-<br />

zeitschriften allein diesen oberflächlichen Wünschen ihrer Leserinnen widmeten, war jedoch das<br />

Feuilleton der „Gleichheit“ vor allem als Ergänzung ihres politischen Bildungsprogramms<br />

konzipiert. Geiger/Weigel sprechen gar von einer „wirkungsästhetischen Doppelstrategie“ 736 der<br />

Beilagen. Friedrich dagegen ist im Sinne des sozialistischen Agitationsprogramms der Meinung,<br />

dass „[e]s […] nie eine besondere ‘sozialistische Frauendichtung’ gegeben [habe], <strong>und</strong> es [werde]<br />

sie auch nie geben“. 737<br />

In der ersten Nummer der „Gleichheit“ wurde das Feuilleton, wie zu jener Zeit üblich, in größeren<br />

Druck <strong>und</strong> „unter den Strich“ gesetzt. Hervorgehoben durch den größeren Druck <strong>und</strong> an diese<br />

markante Stelle gesetzt, waren die Texte für die Leserinnen besonders leicht zu finden. Sie fanden<br />

dort Werke unterschiedlichster literarischer Gattungen wie z. B. Erzählungen, Novellen, Gedichte<br />

<strong>und</strong> auch einige der für die vorliegende Dissertation zentralen biographischen Skizzen. Teilweise<br />

als Artikelserien konzipiert, war es nicht nur die Unterhaltsamkeit der Texte, die die Leserinnen<br />

auf diese Weise an die „Gleichheit“ band – wer wissen wollte, wie es weiterging, musste in die<br />

nächste Nummer schauen.<br />

Nur ein kleiner Teil der neueren Forschungsarbeiten zur „Gleichheit“ beschäftigt sich dezidiert<br />

mit deren Feuilleton <strong>und</strong> seinen Inhalten. 738 Der von Vormschlag angelegten quantitativen<br />

Auswertung des Hauptblattfeuilletons zufolge, stammten die meisten Erzählungen aus den Federn<br />

von Guy de Maupassant, Emile Zola, Björnstjerne Björnson, August Strindberg, Alexander<br />

Kielland, Henrik Ibsen, Wladimir Korolenko, Iwan Turgenjew <strong>und</strong> Maxim Gorki. Die<br />

humorvollen <strong>und</strong> volkstümlichen Beiträge entlieh sich die „Gleichheit“-Redaktion, so Vorm-<br />

schlag, den Werken Mark Twains, Charles Dickens‘, Ludwig Anzensgrubers <strong>und</strong> Ludwig<br />

Thomas‘. Novellen stammten von Theodor Storm, Wilhelm Raabe <strong>und</strong> Gottfried Keller, weitere<br />

734 Eine Auswahl verschiedener Gedichte – darunter vor allem solche mit politischer Intention – ist im Anhang<br />

enthalten.<br />

735 Ebd.<br />

736 Geiger/Weigel, Sind das noch Damen?, S. 83.<br />

737 Friedrich, Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen, S. XI. Es ist jedoch unleugbar, dass die<br />

Leserinnen der „Gleichheit“ mit einer besonderen Literatur angesprochen werden sollten. Der Frage, ob diese die<br />

Gr<strong>und</strong>lage eines besonderen Genres war, kann an dieser Stelle nicht nachgegangen werden.<br />

738 Besonders hervorzuheben sind hier die Studien von Vormschlag, Gomard, Reutershan <strong>und</strong> Puschnerat.<br />

218


2.4.6 FEUILLETON UND BEILAGEN<br />

populäre Beiträge von Max Eyth <strong>und</strong> Ernst Zahn. Es erschienen bevorzugt Gedichte von Friedrich<br />

Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Hölderlin, Percy B. Shelley, George Gordon<br />

Byron, Eduard Mörike, Ludwig Uhland, Joseph von Eichendorff, C. F. Meyer, Peter Hebel, Detlef<br />

von Liliencron, Ferdinand Freiligrath, Cäsar Flaischlen, O. E. Hartleben <strong>und</strong> Heinrich Heine. 739 In<br />

einer vergleichenden Analyse der Jahrgänge 1895, 1905 <strong>und</strong> 1906 stellt Vormschlag des Weiteren<br />

fest, dass, während 1895 noch der Großteil der Prosabeiträge <strong>und</strong> Gedichte aus der Feder<br />

sozialistischer – <strong>und</strong> vermutlich parteinaher – SchriftstellerInnen stammte, deren Anteil 1906 nur<br />

noch 15 von 32 bei den Prosabeiträgen <strong>und</strong> nur noch 23 von 46 bei den Gedichten betrug. Werke<br />

sozialistischer SchriftstellerInnen wie Otto Krille, Lu Märten (1879-1970) 740 <strong>und</strong> Ada Christen<br />

(1839-1901) <strong>und</strong> die Gedichte Robert Seidels (1850-1933) 741 , Klara Müller-Jahnkes (1861-<br />

1905), Ada Negris (1870-1945) oder Emma Döltz‘ (1866-1950) 742 machten bald nur noch die<br />

Hälfte des „Gleichheit“-Feuilletons aus. 743 Mit dieser quantitativen Reduktion ideologisch<br />

geprägter Werke sieht Vormschlag sogar einen „Qualitätsanstieg“ 744 einhergehen. Zwar sei die<br />

sozialistische Tendenz als Auswahlkriterium nie vollkommen außer Acht gelassen worden, aber<br />

zusätzlich habe die künstlerische Form an Bedeutung gewonnen. Insgesamt attestiert Vormschlag<br />

der „Gleichheit“-Redaktion eine sehr „qualitätsorientierte[…] Auswahl“ 745 der Literatur.<br />

Dagegen kommt Richebächer jedoch zu einer ganz anderen Zusammenstellung der von der<br />

„Gleichheit“-Redaktion bevorzugten Literatur. Sie stützt sich dabei auf die den Leserinnen<br />

dargebotenen Leseempfehlungen. <strong>Von</strong> den deutschsprachigen AutorInnen seien dort den<br />

„Gleichheit“-Leserinnen vor allem Wilhelm Hauff, Emil Ludwig, Adelbert von Chamisso,<br />

739 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 110.<br />

740 Lu – eigentlich Luise Charlotte – Märten wuchs in Armut auf <strong>und</strong> wurde 1898 SPD-Mitglied. Sie trat später der<br />

USPD <strong>und</strong> schließlich der KPD bei. Ihre Werke wurden in über 80 Presseorganen veröffenlicht. 1933 wurde<br />

Märten aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen. Ab 1945 arbeitete sie als Lektorin für den DDR-Verlag<br />

„Volk <strong>und</strong> Wissen“.<br />

741 Robert Seidel war habilitierter Pädagoge <strong>und</strong> Publizist. Er stammte zwar aus Sachsen, emigrierte aber 1870 in die<br />

Schweiz.<br />

742 Emma Döltz, geb. Lehmann, verlor im Kindesalter ihren Vater, wuchs im Steglitzer Armenhaus auf <strong>und</strong> half ihrer<br />

heimarbeitenden Mutter beim Nähen von Pantoffeln. Sie arbeitete erst in einer Stahlfederfabrik, dann als Posamentiererin,<br />

d.h. als Näherin für Applikationen, Borten oder Bänder. Nach ihrer Heirat mit dem Schlosser Döltz<br />

im Alter von 20 Jahren arbeitete sie gemeinsam mit ihren drei Kindern selbst als Näherin in Heimarbeit. Ein<br />

Vortrag Paul Singers begeisterte sie in den 1890er Jahren für die Sozialdemokratie. Seit 1903 engagierte sie sich in<br />

der Kinderschutzkommission von Berlin. Sie wurde Bezirksvorstandsmitglied der Berliner SPD <strong>und</strong> beteiligte<br />

sich an der Leitung der Berliner AWO. Während des Ersten Weltkrieges wurde Döltz Mitglied der USPD <strong>und</strong><br />

später wieder der SPD. Seit 1894 erschienen ihre Arbeiten in der „Gleichheit“ <strong>und</strong> anderen SPD-Blättern. Laut<br />

Drust hatte Döltz 1908-1914 in der Kinderbeilage der „Gleichheit“ 60 Beiträge veröffentlicht (vgl. Drust, Für<br />

unsere Kinder, S. 198).<br />

743 <strong>Von</strong> einigen dieser Vertreterinnen sozialistischer Literatur sind einzelne Gedichte im Anhang enthalten.<br />

744 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 111.<br />

745 Ebd., S. 110.<br />

219


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Adalbert Stifter, Peter Rosegger, Marie von Ebner-Eschenbach (1830-1916) 746 <strong>und</strong> Heinrich von<br />

Kleist empfohlen worden. Als „lesenswerte Ausländer“ 747 habe die Redaktion z. B. Miguel de<br />

Cervantes, Alphonse Daudet, Guy de Maupassant <strong>und</strong> Daniel Defoe erachtet. 748 Angesichts dieser<br />

Vielzahl renommierter LiteratInnen bleibt die Behauptung Freiers, in der „Gleichheit“ seien<br />

„Erzählungen, Märchen <strong>und</strong> Gedichte[…] von meist unbekannten deutschen, englischen <strong>und</strong><br />

russischen Schriftstellern“ 749 [Hervorhebung von M.S.] erschienen, vollkommen unerklärlich.<br />

Ebenso markant wie pikant ist jedoch die unbestreitbare Tatsache, dass im Feuilleton der ersten<br />

sozialistischen Frauenzeitschrift überwiegend männliche Schriftsteller vertreten waren.<br />

Zetkin hatte unverkennbar ein literarisches Konzept für das Feuilleton der „Gleichheit“. In ihrer<br />

1911 verfassten Schrift „Kunst <strong>und</strong> Proletariat“ verdeutlichte sie ihre gr<strong>und</strong>sätzlichen Erwar-<br />

tungen an eine Kunst, die „Geist vom Geiste des Sozialismus ist“ 750 . Diese musste der Zielsetzung<br />

für eine zukünftige Gesellschaft entsprechen, in der „die allseitige, harmonische Entwicklung der<br />

proletarischen Männer <strong>und</strong> Frauen“ 751 gefördert werden sollte, um mit der „geläuterten, veredelten<br />

Genußfähigkeit ihre Kampfesfähigkeit“ 752 zu erhöhen. 753 In dieser Hinsicht waren besonders die<br />

Elendsschilderungen – ob in literarischer oder berichtender Form – ein entscheidender, besonders<br />

anschaulicher <strong>und</strong> emotionaler Teil antikapitalistischer Aufklärung. Denn es war der Kapitalismus,<br />

in dem jenes Elend der ProletarierInnen, ihre miserablen Lebensbedingungen <strong>und</strong> ihre<br />

Rechtlosigkeit wurzelten. Diese Erkenntnis, dieses Bewusstsein galt es, zu vermitteln. Vormschlag<br />

sieht aber gerade dieses Konzept als gescheitert an, denn die „Skizzen aus dem trostlosen Arbei-<br />

teralltag [seien] von den Leserinnen nicht als unterhaltend <strong>und</strong> entspannend empf<strong>und</strong>en“ 754<br />

worden. Solche „Empfindungen“ der Leserinnen – so nachvollziehbar sie auch wären – können<br />

von Vormschlag jedoch nicht belegt werden, denn eine aussagekräftige Untersuchung der „Gleich-<br />

heit“-Rezeption ist unmöglich.<br />

Zumindest fand in den Elendsschilderungen jedoch ein entscheidender Hoffnungsschimmer<br />

746 Zu Ebner-Eschenbach in der „Gleichheit“ siehe: Der erste weibliche Ehrendoktor an einer deutschen Universität.<br />

In: GL, 10/ 21/ 10.10.1900/ 167.<br />

747 Vgl. Richebächer, Uns fehlt nur eine Kleinigkeit, S. 117.<br />

748 Vgl. ebd. Zum Leseverhalten von ArbeiterInnen siehe: Klucsarits/Kürbisch, Arbeiterinnen kämpfen um ihr Recht;<br />

Bertlein, Jugendleben <strong>und</strong> soziales Bildungsschicksal; Steinberg, Lesegewohnheiten deutscher Arbeiter.<br />

749 Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. 25.<br />

750 Zetkin, Kunst <strong>und</strong> Proletariat, S. 194.<br />

751 Der Parteitag zu Gotha-Siebleben. In: GL, 06/ 22/ 28.10.1896/ 169-170, S. 169.<br />

752 Ebd.<br />

753 Für eine detaillierte Untersuchung der künstlerischen Qualität sozialistischer Literatur, wie sie auch im „Gleichheit“-Feuilleton<br />

veröffentlicht wurde, siehe: Reutershan, Clara Zetkin <strong>und</strong> Brot <strong>und</strong> Rosen. Literaturpolitische<br />

Konflikte zwischen Partei <strong>und</strong> Frauenbewegung in der deutschen Vorkriegssozialdemokratie.<br />

754 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 160.<br />

220


2.4.6 FEUILLETON UND BEILAGEN<br />

Ausdruck: Proletarisches Elend hat nicht nur eine konkrete Ursache, es ist auch weder schicksal-<br />

haft noch unveränderlich. Um das Unrechtssystem im notwendigen gemeinsamen Klassenkampf<br />

zu überwinden, fehlt es lediglich an einem die proletarischen Kräfte mobilisierenden <strong>und</strong> weg-<br />

weisenden Kampfziel – an einer Utopie. 755 War die Intention des „Gleichheit“-Feuilletons<br />

einerseits, die Leserinnen von der in Groschenromanen innewohnenden „Wirklichkeitsflucht zu<br />

einer Auseinandersetzung mit den eigenen Erfahrungen“ 756 zu bewegen, so ergab sich jedoch<br />

andererseits aus seinem Gehalt an utopischer Literatur ein deutlicher Widerspruch. Tatsächlich bot<br />

auch die „Gleichheit“ Möglichkeiten der Wirklichkeitsflucht, denn in ihr wurden auch die drei<br />

bekanntesten utopischen Werke sozialistischer Intention besprochen: Nahezu allgegenwärtig das<br />

Werk Bebels „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“, Edward Bellamys „Ein Rückblick aus dem Jahr<br />

2000“ – von Zetkin persönlich zu Beginn ihrer Karriere ins Deutsche übersetzt – <strong>und</strong> schließlich<br />

„K<strong>und</strong>e von Nirgendwo“ (1890) von William Morris. 757<br />

Gerade die Anlehnung der „Gleichheit“ an Bebels sehr abstrakte Beschreibungen der ver-<br />

schiedenen Fähigkeiten <strong>und</strong> Tätigkeiten der Frauen im Sozialismus, so die Kritik Gomards, habe<br />

dazu geführt, dass auch die utopischen Anteile der „Gleichheit“ abstrakt geblieben seien. Doch<br />

nicht nur dies. Die von der „Gleichheit“ im Feuilleton angebotenen „direkten Utopien“ 758 seien<br />

noch dazu sehr langweilig gewesen. 759 Das „Gleichheit“-Feuilleton <strong>und</strong> die gesamte proletarische<br />

Literatur hätten es nicht vermocht, utopische Leitgedanken genauso konkret <strong>und</strong> vermittelbar zu<br />

gestalten wie die im Stile von Naturalismus <strong>und</strong> Realismus verfassten sozialkritischen<br />

Darstellungen der Wirklichkeit. Noch ein weiteres vermeintliches Unvermögen der „Gleichheit“<br />

lässt sich laut Vormschlag anhand ihres Feuilletons feststellen: Die „Gleichheit“ habe versucht,<br />

sich mit ihren literarischen Beiträgen „von den bürgerlich traditionellen Regeln“ 760 abzusetzen.<br />

Während Vormschlag diesen Versuch der „Gleichheit“ als gelungen erachtet <strong>und</strong> der Meinung ist,<br />

dass damit die Intention einer sozialistischen <strong>und</strong> klassenkämpferischen Zeitschrift sinnvoll<br />

755 Vgl. Gomard, Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität <strong>und</strong> Utopie, S. 40.<br />

756 Ebd., S. 40.<br />

757 Zu den utopischen Romanen in der „Gleichheit“ siehe: Nirgendwo? In: GL, 25/ 06/ 11.12.1914/ 24-29. Dieser<br />

Artikel gab eine inhaltliche Skizze des Romans <strong>und</strong> bewarb die für den günstigen Preis von 1 Mark von Wilhelm<br />

Liebknecht im Verlag J. H. W. Dietz Nachf. herausgegebene Neuausgabe. Außerdem: Bellamy, Eduard: Was die<br />

Revolution für die Frauen that. In: GL, 08/ 01/ 05.01.1898/ 4-6. Es handelte sich dabei um ein Kapitel aus<br />

Bellamys Roman „Gleichheit“ (1897), der eine Fortsetzung seines ersten Zukunftsromans darstellt. Weiterführend<br />

verweise ich auf: Behrend/Neubert-Köpsel/Lieske, Rückblick aus dem Jahr 2000 – Was haben<br />

Gesellschaftsutopien uns gebracht?.<br />

758 Gomard, Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität <strong>und</strong> Utopie, S. 41.<br />

759 vgl. ebd.<br />

760 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 109.<br />

221


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

ergänzt wurde 761 , sieht es Puschnerat als erwiesen an, dass die „Gleichheit“ mit der starken<br />

Rezeption bürgerlich klassischer Literatur sich selbst im Wege gestanden <strong>und</strong> lediglich bürger-<br />

liche Erziehungsziele <strong>und</strong> Bildungsinhalte reproduziert habe. 762 Wenn jedoch auch die obige<br />

Aufstellung literarischer AutorInnen dieses formale <strong>und</strong> inhaltliche Verhaftetsein in der bürger-<br />

lichen Literaturtradition hinreichend belegt, so braucht dies keineswegs als Einschränkung des<br />

agitatorischen Anspruchs der „Gleichheit“ interpretiert werden. Dass die „Gleichheit“ in weiten<br />

Teilen durchaus an ein bürgerliches Kulturideal anknüpfte, ist nicht zu leugnen, wird aber von<br />

kritischen WissenschaftlerInnen m. E. unzureichend reflektiert. Wenn Gomards Kritik zutrifft,<br />

dass der Literaturkanon der „Gleichheit“ tatsächlich keinerlei „alternative proletarische Ästhetik“<br />

763 bot, so stellt sich die Frage, worin die Ursachen dafür zu suchen sind? Eine originär<br />

proletarische Bildung – zumal Frauenbildung – war erst im Entstehen. Allemal galt dies auch für<br />

eine originär proletarische Kunst <strong>und</strong> Kultur. Nach Zetkins Meinung war das Proletariat vorerst<br />

gezwungen, auf den bürgerlichen Literatur- <strong>und</strong> Bildungskanon zurückzugreifen. 764 Doch auch<br />

ohne den Mangel an proletarischer Literatur hätte Zetkin ihre Definition von „Kulturfortschritt“<br />

wahrscheinlich an der Rezeption klassischer Literatur festgemacht. Dies, so stimme ich<br />

Puschnerat zu, war nun einmal ihr sicherlich durch ihre Lehrerinnenausbildung „inhaltlich <strong>und</strong><br />

ästhetisch konventionell“ 765 geprägtes Kulturverständnis, welches sie auch von der „Gleichheit“-<br />

Mitarbeiterschaft vertreten sehen wollte. War sich Zetkin der Wirkung dieses auf bürgerlichen<br />

Werten basierenden Kulturverständnisses nicht bewusst? Erkannte sie nicht, dass damit<br />

bürgerliche Erziehungsziele <strong>und</strong> Bildungsinhalte reproduziert wurden, die zu einem mächtigen<br />

Stützpfeiler des kapitalistischen Systems wurden? Der Einfluss durch die Verinnerlichung<br />

bürgerlicher Wertvorstellungen musste in seiner Wirkung auf die Proletarierinnen doch deutlich<br />

gefährlicher sein als eine offene Kooperation mit der bürgerlichen Frauenbewegung wie sie immer<br />

von ihr bekämpft wurde. 766 Zetkin strebte mit der „Gleichheit“ die kulturelle Hebung des weib-<br />

lichen Proletariats an. Darunter verstand sie die Hebung auf ein zumindest bürgerliches Niveau –<br />

auch deshalb, weil sie das Proletariat als legitimen Erben <strong>und</strong> Überwinder der marode<br />

761 Ebd.<br />

762 Vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 190.<br />

763 Gomard, Die Agitation der „Gleichheit“ als proletarische Frauenöffentlichkeit, S. 67.<br />

764 Vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 186 ff.<br />

765 Ebd., S. 193. Wie sich später noch an den in der „Gleichheit“ veröffentlichten Frauenbiographien erweisen wird,<br />

blieb Zetkin auch hinsichtlich einer Charakterisierung der kulturschaffenden Massen eher konventionell: Hier der<br />

geniale Einzelne – dort die rezipierende Masse. Ein Gedanke wie ihn der Künstler Joseph Beuys in den 80er<br />

Jahren des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts formuliert hatte – jeder Mensch ist ein Künstler – wäre Zetkin wohl sehr fremd gewesen.<br />

766 Vgl. Richebächer, Uns fehlt nur eine Kleinigkeit, S. 117 <strong>und</strong> Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong><br />

222<br />

Marxismus, S. 190.


2.4.6 FEUILLETON UND BEILAGEN<br />

gewordenen bürgerlichen Kultur betrachtete. Es musste ihr also auch legitim <strong>und</strong> förderlich<br />

erscheinen, eine originär proletarische Bildung sowohl mittels proletarischer Kunst <strong>und</strong> Literatur<br />

als auch mittels der Bezugnahme auf historische Vorgänger zu initieren. Entscheidend ist, dass die<br />

„Gleichheit“-Redakteurin hierbei keineswegs willkürlich oder wahllos vorging. Auch die Werke<br />

Schillers <strong>und</strong> Goethes, so muss selbst Puschnerat eingestehen, wurden einer Auswahl unterzogen.<br />

767 Diese Auswahl belegt, dass auch klassische Literatur durchaus in einem sozialistischen Kontext<br />

gesehen werden kann. Viele bürgerliche Literaten, wenn sie auch in ihren Werken nicht explizit<br />

sozialistische Ideale vertraten, waren Kritiker ihrer zeitgenössischen Gesellschaft. Es oblag der<br />

Redaktion der „Gleichheit“, auch in Texten, die vor jeder Industrialisierung <strong>und</strong> vor der<br />

Entwicklung der sozialistischen Theorie entstanden waren, Inhalte zu entdecken, die ihrem<br />

Bildungsauftrag förderlich sein konnten. Gomard verweist hier auf Goethes „Prometheus“ (1789),<br />

auf Texte aus den Freiheitskriegen oder aus dem Vormärz, die von der „Gleichheit“ aufgegriffen<br />

wurden. 768 Viele dieser Texte handelten von Auflehnung <strong>und</strong> Freiheitsdrang <strong>und</strong> waren unter ganz<br />

anderen materiellen <strong>und</strong> geistigen Voraussetzungen entstanden als die, welche für die pro-<br />

letarische Frauenbewegung bestimmend wurden. Sie hatten aber dennoch Aussagekraft. Mehr<br />

Aussagekraft als diejenige bürgerliche Literatur, die trotz aller enthaltener Sozialkritik meist nur<br />

„bürgerliche Mitleidsliteratur über kleine Leute“ war. Selbst wenn in der „Gleichheit“ u. a. auch<br />

solche Literatur <strong>und</strong> das „ohne die Perspektive des Klassenkampfes“ 769 vermittelt worden sei,<br />

bleibt es m. E. eine unbestreitbar große Leistung der „Gleichheit“, die für die sozialistische<br />

Bewegung relevanten Inhalte klassischer Literatur <strong>und</strong> deren Bezug zu den Fragen der Gegenwart<br />

herausgearbeitet <strong>und</strong> so eine Verbindung zur Tradition des humanistischen Erbes geschaffen zu<br />

haben.<br />

In jenem traditionsbezogenen Zusammenhang stehen auch die Biographien einzelner<br />

Persönlichkeiten, die ein besonderer Bestandteil des Feuilletons sind. Sie vermitteln historische<br />

Rückblicke, die sowohl eine gefühlsmäßige Motivation 770 der LeserInnen als auch die Ausbildung<br />

eines spezifischen Geschichtsbewusstseins intendierten. Die Analyse der geschichtlichen Ent-<br />

wicklungen – so die Botschaft des Bebel‘schen Werkes „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“ <strong>und</strong> des<br />

historischen Materialismus 771 – gab die Erklärung für ihre eigene gegenwärtige Lebenssituation.<br />

Den Einfluss dieser wiederum recht abstrakten Entwicklungsverläufe auf das alltägliche Leben<br />

767 Vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 188f.<br />

768 Gomard, Die Agitation der „Gleichheit“ als proletarische Frauenöffentlichkeit, S. 67.<br />

769 Ebd.<br />

770 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 108.<br />

771 Als aktuellste einführende Literatur zum historischen Materialismus siehe: Brosius, Strukturen der Geschichte.<br />

223


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

konnten die Lebensläufe einzelner Personen konkret aufzeigen. Die geschickte Art <strong>und</strong> Weise, wie<br />

in diese Biographien scharfe Kritik an Kapitalismus <strong>und</strong> Monarchie eingeflochten wurde, macht<br />

Vormschlag z. B. an einer Artikelserie fest, die die „Gleichheit“ 1895 zum Leben Maria Stuarts<br />

veröffentlichte. 772 Auch der führende Parteihistoriker <strong>und</strong> „Neue Zeit“-Mitarbeiter Franz Mehring<br />

habe in seinem Artikel zu Friedrich II. von Preußen 773 „die Darstellung historischer Ereignisse mit<br />

polemischen Seitenhieben gegen das Kaiserhaus“ 774 verb<strong>und</strong>en. Der Feuilletonteil der „Gleich-<br />

heit“ war damit in seiner Kombination emotionaler <strong>und</strong> wissenschaftlicher Inhalte ein nicht zu<br />

„unterschätzende[r] Faktor der Agitation <strong>und</strong> der <strong>weiblichen</strong> sozialistischen Erziehung“ 775 . Wie<br />

sehr er damit nicht nur Einfluss auf das politische Verständnis der proletarischen Frauen, sondern<br />

auch auf ihr Selbstbewusstsein nahm bzw. nehmen wollte, wird anhand der biographischen<br />

Skizzen noch ausführlicher zu behandeln sein.<br />

Mit Einführung der Beilagen 1905 hätte ein Feuilleton im Hauptblatt überflüssig erscheinen<br />

können. Die „Gleichheit“ führte es jedoch bis September 1908 auf der jeweils letzten Seite einer<br />

Nummer fort. 776 In diesem Jahr nutzte die Redaktion die Umstellung des Jahrgangsbeginns <strong>und</strong><br />

die Änderung in ein zweispaltiges Layout, um auch inhaltliche Veränderungen vorzunehmen. Das<br />

Hauptblatt enthielt von Oktober 1908 bis Juni 1917 keinerlei Feuilleton – dieses war nun komplett<br />

in die Beilagen verbannt worden. Im Juni 1917 machte die neue Redaktion diese Verbannung<br />

nicht nur sofort wieder rückgängig, sie gab dem Feuilleton sogar eine eigene Rubrikenüberschrift<br />

<strong>und</strong> setzte es wieder wie althergebracht „unter den Strich“. Wie die entsprechenden<br />

Jahrgangsverzeichnisse deutlich machen, nahm nun im Hauptblatt der „Gleichheit“ das Feuilleton<br />

einen besonders großen Raum <strong>und</strong> Stellenwert ein. 777 Die „Feuilletonisierung“ des Hauptblattes<br />

begann. Zwar ist ein gutes Feuilleton in seiner politisierenden Wirkung nicht zu unterschätzen<br />

doch in der „neuen“ „Gleichheit“ war auch diese politisierende Intention von einer besonderen<br />

Fragwürdigkeit, zielte sie doch auf eine Festigung des traditionellen Frauenbildes.<br />

Seit Juni 1917 erschienen im Feuilleton der „neuen „Gleichheit“ auch die Rubriken „Bücher-<br />

schau“, „Ges<strong>und</strong>heitswesen <strong>und</strong> „Hauswirtschaftliches“. Vor allem die „Bücherschau“ ist eine<br />

772 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 108 <strong>und</strong> Wittich, Manfred:<br />

Maria Stuart. Eine historische Skizze. In: GL, 05/ 07/ 03.04.1895/ 52-54; GL, 05/ 08/ 17.04.1895/ 60-62; GL, 05/<br />

09/ 01.05.1895/ 68-70.<br />

773 Mehring, Franz: Ein aufgeklärter Despot? In: GL, 22/ 10/ 05.02.1912/ 150-152.<br />

774 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 108.<br />

775 Ebd., S. 109.<br />

776 Vgl. GL, 15/ 01/ 11.01.1905; GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 188 <strong>und</strong> GL, 19/ 01/ 12.10.1908/ 16 (in dieser Nummer gab<br />

es erstmals keinerlei Feuilleton).<br />

777 Das Jahrgangsverzeichnis von 1919 weist sowohl für den Hauptteil als auch für das Feuilleton eine Rubrik<br />

„Gedichte“ bzw. „Gedichte <strong>und</strong> Sprüche“ auf. Allein die Artikelliste für das Feuilleton macht eine ganze Seite aus<br />

(vgl. Jahrgangsverzeichnis der „Gleichheit“, 02/ 1919/ 7).<br />

224


2.4.6 FEUILLETON UND BEILAGEN<br />

auffällige Neuerung, denn Bücherrezensionen – ob für Unterhaltungs- oder Schulungsliteratur –<br />

hatten während des Krieges nur eine geringe Rolle gespielt. Nun aber sah man, dass die neue<br />

Redaktion auch in ihrem Bücherangebot auf Unterhaltung <strong>und</strong> praktische Ratschläge für den<br />

Alltag setzte. Begriffe wie „Klassenkampf“ <strong>und</strong> „Sozialismus“ wurden seltener, verschwanden<br />

aber nicht völlig. 778<br />

Komplexität <strong>und</strong> wissenschaftliche Analyse – wie sie durchaus auch in anderen SPD-<br />

Presseorganen zu finden waren – prägten das hohe Niveau des Hauptblattes der „Gleichheit“ <strong>und</strong><br />

gaben damit Anlass zu massiver Kritik an Zetkin <strong>und</strong> ihrer Redaktion. Es standen sich zwei<br />

Interessen gegenüber: Zetkins Interesse, geschulte Funktionärinnen auszubilden, <strong>und</strong> das Interesse<br />

der Partei, möglichst viele Frauen, als „Masse“ zu organisieren. Lange zögerte Zetkin, die<br />

„Gleichheit“ nach dem Geschmack der Masse auszurichten. Doch 1904 gab sie auf der in Bremen<br />

stattfindenden sozialdemokratischen Frauenkonferenz kurz vor Schluss der Veranstaltung bekannt,<br />

der „Gleichheit“ zukünftig zwei populär gestaltete Beilagen beizugeben. 779 Ab Januar 1905 wurde<br />

der unterhaltende Anteil der „Gleichheit“ durch eine Frauenbeilage <strong>und</strong> die Beilage „Für unsere<br />

Kinder“ vergrößert. Beide Beilagen umfassten zu Beginn vier Seiten. 780 Ihre Funktion für die<br />

geschlechtsspezifische Bildung der „Gleichheit“-Leserinnen – vor allem der Frauenbeilage – wird<br />

in der Forschungsliteratur sehr unterschiedlich beurteilt. 781 Zetkin sah in ihnen eine Ergänzung im<br />

Sinne der allgemeinen Interessen der Proletarierin. Diese sollte in der „Gleichheit“ nun nicht mehr<br />

„bloß die treue Beraterin für ihre Beteiligung a m Befreiungskampf<br />

ihrer K lasse finden, sondern auch für ihre allseitige S elbstbildung<br />

<strong>und</strong> besseren Erfüllung der P flichten als H ausfrau <strong>und</strong> M ut -<br />

ter.“ 782<br />

Es galt das „allgemeine Bildungsniveau der proletarischen Frau <strong>und</strong> ihre Leistungsfähigkeit im<br />

häuslichen Kreise [zu] heben.“ 783 Zetkin betonte zwar außerdem, dass sich dadurch der Charakter<br />

778 Um dieses veränderte Selbstverständnis einer SPD-Frauenzeitschrift <strong>und</strong> ihre Auffassung von einem neuen<br />

Sozialismus zu ergründen, müsste die „neue“ „Gleichheit“ einer umfangreicheren Inhaltsanalyse unterzogen<br />

werden, was in der vorliegenden Dissertation aus Platzgründen nicht der Fall sein kann.<br />

779 Vgl. Zetkin im Bericht über die 3. sozialdemokratische Frauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages<br />

Bremen 1904, S. 373.<br />

780 Ab 1907 wurde der Umfang der Beilage „Für unsere Kinder“, ohne dass eine Preissteigerung damit einher ging,<br />

verdoppelt. Dies sollte den Genossinnen „ein Ansporn sein, noch reger als bisher für die ‘Gleichheit’ zu agitieren“<br />

(Zur Beachtung. In: GL, 17/ 02/ 23.01.1907/ 9).<br />

781 Beispiele einer positiven Wertung sind vor allem die Arbeiten aus der DDR (Schulze, Die proletarische Mutter als<br />

sozialistische Erzieherin; Koch, Die Verwirklichung sozialistischer Kindererziehung mit Hilfe der ersten<br />

deutschen proletarischen Kinderzeitschrift „Für unsere Kinder“ (1905-1917)), die, unabhängig ihrer einseitigen<br />

Wertung, besonders detaillierte Auswertungen der Beilagen bieten.<br />

782 Was wir wollen. An unsere Leser, an unsere Mitarbeiter. In: GL, 14/ 25/ 30.11.1904/ 194.<br />

783 Ebd.<br />

225


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

der „Gleichheit“ nicht verändern werde, aber die tief gehende Veränderung im Selbstverständnis<br />

der „Gleichheit“ war unübersehbar. Zetkin bot mit den Beilagen außerdem heimlichen Sym-<br />

pathisantinnen der proletarischen Frauenbewegung eine redaktionelle „Nische“ <strong>und</strong> forderte<br />

öffentlich zur Mitarbeit auf. 784 Dies legt die Vermutung nahe, dass Zetkin die Gefahr der „Ver-<br />

wässerung“, die von der Mitarbeit theoretisch ungebildeter, d.h. bürgerlicher Personen ausging,<br />

für den unterhaltenden Teil als sehr gering erachtete. Die neue Zielsetzung war aber auch ein<br />

Zugeständnis an die Furcht der Männer, die Frauen könnten ihren Familien <strong>und</strong> ihren geschlechts-<br />

spezifischen Rollen entfremdet werden. In diesem Sinne begrüßte zumindest Bebel die neue<br />

Marschroute der „Gleichheit“:<br />

„Indem sie sich der Aufgabe widmet, die proletarische Frau zu unterrichten, wie sie<br />

am besten mit ihren schwachen materiellen Mitteln ihre Häuslichkeit sich, dem<br />

Manne <strong>und</strong> ihren Kindern nach Möglichkeit angenehm, behaglich <strong>und</strong> nützlich<br />

gestalten <strong>und</strong> ein Heim schaffen kann, in dem Mann <strong>und</strong> Frau gemeinsam arbeiten<br />

für das eigene <strong>und</strong> das allgemeine Wohl, will sie im weiteren der Erziehung der<br />

Kinder ihre besondere Aufmerksamkeit zuwenden <strong>und</strong> hier ebenfalls die Proletarierin<br />

lehren, wie sie diese am besten zu tüchtigen Menschen, zu tapferen,<br />

charakterfesten Kämpfern der Zukunft heranbilden kann.“ 785<br />

Bebel sah, indem die „Gleichheit“ sich nun auch der Proletarierin als Hausfrau <strong>und</strong> Mutter<br />

annahm, endlich eine Wissenslücke geschlossen. Zwar betonte er den partnerschaftlichen Charak-<br />

ter einer Ehe, aber in seiner Äußerung spiegelte sich auch die althergebrachte Meinung wider,<br />

dass es immer noch vornehmlich die Frau zu sein habe, die ihr individuelles Wohl mit dem der<br />

Familie <strong>und</strong> der Allgemeinheit identifiziert. Noch im ersten Erscheinungsjahr der Beilagen re-<br />

sümierte Baader, dass durch sie die „Gleichheit“ für die Leserinnen „geradezu unentbehrlich<br />

geworden“ 786 sei, da hier die Klassenkämpferin wie auch die Hausfrau <strong>und</strong> Mutter Beratung <strong>und</strong><br />

„allseitige Selbstbildung“ 787 finden könne. Heute geht Puschnerat sogar so weit, ihnen – da sie<br />

neben Unterhaltung auch Ratgeberliteratur für Familienleben <strong>und</strong> Haushaltsführung boten – einen<br />

„zivilisatorisch-modernisierenden Anspruch” 788 zuzuschreiben.<br />

784 Vgl. Was wir wollen. An unsere Leser, an unsere Mitarbeiter. In: GL, 14/ 25/ 194/ 30.11.1904. Zetkin hatte<br />

Verständnis für die Probleme bürgerlicher „‘Überläufer’“. Sie erlitten „ein Verzichten auf liebe Gewohnheiten,<br />

eine Hinopferung der teuersten Neigungen, den Bruch alter Fre<strong>und</strong>schaften, vielleicht das Verlassen von Vater <strong>und</strong><br />

Mutter, die Entzweiung mit Brüdern <strong>und</strong> Schwestern. Ein Einsamer <strong>und</strong> Unbegriffener steht der ‘Überläufer’ aus<br />

bürgerlicher Welt vielfach inmitten der Kampfesgenossen; fremd <strong>und</strong> daheim zugleich im Tal der besitzenden<br />

Welt, mit der ihn Erziehung <strong>und</strong> Lebensgewohnheiten verknüpfen; fremd <strong>und</strong> daheim zugleich auf den Höhen des<br />

Proletariats, dem ihn die Überzeugung in fester Gemeinschaft zugesellt.“ (Zetkin, Der Student <strong>und</strong> das Weib,<br />

S. 29).<br />

785 Bebel, August: Das Banner hoch! In: GL, 15/ 01/ 11.01.1905/ 1.<br />

786 Baader, Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands, Jena 1905, S. 68.<br />

787 Ebd.<br />

788 Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 171. Indem Puschnerat die „Gleichheit“-Beilagen<br />

betont als „familien- <strong>und</strong> frauenbezogenen“ charakterisiert, scheint sie das Hauptblatt nicht als „frauenbezogen“<br />

zu sehen.<br />

226


2.4.6 FEUILLETON UND BEILAGEN<br />

Im Titelkopf der „Gleichheit“ wurden die Beilagen interessanterweise erst im Mai 1906 angeführt.<br />

Es hieß dort schlicht: „Mit den Beilagen: Für unsere Kinder <strong>und</strong> Frauen-Beilage“ 789 . Für Ida Alt-<br />

mann (1862-1935) 790 war dies ein unzulässiger Zustand. Sie stellte auf dem Parteitag 1906 in<br />

Mannheim den Antrag, den „für die Beilage der Arbeiterinnenzeitung der Partei unpassende[n], ja<br />

unsinnige[n] Titel ‘Frauenbeilage’“ 791 abzuändern. Es sollte stattdessen ein Titel gewählt<br />

werden, der den „hauswirtschaftliche[n] Inhalt oder die Hausfrauentätigkeit beton[e]“ 792 . Laut<br />

Protokoll wurde dieser Antrag zwar nicht unterstützt 793 , ab 1907 erschien die Beilage aber unter<br />

dem neuen Titel „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“. 794<br />

Ab Oktober 1908 wurden die Beilagen nicht mehr im Wechsel, sondern – wie bereits an anderer<br />

Stelle beschrieben – beide gemeinsam der „Gleichheit“ beigelegt.<br />

Vormschlag unterscheidet unter besonderer Berücksichtigung der „Gleichheit“-Beilagen vier<br />

Spielarten ideologisch geb<strong>und</strong>ener Frauenzeitschriften:<br />

„I. Politisch-agitatorische Zeitschriften, die sich zwar an die Frau wenden, aber nur<br />

eine bestimmte Funktionärsschicht im Auge haben <strong>und</strong> insofern auf eine<br />

spezielle Aufbereitung des Stoffes für die ungeschulte Frau verzichten (Die<br />

‘Gleichheit’ bis 1905 <strong>und</strong> ‘Kommunistin’).<br />

II. Politisch-agitatorische Zeitschriften, welche auch die Schulung eines noch<br />

weitgehend unpolitischen Publikums beabsichtigen <strong>und</strong> in der Hoffnung auf<br />

größeren Erfolg spezielle Frauenthemen mit einflechten, meist in Form einer<br />

Beilage <strong>und</strong> eines Unterhaltungsteils (‘Gleichheit’ von 1905 bis 1917).<br />

III. Mitteilungsblätter einer Organisation für die <strong>weiblichen</strong> Mitglieder (‘Gewerkschaftliche<br />

Frauenzeitung’).<br />

IV. Frauenzeitschriften, in denen die politische Schulung an Hand des speziellen<br />

789 Vgl. GL, 16/ 10/ 16.05.1906/ 63 (Titelblatt).<br />

790 Ida Altmann wurde im ostpreußischen Obscherninken geboren. Ihre Eltern waren jüdischen Glaubens, sie selbst<br />

wurde in den 1890er Jahren Jugendlehrerin in einer freireligiösen Gemeinde in Berlin. Nach Besuch der<br />

städtischen Höheren Töchterschule in Elbing bestand sie 1881 in Königsberg das Examen für Lehrerinnen für<br />

Volks- <strong>und</strong> Höhere Mädchenschulen. Sie arbeitete als Hauslehrerin in St. Petersburg, reiste viel, schrieb Gedichte<br />

<strong>und</strong> Erzählungen. 1890 siedelte Altmann nach Berlin um <strong>und</strong> engagierte sich in der SPD, womit ihr eine staatliche<br />

Anstellung als Lehrerin verwehrt war. 1895 wurde sie, weil sie ein Vortragsverbot ignoriert hatte, zu einer<br />

Haftstrafe verurteilt. Sie wurde die erste besoldetet Sekretärin des Gewerkschaftlichen Arbeiterinnensekretariats<br />

<strong>und</strong> eine bekannte SPD-Agitatorin. 1900-1912 arbeitete Altmann als Sekretärin für Deutschland im<br />

Internationalen Freidenkerb<strong>und</strong> <strong>und</strong> gleichzeitig als Schriftführerin im Vorstand der Freireligiösen Gemeinde<br />

Berlin. Ihre Heirat 1912 mit dem russischen Ingenieur-Chemiker Iegor Bronn <strong>und</strong> ihr Umzug ins Elsass beendeten<br />

ihre politische, aber nicht ihre schriftstellerische Tätigkeit. Auch ihre Rückkehr 1919 nach Berlin führte zu keinem<br />

neuerlichen politischen Engagement. Unter dem Doppelnamen Altmann-Bronn veröffentlichte sie in der<br />

„Gleichheit“ u. a. die Artikelserie „Erlöser Sozialismus“ (GL, 30/ 19/ 08.05.1920/ 146-148 bis GL, 30/ 30/<br />

24.07.1920/246-247) <strong>und</strong> mehrere Agitationsberichte (vgl. GL, 11/ 08/ 10.04.1901 <strong>und</strong> GL, 12/ 04/ 12.02.1902/<br />

29 – letzterer mit ††† gezeichnet).<br />

791 Antrag Nr. 44 im Protokoll des SPD-Parteitages Mannheim 1906, S. 113.<br />

792 Ebd.<br />

793 Protokoll des SPD-Parteitages Mannheim 1906, S. 381.<br />

794 Vgl. GL, 17/ 01/ 09.01.1907/ 1 (Titelblatt).<br />

227


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Katalogs von Frauenthemen entwickelt werden soll (die ‘Schaffende Frau’ <strong>und</strong><br />

die ‘Frauenwelt’).“ 795<br />

Die ersten drei Typen sind nach Vormschlag keine Frauenzeitschriften im eigentlichen traditio-<br />

nellen Sinne, weil sie als quasi „Politische Blätter für die Frau“ versuchen, deren Interesse für den<br />

außerhäuslichen Bereich zu wecken. Der vierte Typ sei „vom Inhalt her als Frauenzeitschrift zu<br />

bezeichnen, während die anderen Organe nur im Hinblick auf den intendierten Leserkreis dazu<br />

rechnen“ 796 .<br />

Auffällig sei, dass für die Finanzierung der ersten drei Typen in der Regel weniger Aufwand be-<br />

trieben wurde:<br />

„Sobald die Tradition einer Frauenzeitschrift übernommen wird, verbessert sich die<br />

Ausstattung des Organs. An die Stelle der Zeitungsform tritt das geb<strong>und</strong>ene Heft<br />

mit festem Einband <strong>und</strong> wechselndem Titelbild, Umfang <strong>und</strong> Bildanteil wachsen.“<br />

797<br />

Inwieweit dies auch für die frühen wie die späteren Beilagen der „Gleichheit“ gilt, konnte für<br />

diese Dissertation nicht untersucht werden. Zumindest spricht die Entscheidung, ab Oktober 1908<br />

die beiden Beilagen „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ <strong>und</strong> „Für unsere Kinder“ der<br />

„Gleichheit“ nicht mehr im Wechsel, sondern gemeinsam beizufügen, für einen nicht<br />

unerheblichen finanziellen Aufwand – <strong>und</strong> damit für Vormschlags These.<br />

Im Juni 1917 stellte die neue Redaktion das Erscheinen der Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong><br />

Hausfrauen“ ein. 798 Die Beilage „Für unsere Kinder“ erschien zwar weiter, wurde jedoch im<br />

Februar 1922 durch die Beilage „Kinderland“ ersetzt. 799 Ab Juni 1919 erhielten die „Gleichheit“-<br />

Leserinnen vierzehntäglich die neue Frauenzeitschrift „Die Frau <strong>und</strong> ihr Haus“. 800 Juchacz<br />

bezeichnete diese Beilage als „Frauenkulturzeitschrift“ 801 . Sie sollte den Frauen „in ihrer Häus-<br />

lichkeit praktisch zur Hand“ 802 gehen. Dies beinhaltete Ratschläge zur „Anfertigung praktisch-<br />

künstlerischer Frauenkleidung“ <strong>und</strong> die Beschäftigung „mit allen Fragen des Haushaltes <strong>und</strong> der<br />

Kinderpflege“ 803 . Die von Elisabeth Röhl <strong>und</strong> Else Wirminghaus redigierte „Die Frau <strong>und</strong> ihr<br />

795 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 167.<br />

796 Ebd.<br />

797 Ebd., S. 168.<br />

798 Vgl. GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 117. Im Titelkopf wird die Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ nicht mehr<br />

aufgeführt.<br />

799 Vgl. GL, 32/ 03/ 01.02.1922/ 21.<br />

800 Vgl. GL, 29/ 19/ 20.06.1919/ 145 (Titelkopf).<br />

801 Juchacz im Protokoll des SPD-Parteitages Weimar 1919, S. 309.<br />

802 An die Leserinnen der „Gleichheit“. In: GL, 29/ 18/ 06.06.1919/ 137.<br />

803 Ebd.<br />

228


2.4.6 FEUILLETON UND BEILAGEN<br />

Haus“ trug den bezeichnenden Untertitel „Zeitschrift für Kleidung, Ges<strong>und</strong>heit, Körperpflege <strong>und</strong><br />

Wohnungsfragen“ <strong>und</strong> war angefüllt mit idyllischen Skizzen eines proletarischen Familienalltags,<br />

Ges<strong>und</strong>heitstipps, Liedern mit Notenbild, Gedichten, kurzen politischen Statements bekannter<br />

Frauen wie Selma Lagerlöf oder Ricarda Huch, Bücherschauen, Werbung, Kinderspielen, Tipps<br />

zur Wohnungseinrichtung <strong>und</strong> Beschreibungen ländlicher Traditionen <strong>und</strong> Trachten. Auffällig ist<br />

die Vielzahl von Schnittmustern für Arbeits- <strong>und</strong> Freizeitkleidung, Aussteuer <strong>und</strong> Umstandsmode.<br />

Der Unterschied zur Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ lag demnach in der noch<br />

stärkeren Hervorhebung des <strong>weiblichen</strong> Stereotyps. Damit verb<strong>und</strong>en war die unwillkürliche<br />

Zuordnung von Haushalt <strong>und</strong> Erziehung zum Tätigkeitsbereich der Frau.<br />

Bereits im April 1922 wurde „Die Frau <strong>und</strong> ihr Haus“ der „Gleichheit“ nicht mehr beigelegt. 804<br />

Sie war allerdings nicht eingestellt worden, sondern konnte unabhängig von einem „Gleichheit“-<br />

Abonnement auch weiterhin „zu dem Vorzugspreis von 6 Mk. vierteljährlich direkt“ 805 vom<br />

Verlag G. Braun in Karlsruhe oder für 7,50 Mark per Post <strong>und</strong> Buchhandlung bezogen werden.<br />

Hinter der von Helene Grünberg auf der 6. sozialdemokratischen Frauenkonferenz 1911 in Jena<br />

aufgestellten These, dass nur die Kinderbeilage die „Gleichheit“ beliebt gemacht habe 806 , verbarg<br />

sich eine Kritik an dem hohen theoretischen Niveau des Hauptblattes unter der Redaktion Zetkins.<br />

Unabhängig von dem quantitativen Erfolg, den die „Gleichheit“ unbestreitbar dadurch hatte, dass<br />

sie mittels populär gestalteter Beilagen Einlass in die proletarischen Haushalte fand, war ihr<br />

Konzept insgesamt ein sehr erfolgreiches. Alles in allem sind die Beilagen als eine gelungene<br />

Lösung für jenes Problem zu betrachten, sowohl anspruchsvolle politische Bildung als auch<br />

massenwirksame Agitation <strong>und</strong> Aufklärung betreiben zu können. Vormschlags Meinung nach<br />

setzte die „Gleichheit“ neue Prioritäten, indem sie „mittels guter Lektüre“ 807 nicht mehr nur eine<br />

große Verbreitung unter den Arbeiterinnen erreichen wollte, sondern auch deren schöngeistige<br />

Bildung. 808 Dieser Charakter einer Konzeptergänzung erlaubt es, die „Gleichheit“-Beilagen<br />

durchaus differenzierter zu betrachten als es so manche wissenschaftliche Analyse bisher tat.<br />

Hinzu kommt, dass ihr unterhaltender Inhalt nicht ohne weiteres als unpolitisch abgetan werden<br />

sollte. Auch hier galt wie für das Feuilleton, dass die Redaktion der Beilagen – Zetkin, Duncker<br />

804 Vgl. GL, 32/ 08/ 15.04.1922. Nr. 7 des 32. Jahrgangs ist im eingesehenen Archivbestand nicht vorhanden, so das<br />

nur festgestellt werden konnte, dass die Beilage in Nr. 8 nicht mehr beigefügt war.<br />

805 Röhl, Elisabeth: Den Leserinnen der „Gleichheit“. In: GL, 32/ 11/ 01.06.1922/ 107. Die „Frau <strong>und</strong> ihr Haus“<br />

erschien zumindest bis 1936 (vgl. Roecken, Else Wirminghaus, S. 181). Die ZDB gibt als Erscheinungszeitraum<br />

1918/19-1938[?] an.<br />

806 Vgl. die gesamte Debatte in verkürzter Form in Handbuch der sozialdemokratischen Parteitage von 1910 bis 1913,<br />

S. 181-183.<br />

807 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 109.<br />

808 Vgl. ebd.<br />

229


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

<strong>und</strong> Selinger – großen Wert auf das Niveau legten <strong>und</strong> Unterhaltung nie der Unterhaltung willen<br />

geboten wurde. Genauso wie die Erzählungen, Rätsel <strong>und</strong> Gedichte vermittelten auch die<br />

Ratschläge für Haushalt <strong>und</strong> Familie eine Orientierung an sozialistischen Idealen. Selbst die Kin-<br />

derbeilage „Für unsere Kinder“ kann durchaus unter dem Aspekt politischer Bewusstseinsbildung<br />

gesehen werden, denn die Erziehung proletarischer Kinder entschied über die Klassen-<br />

kämpfergenerationen der Zukunft.<br />

Deshalb ist m. E. Freier in zweierlei Hinsicht zu widersprechen: Die Beilagen stellten keine<br />

Verlagerung des Schwerpunktes von politischen Fragen zur Unterhaltung dar 809 <strong>und</strong> auch der<br />

Bruch zwischen Hauptblatt <strong>und</strong> Beilage erscheint mir nicht so „eklatant“ 810 wie von ihr beschrie-<br />

ben. Die Beilagen waren ein Kompromiss. Sie waren keine reinen „Unterhaltungsbeilagen“ 811 <strong>und</strong><br />

auch nur bedingt eine Annäherung an die Konzepte bürgerlicher Frauenzeitschriften. Sie<br />

bemühten sich vielmehr immer noch um die Vertretung originär proletarischer Interessen – in<br />

theoretischer <strong>und</strong> praktischer Form.<br />

Anders ist das von Vormschlag nach dem Redaktionswechsel 1917 diagnostizierte „verhängnis-<br />

voll“ 812 überhöhte Bild des Mütterlichen <strong>und</strong> Fraulichen zu beurteilen. Dieses bestimmte nun statt<br />

politischer Bildung den Inhalt des Feuilletons in Hauptteil <strong>und</strong> Beilagen. Die damit einhergehende<br />

„Entpolitisierung“ habe der SPD-Parteivorstand Bohm-Schuch sogar offen zum Vorwurf gemacht.<br />

813 Ausschlaggebend für einen solchen Vorwurf dürften die schlechten Ergebnisse der Reichstags-<br />

wahl gewesen sein. 814<br />

Der Medienhistoriker Wilmont Haacke konstatiert in seinem Gr<strong>und</strong>lagenwerk zur politischen<br />

Zeitschrift, dass, je feuilletonistischer eine Frauenzeitschrift redigiert würde, desto höher steige<br />

ihre Auflage, desto unpolitischer jedoch seien auch die in ihr enthaltenen Botschaften. Ersteres<br />

traf im Falle der neuen „Gleichheit“ absolut nicht zu. Die Zahlen sanken fast unaufhörlich, weil<br />

auch das Parteiblatt „Die Gleichheit“ nicht von der allgemein schlechten Wirtschaftslage ver-<br />

schont blieb. Letzteres erläutert Haacke etwas näher: Durch das Übergewicht an kulturellen<br />

Inhalten impliziere „die Feuilletonisierung eines Blattes gleichzeitig den Mangel an direkter<br />

politischer <strong>und</strong> wirtschaftlicher Unterrichtung der Frau“ 815 . Mit dem Begriff „Feuilletonisierung“<br />

809 Vgl. Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. 26.<br />

810 Ebd., S. 22.<br />

811 Graf, J. H. W. Dietz 1843-1922 – Verleger der Sozialdemokratie, S. 212.<br />

812 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 112.<br />

813 Vgl., ebd., S. 77.<br />

814 Zum Wahlverhalten weiblicher Wählerinnen bzw. zum Leitbild der Republikanerin siehe: Kapitel 4.5.<br />

815 Haacke, Die politische Zeitschrift, Bd. 1, S. 19f.<br />

230


2.4.6 FEUILLETON UND BEILAGEN<br />

wird also die „Gefahr“ umschrieben, dass die Form den Inhalt dominiert. Im Falle der meisten<br />

Frauenzeitschriften war dies das Sentimentale oder Triviale. „Feuilletonisierung“ nach Haacke<br />

beschreibt demnach genau das Gegenteil von dem, was dem Feuilleton des „Gleichheit“-<br />

Hauptblattes vorgeworfen wurde. Hier habe der tendenziöse Inhalt immer die Form bestimmt <strong>und</strong><br />

damit auch das Niveau einer ästhetischen Bildung beeinträchtigt. Es ist dagegen die bereits<br />

erwähnte These Vormschlags zu unterstützen, dass durchaus politische Bildung in einem<br />

Feuilleton gegeben ist – dass sie jedoch in einer anderen, sublimeren Form geboten wird. Es ist<br />

sogar anzunehmen, dass dieses Format auf Dauer erfolgreicher ist, da die politische Meinungs-<br />

bildung, die an die unmittelbaren Alltagsfragen <strong>und</strong> Lebenserfahrungen der Frauen anknüpft, mit<br />

weniger Vorbehalten wird rechnen müssen als eine bloße Agitation über Fragen der Theorie. Gab<br />

Zetkin noch „ein Beispiel dafür, wie Unterhaltung <strong>und</strong> Schulung in einem sozialistischen<br />

Frauenorgan verb<strong>und</strong>en werden können“ 816 , so nahm diese besondere Qualität unter den Nach-<br />

folgeredaktionen merklich ab.<br />

816 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 111.<br />

231


2.5 Kein Blatt der Massen?!<br />

– Zur Frage der Rezeption der „Gleichheit“<br />

Es sind vor allem konkrete Meinungsäußerungen von Leserinnen oder aber die Zahl der<br />

Abonnements, die für eine Rezeptionsanalyse einer Zeitschrift herangezogen werden können.<br />

Beide sind in ihrer Aussagekraft aber sehr fragwürdig.<br />

Können Leserinnenbriefe als konkrete Meinungsäußerungen zur Klärung der Rezeptionsfrage<br />

beitragen? Im Falle der „Gleichheit“ stellt sich als erstes Problem, dass nur wenige solcher<br />

Briefe veröffentlicht wurden. Eine eigene Rubrik, ein „Briefkasten“ oder „Eingesandtes“ wie in<br />

anderen Zeitschriften gab es nicht. Kritikerinnen sind der Meinung, dass das Fehlen solcher<br />

Briefe gr<strong>und</strong>sätzlich auf Zetkins Redaktionsstil – autoritär <strong>und</strong> arrogant – zurückzuführen sei.<br />

Er habe den Leserinnen die Lust genommen, die „Gleichheit“ als Forum für ihre Diskussionen<br />

zu nutzen. 817 Ganz „gewöhnliche“ 818 Leserinnen, so Gomard, seien „nur vereinzelt zu Wort“ 819<br />

gekommen. Anders dagegen die Information, die die Arbeitsgemeinschaft „Geschichte des<br />

Klassenkampfes der deutschen Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“ am Pädagogischen<br />

Institut Leipzig gibt <strong>und</strong> durch die Berichte Baaders Bestätigung findet:<br />

„Die Arbeiterinnen billigten nicht nur die Schreibweise der ‘Gleichheit’, sie<br />

arbeiteten selbst mit, die ‘Gleichheit’ zu einem kollektiven revolutionären<br />

Frauenorgan zu entwickeln.“ 820<br />

Zudem habe Zetkin „in einer einfachen, ansprechenden Sprache“ 821 geschrieben. Dass sie<br />

„dabei wie selbstverständlich ein gewisses Maß an Wissen <strong>und</strong> Bildung voraus[setzte]“ 822 , so<br />

die Einschätzung der Arbeitsgemeinschaft, habe ihre Leserinnen sogar angespornt, sich selbst<br />

fortzubilden. So habe sich die Wirksamkeit der „Gleichheit“ ständig erweitert. 823<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich ist aber in Frage zu stellen, ob sich an Leserinnenbriefen tatsächlich auch<br />

Leserinnenmeinungen, -reaktionen <strong>und</strong> -emotionen festmachen lassen – gingen doch auch sie<br />

erst durch die Hände der Redaktion. Reagierte die Redaktion wirklich auf reale Wünsche der<br />

Leserinnen – wie es z. B. in der „Gleichheit“ <strong>und</strong> auf dem Parteitag 1904 in Bremen für die<br />

Einrichtung der Beilagen behauptet wurde? Oder waren auch solche geschickt als<br />

817 Vgl. Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 42. Diese Einschätzung ist zu überprüfen.<br />

Diejenige Puschnerats, dass Zetkins sehr autoritärer Redaktionsstil dafür verantwortlich zu machen sei,<br />

dass die „Gleichheit“ verhältnismäßig wenige Leserinnen gehabt habe, ist jedoch angesichts des Zahlenmaterials<br />

vollkommen haltlos (vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 86.).<br />

818 Gomard, Die Agitation der „Gleichheit“ als proletarische Frauenöffentlichkeit, S. 71.<br />

819 Ebd.<br />

820 Um eine ganze Epoche voraus, S. 33.<br />

821 Ebd.<br />

822 Ebd.<br />

823 Ebd.<br />

233


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Leserinnenmeinungen formulierte Veränderungen lediglich Ausdruck einer von offizieller Seite<br />

produzierten „Idealdefinition proletarischer Frauenöffentlichkeit“ 824 ? Ohne authentische Belege ist<br />

zwar die Intention sozialistischer Frauenagitation analysierbar, jedoch nicht ihre Wirkung.<br />

Auch Gomard schreibt den Mangel an Zeugnissen zur Leserinnenmeinung der „Gleichheit“ selbst<br />

zu:<br />

„Ob die Leserinnen […] vielleicht […] einige Vorbehalte gegen ‘Die Gleichheit’<br />

entwickelten oder ob sie mit der Art <strong>und</strong> Weise, wie ‘Die Gleichheit’ ihre<br />

Interessen vertrat, zufrieden waren, das können wir nicht wissen, denn eins fehlte<br />

in den sehr inhaltsreichen Spalten der ‘Gleichheit’: die freie, offene Debatte.“ 825<br />

In ähnlicher Weise wie die meisten Forschungsarbeiten die „Artikelduelle“ mit Fürth <strong>und</strong> Braun<br />

hervorheben, um Zetkins Streitsucht zu belegen, kritisiert Gomard, dass durch dieses Verhalten<br />

Zetkins innerhalb der „Gleichheit“ keine ordentliche Diskussion über ihre eigenen Ziele <strong>und</strong> Me-<br />

thoden möglich gewesen sei. 826 Stattdessen sei die „Gleichheit“ insgesamt als „proletarische<br />

Frauenöffentlichkeit ‘von oben’“ 827 anzusehen. Kinnebrock ist ganz anderer Meinung, denn sie<br />

schreibt, dass in der „Gleichheit“ lebhaft über die Ziele <strong>und</strong> Vorgehensweisen der Frauenbewe-<br />

gung gestritten wurde <strong>und</strong> auch die inhaltlichen Differenzen ihren Teil dazu beitrugen. Allerdings<br />

bemerkt auch sie, dass die „Gleichheit“<br />

„in der Freiheit, Diskussionen zuzulassen <strong>und</strong> dabei tatsächlich neue Ideen zu<br />

entwickeln, insofern eingeschränkt [war], als ihre Herausgeberin penibel darauf<br />

achtete, jegliches Zeitgeschehen im Rahmen des orthodoxen Marxismus zu interpretieren“.<br />

828<br />

Damit sieht Kinnebrock noch keine Einschränkung der thematischen Vielfalt gegeben, jedoch sei<br />

„der Rahmen für divergierende Deutungen <strong>und</strong> Meinungen […] eng gesteckt“ 829 gewesen.<br />

Tatsächlich war Zetkin in diesem Punkt gewiss keineswegs demokratisch im heutigen Sinne. Je-<br />

doch hatte sie gute Gründe, so zu verfahren. Sie hielt die indifferenten Leserinnen für leicht<br />

beeinflussbar <strong>und</strong> wollte deshalb schon aus Prinzip den Meinungen anderer nicht zu viel Raum<br />

geben. Dieses Redaktionsgebaren erscheint allen demokratisch gesinnten Menschen als ungeheu-<br />

erliche Bevorm<strong>und</strong>ung – anscheinend jedoch nur im Falle Zetkins. Tatsache aber ist, dass jede<br />

Redaktion – damals wie heute – sich das Recht herausnimmt, Artikel, Zuschriften <strong>und</strong> LeserIn-<br />

nenbriefe abzulehnen oder zu redigieren. Welches Statut verfügt darüber, dass Zetkin jeden<br />

824 Vgl. Gomard, Die Agitation der „Gleichheit“ als proletarische Frauenöffentlichkeit, S. 65.<br />

825 Gomard, Die Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität <strong>und</strong> Utopie, S. 45.<br />

826 Vgl. Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 42.<br />

827 Gomard, Die Agitation der „Gleichheit“ als proletarische Frauenöffentlichkeit, S. 71 (vgl. auch: Gomard, Die<br />

sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 42).<br />

828 Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 158.<br />

829 Ebd.<br />

234


2.5 KEIN BLATT DER MASSEN?! – ZUR FRAGE DER REZEPTION DER „GLEICHHEIT“<br />

kontroversen Artikel hätte veröffentlichen müssen? Keines. Unleugbar ist jedoch, dass sie viele<br />

Artikel, deren Meinung sie nicht vertrat, trotzdem publizierte, um sie im Kreise der Leserinnen<br />

diskutieren zu lassen. Unleugbar ist auch, das Zetkin in diesen Diskussionen kein Blatt vor den<br />

M<strong>und</strong> nahm <strong>und</strong> ihren Vorteil nutzte, in jedem Falle das letzte Wort zu haben. Gerade hinsichtlich<br />

der heftigen Auseinandersetzung mit den Vorschlägen Brauns wird jedoch selten erwähnt, dass es<br />

nicht allein Zetkin war, die Kritik übte. Mehrere Frauen waren an der Diskussion beteiligt <strong>und</strong><br />

äußerten sich zu den Vorschlägen ähnlich kritisch wie Zetkin. Auch jene Briefe anders denkender<br />

SPD-Frauenvereine, die Zetkins gr<strong>und</strong>sätzliche Haltung gegen den Krieg <strong>und</strong> gegen den kriegs-<br />

befürwortenden Parteivorstand kritisierten, sind Zeugnis dafür, dass Zetkin die „Gleichheit“ nicht<br />

so einseitig redigierte, wie von ihren KritikerInnen stets behauptet.<br />

Die Kritik an Zetkins Umgang mit anderen Meinungen macht sich m. E. vornehmlich an ihrer Po-<br />

lemik fest. Über diese wird vergessen, dass auch die nachfolgenden „Gleichheit“-Redakteurinnen<br />

eine Redaktionspolitik betrieben, die auf ihre Leserinnen vor allem eine einigende Wirkung haben<br />

sollte. Daher war es nicht zu erwarten, dass die „neue“ „Gleichheit“ aus einer demokratischen<br />

Gesinnung heraus Artikel von USPD-Anhängerinnen veröffentlichte. Ihre innere Demokratie<br />

jedoch wollte die Redaktion der „Gleichheit“ unter Juchacz bewusst fördern, indem eine neue<br />

Rubrik „Freie Aussprache“ eingeführt wurde. Da jedoch kaum entsprechende Artikel eingesandt<br />

wurden, lief dieser Versuch ins Leere. Ein in dieser Rubrik veröffentlichter Artikel gibt eine<br />

hinsichtlich der Rezeption <strong>und</strong> der Bedeutung der „Gleichheit“ für ihre Leserinnen sehr<br />

interessante Einschätzung wider. Berta Marckwald (?-?) 830 machte darin angesichts der finan-<br />

ziellen Misere der „neuen“ „Gleichheit“ den Vorschlag, dass diese „künftig nicht mehr gratis an<br />

die Genossinnen abgegeben werden soll[e]“ 831 . Ihrer Meinung nach könnte dieses Opfer den<br />

Genossinnen durchaus zugemutet werden:<br />

„Wer die ‘Gleichheit’ liest, ist gern bereit, sein Scherflein dafür zu entrichten. […]<br />

Auf Gr<strong>und</strong> meiner langjährigen praktischen Erfahrung in der Kleinarbeit im Osten<br />

weiß ich, daß dort alle Genossinnen auch stets Abonnentinnen der ‘Gleichheit’<br />

waren. Manche Frauen, die sich noch nicht gleich entschließen konnten, Mitglied<br />

der Partei zu werden, abonnierten jedoch die ‘Gleichheit’ <strong>und</strong> wurden durch das<br />

830 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu Berta<br />

Marckwald. Vermutlich stand sie in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zu dem sozialdemokratischen<br />

Redakteur <strong>und</strong> preußischen Landtagsabgeordneten Hans Marckwald (1874-1933). Für die „Gleichheit“ verfasste<br />

sie die Artikelserie „Über die Fre<strong>und</strong>schaft“ (GL, 28/ 20/ 05.07.1918/ 158-159 <strong>und</strong> GL, 28/ 21/ 19.07.1918/ 165-<br />

166), in der sie sich mit den durch die Parteispaltung zerbrochenen Fre<strong>und</strong>schaften <strong>und</strong> der Frage beschäftigte,<br />

warum es so wenige Fre<strong>und</strong>schaften unter Frauen gebe. Des Öfteren erschienen von Marckwald Beiträge in der<br />

Rubrik „Hauswirtschaftliches“, in denen sie Ratschläge für Kochen <strong>und</strong> Haushaltsführung während der<br />

Mangelwirtschaft gibt (vgl. Marckwald, Berta: Rote-Rüben-Suppe. In: GL, 29/ 12/ 14.03.1919/ 92; Pferdefleisch.<br />

In: GL, 29/ 12/ 14.03.1919/ 92-93; [Marckwald, Berta?] B. M.: Dampfnudeln. In: GL, 29/ 13/ 28.03.1919/ 102).<br />

831 Marckwald, Berta: Die Gratisverteilung der „Gleichheit“. In: GL, 28/ 19/ 21.06.1918/ 152.<br />

235


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Lesen derselben später gewöhnlich auch überzeugte Parteigenossinnen.“ 832<br />

Diese positive Beurteilung der Werbewirksamkeit der „Gleichheit“, dürfte Marckwald aufgr<strong>und</strong><br />

ihrer erwähnten langjährigen Erfahrung nicht nur für die „neue“, sondern auch für die „alte<br />

„Gleichheit“ getroffen haben.<br />

Die offiziellen Quellen – die „Gleichheit“ selbst, die Parteitagsprotokolle <strong>und</strong> Fragebogenaktionen<br />

der „Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands“ 833 – sagen nur wenig darüber aus, wie <strong>und</strong><br />

von wem die „Gleichheit“ wirklich gelesen wurde. 834 Zwar werden in den vielen sich am hohen<br />

Niveau der „Gleichheit“ entzündenden Parteitagsdiskussionen 835 Leserinnenmeinungen angeführt,<br />

letztlich handelt es sich dabei aber nur um Informationen aus zweiter Hand. Die Delegierte Klara<br />

Heinrich (?-1908/ 33-jährig) 836 erklärte auf einem Parteitag, sie habe zehn Abonnentinnen für die<br />

„Gleichheit“ gewonnen, welche aber bei näherer Ansicht einiger Nummern ausgerufen hätten:<br />

„‘Ach, gehen Sie mit Ihrer ‘Gleichheit’; ich verstehe nichts davon!’ (Heiterkeit.)“ 837 Solche<br />

Reaktionen dürfte es öfter gegeben haben, waren aber für die „Gleichheit“ kein Gr<strong>und</strong> von ihrem<br />

hohen Niveau abzulassen – sie wollte die Proletarierinnen in ihrem Nachdenken fordern, nicht<br />

unterhalten. Ein Selbstverständnis, mit dem sie ihren Leserinnen manchmal sehr viel abverlangte,<br />

abverlangen musste. 838<br />

832 Ebd.<br />

833 Baader führte diese Befragungen per Fragebogen unter den Vertrauenspersonen durch. Diese Form der Eigenevaluation<br />

ist für die Geschichtsforschung unschätzbar wertvoll. Aus diesen Fragebögen resultieren die Angaben<br />

zu allen nicht die offizielle Parteiorganisation berührenden zahlenmäßigen Entwicklungen. So die Mitgliederzahlen<br />

der unpolitischen Frauenbildungsvereine <strong>und</strong> der Lese- <strong>und</strong> Diskussionabende. Die „nur“ 183 an Baader<br />

zurückgesandten Fragebögen ergaben, dass die Mitgliederzahl der unpolitischen Frauenbildungsvereine von 3000<br />

(1905) auf 8890 (1906) gestiegen waren. Monatliche Lese- <strong>und</strong> Diskussionsabende wurden in 45 Orten, vierzehntägliche<br />

in 32 Orten durchgeführt. Selbst die dort behandelten Inhalte wurden per Fragebogen ermittelt (vgl.<br />

Baader, Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands, Mannheim 1906, S. 72f.). Eine Verzögerung<br />

der 1908 durchgeführten Fragebogenauswertung erklärte sich Baader mit der Übergangsphase der Reorganisation<br />

der proletarischen Frauenbewegung im Rahmen der Integration in die Partei (vgl. Baader, Bericht der Vertrauensperson<br />

der Genossinnen Deutschlands, Nürnberg 1908, S. 113).<br />

834 Aussagen wie die Bojarskajas, dass die „Gleichheit“ „selbst in weite Kreise der Arbeiterinnen <strong>und</strong> Arbeiterfrauen<br />

[drang] […], aber nicht weniger eifrig auch von den Genossen gelesen“ (Bojarskaja, Clara Zetkin, S. 20) worden<br />

sei, bleiben nicht ohne Gr<strong>und</strong> unbelegt.<br />

835 Das Niveau der „Gleichheit“ war häufig Thema der Frauenkonferenzen, Parteitage <strong>und</strong> Sitzungen des Parteiausschusses.<br />

Diese Diskussionen haben stets denselben Tenor, nehmen aber während des Ersten Weltkriegs <strong>und</strong><br />

angesichts der Haltung der „Gleichheit“ <strong>und</strong> der rapide sinkenden Abonnementzahlen einen schärferen Ton an.<br />

Leider ist im Rahmen dieser Dissertation nicht die Möglichkeit gegeben, näher auf die durchaus interessanten<br />

Argumentationen einzugehen.<br />

836 Diese Altersangabe erklärt sich durch die in ihrem Nachruf enthaltene Information, dass Heinrich 21 Jahre alt<br />

gewesen sei, als sie an diesem Parteitag teilnahm (vgl. Genossin Klara Heinrich †. In: GL, 13/ 22/ 21.10.1903/<br />

175).<br />

837 Heinrich im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 171.<br />

838 Sogar die subjektiven Meinungen der HistorikerInnen sind sehr unterschiedlich – manche finden sie wie z. B.<br />

Gomard aus ästhetischer Sicht „ziemlich ungenießbar“ (Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“,<br />

S. 30) für andere ist sie schlicht die „beste[…] politische[…] Zeitschrift für Frauen“ (Kuczynski, Studien<br />

zur Geschichte der Lage der Arbeiterin, S. 164) gewesen.<br />

236


2.5 KEIN BLATT DER MASSEN?! – ZUR FRAGE DER REZEPTION DER „GLEICHHEIT“<br />

Negative wie positive Urteile, die Parteitagsdelegierte oder „Gleichheit“-Mitarbeiterinnen zum<br />

Charakter <strong>und</strong> zur Rezeption der „Gleichheit“ abgaben, spiegeln nicht unbedingt die Meinung der<br />

Leserinnen wider. Die positiven Urteile waren oft agitatorisch, aus dem Engagement für die<br />

proletarische Sache heraus getroffen <strong>und</strong> bezogen bereits die Erkenntnisse des historischen Mate-<br />

rialismus <strong>und</strong> der sozialistischen Emanzipationstheorie mit ein. Viele Beurteilungen zielten auf<br />

die Intention – das Bildungsziel – der „Gleichheit“ ab. Als proletarisches Frauenbildungsorgan<br />

sollte sie<br />

„[d]ie Arbeiterinnen […] in die Lage versetz[en][…], Einsicht in die historischen,<br />

politischen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Bedingungen zu gewinnen, die ihre spezifische<br />

gesellschaftliche Lage, ihre besondere Unterprivilegiertheit bestimmten, <strong>und</strong><br />

gleichzeitig im Prozeß des Begreifens selbständige Wege finden, die gemeinsam<br />

mit den männlichen Arbeitern aus der Situation herausführten“ 839 .<br />

Da die „Gleichheit“ ein solches Ziel nicht auf dem Niveau eines Unterhaltungsblattes hätte er-<br />

reichen können, wurde das hohe Niveau von vielen als unverzichtbar erachtet.<br />

In ihrer 1926 erschienen Studie „Zur Soziologie der Frauenbewegung“, in welcher sie einen<br />

Vergleich zwischen sozialistischer <strong>und</strong> katholischer Frauenbewegung anstellt, gibt Lion folgende<br />

Charakterisierung der „Gleichheit“-Leserinnen:<br />

„Anfangs waren: die Volksschullehrerin, die nach Verständnis rang <strong>und</strong> nach Bewältigung<br />

gegensätzlicher sozialer Lebensverhältnisse, die Buchhalterin, die sich<br />

heraufgearbeitet hatte, <strong>und</strong> die nun keine Aufstiegsmöglichkeit weiter sah, die<br />

Schriftstellerin, der geistige Kraft nichts einbrachte, die junge Agitatorin aus dem<br />

Volk, die Ehefrau des überzeugten Parteigenossen Hauptvertreterinnen des Publikums,<br />

das Clara Zetkin im Auge hatte. Hinzu kommt die gewerkschaftlich organisierte<br />

Plätterin, die Botenfrau auf dem Lande, das durch eine Agitationsrede<br />

gepackte Mädchen aus dem Jungfrauenverein, das aufgeklärte Dienstmädchen, die<br />

Tochter des Subalternbeamten im Zeitalter des Frauenüberschusses, schließlich das<br />

Heer der Munitionsarbeiterinnen <strong>und</strong> Kriegerwitwen.“ 840<br />

Jedoch: Lion macht keinerlei Angaben über die Art ihrer herangezogenen Quellen oder gar eine<br />

von ihr selbst durchgeführte Umfrage, auf denen ihre Charakterisierung des „Gleichheit“-Publi-<br />

kums basieren könnte. 841 Noch weniger verständlich, aber ein deutlicher Hinweis auf Lions<br />

revisionistische Position, ist ihre Einschätzung zur Situation der „Gleichheit“ zu Beginn des<br />

Ersten Weltkrieges. Erst im Jahre 1915 sei der von Zetkin anvisierte Leserinnenkreis „in Wirk-<br />

lichkeit da“ 842 gewesen:<br />

839 Gieschler, Konzeptionelle Ansätze proletarischer Frauenbildung als besondere Form der Arbeiterbildung, S. 287.<br />

840 Lion, Zur Soziologie der Frauenbewegung, S. 94-95.<br />

841 Interessanterweise tragen die in der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung in Mikrofilm <strong>und</strong> Fotokopie<br />

vorhandenen Exemplare der „Gleichheit“ den Stempel der „Zentralstelle des Volksvereins für das kath. Deutschland<br />

M. Gladbach“. Die „Gleichheit“ hatte demnach auch Leserinnen im katholischen Milieu.<br />

842 Ebd., S. 95.<br />

237


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

„Geführt von bewußten Gewerkschaftlerinnen, Konsumgenossenschaftlerinnen<br />

<strong>und</strong> von Frauen, die in der ‘Gleichheit’ ihre ersten Schreibversuche haben machen<br />

dürfen, kontrolliert sie [die Leserinnenschaft; M.S.] ihr Blatt, <strong>und</strong> lehnt sich<br />

schließlich auf wie eine empörte Gemeinde gegen ihren fanatisierten Hirten.“ 843<br />

Lions Einschätzung einer Kontrolle der „Gleichheit“ durch ihre Leserinnen ist nur erklärlich,<br />

wenn sie damit die stetig wachsende Zahl der Mitarbeiterinnen verbindet – Mitarbeiterinnen, die<br />

vermutlich zuerst zu den Leserinnen der „Gleichheit“ gehört haben dürften. Tatsächlich konnte zu<br />

Beginn des Ersten Weltkriegs die proletarische Frauenbewegung insgesamt – nicht zuletzt dank<br />

der Agitations- <strong>und</strong> Aufklärungsarbeit der „Gleichheit“ <strong>und</strong> des Vereinsgesetzes von 1908 – auf<br />

eine erfolgreiche Entwicklung zurückblicken. Die Spaltung der SPD bleibt von Lion nur<br />

ungenügend reflektiert. Sie verortet die Spaltung vornehmlich zwischen Zetkin <strong>und</strong> den<br />

„Gleichheit“-Leserinnen <strong>und</strong> geht nicht darauf ein, dass ein großer Teil der Leserinnen hinter<br />

Zetkin stand. Das „Gemeinsamkeitswerk“ 844 „Gleichheit“, das laut Lion von Anfang an von einer<br />

„proletarisch-aristokratisch“ 845 Beziehung zwischen Schriftleitung <strong>und</strong> Leserinnen geprägt<br />

gewesen sei, sei bruchstückhaft geblieben. Zetkin, die von Lion als Person im Gegensatz zu ihrem<br />

Schreib- <strong>und</strong> Redaktionsstil eher positiv beurteilt wird 846 , sei Opfer der von ihr selbst voran-<br />

getriebenen Emanzipation ihrer Leserinnen geworden. Nach ihrer Einschätzung muss Zetkin aber<br />

diese<br />

„Revolte weniger als schmerzendes Versagen dem Führer gegenüber empf<strong>und</strong>en<br />

haben, denn als begrenzten Arbeitserfolg“ 847 .<br />

Lion scheint die immense Tragik, die für Zetkin in der nationalistischen Orientierung ihrer<br />

Leserinnen <strong>und</strong> Genossinnen lag, nicht im Mindesten erkannt zu haben. Sie sieht das Tragische<br />

vielmehr darin,<br />

„daß die erste verwirklichte Mobilisation des Leserinnenkreises gleichzeitig eine<br />

Zerstörung der sozialen Beziehung zwischen ihm <strong>und</strong> der Schriftleitung<br />

bedeutete“ 848 .<br />

Diese von Lion konstatierte Mobilisation <strong>und</strong> die bewusste Auseinandersetzung der Sozial-<br />

demokratinnen mit der Linie der „Gleichheit“ sprechen insgesamt für eine rege Rezeption der<br />

„Gleichheit“. Sie sprechen, folgt man der Argumentation Lions, sogar für die aktive Umsetzung<br />

der von der „Gleichheit“ vermittelten politischen Bildungsintentionen. Die Antwort auf die Frage,<br />

wie die „Gleichheit“ rezipiert wurde, wird von Lion folglich aus den Ereignissen hergeleitet. Die<br />

843 Ebd.<br />

844 Ebd., S. 94.<br />

845 Ebd.<br />

846 Vgl. ebd., S. 92f.<br />

847 Ebd., S. 95.<br />

848 Ebd.<br />

238


2.5 KEIN BLATT DER MASSEN?! – ZUR FRAGE DER REZEPTION DER „GLEICHHEIT“<br />

Wirkung der Frauenvereine <strong>und</strong> der Parteiorganisationen, die dazu beigetragen haben dürfte, dass<br />

der Einfluss Zetkins schwächer wurde, bleibt unreflektiert. Mangels konkreter Meinungs-<br />

äußerungen bleiben auch die Rückschlüsse Lions fragwürdig.<br />

Einige der für diese Arbeit herangezogenen Studien machen den Erfolg der „Gleichheit“ an ihrer<br />

Massenwirksamkeit fest. 849 Diese ist zusammengesetzt aus zwei Aspekten: Aus den Impulsen, die<br />

– wie bei Lion gesehen – scheinbar direkt von der „Gleichheit“ ausgingen <strong>und</strong> in bewusstem<br />

Handeln resultierten, <strong>und</strong> aus der Größe des erreichten Lesepublikums. Beides ist schwerlich<br />

exakt auszumachen. Weder ist mit Sicherheit zu sagen, dass die am Internationalen Frauentag oder<br />

an einem Streik teilnehmenden Frauen ausgerechnet durch die „Gleichheit“ dazu agitiert worden<br />

waren, noch sind die Abonnentinnenzahlen mit denen der Leserinnen identisch. 850 Der direkte<br />

Einfluss <strong>und</strong> die Rezeption der „Gleichheit“ ist nicht quantifizierbar, denn selbst wenn eine<br />

Arbeiterfamilie sich finanziell in der Lage sah, eine Zeitschrift zu abonnieren <strong>und</strong> Versammlungen<br />

zu besuchen, so konnten Analphabetentum, Zeitmangel <strong>und</strong> Arbeitsbelastung jegliche Lektüre un-<br />

möglich machen – besonders jene, die nicht der Entspannung diente.<br />

Zetkin selbst hatte anfangs nicht den Ehrgeiz gehabt, ein Massenblatt oder gar ein die Massen<br />

mobiliserendes Blatt herauszugeben:<br />

„Der Ansicht bin ich niemals gewesen, daß die ‘Gleichheit’ eine große Arbeiterinnenbewegung<br />

hervorrufen könne, denn das ist Sache der Agitation <strong>und</strong> der Organisation.<br />

Eine Zeitung wie die ‘Gleichheit’ kann keine Bewegung ins Leben rufen,<br />

sie kann nur eins thun, sie kann innerhalb der Bewegung schulend <strong>und</strong> fördernd<br />

wirken, <strong>und</strong> das hat die ‘Gleichheit’ gethan. Die ‘Gleichheit’ hat als Hauptziel verfolgt,<br />

die Genossinnen, die im Vordertreffen des Kampfes stehen prinzipiell klar<br />

auf den Boden der Sozialdemokratie zu stellen <strong>und</strong> sie nicht von der bürgerlichen<br />

Frauenrechtlerei durchseuchen zu lassen <strong>und</strong> diese Aufgabe hat die ‘Gleichheit’ erfüllt.<br />

851<br />

Auch drei Jahre später musste Zetkin – mit Unterstützung Zietz‘ 852 – gegenüber dem Antrag von<br />

849 Kuczynski ist eine Ausnahme, da er die Bedeutung der „Gleichheit“ nicht von ihrer Massenwirksamkeit abhängig<br />

macht, sondern von ihrem theoretischen Gehalt <strong>und</strong> einer konsequent marxistischen Haltung. Den Blickwinkel der<br />

überforderten Leserinnen nimmt Kuczynski nicht ein (vgl. Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der<br />

Arbeiterin, S. 164).<br />

850 Es ist davon auszugehen, dass ein Exemplar der „Gleichheit“ durch viele Hände ging. Es gibt Schätzungen, die<br />

besagen, dass hinter der offiziellen Zahl von 85.000 Abonnentinnen (1908) tatsächlich 170.000 Leserinnen<br />

standen (vgl. Albrecht/u. a., Frauenfrage <strong>und</strong> deutsche Sozialdemokratie, S. 488.)<br />

851 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Stuttgart 1898, S. 131. Mit der Argumentation, dass die „Gleichheit“<br />

keinen Massenerfolg hätte, wollten ihr bereits Parteigenossen die Kritik an anderen Parteiblättern verbieten. Doch<br />

Zetkin sagte nur: „Außerdem: wenn die ‘Gleichheit’ das allermiserabelste Blatt der Partei wäre, so könnte man<br />

mir in der Folge doch weder die Fähigkeit noch das Recht absprechen, Kritik zu üben an der Beschaffenheit des<br />

‘Vorwärts’.“ (ebd. S. 131-132).<br />

852 Zietz schrieb zum Auftrag <strong>und</strong> zur durchdachten Gestaltung der „Gleichheit“: „Die ‘Gleichheit’ soll ein führendes<br />

Organ für die fortgeschritteneren Genossinnen sein. (Sehr richtig!) In ihrem ersten Theil muß sie zu allen<br />

239


DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />

Görlitzer Genossinnen auf eine verständlichere Schreibweise in der „Gleichheit“ betonen, dass<br />

„[d]ie ‘Gleichheit’ in erster Linie ein Organ zur Schulung der im Kampfe stehender<br />

Genossinnen [sei]; sie soll sie theoretisch schulen, ihnen eine Richtschnur für die<br />

Praxis der Theorie geben. Aber in jeder Nummer ist ein einfacher, schlichter Artikel<br />

enthalten, der zur Agitation unter den Arbeiterinnen bestimmt ist. Gewiß<br />

könnte in dieser Hinsicht noch mehr geschehen. Aber dies ist in erster Linie eine<br />

Frage Ihrer Mitarbeit. Arbeiten Sie Alle, so viel wie nur möglich, an der ‘Gleichheit’<br />

mit, die Genossinnen werden arbeitend lernen.“ 853<br />

Der Antrag wurde gegen nur zwei Gegenstimmen mehrheitlich abgelehnt. Später wich Zetkin –<br />

besonders mit der Einführung der Beilagen - von diesem Konzept ab. Deshalb wird der Erfolg der<br />

„Gleichheit“ <strong>und</strong> ihres Konzeptes in den meisten Studien scheinbar berechtigt an ihren Finanzen<br />

<strong>und</strong> ihrer AbonnentInnenzahl gemessen. Und da sich hier vor allem in den ersten Jahren eine<br />

schleppende Entwicklung zeigte, wird dies mit einem Misserfolg gleichgesetzt <strong>und</strong> die Ursache<br />

für diesen Misserfolg in der theoretischen Ausrichtung der „Gleichheit“ gesehen. So stellt<br />

Kinnebrock fest, die „Gleichheit“ sei unter „engagierten Frauen recht gefragt“ 854 gewesen, doch<br />

wegen ihren „dezidiert politischen Inhalten kein Massenblatt“ 855 . Ersteres kann mangels Abon-<br />

nentInnenlisten nur eine Mutmaßung sein, die sich u. a. aus der Funktion der „Gleichheit“ als<br />

Schulungsorgan fortgeschrittener Sozialdemokratinnen ergibt. Für Letzteres zieht Kinnebrock<br />

jene quantifizierbaren Aspekte heran, verweist auf die Schwierigkeiten, die die „Gleichheit“ bis<br />

1900 in Absatz <strong>und</strong> Finanzierung hatte <strong>und</strong> unter denen sie ihrem Verleger nur Verluste beschert<br />

habe. 856 Notgedrungen habe Zetkin die „Gleichheit“ popularisieren müssen, indem sie sie<br />

feuilletonisierte <strong>und</strong> zwei Beilagen einführte. Ist jedoch die „drastische Steigerung der Auflage“ 857<br />

auf 46.000 (1906) <strong>und</strong> auf 124.000 (1914), wie Kinnebrock meint, ein direkter Erfolg dieser Bei-<br />

lagen. 858 Weder verweist Kinnebrock hier auf den Einfluss organisatorischer Änderungen<br />

innerhalb der Partei – wie z. B. das obligatorische Abonnement – noch scheinen die schwarzen<br />

Zahlen <strong>und</strong> die drastische Auflagensteigerung der „Gleichheit“ sie in ihren Augen nun doch noch<br />

zum Massenblatt gemacht zu haben. Um zu beurteilen, ob die „Gleichheit“ ein Massenblatt war<br />

oder nicht, bedarf es entweder Kriterien dafür, was ein Massenblatt ausmacht, oder eines<br />

Tagesfragen Stellung nehmen. Im zweiten Theil ist die Sprache so populär, so verständlich, daß sie auch von den<br />

einfachsten Frauen verstanden werden kann. Zu einem Familienblatt aber kann die ‘Gleichheit’ nicht ausgestaltet<br />

werden. (Bravo!)“ (Zietz im Bericht über die 2. sozialdemokratische Frauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages<br />

München 1902, S. 307).<br />

853 Zetkin ebd., S. 307.<br />

854 Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 142.<br />

855 Ebd.<br />

856 Ebd.<br />

857 Ebd.<br />

858 Ebd., S. 143.<br />

240


Vergleichsobjekts.<br />

2.5 KEIN BLATT DER MASSEN?! – ZUR FRAGE DER REZEPTION DER „GLEICHHEIT“<br />

Selbst wenn der Erfolg bei den Massen – zumal dieser anfangs noch nicht einmal von Zetkin ge-<br />

wollt war – über den Abonnentenstand ermittelbar wäre, kann dieser doch nur für die Verbreitung<br />

<strong>und</strong> ihren finanziellen Erfolg stehen. Er sagt dagegen nichts über die Rezeption bei Leserinnen<br />

<strong>und</strong> Vereinsorganisationen oder gar über die Verinnerlichung der „Gleichheit“ aus, diese bleiben<br />

methodisch nicht messbar. 859<br />

859 Ebd., S. 136.<br />

241


3 Zwischen Feuilleton <strong>und</strong> Wissenschaft – Frauengeschichte,<br />

Frauenleitbilder <strong>und</strong> Frauenbiographien in der „Gleichheit“<br />

3.1 Geschichte in der „Gleichheit“<br />

Das von der sozialdemokratischen Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ definierte Ziel ihrer<br />

politischen Frauenbildung war es,<br />

„die Proletarierinnen zum Klassenbewußtsein zu wecken, sie aus einer indifferenten<br />

oder hemmenden zu einer treibenden Kraft im wirthschaftlichen <strong>und</strong><br />

politischen Klassenkampfe des Proletariats zu verwandeln, sie zu bewußten<br />

Sozialistinnen zu erziehen“ 1 .<br />

Um dieses Ziel zu erreichen, war auch in der „Gleichheit“ die Wissensvermittlung auf zwei<br />

Gebieten elementar: „dem Gebiete der Nationalökonomie <strong>und</strong> der Geschichte, <strong>und</strong> zwar“ – wie<br />

Zetkin nicht vergaß zu betonen – „der sozialistischen Auffassung entsprechend“ 2 .<br />

Geschichte um der Geschichte willen, quasi als allgemeines Bildungsgut zu vermitteln, machte<br />

für Zetkin wenig Sinn. Die zentralen Erkenntnisgewinne aus Geschichte <strong>und</strong><br />

Nationalökonomie sollten dagegen – so die sozialistische Perspektive – der Entlarvung des<br />

kapitalistischen Unterdrückungssystems dienen. Aus Erkenntnis, Aufklärung <strong>und</strong> Agitation<br />

wiederum resultiere bewusstes Handeln <strong>und</strong> damit die revolutionäre Umwälzung der kapitalis-<br />

tischen Gesellschaft.<br />

Das herrschende Unterdrückungssystem bediente sich jedoch selbst auch der Geschichte. Es<br />

verfügte über eine etablierte <strong>und</strong> institutionalisierte Geschichtswissenschaft, mittels derer eine<br />

einseitige Erinnerungskultur <strong>und</strong> Darstellungsweise von historischen Ereignissen im öffent-<br />

lichen Bewusstsein verankert werden konnte. Götze hebt deshalb hervor, dass die „Gleichheit“<br />

in Artikeln anlässlich sozialistischer Gedenktage <strong>und</strong> Jubiläen stets auch die Gelegenheit wahr-<br />

genommen habe, „historische Zwecklügen“ 3 zu entlarven. Auf eine ihrer Sicht nach ver-<br />

fälschende oder einseitige Darstellung historischer Fakten <strong>und</strong> Persönlichkeiten reagierte<br />

Zetkin stets mit Empörung. So kritisierte sie z. B., dass die von ihr verehrten russischen Frei-<br />

heitskämpferInnen in dem Blatt „Die Zukunft“ (1892-1922) 4 in einer geradezu „bubenhafte[n]<br />

1 Zetkin, Clara: Kritische Bemerkungen zu Genossin Brauns Vorschlag. In: GL, 07/ 06/ 17.03.1897/ 42. Auch<br />

die die Inhalte der „Gleichheit“ kritisch beurteilende Soziologin Hilde Lion beschrieb die Geschichte als<br />

„Wissensgr<strong>und</strong>lage“ für die „charakteristische[…] Stählung <strong>und</strong> Erziehung der Leserinnen, um sie aus Abonnentinnen<br />

zu klassenbewußten Anhängerinnen der sozialistischen Idee zu machen“ (Lion, Zur Soziologie der<br />

Frauenbewegung, S. 90).<br />

2 Zetkin, Clara: Kritische Bemerkungen zu Genossin Brauns Vorschlag. In: GL, 07/ 06/ 17.03.1897/ 43.<br />

3 Götze, Der Beitrag der „Gleichheit“ zur Entwicklung des Geschichtsbewußtseins ihrer Leserinnen, S. 60 u.<br />

S. 62. Der Aufsatz Götzes setzt sich in diesem Punkt sehr kritisch mit der Dissertation Vormschlags<br />

auseinander.<br />

4 Die kulturpolitische Wochenschrift „Die Zukunft“ wurde dem Publizisten, Journalisten <strong>und</strong> Schauspieler<br />

Maximilian Harden herausgegeben. Es gab viele SozialdemokratInnen, die für „Die Zukunft“ schrieben, obwohl<br />

sie nicht nur gegen die preußische Obrigkeit, sondern auch gegen die SPD polemisierte. Auf dem Partei<br />

243


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Weise“ 5 charakterisiert worden seien, was in den Augen Zetkins ein unentschuldbarer Frevel war,<br />

denn<br />

„[w]enn es je in der Geschichte der Befreiungskämpfe aller Länder Männer <strong>und</strong><br />

Frauen gegeben hat, die es verstanden haben, die Größe des antiken Helden mit der<br />

Selbstlosigkeit des christlichen Märtyrers zu vereinigen, dann s[eien] es die<br />

russischen Revolutionäre gewesen“ 6 .<br />

Zetkin verwies mit diesem Kommentar bereits auf die zentralen Charaktereigenschaften, die eine<br />

Persönlichkeit aufzeigen musste, um von der „Gleichheit“ besonders gewürdigt zu werden: Opfer-<br />

bereitschaft <strong>und</strong> Selbstlosigkeit. 7<br />

Zehn Jahre später legte Zetkin auf dem Parteitag in Jena sehr konkret dar, wie sie als<br />

„Gleichheit“-Redakteurin gedachte, mit geschichtlichen Themen umzugehen. Wie eingangs be-<br />

schrieben, war Geschichte für Zetkin keine zweckfreie Ansammlung pseudoobjektiver Tatsachen.<br />

Ihr Zweck lag vor allem darin, die Inhalte der Parteitheorie zu veranschaulichen:<br />

„Wenn wir den Genossinnen, die erst anfangen, sich für unsere Theorien zu<br />

begeistern <strong>und</strong> zu interessieren, unsere Ideen nahebringen wollen, so darf das<br />

meines Erachtens zunächst gar nicht in Artikeln über die sozialistischen Theorien<br />

selbst geschehen. Nach langer Ueberlegung scheint es mir weit zweckmäßiger, mit<br />

einer Artikelserie über die Geschichte der Sozialdemokratie zu beginnen. Ich habe<br />

mich nämlich überzeugt – <strong>und</strong> gerade das 40jährige Jubiläum der Partei vor<br />

einigen Monaten hat es mir bestätigt –, daß breitesten Schichten der jüngeren Genossen<br />

unsere Parteigeschichte noch ziemlich fremd ist <strong>und</strong> den Genossinnen erst<br />

recht. Ich habe mir gesagt, wenn ich in einzelnen Artikeln die Parteigeschichte<br />

behandele – selbstverständlich in einfacher Weise –, so gibt das Gelegenheit, in<br />

konkreter, leicht faßlicher Art gerade die lernbedürftigen Anfänger auch in wichtige<br />

Gr<strong>und</strong>fragen unserer Ideenwelt einzuführen. Ich meine, durch eine Einführung<br />

in die Geschichte der Sozialdemokratie wird auch das Interesse an dem geistigen<br />

Leben, an dem Handeln unserer Partei gerade in den Kreisen von neuen Bekennerinnen<br />

erweckt werden. Das, was letzten Endes jenen einfachen proletarischen<br />

Frauen fremd ist, ist viel weniger die Schreibweise unserer Presse als die Dinge,<br />

um die es geht. Und ich glaube, daß sie durch eine geschichtliche Darstellung in<br />

in Dresden 1903 übte neben Zetkin auch Bebel heftige Kritik an diesen GenossInnen, an Harden <strong>und</strong> an der<br />

„Zukunft“ (vgl. Bebel im Protokoll des Parteitags Dresden 1903, S. 213ff.).<br />

5 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Dresden 1903, S. 179.<br />

6 Ebd.<br />

7 Zetkin sah sich durch das ihrer Meinung nach niedrige <strong>und</strong> parteiliche Niveau der „Zukunft“-Artikel erneut<br />

berechtigt, alle wahrhaft sozialistischen AutorInnen zu mahnen, solcherlei Blätter nicht auch noch durch ihre Mitarbeit<br />

zu unterstützen: „In einem Organ, das diese Männer <strong>und</strong> Frauen, die zu den Edelsten <strong>und</strong> Besten aller<br />

Länder <strong>und</strong> Zeiten gehören, deren Wirken gegenüber wir alle das Gefühl haben müssen: Zieh‘ deine Schuhe aus,<br />

der Boden, wo du stehst, ist heilig – in einem Organ, wo diese Leute so beschimpft werden, muß es nicht nur für<br />

einen Sozialisten, sondern für jeden anständigen Menschen unmöglich sein, zu schreiben.“ (ebd.). Angesichts<br />

ihrer immer wieder ergangenen <strong>und</strong> oft vergeblichen Aufrufe an die GenossInnen, geeignete Artikel für die<br />

„Gleichheit“ zu verfassen, dürfte Zetkin die Mitarbeit sozialdemokratischer AutorInnen an anderen als sozialdemokratischen,<br />

vielleicht sogar ausgesprochen bürgerlichen Organen, ein besonderer Dorn im Auge gewesen<br />

sein. Inwieweit diesem Verhalten mancher sozialdemokratischer AutorInnen jedoch schlicht finanzielle Zwänge zu<br />

Gr<strong>und</strong>e lagen, müsste noch besonders untersucht werden.<br />

244


konkreter Form ihnen zuerst nahegebracht werden können.“ 8<br />

3.1 GESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Es zeigt sich hier die ausgeklügelte Bildungsstrategie Zetkins, gerade neu gewonnenen Genos-<br />

sinnen die abstrakte Parteitheorie mittels der etwas konkreteren Parteigeschichte zu vermitteln. 9<br />

Geschichtliche Themen schienen ihr sogar für die Werbung neuer Mitglieder so erfolg-<br />

versprechend, dass sie es als vertretbar sowie notwendig erachtete, zugunsten von Artikeln zur<br />

Parteigeschichte den Raum für „landläufige[…] Agitationsberichte“ 10 zu verringern. 11<br />

Diese von Zetkin dargelegte Bildungsstrategie war wie die zuvor eingeführten Beilagen ein<br />

Zugeständnis an die Lesegewohnheiten der „Gleichheit“-Leserinnen, zugleich aber auch eine<br />

Konsequenz ihrer Kritik am revisionistischen Lager der Partei, welches die Masse der Proletarier<br />

nicht theoretisch schulen wolle, sondern einige<br />

„Brocken allgemeiner ‘Bildung’: Geschichte, namentlich Lebensgeschichte ‘großer<br />

Männer’ <strong>und</strong> dergleichen, <strong>und</strong> möglichst viel ‘Stoff’ aus dem täglichen Leben“ 12<br />

als ausreichend erachtete. Gerade hinsichtlich der politischen Bildung proletarischer Frauen, die<br />

Zetkin anvertraut worden war, konnte <strong>und</strong> durfte dies jedoch nicht der Wahrheit letzter Schluss<br />

sein. Nur die Konfrontation <strong>und</strong> Auseinandersetzung mit wissenschaftlich f<strong>und</strong>ierten Erkennt-<br />

nissen konnten die Gr<strong>und</strong>lagen schaffen, den Proletarierinnen die Möglichkeiten ihrer Selbstbe-<br />

freiung zu eröffnen. Deshalb bedurften sie der „volle[n] Einsicht in die historischen Bedingungen<br />

der eigenen Klassenbefreiung“ 13 , <strong>und</strong> dies auf dem Niveau eines wissenschaftlichen Sozialismus.<br />

Diese kompromisslose Haltung Zetkins hinsichtlich geschichtlicher Bildungsinhalte warf jedoch<br />

zwei gravierende Probleme auf: Das hohe Niveau, auf dem diese den „Gleichheit“-Leserinnen<br />

vermittelt werden sollten <strong>und</strong> mussten <strong>und</strong> die Auswahl geeigneter geschichtlicher Themen.<br />

Zetkin musste hinsichtlich des auf vielen Parteitagen <strong>und</strong> Frauenkongressen kritisierten Niveaus<br />

der „Gleichheit“ ihre Argumentation den Organisationserfolgen der proletarischen Frauenbe-<br />

wegung anpassen. Sah sie die „Gleichheit“ anfangs in erster Linie als Fortbildungsorgan bereits<br />

8 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1913, S. 255.<br />

9 An anderer Stelle hat Zetkin jedoch genau gegensätzlich argumentiert: „‘Wir sollten nicht mit der Vergangenheit<br />

beginnen, die weitab von der Gedankenwelt der meisten Proletarierinnen liegt <strong>und</strong> auch oft von den Lehrenden<br />

nur recht unvollkommen beherrscht wird, wir müßten zunächst auf dem Boden der Gegenwart bleiben. Damit<br />

werden wir aber auch die ungeschulten Proletarierinnen fesseln …’“ (Clara Zetkin zit. nach: Um eine ganze<br />

Epoche voraus, S. 35). Mangels eines entsprechenden Beleges konnte diese Aussage weder verifiziert noch<br />

zeitlich eingeordnet werden. Die Linie der „Gleichheit“ war demnach hinsichtlich ihres Bildungskonzeptes <strong>und</strong><br />

ihrer Inhalte nicht immer stringent <strong>und</strong> somit offen für andere Ansätze.<br />

10 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1913, S. 256.<br />

11 <strong>Von</strong> dieser Kürzung unberührt sollten laut Zetkin die Berichte der Genossinnen aus den Kinderschutzkommissionen<br />

<strong>und</strong> Gemeindeinstitutionen bleiben, denn sie gäben wertvolle Einblicke in die „ganze[…]<br />

große[…] praktische[…] Betätigung unserer Genossinnen“ (ebd.).<br />

12 Der Parteitag in Nürnberg. In: GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 181.<br />

13 Ebd.<br />

245


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

geschulter Genossinnen, so hielt sie schließlich für manche Belange dieser Zielgruppe die Tages-<br />

presse für ausreichend. 14 Dies bedeutete jedoch nicht, dass Artikel im Hauptblatt weniger<br />

anspruchsvoll wurden. Für eine leichter zu erfassende Literatur standen noch die Beilagen zur<br />

Verfügung. Sie waren die beste Lösung für den Interessenkonflikt, sowohl politische Bildung als<br />

auch Mitgliederwerbung zu betreiben. Sie unterstützten auch die Intention Zetkins, geschicht-<br />

liches Wissen zu vermitteln, indem sie der Geschichte <strong>und</strong> vor allem der Kulturgeschichte viel<br />

Raum gaben. Als Brücke <strong>und</strong> Ergänzung des Hauptblattes waren auch sie Teil der politischen Bil-<br />

dungsstrategie der „Gleichheit“.<br />

Mit dem zweiten Problem, eine geeignete Auswahl historischer Stoffe zu treffen, stellt sich nun<br />

die Frage nach den konkreten Inhalten der „Gleichheit“. Die zu geschichtlichen Themen er-<br />

schienenen Artikel lassen sich in die drei Bereiche Kulturgeschichte, Revolutionsgeschichte <strong>und</strong><br />

die Geschichte der SPD gliedern. Da in der vorliegenden Arbeit der Schwerpunkt auf frauen-<br />

geschichtliche Inhalte gelegt wird, werden die entsprechenden Artikel aus Platzgründen nicht<br />

näher dargelegt. Ihre Themenbereiche finden sich aber, mit Schwerpunkt auf die weibliche Per-<br />

spektive, im folgenden Kapitel wieder. 15<br />

Aus dem Bereich der Kulturgeschichte wurden nur wenige Artikel im Hauptblatt veröffentlicht,<br />

sie machten – abhängig von den beteiligten Personen 16 – teilweise einen Schwerpunkt der Bei-<br />

lagen aus. Die Artikel, die im Hauptblatt veröffentlicht wurden, griffen meist Themen aus dem<br />

Erfahrungsbereich der Frauen auf 17 <strong>und</strong> hatten seltener einen allgemeinen kulturhistorischen In-<br />

halt 18 .<br />

Die Inhalte revolutionsgeschichtlicher Artikel basieren auf der sozialistischen Geschichts-<br />

auffassung <strong>und</strong> der von Marx <strong>und</strong> Engels entwickelten Theorie des historischen Materialismus.<br />

14<br />

Im Rahmen dieser Strategie <strong>und</strong> ihrer redaktionellen Umsetzung erklärte Zetkin auf dem Parteitag in Jena 1913,<br />

dass es zudem notwendig werden würde, „gelegentlich den einen oder anderen Artikel ausfallen“ (Zetkin im<br />

Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1913, S. 256) zu lassen. Sie ging davon aus, dass gerade sozialpolitische<br />

Artikel in einer für die Agitatorinnen ausreichenden Art <strong>und</strong> Weise in der Tagespresse erscheinen würden <strong>und</strong> so<br />

die Agitation nicht zu leiden hätte (vgl. ebd.). Ungewohnt bescheiden hoffte Zetkin, dass die Delegierten des<br />

Jenaer Parteitages „mit dieser Art <strong>und</strong> Weise, dem Bedürfnis entgegenzukommen, wohl einverstanden sein<br />

werden“ (ebd.).<br />

15 Siehe auch: „Auswahl der geschichtlichen Artikel im Hauptblatt der ‘Gleichheit’“.<br />

16 An dieser Stelle ist besonders die Mitarbeit Hanna Lewin-Dorschs (?-1911) hervorzuheben, die ein Studium der<br />

Naturwissenschaften, Gesellschaftswissenschaften <strong>und</strong> Geschichte absolviert hatte <strong>und</strong> in den Beilagen regelmäßig<br />

kulturhistorische Artikel (Mutterrecht, Entdeckung der Metalle, Entwicklung von Haushaltsgegenständen,<br />

Ehe <strong>und</strong> Erwerbsarbeit) veröffentlichte. Lewin-Dorsch wird anhand eines in der „Gleichheit“ veröffentlichten<br />

Nachrufes noch näher vorgestellt werden.<br />

17 Siehe: Jäckel, H[ermann?]: Vom Spinnen <strong>und</strong> Weben in alter Zeit [I-IV]. In: GL, 20/ 19/ 20.06.1910/ 295-296. bis<br />

GL, 20/ 24/ 29.08.1910/ 375-376.<br />

18 Siehe: Dorsch, Hanna: Weihnachten – Sonnenwendfest! In: GL, 16/ 26/ 26.12.1906/ 186; Weh, O.: Die<br />

Gleichstellung von Mensch <strong>und</strong> Thier in der Gesetzgebung des Mittelalters. In: GL, 08/ 16/ 03.08.1898/ 124-126;<br />

GL, 08/ 17/ 17.08.1898/ 132-133; GL, 08/ 18/ 31.08.1898/ 140-141.<br />

246


3.1 GESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Nach dieser ist die Geschichte eine wesentlich durch ökonomische Prozesse bestimmte Ent-<br />

wicklung. Erst die Veränderung in den Austausch- <strong>und</strong> Produktionsprozessen, die die Entstehung<br />

verschiedener, sich bekämpfender Klassen beeinflussen, führen zu einer Weiterentwicklung der<br />

Gesellschaft. Geschichte ist demnach eine Geschichte der Klassenkämpfe auf dem Weg zum<br />

Kommunismus. 19 Es ist daher vor allem die Geschichte revolutionärer Volksbewegungen, die von<br />

der „Gleichheit“ wie von der gesamten deutschen Arbeiterpresse rezipiert wurde. 20 Aus dieser<br />

Geschichte wollte man Kraft <strong>und</strong> Gewissheit für die Zukunft schöpfen, eigene Werte <strong>und</strong> Ziel-<br />

vorstellungen stabilisieren, um diese dem kollektiven Gedächtnis der Arbeiterklasse zu vermitteln<br />

<strong>und</strong> einzuprägen. 21 Revolutionen bieten dafür erstaunlich zweckgemäß, so der Historiker Peter<br />

Friedemann, ein „einfache[s], einprägsame[s], dichotomische[s] Bild“ 22 . Ein Umstand, der sie<br />

zum idealen Themenstoff für Zeitschriften macht, da diese sich in ihrer Wirksamkeit ebenfalls auf<br />

Vereinfachung <strong>und</strong> Verinnerlichung stützen. Die von Friedemann untersuchten Zeitschriften be-<br />

ließen es daher jedoch oft bei einer oberflächlichen Betrachtungsweise ihrer historischen Themen.<br />

So stellt Friedemann hinsichtlich der Rezeption der Französischen Revolution für verschiedene<br />

sozialdemokratische Blätter fest, dass diese ihren LeserInnen weniger eine historische Analyse<br />

dieser Revolution als vielmehr nur eine eingeschränkte Auswahl spezifischer Schlagwörter, Bilder<br />

<strong>und</strong> Topoi boten. 23 Auf diese Weise war sie weniger historisches Forschungsobjekt als vielmehr<br />

besonders bildhaftes Aufklärungsmittel. Die Bastille symbolisierte die kapitalistische Gesellschaft<br />

<strong>und</strong> die Ereignisse des Jahres 1789 standen für die Prophezeiung, dass der „14. Juli des Proleta-<br />

riats“, die sozialistische Gesellschaft, bereits zum Greifen nahe sei.<br />

Ein besonders hervorzuhebender Rückgriff auf die Revolutionsgeschichte ist die Artikelserie „Ein<br />

19 Folgende Werke wurden den „Gleichheit“-Leserinnen zur tiefergehenden Beschäftigung mit der sozialistischen<br />

Geschichtstheorie empfohlen: Ferdinand Lassalle „Arbeiterprogramm“(1862), „Kapital <strong>und</strong> Arbeit“ (1864) <strong>und</strong><br />

„Ziele <strong>und</strong> Wege“ (?); Karl Kautsky „ Das Erfurter Programm“ (1892); Marx <strong>und</strong> Engels „Das Kommunistische<br />

Manifest“ (1848); Peter Kropotkin „Die französische Revolution“ (1909); Wilhelm Blos „Die deutsche<br />

Revolution von 1848“ (1893); Prosper Lissagaray „Geschichte der Kommune“ (1876); Arnold Dodel „Moses oder<br />

Darwin“ (1889); M. Wilhelm Meyer „Weltschöpfung“ (1904) <strong>und</strong> „Weltuntergang“ (1887); Konrad Günther „Der<br />

Darwinismus <strong>und</strong> die Probleme des Lebens“ (1904) (vgl. Pritschkow, Fr.: Der Drang nach Wissen. In: GL, 19/ 26/<br />

27.09.1909/ 406 <strong>und</strong> Literarisches. In: GL, 21/ 06/ 19.12.1910/ 96).<br />

20 Zu diesen Volksbewegungen gehören die Bauernkriege, die englische Glorious Revolution, die Französische Revolution,<br />

der Vormärz, die 1848er-Revolution, der Tiroler Aufstand im Jahre 1809 <strong>und</strong> die russische Revolution.<br />

21 Vgl. Friedemann, Französische Revolution <strong>und</strong> deutsche sozialistische Arbeiterpresse, S. 235.<br />

22 Ebd., S. 236.<br />

23 Vgl. ebd., S. 238. Laut Puschnerat zeigte Zetkin eine ablehnende Haltung gegenüber der revolutionären Tradition<br />

Frankreichs (vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 60). Die „Gleichheit“ veröffentlichte<br />

tatsächlich weit weniger Artikel zur Französischen Revolution als zur 1848er-Revolution. Dies ist einerseits<br />

auf die Zetkin‘sche Geschichtsinterpretation (siehe die Biographie Jeanne-Marie Rolands) zurückzuführen als<br />

auch auf den Umstand, dass es im Laufe der Jahre andere „Gleichheit“-MitarbeiterInnen waren, die sich der historischen<br />

Themen annahmen.<br />

247


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Blatt Geschichte“ 24 , in welcher Zetkin während des Krieges die Ereignisse im England des<br />

17. Jahrh<strong>und</strong>erts, einen Machtkampf zwischen Parlament <strong>und</strong> König erläuterte. 25 Bereits ihre<br />

Äußerung, dass die „politische Freiheit Englands“ – die politische Freiheit des Kriegsgegners –<br />

„so groß […]wie kaum in einem Lande“ 26 sei, musste provozieren. Diese Freiheit sei Resultat der<br />

englischen Revolution im 17. Jahrh<strong>und</strong>ert, die mit der Thronbesteigung Karls I. im Jahre 1623<br />

ihren Anfang nahm. Mehrmals hatte der englische König seit seiner Thronbesteigung das<br />

Parlament aufgelöst, weil es nicht seiner Forderung nach „Bewilligung von Kriegskrediten“<br />

nachkam – die Parallele zum Juli 1914 ist unverkennbar. Das englische Parlament weigerte sich<br />

jedoch, die Mittel freizugeben bevor „das ganze reaktionäre System“ 27 reformiert, die Minister „in<br />

Anklagezustand versetzt“ 28 <strong>und</strong> dem Volk politische Freiheiten zuerkannt worden seien. Indem<br />

Karl I. das Parlament stets auflöste, wenn es seinem Willen nicht nachkam, war er elf Jahre lang<br />

ein nahezu absolutistischer Herrscher. Doch im Volk gärte es. Es verweigerte nicht nur die<br />

Steuerzahlungen, sondern verbreitete sogar „massenhaft revolutionäre Flugschriften“ 29 <strong>und</strong> es gab<br />

„Straßenaufläufe <strong>und</strong> Demonstrationen“ 30 . Die Regierung wusste keine andere Lösung als das<br />

Parlament 1640 wieder einzuberufen. Dieses jedoch wich kein Jota von seiner Forderung ab:<br />

„[E]he nicht die politische Freiheit gesichert ist, keinen Pfennig zur Kriegsführung.“ 31 Genau dies<br />

war auch einmal die Haltung der Vorkriegs-SPD gewesen. Karl I. reagierte kurzentschlossen <strong>und</strong><br />

wollte „[f]ünf der angesehensten Führer der Opposition“ 32 unter Verletzung ihrer Immunität als<br />

Parlamentsabgeordnete in Haft setzen <strong>und</strong> unter die Anklage des Hochverrats stellen. Hier nun<br />

endete Zetkins fulminante Einleitung <strong>und</strong> der Artikel setzte mit aus François Guizots 1828<br />

erschienenen Werk „Geschichte der englischen Revolution“ entnommenen Darstellungen fort. In<br />

ihrer Einleitung hatte Zetkin geschickt Analogien gezogen <strong>und</strong> einen Ausblick auf die kom-<br />

menden Ereignisse gegeben. Dieser Übergriff auf die Abgeordneten des Parlaments sollte den<br />

König „den Kopf kosten“ 33 . Denn nun würde sich, so Zetkin, auch das „englische Bürgertum<br />

auf[raffen], um die Macht des Königtums einzuschränken <strong>und</strong> das Parlament zum eigentlichen<br />

24 Ein Blatt Geschichte [I-III]. In: GL, 26/ 22/ 21.07.1916/ 165-166 bis GL, 26/ 25/ 18.08.1916/ 177-178.<br />

25 Ein Blatt Geschichte I. In: GL, 26/ 22/ 21.07.1916/ 165.<br />

26 Ebd.<br />

27 Ebd.<br />

28 Ebd.<br />

29 Ebd.<br />

30 Ebd.<br />

31 Ebd.<br />

32 Ebd.<br />

33 Ebd.<br />

248


3.1 GESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Machtfaktor des politischen Lebens zu erheben“ 34 . Nun würden Bürgerliche „[ge]stützt[…] auf<br />

die revolutionären Schichten des arbeitenden Volkes“ 35 , nicht mehr nur „Petitionieren“, sondern<br />

sich an die Spitze einer „offenen großen Volksrevolution“ stellen. Guizot beschrieb den Kampf<br />

des Parlamentes, aber vor allem des Volkes um seine Vertreter. „‘Immunität! Immunität!’“ 36 hätten<br />

die Massen dem König drohend auf der Straße zugerufen <strong>und</strong> die fünf Abgeordneten nie ohne<br />

Schutz gelassen. Der Gewaltstreich des Königs war abgewehrt <strong>und</strong> er verließ London. Sein<br />

späterer Tod 1649 auf dem Schafott markierte den Beginn einer elf Jahre währenden englischen<br />

Republik. Zetkins Artikel war ein offener Aufruf zur Revoltution <strong>und</strong> es verw<strong>und</strong>ert sehr, dass er<br />

die Zensur unbeschadet umgehen konnte.<br />

Nach der Entlassung Zetkins <strong>und</strong> nach der russischen Revolution änderte sich der Blick der<br />

„Gleichheit“ auf den historischen Materialismus, wenn sie sich auch weiterhin auf ihn berief. So<br />

schrieb Kurt Heilbut in seinem Artikel „Kommunismus oder Sozialismus“ 37 , mit welchem er vor<br />

allem gegen die linksradikale Konkurrenz <strong>und</strong> ihre Vorstellung vom Kommunismus angehen<br />

wollte:<br />

„Eine scharfe Trennung [von Sozialismus <strong>und</strong> Kommunismus; M.S.] besteht nur in<br />

dem Wege. Und hier verleugnet der Kommunismus auf einmal alle die wissenschaftlichen<br />

Gr<strong>und</strong>sätze, die die marxistische-materialistische Geschichtsforschung<br />

aufgestellt hat. Mit einem kühnen Saltomortale verläßt er hier den Boden der<br />

Wirklichkeit <strong>und</strong> fliegt <strong>und</strong> schwebt in einen gewiß sehr schönen <strong>und</strong> wünschenswerten<br />

Traumzustand hinein.“ 38<br />

Heilbut lehnte den Kommunismus nicht ab, weil er ihn nicht wollte, sondern weil er überzeugt<br />

war, „ihn unter den heutigen Wirtschaftsverhältnissen <strong>und</strong> mit dem gegenwärtigen Menschen-<br />

material“ 39 [sic!, M.S.] nicht verwirklichen zu können. Die Gesellschaft sei noch nicht reif für den<br />

Kommunismus. Dieser müsse sich organisch entwickeln <strong>und</strong> könne nicht mit „D-Zuggeschwin-<br />

digkeit“ 40 erzwungen werden. Lenin <strong>und</strong> die russischen Kommunisten hätten mit ihrer Politik<br />

bewiesen,<br />

34 Ebd.<br />

35 Ebd.<br />

„daß die sofortige Durchführung des Kommunismus ein Unding, eine Unmöglichkeit<br />

ist. Wir müssen ihnen ferner dankbar sein, daß sie die Fehler, die sie gemacht<br />

haben, offen <strong>und</strong> freimütig eingestanden, ja sogar selbst aufgedeckt haben <strong>und</strong> so<br />

36 Ein Blatt Geschichte III. In: GL, 26/ 25/ 18.08.1916/ 178.<br />

37 Heilbut, Kurt: Kommunismus oder Sozialismus. In: GL, 29/ 24/ 02.08.1919/ 187-190.<br />

38 Ebd., S. 188.<br />

39 Ebd.<br />

40 Ebd., S. 189.<br />

249


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

den Arbeitern ihres Landes, <strong>und</strong> darüber hinaus den Proletariern der ganzen Welt<br />

gezeigt haben, wie man es n i c h t machen soll.“ 41<br />

Trotz dieser Kritik blieb auch für Heilbut entscheidend, dass während die konservative Gesell-<br />

schaft aus Geschichte <strong>und</strong> Tradition Argumente schöpft, die den Status quo legitimieren, die<br />

sozialistische Kritik an der bestehenden Gesellschaft – ob nun sozialdemokratisch oder kommu-<br />

nistisch – vor allem auf dem Geschichtsverlauf fußt. In diesem Sinne hatte wiederum Zetkin<br />

bereits 1915 anlässlich des Internationalen Frauentages geschrieben:<br />

“Hat es da nicht den Anschein, als ob der Weltkrieg einer Erdbebenkatastrophe<br />

gleich mit anderen Menschheitsidealen auch die gärende Sehnsucht der Frauen<br />

nach Recht, nach Freiheit, das eigene Maß des Wachsens <strong>und</strong> Werdens zu erreichen<br />

unter Trümmerhaufen begraben habe? So mögen die Kleinmütigen <strong>und</strong> Kurzsichtigen<br />

wähnen, die das Wirken <strong>und</strong> Weben der geschichtlichen Kräfte nur an der<br />

Oberfläche erfassen <strong>und</strong> für deren Sinn daher das ewig Gestrige auch das ewig<br />

Heutige ist. Anders sieht die Dinge, wer aus der Geschichte gelernt hat, daß wohl<br />

für kürzere oder längere Zeit verschüttet, aber nicht getötet werden kann, was<br />

gesellschaftliche Notwendigkeit vom Menschengeist geboren werden läßt <strong>und</strong><br />

menschlichem Wollen als Ziel gesetzt. Es kann nicht sterben, bis es nicht vollendet<br />

worden <strong>und</strong> in seiner Vollendung höherem gesellschaftlichen Sein den Weg geebnet<br />

hat.“ 42<br />

Diese von Zetkin wortgewandt ausgedrückte Hoffnung auf die Erfüllung eines menschheits-<br />

geschichtlichen Ziels barg eine besondere Emotionalität. Allen sozialdemokratischen Organen –<br />

einschließlich der „Gleichheit“ – waren Revolutionen als „Sonn- <strong>und</strong> Festtage der Weltge-<br />

schichte“ 43 – nicht nur markante Wendepunkte, sondern immer auch „‘emotional-romantische[…]<br />

Symbol[e]’“ 44 .<br />

Auch Toni Sender bediente sich für ihren Artikel „Das Klassenbewusstsein als Quelle unserer<br />

Kraft“ 45 dieser Emotionalität. Senders Artikel erschien im März 1923. Auch dieses Mal ging es<br />

der „neuen“ „Gleichheit“ nicht nur um ein schlichtes Erinnern an die Märzgefallenen der 1848er-<br />

Revolution, sondern um eine Beziehung zum Jetzt – umso mehr, da das Berliner Bezirksparlament<br />

den Antrag der Sozialdemokratie, den Friedhof der Märzgefallenen vor dem Verfall zu bewahren,<br />

nur mit Unverständnis begegnet war. Dieses Verhalten nahm Sender zum Anlass,<br />

41 Ebd.<br />

„[j]ener Zeit“ zu erinnern, „da ihr [der deutschen Bourgeoisie; M.S.] die Hilfe des<br />

in ihrem Schoße entstehenden vierten Standes sehr willkommen war, um sich von<br />

ihm im Kampfe gegen den Feudalismus die Kastanien aus dem Feuer holen zu<br />

lassen“ 46 .<br />

42 Der internationale sozialistische Frauentag. In: GL, 25/ 13/ 19.03.1915/ 73-74, S. 73.<br />

43 Kossok, In Tyrannos: Revolutionen der Weltgeschichte, S. 15.<br />

44 Friedemann, Französische Revolution <strong>und</strong> deutsche sozialistische Arbeiterpresse, S. 236.<br />

45 Sender, Toni: Das Klassenbewusstsein als Quelle unserer Kraft. In: GL, 33/ 06/ 15.03.1923/ 41-42.<br />

46 Ebd., S. 41.<br />

250


3.1 GESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Während die Bourgeoisie des Jahres 1923 jede revolutionäre Entwicklung moralisch entrüstet<br />

ablehne, 47 lebe das Proletariat – Sender verwendete nicht den Begriff der Sozialdemokratie – in<br />

eben dieser revolutionären Tradition. Sender schlug einen darstellenden Bogen von der<br />

Französischen Revolution über die Weberaufstände bis zur Entwicklung eines „nackt[en] <strong>und</strong><br />

unverschleiert[en], Menschenwürde <strong>und</strong> Persönlichkeitsbewusstsein zerstörend[en] […] jungen<br />

deutschen Kapitalismus“ 48 in der Zeit des Vormärz. Das Proletariat habe den „aktivsten Teil“ 49 der<br />

1848er-Revolution gebildet, aber sei dann doch von der Bourgeoisie, die im Gegensatz zu ihm<br />

bereits über ein klares Klassenbewusstsein verfügt habe, „überrumpel[t]“ 50 worden. Ohne dieses<br />

Klassenbewusstsein <strong>und</strong> von der Bourgeoisie, die ein mächtiges Proletariat verhindern wollte, auf<br />

dem Kampfplatz im Stich gelassen, habe auch das Proletariat letztlich der Soldateska erliegen<br />

müssen. Sender, die hier kaum die weibliche Perspektive betonte, ließ ihren Leserinnen trotzdem<br />

die 1848er-Revolution als Markstein des Aufstiegs der proletarischen Klasse erscheinen:<br />

„Aber dennoch bleibt die 1848er-Revolution auch für das deutsche Proletariat<br />

wertvoll. Denn je mehr sie versandete, desto revolutionärer wurde das Proletariat.<br />

Je feiger das Bürgertum, aus Angst vor dem Proletariat, die eigene Fahne sinken<br />

ließ, um so radikaler räumte dieser Erfahrung im Proletariat mit den alten<br />

Illusionen auf. So wurde die Märzrevolution zum mächtigsten Kraftquell für das<br />

deutsche Proletariat – zur Quelle der Erkenntnis in seine eigene starke Kraft als<br />

Klasse.“ 51<br />

Es ist zum Schluss vor allem ein Aufruf zu Einigkeit des Proletariats, denn in der Stärke seiner<br />

Einigkeit <strong>und</strong> Selbständigkeit liege seine Kraft. 52 Mit dieser wolle es nun seine historische<br />

Mission erfüllen <strong>und</strong> „die Menschheit auf eine höhere Stufe der Wirtschaft <strong>und</strong> Kultur empor-<br />

[…]führen“. 53 Der Burgfrieden war 1923 vorbei, die SPD wiedervereinigt <strong>und</strong> scheinbar bereit für<br />

den politischen Kampf um eine neue Gesellschaft.<br />

Der politische Kampf war der SPD vor gar nicht langer Zeit noch sehr erschwert worden. Ihre<br />

eigene Geschichte barg wie die der Revolutionen eine besondere Emotionalität, denn sie berührte<br />

viele der „Gleichheit“-Leserinnen, die zu den „Frauen der ersten St<strong>und</strong>e“ gehörten. Es konnte<br />

daher nicht ausreichend sein, ihnen die Parteigeschichte nur aus einer allgemeinen Perspektive<br />

47 Ebd.<br />

48 Ebd., S. 42.<br />

49 Ebd.<br />

50 Ebd.<br />

51 Ebd.<br />

52 Ebd.<br />

53 Ebd.<br />

251


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

oder in Form von männerbiographischen Artikeln näher zu bringen. 54 Auch sie hatten der durch<br />

Sozialisten- <strong>und</strong> Vereinsgesetz drohenden gesellschaftlichen Diskriminierung <strong>und</strong> Haftstrafen<br />

getrotzt, eine von bürgerlicher Mildtätigkeit unabhängige Organisation begründet <strong>und</strong> sich offen<br />

zur sozialistischen Arbeiterbewegung bekannt. Die „Gleichheit“ wurde nie müde, die besonderen<br />

Verdienste der Frauen um das Überleben <strong>und</strong> den Aufstieg der männerdominierten SPD zu<br />

benennen. Deshalb werden im folgenden Kapitel die frauengeschichtlichen Akzente von Kultur-,<br />

Revolutions- <strong>und</strong> SPD-Geschichte näher vorgestellt.<br />

54 Die umfassendste Darstellung der SPD-Geschichte erschien mit einer Artikelserie von Franz Klühs (1877-1923)<br />

1922: Klühs, Franz: Vom Werden der Partei [I-VIII]. In: GL, 32/ 07/ 01.04.1922/ ? bis GL, 32/ 19-20/ 01.10.1922/<br />

178-179; siehe: „Auswahl der geschichtlichen Artikel im Hauptblatt der ‘Gleichheit’“. Klühs hatte bereits 23jährig<br />

seine erste Position als Redakteur einer Zeitschrift inne. Zweimal wurde er wegen Verstoßes gegen das preußische<br />

Pressegesetz zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Er engagierte sich in der Magdeburger SPD. 1921-1933 war<br />

Klühs stellvertretender Chefredakteur des „Vorwärts“. 1921 erschien außerdem sein Werk „Der Aufstieg. Führer<br />

durch die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ (vgl. Radtke, Elli: [Rezension zu: Klühs, Franz: Der<br />

Aufstieg]. In: GL, 31/ 02/ 15.01.1921/ 13). 1934 wurde er wegen seiner Kontakte zum Exil-Parteivorstand vom<br />

Reichsgericht in Leipzig zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. In Verhören immer wieder misshandelt,<br />

war Klühs‘ Ges<strong>und</strong>heitszustand so schlecht, dass er kurz nach der Entlassung an den Folgen der Haft verstarb.<br />

252


3.2 Frauengeschichte in der „Gleichheit“<br />

Die Behandlung historischer Inhalte in der „Gleichheit“ ist geprägt durch das Geschichtsbild<br />

August Bebels. Sowohl sein 1875 abgefasster, aber erst 1878 erschienener Aufsatz „Über die<br />

gegenwärtige <strong>und</strong> künftige Stellung der Frau“ als auch sein 1879 veröffentlichtes Hauptwerk<br />

„Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“ 55 – das von deutschen ProletarierInnen meistgelesene Buch 56 –<br />

basieren auf Marx‘ Theorie des historischen Materialismus. Bebel analysierte ausgehend von<br />

den kulturkritischen Studien utopischer Frühsozialisten wie Charles Fourier <strong>und</strong><br />

naturwissenschaftlich-ethnologischen Studien von Charles Darwin, Lewis Henry Morgan <strong>und</strong><br />

Johann Jakob Bachofen die vielfältigen historischen Ursachen für die gesellschaftliche Unter-<br />

drückung der Frau. Er stellte anhand dieser Studien die kulturgeschichtliche Entwicklung<br />

menschlicher Gesellschaften seit der Urzeit bis zur kapitalistischen Gegenwart dar <strong>und</strong> ver-<br />

wertete sowohl geschichtswissenschaftliche Erkenntnisse als auch große Mengen statistischen<br />

Materials. 57 Für besondere Aufregung in konservativen Kreisen sorgten seine Darstellungen der<br />

Frauen als Geschlechtswesen, die einen natürlichen Geschlechtstrieb ausleben wollen, sowie<br />

seine an die bürgerliche Doppelmoral gerichteten Anklagen hinsichtlich Prostitution, Ge-<br />

schlechtskrankheiten <strong>und</strong> der historischen Entwicklung der vermeintlich göttlichen Institution<br />

der Ehe. Bebel analysierte die geschlechtsspezifischen Momente weiblicher Arbeit, weiblicher<br />

Bildung <strong>und</strong> damit weiblicher Rechtlosigkeit. Er pointierte schließlich: „Frau <strong>und</strong> Arbeiter<br />

haben gemein, Unterdrückte zu sein.“ 58 <strong>und</strong> stellte die zentrale These auf, dass die Frauenfrage<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich Teil der sozialen Frage sei <strong>und</strong> beide nur durch die Etablierung einer<br />

sozialistischen Gesellschaftsordnung gelöst werden könnten. Der Kampf um die Gleich-<br />

berechtigung der Frau war Kampf um den sozialistischen Zukunftsstaat <strong>und</strong> damit Teil des<br />

Kampfes der Arbeiterbewegung. Mit einem Ausblick auf eben diese zukünftige sozialistische<br />

55 Bebel veröffentlichte die Ergebnisse seiner Studien 1879 vorerst unter dem Titel „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“.<br />

Der unter den oppressiven Gegebenheiten des „Sozialistengesetzes“ äußerst brisante Inhalt erschwerte<br />

den Vertrieb des Werkes jedoch in solchem Maße, dass der Titel „Die Frau in Vergangenheit, Gegenwart <strong>und</strong><br />

Zukunft“ über den wahren Charakter des Buches hinwegtäuschen sollte. Erst die überarbeitete neunte Auflage<br />

von 1891 konnte wieder unter dem ursprünglichen Titel erscheinen. Die Leserschaft hatte das Werk Bebels<br />

unter einer anderen Bezeichnung populär gemacht: Schlicht wie auch herzlich bezeichnete sie das Werk als<br />

Bebels „Frau“.<br />

56 Für die Popularität von Bebels „Frau“ stehen die hohe Zahl der Auflagen (1910 erschien bereits die 50. Auflage),<br />

die Übersetzung in mehr als 20 Sprachen <strong>und</strong> die Nutzungsstatistiken der Arbeiterbibliotheken (vgl.<br />

Steinberg, Lesegewohnheiten deutscher Arbeiter).<br />

57 Bebel, Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus, S. 43. Es muss aus Platzgründen <strong>und</strong> um Wiederholungen zu vermeiden,<br />

darauf verzichtet werden, spezifischer auf Bebels Werk „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“ einzugehen. Die<br />

frauengeschichtlichen Artikel der „Gleichheit“ spiegeln seine Inhalte teilweise präzise wider, teilweise gehen<br />

sie aber auch über Bebels Darstellungen hinaus.<br />

58 Bebel, Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus, S. 45.<br />

253


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Gesellschaft schließt „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“. Bebel musste seinen Kritikern 59 gegenüber<br />

später jedoch einräumen, dass dieser Ausblick sehr subjektiv ausfallen musste <strong>und</strong> keine absolute<br />

Geltung beanspruche. 60 Dennoch entwarf sein Werk allen Frauen – nicht nur den proletarischen –<br />

ein Ziel, das sich anzustreben lohnt.<br />

Bebel beschrieb einen historischen Kulturauftrag der Frau :<br />

„Mit dem den Frauen innewohnenden feinen Gefühl, welches sie als selbst<br />

Unterdrückte für die Unterdrückten stets empfanden <strong>und</strong> das ihnen instinktiv die<br />

Hoffnung gab, durch die Befreiung eines Unterdrückten ihre eigene Unterdrückung<br />

zu beendigen oder zu erleichtern, haben sie noch in jeder großen Bewegung ihre<br />

Rolle gespielt <strong>und</strong> sich mit Eifer der Verwirklichung ihrer Ziele hingegeben. Es<br />

zeigte sich dies bei der Gründung <strong>und</strong> Ausbreitung des Christentums, bei allen religiös-sozialen<br />

Bewegungen des Mittelalters, im Bauernkrieg, in der französischen<br />

Revolution, in der Junischlacht, in der Communebewegung.“ 61<br />

Mit diesen Ausführungen umriss Bebel quasi das frauengeschichtliche Inhaltstableau der<br />

„Gleichheit“.<br />

Wie nun aber war es möglich gewesen, dass Frauen diesen Einfluss hatten verlieren können?<br />

Wieso fand man sie zur Enttäuschung Bebels weniger in der sozialistischen Bewegung als<br />

ausgerechnet im „ultramontanen Lager“ 62 d. h. im Lager der Katholizisten <strong>und</strong> Antiliberalen, die<br />

in der Zentrumspartei ihre politische Vertretung hatten. Bebel sah den Gr<strong>und</strong> dafür in der Taktik<br />

der Herrschenden, „bei den Frauen in noch höherem Grade wie bei den Proletariern die Aus-<br />

bildung des Verstandes absichtlich [zu] vernachlässig[en]“ 63 . Wo aber, so Bebel,<br />

„der Verstand wegen Mangel an Entwickelung <strong>und</strong> Uebung schwach ist, ist<br />

das Gefühl stark. Dieses starke Ueberwuchern des Gefühls auf Kosten des<br />

Verstandes hat insbesondere die Kirche, die nur auf das Gefühl berechnet ist, auszubeuten<br />

gewußt.“ 64<br />

Die von Bebel zuvor also noch hoch geschätzte, vermeintlich weibliche Eigenart des Mitfühlens<br />

<strong>und</strong> Hingebens kam nicht nur der sozialistischen Bewegung zu Gute, sondern auch ihren Gegnern.<br />

Wollte die SPD das Mitgefühl der Frauen für die Unterdrückten dieser Welt wachrufen, durfte sie<br />

59 Für kritische zeitgenössische Rezensionen zu Bebels Werk siehe: Schöler, Die Irrthümer der Sozialdemokratie<br />

(1895); Ley, A. Bebel <strong>und</strong> sein Evangelium (1885); Jardon, Die Frau <strong>und</strong> Bebels Utopien (1892); Katzenstein,<br />

Kritische Bemerkungen zu Bebels Buch: „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“ (1896/97); Ziegler, Die Naturwissenschaft<br />

<strong>und</strong> die sozialdemokratische Theorie (1894) (siehe als Rezension dazu: G.L.: Die Gleichstellung der<br />

Frau mit dem Manne. In: GL, 04/ 07/ 04.04.1894/ 94). Für moderne – positive wie negative – Beurteilungen siehe:<br />

Literaturverzeichnis; Luckhardt, Die Frau als Fremde; Schwendter, Zur Geschichte der Zukunft: Zukunftsforschung<br />

<strong>und</strong> Sozialismus, Bd. 1, S. 248-255.<br />

60 Vgl. Bebel, Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus, S. 43.<br />

61 Bebel, Über die gegenwärtige <strong>und</strong> künftige Stellung der Frau, S. 701-702.<br />

62 Ebd., S. 702<br />

63 Ebd. Hervorhebungen aus dem Original wurden im Neudruck kursiv übernommen. Da angenommen werden<br />

kann, dass sie im Original in der damals üblicheren Form des Sperrdrucks erschienen, wird diesem hier der Vorzug<br />

gegeben.<br />

64 Ebd.<br />

254


3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />

es nicht durch eine übermäßige Verstandesausbildung der Frau gefährden. Zudem war das<br />

„gelehrte Frauenzimmer“ ein oft karikiertes Frauenbild, dem bestimmt keine Proletarierin nach-<br />

streben sollte <strong>und</strong> wollte. Bebel sah quasi einen diametralen Zusammenhang zwischen Verstand<br />

<strong>und</strong> Gefühl – je stärker das eine ausgebildet ist, desto schwächer das andere. Gr<strong>und</strong>legend für<br />

einen gesellschaftlichen Wandel war damit die rational-wissenschaftliche Schulung der Frau. In<br />

welcher Weise aber letztendlich das richtige Verhältnis zwischen Verstand <strong>und</strong> Emotion her-<br />

zustellen sein könnte, beschrieb Bebel allerdings nicht. Er forderte die sozialistische Bewegung<br />

zum konkreten Handeln, zur verstärkten Agitation auf, um den Frauen die entscheidende<br />

Alternative zur Kirche sein. Die wahre Emanzipation der Frau –eine Notwendigkeit, die er auch<br />

für die bürgerlichen <strong>und</strong> adeligen Frauen sah – sei nicht allein in der Gleichberechtigung mit dem<br />

Ehemann gegeben, sondern auch in ihrer „Stellung als Staatsbürgerin <strong>und</strong> Arbeiterin, als<br />

Gesellschaftswesen überhaupt“ 65 .<br />

Schnell wurde Bebels „Frau“ von den verschiedenen proletarischen Frauenorganisationen für ihre<br />

Agitations- <strong>und</strong> Bildungsarbeit aufgegriffen. Schon 1891 fasste Zetkin für die „Arbeiterin“ seine<br />

wesentlichen Punkte in der Artikelserie „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus von Bebel“ 66 zusammen.<br />

Zwar äußert sie Kritik daran, dass es „vielfach skizzenhaft gehalten war, hier <strong>und</strong> da Vollständig-<br />

keit <strong>und</strong> leichte Uebersichtlichkeit des Gedankenganges vermissen ließ“ 67 , aber letztendlich sei es<br />

in Anbetracht seines Anliegens „eine That“ 68 gewesen. Diese Tat sei umso bew<strong>und</strong>ernswerter,<br />

wenn man neben den schwierigen Umständen der Niederschrift, der Veröffentlichung <strong>und</strong> Verbrei-<br />

tung außerdem bedenke, dass Bebels These<br />

„ein Schwimmen gegen den Strom nicht nur der bürgerlichen Welt – das war<br />

selbstverständlich – sondern auch der überwiegenden Mehrheit der sozialistischen<br />

Arbeiterwelt bedeutete“ 69 .<br />

Auf Parteiebene sei man nämlich immer noch der Meinung gewesen, dass sich die Frauenfrage als<br />

Teil der sozialen Frage mit der Umgestaltung der Gesellschaft von selbst erledigend würde. Sie<br />

war damit in ihren Augen eine „quantité negligeable“ 70 , eine zu vernachlässigende Größe. Dazu<br />

kam, dass immer noch viele Männer auf privater Ebene dem Bild, welches Bebel von der Frau als<br />

gleichwertiger Genossin im Kampf gegen gesellschaftlichen Verhältnisse entwarf, skeptisch, ja<br />

65 Ebd.<br />

66 Zetkin, Klara: Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus von Bebel. In: Arbeiterin, 01/ 13/ 28.03.1891- Arbeiterin, 01/ 18/<br />

02.05.1891). In der „Gleichheit“ wurde eine Besprechung des Bebel‘schen Werkes in dieser Art nicht wiederholt.<br />

67 Zetkin, Klara: Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus von Bebel. In: Arbeiterin, 01/ 13/ 28.03.1891.<br />

68 Ebd.<br />

69 Ebd.<br />

70 Ebd.<br />

255


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

ablehnend gegenüber standen. Zetkin schreibt es drei Dingen zu, dass sich in dieser Auffassung<br />

ein „kolossaler Umschwung“ vollzogen habe: 1. der „Logik der Thatsachen“, dass es nämlich im<br />

eigenen Interesse des Arbeiters lag, wenn er die Frau als Kampfgenossin werbe <strong>und</strong> erziehe, 2. der<br />

aufklärenden sozialistischen Agitation <strong>und</strong> eben 3. der „geradezu epochemachende[n] Bedeu-<br />

tung“ 71 des Bebel‘schen Werkes.<br />

Noch viel stärker als Bebel betonte Zetkin den Zusammenhang zwischen Erwerbstätigkeit <strong>und</strong><br />

Emanzipation der Frau. Wo es diese gleichberechtigte Erwerbstätigkeit noch nicht gab – z. B. in<br />

der Zeit der Renaissance –, dort konnte es individuelle Emanzipation, dort konnte es sogar<br />

„Frauen als Mittelpunkt des gesellschaftlichen, des künstlerischen, des politischen Lebens“ geben<br />

„[u]nd trotzdem nicht die Spur einer Frauenbewegung“ 72 . Da die Stellung der Frau gemäß der<br />

sozialistischen Frauenemanzipationstheorie Ergebnis eines historischen, auf der Entwicklung der<br />

Produktivkräfte basierenden Prozesses war, musste die Emanzipation der Frau in erster Linie eine<br />

ökonomische Emanzipation sein. Diese war nur durch die Frau selbst <strong>und</strong> durch ihre Integration<br />

in die Arbeiterbewegung möglich. Die Frauenemanzipation <strong>und</strong> die sozialistische Arbeiter-<br />

bewegung bedingten sich damit nicht nur gegenseitig im Fortgang ihrer Entwicklung, sie waren<br />

damit auch in ihren aktuellen Kämpfen, ihren Traditionen <strong>und</strong> Utopien – ihrer Vergangenheit,<br />

Gegenwart <strong>und</strong> Zukunft – miteinander verknüpft.<br />

Bebels Vermächtnis wurde zwar auch in der „neuen“ „Gleichheit“ geehrt, dies jedoch weit<br />

weniger ehrfürchtig als unter Zetkin. 73 So schrieb Zepler, dass in Bebels Tun „nicht Zufall <strong>und</strong><br />

nicht einmal Ausdruck eines bloßen persönlichen Weitblicks, sondern innere Notwendigkeit“ 74<br />

71 Ebd.<br />

72 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 160. Dieser letzten Behauptung Zetkins, dass es zwar<br />

eine Frauengeschichte, aber keine Frauenbewegung in der Zeit in <strong>und</strong> vor der Renaissance gegeben habe,<br />

widersprach Johanna Löwenherz (1857-1937) jedoch. Die Werke von Platon <strong>und</strong> Aristophanes würden bereits für<br />

die Zeit der Antike das Gegenteil beweisen <strong>und</strong> auch im Mittelalter <strong>und</strong> Ende des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts habe es eine<br />

Frauenbewegung gegeben (vgl. Löwenherz im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 168).<br />

Johanna Löwenherz wurde in Rheinbrol geboren. Sie war Tochter einer wohlhabenden jüdischen Familie <strong>und</strong><br />

siedelte 1887 nach Neuwied um. Dort engagierte sie sich politisch <strong>und</strong> publizistisch für die proletarische Frauenbewegung,<br />

war Mitgründerin eines sozialdemokratischen Volksbildungsvereins <strong>und</strong> 1894-1897 Delegierte auf<br />

mehreren Parteitagen. 1895 erschien ihre Schrift „Wird die Sozialdemokratie den Frauen Wort halten?“. Seit 1986<br />

vergibt eine nach Löwenherz benannte <strong>und</strong> aus ihrem nachgelassenen Vermögen finanzierte Stiftung einen Preis<br />

für engagierte Frauen aus Wissenschaft <strong>und</strong> Kunst.<br />

73 Es wurden in der „Gleichheit“ viele Artikel zu Ehren Bebels als auch zu seinen Werken veröffentlicht (u. a.<br />

erschien anlässlich seines 70. Geburtstages <strong>und</strong> seines 10. Todestages jeweils eine ihm gewidmete „Gleichheit“-<br />

Nummer (GL, 20/10/14.02.1910/ 145-158 <strong>und</strong> GL, 33/ 15/ 01.08.1923/ 120-124; außerdem: Dies Buch gehört den<br />

Massen. In: GL, 20/ 06/ 20.12.1909/ 81-83). Die Berichte von öffentlichen Vorträgen belegen wie stark Bebel<br />

rezipiert wurde. In der „Gleichheit“ wurden 1911 seine Memoiren „Aus meinem Leben“ besprochen <strong>und</strong> in die<br />

Beilagen wurden Bebel-Zitate gleich Goethe-Zitaten eingestreut. Ein besonderes Zeugnis der Bew<strong>und</strong>erung ist ein<br />

Glückwunschschreiben von Zetkin, Zietz <strong>und</strong> Baader vom 22. Februar 1910 (In: Schmidt/Richter: „Dir als dem<br />

Vorkämpfer für die volle menschliche Emanzipation des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts“ – Brief Clara Zetkins an August<br />

Bebel).<br />

74 Zepler, Wally: Bebel <strong>und</strong> die Frauen. In: Die Gleichheit, 33/ 15/ 10.08.1923/ S. 119-121, S. 120.<br />

256


3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />

gelegen habe. Sie betonte, dass es auch Frauen wie „Auguste Schmidt, Louise Otto-Peters <strong>und</strong><br />

etwas später die geist- <strong>und</strong> seelenvolle Hedwig Dohm“ 75 gab, die die zwingenden Zusammen-<br />

hänge zwischen sozialer Frage – als deren Teil die Frauenfrage erachtet wurde –, <strong>und</strong> geistiger<br />

<strong>und</strong> wirtschaftlicher Emanzipation erkannt <strong>und</strong> diese Erkenntnis ihr Leben lang vertreten hätten. 76<br />

Bebel kommt jedoch unstreitig das Verdienst zu, die Theorie des historischen Materialismus durch<br />

eine weibliche Perspektive ergänzt <strong>und</strong> für diese Perspektive – in Konsequenz für das Frauen-<br />

wahlrecht – in allen Parteiinstanzen gekämpft zu haben. Für Juchacz war es daher unbegreiflich,<br />

dass dieses Werk trotz seiner Popularität <strong>und</strong> wissenschaftlichen F<strong>und</strong>ierung „doch nicht so<br />

gewirkt [habe], dass der Augenblick des Frauenwahlrechts ein anderes Frauengeschlecht vorge-<br />

f<strong>und</strong>en hat (Sehr richtig!)“. 77<br />

Mit seinen Ausführungen zur historischen Entwicklung der gesellschaftlichen Stellung der Frau<br />

schuf Bebel nicht nur die Gr<strong>und</strong>lage für die später von Zetkin präzisierte sozialistische Frauen-<br />

emanzipationstheorie, er schuf überhaupt eine der ersten frauengeschichtlichen Studien. Obwohl<br />

Bebel kein Historiker war, findet sich der inspirierende <strong>und</strong> wissenschaftliche Wert seines Werkes<br />

in vielen historischen Artikeln der „Gleichheit“ wieder. Auf dieser Gr<strong>und</strong>lage entwickelte Zetkin<br />

ein auf die Lebensverhältnisse <strong>und</strong> das weibliche Selbstverständnis ausgerichtetes Agitations-<br />

programm. Dessen Inhalte ergaben sich sowohl aus aktuellen Tagesforderungen der proletarischen<br />

Frauenbewegung wie auch aus dem Bemühen um ein weibliches Geschichtsbewusstsein – ein<br />

weibliches Geschichtsbewusstsein, das jedoch nicht ein feministisches, sondern ein sozialistisches<br />

sein musste. Zetkin sah die Aufgabe einer „Geschichte der proletarischen Frauenbewegung“ darin,<br />

sowohl die vielgestaltigen Verbindungen zwischen proletarischer Frauenbewegung <strong>und</strong> sozialis-<br />

tischer Arbeiterbewegung als auch ihre vielfältigen Gegensätze zur bürgerlichen Frauenbewegung<br />

aufzuzeigen. Diese bedurfte einer anderen inhaltlichen Gewichtung als die, die dem 1901 von Lily<br />

Braun veröffentlichten Werk „Die Frauenfrage. Ihre geschichtliche Entwicklung <strong>und</strong> ihre wirt-<br />

schaftliche Seite“ 78 zugr<strong>und</strong>e lag <strong>und</strong> sie musste sich gegenüber der von Emma Ihrer erarbeiteten<br />

Dokumentationen „Die Organisation der Arbeiterinnen Deutschlands“ <strong>und</strong> „Die Arbeiterinnen im<br />

Klassenkampf“ hinsichtlich wertender Bezüge zur Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, zur<br />

Arbeiterbewegung <strong>und</strong> zur allgemeinen historischen Entwicklung deutlich abheben.<br />

75 Ebd.<br />

76 Vgl. ebd.<br />

77 Juchacz im Bericht über den Reichsfrauentag. In: Protokoll des SPD-Parteitages Berlin 1924, S. 225.<br />

78 Auch Frederiksen ist der Meinung, dass Brauns Darstellungen der Geschichte der proletarischen Frauenbewegung<br />

im Vergleich zu derjenigen der bürgerlichen Frauenbewegung spärlich sind, <strong>und</strong> schreibt dies dem Umstand zu,<br />

dass Braun kaum eigenen Anteil an dieser Geschichte gehabt habe (vgl. Frederiksen, Women Writers, S. 34).<br />

257


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Den Auftakt zu einer solchen „Geschichte der proletarischen Frauenbewegung“ markierte Zetkin<br />

in ihrer 1906 veröffentlichten Artikelserie „Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in<br />

Deutschland“ 79 . Sie leitete diese mit den Worten ein:<br />

„Wir haben noch keine Geschichte der proletarischen Frauenbewegung unseres<br />

Landes. Insbesondere dürftig <strong>und</strong> unvollständig ist, was wir über die ersten Ansätze<br />

der Bestrebungen wissen, den Klasseninstinkt der Proletarierin zum klaren<br />

Klassenbewußtsein zu läutern <strong>und</strong> sie als gleichverpflichtete <strong>und</strong> gleichberechtigte<br />

Mitstreiterin dem allgemeinen proletarischen Emanzipationskampf zuzuführen.“ 80<br />

Zetkins Interpretation des Bildungsauftrags der „Gleichheit“ umfasste das Schließen geschichts-<br />

wissenschaftlicher Lücken, die Bilanzierung des Erreichten <strong>und</strong>, nicht zuletzt, auch die<br />

Ausarbeitung effektiven Agitationsmaterials. Sie suchte die eigene Geschichte <strong>und</strong> zugleich eine<br />

erfolgreiche Strategie, den Arbeiterinnen die sozialistische Idee näher zu bringen. Doch das<br />

Fehlen einer eigenen Geschichtsschreibung <strong>und</strong> die schwierigen Bedingungen, unter denen die<br />

proletarische Frauenbewegung ihren Anfang genommen hatte, gestalteten diese Aufgabe alles<br />

andere als günstig:<br />

„<strong>Von</strong> manchen der Frauen, die vor langen Jahren die mühselige <strong>und</strong> opferreiche<br />

Arbeit der ersten Aufklärungs- <strong>und</strong> Organisationsarbeit unter dem <strong>weiblichen</strong><br />

Proletariat geleistet haben, gelten die Worte: ‘gestorben, verdorben, zerstreut’. Die<br />

wichtigen Aufschlüsse, die sie über die Kindheitsgeschichte der proletarischen<br />

Frauenbewegung geben könnten, haben sie mit ins Grab oder in die Weite<br />

genommen.“ 81<br />

In dieser prekären Situation erkannte Zetkin den unschätzbaren Wert der Zeitzeuginnen <strong>und</strong> die<br />

Notwendigkeit gezielter wissenschaftlicher Forschung, denn<br />

„[a]ndere frühere Trägerinnen unserer Bewegung stehen noch heute mitten im<br />

Kampfe <strong>und</strong> ermangeln der Ruhe, die Schätze von Material zu sammeln <strong>und</strong> zu<br />

sichten, die ihre Kästen <strong>und</strong> ihre Erinnerungen bergen“ 82 .<br />

Sicherlich hätte gerade hier die von Braun 1897 angeregte <strong>und</strong> von Zetkin so vehement<br />

abgelehnte zentrale Forschungsstelle viel Wertvolles leisten können. 83 Dies sicherlich nicht nur<br />

79 Zetkin veröffentlichte diese gr<strong>und</strong>legende Artikelserie 1906 zuerst im „Ilustrirten Neue-Welt-Kalender“ (1883-<br />

1952), weil ihr dadurch seine Massenverbreitung eher gesichert schien als durch andere Parteiliteratur <strong>und</strong> -presse<br />

(vgl. Zetkin, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands, S. 8). Anschließend veröffentlichte<br />

sie sie auch in der „Gleichheit“: Zetkin , Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in<br />

Deutschland [I-VI]. In: GL, 16/ 20/ 03.10.1906/ 138 bis GL, 16/ 25/ 12.12.1906/ 178. Schließlich wurde sie ein<br />

eigenständiges Kapitel in Zetkins 1928 in Moskau veröffentlichten „Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung<br />

Deutschlands“ (Zetkin, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands, S. 119-148).<br />

Bedingt durch die Ereignisse des Ersten Weltkrieges, das Auseinanderfallen der Internationale <strong>und</strong> die<br />

Parteispaltung musste Zetkin besonders im Schlussteil einige Ergänzungen <strong>und</strong> Veränderungen einfügen (vgl.<br />

Zetkin, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands, S. 145ff.).<br />

80 Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 20/ 03.10.1906/ 138.<br />

81 Ebd.<br />

82 Ebd.<br />

83 Vgl. [Braun, Lily] Braun-Gizycki, Lily: Die nächsten Aufgaben der deutschen Arbeiterinnenbewegung. In: GL,<br />

258<br />

07/ 06/ 17.03.1897/ 42.


3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />

hinsichtlich des Sammelns von Quellen, sondern auch hinsichtlich eines wissenschaftlichen Um-<br />

gangs mit diesen. Ohne eine solche Einrichtung blieb Zetkin jedoch nur zu monieren, dass bisher<br />

„[a]lle […], die einen zusammenfassenden geschichtlichen Überblick über die Entwicklung<br />

der proletarischen Frauenbewegung geben wollten, […] darauf verzichtet<br />

[hätten], ihren ersten Anfängen auf Gr<strong>und</strong> eines selbständigen weitfassenden<br />

Quellenstudiums nachzugehen“ 84 .<br />

Man habe sich, so Zetkin, ohne allerdings konkrete Namen oder Werke zu nennen, damit begnügt,<br />

„bereits aufbereitetes Material zu verarbeiten oder auch wohl es einfach zu übernehmen“ 85 . Ein<br />

Vorwurf, dessen sich jedoch auch die „Gleichheit“-Redaktion nicht entziehen konnte. Denn wie<br />

für ihre Vorgängerinnen war es auch für die „Gleichheit“ selbstverständlich <strong>und</strong> notwendig<br />

gewesen, Artikel anderer – meist sozialistischer Zeitschriften – aufzunehmen. Die dadurch un-<br />

weigerlich übernommenen Fehler wurden demnach auch von der „Gleichheit“ entsprechend<br />

multipliziert. 86<br />

Zetkin wandte sich schließlich in den Worten Julius Mottelers mit einem Auftrag der Bewahrung<br />

von Geschichte <strong>und</strong> Erinnerung an alle engagierten Frauen der proletarischen Frauenbewegung:<br />

„‘Sammelt die Bausteine zu einer proletarischen Frauenbewegung, solange die Dokumente<br />

nicht zerfallen <strong>und</strong> verweht sind, die von ihren ersten Ansätzen erzählen,<br />

solange die Persönlichkeiten noch leben, die ihre ersten Pioniere gewesen.’“ 87<br />

Ihre eigene Motivation für den Kampf gegen den <strong>weiblichen</strong> Geschichtsverlust formulierte Zetkin<br />

im Vorwort ihrer 1928 erschienenen Aufsatzsammlung „Geschichte der proletarischen Frauenbe-<br />

wegung“, in welche auch jene Artikelserie einfloss, wie folgt:<br />

„Nach meinem Dafürhalten konnten gerade die in ihrer Einstellung zu den sozialen<br />

Dingen Unsicheren <strong>und</strong> Ängstlichen, die Ungeschulten, Scheuen <strong>und</strong> Schüchternen,<br />

die ‘Kleinen’ der Bewegung – <strong>und</strong> unter ihnen besonders die Frauen – aus<br />

dem Bilde hingebungsvollen, ausdauernden Ringens <strong>und</strong> Aufbauens in der Vergangenheit<br />

Belehrung gewinnen, ebenso auch Ansporn, Ermutigung, Begeisterung<br />

<strong>und</strong> Beispiel. Ich hoffte des weiteren, die Arbeit werde die Veröffentlichung von<br />

Erinnerungen <strong>und</strong> Schriftstücken aus jener Zeit anregen, denn damals lebten noch<br />

Genossinnen <strong>und</strong> Genossen, die die erste organisierte Zusammenfassung von proletarischen<br />

Frauen <strong>und</strong> Männern zum Klassenkampf mitgeschaffen <strong>und</strong> getragen<br />

hatten.“ 88<br />

84 Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 20/ 03.10.1906/ 138.<br />

Zetkin bemängelte, dass bisher solche Quellenmaterialien nur für die Berliner Arbeiterinnenorganisationen erstellt<br />

worden seien.<br />

85 Ebd. Zetkin selbst schloss ihre Artikelserie mit einer Liste der von ihr verwendeten Quellen (vgl. Zetkin , Klara:<br />

Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 25/ 12.12.1906/ 178).<br />

86 Zwar wurden die noch folgenden biographischen Darstellungen der „Gleichheit“ nicht auf ihren Wahrheitsgehalt<br />

überprüft, doch wurden bei ihrer Rekonstruktion einige Fehler offenbar. Z. B. zog die „Gleichheit“ für zwei<br />

Artikel zum Leben Helen Kellers <strong>und</strong> Tode Louise Michels offensichtlich Falschmeldungen anderer Blätter heran<br />

(siehe: Kapitel 4.1 <strong>und</strong> 4.4).<br />

87 Zetkin, Clara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 170.<br />

259


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Viele Frauen sind ihrem Aufruf gefolgt, ihre Autobiographien sind heute wichtige Zeugnisse jener<br />

Zeit <strong>und</strong> des gesellschaftlichen Wandels. Doch sind es immer noch vorwiegend die Biographien<br />

<strong>und</strong> Perspektiven hochgestellter männlicher Persönlichkeiten, die Eingang in das öffentliche Be-<br />

wusstsein finden.<br />

Doch Frauengeschichte ist nicht gleich Frauengeschichte. Wie sich an ihr prinzipielle Klassen-<br />

gegensätze festmachen lassen, so auch Gegensätze zwischen den beiden Frauenbewegungen,<br />

welche natürlich auch als Ausdruck von Klassengegensätzen gedeutet werden können. Bemerkbar<br />

werden diese z. B. an der Bewertung der für die historische Frauenforschung äußerst relevanten<br />

Frage des Frauenstudiums. In ihrer Rubrik „Frauenbewegung“ hatte sich die „Gleichheit“ anfangs<br />

noch stark für die Zulassung von Frauen zu höheren Schulen <strong>und</strong> Universitäten eingesetzt. Sie<br />

veröffentlichte dort die aktuellsten Zahlen der Hörerinnen an deutschen <strong>und</strong> der Studentinnen an<br />

ausländischen Universitäten, um damit die gezeitigten Erfolge höherer Frauenbildung hervor-<br />

zuheben. So erschien unter anderem im August 1899 folgende Notiz:<br />

„Für die Gründung einer Frauenuniversität mit Lehrstühlen für Mathematik,<br />

Naturwissenschaften <strong>und</strong> Medizin hat der Moskauer Bürger Ostrakow eine Million<br />

Rubel testamentarisch vermacht. Ob wohl je ein deutscher Bürger das Beispiel des<br />

‘Halbasiaten‘ nachahmen wird?“ 89<br />

Zetkin genoss es augenscheinlich, sowohl von einer solchen Einrichtung zu berichten als auch bei<br />

dieser Gelegenheit den Antifeminismus <strong>und</strong> Rassismus der bürgerlichen Gesellschaft bloßzustel-<br />

len. Ab 1901 nahm eine solche Parteinahme für das Frauenstudium auffällig ab. In diesem Jahr<br />

hatten sich viele deutsche Universitäten <strong>weiblichen</strong> Studentinnen geöffnet <strong>und</strong> die Organisation<br />

bürgerlicher Frauen war hinsichtlich dieser Forderung zunehmend erfolgreich. Die „Gleichheit“<br />

erachtete ihr Engagement aber auch aus einem anderen Gr<strong>und</strong> als überflüssig: Trotz ihres Eintre-<br />

tens für das Frauenstudium hatte Zetkin in ihm nie mehr als „eine Damenfrage“ 90 gesehen. Denn<br />

„für die Frauen des arbeitenden Volkes“ sei<br />

„der Ausgang des Kampfes um die Möglichkeit der Universitätsbildung ohne praktische<br />

Bedeutung, ohne thatsächlichen Nutzen“ 91 .<br />

Wenn auch diese Aussage nicht ganz zutreffend war – denn gerade viele der geschichtlichen<br />

Artikel der „Gleichheit“ wurden von studierten Historikerinnen verfasst 92 –, so war die Forderung<br />

nach höherer Bildung doch wirklich eine sehr klassenspezifische. Dem proletarischen Kampf um<br />

88 Zetkin, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands, S. 8-9.<br />

89 Für die Gründung einer Frauenuniversität … In: GL, 09/ 18/ 30.08.1899/ 144.<br />

90 Zur „Frauenfrage”. In: GL, 02/ 05/ 07.03.1892/ 41.<br />

91 Ebd.<br />

92 Zu nennen sind hier vor allem Hanna Lewin-Dorsch <strong>und</strong> Anna Blos.<br />

260


den Achtst<strong>und</strong>entag, so Zetkin weiter,<br />

3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />

„wohn[e] eine weit höhere kulturelle Tragweite inne, als der gesammten Bewegung<br />

der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen“ 93 .<br />

Sich auf die sozialistische Gesellschaftstheorie stützend ging Zetkin davon aus, dass auch die<br />

gebildeten bürgerlichen Kräfte in absehbarer Zeit unausweichlich in den Dienst des Kapitals<br />

gepresst werden <strong>und</strong> sich die bürgerlichen Akademikerinnen dann als sogenannte „Kopf-<br />

proletarierInnen“ der Arbeiterbewegung anschließen würden. 94<br />

Zu den sozialistischen Prinzipien, deren Überlegenheit die „Gleichheit“ stets betonte <strong>und</strong> die<br />

einen wesentlichen Gegensatz dieser beiden Frauenbewegungen ausmachte, zählte auch die<br />

harmonische Einheit von männlichen <strong>und</strong> <strong>weiblichen</strong> Mitgliedern der Arbeiterklasse. Die prole-<br />

tarische Frauenbewegung hatte sich nicht den Kampf gegen die Männer auf die Fahnen<br />

geschrieben, denn<br />

„[d]em klassenbewußten Proletarier ist die auf irgend einem Gebiet mit ihm<br />

konkurrirende Frau nicht die Gegnerin, vielmehr eine willkommene Mitstreiterin in<br />

dem Kampfe für jenes Ideal, in dessen Verwirklichung allein das Heil der Zukunft<br />

liegt“ 95 .<br />

Dieser Harmonie kam nicht nur bezüglich des Entwurfs eines sozialistischen Eheideals <strong>und</strong> des<br />

Leitbildes der idealen sozialistischen Ehefrau große Bedeutung zu, sondern auch im Hinblick auf<br />

die Geschichtsauffassung der „Gleichheit“. Feministische Aspekte <strong>und</strong> so auch eine bewusst<br />

feministische Geschichtsauffassung lehnte Zetkin strikt ab. Die proletarische Frauenbewegung<br />

<strong>und</strong> die „Gleichheit“ „predigt[en] nicht den Krieg von Geschlecht zu Geschlecht, sie glaubt[en]<br />

nicht an die Messiasrolle einer zu Gunsten der Frauen veränderten Gesetzgebung“ 96 . Nicht einer<br />

Begründung der rechtlichen Gleichstellung der Frau oder einer Widerlegung gängiger Minder-<br />

wertigkeits-Klischees wegen betrieb die „Gleichheit“ Frauengeschichtsforschung. 97 Sie wollte<br />

ihren Leserinnen das Bewusstsein vermitteln, sowohl als Frau als auch als Arbeiterin <strong>und</strong> Mitglied<br />

der revolutionären Arbeiterklasse Teil der Geschichte zu sein. So wie es auch keine Frauen-<br />

agitation, sondern sozialistische Agitation war, die Zetkin betreiben wollte, so sah sie auch die<br />

Förderung eines <strong>weiblichen</strong> Geschichtsbewusstseins stets als einen Teil sozialistischer Bewusst-<br />

seinsbildung. 98<br />

93 Ebd. S. 42.<br />

94 Vgl. ebd.<br />

95 Löwenhaut <strong>und</strong> Eselsohr. In: GL, 02/ 12/ 15.06.1892/ 99. Diese proletarische Geschlechterharmonie muss jedoch<br />

nach Betrachtung der antifeministischen Tendenzen innerhalb der SPD als Übertreibung erachtet werden.<br />

96 Die Redaktion <strong>und</strong> der Verlag: An die Leser! In: GL, 02/ Probenummer/ 28.12.1891/ 1.<br />

97 Zu der Vielzahl gängiger Klischees <strong>und</strong> vermeintlicher Beweisführungen zur geistigen Minderwertigkeit der Frau<br />

siehe: Ob die Weiber Menschen sind. Geschlechterdebatten um 1800.<br />

98 Mahaim ist sogar der Meinung, dass „das Klassenbewußtsein, so wie es sich im Verlauf des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

261


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Mangels eigener Institute <strong>und</strong> WissenschaftlerInnen waren es die Mitglieder der proletarischen<br />

Frauenbewegung selbst – oft unterstützt von studierten Genossen –, die die unleugbar vorhandene<br />

Geschichte von Frauen sichtbar machen <strong>und</strong> bewahren mussten. Diese Geschichte findet sich in<br />

allen Seiten, Nummern <strong>und</strong> Jahrgängen der „Gleichheit“. Eine Allgegenwart, die erklärt, warum<br />

die „Gleichheit“ keine eigenständige Rubrik „Geschichte“ einrichtete. Lediglich einmal erschien<br />

eine Rubrik „Geschichtliches zur Frauenfrage“ 99 . Der in ihr enthaltene Artikel „Große Königinnen<br />

in Aegypten“ berichtete von der Entdeckung des britischen Ägyptologen Flinders Patrin 100 , dass<br />

„während der glänzendsten Periode des Landes, ungefähr zwischen 1600 <strong>und</strong> 1050 vor Christi<br />

Geburt“ 101 , es Frauen waren, die in Ägypten herrschten. Damit gab Patrin allen Frauen einen<br />

schlagenden Beweis für die herausragenden Leistungen ihres Geschlechts. Eben diese Zielsetzung<br />

verfolgte auch die Gründung eines Frauenmuseums 1900 in St. Petersburg, die die „Gleichheit“ in<br />

einer kleinen Notiz bekannt gab. Die örtlichen – vermutlich bürgerlichen – Frauenvereine<br />

St. Petersburgs wollten mit dem Museum, so die „Gleichheit“,<br />

„zeigen, welchen Einfluß die Frau auf die Entwicklung der Industrie, Kunst <strong>und</strong><br />

Wissenschaft ausgeübt <strong>und</strong> was sie auf diesen Gebieten geschaffen hat“ 102 .<br />

In diese Reihe der von der „Gleichheit“ hervorgehobenen <strong>weiblichen</strong> Kulturleistungen gehört<br />

auch die Notiz, dass die in Honolulu verstorbene Journalistin Kate Field (1838-1896) mit der<br />

„Washington“ (1890-1895) die „älteste[…] <strong>und</strong> lange Zeit einzige[…] von einer Frau ge-<br />

leitete[…] Zeitschrift“ 103 herausgegeben habe. 104<br />

Unzweifelhaft waren all diese Informationen geeignet, das weibliche Selbst- <strong>und</strong> zugleich das<br />

weibliche Geschichtsbewusstsein zu heben, doch lassen sie in ihrer Kürze die sozialistische<br />

Geschichtsauffassung völlig unberücksichtigt. Während solcherlei Artikel über parteipolitisch<br />

unabhängige Fraueninitiativen dementsprechend selten im Hauptblatt der „Gleichheit“ zu finden<br />

sind, kann davon ausgegangen werden, dass bürgerliche Frauenzeitschriften häufiger darüber be-<br />

richtet haben.<br />

bildete, nicht automatisch ein feministisches Bewußtsein beinhaltete, ebensowenig wie ein politisch sozialistisches<br />

Bewußtsein“ (Mahaim, Die Frauen <strong>und</strong> die deutsche Sozialdemokratie, S. 82). Eine Unterscheidung von<br />

Klassenbewusstsein <strong>und</strong> politisch sozialistischen Bewusstsein konnte ich jedoch an der politischen Bildungsarbeit<br />

der „Gleichheit“ nicht festmachen.<br />

99 Vgl. GL, 08/ 04/ 16.02.1898/ 32.<br />

100 Es handelte sich hier um einen Fehler in der Schreibweise des Namens – gemeint war William Matthew Flinders<br />

Petrie.<br />

101 Ebd. Ägyptische Herrscherinnen dieser Zeit seien u. a. die Nubierin Nefertari (ca. 1290 v. u. Z.-ca. 1255 v. u. Z.)<br />

<strong>und</strong> Aahhotep (ca. 1590 v. u. Z.-1530 v. u. Z.) gewesen.<br />

102 Die Gründung eines Frauenmuseums in Petersburg… In: GL, 10/ 15/ 18.07.1900/ 120.<br />

103 Eine der ersten <strong>weiblichen</strong> Journalisten … In: GL, 06/ 16/ 05.08.1896/ 128.<br />

104 Zum Erscheinungszeitraum dieses Presseorgans waren nur sehr unzureichende <strong>und</strong> zum Teil widersprüchliche<br />

Angaben zu finden. Sollte das Erscheinungsjahr der „Washington“ zutreffen, so überging die „Gleichheit“ mit<br />

ihrer Aussage ihre eigenen Vorgängerinnen, die sich bereits deutlich vor 1890 gegründet hatten.<br />

262


3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Wie für die Geschichte im Allgemeinen, so bildet auch für die frauengeschichtlichen Inhalte der<br />

„Gleichheit“ die Dreiteilung in Kultur-, Revolutions- <strong>und</strong> SPD-Geschichte ein Gr<strong>und</strong>muster.<br />

Für die frühe Menschheitsgeschichte <strong>und</strong> vor allem für die ersten kulturellen Errungenschaften<br />

trifft die Feststellung zu, die der österreichische Journalist Gustav Eckstein (1875-1916) 105 in<br />

seinem Artikel „Das Weib als Kulturträgerin“ aus dem Jahre 1910 äußerte:<br />

„Wir kennen nicht die Namen einzelner Frauen, denen wir diese großen Fortschritte<br />

<strong>und</strong> Errungenschaften zuschreiben könnten. Wir wissen nur, daß zu den<br />

größten <strong>und</strong> bedeutungsvollsten Pionieren der Menschheit Frauen gehört haben,<br />

<strong>und</strong> unsere Dankbarkeit muß sich daher nicht an einzelne Personen richten,<br />

sondern an das Geschlecht.“ 106<br />

Die Erkenntnis, Teil dieses <strong>weiblichen</strong> Geschlechts zu sein, sollte das Selbstbewusstsein der<br />

Leserinnen stärken. Dem war auch zuträglich, dass laut Eckstein die Frau angesichts der frühen<br />

Arbeitsteilung als Erfinderin des Ackerbaus zu gelten habe. Diese Errungenschaft sei dazu noch<br />

viel höher zu bewerten als die vom Mann entwickelte Viehzucht, denn „[a]uf dem Ackerbau […]<br />

ruh[e] jede höhere Kultur“ 107 . Die Einrichtung einer festen Wohnung, die Korbflechterei, die<br />

Weberei <strong>und</strong> die Töpferei seien allesamt als Erfindungen der Frau anzusehen. Auch das Feuer – in<br />

Mythen als eine Entdeckung des Mannes gepriesen – sei dem Aufgabenbereich der Frau zu-<br />

zuordnen. Sie habe es am besten zu hüten <strong>und</strong> zu nutzen gewusst. Dieser große Anteil der Frau an<br />

der frühen Geschichte der Menschheit kann jedoch nur mühsam sichtbar gemacht werden <strong>und</strong><br />

findet entsprechend schwer Eingang in das weibliche Selbst- <strong>und</strong> Geschichtsbewusstsein.<br />

Ebenfalls mit der Frühgeschichte <strong>und</strong> darüber hinaus mit der Geschichte der Antike aus<br />

weiblicher Perspektive beschäftigte sich eine Artikelreihe von Lily Braun. Unter dem Titel „Die<br />

Frauenfrage im Alterthum“ 108 schlug Braun ganz ähnlich dem Werke Bebels einen großen<br />

historischen Bogen <strong>und</strong> monierte:<br />

„Die Entwicklungsgeschichte der Frau nimmt in der allgemeinen Menschheitsgeschichte,<br />

wie sie uns von Kindheit an überliefert wird, einen verschwindend<br />

kleinen Raum ein. Es ist vor Allem eine Geschichte der Kriege <strong>und</strong> daher eine der<br />

Männer, die wir unserem Gedächtniß haben einprägen müssen. Erst in neuester<br />

105 Gustav Eckstein wurde in Wien geboren. Er promovierte in Rechtswissenschaften <strong>und</strong> war bereits als Student<br />

bekennender Sozialdemokrat. Ab 1902 war Eckstein u. a. für den „Vorwärts“ <strong>und</strong> die „Neue Zeit“ journalistisch<br />

tätig. 1903 wurde er Dozent an der SPD-Parteischule in Berlin <strong>und</strong> 1912 an der SPÖ-Parteischule in Klagenfurt.<br />

Er veröffentlichte u. a. die Werke „Die Deutsche Sozialdemokratie während des ersten Weltkrieges“ (1917) <strong>und</strong><br />

„Der Marxismus in der Praxis“ (1918). Eckstein gehörte zu den geistigen Wegbereitern des Austromarxismus <strong>und</strong><br />

war der Bruder der Frauenrechtsaktivistin Emma Eckstein (1865-1924).<br />

106 Eckstein, Gustav: Das Weib als Kulturträgerin. In: GL, 21/ 01/ 10.10.1910/ 3-4, S. 3.<br />

107 Eckstein, Gustav: Das Weib als Kulturträgerin. In: GL, 21/ 02/ 24.10.1910/ 19-21, S. 19.<br />

108 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum [I-VI]. In: GL, 09/ 01/ 04.01.1899/ 3-6 bis GL, 09/ 12/ 07.06.1899/<br />

92-94 [Vorab erschienen in: „Archiv für soziale Gesetzgebung <strong>und</strong> Statistik“, Bd. 13, Heft 1 <strong>und</strong> 2].<br />

263


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Zeit scheint sich fast unmerklich ein Umschwung vorzubereiten.“ 109<br />

Braun beklagte einen „Klassencharakter“ der bisherigen Geschichtsschreibung, sah aber mit dem<br />

Umschwung vermehrt die Kulturgeschichte <strong>und</strong> eine Geschichte des Volkes Beachtung finden.<br />

Dieses hatte auch Auswirkungen auf die Betrachtung der „Entwicklungsgeschichte des <strong>weiblichen</strong><br />

Geschlechts“, die sich bisher „als eine lange, im Dunkeln sich abspielende Leidensgeschichte“ 110<br />

dargestellt habe. Während die frühe Mythologie in Form von Göttinnen „das weibliche Prinzip in<br />

der Natur“ 111 verehrte <strong>und</strong> das Mutterrecht galt, entstand mit den neuen Ehe- <strong>und</strong> Familienformen<br />

auch ein neuer Blick auf die Frau. Zwar sei die Einzelehe, die die Polygamie ablöste, ein „für die<br />

Entwicklung der Menschheit […] bedeutungsvolle[r] Fortschritt“ 112 gewesen, für die Frau be-<br />

deutete sie aber:<br />

„[E]he noch der erste Sklave sich unter der Knute des Herrn beugen mußte, war<br />

das Weib, die Mutter seiner Kinder, zur ersten Sklavin geworden.“ 113<br />

Braun führte die „Gleichheit“-Leserinnen weiter in die Hochkulturen des Orient <strong>und</strong> in das antike<br />

Griechenland. Dort hätten lediglich Hetären Möglichkeiten freier Bildung gehabt:<br />

„Und diejenigen Frauen, deren reger Geist sich durch das abgeschlossene Leben<br />

nicht ertöten ließ, in deren Gemach ein Schimmer vom Glanz griechischer Bildung<br />

verlockend eindrang, betraten häufig genug den einzigen Weg, der ihnen offen<br />

stand, denn nur die Buhlerin war in Griechenland eine freie Frau, die ihrer Liebe<br />

folgen, die an der hohen Geisteskultur ihres Vaterlandes persönlichen Antheil<br />

nehmen konnte.“ 114<br />

Braun erzählte von den Schicksalen einzelner dieser sogar namentlich bekannten Hetären. Im<br />

Folgenden hob sie die Bedeutung der Philosophie Platos für die Stellung der Mutter hervor,<br />

konstatierte aber für ihn <strong>und</strong> Aristoteles, dass doch auch die<br />

„bedeutendsten Denker der Hellenen sich nicht von dem Einfluß ihrer Zeit <strong>und</strong><br />

ihres Volkes befreien [konnten]. Auch für sie war die Frau ein minderwerthiger<br />

Mensch“ 115 .<br />

In der Kulturgeschichte der Römer betonte Braun besonders den Verfall ihrer Sitten. Während die<br />

römische Bürgerin durch Reichtum <strong>und</strong> Langeweile der Sittenlosigkeit verfallen sei, wurde die<br />

Sklavin durch ihr untragbares Elend zur Prostituierten. 116 Zwar gab es römische Bürgerinnen mit<br />

Einfluss <strong>und</strong> Anteil am öffentlichen Leben, doch dies habe keinerlei Ähnlichkeit mit den Emanzi-<br />

109 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. In: GL, 09/ 01/ 04.01.1899/ 3.<br />

110 Ebd., S. 4<br />

111 Ebd.<br />

112 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. II. In: GL, 09/ 02/ 18.01.1899/ 12.<br />

113 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. In: GL, 09/ 01/ 04.01.1899/ 6.<br />

114 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. III. In: GL, 09/ 04/ 15.02.1899/ 30.<br />

115 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. IV. In: GL, 09/ 06/ 15.03.1899/ 45.<br />

116 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. V. In: GL, 09/ 09/ 26.04.1899/ 68.<br />

264


pationsbestrebungen des 18. <strong>und</strong> 19. Jahrh<strong>und</strong>erts gehabt:<br />

3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />

„Sie entsprangen weder der Noth, noch dem Bildungsdrang, noch dem Pflichtgefühl<br />

gegenüber Staat <strong>und</strong> Gesellschaft; sie beschränkten sich auf den kleinen<br />

Kreis der herrschenden, bürgerlichen Klasse, die niemals Trägerin großer Reformen<br />

<strong>und</strong> einschneidender Umwälzungen gewesen ist <strong>und</strong> sein kann. Eine<br />

Frauenbewegung im modernen Sinne konnte es nicht geben. Dazu waren die<br />

römischen Bürgerinnen moralisch zu schwach <strong>und</strong> zu verweichlicht, <strong>und</strong> die<br />

Schaaren der Sklavinnen durch die furchtbare Noth <strong>und</strong> harte Arbeit zu stumpf <strong>und</strong><br />

verthiert geworden. Wir finden in der römischen Geschichte nirgends eine Spur<br />

von dem Kampfe der Frauen um höhere Bildung oder politische Rechte, sie<br />

verlangten nur über ihr Vermögen frei verfügen zu können, um in ihrem Genußleben<br />

unbeschränkt zu sein.“ 117<br />

Braun proklamierte hier den Anspruch der Massenbewegung des Proletariats, einzig wahre Ver-<br />

treterin einer Emanzipationsbewegung der Frau sein zu können <strong>und</strong> führte damit – <strong>und</strong> mit der<br />

bildlichen Beschreibung weiblicher Dekadenz – einen Seitenhieb gegen die bürgerliche Frauen-<br />

bewegung.<br />

Der in seinen hehren Darstellungen des germanischen Volksstammes viel zitierte Tacitus machte<br />

auf Braun scheinbar wenig Eindruck. Nach Lektüre seiner Berichte sah Braun auch in der ger-<br />

manischen Frau „nur des Mannes willenloses Eigenthum“ 118 . So habe „alle Arbeit, auch die des<br />

Feldes, […] allein in ihren Händen [gelegen], während der Mann im Frieden auf der Bärenhaut<br />

lag“ 119 .<br />

Braun schlussfolgerte aus ihren Studien, dass „[i]n der ganzen heidnischen Welt […] in Bezug auf<br />

die Stellung der Frau nur Gradunterschiede“ 120 zu finden seien. Sie schrieb dies – ganz in Be-<br />

bel‘scher Manier – dem Umstand zu, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse noch nicht in der Art<br />

entwickelt waren, dass die Frau zur Konkurrentin des Mannes geworden war. Die Frauenfrage<br />

hatte sich noch nicht gestellt:<br />

„[S]elbst die Sklavin war nicht die Konkurrentin, sondern die Leidensgenossin des<br />

Sklaven, <strong>und</strong> es gab daher wohl Sklavenkriege, aber keine Frauenbewegungen.<br />

Erst mußte die Frauenfrage in ihrer ganzen Schärfe formulirt werden, ehe eine<br />

Bewegung sich ihre Lösung zum Ziel setzen konnte. Nur leise Spuren von ihr<br />

haben wir in Griechenland <strong>und</strong> Rom verfolgen können.“ 121<br />

Die Kulturgeschichte der Antike bot demnach der „Gleichheit“ nur frauengeschichtliche Inhalte,<br />

um die Frau als Objekt der gesellschaftlichen Entwicklungen darzustellen. Ein sozialistisches<br />

weibliches Geschichtsbewusstsein war daraus nur schwerlich zu gewinnen. Die Anregungen, die<br />

117 Ebd., S. 69.<br />

118 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. VI. In: GL, 09/ 12/ 07.06.1899/ 94.<br />

119 Ebd.<br />

120 Ebd.<br />

121 Ebd.<br />

265


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

von Platos prinzipieller Gleichstellung der Frauen in der Politeia ausgingen, fanden m. E. nur eine<br />

ungenügende Berücksichtigung.<br />

Anders steht es bei der wissenschaftlichen Erforschung vermeintlich bürgerlicher Frauenberufe<br />

wie z. B. der Medizinerin 122 <strong>und</strong> Frauenärztin 123 . Diese konnte auch den Proletarierinnen<br />

aufzeigen, dass eine lange Phase des Mittelalters hindurch die Frauen weit gebildeter waren als<br />

die Männer. Ein Umstand, der auf die damalige Befürchtung zurückgeführt wurde, ein allgemein-<br />

bildender Unterricht könne sich verweichlichend auf Krieger auswirken. 124 Dem <strong>weiblichen</strong><br />

Selbstwertgefühl – ob nun proletarisch oder bürgerlich – konnten solche Erkenntnisse nur förder-<br />

lich sein.<br />

Eng mit den medizinischen Fähigkeiten <strong>und</strong> dem Wissen der Frauen um Fortpflanzung <strong>und</strong><br />

Verhinderung derselbigen sind die Hexenverfolgungen des Mittelalters <strong>und</strong> der Frühen Neuzeit<br />

verb<strong>und</strong>en. So erklärte Blos den „Gleichheit“-Leserinnen in ihrer Artikelreihe „Hexenglauben <strong>und</strong><br />

Hexenprozesse“ 125 :<br />

„Bekanntlich wurden in den frühen Zeiten gerade die Frauen häufig der<br />

Verbindung mit überirdischen Gewalten, mit dem Teufel <strong>und</strong> der Kenntnis<br />

besonderer Zauberkünste beschuldigt. Es erklärt sich das aus mancherlei Ursachen,<br />

denen die Stellung der Frau als Priesterin, Weissagerin <strong>und</strong> Ärztin bei manchen<br />

Völkern, denen die Unkenntnis des natürlichen, geheimnisvoll erscheinenden Entwicklungsprozesses<br />

der Leibesfrucht, die Macht des erotischen Gefühls <strong>und</strong><br />

anderes noch zugr<strong>und</strong>e liegt. Das Wort Hexe stammt von Hag gleich Hain, Wald<br />

<strong>und</strong> bedeutet ursprünglich die weise, das heißt die weissagende Frau, die im<br />

heiligen Hain wohnte.“ 126<br />

Blos beschrieb das System der Inquisition, die gezielt Denunziantentum belohnte, mehrere<br />

Hexenprozesse <strong>und</strong> nannte auch namentlich bekannte, weil akribisch verwaltete Opfer. 127 Eben<br />

diese Akribie belege auch die merkwürdige<br />

„Übereinstimmung der Aussagen, welche die der Hexerei <strong>und</strong> Zauberei Angeklagten<br />

in allen Ländern machten. Man ersieht daraus, daß die Inqisitoren <strong>und</strong><br />

Richter bei ihren Fragen <strong>und</strong> Beschuldigungen nach einem bestimmten System<br />

verfuhren.“ 128<br />

Dieses System, einmal ins Rollen gebracht, verließ demnach die Ebene reinen Aberglaubens <strong>und</strong><br />

122 Lipinska, Melanie: Medizinerinnen des Mittelalters [I-IV]. In: GL, 10/ 11/ 23.05.1900/ 84-85 bis GL, 10/ 14/<br />

04.07.1900/ 108-109 (aus dem Französischen übersetzt von Eugenie Jacobi). Die Artikelreihe wies eine<br />

beeindruckende Zahl von Namen mittelalterlicher Medizinerinnen in Frankreich <strong>und</strong> Deutschland auf.<br />

123 Vgl. Frauenärzte im Alterthum. In: GL, 08/ 22/ 26.10.1898/ 176.<br />

124 Vgl. Lipinska, Melanie: Medizinerinnen des Mittelalters. In: GL, 10/ 12/ 06.06.1900/ 93.<br />

125 Blos, Anna: Hexenglauben <strong>und</strong> Hexenprozesse [I-V]. In: GL, 19/ 02/ 26.10.1908/ 24-25 bis GL, 19/ 06/<br />

21.12.1908/ 86-88.<br />

126 Blos, Anna: Hexenglauben <strong>und</strong> Hexenprozesse. In: GL, 19/ 02/ 26.10.1908/ 25.<br />

127 Blos, Anna: Hexenglauben <strong>und</strong> Hexenprozesse (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 03/ 09.11.1908/ 42.<br />

128 Blos, Anna: Hexenglauben <strong>und</strong> Hexenprozesse (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 04/ 23.11.1908/ 56.<br />

266


3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />

seine NutznießerInnen suchten nur noch größtmöglichen Gewinn aus der Verleumdung zu ziehen.<br />

„Kinder von acht <strong>und</strong> Greise von achtzig Jahren, Arme <strong>und</strong> Reiche, Bürgermeister<br />

<strong>und</strong> Rechtsgelehrte, Ärzte <strong>und</strong> Naturforscher, Domherren <strong>und</strong> Minister, vor allem<br />

aber Frauen <strong>und</strong> Mädchen aller Stände <strong>und</strong> jeden Alters haben als Hexenmeister<br />

<strong>und</strong> Hexen den Scheiterhaufen bestiegen.“ 129<br />

Doch auch wenn Blos darauf hinwies, dass es vor allem die Frauen <strong>und</strong> Mädchen traf, ist es kein<br />

feministischer Ansatz, den sie im Weiteren verfolgte. Ein Schwerpunkt war es vielmehr, den<br />

Hexenglauben, entstanden aus Ängsten, Unwissenheit <strong>und</strong> wirtschaftlicher Notlage, zu erklären<br />

<strong>und</strong> „Aufklärung [als] Erziehung zur geistigen Freiheit“ 130 einzufordern. Denn die Gegenwart<br />

zeige:<br />

„Und doch liegt jene Zeit nicht gar so weit hinter uns, <strong>und</strong> so ganz befreit von<br />

Furcht vor überirdischen Mächten <strong>und</strong> Zauberglauben, wie wir gern annehmen<br />

möchten, sind leider auch viele Menschen im zwanzigsten Jahrh<strong>und</strong>ert noch nicht.“<br />

131<br />

Unter dem wissenschaftlichen Begriff des Spiritismus finde der Aberglaube immer noch „Eingang<br />

in die höchsten <strong>und</strong> mächtigsten Kreise“ 132 .<br />

Ein weiterer Schwerpunkt war es, die Rolle der Kirche bei der Verfolgung der Opfer zu ver-<br />

deutlichen. Aberglauben <strong>und</strong> den Glauben an Hexen <strong>und</strong> Zauberei habe es laut Blos „zu allen<br />

Zeiten <strong>und</strong> bei allen Völkern“ 133 gegeben. Die Ohnmacht der christlichen Kirche, die sich darin<br />

spiegelnden Kulte zu überwinden, sei umgeschlagen in die Zielsetzung, den Hexenglauben „ihren<br />

eigensüchtigsten Zwecken als einer geistig-weltlichen Herrschaftsinstitution dienstbar zu<br />

machen“ 134 . Die Hexenprozesse stünden in direktem Zusammenhang mit den Prozessen gegen<br />

Ketzer <strong>und</strong> Häretiker. 135<br />

Mit dem Thema der Hexenverfolgung <strong>und</strong> der Beteiligung der christlichen Kirche daran, säte die<br />

„Gleichheit“ demnach unter ihren Anhängerinnen zugleich den Zweifel an der Heilsbotschaft des<br />

Christentums. Diesen Zweifel schürte Blos dann nochmals in einer eigenen Artikelreihe unter dem<br />

Titel „Die Stellung der Frauen im Zeitalter der Reformation“ 136 . Angesichts der grausamen, durch<br />

die christliche Lehre legitimierten Verfolgung der Frauen als sogenannte „Hexen“ müssten die<br />

129 Ebd., S. 57.<br />

130 Blos, Anna: Hexenglauben <strong>und</strong> Hexenprozesse. In: GL, 19/ 02/ 26.10.1908/ 24-25, S. 24.<br />

131 Ebd.<br />

132 Vgl. ebd., S. 24.<br />

133 Ebd., S. 25.<br />

134 Blos, Anna: Hexenglauben <strong>und</strong> Hexenprozesse (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 03/ 09.11.1908/ 40.<br />

135 Vgl. ebd., S. 40.<br />

136 Blos, Anna: Die Stellung der Frauen im Zeitalter der Reformation. In: GL, 28/ 03/ 09.11.1917/ 21-22; GL, 28/ 04/<br />

23.11.1917/ 29-30.<br />

267


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

„Gleichheit“-Leserinnen doch in Frage stellen, ob<br />

„durch das Christentum die Stellung der Frau innerhalb der menschlichen<br />

Gesellschaft gehoben worden sei“ 137 .<br />

Das Christentum sei anfangs zwar eine vor allem von Frauen getragene religiöse Bewegung,<br />

“eine[…] heimliche[…], verfolgte[…] Religion der Armen <strong>und</strong> Unterdrückten“ gewesen, doch<br />

sobald es zur Staatsreligion erhoben worden war, sei die Frau „auch vor Gott […] nicht mehr dem<br />

Manne gleich“ 138 gewesen <strong>und</strong> der christliche Madonnenkult lediglich eine Konzession an das<br />

mütterliche Prinzip der germanischen Kultur. Auch Martin Luther <strong>und</strong> die von ihm angeführte<br />

Reformation als eine religiöse Bewegung habe nichts für die Hebung der Stellung der Frau getan.<br />

139 Wenn es einen Umschwung seit jener Zeit gegeben habe, so sei dieser nicht der Reformation,<br />

sondern, so Blos in sozialistisch aufgeklärter Manier, den veränderten Produktionsbedingungen<br />

geschuldet. Nur diesem Umschwung sei<br />

„die veränderte Stellung <strong>und</strong> die sich umbildende Wertung der Frau zu danken.<br />

Hier liegt die große Reformation für die Frauenwelt, die ihr ein Ansporn sein muß,<br />

nicht nachzulassen im Kampfe gegen alles, was ihr entgegentritt, aufzuräumen mit<br />

allen Vorurteilen <strong>und</strong> frei zu werden, innerlich <strong>und</strong> äußerlich.“ 140<br />

Die Reformation war keine Revolution <strong>und</strong> Luther, selbst noch tief im Hexenglauben gefangen,<br />

kein Anwalt der unterdrückten Frau. Noch erschütternder <strong>und</strong> aufrüttelnder als die Einsicht in die<br />

Beschränktheit des großen Reformators musste jedoch Blos‘ Behauptung wirken, dass die Welt<br />

von keiner einzigen Frau wisse, die<br />

„es gewagt hat, [sich] gegen das ihrem Geschlecht zugefügte furchtbare Unrecht<br />

[die Hexenverfolgung; M.S.] […] aufzulehnen“ 141 .<br />

Dieser schwerwiegende Beleg weiblicher Unterordnung wurde von Blos jedoch sogleich<br />

relativiert. Frauen, besonders „Frauen aus dem Volke“ 142 seien nicht stets so duldsam gewesen.<br />

Davon zeuge ihre Teilnahme an den Freiheitskämpfen <strong>und</strong> Bauernkriegen, in welchen auch sie<br />

revolutionären Geist <strong>und</strong> Tatendrang bewiesen.<br />

Die sozialistische Geschichtsinterpretation <strong>und</strong> sozialistische Geschichtswissenschaft – wenn auch<br />

als solche zu jener Zeit noch nicht institutionalisiert – stellten die Geschichte revolutionärer<br />

Bewegungen in ihren Forschungsmittelpunkt, <strong>und</strong> diese wurden daher auch, wie im voran-<br />

gegangenen Kapitel beschrieben, ein inhaltlicher Schwerpunkt der „Gleichheit“. Wenn sie nun<br />

137 Blos, Anna: Die Stellung der Frauen im Zeitalter der Reformation. In: GL, 28/ 03/ 09.11.1917/ 21.<br />

138 Ebd.<br />

139 Ebd., S. 22.<br />

140 Blos, Anna: Die Stellung der Frauen im Zeitalter der Reformation (Schluß.). In: GL, 28/ 04/ 23.11.1917/ 30.<br />

141 Ebd.<br />

142 Ebd.<br />

268


3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />

den Anteil der Frauen an diesen Revolutionen aufzeigte, dann um ihre Leserinnen zu gleichem<br />

mutigen Tun zu agitieren. Revolution war <strong>und</strong> ist nie nur eine „reine Männerangelegenheit“ 143 <strong>und</strong><br />

so weisen die AutorInnen der „Gleichheit“ in ihren Artikeln nach, dass die Bauernkriege, die<br />

Französische Revolution, die 1848er Revolution <strong>und</strong> die revolutionären Umtriebe im Zarenreich<br />

immer auch weibliche Protagonistinnen hatten.<br />

Der Bauernkrieg war das besondere Forschungsgebiet Wilhelm Blos‘, der mit seinem Artikel „Die<br />

Frauen im Bauernkrieg“ den Mangel beheben wollte, dass<br />

„[d]ie Beteiligung des <strong>weiblichen</strong> Elementes im großen deutschen Bauernkrieg von<br />

1525 […] bisher nur wenig hervorgehoben worden“ 144<br />

sei. Sowohl Bäuerinnen als auch Patrizierinnen kämpften in den Bauernkriegen für „die Befreiung<br />

des Volkes vom Feudaljoch“ 145 . Jedoch seien außer der in Schwaben führend beteiligten<br />

„Schwarzen Hofmännin“ (d.i. Margarete Renner (um 1475-1535)) 146 , die „bei dem Volke […]<br />

als Wahrsagerin <strong>und</strong> Zauberin [galt <strong>und</strong>] einen furchtbaren Haß gegen den Adel <strong>und</strong> die vor-<br />

nehmen Städter in sich“ 147 trug, kaum weitere Frauen aus dieser Zeit namentlich bekannt. Doch<br />

diejenigen die bekannt sind, waren Blos Beweis genug, „daß der Freiheitsdrang jener bewegten<br />

Zeit auch die Frauen ergriffen hatte“ 148 .<br />

Die nächste durch Artikel der „Gleichheit“ dargestellte Epoche ist das 18. Jahrh<strong>und</strong>ert – vor allem<br />

hinsichtlich des Entwicklungsweges des besonderen revolutionären Ereignisses in Frank-<br />

reich. Hermann Wendel (1884-1936) 149 beschrieb daher in seiner Artikelreihe „Die Frau im<br />

18. Jahrh<strong>und</strong>ert“ 150 wie es das einzige Interesse großbourgeoiser Damen war „[i]n der äußeren<br />

143 Schaser, Frauenbewegung in Deutschland 1848-1933, S. 21.<br />

144 Blos, Wilhelm: Die Frauen im Bauernkrieg. In: GL, 16/ 04/ 21.02.1906/ 19-20, S. 19.<br />

145 Ebd., S. 20.<br />

146 Als ‚schwarze Anna‘ setzte Käthe Kollwitz ihr in ihrem Bauernkriegszyklus ein künstlerisches Denkmal.<br />

147 Ebd., S. 19.<br />

148 Ebd., S. 20.<br />

149 Hermann Wendel stammte aus dem lothringischen Metz <strong>und</strong> wirkte als Politiker, Historiker, Balkanforscher, Journalist,<br />

Redakteur <strong>und</strong> Schriftsteller (Pseudonym: Leo Parth). 1905 war Wendel Mitarbeiter der „Sächsischen<br />

Arbeiterzeitung“ in Dresden, 1906 der „Chemnitzer Volksstimme“ <strong>und</strong> 1906-1908 Redakteur der „Leipziger<br />

Volkszeitung“. Er war 1910 Stadtverordneter <strong>und</strong> 1908-1913 Redakteur der „Volksstimme“ (1908-1933; 1946-<br />

1956) in Frankfurt am Main. 1912-1918 saß er als Abgeordneter im Reichstag. Während des Balkankrieges hielt<br />

sich Wendel als Korrespondent in Serbien auf. 1918 wurde er Chef des Frankfurter Presse-, Nachrichten- <strong>und</strong><br />

Zensurwesens <strong>und</strong> im Januar 1919 Polizeipräsident in Frankfurt am Main. 1933 emigrierte Wendel nach Frankreich<br />

<strong>und</strong> arbeitete am sozialdemokratischen Exilorgan „Neuer Vorwärts“ (1933-1940) mit. Seine Forschungen<br />

beschäftigten sich mit Südosteuropa <strong>und</strong> den Südslawen, wofür er 1929 den Ehrendoktor der Universität Belgrad<br />

erhielt. Außerdem beschäftigte er sich mit der Biographie <strong>und</strong> dem Werk Heinrich Heines <strong>und</strong> der französischen<br />

Marseillaise. Für die „Gleichheit“ verfasste u.a.: Wendel, Hermann: Militza Stojadinowitsch. In: GL, 28/ 22/<br />

02.08.1918/ 173-175; Das gefährliche Alter. In: GL, 21 (1911)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 09/ 33-35<br />

(eine kritische Besprechung zu „Das gefährliche Alter“ (1910) der dänischen Schriftstellerin Karin Michaëlis<br />

(1872-1950).<br />

150 Wendel, Hermann: Die Frau im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert. I-II. In: GL, 19/ 01/ 12.10.1908/ 5-6; GL, 19/ 02/ 26.10.1908/ 18-<br />

269


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Haltung […] sklavisch die Dame der feudalen Gesellschaft nach[zuahmen]“ 151 , während<br />

„[a]bseits <strong>und</strong> unterhalb von den sauberen <strong>und</strong> molligen Frauen des honetten<br />

Bürgertums […] noch eine ganze Welt von Frauen in Stumpfheit <strong>und</strong> einem Dunkel<br />

dahin[vegetierten], daß sie von der Zeit kaum bemerkt werden <strong>und</strong> auch das für<br />

die Menschenrechte schwärmende Schrifttum leicht über sie hinwegsieht“ 152 .<br />

Es war Wendels Anliegen, das Leben <strong>und</strong> Schicksal gerade dieser Frauen zu beleuchten, denn sie<br />

sollten später die Trägerinnen derjenigen Revolution werden, die sich die Menschenrechte auf ihre<br />

Fahnen schrieb. Es waren dies weniger die „Frauen der bis aufs Blut ausgesaugten bäuerlichen<br />

Bevölkerung“ 153 als vielmehr die „Frauen jener gesellschaftlichen Schicht, die zwischen Klein-<br />

bürgertum <strong>und</strong> Proletariat“ 154 stand. Die „soziale Not […] [habe] diese weibliche Schicht zum<br />

Sammelbecken der Prostitution“ 155 gemacht, so dass vor Ausbruch der Revolution die Zahl der<br />

Prostituierten in Paris 60 000 bis 70 000 betragen habe. 156<br />

Als es dann vor dem Hintergr<strong>und</strong> auch dieser Verhältnisse zur Revolution kam, sprang ihr Funke<br />

insbesondere in diese unterste Schicht der Pariser Frauen.<br />

„Diese Schicht, die immer im Dunkel geblieben, tritt mit einem Schlage an jenem<br />

6. Oktober 1789 an das blendende Licht des öffentlichen Lebens, als, von eines<br />

jungen Mädchens Händen gerührt, eine Trommel durch die Straßen geht <strong>und</strong> sich<br />

Tausende von kleinbürgerlichen Frauen, Weibern der Markthallen <strong>und</strong> Arbeiterinnen<br />

der Vorstädte, von Verzweiflung <strong>und</strong> Hunger gespornt, unter dem Schrei nach<br />

Brot nach Versailles wälzen, um den König wie einen Gefangenen in die Hauptstadt,<br />

unter die Augen der Massen, zu führen. So setzt gerade die verachtetste<br />

Schicht der <strong>weiblichen</strong> Bevölkerung Frankreichs der Geschichte der Frau im<br />

18. Jahrh<strong>und</strong>ert ihren heldenhaftesten Akzent auf.“ 157<br />

Ein ähnliches Bild zeichnete Zetkin, die seit ihrer Pariser Exilzeit die Französische Revolution zu<br />

einem ihrer Forschungsschwerpunkte gewählt hatte. Auch sie hob aus den vielen Darstellungen<br />

der Ereignisse des Jahres 1789 eben jenen Zug der Pariserinnen nach Versailles hervor. Hunger<br />

<strong>und</strong> Elend hätten diese „Aktion der nach Versailles gezogenen Pariserinnen“ 158 bestimmt. Selbst<br />

Frauen aber, die diese Not nicht empf<strong>und</strong>en hätten, hätten die Aktion unterstützt, weil „[d]as<br />

Mitleid […] zu allen Zeiten Frauen zu edlen <strong>und</strong> kühnen Thaten angespornt“ 159 habe. So sei es<br />

20.<br />

151 Wendel, Hermann: Die Frau im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert. II. In: GL, 19/ 02/ 26.10.1908/ 18.<br />

152 Ebd., S. 19.<br />

153 Ebd.<br />

154 Ebd.<br />

155 Ebd.<br />

156 Vgl. ebd.<br />

157 Ebd., S. 20.<br />

158 Die Pariser Frauen des 5. <strong>und</strong> 6. Oktober 1789. In: GL, 02/ 20/ 05.10.1892/ 167.<br />

159 Die Pariser Frauen des 5. <strong>und</strong> 6. Oktober 1789. In: GL, 02/ 19/ 21.09.1892/ 160.<br />

270


3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />

eine durchaus „wohlhabende, wohlangesehene Bürgersfrau“ 160 gewesen, die am 4. Oktober 1789<br />

im Palais Royal die Devise ausgab „‘Auf, Pariserinnen nach Versailles, den König <strong>und</strong> die<br />

Königin holen!’“ 161 Daraufhin bildeten Tausende Frauen aus dem Volke, Kleinkrämerinnen, wohl-<br />

habende, hoch angesehene Bürgerfrauen neben Prostituierten eine Einheit. Und sogar die<br />

Marktfrauen, die als erklärte Anhängerinnen des Königs galten, konnten nicht umhin, sich ihr<br />

anzuschließen.<br />

Nachdem die Nationalgarden erfolgreich davon abgehalten werden konnten, auf das Volk zu<br />

schießen, sei der große Zug schließlich in Versailles angekommen. Eine Deputation von zwölf<br />

Frauen, die zum Teil sogar namentlich bekannt sind, wurde zum König vorgelassen, um Brot für<br />

die Massen zu fordern. Um sich aber nicht nur mit Versprechungen zufrieden geben zu müssen,<br />

wurde die Königsfamilie schließlich gezwungen, sich von den Frauen nach Paris geleiten zu<br />

lassen. Das enthusiastische Urteil Zetkins lautete deshalb: „Der Zug des Königs nach Paris<br />

bedeutete, daß Volkswille stärker war als Königswille.“ 162 Dem entgegen wertete Zetkin die<br />

Wirkung der Französischen Revolution jedoch insgesamt negativ. 163 Es habe nicht „die Aus-<br />

beutung des Volkes ein Ende“ 164 gehabt, sondern es sei „nur in den Personen der Herrschenden<br />

<strong>und</strong> Ausbeutenden […] ein Wechsel ein[getreten]“ 165 . Zetkin war deshalb der Meinung, dass<br />

„[d]ie in materieller <strong>und</strong> geistiger Noth Darbenden unserer Zeit […] sehr wohl<br />

[wüssten], daß keine Kopie des Zuges nach Versailles, keine gute Absicht, kein<br />

starker Wille eines Mächtigen ihr Elend zu wenden vermag. Nur eine<br />

Umgestaltung der Gesellschaft aus einer kapitalistischen in eine sozialistische kann<br />

ihnen die Erlösung aus Elend <strong>und</strong> Knechtschaft bringen, nur das klassenbewußte,<br />

organisirte, kämpfende Proletariat kann die Umgestaltung vollziehen. Auf Ihr proletarischen<br />

Frauen!“ 166 [Hervorhebungen von M.S.]<br />

Die Frauen der Französischen Revolution – auch die, wie anhand einiger Biographien noch zu<br />

sehen sein wird, gemäßigten Revolutionärinnen – waren Zetkin dennoch Vorbild. Sie waren es<br />

aufgr<strong>und</strong> ihres aktiven politischen Handelns, ein Handeln, dem jedoch „nur“ ein politisches Be-<br />

wusstsein zugr<strong>und</strong>e lag, wie es die damalige Zeit <strong>und</strong> die damalige soziale Not hervorgebracht<br />

hatte.<br />

Auch die 1848er-Revolution hielt nicht, was sie versprach, besonders nicht den Frauen gegenüber.<br />

160 Ebd.<br />

161 Ebd.<br />

162 Die Pariser Frauen des 5. <strong>und</strong> 6. Oktober 1789. In: GL, 02/ 20/ 05.10.1892/ 168.<br />

163 Zu Zetkins Beurteilung der Französischen Revolution vgl. auch Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong><br />

Marxismus, S. 60.<br />

164 Die Pariser Frauen des 5. <strong>und</strong> 6. Oktober 1789. In: GL, 02/ 20/ 05.10.1892/ 168.<br />

165 Ebd.<br />

166 Ebd.<br />

271


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Gerade diesen hatte die bürgerliche Demokratie nichts zu bieten, obwohl sie sie doch mit erstritten<br />

hatten:<br />

„Die Toten reiten schnell! Die bürgerliche Demokratie Deutschlands, die ihrer<br />

spottend, sie weiß nicht wie, darauf verzichtet hat, eine Vorkämpferin für die volle<br />

Gleichberechtigung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts zu sein: deren Führer die Sozialdemokratie<br />

wegen ihrer Forderung des Frauenwahlrechtes mit billigen Bierbankwitzen<br />

bekämpfen: deren Presse politische Kämpferinnen gelegentlich mit faulen<br />

Papieräpfeln bewirft <strong>und</strong> feige schweigt, wenn ein reaktionärer <strong>und</strong> roher Patron<br />

unter dem Schutze seines Amtes die russischen Revolutionärinnen beschimpft:<br />

diese bürgerliche Demokratie hat einst selbst politisch, revolutionär kämpfende<br />

Frauen in ihren Reihen gezählt. Nicht lange ist es her, wenig mehr als ein halbes<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert, als das deutsche Bürgertum seinen schnell verwehten Maientraum<br />

träumte.“ 167<br />

So sehr Zetkin jene „politisch, revolutionär kämpfenden Frauen“ auch bew<strong>und</strong>erte, war es ihrer<br />

Meinung nach trotzdem „eine Legende, daß die klassenbewußte proletarische Frauenbewegung<br />

organisatorisch aus der bürgerlichen Frauenbewegung hervorgewachsen sei“ 168 . [Hervorhebung<br />

von M.S.]. Diesbezüglich hätten sie nicht mehr getan, als der proletarischen Frauenbewegung den<br />

Boden zu lockern. Endgültig erwachsen sei die proletarische Frauenbewegung aber<br />

„als Teil der allgemeinen klassenbewußten Arbeiterbewegung Deutschlands,<br />

gemäß der geschichtlichen Wahrheit, daß die Befreiung der Arbeiterklasse <strong>und</strong> all<br />

ihrer Teile das Werk der Arbeiterklasse <strong>und</strong> all ihrer Teile selbst sein muß“ 169 .<br />

Andere, weniger theoretisch f<strong>und</strong>ierte <strong>und</strong> wesentlich feministischere Töne schlug dagegen Anna<br />

Blos an, die vorwiegend biographische Arbeiten zur 1848er Revolution veröffentlichte. 170 Ihrer<br />

Meinung nach war das 19. Jahrh<strong>und</strong>ert „das Jahrh<strong>und</strong>ert der Frau“ 171 . Diese Bezeichnung sei ihm<br />

zu verleihen, weil eine Reihe von Frauen damals nicht nur<br />

„direkt oder indirekt […] an dem Kämpfen <strong>und</strong> Ringen der Freiheitskämpfer teilnahmen,<br />

sondern mit eigenen neuen Gedanken bahnbrechend wirkten“ 172 .<br />

Diese Frauen waren für Blos<br />

„Pfadfinderinnen auf dem Weg zur Befreiung der Frauen. Sie haben sich die Füße<br />

w<strong>und</strong> getreten an all den Steinen, die sie uns mühevoll aus dem Weg räumen<br />

mußten. Sie haben sich blutig geritzt an all den Dornen, die ihnen den Weg ver-<br />

167 Eine Freiheitskämpferin. In: GL, 14/ 09/ 20.04.1904/ 71. Zetkin nannte als Beispiele für die revolutionären Frauen<br />

des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts Louise Otto-Peters, Malvida von Meysenbug, Bettina von Arnim, Amalie Struve, Emma<br />

Herwegh, Marie Heindermann (?-?), Emilie Wüstenfeld (1817-1874), Lucilie Lenz (?-?) <strong>und</strong> Mathilde Hitzfeldt<br />

(1826-1905) (die ohne Lebensdaten versehenen Frauen werden noch in Kapitel 4 anhand der in der „Gleichheit“<br />

erschienenen biographischen Artikel vorgestellt).<br />

168 Zetkin, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands, S. 57.<br />

169 Ebd., S. 58.<br />

170 Siehe Kapitel 4.<br />

171 Blos, Anna: Der Einfluß der Frauen auf die Entwicklungsgeschichte der Menschheit, S. 125.<br />

172 Ebd.<br />

272


sperrten“ 173 .<br />

3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert waren es viele <strong>und</strong> große Steine, die einer Frau in den Weg gelegt wurden,<br />

„die durch sich selbst etwas war oder sein wollte“ 174 . Als „Persönlichkeit […] nicht anerkannt“ 175 ,<br />

musste sie für diese Anerkennung kämpfen, musste sie sich „emanzipier[…]en“ 176 – ein Begriff,<br />

der wahrscheinlich wegen seiner Nähe zur bürgerlichen Frauenbewegung unter der Redaktion<br />

Zetkins kaum gebraucht wurde. Blos war davon überzeugt, dass, wenn die Frau ihrer eigenen<br />

Generation, „als Persönlichkeit etwas gilt, wenn sie als Mensch, nicht nur als Weib bewertet wird“<br />

177 , sie dies auch jenen Frauen zu verdanken habe,<br />

„die als Kinder ihrer Zeit vielfach mißverstanden wurden, <strong>und</strong> deren Sturm- <strong>und</strong><br />

Drangperiode doch so notwendig war im Morgenrot des Jahrh<strong>und</strong>erts der Frauen“<br />

178 .<br />

Abgesehen von dieser letzten Entlehnung aus dem Vokabular sozialistischer Agitation hatte diese<br />

Sichtweise Blos‘ mit derjenigen Zetkins nichts gemein. Die von Blos vor 1917 veröffentlichten<br />

biographischen Artikel beschränkten sich eher auf die Skizzierung persönlicher Eigenschaften der<br />

von ihr dargestellten Frauen <strong>und</strong> gaben keine direkte Wertung des geschichtlichen Rahmens ab.<br />

Nun – 1919 – bezog sie jedoch Stellung zu der historischen Einordnung der Frauenbewegung.<br />

Dies weist darauf hin, dass entweder die von Zetkin beanspruchte Oberhoheit über die geschichts-<br />

theoretische Deutung auch bei Blos Früchte getragen hatte oder dass Zetkins Abwesenheit sie in<br />

ihren Aussagen entschiedener werden ließ. Blos betonte in ihrer Artikelserie schließlich doch den<br />

lediglich vorbereitenden Charakter der demokratischen Frauenbewegung <strong>und</strong> erklärte vollkom-<br />

men klassenbewusst:<br />

„Als die Frauen des Bürgertums wie das Bürgertum selbst nicht imstande waren,<br />

die Freiheitsideale zu erkämpfen, da waren es die Frauen der Arbeiterklasse, die<br />

diese Kämpfe aufnahmen <strong>und</strong> fortführten.“ 179<br />

Einerseits war es für Blos eine „Pflicht der Dankbarkeit, derer zu gedenken, die alles Neue, was<br />

unsere Zeit uns bringt, mit vorbereitet haben“ 180 – dazu gehörten die 1848er-Frauen –, andererseits<br />

aber war es ihr wichtig, Persönlichkeiten zu skizzieren, „die für die Entwicklung der heutigen<br />

173 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts I: Bettina von Arnim. In: GL, 29/ 31/ 20.09.1919/ 243.<br />

174 Ebd.<br />

175 Ebd.<br />

176 Ebd.<br />

177 Ebd.<br />

178 Ebd.<br />

179 Ebd., S. 244.<br />

180 Blos, Anna: Die Frauen des Jahres 1848. In: „Die Gleichheit“, 33/ 06/ 15.03.1923/ 45.<br />

273


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Frauenbewegung im sozialistischen Sinne von Bedeutung sind“ 181 . Hinsichtlich der Geschichte<br />

der 1848er-Revolution ist besonders bemerkenswert, wie sie mit aktuellen Ereignissen der<br />

Arbeiterbewegung <strong>und</strong> der proletarischen Frauenbewegung verknüpft wurden.<br />

Stets ein guter Anlass, an die Verdienste der frühen Demokratinnen zu erinnern, war der 18. März<br />

– der Tag der Berliner Märzgefallenen von 1848. Zetkin verfasste 1898 – einem besonderen<br />

Jubiläumsjahr – einen harschen Leitartikel „Zum 18. März“ 182 , in welchem sie erklärte, dass die<br />

proletarischen Frauen nicht nur als Proletarierinnen „der eigensüchtigen Bourgeoisie zu Haß <strong>und</strong><br />

Verachtung verpflichtet“ seien, sondern auch als Frauen. Denn in die Bourgeoisie habe in ihrer<br />

nun fünfzig Jahre währenden<br />

„Klassenherrschaft […] so gut wie nichts für die soziale Gleichberechtigung des<br />

<strong>weiblichen</strong> Geschlechts gethan. Und doch haben für ihren Sieg 1848 auch Frauen<br />

gelitten <strong>und</strong> gestritten.“ 183<br />

Die Revolution von 1848 war demnach für die Emanzipationsbestrebungen der Frauen wenig<br />

ergiebig. Zwar hatte auch die Französische Revolution hinsichtlich der Rechte der Frau wenig<br />

bewegt, doch verehrte Zetkin deren Protagonistinnen in besonderer Weise <strong>und</strong> sah Frauen dieses<br />

Formats in der deutschen Revolution nicht vertreten. Die Bewegung von 1848<br />

„hatte nicht ihre glänzenden Heroinen, nicht ihre Roland, Théroigne de Méricourt,<br />

Olympes Gonges x. Aber das Ideal der zu erringenden bürgerlichen Freiheit<br />

entflammte im ‘tollen Jahr’ gar manches edle Frauenherz, gar mancher kühne<br />

Frauengeist hing leidenschaftlich der Sache der Revolution an“ 184 .<br />

Und doch war Zetkin sich bewusst, dass die Geschichte der Frauen selten die Geschichte großer<br />

Namen ist. So beschrieb sie den „Gleichheit“-Leserinnen, auf welche schlichte <strong>und</strong> doch mutige<br />

Weise Frauen ihren Anteil an der Revolution hatten:<br />

„Es mangelte nicht an Müttern, Gattinnen, Bräuten, Schwestern <strong>und</strong> Töchtern,<br />

welche überzeugungstreu die theuersten Angehörigen zum Kampfe rüsteten, für<br />

den Kampf begeisterten. Frauen halfen beim Kugelgießen, versahen die Freiheitskämpen<br />

mit Munition <strong>und</strong> Nahrung <strong>und</strong> trugen ihnen Nachrichten zu. Nach der<br />

Niederkatätschung der revolutionären Erhebungen waren vielfach Frauen den von<br />

Standrecht <strong>und</strong> Kerkerhaft bedrohten Rebellen zum Entkommen behilflich. Ohne<br />

Murren <strong>und</strong> opferstark trugen etliche der Besten unseres Geschlechts mit dem<br />

Gatten das Elend des Flüchtlingslebens, die Bitterniß des Exils.“ 185<br />

Zetkin sah für diese Opfer jedoch von der bürgerlichen Gesellschaft keine Gegenleistung erbracht,<br />

den bürgerlichen Frauen nicht <strong>und</strong> den proletarischen Frauen – in dieser Gesellschaft als Frauen<br />

<strong>und</strong> Arbeiterinnen benachteiligt – gleich doppelt nicht. Als<br />

181 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts I: Bettina von Arnim. In: GL, 29/ 31/ 20.09.1919/ 244.<br />

182 Zum 18. März. In: GL, 08/ 06/ 16.03.1898/ 41-43.<br />

183 Ebd., S. 42.<br />

184 Ebd.<br />

185 Ebd.<br />

274


3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />

„[e]ine von der Bourgeoisie zweifach Verrathene <strong>und</strong> Entrechtete grüßt die<br />

deutsche Proletarierin das fünfzigjährige Jubiläum der revolutionären Märztage.<br />

Aber ohne weichliches Klagen <strong>und</strong> feiges Verzagen, vielmehr in muthvoller<br />

Kampfesstimmung <strong>und</strong> stolzer Siegeszuversicht.“ 186<br />

Die Kampfesstimmung zu heben <strong>und</strong> den Frauen vor Augen zu führen, wie lange sie als<br />

Staatsbürgerinnen bereits vertröstet wurden, beabsichtigte Zetkin auch mit der Berichterstattung<br />

zum ersten Internationalen Frauentag. 187 Er fand in ganz Deutschland, Österreich, in der Schweiz<br />

<strong>und</strong> den USA am 19. März 1911 statt – ein Datum, das ihn in Zetkins Augen in idealer Weise mit<br />

den Ereignissen desselben Tages im Jahre 1848 verknüpfte. An diesem Tag, so Zetkin in ihrem<br />

Artikel „Unser Märzentag“ 188 , habe der preußische Absolutismus in Person Friedrich Wilhelm IV.<br />

vor der Macht des Volkes kapitulieren müssen. Im Gegensatz zu vielen anderen in der<br />

„Gleichheit“ regelmäßig zum 18. März erschienenen historischen Artikel 189 fand der Anteil der<br />

Frauen hier eine entsprechende Erwähnung. Anlässlich der ersten internationalen Massen-<br />

demonstration für das Frauenwahlrecht schlug Zetkin einen geschichtlichen Bogen von der<br />

Französischen Revolution über den utopischen Sozialismus bis zu den ersten demokratischen<br />

Strömungen des Vormärzes. Die bürgerlichen Frauen, die sich damals für die Gleichstellung der<br />

Frau zu Wort meldeten, taten dies meist „nur im stillen Kämmerlein“ 190 . Doch der Vormärz<br />

brachte Frauen hervor, die für ihre Rechte nicht nur mit Worten oder literarisch fochten. Frauen,<br />

so Zetkin,<br />

186 Ebd.<br />

„fehlen auch dort nicht, wo es zu revolutionärem Kampfe zwischen den absolutistischen<br />

Staatsgewalten <strong>und</strong> den politisch entrechteten Volksmassen kommt, <strong>und</strong><br />

wie zu Heldinnen, so werden sie zu Märtyrerinnen ihrer demokratischen Überzeugung.<br />

Die bürgerliche Revolutionszeit ruft die erste politische Frauenzeitung<br />

Deutschlands ins Leben, […] die 1852 als ein Opfer der Reaktion fällt, die dem<br />

Verrat des Bürgertums an der Revolution auf dem Fuße folgte.“ 191<br />

187 Anlässlich des ersten sozialdemokratischen Frauentages erschien, so die Ankündigung in der „Gleichheit“, „Anfang<br />

März eine Agitationszeitung für das Frauenwahlrecht herausgegeben von Klara Zetkin, 16 Seiten im Format<br />

der Gleichheit. Die Zeitung bringt die Porträts der verstorbenen sozialdemokratischen Vorkämpferinnen für das<br />

Frauenwahlrecht in Deutschland, sie wird einen reichhaltigen Inhalt haben <strong>und</strong> schön ausgestattet sein. Das Blatt<br />

soll der Agitation für das Frauenwahlrecht unter den breitesten Massen dienen. Preis der Nummer: Für<br />

Organisationen <strong>und</strong> Wiederverkäufer 5 Pf., die Einzelnummer 10 Pf. […]“ (GL, 21/ 11/ 27.02.1911/ 176).<br />

188 Unser Märzentag. In: GL, 21/ 12/ 13.03.1911/ 177-179.<br />

189 Ebenso wie jährlich zum 18. März ein besonders agitatorischer Artikel in der „Gleichheit“ erschien, so auch zum<br />

1. Mai (vgl. „Auswahl der geschichtlichen Artikel im Hauptblatt der ‘Gleichheit’“).<br />

190 Unser Märzentag. In: GL, 21/ 12/ 13.03.1911/ 178.<br />

191 Ebd. Hinsichtlich dieses Verrats, dieser unerfüllten Hoffnungen hob Zetkin nach der blutigen Niederschlagung des<br />

Aufstandes im Januar 1905 in St. Petersburg die historische Rolle der russischen revolutionären Volksmassen<br />

hervor: „Das Proletariat Rußlands hat die geschichtliche Mission übernommen, vor deren Erfüllung die Bourgeoisie<br />

Westeuropas sogar in den Tagen revolutionären Jugenddranges kurzsichtig <strong>und</strong> feige zurückgeschreckt ist,<br />

<strong>und</strong> die sie später bewußt verraten hat. Es vollstreckt an dem zarischen Despotismus das Todesurteil.“ (Für Preisfechter<br />

des revolutionären Proletariats. In: GL, 15/ 15/ 26.07.1905/ 85).<br />

275


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

In der Weimarer Zeit warf Zetkin einen deutlich kritischeren Blick auf die deutschen Vorkämp-<br />

ferinnen <strong>und</strong> sah ihre Bedeutung für die proletarische Frau von der Sozialdemokratie absichtlich<br />

überhöht, um den Burgfrieden zu rechtfertigen:<br />

„Jedoch alles in allem scheint es, daß das revolutionäre Auftreten der genannten<br />

Frauen [Struve, Anneke, Herwegh] mehr die Zielscheibe sittlicher Entrüstung <strong>und</strong><br />

billiger Witzeleien des wohlanständigen deutschen Philistertums gewesen ist als<br />

ein Gegenstand ernster Beachtung oder gar von Befürchtungen der Gegenrevolutionäre.<br />

Im Gegensatz zu den Kämpferinnen der Französischen Revolution sind<br />

ihre deutschen Nachfolgerinnen bei wichtigen Episoden des Ringens für das neue,<br />

freiheitliche Deutschland nicht als selbständig Handelnde, ja Entscheidende hervorgetreten,<br />

haben sie sich nicht als Bewegerinnen <strong>und</strong> Führerinnen Recht <strong>und</strong><br />

Freiheit heischender Frauenmassen, Volksmassen betätigt, die ein gemeinsamer politischer<br />

Zielwille im Sturmschritt vorwärts trieb. Nebenbei: Sozialdemokratische<br />

Geschichtsklitterung versucht es, die Regierungskoalition der Reformisten mit der<br />

Bourgeoisie zu rechtfertigen <strong>und</strong> insbesondere die Proletarierinnen für sie zu begeistern,<br />

indem sie in sentimentaler Seichtbeutelei die Schatten der Frauengestalten<br />

aus der acht<strong>und</strong>vierziger Revolution heraufbeschwört, denen als besonderes Verdienst<br />

angerechnet wird, daß sie zu den Besitzenden <strong>und</strong> Gebildeten gehörten <strong>und</strong><br />

nur durch ihr Mitgefühl für die Leiden des Volkes, nicht aber durch Klassensolidarität<br />

mit diesem verb<strong>und</strong>en waren.“ 192<br />

Dieser Geschichtsklitterung stellte Zetkin die Beispiele der französischen <strong>und</strong> russischen<br />

Revolutionärinnen als viel wertvoller gegenüber. Dies seien jedoch Frauen, denen die Geschichts-<br />

schreibung der bürgerlichen Frauenbewegung verständlicherweise „keine Lorbeerkränze ge-<br />

w<strong>und</strong>en“ 193 habe. Und bezeichnenderweise waren es doch die 1848er-Revolutionärinnen bzw.<br />

auch einige ihrer weniger revolutionären, dafür aber gebildeten Zeitgenossinnen, die zu Beginn<br />

der Weimarer Republik Vorbildfunktion haben sollten. 194<br />

Der gescheiterten Revolution von 1848 folgten, so Zetkin, „Jahre der schwärzesten Reaktion“ 195 –<br />

Jahre, in denen der deutsche Kapitalismus – „[s]ich an billigem Frauen- <strong>und</strong> Kinderfleisch<br />

mästend[…] [<strong>und</strong>] ungestört durch ‘Meutereien unbescheidener Arbeiter’“ 196 – einen großen<br />

Aufschwung nahm. Förderer <strong>und</strong> Profiteure dieses Aufschwungs waren jedoch nicht nur die<br />

herrschende Klasse des Adels, sondern auch die in der Revolution gescheiterte Bourgeoisie. Sie<br />

nutzte die Gunst der St<strong>und</strong>e eines leistungs- <strong>und</strong> besitzbezogenen Wertewandels <strong>und</strong> büßte, so<br />

Zetkin polemisch, „die kurze Maienblüte ihrer politischen Sünde“ 197 mit „betriebsamer <strong>und</strong><br />

192 Zetkin, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands, S. 19.<br />

193 Ebd. S. 20.<br />

194 Siehe Kapitel 4.5.<br />

195 Ebd., S. 63.<br />

196 Ebd.<br />

197 Ebd.<br />

276


3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />

erfolgreicher Geschäftstüchtigkeit“ 198 . Verlierer dieser wirtschaftlichen Blüte, der so genannten<br />

„Gründerzeit“, waren die unteren Klassen der Bauern <strong>und</strong> Handwerker, die billigen Arbeitskräfte,<br />

die nun der sich entwickelnden Industrie zuströmten <strong>und</strong> verelendeten – ihr „Fordern <strong>und</strong> Ringen<br />

schien erstorben“ 199 . Umso mehr bew<strong>und</strong>erte Zetkin die „Begeisterung <strong>und</strong> Opferfreudigkeit“ 200 ,<br />

mit der die proletarischen Frauen gegen die Tatenlosigkeit der Reaktionszeit <strong>und</strong> die bürgerliche<br />

Gängelung angingen. 201<br />

Die Bedeutung der Gründung der gemischtgeschlechtlichen „Internationalen Gewerksgenossen-<br />

schaft der Manufaktur-, Fabrik- <strong>und</strong> Handarbeiter“ 1869 im sächsischen Textilindustriestandort<br />

Crimmitschau wurde an vorhergehender Stelle bereits geschildert. Zetkin sah in ihr nicht nur den<br />

Beginn der gewerkschaftlichen Integration der Frauen, sondern den Beginn der proletarischen<br />

Frauenbewegung überhaupt:<br />

„Die gesamte proletarische Frauenbewegung Deutschlands ist die Erbin <strong>und</strong> Testamentsvollstreckerin<br />

der Internationalen Genossenschaft.“ 202<br />

Der Umgang mit diesem Erbe zeigte sich im Engagement der proletarischen Frauen innerhalb von<br />

SPD <strong>und</strong> Gewerkschaften <strong>und</strong> wird anhand der rekonstruierten Biographien der Klassenkämp-<br />

ferinnen noch deutlich werden.<br />

Es ist wieder ein besonderes Forschungsfeld Zetkins, das sich nun chronologisch anschließt: Am<br />

21. Jahrestag der Pariser Kommune von 1871 wollte Zetkin vor allem der Kommunardinnen ge-<br />

denken. 203 Sie konstatierte, dass „[w]ie an allen großen Tagen der Geschichte des französischen<br />

Volks“ 204 , so auch in den Tagen der Pariser Kommune die Frauen „eine hervorragende, glänzende<br />

Rolle“ 205 gespielt hätten. Aus der Kenntnis der französischen Mentalität heraus schrieb Zetkin,<br />

dass<br />

198 Ebd.<br />

199 Ebd.<br />

„[d]ie Französinnen […] von jeher viel Instinkt für den engen Zusammenhang<br />

zwischen dem öffentlichen Leben <strong>und</strong> dem Leben des Einzelnen besessen“ 206<br />

200 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 166. Besonders der „Opferfreudigkeit“ wird als weiblichster<br />

Tugend – als einer Tugend derjenigen, die ohnehin wenig verlieren können – noch eine große Bedeutung<br />

in den Darstellungen weiblicher Leitbilder zukommen.<br />

201 Auf Zetkins Darstellungen bezüglich der Gründung der ersten großen Arbeitervereine <strong>und</strong> des Wirkens von Marx,<br />

Engels, Lassalle <strong>und</strong> Bebel kann hier nicht eingegangen werden. Hinsichtlich der Gründung der ersten Arbeiterinnenvereine<br />

siehe Kapitel 1.<br />

202 Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 25/ 12.12.1906/ 178.<br />

203 Die Frauen der Kommune. Zum 21. Jahrestag der Kommune von Paris. In: GL, 02/ 06/ 23.03.1892/ 53-54.<br />

204 Ebd., S. 53.<br />

205 Ebd.<br />

206 Ebd.<br />

277


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

hätten, dass sie aber auch – so Zetkin unerwartet kritisch –<br />

„von jeher mehr aus Temperament als aus klarer Ueberzeugung Schulter an Schulter<br />

mit den Männern für gesellschaftliche Neuerungen in den Kampf gegangen“ 207<br />

seien. Diesen Mangel erklärte Zetkin allerdings nicht weiter. Ihr war es vor allem wichtig, das<br />

Bild, das die Gegner von den Kommunardinnen zu verfestigen suchten, als bewusste Lügen zu<br />

entlarven. Man hätte die<br />

„Gestalten der heldenkühnen, todesmuthigen Kommunarden in die der megärenhaften<br />

‘Petroleusen’ umgelogen, sie mit unsäglichem Schmutz beworfen, für den<br />

Abschaum, die Hefe der Pariser Frauenwelt erklärt“ 208 .<br />

Die bürgerliche Meinung könne nicht damit umgehen, dass es Frauen gewesen waren, die am<br />

Morgen des 18. März 1871 auf dem Montmartre den Abtransport der Kanonen durch die National-<br />

garde verhindert hatten, indem sie die hierfür abkommandierten Soldaten zum Fraternisieren<br />

bewegten. Es habe Frauen gegeben, die nicht aktiv an diesem <strong>und</strong> späteren Einsätzen beteiligt<br />

waren <strong>und</strong> doch die Sache unterstützten, indem sie die Männer nicht zurückhielten, sondern<br />

anfeuerten <strong>und</strong> derweil den Haushalt weiterführten. Zetkin fand auch für diese unscheinbare Form<br />

des Kampfes beeindruckende Worte:<br />

„Ueberall, wo für die Kommune gearbeitet <strong>und</strong> gekämpft ward, wo es eines anfeuernden<br />

Wortes, einer kühnen That, aufopfernder Selbstverleugnung bedurfte,<br />

waren die Frauen zu finden.“ 209<br />

Und es gab die Frauen, die konkret an den Kämpfen beteiligt waren: Sie<br />

„nähten Tag <strong>und</strong> Nacht Säcke, die mit Erde gefüllt wurden <strong>und</strong> zum Verstopfen der<br />

Breschen dienen sollten. Frauen <strong>und</strong> junge, zarte Mädchen schleppten schwere<br />

Karren voll Steine <strong>und</strong> Erde zum Aufbau der Barrikaden herbei; auf dem Place<br />

Blanche erhob sich eine Barrikade, welche nur von Frauen aufgethürmt <strong>und</strong> ebenso<br />

heldenmüthig als klug vertheidigt wurde; Frauen schulterten das Gewehr, standen<br />

Wache auf den gefährlichsten Posten, vertheidigten bis zuletzt unhaltbar gewordene<br />

Punkte.“ 210<br />

Und wenn nicht als Kämpferinnen, so waren sie als Krankenpflegerinnen im Einsatz, was sie<br />

ebenfalls zu Strafverfolgten der Regierung machte. H<strong>und</strong>erte wurden gefangen genommen <strong>und</strong><br />

verschleppt, waren tagelang<br />

207 Ebd.<br />

208 Ebd.<br />

209 Ebd.<br />

210 Ebd., S. 54.<br />

211 Ebd.<br />

278<br />

„ohne Nahrung, ohne Trinkwasser, ohne die Möglichkeit, sich reinigen zu können.<br />

Wie Schlachtvieh wurden sie zusammengepfercht in dumpfigen Kellerhöhlen auf<br />

faulendem Stroh, in offenen Höfen, wo sie dem glühenden Sonnenbrande preisgegeben<br />

waren.“ 211


3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Der erschreckenden Schilderung nicht genug, teilte Zetkin ihren Leserinnen mit, dass manche<br />

dieser Kämpferinnen zusammen mit Männern eingesperrt <strong>und</strong> gezwungen wurden, sich in deren<br />

<strong>und</strong> in Gegenwart der Wächter umzuziehen. Wie Tiere habe man sie schließlich auch in einem<br />

Gerichtsprozess zur Schau gestellt. Dieser „‘Prozeß der Petroleusen’“ 212 endete mit den Urteilen,<br />

dass von 157 Frauen acht sterben mussten <strong>und</strong> 86 für den Rest ihres Lebens in eine Strafkolonie<br />

deportiert wurden. 213 Alle diese als Furien verschrieenen Frauen hätten ihr Urteil, so Zetkin, ruhig,<br />

ja mit „antike[r] Heldengröße“ 214 entgegengenommen. Obwohl sich Zetkin mit ihren Darstel-<br />

lungen gegen das Bild von der französischen Petroleuse richtete, zitierte sie genüsslich einen<br />

entsetzten englischen Journalisten mit den Worten:<br />

„‘Wenn das französische Volk nur aus Frauen bestände, welch‘ ein furchtbares<br />

Volk wäre das.’“ 215<br />

Zwei dieser besonderen Frauen Frankreichs wurden von Zetkin ausführlicher für die „Gleichheit“-<br />

Leserinnen porträtiert. Indem die „Gleichheit“ sowohl Herkunft, Beweggründe <strong>und</strong> Handlung-<br />

sbereich der Gruppe revolutionärer Frauen als auch ihre einzelnen Mitglieder beschrieb, bot sie<br />

ihren Leserinnen in besonders gelungener Weise Identifikationsmöglichkeiten an.<br />

Einen in dieser Hinsicht herausragenden Stellenwert hatten auch die russischen Revolutionärinnen<br />

bzw. Terroristinnen, die meist aus dem Bildungsbürgertum stammten. Indem sie ihr Leben in<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Wohlstand aufgaben, um „für Volkswohl <strong>und</strong> Volksfreiheit“ 216 zu kämpfen, be-<br />

wiesen sie eine „Opferfreudigkeit ohne Gleichen“ 217 . „H<strong>und</strong>erte[…] <strong>und</strong> H<strong>und</strong>erte[…] von jungen<br />

Mädchen <strong>und</strong> Frauen“ 218 setzten laut Zetkin ihr Leben aufs Spiel für ein Ideal, für „eine bessere,<br />

schönere Zukunft für Alle“ 219 . Ebenso viele waren es, die<br />

„mit vorzeitig aufgeriebenen Kräften ins Grab sanken, nach Sibiriens Eiswüsten<br />

verschickt wurden, hinter Kerkermauern im Wahnsinn oder durch Selbstmord<br />

endeten, am Galgen ihr Leben aushauchten oder als Flüchtlinge, fern von der<br />

Heimath ein freudloses, entbehrungsreiches Leben führen“ 220<br />

mussten. Für Zetkin waren diese Frauen jedoch nicht nur Vorbilder für die deutschen Prole-<br />

212 Ebd.<br />

213 Vgl. ebd.<br />

214 Ebd.<br />

215 Ebd.<br />

216 Die russischen Revolutionärinnen. In: GL, 02/ 01/ 11.01.1892/ 14-15, S. 14.<br />

217 Ebd.<br />

218 Ebd.<br />

219 Ebd.<br />

220 Ebd.<br />

279


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

tarierinnen, sondern auch für die deutschen „Frauenrechtlerinnen“, denn die ersten russischen<br />

Revolutionärinnen<br />

„hatten meist schon einen Kampf geführt, den Kampf für die Emanzipation der<br />

Frau, den Kampf zumal für die gleiche Ausbildung, die gleiche Berufsthätigkeit<br />

des <strong>weiblichen</strong> <strong>und</strong> männlichen Geschlechts“ 221 .<br />

Die Erkenntnisse aus diesem Kampf hatten sie jedoch weitergeführt <strong>und</strong> einen bedingungslosen<br />

Kampf gegen den Zarismus aufnehmen lassen. Statt ihrer naturwissenschaftlichen <strong>und</strong> medizini-<br />

schen Bücher studierten sie nun – meist im „sozialistische[n] Mekka“ 222 Zürich – die einschlägige<br />

sozialistische Literatur <strong>und</strong> wurden Agitatorinnen. Durch diese Konsequenz, so Zetkin, „standen<br />

sie schon damals hoch über dem Durchschnitt unserer bürgerlichen Frauenrechtlerinnen West-<br />

europas“ 223 . Die deutschen Proletarierinnen würden es dagegen wohl nie erleben, dass H<strong>und</strong>erte<br />

<strong>und</strong> Tausende von Frauen der Oberen Zehntausend „freudig auf alle Vortheile ihrer Geburt <strong>und</strong><br />

Stellung“ 224 verzichten <strong>und</strong> einer revolutionären Bewegung beitreten. 225<br />

Doch die Entscheidung für die Sache des Volkes brachte den Revolutionärinnen nicht nur dessen<br />

Anerkennung:<br />

„Die Propagandistinnen lernten die Bitterniß vergeblichen Mühens <strong>und</strong> Ringens,<br />

des Verkanntwerdens der edelsten Absichten kennen, sie wurden von denen, die sie<br />

retten wollten, oft mit Feindschaft, mit Denunziation gelohnt.“ 226<br />

Auf diese Weise in die Fänge der brutalen Handlanger des despotischen Zarenreiches geraten <strong>und</strong><br />

immer von seinen Spitzeln bedroht, wurden die RevolutionärInnen, so die Begründung Zetkins für<br />

den Terrorismus, „von ihrem übermächtigen Gegener gezwungen, auf den Druck durch Gegen-<br />

druck zu antworten“ 227 . Die revolutionären Gruppierungen planten <strong>und</strong> begingen Attentate auf die<br />

Stellvertreter des Zaren in Behörden <strong>und</strong> Gefängnissen <strong>und</strong> schließlich auf Zar Alexander II.<br />

selbst. „Auf den weißen Schrecken seitens der Regierung“, so Zetkin scheinbar unkritisch, „folgte<br />

der rothe Schrecken seitens der Revolutionäre“ 228 <strong>und</strong> „trat unter dem Gebot der Nothwehr der<br />

Terrorismus an Stelle der Propaganda“ 229 .<br />

Auch die <strong>weiblichen</strong> Revolutionärinnen trugen die Radikalisierung mit <strong>und</strong> bewiesen dabei be-<br />

sondere Charaktereigenschaften:<br />

221 Ebd.<br />

222 Ebd.<br />

223 Ebd.<br />

224 Ebd.<br />

225 Ebd., S. 15.<br />

226 Ebd.<br />

227 Ebd.<br />

228 Ebd.<br />

229 Ebd.<br />

280


3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />

„Was sie auch thaten, sie thaten es einfach <strong>und</strong> schlicht, ohne Aufhebens, ohne<br />

Rühmens, wie etwas Alltägliches <strong>und</strong> Selbstverständliches, wie eine Pflicht, deren<br />

Erfüllung Herzenssache ist.“ 230<br />

Auf diese besonders heroische Weise hätten sie auch ihre Todesurteile entgegengenommen <strong>und</strong><br />

starben als „Märtyrerinnen“ für die „Volksfreiheit in Rußland“ 231 . 232 Zetkin bezog sich auf den<br />

russischen Schriftsteller <strong>und</strong> Publizisten Stepnjak 233 , der als „guter Kenner der russischen revolu-<br />

tionären Bewegung“ 234 treffend bemerkt habe,<br />

„daß diese ihren fast religiösen Charakter den Frauen verdankt, die an ihr Antheil<br />

nahmen, die heilige, läuternde Flamme der Begeisterung in sie hineintrugen“ 235 .<br />

Die Darstellungsweise all dieser Artikel wirkt sehr gefühlsbetont <strong>und</strong> mystifizierend. Diese Emo-<br />

tionalität wird auch auffällig, wenn die „Gleichheit“ die Geschichte der Arbeiterbewegung aus<br />

dem Blickwinkel ihrer <strong>weiblichen</strong> Mitglieder betrachtete. Das Sozialistengesetz, so Zetkin 1896<br />

auf dem Parteitag in Gotha belustigt, habe<br />

„eine Arbeit geleistet, die h<strong>und</strong>erte von Agitatorinnen nicht zu leisten im Stande<br />

gewesen wären, <strong>und</strong> wir sind dem Vater des Sozialistengesetzes sowie allen Staatsorganen,<br />

die an seiner Durchführung betheiligt waren, vom Minister bis zum<br />

Schutzmann herab, aufrichtig dankbar für ihre unfreiwillige agitatorische Thätigkeit.<br />

Und da wirft man uns Sozialdemokraten Undankbarkeit vor! (Heiterkeit.)“ 236<br />

Auch das diskriminierende Vereinsrecht hatte seinen Zweck nicht erfüllen können. Die Arbeiterin-<br />

nen sind die wahren Sieger geblieben. Alle Verbote konnten die Organisationen der proletarischen<br />

Frauen nicht zerschlagen, sondern hätten „nur darauf hingewirkt, ihr Klassenbewußtsein immer<br />

mehr zu wecken“ 237 . Besonders das Sozialistengesetz bot sowohl in geschlechter- als auch partei-<br />

geschichtlicher Hinsicht Aspekte, die Gemeinsamkeit stiften konnten. Seine Geschichte sprach die<br />

Leserinnen sowohl als Frauen als auch als Parteimitglieder an. Ein emotionaler Aspekt war zudem<br />

unweigerlich gegeben, weil viele Frauen – darunter z. B. Zetkin <strong>und</strong> Ihrer – noch aktiven Anteil<br />

230 Ebd. Zetkin nannte in diesem Artikel Sophie Perowskaja, Jessa Helfmann, Vera Figner, Sophie Bardina, Vera<br />

Sassulitsch, Jewgenia Subotina (1853- nach 1930) bzw. Maria Subotina (1854-1878) (die kursiv hervorgehobenen<br />

Frauen werden noch in Kapitel 4 vorgestellt).<br />

231 Die russischen Revolutionärinnen. In: GL, 02/ 01/ 11.01.1892/ 15.<br />

232 Märtyrerinnentum ist ein wichtiges Moment des Frauenleitbildes der „Klassenkämpferin“, wie es sich in den<br />

„Gleichheit“-Biographien widerspiegelt. Mit ihm einher geht die pseudoreligiöse Definition des revolutionären<br />

Kampfes.<br />

233 Gemeint war hier das Pseudonym Sergei Stepniak, hinter dem sich der Schriftsteller Sergei Michajlovic Kravcinskij<br />

verbarg, der sich in den 1870er Jahren als Narodnik an den revolutionären Kämpfen beteiligte <strong>und</strong> später<br />

nach England emigrierte.<br />

234 Ebd.<br />

235 Ebd.<br />

236 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 164.<br />

237 Ebd., S. 166.<br />

281


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

an der damaligen Bewegungsarbeit in Untergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Exil gehabt hatten <strong>und</strong> sehr lebendig davon<br />

zu erzählen verstanden. Sie verknüpften mit dieser Epoche unermüdlichen Kampfes nicht nur ihre<br />

eigene Persönlichkeitsentwicklung 238 , sondern auch den <strong>weiblichen</strong> Anteil am Werdegang der<br />

gesamten Arbeiterbewegung <strong>und</strong> der Sozialdemokratie.<br />

Bereits 1892 verfasste Zetkin den Artikel „Ungenannte Heldinnen“, 239 den sie, leicht abgeändert,<br />

nochmals 1894 unter dem Titel „Die Frauen <strong>und</strong> das Ausnahmegesetz“ 240 <strong>und</strong> schließlich 1903<br />

unter dem Titel „Die Frauen unter dem Ausnahmegesetz“ 241 in der „Gleichheit“ veröffentlichte.<br />

Anlass für das letztmalige Erscheinen war der 25. Jahrestag des am 21. Oktober 1878 erlassenen<br />

Sozialistengesetzes, das in der SPD auch „Ausnahmegesetz“ oder „Schmachgesetz“ genannt<br />

wurde. In diesem Artikel sprach Zetkin gezielt die Vernachlässigung an, die die Frauen auch in der<br />

SPD-Geschichte bisher erfahren mussten – <strong>und</strong> immer noch erfahren:<br />

„Aber eins haben wir in all den Artikeln vermißt, welche des Unsterblichen<br />

gedachten, das deutsche Proletarier in den Jahren des Ausnahmegesetzes geleistet<br />

haben. Auch nicht ein einziger hat gerecht rühmend den Anteil erwähnt, den die<br />

proletarischen Frauen an dem Kampfe zur Unschädlichmachung <strong>und</strong> Zerschmetterung<br />

des Sozialistengesetzes genommen haben, an den Arbeiten <strong>und</strong> Mühsalen<br />

zum Aufbau einer klassenbewußten proletarischen Bewegung, […]. Und doch<br />

wäre ohne die Mitarbeit, den Mitkampf der Proletarierinnen die Überwindung des<br />

Schmachgesetzes unmöglich gewesen […].“ 242<br />

Erstaunlicherweise war es ausgerechnet die das Sozialistengesetz betreffende Erinnerungskultur<br />

der Parteipresse, die Zetkin gezwungenermaßen kritisieren musste. Trotz dieser den Anteil der<br />

Frauen am Kampf gegen das Sozialistengesetz nicht ausreichend würdigenden Darstellungsweise<br />

blieb Zetkin in ihrem Ton ungewohnt zaghaft – vermutlich wollte sie nicht auch nur den Hauch<br />

eines Verdachtes auf sich ziehen, feministische oder frauenrechtlerische Positionen einzunehmen.<br />

Und so schrieb sie weiter:<br />

Wir entrüsten uns keineswegs darüber, daß Dutzende von Gedenkartikeln schweigend<br />

an den Leistungen der Frauen vorübergegangen sind; wir vermerken es nur.<br />

Es ist der unbewußte, ungewollte, aber sehr bezeichnende Ausdruck einer Tatsache.<br />

Die Herrenstellung des männlichen Geschlechts in der Familie, in Gesellschaft <strong>und</strong><br />

Staat hat beim Manne das Gefühl für die Wertung des stillen Heroismus der Frau<br />

abgestumpft, hat letzterem selbst den Charakter des Selbstverständlichen aufgeprägt,<br />

das im Dunkel der Anonymität bleibt. Was Jahrh<strong>und</strong>ert nach Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

in dieser Hinsicht geschaffen, das kann unmöglich von heute auf morgen verschwinden.<br />

Kein W<strong>und</strong>er deshalb, wenn auch beim Sozialisten der Frau gegenüber<br />

hier <strong>und</strong> da die theoretische, die geschichtliche Einsicht von der Macht des un-<br />

238 Siehe besonders die im Verzeichnis biographischer Literatur genannten autobiographischen Artikel <strong>und</strong> Werke.<br />

239 Ungenannte Heldinnen. In: GL, 02/ 10/ 18.05.1892/ 87-88.<br />

240 Die Frauen <strong>und</strong> das Ausnahmegesetz. In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 164-165.<br />

241 Die Frauen unter dem Ausnahmegesetz. In: GL, 13/ 23/ 04.11.1903/ 178-180.<br />

242 Ebd., S. 178-179.<br />

282


3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />

bewußten Empfindens zurückgedrängt wird: Kurz nachzuholen, was in der<br />

aufgezeigten Beziehung verabsäumt worden ist, dünkt uns eine Pflicht der Gerechtigkeit.“<br />

243<br />

Auch hier zeigt sich die oft an Zetkin <strong>und</strong> an der gesamten proletarischen Frauenbewegung kriti-<br />

sierte „Selbstbescheidung“ 244 bzw. „Selbstzensur“ 245 , die eine die „Klassenharmonie“ gefährdende<br />

Kritik an den männlichen Genossen nicht zulassen wollte.<br />

Doch zurück zum frauengeschichtlichen Inhalt des Artikels. Die Proletarierinnen, deren Männer<br />

sich in der Zeit des Sozialistengesetzes zum Sozialismus bekannten, konnten nach Ansicht Zetkins<br />

in zwei Gruppen eingeteilt werden. Es gab diejenigen Frauen, die aus Sorge um die Existenz ihrer<br />

Familie<br />

„im schleichenden Kleinkrieg mit Bitten <strong>und</strong> Tränen, mit Verwünschungen <strong>und</strong><br />

Vorwürfen, mit Liebkosung <strong>und</strong> Lächeln manche trotzige Männerkraft zermürbt[en]<br />

<strong>und</strong> aufr[ieben]“ 246 .<br />

Und es gab die anderen – die, „die tapfer ihre Tränen hinunterschluckten“ 247 <strong>und</strong> die Versorgung<br />

der Familie selbst in die Hand nahmen, während ihre Ehemänner verhaftet oder ausgewiesen<br />

waren, <strong>und</strong> die, die sogar in einer „Fülle von täglicher geheimer Kleinarbeit“ 248 unentbehrlich für<br />

die Bewegung wurden. 249 Sie waren es, die die Verbindung zwischen den Gesinnungsgenossen<br />

aufrechterhielten, Unterstützungsgelder sammelten, die Polizei in die Irre führten, geheime<br />

Zusammenkünfte vorbereiteten, die verbotene sozialistische Literatur z. B. im Kinderwagen trans-<br />

portierten <strong>und</strong> verteilten. Einige von ihnen (Gertrud Guilleaume-Schack, Emma Ihrer, Pauline<br />

Stägemann, Bertha Hahn, Agnes Wabnitz, Johanne Schackow, Marie Hofmann), die schließlich zu<br />

bedeutenden Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung werden sollten, leisteten erste<br />

Organisationsarbeit unter den Proletarierinnen, vor allem in Form von Vereinen, die jedoch bald<br />

Opfer eines anderen Gesetzes, des Preußischen Vereinsgesetzes, wurden. Auf die vielen<br />

„Ungenannten <strong>und</strong> Unbekannten“ 250 , träfe, so Zetkin weiter, das Wort der altskandinavischen Edda<br />

zu: „‘Viele sind kühn, deren Schwert nicht rot vom Blut aus Feindesbrust.’“ 251<br />

Zetkin war es ein wichtiges Anliegen, ihren Leserinnen zu zeigen, dass Mut <strong>und</strong> Kühnheit nicht<br />

243 Ebd., S. 179.<br />

244 Freier, Dimensionen <strong>weiblichen</strong> Erlebens <strong>und</strong> Handelns, S. 210.<br />

245 Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. IX.<br />

246 Die Frauen unter dem Ausnahmegesetz. In: GL, 13/ 23/ 04.11.1903, S. 179.<br />

247 Ebd.<br />

248 Ebd.<br />

249 Siehe zum Frauenleitbild der sozialistischen Ehefrau Kapitel 4.3.<br />

250 Die Frauen unter dem Ausnahmegesetz. In: GL, 13/ 23/ 04.11.1903, S. 180.<br />

251 Ebd.<br />

283


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

nur auf einem Schlachtfeld oder einer Barrikade bewiesen werden konnten, dass Frauen immer<br />

schon<br />

„instinktiv oder bewußt um der Erlösung ihrer Klasse, ihres Geschlechtes willen<br />

duldeten <strong>und</strong> handelten, den Kampf mit Sorge <strong>und</strong> Entbehrung, mit den Rücken<br />

<strong>und</strong> Tücken der feindseligen Gewalten aufnahmen, im Dienste der Idee der<br />

Menschheitsbefreiung einfach Alltagsarbeit verrichteten“ 252 .<br />

Das, was diese vielen Frauen geleistet haben, hatte seinen Wert für die sozialdemokratische<br />

Bewegung, auch wenn diese Leistungen<br />

„nicht vom Glorienschein des Großartigen <strong>und</strong> Ungewöhnlichen umstrahlt in die<br />

Augen fallen, […] nicht von Dichtern besungen, von Geschichtschreibern gepriesen<br />

werden“ 253 .<br />

So versuchte Zetkin, die wahrlich keine „unbekannte Heldin“ geblieben ist, den „Gleichheit“-<br />

Leserinnen sowohl historisches Wissen zu vermitteln, historische Vorbilder für ein bewusstes poli-<br />

tisches Handeln näher zu bringen als auch gegen den <strong>weiblichen</strong> Geschichtsverlust anzugehen.<br />

Außerdem nutzte sie die Gelegenheit, an die „reinliche Scheidung“ zwischen proletarischer <strong>und</strong><br />

bürgerlicher Frauenbewegung zu erinnern. Ihrer Meinung nach stünden gerade die Frauen<br />

Deutschlands in dem<br />

„sehr zweifelhaften Ruhm, in dem Haus ihre Welt zu finden, in kleinlichen Kochtopfinteressen,<br />

im plattesten Alltagsleben, in den Tücken des fre<strong>und</strong>nachbarlichen<br />

Klatsches aufzugehen, den Pulsschlag der Zeit nicht zu vernehmen“ 254 .<br />

Ein Vorurteil, das sich mittlerweile jedoch nicht mehr auf die durch „ihre Klassenlage […] zum<br />

Interesse an der Allgemeinheit <strong>und</strong> an den großen die Zeit bewegenden Fragen“ 255 erzogene Masse<br />

der werktätigen Frauen beziehen könne. Während die Bildung der höheren Töchter des Bürger-<br />

tums ohnehin oft nur „Talmibildung“ 256 sei, nehme die proletarische Frau immer mehr immer<br />

stärkeren <strong>und</strong> aktiven Anteil an ihrer Umwelt:<br />

„Allein was ihr Verständniß für die großen, Freiheit <strong>und</strong> Kultur für Alle in ihrem<br />

Schooße bergenden Fragen <strong>und</strong> Kämpfe anbelangt, was ihr unbezähmbares Bildungsbedürfniß<br />

anbetrifft, ihre Fähigkeit, zu Gunsten einer Idee Opfer zu bringen,<br />

den persönlichen Vortheil dem Wohl der Allgemeinheit unterzuordnen, so sind die<br />

‘liederlichen Fabriklerinnen’ <strong>und</strong> die ‘rohen Arbeiterweiber’ ihren Schwestern aus<br />

der Bourgeoisie bedeutend überlegen.“ 257<br />

Zetkin konnte jedoch – wie in ihren obigen Ausführungen zu sehen – nicht leugnen, dass diese<br />

Überlegenheit gegenüber den bürgerlichen Frauen durchaus noch nicht allen Proletarierinnen zu-<br />

252 Ebd.<br />

253 Die Frauen <strong>und</strong> das Ausnahmegesetz. In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 164-165, S. 165.<br />

254 Ungenannte Heldinnen. In: GL, 02/ 10/ 18.05.1892/ 87.<br />

255 Ebd.<br />

256 Ebd.<br />

257 Ebd.<br />

284


geschrieben werden konnte. Das, was zumindest<br />

3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />

„viele deutsche Proletarierinnen durch ihr Thun, aber auch durch Dulden <strong>und</strong><br />

Entsagen für die Sache der Arbeiterklasse geleistet haben, mu[sste] Das verzeihen<br />

machen, was leider viele ihrer Schwestern durch Unverstand <strong>und</strong> Engherzigkeit,<br />

durch Gleichgültigkeit oder Feindseligkeit der Arbeiterbewegung gegenüber<br />

gesündigt“ 258 .<br />

Angesichts dieser Frauen, die noch immer nicht für die Sache gewonnen waren, durfte die Agita-<br />

tionsarbeit der proletarischen Frauenbewegung nicht nachlassen. Auch weiterhin musste sie „die<br />

revolutionierenden Ideen bis in den Schoß der Familie“ 259 bringen <strong>und</strong> es mussten<br />

„[w]eibliche Vertrauenspersonen <strong>und</strong> Agitatoren […] mit wahrhaft apostolischer<br />

Begeisterung, den Verfolgungen der Behörden, der Verachtung von seiten der bürgerlichen<br />

Gesellschaft trotzend, die Gedanken des Sozialismus in die fernsten <strong>und</strong><br />

kleinsten Winkel des Reiches“ 260<br />

tragen. Die „Gleichheit“ veröffentlichte neben den Artikeln, die einen größeren Überblick gaben<br />

auch Artikel, die autobiographisch angelegt, einen detaillierteren Einblick in z. B. regionale Par-<br />

teigeschichte <strong>und</strong> Frauenorganisationsgeschichte gewährten. Der von Louise Müller (?-?) 261<br />

verfasste Artikel „Vor 25 Jahren. Erinnerungen einer Genossin“ 262 ist eine autobiographisch unter-<br />

malte Beschreibung der frühen Frauenorganisationsarbeit in Nürnberg, der Gründung eines<br />

Frauenvereins, seines Arbeitsalltags, seiner Überwachung, der Überlisten der Polizei, der mutigen<br />

Beteiligten, der Gerichtsverfahren <strong>und</strong> der Strafen.<br />

Darüber hinaus gab es eine sehr große Zahl von Artikeln, die die gegenwärtige Situation der<br />

Arbeiterinnen unter politischen <strong>und</strong> rechtlichen Gesichtspunkten kritisierten <strong>und</strong> sich dafür<br />

historischer Bilder <strong>und</strong> Vergleiche bedienten. Es wurden die Missstände der Gegenwart mit sol-<br />

chen der Vergangenheit verglichen. So wies Zetkin zum Beispiel in ihrem 1895 veröffentlichten<br />

Artikel „Jus primae noctis im letzten Viertel des XIX. Jahrh<strong>und</strong>erts in Preußen“, auf das Schicksal<br />

vieler Dienstmädchen hin, die von ihren Arbeitgebern vergewaltigt worden waren. Zetkin verglich<br />

258 Ebd.<br />

259 Blos, Anna: Der Einfluß der Frauen auf die Entwicklungsgeschichte der Menschheit. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/<br />

124-125, S. 125.<br />

260 Ebd.<br />

261 Louise Müller, geb. Fischer, wurde in Nürnberg geboren. Ihr Vater war bekennender Sozialdemokrat <strong>und</strong> brachte<br />

ihr die politischen Ideen näher. Sie arbeitete in einer Steindruckerei <strong>und</strong> engagierte sich in der Gewerkschaft, auch<br />

als Rednerin. 1892 gründete Müller den Frauen- <strong>und</strong> Mädchenbildungsverein mit. Dieser wurde 1895 verboten<br />

<strong>und</strong> Müller gemeinsam mit den anderen Vorstandsmitgliedern zu Geld- <strong>und</strong> Haftstrafen verurteilt, die jedoch<br />

durch eine Amnestie aufgehoben wurden. 1893 siedelte sie nach Stuttgart über. Dort war sie oft neben Zetkin die<br />

einzige weibliche Teilnehmerin in den Mitgliederversammlungen der Partei, obwohl das württembergische<br />

Vereinsrecht die Teilnahme von Frauen nicht verbot (diese detaillierten biographischen Informationen gehen aus<br />

keinem der herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken hervor, sondern vgl. Müller, Louise: Vor 25<br />

Jahren. Erinnerungen einer Genossin. In: GL, 30/ 22/ 29.05.1920/ 176-178).<br />

262 Müller, Louise: Vor 25 Jahren. Erinnerungen einer Genossin. In: GL, 30/ 22/ 29.05.1920/ 176-178.<br />

285


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

die Gesindeordnung, die solche Verbrechen möglich machte, mit dem mittelalterlichen Recht,<br />

welches dem Feudalherren das „ius primae noctis“ – „das Recht der ersten Nacht“ – einräumte. 263<br />

Der Unterschied zur Situation der <strong>weiblichen</strong> Leibeigenen im Mittelalter bestand aber vor allem<br />

darin, dass die aus den Vergewaltigungen der Dienstmädchen entstandenen Kinder unehelich<br />

waren, was in der Regel ihre schlechte Versorgung <strong>und</strong> häufig sogar ihren frühen Tod bedeutete.<br />

Für die Zeit des Ersten Weltkrieges lässt sich ein deutlicher Rückgang der in der „Gleichheit“<br />

abgedruckten Artikel geschichtlichen <strong>und</strong> frauengeschichtlichen Inhalts feststellen. Die „Gleich-<br />

heit“-Redaktion kritisierte den Krieg auf mehreren Ebenen <strong>und</strong> musste stets Vorsicht walten<br />

lassen, damit die jeweilige Nummer nicht beschlagnahmt wurde. Sie ging der Frage nach „[w]ie<br />

es zu Kriegen kommt“ 264 <strong>und</strong> befasste sich mit der „Soziologie des Krieges“ 265 . Artikel, die in<br />

Anlehnung an revolutionäre Geschichte die Leserinnen zum Handeln aufforderten, konnten selten<br />

erscheinen. Nach dem Krieg gestaltete sich ein Bezug auf die Geschichte der eigenen Bewegung<br />

<strong>und</strong> dem <strong>weiblichen</strong> Anteil daran in der Form, wie er oben von Zetkin dargestellt wurde, deutlich<br />

unkritischer. Den Leserinnen wurden außerdem deutlich mehr kulturgeschichtliche Inhalte – sich<br />

zum Teil deutlich am Werke Bebels orientierend – geboten. 266 Jetzt war es vor allem die Arbeit der<br />

Frauen an der Heimatfront, die von ihnen geleistete „Friedensarbeit“, die von den AutorInnen der<br />

„Gleichheit“ hervorgehoben wurde. Und es war vor allem das aktive <strong>und</strong> passive Wahlrecht, dem<br />

man sogar in zweierlei Hinsicht historische Bedeutung zumaß:<br />

„In dem Augenblick ist nun auch der Einfluß der Frauen auf die Geschichte<br />

gesichert. Sie sitzen in den Parlamenten <strong>und</strong> helfen Gesetze schaffen, die dem<br />

Wohle der ganzen Menschheit dienen sollen. […] Daß uns Frauen die Möglichkeit<br />

eines solchen Wirkens gegeben ist, das danken wir dem Einfluß der vielen unbekannten<br />

Geschlechtsgenossinnen, die seit Jahrh<strong>und</strong>erten all die Fäden gesponnen<br />

<strong>und</strong> geschürzt haben zu dem Gewebe, das wir die Entwicklungsgeschichte der<br />

Menschheit nennen.“ 267<br />

Blos gehörte zur Mehrheitssozialdemokratie. Ihre Schlussfolgerung verdeutlicht diese politische<br />

Position <strong>und</strong> spiegelt eine gewisse Naivität wieder, in der sie die Bedeutung des Frauenwahlrechts<br />

stark überhöhte. Frauen hatten Historisches geleistet – aus Sicht der Mehrheitssozialdemokratie<br />

263 Jus primae noctis im letzten Viertel des XIX. Jahrh<strong>und</strong>erts in Preußen. In: GL 05/ 11/ 29.05.1895/ 87-88.<br />

264 l. ch.: Wie es zu Kriegen kommt. In: GL, 25/ 07/ 21.12.1914/ 33-35.<br />

265 Röttcher, Fritz: Zur Soziologie des Krieges. In GL, 25/ 23/ 06.08.1915/ 150-152; GL, 25/ 24/ 20.08.1915/ 160-<br />

161; GL, 25/ 25/ 03.09.1915/ 167.<br />

266 Sommer, Br.: Die Anfänge der Töpferei. In: GL, 29/ 03/ 08.11.1918/ 21-23; Blos, Anna: Alt-Weimarer Tage. In:<br />

GL, 29/ 14/ 11.04.1919/ 109-111; Heilbut, Kurt: Die Urform der Ehe. In: GL, 29/ 45/ 46/ 27.12.1919/ 357-358;<br />

ders.: Mutterrecht. In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 342-343.<br />

267 Blos, Anna: Der Einfluß der Frauen auf die Entwicklungsgeschichte der Menschheit. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/<br />

286<br />

125.


3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />

vor allem als Stützen der „Burgfriedenpolitik“ – <strong>und</strong> die gesetzliche Gleichberechtigung stand<br />

ihnen zu. Als Wählerinnen <strong>und</strong> Politikerinnen der Weimarer Republik passten sie sich einem<br />

System an, dasjenige nicht das war, wofür die sozialistische Frauenbewegung bisher gekämpft<br />

hatte. Die Entwicklung, die die Frage der Emanzipation der Frauen damit genommen hatte, wurde<br />

aber von ihren klassenbewussteren Verfechterinnen durchaus skeptisch beurteilt. Rückblickend<br />

klagte Zetkin 1928 verbittert:<br />

„Die deutsche proletarische Frauenbewegung hat ihr gerüttelt Maß Anteil an dem<br />

Verfall, dem Niedergang der Sozialdemokratischen Partei. Sie ist von einer<br />

tapferen, zielklaren Kämpferin für den revolutionären Marxismus in der II. Internationale<br />

zu einer gehorsam dienstbaren, fleißigen Magd des Reformismus<br />

geworden, die auf selbständiges Prüfen, Urteilen <strong>und</strong> Handeln verzichtet.“ 268<br />

Zwar bot die „Gleichheit“ ihren Leserinnen nun nicht mehr in der früheren Art die Geschichte<br />

revolutionärer Kämpfe als vorbildlich dar, aber die SPD-Frauenbewegung behandelte sie weiter-<br />

hin in ihren Veranstaltungen <strong>und</strong> Organisationen. Die Vielfalt der Vortragsthemen – jedoch nicht<br />

die genaue Relation ihrer Häufigkeit – ergibt sich aus einer Zusammenstellung, die Juchacz 1922<br />

aus Berichten der Ortsgruppen anfertigte <strong>und</strong> in der „Gleichheit“ veröffentlichte. Sie gab ihrem<br />

Artikel den Titel „Das geistige Leben unserer Frauenbewegung 1921/22“ 269 <strong>und</strong> die darin im<br />

weitesten Sinne historischen Themen waren:<br />

Das Kommunistische Manifest; Die Frauen der französischen Revolution; Ihr sollt nicht ver-<br />

gessen; Die Frau in der Urgesellschaft; Die Frau in früheren Zeiten; Geschichtlicher Ueberblick<br />

über die Stellung der Frau in der menschlichen Gesellschaft; Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus; Das<br />

Frauenrecht im Wandel der Zeiten; Die Götterwelt der Griechen <strong>und</strong> Römer; Urchristentum<br />

Frauenschicksale. 270<br />

Biographisch hatten sich die Ortsgruppen mit folgenden „Vorkämpfern des Sozialismus“ 271<br />

beschäftigt: Ignaz Auer, August Bebel, Wilhelm Liebknecht, Ferdinand Lassalle, Rosa<br />

Luxemburg, Ottilie Baader, Mary Wollstonecraft <strong>und</strong> Luise Otto-Peters. Diese Zusammensetzung<br />

wirkt erstaunlich ausgeglichen – sowohl hinsichtlich des Geschlechts als auch der politischen<br />

Position der Personen. Der größere Teil der Zusammenstellung, der hier nicht dargestellt werden<br />

kann, betraf, so Juchacz, diejenigen Interessen der Frauen, die ihnen aus ihren gegenwärtigen<br />

Nöten erwuchsen. Aus der gegenwärtigen Situation komme „das Bestreben, einzudringen in die<br />

Zusammenhänge des Wirtschaftslebens <strong>und</strong> der sozialen Gemeinschaft der Menschen im Staat“.<br />

268 Zetkin, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands, S. 13.<br />

269 Juchacz, Marie: Das geistige Leben in unserer Frauenbewegung 1921/22. In: GL, 32/ 17-18/ 01.09.1922/ 159-160.<br />

270 Entnommen: Ebd.<br />

271 Ebd., S. 160.<br />

287


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Und Juchacz betonte, dass wiederum „[z]um Verstehen der Gegenwart […] man die Kenntnis der<br />

Vergangenheit“ 272 brauche. Was demnach die „Gleichheit“ vernachlässigte, wurde in den örtlichen<br />

Veranstaltungen, im „Willen der Selbstbildung zum Sozialismus“ 273 , stärker betrieben: Der<br />

Rückgriff auf revolutionäre <strong>und</strong> biographische Frauengeschichte – der Themenzusammenstellung<br />

nach sogar ohne direkten Rückgriff auf die 1848er-Revolution.<br />

Vorrangig blieb die staatsbürgerliche Schulung der Frau. Das Wahlrecht sollte es Arbeitern <strong>und</strong><br />

Arbeiterinnen nun ermöglichen, den Geschichtsverlauf auch ohne weitere Revolutionen zu be-<br />

stimmen. Dass sich die Frauen zugleich mit ihrem Wahlrecht den Einfluss auf die Geschichte oder<br />

gar auf die Geschichtsschreibung gesichert hätten, wie oben von Blos prophezeit, muss an dieser<br />

Stelle jedoch bezweifelt werden.<br />

272 Ebd., S. 159.<br />

273 Ebd., S. 160.<br />

288


3.3 Frauenleitbilder in der „Gleichheit“<br />

3.3.1 Was ist ein Leitbild – wie wird es konstruiert <strong>und</strong> welche Funktion erfüllt es?<br />

Wie der im Oktober 2000 öffentlich <strong>und</strong> vehement diskutierte Begriff der „Leitkultur“ ist auch<br />

der Begriff des „Leitbildes“ <strong>und</strong> seine Bedeutung für Bildung <strong>und</strong> Erziehung sehr umstritten.<br />

BefürworterInnen sprechen von ihm im Sinne einer Orientierungshilfe <strong>und</strong> heben seinen<br />

Beitrag für die Harmonisierung der Gesellschaft hervor. Seine KritikerInnen warnen vor<br />

Anpassungszwang, Indoktrination <strong>und</strong> einer Bedrohung der Menschenwürde.<br />

Bereits 1967 stellte Theodor W. Adorno den doktrinären Charakter eines Leitbildes in den<br />

Mittelpunkt eines bezeichnender Weise den Titel „Ohne Leitbild“ tragenden Werkes. Er ist der<br />

Meinung, dass allein dem Wort „Leitbild“ ein „leise[r] militärische[r] Klang“ 274 innewohne <strong>und</strong><br />

bezeichnet die Suche nach Leitbildern polemisch als „Leitbildnerei“ 275 . Adorno, dessen Aus-<br />

führungen sich auf die bildenden Künste beziehen, urteilt über das, „was es mit dem Ruf nach<br />

Leitbildern auf sich hat“ 276 , wie folgt:<br />

„Schreit man nach ihnen, so sind sie bereits nicht mehr möglich; verkündigt<br />

man sie aus dem verzweifelten Wunsch, so werden sie zu blinden <strong>und</strong> heteronomen<br />

Mächten verhext, welche die Ohnmacht nur noch verstärken <strong>und</strong><br />

insofern mit der totalitären Sinnesart übereinstimmen. In den Normen <strong>und</strong> Leitbildern,<br />

die fix <strong>und</strong> unverrückbar den Menschen zur Orientierung einer<br />

geistigen Produktion, deren innerstes Prinzip doch Freiheit ist, verhelfen sollen,<br />

spiegelt sich bloß die Schwäche ihres Ichs gegenüber Verhältnissen, über die sie<br />

nichts zu vermögen meinen, <strong>und</strong> die blinde Macht des nun einmal so Seienden.“<br />

277 [Hervorhebungen von M.S.]<br />

Indem sie ihnen geeignete Leitbilder <strong>und</strong> die Theorie des historischen Materialismus näher<br />

brachte, wollte die „Gleichheit“ ihren Anhängerinnen jedoch gerade die Wandelbarkeit der<br />

Verhältnisse aufzeigen.<br />

Vormschlag zeigt in ihrer publizistischen Studie „Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer<br />

Frauenzeitschriften der SPD, der USPD, der KPD in den Jahren 1890-1933 <strong>und</strong> der NSDAP in<br />

den Jahren 1932-1945“ diejenigen Mechanismen auf, die der Konstruktion eines Leitbildes zu<br />

Gr<strong>und</strong>e liegen. Der Begriff „Leitbild“ sei in seiner Bedeutung prinzipiell mit „Stereotyp“,<br />

„Vorurteil“ <strong>und</strong> „Image“ identisch <strong>und</strong> sie alle, so Vormschlag,<br />

„umschreiben letztlich denselben Prozeß, ein Überschaubarmachen der Umwelt<br />

<strong>und</strong> ein Verschließen von Informationslücken, dadurch daß einzelne Strukturen<br />

274 Adorno, Ohne Leitbild, S. 7.<br />

275 Ebd., S. 15.<br />

276 Ebd., S. 13.<br />

277 Ebd., S. 13-14.<br />

289


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

der Realität hervorgehoben, andere verkürzt <strong>und</strong> vernachlässigt werden“ 278 .<br />

Im Gr<strong>und</strong>e genommen, so die Konsequenz aus jener Definition, ist sogar „jegliches menschliche<br />

Tun leitbildhaft gesteuert“ 279 . Damit die für die Konstruktion eines Leitbildes notwendigen<br />

Informationen nicht ins Leere laufen, sondern als Orientierung funktionieren können, bedarf es<br />

eines „hohen Grad[es] von Verständlichkeit“ 280 . Laut Vormschlag tragen die Simplifizierungen<br />

<strong>und</strong> Generalisierungen, die z. B. in Form von Vorurteilen, Leitbildern, Stereotypen <strong>und</strong> Images<br />

auftreten, im Rahmen jeder Erziehung 281 – vor allem aber wenn es sich um propagandistische<br />

Erziehung handele – zur Uniformität der Individuen in einer Kultur bei. 282<br />

In diesem Zusammenhang sind Sprache <strong>und</strong> Kommunikation von zentraler Bedeutung. So birgt<br />

die Nutzung moderner Medien für die Konstruktion, Popularisierung <strong>und</strong> Verankerung eines<br />

Leitbildes enorme Möglichkeiten. Medien, bereits existierende <strong>und</strong> neu zu konstruierende Leit-<br />

bilder <strong>und</strong> die Erwartungshaltung des Publikums greifen ineinander <strong>und</strong> verstärken sich gegen-<br />

seitig. 283 Gerade für die Zeitschriften der Frauenbewegung – der bürgerlichen wie auch der<br />

sozialistischen – stellt Vormschlag jedoch fest, dass sie<br />

„neue Verhaltensmuster lediglich in dem Ausmaß durchsetzen können, als sie mit<br />

den in einer Zeit bestehenden Maßstäben nicht in Konflikt geraten. Als Initiator<br />

wird eine Zeitschrift fungieren können, wenn bereits Erwartungsmaßstäbe<br />

existieren, die eine Neuerung begünstigen.“ 284<br />

Besonders hinsichtlich der Formulierung von Leitbildern stehen das Neue <strong>und</strong> das Bestehende in<br />

einem markantem Wechselverhältnis. Nipperdey stellt z. B. einen für das 19. Jahrh<strong>und</strong>ert ty-<br />

pischen Prozess der „Feminisierung der Frau“ 285 fest <strong>und</strong> im Zuge dieser Überfeinerung<br />

verstärkten sich gegenseitig die vermeintlich geschlechtsspezifischen Eigenschaften <strong>und</strong> das dazu-<br />

gehörige Frauenleitbild:<br />

„[D]ie Frauen sind zart, schwach, delikat, nervös, leicht kränklich, leiden zumal an<br />

Kopfschmerzen – <strong>und</strong> weil sie so gesehen werden, werden manche oder viele auch<br />

wirklich so.“ 286<br />

Das Bild der ohnmächtig dahinsinkenden Frau ist demnach zu einem großen Teil Auswirkung<br />

278 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 24.<br />

279 Ebd.<br />

280 Ebd., S. 23.<br />

281 Vormschlag hebt zur Verdeutlichung ihrer Thesen den Unterschied zwischen „Erziehung“ als einer Form der<br />

Einwirkung, Übung <strong>und</strong> Gewöhnung <strong>und</strong> „Bildung“ als durch theoretische Einsicht geleitetes Lernen hervor (vgl.<br />

ebd, S. 84).<br />

282 Ebd.<br />

283 Vgl. ebd., S. 27f.<br />

284 Ebd., S. 250.<br />

285 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866, S. 120.<br />

286 Ebd.<br />

290


3.3.1 WAS IST EIN LEITBILD – WIE WIRD ES KONSTRUIERT UND WELCHE FUNKTION ERFÜLLT ES?<br />

eines Frauenleitbildes. Zudem entwickelte sich aus dieser Überfeinerung die Vorstellung, dass für<br />

Frauen nicht alles gut <strong>und</strong> damit auch nicht alles erlaubt sei. Die Konsequenz daraus war, dass der<br />

Mann darüber befinden konnte, mit welchen Dingen sich die Frau beschäftigen durfte <strong>und</strong> mit<br />

welchen nicht – <strong>und</strong> dies alles im sicheren Gefühl, die Frau lediglich zu beschützen.<br />

So wie die Sprache <strong>und</strong> ihre Medien – wie z. B. eine Zeitschrift – bedient sich auch die<br />

Konstruktion eines Leitbildes der Vereinfachung, der Wiederholung, verschiedener Standardi-<br />

sierungen <strong>und</strong> damit auch einer gewissen Konformität. 287 Während Sprache verschiedenartige<br />

Informationen impliziert, impliziert ein Leitbild jedoch weit mehr. Es zielt darauf ab, heterogene<br />

Gruppen zu homogenisieren. Zu diesem Zweck muss es „individueller Projektion <strong>und</strong> gruppen-<br />

spezifischer Identifikation“ 288 [Hervorhebung von M.S.] Raum bieten. Ein Leitbild ist<br />

„‘ein komplexes, auf Mit- <strong>und</strong> Umwelt wirkendes dynamisches System, das aus<br />

der wechselseitigen Integration von individuellen <strong>und</strong> gruppenspezifischen Erwartungen,<br />

Normen, Einstellungen, Vorstellungen, bewußten <strong>und</strong> unbewußten<br />

Motivationslagen <strong>und</strong> den diesen adäquaten objektiven <strong>und</strong> psychologischen Angeboten<br />

entspringt‘“ 289 .<br />

Jedoch bot allein die Tatsache, dass alle Frauen des deutschen Kaiserreichs aufgr<strong>und</strong> ihres<br />

Geschlechtes unterdrückt wurden, keine gemeinsame Motivationslage <strong>und</strong> keine Homogenität.<br />

Auch wenn Frauen gr<strong>und</strong>sätzliche gemeinsame Interessen <strong>und</strong> Bedürfnisse hatten, musste die<br />

proletarische Frauenbewegung als Voraussetzung für ein Gelingen des Loslösungsprozesses von<br />

den bürgerlichen Frauen- <strong>und</strong> Wohltätigkeitsorganisationen ein prägnantes Leitbild konstruieren.<br />

Ein Leitbild, das nicht nur kommuniziert, sondern auch verinnerlicht werden sollte. Mit Kritik an<br />

den bürgerlichen Frauenidealen allein war der Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung<br />

nicht gedient. 290 Die proletarische Frauenbewegung musste Alternativen bzw. Weiterentwick-<br />

lungen aufzeigen. Methodisch bediente sie sich dabei genauso wie die bürgerliche Gesellschaft<br />

der Strategie der Idealisierung, die sowohl „eine Strategie der Ausgrenzung“ 291 wie auch eine Stra-<br />

tegie der Identitätsstiftung ist.<br />

287 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 22.<br />

288 Ebd., S. 24.<br />

289 Bergler, Reinhold: Psychologie stereotyper Systeme. Ein Beitrag zur Sozial- <strong>und</strong> Entwicklungspsychologie. Bern,<br />

Stuttgart: Huber, 1966, S. 57. Zit. nach: Ebd., S. 25-26.<br />

290 Beispiel für das geltende bürgerlich-konservative Frauenideal ist eine 1899 von einer Berliner Illustrierten<br />

durchgeführte Umfrage, welches die wichtigste Frau des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts sei. Die Mehrheit der Stimmen fiel auf<br />

Königin Luise von Preußen (1776-1810) (vgl. Luckhardt, Die Frau als Fremde, S. 103). Eine zwölf Jahre später<br />

von Wilhelm II. gehaltene Rede, in welcher dieser ebenfalls hervorhob, dass seine Urgroßmutter Luise Vorbild für<br />

jede Frau sein müsse, gab der „Gleichheit“ Gelegenheit für starke Kritik an dessen Frauenleitbild (vgl. <strong>Von</strong> der<br />

stillen Arbeit der Frau im Hause. … In: GL, 21/ 24/ 28.08.1911/ 314).<br />

291 Luckhardt, Die Frau als Fremde, S. 99.<br />

291


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

3.3.2 Die sozialistische Frauenemanzipationstheorie, proletarische Frauenleitbilder <strong>und</strong> die<br />

moderne Kritik daran<br />

Es waren vorwiegend bürgerliche Frauenleitbilder <strong>und</strong> bürgerliche Werte, die die überwiegende<br />

Zahl der Frauen des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts verinnerlicht hatte. Ob heimarbeitende Kleinbürgerin oder<br />

erwerbstätige Arbeiterfrau – die meisten Frauen strebten, ohne es zu hinterfragen, solchen Ideal-<br />

bildern wie z. B. dem der gut wirtschaftenden Hausfrau nach. Sparsamkeit, Ordnung <strong>und</strong> Fleiß<br />

wurden als Tugenden verinnerlicht <strong>und</strong> wo dies noch nicht oder nur ungenügend der Fall war,<br />

richteten VertreterInnen der bürgerlichen Gesellschaft Haushaltungskurse ein, die sich an die<br />

Frauen des Proletariats richteten. Vordergründig taten sie dies, um das Lebensniveau ärmerer<br />

Bevölkerungsteile zu heben, aber damit einhergehend wurden bürgerliche Leitbilder auf die<br />

proletarische Lebenshaltung übertragen. 292 Diese individualisierende Sichtweise des Bürgertums<br />

auf die Versorgungsprobleme einzelner proletarischer Familien reflektierte jedoch weder die<br />

stereotype Rolle der Frau als „Hüterin von Heim <strong>und</strong> Herd“ noch die Ursachen der kaum noch zu<br />

ignorierenden Unterversorgung <strong>und</strong> Verelendung weiter Teile der Bevölkerung. Eine wirkliche<br />

Erkenntnis der Ursachen der zunehmenden Verelendung war vom Bürgertum allerdings auch<br />

kaum zu erwarten, lagen diese letztlich doch in dem von ihm gestützten kapitalistischen System<br />

<strong>und</strong> konnten daher auch nur durch eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft behoben<br />

werden.<br />

Auch die Frauen, die – egal welcher Klasse oder Schicht sie angehörten – in „eingeübten <strong>und</strong><br />

tradierten Beziehungssystemen zu Eltern, Ehemann, Familie <strong>und</strong> Kindern“ 293 lebten, hinterfragten<br />

diese Systeme kaum. Weber-Kellermann konstatiert in ihren Darstellungen zum Frauenleben im<br />

19. Jahrh<strong>und</strong>ert sogar, dass es viele Frauen gab, „die in ihrer Lebensbegrenzung durchaus<br />

glücklich waren <strong>und</strong> Abhängigkeit <strong>und</strong> Unterwerfung liebten“ 294 . Sie waren nach geltenden Wert-<br />

<strong>und</strong> Moralvorstellungen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft sozialisiert, hatten geltende<br />

Ideale verinnerlicht <strong>und</strong> „kannten“ es demnach nicht anders. Jedoch taten sich in allen Epochen<br />

neue Perspektiven auf, waren die Strukturen nicht fest gefügt, sondern im Wandel. Der „Rhyth-<br />

mus“ 295 dieses Wandels, so Weber-Kellermann, wurde neben den wirtschaftlichen Bedingungen<br />

auch von der „Kraft der Vorbilder“ 296 bestimmt.<br />

292 Vgl. Tornieporth, Proletarische Frauenleben <strong>und</strong> bürgerlicher Weiblichkeitsmythos, S. 324ff.<br />

293 Weber-Kellermann, Frauenleben im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert, S. 230.<br />

294 Ebd.<br />

295 Ebd.<br />

296 Ebd.<br />

292


3.3.2 DIE SOZIALISTISCHE FRAUENEMANZIPATIONSTHEORIE, PROLETARISCHE FRAUENLEITBILDER UND DIE MODERNE KRITIK DARAN<br />

Ein solches die Gesellschaft verwandelndes Vorbild entwarf die sozialistische Frauenemanzi-<br />

pationstheorie – vor allem in Form alternativer Leitbilder. Für die gegenwärtige Lebenssituation<br />

der Proletarierinnen konnte von Bebel <strong>und</strong> Zetkin in verschiedener Hinsicht keine positive Bilanz<br />

gezogen werden. Proletarische Frauen waren nicht nur deshalb „ideale“ Opfer kapitalistischer<br />

Unterdrückung, weil sie über eine geringe Bildung verfügten, sie besaßen laut Bebel <strong>und</strong> Zetkin<br />

zudem auch besonders hemmende Charaktereigenschaften – da sie zu sehr sie im Familien-<br />

egoismus verhaftet seien <strong>und</strong> „im Allgemeinen kein Solidaritätsgefühl“ 297 besäßen. Laut Luckardt<br />

setzten Bebel <strong>und</strong> Zetkin damit aber Stereotypen, „naturgegebene[…], wesensimmanente[…]<br />

Konstanten des Weiblichen“ 298 , voraus. Während Puschnerat der Meinung ist, es sei Zetkins Über-<br />

zeugung gewesen, dass die proletarische Frau gegenüber dem proletarischen Mann von Natur aus<br />

immer ein Mängelwesen ist 299 , betont Luckardt im Gegensatz zu Puschnerat, aber auch zu ihrer<br />

obigen eigenen Feststellung, dass „die sozialistische Theorie nicht von einem naturgegebenen <strong>und</strong><br />

damit unveränderbaren Wesen der Frau ausgeht, sondern von einem durch Kultur sozialisier-<br />

ten“ 300 . <strong>Von</strong> diesem Standpunkt aus, so Luckhardt weiter, sei die Frau in der proletarischen<br />

Frauenbewegung vorwiegend als „ein Objekt der Aufklärung <strong>und</strong> Erziehung“ 301 gesehen worden.<br />

Widersprüche zeigen sich demnach auch innerhalb der neueren Interpretationen der sozialis-<br />

tischen Emanzipationstheorie. Beide Einstellungen erklären außerdem nicht, warum die Frau ihrer<br />

eigenen Ausbeutung <strong>und</strong> der ihrer Geschlechtsgenossinnen keinen aktiven Widerstand entgegen-<br />

setzte, sondern „gehorsam <strong>und</strong> fügsam“ 302 in einem passiven Zustand der Erduldung verharrte.<br />

Luckhardts Feststellung der sozialisationsbedingten Eigenschaften der Frau, verweist m. E. jedoch<br />

weniger auf eine Reduzierung der Frau als Belehrungsobjekt als vielmehr auf deren Möglich-<br />

keiten, durch individuelle Weiterentwicklung vorgegebene Grenzen zu durchbrechen. Ein aus-<br />

schließlich naturgegebenes Wesen würde dagegen jede Möglichkeit der Weiterentwicklung<br />

obsolet machen. Das sozialistische Bildungsideal ging davon aus, dass es die Proletarierin bei<br />

ausreichender Zeit <strong>und</strong> entsprechenden Lebensbedingungen selbst in der Hand hatte, sich, ihrer<br />

Familie <strong>und</strong> letztlich ihrer Klasse den Weg zum Sozialismus zu ebnen. Sie musste sich dafür „nur“<br />

der politischen Aufklärung öffnen. Politische Aufklärung war der proletarischen Frauenbewegung<br />

Bildungsmittel sowie Bildungsziel. Einerseits mussten Proletarierinnen erst ihrer eigenen<br />

297 Zetkin, Klara: Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus von Bebel. In: Arbeiterin, 01/ 16/ 18.04.1891.<br />

298 Luckhardt, Die Frau als Fremde, S. 110.<br />

299 Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 139.<br />

300 Luckhardt, Die Frau als Fremde, S. 110.<br />

301 Ebd.<br />

302 Zetkin, Klara: Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus von Bebel. In: Arbeiterin, 01/ 16/ 18.04.1891.<br />

293


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Lebenslage bewusst geworden sein, um ein erstes Interesse für Politik zu entwickeln. Andererseits<br />

mussten sie ein gewisses Interesse für Politik entwickelt haben, um über den eigenen „Tellerrand“<br />

hinaus schauen zu können. Im Mittelpunkt proletarischer Frauenbildung stand immer eine poli-<br />

tische Zielsetzung. Nicht die Lebensqualität einzelner galt es zu heben, sondern die Lebensqualität<br />

aller.<br />

Die für eine politische Aufklärung nicht unwesentliche Eigenschaft der Gelehrigkeit <strong>und</strong> Auf-<br />

merksamkeit sah Zetkin durch die Erwerbstätigkeit gefördert. 303 Bebel, Zetkin <strong>und</strong> die SPD sahen<br />

in der <strong>weiblichen</strong> Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> der daraus resultierenden Organisation ihrer Interessen <strong>und</strong><br />

ihrer politischen Bildung die geeignetsten Mittel zur Emanzipation der Frau. Doch durfte keines-<br />

falls der Eindruck entstehen, es sei<br />

„Aufgabe der sozialistischen Frauenagitation […], die proletarische Frau ihren<br />

Pflichten als Mutter <strong>und</strong> Gattin zu entfremden; im Gegenteil, sie muß darauf wirken,<br />

daß sie diese Aufgabe besser erfüllt als bisher“ 304 [Hervorhebung von M.S.].<br />

So weist auch hier der Begriff der „Entfremdung“ wieder auf die gr<strong>und</strong>sätzliche Annahme hin,<br />

dass die Pflichten als Mutter <strong>und</strong> Gattin naturgegeben seien. 305 Zudem vermochten es die Ver-<br />

treterinnen der proletarischen Frauenbewegung, den männlichen Genossen hinsichtlich ihres<br />

gewohnten Frauen- <strong>und</strong> Familienbildes ihre Bedenken zu nehmen. Ihrem Ehemann sollte die<br />

Proletarierin „Genossin seiner Ideale“ 306 sein <strong>und</strong> ihren Kindern „Erzieherin <strong>und</strong> Bildnerin“ 307 . Die<br />

proletarische Frau musste damit vielen an sie gestellten Erwartungen gerecht werden. Nach<br />

Meinung Puschnerats habe Zetkin damit lediglich „herkömmliche Rollenzuschreibungen unter<br />

sozialistischer Etikettierung“ 308 präsentiert. Tatsächlich war die sozialistische Frauenemanzipa-<br />

tionstheorie nicht Gr<strong>und</strong>lage für die Loslösung der Frau von all ihren bisherigen Aufgaben. Sie<br />

sollte Gr<strong>und</strong>lage sein für eine sozialistische Gesellschaft, in der<br />

„die Frau als gleichberechtigte, gleich schaffende <strong>und</strong> gleich strebende, mit dem<br />

Manne vorwärtsschreitende Gefährtin ihre Individualität als Mensch zusammen<br />

ausleben, gleichzeitig aber auch ihre Aufgabe als Gattin <strong>und</strong> Mutter im höchsten<br />

Maße erfüllen“ 309<br />

könne. Zetkin zog zur Verdeutlichung dieser zukünftigen Form der Vergesellschaftung durchaus<br />

303 Vgl. ebd.<br />

304 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 166.<br />

305 Siehe: Nicolaides, Der Entfremdungsbegriff in der Marxschen Theorie auf kleinbürgerliche <strong>und</strong> proletarische<br />

Frauenbewegungen um 1900.<br />

306 Julie Bebel †. In: GL, 21/ 05/ 21.11.1910/ 68.<br />

307 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 166.<br />

308 Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 146.<br />

309 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 167.<br />

294


3.3.2 DIE SOZIALISTISCHE FRAUENEMANZIPATIONSTHEORIE, PROLETARISCHE FRAUENLEITBILDER UND DIE MODERNE KRITIK DARAN<br />

Parallelen zur Antike <strong>und</strong> deren Menschenideal. 310 Auch darin unterschied sich ihre Vorstellung<br />

nicht von den bürgerlich-humanistischen Vorstellungen ihrer Zeit, für die die Antike stets das<br />

Gegenbild zur Zerrissenheit <strong>und</strong> Entfremdung in der modernen bürgerlichen Gesellschaft<br />

darstellte, in dem Kunst <strong>und</strong> Leben wieder zusammen fanden, in der die Gestaltung des Lebens<br />

selbst zur höchsten Kunst wurde. Entsprechend dem sozialistischen Ideal sollte dies aber weder<br />

Privileg einer bestimmten Klasse, eines bestimmten Geschlechts noch einer bestimmten Nation<br />

sein, sondern auf der Gr<strong>und</strong>lage der entfalteten Produktivkräfte zum Menschenrecht schlechthin<br />

werden. An die Stelle der Ausbeutung menschlicher Arbeitskräfte sollte „die Sklaverei von Stahl<br />

<strong>und</strong> Eisen, die Leistungen der von der menschlichen Erkenntniß gebändigten Naturkraft“ 311 treten.<br />

Auch für die Proletarierinnen galt daher, dass das „Reich der Freiheit“ nur auf dem „Reich der<br />

Notwendigkeit“ 312 aufgebaut sein konnte, <strong>und</strong> von der von Marx vorgeschlagenen rationalen Ge-<br />

staltung dieses „Reichs der Notwendigkeit“ sollten auch die Frauen nicht ausgeschlossen sein. Im<br />

Gegenteil:<br />

„Und die Sozialdemokraten schreiten vorwärts; aber erst, wenn die Masse der<br />

Frauen zu Ihnen hält, können Sie sagen: Mit uns das Volk, mit uns der Sieg! (Stürmischer<br />

Beifall <strong>und</strong> Händeklatschen.)“ 313<br />

Diese von Zetkin entworfene prospektive Aussicht auf eine Befreiung der Frauen im Rahmen der<br />

allgemein-menschlichen Emanzipation war allerdings angesichts der Alltagserfahrungen der meis-<br />

ten Frauen schwer zu vermitteln.<br />

Widersprüche taten sich nicht nur hinsichtlich der Beurteilung des <strong>weiblichen</strong> Wesens auf,<br />

sondern auch hinsichtlich der Übertragbarkeit der Frauenleitbilder auf den proletarischen Frauen-<br />

alltag. Während die ökonomischen Veränderungen des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts die Frauen in die Er-<br />

werbstätigkeit trieben, trieben sie die bürgerlichen Vorstellungen von der Rolle einer Frau in den<br />

familiären Haushalt. Auch viele Arbeiterinnen hätten sich nach einer Heirat gerne „nur“ ihren<br />

hausfraulichen Pflichten gewidmet, doch für die Arbeiterinnen war, weil sie gezwungen waren,<br />

weiterhin zum Familieneinkommen beizutragen, die Konsequenz aus einer Familiengründung<br />

meistens eine drückende Doppelbelastung. Tornieporth sieht hier daher auch zu Recht einen der<br />

blinden Flecken der proletarischen Frauenbewegung:<br />

310 Vgl. ebd.<br />

311 Ebd.<br />

„Das stärkste Hindernis für die Realisierung eines proletarischen Familienlebens<br />

im Stile des bürgerlichen Sozialmodells war <strong>und</strong> blieb aber bis heute die Ehe-<br />

312 Marx, Das Kapital, Bd. 3, S. 828.<br />

313 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 167-168.<br />

295


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

frauenerwerbstätigkeit. Der Widerspruch zwischen Wunschbild <strong>und</strong> Realität wurde<br />

durch eine einfache Addition scheinbar aufgehoben. Man vereinte das Rollenbild<br />

der lohnarbeitenden Proletarierin mit demjenigen der bürgerlichen ‘Hausfrau,<br />

Gattin <strong>und</strong> Mutter’ – auf diese Weise entstand das bis heute gültige Geschlechtsstereotyp<br />

der ‘<strong>weiblichen</strong> Doppelrolle’.“ 314<br />

Innerhalb der bestehenden kapitalistischen Gesellschaft war demnach die Tatsache, dass die<br />

proletarischen Frauen sich neben den klassischen Reproduktionsaufgaben jetzt auch an der<br />

„Lohnsklaverei“ beteiligen durften, keinesfalls schon an sich ein Schritt zu ihrer Befreiung. Zwar<br />

sah die proletarische Frauenbewegung diese aus dem bürgerlichen Stereotyp der Hausfrau resul-<br />

tierenden Probleme aus nächster Nähe, setzte ihm auch z. B in Form der Idee von Gemeinschafts-<br />

küchen etwas entgegen, reflektierte das Problem aber vorrangig nur hinsichtlich seiner ökono-<br />

mischen Aspekte <strong>und</strong> einer ungenügenden politischen Aufklärung der Frau. Der der sozialistischen<br />

Emanzipationstheorie innewohnende Emanzipationsgedanke war viel weit greifender als der der<br />

bürgerlichen Frauenbewegung, weil in der Erwerbstätigkeit der Frau nicht nur die Chance für eine<br />

individuelle finanzielle Unabhängigkeit oder Persönlichkeitsentwicklung gesehen wurde, sondern<br />

eine Chance der Politisierung der Frau <strong>und</strong> damit der Umwälzung der Gesellschaft.<br />

Die sozialistische Frauenemanzipationstheorie setzte dem Emanzipationsprozess der prole-<br />

tarischen Frauen mit dem Primat der Ökonomie allerdings ungewollt zu enge Grenzen. Sie hätte<br />

stärker berücksichtigen müssen, dass die Einbindung der Proletarierinnen in den Produktions-<br />

prozess <strong>und</strong> damit ihre Rolle als politischer Faktor stark von ihrer Rolle in Bildung <strong>und</strong><br />

Ausbildung, Beruf, Recht, Politik <strong>und</strong> Kultur“ 315 <strong>und</strong> ihrer rollenspezifischen Sozialisation abhing.<br />

Und so kann Freier der proletarischen Frauenbewegung zu Recht vorwerfen, dass sie den „soziali-<br />

sationstheoretisch-psychologischen Standpunkt“ 316 , welcher sich besonders in den Rollen als Frau,<br />

Ehegattin <strong>und</strong> Mutter festmachte, sehr vernachlässigt habe. Ist es auch das große Verdienst der<br />

sozialistischen Emanzipationstheorie, dass sie – basierend auf dem historischen Materialismus –<br />

die ökonomischen Abhängigkeiten <strong>und</strong> Unterdrückungszusammenhänge, wie sie sich im Laufe<br />

der Jahrh<strong>und</strong>erte entwickelten <strong>und</strong> das Leben der Frauen auf allen Ebenen beeinflussten<br />

aufgezeigt zu haben, so reichte für die Erfassung der Komplexität des geschlechtsspezifischen<br />

<strong>weiblichen</strong> Unterdrückungszusammenhangs die „Entstehung des Privateigentums als einziges<br />

Erklärungsmuster“ 317 jedoch nicht aus. Die Unterdrückung der Frau ließ sich eben nicht nur aus<br />

den ökonomischen Verhältnissen <strong>und</strong> bürgerlichen Rollenklischees erklären, sondern hatte auch<br />

314 Tornieporth, Proletarische Frauenleben <strong>und</strong> bürgerlicher Weiblichkeitsmythos, S. 329.<br />

315 Albrecht/u. a., Frauenfrage <strong>und</strong> deutsche Sozialdemokratie, S. 459.<br />

316 Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. 17.<br />

317 Beavan/Faber, Wir wollen unser Teil fordern, S. 201.<br />

296


3.3.2 DIE SOZIALISTISCHE FRAUENEMANZIPATIONSTHEORIE, PROLETARISCHE FRAUENLEITBILDER UND DIE MODERNE KRITIK DARAN<br />

ihre Ursachen im Verhältnis der Geschlechter – auch innerhalb der proletarischen Klasse. Die<br />

tendenziell frauendiskriminierende Haltung der meisten Genossen wurde jedoch von den Frauen<br />

der proletarischen Frauenbewegung toleriert <strong>und</strong> als ein Symptom des Kapitalismus entschuldigt.<br />

Feministische Tendenzen lehnte die proletarische Frauenbewegung vehement ab, da für sie nur<br />

aus dem gemeinsamen Kampf mit den Männern ihrer Klasse die gesellschaftliche Umwälzung<br />

<strong>und</strong> damit die Befreiung der Frau resultieren konnte.<br />

Die Schlussfolgerung, dass im Sozialismus, die Frauenfrage als Teil der sozialen Frage – als<br />

sogenannter „Nebenwiderspruch“ – gelöst sein werde, ruft jedoch stets die größte Kritik an der<br />

sozialistischen Frauenemanzipationstheorie hervor. Feministische Studien sehen damit alle<br />

sozialisationsbedingten Geschlechtsspezifika vernachlässigt bzw. nur solche berücksichtigt <strong>und</strong><br />

der Theorie nutzbar gemacht, die den konservativen Stereotypen von Weiblichkeit entsprechen.<br />

Luckhardt kritisiert, dass die Frau sich selbst <strong>und</strong> ihre Belange „unter das zu erreichende Ziel<br />

einer sozialistischen Gesellschaft, in der sich das ‘Frauenproblem’ von selbst löse“ 318 , habe<br />

unterordnen müssen. Aber ist es nicht diese Unterordnung, diese „Opferbereitschaft“, die dem<br />

Prinzip der „Solidarität“ innewohnt? Daher ist anzufügen, dass die sozialistische Frauen-<br />

emanzipationstheorie – so unzulänglich sie sich im Laufe sozialdemokratischer Politikpraxis auch<br />

herausstellte – die einzige Theorie war, die proletarischen Frauen überhaupt den Weg zur<br />

politischen <strong>und</strong> sozialen Gleichberechtigung aufzeigte. Ohne Frage hätte jedoch die Aus-<br />

einandersetzung darüber, ob die Geschlechterdifferenz ein im Sozialismus sich von selbst lösender<br />

Nebenwiderspruch oder doch viel eher „natürlich, damit unhintergehbar <strong>und</strong> insofern auch in<br />

einer sozialistischen Gesellschaft nicht aufzuheben“ 319 ist, unter deutlicher psychologischen <strong>und</strong><br />

sozialisationstheoretischen Aspekten geführt werden müssen. 320<br />

Das Postulat der Geschlechterharmonie, d. h. der „Interessenidentität proletarischer Männer <strong>und</strong><br />

Frauen“ 321 , das Primat der Ökonomie <strong>und</strong> der Verweis auf den sozialistischen Zukunftsstaat 322<br />

machten die proletarische Frauenbewegung zwar nicht blind für die spezifisch <strong>weiblichen</strong><br />

Probleme, beließen aber ihre Lösungsansätze relativ abstrakt <strong>und</strong> konnten in der der Lebenswirk-<br />

lichkeit der Proletarierinnen keine Umsetzung finden.<br />

318 Luckhardt, Die Frau als Fremde, S. 102.<br />

319 Ebd., S. 112.<br />

320 Siehe: Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären; dies., Dimensionen <strong>weiblichen</strong> Erlebens <strong>und</strong> Han-<br />

delns.<br />

321 Beavan/Faber, Wir wollen unser Teil fordern, S. 241.<br />

322 Nach Puschnerats Meinung reichten Zetkins Zukunftsvision von einer quasi radikal-bürgerliche Gesellschaft mit<br />

sozialistischem Etikett bis zur totalen, aus ges<strong>und</strong>en, kultivierten <strong>und</strong> schönen „(Über)menschen en masse“<br />

(Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 100) gebildeten Gemeinschaft.<br />

297


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Vormschlags Gesamturteil zur Beschaffenheit politischer Frauenleitbilder insgesamt ist daher<br />

vernichtend:<br />

„Es ist weder der sozialistischen <strong>und</strong> noch weniger der bürgerlichen Frauenbewegung<br />

gelungen, Leitbilder zu entwickeln, die den Zwiespalt öffentlich-privat<br />

überbrücken konnten. Sie versagten vor der Aufgabe, dem Bildungsideal des<br />

18. Jahrh<strong>und</strong>erts ein populäres Leitbild der berufstätigen, politisch aktiven Frau<br />

gegenüberzustellen.“ 323<br />

Mit diesem Urteil gesteht Vormschlag den Frauenbewegungen des 19. <strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

jedoch zu, das Aufzeigen von Alternativen zum traditionellen Frauenbild zumindest bewusst be-<br />

trieben zu haben. Diese Alternativen waren nicht frei von Widersprüchen <strong>und</strong> teils sehr utopisch,<br />

so dass sich die Frauen zwischen den „Erwartungen,[…] hin <strong>und</strong> her gerissen“ 324 sahen. Das Mit-<br />

<strong>und</strong> Nebeneinander von alten, an bürgerlichen Wert- <strong>und</strong> Moralvorstellungen orientierten Frauen-<br />

leitbildern <strong>und</strong> neuen Entwürfen weiblicher Identität dürfte sich oft in ein <strong>und</strong> derselben Person<br />

recht unvermittelt gegenüber gestanden haben.<br />

Das Dilemma scheint unlösbar: Während einerseits die Vermischung der beiden Leitbilder – das<br />

eine die Häuslichkeit <strong>und</strong> das andere die Öffentlichkeit betreffend – teilweise konkurrierende An-<br />

forderungen an die Frau stellt <strong>und</strong> das einzelne Leitbild dadurch seine orientierunggebende<br />

Eindeutigkeit verlor, wirkt die Eindeutigkeit eines Leitbildes wiederum einengend, wenn nicht<br />

sogar hemmend. 325 Noch fataler wirkt es sich aus, wenn die Einengung auf den häuslichen Bereich<br />

fixiert wird <strong>und</strong> „die Passivität der Frau im politischen Bereich <strong>und</strong> in anderen Bereichen be-<br />

gründet“ 326 . Selbst der unaufhaltsame gesellschaftliche Wandel könne dieses Dilemma nicht lösen,<br />

denn er würde, so Vormschlag,<br />

„in seinen Auswirkungen durch Leitbilder kompensiert, indem neue Formen der<br />

Diskriminierung, z. B. von sich den Frauen öffnenden Berufen <strong>und</strong> politischen<br />

Bereichen als typisch weiblich diskreditiert werden <strong>und</strong> so erneut Brücken zum<br />

traditionellen Frauenleitbild geschlagen werden“ 327 .<br />

In diesem Fall ist es umso wichtiger, dass an einer Bewusstwerdung dieser vor allem bürgerlich-<br />

kapitalistischen Diskriminierungsmechanismen <strong>und</strong> einer Bewusstseinsumbildung gearbeitet wird<br />

– dieser Aufgabe hatten sich die Sozialistinnen <strong>und</strong> Kommunistinnen verschrieben.<br />

323 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 245.<br />

324 Ebd., S. 246.<br />

325 Vormschlag sieht hier einen Kreislauf gegeben, da das Leitbild das Verhalten in der Öffentlichkeit bestimme <strong>und</strong><br />

eingrenze <strong>und</strong> dieser Umstand sich wiederum festigend auf das Leitbild auswirke (vgl. ebd., S. 246f.).<br />

326 Ebd., S. 248<br />

327 Vgl. ebd., S. 249.<br />

298


3.3.3 Frauenleitbilder in der „Gleichheit“<br />

3.3.3 FRAUENLEITBILDER IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Sowohl Bebel, Zetkin, der proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> der sozialistischen<br />

Frauenemanzipationstheorie wird der Vorwurf gemacht, sie hätten in ihren Frauenleitbildern<br />

lediglich weibliche Rollenklischees reproduziert. Ein Vorwurf, der zwar nicht immer von der<br />

Hand zu weisen ist, der aber gegebene Bedingungen <strong>und</strong> Zielsetzungen nicht hinreichend<br />

berücksichtigt. Die „Gleichheit“ war das Organ der proletarischen Frauenbewegung. Sie galt<br />

zumindest bis zum Ersten Weltkrieg <strong>und</strong> nach dem Redaktionswechsel 1917 als das Sprachrohr<br />

der SPD-Führung <strong>und</strong> vertrat deren Auffassung der Frauenfrage. Die „Gleichheit“ war aber auch<br />

ein Gemeinschaftswerk verschiedener Autorinnen. Auch wenn die Redaktion geflissentlich auf die<br />

Deckungsgleichheit mit ihren jeweiligen Prinzipien achtete, kamen in ihren Artikeln sowohl<br />

f<strong>und</strong>ierte wie auch recht eigenwillige Interpretationen der sozialistischen Frauenemanzipations-<br />

theorie zum Tragen.<br />

Die in ihr aufgezeigten Identifikationsmöglichkeiten <strong>und</strong> Frauenleitbilder weisen sowohl eine<br />

bloße Reproduktion weiblicher Stereotype auf als auch über sie hinaus. So finden sich auf ihren<br />

Seiten Identifikationsangebote zu eher typisch <strong>weiblichen</strong> Eigenschaften wie Güte, Mitleid,<br />

Selbstverleugnung <strong>und</strong> Opferfreudigkeit, daneben aber auch solche männlichen Tugenden wie<br />

Unerschrockenheit, Ausdauer, Charakterstärke, Mut <strong>und</strong> „wahrhaft antike Heldengröße“ 328 . Daher<br />

ist der Schlussfolgerung Gomards zuzustimmen, dass sich in der „Gleichheit“ eine Synthese aus<br />

männlichen <strong>und</strong> <strong>weiblichen</strong> Idealen widerspiegelte. 329 Allein durch den Umstand, dass die<br />

proletarische Frau mittels ihrer Erwerbstätigkeit ein gewisses Maß an individueller <strong>und</strong><br />

wirtschaftlicher Autonomie wahrnahm, „durchbr[a]ch[…] [sie] die Weiblichkeitsvorstellungen der<br />

bürgerlichen Gesellschaft“ 330 . Sie ihrer Stärken bewusst zu machen <strong>und</strong> sie in ihrer Autonomie zu<br />

bestärken, war Ziel sozialistischer Frauenbildung <strong>und</strong> sozialistischer Frauenleitbilder. Die<br />

„Gleichheit“ strebte einen Prozess der Bewusstseinsumbildung an 331 , indem sie die proletarischen<br />

Frauen für das öffentliche Leben interessierte <strong>und</strong> auf eine tragende Rolle darin vorbereitete.<br />

Gomard resümiert jedoch:<br />

„‘Die Gleichheit’ konnte zwar helfen, Vorstellungen über eine alternative Frauenidentität<br />

zu entwickeln, aber in Hinsicht auf die Lebensstrategien, die eine Brücke<br />

zwischen den Alltagserfahrungen der Leserinnen <strong>und</strong> den utopischen Vorstellungen<br />

hätten bilden sollen, wurden die Leserinnen teilweise im Stich gelassen.“ 332<br />

328 Die Frauen der Kommune. Zum 21. Jahrestag der Kommune von Paris. In: GL, 02/ 06/ 23.03.1892/ 54.<br />

329 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 33.<br />

330 Gomard, Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität <strong>und</strong> Utopie, S. 41.<br />

331 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 81.<br />

332 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 42.<br />

299


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Diese Kritik bürdet jedoch der „Gleichheit“ auf, was doch nur die „revolutionäre Praxis“ selbst<br />

erreichen konnte: die Überwindung dieser Kluft. Diese revolutionäre Praxis, jenseits aller<br />

Mystifikationen, zielt auf nichts anderes als die „Neugestaltung des menschlichen Lebenszusam-<br />

menhangs, der zugleich eine Neuformierung der Individuen in ihren menschlichen Beziehungen<br />

impliziert“ 333 . Allenfalls wäre, wie im obigen Kapitel, zu fragen, ob die „Gleichheit“ nicht ent-<br />

schieden genug auf den Bruch mit der bestehenden Gesellschaft hingewirkt habe, ob sie nicht<br />

selbst noch zu sehr bürgerlichen Wert- <strong>und</strong> Moralvorstellungen verhaftet war, denn es schien in<br />

der Tat eine Unmöglichkeit zu sein, die bürgerliche Gesellschaft mit bürgerlichem Wissen,<br />

Verhaltensstandards <strong>und</strong> Wertorientierungen bekämpfen zu wollen. 334 In Form von alternativen<br />

Leitbildern versuchte die proletarische Frauenbewegung, der Proletarierin ihre Klassenlage be-<br />

wusst zu machen <strong>und</strong> sie erkennen zulassen, dass ihr als individuell wahrgenommenes Schicksal<br />

in Wirklichkeit das Schicksal vieler Frauen ihrer Klasse war. Indem die proletarische Frau darüber<br />

aufgeklärt wurde, welche Bedeutung sie als „Proletarierin […] in ihrem Kampf für den<br />

Sozialismus, Gattin für den Proletarier, Mutter für die Kinder“ 335 innerhalb der sozialistischen<br />

Bewegung haben konnte, war dies zwar noch keine Antwort auf die Frage „Doch was ist sie<br />

selbst?“ 336 , aber es war doch auch weit mehr als die kapitalistische Gesellschaft ihr bisher über-<br />

haupt zugestehen wollte.<br />

Wohl boten sich den Frauen nach 1914 aus den Notwendigkeiten, die sich aus dem hoch<br />

industrialisierten Ersten Weltkrieg ergaben, neue Erfahrungsbereiche <strong>und</strong> neue Berufsfelder, doch<br />

bereits direkt nach Kriegsende begann ihre staatlich gesteuerte Verdrängung bzw. Rückdrängung<br />

ins Haus. Im Rahmen dieser Entwicklung rückten auch die linken Frauenzeitschriften, allen voran<br />

die „neue „Gleichheit“ „die bekannten fraulichen Probleme“ 337 in den Vordergr<strong>und</strong>. Sie machten<br />

Zugeständnisse an ein kleinbürgerliches Frauenleitbild, welches ihrem ursprünglichen politischen<br />

Anliegen, dem Werben für den Sozialismus, nicht mehr entsprach, nicht entsprechen konnte, eine<br />

333 Schmied-Kowarzik, Die Dialektik der gesellschaftlichen Praxis, S. 174.<br />

334 Vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 193.<br />

335 Luckhardt, Die Frau als Fremde, S. 109.<br />

336 Ebd. Einen ähnlichen Mangel an Selbstfindungsmöglichkeiten für Frauen in der Arbeiterbewegung kritisiert<br />

Mahaim: „Aufgr<strong>und</strong> der Tatsache, daß die besonderen Aspekte der Frauenunterdrückung wenig herausgestellt<br />

wurden, wurden die Frauen von den Sozialisten nie als Frauen gesehen, die eine handelnde soziale Kraft, die<br />

historische Subjekte darstellten. Sie wurden gemäß der marxistischen Theorie vor allem als Angehörige der<br />

revolutionären Klasse, des Proletariats, betrachtet. Es war gut, daß sie sich für die Sache des Proletariats<br />

aufopferten, unter anderem, indem sie viele zukünftige Sozialisten auf die Welt brachten <strong>und</strong> erzogen…, aber eher<br />

negativ war es, daß sie versuchten, ihre eigene soziale Identität <strong>und</strong> ihre eigenen Kampfformen in Gestalt eines<br />

gewissen ‘Separatismus’, ob permanent oder nur sporadisch, zu finden (Mahaim, Die Frauen <strong>und</strong> die deutsche<br />

Sozialdemokratie, S. 82).<br />

337 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 166.<br />

300


3.3.3 FRAUENLEITBILDER IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Entwicklung, deren „Konsequenzen für das parteiliche Engagement der Frau“ 338 die jeweiligen<br />

Zeitschriftredaktionen fatal unterschätzten.<br />

Das Umschwenken von einem klassenkämpferischen Frauenleitbild zum traditionellen, un-<br />

politischen Frauenbild drückte sich besonders deutlich in Inhalt <strong>und</strong> Umfang des Feuilletons aus.<br />

Die Redaktionen nahmen stärker Rücksicht auf ein vermeintliches Verhaftetsein der Frau in der<br />

Religion <strong>und</strong> ihren Wunsch nach unbeschwerter Unterhaltung. Auch die „Gleichheit“-Redaktion<br />

gab unter Juchacz die bisherige polemische Haltung gegen die Kirche als einer Stütze der<br />

bürgerlichen Gesellschaft auf. Einerseits dürfte sie das in Hinblick auf eine größere Popularität 339<br />

getan haben, andererseits hatten die Schrecken des Ersten Weltkrieges ein wirkliches Bedürfnis<br />

nach Besinnung <strong>und</strong> Besinnlichkeit erzeugt. Die Wandlung der „Gleichheit“ war außerdem<br />

Ausdruck <strong>und</strong> Ergebnis der Wandlung der Sozialdemokratie zu einer „‘reformistischen Emanzipa-<br />

tionspartei’“ 340 <strong>und</strong> deren Abwendung von der revolutionären Klassenkampftheorie.<br />

Auf die Methoden der Konstruktion von Leitbildern <strong>und</strong> den Umstand, dass die Konstruktion von<br />

Leitbildern an <strong>und</strong> für sich Methode ist, wurde bereits eingegangen. Die „Gleichheit“ bediente<br />

sich der Frauenleitbilder – z. T. auch ohne ihre bürgerliche Tendenz zu reflektieren –, um Leserin-<br />

nen leichter anzusprechen. 341 Es kann daher auch von einer „Funktionalisierung“ weiblicher<br />

Eigenschaften, von einer Funktion weiblicher Leitbilder gesprochen, aber wohl schwerlich zu-<br />

gleich eine widerspruchsfreie Alternative aufgezeigt werden. Bürgerliche <strong>und</strong> proletarische<br />

Frauenbewegung hatten in ihren klassischen Frauenleitbildern Elemente, die unter diesem<br />

Gesichtspunkt zwar nicht in der Zielsetzung, wohl aber in der Methode <strong>und</strong> in der Form der<br />

Ansprache als ähnlich betrachtet werden können. Diese Möglichkeiten der Ansprache konnten<br />

schließlich auch in der Propaganda der Nationalsozialisten Verwendung finden. Es folgt ein<br />

Beispiel für einen propagandistischen Artikel wie er – mit einigen Veränderungen – auch in der<br />

338 Ebd.<br />

339 Vgl. ebd., S. 102. Ein gewisser Mutterkult <strong>und</strong> die Anlehnung an ein kirchliches Vokabular, wie sie Vormschlag<br />

für die „neue“ „Gleichheit“ feststellt, waren jedoch auch unter der Redaktion Zetkins bereits vorhanden.<br />

340 Ebd., S. 168.<br />

341 Nicht nur um politisch zu bilden, sondern auch um ihre Popularität zu steigern, griff die „Gleichheit“ gezielt auf<br />

entsprechende Frauenleitbilder zurück. Vormschlag ist sogar der Meinung, dass neben „Mitleid <strong>und</strong> Haß“<br />

(Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 176) auch „das sexuelle<br />

Element“ (ebd.). auf eine popularitätsfördernde Wirkung abgezielt habe. Im Gegensatz zu Vormschlag, die hinter<br />

dem regelmäßigen Anprangern der Sittenlosigkeit des Bürgertums, der Vergewaltigungen junger Arbeiterinnen<br />

durch ihre Dienstherren sowie der Auseinandersetzung mit den Problemen der Prostitution den Gr<strong>und</strong>satz „Sex<br />

sells“ vermutet (ebd.), handelte es sich m. E. um kaum zu leugnende Missstände des proletarischen Alltags. Diese<br />

Missstände anzuklagen <strong>und</strong> zu beseitigen war das Mandat der „Gleichheit“. Aber bereits Bebel wurde für seine<br />

freimütigen Schilderungen derselben in „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“ mit dem Vorwurf der Effekthascherei<br />

konfrontiert.<br />

301


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

„NS-Frauenwarte“ (1932-1945) hätte erscheinen können. Tatsächlich aber erschien er 1913 in der<br />

„Gleichheit“.<br />

Emil Unger (1867-?) 342 , dessen Person im Rückblick sehr kritisch beurteilt werden muss, verband<br />

in seinem Artikel „Sie war eine Kämpferin!“ sozialistische Frauenleitbilder <strong>und</strong> rührselige Emo-<br />

tionalität zu einem Bravourstück anspruchsloser Leitbild-Propaganda. Der hier in ganzer Länge<br />

wiedergegebene Artikel enthielt jedoch einige zentrale Elemente sozialistischer Frauenleitbilder<br />

wie sie durchaus auch im Weiteren anhand der veröffentlichen Frauenbiographien aufgezeigt <strong>und</strong><br />

kritisch hinterfragt werden müssen. Zudem darf Ungers Artikel als eine seltene, wenn auch nur<br />

beschreibende Aussage zur Frage der Rezeption der „Gleichheit“ durch ihre Leserinnen nicht un-<br />

berücksichtigt bleiben:<br />

„An einem Frühlingstage war es, als wir sie durch das rasselnde, brausende, ewig<br />

flutende Weltstadtgetriebe hinaus nach dem Friedhof geleiteten. Es war ihr letzter<br />

Weg. Ein langer Zug von Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Bekannten – alles Gesinnungsgenossen –<br />

folgte dem schlichten Sarge, auf den die milden Strahlen der Lenzsonne fielen. Der<br />

Tod war mit tückischem Griff in unsere Reihen gefahren <strong>und</strong> hatte gerade sie<br />

gepackt, die kaum auf der Mittagshöhe des Lebens stand. So treu <strong>und</strong> warm hatte<br />

ihr Herz für ihre Nächsten geschlagen, im heiligen Feuer der Menschheitsliebe<br />

hatte es geglüht. Nun lag sie kalt <strong>und</strong> starr im Bretterschrein, frühe geknickt.<br />

Schwer hatte sie zu Lebzeiten ums kärgliche Brot ringen müssen.<br />

Sie war eine Proletarierin!<br />

Vom Morgengrauen bis in die sinkende Nacht hinein hatten ihre müden Füße die<br />

Maschine getreten. Die Schwindsucht hatte ihr den Mann schon vor Jahren hinweggemäht,<br />

so war sie auf sich selbst gestellt gewesen im Kampf ums Dasein. Mit<br />

stählerner Kraft hatte sie ihr Tagewerk getan <strong>und</strong> tapfer <strong>und</strong> stolz gesorgt <strong>und</strong><br />

geschafft. Ja, stolz! ‘Nie habe ich mich vor jemanden geduckt, nie jemanden um<br />

Unterstützung angegangen,’ sagte sie oft. Dabei leuchteten ihre hellen, guten Augen<br />

so freudig <strong>und</strong> zufrieden. Und sie hatte nicht nur für sich zu sorgen. O nein!<br />

Sie war eine Mutter!<br />

Ihrem Sarge folgten mit rotgeweinten Augen vier Kinder, zwei Jungen von sechs<br />

<strong>und</strong> fünfzehn <strong>und</strong> zwei Mädchen von acht <strong>und</strong> sechzehn Jahren. Liebe blond-<br />

342 Emil Unger bzw. Unger-Winkelried wurde im elsässischen Weißenburg geboren <strong>und</strong> absolvierte eine handwerkliche<br />

Ausbildung. Er wanderte durch die Schweiz, Österreich <strong>und</strong> Deutschland. Nach dem Besuch der<br />

Arbeiterbildungsschule (u. a. Kontakt zu Rudolf Steiner <strong>und</strong> Max Maurenbrecher) in Berlin arbeitete er ab 1902<br />

für die sozialdemokratische <strong>und</strong> freigewerkschaftliche Presse. Er wurde ständiger Mitarbeiter des „Vorwärts“. Bis<br />

1914 gab er eine Feuilletonkorrespondenz heraus, die von über 100 Blättern bezogen wurde. Nach dem Ersten<br />

Weltkrieg wurde Unger Herausgeber der Zeitschriften „Der Scheinwerfer“ (1918-?) <strong>und</strong> „Der B<strong>und</strong>schuh“ (1918-<br />

1920[?]) <strong>und</strong> 1920 Chefredakteur der „Westlichen Volkszeitung“ (1918-1920). Er trat im selben Jahr aus der SPD<br />

aus <strong>und</strong> rief zur Gründung der „Reformsozialistischen Partei“ auf. 1921-24 war er Redakteur der „Bremer<br />

Zeitung“ (1921-1929), 1924 zudem Gründer der „Vereinigung nationalgesinnter Arbeiter“ <strong>und</strong> des Blattes „Der<br />

deutsche Vorwärts“ (1924-1934). Schließlich gab Unger ab 1930 das Wochenblatt „Das neue Dritte Reich“ heraus,<br />

wurde NSDAP-Mitglied <strong>und</strong> ab 1932 Archivar der preußischen NSDAP-Landtagsfraktion. 1920 hatte er die<br />

Biographiensammlung „Politische Köpfe des sozialistischen Deutschlands“ veröffentlicht. 1934 erschien sein<br />

Werk „<strong>Von</strong> Bebel zu Hitler. Vom Zukunftsstaat zum Dritten Reich“, das 1936 den neuen Titel „Ich bekenne.<br />

Lebenserinnerungen eines Sozialdemokraten“ erhielt. In der „Gleichheit“ beteiligte er sich u. a. an einer LeserIn -<br />

nendiskussion zum Thema „Jugend <strong>und</strong> Sozialismus“ (Unger, Emil: Jugend <strong>und</strong> Sozialismus V. In: GL, 15/ 17/<br />

23.08.1905/ 98).<br />

302


3.3.3 FRAUENLEITBILDER IN DER „GLEICHHEIT“<br />

köpfige Kinder, denen man es ansah, daß eine treusorgende Mutter sie bis dahin<br />

gepflegt hatte. Nie sah ich die Kleinen zerrissen oder schmutzig, sauber <strong>und</strong> nett,<br />

so, wie sie jetzt hinter dem Sarge einherschritten, traf ich sie stets in der Behausung<br />

oder auf der Straße. Die beiden Ältesten gehörten bereits seit ihrer Entlassung aus<br />

der Schule der freien Jugendbewegung an. Denn nicht nur für das körperliche<br />

Wohlergehen ihrer Kinder hatte diese tatkräftige Frau gesorgt. Nein, soweit es ihre<br />

mangelhafte Schulbildung <strong>und</strong> ihre ärmlichen Verhältnisse zuließen, hatte sie an<br />

den jungen Menschen geformt <strong>und</strong> gebildet, hatte sie im Sinne ihrer eigenen Weltanschauung<br />

erzogen.<br />

Sie war eine Sozialistin!<br />

Mit rührender Liebe <strong>und</strong> heißem Bemühen hatte sie versucht, sich in ihrer wenigen<br />

freien Zeit in die sozialistische Literatur zu versenken, sich mit den Gedanken<br />

unserer Besten vertraut zu machen. Oft klagte sie, daß ihr das nicht restlos gelinge<br />

<strong>und</strong> daß sie zuweilen wie vor einer hohen Mauer stehe, über die sie nicht hinwegkomme.<br />

Die ‘Gleichheit’ las sie von Anfang bis zu Ende. An den Tagen, wo eine<br />

neue Nummer eintraf, stand sie schon eine St<strong>und</strong>e früher auf, um nachzusehen,<br />

was ‘unser Blatt’ brachte. Zehn Jahrgänge standen lückenlos gesammelt auf dem<br />

Kleiderspind. ‘Es ist meine Bibel’, meinte sie einmal gelegentlich <strong>und</strong> lächelte, wie<br />

um sich zu entschuldigen, daß sie so viel Zeitungen anhäufe. Selbstverständlich las<br />

sie das Parteiorgan unserer Stadt mit demselben Eifer. Aus beiden Blättern holte sie<br />

sich das Rüstzeug, um aufklärend unter ihren Klassen- <strong>und</strong> Leidensgenossinnen zu<br />

wirken.<br />

Sie war eine Kämpferin!<br />

Nach schwerem Tagewerk trug sie Flugblätter aus, opferte sie Nachtst<strong>und</strong>en der<br />

Werbearbeit. In vielen Versammlungen tauchte ihr blasses, energisches Gesicht mit<br />

dem blonden Scheitel auf, <strong>und</strong> im Leseabend fehlte sie nie. ‘Wenn wir auch nicht<br />

mehr viel haben werden von den Errungenschaften des Kampfes, so kommt es<br />

dermaleinst doch unseren Kindern zugute,’ pflegte sie zu sagen. – So haben wir sie<br />

gekannt <strong>und</strong> so wird sie in unserer Erinnerung weiterleben, als leuchtendes<br />

Beispiel von Hingebung <strong>und</strong> Opferwilligkeit – eine stolze, starke, prächtige Proletarierin!<br />

Wie sie hieß? Fragt mich nicht nach ihrem Namen. Sie wollte ungenannt <strong>und</strong> ungekannt<br />

bleiben, wollte nicht mehr sein als eine von den vielen, die ihr Herzblut<br />

hingeben für das große Werk der Befreiung ihrer Klasse, der Menschheitserlösung!<br />

Das Bewußtsein treuer Pflichterfüllung war ihr Lohn <strong>und</strong> Befriedigung. Sie hat gelitten<br />

<strong>und</strong> gestritten als Proletarierin <strong>und</strong> Mutter, als Sozialistin <strong>und</strong> Kämpferin!“ 343<br />

Betrachtet man den Artikel als den eines bekennenden Sozialisten – <strong>und</strong> das war Unger im Jahr<br />

der Veröffentlichung noch –, so muss man ihn als gelungenes Beispiel sozialistischer Frauen-<br />

agitation werten. Unger gab mit seinem Porträt einer Unbekannten ein Beispiel dafür, wie die<br />

Agitation der proletarischen Frauenbewegung die Frauen idealerweise erreichen <strong>und</strong> zum tatsäch-<br />

lichen Handeln bewegen sollte. Die Verstorbene hatte sich die Möglichkeiten, die ihr angesichts<br />

ihres Alltags zur Selbstbildung <strong>und</strong> zum politischen Engagement zur Verfügung standen, selbst<br />

geschaffen <strong>und</strong> ausgeschöpft: <strong>Von</strong> der regelmäßigen Lektüre der „Gleichheit“ über die ent-<br />

343 Unger, Emil: Sie war eine Kämpferin! In: GL, 23/ 18/ 28.05.1913/ 280.<br />

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ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

sprechende Erziehung ihrer – wohlgemerkt „blondköpfigen“ – Kinder bis zum Austragen von<br />

Flugblättern <strong>und</strong> der Teilnahme an Versammlungen. Respektive politischer Inhalte blieb Unger<br />

jedoch auffällig vage. Das Elend, das er als Alltag seiner Protagonistin beschrieb, wurde von ihr<br />

anscheinend nicht hinterfragt, <strong>und</strong> damit nicht als Auswuchs des Kapitalismus verurteilt. Vielmehr<br />

zeichnete Unger übertrieben <strong>und</strong> widersprüchlich das Bild einer „Kämpferin“, wie sie sich mit<br />

den gegebenen Verhältnissen arrangierte, angesichts ihres Elends weiterhin schlicht <strong>und</strong><br />

pflichtbewusst blieb, sich aber gleichzeitig für den Sozialismus engagierte. Auch hinsichtlich des<br />

„Rüstzeugs“, das sich die Proletarierin aus der „Gleichheit“ erwarb, wurde Unger nicht konkret.<br />

Hätte er die Werke „unserer Besten“ spezifiziert, wäre sicherlich das internationalistische Prinzip<br />

des Sozialismus deutlich geworden. Ein Prinzip von vielen, von denen Unger sich später abkehren<br />

sollte.<br />

Die Person Ungers steht für das Phänomen, dass sich bekennende SozialistInnen später scheinbar<br />

ohne Gewissenskonflikt dem Nationalsozialismus zuwenden konnten. Der „Fall Unger“ <strong>und</strong> sein<br />

Artikel bestätigen scheinbar in besonderer Weise Vormschlags These, dass ein Vergleich zwischen<br />

sozialistischen, kommunistischen <strong>und</strong> nationalsozialistischen Frauenzeitschriften gezogen werden<br />

kann <strong>und</strong> eine Kongruenz zwischen den in ihnen enthaltenen Frauenleitbildern gegeben war. 344<br />

Noch stärker als für die „Gleichheit“ trifft dies für eine ihrer Nachfolgerinnen, die „Frauenwelt“ 345<br />

zu. Die in ihr zu Tage tretende feuilletonistische Tendenz richtete sich nach „einem neuen<br />

Pressekonzept des Parteivorstandes“ 346 , welches auf Unterhaltung setzte <strong>und</strong> die Wunsch-<br />

vorstellungen der Arbeiterinnen <strong>und</strong> Arbeiterfrauen bediente, indem sie sich vollkommen am<br />

kleinbürgerlichen Familienideal orientierte. Sie war nur Mittel zum Zweck, um in die<br />

indifferenten proletarischen Haushalte zu gelangen <strong>und</strong> durfte deshalb nicht einmal den äußeren<br />

Anschein einer sozialistischen Zeitschrift haben. 347 Ein Viertel bis ein Drittel eines Heftes der<br />

„Frauenwelt“ bestand aus einem Mode- <strong>und</strong> Haushaltsteil 348 , was vollständig auf Kosten des<br />

344 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 177. Während der DDR-<br />

Historiker Jürgen Arendt den von Vormschlag angestellten Vergleich kommunistischer mit nationalsozialistischen<br />

Frauenleitbildern vollkommen ablehnt (vgl. Arendt, Frauenpolitik <strong>und</strong> Frauenbewegung in Deutschland, S. 50)<br />

<strong>und</strong> darin den „enge[n] Zusammenhang von Neofeminismus <strong>und</strong> Antikommunismus […] auch auf historischem<br />

Gebiet unverkennbar“ (Arendt, Frauenpolitik <strong>und</strong> Frauenbewegung in Deutschland, S. 49) gegeben sieht, ist m. E.<br />

die Argumentation Vormschlags, soweit es die Funktionalisierung der klassischen Frauenleitbilder betrifft, schlüssig.<br />

345 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 154-165; Sachse, Ent-<br />

wicklung <strong>und</strong> Wandel linker Frauenleitbilder, S. 200ff.<br />

346 Wilhelms, Frauenzeitschriften in der Weimarer Republik S. 65.<br />

347 Vgl. Juchacz im Bericht über den Reichsfrauentag. In: Protokoll des SPD-Parteitages Heidelberg 1925, S. 334-<br />

335.<br />

348 Die Redaktion der „Frauenwelt“ lag bis 1928 in der Verantwortung eines Mannes, Richard Lohmann. Wurde die<br />

„Frauenwelt“ als zu unpolitisch kritisiert, so rechtfertigte er deren Linie als den Bedürfnissen der Leserinnen angepasst<br />

<strong>und</strong> sah es z. B. als bedauerlich an, dass man eben „Strümpfe nicht sozialistisch stopfen“ (Lohmann im<br />

304


3.3.3 FRAUENLEITBILDER IN DER „GLEICHHEIT“<br />

politischen Inhalts ging. 349 Dies wurde auf verschiedenen Parteitagen moniert <strong>und</strong> eine Wieder-<br />

einführung der für die unentbehrliche politische Aufklärung viel geeigneteren „Gleichheit“<br />

gefordert. 350 Anträge dieser Art wurden aber abgelehnt oder zurückgezogen, weil die Mehrheit<br />

schließlich doch glaubte, den bürgerlichen Zeitschriften in ihrer Popularität nicht nachstehen <strong>und</strong><br />

die Leserinnen mit einem zu hohen Niveau nicht verschrecken zu dürfen. 351 Juchacz konnte die<br />

Forderungen nach einer Wiedereinrichtung der „Gleichheit“ ohnehin nicht verstehen. Sie fürchtete<br />

einen erneuten „Dualismus“ 352 zwischen wissenschaftlichem Anspruch <strong>und</strong> Popularität. Deshalb<br />

w<strong>und</strong>erte sie sich, dass manche Genossinnen die „Gleichheit“ unbedingt zurück wollten:<br />

„Einigermaßen erstaunt bin ich darüber, daß hier so viele ein Loblied auf die<br />

‘Gleichheit’ gesungen haben. (Sehr richtig!) Ich habe niemals etwas gegen die<br />

‘Gleichheit’ gesagt, aber ich kann mich an Frauenkonferenzen früherer Jahre<br />

erinnern, in denen die ‘Gleichheit’ st<strong>und</strong>enlang der Kritik unterzogen wurde, ganz<br />

besonders unter der Redaktion der Genossin Zetkin. (Lebhafte Zustimmung)<br />

Damals hat man scharfe Kritik an einem Blatt geübt, das man jetzt über das<br />

Bohnenlied lobt. (Sehr richtig!) Wir sollen uns doch vor Uebertreibungen nach<br />

jeder Richtung hin hüten.“ 353<br />

Für diese Übertreibung in die unpolitische Richtung, für eine ungenügend politisierende<br />

Ausrichtung steht jedoch die „Frauenwelt“. Am treffendsten formulierte das Problem Mathilde<br />

Wurm mit ihrer Kritik, dass die „Frauenwelt“ durch ihre praktischen Tipps in der Rubrik<br />

„Schmalhans mit Geschmack“ die Bevölkerung irreführe. Diese Tipps zeigten den proletarischen<br />

Familien, wie man aus dem Notdürftigsten das Beste machen konnte – für Wurm war dies jedoch<br />

„der Triumph der Täuschung des proletarischen Magens, wenn statt ausreichender <strong>und</strong> beköm-<br />

mlicher Ernährung nur Sättigung empfohlen wird“ 354 . So notwendig solche Hilfestellungen für<br />

den Alltag auch sein mochten, als politische <strong>und</strong> politisierende Strategie taugten sie wenig. Auch<br />

hatte sich die SPD bisher doch nie mit solchen Aufforderungen zur Askese zufrieden gegeben <strong>und</strong><br />

stets ein Mehr an Rechten <strong>und</strong> Lebensqualität eingefordert.<br />

Bericht über den Reichsfrauentag. In: Protokoll des SPD-Parteitages Berlin 1924, S. 238) könne. Sogar der Modeteil<br />

blieb von Kritik nicht verschont, denn er orientiere sich, so der Vorwurf, zu sehr nach der herrschenden<br />

aktuellen Mode. Lohmann verteidigte sich, indem er Toni Sender als „Beispiel dafür“ (ebd.) heranzog, „daß man<br />

Klassenkämpferin sein kann <strong>und</strong> sich doch geschmackvoll der herrschenden Mode entsprechend kleiden“ (ebd.)<br />

könne. 1928 trat eben jene geschmackvoll gekleidete Klassenkämpferin in der Redaktion der „Frauenwelt“ an<br />

seine Stelle.<br />

349 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 162.<br />

350 Vgl. Bericht über den Reichsfrauentag. In: Protokoll des SPD-Parteitages Berlin 1924, S. 230, S. 232 u. S. 243.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages Heidelberg 1925, S. 109-110; Antrag 22 Abs. 1 im Protokoll des SPD-Parteitages<br />

Kiel 1927, S. 47 u. S. 305f.<br />

351 Vgl. Lohmann im Bericht über die Reichsfrauenkonferenz. In Protokoll des SPD-Parteitages Kiel 1927, S. 319.<br />

352 Juchacz im Bericht über den Reichsfrauentag. In: Protokoll des SPD-Parteitages Berlin 1924, S. 244.<br />

353 Ebd. S. 244-245.<br />

354 Wurm im Bericht über die Reichsfrauenkonferenz. In Protokoll des SPD-Parteitages Kiel 1927, S. 317.<br />

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ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Diese unpolitische Selbstbescheidung hatte zumal angesichts der politischen Entwicklungen <strong>und</strong><br />

der nationalsozialistischen Bedrohung verheerende Auswirkungen. Die endlich 1932 in den Seiten<br />

der „Frauenwelt“ erfolgenden scharfen Angriffe gegen die Nationalsozialisten konnten die bei<br />

ihren Leserinnen „versäumte Erziehung eines politischen Bewußtseins“ 355 nicht mehr nachholen.<br />

Zudem wies das in der „Frauenwelt“ vertretene <strong>und</strong> für die Ansprache genutzte Frauen- <strong>und</strong> Fami-<br />

lienideal mit dem der Nationalsozialisten sogar viele Berührungspunkte auf. Tatsächlich muss<br />

davon ausgegangen werden, dass sozialistische <strong>und</strong> nationalsozialistische Frauenleitbilder, weil<br />

sie zum Teil auf denselben bürgerlich-konservativen Frauenleitbildern basierten, dadurch in ihren<br />

Gr<strong>und</strong>zügen auch austauschbar waren. Frauen wurden von ihnen als Mütter, Haus- <strong>und</strong> Ehefrauen<br />

angesprochen. Selbst dann, wenn sie in ihrer Rolle als Arbeiterinnen für den Kampf gegen das<br />

bestehende für ein zukünftiges, neues System motiviert wurden, gab es Gemeinsamkeiten. Diese<br />

Gemeinsamkeiten relativieren sich nur, wenn man ihre Zielsetzungen kritisch hinterfragt. Die<br />

„Gleichheit“ stand für Klassensolidarität, internationale Solidarität <strong>und</strong> Menschenrechte; sie stand<br />

nicht für „Rassenwahn“, „Deutschtum“ <strong>und</strong> Völkermord. Aussagekräftig ist in diesem<br />

Zusammenhang auch die Feststellung Vormschlags, dass in den von ihr untersuchten linken<br />

Frauenzeitschriften der Begriff „Agitation“, in der nationalsozialistischen „NS-Frauenwarte“<br />

jedoch der Begriff „Propaganda“ gebräuchlich war. Letzterer weist deutlich auf die unreflektierte<br />

Übernahme von Meinungen <strong>und</strong> Inhalten hin, während Agitation eine erklärende <strong>und</strong> aufklärende<br />

Bedeutung <strong>und</strong> Funktion hat. Agitation war im Sprachgebrauch der „Gleichheit“ Befähigung zur<br />

Kritik.<br />

In einem weiteren Gegensatz zu Ungers obiger unbekannter Proletarierin, steht es, dass sich die<br />

„Gleichheit“ meist bemühte, ihren Vorbildern Namen <strong>und</strong> Gesicht – unabhängig von ihrer<br />

Haarfarbe – zu geben. Die von ihr vorgestellten Frauen waren Teil der Geschichte bzw. sollten<br />

Teil des Geschichtsbewusstseins werden. Es galt anhand dieser Schicksale, den <strong>weiblichen</strong> Anteil<br />

an Geschichte ins Licht zu rücken, greifbar <strong>und</strong> identifizierbar zu machen. Die in der „Gleichheit“<br />

veröffentlichten biographischen Skizzen zielten darauf ab, das Selbstbewusstsein der Leserinnen<br />

zu stärken <strong>und</strong> ihre Aufmerksamkeit auf ihr eigenes Potential zu lenken. Es wurde versucht,<br />

Möglichkeiten der politischen Teilhabe aufzuzeigen, die die einfache proletarische Frau als<br />

„weiblicher Vollmensch“, Ehefrau, Mutter, Klassenkämpferin <strong>und</strong> republikanische Staatsbürgerin<br />

bereits hatte <strong>und</strong> nutzen konnte. Diesen Frauenleitbildern wurden im Rahmen der vorliegenden<br />

Arbeit die in der „Gleichheit“ veröffentlichten Frauenbiographien – je nach Schwerpunkt<br />

innerhalb der Darstellung <strong>und</strong> je nach Duktus – zugeordnet.<br />

355 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 164.<br />

306


3.4 Frauenbiographien in der „Gleichheit“<br />

Sämtliche Medien sozialistischer Agitation – Zeitschriften, Bücher <strong>und</strong> Vorträge – widmen sich<br />

auch den Biographien einzelner historischer Persönlichkeiten, 356 <strong>und</strong> dies, obwohl die ent-<br />

scheidende Kampfkraft vom proletarischen Klassenkollektiv ausgehen sollte <strong>und</strong> der Heraus-<br />

stellung individueller Einzelner eher eine schwächende Wirkung beigemessen wurde.<br />

Bebels „Frau“ jedoch präsentierte nur wenige Namen einzelner historischer Frauen. Oft<br />

handelte es sich dann auch nicht um Vorbilder, denen seine Leserinnen nachstreben sollten,<br />

sondern um Exempel weiblicher Sittenlosigkeit. 357 Die proletarische Frauenbewegung suchte<br />

dagegen schon sehr früh in bestimmten Frauen bew<strong>und</strong>erungswürdige ZeugInnen, Vorbilder<br />

<strong>und</strong> Vermittler revolutionärer Geschichte. 358 So sind es besonders Frauenbiographien, die neben<br />

der von den Leserinnen zum Teil noch selbst erlebten Geschichte der sozialdemokratischen<br />

Bewegung der „Gleichheit“ die Möglichkeit boten, ihren Leserinnen Geschichte in Form leicht<br />

verständlicher Geschichten zu vermitteln <strong>und</strong> sie damit auch emotional zu berühren. 359 Diese<br />

Kombination von Geschichtsvermittlung <strong>und</strong> Emotionalität besaß in der „Gleichheit“ im<br />

Hinblick auf die sonstigen Lesegewohnheiten proletarischer Frauen einen ganz besonderen<br />

Stellenwert. Ohne sie hätte sich die „Gleichheit“ angesichts des vornehmlich bei Frauen<br />

verbreiteten „Gefühlssozialismus“ – also einer politischen Positionierung auf der Gr<strong>und</strong>lage<br />

von Sympathie <strong>und</strong> Gerechtigkeitsgefühl – zwecks Vermittlung sozialistischer Theorie weiter-<br />

hin auf Elendsschilderungen <strong>und</strong> anrührende Gedichte konzentrieren müssen. 360 Waren diese<br />

jedoch vor allem im Feuilleton abgedruckt, so ist es eine weitere Besonderheit der historisch-<br />

biographischen Artikel, dass sie sowohl im Feuilleton der Beilagen <strong>und</strong> des Hauptblattes als<br />

356 Gerne hätten die Parteigenossen des 19. Sächsischen Wahlkreises durch ihren auf dem Parteitag gestellten<br />

Antrag noch mehr wegweisende Biographien in den Parteizeitschriften gesehen: „Es möge in Zukunft die<br />

Parteipresse in ihrem Feuilleton nicht mehr, wie bisher, mit Kriminal- <strong>und</strong> Liebesromanen den Leserkreis zu<br />

unterhalten suchen, sondern sich mehr damit zu befassen, durch Biographien berühmter, edler Menschen,<br />

welche sich um die Wohlfahrt des Volkes verdient gemacht haben, auf den Charakter des Volkes einzuwirken<br />

<strong>und</strong> die Gefühle für alles Gute <strong>und</strong> Erhabene zu wecken <strong>und</strong> zu pflegen.“ (Antrag Nr. 60 im Protokoll des<br />

SPD-Parteitages Berlin 1893, S. 381). Der Antrag wurde jedoch abgelehnt (vgl. ebd., S. 151).<br />

357 Bebel, Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus, S. 108.<br />

358 Diese Bedeutung historischer Vorbilder kann man auch negativ ausdrücken: Geschichte, so Lion, stelle sich in<br />

der „Gleichheit“ meist dar „in der Schilderung vom Leben, Tun <strong>und</strong> Leiden der proletarischen<br />

Vorkämpferinnen […][,] Nachrufe in Form von Biographien[…] schaffen bewußt an der Legendenbildung <strong>und</strong><br />

der Martyriologie des vierten Standes“ (Lion, Zur Soziologie der Frauenbewegung, S. 90).<br />

359 Auch autobiographische Zeugnisse erfüllten diese Funktionen <strong>und</strong> geben Aufschluss über Alltag <strong>und</strong> Politisierung<br />

der Arbeiterinnen. Besonders hervorzuheben sind hier die Lebenserinnerungen von Ottilie Baader <strong>und</strong><br />

Adelheid Popp, auf die bereits verwiesen wurde. Sie werden in der vorliegenden Arbeit nicht näher vorgestellt,<br />

weil ihre Perspektive eine andere ist als die der biographischen „Gleichheit“- Artikel.<br />

360 Zetkin habe in allen von ihr „redigierten Frauenorganen das gefühlsmäßige Element, das Emotionale im<br />

Dienste der Agitation“ (Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 176)<br />

gepflegt. Vormschlag sieht in dem Umstand, dass „die ganze Tonleiter von Haß <strong>und</strong> Mitleid […] durchgespielt“<br />

(ebd.) wurde, eine Parallele zu den Publikationen der Nationalsozialisten, besonders der „NS-<br />

Frauenwarte“.<br />

307


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

auch oberhalb „des Strichs“ zu finden waren. Es zeigt sich daran noch deutlicher als an den<br />

Erzählungen <strong>und</strong> Gedichten, dass der Feuilleton eine Brücke zum Hauptteil war. Die Nekrologe<br />

<strong>und</strong> Jubiläumsartikel fanden meistens ihren Platz in den Rubriken „Aus der Bewegung“ bzw.<br />

„Aus unserer Bewegung“ oder „Sozialistische Frauenbewegung im Ausland“. Auffällig ist, dass es<br />

während des Ersten Weltkrieges ausschließlich Nekrologe <strong>und</strong> einige Jubiläumsartikel sind, die<br />

den frauenbiographischen Inhalt der „Gleichheit“ ausmachen. In Zeiten der Zensur <strong>und</strong> Papier-<br />

knappheit mussten die Würdigungen der <strong>weiblichen</strong> Mitglieder der sozialistischen Bewegung <strong>und</strong><br />

die Darstellungen ihres Lebens <strong>und</strong> Werdeganges für eine geschichtliche Aufklärung ausreichen.<br />

Frauenbiographien sind wie geschaffen für eine Vermittlung von Frauengeschichte <strong>und</strong><br />

Frauenleitbildern. Sie geben beiden einen Namen, ein Gesicht oder einen Charakter. Umgekehrt<br />

kann ein gelebtes Leben Orientierung für nachfolgende Generationen geben. Durch Frauen-<br />

biographien werden konkrete Brücken von der Erfahrung zur Utopie angeboten. 361 Ihre Ver-<br />

öffentlichung in Frauenzeitschriften erfolgt demnach aber auch nie ganz zweckfrei. 362<br />

Auch die Zeitschriften der bürgerlichen Frauenbewegung veröffentlichten biographische Artikel.<br />

Ihre Beweggründe beschrieb Hilde Lion jedoch wie folgt:<br />

„Persönlichkeiten, die man zu irgend einem Anlaß ehren will, schildert man aus<br />

langem Verkehr – aus dem Gedächtnis. Da, wo die Idee im Werden ist, braucht sie<br />

überall die persönliche Gestalt; man scheut sich oft auch nicht, Vorbilder zu zeigen<br />

unter den Lebenden, solche Menschen, die unmittelbar zu den noch Unerweckten<br />

oder Schwankenden sprechen sollen; von deren Bild <strong>und</strong> Wesen man allerhand<br />

W<strong>und</strong>erkräfte erhofft.“ 363<br />

Lion scheint den Kult um Personen, vor allem um solche, die noch leben, abgelehnt zu haben. Sie<br />

sah den mittels biographischer Skizzen erzeugten emotionalen Effekt von den bürgerlichen<br />

Frauenzeitschriften insbesondere für die Werbung neuer Abonnentinnen strategisch eingesetzt:<br />

„Solchen Frauen, die allmählich vom Familienblatt <strong>und</strong> von der Modezeitschrift<br />

als einziger Lektüre weggewöhnt werden müssen, gibt man durch Jahre hindurch<br />

noch Gedichte ethischen Inhalts <strong>und</strong> Geschichte braver Frauen, die ihren<br />

Berufsweg unter schweren Kämpfen schließlich doch noch sicher gef<strong>und</strong>en<br />

361 Vgl. Gomard, Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität <strong>und</strong> Utopie, S. 44.<br />

362 Als eine der „Gleichheit“ ähnliche linke Frauenöffentlichkeit sei hier die von spanischen Anarchistinnen<br />

begründete Frauenzeitschrift „Mujeres Libres“ (1936-1938) erwähnt. Auch sie veröffentlichte historische Frauenporträts,<br />

um „den Spanierinnen […] das Wissen um eine Frauengeschichte“ (Kröger, Nachwort, S. 94) zu<br />

vermitteln <strong>und</strong> „mögliche Orientierungsvorbilder“ (ebd.) anzubieten. Dabei verfolgte die Redaktion kein konkretes<br />

Frauenleitbild, denn „[o]b die Frauen von adliger oder von proletarischer Herkunft waren, ob sie in<br />

wohlsituierten Verhältnissen oder in Armut lebten, welchem politischen Lager sie auch angehörten, dies spielt<br />

alles eine eher unbedeutende Rolle: Der Geist der Rebellion <strong>und</strong> der gesellschaftlichen Innovation, ein umfassendes<br />

sozialrevolutionäres Denken im weitesten Sinne sowie genügend persönliche Stärke <strong>und</strong> Mut, um den<br />

Gegnern zu trotzen, zeichneten sie alle aus.“ (ebd.)<br />

363 Lion, Die allgemeinen Frauenzeitschriften in Deutschland, S. 109.<br />

308


haben.“ 364<br />

3.4 FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Gerade „jungen Anfängerinnen der Bewegung“ 365 floss laut Lion aus der biographischen Literatur,<br />

aus dem „heißen“ 366 oder „sachlichen“ 367 Leben der Vorbilder eine „lebendige Kraft“ 368 zu.<br />

Darüber hinaus bot gerade diese Literaturgattung ein Sammelbecken für „gutes weibliches<br />

Schriftstellertum“ 369 .<br />

Wenn auch bisher die von Lion zum Teil sehr kritisch beurteilten Motivationen der bürgerlichen<br />

Frauenzeitschriften denjenigen von Zetkin in der „Gleichheit“ wie auch in ihrer „Geschichte der<br />

proletarischen Frauenbewegung“ sehr ähnlich zu sein schienen, so wird nun jedoch ein wesent-<br />

licher Unterschied bemerkbar: Es waren weniger „brave“ als vielmehr revolutionäre Frauen, die<br />

die „Gleichheit“ ihren Leserinnen vorstellte. Bürgerliche Frauenzeitschriften, so die Meinung der<br />

DDR-Historikerin Ruth Götze in ihrem Aufsatz „Der Beitrag der „Gleichheit“ zur Entwicklung<br />

des Geschichtsbewußtseins ihrer Leserinnen“, hätten eine übermäßige Schönfärberei betrieben –<br />

gemäß des Leitsatzes „‘de mortuis nihil nisi bene’“ 370 . Im Gegensatz zur „Gleichheit“ hätten bür-<br />

gerliche Publikationen nicht „die konkreten historischen Verhältnisse, die den Menschen prägen<br />

<strong>und</strong> sein Verhalten mitbestimmen“ 371 , dargestellt. Die „Gleichheit“ dagegen, so Götze weiter, habe<br />

sich lediglich „falscher Bescheidenheit“ 372 enthalten, wenn sie „hervorragende[…] Kämpferinnen<br />

<strong>und</strong> Kämpfer für den gesellschaftlichen Fortschritt“ 373 ehrte. Doch auch in den in der „Gleichheit“<br />

veröffentlichten Nachrufen ging es darum,<br />

„Rückschau zu halten auf kampferfüllte Jahre, Impulse zu geben, im Sinne der<br />

verstorbenen oder ermordeten Kämpfer weiter für die Emanzipation des Proletariats<br />

alle Kraft einzusetzen“ 374 .<br />

Nachrufe auf die Frauen der proletarischen Frauenbewegung, in denen Kritik an ihrem Lebens-<br />

werk geäußert wurde, waren zwar selten, aber es gab sie. Wenn auch für die „Gleichheit“<br />

vorrangig galt, dass „über Tote nicht anders als gut gesprochen“ werde, so finden sich doch auch<br />

Ausnahmen. Dazu gehören nicht nur die „Ausnahmeerscheinungen der bürgerlichen Frauen-<br />

364 Ebd., S. 109f.<br />

365 Ebd., S. 115.<br />

366 Ebd.<br />

367 Ebd.<br />

368 Ebd.<br />

369 Ebd.<br />

370 Götze, Der Beitrag der „Gleichheit“ zur Entwicklung des Geschichtsbewußtseins ihrer Leserinnen, S. 63.<br />

371 Ebd.<br />

372 Ebd.<br />

373 Ebd.<br />

374 Ebd.<br />

309


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

rechtelei“ wie sie hier in einem eigenen Kapitel vorgestellt werden, sondern auch diejenigen<br />

<strong>Klassenkämpferinnen</strong>, die sich nicht den wissenschaftlichen Sozialismus aneignen konnten <strong>und</strong><br />

dadurch in den Augen Zetkins von der Bahn abkamen. Ihre Nachrufe ehrten ihre Verdienste <strong>und</strong><br />

waren zugleich dafür prädestiniert, ihre Leserinnen auf die Fehler einer schwankenden sozialis-<br />

tischen Gesinnung aufmerksam zu machen. Die für ihre Dogmatik oft gescholtene Redakteurin<br />

der „Gleichheit“ gedachte demnach auch Personen, so ist Götze zuzustimmen,<br />

„die in ihrem Leben nicht mit aller Konsequenz, nicht immer von marxistischen<br />

Positionen oder nur zeitweilig an der Seite des revolutionären Proletariats kämpften“<br />

375 .<br />

Sie ließ aber auch diese Nachrufe nicht ungenutzt, um „die Einsicht [zu] förder[n] <strong>und</strong> die Tatkraft<br />

des Proletariats [zu] stärk[en]“ 376 . Dies sieht Götze für „alle[…] Beiträge[…] der ‘Gleichheit’, die<br />

auf die Entwicklung des proletarischen Geschichtsbewußtseins gerichtet sind“ 377 als gegeben an. 378<br />

Auch die dänische Sprachwissenschaftlerin Gomard versuchte, die Inhalte der von ihr unter-<br />

suchten 67 Biographien auf gemeinsame Nenner zu bringen <strong>und</strong> fragt nach den Motiven der<br />

Zetkin‘schen „Gleichheit“ für ihre Auswahl biographisch dargestellter Frauen. Der Feststellung<br />

Gomards, dass frauenbiographische Artikel in den ersten Jahrgängen der Gleichheit am zahl-<br />

reichsten, in späteren jedoch nur noch sporadisch eingestreut sind 379 , lässt sich nur teilweise <strong>und</strong><br />

vornehmlich in Hinblick auf die von Zetkin selbst verfassten historischen Biographien der franzö-<br />

sischen <strong>und</strong> russischen Revolutionärinnen zustimmen. 380 Ab 1907 sind es dann wieder besonders<br />

die Artikel von Anna Blos, die auffällig viele Biographien zu Frauen des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

375 Ebd.<br />

376 Ebd., S. 64. Auch aus diesem Gr<strong>und</strong> wurde Zetkin selbst später als „Leitbild für […] pädagogisches Handeln“<br />

(Hohendorf, Clara Zetkin, S. 6) idealisiert.<br />

377 Götze, Der Beitrag der „Gleichheit“ zur Entwicklung des Geschichtsbewußtseins ihrer Leserinnen, S. 64.<br />

378 Dieses die Wirkung der „Gleichheit“ betreffende Urteil muss jedoch reine Mutmaßung bleiben, die, wie in dem<br />

Kapitel zur Rezeption der „Gleichheit“ gezeigt, entsprechender Gr<strong>und</strong>lagen entbehrt. Götzes Untersuchung<br />

bezieht sich auf ein allgemein sozialistisches Geschichtsbewusstsein, der geschlechtsspezifische – trotz des Standpunktes<br />

einer geschlechterindifferenten Agitation – von der „Gleichheit“ bewusst gewählte Ansatz eines <strong>weiblichen</strong><br />

Geschichtsbewusstseins bleibt von Götze unberücksichtigt.<br />

379 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 28.<br />

380 Noch zu Lebzeiten Zetkins, 1927, erachtete es Paul Frölich als ein „Geschenk“ an Viele, wenn Zetkin ihre „zahlreiche[n]<br />

literarische[n] Porträts von Kämpferinnen aus den Klassenkämpfen der Vergangenheit“ (Frölich, Clara<br />

Zetkin, S. 5) als Sammlung herausgeben würde, dies ist aber nicht geschehen. Ihr 1928 erschienenes Werk „Zur<br />

Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands“ enthielt aber zumindest Biographien von Louise<br />

Otto-Peters, der frühen französischen Sozialistin <strong>und</strong> Schriftstellerin Flora Tristan (1803-1844) <strong>und</strong> Julius<br />

Motteler. Bereits 1911 hatte Zetkin jedoch anlässlich des ersten sozialdemokratischen Frauentages eine Agitationszeitung<br />

für das Frauenwahlrecht herausgegeben, 16 Seiten im Format der Gleichheit umfassend (vgl. GL, 21/ 11/<br />

27.02.1911/ 176): „Die Zeitung bringt die Porträts der verstorbenen sozialdemokratischen Vorkämpferinnen für<br />

das Frauenwahlrecht in Deutschland, sie wird einen reichhaltigen Inhalt haben <strong>und</strong> schön ausgestattet sein. Das<br />

Blatt soll der Agitation für das Frauenwahlrecht unter den breitesten Massen dienen.“ (ebd.) Der Preis dieser<br />

besonderen Nummer betrug für Organisationen <strong>und</strong> Wiederverkäufer 5 Pf., die Einzelnummer 10 Pf..<br />

310


3.4 FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

veröffentlichte. 381 Ohne die Notwendigkeit, eine eigenständige Rubrik „Geschichte“ füllen zu<br />

müssen, scheint dieser Aspekt demnach sehr von den Forschungsschwerpunkten der jeweiligen<br />

MitarbeiterInnen abhängig gewesen zu sein. Jubiläumsartikel, Nekrologe <strong>und</strong> auch die damit<br />

verb<strong>und</strong>enen größeren Artikel hatten jedoch eine gewisse Zwangsläufigkeit. Während die Dar-<br />

stellung von bunteren Lebensläufen <strong>und</strong> monumentaleren Leistungen keines äußeren Anlasses<br />

bedurfte, so Gomard, hätten die „[d]ie ‘Stilleren im Lande’ […] erst eine Rolle [gespielt], wenn<br />

ein Nekrolog fällig“ 382 gewesen sei. Ehefrauen wie Julie Bebel (1843-1910) hätten für die<br />

„Gleichheit“ unter Zetkin „[q]ualitativ wie quantitativ“ 383 am Rande gestanden, seien lediglich<br />

Vorbild gewesen für “diejenigen, die nichts Besseres“ 384 konnten. Gomard vermutet sogar, dass sie<br />

überhaupt nicht erwähnt worden wäre, „wenn die Position ihres Mannes nicht einen Nekrolog<br />

erforderlich gemacht hätte“ 385 . In dieser Ansicht drückt sich m. E. eine besondere Zweischneidig-<br />

keit aus. Sicherlich war es der große Name ihres Ehemannes, der den Nekrolog für eine Ehefrau<br />

in der „Gleichheit“ anstieß, doch war die vorrangige Motivation nicht, den Ehemann zu ehren,<br />

sondern die Leistung der Ehefrau, die hinter dessen Erfolg stand, die sich, wie Gormard selbst<br />

schreibt, „dem Lebenswerk ihres Mannes ganz geopfert“ 386 hatte. Dennoch ist Gomard insofern<br />

zuzustimmen, dass für die „Gleichheit“ vor allem öffentlich aktive Frauen interessant waren.<br />

Ähnlich zwangsläufig wie den Tod der „Parteiführerehefrauen“ habe die „Gleichheit“ den Tod<br />

führender Frauen der bürgerlichen Frauenbewegung nicht einfach ignorieren können, weil, so<br />

Gomard, diese Bewegung „um diese Zeit so bedeutend“ 387 gewesen sei. Die „Gleichheit“ hat<br />

m. E. weniger auf diese Bedeutung als vielmehr auf die Lebensleistung der porträtierten<br />

bürgerlichen Frauen Rücksicht genommen <strong>und</strong> der Frage Vorrang gegeben, inwieweit diese ihren<br />

Leserinnen Vorbild sein konnten – oder auch nicht.<br />

Wenn auch Gomard dieses Element der Lebensleistung nicht für die bürgerlichen Frauen als<br />

maßgeblich erachtet, so sieht sie die Lebensleistung jedoch generell als entscheidendes Element<br />

für eine biographische Erwähnung von Frauen in der „Gleichheit“ an. Deshalb erstellte sie nach<br />

dieser Leistung eine Kategorisierung <strong>und</strong> unterscheidet diesbezüglich in drei Gruppen weiblicher<br />

381 Besonders hervorzuheben ist ihre von September 1919 bis Juli 1920 erschienene Artikelreihe „Frauengestalten des<br />

19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, in der Bettina von Arnim, Charlotte Stieglitz, Rahel Levin, Charlotte von Stein, Malvida von<br />

Meysenbug, Karoline Schlegel-Schelling, Luise Aston <strong>und</strong> Karoline von Humboldt porträtiert wurden.<br />

382 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 32.<br />

383 Ebd., S. 33.<br />

384 Ebd.<br />

385 Ebd.<br />

386 Ebd., S. 32.<br />

387 Ebd., S. 28.<br />

311


ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

Vorbilder: Terroristinnen, die zusammen mit Männern auf Barrikaden kämpften, aber auch an der<br />

Versorgung Verw<strong>und</strong>eter <strong>und</strong> der Untergr<strong>und</strong>arbeit beteiligt waren <strong>und</strong> dabei die gleichen Re-<br />

pressalien wie Männer erleiden mussten (Beispiele finden sich dafür u. a. in der Pariser Kommune<br />

<strong>und</strong> unter den russischen RevolutionärInnen); Frauen, die unter friedlichen Bedingungen<br />

organisatorische <strong>und</strong> alltägliche Agitationsarbeit leisteten <strong>und</strong> schließlich Frauen, „die gar nicht<br />

öffentlich hervortreten, sondern gute sozialistische Hausfrauen <strong>und</strong> Mütter sind, die durch ihre<br />

Leistung in der Familie es dem Ehemann ermöglichen, sich ganz der Parteiarbeit zu widmen“ 388 .<br />

Gemeinsam sei allen dargestellten Frauen, so Gomard weiter, dass sie auf mehr oder weniger<br />

spektakuläre Weise die Schranken der bürgerlichen Gesellschaft durchbrachen <strong>und</strong> dies teilweise<br />

auf ihre Familien <strong>und</strong> Beziehungen zurückgewirkt hätte. 389 Umgekehrt wird an manchen Bio-<br />

graphien jedoch auch deutlich, wie Frauen von ihren Beziehungen <strong>und</strong> Familien unterstützt<br />

wurden <strong>und</strong> davon für ihre Selbstbefreiung zu profitieren wussten. Beispiel dafür ist die Histori-<br />

kerin Anna Blos selbst. Sie hatte durch ihren Ehemann Wilhelm nicht nur zur Sozialdemokratie<br />

gef<strong>und</strong>en. Genauso wie er hatte auch sie „ein starkes Interesse daran, Geschichtszusammenhänge<br />

akribisch dokumentarisch darzustellen“ 390 <strong>und</strong> beschrieb das Wecken dieses Interesses in ihrem<br />

1929 erschienenen Werk „Die Frauen in Schwaben“ wie folgt:<br />

„Immer wieder hat er mir die Tapferkeit der schwäbischen Frauen als vorbildlich<br />

hingestellt. Ihm verdankte ich die Anregung, von diesen Frauen zu erzählen, zu<br />

zeigen, wie auch in früheren Zeiten schon Frauen mitgewirkt haben an der<br />

Entwicklungsgeschichte des Volkes. Nicht Frauen, die durch Geburt <strong>und</strong> Herkunft<br />

an hervorragender Stelle standen, sondern Frauen, die sich ihre Stellung im Leben<br />

erkämpft haben gegen Vorurteile <strong>und</strong> Widerstände. So ist auch dieses Buch ein<br />

Dank an den, der mich ins Schwabenland geführt hat <strong>und</strong> der mich das Schwabenvolk<br />

verstehen <strong>und</strong> lieben lehrte. […] Es soll ein Buch des Gedenkens sein, aber<br />

auch ein Buch, das die Vergangenheit lebendig macht zu Nutz <strong>und</strong> Frommen der<br />

neuen Zeit, in der den Frauen alle Entwicklungsmöglichkeiten gegeben sind. Die<br />

Wege dazu haben auch tapfere schwäbische Frauen bereiten helfen.“ 391<br />

Es ist also verständlich, wenn Blos in ihren Biographien nicht nur wie Zetkin elende Lebenszu-<br />

stände, sondern auch die förderlichen Umstände eines Frauenlebens hervorhob – so z.B. in ihrem<br />

Artikel „Glückliche Ehen“ 392 . In den Frauenbiographien der „Gleichheit“ finden sich sowohl<br />

verständige Eltern <strong>und</strong> politisch engagierte Ehemänner als auch despotische Väter, strenge Mütter<br />

<strong>und</strong> hemmende Ehemänner. Das Bemühen der „Gleichheit“ lag darin, die individuellen Ent-<br />

388 Ebd., S. 32.<br />

389 Ebd., S. 38.<br />

390 Riepl-Schmidt, Wider das verkochte <strong>und</strong> verbügelte Leben, S. 173. Die biographischen Artikel Blos‘ in der<br />

„Gleichheit“ weisen jedoch trotz dieser Akribie das Manko auf, die Angabe von Jahreszahlen zu vernachlässigen.<br />

Die zeitliche Einordnung trat hinter die Charakterisierung der Person zurück.<br />

391 Blos, Die Frauen in Schwaben, S. 10-11.<br />

392 Blos, Glückliche Ehen. In: GL, 28/ 17/ 24.05.1918/ 133-135.<br />

312


3.4 FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />

wicklungen der Frauen unter bestimmten Vorzeichen zu deuten. Unter Zetkin war dieses Vor-<br />

zeichen der Sozialismus, unter der „neuen“ Redaktion eine demokratische Republik. Die<br />

Entwicklung selbst ließ jedoch viel Spielraum, der Vorbildcharakter war nicht zu eng gefasst.<br />

Die frauenbiographischen Artikel der „Gleichheit“, zumal von verschiedenen AutorInnen verfasst,<br />

weisen unterschiedlichste Strategien der Emanzipation auf. Es wurden Frauen vorgestellt, die<br />

ihren großen „Bildungshunger“ stillen wollten <strong>und</strong> sich deshalb über familiäre <strong>und</strong> gesel-<br />

lschaftliche Normen hinwegsetzten oder Frauen, die ihr Leben auf den Barrikaden riskierten, um<br />

der politischen Sache zum Sieg zu verhelfen. Doch auch indem Frauen politische Kleinarbeit<br />

leisteten oder ihren politisch engagierten Ehemännern zur Seite standen, fanden sie ein Stück<br />

Selbstverwirklichung zum Ziele der Selbstbefreiung ihrer Klasse <strong>und</strong> damit ihres Geschlechtes.<br />

Weder war das Leben dieser Frauen noch die Darstellung desselben vollkommen widerspruchs-<br />

frei, aber laut Gomard gibt es „doch bestimmte Züge, die immer entweder einzeln oder in<br />

Kombinationen wiederkehren <strong>und</strong> eine Alternative zum bürgerlichen Frauenideal darstellen“ 393 .<br />

Besonderes Moment ist, dass die vorgestellten Frauen wirklich gelebt haben <strong>und</strong> innerhalb ihrer<br />

Zeit <strong>und</strong> ihres Handelns mit einschränkenden Normen brachen, ja sogar „Utopisches vor-<br />

weg[nahmen]“ 394 , also Möglichkeiten alternativen Lebens <strong>und</strong> Handelns aufzeigten.<br />

Möglichkeiten aufzuzeigen, dabei auch nicht vollkommen wahllos zu sein, das war Ziel der<br />

„Gleichheit“ <strong>und</strong> auch 1989 noch Ziel des Autors Eugen Jacoby mit seinem „Lexikon linker Leit-<br />

figuren“. Im Vorwort fragt er nicht zu Unrecht entsprechend:<br />

„Kann […], wer frei sein will, in seinem Handeln sich an Vorbildern, Leitfiguren,<br />

orientieren?“ 395<br />

Er kommt zu dem Urteil, dass „wer […] meint, feste Maßstäbe für die Auswahl von Leitfiguren<br />

könne es geben, […] sich fragen [muss], ob er nicht doktrinären Sehnsüchten aufsitzt“ 396 . Wenn<br />

nichtsdestotrotz auch die positive Funktion von Leitbildern unterstrichen wird, so bleibt als klein-<br />

ster gemeinsamer Nenner, dass sich in den vorgestellten Biographien „zu Recht die Hoffnung auf<br />

eine bessere menschliche Gesellschaft verkörpert“ 397 . Gleiches lässt sich auch für die Leitbilder<br />

der „Gleichheit“ formulieren, mit dem besonderen Schwerpunkt auf die Belange der Frauen in<br />

dieser prospektierten besseren menschlichen Gesellschaft.<br />

393 Gomard, Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität <strong>und</strong> Utopie, S. 41.<br />

394 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 28.<br />

395 Jacoby, Lexikon linker Leitfiguren, S. 7.<br />

396 Ebd., S. 8.<br />

397 Ebd.<br />

313


4 Zusammenstellung der in der „Gleichheit“ enthaltenen Frauenbiographien,<br />

Jubiläumsartikel <strong>und</strong> Nekrologe – Interpretative Analyse<br />

ihrer Leitbildfunktionen<br />

4.1 „[…] mit warmem Herzen, klarem Geist <strong>und</strong> starkem Wollen“ 1<br />

– Der „weibliche Vollmensch“ als elementares Leitbild sozialistischer<br />

Frauenbildung<br />

4.1.1 Zum Frauenleitbild des „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“<br />

Die schwedische Pädagogin <strong>und</strong> Kämpferin für Frauenrechte Ellen Key (1849-1926) stellte in<br />

ihrem 1909 in Deutschland erschienenen Werk „Die Frauenbewegung“ die der Kunst <strong>und</strong> der<br />

Wissenschaft angelegene Entwicklung einer „vollmenschliche[n] Persönlichkeit“ 2 dar. Die Ent-<br />

wicklung dieser Persönlichkeit müsse gesellschaftsübergreifend geschehen <strong>und</strong> könne für die<br />

Frauen nicht nur als Aufgabengebiet der „Frauenbewegung“ erachtet werden 3 :<br />

„Aber nichts ist sicherer, als daß die weibliche Persönlichkeit, mag ihr innerster<br />

Wille der geistige Schaffensdrang, das erotische Glück, die mütterliche Seligkeit<br />

oder die allgemeinmenschliche Güte sein, immer mehr n e u e Ausdrucksformen<br />

annehmen wird, Ausdrucksformen, die die einst liberalen, jetzt mehr<br />

konservativen Feministinnen <strong>und</strong> die modernen sozialistischen Feministen teils<br />

nicht ahnen teils – ahnend – beklagen! Denn a l l e sozialwirkenden Bewegungen<br />

der Gegenwart – vor allem die Frauenbewegung <strong>und</strong> der Sozialismus<br />

– sind nur Wegbahnungsarbeiten für die männlichen <strong>und</strong> <strong>weiblichen</strong> Vo l l -<br />

m e n s c h e n .“ 4<br />

Key sah demnach vor allem im Sozialismus sowohl ein besonderes Potential, diese<br />

Entwicklung voranzutreiben, als auch eine Ungenügsamkeit, diese zu vollenden. Sie betonte<br />

die prinzipielle Gleichwertigkeit aller Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht <strong>und</strong> sprach<br />

sich für die „vollständige“, <strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>en, harmonische Entwicklung ihrer Fähigkeiten<br />

aus. Diese Fähigkeiten in besonderer Qualität <strong>und</strong> ungehindert ausbilden zu können, ist kein<br />

individueller Egoismus, sondern im Sinne des sozialen Ganzen. Key betonte jedoch, dass sie<br />

eine Gleichwertigkeit, jedoch keine Gleichartigkeit anstrebe:<br />

1<br />

„‘Ein Vollmensch ist nur die Frau oder der Mann, die die Kräfte, die er oder sie<br />

als Mensch besitzt, ausgebildet hat <strong>und</strong> betätigt, ohne daß die Geschlechts-<br />

“Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch”. In: GL, 08/ 02/ 19.11.1898/ 9-10, S. 10.<br />

2 Key, Die Frauenbewegung, S. 55.<br />

3 Ähnlich sah dies auch Margarete Schneider (?-?), die ihren 1926 veröffentlichten biographischen Sammelband<br />

„Deutscher Frauen Leben <strong>und</strong> Streben“ mit den Worten einleitete: „Wenn wir die jungen Mädchen mit der<br />

Frauenbewegung bekannt machen, wollen wir sie nicht zu ‘Frauenrechtlerinnen’ machen in dem Sinn mit dem<br />

unangenehmen Beigeschmack, mit dem das Wort zuweilen von den Gegnern gebraucht wird; sondern wir<br />

wollen sie erwecken, daß sie sich bewußt entwickeln sollen zu <strong>weiblichen</strong> Vollmenschen.“ (Schneider,<br />

Deutscher Frauen Leben <strong>und</strong> Streben, S. 7). Es verw<strong>und</strong>ert angesichts dieser sehr differenzierten Meinung<br />

nicht, dass in diesem Sammelband sogar Sozialistinnen wie Baader, Popp <strong>und</strong> Zetkin porträtiert wurden.<br />

4 Key, Die Frauenbewegung, S. 59.<br />

315


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

besonderheit dadurch neutralisiert wird’“ 5 .<br />

Diesen Gedanken hatte Zetkin bereits 1898 6 in plakativere Worte gefasst, indem sie einem ihrer<br />

gr<strong>und</strong>legenden Artikel den Titel „Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch” 7<br />

gab. 8 Zetkins gr<strong>und</strong>sätzliche Überzeugung war, dass<br />

„[n]ur die Frau, die ein weiblicher Vollmensch in des Wortes bester Bedeutung ist,<br />

[…] als Mutter, Gattin, Bürgerin das Höchste zu leisten [vermag]“ 9 .<br />

Der „weibliche Vollmensch“ konnte diesen Aufgaben nur gerecht werden, wenn er seinen<br />

geistigen Horizont mit gr<strong>und</strong>legenden Bildungsinhalten aus Wissenschaft, Politik, Technik, Kunst<br />

<strong>und</strong> Literatur 10 erweiterte. Dies sollte sowohl einem „allgemein proletarische[n] Bildungsideal“ 11<br />

entsprechen als auch Rücksicht auf einen spezifisch <strong>weiblichen</strong> Charakter nehmen. Angesichts<br />

dieser gr<strong>und</strong>legenden Bedeutung, die der Entwicklung der Proletarierin zu einem „<strong>weiblichen</strong><br />

Vollmenschen“ zukam, verw<strong>und</strong>ert es allerdings, dass Zetkin keine konkreten Bildungsinhalte<br />

vorgab, sondern es bei allgemeinen <strong>und</strong> sehr abstrakten Beschreibungen dieses Frauenleitbildes<br />

beließ. Bei genauerer Lektüre des Artikels wird sogar erkennbar, dass sie vorrangig versuchte,<br />

vermeintlich bürgerliche Frauenleitbilder zu negieren. Zetkin warf der bürgerlichen Frauen-<br />

bewegung vor, dass sie einseitig<br />

„das Menschentum der Frau hervorhob, ihr Geschlecht dagegen quasi ableugnete<br />

<strong>und</strong> keine Rücksicht auf die Sondernatur <strong>und</strong> die Sonderaufgaben des Weibes<br />

anerkannte“ 12 .<br />

Die Gegenreaktion der patriarchalen Gesellschaft darauf sei die Reduzierung der Frau auf ein<br />

gefühlsbetontes „Nur-Geschlechtswesen“ gewesen. Zetkin machte der bürgerlichen – vornehmlich<br />

wohl radikalen – Frauenbewegung den Vorwurf, als Ausgangspunkt ihrer Beweisführungen <strong>und</strong><br />

Forderungen<br />

5 Ebd., S. 120.<br />

„[e]in groteskes, erlogenes Geschöpf, die Frau als abstrakte[n], ungeschlecht-<br />

6 Bereits 1896 hatte Zetkin in Gotha ein Ideal des „proletarischen Vollmenschen“ postuliert <strong>und</strong> seine Verwirklichung<br />

nicht erst im Sozialismus gesehen: „Wir aber wollen, daß in der St<strong>und</strong>e, wo am Ende der<br />

kapitalistischen Entwickelung die bürgerliche Gesellschaft in sich selbst zusammenbricht, der Proletarier nicht<br />

dasteht, wie der Sklave, der die Kette bricht, sondern als eine körperlich, geistig <strong>und</strong> sittlich vollkommene Persönlichkeit.“<br />

(Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 173).<br />

7<br />

“Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch”. In: GL, 08/ 02/ 19.11.1898/ 9-10.<br />

8 Es ist nicht mehr nachvollziehbar, ob sich Zetkin mit diesem Artikel konkret auf Key bezog. Dass sie sich mit<br />

Keys Werken beschäftigt hatte, geht später aus ihrer Schrift „Der Student <strong>und</strong> das Weib“ klar hervor (vgl. Zetkin,<br />

Der Student <strong>und</strong> das Weib, S. 17). Dafür, dass Zetkin die Arbeiten Keys sehr schätzte, spricht außerdem, dass im<br />

April 1914 die „Gleichheit“ einen Zeitungsartikel Keys zum politischen Frauenwahlrecht sehr positiv hervorhob<br />

(vgl. Ellen Key über das politische Frauenwahlrecht … In: GL, 24/ 15/ 15.04.1914/ 240).<br />

9<br />

„Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch”. In: GL, 08/ 02/ 19.11.1898/ 9.<br />

10 Vgl. Lerch, Kulturelle Sozialisation von Arbeitern im Kaiserreich. S. 254.<br />

11 Friese, Bildungskonzepte der Arbeiterinnenbewegung, S. 239.<br />

12 „Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch”. In: GL, 08/ 02/ 19.11.1898/ 9.<br />

316


4.1.1 ZUM FRAUENLEITBILD DES „WEIBLICHEN VOLLMENSCHEN“<br />

liche[n] Nur-Mensch[en], losgelöst von allen Bedingungen <strong>und</strong> Aufgaben ihres<br />

Geschlechts“ 13<br />

geschaffen zu haben – eine Frau, die das Männliche als Maßstab nimmt – ein sogenanntes „Mann-<br />

weib 14 . Wenn Zetkin schrieb, dass der Wert einer <strong>weiblichen</strong> Persönlichkeit für die Allgemeinheit<br />

sich<br />

„nicht blos nach der Zahl der von ihr geschriebenen guten <strong>und</strong> schlechten Romane<br />

oder Abhandlungen, nach den Noten der bestandenen Examina, der eifrigen<br />

Antheilnahme am öffentlichen Leben“ 15<br />

bemesse, dann wurde der bildungsbürgerliche Adressat ihrer Schmähung besonders deutlich.<br />

Aber auch das andere Extrem, die „Haussklavin“ oder „Nichts-als-Hausfrau“, wurde von Zetkin<br />

als Ideal zurückgewiesen. Denn der Wert einer Frau für ihre Familie könne nicht lediglich „nach<br />

dem geräuschlosen <strong>und</strong> gleichmäßigen Gang des häuslichen Räderwerks, der Güte des<br />

eigenhändig bereiteten Mahles, der Beschränkung des Empfindens, Denkens <strong>und</strong> Handelns auf<br />

den engen Bannkreis des Hauses“ 16 abgeschätzt werden.<br />

Kurzum könne „[w]eder die Nichts-als-Hausfrau, noch das Mannweib […] das Ideal der Frau<br />

sein“ 17 . Vielmehr hätten sich die proletarischen Frauen harmonisch nach beiden Seiten – Weib <strong>und</strong><br />

Mensch – zu entfalten. Diese Vorstellung harmonischer Selbstentfaltung schloss demnach<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich die Zuständigkeit der Frau für Haus <strong>und</strong> Familie nicht aus, reduzierte sie aber auch<br />

nicht auf diese Rolle. Indem sie beiden Seiten gerecht werde, solle die Frau als „Sandkörnchen<br />

zum vollendeten Aufbau des gesellschaftlichen Lebens“ 18 beitragen <strong>und</strong> das „Menschliche“, das<br />

hier doch wohl eher dem männlichen Maßstab entspricht 19 , „tödte[…] nicht das Weibliche,<br />

sondern dräng[e] nur das Weibische zurück“ 20 [Hervorhebungen von M.S.].<br />

Ein Jahr nach Erscheinen dieses programmatischen Artikels in der „Gleichheit“ veröffentlichte<br />

Zetkin die Broschüre „Der Student <strong>und</strong> das Weib“, die sich deutlich an dem Artikel anlehnte.<br />

13 Ebd.<br />

14 Unter einem „Mannweib“ verstand Zetkin eine Frau, die männliches Verhalten kopierte, die „zum Affen des Mannes<br />

w[u]rde, ihm abguckt[e], ‘wie er sich räuspert, <strong>und</strong> wie er spuckt’“ (Zetkin, Der Student <strong>und</strong> das Weib, S. 18).<br />

15 „Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch”. In: GL, 08/ 02/ 19.11.1898/ 9.<br />

16 Ebd.<br />

17 Ebd., S. 10.<br />

18 Ebd.<br />

19 Zwar war auch Gomard der Meinung, dass Zetkin genau wie Bebel ihre Formulierungen sehr abstrakt abfasste,<br />

aber nicht bei ihr, sondern bei Bebel sei der Mann Maßstab gewesen (vgl. Gomard, Propaganda der „Gleichheit“<br />

zwischen Realität <strong>und</strong> Utopie, S. 43). Nach Puschnerats Ansicht dagegen war der Maßstab des Zetkin‘schen<br />

Erziehungsziels immer der SPD- bzw. KPD-Mann (vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus,<br />

S. 135). Überhaupt sei es Zetkins Überzeugung gewesen, dass die proletarische Frau gegenüber dem<br />

proletarischen Mann von Natur aus immer ein Mängelwesen sei (ebd., S. 139).<br />

20 „Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch”. In: GL, 08/ 02/ 19.11.1898/ 10.<br />

317


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Zetkin versuchte sich darin auch verstärkt an sozialpsychologischen Deutungen. Die Frau sei<br />

später als der Mann zum Bewusstsein ihrer Persönlichkeit „erwacht“ 21 <strong>und</strong> habe sich bisher „in<br />

erster Linie nur als Mitglied einer Gemeinschaft [z. B. Familie; M.S.] fühlen“ 22 können, aber<br />

„nicht als Persönlichkeit“ 23 . So habe sie sich „[i]n schweren Konflikten des Geistes, des Herzens,<br />

der Pflichten [ge]fragt […]: Wer bin ich? Was vermag ich? Was soll ich?“ 24 Aus dieser Sicht stellte<br />

die moderne Frauenbewegung – nach ihrer ethisch-psychologischen Seite hin – für Zetkin den<br />

„Ausdruck für das Ringen der Frau nach der Entfaltung <strong>und</strong> dem Ausleben der Persönlichkeit“ 25<br />

dar. Wie sie es aber bereits in ihrem Artikel erläutert hatte, entwickelte die Frauenbewegung,<br />

indem sie dem Ideal des „Nur-Weibes“ das Ideal des „Nur-Menschen“ entgegenstellte, gar nur<br />

Karikaturen:<br />

„In vielen frauenrechtlerischen Erzeugnissen spukt als verherrlichter Typus der<br />

‘neuen Frau’ ein groteskes, geschlechtsloses Geschöpf, eine auf zwei Beine gestellte<br />

unwahre Abstraktion ungeschlechtlicher Menschlichkeit, die ‘neue Eva’, die<br />

alles Weibliche als menschlich minderwertig <strong>und</strong> unwert verachtet, alle <strong>weiblichen</strong><br />

Sonderaufgaben als erniedrigend zurückweist <strong>und</strong> einzig nach einem Ausleben als<br />

Nur-Mensch strebt.“ 26<br />

Mangels weiblicher Vollmenschen im realen Leben hatte Zetkin hinsichtlich geeigneter Vorbilder<br />

sogar die Literatur untersucht, war aber nicht fündig geworden. Dem Typus dieser „neuen Frau“<br />

am nächsten kamen ihrer Meinung nach nur die Frauendarstellungen in der russischen Literatur. 27<br />

Der „weibliche Vollmensch“ stellt wie kein anderes hier noch zu analysierendes Frauenleitbild die<br />

Synthese einer Vielzahl verschiedener Persönlichkeitsideale dar. Wie Zetkin bereits in ihrem<br />

Artikel postulierte, seien pflichtbewusste Mütter, Gattinnen <strong>und</strong> Bürgerinnen die Ergebnisse eines<br />

solchen Vollmenschentums. Sie beschrieb die Zusammenhänge <strong>und</strong> die der Gesellschaft erwachs-<br />

enden Vorteile, wenn aus diesen Frauen weibliche Vollmenschen würden:<br />

„Als Mensch wird sicherlich im allgemeinen mit voller, reifer Kraft, die Frau<br />

geben, die Liebesglück genossen hat, das Beste ihres Seins <strong>und</strong> Strebens, des Seins<br />

<strong>und</strong> Strebens eines geliebten Gatten in ges<strong>und</strong>en Kindern heranwachsen <strong>und</strong> über<br />

sich selbst hunauswachsen[sic] sieht. Als Weib wird die Frau das Höchste leisten,<br />

21 Vgl. Zetkin, Der Student <strong>und</strong> das Weib, S. 17.<br />

22 Ebd.<br />

23 Ebd.<br />

24 Ebd.<br />

25 Ebd. Dennoch kommt Freier für die von Zetkin entwickelte <strong>und</strong> auf ähnlichen Argumenten gestützte „sozialistische<br />

Frauenemanzipationstheorie“ zu dem Ergebnis, sie entbehre den Gedanken der individuellen Emanzipation<br />

der Frau, womit Freier die Emanzipation der Frau als „selbständige Persönlichkeit“ meint (Freier, Dimensionen<br />

<strong>weiblichen</strong> Erlebens <strong>und</strong> Handelns, S. 155).<br />

26 Zetkin, Der Student <strong>und</strong> das Weib, S. 17.<br />

27 Ebd., S. 18.<br />

318


4.1.1 ZUM FRAUENLEITBILD DES „WEIBLICHEN VOLLMENSCHEN“<br />

die als voll erblühter Mensch auch im Leben außerhalb des Hauses daheim ist,<br />

kraftvoll entfaltetes Menschentum ihren Kindern als kostbarstes Erbteil zubringt,<br />

Familienkreise als belebende, vorwärts drängende Macht betätigt.“ 28<br />

Der „weibliche Vollmensch“ zeichnet sich u. a. darin aus, dass er eine vorbildliche Gattin <strong>und</strong><br />

Mutter ist <strong>und</strong> umgekehrt zeichnen sich vorbildliche Gattinnen <strong>und</strong> Mütter darin aus, dass sie das<br />

Vollmenschentum anstreben.<br />

Größtes Problem für diese Entwicklung <strong>und</strong> das Ausleben der Persönlichkeit eines <strong>weiblichen</strong><br />

Vollmenschen waren die gegebenen sozialen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Gesellschaftsverhältnisse. Noch<br />

waren diese weit davon entfernt, ideale Vorbedingungen dieser ersehnten Entwicklungen zu sein.<br />

Und doch mussten noch innerhalb der gegebenen Schranken der kapitalistischen Gesellschaft der<br />

Verwahrlosung des Proletariats entgegengearbeitet werden. Auch wenn Parteiführung <strong>und</strong> Partei-<br />

literatur dem Proletariat eine höhere Moral <strong>und</strong> Sittlichkeit, eine historische Mission gegen die<br />

Dekadenz der Bourgeoisie zuschrieb, konnten sie ihre Augen nicht vor der „Sklaverei, Unwissen-<br />

heit, Brutalisierung <strong>und</strong> moralische[n] Degradation auf seiten der Arbeiterklasse“ 29 verschließen.<br />

Die proletarische Frauenbewegung umso weniger, da<br />

„die Sklaverei, die Unwissenheit <strong>und</strong> die moralische Degradation, zu der die<br />

Frauen vom Kapital verdammt w[u]rden, […] geradezu ungeheuerlich <strong>und</strong> weit,<br />

weit furchtbarer noch als im Falle der männlichen Arbeiter“ 30<br />

war. Die Bildung der Proletarierinnen war demnach ein besonders dringliches Problem. Dies zu<br />

lösen, war jedoch umso schwieriger, da ihre alltäglichen Pflichten neben der Arbeit im Haushalt,<br />

auch die Versorgung <strong>und</strong> Erziehung der Kinder umfassten. Nicht selten wurde darüber hinaus eine<br />

zusätzliche Erwerbstätigkeit notwendig, um das Familienauskommen zu sichern. Um diese<br />

Doppel- <strong>und</strong> Dreifachbelastung in ihrem Umfang richtig einschätzen zu können, muss man sich<br />

immer wieder vor Augen führen, dass der Hausfrau des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts wenig „Haushalts-<br />

technik“ zur Verfügung stand <strong>und</strong> Kinderbetreuung nicht dem Rollenbild des Familienvaters<br />

entsprach. Und so war es die proletarische Frau, die noch weit mehr als der Mann unter dem<br />

gr<strong>und</strong>sätzlichsten aller Probleme litt: Dem Mangel an Zeit.<br />

Ohne die notwendige Zeit blieb es dem gesamten Proletariat unmöglich, den „Geist zu bilden <strong>und</strong><br />

teilzunehmen an allem, was Natur, Wissenschaft <strong>und</strong> Kunst Schönes <strong>und</strong> Großes bieten“ 31 , sich<br />

also zur erwähnten „vollkommenen Persönlichkeit“ zu entwickeln. Zentrale Forderung von SPD<br />

<strong>und</strong> „Gleichheit“ musste deshalb die Arbeitszeitverkürzung, musste der „Achtst<strong>und</strong>entag“ sein:<br />

28 Ebd.<br />

29 Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin in Deutschland, S. 170.<br />

30 Ebd., S. 170-171.<br />

31 Baader, Ottilie: Acht St<strong>und</strong>en! In: GL, 16/ 09/ 02.05.1906/ 58. Die jährlichen Aufrufe zum 1. Mai ähneln sich<br />

inhaltlich sehr stark <strong>und</strong> wurden ebenfalls des Öfteren von Baader verfasst.<br />

319


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

„Gebt uns Zeit, uns zu bilden! Gebt uns Zeit, unseren Kindern zu leben! Gebt uns<br />

Zeit, mit zu genießen, was Natur <strong>und</strong> Kunst Herrliches bieten!“ 32<br />

Wie enttäuschend jedoch für die Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung, wenn die<br />

Proletarierinnen anstatt die gewonnene Freizeit für Selbstbildung <strong>und</strong> der Erziehung ihrer Kinder<br />

zu nutzen, diese mit der Lektüre von sogenannter „Sch<strong>und</strong>literatur“ vergeudeten. Sie müssen es<br />

ähnlich schmerzhaft wie der Parteiführer Wilhelm Liebknecht empf<strong>und</strong>en haben, „daß die<br />

Fähigkeit, lesen <strong>und</strong> schreiben zu können, noch lange nicht gleichbedeutend mit Bildung ist“ 33 .<br />

Der Konflikt um die Doppelbelastung wurde von Zetkin nicht ignoriert. Jedoch sah sie den der<br />

proletarischen Frau durch die kapitalistische Gesellschaftsordnung aufgezwungenen „Konflikt<br />

zwischen Berufspflichten <strong>und</strong> Familienpflichten [als] unvermeidlich“ 34 an. „[S]tarke Frauen-<br />

individualitäten“ 35 , die beidem gerecht werden könnten, seien die Ausnahme <strong>und</strong> bezahlten dies<br />

meist mit „einer vorzeitigen Hinopferung ihrer Kraft“ 36 .<br />

Die Erwerbstätigkeit der Frau – idealerweise nicht nur als reiner Broterwerb, sondern auch als<br />

Berufung – sollte sie nicht zu einer „Nichts-als-Berufsarbeiterin“ 37 machen, sondern der Frau die<br />

„Welt erschließen“. Die Tätigkeit für die Familie, sollte sie nicht zur „Nichts-als-Hausfrau“<br />

machen, sondern ebenfalls die Möglichkeiten bieten, sich auszuleben. 38 Ein ausgeglichener <strong>und</strong><br />

ausgleichender Aufgabenbereich der Frau würde, so die Meinung Zetkins, auch dem Mann den<br />

notwendigen Freiraum bieten, „als Mitarbeitender beim Ausbau des Heims <strong>und</strong> der Erziehung der<br />

Kinder neben der Frau zuwirken[sic]“ 39 . Zetkin gestand sowohl ein, dass unter den gegebenen<br />

Umständen „ein harmonisches Ausleben als Vollmensch [für die] Mehrzahl der Frauen zur Un-<br />

möglichkeit“ 40 wurde, als auch, dass es selbst noch in der sozialistischen Gesellschaft ein „heißes<br />

Ringen <strong>und</strong> Kämpfen der Frau um Klarheit über die Grenze ihrer Betätigung in Heim <strong>und</strong> Welt“ 41<br />

geben müsse. Vor allem aber galt es jetzt der Frau die Entwicklungs- <strong>und</strong> Bewegungsfreiheit zu<br />

32 Wulff, Frida: Nur Zeit! In: GL, 18/ 09/ 27.04.1908/ 82.<br />

33 Liebknecht, Wilhelm: Wissen ist Macht – Macht ist Wissen; Festrede, gehalten zum Stiftungsfest des Dresdener<br />

Arbeiterbildungsvereins am 5. Februar 1872. Zit. nach: Feidel-Mertz, Zur Geschichte der Arbeiterbildung, S. 61.<br />

34 Zetkin, Der Student <strong>und</strong> das Weib, S. 22.<br />

35 Ebd.<br />

36 Ebd.<br />

37 Ebd.<br />

38 Ebd.<br />

39 Zetkin, Der Student <strong>und</strong> das Weib, S. 24. Beispiel für einen männlichen Vollmenschen war laut der Charakterisierung<br />

H. Schröters (?-?) der SPD-Politiker <strong>und</strong> „Gleichheit“-Autor Wilhelm Blos. Anlässlich seines 70. Geburtstages<br />

würdigte Schröter ihn als „Vollmenschen“, dessen „reiche[s], unermüdliche[s] Schaffen“ (Schröter, H.:<br />

Wilhelm Blos. In: GL, 29/ 33/ 04.10.1919/ 259-260, 260) jedoch gleichermaßen als ein Verdienst seiner Ehefrau<br />

Anna anzusehen sei.<br />

40 Zetkin, Der Student <strong>und</strong> das Weib, S. 22.<br />

41 Ebd., S. 25.<br />

320


4.1.1 ZUM FRAUENLEITBILD DES „WEIBLICHEN VOLLMENSCHEN“<br />

geben, die sie für ihr Vollmenschtum brauchte. Soziale Schranken galt es „zu schleifen“ 42 , denn<br />

für Zetkin stand fest: „Jede ernste Frauenbewegung, muß […] soziale Kampfesbewegung sein.“ 43<br />

Für die proletarischen Frauen konnte dies nur bedeuten, gemeinsam mit den Männern ihrer Klasse<br />

die Umwälzung der Gesellschaft anzustreben – ähnlich einer idealen proletarischen Ehe als<br />

„Lebens- <strong>und</strong> Strebensgemeinschaft“ 44 . Nach Zetkins Meinung konnte davon ausgegangen<br />

werden, dass „[s]oweit die Arbeiterwelt klassenbewußt, geschichtlich denkt“ 45 , sie die Frau nicht<br />

als Konkurrentin, sondern als „gleichwertige, gleichberechtigte Mitarbeiterin <strong>und</strong> Mitkämpferin<br />

auf allen Gebieten des sozialen Lebens“ 46 begrüße. Anders dagegen die Studenten <strong>und</strong><br />

Akademiker, die „die bildungssehnsüchtige, nach tieferem, reicherem Lebensinhalt verlangende<br />

Frau“ 47 ausschließen würden <strong>und</strong> „sie als Verschrobene, wohl gar als moralisch Schiffbrüchige, als<br />

Pflichtvergessene“ 48 verachteten <strong>und</strong> verspotteten. Die vermeintlich studierten Männer konnten in<br />

der Entwicklung der Frau zum Vollmenschen keinen kulturellen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Gewinn<br />

erkennen. Viel eher betonten sie das Fehlen historischer Belege für die These, dass Frauen zu den<br />

gewünschten Leistungen fähig sind. Zetkin zeigte die Kurzsichtigkeit dieses auch heute stets aufs<br />

Neue vorgebrachten Arguments auf:<br />

„Wie aber steht es mit der Kraft des ‘geschichtlichen Beweises’, daß das weibliche<br />

Geschlecht bis jetzt auf künstlerischem <strong>und</strong> wissenschaftlichem Gebiete nicht<br />

bahnbrechende Leistungen aufzeigen kann? Wer im Glashause sitzt, sollte nicht<br />

mit Steinen werfen! Wie winzig ist nicht die Zahl der Männer, die im Reiche der<br />

Wissenschaft <strong>und</strong> Kunst Pfadfinder, Bahnbrecher, Präger neuer Werte gewesen<br />

sind! H<strong>und</strong>erttausende, denen alle Kultur ihrer Zeit zugänglich war, sind nichts als<br />

Kärrner geblieben, die zu tun hatten, wo die Könige bauten. […] Die wenigsten der<br />

vielen Tausenden von jungen Männern, die alljährlich Universitäten, Kunstschulen<br />

etc. verlassen, bereichern durch ihr Wirken Kunst <strong>und</strong> Wissenschaft <strong>und</strong> dürfen<br />

dafür historische Bedeutung beanspruchen.“ 49<br />

Wenn die Männerwelt von den ihnen zugestandenen Rechten nur den minimalsten Gebrauch<br />

machte, wie konnte man dann den Frauen, denen diese Rechte verweigert wurden, aus ihrer<br />

mangelnden Präsenz unter den vermeintlich Großen der Geschichte einen Vorwurf konstruieren. 50<br />

42 Ebd., S. 18.<br />

43 Ebd.<br />

44 Ebd., S. 27.<br />

45 Ebd., S. 19.<br />

46 Ebd.<br />

47 Ebd.<br />

48 Ebd.<br />

49 Ebd., S. 20.<br />

50 <strong>Von</strong> Zetkin unberücksichtigt blieb das Argument, dass die historische Forschung <strong>und</strong> ihre Erkenntnisse sowohl<br />

von einer bürgerlichen als auch von einer männlichen Perspektive dominiert wurden. Es sind nicht die Frauen, die<br />

keine Geschichte machen, es sind die Männer, die deren Anteil daran kaum dokumentieren.<br />

321


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Zetkin verwies des Weiteren vor allem auf das noch unterdrückte Potential der proletarischen<br />

Frauen, wenn sie schrieb:<br />

„Ein historischer Schluß auf die geistige Befähigung der Frau kann erst gezogen<br />

werden, wenn unbeschränkte Bildungsmöglichkeiten für die Gesamtheit des<br />

<strong>weiblichen</strong> Geschlechts <strong>und</strong> nicht bloß für ‘höhere Töchter’ vorhanden ist; wenn in<br />

der Frauenwelt jede Begabung sich frei zu entfalten vermag <strong>und</strong> zwar entsprechend<br />

der <strong>weiblichen</strong> Eigenart <strong>und</strong> nicht als Abklatsch männlicher Art <strong>und</strong> Unart.“ 51<br />

„Der Student <strong>und</strong> das Weib“ war kein feministisches Plädoyer, sondern eine sozialistische<br />

Streitschrift. Zetkin hatte Verständnis für die Belange der bürgerlichen Frauen, sah aber deren<br />

Interessen nicht als kongruent an mit denen der Proletarierinnen. Ohne Frage hatte Zetkin aber<br />

bereits eine besondere Entwicklung durchlaufen. Sie näherte sich in ihrer Diskussion um den<br />

<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen der Position der bürgerliche Frauenbewegung wenigstens insoweit an,<br />

dass die Geschlechtsunterschiede nicht geleugnet werden könnten <strong>und</strong> dürften <strong>und</strong> dass es darum<br />

gehen müsse, „spezifisch weibliche Fähigkeiten im Interesse der Frau <strong>und</strong> der Gesellschaft“ 52 zu<br />

nutzen. Es waren aber dennoch sozialistische Interessen, die sie an den auch von der bürgerlichen<br />

Frauenbewegung benutzten Begriff des Vollmenschentums geknüpft sah:<br />

„Vollmenschentum für alle ist das Allerheiligste, das das kämpfende Proletariat in<br />

seinen politischen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Schlachten in einfacher B<strong>und</strong>eslade mit<br />

sich führt, <strong>und</strong> dem es erst nach den 40 Jahren seines Marsches durch die Wüste<br />

des Kapitalismus in der sozialistischen Gesellschaft einen würdigen Tempel zu<br />

erbauen vermag.“ 53<br />

Das Proletariat war für Zetkin in Anlehnung an die Bibel auserwählt für eine historische kulturelle<br />

Mission. Es war die einzige quasi „kulturbewahrende“ Klasse, deren Mission sich gegen die<br />

kulturhemmende, „kunstfeindliche, ja kunstmörderische“ 54 Wirkung der proletarischen Lebens-<br />

bedingungen richtete. Es ging eben nicht nur um die Befriedigung materieller Bedürfnisse,<br />

sondern auch um die Entfaltung zum „Vollmenschen“:<br />

51 Ebd.<br />

„Sie irren, die im proletarischen Klassenkampf nur das Begehren nach Füllung des<br />

Magens sehen. Dieses weltgeschichtliche Ringen geht um das ganze Kulturerbe<br />

der Menschheit, es geht um die Möglichkeit der Entfaltung <strong>und</strong> Betätigung vollen<br />

Menschentums für alle.“ 55<br />

52 Hoeppel, Clara Zetkin: Erziehung zwischen Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialismus, S. 84.<br />

53 Zetkin, Der Student <strong>und</strong> das Weib, S. 29.<br />

54 Zetkin, Klara: Kunst <strong>und</strong> Proletariat. In: GL, 21 (1911)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 07/ 25.<br />

55 Ebd. Die bürgerliche Klasse fürchtete, so Lerch, im Proletariat schlummernde kulturzerstörerische Kräfte: „Eine<br />

politische Rebellion dieser unreifen Masse, so befürchtete man, würde die Kultur aus Unkenntnis zerstören.<br />

Darum sei es notwendig, die Arbeiter frühzeitig an Bildung <strong>und</strong> Kultur teilhaben zu lassen.“ (Lerch, Kulturelle<br />

Sozialisation von Arbeitern im Kaiserreich, S. 259). Aus diesem zerstörerischen Potential hatte der Sozialismus<br />

nie einen Hehl gemacht, wollte man doch den bürgerlichen Staat nicht umwandeln, sondern vernichten. Die<br />

bürgerlichen Pädagogen, die Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts Arbeitervereine gründeten, taten dies wohl auch, um<br />

bürgerliches Kulturgut vor einer Zerstörung zu bewahren, indem sie es den Proletariern näher brachten.<br />

322


4.1.1 ZUM FRAUENLEITBILD DES „WEIBLICHEN VOLLMENSCHEN“<br />

Es drückt sich hier schließlich der schwerwiegende <strong>und</strong> in modernen Forschungsarbeiten oft<br />

kritisierte Gegensatz von Anspruch <strong>und</strong> Realität sozialistischer Agitation aus.<br />

Der proletarischen Frau sollte besonders am Beispiel historischer Leitfiguren die Bedeutung der<br />

Frau für die Entwicklung menschlicher Kultur vermittelt werden <strong>und</strong> damit zugleich ein eigenes<br />

geschlechtsspezifisches Geschichtsbewusstsein. Welche in der „Gleichheit“ porträtierten histo-<br />

rischen Persönlichkeiten können aber nun im Sinne des Zetkin‘schen Artikels zu den Vorbildern<br />

für einen „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ gezählt werden? Abhängig von Duktus <strong>und</strong> inhaltlichen<br />

Schwerpunkten der biographischen Artikel wurde im Rahmen dieser Arbeit eine Gliederung<br />

vorgenommen. In den Biographien einiger Persönlichkeiten tritt eines der im „<strong>weiblichen</strong> Voll-<br />

menschen“ enthaltenen Leitbilder so stark hervor, dass sie einem der weiteren Kapitel zugeordnet<br />

wurden. In den folgenden Rekonstruktionen der „Gleichheit“-Artikel handelt es sich um Frauen,<br />

die den Proletarierinnen des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts Leitbilder sein konnten, trotzdem sie nicht über ein<br />

ausgeprägtes Klassenbewusstsein verfügten oder aufopfernde Gattinnen <strong>und</strong> Mütter waren. Was<br />

sie alle jedoch auszeichnete, war ein warmes Herz, ein klarer Geist <strong>und</strong> ein starkes Wollen.<br />

Die Reihenfolge der folgenden biographischen Skizzen orientierte sich an der chronologischen<br />

Reihenfolge der jeweiligen Lebensdaten. Die Rekonstruktionen stützen sich in Schwerpunkt-<br />

setzung <strong>und</strong> Inhalt auf die im „Gleichheit“-Hauptblatt erschienenen Artikel <strong>und</strong> enthalten nur<br />

vereinzelt ergänzende Hintergr<strong>und</strong>informationen.<br />

323


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

4.1.2 Gelehrte <strong>und</strong> kulturschaffende Frauen<br />

Biographische Skizzen zu Frauen der Antike, des Mittelalters oder der Frühen Neuzeit sind in der<br />

„Gleichheit“ selten. Ob diese Lücke dem Stand der zeitgenössischen Geschichtsforschung oder<br />

dem Mangel an geeigneten Leitfiguren in diesen Epochen zuzuschreiben ist, kann nicht endgültig<br />

beurteilt werden.<br />

Als eine frühe „Vorkämpferin der Frauenbewegung“ 56 wurde den „Gleichheit“-Leserinnen in einer<br />

kurzen Notiz u. a. Christine de Pisan (um 1364-um 1430) vorgestellt. Sie erfahren dort, dass<br />

Pisan früh heiratete <strong>und</strong> Mutter mehrerer Kinder war. Nach dem Tod ihres Ehemannes sei es ihr<br />

allein dank einer umfassenden Bildung möglich gewesen, sich <strong>und</strong> ihre Kinder mit ihrer Tätigkeit<br />

als Schriftstellerin zu ernähren. Darüber hinaus setzte sich Pisan in ihrem Hauptwerk „Die Stadt<br />

<strong>und</strong> die Frauen“ (1404/05) für die gleiche Bildung von Mädchen <strong>und</strong> Jungen ein. Sie war dem-<br />

nach eine vorbildliche Persönlichkeit, weil sie ihr Wissen einsetzte, um auch für ihre Geschlechts-<br />

genossinnen eine adäquate Bildung einzufordern.<br />

Eine der wenigen in der „Gleichheit“ enthaltenen Biographien von Frauen der Frühen Neuzeit<br />

stellt die schottische Königin Maria Stuart (1542-1587) vor. Sie ist die einzige Königin, die im<br />

Hauptblatt der „Gleichheit“ porträtiert wurde. Es wird nun herauszustellen sein, welche Charak-<br />

tereigenschaften einer Königin der „Gleichheit“ für Arbeiterinnen als erstrebenswert galten.<br />

Wittich zog für seinen Artikel eine „‘auf dem Boden der neuesten Forschung stehende,<br />

vollkommen objektive, dabei populäre Biographie Mariens’“ 57 heran. In dieser wird die Tochter<br />

König Jakobs V. von Schottland <strong>und</strong> Enkelin Heinrichs VII. als die einzig rechtmäßige Anwärterin<br />

auf den englischen Thron erachtet. Aus reiner „Staatsklugheit“ 58 habe ihre Rivalin <strong>und</strong> Cousine,<br />

Königin Elisabeth I. (1533-1603), Stuart köpfen lassen. Eine Beurteilung <strong>und</strong> Vorwegnahme der<br />

Ereignisse, die bereits eine erste moralische Bewertung der Protagonistinnen impliziert. Es sei<br />

eine „protestantische ‘Geschichtsklitterung’“ 59 , so Wittich weiter, die Stuart bisher als „verlorenes,<br />

verbuhltes Weib“ 60 dargestellt habe. Nach dieser Geschichtsverfälschung sei Stuart am Mord ihres<br />

zweiten Gatten Henry Stuart Darnley beteiligt gewesen <strong>und</strong> habe dann dessen Mörder James<br />

56 Vgl. Eine Vorkämpferin der Frauenbewegung … In: GL, 08/ 03/ 02.02.1898/ 24.<br />

57 Wittich, Manfred: Maria Stuart. Eine historische Skizze. In: GL, 05/ 07/ 03.04.1895/ 52. Diese Biographie wurde<br />

1890 von dem norwegischen Historiker Gustav Storm veröffentlicht.<br />

58 Ebd.<br />

59 Ebd.<br />

60 Ebd. Schiller habe die Rollen in seinem Stück umgedreht <strong>und</strong> sei dafür „von lutherischen Eiferern als geheimer<br />

Katholik denunzirt“ (ebd.) worden. Storm zeichnete auf Basis zeitgenössischer Quellen ein ähnliches Bild von<br />

Stuart wie Schiller es tat, ging aber weniger streng mit Elisabeth ins Gericht.<br />

324


4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN<br />

Hepburn Bothwell geheiratet. In dieser Beurteilung sei sie eine Verschwörerin gewesen, die mit<br />

den katholischen Mächten paktierend der „jungfräulichen“ Elisabeth nach dem Leben getrachtet<br />

habe <strong>und</strong> somit rechtens geköpft worden sei. 61 Diese konfessionell motivierte Geschichtsversion<br />

unterschlage jedoch die Intrigen des schottischen Adels <strong>und</strong> dessen tatsächliche Beweggründe für<br />

den Übertritt zum Protestantismus. Wittich ist der Auffassung, dass nicht Stuart, sondern der in-<br />

trigante illoyale schottische Adel eine Art „Kollektivmörder“ 62 gewesen sei. Stets habe noch jeder<br />

Adel, dessen Interessen durch einen König gefährdet waren, „rebellirt, frondirt[…] [<strong>und</strong>]<br />

opponirt“ 63 . So sei es nicht verw<strong>und</strong>erlich, dass von den 107 Vorgängern Maria Stuarts auf dem<br />

schottischen Thron 56 eines gewaltsamen, teils heimtückischen Todes starben – Morde, die vom<br />

Adel initiiert gewesen seien.<br />

Wittich beschäftigte sich lange mit der Beschreibung der politischen <strong>und</strong> religiösen Situation im<br />

Schottland des 16. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>und</strong> des Verhältnisses von Katholiken <strong>und</strong> Protestanten. Ein<br />

besonderes Augenmerk richtete er dabei auf die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zur<br />

Echtheit der Beweise, die zu Stuarts Verurteilung geführt hatten. Das Niveau, auf dem er dies tut,<br />

ist m. E. für die durchschnittliche „Gleichheit“-Leserin viel zu hoch. Im Zusammenhang mit dem<br />

Frauenleitbild des „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ wird nun zu untersuchen sein, ob es sich mit seinen<br />

Beschreibungen zum Charakter Stuarts anders verhält.<br />

Die 1558 mit dem französischen Kronprinzen Franz II. vermählte Stuart, sei eine „kindlich-<br />

gläubige, begeistert fromme Katholikin“ 64 gewesen. Als Zwölfjährige habe sie „im besten<br />

ciceronischen Latein“ 65 eine Rede zum Thema „Die Begabung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts für<br />

Wissenschaft <strong>und</strong> Kunst“ verfasst. Nach Wittichs Meinung war Stuart selbst ein „lebender Beweis<br />

für diese These“ 66 . Ihre Begabung für Sprachen umfasste neben Latein auch Schottisch, Englisch,<br />

Französisch <strong>und</strong> Italienisch. Als Regentin sei sie „gerecht <strong>und</strong> billig“ 67 gewesen, „leicht geneigt,<br />

erfahrene Unbill zu verzeihen“ 68 , <strong>und</strong> anderen Religionen gegenüber sehr tolerant. Auch ihr<br />

Äußeres blieb nicht unerwähnt, denn ihre Schönheit sei „allgemein unbestritten […] <strong>und</strong> bekannt“<br />

69 . Ihr Vetter Darnley, den sie nach dem Tode Franz II. 1560 heiratete, sei dagegen ein „Toffel <strong>und</strong><br />

61 Ebd.<br />

62 Ebd.<br />

63 Ebd., S. 53.<br />

64 Ebd., S. 54.<br />

65 Ebd.<br />

66 Ebd.<br />

67 Ebd.<br />

68 Ebd.<br />

69 Ebd.<br />

325


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Egoist[…] in Folio“ 70 gewesen.<br />

Stuarts von ihren Feinden vorgeworfenes „Haupt- <strong>und</strong> wohl einzige[s] Verbrechen“ 71 war, so<br />

Wittich, „ihr Glaubensbekenntniß <strong>und</strong> ihr persönlicher Eifer für ihre Religion“ 72 . Diese Aussage<br />

dürfte die Empathie all jener bekennenden Sozialistinnen gef<strong>und</strong>en haben, die selbst einmal ihres<br />

politischen Bekenntnisses wegen verfolgt wurden, <strong>und</strong> sie ist auch bemerkenswert hinsichtlich der<br />

propagandistischen Analogie von Sozialismus <strong>und</strong> Religion. Das mütterliche Mitgefühl der<br />

Leserinnen sprach Wittich nicht nur an, indem er die Gefahr erklärt, in der Stuarts Sohn <strong>und</strong><br />

Thronerbe schwebte, weil Elisabeth ihn als Bedrohung ihres Anspruches erachtete. Dieses<br />

Mitgefühl wird noch dadurch gesteigert, dass im Laufe der Auseinandersetzung Stuart nicht nur<br />

sowohl von ihrem zweiten <strong>und</strong> auch dritten Ehemann verraten werden sollte, sondern schließlich<br />

auch von ihrem eigenen Sohn.<br />

In seiner manchmal auffällig überschwänglichen Verehrung für die schottische Königin wurde<br />

Wittich schließlich doch der antimonarchistischen Tendenz eines Sozialdemokraten gerecht <strong>und</strong><br />

schrieb:<br />

„Wenn ein Volk monarchisch hypnotisiert ist, dann steht <strong>und</strong> fällt seine Sache mit<br />

der des Monarchen. Diese Hypnose ist der Menschheit schon recht theuer zu<br />

stehen gekommen, denn beim Streit der Großen müssen die Kleinen immer die<br />

Zeche zahlen. […] Und bei allem Edelsinn reichten die Fäden von der Königin<br />

Maria doch nicht bis zum Volke, zum wahren <strong>und</strong> eigentlichen Volke herab: ein<br />

sehr altes Unglück der Könige.“ 73<br />

Die Tatsache, dass Wittichs Darstellung monarchistischer Herrschaft selbst an dieser Stelle noch<br />

eher Verständnis als Tyrannenverachtung aufwies, könnte vielleicht damit zusammenhängen, dass<br />

es das Leben einer Frau ist, welches er beschrieb.<br />

Obwohl Stuart schließlich zu Gunsten ihres Sohnes auf den schottischen Thron verzichtete, wurde<br />

sie von ihren Gegnern als zu gefährlich erachtet. Nach der Ermordung Darnleys wurde sie als Mit-<br />

schuldige in strenge Haft genommen. Statt ins katholische Frankreich zu fliehen, bat Stuart ihre<br />

Cousine Elisabeth um Schutz. Da Maria dieser aber als Spielball ihrer Feinde zu gefährlich<br />

erschien, war es kein Schutz, den sie ihr gewährte, sondern 18 Jahre Gefangenschaft. Aufgr<strong>und</strong><br />

dieser Maßnahme gegen Stuart musste Elisabeth stets mit Attentaten <strong>und</strong> Komplotten rechnen.<br />

Erbarmungslos ging sie deshalb gegen die katholischen Adeligen Schottlands vor, um schließlich<br />

mittels erzwungener Geständnisse einen Vorwand für Stuarts Hinrichtung zu bekommen. So<br />

wurde nach Meinung Wittichs „[a]m 8. Februar 1587 […] der politisch-religiöse Justizmord an<br />

70 Wittich, Manfred: Maria Stuart. Eine historische Skizze. (Fortsetzung.). In: GL, 05/ 08/ 17.04.1895/ 60.<br />

71 Ebd., S. 61.<br />

72 Ebd.<br />

73 Vgl. Ebd., S. 62.<br />

326


einer der muthigsten, edelsten <strong>und</strong> schwerstgeprüften Frauen vollzogen“ 74 .<br />

4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN<br />

Maria Stuart repräsentiert hier einen Typus Frau, der trotz höherer Bildung <strong>und</strong> enormer<br />

Machtbefugnisse zum Opfer wird. Da es vor allem ihre allzu große Vertrauensseligkeit war, die<br />

ihrem Schicksal zum Verhängnis wurde, legte Wittich anhand ihres Beispiels den „Gleichheit“-<br />

Leserinnen nahe, noch vehementer als bisher ihre Interessen zu verfolgen <strong>und</strong> durchzusetzen.<br />

Es ist eine große Zahl hochgebildeter Frauen unter denjenigen, die in der „Gleichheit“ porträtiert<br />

wurden. Eine davon ist Maria Gaёtana d‘Agnesi (1718-1799). Sie war eine italienische Gelehrte,<br />

Tochter eines Mathematikprofessors der Universität Bologna, die das Glück hatte, in ihrem Vater<br />

einen engagierten Privatlehrer zu haben. Agnesi wurde nicht nur die beste Schülerin ihres Vaters,<br />

sondern nach dem frühen Tod ihrer Mutter auch dessen Forschungsgenossin <strong>und</strong> Kameradin.<br />

Bereits 18-jährig beherrschte sie verschiedene Sprachen <strong>und</strong> besaß große Kenntnisse in Philo-<br />

sophie <strong>und</strong> Mathematik. Jedoch erachtete Zetkin, die hier als Autorin zu vermuten ist, nicht nur<br />

die außergewöhnliche Bildung Agnesis als erwähnenswert, sondern auch ihre Schönheit <strong>und</strong><br />

Liebenswürdigkeit. 75<br />

Nach einer Erkrankung des Vaters wurde Agnesi überraschend Anwärterin auf dessen Lehrstuhl.<br />

Nachdem Papst Benedikt XIV. seine Erlaubnis erteilt hatte, begann sie mit der Ausbildung ihrer<br />

ersten Studenten. Einer von diesen verliebte sich in seine Lehrerin, verlangte aber von ihr, die<br />

wissenschaftliche Tätigkeit aufzugeben. Agnesi wies dieses Verlangen <strong>und</strong> zugleich auch seine<br />

Liebe zurück. Sie veröffentlichte ihr Werk „Analytische Institutionen“ (1748) <strong>und</strong> wurde ganz<br />

offiziell Professor der Mathematik an der Universität Bologna. Zetkin vermutete, dass ein<br />

verletzender Abschiedsbrief ihres Verehrers nicht unerheblichen Anteil daran hatte, dass Agnesi<br />

die Professur lediglich zwei Jahre bekleidete, um dann als Armen- <strong>und</strong> Krankenpflegerin in einem<br />

Hospiz zu arbeiten. Sie starb schließlich in dem Hospiz Trivulzio in Mailand.<br />

Maria Gaёtana d‘Agnesi galt Zetkin als Beweis für die „Höhen des Geistes, [die] das weibliche<br />

Geschlecht erklimmen“ 76 kann, wenn die Bedingungen entsprechend günstig sind. In diesem<br />

Sinne schloss Zetkin ihre biographische Darstellung mit der Anmerkung, dass ein richtiger<br />

Maßstab für Agnesis Charakterisierung erst gegeben sei, „wenn diese günstigen Entwicklungs-<br />

bedingungen nicht nur vereinzelten glücklichen Existenzen, vielmehr der gesammelten<br />

Frauenwelt geboten“ 77 würden.<br />

74 Wittich, Manfred: Maria Stuart. Eine historische Skizze. (Schluß.). In: GL, 05/ 09/ 01.05.1895/ 70.<br />

75 Vgl. Maria Gaëtana d‘Agnesi. In: GL, 02/ 09/ 04.05.1892/ 80.<br />

76 Ebd.<br />

77 Ebd.<br />

327


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Gr<strong>und</strong>legend für jede höhere Bildung <strong>und</strong> damit für die Entwicklung zum „<strong>weiblichen</strong><br />

Vollmenschen“ ist ein gewisses Maß an Bildungsdrang. Eine „lebendige Verkörperung des in den<br />

breiten Volksmassen schlummernden unbezwinglichen Bildungsdranges“ 78 war laut der mit L. W.-<br />

K. zeichnenden Verfasserin 79 des Artikels die Dichterin Anna Louisa Karschin (1722-1791). Es<br />

war ihr Bildungsdrang, der trotz aller Hindernisse aus einer armen Magd, einer Hirtin <strong>und</strong><br />

Proletarierfrau eine anerkannte Dichterin werden ließ. Karschin verlor früh ihren Vater <strong>und</strong> da ihre<br />

Mutter ihre künstlerischen Ambitionen missbilligte, sei es ein Onkel – ein Justizamtmann –<br />

gewesen, der sie in Lesen, Schreiben, Geographie <strong>und</strong> Geschichte unterrichtet habe. Ihre Mutter<br />

habe jedoch nicht gewollt, dass ihr Onkel sie „statt zu einer tüchtigen Hausfrau zu einer<br />

‘nichtsnutzigen Gelehrtin’“ 80 mache. Auch wenn Karschin daraufhin als Hirtin arbeiten musste,<br />

bot sich ihr damit doch zugleich die Gelegenheit für ein intensives Naturerleben <strong>und</strong> das Lesen<br />

von Büchern. Im Alter von 15 Jahren arbeitete sie als Kinderwärterin <strong>und</strong> Magd, bevor sie 17-<br />

jährig schließlich den Tuchweber Hirsekorn heiratete. Dieser sei jedoch nicht nur geizig gewesen,<br />

sondern habe ihr zudem das Lesen <strong>und</strong> Schreiben verboten. Nach zwei Jahren wurde diese sehr<br />

unglückliche Ehe auf seinen Wunsch hin – damals wäre es anders ohnehin nicht möglich gewesen<br />

– geschieden. Als Gelegenheitsdichterin zog die Mutter von drei Kindern umher. Ein viertes Kind<br />

gebar sie nach der Heirat mit dem Schneider Karschin, einem Müßiggänger <strong>und</strong> Trinker, den sie<br />

weder aus Liebe noch des „Versorgtseins“ wegen geheiratet haben dürfte, denn sie schrieb<br />

folgenden kleinen Vers:<br />

“‘Vier Kinder um mich her <strong>und</strong> neben mir ein Gatte,<br />

Der keine Gram um Brot <strong>und</strong> keine Pflichten hatte,<br />

Als über mich ein Herr zu sein!<br />

Die Sorgen blieben alle mein.’“ 81<br />

Es ist der Alltag <strong>und</strong> die Sorge vieler Proletarierinnen, die Karschin hier in Reime zu fassen<br />

verstand. Diese Leidensgenossenschaft, „das Mitgefühl für fremde Leiden, das aus manchen ihrer<br />

Gedichte[…] spricht“, so L. W.-K., kennzeichne Karschin als „echte Proletarierin“ 82 .<br />

Karschins Aufstieg zur „deutschen Sappho“ 83 begann mit ihrem Umzug in den Kasernenstütz-<br />

78 L. W.-K.: Anna Louisa Karschin. In: GL, 02/ 05/ 07.03.1892/ 48.<br />

79 Es gelang leider nicht, die Initialen L. W.-K. zu entschlüsseln. Der Doppelname deutet jedoch auf einen weib-<br />

lichen Autor hin.<br />

80 L. W.-K.: Anna Louisa Karschin. In: GL, 02/ 04/ 22.02.1892/ 39.<br />

81 L. W.-K.: Anna Louisa Karschin. In: GL, 02/ 05/ 07.03.1892/ 48.<br />

82 Ebd.<br />

83 Ebd. Sappho (um 600 v. u.Z.) war eine Lyrikerin der griechischen Antike, die großen Einfluss auf die Dichtkunst<br />

328<br />

ihrer Zeit hatte.


4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN<br />

punkt Glogau 1755. Hier fand sie einen Gönner, den sie 1761 nach Berlin begleitete. Ihr erster<br />

Gedichtband wurde veröffentlicht, <strong>und</strong> 1763 kam es in Sanssouci sogar zu einer persönlichen<br />

Begegnung mit Friedrich II., den sie sehr bew<strong>und</strong>erte. Der preußische König sagte ihr sogar<br />

finanzielle Hilfe zu, sandte dann allerdings lediglich zwei Taler, die Karschin mit einem gewagten<br />

Spottvers zurückgeschickt haben soll. 1783 abermals in große finanzielle Not geraten, wandte sie<br />

sich erneut an Friedrich II. <strong>und</strong> nahm die ihr dieses Mal angebotenen drei Taler dankbar an. Der<br />

Nachfolger Friedrichs II. war später sogar so großzügig, der Dichterin ein Haus zu bauen.<br />

Im Mittelpunkt der Biographie der Anna Louisa Karschin stand neben dem großen „Bildungs-<br />

drang“ die Bescheidenheit, Einfachheit <strong>und</strong> Wahrhaftigkeit ihres Charakters. Trotz Ruhm <strong>und</strong><br />

Ansehen habe sie diese genauso bewahrt wie auch ihre große Menschenliebe <strong>und</strong> ihren großen<br />

Mut. War sie auch keine Vorkämpferin für die Rechte der Frau, so stehe ihre Person laut L. W.-K.<br />

doch für eine weibliche Kultur. Dies umso mehr, da sich ihre Werke mit denen männlicher<br />

Zeitgenossen messen könnten. 84 Nicht wenige Frauen der SPD eiferten dem poetischen Beispiel<br />

Karschins nach <strong>und</strong> warben auch als Dichterinnen für den Sozialismus. 85<br />

L. W.-K., die im ersten Erscheinungsjahr der „Gleichheit“ eine rege Mitarbeiterin war, stellte<br />

erneut das Leben einer kulturschaffenden Frau in den Mittelpunkt eines Artikels <strong>und</strong> porträtierte<br />

Dorothea Schlözer (1770-1825). „Doktor Dorothea Schlözer“ 86 – so der Titel des Artikels <strong>und</strong> der<br />

akademische Grad Schlözers – hatte wie Agnesi das Glück, die Tochter eines Gelehrten zu sein.<br />

Ihr Vater August Ludwig von Schlözer war Universitätsprofessor für Philosophie in Göttingen.<br />

Die Tatsache, dass bereits Dorothea Schlözers Mutter eine ehemalige Schülerin des Professors<br />

gewesen war, lässt vermuten, dass diesem sehr an einer höheren Bildung auch seiner <strong>weiblichen</strong><br />

Familienmitglieder gelegen war. Wie ein Junge erzogen <strong>und</strong> aufgewachsen, konnte Schlözer im<br />

Alter von vier Jahren bereits lesen <strong>und</strong> schreiben <strong>und</strong> studierte später neben verschiedenen<br />

Sprachen auch Mathematik, Physik <strong>und</strong> Geschichte. Obwohl von vielen wegen ihrer Natürlich-<br />

keit, Liebenswürdigkeit, Lebhaftigkeit <strong>und</strong> ihres Witzes bew<strong>und</strong>ert, habe sie keinerlei „Gefall-<br />

sucht“ 87 gezeigt, sondern sei natürlich <strong>und</strong> bescheiden geblieben. 1787 bewog der befre<strong>und</strong>ete<br />

Professor Johann David Michaelis die erst 17 Jahre alte Schlözer, die Doktorprüfung für Philoso-<br />

phie abzulegen. L. W.-K. erklärte den „Gleichheit“-Leserinnen, die über diese rasche <strong>und</strong><br />

84 Vgl. L. W.-K.: Anna Louisa Karschin. In: GL, 02/ 04/ 22.02.1892/ 39.<br />

85 Zum Beispiel Henriette Fürth (1861-1936), Clara Bohm-Schuch (1879-1936) <strong>und</strong> vor allem Klara Müller-Jahnke<br />

(1861-1904), die noch näher vorgestellt werden. Beispiele ihrer Dichtkunst sind im Anhang enthalten.<br />

86 L. W.-K.: Doktor Dorothea Schlözer. In: GL, 02/ 03/ 16.11.1892/ 191-192.<br />

87 Ebd., S. 191.<br />

329


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

scheinbar problemlose Karriere einer Frau sehr erstaunt gewesen sein dürften, dass die Kon-<br />

kurrenzfurcht gelehrter Männer damals noch nicht so ausgeprägt gewesen sei. Gleichzeitig kon-<br />

statierte sie aber, dass auch zu jener Zeit eine wissenschaftliche Qualifikation oder auch andere<br />

Beweise für die gleichwertigen Leistungen einer Frau gr<strong>und</strong>sätzlich nichts an den Vorurteilen<br />

gegenüber Frauen geändert hätten:<br />

„Der deutsche Durchschnittsbürger ist nicht aus Fortschrittshausen“ 88 .<br />

1790 lernte die 20-jährige Schlözer auf einer Reise nach Hamburg <strong>und</strong> Lübeck Senator Matthäus<br />

Rodde – 36 Jahre alt, Witwer <strong>und</strong> Vater dreier Kinder – kennen. Sie heiratete ihn <strong>und</strong> sie bekamen<br />

noch drei gemeinsame Kinder. Trotz eines beträchtlichen Vermögens sei Schlözer „anspruchslos<br />

<strong>und</strong> einfach“ 89 geblieben <strong>und</strong> habe sich stets wohltätig gezeigt. Schlözer sei ihrem Gatten eine<br />

unentbehrliche Stütze gewesen, besonders nachdem die Familie selbst in finanzielle Not geriet.<br />

„Ganz besondere Sorgfalt“, so L. W.-K., „verwendete sie auf die Erziehung ihrer Kinder <strong>und</strong> fand<br />

volle Befriedigung in dieser Thätigkeit“ 90 . Dies ist m. E. eine geschickte Umschreibung dafür,<br />

dass Schlözer seit ihrer Heirat anscheinend keinerlei wissenschaftliche Studien mehr betrieb.<br />

Zudem erklärte L. W.-K. mit Schlözers besonderer Hingabe an die Mutterrolle die besondere<br />

Schwere, mit der sie vom Tod zweier ihrer Kinder getroffen wurde. Doktor Dorothea Schlözer<br />

starb 1825 auf dem Rückweg von einer Reise nach Südfrankreich.<br />

Abschließend <strong>und</strong> in großer Übereinstimmung mit dem Leitbild des „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“<br />

ist L. W.-K. der Meinung, dass Schlözer<br />

„sich nicht durch Werke der Wissenschaft unsterblich gemacht [hat], allein das<br />

Vermächtnis ihres Lebens ist vielleicht ebenso werthvoll, wenn nicht werthvoller,<br />

wie mancher dickleibige Band voll zopfiger, todter Gelehrsamkeit“ 91 .<br />

So konnte die Person Schlözers den „Gleichheit“-Leserinnen ein Beispiel für einen „Charakter<br />

stiller Größe, edler Lebensführung <strong>und</strong> treuer Pflichterfüllung“ 92 geben <strong>und</strong> widerlegte zugleich<br />

die Behauptung, dass „Verstandesthätigkeit […] das Herz der Frau arm“ 93 , sie also weniger weib-<br />

lich werden lasse.<br />

Ähnlich wie Dorothea Schlözer war auch Karoline Schlegel-Schelling (1763-1809) 94 sowohl<br />

88 Ebd.<br />

89 Ebd.<br />

90 Ebd., S. 191-192.<br />

91 Ebd., S. 192.<br />

92 Ebd.<br />

93 Ebd.<br />

94 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. V. Karoline. In: GL, 30/ 28/ 10.07.1920/ 227-229; GL, 30/ 29/<br />

17.07.1920/ 235-237; GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 243-245. Anna Blos war zu diesem Zeitpunkt bereits<br />

330


4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN<br />

Kulturschaffende als auch aufopfernde Mutter <strong>und</strong> Ehefrau. Geboren als Karoline Dorothee<br />

Albertine Michaelis hatte auch sie das Glück als Tochter eines Universitätsprofessors eine<br />

besondere Bildung genießen zu können. Ihr Vater war Johann David Michaelis – eben jener Pro-<br />

fessor, der Dorothea Schlözer zur Doktorprüfung geraten hatte. Schlegel-Schellings weiterer<br />

Lebensweg fiel jedoch, so die Meinung Blos‘, vollkommen „aus dem Rahmen der Alltäglich-<br />

keit“ 95 , denn sie entwickelte sich zu einer<br />

„Individualität, die es wagte, ihr eigenes Leben leben zu wollen, ihrer Natur <strong>und</strong><br />

Veranlagung zu folgen“ 96 .<br />

Diese ihre Natur sei vor allem geprägt von der Romantik als deren „echtes Kind“ 97 sie aufwuchs.<br />

Bereits im Alter von fünfzehn Jahren korrespondierte die in der Universitätsstadt Göttingen ge-<br />

borene Schlegel-Schelling mit ihren Fre<strong>und</strong>innen 98 in gutem Französisch über bevorzugt geistige<br />

Themen. Die sprachbegabte, schöne <strong>und</strong> temperamentvolle Schlegel-Schelling habe sich von ihrer<br />

Familie allerdings weder geliebt noch verstanden gefühlt <strong>und</strong> schließlich in der Heirat mit Dr. Jo-<br />

hann Franz Wilhelm Böhmer – einem Fre<strong>und</strong> ihres Bruders – die Gelegenheit gesehen, aus der<br />

Enge Göttingens zu entfliehen. Aber auch die vielen Bücher, die man ihr nach ihren bittenden<br />

Briefen schickte, konnten ihr das Leben in dem ebenfalls überschaubaren Klaustal (dem heutigen<br />

Clausthal-Zellerfeld) im Harz nicht erträglicher gestalten. Dennoch sei sie in jener Zeit ihrer<br />

Familie eine „pflichtgetreue Hausfrau“ <strong>und</strong> vor allem ihren Kindern eine „vorzügliche Mutter“ 99<br />

gewesen.<br />

Böhmer starb bereits nach vier gemeinsamen Jahren, <strong>und</strong> Schlegel-Schelling kehrte nach<br />

Göttingen zurück. Hier machte sie zwar die Bekanntschaft mit ihrem späteren Ehemann Wilhelm<br />

Schlegel, jedoch entschloss sie sich 1792 – nach dem Tod ihrer jüngeren Tochter Therese – zu<br />

einer Übersiedlung in das französisch besetzte Mainz, um der<br />

Reichstagsabgeordnete, was die „Gleichheit“ mit dem Kürzel „M.d.R.“ hinter ihrem Namen k<strong>und</strong> tat. Bereits 1916<br />

hatte Blos eine Artikelserie zum Leben Schlegel-Schellings für die Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“<br />

verfasst (Blos, Anna: Karoline Schlegel-Schelling. Ein Lebensbild aus Deutschlands klassischer Zeit. In: GL, 26<br />

(1916)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 02/ 5-7; 03/ 9-10; 04/ 13-14). Aus dem Vergleich beider Artikelserien<br />

ergeben sich mehrere auffällige Unterschiede. So beginnt der in der Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“<br />

veröffentlichte Artikel mit der anrührenden Grabinschrift, die Friedrich W. J. Schelling – der letzte einer Reihe<br />

Ehemänner – für Karoline abgefasst hatte, <strong>und</strong> hält sich dann auch lange daran auf, dessen Person <strong>und</strong> Werk zu<br />

beschreiben.<br />

95 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. V. Karoline. In: GL, 30/ 28/ 10.07.1920/ 227.<br />

96 Blos, Anna: Karoline Schlegel-Schelling. Ein Lebensbild aus Deutschlands klassischer Zeit. In: GL, 26 (1916)/<br />

„Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 02/ 5.<br />

97 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. V. Karoline. In: GL, 30/ 28/ 10.07.1920/ 227.<br />

98 Eine ihrer besten Fre<strong>und</strong>innen, aber auch Rivalinnen sei Therese Heyne (1764-1829) gewesen. Diese später als<br />

Therese Huber bekannt gewordene Schriftstellerin <strong>und</strong> Redakteurin habe den Klatsch über Schlegel-Schelling<br />

sehr gefördert.<br />

99 Ebd., S. 228.<br />

331


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

„Bewegung der französischen Revolution näher zu sein, deren erste K<strong>und</strong>e sie im<br />

Gegensatz zu vielen Frauen nicht mit Entsetzen erfüllt[…]“ 100<br />

habe. <strong>Von</strong> Entsetzen konnte laut Blos keine Rede sein, wenn Schlegel-Schelling „sich keck das<br />

Jakobinermützchen auf die Locken“ 101 setzte <strong>und</strong> „in schwärmerischer Begeisterung um den<br />

Freiheitsbaum“ 102 tanzte. Ein Verhalten, das ihr viel Spott eintrug – u. a. auch von großen Denkern<br />

wie Goethe <strong>und</strong> Schiller. In ein besonders schlechtes Licht setzte Schlegel-Schelling der Klatsch<br />

über ihren vermeintlich schlechten Einfluss auf eine Fre<strong>und</strong>in, welche ihren Ehemann wegen<br />

eines anderen Mannes verlassen hatte.<br />

Nachdem 1793 preußische Truppen Mainz zurückerobert hatten, wurde Schlegel-Schelling als<br />

Geisel in der Festung Königstein inhaftiert. Sie selbst habe dort große Entbehrungen hinnehmen<br />

müssen <strong>und</strong> sei zudem Zeugin der Misshandlungen anderer Gefangener geworden. Endlich<br />

freigelassen, widmete sie sich umso mehr der Erziehung ihrer Tochter, „suchte ihren wie den<br />

eigenen Geist zu bilden“ 103 <strong>und</strong> hielt an ihrer „Schwärmerei für die Republikaner […][<strong>und</strong>] ihrer<br />

Neigung für die Freiheitskämpfe“ 104 trotz aller Anfeindungen fest.<br />

Schlegel, der sich als einer der wenigen Fre<strong>und</strong>e nie von ihr abgewandt hatte <strong>und</strong> bereits seit<br />

Längerem in sie verliebt war, machte ihr einen Heiratsantrag. Diesen nahm Schlegel-Schelling an,<br />

obwohl, so Blos, Schlegel nicht „[d]er wahre Gefährte ihres Herzens <strong>und</strong> Geistes“ 105 gewesen sei.<br />

Nach Blos‘ Meinung waren es ihre „Heimat- <strong>und</strong> Schutzlosigkeit“ 106 , die „Furcht vor dem<br />

Alleinsein <strong>und</strong> vor dem Kampfe des Lebens“ 107 , die Schlegel-Schelling zu diesem Entschluss<br />

getrieben hätten. Mit dieser Heirat sei sie „zum ersten <strong>und</strong> einzigen Male ihrer Natur untreu“ 108<br />

geworden <strong>und</strong> habe unbewusst ihr „ganzes Selbst auf das Spiel“ 109 gesetzt.<br />

Das Haus Schlegels wurde zum Mittelpunkt eines literarischen Kreises. Die Literaten, die sich um<br />

die Brüder Wilhelm <strong>und</strong> Friedrich Schlegel als den Herausgebern der Zeitschrift „Athenäum“<br />

(1798-1800) gruppierten, verehrten Karoline Schlegel-Schelling, so Blos, als ihre „Hohe-<br />

100 Ebd.<br />

101 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. V. Karoline. In: GL, 30/ 29/ 17.07.1920/ 235.<br />

102 Ebd.<br />

103 Ebd., S. 236.<br />

104 Ebd.<br />

105 Ebd.<br />

106 Ebd.<br />

107 Ebd., S. 237.<br />

108 Ebd., S. 236.<br />

109 Ebd., S. 237.<br />

332


4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN<br />

priesterin“ 110 . Es sei ihr „lebhafter Geist“ 111 gewesen, der „aus jedem das Beste herauszuholen,<br />

anzuregen, zu kritisieren <strong>und</strong> die richtige Form zu finden“ 112 , aber auch zu tadeln vermochte. Auch<br />

Schlegel-Schelling selbst war literarisch tätig. Einerseits unterstützte sie ihren Ehemann bei der<br />

Übersetzung der Shakespeareschen Dramen, andererseits verfasste sie eigene Schriften, die sie je-<br />

doch unter dem Namen ihres Mannes veröffentlichen ließ. Außerdem habe sie mit „scharfem, oft<br />

rücksichtslos beobachtendem Geist“ 113 Kritiken über Theateraufführungen verfasst. Diese<br />

Arbeiten waren es, über die sie die Bekanntschaft mit Friedrich Wilhelm Joseph Schelling machte,<br />

der sich fortan um ihre Tochter Auguste bemühte. Bereits damals fühlte sich aber auch Schlegel-<br />

Schelling selbst zu diesem Mann hingezogen. Als dann Auguste im August 1800 starb, <strong>und</strong> mit ihr<br />

das letzte „Verbindungsglied zwischen Schlegel <strong>und</strong> Karoline“ 114 verloren gegangen war,<br />

entfernten sich die Eheleute immer mehr voneinander <strong>und</strong> beschlossen schließlich gemeinsam die<br />

Scheidung ihrer Ehe. Schlegel-Schelling sollte aber weiterhin ein sehr fre<strong>und</strong>schaftliches<br />

Verhältnis zu ihrem geschiedenen Partner haben.<br />

1803 heiratete sie Schelling <strong>und</strong> eine sehr glückliche Ehezeit begann, in der Schlegel-Schelling<br />

die „Entfaltung ihrer ganzen anmuthreichen Persönlichkeit“ 115 erlebt habe. Das Paar zog erst nach<br />

Würzburg <strong>und</strong> dann nach München, da Schelling von den ansässigen Universitäten jeweils einen<br />

Ruf erhalten hatte. Auf einer Reise zu Schellings Eltern ins württembergische Maulbronn<br />

erkrankte 1809 Schlegel-Schelling an einem mit Ruhr verb<strong>und</strong>enen Nervenfieber. „Mitten im<br />

höchsten Glück, umgeben von Menschen, die sie auf Händen trugen“ 116 , so Blos, sei sie in den<br />

Armen ihres Mannes gestorben.<br />

Blos bezeichnete am Ende ihres Artikels Schlegel-Schelling als eine Frau,<br />

„die sich durchzusetzen <strong>und</strong> hinwegzusetzen verstand gegen alle Vorurteile <strong>und</strong><br />

Kleinlichkeit. Ihr ganzes Leben war ein Kampf, eine Tat, deren Saat nicht verlorenging.<br />

Sie gehörte zu den Menschen, die immer nur strebend sich bemühen, selbst<br />

etwas zu sein <strong>und</strong> durch ihr Leben der Gesamtheit zu nützen. In diesem Sinne<br />

sollte ihre Art in uns allen weiterleben.“ 117<br />

Schlegel-Schelling war ein „weiblicher Vollmensch“ <strong>und</strong> den Proletarierinnen vor allem deshalb<br />

ein Vorbild, weil sie den Kampf um persönliche Bildung mit dem Kampf für eine Sache verbun-<br />

110 Ebd., S. 236.<br />

111 Ebd., S. 237.<br />

112 Ebd.<br />

113 Ebd.<br />

114 Ebd.<br />

115 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. V. Karoline. In: GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 244.<br />

116 Ebd., S. 245.<br />

117 Ebd.<br />

333


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

den hatte. Zwar kämpfte sie „nicht mit Wort <strong>und</strong> Schrift“ 118 , aber sie habe den „Kampf um Recht<br />

<strong>und</strong> Geltung des Weibes als Persönlichkeit“ 119 gekämpft, indem sie ihr unangepasstes Leben lebte:<br />

„Karoline, die vielfach Reizende, die vielfach Geschmähte, fiel aus dem Rahmen<br />

der Alltäglichkeit. Sie lebte in einer Zeit <strong>und</strong> einem Kreis, in dem das Ideal die<br />

Durchschnittsform war. Sie ragte aber weit über den Durchschnitt hinaus, darum<br />

gab sie Aergernis.“ 120<br />

Schlegel-Schelling war ein „weiblicher Vollmensch“, weil sie „den hohen Mut, den Mut zur<br />

Freiheit der Persönlichkeit“ 121 besaß. Blos forderte die „Gleichheit“-Leserinnen auf, diesem Vor-<br />

bild nachzueifern, „wohin auch das Schicksal“ 122 sie stellen würde. Diesem Vorbild zur Ehre<br />

trugen Blos <strong>und</strong> andere württembergische Sozialdemokratinnen Sorge dafür, dass der Grabstein<br />

Schlegel-Schellings, der bereits arg verwitterte, wiederhergestellt wurde. 123<br />

Karoline von Humboldt (1766-1829) war eine von jenen Frauen, die als besondere<br />

Persönlichkeiten, so Blos, „von den bedeutendsten Männern ihrer Zeit“ 124 „hoch geschätzt“ 125<br />

wurden. Diese Verehrung habe aber in diesen Frauen nie den Ehrgeiz geweckt, „den Männern<br />

gleich zu sein“ 126 , vielmehr hätten sie „ihre spezifische weibliche Note zum Ausdruck […]<br />

bringen“ 127 wollen. So auch Humboldt, die man die „klassische deutsche Frau“ 128 genannt habe –<br />

„klassisch“, weil sie ihr „Wesen, Wollen <strong>und</strong> Wirken in seltener Harmonie“ 129 vereinte –<br />

„deutsch“, weil ihre Ideale ohne jeden radikalen Nationalismus im Deutschtum wurzelten. 130<br />

Humboldt verlor sehr früh ihre Mutter. Die Kindheit des „temperamentvolle[n] wissensdurstige[n]<br />

Mädchen[s]“ 131 , so Blos, verlief hauptsächlich in der Abgeschiedenheit des väterlichen Gutes.<br />

Bücher wurden ihre besten Fre<strong>und</strong>e – vor allem die Werke Rousseaus. Dieses literarische Inter-<br />

esse ergab in Form eines regen Briefwechsels den ersten Kontakt zu ihrem späteren Ehemann<br />

118 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. V. Karoline. In: GL, 30/ 28/ 10.07.1920/ 227.<br />

119 Ebd.<br />

120 Ebd.<br />

121 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. V. Karoline. In: GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 245.<br />

122 Ebd.<br />

123 Vgl. ebd.<br />

124 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. Karoline v. Humboldt, geb. v. Dachröden. In: GL, 31/ 12/<br />

15.06.1921/ 116.<br />

125 Ebd.<br />

126 Ebd.<br />

127 Ebd.<br />

128 Ebd.<br />

129 Ebd.<br />

130 Vgl. ebd.<br />

131 Ebd.<br />

334


4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN<br />

Wilhelm von Humboldt. Es folgte ein persönliches Treffen <strong>und</strong> nach der Verlobung schließlich die<br />

Heirat. Das Paar habe ein – auch von materiellen Sorgen verschontes – sehr glückliches Eheleben<br />

geführt. Humboldt begleitete ihren Ehemann auf seinen Reisen durch Spanien, Frankreich <strong>und</strong><br />

Italien, <strong>und</strong> bald sei zu diesem „reichen inneren <strong>und</strong> äußeren Erleben […] das größte Erleben im<br />

Dasein der Frau, die Mutterschaft“ 132 hinzugekommen. Laut Blos verfolgte Humboldt die<br />

interessante Erziehungsmaxime, dass „niemand […] ihr Haus betreten [dürfe], von dem die<br />

Kinder nichts Gutes lernen könn[t]en“ 133 . Ausgefallene Gr<strong>und</strong>sätze hatte Humboldt auch hin-<br />

sichtlich ihrer Ehe. Sie, die selbst über den Geist eines Gelehrten verb<strong>und</strong>en mit einer besonderen<br />

Herzensgüte verfügt habe, war die Ehefrau eines Gelehrten, aber auch eine starke Persönlichkeit.<br />

Sie sei eine zu<br />

„starke Persönlichkeit [gewesen], als daß sie ohne schwere Konflikte sich ohne<br />

weiteres in die Beschränkungen, die jede, auch die glücklichste Ehe mit sich<br />

bringt, gef<strong>und</strong>en hätte“ 134 .<br />

So erfuhren die „Gleichheit“-Leserinnen, dass Karoline Humboldt „zwei große Leidenschaften<br />

erlebte“ 135 , demnach also Liebhaber hatte. Nie aber habe ihr Ehemann „kleinliche[…] Eifersucht“<br />

gezeigt oder den Gekränkten gespielt, 136 denn er habe gewusst, dass er sie verlieren würde, wenn<br />

er Zwang ausübe, um sie zu halten. Dies gab Blos die Gelegenheit, allgemein zum Charakter der<br />

Ehe zu konstatieren:<br />

„Jeder Mensch, der heiratet, muß ein Stück von sich selbst aufgeben <strong>und</strong> es kommt<br />

dann wohl ganz darauf an, was er dafür eintauscht, ob er für dieses Verzichten,<br />

dieses Aufgeben etwas, das liebevolle Verständnis, die Achtung vor dem Persönlichkeitswert,<br />

der Persönlichkeitsfreiheit findet, die beide Gatten, Mann wie Frau,<br />

fordern müssen, wenn die Ehe glücklich werden soll.“ 137<br />

Blos plädierte hiermit für eine sehr tolerante Auffassung von Ehe, die nichts mit der<br />

althergebrachten Unterordnung der Frau zu tun hat, sondern deren individuelle Persönlichkeit <strong>und</strong><br />

Bedürfnisse berücksichtigt wissen will. Die Ehe der Humboldts erschien auch ihrer Umgebung als<br />

vorbildlich <strong>und</strong> der Publizist Karl August Varnhagen von Ense war laut Blos der Meinung, dass<br />

niemand „‘mit größerer Grazie […] verheiratet’“ 138 gewesen sei – „‘völlige gegenseitige Freiheit<br />

gebend <strong>und</strong> nehmend’“ 139 .<br />

132 Ebd., S. 117.<br />

133 Ebd.<br />

134 Ebd.<br />

135 Ebd.<br />

136 Ebd., S. 126.<br />

137 Ebd., S. 125-126.<br />

138 Karl August Varnhagen von Ense zit. nach: Ebd., S. 126<br />

139 Ebd.<br />

335


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Humboldt verlor zwei ihrer Kinder, <strong>und</strong> als dann ihr 16-jähriger Sohn in den Krieg gegen die<br />

napoleonischen Truppen zog, habe sie sich „mehr <strong>und</strong> mehr zur Staatsbürgerin [entwickelt], deren<br />

Ideale sich in den Begriffen Volk, Heimat, Staat zusammenfassen“ 140 ließen. Gerne hätte sie Anteil<br />

am Kriegsgeschehen gehabt, doch habe es „die Natur […] w<strong>und</strong>erbar im Weibe gemacht, so be-<br />

schränkte Kräfte <strong>und</strong> so unbeschränkte Wünsche“ 141 . Zu diesem Zeitpunkt – 1814 – hielt sich<br />

Humboldt, die Blos als „Seele des Hauses, die alles belebende <strong>und</strong> beglückende Sonne“ 142<br />

bezeichnete, in Wien auf.<br />

Während die Familie ein Haus in Rom bezogen hatte, erfreuten sich viele Künstler der Gast-<br />

fre<strong>und</strong>schaft Humboldts. Ihre Gestalt wie auch die ihrer Töchter waren Anregung vieler<br />

plastischer Werke.<br />

Schließlich zog sich Humboldt „aus der Welt des Scheins in die Welt des Seins“ 143 zurück, indem<br />

sie mit ihrer Familie in das Schloss Tegel umzog. Dort konnte sie sich dem „innigsten Familien-<br />

leben widmen“ 144 . Hier starb Humboldt 1829, „heiter <strong>und</strong> gefaßt“ 145 . Ihr Vorbild war Blos „gerade<br />

in diesen Tagen, da Deutschland seine schwersten St<strong>und</strong>en durchkämpft“ 146 , in den Jahren nach<br />

dem Ersten Weltkrieg besonders wertvoll. Es stand ihr für die Zuversicht,<br />

„‘daß nur das Gute siegt <strong>und</strong> daß kein reines schönes Gefühl in dem Menschen, der<br />

es ernst mit sich meint <strong>und</strong> Eitelkeit <strong>und</strong> Selbstsucht in sich niederkämpft, verloren<br />

geht’“ 147 .<br />

Es wirkt zuerst wenig charmant, wenn Freiherr Karl Gustav von Brinkmann in einem Kondolenz-<br />

schreiben an den Witwer Karl August Varnhagen von Ense die herausragenden Eigenschaften der<br />

Verstorbenen Rahel Levin (1771-1833) wie folgt umschrieb:<br />

„Ihr dem anspruchslosen Bürgermädchen ohne glänzende Verbindungen, ohne den<br />

allgültigen Freibrief der Schönheit <strong>und</strong> ohne bedeutendes Vermögen, gelang<br />

es allmählich einen Gesellschaftskreis um sich zu versammeln, der ohne allen<br />

Vergleich der anziehendste <strong>und</strong> geistreichste war in ganz Berlin.“ 148<br />

Brinkmann verdeutlichte die eigentlichen Voraussetzungen, die eine Frau mitbringen musste, um<br />

140 Ebd.<br />

141 Ebd.<br />

142 Ebd.<br />

143 Ebd., S. 127.<br />

144 Ebd.<br />

145 Ebd.<br />

146 Ebd.<br />

147 Ebd.<br />

148 Karl Gustav von Brinkmann in einem Brief an Karl August Varnhagen von Ense. Zit. nach: Blos, Anna: Frauengestalten<br />

des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts III: Rahel Levin. In: GL, 29/ 36/ 25.10.1919/ 283.<br />

336


4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN<br />

Erfolg in der besseren Gesellschaft des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts zu haben: Entsprechende familiäre<br />

Herkunft, gutes Aussehen <strong>und</strong> Vermögen. Levin besaß nahezu nichts davon. Doch nicht nur<br />

deshalb war sie eine bemerkenswerte Ausnahme. Sie war die Tochter eines reichen jüdischen<br />

Kaufmannes. Angesichts des vorherrschenden Antisemitismus konnte es ihr demnach keineswegs<br />

vorbestimmt gewesen sein, die „Fre<strong>und</strong>in aller großen Geister jener Zeit“ 149 zu werden. Auch ihr<br />

Übertritt zum Christentum <strong>und</strong> ihr neuer offizieller Name Friederike Robert konnten ihr die<br />

deprimierende Erfahrung nicht ersparen, dass sie nicht nur für ihre Fre<strong>und</strong>e weiterhin „Rahel“<br />

blieb. Auch für die „vornehmen Herren, die ihr huldigten“,so Blos, war sie „doch nur die ‘Jüdin’<br />

[…], mit der man sich wohl amüsierte, die man aber als unebenbürtig nicht ernst nahm“ 150 . Weiter<br />

ging Blos jedoch nicht auf die Benachteiligung jüdischer Menschen im Deutschland des<br />

19. Jahrh<strong>und</strong>ert ein.<br />

Da Levins Mutter oft leidend war, übernahm sie schon früh die Rolle der Hausherrin, die die<br />

Gäste mit ihrem Klavierspiel <strong>und</strong> interessanten Gesprächen unterhielt. In diesen Gesprächen habe<br />

sie „ein tiefes Verständnis für die Leiden der ganzen Menschheit“ 151 gezeigt. Levin habe die große<br />

empathische Gabe besessen, mitzuleiden <strong>und</strong> sich mitzufreuen. Aus dieser lasse sich der „große<br />

Zauber“ 152 erklären, den ihre „magische Gestalt“ 153 ausübte. Auch habe sie gewusst, wann es<br />

ratsam war, zu schweigen <strong>und</strong> „Wahrheit erschien ihr die höchste Tugend“ 154 .<br />

Levin war im Gegensatz zu den erwähnten „vornehmen Herren“ mit keinem Standesdünkel be-<br />

haftet. „Ihr brennender Durst nach Kenntnis der Menschheit durch die Menschen“, so Blos, habe<br />

es ihr unmöglich gemacht, eine „Grenzlinie zwischen Adel <strong>und</strong> Bürgerlichkeit im geistigen Sinne“<br />

155 zu ziehen. Stattdessen habe Levin „als höchstes Ideal die bürgerliche Gleichberechtigung aller<br />

Stände <strong>und</strong> Konfessionen, edle Geisterfreiheit <strong>und</strong> wahre Herzensbildung vor[geschwebt]“ 156 . Im<br />

Kampf für diese Ideale fand sie einen Gefährten in Varnhagen von Ense <strong>und</strong> heiratete ihn 1814. In<br />

Briefen an ihn erörterte Levin die Institution Ehe <strong>und</strong> die Situation des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts.<br />

Selbst glücklich verheiratet, forderte sie die „völlige Freiheit der Persönlichkeit für die Frau, auch<br />

in der Ehe“ 157 . Angesichts der geächteten Situation unehelicher Mütter forderte sie sogar, dass<br />

149 Ebd.<br />

150 Ebd.<br />

151 Ebd.<br />

152 Ebd., S. 284.<br />

153 Ebd.<br />

154 Ebd.<br />

155 Ebd.<br />

156 Ebd., S. 285.<br />

157 Ebd.<br />

337


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Kinder nur Mütter haben <strong>und</strong> deren Namen tragen sollten. Die Mütter wiederum sollten in der<br />

Familie das Vermögen <strong>und</strong> die Macht innehaben. 158 Levin scheint sich demnach in ähnlicher<br />

Weise wie August Bebel mit dem Naturrecht <strong>und</strong> dem Matriarchat auseinander gesetzt zu haben.<br />

Auch diese Briefe Levins wurden innerhalb einer Sammlung des gesamten ehelichen Brief-<br />

wechsels veröffentlicht <strong>und</strong> erzielten, so Blos, eine „sensationelle Wirkung“ 159 . Jedoch sei Levin<br />

weit davon entfernt gewesen, aus diesem Erfolg eine schriftstellerische Karriere zu entwickeln.<br />

Sie habe<br />

„sich lieber mit Menschen ab[gegeben] als mit Büchern, die freilich leichter <strong>und</strong><br />

bequemer zu lesen sind <strong>und</strong> deshalb den Geist nachlässig <strong>und</strong> träge machen“ 160 .<br />

Levin sei zwar so konsequent gewesen, die von ihr verfasste Philosophie auch zu leben <strong>und</strong><br />

entsprechend zu wirken, aber sie habe dies nur in dem vermeintlichen „‘Kreise ihrer Pflichten’“ 161 ,<br />

im ehelichen Haushalt getan. So das Urteil Jenny von Gustedts (1811-1890), der Großmutter<br />

Lily Brauns. Obwohl zum „‘richtigen Blick in die großen Verhältnisse’“ 162 befähigt, habe sie nie<br />

„‘die schwache Frauenhand in die großen Räderwerke’“ 163 geführt. Levin beschied sich trotz ihrer<br />

herausragenden Fähigkeiten auf typische Frauentätigkeiten <strong>und</strong> strebte nicht nach größerem<br />

öffentlichen Einfluss. Entsprechend wirkte sie während des Krieges als ermunternde <strong>und</strong> auf-<br />

opfernde Pflegerin <strong>und</strong> tat „‘Gutes um des Guten willen’“ 164 . Gustedt charakterisierte sie als „‘die<br />

echte, wahre, reine deutsche Frau’“ 165 . Eine Charakterisierung, die 1919 in der „Gleichheit“ ver-<br />

öffentlicht auch deren nationalistischen Wandel nach dem Ersten Weltkrieg kennzeichnet. Es ist<br />

anzunehmen, dass Levin als ein „weiblicher Vollmensch“, der um die Benachteiligung der Frau<br />

weiß, aber nicht für deren Gleichberechtigung kämpft, unter der Redaktion Zetkins anders dar-<br />

gestellt worden wäre. In diesem Falle hätte Blos vermutlich nicht resümieren können, dass Levin<br />

„den Gr<strong>und</strong> […] für die heutige Frauenbewegung“ 166 gelegt habe. Und wenn sie schreibt:<br />

158 Vgl. Ebd.<br />

159 Ebd., S. 285.<br />

160 Ebd., S. 284.<br />

„Alles wofür wir kämpfen, was wir erstreben, war von ihr [Levin; M.S.]<br />

vorgezeichnet“ 167 ,<br />

161 Jenny von Gustedt zit. nach: Ebd., S. 286.<br />

162 Ebd.<br />

163 Ebd.<br />

164 Ebd.<br />

165 Ebd.<br />

166 Ebd.<br />

167 Ebd.<br />

338


4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN<br />

dann wäre dieses „Alles“ für Zetkin nur ein Feminismus bürgerlicher Prägung <strong>und</strong> noch viel zu<br />

wenig gewesen.<br />

Noch weit weniger als Levin besaß Charlotte von Stein (1742-1827) 168 den Charakter einer<br />

Kämpferin für die Frauenrechte. Doch genau wie Levin besaß auch sie Qualitäten eines<br />

„<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“. Steins Bedeutung für die Geschichte, ihre Unsterblichkeit, resultierte<br />

nicht unmittelbar aus ihrem eigenen Verdienst, sondern wurde ihr verliehen von den „Strahlen der<br />

Dichtersonne“ 169 . Anders ausgedrückt: Es war die Liebe, die Johann Wolfgang von Goethe für sie<br />

empfand, die sie in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses rückte. Ein Umstand, der von Blos<br />

jedoch keineswegs kritisch hinterfragt wurde.<br />

Stein war Tochter eines Bediensteten am Weimarer Fürstenhof <strong>und</strong> einer streng katholischen, aus<br />

Schottland stammenden Mutter. 16-jährig wurde Stein Hofdame der Herzogin Anna Amalie<br />

(1739-1807). Schließlich schloss sie mit dem Stallmeister <strong>und</strong> Rittergutsbesitzer Josias von Stein<br />

eine Ehe, die weder glücklich noch unglücklich zu nennen gewesen sei. 170 Aus dieser Beziehung<br />

gingen sieben Kinder hervor, von denen jedoch vier früh verstarben.<br />

Stein habe, so Blos, „[e]in herber keuscher Reiz“ 171 umgeben. Ungeachtet ihrer Mutterschaft sei<br />

zudem davon auszugehen, dass sie in ihrer Ehe keine wahre Sinnlichkeit erlebt habe. Erst die<br />

Liebe Goethes habe in ihr Jugend <strong>und</strong> Sinnlichkeit erwachen lassen. 172 Über die Art dieser Liebe<br />

macht sich Blos folgende gr<strong>und</strong>sätzliche Gedanken:<br />

„Wir hatten in Deutschland eine Zeit, <strong>und</strong> sie ist heute noch nicht ganz überw<strong>und</strong>en,<br />

wo Natürliches als Sünde angesehen, wo der unnatürliche, platonische<br />

Verkehr der Geschlechter als Verdienst gepriesen wurde. Wieviel ist darüber<br />

gestritten <strong>und</strong> geschrieben worden, ob die Liebe Goethes zu Charlotten eine rein<br />

geistige war. Als ob der Vollmensch Goethe imstande gewesen wäre, dreizehn Jahre<br />

lang sein Leben einer Frau zu widmen, die sich ihm nicht ganz zu eigen gab.“ 173<br />

„Vollmenschen“ – ob weiblich oder männlich – scheinen sich demnach auch dadurch auszuzeich-<br />

nen, dass sie ihre Sexualität ohne allzu große Rücksicht auf gesellschaftliche Konventionen aus-<br />

leben. Interessanterweise blieben die gesellschaftlichen Konventionen im Fall der verheirateten<br />

168 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. Charlotte von Stein. In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 338. Für<br />

die biographische Skizze Charlotte von Steins bezieht sich Blos auf die 1916 erschienene Schrift „Das Martyrium<br />

der Charlotte von Stein. Versuch ihrer Rechtfertigung“ von der Schriftstellerin Ida Boy-Ed (1852-1928).<br />

169 Ebd.<br />

170 Vgl. ebd.<br />

171 Ebd., S. 339.<br />

172 Belegt wird diese Liebe durch die von Stein an Goethe gerichteten Briefe, die entgegen ihrer Verfügung nicht nach<br />

ihrem Tode vernichtet worden waren.<br />

173 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. Charlotte von Stein. In: GL, 30/ 41-42/ 09.10.1920/ 338.<br />

339


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Stein sogar gänzlich aus. Weder das kleine, für seine Klatschsucht bekannte Weimar noch der<br />

Ehemann Steins empörten sich über das Verhältnis zu dem „geistig <strong>und</strong> körperlich so hinreißen-<br />

den Fre<strong>und</strong>“ 174 . Auch Stein selbst kokettierte nicht mit ihrer Affäre, sondern wahrte den Schein des<br />

Anstands. Ohnehin sei ihr durch Erziehung <strong>und</strong> Abstammung eine eher „kühle, vornehm zurück-<br />

haltende Art“ 175 eigen gewesen, „Produkt einer alten Kultur“ 176 <strong>und</strong> letztendlich der Gr<strong>und</strong>, so<br />

Blos, weshalb die Verbindung mit Goethe zerbrach, zerbrechen musste. 177<br />

Goethe wandte sich einer anderen, einer jüngeren Frau zu – Christiane Vulpius (1765-1816). Im<br />

Gegensatz zu Stein wurde die aus einfachen Verhältnissen stammende Vulpius mit Klatsch jeder<br />

Art verhöhnt. Klatsch, zu dem besonders Stein beitrug, weil sie über den Verlust ihres namhaften<br />

Verehrers nicht hinwegkam. Dies, so Blos, sei der – wenn auch verständliche, weil menschliche –<br />

Schatten, der über der ansonsten untadeligen Person Steins liege. 178 In dieser Eifersucht, in diesem<br />

Hass auf Vulpius sieht Blos die Bestätigung ihrer Annahme, dass das Verhältnis zwischen Stein<br />

<strong>und</strong> Goethe ein sexuelles war. Doch Stein habe noch weit mehr an die „geistig minderwertige<br />

Rivalin“ 179 Vulpius verloren als die sexuelle Zuneigung Goethes. Seine Liebe <strong>und</strong> Verehrung hatte<br />

aus Stein „die gesegnetste der Frauen, die ‘Göttin’“ 180 schlechthin gemacht. Diesen Status hatte sie<br />

nun verloren <strong>und</strong> die Beliebigkeit ihrer Person wurde somit überdeutlich. Die Überhöhung der<br />

Person Goethes, die Tatsache, dass Stein von ihm auserwählt worden war, erklärt, warum ihr<br />

innerhalb dieses Artikels kein weibliches Selbstbewusstsein zugesprochen wurde. Sie erscheint<br />

nicht als eigenständiger Charakter. Ähnliches wird sich im Rahmen dieser Arbeit auch bei dem<br />

Leitbild der sozialistischen Ehefrau wieder finden lassen.<br />

Stein <strong>und</strong> Goethe gingen im heftigen Streit auseinander <strong>und</strong> fünfzehn Jahre lang wechselten sie<br />

kaum ein Wort miteinander. Schließlich waren es auch nicht die einst Geliebten, die den ersten<br />

Schritt aufeinander zugingen, sondern ihre Kinder. Steins Sohn Friedrich (Fritz) war Goethes Zög-<br />

ling <strong>und</strong> schloss zudem Fre<strong>und</strong>schaft mit Goethes Sohn August. Auch Stein selbst war angetan<br />

von dem Kind ihres ehemaligen Liebhabers <strong>und</strong> so wurden „die geistigen Beziehungen wieder<br />

aufgenommen“ 181 . Diese erfreuliche Entwicklung sei besonders durch die, so Blos, „Heiterkeit des<br />

Alters, die Abgeklärtheit <strong>und</strong> innere Freiheit“ 182 , die Stein in all den Jahren erworben hatte,<br />

174 Ebd., S. 339.<br />

175 Ebd.<br />

176 Ebd.<br />

177 Vgl. ebd.<br />

178 Vgl. ebd.<br />

179 Ebd, S. 340.<br />

180 Ebd.<br />

181 Ebd.<br />

182 Ebd.<br />

340


egünstigt worden.<br />

Blos charakterisierte ihren biographischen Artikel als einen Abgesang auf die Zeit,<br />

4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN<br />

„wo man aus den Menschen Idealgebilde zu machen suchte. Heute sucht <strong>und</strong> ehrt<br />

man das Menschliche in ihnen <strong>und</strong> lernt sie verstehen.“ 183<br />

In ihrer Menschlichkeit, die sich in ihrer Liebesbeziehung zu Goethe, ihrer Eifersucht <strong>und</strong> ihrer<br />

Persönlichkeitsentwicklung widerspiegelt, liegt demnach die Besonderheit Steins. Diese machte<br />

auch sie zu einem „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“, zu einem Vorbild proletarischer Frauen.<br />

Charlotte Stieglitz (1806-1834) war dagegen eine „Frau, die mit ihrer eigenen Persönlichkeit weit<br />

über ihre Zeit <strong>und</strong> ihre Umgebung hinausragte“ 184 [Hervorhebung von M.S.]. Diese Persönlichkeit<br />

zeichnete sich laut Blos allerdings durch einen „Zwiespalt zwischen Ideal <strong>und</strong> Wirklichkeit“ 185<br />

aus. Diese Charakterisierung lässt gleich zu Anfang des Artikels ein tragisches Ende vermuten.<br />

Blos vermochte die Neugierde der Leserinnen noch zu steigern, wenn sie vorwegnehmend<br />

resümierte:<br />

„Sie [Stieglitz; M.S.] war im Gr<strong>und</strong>e ein Mensch mit selbständigen Ansichten,<br />

befand sich häufig im Widerstreit mit traditionellen Begriffen, aber ihre Erziehung<br />

war der damaligen Zeit entsprechend nicht darauf gerichtet, ihre Persönlichkeit zu<br />

entwickeln, ihre großen geistigen Anlagen auszubilden. Deshalb hatte sie nicht den<br />

Mut, sich selbst zu folgen, sondern suchte die Erfüllung ihrer Sehnsucht in der<br />

Liebe zu dem Manne, dem sie all ihre reichen Gaben zu Füßen legte, in der<br />

Hoffnung, dadurch ihre Ideale verwirklicht zu sehen. Als sie diese Hoffnung<br />

vernichtet sah, da folgte sie zum erstenmal sich selbst, indem sie in den Tod ging.“<br />

186<br />

So spielte im Rahmen ihrer Persönlichkeitsentwicklung wie auch für ihre spätere Bedeutung als<br />

historisches Vorbild die Beziehung Stieglitz‘ zu einer anderen Person, zu einem Mann, die aus-<br />

schlaggebende Rolle.<br />

Stieglitz war die Tochter des Hamburger Kaufmanns Willhöft <strong>und</strong> zog nach dem frühen Tod des<br />

Vaters nach Leipzig. Ihre Leidenschaft waren das Lesen <strong>und</strong> Schreiben, wofür ihre Mutter wenig<br />

Verständnis aufbrachte. Schon früh habe das „seltsame Kind“ 187 ein „selbständiges, reiches <strong>und</strong><br />

poetisch erregtes Innenleben“ 188 entwickelt. Stieglitz besaß eine, so Blos, „freie Natur, die sich<br />

nicht leicht vor Autoritäten beugt[e]“ 189 . So war es vorhersehbar, dass Stieglitz, die offen für die<br />

183 Ebd.<br />

184 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. II. Charlotte Stieglitz. In: GL, 29/ 33/ 04.10.1919/ 259.<br />

185 Ebd.<br />

186 Ebd.<br />

187 Ebd.<br />

188 Ebd.<br />

189 Ebd.<br />

341


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Freiheit schwärmte <strong>und</strong> sich selbst als eine „Republikanerin <strong>und</strong> Demagogin“ 190 bezeichnete,<br />

einem Konflikt mit Autoritäten nicht aus dem Wege gehen würde. Es scheint, als habe Stieglitz<br />

schon als junge Frau über ein sehr ausgeprägtes politisches Bewusstsein verfügt. Tatsächlich aber<br />

seien ihre „außerordentlichen Geistesgaben“ 191 , so Blos, ohne Förderung <strong>und</strong> ohne „nutzbrin-<br />

gende[…] Tätigkeit“ 192 geblieben. Dieser Mangel an geeigneter Ausbildung <strong>und</strong> Förderung ließ,<br />

so Blos weiter,<br />

„ihre Teilnahme für alle höheren Interessen, ihr Hingebungsbedürfnis an alles<br />

Schöne sich nur auf eine einzige Leidenschaft konzentrier[en], auf die Liebe“ 193 .<br />

Im Alter von 16 Jahren heiratete sie den Studenten Hinrich Stieglitz. Laut Blos glaubte die junge<br />

Frau „in ihm das Ideal ihres Lebens gef<strong>und</strong>en zu haben“ 194 . In ihrer grenzenlosen Schwärmerei<br />

stellte sie ihn auf ein Podest, „dessen Höhe der Wirklichkeit absolut nicht entsprach“ 195 . Stieglitz<br />

sei allerdings ein realistischer Blick auf ihren Ehemann erschwert worden, weil das Paar in seiner<br />

sechsjährigen Verlobungszeit kaum Gelegenheit gehabt habe, sich näher kennenzulernen. Hinrich<br />

Stieglitz hatte damals die meiste Zeit in Berlin <strong>und</strong> nur selten in Leipzig verbracht. Besonders der<br />

deshalb verstärkt gehaltene Briefkontakt habe auf Stieglitz geistig sehr anregend gewirkt <strong>und</strong> sei<br />

für sie letztlich eine besondere „Quelle des Glücks“ 196 gewesen. In dieser Situation habe sich<br />

Stieglitz wie viele andere Frauen nicht darüber bewusst werden können,<br />

„daß auch die Frau die Berechtigung hat, für sich selbst <strong>und</strong> durch sich selbst etwas<br />

zu sein“ 197 .<br />

Stattdessen habe sie die Aufgabe ihres Lebens darin gesehen, „ihren Doktor zu fördern; seine<br />

Vollkommenheit anzuspornen“ 198 [Hervorhebung von M.S.].<br />

Den zu hohen Erwartungen <strong>und</strong> „hochgespannten Idealen“ 199 , die Stieglitz an ihren Ehemann <strong>und</strong><br />

ihr gemeinsames Eheleben setzte, musste zwangsläufig die Ernüchterung folgen. Stieglitz, die<br />

ihren Ehemann „für einen bedeutenden Menschen, einen großen Dichter“ 200 gehalten habe, die<br />

ihm „eine treu teilnehmende Kameradin sein woll[te], helfend, fördernd, beratend, nach Maßstab<br />

190 Ebd.<br />

191 Ebd.<br />

192 Ebd.<br />

193 Ebd.<br />

194 Ebd.<br />

195 Ebd.<br />

196 Ebd., S. 260.<br />

197 Ebd.<br />

198 Ebd.<br />

199 Ebd.<br />

200 Ebd.<br />

342


4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN<br />

der eigenen Begabung“ 201 , habe laut Blos ihren Irrtum schließlich erkannt. Endlich, nachdem sie<br />

„ihren eigenen Maßstab“ 202 an ihn anlegte, habe sie entdeckt, dass ihr Ehemann diesem nicht<br />

entsprechen konnte. Allerdings habe sie noch immer gehofft, ihn ändern zu können. Stieglitz<br />

wollte sich ihm „vollständig opfer[n]“ 203 <strong>und</strong> entwarf zu diesem Zweck einen verheerenden Plan.<br />

Durch einen schweren Schicksalsschlag, „durch den Eindruck des Unerwarteten, Grausigen“ 204<br />

wollte sie ihren „[h]altlosen, [s]chwächlichen“ 205 Dichtergatten „zu einer großen Tat anregen“ 206 .<br />

Diesen Gedanken eröffnete Stieglitz ihrem Ehemann in einem Abschiedsbrief, bevor sie sich am<br />

29. Dezember 1834 erdolchte. Sie hatte geglaubt, ihrem Ideal nur noch auf diese Weise dienen zu<br />

können, doch Ihr Ehemann erwies sich dieses großen Opfers „unwert“ 207 . Die Begeisterung <strong>und</strong><br />

Bew<strong>und</strong>erung, mit der die gesamte romantische Jugend Deutschlands auf die Tat des „junge[n]<br />

begabte[n] Weib[es]“ 208 reagierte, schmeichelte der Eitelkeit des Ehemannes gar zu sehr. Statt nun<br />

große dichterische Werke zu verfassen, wie es Stieglitz bezweckt hatte, stellte er seine durch ihr<br />

Opfer überhöhte Person in den Mittelpunkt des Interesses – wodurch er die selbstlose Tat seiner<br />

Ehefrau jedoch nach Meinung Blos‘ vollkommen entwürdigte. Aus deren „eigenster innerster<br />

Natur“ 209 sei die Tat, sei der Suizid hervorgegangen. Sie sei eine Schwärmerin gewesen, die „ihre<br />

poetischen Ideale nicht mit der Wirklichkeit in Harmonie bringen“ 210 <strong>und</strong> damit „nicht sich selbst<br />

treu bleiben“ 211 konnte. Stieglitz war laut Blos „ein echtes Kind ihrer Zeit“ 212 <strong>und</strong> im Gegensatz<br />

zur Frau des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts suchte sie die Lösung ihres inneren Konfliktes in der Zerstörung<br />

ihres Selbst <strong>und</strong> nicht in einem „lebensvolle[n] Wirken“ 213 für die Verwirklichung desselben.<br />

Zum Leben der Schriftstellerin <strong>und</strong> Lyrikerin Ricarda Huch (1864-1947) veröffentlichte die<br />

„Gleichheit“ – der Aufforderung zum Nachdruck folgend – im September 1918 einen Artikel von<br />

Lida Gustava Heymann (1868-1943) – einer Führerin der bürgerlich-radikalen<br />

201 Ebd.<br />

202 Ebd.<br />

203 Ebd.<br />

204 Ebd., S. 261.<br />

205 Ebd.<br />

206 Ebd.<br />

207 Ebd.<br />

208 Ebd.<br />

209 Ebd.<br />

210 Ebd.<br />

211 Ebd.<br />

212 Ebd.<br />

213 Ebd.<br />

343


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Frauenbewegung. Dieser Artikel ist zwar keine biographische Skizze im engeren Sinne, maß der<br />

Persönlichkeit Huchs aber eine große Bedeutung für die Frauenbewegung bei.<br />

Heymann stellt an den Anfang ihres Artikels einen empörten Vorwurf an die männlich dominierte<br />

deutsche Gesellschaft:<br />

„In keinem anderen Lande wird Frauenarbeit, Frauenkönnen, Frauengeist, Frauengenie<br />

so minderwertig eingeschätzt wie in Deutschland.“ 214<br />

Heymann bezog sich damit nicht auf die Demobilmachungsverordnungen 215 , auch wenn diese sich<br />

zu diesem Zeitpunkt bereits angekündigt haben dürften. Ihr ging es vielmehr um die kulturschöp-<br />

ferische Leistung von Frauen <strong>und</strong> ihre sehr unterschiedliche Bewertung in den einzelnen Ländern.<br />

Für diese unterschiedliche Bewertung seien besonders Huch <strong>und</strong> die schwedische Schriftstellerin<br />

Selma Lagerlöf (1858-1940) ein Paradebeispiel. Während Lagerlöf in Schweden mit Ehrungen<br />

nur so überhäuft würde, bliebe „Deutschlands größte Schriftstellerin“ 216 trotz ihres „gottbegna-<br />

dete[n] Genie[s]“ 217 unbekannt <strong>und</strong> ungerühmt. Heymann kritisierte die patriarchalische Struktur<br />

der deutschen Kulturlandschaft <strong>und</strong> schrieb:<br />

„Würde ein Mann Werke von der Eigenart, dem Geist <strong>und</strong> der Größe einer Ricarda<br />

Huch schaffen, man würde sich seiner in Deutschland rühmen […] wie man es in<br />

Deutschland bei Schriftstellern, die nichts von dem Genie einer Ricarda Huch<br />

spüren ließen, zum Beispiel Felix Dahn, Georg Ebers <strong>und</strong> anderen, zu tun pflegte.“<br />

218<br />

Ein in der „Gleichheit“ selten zu findender feministischer Ton, in welchem hier das männer-<br />

dominierte deutsche Verlagswesen angeklagt wurde. Der Artikel wäre unter der Redaktion Zetkins<br />

vermutlich nicht zur Veröffentlichung gelangt, denn Zetkin hätte die Ursache für Huchs Benach-<br />

teiligung im kapitalistischen Charakter des Verlagswesens gesehen, nicht im Konkurrenzkampf<br />

mit den Männern.<br />

Heymann war davon überzeugt, dass Huch allein wegen ihres Geschlechts diskriminiert werde.<br />

Ihre Werke seien über jede Kritik erhaben <strong>und</strong> ihre Lektüre<br />

„St<strong>und</strong>en weihevollen Genießens, in denen die Seele sich rein badet vom Schmutze<br />

des Weltgeschehens, in denen der Mensch weit über sich selbst hinauswächst, sein<br />

Denken bereichert, sein Wissen <strong>und</strong> Fühlen vertieft, sein Können reift <strong>und</strong> sein<br />

wahres Menschentum erwacht“ 219 .<br />

Es ist bemerkenswert, in welcher Weise die beschriebene Wirkung von Literatur der sozialis-<br />

tischen Vorstellung einer Persönlichkeitsentwicklung zum „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ entspricht.<br />

214 Heymann, Lida Gustava: Ricarda Huch. In: GL, 28/ 26/ 27.09.1918/ 204.<br />

215 Siehe: Kapitel 4.5.<br />

216 Heymann, Lida Gustava: Ricarda Huch. In: GL, 28/ 26/ 27.09.1918/ 204.<br />

217 Ebd.<br />

218 Ebd., S. 205. Dahn war Jurist, Schriftsteller <strong>und</strong> Historiker, Ebers Schriftsteller <strong>und</strong> Ägyptologe.<br />

219 Ebd.<br />

344


Und auch Huch selbst sei eine<br />

4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN<br />

„große[…] vorurteilslose[…] Frau, ein[…] intelligente[r] Mensch[…], der trotz<br />

einer Überfülle von Phantasie, Leidenschaft <strong>und</strong> Temperament Meister seines<br />

Stoffes bl[iebe]“ 220 .<br />

Heymann – selbst im Literaturvertrieb tätig – wollte mit ihrem Artikel eine große Werbeaktion für<br />

die Werke Huchs starten. Vor allem legte sie den Leserinnen deren geschichtliche Romane „Der<br />

große Krieg in Deutschland“(1912-14), „Das Leben des Grafen Federigo Consalonieri“ (1910)<br />

<strong>und</strong> „Wallenstein“ (1915) ans Herz. Huchs „Art der Geschichtsschreibung“ 221 , lasse „Geschichte<br />

durchleben“ 222 <strong>und</strong> bedeute „das Herannahen einer neuen Epoche“ 223 . Diese neue Epoche sehnte<br />

Heymann herbei, da im Moment „quantitativ sehr viel <strong>und</strong> qualitativ sehr, sehr wenig auf schrift-<br />

stellerischen Gebiet geleistet w[erde]“ <strong>und</strong> sie gerade „die gesamte Kriegsliteratur […] mit Ekel<br />

erfüll[e]“ 224 . Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> seien Huchs Werke von umso größerer künstlerischer <strong>und</strong><br />

gesellschaftlicher Bedeutung. Heymann wünschte sich, dass ihr Artikel der Start einer großen<br />

Kampagne sei, denn ihrer Meinung nach seien vereinzelte Artikel in der Tagespresse für die<br />

richtige Würdigung Huchs unzureichend. Sie wollte stattdessen „eine sich immer wiederholende<br />

Propaganda in der gesamten Presse“ 225 – auch in der sozialdemokratischen Presse. Besonders die<br />

Massenwirkung der sozialdemokratischen Presse war Heymann sehr wichtig. Wenn Huchs Werke<br />

„Eigentum der Masse“ 226 würden, so die Überzeugung Heymanns, könnten sie „das moralische<br />

<strong>und</strong> künstlerische Niveau eines Volkes […] heben“ 227 . Nach den verheerenden Kriegsjahren sollte<br />

eine solche Hebung jeder Leserin in ihrem eigenen Interesse unerlässlich sein. Demnach erachtete<br />

Heymann in den Werken Huchs das besondere Potential, einen <strong>weiblichen</strong> Einfluss auf die<br />

deutsche Kultur <strong>und</strong> eine weibliche Sicht auf Krieg <strong>und</strong> Geschichte geltend zu machen.<br />

220 Ebd.<br />

221 Ebd., S. 206.<br />

222 Ebd.<br />

223 Ebd.<br />

224 Ebd., S. 205.<br />

225 Ebd.<br />

226 Ebd., S. 206.<br />

227 Ebd.<br />

345


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

4.1.3 Frauen der Französischen Revolution<br />

Obwohl sie Zeitzeuginnen des wohl geschichtsträchtigsten Ereignisses des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

waren, scheinen Agnesi <strong>und</strong> Karschin in ihrem Wirken keinerlei Bezug auf die Französische<br />

Revolution genommen zu haben. Sie haben daher vermutlich nie etwas von der „schöne[n],<br />

unglückliche[n] Lütticher Amazone“ 228 Théroigne de Méricourt (1762-1817) gehört - wie auch so<br />

manche „Gleichheit“-Leserin.<br />

Mit Méricourt wollte Zetkin ihren Leserinnen eine „typische Vertreterin“ 229 für die<br />

„vielen französischen Frauen [vorstellen], welche in der großen Revolution <strong>und</strong> in<br />

den späteren revolutionären Gewitterstürmen mit bewaffneter Hand <strong>und</strong> thatenkühn<br />

für die allgemeine Freiheit, Gleichheit <strong>und</strong> Brüderlichkeit kämpften“ 230 .<br />

Vor allem dieser oft von der Geschichtsschreibung unterschlagene Anteil der Frauen an der<br />

Französischen Revolution ist es, den Zetkin in ihrem Artikel betont. Sie sieht in Méricourt „[d]ie<br />

Verkörperung des streitbaren heroischen Weibes im Dienste einer begeisternden Idee“ 231 . Die Geg-<br />

ner der Revolution hätten sie <strong>und</strong> viele andere beteiligte Frauen als „‘Abschaum’ der Frauenwelt,<br />

‘sittenlose, verkommene Geschöpfe’“ 232 verhöhnt. Ganz anders jedoch „das Volk“ 233 . Dies habe<br />

Méricourts bewegten Lebensweg<br />

„in Wahrheit <strong>und</strong> Dichtung zu einem Schleier zusammen[gewoben], welcher mit<br />

seinem Romantismus die dunklen Flecken eines unglücklichen Lebens mild zu<br />

verhüllen sucht“ 234 .<br />

Die „Gleichheit“-Leserinnen durften demnach auf eine ergreifende Lebensgeschichte gespannt<br />

sein. Zetkin verstand es, diese Spannung noch zu erhöhen. Mit jeder neuen Forschungserkenntnis<br />

zur Person Méricourts, so Zetkin, behalte<br />

„auch ihr gegenüber das ‘Alles verstehen heißt Alles verzeihen’ sein volles Recht“<br />

235 .<br />

Zum einen betonte Zetkin hiermit die Notwendigkeit historischer Frauenforschung, um einer<br />

historischen Persönlichkeit gerecht zu werden. Zum anderen hält sie außerdem die Leserinnen an,<br />

bei ihrer Beurteilung Méricourts besondere Toleranz <strong>und</strong> Verständnis zu zeigen. Schnell zeigte<br />

sich warum.<br />

228 Théroigne de Méricourt. In: GL, 03/ 01/ 11.01.1893/ 7.<br />

229 Ebd.<br />

230 Ebd.<br />

231 Ebd.<br />

232 Ebd.<br />

233 Ebd.<br />

234 Ebd.<br />

235 Ebd.<br />

346


4.1.3 FRAUEN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION<br />

Die sich nach ihrem Geburtsort in der Nähe Lüttichs nennende Méricourt war die Tochter eines<br />

wohlhabenden Pächters. Sie habe nicht nur eine „anmuthige, zarte Schönheit“ 236 <strong>und</strong> ein „leben-<br />

sprühende[s] Antlitz mit […] funkelnden, schwarzen Augen“ 237 besessen, sondern auch eine<br />

„unbeugsame Energie“ 238 , „einen ungewöhnlich lebhaften Geist, eine feurige Phantasie <strong>und</strong> hin-<br />

reißende natürliche Beredtsamkeit“ 239 . Noch in jungem Alter von einem Adeligen verführt, wurde<br />

sie von ihrem Vater verstoßen. Sie verließ ihre Heimat <strong>und</strong> wurde in England die Geliebte<br />

verschiedener wohlhabender Männer. Zusammen mit einem ihrer Geliebten kehrte Méricourt<br />

zurück <strong>und</strong> ließ sich in Paris nieder. Hier empfing sie in ihrem Salon revolutionäre Vorkämpfer<br />

wie Abbé Emmanuel Joseph Sièyes, Maximilien de Robespierre <strong>und</strong> Camille Desmoulins, mit<br />

deren literarischen <strong>und</strong> philosophischen Werken sie sich bereits in England beschäftigt hatte. Sie<br />

wurde eine „schön[e] <strong>und</strong> geistig bedeutend[e] Kurtisane“ 240 , die jedoch die Fähigkeit der Liebe<br />

für einen Mann verloren <strong>und</strong> sich ein ganz anderes Lebensziel gesetzt habe:<br />

„All das Feuer ihres leidenschaftlich klopfenden Herzens, die ganze Begeisterung<br />

ihres hochfliegenden Geistes weihte sie der Sache der Revolution. […] Ihr Leben<br />

war <strong>und</strong> blieb ein geopfertes, aber sie wollte mit Drangabe ihres ganzen Wesens,<br />

mit Anspannung all ihrer Willenskraft für neue gesellschaftliche Zustände wirken,<br />

in der es ihrer Ueberzeugung nach keinen Platz mehr geben konnte für Gefallene<br />

<strong>und</strong> Verführer, für den Schacher von Mensch zu Mensch. Ihre eigene Achtung<br />

wollte sie zurückgewinnen, durch Thaten ihre Person von dem ihr anhaftenden<br />

Makel erlösen. Aber Théroigne de Méricourt war keine sentimentale, in rührseligen<br />

Thränen der Reue zerfließende Natur, der Gr<strong>und</strong>ton ihres Wesens war der leidenschaftliche<br />

Thatendrang; so ward sie nicht zur Bürgerin, vielmehr zur Heldin.“ 241<br />

Méricourt sah die Notwendigkeit, die Gesellschaft, von der sie diskriminiert wurde, zu verändern.<br />

Ihr revolutionärer Kampf war aber auch davon getrieben, so Zetkin, „Rache […] an der Kaste“ 242<br />

zu nehmen, aus der der Verführer stammte, „der ihr Leben vergiftet“ 243 habe.<br />

In einem „weithin leuchtenden rothseidenen Jacket“ 244 , mit breitkrämpigem Federhut, großem Sä-<br />

bel <strong>und</strong> zwei Pistolen nahm Méricourt an den Kämpfen teil. Sie sei es gewesen, die während des<br />

Marsches der Pariser Frauen am 5. Oktober 1789 nach Versailles das königliche Flandern-Regi-<br />

ment überzeugte, sich der Sache des Volkes anzuschließen statt auf es zu schießen. 1791 wurde sie<br />

236 Ebd.<br />

237 Ebd.<br />

238 Ebd.<br />

239 Vgl. ebd.<br />

240 Ebd.<br />

241 Ebd.<br />

242 Ebd.<br />

243 Ebd.<br />

244 Ebd.<br />

347


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

auf dem Weg nach Lüttich, wo sie gegen den dortigen Bischof agitieren wollte, denunziert, ver-<br />

haftet <strong>und</strong> nach Wien ausgeliefert. Dort wurde sie angeklagt, im Oktober 1789 gegen die aus<br />

Österreich stammende Königin Marie Antoinette (1755-1793) ein Attentat versucht zu haben.<br />

Weil diese Anklage jedoch haltlos war, wurde Méricourt bald wieder freigelassen.<br />

Auch bei dem Sturm auf die Tuilerien am 10. August 1792 kämpfte sie in der ersten Reihe <strong>und</strong><br />

wurde dafür später mit einer Ehrenkrone geehrt. Eine eher zweifelhafte Geschichte besage, so<br />

Zetkin, dass Méricourt bei diesen Kämpfen auf ihren Verführer getroffen sei <strong>und</strong> ihn eigenhändig<br />

getötet habe. Für Zetkin war diese Geschichte jedoch nur eine Erfindung der Volksmassen,<br />

entstanden aus deren „Bedürfnis[…] nach einer ausgleichenden Gerechtigkeit“ 245 . In dieser Beur-<br />

teilung zeigten sich Zetkins massenpsychologische Kenntnisse.<br />

In der errungenen Republik besuchte Méricourt regelmäßig die Nationalversammlung <strong>und</strong> betei-<br />

ligte sich an deren politischen Debatten. Sie habe dort nicht nur beweisen können, dass sie „kühn,<br />

tapfer <strong>und</strong> klug“ 246 war, sondern auch „Muth <strong>und</strong> die Treue der Ueberzeugung“ 247 besaß. Aus<br />

Letzterem heraus habe sie sich auf die Seite der Girondisten <strong>und</strong> gegen die Schreckensherrschaft<br />

Robespierres gestellt. 248 Der Gironde anzugehören, war für Méricourt nicht ungefährlich: Bei<br />

einem Spaziergang in den Tuilerien sei sie „von einer Gruppe von Männern umringt, ergriffen, zu<br />

Boden geworfen <strong>und</strong> unter dem Gelächter der Umstehenden wie ein unartiges Kind auf den<br />

nackten Körper gezüchtigt“ 249 worden. Diese Demütigung habe sie so tief verletzt, dass sie wahn-<br />

sinnig wurde <strong>und</strong> von Wahnvorstellungen verfolgt, habe sie nur noch „[ge]schrie[en], [ge]tobt[…]<br />

<strong>und</strong> […] sich mit den Nägeln“ 250 zerfleischt. So sei Méricourts bewegtes Leben „in düsterer<br />

Tragik“ 251 zu Ende gegangen <strong>und</strong><br />

„[n]ur die wenigen Jahre des Kampfes, der schrankenlosen Hingabe an die Sache<br />

der Revolution hatten Sonnenstrahlen der inneren Befriedigung <strong>und</strong> des Glücks in<br />

ihre Existenz geworfen“ 252 .<br />

Zetkin zog das Resümee, dass es der Kampf für die Revolution gewesen sei, der dem Leben<br />

Méricourts im Gr<strong>und</strong>e Sinn <strong>und</strong> Freude gegeben habe. Méricourt, die „Galeerensklavin fremder<br />

245 Ebd., S. 8.<br />

246 Ebd.<br />

247 Ebd.<br />

248 Im Falle Méricourts erkannte Zetkin diese eher gemäßigte politische Einstellung noch kritiklos an. Im Falle der<br />

folgenden biographischen Skizze von Jeanne-Marie Roland setzte sie sich noch etwas dezidierter mit der Gironde<br />

auseinander.<br />

249 Ebd.<br />

250 Ebd.<br />

251 Ebd.<br />

252 Ebd.<br />

348


4.1.3 FRAUEN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION<br />

Lust“ 253 , habe in ihrer Hingabe an die Revolution Erlösung gesucht. Anders als die biblische<br />

Gestalt der Maria Magdalena, so Zetkin, habe sie ihr Heil nicht in „Gebet <strong>und</strong> Kasteiungen“ 254 ,<br />

„sondern als eine für die Allgemeinheit wirkende, muthige Kämpferin“ 255 gef<strong>und</strong>en. Und schließ-<br />

lich erklärte Zetkin ihren Leserinnen, dass man „Magdalenengestalten“ wie Méricourt „in jeder<br />

geschichtlichen Bewegung [begegne], welche allen Müseligen <strong>und</strong> Beladenen Erquickung ver-<br />

heißt“ 256 . Meist seien sie „[u]nschuldig Schuldige […], unglückseliger Verhältnisse unglückselige<br />

Opfer“ 257 . Und in Bezugnahme auf ihre einleitenden Worte war Zetkin der Meinung, dass das<br />

Wirken Méricourts <strong>und</strong> das anderer unbekannter Schicksalsgenossinnen „rückhaltlose Aner-<br />

kennung <strong>und</strong> Bew<strong>und</strong>erung“ 258 verdiene. Für „die dunklen Flecken“ 259 ihres Lebensweges solle, so<br />

die bibelfeste Zetkin, „das Wort milder Weisheit des großen Nazarener’s“ 260 gelten: „‘Wer unter<br />

Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.’“ 261<br />

Während Zetkin für Méricourt lediglich ein betont mitleidiges Verständnis aufbrachte, zeigte sie<br />

für Jeanne-Marie Roland (1754-1793) eine auffällige <strong>und</strong> aufrichtige Bew<strong>und</strong>erung. Sie ließ sich<br />

sogar zu folgendem Superlativ hinreißen:<br />

„<strong>Von</strong> all den glänzenden Frauengestalten, welche im Laufe der großen französischen<br />

Revolution an die Oberfläche des öffentlichen Lebens emportauchten <strong>und</strong><br />

dann zum großen Theil von dem Strudel des gewaltigen Stroms der Ereignisse<br />

verschlungen wurden, kann sich wohl keine an Bedeutung auch nur im Entferntesten<br />

mit Madame Roland messen.“ 262<br />

Nicht nur, dass sie Roland eine besondere historische Bedeutung beimisst, Zetkin ließ es sich auch<br />

hier nicht nehmen, die gr<strong>und</strong>sätzlichen Probleme der Geschichtsüberlieferung hinsichtlich des<br />

<strong>weiblichen</strong> Anteils an der Französischen Revolution anzusprechen.<br />

Als Tochter des Graveurs <strong>und</strong> Bijouteriewarenhändlers Phlipon <strong>und</strong> seiner „herzensgute[n], ein-<br />

fache[n], etwas beschränkte[n] Frau“ 263 sei Roland sich als Kind oft selbst überlassen gewesen.<br />

Ihre Eltern konnten zu ihrer Bildung wenig beitragen, weshalb sie sich – dank ihres lebhaften <strong>und</strong><br />

253 Ebd.<br />

254 Ebd.<br />

255 Ebd.<br />

256 Ebd.<br />

257 Ebd.<br />

258 Ebd.<br />

259 Ebd.<br />

260 Ebd.<br />

261 Ebd.<br />

262 Madame Roland. In: GL, 04/ 01/ 10.01.1894/ 3.<br />

263 Ebd., S. 4.<br />

349


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

regsamen Geistes <strong>und</strong> festen Willens – mit Lesen, Schreiben, Rechnen, Geographie, Geschichte,<br />

Latein, Astronomie, Physik <strong>und</strong> Philosophie im Selbststudium beschäftigt habe. Da in Rolands<br />

Kinder- <strong>und</strong> Jugendjahren nichts auf ihre spätere Entwicklung hindeutete, war sie für Zetkin noch<br />

weit mehr als Méricourt ein Beispiel für die Bedeutung bewusst getroffener Entscheidungen:<br />

„Das Schicksal war Madame Roland nicht an der Wiege gesungen worden; sie hat<br />

es sich selbst geschmiedet, soweit die Gestaltung eines Lebens von dem Willen<br />

einer Person abhängen kann.“ 264<br />

Es ist die Frage gegenseitiger Beeinflussung von Mensch <strong>und</strong> Umwelt, die Zetkin hier aufwarf<br />

<strong>und</strong> auf die sie in diesem Artikel immer wieder zurückkam.<br />

Die größte Leidenschaft Rolands – von Zetkin meist vertraulich mit ihrem Rufnamen „Manon“<br />

bezeichnet – galt dem Lesen: Reisebeschreibungen, Geschichtsbücher, die Bibel, Gedichte <strong>und</strong><br />

Romane waren ihre bevorzugte Lektüre. Ihre Begeisterung für die Sache der Republik entfachten<br />

Plutarchs „Lebensbeschreibungen berühmter Männer“ (begonnen 96), die sie bereits im Alter von<br />

neun Jahren gelesen habe. Trotzdem sei Roland eben kein „trockener Bücherwurm oder ein<br />

einseitiger, linkischer <strong>und</strong> weltfremder Blaustrumpf“ 265 gewesen, sondern habe es wie wohl jedes<br />

Mädchen der Bourgeoisie genossen, Komplimente für ihren Tanz, für ihre Haltung oder Kleidung<br />

zu bekommen. Nachdem sie ein Jahr in einem Kloster erzogen worden war, reiste sie zu ihrer<br />

Großmutter, um von dieser in die „gute Gesellschaft“ eingeführt zu werden. Dies sei die erste<br />

Entwicklungsetappe „ihres Hasses gegen die soziale Ungleichheit“ 266 , ihrer starken Ablehnung der<br />

adeligen Geburtsrechte gewesen. Jedoch betonte Zetkin, dass „das Gefühl, die Auffassung einer<br />

ganzen unterdrückten Klasse“ 267 , die in Rolands Memoiren zum Ausdruck kämen, das Gefühl <strong>und</strong><br />

die Auffassung der zeitgenössischen Bourgeoisie gewesen seien. Roland, so Zetkin, habe den<br />

Hass des so genannten „‘dritten Standes’ gegen die soziale Ungleichheit nach oben“ 268 verkörpert.<br />

Sie wurde zur „Heldin der Revolution“ 269 , welche aber, so erneut Zetkins einschränkender Hin-<br />

weis, eine bürgerliche Revolution war.<br />

Mit der Weiterentwicklung ihrer „Geistes- <strong>und</strong> Charakterrichtung“ 270 wurde die kritische Aus-<br />

einandersetzung mit ihrem „Kirchenglauben[…]“ 271 für Roland unumgänglich. Sie distanzierte<br />

sich von ihm <strong>und</strong> stellte „sich entschieden auf den materialistischen Standpunkt der Enzyklo-<br />

264 Ebd.<br />

265 Ebd.<br />

266 Ebd.<br />

267 Ebd.<br />

268 Ebd.<br />

269 Ebd.<br />

270 Ebd., S. 5.<br />

271 Ebd.<br />

350


4.1.3 FRAUEN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION<br />

pädisten“ 272 . Und so seien an die Stelle religiösen Gehorsams „ihre ungemein hohen <strong>und</strong> strengen<br />

Begriffe von Tugend <strong>und</strong> Pflicht“ 273 getreten. Nicht in der Religion, sondern in ihrer politischen<br />

Überzeugung fand sie demnach den nötigen Halt 274 – nur eine von vielen Ähnlichkeiten mit den<br />

persönlichen Prinzipien Zetkins.<br />

Immer mehr verschrieb sich Roland den Idealen der Republik. Dies tat sie jedoch nicht mehr nur<br />

aus „schwärmerischer Gefühlsseligkeit“ 275 , sondern aus „bewußter Ueberzeugung“ 276 – ein ent-<br />

scheidendes Moment des Frauenleitbildes des „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“. Weil ihr Vater nach<br />

dem Tod der Mutter einem sehr ausschweifenden Lebensstil verfiel, sah sich Roland veranlasst, in<br />

das Kloster ihrer Jugendzeit zurückkehren, wo sie sich weiteren Studien widmete.<br />

Zu einer schönen Frau mit „fesselnde[r], sympathische[r] äußere[r] Erscheinung“ 277<br />

herangewachsen, wurde sie von vielen Männern umworben. Jedoch seien ihre Ansprüche an<br />

„Geist <strong>und</strong> Charakter“ 278 eines potentiellen Partners so hoch gewesen, dass keiner ihrer Verehrer<br />

ihnen gerecht werden konnte. Schließlich lernte sie 21-jährig den 20 Jahre älteren Jean Marie<br />

Roland de la Platière, einen Manufaktur-Inspektor des Finanzwesens, kennen <strong>und</strong> lieben. Ihre<br />

Partnerwahl sei umso bemerkenswerter gewesen, als dieser weder vom Äußeren noch vom Wesen<br />

her anziehend <strong>und</strong> sie ihm an Energie <strong>und</strong> Intelligenz weit überlegen gewesen sei. 279 Ihre<br />

gemeinsamen Berührungspunkte waren vor allem die Schwärmerei für die antiken Republiken,<br />

für die Philosophie <strong>und</strong> eine „puritanische Einfachheit <strong>und</strong> Strenge der Sitten“ 280 . 1780 – nach<br />

fünf Jahren fre<strong>und</strong>schaftlichen Umgangs miteinander – heirateten sie. Roland habe sich von dieser<br />

Verbindung vor allem den Kontakt mit politisch Gleichgesinnten <strong>und</strong> eine Ausweitung ihres<br />

Wirkungs- <strong>und</strong> Erfahrungskreises erhofft. Außerdem habe sie aber auch ihrem Ehemann „eine<br />

treue, hingebende Gefährtin <strong>und</strong> Mitarbeiterin“ 281 sein wollen – ein Vorsatz, den sie „ihrem<br />

strengen Pflichtgefühl entsprechend“ 282 auch gehalten habe. Ebenso erfüllte Roland an ihrer<br />

Tochter, die „leider keine der Geistesgaben der Mutter geerbt“ 283 habe, „ihre Mutterpflichten in<br />

272 Ebd.<br />

273 Ebd.<br />

274 Vgl. ebd. <strong>und</strong> Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 92.<br />

275 Madame Roland. In: GL, 04/ 01/ 10.01.1894/ 5.<br />

276 Ebd.<br />

277 Ebd.<br />

278 Ebd.<br />

279 Vgl. ebd. <strong>und</strong> Soll, Karl: Politische Frauen. In: GL, 29/ 26/ 16.08.1919/ 204.<br />

280 Madame Roland. In: GL, 04/ 01/ 10.01.1894/ 5.<br />

281 Ebd.<br />

282 Ebd.<br />

283 Madame Roland. (Fortsetzung statt Schluß.). In: GL, 04/ 02/ 24.01.1894/ 11.<br />

351


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

ausgezeichneter Weise“ 284 <strong>und</strong> sei ihr eine „vernünftige <strong>und</strong> liebevolle Erzieherin“ 285 gewesen.<br />

Auch wenn ihre Schwärmerei für die ideale Republik sie mit vielen jungen Männern verband, so<br />

Zetkin, beließ sie es stets bei fre<strong>und</strong>schaftlichen Verhältnissen <strong>und</strong> blieb ihrem alternden Ehemann<br />

treue Gehilfin <strong>und</strong> Pflegerin.<br />

Der Fall der Bastille am 14. Juli 1789 wurde mit großer Begeisterung <strong>und</strong> Hoffnung im Hause<br />

Roland aufgenommen. Roland agitierte sogar unter den BewohnerInnen des nahegelegenen<br />

Dorfes, denen sie oft medizinische Hilfe geleistet hatte. Ein Jahr später verfasste sie anonym einen<br />

begeisterten <strong>und</strong> begeisternden Bericht zur Nationalfeier, der in 60.090 Exemplaren verbreitet<br />

wurde. 286 Mit der Revolution kam für Roland de la Platière die politische Karriere: Er wurde 1791<br />

als Abgeordneter der Stadt Lyon in die Nationalversammlung gewählt, weshalb die Familie nach<br />

Paris übersiedelte. An dieser Stelle gab Zetkin den „Gleichheit“-Leserinnen einen Ausblick auf<br />

die weiteren Ereignisse im Leben Jeanne-Marie Rolands:<br />

„binnen 18 Monaten ward sie nacheinander die Beherrscherin des Ministeriums<br />

des Innern, die Beratherin <strong>und</strong> Wortführerin einer politischen Partei, die<br />

Gefangene, welche im Angesicht des Todes mit ruhig-klarem Geist ihre Memoiren<br />

schreibt, das Opfer ihrer Ueberzeugung <strong>und</strong> der unvermeidlichen, erbitterten<br />

Parteikämpfe.“ 287<br />

Bis sich dieses Schicksal erfüllte, stürzte sich Roland in den Strudel der Revolution. Besonders<br />

wichtig war es Zetkin, hervorzuheben, dass Roland sich nicht „willenlos“ 288 habe treiben lassen,<br />

sondern „ihr Schifflein auch gegen den Strom“ 289 steuerte <strong>und</strong> „in eine ihr zusagende Bahn […]<br />

lenk[te]“ 290 . Wie Méricourt besuchte auch Roland regelmäßig die Nationalversammlung <strong>und</strong><br />

politische Klubs <strong>und</strong> habe im Gegensatz zu vielen Männern, deren Kampfesgeist bereits ermüdet<br />

war, vor scheinbar unerschöpflicher Energie gestrotzt. Sie habe nicht zu jenen gehört, die über die<br />

„Tagesereignisse[…]“ oder „Augenblicks- <strong>und</strong> Sonderinteressen“ 291 das Endziel – die Beseitigung<br />

der Monarchie als Beginn einer neuen Ordnung – oder das Klasseninteresse der Bourgeoisie<br />

vergessen hatten. Rolands Bewusstsein <strong>und</strong> Instinkt für die Interessen ihrer Klasse seien sehr stark<br />

gewesen. Zetkin warnte deshalb auch die „Gleichheit“-Leserinnen davor, sich Roland als „Typus<br />

einer Revolutionärin aus dem Volke“ 292 vorzustellen. Sie sei eben nicht „durch den Druck<br />

284 Ebd.<br />

285 Ebd.<br />

286 Ebd.<br />

287 Ebd.<br />

288 Ebd.<br />

289 Ebd.<br />

290 Ebd.<br />

291 Ebd.<br />

292 Ebd., S. 12.<br />

352


4.1.3 FRAUEN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION<br />

unerträglicher Leiden zur Empörerin geschmiedet, in den Kampf getrieben“ 293 worden, sondern<br />

habe sich als „Angehörige des ‘honetten Bürgerthums’“ 294 gefühlt. An dessen wirtschaftlicher <strong>und</strong><br />

sozialer Gleichberechtigung sei sie interessiert <strong>und</strong> von dessen geistiger <strong>und</strong> sittlicher Über-<br />

legenheit sei sie überzeugt gewesen. Das „Volk“ dagegen war für sie ein abstrakter Begriff, der<br />

am ehesten noch für „das durch Besitz <strong>und</strong> Bildung einflußreiche Bürgerthum“ 295 stand. Die<br />

ArbeiterInnen, die Roland anfangs wegen ihres Kampfes gegen den Absolutismus bew<strong>und</strong>ert<br />

hatte, waren später in ihren Augen nur noch ein „‘mordlüsterne[r] Pöbel’“ 296 . Und auch wenn sie<br />

Mitleid für die Massen empfand, so erkannte sie jedoch nicht die wahren Ursachen für deren<br />

Elend <strong>und</strong> suchte stattdessen in Verfassungsgebung <strong>und</strong> bourgeoiser Wohltätigkeit die Lösung der<br />

sozialen Probleme. „[D]ie Ungleichheit zwischen Besitzenden <strong>und</strong> Besitzlosen nach unten“, so<br />

Zetkin, sei „ihr gar nicht recht zum Bewußtsein“ 297 gekommen – jedenfalls nicht so zu Bewusst-<br />

sein wie es sich Zetkin für eine sozialistische Klassenkämpferin <strong>und</strong> idealtypische Leserin der<br />

„Gleichheit“ gewünscht haben dürfte.<br />

Ihre bürgerliche Einstellung habe Roland die radikalen Forderungen der „Bergpartei“ – laut<br />

Zetkin die Partei des Kleinbürgertums <strong>und</strong> der Arbeiter – ablehnen lassen, habe „naturnoth-<br />

wendig“ 298 dazu geführt, dass sie sich schließlich der gemäßigten „Gironde“ anschloss. Eine – wie<br />

Zetkin bereits zu Beginn ihres Artikels betont hatte – vollkommen bewusste Entscheidung <strong>und</strong><br />

nicht etwa beeinflusst durch persönliche Beziehungen oder ihren Ehemann. Dieser war zwar<br />

offizielles Mitglied der Nationalversammlung, doch habe nicht er das Haus Roland zum Sammel-<br />

punkt der Girondisten gemacht – es war seine Ehefrau. Ihre Haltung war richtungweisend für die<br />

gesamte Gruppe, sie war die „Seele der Partei“ 299 <strong>und</strong> sie „flößte den Gesinnungsgenossen ihre<br />

Energie ein, ihren felsenfesten Glauben an das erträumte Ideal“ 300 . Auch hier sind Ähnlichkeiten<br />

zu Zetkins eigenem Anspruch auf die Rolle der prinzipientreuen Führerin der SPD unverkennbar.<br />

Nicht seine Fachkenntnisse seien für die Ernennung Jean Marie Roland de la Platières zum Innen-<br />

minister ausschlaggebend gewesen, sondern die „scharfblickende, energische, als Geist <strong>und</strong> Cha-<br />

rakter gleich bedeutende Frau“ 301 an seiner Seite. Roland habe jedoch nicht nur als Frau im<br />

293 Ebd.<br />

294 Ebd.<br />

295 Ebd.<br />

296 Ebd.<br />

297 Ebd.<br />

298 Ebd.<br />

299 Ebd., S. 13.<br />

300 Ebd.<br />

301 Ebd.<br />

353


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Hintergr<strong>und</strong> Politik gemacht. Ein von ihr zur Vetopolitik Ludwigs XVI. veröffentlichter Brief<br />

habe sogar letztendlich den Sturz des Königs vorbereitet. 302 Zetkin hob jedoch hervor, dass das,<br />

was danach folgte – die Erstürmung der Tuilerien <strong>und</strong> die Gefangennahme des Königs – „das<br />

Werk der energischen Agitation der Bergpartei“ 303 gewesen sei – auch wenn die Girondisten nur<br />

zu gerne „die Früchte der geschaffenen Situation“ 304 für sich in Anspruch genommen hätten.<br />

Kaum war das gemeinsame Ziel – die Absetzung des Königs – erreicht, brachen die Gegensätze<br />

der beiden Parteien noch stärker hervor. Die Gironde glaubte die Konterrevolution des Adels<br />

„durch glänzende Parlamentsreden, durch theoretische Erörterungen <strong>und</strong> Erklärungen über<br />

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Republik, Tugend, Bürgerpflicht ec.“ 305 verhindern zu<br />

können. Doch selbst diese theoretischen Ideale gab sie angesichts der radikaler werdenden Berg-<br />

partei <strong>und</strong> vor allem in Wahrung des eigenen Klasseninteresses nach <strong>und</strong> nach preis. 306 So<br />

energisch Roland das Königtum bekämpft hatte, so energisch kämpfte sie nun, so Zetkin, gegen<br />

jede Annäherung von Gironde <strong>und</strong> Bergpartei. Als „entschiedenste <strong>und</strong> konsequenteste Vertreterin<br />

der girondistischen Gr<strong>und</strong>sätze <strong>und</strong> an Thatkraft <strong>und</strong> Charakter in manchen Lagen der einzige<br />

‘Mann’ der Partei“ 307 habe Roland jeden Annäherungsversuch zwischen den Parteien verhindern<br />

wollen. Sie blieb der prinzipienfeste Mittelpunkt der Gironde. Laut Zetkin war sie es sogar, die<br />

„das Signal zu der Entfesselung der Parteikämpfe“ 308 gab, indem sie ihren Ehemann im Konvent<br />

einen von ihr verfassten Brief vorlegen ließ, in welchem die Bergpartei wegen der so genannten<br />

„Septembermorde“ heftig angegriffen wurde. Als im Dezember 1792 sich die Lage zuspitzte <strong>und</strong><br />

Fre<strong>und</strong>e ihr zur Flucht rieten, lehnte sie dies rigoros ab. Zwar musste die Familie, nachdem<br />

Roland de la Platières 1793 gezwungenermaßen den Ministerposten hatte aufgeben müssen,<br />

wieder in sehr einfachen Verhältnissen leben, doch sei dies für Roland kein wirkliches Problem<br />

gewesen, denn stets habe sie „die Einfachheit <strong>und</strong> puritanische Strenge ihrer Sitten bewahrt“ 309 .<br />

Schließlich hätten „Halbheit, Unentschlossenheit <strong>und</strong> blinde Interessenpolitik“ 310 der Gironde –<br />

Schwächen, die Zetkin gelegentlich auch der bürgerlichen Frauenbewegung vorwarf – die<br />

Errungenschaften der Revolution enorm gefährdet: Ihr Sturz wurde zur Notwendigkeit. Mittels<br />

302 Madame Roland. (Schluß.). In: GL, 04/ 03/ 07.02.1894/ 19.<br />

303 Ebd.<br />

304 Ebd.<br />

305 Ebd.<br />

306 Ebd.<br />

307 Ebd.<br />

308 Ebd.<br />

309 Ebd.<br />

310 Ebd., S. 20.<br />

354


4.1.3 FRAUEN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION<br />

Konventsbeschluss wurden die hervorragendsten Girondisten erst unter Hausarrest gestellt <strong>und</strong><br />

später doch ins Gefängnis gebracht. Auch Jeanne-Marie Roland erging es so, <strong>und</strong> bei allen<br />

Erniedrigungen habe „sie einen außerordentlichen Grad von Charakterstärke“ 311 bewiesen – selbst<br />

angesichts des drohenden Todes. Jedoch, so Zetkin, habe auch ein innerer Konflikt dazu<br />

beigetragen, dass sie ihr Ende so erstaunlich ruhig erwartete. Roland habe sich in einen jüngeren<br />

Parteigenossen verliebt, aber für diese Liebe keinerlei Zukunft gesehen. Und obwohl in der letzten<br />

Zeit ihre Ehe eher einem Vater-Tochter-Verhältnis glich 312 , wollte sie ihrem Ehemann, der sich auf<br />

der Flucht befand <strong>und</strong> später bei Nachricht ihrer Hinrichtung Suizid begehen sollte, nicht die<br />

Treue brechen.<br />

Während ihrer Haftzeit arbeitete sie fünf Monate mit „Liebe, Sorgfalt <strong>und</strong> Gemüthsruhe“ 313 an<br />

ihren Memoiren. Der Verschwörung für schuldig bef<strong>und</strong>en, wurde Roland jede Verteidigungsrede<br />

untersagt <strong>und</strong> sie zum Tode verurteilt. Ihr Urteil soll sie mit den Worten erwidert haben:<br />

„‘Ihr erachtet mich für würdig, das Schicksal der großen Männer zu theilen, die Ihr<br />

ermordet habt, <strong>und</strong> ich werde mich bemühen, auf das Schafott den nämlichen Muth<br />

mitzubringen, den sie gezeigt haben.’“ 314<br />

Diese Position nahm auch Zetkin ein, als sie das Todesurteil zu verteidigen versuchte. Roland sei<br />

schließlich „die eigentlich treibende Energie der Partei“ 315 gewesen, habe die Parteikämpfe<br />

entfesselt <strong>und</strong> geschürt. In letzter Konsequenz habe ihre herausragende Position unabhängig von<br />

ihrem Geschlecht kein anderes Urteil zugelassen. Zetkin fordert:<br />

„Im Krieg gilt Kriegsgebrauch. Madame Roland hatte als Gleiche unter Gleichen<br />

gekämpft, sie fiel als Gleiche unter Gleichen auf dem Schlachtfelde. Sie selbst<br />

wäre die Erste gewesen, die als Beleidigung zurückgewiesen hätte, daß ihrem<br />

Geschlechte eine Schonung zu Theil geworden wäre, die sie als Parteigängerin<br />

nicht beanspruchen konnte.“ 316<br />

Zetkins Forderung klingt einerseits sehr lapidar, ist aber andererseits die Konsequenz einer<br />

Gleichberechtigung der Frau in Form ihrer Gleichbehandlung. Unabhängig von Politik, Auffas-<br />

sung <strong>und</strong> Klassenstandpunkt könne man Rolands Persönlichkeit insbesondere angesichts dieses<br />

konsequenten Verhaltens „die höchste Achtung <strong>und</strong> Sympathie nicht versagen“ 317 . Sie gebe Bei-<br />

spiel dafür,<br />

311 Ebd.<br />

312 Vgl. ebd.<br />

313 Ebd.<br />

314 Ebd., S. 21.<br />

315 Ebd.<br />

316 Ebd.<br />

317 Ebd., S. 22.<br />

„daß die Frau mitten im öffentlichen Leben <strong>und</strong> seinen Kämpfen stehen kann, ohne<br />

355


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

dabei aufzuhören, Weib zu sein. Sie zeigt, daß das Wirken für die Allgemeinheit<br />

wohl vereinbar ist mit der Erfüllung der Aufgaben als Gattin <strong>und</strong> Mutter. Sie legt<br />

Zeugniß dafür ab, daß die Frau für ihre politischen Ueberzeugungen voll Opferfreudigkeit<br />

zu leben vermag <strong>und</strong> daß sie voll Muth für sie sterben kann“ 318 .<br />

Den Männern der Revolution mindestens ebenbürtig in ihrer Begeisterung für die Sache, „an<br />

Schärfe <strong>und</strong> Logik des Urtheils“ 319 , in ihrem „gefestigten, selbständigen, mannhaften Charakter“ 320<br />

sei Roland nicht nur Parteigängerin, sondern eine Führerin, eine der „Besten aller Zeiten <strong>und</strong> aller<br />

Völker“ 321 gewesen.<br />

Einen etwas anderen Tenor hat der von Karl Soll (1881-1945) 322 nach dem Ersten Weltkrieg<br />

verfasste Artikel. Er würdigt zu Beginn die Pflichten, die die Frauen „mit bew<strong>und</strong>erungswertem<br />

Opfermut <strong>und</strong> unendlicher Entsagung“ 323 während des Krieges erfüllt hätten. Soll sprach sich<br />

darin klar für das Frauenwahlrecht aus. Wenn die Entwicklung von Politik, Recht <strong>und</strong> Kultur –<br />

mit Ausnahmen des Mutterrechts – <strong>und</strong> damit die Basis jeder demokratischen Bewegung den<br />

Männern <strong>und</strong> vor allem ihrer „Fähigkeit zur Abstraktion“ 324 zu verdanken sei, so sei die<br />

„Konsequenz der demokratischen Denkart“ der „Eintritt der Frau ins politische Leben“ 325 . Nur in<br />

Erfüllung ihrer demokratischen Rechte könne die Frau schließlich zur „politische[n] Individuali-<br />

tät“ 326 reifen. Als Vorbild für diese politische Reife wollte Soll jedoch keine der zeitgenössischen<br />

Frauen porträtieren, denn deren „Namen zu nennen, erübrigt sich“ 327 , seien sie doch „den Lesern<br />

durch ihre agitatorische <strong>und</strong> schriftstellerische Tätigkeit, wie auch als Trägerinnen politischer<br />

Aufgaben bekannt“ 328 . Er wollte stattdessen einige historische Frauen vorstellen, die ihre Fesseln<br />

gesprengt hätten, „um mit der Stimme der Leidenschaft das soziale Gewissen ihrer Zeit zu we-<br />

cken“ 329 . Und in diesem Sinne sei auch Jeanne-Marie Roland „eine Zierde ihres Geschlechts“ 330<br />

318 Ebd.<br />

319 Madame Roland. In: GL, 04/ 01/ 10.01.1894/ 3.<br />

320 Ebd.<br />

321 Madame Roland. (Schluß.). In: GL, 04/ 03/ 07.02.1894/ 22.<br />

322 Karl Soll war ausgebildeter Volksschullehrer. Er studierte Geschichte in Göttingen, München <strong>und</strong> Leipzig. Er<br />

arbeitete als Übersetzer <strong>und</strong> später erst als Redakteur <strong>und</strong> dann als Leiter beim Verlag August Scherl in Berlin. Als<br />

solcher gab Soll 1921-1926 „Scherls Jungdeutschland Buch“ heraus. Weitere Publikationen waren: Der Wiener<br />

Kongreß. In Schilderungen von Zeitgenossen“ (1918) <strong>und</strong> „Der junge Schiller“ (1921).<br />

323 Soll, Karl: Politische Frauen. In: GL, 29/ 26/ 16.08.1919/ 203.<br />

324 Ebd.<br />

325 Ebd.<br />

326 Ebd.<br />

327 Ebd.<br />

328 Soll, Karl: Politische Frauen. In: GL, 29/ 26/ 16.08.1919/ 203. Soll vertrat hier eine Einstellung, die für die<br />

aktuelle Erforschung der organisierten proletarischen Frauenbewegung sehr unzuträglich war.<br />

329 Ebd.<br />

330 Ebd.<br />

356


4.1.3 FRAUEN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION<br />

gewesen. Mit den sittlichen Idealen habe sie auch die politischen Ideale des Altertums angenom-<br />

men <strong>und</strong> sei so zur Befürworterin der Republik geworden. Inspiriert durch ihr Studium antiker<br />

Geschichte habe Roland dem „Ideal der Harmonie menschlicher Persönlichkeit“ 331 nachgestrebt.<br />

Sowohl von Soll als auch von Zetkin wurde Roland als ein ebensolches Ideal betrachtet. Soll<br />

charakterisierte das dramatische Ende Rolands jedoch deutlich kritischer als Zetkin, wenn er<br />

schrieb, Roland sei „das Opfer der Revolution [geworden], der sie ihr ganzes Sein gewidmet<br />

hatte“ 332 . Zetkin dagegen erachtete ihr Schicksal schlicht als Konsequenz ihrer politischen Über-<br />

zeugung, der Überzeugung eines „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“.<br />

Eine weitere herausragende Persönlichkeit, die mit der Französischen Revolution die Befreiung<br />

der Frau herannahen sah, war die Engländerin Mary Wollstonecraft (1759-1797). Doch – so<br />

nimmt es Blos in ihrem Artikel vorweg – sollte Wollstonecraft von den Ergebnissen der Revo-<br />

lution genauso enttäuscht werden wie Olympe de Gouges (1748-1793) 333 <strong>und</strong> Theodor von<br />

Hippel, die ebenfalls zu den WegbereiterInnen der Emanzipation der Frau gehören. 334<br />

Wollstonecrafts Vater, so Blos, sei ein Familiendespot, ihre Mutter dessen „‘erste <strong>und</strong> unter-<br />

tänigste Untertanin’“ 335 gewesen. Wollstonecraft habe nur einen sehr mangelhaften Unterricht<br />

genossen, weshalb in ihr sehr früh der Wunsch nach persönlicher Freiheit <strong>und</strong> geistiger Arbeit<br />

erwacht sei. Da sie ihr später ergriffener Beruf als Erzieherin <strong>und</strong> Gesellschafterin nicht ausfüllte,<br />

habe sie sich der Schriftstellerei gewidmet. Um sich von der unerfüllbaren Liebe zu einem<br />

verheirateten Mann zu befreien, ging sie 1792 nach Paris. Hier im revolutionären Trubel lernte sie<br />

den amerikanischen Schriftsteller Gilbert Imlay kennen. Zwar lebte Wollstonecraft mit ihm zu-<br />

sammen <strong>und</strong> nannte sich zudem auch „Mrs. Imlay“, ihre Beziehung blieb jedoch eine freie – vor<br />

allem damit Imlay nicht gezwungen war, Geldschulden ihrer Familie mitzutragen. Als sich Woll-<br />

stonecraft, wie Blos sich ausdrückte, „Mutter fühlte“ 336 , zeigte sich schließlich die ganze<br />

Unverbindlichkeit dieser Beziehung, denn Imlay verließ sie. Erst nach zwei Suizidversuchen fand<br />

Wollstonecraft wieder genug Lebensmut. Sie kehrte nach London zurück <strong>und</strong> lernte den Schrift-<br />

steller William Godwin kennen – <strong>und</strong> mit der Zeit auch lieben. In seinem Werk „Politische Ge-<br />

331 Ebd.<br />

332 Ebd., S. 204.<br />

333 Nicht nur, dass der Name der französischen Kämpferin für Frauenrechte Olympe de Gouges in diesem Artikel<br />

einen Druckfehler aufwies, ihrem Leben wurde – zumindest im Hauptblatt der „Gleichheit“ – zudem niemals ein<br />

eigenständiger biographischer Artikel gewidmet.<br />

334 Vgl. Blos, Anna: Mary Wollstonecraft. In: GL, 32/ 12/ 15.06.1922/ 114.<br />

335 Ebd.<br />

336 Ebd.<br />

357


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

rechtigkeit“ (1793) vertrat Godwin, so Blos, die Meinung, „daß das ununterbrochene Zusammen-<br />

leben zweier Menschen der geistigen Entwicklung der einzelnen Persönlichkeit hinderlich sei“ 337 .<br />

Entgegen jeder Vermutung, die eine solche Einstellung nahe legt, erwies er sich jedoch als zuver-<br />

lässiger Lebenspartner. Er habe Wollstonecraft, als diese erneut schwanger wurde, geheiratet, um<br />

diesem Kind „die Stellung [zu] […]geben […], die das erste entbehrte“ 338 . Bei der Geburt dieses<br />

Kindes starb Wollstonecraft jedoch <strong>und</strong> ein, so Blos, „reiches, vielversprechendes Frauenleben“ 339<br />

fand damit ein tragisches, aber für die damalige Zeit nicht ungewöhnliches Ende.<br />

Nach diesem biographischen Überblick widmete sich Blos dem schriftstellerischen Werk Woll-<br />

stonecrafts, mit dem diese in die Geschichte der Frauenemanzipation einging. Wollstonecraft<br />

verfasste 1792 in nur sechs Wochen ihre Schrift „Eine Verteidigung des Rechts der Frau“. Diese<br />

auffallend schnelle Anfertigung könnte die von Blos festgestellten „Ungleichmäßigkeiten <strong>und</strong><br />

Mängel“ 340 an jenem Werk begründen. Dieser Mängel ungeachtet bezeichnete Blos die Schrift als<br />

den „Ausfluß einer sehr starken Leidenschaft“ 341 . Das, was Wollstonecraft verlangt habe, sei „ge-<br />

recht, was sie anstrebt[e], […] ideal menschlich“ 342 <strong>und</strong> sie selber eine der „Pfadfinderinnen“ 343 ,<br />

denen alle Frauen viel zu verdanken hätten. Wollstonecraft habe gegen die gängigen Vorurteile<br />

ihrer Zeit gekämpft <strong>und</strong> die tatsächlichen Ursachen für „die Fehler im Verhalten der Frauen in<br />

dem falschen Erziehungssystem“ 344 gef<strong>und</strong>en, welches „in den Frauen nur das Geschlecht, nicht<br />

aber den Menschen“ 345 sehe. Mit der Forderung eines neuen Erziehungssystems habe sie nicht nur<br />

den bürgerlichen Frauen zu einer adäquaten Bildung verhelfen wollen, sondern der gesamten<br />

Frauenwelt. Zu einer Bildung, deren Inhalte sich nicht nur auf das reduzierten, was Ehemänner<br />

bereit waren, ihren Ehefrauen zuzugestehen, denn viel zu häufig seien jene nur daran interessiert,<br />

ihre „Frauen unaufgeklärt im Dunkel der Unwissenheit [zu] lassen, denn sie brauchen Sklaven<br />

<strong>und</strong> Spielzeuge für ihre Sinne“ 346 . Wollstonecraft habe deshalb eine umfassende Bildung für<br />

Frauen gefordert – nicht nur eine solche, die sie ihre Pflichten als Töchter, Ehefrauen <strong>und</strong> Mütter<br />

erfüllen ließen. Ihre Bildung sollte dazu beitragen, „ihre eigensten Eigenschaften zu entwickeln<br />

337 Ebd.<br />

338 Ebd.<br />

339 Ebd.<br />

340 Ebd., S. 114-115.<br />

341 Ebd., S. 115.<br />

342 Ebd.<br />

343 Ebd.<br />

344 Ebd.<br />

345 Ebd.<br />

346 Ebd.<br />

358


4.1.3 FRAUEN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION<br />

<strong>und</strong> die Würde eigener Kraft zu erlangen“ 347 . Die Frau sollte die Gefährtin ihres Gatten sein, nicht<br />

seine Untergebene. Völlig verkehrt sei es nach Wollstonecrafts Auffassung, unverheirateten<br />

Frauen anzuraten, sich nicht zu bilden, weil es eventuell ihrem zukünftigen Ehemann „unlieb“ 348<br />

sein könnte. Wollstonecraft habe stark bezweifelt, dass „duldend-indolente Frauen ihre Gatten<br />

glücklich machen können, […][dass] sie die Charakterstärke haben, einen Haushalt recht zu<br />

führen <strong>und</strong> Kinder zu erziehen“ 349 . Auch „den ehelosen Stand“ 350 ließe „ein mit reichen<br />

Kenntnissen ausgestatteter Geist […] mit Würde ertragen“ 351 .<br />

Obwohl, oder besser, gerade weil Wollstonecraft eine überzeugte Republikanerin war, erkannte sie<br />

schnell den prinzipiellen Fehler der Französischen Revolution:<br />

„‘Gleichheit […] kann nicht Wurzel fassen, so lange die eine Hälfte der<br />

Menschheit in Abhängigkeit gehalten wird <strong>und</strong> durch Unwissenheit <strong>und</strong><br />

Einbildung die Gleichheit untergräbt.’“ 352<br />

Ein Problem, gegen das auch die proletarische Frauenbewegung des deutschen Kaiserreichs<br />

immer wieder zu kämpfen <strong>und</strong> zu agitieren hatte. Der Forderung, Frauen zu allen Berufen<br />

zuzulassen, ließ Wollstonecraft aber die Mahnung an alle Mütter folgen, zugleich ihre Mutter-<br />

pflichten sorgsam zu erfüllen. Denn, so laut Blos die Argumentation Wollstonecrafts,<br />

„‘[e]ine Mutter, die ihr Kind der Amme, bezahlten Pflegerinnen <strong>und</strong> dann der<br />

Schule anvertraut, kann kein tieferes Verwandtschaftsgefühl von ihm erwarten“ 353 .<br />

Nach ihrer Auffassung sei es die Elternliebe, die die Kindespflicht <strong>und</strong> damit letztlich den Eltern<br />

eine Altersversorgung entstehen lasse 354 . Wollstonecraft forderte, dass alle Knaben <strong>und</strong> Mädchen<br />

im Alter von fünf bis neun Jahren – unabhängig von ihrer Standeszugehörigkeit <strong>und</strong> deshalb auch<br />

einheitlich gekleidet – in einer öffentlichen Schule unterrichtet werden sollten. Eine gute Aus-<br />

bildung sollte auch einer früheren Heirat der Mädchen zugute kommen. Vorausgesetzt, dass auch<br />

die Männer ihren Pflichten als Gatten <strong>und</strong> Väter nachkämen, würden aus den zu „vernünftigen<br />

freien Bürgern“ 355 erzogenen Frauen auch gute Ehefrauen <strong>und</strong> Mütter werden. Mit den Rechten,<br />

die die Frauen erhielten, hätten sie aber auch gewisse Pflichten zu erfüllen. 356 Und aus diesem<br />

347 Ebd.<br />

348 Ebd.<br />

349 Ebd.<br />

350 Ebd.<br />

351 Ebd.<br />

352 Ebd.<br />

353 Ebd.<br />

354 Vgl. ebd.<br />

355 Ebd., S. 115-116.<br />

356 Vgl. ebd., S. 115. Wohl angesichts des gerade beendeten Ersten Weltkrieges war es Blos wichtig, zu erwähnen,<br />

dass Wollstonecraft leidenschaftliche Kriegsgegnerin war, „denn das heutige System der Kriegführung habe mit<br />

359


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Prinzip heraus, so Blos, wollte Wollstonecraft selbst die vermeintlichen „Vorrechte“ der Frauen –<br />

das Aufheben ihrer Taschentücher, das Aufhalten von Türen – beendet sehen.<br />

Wenn auch Blos ihrem Artikel voranstellte, die Französische Revolution habe die von Frauen in<br />

sie gesetzten Hoffnungen enttäuscht, bewiesen doch die durch sie beeinflussten Werke zur Frauen-<br />

emanzipation eine ungebrochene Aktualität:<br />

„Alle Gedanken, die sie enthalten, sind die Samenkörner, die während des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

Wurzeln faßten. Die wirtschaftliche, die rechtliche, die sittliche Seite der<br />

Frauenfrage sind aus diesen Wurzeln gewachsen, <strong>und</strong> Aufgabe der heutigen<br />

Frauenwelt ist es, zu helfen, daß eine ges<strong>und</strong>e Politik, welche auf der Freiheit aller<br />

begründet ist, die Menschheit dahin führt, daß sie im Sinne Mary Wollstonecraft’s<br />

‘weiser <strong>und</strong> tugendhafter’ wird.“ 357<br />

Zwar waren die Visionen Wollstonecrafts von einer gleichberechtigten Gesellschaft auch nach 130<br />

Jahren noch nicht erfüllt, für die Leserinnen der „Gleichheit“ blieben sie aber erstrebenswerter<br />

<strong>und</strong> greifbarer denn je.<br />

Andere Frauen der Französischen Revolution hinterließen der Nachwelt kein Schriftwerk, keine<br />

politische Theorie, sondern ihr lebendiges Beispiel. Beispiel für ihren den Männern ebenbürtigen<br />

Mut im Kampf gegen die feudale Tyrannei, Beispiel für ihren Gerechtigkeitssinn. Wenn auch bald<br />

von der Geschichtsschreibung vergessen, ragten diese Frauen zu ihren Lebzeiten deutlich aus der<br />

Masse heraus – so auch Françoise Legros (1749-1788) 358 . Sie gehörte nicht zu den kämpfenden<br />

Revolutionärinnen, nicht zu den Stürmerinnen der Bastille <strong>und</strong> zählt dennoch zu den Heldinnen<br />

der Französischen Revolution. Denn sie war, so Zetkin, eine<br />

„Heldin des Mitleids <strong>und</strong> selbstloser Aufopferung, eine Heldin an<br />

Unerschrockenheit, willensstarker Thatkraft <strong>und</strong> zäher Ausdauer“ 359 .<br />

Welche Heldentat war es also, mit der Françoise Legros sich auch in den kritischen Augen Zetkins<br />

„ein Plätzchen in der Geschichte der großen Revolution“ 360 erworben hatte? Es war der scheinbar<br />

schlichte Umstand, dass sich diese Pariser Weißwarenhändlerin – obwohl in keinerlei<br />

verwandtschaftlicher oder fre<strong>und</strong>schaftlicher Beziehung stehend – für die Freilassung des Schrift-<br />

stellers Jean-Henry Masers de Latude (1723-1805) eingesetzt hatte. Latude war 1749 aus nie<br />

irgendeiner persönlichen Tugend wenig mehr gemein“ (ebd.).<br />

357 Blos, Anna: Mary Wollstonecraft. In: GL, 32/ 12/ 15.06.1922/ 116.<br />

358 Madame Legros. In: GL, 02/ 02/ 25.01.1892/ 22-24. Der Vorname Legros‘ blieb im Artikel ungenannt. Außerdem<br />

ging aus dem Artikel nicht hervor: Françoise Le Gros, geb. Gellain, war Tochter des Pariser Händlers Balthazar<br />

Gellain <strong>und</strong> gelernte Weisswirkerin. 1773 heiratete sie den Händler Claude-François Le Gros <strong>und</strong> wird Mutter<br />

zweier Kinder – das erstgeborene stirbt. Heinrich Mann verfasste 1913 das Theaterstück „Madame Legros“, das<br />

1916 uraufgeführt wurde, jedoch die Ereignisse in das spätere Revolutionsjahr 1789 versetzte.<br />

359 Madame Legros. In: GL, 02/ 02/ 25.01.1892/ 22.<br />

360 Ebd.<br />

360


4.1.3 FRAUEN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION<br />

geklärten Gründen inhaftiert <strong>und</strong> in die Bastille gebracht worden. Dort schmachtete er bereits 30<br />

Jahre, als schließlich Legros zufällig von seinem Schicksal erfuhr. Drei lange Jahre versuchte<br />

Legros, die Freilassung Latudes zu erreichen. Drei Jahre, in denen sie viel persönliches Leid<br />

erfuhr, ihren Laden verlor, von den Leuten verspottet <strong>und</strong> der heimlichen Liebschaft mit Latude<br />

verdächtigt wurde. Indem Legros das Unrecht an Latude öffentlich machte, habe sie, so die<br />

Meinung Zetkins, das absolutistische Staatssystem <strong>und</strong> seine Vollstrecker angegriffen. Deshalb<br />

war auch sie bald behördlicher Beobachtung <strong>und</strong> Schikane ausgesetzt – eine Erfahrung, die jede<br />

deutsche Sozialistin des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts nachempfinden konnte. Doch die vielen Enttäuschungen<br />

<strong>und</strong> Fehlschläge hätten es nicht vermocht, so Zetkin, Legros „einen Augenblick aufzuhalten oder<br />

schwankend zu machen“ 361 . Unerschrocken habe Legros versucht, jeden Kontakt zum königlichen<br />

Hofe oder auch zu dessen Opposition zu nutzen. Sie sei in ihrem Einsatz für den Gefangenen<br />

unermüdlich gewesen. 1783 362 erhielt Legros für ihre selbstlose Tat, die zwar nur einem einzelnen<br />

Menschen galt, aber enorme Symbolkraft besaß, den Tugendpreis der Academie Française. Die<br />

Behörden konnten zwar durchsetzen, dass die Verleihung ohne offiziell verlautbarte Begründung<br />

erfolgen musste, aber auch ohne diese sei die Verleihung, so Zetkin, „eine Ohrfeige in das Gesicht<br />

des unumschränkten Königthums“ 363 gewesen. Ein Jahr später fügte sich alles zum Besten <strong>und</strong><br />

Latude wurde freigelassen, was Zetkin wie folgt kommentierte:<br />

„Madame Legros hatte Ludwig XVI., sie hatte der selbstherrlichen Monarchie<br />

einen glänzenden Sieg abgerungen.“ 364<br />

Legros hatte demnach einen Sieg errungen, dem keine Schlacht, sondern ein unbeirrbares Gerech-<br />

tigkeitsgefühl vorausgegangen war. Latude veröffentlichte schließlich ein Buch über seine<br />

Lebensgeschichte <strong>und</strong> machte damit Legros zu einem Beispiel für Beharrlichkeit. Diese war es<br />

auch, die sich Zetkin als ein Minimum proletarischen Engagements wünschte, denn „anklagend<br />

<strong>und</strong> fordernd ihre Stimme erhebend“ 365 , so sollten auch die deutschen Proletarierinnen die<br />

„Bastille des Kapitalismus ins Wanken“ 366 bringen. Jede Art von sozialkritischem Engagement –<br />

so zeigt es das Beispiel Legros‘ – konnte ein Beitrag zum Sozialismus sein, jede mutige Frau <strong>und</strong><br />

jeder „weiblicher Vollmensch“ ein Sandkorn im Getriebe des ungerechten willkürlichen Systems.<br />

361 Ebd., S. 23.<br />

362 Die Preisverleihung könnte auch 1784 – im Jahr der Freilassung Latudes stattgef<strong>und</strong>en haben. Vgl. Süßenberger,<br />

Die Klaviere des Henkers.<br />

363 Madame Legros. In: GL, 02/ 02/ 25.01.1892/ 23.<br />

364 Ebd.<br />

365 Ebd., S. 24.<br />

366 Ebd.<br />

361


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

4.1.4 Deutsche Freiheitskämpferinnen <strong>und</strong> Demokratinnen<br />

Den Revolutionärinnen Frankreichs folgen chronologisch die Freiheitskämpferinnen der<br />

napoleonischen Zeit. Zwar sei die Französische Revolution der „gewaltigste[…] aller Freiheits-<br />

kämpfe“ 367 gewesen, aber auch der deutsche Freiheitskrieg von 1813 lege „glänzendes Zeugnis ab<br />

von der Begeisterung, Selbstleugnung, dem Opfermuth der Volksmassen“ 368 . Überhaupt – so<br />

L. W.-K. die Emotionalität ihres Artikels noch steigernd – sei das „Studium der Geschichte […]<br />

nie reicher an erhebenden <strong>und</strong> ergreifenden Eindrücken, als wenn es uns von den Freiheitskämp-<br />

fen der Völker berichtet“ 369 . Dabei handelte es sich besonders um Berichte von den deutschen<br />

FreiheitskämpferInnen, die verhindern wollten, dass „deutsches Wesen, deutsche Art, die doch in<br />

jahrh<strong>und</strong>ertelanger Kultur ihre Berechtigung erwiesen [hätten,] nicht auf lange hinaus vernichtet<br />

werden“ 370 . Patriotismus also, die Liebe zur Heimat <strong>und</strong> zur eigenen Kultur war es, die das<br />

deutsche Volk dazu trieb, treiben musste, die Fremdherrschaft der napoleonischen Truppen<br />

abzuschütteln. Nur ein Verteidigungskrieg konnte vor den Augen der Leserinnen einer sozialis-<br />

tischen Zeitschrift gerechtfertigt sein <strong>und</strong> patriotische Gefühle erzeugen. Später sollten viele<br />

dieser Leserinnen jedoch auch den Ersten Weltkrieg als einen Verteidigungskrieg einschätzen <strong>und</strong><br />

sich ihm entsprechend dienstbar machen.<br />

Die einzige in der „Gleichheit“ erschienene Biographie einer Kämpferin jener Freiheitskriege ist<br />

die Eleonore Prohaskas (1785-1813). Die biographische Skizze stützt sich auf zwei ihrer Briefe<br />

an ihren Bruder <strong>und</strong> auf die Aufzeichnungen Dr. Friedrich Försters, der ihr vorgesetzter Offizier<br />

gewesen war. Laut diesen Quellen verließ Prohaska im Alter von 18 Jahren ihre in Potsdam<br />

lebende Familie – ihr Vater war ein invalider Unteroffizier. In Männerkleidung – wie auch<br />

Charlotte Krüger, Dorothea Sawosch 371 <strong>und</strong> viele andere junge Frauen – schloss sich Prohaska als<br />

Jäger „August Renz“ dem Lützowschen Freikorps an. Obwohl man demnach annehmen kann,<br />

dass sie im Umgang mit Schusswaffen geübt war, waren es interessanterweise ihre Tätigkeiten<br />

wie Schneidern, Waschen <strong>und</strong> Kochen, die Erwähnung finden. L. W.-K. betonte außerdem, dass<br />

Prohaska „den ganzen Tag lustig <strong>und</strong> guter Dinge <strong>und</strong> darum der Liebling aller Kameraden“ 372<br />

gewesen sei. Es scheint demnach der Autorin <strong>und</strong> den Quellen, auf die sie sich stützte, wichtig zu<br />

367 L. W.-K.: Eleonore Prohaska. In: GL, 02/ 07/ 06.04.1892/ 63. Dem Artikel wurde ein Gedicht Friedrich Rückerts<br />

beigefügt, das im Anhang enthalten ist.<br />

368 Ebd.<br />

369 Ebd.<br />

370 Ebd.<br />

371 Weitere Informationen zu den beiden Frauen wurden in dem Artikel nicht gegeben.<br />

372 Ebd.<br />

362


4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN<br />

sein, nicht den Eindruck zu erwecken, Prohaska habe mit den Kleidern auch ihre Weiblichkeit ab-<br />

gelegt.<br />

Im Folgenden sind es die Aufzeichnungen Försters, auf die sich L. W.-K. bezog, aber im<br />

einzelnen nicht als Zitate kenntlich machte. Sie beschrieb die Ereignisse, als das Freikorps im<br />

Göhrde Wald nahe Dannenberg auf eine französische Übermacht traf. Die Lage der Deutschen<br />

entwickelte sich schlecht: Die meisten der Offiziere wurden verw<strong>und</strong>et oder starben <strong>und</strong> die<br />

Gruppe der Jäger war damit ohne Führung. Gerade wollte Förster selbst versuchen, mit seinem<br />

verw<strong>und</strong>eten Arm die Trommel zur Sammlung der orientierungslosen Soldaten zu schlagen, als<br />

Jäger „Renz“ sie ergriff. 50 bis 70 andere Jäger scharte „er“ um sich, um mit diesen den ent-<br />

scheidenden Hügel zu stürmen. „Renz“ wurde dabei verw<strong>und</strong>et <strong>und</strong> habe Förster gerade noch<br />

zurufen können: „‘Herr Lieutenant, ich bin ein Mädchen.’“ 373 Der Offizier fand Prohaska später in<br />

einem Lazarett in Dannenberg, wo sie ihren W<strong>und</strong>en erlag <strong>und</strong> begraben wurde. Jedoch so<br />

L. W.-K. weiter:<br />

„Kein Denkmal von Stein oder Erz bezeichnet die Stätte, wo die tapfere Streiterin<br />

den letzten Schlaf schläft, aber vergessen ist diese selbst trotz alledem nicht. – “ 374<br />

Gemäß der materialistischen Geschichtsauffassung resümierte L. W.-K. den Freiheitskrieg von<br />

1813 als einen Betrug am deutschen Volke, das „um die Früchte des Freiheitskrieges geprellt“ 375<br />

worden sei. Denn an der Herrschaft der deutschen Fürsten habe sich später nur insoweit etwas<br />

geändert, dass diese durch „moderne Fabrikherren <strong>und</strong> Finanzfürsten“ 376 ersetzt worden wären.<br />

Diese Umstände seien es, die nun den breiten Massen einen neuerlichen Kampf für ihre Befreiung<br />

aufzwingen würden: Es galt nicht gegen einzelne Tyrannen, sondern gegen ein ganzes tyran-<br />

nisches System, den Kapitalismus, zu kämpfen. Ein Kampf, der den Proletarierinnen<br />

„täglich Gelegenheit [biete], alle die Eigenschaften zu bethätigen, welche Eleonore<br />

Prohaska, die Tochter des Volks im Kampfe für die nationale Freiheit bewiesen“ 377<br />

habe.<br />

Ein Kampf, der die Proletarierinnen „zum Verständniß der Sache der Allgemeinheit, zur Hingabe<br />

an das Ganze, zu Muth, Charakterfestigkeit, Opferfreudigkeit“ 378 erziehe, zu „Bürgertugenden,<br />

welche bisher nur einzelne Gestalten der Frauenwelt auszeichneten“ 379 <strong>und</strong> diese „vor keiner Be-<br />

373 L. W.-K.: Eleonore Prohaska. (Schluß.). In: GL, 02/ 08/ 20.04.1892/ 71<br />

374 Ebd.<br />

375 Ebd.<br />

376 Ebd.<br />

377 Ebd., S. 72.<br />

378 Ebd.<br />

379 Ebd.<br />

363


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

schwerde, keiner Entbehrung, keiner Aufgabe zurückschrecken“ 380 ließen. Tugenden, die sich<br />

„sehr wohl mit echt weiblicher Wärme der Empfindung, treuem Festhalten an dem als wahr Er-<br />

kannten <strong>und</strong> hilfsbereiter Liebe für die Mitmenschen paaren können“ 381 <strong>und</strong> somit dem von Zetkin<br />

charakterisierten Leitbild des „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ harmonisch entsprechen.<br />

Die Befreiung Deutschlands von der französischen Fremdherrschaft 1813 hatte viele Hoffnungen<br />

auf eine nationale Einheit <strong>und</strong> demokratische Umgestaltung des Deutschen Reiches geweckt.<br />

Hoffnungen, die durch die reaktionären Fürstenhäuser enttäuscht wurden, aber nicht ganz ver-<br />

schwanden. Wieder ist es L. W.-K., die als Verfasserin eines Artikels zuerst in dessen Fußnoten<br />

die „Gleichheit“-Leserinnen über die Vorgänge im so genannten „Vormärz“ informiert, um dann<br />

in sie die persönliche Geschichte „[e]ine[r] muthige[n] Frankfurterin“ 382 einzubetten.<br />

Im April 1833 kam es in Frankfurt am Main zu einer von Studenten geführten Revolte. Sie begann<br />

mit einem Überfall auf die Hauptwache <strong>und</strong> scheiterte bereits nach einigen Tagen, da die<br />

Studenten durch die Bevölkerung nicht die erhoffte Unterstützung erhielten. Die beteiligten<br />

Personen versuchten, ins Ausland zu fliehen, um nicht wegen Hochverrats verurteilt zu werden.<br />

Die Frauen, die den Flüchtigen halfen, „bewiesen nicht allein Klugheit <strong>und</strong> Erfindungsgabe,<br />

sondern auch große Verschwiegenheit“ 383 . Entscheidender für die Leitbildfunktion dieser Frauen<br />

ist jedoch folgende Charakterisierung:<br />

„Mit treuer Hingebung <strong>und</strong> Selbstlosigkeit dienten sie der Sache der Freiheit <strong>und</strong><br />

ließen ihre Persönlichkeiten so vollständig in den Hintergr<strong>und</strong> treten, daß wir nur<br />

geringe K<strong>und</strong>e von ihrem aufopfernden Thun besitzen.“ 384<br />

Es ist also nicht allein der männlich dominierten Geschichtsschreibung anzulasten, die Namen<br />

<strong>und</strong> die Geschichte der Frauen vernachlässigt <strong>und</strong> damit nach <strong>und</strong> nach dem Vergessen<br />

preisgegeben zu haben. Vielmehr war es die gänzliche „Selbstaufopferung“, quasi „Selbst-<br />

auflösung“ der Frau hinter einer „Sache“ – einer Revolution, einer Kultur –, die dazu führte, dass<br />

ihre Person, ihr Beitrag <strong>und</strong> damit ihre historische Bedeutung unbekannt <strong>und</strong> ungenannt blieb.<br />

So auch geschehen mit dem Namen <strong>und</strong> der Person von Frau B. (?-?), eben jener mutigen Frank-<br />

380 Ebd.<br />

381 Ebd.<br />

382 L. W.-K.: Eine muthige Frankfurterin. In: GL, 02/ 13/ 29.06.1892/ 111. In zwei Fußnoten wurden die Leserinnen<br />

über die vor allem von Studenten getragenen Unruhen im Vorfeld der Frankfurter Revolte aufgeklärt (Wartburgfest<br />

1817 <strong>und</strong> Hambacher Fest 1832). Aber wenn auch die Studenten „damals auf höherer Stufe standen als<br />

der Durchschnitt derselben von heute“, so ermangelte auch ihnen „die Fühlung mit den Interessen des Volkes“.<br />

Dass damals „das Tragen harmloser schwarz roth goldener Bänder […] – wie unter dem Sozialistengesetz das<br />

Tragen der verpönten rothen Abzeichen – wie ein Verbrechen bestraft“ (ebd.) wurde, wies die „Gleichheit“-Leserinnen<br />

auf eine zusätzliche geschichtliche Parallele hin.<br />

383 Ebd.<br />

384 Ebd.<br />

364


4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN<br />

furterin, die dem 20-jährigen Studenten Feddersen zur Flucht verhalf. Eine zentrale Rolle spielte<br />

dabei ihr am Main günstig gelegenes Gartenhäuschen. In die Fluchtpläne eingeweiht, musste sie<br />

unter großen Schwierigkeiten <strong>und</strong> „sogar dem Gatten gegenüber“ 385 absolutes Stillschweigen<br />

bewahren. Das erste Treffen mit Feddersen, von welchem Frau B. nur den Decknamen „Brutus“<br />

erfuhr, <strong>und</strong> die Flucht wurden von L. W.-K. ganz im Stile eines Spionageromans beschrieben:<br />

Verabredete Geheimzeichen <strong>und</strong> eine Probe, der ein trickreicher Mittelsmann Frau B.s Ver-<br />

schwiegenheit ein letztes Mal unterzog - dies sorgte bei der „Gleichheit“-Leserin für Spannung.<br />

Die Flucht gelang <strong>und</strong> L. W.-K. beschrieb Frau B.s Anteil daran als – im wahrsten Sinne des<br />

Wortes –<br />

„stille That warmer Menschenliebe, die unter den damals obwaltenden Umständen<br />

zugleich eine That großen Muthes <strong>und</strong> edler Selbstverleugnung war, […] ein<br />

schöner Beweis des hohen Sinns, den Frauen stets bethätigt haben, wo <strong>und</strong> wann<br />

im Namen der Freiheit <strong>und</strong> Gerechtigkeit gekämpft worden ist“ 386 .<br />

Frauen brachten sich demnach auch selbst um ihre historische Relevanz <strong>und</strong> um die Überlieferung<br />

ihrer Heldentaten, weil sie diese in einer vermeintlich „typisch <strong>weiblichen</strong>“ Weise vollbrachten.<br />

Chronologisch bereits bei den Frauen des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts angelangt, werden im Folgenden vor<br />

allem die Frauenbiographien der „Gleichheit“-Mitarbeiterin Anna Blos <strong>und</strong> des Historikers<br />

Manfred Wittich, der hinter den Initialen M.W. zu vermuten ist, vorgestellt werden. Die Reihen-<br />

folge der Frauenbiographien aus der Zeit der Romantik, Befreiungskriege <strong>und</strong> 1848-Revolution<br />

orientiert sich weiterhin chronologisch an deren Lebensdaten. Je näher diese Lebensdaten an die<br />

Zeit der Industrialisierung heranrücken, desto stärker rückt auch die Entscheidung einer Frau für<br />

oder wider die Arbeiterbewegung in den Blickpunkt der Artikel.<br />

Bevor nun die Anhängerinnen der demokratischen 1848er-Bewegung Deutschlands <strong>und</strong> damit die<br />

Begründerinnen der deutschen Frauenbewegung porträtiert werden, folgt zuvor noch das von<br />

Hermann Wendel (1884-1936) verfasste Porträt der serbischen Dichterin <strong>und</strong> Demokratin<br />

Militza Stojadinowitsch (1830-1878). Es ist sehr bemerkenswert, dass die „Gleichheit“ im August<br />

1918 – direkt nach dem Ende des Ersten Weltkriegs – die biographische Skizze einer Serbin ver-<br />

öffentlichte. Man begann sich augenscheinlich wieder auf eine sozialistische Verb<strong>und</strong>enheit aller<br />

Länder <strong>und</strong> Nationen, auf eine Völkerverständigung zu besinnen.<br />

Stojadinowitsch wurde in dem kleinen Dorf Bukowatsch geboren <strong>und</strong> wuchs dann in Wrdnik auf.<br />

In Erzählungen <strong>und</strong> Heldensagen vermittelten ihr ihre Eltern – ihr Vater war Pope – die Ge-<br />

385 Ebd.<br />

386 Ebd., S. 112.<br />

365


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

schichte des Südslawenstammes der Serben gerade in einer Zeit, in der die nationale Einigung der<br />

verschiedenen Südslawen angestrebt wurde. Die Eltern legten damit den Gr<strong>und</strong> für Stojadino-<br />

witschs „Liebe zum eigenen Volkstum“ 387 . Andererseits ermöglichten sie ihr im Alter von 12 Jah-<br />

ren, in einem Pensionat in Peterwardein auch eine „abendländische“ Bildung <strong>und</strong> das Erlernen der<br />

deutschen Sprache <strong>und</strong> des Gitarrespiels. Bereits im Kindesalter verfasste sie erste dichterische<br />

Werke.<br />

1848 brach der Freiheitskampf der ungarischen Serben gegen die Magyaren los, den die Serben<br />

anderer Nationen unterstützten. Voller Begeisterung für die Sache hätte sich Stojadinowitsch am<br />

liebsten den Rebellen als Kämpferin angeschlossen, sie beließ es dann jedoch dabei, begeisternde<br />

Gedichte auf die Freiheit aller Südslawen zu verfassen. Nach dem Scheitern der Aufstände zog sie<br />

sich zurück, um ihre Gedanken <strong>und</strong> Erlebnisse in die Form eines Tagebuches zu bringen.<br />

Laut Wendel war Stojadinowitsch jedoch alles andere als ein sogenannter „Blaustrumpf“. Sie sei<br />

im Gegenteil<br />

„stolz darauf [gewesen], in bäuerlicher Einfachheit Hemden zu nähen, Strümpfe zu<br />

stricken, Brot zu backen, am Webstuhl zu sitzen, am Waschtrog zu stehen <strong>und</strong> sich<br />

um Obstgarten <strong>und</strong> Weinberg zu kümmern“ 388 .<br />

Diesen gängigen Rollenbildern entspricht auch das Wirken Stojadinowitschs in ihrer näheren<br />

Umgebung. Sie „unterwies die Bauernmädchen in Handarbeiten, setzte den Vätern Gesuche an<br />

Amt <strong>und</strong> Gericht auf [<strong>und</strong>] verfaßte den Müttern Briefe an den Sohn in der Kaserne“ 389 . Sie stellte<br />

ihre Bildung in den Dienst ihres Dorfes, bildete sich stets weiter, las Rousseau, Byron <strong>und</strong> Balzac<br />

<strong>und</strong> sammelte die Volkslieder ihrer Region. 390<br />

Nein, Stojadinowitsch war kein „Blaustrumpf“, denn auch sie lebte in dem von der Fraueneman-<br />

zipationsbewegung unberührten Serbien das Leben einer Frau in Abhängigkeit. Auch sie strebte<br />

dem Vorbild der<br />

„Serbenjungfrau [nach], die, fromm, bescheiden <strong>und</strong> arbeitsam, den Glauben hochhält,<br />

die Heimat liebt, die Muttersprache ehrt <strong>und</strong> im sonntäglichen Reigen der<br />

Gefährtinnen züchtig die Augen zu Boden schlägt“ 391 .<br />

Eine Vorbildfunktion als „weiblicher Vollmensch“ kommt ihr aber trotzdem zu, da sie ihr dichte-<br />

risches Können nicht nur auslebte, sondern es vorrangig in den Dienst ihres Volkes stellte. Sie sei,<br />

so Wendel, das „erste weibliche Wesen [gewesen], das in serbischern Versen dem Serbentum<br />

387 Wendel, Hermann: Militza Stojadinowitsch. In: GL, 28/ 22/ 02.08.1918/ 173.<br />

388 Ebd., S. 174.<br />

389 Ebd.<br />

390 Ebd.<br />

391 Ebd.<br />

366


4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN<br />

gehuldigt“ 392 habe. Namhafte Dichter <strong>und</strong> Fürsten verehrten ihr Talent, aber auch ihre Schönheit.<br />

Interessanterweise war es jedoch nie die Liebe, die sie zum Thema ihrer in den 1850er <strong>und</strong> 1860er<br />

Jahren erschienenen Werke machte, sondern stets der Patriotismus. Auch dieser Umstand mag<br />

dazu beigetragen haben, dass ihr Stern sank, denn Wendel resümierte, dass „ihre Dichtung […]<br />

unpersönlich <strong>und</strong> frostig [blieb] <strong>und</strong> […] über gereimte Prosa kaum hinaus[kam]“ 393 . Insgesamt<br />

sei Stojadinowitsch ein „schwaches Talent, wenn überhaupt ein Talent“ 394 gewesen. In den 1860er<br />

Jahren waren es „Dichter mit stärkeren Tönen <strong>und</strong> wuchtigerem Gang“ 395 , die die Anhängerin<br />

eines „wolkenhaften <strong>und</strong> blutleeren Idealismus“ 396 ausstachen. Doch nicht nur dichterisch, auch<br />

menschlich sei Stojadinowitsch zu jener Zeit, so Wendel, „unter den Schlitten“ 397 gekommen.<br />

War Stojadinowitsch bisher wohlbehütet von ihren Eltern ihrer Schwärmerei nachgegangen, warf<br />

der Tod der Mutter <strong>und</strong> eine Erkrankung des Vaters sie plötzlich in die harte Realität des Daseins,<br />

an dessen Kanten <strong>und</strong> Ecken sich ihre romantische Seele schließlich w<strong>und</strong> gestoßen habe. 398 Der<br />

Vater starb, ihre Brüder zogen weg, ihre Schwester heiratete. Abgesehen von einer kurzen Liebes-<br />

beziehung mit dem Dichter Rajkowitsch (vermutlich Djordje Rajković), war sie nun vollkommen<br />

allein. Sie war nun, so Wendel, nur noch ein „elendes, verlassenes, bettelhaft armes Weib“ 399 <strong>und</strong><br />

die „Tage des Glanzes, da sie das Entzücken eines ganzen Volkes gewesen war“ 400 längst<br />

vergangen. Aus Teilnahmslosigkeit wurde Trunksucht, wurde „Kapitulation eines haltlosen <strong>und</strong><br />

verstiegenen Idealismus vor der niedrigsten Realität, der Gosse!“ 401 So sah Wendel ihren Tod am<br />

5. August 1878 als eine Erlösung für sie <strong>und</strong> ihre wenigen Fre<strong>und</strong>e. 402 Wenn jedoch auch das Ende<br />

nicht dem eines „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ zu entsprechen scheint, so war Stojadinowitsch doch<br />

nach Meinung des serbischen Literaten Johan Skerlitsch 403 „‘eine von den seltenen serbischen<br />

Frauen, die sich selbst ein höheres Lebensideal schufen <strong>und</strong> darin lebten’“ 404 . Das ist nicht wenig<br />

<strong>und</strong> Gr<strong>und</strong> genug, dass Stojadinowitsch, so Wendel, ein „Plätzchen in der geistigen Entwicklungs-<br />

392 Ebd., S. 173.<br />

393 Ebd., S. 174.<br />

394 Ebd.<br />

395 Ebd.<br />

396 Ebd., S. 175.<br />

397 Ebd.<br />

398 Ebd.<br />

399 Ebd.<br />

400 Ebd.<br />

401 Ebd.<br />

402 Ebd.<br />

403 Gemeint war Jovan Skerlic.<br />

367


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

geschichte der Frau überhaupt“ 405 gebühre – <strong>und</strong> damit wohl auch ein Platz in dieser Reihe<br />

„weiblicher Vollmenschen“.<br />

Die geistige Entwicklungsgeschichte der Frau nimmt in Deutschland vor allem mit der 1848er-<br />

Revolution einen enormen Aufschwung. Ähnlich schwärmerisch veranlagt wie Stojadinowitsch<br />

<strong>und</strong> für die revolutionären Bestrebungen begeistert <strong>und</strong> begeisternd tätig war Bettina von Arnim<br />

(1785-1859).<br />

Katharina Elisabeth (daher „Bettina“) Ludovika Magdalena Brentano entstammte einer berühmten<br />

Familie. Sie war Enkelin der berühmten Erzieherin Sophie von Laroche, Tochter Maximiliane<br />

Brentanos, die vor ihrer Heirat mit Brentano von Johann Wolfgang von Goethe umschwärmt<br />

wurde, <strong>und</strong> Schwester des Dichters Klemens Brentano. Zusammen mit zwei ihrer Schwestern<br />

verbrachte sie als Kind vier Jahre in einer Klosterpension in Fritzlar, bevor sie dann überwiegend<br />

in Frankfurt am Main <strong>und</strong> Offenbach – bei ihrer Großmutter Sophie – lebte.<br />

Bewegt durch den tragischen Suizid ihrer Fre<strong>und</strong>in Karoline von Günderode (1780-1806), die<br />

sich 1806 aus Liebeskummer erdolchte, suchte Arnim den fre<strong>und</strong>schaftlichen Kontakt zu<br />

Katharina Elisabeth Goethe (1731-1808). Dieser Kontakt ergab sich auch, weil deren berühmter<br />

Sohn zum Fre<strong>und</strong>eskreis Sophie von Laroches zählte. Arnim sollte später in ihren Schriften der<br />

Persönlichkeit dieser lebenserfahrenen Frau ein besonderes Denkmal setzen.<br />

1811 heiratet Bettina den Fre<strong>und</strong> ihres Bruders, Achim von Arnim, mit dem sie 20 Jahre eine<br />

glückliche Ehe führte <strong>und</strong> sieben Kinder bekam. 1831 starb ihr Ehemann <strong>und</strong> ein Jahr darauf<br />

Johann Wolfgang von Goethe. Dieser war besonders wichtig für die schriftstellerische Tätigkeit<br />

Arnims, denn sie hatte ihn bei der Abfassung seiner Autobiographie „Dichtung <strong>und</strong> Wahrheit“<br />

unterstützt, indem sie die Erzählungen seiner Mutter einbrachte. Aus ihrem regen Briefwechsel<br />

mit Goethe erstellte Arnim schließlich ein Buch, das unter dem Titel „Goethes Briefwechsel mit<br />

einem Kinde“ erschien <strong>und</strong> das Arnim 1835 zur „berühmteste[n] Frau Deutschlands“ 406 machte.<br />

Diesem Werk folgten viele weitere Schriften <strong>und</strong> Ausgaben verschiedener Briefwechsel. Arnim<br />

betrieb mit ihnen einen „Kultus ihrer geliebten Todten“ 407 , reflektierte aber auch allgemein über<br />

Kunst, Literatur <strong>und</strong> Musik oder den Kontakt zu berühmten Persönlichkeiten.<br />

Diese außergewöhnlichen Umstände lassen bisher nicht vermuten, dass Arnims schriftstellerisches<br />

404 Johan Skerlitsch zit. nach: Ebd.<br />

405 Ebd.<br />

406 [Wittich, Manfred?] M.W.: Bettina von Arnim. In: GL, 10/ 15/ 18.07.1900/ 117.<br />

407 Ebd.<br />

368


4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN<br />

Engagement den „Armen <strong>und</strong> Elenden des Volkes“ 408 gegolten haben könnte. Auch der Titel ihres<br />

herausragendsten Werkes „Dies Buch gehört dem König“, scheint nicht der geeignete Beweis für<br />

eine solche Behauptung zu sein. Tatsächlich verbergen sich aber hinter diesem Titel Arnims mit<br />

Katharina Elisabeth Goethe geführten „staatssozialistischen Gespräche“ 409 . Das Werk ist adressiert<br />

an den Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV., der damit von einem „‘sozialen Königthum’“ 410 über-<br />

zeugt werden sollte. Vorangestellt ist den Ausführungen ein Zitat der weisen Katharina Elisabeth<br />

Goethe: „‘Freiheit allein bringt Geist, Geist allein bringt Freiheit.’“ 411 Nach Meinung Wittichs sei<br />

es „die glühende Sehnsucht, allen Armen, Mühseligen <strong>und</strong> Beladenen zu helfen, sie zu befreien,<br />

aufzuklären <strong>und</strong> zu beglücken“, die dieses Buch wie ein „feuriger Odem“ 412 durchwehe.<br />

Tatsächlich finden sich darin konkrete Forderungen wie z. B. die Sonntagsruhe, damit „an einem<br />

Tage doch auch der Dienende das Gefühl der Menschenwürde habe“ 413 . Arnim, die den Armen<br />

selbst praktische Hilfe leistete, indem sie z. B. während einer 1831 in Berlin ausgebrochenen<br />

Cholera-Epidemie half, plädierte für Denkfreiheit <strong>und</strong> Gemeinsinn bis hin zur „Völkerverbrü-<br />

derung, der Interessengemeinschaft <strong>und</strong> gemeinschaftlicher Interessenwahrung aller die Erde<br />

bewohnenden Menschen“ 414 . Diese romantischen Vorstellungen fanden in Wittich einen ehrlichen<br />

Bew<strong>und</strong>erer. Ihm fiel es dann auch umso schwerer – ja, es ist „entsetzlich“ 415 für ihn –, auch von<br />

Arnims abstruser Vorstellung zu berichten, der König solle sich mit Demagogen umgeben, um im<br />

gemeinsamen Ratschlag mit ihnen das Land zu regieren. Abgesehen von diesem einzelnen Kritik-<br />

punkt, so die Meinung Wittichs, müsse Arnims Werk jedoch den passenderen Titel „Dies Buch<br />

gehört dem Volke“ 416 tragen.<br />

Auch Anna Blos beschäftigte sich mit dem Leben <strong>und</strong> Wirken Bettina von Anirms. Weniger als<br />

Wittich bezog sie sich auf deren literarisches Werk <strong>und</strong> stellte vielmehr deren Eigenschaften als<br />

„weiblicher Vollmensch“ heraus. Doch auch Blos sah in Arnim ein „seltsames Gemisch von<br />

Romantik <strong>und</strong> Realismus“ 417 verkörpert, welches in ihrer wenig sorgsamen Erziehung begründet<br />

liege. Durch diese – verstärkt durch ihre Umwelt, den frühen Verlust der Eltern <strong>und</strong> die Kloster-<br />

408 Ebd.<br />

409 Ebd.<br />

410 Arnim, Bettina von: Armenbuch. (1845). Zit. nach: [Wittich, Manfred?] M.W.: Bettina von Arnim. (Schluß.). In:<br />

GL, 10/ 16/ 01.08.1900/ 124.<br />

411<br />

Arnim, Bettina von: Armenbuch. Zit. nach: Ebd.<br />

412<br />

[Wittich, Manfred?] M.W.: Bettina von Arnim. In: GL, 10/ 15/ 18.07.1900/ 117.<br />

413<br />

[Wittich, Manfred?] M.W.: Bettina von Arnim. (Schluß.). In: GL, 10/ 16/ 01.08.1900/ 124.<br />

414<br />

Ebd., S. 125.<br />

415<br />

Ebd., S. 124.<br />

416<br />

Ebd., S. 125.<br />

417<br />

Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts I: Bettina von Arnim. In: GL, 29/ 31/ 20.09.1919/ 244.<br />

369


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

schule – sei die Phantasie oft mit ihr durchgegangen. So erscheine Arnims „Wesen […] zersplittert<br />

<strong>und</strong> fahrig“ 418 <strong>und</strong> erfahre „häufig eine Beurteilung, die ihr nicht gerecht wird, weil sie ihr<br />

innerstes Wesen nicht erkenn[e]“ 419 . Eine andere Erziehung hätte dagegen die inneren Wider-<br />

sprüche „ausgleichen“ 420 <strong>und</strong> Arnims Talente besser fördern können. Der von Blos festgestellte<br />

Erziehungsfehler, habe sich z. B. auch in „Launenblitzen“ 421 gezeigt. Den schlimmen Ausgang,<br />

den das übermäßige Nachhängen an Phantasien haben könne, zeige der Suizid ihrer Fre<strong>und</strong>in<br />

Karoline von Günderode. Diese habe das Leben nicht länger ertragen, weil es „dem Trugbild ihrer<br />

Phantasie nicht entsprach“ 422 – dem Fall Stieglitz sehr ähnlich, war also auch hier eine Art Des-<br />

illusionierung Motiv eines Suizids.<br />

Während Wittich die Persönlichkeit der Mutter Arnims – Maximiliane Brentano – <strong>und</strong> ihre<br />

Beziehung zu Goethe unerwähnt ließ, schilderte Blos diese sehr ausführlich. Seiner Liebe zu<br />

Maximiliane sei sich Goethe jedoch erst bewusst geworden, als sich diese auf Wunsch ihrer<br />

Mutter vermählen musste. So weist die innige Bekanntschaft Goethes mit Tochter Bettina noch<br />

einen weiteren interessanten Aspekt auf. Allerdings war es Bettina, die Goethe aufsuchte <strong>und</strong> ihn<br />

mit ihrer Natürlichkeit <strong>und</strong> Beharrlichkeit beeindruckte. Der daraus entstandene „Briefwechsel<br />

mit einem Kinde“ entspreche in seiner Art ganz dem Wesens Arnims – ein Gemisch von Dichtung<br />

<strong>und</strong> Wahrheit. Echt <strong>und</strong> „übersinnlich-sinnlich“ 423 zugleich sei auch die Liebe gewesen, die sie für<br />

Goethe empf<strong>und</strong>en <strong>und</strong> die vielen zeitgenössischen Dichtern „eine hohe Auffassung der Frauen-<br />

liebe“ 424 vermittelt habe. Arnim habe damit deren „Begriffe von Freiheit im Lieben“<br />

„[ge]adelt[…]“ 425 – noch dazu sie selbst in einer harmonischen Ehe lebte. Ihre schwärmerische<br />

Liebe für Goethe ließ sie seiner Person <strong>und</strong> seiner Stellung als Minister gegenüber jedoch nicht<br />

unkritisch werden. So führte ihr Spötteln über Christiane Vulpius schließlich zum Bruch mit<br />

Goethe. Und obwohl dieser auf keinen ihrer Versöhnungsversuche reagierte, hielt Arnim an ihrer<br />

Verehrung für ihn fest <strong>und</strong> entwarf nach seinem Tod sogar ein Denkmal für ihn – dies zudem ein<br />

Zeugnis ihres vielseitigen künstlerischen Talents.<br />

Bemerkenswerterweise brachte Blos das Interesse Arnims für soziale <strong>und</strong> nationalökonomische<br />

Fragen in Zusammenhang mit ihrer Witwenzeit. 426 Demnach suchte sie in dieser Beschäftigung<br />

418 Ebd.<br />

419 Ebd.<br />

420<br />

Ebd.<br />

421<br />

Ebd., S. 245.<br />

422<br />

Ebd.<br />

423<br />

Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts I: Bettina von Arnim. (Schluß). In: GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 251.<br />

424 Ebd.<br />

425 Ebd.<br />

426 Vgl. ebd.<br />

370


4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN<br />

vermutlich auch einen neuen Lebensinhalt. In ihrem erwähnten Werk „Dies Buch gehört dem<br />

König“ – ähnlich ihrem Wesen „häufig verworren, der Stil bizarr“ 427 – forderte sie, dass ein<br />

modernes Königtum notwendige Sozialreformen selbst initiieren müsse, um nicht obsolet zu sein.<br />

Arnim setzte sich für die politisch Verfolgten der Revolution <strong>und</strong> für die staatsbürgerliche<br />

Gleichberechtigung der Juden ein. Im Kern ihrer Erkenntnisse sei Arnim damit ihrer Zeit deutlich<br />

voraus gewesen. Das zeitgenössische Urteil Karoline Schlegel-Schellings zu der Person Arnims<br />

war dagegen vernichtend:<br />

„Bettina sieht aus wie eine kleine Berliner Jüdin <strong>und</strong> stellt sich auf den Kopf, um<br />

witzig zu sein, nicht ohne Geist, tout au contraire, aber es ist ein Jammer, daß sie<br />

sich so verkehrt <strong>und</strong> verreckt <strong>und</strong> gespannt damit hat; alle die Brentanos sind<br />

höchst unnatürliche Naturen.“ 428<br />

Die lebenserfahrene Schlegel-Schelling konnte demnach der Schwärmerei Arnims gar nichts<br />

abgewinnen – zudem scheint sie antisemitische Vorbehalte gehabt zu haben. Nach Meinung Blos‘<br />

habe Arnim sich schließlich selbst am besten charakterisiert, als sie von sich schrieb: „Meine<br />

große Veranlagung ist Lieben.“ 429<br />

Bereits 1907 veröffentlichte Blos in der „Gleichheit“ eine Artikelserie zu einer Frau, die sich zwar<br />

selbst auch als „Idealistin“ bezeichnete, die jedoch in ihrem Idealismus weit realistischer war als<br />

Arnim: Malvida von Meysenbug (1816-1903). 1919 wurde diese Artikelserie – nahezu<br />

unverändert – nochmals im Feuilletonteil des Hauptblattes veröffentlicht. Jene Fassung ist im<br />

Folgenden Gr<strong>und</strong>lage der Rekonstruktion. Zuvor ist jedoch auf einige auffällige inhaltliche Ände-<br />

rungen hinzuweisen, die von Blos bzw. der neuen „Gleichheit“-Redaktion vorgenommen wurden.<br />

1907 – unter der Redaktion Zetkins <strong>und</strong> vor dem deutschen Burgfrieden – griff Blos die<br />

bürgerliche Frauenbewegung an, indem sie einen Vergleich zwischen deren Vertreterinnen <strong>und</strong><br />

Meysenbug anstellte. Zwar habe auch Meysenbug der modernen Arbeiterbewegung <strong>und</strong> dem<br />

wissenschaftlichen Sozialismus fremd gegenüber gestanden, aber trotzdem erhebe sich ihre<br />

„Gestalt über den Durchschnittshorizont der heutigen bürgerlichen Frauenwelt“ 430 . Während es<br />

zur Zeit Meysenbugs viele Frauen wie sie gegeben habe, schiene 1907 „diese Art so ziemlich<br />

ausgestorben zu sein“ 431 . Mit diesem Vergleich, so Blos sehr kritisch, sei der „Niedergang des<br />

427 Ebd., S. 252.<br />

428 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts V: Karoline. In: GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 244-245.<br />

429 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts I: Bettina von Arnim. (Schluß). In: GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 252.<br />

430 Blos, Anna: Das Leben einer Idealistin. In: GL, 17/ 05/ 06.03.1907/ 34.<br />

431 Ebd.<br />

371


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Bürgertums auch in seinem <strong>weiblichen</strong> Teil“ 432 belegt.<br />

1919 wies der ansonsten wortwörtlich übernommene Artikel jenen Angriff gegen die bürgerliche<br />

Frauenbewegung nicht mehr auf. Er war auch in allgemein klassenkämpferischer Hinsicht<br />

auffällig „entschärft“ worden. Es war 1919 nicht mehr<br />

„nötig, nochmals zu betonen, daß sie [Meysenbug; M.S.] nicht zu den Unsrigen gehört<br />

hat. Aber die Gestalt dieser Idealistin wird immer eine neue lebendige Anklage<br />

gegen die beherrschenden Klassen bilden, die sich zwar für ihre Persönlichkeit<br />

schließlich interessierten, die aber ihre Bestrebungen nicht verstanden <strong>und</strong><br />

demgemäß auch nicht zu würdigen wußten.“ 433<br />

Eine solche politische Einordnung Meysenbugs <strong>und</strong> ihrer Bedeutung für den Kampf der prole-<br />

tarischen Klasse stand aber 1919 nicht mehr im Vordergr<strong>und</strong> eines biographischen „Gleichheit“-<br />

Artikels. Stattdessen wurden die Leserinnen in eine gespannte Erwartung versetzt, indem sie<br />

vorab erfuhren, dass Meysenbug – „wie alle, die dem Neuen einen Weg bahnen wollen“ 434 –<br />

„[v]erachtet <strong>und</strong> verraten“ 435 wurde. War England, wo Meysenbug später aufgr<strong>und</strong> eben jener Ver-<br />

achtung im Exil leben sollte, für Blos 1907 noch das „freie stolze Land der Briten“ 436 , so war es<br />

1919 vermutlich nur noch eine unerträgliche <strong>und</strong> deshalb nicht mehr erwähnenswerte Besatzungs-<br />

macht.<br />

Unverändert blieben die Beschreibungen Blos‘ zum Leben der deutschen Republikanerin, an<br />

denen sehr auffällig wird, dass Blos nur wenige Jahresangaben einfügte. Meysenbug machte eine<br />

erstaunliche Entwicklung von einer „Geburtsaristokratin“, die „tapfer ihre anerzogenen Vorurteile<br />

beiseite [warf]“ 437 , zur Anhängerin der bürgerlichen Demokratie durch. Sie wurde in Kassel als<br />

Tochter einer aristokratischen Hugenottenfamilie geboren. Ihre künstlerischen Neigungen wurden<br />

schon früh von der Mutter gefördert. Wie Karoline von Humboldt war auch diese der Meinung,<br />

dass „die Berührung mit ausgezeichneten Menschen“ 438 einen guten Einfluss auf die Entwicklung<br />

von Kindern habe. Sobald des Lesens mächtig, zeigte Meysenbug eine große Leidenschaft für<br />

Bücher <strong>und</strong> das Theater. Das Theaterspielen erachtete die Erzieherin Meysenbug später als<br />

besonders förderlich für Kinder, denn<br />

432 Ebd.<br />

„auch würden beim Unterricht, namentlich beim Geschichtsunterricht, lebhaftere<br />

Eindrücke von allem, was sich auf hervorragende Gestalten bezieht, durch<br />

433 Blos, Anna: Das Leben einer Idealistin. In: GL, 17/ 08/ 17.04.1907/ 61.<br />

434 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von Meysenbug. In: GL, 29/ 42/ 06.12.1919/ 331.<br />

435 Ebd.<br />

436 Blos, Anna: Das Leben einer Idealistin. In: GL, 17/ 07/ 03.04.1907/ 50.<br />

437 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von Meysenbug. In: GL, 29/ 42/ 06.12.1919/ 331.<br />

438 Ebd., S. 332.<br />

372


Darstellung durch die Kinder selbst erzielt werden“ 439 .<br />

4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN<br />

Die Tradierung historischer Vorbilder hatte also auch Einfluss auf die Kindererziehung. Dem<br />

Theaterspielen zum Vorteil gereichte die große Phantasie Meysenbugs, die sich nach Meinung<br />

Blos‘ jedoch als übermäßig groß erweisen sollte.<br />

Als schließlich auch in Kassel wie in anderen Teilen des Deutschen Reiches erste vormärzliche<br />

Revolten stattfanden, beschloss der Vater Meysenbugs, der ein Ministeramt innehatte, mit der<br />

Familie die Stadt zu verlassen – ein „wahres Nomadenleben“ 440 begann.<br />

Die erste Liebe Meysenbugs – zu ihrem Religionslehrer – blieb eine unerfüllte. Umso stärker<br />

wandte sie sich der Kunst, der Malerei zu. Sehr gelegen musste es in diesem Zusammenhang auch<br />

gewesen sein, dass Meysenbug in Begleitung einer Verwandten die Schweiz <strong>und</strong> Frankreich<br />

bereisen durfte. Auf dieser Reise versuchte sie trotz ihrer sehr geschwächten Sehkraft zu malen,<br />

musste dies dann aber für immer aufgeben.<br />

„Doch bald fand sie ein mächtigeres Mittel, ihrem Leben ein Ziel zu geben, als<br />

Religion <strong>und</strong> Kunst es gewesen wären, nämlich die Arbeit am Fortschritt der<br />

Menschheit durch den Gedanken <strong>und</strong> durch die Tat.“ 441<br />

Die ersten Berührungen mit aktuellen politischen Themen hatte sie wiederum in Gesprächen mit<br />

einem jungen Theologen. In der Diskussion mit ihm „arbeitete sich [Meysenbug] zu einer demo-<br />

kratischen Weltanschauung durch“ 442 . Das gemeinsame politische Interesse führte zu mehr, zu<br />

einer Liebesbeziehung. Nachdem Meysenbug jedoch von einer längeren Reise, u. a. in das revo-<br />

lutionäre Frankfurt am Main <strong>und</strong> der dort ansässigen Nationalversammlung, zurückkehrte, musste<br />

sie erfahren, dass er sich in eine andere Frau verliebt hatte. Meysenbug war verzweifelt. Jedoch<br />

entschied sie sich anders als Stieglitz oder Günderode für das Weiterleben:<br />

„‘Sterben wollen, um nicht mehr zu leiden, ist Schwäche. Leben für seine Ideale,<br />

um Gutes in Dir <strong>und</strong> um Dich zu vollbringen, das ist wahre Stärke.’“ 443<br />

Sie suchte die geistige Beschäftigung <strong>und</strong> studierte vornehmlich philosophische Werke. Bei einem<br />

Kuraufenthalt in Ostende fasste sie den Entschluss, ihre Familie, die sie wegen ihrer Ideen immer<br />

mehr als Abtrünnige behandelte, zu verlassen. In den USA wollte sie „ihre Individualität, ihre<br />

Gedanken- <strong>und</strong> Gewissensfreiheit“ 444 leben. Sie befand sich bereits auf dem Weg in das selbst-<br />

439 Ebd.<br />

440 Ebd.<br />

441 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 29/ 43/<br />

13.12.1919/ 339.<br />

442 Ebd.<br />

443 Malvida von Meysenbug zit. nach: Ebd., S. 340.<br />

444 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 29/ 45/ 46/<br />

27.12.1919/ 357.<br />

373


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

gewählte Exil, als sie den Entschluss fasste, aus Rücksichtnahme auf ihre Mutter Deutschland<br />

doch nicht zu verlassen. Stattdessen wurde sie die zweite Vorsteherin der in Hamburg neu gegrün-<br />

deten Hochschule für Frauen. 445 Zudem wurde sie Mitglied im Vorstand einer konfessionslosen<br />

Schule, an der pikanterweise auch jener Theologe unterrichtete, der sie so schwer enttäuscht hatte.<br />

Allerdings hegte sie keinerlei Hass gegen ihn, was sich erwies als dieser schwer erkrankte:<br />

„Den Antrag eines Fre<strong>und</strong>es, ihr Gatte <strong>und</strong> Beschützer zu sein, wies sie zurück, um<br />

dem sterbenden Geliebten die Treue zu bewahren, ihn mit einer Liebe zu umgeben,<br />

die nichts fordert, aber gibt, hilft, tröstet <strong>und</strong> versöhnt.“ 446<br />

Es ist schwer zu entscheiden, ob dieses Verhalten mehr für eine altruistische Hörigkeit oder für<br />

eine selbstbewusste Menschenliebe steht.<br />

Die Frauenhochschule musste auf behördliche Verfügung hin geschlossen werden. Meysenbug<br />

ging nach Berlin. Dort jedoch sorgte ihr Engagement für die demokratische Bewegung dafür, dass<br />

sie ins Visier der Ordnungshüter geriet <strong>und</strong> fliehen musste:<br />

„Die Zeit des freiwilligen Märtyrertums war vorüber. Nun galt es, sich gehässigen<br />

Verfolgungen zu entziehen <strong>und</strong> seine Kräfte für eine bessere Zukunft zu retten. So<br />

ging sie, die schwache Frau, ins Exil, fast ohne Existenzmittel, aber aufrechterhalten<br />

von der Kraft, welche reine Ueberzeugungen <strong>und</strong> das Bewußtsein, ihnen<br />

treu geblieben zu sein, geben.“ 447<br />

Als „weiblicher Vollmensch“ schöpfte Meysenbug Kraft aus ihrer Überzeugung <strong>und</strong> aus ihrem<br />

Engagement für eine Sache: Die Bildung der Frau. Meysenbug wollte „die Frauen würdiger […]<br />

machen, Frauen <strong>und</strong> Mütter zu sein“ 448 .<br />

Meysenbug ging nach London <strong>und</strong> fand erste Aufnahme im Hause von Johanna Kinkel (1810-<br />

1858), der sie bis dahin nur durch einen Briefwechsel bekannt gewesen war. Die Hilfe Kinkels<br />

konnte Meysenbug ohne Reue annehmen, „denn bei ihrer vornehmen Gesinnung meinte sie, nur<br />

von denen dürfe man materielle Opfer empfangen, mit denen man sich in vollständiger Ueberein-<br />

stimmung des Denkens <strong>und</strong> Handelns befinde“ 449 . Aus diesem Gr<strong>und</strong>e lehnte sie jede finanzielle<br />

Unterstützung ihrer Familie ab <strong>und</strong> verdiente sich ihren Lebensunterhalt als Privatlehrerin. Sie<br />

war ein Beispiel dafür, „daß man, von den Menschen verlassen, in Not <strong>und</strong> Entbehrung lebend,<br />

445 Die Hamburger Frauenhochschule existierte von 1850 bis 1852. Siehe auch: Blos, Anna: Eine freie Schule vor<br />

fünfzig Jahren. In: GL, 16/ 22/ 31.10.1906/ 153-154.<br />

446 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 29/ 45/ 46/<br />

27.12.1919/ 358.<br />

447 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 30/ 01/<br />

03.01.1920/ 5.<br />

448 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von Meysenbug. In: GL, 29/ 42/ 06.12.1919/ 331.<br />

449 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 30/ 01/<br />

374<br />

03.01.1920/ 6.


doch unendlich glücklicher als die Alltagsmenschen sein kann“ 450 .<br />

4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN<br />

Im Hause der Kinkels lernte Meysenbug viele andere politisch Verfolgte kennen, die ebenfalls<br />

London zu ihrem Exil erwählt hatten. Mit ihrem „<strong>weiblichen</strong> Takt, ihre[r] umfassende[n] Bildung<br />

<strong>und</strong> ihre[r] Herzensgüte“ erwarb sie sich schnell deren Fre<strong>und</strong>schaft. Darunter die der ita-<br />

lienischen Freiheitskämpfer Giuseppe Mazzini <strong>und</strong> Giuseppe Garibaldi. Auch den russischen<br />

Exilanten Alexander Herzen lernte sie hier kennen <strong>und</strong> fand in ihm eine „verwandte[…]<br />

Seele[…]“. 451<br />

Herzen – Witwer <strong>und</strong> Vater mehrerer Kinder – machte Meysenbug schließlich das Angebot, als<br />

Erzieherin seiner beiden Töchter zu arbeiten. Dies gab Meysenbug außerdem die Gelegenheit, ihr<br />

Studium der <strong>weiblichen</strong> Erziehung fort- <strong>und</strong> in die Praxis umzusetzen. Sie strebte nach dem Ideal<br />

„ein weibliches Geschlecht zu erziehen, ‘in dem alle sittliche Feigheit verschwände,<br />

das sich nur der sittlichen Freiheit unterwirft, indem es die<br />

Notwendigkeit einer sittlichen Weltordnung anerkennt.’“ 452<br />

Dieses Ideal weiblicher Sittlichkeit, das nicht gleichzusetzen ist mit althergebrachten moralischen<br />

Vorstellungen weiblicher Tugenden, war stets auch Thema in der Korrespondenz mit Herzen.<br />

Dieser nahm Meysenbug in sein Haus auf, um nicht mehr nur seine Kinder zu erziehen, sondern<br />

auch seinen Haushalt zu leiten. Dem Mann war sie eine Gefährtin, den Kindern eine Mutter.<br />

Meysenbug wollte die Kinder zu „Persönlichkeiten“ 453 erziehen. Sie selbst lebte nach dem<br />

„höchste[n] Ideal der Mutterliebe“ 454 , ging ganz in ihrer Aufgabe auf <strong>und</strong> trug „Sorge um den<br />

Charakter, die volle Entwicklung aller Fähigkeiten, die Sehnsucht, in den jungen Leben die eigene<br />

Unsterblichkeit zu erleben, das, was in uns als Ideal gelebt, in ihnen hervorzurufen“ 455 . Indem sie<br />

in ihnen die „Erkenntnis eigenen Bewußtseins“ weckte, erzog sie sie quasi zu „Vollmenschen“.<br />

Auch sie selbst suchte stets die Weiterbildung, den Kontakt zu den „Großen“ ihrer Zeit. Persönlich<br />

sehr beeindruckt war sie vor allem von Richard Wagner <strong>und</strong> ihre philosophischen Studien<br />

beschäftigten sich besonders mit den Schriften Arthur Schopenhauers.<br />

Ihr Verhältnis zu Herzen blieb von ihr selbst – in ihren Memoiren – <strong>und</strong>efiniert, die Liebe zu ihm<br />

unausgesprochen. Doch Blos vermutete, dass Meysenbug „ihr reiches großes Herz“ 456 an den von<br />

ihr so bew<strong>und</strong>erten Alexander Herzen verloren hatte. Jedoch wurde ihre Stellung im Hause von<br />

450 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von Meysenbug. In: GL, 29/ 42/ 06.12.1919/ 331.<br />

451 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 30/ 02/<br />

10.01.1920/ 11.<br />

452 Malvida von Meysenbug zit. nach: Ebd.<br />

453 Ebd., S. 12.<br />

454 Ebd.<br />

455 Ebd.<br />

456 Ebd., S. 13.<br />

375


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

manchen Fre<strong>und</strong>en Herzens missbilligt <strong>und</strong> da Herzen keinerlei Anstalten machte, diese bösen<br />

Stimmen zum Schweigen zu bringen, verließ sie ihn – ohne ihm Vorhaltungen zu machen. Blos<br />

war der Meinung, dass Meysenbug den Charakter Herzens weit überschätzt habe. 457<br />

Meysenbug arbeitete nun für ein von Mazzini herausgegebenes revolutionäres Journal <strong>und</strong><br />

versuchte sich als Agitatorin in der englischen Arbeiterschaft. Weil es ihr jedoch an Kenntnissen<br />

zum modernen Sozialismus <strong>und</strong> seinen Theorien gemangelt habe, habe Meysenbug nach Meinung<br />

Blos‘ wohl daran getan, diese Tätigkeit bald wieder aufzugeben. 458<br />

Nach einem vergeblichen Versuch, im Herzen‘schen Haushalt ihre alte Stellung wieder einzu-<br />

nehmen, verließ sie London, um in Paris die Kinder einer Fre<strong>und</strong>in zu erziehen. Ein weiteres Mal<br />

war es Herzen, der den ersten Schritt wagte <strong>und</strong> ihr dauerhaft diejenige Position anbot, in der nach<br />

der Meinung Blos‘<br />

„sie beweisen [konnte], daß auch die unverheiratete Frau den ausschließlich<br />

<strong>weiblichen</strong> Beruf ausüben, daß sie die Walterin des häuslichen Lebens, die Mutter<br />

aufblühender Jugend sein kann“ 459 .<br />

Ein Angebot also, das ihr die Möglichkeiten eröffnete, sich im Sinne des Frauenleitbildes eines<br />

„<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ zu einer harmonischen Persönlichkeit zu entwickeln. Sie nahm das<br />

Angebot an, aber wie sich nun das Verhältnis zu Herzen gestaltete, wurde von Blos nicht weiter<br />

geschildert.<br />

Befriedigend dürfte für Meysenbug gewesen sein, dass auch ihre eigene Familie mittlerweile von<br />

der Großartigkeit ihrer Ideale überzeugt war <strong>und</strong> den Kontakt zu ihr wieder aufnahm. Ihre letzten<br />

Lebensjahre verbrachte Meysenbug in Rom, wo sie 1903 starb.<br />

„‘Du hast nicht umsonst gelebt; nicht nur, daß Du Dir selbst Treue gehalten hast.<br />

Du bist auch andern etwas gewesen, <strong>und</strong> besseres kann ja der Mensch nicht<br />

verlangen, als mit diesem Doppelzeugnis an der Schwelle der Ewigkeit stehen <strong>und</strong><br />

warten, bis sich ihm die Pforte öffnet, aus der es keine Wiederkehr gibt.’“ 460<br />

Diese aus ihren „Memoiren einer Idealistin“ entnommenen Worte umschreiben sowohl das<br />

Lebensideal Meysenbugs als auch das Ideal eines „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“, in dem Selbst-<br />

bewusstsein <strong>und</strong> Gemeinsinn in besonderer Harmonie miteinander verb<strong>und</strong>en sind.<br />

Immer mehr Frauen setzten sich im Rahmen nationaler Revolutionen klar für eine politische<br />

Gleichberechtigung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts ein. Sie argumentierten, dass diese die letzte Kon-<br />

457 Vgl. ebd.<br />

458 Ebd., S. 14.<br />

459 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von Meysenbug. (Schluß). In: GL, 30/ 03/<br />

17.01.1920/ 19.<br />

460 Malvida von Meysenbug zit. nach: Ebd., S. 20.<br />

376


4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN<br />

sequenz einer wahrhaft demokratischen Gesellschaft sein müsse. Mit ihren Artikeln ließ Blos<br />

diese Frauen, ihr Leben <strong>und</strong> ihren Kampf um Frauenrechte lebendig werden <strong>und</strong> setzt ihnen damit<br />

ein Denkmal:<br />

„Die Deutsche Revolution von 1848 hatte, wie ja auch die große Französische<br />

Revolution von 1789, nicht nur ihre Helden, sondern auch ihre Heldinnen. Die<br />

Namen dieser Frauen verdienen festgehalten zu werden, denn sie alle haben<br />

geholfen, die Wege zu bahnen, auf denen das weibliche Geschlecht von heute seine<br />

Forderungen <strong>und</strong> Rechte selbständig vertreten kann, ohne durch Gesetze <strong>und</strong> Schikane<br />

aller Art daran gehindert zu werden.“ 461<br />

Selbst für ihr Engagement „mit den Waffen des Geistes <strong>und</strong> der Feder“ 462 noch von Behörden<br />

verfolgt <strong>und</strong> schikaniert, hatte auch Mathilde Franziska Anneke (1817-1884) in ihrem Leben<br />

viele „Wandlungen <strong>und</strong> Kämpfe durchmachen müssen“ 463 . Aufgewachsen in einer streng<br />

katholischen Familie, schon jung zur Heirat mit einem ungeliebten Mann gezwungen, dem sie<br />

schließlich die Scheidung <strong>und</strong> das Sorgerecht für ihre Tochter hatte abtrotzen können, entwickelte<br />

sie sich zu einer Freidenkerin. Die Begeisterung für die Ideen der Demokraten konnte sie<br />

schließlich mit ihrem zweiten Ehemann, dem Artillerieoffizier Friedrich Anneke, teilen – mit ihm<br />

erlebte sie „eine[…] wahre[…] Gemeinschaft der Herzen <strong>und</strong> der Geister“ 464 .<br />

Zusammen mit ihrem Ehemann <strong>und</strong> dessen Fre<strong>und</strong> Fritz Beust gab Anneke die „Neue Kölnische<br />

Zeitung“ (1848-1849) heraus. Nachdem die beiden Männer verhaftet <strong>und</strong> zu Gefängnisstrafen<br />

verurteilt worden waren, führte Anneke die Zeitung allein <strong>und</strong> unter dem provokativen Namen<br />

„Frauenzeitung“ weiter. Der Namenswechsel stand vor allem für die Tatsache, dass es nun an<br />

einer Frau war, den Verpflichtungen gegenüber den Abonnenten nachzukommen – zumindest bis<br />

zum neuerlichen Erscheinen der „Neuen Kölnischen Zeitung“. Der Titel „Frauenzeitung“ stand<br />

jedoch nicht dafür, eine sich nur an Frauen richtende <strong>und</strong> Frauenthemen behandelnde Zeitschrift<br />

zu sein. 465<br />

Annekes Ehemann wurde entlassen <strong>und</strong> ging in die Pfalz, um dort die Revolutionstruppen zu<br />

organisieren, Anneke folgte ihm. Nach dem Scheitern der Revolution flüchtete das Ehepaar in die<br />

USA. Hier widmete sich Anneke „der sozialen <strong>und</strong> politischen Gerechtigkeit der Geschlechter“ 466 ,<br />

dies vor allem in einer von ihr gegründeten Schule, in der sie die Schülerinnen nach dem<br />

461 Blos, Anna: Mathilde Anneke. Die Gründerin einer Frauenzeitung aus dem Jahre 1848. In: GL, 32/ 21/<br />

01.11.1922/ 192.<br />

462 Ebd.<br />

463 Ebd.<br />

464 Ebd., S. 193<br />

465 Vgl. ebd.<br />

466 Ebd.<br />

377


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Gr<strong>und</strong>satz erzog, dass die „Vernunft […] höchster <strong>und</strong> einziger Gesetzgeber“ 467 sei. Ihren Schüle-<br />

rinnen war sie Vorbild, indem sie prinzipientreu nach ihren Idealen lebte.<br />

<strong>Von</strong> vielen ihrer Zeitgenossen als „Blaustrumpf“ <strong>und</strong> „Frauenrechtlerin“ verhöhnt, könnten, so<br />

Blos, jedoch „viele Forderungen der mutigen Frau“ 468 als erfüllt erachtet werden. Ein Umstand,<br />

der allerdings für die Frauen des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts nicht bedeute, von den Kämpfen für Gerech-<br />

tigkeit ausruhen zu können. Ihren nachfolgenden Geschlechtsgenossinnen habe Anneke folgende<br />

Verheißung hinterlassen:<br />

„Die gegenwärtige Agitation für die Gleichberechtigung aller Menschen ist ein<br />

Produkt der Wissenschaft, aber auch der Gerechtigkeit <strong>und</strong> der Liebe – ein Werk<br />

der Versöhnung!“ 469<br />

Eine Hinterlassenschaft, die für die Leserinnen angesichts des Zeitpunktes des Erscheinens des<br />

Artikels – vier Jahre nach Ende des Ersten Weltkrieges <strong>und</strong> mitten im Prozess einer neuen Völker-<br />

verständigung – besondere Bedeutung gehabt haben dürfte.<br />

Eine ebenfalls kämpferische <strong>und</strong> emanzipierte Frau der 1848er-Revolution war Luise Aston<br />

(1815-1871). Laut Wilhelm Blos, der dieses Mal als Autor zu vermuten ist, war Aston eine Frau,<br />

die „einstmals einen mächtigen Einfluß […] auf die geistige Entwicklung der deutschen<br />

Frauenwelt“ 470 ausgeübt habe.<br />

Aston war die Tochter des Pfarrers Johann Gottfried Hoche in Groningen, einem Dorf bei Halber-<br />

stadt. Die Eltern waren arm <strong>und</strong> daher umso glücklicher als der englische Großindustrielle Samuel<br />

Aston um die Hand der 17-jährigen Tochter, die nach einem 1848 in der Leipziger „Illustrirten<br />

Zeitung“ (1843-1944) veröffentlichten Porträt „ein schöngeschnittenes Gesicht mit großen<br />

Augen“ 471 , eine große <strong>und</strong> stattliche, aber nicht übermäßig zarte Gestalt besaß, anhielt. Aston<br />

schien damit schließlich außergewöhnlich gut versorgt. Während ihr Ehemann jedoch seine<br />

Reichtümer verprasste, wurde Aston des erbärmlichen Elends der Industriearbeiter gewahr. Sie<br />

wollte daraufhin nicht mehr ihr altes Leben führen <strong>und</strong> „rührte ihre kostbaren Toiletten <strong>und</strong> ihr<br />

Geschmeide nicht mehr an“ 472 . An diesem Punkt hätte sie den Weg gehen können, den andere<br />

bürgerliche Frauen vor <strong>und</strong> nach ihr gegangen sind, sie hätte sich „wohltätig“ engagieren können.<br />

Wohltätigkeit erachtete Aston aber als „die Menschenrechte der Armen beeinträchtige[nd] <strong>und</strong><br />

467 Ebd.<br />

468 Ebd.<br />

469 Ebd.<br />

470 [Blos, Wilhelm?] W. B.: Aus dem Leben einer Revolutionärin. In: GL, 15/ 11/ 31.05.1905/ 63.<br />

471 Ebd., S. 64.<br />

472 Ebd., S. 63.<br />

378


4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN<br />

diese selbst erniedrige[nd]“ 473 . Auf diese Weise sei sie, so Blos, „von selbst zu einer sozialis-<br />

tischen Auffassung – freilich nicht im heutigen Sinne – gekommen“ 474 .<br />

Eine Scheidung der Eheleute wurde unvermeidlich: „[D]er im Alltagsschlamm wandelnde Par-<br />

venu <strong>und</strong> die hochfliegende Idealistin konnten nicht beisammen bleiben“ 475 . Die unglückliche<br />

Ehezeit verarbeitete Aston in einem schriftstellerischen Werk unter dem Titel „Aus dem Leben<br />

einer Frau“ (1847) – ihr neues Leben <strong>und</strong> eine neue Beziehung ließ sie über die Freiheit der Liebe<br />

schreiben <strong>und</strong> inspirierte sie 1846 zu dem Gedichtband „Wilde Rosen“. Es begann etwas gänzlich<br />

Neues: Als ein „schöne[s], kühne[s] <strong>und</strong> geniale[s] Weib“ 476 forderte sie die Gleichstellung der<br />

Geschlechter <strong>und</strong> bezauberte viele Männer, „[i]hr Leben ward zu einer Kette von politischen <strong>und</strong><br />

Liebesabenteuern“ 477 . Zudem verkehrte sie unter Anarchisten <strong>und</strong> ging in Männerkleidung aus.<br />

Mit all dem stieß sie so manchen Spießbürger vor den Kopf <strong>und</strong> wurde in den Augen der<br />

Behörden zur Störenfriedin der Ordnung. Es folgten die Ausweisungen sowohl aus Hamburg als<br />

auch aus Berlin, wo sie einen literarisch-politischen Salon unterhalten hatte.<br />

1848 sah sie in dem freiwilligen Dienst als Krankenpflegerin in Schleswig-Holstein eine<br />

Gelegenheit, an der revolutionären Bewegung teilzunehmen. Sogar verw<strong>und</strong>et bewies sie dabei<br />

besonderen „Mut <strong>und</strong> Selbstverleugnung“ 478 – Tugenden, die in der „Gleichheit“ besonders dem<br />

„<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ <strong>und</strong> dem Proletariat insgesamt zugeschrieben werden. Nach der<br />

Niederlage der Revolutionäre ging Aston nach Bremen, wo sie den Arzt Daniel Eduard Meier<br />

kennenlernte <strong>und</strong> – zu Unrecht als prinzipielle Gegnerin der Ehe verschrien – diesen auch 1850<br />

heiratete. Das Ehepaar lebte zeitweilig in Russland <strong>und</strong> in Österreich. 1871 kehrte es nach<br />

Deutschland zurück, um schließlich seine letzte Zeit in Wangen am Bodensee zu verbringen.<br />

Vermutlich auch in Hinblick auf den romantischen Charakter einer Bettina von Arnim,<br />

konstatierte Anna Blos in einem weiteren Artikel allgemein, dass mit dem Annähern an die<br />

Ereignisse von 1848 auch die Stellung der Frau <strong>und</strong> ihr Streben sich wandelten. 479 Frauen – wenn<br />

auch nur wenige – wurden sogar kühn genug, für die Befreiung des Geschlechts bewaffnet <strong>und</strong><br />

unter Einsatz ihres Lebens zu kämpfen.<br />

Anna Blos beschrieb den Charakter Astons <strong>und</strong> vor allem ihre Vorstellungen von Ehe <strong>und</strong> Liebe<br />

473 Ebd.<br />

474 Ebd.<br />

475 Ebd.<br />

476 Ebd.<br />

477 Ebd.<br />

478 Ebd.<br />

479 Vgl. Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts [VII]: Luise Aston. In: GL, 31/ 03/ 01.02.1921/ 21.<br />

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ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

wesentlich detaillierter als es der Artikel ihres Ehemannes Wilhelm tat. Sie hob folgende ihrer<br />

Ansichten hervor:<br />

„‘Prostitution ist die Hingabe der Liebe in <strong>und</strong> außer der Ehe, ist das Wegwerfen<br />

der eigenen Persönlichkeit. Diese hochzuhalten, diese nur gegen den Preis der<br />

Liebe hinzugeben, dies schöne Maß zu bewahren, das ist des Weibes einzige Unschuld<br />

<strong>und</strong> Sittlichkeit.’“ 480<br />

In ihrer Scheidung sah Aston den einzigen Weg, die Heiligkeit der Ehe zu wahren – alles andere<br />

wäre in ihren Augen Prostitution gewesen. In ihrer jetzigen Form <strong>und</strong> im jetzigen Verständnis sei<br />

die Ehe ein großer Widerspruch. Einerseits stehe sie für höchste Sittlichkeit, andererseits öffne sie<br />

jeder Unsittlichkeit Tür <strong>und</strong> Tor. Die Institution der Ehe – meist in Kombination mit dem Segen<br />

der Kirche – sanktioniere eben nicht einen „Seelenb<strong>und</strong>“, sondern meist einen „Seelen-<br />

handel“. 481 Aston steht der Ehe kritisch gegenüber, „weil sie zum Eigentum macht, was nimmer<br />

Eigentum sein kann, ‘die freie Persönlichkeit’, weil sie ein Recht gibt auf Liebe, auf die es kein<br />

Recht geben kann“ 482 . Auch für sie ist Bildung die Voraussetzung für jede Entfaltung der<br />

Persönlichkeit <strong>und</strong> erst sie gebe auch der Liebe „die höhere Weihe“ 483 . Wie umfassend ihre eigene<br />

Bildung war, erweist sich in ihren Gedichten, den Romanen „Lydia“ (1848), „Revolution <strong>und</strong><br />

Konterrevolution“ (1849), den „Freischärlerreminiszenzen“ (1851) <strong>und</strong> ihrer nur ein Jahr lang<br />

existierenden Zeitschrift „Der Freischärler“ (1848). Ihre Bildung offenbarte sich aber nicht nur in<br />

jener schriftstellerischen Arbeit, sondern auch in ihrem Urteilsvermögen die soziale Frage be-<br />

treffend. Aston hatte ausgelöst durch die Verschwendungssucht ihres ersten Ehemannes begonnen,<br />

über die Bedingungen ihres eigenen Reichtums zu reflektieren. Sie sah vor allem in der Weiter-<br />

entwicklung der Technik <strong>und</strong> der modernen Industrie den richtigen Weg zu „höheren sozialen<br />

Stufen“ 484 für alle. Die moderne Industrie sei „die Mutter des Proletariats […], die zugleich den<br />

Reichtum <strong>und</strong> die Armut bringt“ 485 – ein Widerspruch, für den sie allerdings auch keine konkrete<br />

Lösung zu haben schien. Groß war deshalb ihre Begeisterung für die revolutionäre 1848er-<br />

Bewegung. Auf ihre schriftstellerische Tätigkeit habe sich vor allem ihre Mitgliedschaft in der<br />

Gesellschaft der „Freien“ ausgewirkt. 486 Auch Anna Blos hielt eine Beschreibung von Astons<br />

Äußerem für erwähnenswert: Blondes lockiges Haar, blaue Augen, ein zartes Gesicht, eine eher<br />

große als kleine Statur hätten nicht ihre Wirkung verfehlt – eine Wirkung, der sie sich selbst sehr<br />

480 Ebd., S. 22.<br />

481 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts [VII]: Luise Aston. (Schluß). In: GL, 31/ 04/ 15.02.1921/ 32.<br />

482 Ebd.<br />

483 Ebd.<br />

484 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts [VII]: Luise Aston. In: GL, 31/ 03/ 01.02.1921/ 22.<br />

485 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts [VII]: Luise Aston. (Schluß). In: GL, 31/ 04/ 15.02.1921/ 31.<br />

486 Vgl. ebd.<br />

380


ewusst gewesen sei. 487<br />

4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN<br />

Blos bezeichnete Aston als „die entschiedenste <strong>und</strong> bedeutendste Vorkämpferin für die völlige<br />

Gleichberechtigung der Geschlechter“ 488 . Und als höchstes Recht galt ihr das Recht der „freien<br />

Persönlichkeit“ 489 . Diesem Lebens- <strong>und</strong> Liebesideal lebend starb Aston als freie Persönlichkeit.<br />

Zu den ersten Frauen Deutschlands, die den Mut hatten sich für die politische Gleichberechtigung<br />

des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts einzusetzen gehörte auch Louise Otto-Peters (1819-1895). <strong>Von</strong><br />

entscheidender Bedeutung für ihr Engagement war die 1848er-Revolution, während der sie ganz<br />

offen im Lager der „Rebellen“ 490 stand. In ihrem Nachruf auf diese Vorkämpferin musste Zetkin<br />

den „Gleichheit“-Leserinnen aber erklären, dass Otto-Peters trotzdem “keine der Unseren“ 491 war<br />

– auch wenn ihr „die proletarische Frauenwelt Anerkennung“ 492 schulde. In ihrem Artikel<br />

beschränkte sich Zetkin auf den politischen Werdegang <strong>und</strong> die politische Überzeugung Otto-<br />

Peters‘, nach welcher sie „eine ehrliche bürgerliche Demokratin“ 493 gewesen sei. Sie habe ge-<br />

legentlich Artikel im sozialdemokratischen „Volksstaat“ (1869-1879) veröffentlicht,<br />

„[a]ber je reinlicher sich allmälig die Scheidung zwischen bürgerlicher Demokratie<br />

<strong>und</strong> Sozialdemokratie vollzog, um so mehr ging ihr die Fühlung mit der letzteren<br />

verloren, <strong>und</strong> um so ausschließlicher widmete sie ihre bedeutende Kraft den Zielen<br />

der bürgerlichen Frauenbewegung“ 494 .<br />

Anders als andere bürgerliche Frauenrechtlerinnen blendete sie die Interessen der Proletarierinnen<br />

jedoch nicht vollkommen aus:<br />

„Der sozialdemokratischen Bewegung stand sie vorurtheilslos gegenüber, dem<br />

Leiden der Arbeiterklasse brachte sie warmes Mitgefühl, ihrem Ringen nach Befreiung<br />

Sympathie entgegen.“ 495<br />

Auch sie ist als ein „weiblicher Vollmensch“, als ein Vorbild proletarischer Frauen zu sehen, denn<br />

auch sie bewies einen „edle[n] Charakter“ <strong>und</strong> ein „selbstloses, aufopferndes Wirken“ 496 für die<br />

Sache der Frauenemanzipation.<br />

487 Vgl. Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts [VII]: Luise Aston. In: GL, 31/ 03/ 01.02.1921/ 22. Anna<br />

Blos verwies wie ihr Ehemann auf das vorteilhafte Porträt Astons in der „Leipziger Illustrierten Zeitung“.<br />

488 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts [VII]: Luise Aston. (Schluß). In: GL, 31/ 04/ 15.02.1921/ 32.<br />

489 Ebd.<br />

490 Luise Otto-Peters †. In: GL, 05/ 07/ 03.04.1895/ 56.<br />

491 Ebd.<br />

492 Ebd.<br />

493 Ebd.<br />

494 Ebd.<br />

495 Ebd.<br />

496 Ebd.<br />

381


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Im Gegensatz zu dem Zetkin‘schen Nachruf befasste sich Anna Blos‘ Artikel „Aus den Anfängen<br />

der Frauenbewegung“ auch mit dem Privatleben Otto-Peters‘. Außerdem ging Blos in der poli-<br />

tischen Einordnung Otto-Peters‘ wesentlich weiter als Zetkin. Sie war der Meinung, dass Otto-<br />

Peters die Gleichberechtigung der deutschen Frauen „im sozialistischen Sinne“ 497 gefordert habe,<br />

weil ihr die damit verb<strong>und</strong>ene Gleichverpflichtung selbstverständlich war. Otto-Peters sei<br />

„es zu danken, daß der soziale Gedanke an der Wiege der Frauenbewegung stand,<br />

<strong>und</strong> wenn die Frauenbewegung auch später in ein anderes Fahrwasser geriet <strong>und</strong><br />

geraten mußte, so waren doch die Ziele, die sie in den ersten Jahren ihrer Lebensäußerung<br />

verfolgte, vom sozialistischen Geiste erfüllt“ 498 .<br />

Zetkin schien dieser Einschätzung Blos‘ nicht widersprochen zu haben. Tatsächlich waren zu<br />

Anfang der organisierten Frauenbewegung viele Positionen noch nicht definiert. Neben dem Arti-<br />

kel von Blos ist es vor allem ein aus der Feder Mathilde Wurms stammender Beitrag, der die<br />

Gr<strong>und</strong>lage der folgenden biographischen Skizze Otto-Peters‘ darstellt.<br />

Louise Otto-Peters entstammte einer wohlhabenden bürgerlichen Familie, die im sächsischen<br />

Meißen lebte. Ihr Vater Fürchtegott Wilhelm Otto – Sohn eines Arztes <strong>und</strong> selbst Gerichtsdirektor<br />

– <strong>und</strong> ihre Mutter Charlotte – Tochter eines armen Porzellanmalers – führten eine liebevolle <strong>und</strong><br />

glückliche Ehe. Otto-Peters war die jüngste von vier Töchtern, ein „zartes <strong>und</strong> schwächliches<br />

Kind“ 499 . Auch dank eines guten <strong>und</strong> festen Einkommens des Vaters verlief ihre Jugend „voll un-<br />

getrübten Glücks“ 500 . Der Vater, den sie oft auf seinen Dienstreisen begleitete, sei für seine Zeit<br />

ein „‘moderner’ Mann“ 501 gewesen. Es war ihm eine Selbstverständlichkeit, dass sich seine Ehe-<br />

frau <strong>und</strong> seine Töchter durch Zeitungslektüre politisch bildeten, weil „auch die Frauen wissen<br />

müßten, was in der Welt vorging“ 502 . Die Mutter habe Otto-Peters die Liebe für die Poesie<br />

vermittelt <strong>und</strong> überhaupt genossen die Töchter eine Bildung, wie sie damals selbst in bürgerlichen<br />

Familien nicht üblich war. 503<br />

Die Julirevolution in Frankreich 1830 ließ auch in Sachsen auf ein liberaleres Regierungssystem<br />

hoffen. Auch die elfjährige Louise, die noch bevor sie lesen gelernt hatte, einmal gehörte Dramen<br />

<strong>und</strong> Gedichte aus dem Gedächtnis zu rezitieren vermochte, wurde mitgerissen <strong>und</strong> verfasste nun<br />

ihre ersten politischen Gedichte. In diese Zeit fiel zudem die Aufhebung der Geschlechts-<br />

vorm<strong>und</strong>schaft in Sachsen. Der Vater Otto-Peters‘ begrüßte die Aufhebung sehr <strong>und</strong> erklärte<br />

497 Blos, Anna: Aus den Anfängen der Frauenbewegung. In: GL, 17/ 23/ 11.11.1907/ 197.<br />

498 Ebd.<br />

499 Wurm, Mathilde: Luise Otto-Peters. In: GL, 23/ 12/ 05.03.1913/ 179.<br />

500 Ebd.<br />

501 Ebd.<br />

502 Ebd.<br />

503 Vgl. Blos, Anna: Aus den Anfängen der Frauenbewegung. In: GL, 17/ 23/ 11.11.1907/ 197.<br />

382


4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN<br />

seinen Töchtern deren enorme Tragweite in Bezug auf die Emanzipation der Frau – eine<br />

wesentliche Anregung für Otto-Peters, sich zunehmend für die Gleichberechtigung der Frau zu<br />

interessieren <strong>und</strong> einzusetzen.<br />

Das Familienglück wendete sich dramatisch, als 1835 erst eine Schwester <strong>und</strong> auch die Mutter an<br />

Schwindsucht starben. Nur vier Monate später starb auch der Vater. Diese harten Schicksals-<br />

schläge steigerten die „Weltabgewandtheit“ 504 , das Insichgekehrtsein <strong>und</strong> die Schwärmerei der 17-<br />

jährigen Otto-Peters. Mit einer Tante zogen die drei Schwestern für einen Sommer in das<br />

Familienlandhaus in Spaar, wo sich Otto-Peters vor allem der Naturbetrachtung <strong>und</strong> dem Verfas-<br />

sen von Gedichten widmete, welche 1847 als „Lieder eines deutschen Mädchens“ veröffentlicht<br />

werden sollten. Hier in Spaar „erwachte aber auch […] die denkende <strong>und</strong> kämp -<br />

fende Frau“ 505 in ihr. Sie wurde zur „überzeugten Demokratin“ 506 <strong>und</strong> Gegnerin von<br />

„Pfaffen- <strong>und</strong> Muckertum“ 507 . Ihr politisches Interesse <strong>und</strong> ihr dichterisches Talent waren für ein<br />

so junges Mädchen sehr ungewöhnlich. Ihre Verwandtschaft zeigte keinerlei Verständnis für ihr<br />

Verhalten. Besonders ihr Schwager – beide Schwestern hatten in der Zwischenzeit geheiratet –,<br />

ein Textilfabrikant aus Öderan im Erzgebirge, sah sich von ihr angegriffen. Tatsächlich war es<br />

Otto-Peters‘ erster Besuch in Öderan 1840 gewesen, der ihr die Augen für das Elend der<br />

Arbeiterfamilien öffnete. Ohne besondere Vorkenntnisse von politischer Theorie, von Kommu-<br />

nismus oder Sozialismus – ähnlich einer von jeder Bildung ausgeschlossenen Arbeiterin – stellte<br />

auch sie sich die alles entscheidende Frage, warum die einen in Wohlstand leben, während die<br />

anderen Not leiden. Allerdings sei, so Wurm, „[d]ie richtige Antwort, die der Sozialismus gibt,<br />

[…] nie bis zu ihrer Seele gedrungen“ 508 [Hervorhebung von M.S.].<br />

Eben noch eine schwärmerische Dichterin, sei in Öderan aus Otto-Peters „eine scharfblickende<br />

Kämpferin gegen die Leiden der Arbeiter geworden“ 509 .<br />

1841 verlobte sie sich mit dem Literaten Gustav Müller, der jedoch an Lungenschwindsucht er-<br />

krankte <strong>und</strong> in ihren Armen starb. 510 Sie stürzte sich in Arbeit <strong>und</strong> Studium <strong>und</strong> erlangte durch<br />

einen Verwandten die Gelegenheit, ihren ersten Roman „Ludwig der Kellner“ zu veröffentlichen.<br />

Dies war ein sozialer Roman <strong>und</strong> wenn Anfang des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts „schon längst vergessen“ 511 ,<br />

504 Wurm, Mathilde: Luise Otto-Peters. In: GL, 23/ 12/ 05.03.1913/ 179.<br />

505 Ebd., S. 180.<br />

506 Ebd.<br />

507 Ebd. Otto-Peters sei zwar gläubig, aber nicht „kirchengläubig“ (ebd.) geblieben.<br />

508 Wurm, Mathilde: Luise Otto-Peters (Fortsetzung.). In: GL, 23/ 13/ 19.03.1913/ 195.<br />

509 Ebd.<br />

510 Vgl. Blos, Anna: Aus den Anfängen der Frauenbewegung. In: GL, 17/ 23/ 11.11.1907/ 198.<br />

511 Wurm, Mathilde: Luise Otto-Peters (Fortsetzung.). In: GL, 23/ 13/ 19.03.1913/ 195.<br />

383


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

so war er damals jedoch „eine Tat“ <strong>und</strong> brachte seiner Verfasserin viel Lob <strong>und</strong> viel Tadel ein. Sie<br />

wurde Mitarbeiterin in Robert Blums „Vaterlandsblättern“, in denen sie unter dem Pseudonym<br />

„Otto Stern“ politische Artikel veröffentlichte <strong>und</strong> durch die sie in fre<strong>und</strong>schaftlichen Kontakt zu<br />

vielen demokratischen Kämpfern kam. 1843 veröffentlichte sie – unter ihrem richtigen Namen –<br />

ein Gedicht, das angesichts der demokratischen Aufbruchsstimmung der 1840er Jahre besonders<br />

gut aufgenommen wurde. Einer ihrer Romane war auch finanziell so erfolgreich, dass sie eine<br />

Deutschlandreise finanzieren konnte. Ergebnis dieser sehr aufschlussreichen Reise, die sie u. a.<br />

durch Thüringen <strong>und</strong> Sachsen führte <strong>und</strong> ein deutliches Zeichen ihrer Emanzipation war, wurde<br />

der Band „Frauenleben im Deutschen Reiche“ – ein Sitten- <strong>und</strong> Alltagsgemälde. 1847 vollendete<br />

Otto-Peters den Roman „Schloß <strong>und</strong> Fabrik“ – erneut ein sozialer Roman, in dem sie die<br />

Eindrücke von Öderan verarbeitet hatte – durfte ihn aber nicht im Original veröffentlichen. Es<br />

bedurfte ihres ganzen Engagements, um von den Behörden die Genehmigung für eine geänderte –<br />

d. h. zensierte – Fassung zu bekommen.<br />

Auch wenn Otto-Peters bereits in ihren Romanen Stellung für die ArbeiterInnen bezogen hatte, so<br />

war es doch vor allem ihre im Revolutionsjahr 1848 verfasste „Adresse eines deutschen<br />

Mädchens“, die für ihre Gesinnung sprach. Sie wandte sich darin an die neu gegründete<br />

Arbeiterkommission mit der Forderung, auch Arbeiterinnen aufzunehmen. Immer mehr Arbeiter<br />

<strong>und</strong> Arbeiterinnen – besonders aus Dresden – wandten sich daraufhin an Otto-Peters, wenn z. B.<br />

Versammlungen organisiert oder Petitionen abgefasst werden mussten. Otto-Peters „war die<br />

einzige Frau, die öffentlich in der politischen Bewegung stand <strong>und</strong> für das Recht der<br />

Arbeiter <strong>und</strong> Arbeiterinnen eintrat“ 512 . Ihr organisatorisches <strong>und</strong> rednerisches Talent<br />

bewies sie während des demokratischen Aufbruchs u. a. bei der Durchführung der Wahlen,<br />

bei der Gründung neuer Zeitschriften <strong>und</strong> der ersten Frauenvereine.<br />

Lange schon plante Otto-Peters die Herausgabe einer Frauenzeitschrift. Nachdem sie endlich<br />

einen Verleger für dieses Experiment gef<strong>und</strong>en hatte, wurde sie Herausgeberin der ersten<br />

politischen Frauenzeitschrift „Die Frauenzeitung“. Die vielen Schikanen der Behörden, Verhöre,<br />

Haussuchungen <strong>und</strong> auch Ausweisungen, die Otto-Peters zu erdulden hatte, belegen, dass diese<br />

Zeitschrift alles andere als belächelt wurde.<br />

Ihr privates Glück fand Otto-Peters in der Beziehung zu dem Lehrer <strong>und</strong> Schriftsteller August<br />

Peters (Schriftstellerpseudonym Elfried von Taura), den sie bereits bei ihrem Aufenthalt in Öderan<br />

kennengelernt hatte. Lange hatte dann nur ein schriftlicher Kontakt <strong>und</strong> das gegenseitige Interesse<br />

für die jeweiligen Veröffentlichungen des anderen bestanden. Bei den Aufständen in Süddeutsch-<br />

land wurde Peters 1848 als Major der badischen Revolutionsarmee gefangen genommen <strong>und</strong> in<br />

512 Ebd.<br />

384


4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN<br />

die Rastatter Festung gebracht, wo Otto-Peters ihn besuchte. Seitdem betrachteten sie sich als<br />

verlobt. Glücklicherweise wurde Peters nicht wie befürchtet zum Tode verurteilt. Bis er 1856<br />

endlich entlassen wurde, gab Otto-Peters ihrer Sehnsucht nach dem Verlobten in ihren „Liedern an<br />

einen Gefangenen“ Ausdruck. 1858 heiratete das Paar. Peters gründete erst in Meißen das Ge-<br />

werbeblatt „Glück auf“ (?-?), dann in Leipzig die „Mitteldeutsche Volkszeitung“ (?-?). 513<br />

Schließlich erlag er 1864 den körperlichen Leiden, die ihm die lange Haftzeit zugefügt hatte.<br />

Otto-Peters, die ihren Ehemann bis zum Tode liebevoll gepflegt hatte, hatte sich in der Zeit der<br />

Verfolgung innerlich resignierend dem historischen Roman zugewandt. 514 Erst „[d]er Einfluß<br />

verschiedener Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>innen bewirkte, daß sich Luise Otto-Peters der bürgerlichen<br />

Frauenbewegung anschloß, für die in Leipzig damals der Boden vorbereitet worden war“ 515 .<br />

Wurm hielt es demnach nicht für abwegig, dass sich Otto-Peters durchaus auch für die Arbeit in<br />

der proletarischen Frauenbewegung hätte entscheiden können. Zumindest teilten sie den Gr<strong>und</strong>-<br />

satz, dass „in der Frauenbewegung von heute nicht de[r] Kampf gegen den Mann“ 516 zu sehen sei.<br />

Wurm beschrieb in ihrem Artikel im Gegensatz zu Blos nun auch die Arbeit Otto-Peters als<br />

Begründerin der deutschen Frauenbewegung <strong>und</strong> betrachtete kritisch ihr Verhältnis zu Arbeiter-<br />

bewegung. Trotz ihrer früheren Nähe zu den Arbeitern habe sie kein Verständnis für deren<br />

geschichtliche Klassenlage gehabt. Gebrauchte sie in ihren Schriften den Begriff des Sozialismus<br />

– z. B. in „Das Recht der Frauen auf Erwerb“ (1866) – so sei es in ihrem Wortsinn<br />

„nichts gewesen als ein verschwommener Nachklang des bürgerlichen schöngeistigen<br />

Gefühlssozialismus aus den vierziger Jahren, der mit dem Endziel der<br />

kämpfenden Arbeiterklasse nichts gemein hatte“ 517 .<br />

Den Schritt von einer demokratischen Gesinnung weiter zur Sozialdemokratie ging Otto-Peters<br />

nicht. Wurm warf ihr vor, nicht mit einem einzigen Wort dagegen protestiert zu haben, dass der<br />

1894 gegründete BDF Arbeiterinnenvereine von der Mitgliedschaft ausschloss. Sie schrieb dieses<br />

Verhalten jedoch nicht einer „Wankelmütigkeit der Überzeugung“ 518 zu, sondern der immer größer<br />

werdenden Kluft der Klassen <strong>und</strong> so habe „[a]uch eine Frau von der Vergangenheit <strong>und</strong> der demo-<br />

kratischen Gesinnung Luise Otto-Peters […] sich dem Einfluß ihrer Klassenlage nicht entziehen“<br />

519 können. <strong>Von</strong> einer Greisin habe man nicht mehr erwarten können, dass sie diesen durch ein<br />

wissenschaftliches Studium überwinde. Otto-Peters „hatte in ihrer Weise der Allgemeinheit das<br />

513 Zu diesen Zeitschriften <strong>und</strong> ihren Verlauf konnten in der ZDB keine eindeutigen Hinweise gef<strong>und</strong>en werden.<br />

514 Vgl. Blos, Anna: Aus den Anfängen der Frauenbewegung. (Schluß.). In: GL, 17/ 24/ 25.11.1907/ 208.<br />

515 Ebd.<br />

516 Ebd.<br />

517 Wurm, Mathilde: Luise Otto-Peters (Schluß.). In: GL, 23/ 14/ 02.04.1913/ 213.<br />

518 Ebd.<br />

519 Ebd.<br />

385


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Beste von dem gegeben, was sie zu geben vermochte“ 520 <strong>und</strong> so würdigte die „Gleichheit“ sie als<br />

„eine der tapfersten Vorkämpferinnen für die Rechte des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts“ 521 .<br />

Dieses tat die „Gleichheit“ ein weiteres Mal anlässlich Otto-Peters‘ 100. Geburtstag. In ihrer<br />

Würdigung schrieb Blos, dass für die Sozialistinnen sowohl Otto-Peters‘ Leben <strong>und</strong> Wirken für<br />

die Gleichberechtigung der Frau als auch ihre „Adresse eines deutschen Mädchens“ „besonders<br />

bedeutungsvoll“ 522 sei. Schließlich rühmte Otto-Peters darin die richtige Wahrnehmung der Ar-<br />

beiter, die die „Männer des Staates, der Wissenschaft usw. beschämt hätten, weil diese nie daran<br />

gedacht hätten, in der Frau etwas anderes zu sehen als eine Sklavin, eine Puppe, niemals aber ein<br />

gleichberechtigtes Wesen“ 523 .<br />

Ein besonderes Augenmerk richtete Blos auf die Liebesbeziehung mit Peters:<br />

„Der Sohn des Volkes <strong>und</strong> die Beamtentochter fanden sich in der Liebe zur Freiheit<br />

des Volkes, <strong>und</strong> diese Liebe führte zu einem Bündnis ihrer Herzen.“ 524<br />

Ihre gemeinsame politische Weltanschauung war ein wichtiges F<strong>und</strong>ament ihrer Beziehung. Und<br />

so ist auch Blos‘ Aussage, dass nach dem Tod des Ehemannes Otto-Peters‘ „Weg mehr <strong>und</strong> mehr<br />

zur bürgerlichen Frauenbewegung“ 525 geführt habe vieldeutig. Sprach dies <strong>und</strong> auch der Einfluss<br />

ihrer Fre<strong>und</strong>e für eine wenig „vollmenschliche“ Persönlichkeit?<br />

Blos sah das wahre Problem darin liegen, dass es zu jener Zeit keine „eigentlich sozialistische<br />

Frauenbewegung“ gegeben habe, der sich Otto-Peters hätte anschließen können. Sie ist aber<br />

davon überzeugt, Otto-Peters habe „in ihren letzten Lebensjahren […] wohl erkannt, daß der Sozi-<br />

alismus allein ihr die Möglichkeit zur Erfüllung ihrer Forderungen gegeben hätte“ 526 , so wie sie<br />

„als erste deutsche Frau erkannt[…][habe], daß die Arbeiterschaft als erste <strong>und</strong><br />

einzige Partei den heute verwirklichten Beschluß faßt, den Frauen die Fesseln abzunehmen,<br />

ihnen die Gleichberechtigung einzuräumen“ 527 .<br />

Das Beispiel Otto-Peters‘ steht demnach für einen „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“, der gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

herausragende geistige Fähigkeiten <strong>und</strong> Charaktereigenschaften besaß, diese aber in letzter Kon-<br />

sequenz für eine falsche Sache einsetzte.<br />

520 Ebd.<br />

521 Ebd.<br />

522 Blos, Anna: Zum h<strong>und</strong>ertsten Geburtstag von Luise Otto-Peters. In: GL, 29/ 13/ 28.03.1919/ 101.<br />

523 Ebd.<br />

524 Ebd.<br />

525 Ebd., S. 102.<br />

526 Ebd., S. 101.<br />

527 Ebd.<br />

386


4.1.5 Frauen „von sozialistischer Gesinnung“<br />

4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“<br />

Die biographische Skizze der Romanschriftstellerin George Sand (1804-1876) rückt erneut<br />

Frankreich in den Mittelpunkt der Betrachtungen. Für den Schriftsteller Hermann Thurow<br />

(?-?) 528 , der diesen Artikel anlässlich des 100. Geburtstages der Französin verfasste, war Sand<br />

„[u]nter den Frauen, die im letzten Jahrh<strong>und</strong>ert zugleich für die Befreiung ihres<br />

Geschlechts <strong>und</strong> die der Proletarierklasse auf dem Boden des Sozialismus<br />

kämpften […] eine der tapfersten <strong>und</strong> die genialste“ 529 .<br />

Sie habe auf besondere Weise die französische Dichtung beeinflusst. Ähnlich wie Honoré de<br />

Balzac habe sie in ihre Werke stets soziale <strong>und</strong> moderne Inhalte einbezogen. Sands Werk zeichne<br />

sich vor allem dadurch aus, dass sie zwar wie Balzac von dem ausgehe, was ist,<br />

„aber die Gegenwart immer im Sinne der Zukunft deute[…] <strong>und</strong> nie versäum[e],<br />

die Gesellschaft, in der sie lebt, in Gegensatz zu setzen mit einer anderen, die sie<br />

ersehnt, <strong>und</strong> für die sie kämpft“ 530 .<br />

Sei demnach Balzac der Bahnbrecher des Naturalismus, so gelte Sand als herausragende<br />

Vertreterin des idealistischen Romans.<br />

George Sand wurde als Aurore Dupin in Paris geboren. <strong>Von</strong> 1817 bis 1820 lebte sie in einem<br />

Kloster, dessen Erziehung sie, so Thurow, „dem religiösen Wahnsinn“ 531 nahegebracht habe. Unter<br />

dem Einfluss eines Erziehers beschäftigte sie sich jedoch mit den Lehren Voltaires, welche ihrer<br />

Entwicklung eine andere Richtung gaben – wenn auch „[e]ine leise religiöse Schwärmerei“ 532<br />

geblieben sei. 1822 lernte Sand Baron Casimir Dudevant kennen – von Thurow verächtlich als<br />

„Landjunker“ 533 bezeichnet – <strong>und</strong> heiratete ihn noch im gleichen Jahr. Ihre Ehe wurde jedoch die<br />

„denkbar unglücklichste“ 534 , denn Dudevant war ein Despot <strong>und</strong> Ehebrecher. Sand – mittlerweile<br />

Mutter zweier Kinder – wurde von ihm misshandelt, weshalb sie nach Paris floh. Hier begann sie<br />

zu schreiben <strong>und</strong> veröffentlichte Artikel in der Zeitung „Le Figaro“ (seit 1826) <strong>und</strong> in oppositio-<br />

528 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine eindeutigen biographischen Informationen<br />

zu Hermann Thurow. Ein Schriftsteller gleichen Namens stammte gebürtig aus Rumohr in Schleswig-<br />

Holstein <strong>und</strong> wirkte später in der schweizerischen Genossenschaftsbewegung. Er verfasste u. a.: „Die praktischen<br />

Erfolge der Achtst<strong>und</strong>en-Agitation“ (1898), „Kinder-Idyllen“ (1908), „Jochen Bünz. Ein Jugendroman“ (1918),<br />

„Flug in die Welt“ (Gedichte 1928). Aus seiner Feder stammt außerdem das sozialistische Theaterstück „Dämon<br />

Alkohol“ (Dialog in einem Aufzug nach Maurice Bouchors „Die Muse <strong>und</strong> der Arbeiter“, 1902) <strong>und</strong> die Einleitung<br />

zur 1925 erschienenen deutschen Übersetzung von Charles Fouriers „Der sozietäre Reformplan“. Für die<br />

„Gleichheit“ verfasste er u. a.: Die Proletarierfrau in der neueren französischen Lyrik. In: GL, 08/ 23/ 09.11.1898/<br />

180-183; GL, 08/ 24/ 23.11.1898/ 188-190.<br />

529 Thurow, H[ermann]: George Sand. In: GL, 14/ 15/ 13.07.1904/ 116.<br />

530 Ebd.<br />

531 Ebd.<br />

532 Ebd.<br />

533 Ebd.<br />

534 Ebd.<br />

387


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

nellen Blättern. Es entstand eine Fre<strong>und</strong>schaft zu dem Schriftsteller Jules Sandeau, dessen Name<br />

sie zu ihrem eigenen Pseudonym inspirierte. 1832 veröffentlichte Sand ihren ersten Roman<br />

„Indiana“, dem schon bald darauf der zweite, „Valentine“ (1832), folgte. Hauptthema dieser auto-<br />

biographischen Romane sind Probleme der Geschlechterbeziehungen, die Sand, so Thurow, „[i]n<br />

einfacher, edler Sprache, ohne weichliche Sentimentalität, aber auch ohne Prüderie erörter[e]“ 535 .<br />

Sands eigenes Liebesleben gestaltete sich sehr unkonventionell. Bereits vor ihrer Scheidung, in<br />

die ihr Ehemann erst 1838 einwilligte, hatte sie mehrere Beziehungen gehabt – wurde jedoch<br />

immer enttäuscht. Durch die Lektüre frühsozialistischer Schriften gelangte Sand zu der<br />

Erkenntnis, dass nicht in vermeintlich naturgegebenen unterschiedlichen Wesensarten der<br />

Geschlechter die Ursache ihrer Konflikte zu suchen seien, sondern in der Institution der Ehe.<br />

Diese Erkenntnis habe Sand laut Thurow dazu geführt, „ihren Kampf gegen die Männerwelt“ 536<br />

<strong>und</strong> deren vermeintliche Vorrechte wie „Treulosigkeit <strong>und</strong> Tyrannei“ 537<br />

„auf die Gesellschaft zu übertragen, die Ehe <strong>und</strong> alle sie stützenden Einrichtungen<br />

<strong>und</strong> Faktoren zu bekämpfen, Sozialistin zu werden“ 538 .<br />

Ein recht ungewöhnlicher Weg zum Sozialismus, der interessanterweise seinen Ausgangspunkt in<br />

einem feministischen Bewusstsein hatte.<br />

Sands Roman „Jacques“ (1834) weist eine erste Einwirkung ihrer sozialistischen Überzeugung<br />

auf <strong>und</strong> zugleich legte Sand ihrer männlichen Titelfigur ihre Kritik an der Ehe in den M<strong>und</strong>.<br />

Jacques erklärt seiner Geliebten, warum er den gesellschaftlich von ihr erwarteten Treueschwur<br />

ablehnt:<br />

„‘Die Gesellschaft […] wird Ihnen eine Schwurformel diktieren. Sie werden<br />

schwören, mir treu <strong>und</strong> gehorsam zu sein, das heißt, niemals jemanden anders zu<br />

lieben als mich <strong>und</strong> mir in allem zu gehorchen. Der eine dieser Schwüre ist eine<br />

Dummheit, der andere eine Erniedrigung. Sie können sich für Ihr Herz nicht<br />

verbürgen, selbst wenn ich der größte <strong>und</strong> vollkommenste aller Männer wäre. Sie<br />

dürfen nicht versprechen, mir zu gehorchen, weil das uns beide erniedrigen<br />

hieße.’“ 539<br />

Es ist ein Plädoyer für die freie Liebe, für den freien Willen <strong>und</strong> die freie Entscheidung einer<br />

Trennung, wenn die Liebe erloschen ist. Dieser in ihren Romanen zu Tage tretende Idealismus<br />

Sands stehe laut Thurow jedoch nicht im Widerspruch zu ihrer Erkenntnis, dass die Fragen um<br />

Ehe <strong>und</strong> „freie Liebe“ 540 ihrer Lösung erst dann näher kommen werden, wenn sich eine höhere<br />

535 Ebd.<br />

536 Ebd., S. 117.<br />

537 Ebd.<br />

538 Ebd.<br />

539 George Sand zit. nach: Thurow, H[ermann]: George Sand. In: GL, 14/ 16/ 27.07.1904/ 125.<br />

540 Zum Begriff der „freien Liebe“ siehe: Schenk, Freie Liebe – wilde Ehe.<br />

388


4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“<br />

„moralische <strong>und</strong> geistige Entwicklung der Gesellschaft“ 541 vollzogen habe. Einen Beitrag zur<br />

Geschichte der geheimen Arbeiterverbindungen <strong>und</strong> zum Einfluss der Utopisten stellt ihr Roman<br />

„Le Compagnon du Tour de France“ (1840) dar. 542 Thurow war jedoch der Meinung, dass „am<br />

reinsten <strong>und</strong> schlackenfreiesten“ 543 der Roman „Horace“ (1841) Sands sozialistische Überzeugung<br />

widerspiegele.<br />

Mit der Niederlage der Pariser Kommune 1871 sei allerdings Sands Glauben an die proletarische<br />

Mission sehr erschüttert worden <strong>und</strong> sie habe Abstand zu den radikalen politischen Strömungen<br />

genommen. Eine konkrete Reaktion Sands auf das Scheitern der Pariser Kommune führte Thurow<br />

nicht an. Jedoch scheint es, dass ihr Rückzug aus dem politischen Leben davon begleitet wurde,<br />

dass sich Sand laut Thurow nun bevorzugt geschichtlichen Stoffen widmete.<br />

Thurow schloss seine Ausführungen mit der Einschätzung, dass „keine der anderen großen Frauen<br />

des Jahrh<strong>und</strong>erts eine gleich optimistische, kampfbegeisterte Verfechterin neuer Ideale<br />

gewesen“ 544 sei. Sands Ideale, so Thurow, waren die Ideale der „kämpfenden Frauen <strong>und</strong> Männer<br />

des Proletariats“ 545 <strong>und</strong> demnach auch die Ideale der Leserinnen <strong>und</strong> Leser der „Gleichheit“.<br />

Thurows biographische Darstellung lässt es zu, Sand sowohl dem Leitbild eines „<strong>weiblichen</strong><br />

Vollmenschen“ als auch dem einer „Klassenkämpferin“ zuordnen – Letzteres allerdings dadurch<br />

eingeschränkt, dass die Form des Sozialismus, dem sie anhing eines wissenschaftlichen<br />

F<strong>und</strong>aments entbehrte.<br />

Wie Sand war auch Barbara Nikitin-Gendre (1842-1884) eine Persönlichkeit von internationalem<br />

Ruf. Zeugnis dafür war die Zusammensetzung der Trauergesellschaft, die 1884 in Paris am Grabe<br />

der an einer Lungenentzündung gestorbenen „Bürgerin der sozialistischen Zukunft“ 546 zusam-<br />

menkam.<br />

Nikitin-Gendre wurde 1842 im russischen Kronstadt geboren, entstammte aber einer fran-<br />

zösischen Emigrantenfamilie. Als ihre hervorragendsten Charaktereigenschaften <strong>und</strong> geistigen<br />

Fähigkeiten nannte Zetkin, die hier als Verfasserin des ungezeichneten Artikels 547 zu vermuten ist,<br />

541 Thurow, H[ermann]: George Sand. In: GL, 14/ 16/ 27.07.1904/ 125.<br />

542 Ebd. Thurow schrieb zu der Begeisterung für die Ideen der Utopisten <strong>und</strong> damit im übertragenen Sinne auch für<br />

utopische Romane: „Je weiter das Bild der Ideen hinausgeht über die dunkle Umgebung, desto mächtiger<br />

stimuliert es in schwärmerischen Seelen den Drang, mit dem Alten zu brechen.“ (ebd.).<br />

543 Ebd.<br />

544 Ebd., S. 126.<br />

545 Ebd.<br />

546 Barbara Nikitin-Gendre. In: GL, 02/ 12/ 15.06.1892/ 103.<br />

547 Zetkin nannte keinen konkreten Anlass für die Publikation des biographischen Artikels. Vermutlich wollte Zetkin<br />

den 50. Geburtstag Nikitin-Gendres ehren.<br />

389


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

„ein schnelles Erfassen <strong>und</strong> leidenschaftliches Festhalten von Ideen, schwärmerische<br />

Liebe für Ideale <strong>und</strong> einen nicht zu stillenden Wissensdurst“ 548 .<br />

Nachdem die Mutter früh verstorben war, willigte der Vater ein, dass Nikitin-Gendre ein Institut<br />

für höhere Töchter in Kiew besuchte. Wie manche andere Tochter aus Großbürgertum <strong>und</strong> Adel<br />

kam auch sie in den Genuss finanzieller Unterstützung durch die Zarenfamilie. Im Institut wurde<br />

sie in Sprachen, Literatur <strong>und</strong> Naturwissenschaften unterrichtet, doch besondere Begeisterung<br />

entwickelte sie für das Studium der Geschichte der Französischen Revolution. Deren Ideale von<br />

Freiheit, Gleichheit <strong>und</strong> Brüderlichkeit hätten Nikitin-Gendre, so Zetkin, in „eine überzeugte Re-<br />

publikanerin“ 549 verwandelt <strong>und</strong> aus dem Studium der Naturwissenschaften <strong>und</strong> der Philosophie<br />

habe ihr Bruch mit der Religion resultiert. Schließlich nahm Nikitin-Gendre entschieden den<br />

Standpunkt des wissenschaftlichen Materialismus ein. 550 Diese bemerkenswert radikale geistige<br />

Entwicklung entsprang nach Meinung Zetkins keinem Gefühlssozialismus, sondern echter<br />

wissenschaftlicher Erkenntnis – sie gibt damit ein Beispiel für den idealen Verlauf politischer bzw.<br />

sozialistischer Frauenbildung, wie ihn die proletarische Frauenbewegung anstrebte.<br />

„‘[D]en eigentlichen Fehler ihres Lebens beging’“ 551 Nikitin-Gendre nach Meinung Zetkins<br />

jedoch, indem sie einen Mann heiratete, der sie zwar sehr geliebt, der aber ihre Erkenntnisse <strong>und</strong><br />

ihre politische Überzeugung nicht geteilt habe. Zwar hinderte ihr Ehemann sie nicht daran, sich<br />

auch weiterhin durch Lektüre der Werke von Charles Darwin, dem Kulturhistoriker Henry<br />

Thomas Buckle oder John Stuart Mill weiterzubilden, jedoch waren Nikitin-Gendres Ansprüche<br />

an eine Ehe so hoch, dass eine – wenn auch fre<strong>und</strong>schaftliche – Trennung unumgänglich wurde.<br />

Nikitin-Gendre ging nach Italien. In den elf Jahren, die sie dort verlebte, beschäftigte sie sich mit<br />

verschiedenen wissenschaftlichen Studien. 1878 siedelte sie nach Paris über, wo sie laut Zetkin<br />

Mitarbeiterin verschiedener Zeitungen <strong>und</strong> Zeitschriften wurde. Während der revolutionären<br />

Vorgänge in ihrer russischen Heimat bemühte sie sich, in ihrer Umgebung Verständnis <strong>und</strong> Sym-<br />

pathie für deren „heroische[…] <strong>und</strong> opferfreudige[…] Träger“ 552 zu wecken. Auch für das weib-<br />

liche Recht auf Bildung habe sie „ihre Feder zum Schwert“ 553 werden lassen. Nikitin-Gendres<br />

Leben <strong>und</strong> Wirken, so Zetkin resümierend, sei<br />

548 Ebd., S. 104.<br />

549 Ebd.<br />

550 Vgl. ebd.<br />

551 Ebd.<br />

552 Ebd.<br />

553 Ebd.<br />

390<br />

„ein leuchtendes Beispiel dafür, was ein starker Geist <strong>und</strong> ein warmes Herz über<br />

einen gebrechlichen Körper vermögen“ 554 .


4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“<br />

Nikitin-Gendres Funktion als Leitfigur ist im Rahmen dieser Arbeit <strong>und</strong> anhand der Ausführungen<br />

Zetkins nicht eindeutig zu charakterisieren. Zwar hatte sie nicht wie andere Russinnen den<br />

revolutionären Weg gewählt <strong>und</strong> sich den Kämpfen in ihrer Heimat angeschlossen, doch verfügte<br />

sie über eine wissenschaftlich f<strong>und</strong>ierte sozialistische Einstellung. Sie war demnach keine<br />

„klassische“ Klassenkämpferin, aber ein sozialistisch gesinnter „weiblicher Vollmensch“, der all<br />

seine Fähigkeiten <strong>und</strong> Kenntnisse in den Dienst der Sache stellte.<br />

Lediglich in einer kurzen Notiz wird der Tod Eugénie Potonié-Pierres (1844-1898) 555 in der<br />

„Gleichheit“ bekannt gegeben. Laut deren Urteil war die Französin „eine der rührigsten“ 556<br />

Frauenrechtlerinnen ihres Landes <strong>und</strong> gehörte der „sozialistisch angehauchten Richtung der<br />

französischen Frauenrechtelei“ 557 an. Wenn auch nur vom Sozialismus „angehaucht“, unterschied<br />

sich Potonié-Pierre demnach doch zu deutschen bürgerlichen Frauenrechtlerinnen. Sie habe, so<br />

Zetkin weiter, zwar mit „größter Selbstlosigkeit, Aufopferung <strong>und</strong> nie rastender Energie für die<br />

soziale Gleichstellung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts gekämpft“ 558 , aber dabei eine „unklare <strong>und</strong><br />

verworrene Auffassung der Frauenfrage“ 559 vertreten. Die „Gleichheit“ ehrte die „Lauterkeit <strong>und</strong><br />

de[n] Idealismus ihres Charakters <strong>und</strong> Strebens“ 560 – Eigenschaften, die es rechtfertigen ihr als<br />

Beispiel eines „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ zu gedenken.<br />

Die Chronologie der biographischen Skizzen hat sich nun der Erscheinungszeit der „Gleichheit“<br />

<strong>und</strong> der Gründungsphase der deutschen proletarischen Frauenbewegung genähert. Auch in deren<br />

Organisationen sind Frauen zu finden, die weniger dem Leitbild der „Klassenkämpferin“ als dem<br />

des „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ zuzuordnen sind. Hierzu gehört ? Luther (?-1898), die sehr<br />

bescheidenen Verhältnissen entstammte. Ihr Alltag erlaubte ihr kaum irgendeine Ablenkung, aber<br />

sie habe, so der vermutlich von Zetkin verfasste Nachruf,<br />

„durch geschickte Eintheilung der Arbeiten, oft durch Ueberanstrengung […] die<br />

Muße erkaufen [können], zu lesen, zu lernen, für ihre Ideale zu wirken“ 561 .<br />

Luther war die Ehefrau, tüchtige Hausfrau <strong>und</strong> Mitarbeiterin eines, wie Zetkin es definierte, an<br />

554 Ebd.<br />

555 Potonié-Pierre gründete 1892 den „Verband der französischen Frauenvereine“ <strong>und</strong> war vermutlich verwandt oder<br />

verheiratet mit dem Pazifisten <strong>und</strong> Schriftsteller Edmond Potonié-Pierre.<br />

556 Frau Potonié-Pierre, eine der rührigsten französischen Frauenrechtlerinnen, ist kürzlich in Paris verstorben. In:<br />

GL, 08/ 17/ 17.08.1898/ 136.<br />

557 Ebd.<br />

558 Ebd.<br />

559 Ebd.<br />

560 Ebd.<br />

391


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

der „Schwelle des Proletariats“ 562 stehenden Dresdner Kleinindustriellen <strong>und</strong> außerdem Adoptiv-<br />

mutter eines Kindes. Sie teilte die politische Überzeugung ihres Ehemannes <strong>und</strong> wurde 1894<br />

Mitglied des Dresdner Arbeiterinnenbildungsvereins. Sie engagierte sich innerhalb der Arbeiter-<br />

bewegung vor allem in der mündlichen Agitation unter ihren Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Bekannten <strong>und</strong> in der<br />

Verbreitung von Flugblättern. „Aemter <strong>und</strong> größere Aufgaben in der Dresdener proletarischen<br />

Frauenbewegung“ 563 , so Zetkin, habe Luther „bescheiden mit der Begründung ab[gelehnt], daß sie<br />

noch lernen müsse, um mehr leisten zu können“ 564 . Wahrscheinlich sah sie sich wegen ihrer<br />

mangelnden Kenntnisse des wissenschaftlichen Sozialismus als nicht geeignet, eine leitende<br />

Position einzunehmen. Ihr Wirkungskreis blieb sehr überschaubar <strong>und</strong> sie hatte keinerlei Ambi-<br />

tionen, darüber hinauszugehen. Aufgr<strong>und</strong> des Eindruckes, den Zetkin von den Eigenschaften <strong>und</strong><br />

dem Engagement Luthers vermittelte, ist es fraglich, ob ihre Überzeugung über die einer Gefühls-<br />

sozialistin hinausging. Ihr erklärter Wille zu lernen, ihr Bildungsdrang, zeichnen sie zumindest als<br />

„<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ aus. Insgesamt sei sie eine Vorkämpferin sozialistischer Ideale ge-<br />

wesen, eine der Frauen,<br />

„deren Name[sic] zwar nicht in weitere Kreise dringt[sic], die aber ein leuchtendes<br />

Beispiel sind für Tausende <strong>und</strong> Tausende, die dem Werden der neuen, besseren Zeit<br />

stumpfsinnig <strong>und</strong> thatenlos gegenüberstehen“ 565 .<br />

Eine resümierende Aussage, die nochmals die Ausgangsthese dieser Arbeit bekräftigt: Dem Leben<br />

historischer Persönlichkeiten oder – wie in diesem Fall – verstorbener Genossinnen wurde inner-<br />

halb der proletarischen Frauenbewegung eine besondere Vorbildfunktion zugeschrieben.<br />

Die Informationen, die die „Gleichheit“ in ihrem Nachruf auf Barbara Alexandrowna<br />

Kaschewarowa-Rudnewa (1842-1899) gibt, lassen keine konkreten Aussagen zu deren politischer<br />

Gesinnung treffen. Doch verschiedene Eigenschaften machen sie zum „<strong>weiblichen</strong> Voll-<br />

menschen“. Sie war eine Pionierin des Frauenstudiums <strong>und</strong> die erste Frau, die zu einem medizi-<br />

nischen Studium an der medico-chirurgischen Akademie in Sankt Petersburg 566 zugelassen wurde.<br />

Ihr Weg dorthin begann in den 1860er Jahren mit einem selbstbewussten Auftritt beim damaligen<br />

Kriegsminister. Kaschewarowa-Rudnewa sprach bei ihm als eine Vertreterin der <strong>weiblichen</strong><br />

Bevölkerung des Uralgebietes vor <strong>und</strong> überbrachte ihm die Forderung dieser Frauen, auf keinen<br />

561 Eine treue Parteigenossin… In: GL, 09/ 02/ 18.01.1899/ 13.<br />

562 Ebd.<br />

563 Ebd., S. 14.<br />

564 Ebd.<br />

565 Ebd., S. 13.<br />

566 Die medico-chirurgische Akademie in Sankt Petersburg wurde 1798 gegründet.<br />

392


4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“<br />

Fall von männlichen Ärzten, sondern von einer medizinisch ausgebildeten Frau behandelt zu<br />

werden. 567 Daraufhin erhielt Kaschewarowa-Rudnewa ein Stipendium der uralischen Kosaken <strong>und</strong><br />

beendete 1868 ihr mutig erstrittenes Medizinstudium als erste russische Ärztin.<br />

So wie sie ihre Studienzulassung im Rahmen einer sozialpolitischen Forderung erkämpft hatte, so<br />

sei ihre Arbeit als Ärztin,<br />

„dadurch besonders bedeutsam, daß sie mit der ärztlichen Sachkenntniß <strong>und</strong><br />

Pflichttreue ernste sozialpolitische Kenntnisse <strong>und</strong> tiefes Verständniß für die<br />

Bedürfnisse der Volksmassen“ 568<br />

verknüpft habe. Es war ihr allgemein aufklärerisches Engagement für die untere Gesellschafts-<br />

schicht, welches sie als einen „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ auszeichnete.<br />

Um das Leben <strong>und</strong> Wirken Beatrice Webbs (1858-1943) zu würdigen, griff die „Gleichheit“ auf<br />

einen 1897 erschienenen Artikel der Wiener „Arbeiterinnen-Zeitung“ zurück. Nicht ersichtlich ist<br />

allerdings, ob Zetkin redaktionelle Änderungen daran vorgenommen hatte.<br />

Webb wurde als jüngstes Kind des englischen „Eisenbahnkönigs“ Richard Potter geboren. Potter<br />

ließ seinen Kindern eine sehr gute Erziehung angedeihen <strong>und</strong> bereits im Alter von zehn Jahren<br />

begleitete Webb ihren Vater auf seinen Reisen in die USA. Sie übernahm später für ihn die<br />

Aufgaben einer Sekretärin <strong>und</strong> genoss sein vollstes Vertrauen. Webb war 20 Jahre alt, als ihre<br />

hochgebildete <strong>und</strong> für moderne Ideen sehr zugängliche Mutter starb. Da ihre Schwestern bereits<br />

verheiratet waren, übernahm Webb die Haushaltsführung auf den väterlichen Besitzungen <strong>und</strong><br />

sammelte bei dieser Gelegenheit viele praktische Erfahrungen. Schließlich begann Webb ein<br />

Studium der Nationalökonomie <strong>und</strong> der Statistik bei dem Philosophen <strong>und</strong> Soziologen Herbert<br />

Spencer. Dieser habe seine „Lieblingsschülerin“ 569 wie einen männlichen Studenten behandelt <strong>und</strong><br />

besonders deren „Anlage zur kritischen Zergliederung <strong>und</strong> zur wissenschaftlichen Genauigkeit“ 570<br />

ausgebildet.<br />

Ein Onkel Webbs hatte aus Liebe zu einer Müllerin auf allen ererbten Besitz verzichtet <strong>und</strong> das<br />

Müllerhandwerk erlernt. Webb hatte zu diesem Teil ihrer Verwandtschaft keinerlei Kontakt, wollte<br />

sich aber ein Bild von dessen Lebensverhältnissen machen. Webb plante ihren ersten Feldversuch.<br />

Inkognito <strong>und</strong> in ärmlicher Kleidung habe sie Einlass in die Familie gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong>, so die „Gleich-<br />

heit“, festgestellt,<br />

„daß diese einfachen Menschen aus dem Volke der Wahrheit aller Dinge näher<br />

567 Tod der ersten russischen Aerztin. In: GL, 09/ 13/ 21.06.1899/ 104<br />

568 Vgl. ebd.<br />

569 Beatrice Webb. In: GL, 07/ 14/ 07.07.1897/ 108.<br />

570 Ebd.<br />

393


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

standen, als die künstliche Gesellschaft, der sie in den Londoner Salons begegnete“<br />

571 .<br />

Jener „künstlichen Gesellschaft“ stand Webb prinzipiell ablehnend gegenüber. Diese Ablehnung<br />

habe sich u. a. daran gezeigt, dass sie weiterhin für ihren Vater als dessen Krankenpflegerin, Ver-<br />

walterin <strong>und</strong> Sekretärin arbeitete.<br />

Webbs schriftstellerische Begabung offenbarte sich in einem unter Pseudonym verfassten offenen<br />

Brief zur Arbeitslosenfrage, den sie an die „Pall Mall Gazette“ (1865-1921) schickte. 1886 zog sie<br />

nach London, wo sie finanziell unabhängig, „gleich einem jungen Studenten“ 572 gelebt habe. Ihr<br />

besonderes Interesse galt dem Sammeln statistischer Daten in den Armenvierteln <strong>und</strong> Vororten<br />

Londons. Um dabei nicht aufzufallen, bediente sie sich stets unterschiedlicher Verkleidungen.<br />

Diese dürften umso notwendiger gewesen sein, da ihr natürliches Äußeres gemäß folgender Be-<br />

schreibung ein sehr beeindruckendes gewesen sein musste:<br />

„Aeußerlich verräth nichts die Engländerin in ihr, dunkle Augen, dunkle Haare <strong>und</strong><br />

ein wie von südlicher Sonne durchwärmter, goldigbrauner Teint, das ganze Gesicht<br />

feurig <strong>und</strong> lebendig wie das einer Südländerin, sehr rasche Bewegungen, lange,<br />

feine, nervöse Hände, die keinen Augenblick unbeweglich bleiben können, eine<br />

sehr biegsame Gestalt, dazu ein angenehmes, modulationsfähiges Organ, mit einem<br />

Worte eine entzückende Erscheinung.“ 573<br />

Webb kaschierte nicht nur ihr äußeres Erscheinungsbild, sondern stellte sich auch in ihrem<br />

Benehmen auf ihre „Untersuchungsobjekte“ ein. Oft habe sie sich nach Tisch bewusst eine<br />

Zigarette angezündet, „um ihren Gästen zu beweisen, daß der Tabakrauch sie nicht genire, worauf<br />

rasch eine Menge großer Pfeifen“ 574 hervorgeholt worden wären. Webb bewies damit im direkten<br />

Umgang mit den ArbeiterInnen ein großes Einfühlungsvermögen. Doch auch dieses „Einfühlen“<br />

war Webb noch nicht genug. Während ihrer monatelangen Recherchen im Arbeitermilieu wollte<br />

sie schließlich als Schneiderin den realen Alltag einer solchen <strong>und</strong> das damit verb<strong>und</strong>ene Elend<br />

erleben. Umherirrend, immer nach Arbeit suchend, irgendwann die vielen Zurückweisungen leid,<br />

habe sie schließlich „wirkliche Thränen über ihre gewollte Drangsal [ge]weint[…]“ 575 – ihre selbst<br />

gesetzte sechswöchige „Lehrzeit“ hielt sie jedoch durch.<br />

Webb sammelte statistisches Material u. a. auch für ihren Cousin Charles Booth, der dieses für<br />

sein Werk „Life and Labour of the People in London“ (1889) benötigte. Webb verfasste für dieses<br />

Buch zwei Kapitel zum Leben der jüdischen Bevölkerung <strong>und</strong> veröffentlichte in der Londoner<br />

571 Ebd.<br />

572 Ebd.<br />

573 Ebd.<br />

574 Ebd., S. 110.<br />

575 Beatrice Webb. (Schluß.). In: GL, 07/ 15/ 21.07.1897/ 116.<br />

394


4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“<br />

Revue „Nineteenth Century“ (1877-1950) eine Reihe von Artikeln, basierend auf ihren<br />

Erfahrungen als Schneiderin. Darin habe sie „für die Verkommensten <strong>und</strong> Verachtetsten das Recht<br />

auf Arbeit <strong>und</strong> ein menschenwürdiges Dasein“ 576 gefordert. Sie, die aus reichem Hause stammte,<br />

klärte als Journalistin die Welt über, so die „Gleichheit“,<br />

„die rührende Brüderlichkeit [auf], die zwischen den Enterbten so häufig zu finden<br />

ist, sie wies auf die von jedem Egoismus freien Hilfeleistungen hin, die der Arme<br />

dem Armen gewährt, auf den angeborenen Respekt des Arbeiters für Aufrichtigkeit<br />

<strong>und</strong> Ehrlichkeit“ 577 .<br />

Auf diese Weise bereits zu einem gewissen Bekanntheitsgrad gelangt, verheimlichte Webb für ihre<br />

Untersuchungen nun nicht mehr ihren wahren Namen. Es öffneten sich ihr plötzlich viele Türen,<br />

vor allem die der Fabrikbesitzer <strong>und</strong> Unternehmer. Ihr Interesse galt jedoch weiterhin den Arbei-<br />

terInnen, deren Vertrauen <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>schaft sie immer mehr gewann. 578 18 Monate arbeitete sie an<br />

dem Material für das Buch „The Cooperative movement in Great Britain“ („Genossenschafts-Be-<br />

wegung in England“), das 1891 erschien.<br />

Schließlich begegnete sie Sydney Webb, dessen „ideale Gefährtin“ 579 , „seine Ergänzung […]<br />

sowohl in seinen Werken als in seinen Gedanken“ 580 sie wurde. Ihre Verbindung stieß auf keinerlei<br />

Hindernisse, da Beatrice Webb frei in ihren Entscheidungen <strong>und</strong> finanziell unabhängig war.<br />

Solange sie jedoch gemeinsam an einer Geschichte der englischen Gewerkvereine arbeiteten,<br />

hielten sie ihre Verlobung trotzdem geheim. Oft sei für ihre Zusammenarbeit Webbs „Eigenschaft<br />

als Frau […] höchst zweckdienlich“ 581 gewesen, denn als Frau keiner Beachtung wert, habe „sie<br />

Vieles [erfahren], was man vor ihrem Bräutigam verheimlichte“ 582 – in diesem diskriminierenden<br />

Verhalten gegenüber einer Frau hätte es kaum Unterschiede zwischen Arbeitern <strong>und</strong> Unter-<br />

nehmern gegeben. 583<br />

Ihre eigenen Erfahrungen geschlechtsspezifischer Diskriminierung machte aus Webb zwar kein<br />

Mitglied der Frauenrechtsbewegung, aber sie bezog Stellung zu Fragen der Gleichberechtigung<br />

der Frau, Geschlechtsunterschieden <strong>und</strong> Erziehungsprinzipien:<br />

576 Ebd.<br />

577 Ebd., S. 117.<br />

578 Vgl. ebd.<br />

579 Ebd.<br />

580 Ebd.<br />

581 Ebd., S. 118.<br />

582 Ebd.<br />

583 Vgl. ebd.<br />

„‘Sicherlich bekämpfe ich jeden Versuch, aus der Frau einen Mann zu machen oder<br />

in ihr einen männlichen Charakter auszubilden. […] Ich glaube, die Frau ist von<br />

395


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Natur aus keuscher <strong>und</strong> besser als der Mann, weniger ausgesetzt, durch Beispiel<br />

<strong>und</strong> Vorstellung verführt zu werden. Kurz gesagt: ich würde jungen Knaben nicht<br />

erlauben, schlechte Bücher zu lesen, noch schlechte Sachen zu sehen. Aber ich<br />

würde jungen Mädchen <strong>und</strong> Frauen alle Bücher zugänglich machen <strong>und</strong> alles<br />

unverhüllt im Leben zeigen, sicher, daß sie nie von ihrer Kenntniß schlechten<br />

Gebrauch machen werden.’“ 584<br />

Obwohl selbst Opfer stereotyper Zuschreibungen, das „Wesen“ der Frau betreffend, vertrat Webb<br />

hier das Klischee der „keuschen Frau“. Zwar wandte sie es in scharfsinniger Art <strong>und</strong> Weise gegen<br />

diejenigen Meinungen, die den Frauen keine umfassende Bildung zugestehen möchten, doch es<br />

bleibt ein Klischee.<br />

Webb ist Beispiel einer bürgerlichen Frau aus wohlhabenden Verhältnissen, deren<br />

wissenschaftliches <strong>und</strong> politisches Interesse sie zwangsläufig Stellung für die Sache der Arbeiter<br />

beziehen ließ. Ihr politisches Engagement, wie es in diesem Artikel beschrieben wird, scheint sich<br />

jedoch auf die journalistische <strong>und</strong> wissenschaftliche Ebene beschränkt zu haben. Es geht aus dem<br />

Artikel nicht hervor, dass sie Mitglied der Labour Party oder einer anderen sozialistischen Partei<br />

wurde. Der Duktus des Artikels lässt sie weniger als Klassenkämpferin denn als „weiblicher<br />

Vollmensch“ erscheinen, der jedoch seine Fähigkeiten in den Dienst der sozialistischen Sache<br />

stellte.<br />

Sie war nicht nur eine Kämpferin der 1848er-Revolution, sondern auch bekennendes Mitglied der<br />

SPD: Elise Schweichel (1831-1912). Trotzdem soll sie hier nicht als Klassenkämpferin, sondern<br />

als ein Beispiel für einen „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ vorgestellt werden. Denn laut Kunert 585 , die<br />

sowohl einen Nachruf als auch einen weiteren Artikel zu Ehren Schweichels verfasste, hatte deren<br />

Name zwar „in der deutschen Arbeiterbewegung einen guten Klang“ 586 , doch ist Schweichel in der<br />

Öffentlichkeit nie als Funktionärin oder Agitatorin aufgetreten.<br />

Der „gute Klang“ ihres Namens erklärt sich vor allem daraus, dass Schweichel erheblichen Anteil<br />

„an dem geistigen Ringen <strong>und</strong> Schaffen ihres Mannes“ 587 – des 1848er Revolutionärs <strong>und</strong> Dichters<br />

Robert Schweichel – hatte. Die politische Situation nach der gescheiterten 1848er-Revolution<br />

zwang das Ehepaar ins schweizerische Exil. 1861 konnten beide dank einer Amnestie nach<br />

584 Beatrice Webb zit. nach: Ebd.<br />

585 Ich vermute Marie Kunert hinter den Initialen M.Kt. weil sie auch die Verfasserin eines namentlich gezeichneten<br />

Nachrufs auf Robert Schweichel war (vgl. Kunert, Marie: Robert Schweichel. In: GL, 17/ 10/ 13.05.1907/ 82-83).<br />

586 [Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel zum Gedächtnis. In: GL, 22/ 11/ 19.02.1912/ 167. Einen weiteren<br />

Nachruf auf Schweichel, dessen Duktus sie eher der Gruppe der Ehefrauen-Leitbilder zuordnen ließe, verfasste<br />

der Dichter <strong>und</strong> Schriftsteller Ernst Kreowski (1859-1920[?]) für die Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“<br />

(vgl. Kreowski, Ernst: Elise Schweichel. In: GL, 23 (1913)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 26/ 101-103).<br />

587 [Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel zum Gedächtnis. In: GL, 22/ 11/ 19.02.1912/ 167.<br />

396


4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“<br />

Deutschland zurückkehren. Die „absolut unabhängige, kraftvoll herbe Natur“ 588 Elise Schweichels<br />

habe sich, so Kunert, mit „dem milderen Wesen des Dichters <strong>und</strong> Träumers“ 589 in idealer Weise<br />

ergänzt. Schweichel sei stets bemüht gewesen, alles, was das dichterische Schaffen ihres Ehe-<br />

mannes hätte hemmen können, „aus dem Wege zu räumen“ 590 . Obwohl es sie schmerzte, dass den<br />

Werken ihres Ehemannes nur wenig Aufmerksamkeit <strong>und</strong> Ehrung widerfuhr – „während so<br />

manches Talmitalent mit Lorbeeren bekränzt wurde“ 591 – hätte Schweichel jedoch nie von ihm<br />

verlangt, sich nach dem „launenhaften wechselnden Geschmack der literarischen Mode“ 592 zu<br />

richten. Für ein solches Verhalten sei Schweichel – nach Meinung Kunerts selbst eine „feine <strong>und</strong><br />

stolze Natur“ 593 – „zu innig mit den politischen <strong>und</strong> künstlerischen Idealen ihres Mannes<br />

verwachsen“ 594 gewesen.<br />

Schweichel, die, so betonte es Kunert, ihrem Ehemann geistig ebenbürtig gewesen sei, besaß<br />

selbst schriftstellerisches Talent <strong>und</strong> hatte bereits unter ihrem Mädchennamen Elise Lange<br />

kleinere volkstümliche Erzählungen veröffentlicht. 595 In der „Neuen Zeit“ erschien ihr Roman<br />

„Dunkle Mächte“ (1892/93), <strong>und</strong> ihr von Kunert als Hauptwerk bezeichneter Roman „Vom<br />

Stamme gerissen“ (1886) erschien u. a. im „Vorwärts“. Sie habe dieses Werk, so Kunert „aus der<br />

ganzen Fülle ihrer eigenartigen Individualität“ 596 geschrieben <strong>und</strong> es zeuge von „einer ganz<br />

ungewöhnlichen Seelengröße der Verfasserin“ 597 . Dieses enthusiastische Urteil gründet auf der<br />

Tatsache, dass Schweichel in ihrem Werk nicht nur ihrem Ehemann als jungem „revolutionären<br />

Feuerkopf“ 598 , sondern auch dessen Jugendliebe, die früh verstarb, ein Denkmal setzte. Kunert<br />

beurteilte Schweichels Werke als die „von freiheitlicher Gesinnung durchglühte[n] Schöpfungen<br />

einer reifen Erzählungskunst“ 599 .<br />

Nachdem ihr Ehemann 1907 gestorben war, vereinsamte Schweichel zunehmend. Denn selbst<br />

kinderlos geblieben, bestand ihre Familie nun nur noch aus ihrer Schwester. Ausgerechnet beim<br />

Abstauben des Bildnisses ihres Mannes stürzte Schweichel 1911 so schwer, dass sie sich beide<br />

588 [Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel. In: GL, 21/ 25/ 11.09.1911/ 391.<br />

589 Ebd.<br />

590 Ebd.<br />

591<br />

[Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel zum Gedächtnis. In: GL, 22/ 11/ 19.02.1912/ 167.<br />

592<br />

[Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel. In: GL, 21/ 25/ 11.09.1911/ 391.<br />

593<br />

[Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel zum Gedächtnis. In: GL, 22/ 11/ 19.02.1912/ 167.<br />

594 Ebd.<br />

595 Ebd.<br />

596 [Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel. In: GL, 21/ 25/ 11.09.1911/ 391.<br />

597 Ebd.<br />

598 Ebd.<br />

599 [Kunert, Marie?] M. Kt.: Elise Schweichel zum Gedächtnis. In: GL, 22/ 11/ 19.02.1912/ 167.<br />

397


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Arme brach. Fast habe sie ihren Lebensmut aufgegeben, doch laut Kunert sei ihr feuriges<br />

Interesse an den politischen Ereignissen wieder aufgeflammt <strong>und</strong> habe ihr Leben noch bis zu<br />

seinem Ende erfüllt. 600 Ein Leben, das, so Kunert, „vorbildlich für viele Tausende Frauen“ 601 sei.<br />

Vor allem denjenigen,<br />

„denen es nicht gegeben ist, selbst im dichtesten Getümmel der politischen Kämpfe<br />

des befreiungssehnsüchtigen Proletariats zu stehen“ 602 .<br />

Denn obwohl Schweichel im politischen Kampf nicht in der ersten Reihe der Arbeiterklasse<br />

gestanden habe, „verdank[e] diese doch viel dem stillen selbstlosen Wirken der unbeugsamen<br />

Energie dieser Frau“ 603 . Die einzige in den beiden Nachrufen geäußerte Kritik war die, so Kunert,<br />

dass es Schweichel „[t]rotz ihrer großen Geistesgaben […] nicht gelungen [sei,] sich […] zu<br />

voller innerer Harmonie durchzuringen“ 604 . Diese Kritik bezog sich auf das Urteil Kunerts, dass<br />

Schweichel ein sehr verschlossener Charakter gewesen sei <strong>und</strong> man<br />

„das fein empfindende Herz dieser Frau sehr gut kennen [musste], um sich von<br />

ihrem zuweilen herben unzugänglichen Wesen nicht beirren zu lassen“ 605 .<br />

Schweichel war in ihrem Tun <strong>und</strong> ihrem Charakter Vorbild, aber die „Gleichheit“-Leserinnen<br />

erfuhren, dass auch Vorbilder menschliche Eigenheiten haben können.<br />

Eine Person, die Schweichel gut gekannt haben dürfte <strong>und</strong> wie sie einen hohen Bekanntheitsgrad<br />

unter den „Gleichheit“-Leserinnen hatte, war Minna Kautsky (1837-1912). Kautsky war nicht nur<br />

als Mutter des SPD-Parteitheoretikers Karl Kautsky 606 bekannt, sondern, wie Kunert in einem<br />

Artikel zum 70. Geburtstag Kautskys schrieb, auch als „[e]ine der markantesten Persönlichkeiten<br />

unter den Volksschriftstellerinnen der Gegenwart“ 607 .<br />

Minna Kautsky war bereits eine reife Frau, als sie, so Kunert, die ihr „anerzogenen bürgerlichen<br />

Vorurteile wie ein zerschlissenes Gewand abgestreift“ 608 habe <strong>und</strong> sich der Arbeiterbewegung<br />

zuwandte. Sie habe sich, so vermutlich Zetkin später in einem Nachruf auf Kautsky, „dem hohen<br />

600 Vgl. ebd.<br />

601 [Kunert, Marie?] M. Kt.: Elise Schweichel. In: GL, 21/ 25/ 11.09.1911/ 391.<br />

602 Ebd.<br />

603 Ebd.<br />

604 [Kunert, Marie?] M. Kt.: Elise Schweichel zum Gedächtnis. In: GL, 22/ 11/ 19.02.1912/ 167.<br />

605 Ebd.<br />

606 Interessanterweise wird in beiden Artikeln Kautskys berühmter Sohn nur insoweit erwähnt, als das<br />

gemeinschaftliche Studium mit ihm für die Selbstbildung der Mutter <strong>und</strong> ihren Weg zum Sozialismus Bedeutung<br />

hatte (vgl. Kunert, Marie: Minna Kautsky. In: GL, 17/ 12/ 10.06.1907/ 100-101; Minna Kautsky †. In: GL, 23/ 08/<br />

08.01.1913/ 121).<br />

607 Kunert, Marie: Minna Kautsky. In: GL, 17/ 12/ 10.06.1907/ 100.<br />

608 Ebd.<br />

398


4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“<br />

Ideal ganz hin[ge]geben“ 609 . Ursprünglich entstammte sie engen <strong>und</strong> kleinen Verhältnissen, war<br />

zwar das älteste <strong>und</strong> begabteste von sieben Kindern, verfügte aber nur über eine dürftige Schul-<br />

bildung. Über ihren Vater, der in Graz Theatermaler war, hatte Kautsky schon früh einen Bezug<br />

zur Schauspielkunst. Bevor sie jedoch ihr Talent durch öffentliche Auftritte richtig zur Geltung<br />

bringen konnte, heiratete sie in Prag den Landschaftsmaler Johann Kautsky.<br />

Ihr jugendliches Temperament half ihr, Schauspieltätigkeit <strong>und</strong> Mutterpflichten für drei Kinder<br />

miteinander zu vereinbaren. Als Schauspielerin, so Zetkin, habe Kautsky<br />

„nachschaffen [wollen], was höchste Kunst gestaltet hat, wollte sie ganz selbst<br />

werden <strong>und</strong> sich von der geistigen <strong>und</strong> sozialen Geb<strong>und</strong>enheit ihrer<br />

kleinbürgerlichen Umwelt befreien“ 610 .<br />

Doch gerade als sie sich einen guten Ruf als Künstlerin erarbeitet hatte, kam es zu einem<br />

körperlichen Zusammenbruch aufgr<strong>und</strong> eines Lungenleidens. Noch nicht 20-jährig hätte sie aus<br />

ges<strong>und</strong>heitlichen Gründen ihre Berufstätigkeit aufgeben müssen, doch die finanzielle Situation<br />

ließ dies nicht zu. Die Triumphe, die sie nun nicht mehr in der Rolle der jungen Liebhaberin,<br />

sondern als Tragödin feierte, habe sich Kautsky „mit fast 15-jährigem Siechtum“ 611 erkauft. Ihre<br />

körperlichen Leiden, erhöht durch die Geburt eines vierten Kindes, machten schließlich ihrer<br />

Karriere doch ein Ende. Einen Ersatz für ihre Tätigkeit auf der Bühne suchte sie laut Kunert in<br />

literarischen <strong>und</strong> wissenschaftlichen Studien. Möglich wurde ihr diese geistige Arbeit nur, weil ihr<br />

mittlerweile als Dekorationsmaler am Wiener Burgtheater engagierter Ehemann nun genug Lohn<br />

erhielt.<br />

Zusammen mit dem ältesten Sohn Karl las sie die sozialistischen Klassiker. Angeregt durch dieses<br />

gemeinsame Studium habe sie, so Zetkin, „das kämpfende Proletariat verstehen, achten, lieben“ 612<br />

gelernt. Zetkin bezeichnete es als einen „neue[n] Frühling der Schaffensfreudigkeit“ 613 , in<br />

welchem sich Kautsky zu einer Schriftstellerin von Romanen, Novellen <strong>und</strong> Skizzen entwickelte.<br />

Ihr künstlerisches Schaffen war beeinflusst von den Ideen des modernen Sozialismus. Vor allem<br />

das soziale Leben ihrer Zeit, „zumal de[r] geschichtlich wertvollste[…] Teil dieses Lebens: das<br />

Emporsteigen des Proletariats zur Freiheit“ 614 , so betonte Zetkin, spiegele sich in ihren Werken<br />

wider.<br />

Laut Kunert begegneten den LeserInnen in Werken wie „Herrschen oder dienen“ (1882), „Die<br />

609 Minna Kautsky †. In: GL, 23/ 08/ 08.01.1913/ 121.<br />

610 Ebd.<br />

611 Kunert, Marie: Minna Kautsky. In: GL, 17/ 12/ 10.06.1907/ 101.<br />

612 Minna Kautsky †. In: GL, 23/ 08/ 08.01.1913/ 121.<br />

613 Ebd.<br />

614 Ebd.<br />

399


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Alten <strong>und</strong> die Neuen“ (1884), „Victoria“ (1889), „Helene“ (1894) „Im Vaterhause“ (1904) oder<br />

„Stefan vom Grillenhof“ (1879) „trefflich gezeichnete[…] Arbeitertypen“ 615 <strong>und</strong> „lebensvoll wir-<br />

kende[…] Frauen- <strong>und</strong> Mädchengestalten der alten <strong>und</strong> neuen Generation“ 616 , „Schilderung[en]<br />

komischer Situationen <strong>und</strong> drolliger Sonderlinge“ 617 , aber auch erschütternde Schilderungen der<br />

Gräuel des Krieges. Kunert interpretierte die Bedeutung des Kautsky‘schen Gesamtwerks – ganz<br />

im Sinne sozialistischer Bildungsideale – so:<br />

„Minna Kautskys schöner Glaube an die Macht der Entwicklung gründet sich auf<br />

die ungebrochene <strong>und</strong> unverbrauchte Kraft <strong>und</strong> Ursprünglichkeit in den unteren<br />

Klassen, denen Unnatur <strong>und</strong> Heuchelei noch fremd sind, wie sie die Schichten von<br />

Besitz <strong>und</strong> Bildung durchsetzen. Auf dieser Basis von seelischer Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong><br />

Güte im Volke sieht sie die modernen Ideen der Humanität etwas völlig Selbständiges<br />

<strong>und</strong> Originelles zeitigen, das die Menschheit aufs neue befruchtet <strong>und</strong><br />

auch für den Künstler von höchster Bedeutung werden muß.“ 618<br />

Kautsky stellte demnach die moralische <strong>und</strong> historische Mission des Sozialismus <strong>und</strong> dessen<br />

Menschenbild in den Mittelpunkt ihrer Werke. Sie gab ihm in Form ihrer literarischen Figuren ein<br />

Gesicht. Kautsky zählte zu den ersten unter den zeitgenössischen SchriftstellerInnen, deren Werke<br />

besonders stark von der sozialistischen Weltanschauung beeinflusst waren <strong>und</strong> sie auf diese Weise<br />

wortwörtlich „populär“ machten. Mögen ihre Arbeiten auch qualitativ über die eines „Volks-<br />

schriftstellers“ nicht hinausgegangen sein, so haben sie nach Meinung Zetkins – in den Dienst des<br />

Sozialismus gestellt – doch Tausende erreicht. Aus diesem Gr<strong>und</strong> würde Kautsky auch dann „dem<br />

Herzen der Enterbten noch teuer sein, wenn der Klang vieler Namen verschollen ist, der heute die<br />

literarische Welt erfüllt“ 619 . Anders als manche anderen „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“, die der<br />

Arbeiterbewegung nahe standen, hatte sich Kautsky in ihren literarischen Werken für die Nach-<br />

welt verewigen können.<br />

Ebenfalls eine bekannte Erzählerin, jedoch Vertreterin eines anderen literarischen Niveaus als<br />

Minna Kautsky, war Clara Viebig (1860-1952). Viebig war Tochter eines hohen Beamten, der<br />

1848 Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung gewesen war. Ihre Mutter war eine<br />

Pastorentochter <strong>und</strong> habe viel Erzähltalent besessen. Weitere Informationen zur Herkunft Viebigs<br />

gab der Schriftsteller Josef Kliche (?-?) 620 in dem Artikel, den er zu ihrem 60. Geburtstag<br />

615 Kunert, Marie: Minna Kautsky. In: GL, 17/ 12/ 10.06.1907/ 101.<br />

616 Ebd.<br />

617 Ebd.<br />

618 Ebd.<br />

619 Minna Kautsky †. In: GL, 23/ 08/ 08.01.1913/ 121.<br />

620 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu Josef<br />

Kliche. Er veröffentlichte u. a.: „Vier Monate Revolution in Wilhelmshaven“ (1919) <strong>und</strong> „Ein Jahr in Flandern.<br />

400


4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“<br />

verfasste 621 , nicht. Er mochte vielmehr diesen Tag, der seiner Meinung nach „in allen kulturell <strong>und</strong><br />

literarisch stärker interessierten Kreisen fre<strong>und</strong>liche Beachtung“ 622 finden müsse, würdigen, indem<br />

er die Werke der Jubilarin vorstellte.<br />

Der Geburtstag Viebigs habe große Bedeutung für die „um geistige Befreiung <strong>und</strong> materiellen<br />

Fortschritt kämpfende[…] Arbeiterschaft“ 623 <strong>und</strong> besonders für die Frauen, denen, so Kliche, „das<br />

Schaffen der beliebten Autorin besonders nahegeh[e]“ 624 . Diese Bedeutung habe sie für die Frauen<br />

aber nicht, weil sie in Schönfärberei <strong>und</strong> falscher Sentimentalität pure Unterhaltungsliteratur<br />

geschrieben hätte. Im Gegenteil: Zu der vollendeten Form, in der sie „proletarisches Milieu,<br />

Weibesherzeleid <strong>und</strong> Muttersehnen“ 625 beschreibe, komme der Umstand, dass sie als erste<br />

deutsche Erzählerin „aller Prüderie, allem althergebrachten Vorurteil zum Trotz“ 626 , das<br />

proletarische Leben so gezeichnet habe, wie es ist. Ihre Werke verkörperten laut Kliche Viebigs<br />

„unerbittliche[n] Wahrheitsmut in der Zustandschilderung“ 627 <strong>und</strong> seien demnach Werke einer<br />

Naturalistin. Zwar sei sie zunächst vor allem von Heinrich Heines „Buch der Lieder“ (1827)<br />

beeinflusst worden, doch wegweisende „Offenbarung“ 628 wurde ihr Emile Zolas „Germinal“<br />

(1885). Jenes Werk habe den Anstoß gegeben, dass Viebig binnen zwei Tagen ihre erste Erzählung<br />

verfasste. Eine Erzählung der überzeugten „Zolaschülerin“ 629 , „so kraß <strong>und</strong> eigenwillig“ 630 , dass<br />

laut Kliche sie keine Zeitung habe veröffentlichen wollen. 631<br />

Viebig veröffentlichte innerhalb von 25 Jahren 24 Bücher. Einzelne davon bedeuteten nach<br />

Meinung Kliches geradezu „eine literarische Tat“ 632 . Darunter zählte er ihren Dienstbotenroman<br />

„Das tägliche Brot“ (1900). Der Roman schildert das Schicksal einer vom Lande kommenden<br />

jungen Frau, die ihr unehelich geborenes Kind erst aussetzt, dann aber als Dienstmädchen arbeitet,<br />

um sich <strong>und</strong> das Kind zu versorgen. Den Kindern ihrer Herrschaft muss die junge Mutter <strong>und</strong><br />

Ein Kriegsbuch“ (1916). In der „Gleichheit“ erschien außerdem bereits im Januar 1920 ein Artikel, in welchem er<br />

auf Viebig <strong>und</strong> andere LiteratInnen verwies (vgl. Kliche, Josef: Das Magdalenenmotiv in der deutschen Dichtung.<br />

In: GL, 30/ 04/ 24.01.1920/ 27-29).<br />

621 Kliche, Josef: Eine Meisterin deutscher Erzählkunst. In: GL, 30/ 29/ 17.07.1920/ 236-238.<br />

622 Ebd., S. 236.<br />

623 Ebd.<br />

624 Ebd.<br />

625 Ebd.<br />

626 Ebd.<br />

627 Ebd.<br />

628 Ebd.<br />

629 Ebd., S. 237.<br />

630 Ebd., S. 236.<br />

631 Vgl. ebd., S. 236f.<br />

632 Ebd., S. 237.<br />

401


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Lohnabhängige, so Kliche, „all die Liebe <strong>und</strong> Hätschelei geben […], die eigentlich ihrem eigenen<br />

Kinde gehörten“ 633 . Auch eine Heirat besserte ihr Leben nicht. 15 Jahre später veröffentlichte<br />

Viebig mit „Eine Handvoll Erde“ (1915) eine Fortsetzung dieser Geschichte. „Einer Mutter Sohn“<br />

(1906) spielt dagegen in einer noblen Grunewaldvilla <strong>und</strong> erzählt die Geschichte eines reichen,<br />

aber kinderlos gebliebenen Ehepaares, das das Kind einer armen Witwe adoptiert. Das Elternpaar<br />

müsse jedoch erkennen, dass ihr Adoptivsohn negative Charaktereigenschaften „geerbt“ hat. 634<br />

„[V]olle Meisterschaft“ 635 , so Kliche, habe Viebig in ihrem Roman „Das Weiberdorf“ (1900)<br />

erlangt. Das „Weiberdorf“ liegt in der Eifel <strong>und</strong> trägt seine Bezeichnung, weil die Männer des<br />

Dorfes regelmäßig für den Erwerb in die Stadt ziehen <strong>und</strong> ihre Frauen allein zurücklassen müssen.<br />

Diese Situation ergebe u. a. solch „starke leidenschaftliche Konflikte“ 636 , dass sowohl erotische als<br />

auch humoristische Szenen nicht ausblieben. Viebig habe sich „[g]eschichtliche[r], soziale[r] <strong>und</strong><br />

seelische[r] Stoffe“ 637 gewidmet. Auch den Ersten Weltkrieg thematisierte Viebig in einigen ihrer<br />

Bücher. So z. B. in „Töchter der Hekuba“ (1917) <strong>und</strong> „Das rote Meer“ (1920). Darin, so Kliche,<br />

gebe sie der „Seelennot deutscher Mütter, Frauen <strong>und</strong> Bräute“ Gestalt <strong>und</strong> singe ein „Hohelied auf<br />

das Duldertum schmerzdurchbohrter Frauenherzen“ 638 . Viebigs technisches <strong>und</strong> sprachliches<br />

Können zeige sich in noch vielen weiteren Werken („Eisen <strong>und</strong> Feuer“ (1913) 639 , „Absolvote“<br />

(1907)), in welchen sie verstehe, die Wirklichkeit in all ihrer Dramatik darzustellen.<br />

Viele der Werke Viebigs beschreiben Frauengestalten <strong>und</strong> Frauenschicksale. Diese basieren, so<br />

das Urteil Kliches, keineswegs nur auf reiner Fiktion. Denn<br />

„wenn wir uns über die Buchseiten beugen <strong>und</strong> uns in die einzelnen Charaktere<br />

vertiefen, so fühlen wir, daß diese Personen uns allen schon einmal irgendwo im<br />

Leben begegnet sind“ 640 .<br />

In einer ähnlichen Art <strong>und</strong> Weise machte es die „Gleichheit“, die ihren Leserinnen verschiedene<br />

Frauentypen <strong>und</strong> deren herausragende Charaktereigenschaften präsentierte. Diese Frauentypen<br />

sind häufig Vorbilder aus den eigenen Reihen <strong>und</strong> ihre Schicksale erwecken bei den Leserinnen in<br />

besonderem Maße Mitgefühl.<br />

Ein ungewöhnliches Beispiel für großen Durchhaltewillen <strong>und</strong> Bildungsdrang – den typischen<br />

Tugenden des „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ – ist Helen Keller (1880-1968). Im zweiten Lebensjahr<br />

633 Ebd.<br />

634 Ebd.<br />

635 Ebd.<br />

636 Ebd.<br />

637 Ebd.<br />

638 Ebd.<br />

639 Gemeint ist wohl Viebigs Werk „Das Eisen im Feuer“.<br />

640 Ebd.<br />

402


4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“<br />

erkrankte die US-Amerikanerin Keller an einem hohen Fieber <strong>und</strong> verlor Sehkraft <strong>und</strong> Gehör,<br />

wodurch auch ihr Sprachvermögen gemindert war.<br />

Den „Gleichheit“-Leserinnen begegnete Keller zum ersten Mal nur im Rahmen einer kleinen<br />

Notiz. Meta Lilienthal Stern berichtete darin aus den USA dass „[e]ine der interessantesten Frauen<br />

der Welt […] jetzt eine der Unseren“ 641 geworden sei. Keller hatte sich demnach öffentlich zum<br />

Sozialismus bekannt. Dieses offene Bekenntnis hatte laut Stern eine interessante Vorgeschichte.<br />

Nachdem 1911 die „Industriestadt Shnektady[sic]“ 642 einen sozialistischen Bürgermeister <strong>und</strong><br />

einen sozialistischen Stadtrat gewählt hatte, sei Keller mit einer befre<strong>und</strong>eten Familie dorthin<br />

gezogen <strong>und</strong> zudem der Sozialistischen Partei beigetreten. Jener sozialistische Bürgermeister<br />

Lunn habe Keller daraufhin zum Mitglied einer städtischen Wohlfahrtsbehörde ernannt. Mit<br />

diesem Amt sei, so Stern, dieser „treffliche[n] Frau“ 643 , die „trotz ihrer schweren körperlichen<br />

Hemmungen zur Höhe einer modernen Geisteskultur emporringen konnte“ 644 , die Gelegenheit<br />

gegeben, „teilzunehmen an den sozialen Kämpfen ihrer Zeit“ 645 . Die amerikanische Journalistin<br />

Anita Cahn Block (1882-1967) 646 setzte laut Sterns Artikel die außergewöhnlichen Lebens-<br />

umstände Kellers mit viel Pathos in eine Wechselbeziehung mit ihrem politischen Engagement:<br />

„‘Diese Blinde sieht besser als wir Sehenden das Elend dieser Welt. Deutlicher als<br />

wir, die hören können, vernimmt diese Taube den Schrei der Not, <strong>und</strong> die<br />

Handlungen dieser Stummen sind beredter als unsere Worte.’“ 647<br />

Lange schon habe Keller mit den Sozialisten sympathisiert <strong>und</strong> nun ausnehmend konsequent<br />

gehandelt.<br />

In den begleitenden Recherchen zu dieser Arbeit musste nun aber festgestellt werden, dass Stern<br />

<strong>und</strong> auch die „Gleichheit“ mit dieser Notiz einer „Zeitungsente“ aufgesessen waren. Nicht nur,<br />

dass laut einer neueren biographischen Quelle Keller bereits 1909 der Socialist Party beigetreten<br />

war 648 , sie dementierte in ihrem Aufsatz „Wie ich Sozialistin wurde“ (1912) ganz vehement die<br />

beschriebenen Umstände. Sie sei nie in Shenectady gewesen <strong>und</strong> habe nie Bürgermeister Lunn<br />

persönlich kennengelernt. Wohl habe sie Pläne gehabt, dorthin zu reisen <strong>und</strong> Lunn habe ihr einen<br />

Sitz in jener Gesellschaft für öffentliche Wohlfahrtspflege anbieten wollen, aber soweit ist es nicht<br />

641 Stern, Meta L[ilienthal]: Helen Keller eine Genossin. In: GL, 22/ 24/ 21.08.1912/ 384.<br />

642 Es handelt sich vermutlich um die im Staate New York gelegene Stadt Shenectady.<br />

643 Ebd.<br />

644 Ebd.<br />

645 Ebd.<br />

646 Anita C. Block war Mitbegründerin der Zeitschrift „New York Call“ (1908-1923).<br />

647 Anita E. Block im „New York Call“. Zit. nach: Stern, Meta L[ilienthal]: Helen Keller eine Genossin. In: GL, 22/<br />

24/ 21.08.1912/ 384.<br />

648 Vgl. Jaedicke, Helen Keller, S. 113.<br />

403


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

gekommen. Die kapitalistische Presse habe diese Überlegungen jedoch als Tatsachen verbreitet,<br />

um die sozialistische Bewegung zu diffamieren, sich der Person Kellers propagandistisch zu<br />

bedienen. 649 Diese eindeutige Falschmeldung der „Gleichheit“ verwies nochmals darauf, dass es<br />

sich bei den hier zusammengestellten Artikeln keineswegs um wissenschaftlich f<strong>und</strong>ierte<br />

Biographien, sondern um journalistische Erzeugnisse handelt.<br />

Ursprünglich mag es nur Mitleid gewesen sein, welches die „Gleichheit“-Leserinnen für Keller<br />

empf<strong>und</strong>en haben. Die „Gleichheit“ jedoch wollte ihnen ein anderes Bild Kellers vorstellen, nicht<br />

das einer bemitleidenswerten Behinderten, sondern das einer Frau von besonders starker sozialis-<br />

tischer Gesinnung. 1920 ließ Keller durch ihren in Stuttgart ansässigen deutschen Verleger Robert<br />

Lutz veröffentlichen, dass sie<br />

„‘für alle Zeiten’ auf alle ihre Einkünfte aus der deutschen Ausgabe ihrer Schriften<br />

zugunsten der deutschen Kriegsblinden, -tauben, <strong>und</strong> -stummen verzichtet“ 650 .<br />

Keller bewies damit eine über alle Grenzen <strong>und</strong> nationale Ressentiments hinweggehende<br />

Solidarität mit den Opfern des Ersten Weltkrieges – besonders solchen, die dieselben Beein-<br />

trächtigungen erlitten hatten wie sie selbst <strong>und</strong> die nur allzu oft von der staatlichen Kriegsfürsorge<br />

vernachlässigt wurden.<br />

1922 veröffentlichte das Hauptblatt der „Gleichheit“ erstmals einen Artikel zum Leben dieser<br />

bemerkenswerten Frau. Es ist jedoch vornehmlich die entwicklungs- bzw. verhaltenpsycho-<br />

logische Sicht auf die Persönlichkeit Kellers, die in Wilhelm Lennemanns (1875-1963) 651 Aus-<br />

führungen überwog. Lennemann wandte sich darin gegen den aufgekommenen Verdacht, in<br />

Wirklichkeit würde Keller die gesamte Öffentlichkeit in nicht durchschaubarer Weise über ihre<br />

Behinderung täuschen – so unglaublich war für alle die positive Entwicklung, die diese Frau<br />

durchgemacht hatte <strong>und</strong> an deren Ende schließlich ein, so Lennemann, „W<strong>und</strong>er an Intelligenz<br />

<strong>und</strong> Kapazität“ 652 stand.<br />

Keller wurde als normal entwickeltes Kind in Tuscumbia (Alabama/USA) geboren. Im<br />

20. Lebensmonat erkrankte sie an hohem Fieber. Nach ihrer Genesung stellte man den dauer-<br />

haften Verlust ihres Augenlichtes <strong>und</strong> Gehörs fest, was auch ihre Sprachentwicklung<br />

649 Vgl. Keller, Helen: Wie ich Sozialistin wurde. In: Diess.: Wie ich Sozialistin wurde, S. 5-39, S. 6ff.<br />

650 Helen Keller … In: GL, 30/ 12/ 20.03.1920/ 94.<br />

651 Wilhelm Lennemann wurde in Annen (heute Witten-Annen) als Sohn eines Lehrers geboren. Nach dem Besuch<br />

der Volksschule <strong>und</strong> des Gymnasiums folgte eine Lehrerausbildung. 1896-1911 arbeitete Lennemann als Lehrer<br />

<strong>und</strong> freier Schriftsteller in Iserlohn, zudem bis 1914 als Generalsekretär eines freireligiösen Verbandes. Als freier<br />

Schriftsteller lebte er aber auch in Köln <strong>und</strong> Königsberg. Lennemann veröffentlichte zahlreiche Erzählungen, u. a.<br />

die Gedichtbände „Aus Bauernlanden“ (1904), „Saat <strong>und</strong> Sonne“ (1906) <strong>und</strong> „Meine Ernte“ (1910), in denen<br />

Lennemann den Bauernstand <strong>und</strong> Mutterschaft stark idealisierte. Er war Herausgeber von „Helene Voigt-<br />

Diederichs, Lulu von Strauß <strong>und</strong> Torney. Novellen“ (o. J.) <strong>und</strong> „Helen Keller. Eine Auswahl aus ihren Werken“<br />

(1912).<br />

652 Lennemann, Wilhelm: Helen Keller. In: GL, 32/ 04/ 15.02.1922/ 35.<br />

404


4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“<br />

beeinträchtigte. Im Alter von acht Jahren erhielt sie mit Annie Sullivan (1866-1936) eine Lehre-<br />

rin, die ihr erst das Fingeralphabet, die Braille‘sche Blindenschrift <strong>und</strong> schließlich die Lautsprache<br />

vermittelte. Keller lernte dies alles in einem erstaunlich kurzen Zeitraum <strong>und</strong> konnte sich<br />

schließlich zusammenhängend sprachlich artikulieren. Ein großes Privileg wurde ihr zuteil, als ihr<br />

anlässlich der Chicagoer Weltausstellung gestattet wurde, die dort ausgestellten Objekte zu<br />

ertasten.<br />

Im Alter von 14 Jahren besuchte Keller die Wright-Humason-Schule 653 , an der sie u. a. auch<br />

Deutsch lernte. Nach einer weiteren höheren Schule besuchte sie das Radcliffe College 654 <strong>und</strong><br />

legte 1897 ihre Prüfungen in Deutsch, Französisch, Englisch, Griechisch <strong>und</strong> römischer<br />

Geschichte ab. 655 Auch die Zugangsprüfungen für die Universität bestand sie mühelos. Wie zuvor<br />

war Annie Sullivan auch während des vierjährigen Universitätsstudiums, in denen Keller<br />

besonders Philosophie <strong>und</strong> Shakespeare studierte, ihre Begleiterin, die ihr, so Lennemann, „alles<br />

zufingerte“ 656 . Aus dieser Beschreibung <strong>und</strong> sogar namentlichen Benennung der Schulen, die<br />

Keller besuchte, wird den „Gleichheit“-Leserinnen die Effizienz des höheren Bildungswesens der<br />

USA vor Augen geführt. Dieses bot folglich bereits im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert Möglichkeiten zur<br />

Integration Behinderter. 1903 veröffentlichte Keller „Die Geschichte meines Lebens“, wenig<br />

später das Werk „Optimismus“ (1903), das Lennemann als ihr persönliches Glaubensbekenntnis<br />

betrachtete. 657 Es folgten „Meine Welt“ (1908) <strong>und</strong> als letztes Werk vor dem Erscheinen des<br />

„Gleichheit“-Artikels wurde „Dunkelheiten“ (1913) veröffentlicht.<br />

Lennemann erläuterte die Bedingungen, unter denen sich Keller nur mittels Tast- <strong>und</strong> Geruchssinn<br />

die Welt erschloss. Immerhin habe sie die ersten 19 Monate ihres Lebens ihre Umwelt noch mit<br />

allen Sinnen erfassen können – diese frühe Phase sei nach Meinung Lennemanns nicht zu<br />

unterschätzen. Zum größten Teil verdanke Keller, so Lennemann weiter, das,<br />

„[w]as sie geworden, […] ihrem bis aufs feinste ausgebildeten Gefühl, das wir in<br />

Tastsinn <strong>und</strong> Gemeingefühl spalten wollen, <strong>und</strong> ihrem Geruch“ 658 .<br />

Mit ihrem feinen Tastsinn habe sie manche Dinge wie z. B. Kunst anders, vielleicht sogar tiefer<br />

gehender, erfassen können als so manche Sehenden. Mit dem Begriff „Gemeingefühl“ wurde von<br />

Lennemann quasi ihre Kombinationsgabe beschrieben, mit der Keller z. B. Personen an der Art<br />

653 Die „Wright-Humason-School for the Deaf“ war eine Schule für Gehörlose in New York.<br />

654 Das Radcliffe College in Cambridge (Massachusetts) ermöglichte vor allem Frauen den Zugang zum Studium an<br />

der Universität Harvard.<br />

655 Vgl. ebd., S. 36.<br />

656 Ebd.<br />

657 Vgl. ebd.<br />

658 Lennemann, Wilhelm: Helen Keller (Schluß). In: GL, 32/ 05/ 01.03.1922/ 46.<br />

405


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

ihres Ganges erkennen <strong>und</strong> sogar deren Alter oder gegenwärtige Gemütsstimmung schlussfolgern<br />

konnte. Gefühl <strong>und</strong> Geruchssinn halfen ihr, „Naturschönheiten zu empfinden <strong>und</strong> geordnet in sich<br />

aufzunehmen“ 659 . Vor allem mit ihrem Geruchssinn erschloss sich Keller nicht nur eine<br />

Landschaft, sondern auch die Möblierung eines Raumes <strong>und</strong> die darin anwesenden Personen.<br />

Lennemann schließt seinen Beitrag mit einem sehr anmaßendem Resümee:<br />

„Viel war Helen geraubt, viel hat sie wiedergewonnen, ja, man darf wohl sagen,<br />

daß sie mehr gewonnen als verloren hat, <strong>und</strong> zu verstehen ist jedenfalls, wenn sie<br />

ihr Gefühl eventuell nicht gegen ein Gesicht eintauschen möchte.“ 660<br />

Er versuchte damit wohl, die von den deutschen Frauen im Krieg erlebten vielfältigen Verluste zu<br />

relativieren. Zumindest ließ er in eben diesem Sinne Keller persönlich zu den „Gleichheit“-<br />

Leserinnen sprechen:<br />

„‘Der Optimismus ist der Glaube, der zur Vollendung führt, nichts kann getan<br />

werden, ohne die Hoffnung.’“ 661<br />

Die blinde, taube <strong>und</strong> stumme Helen Keller war ein außergewöhnlicher „weiblicher Vollmensch“<br />

sozialistischer Gesinnung <strong>und</strong> damit ein ganz besonderes Vorbild sozialistischer Frauenbildung.<br />

659 Ebd., S. 47.<br />

660 Ebd., S. 48.<br />

661 Helen Keller zit. nach: Ebd.<br />

406


4.2 „[…] wie Mutterdenken, Mutterempfinden, Mutterhandeln […] der ganzen<br />

Menschheit […] zum Segen werden kann“<br />

– Die Mutter der sozialistischen Zukunft 662<br />

4.2.1 Zum Frauenleitbild der sozialistischen Mutter <strong>und</strong> der „Mütterlichkeit“<br />

Der Proletarierin als Mensch mit individuellen Kulturbedürfnissen <strong>und</strong> individuellen Bildungs-<br />

fähigkeiten, welche sie zum Wohle einer politischen Bewegung einsetzen sollte, folgt nun die<br />

Proletarierin, die in Verantwortung für die kommenden Generationen politisch aktiv wurde. Es<br />

war nicht nur Verantwortung für sich selbst <strong>und</strong> für die eigenen Kinder, die eine solche<br />

Proletarierin übernehmen musste, sondern es war gesellschaftliche Verantwortung:<br />

„Die denkende Proletarierin will aus einer sozial Unmündigen zur gleichberechtigten<br />

Gesellschaftsbürgerin werden, aus einer ausgesaugten <strong>und</strong> geknechteten<br />

Lohnsklavin zur freien Arbeiterin in einem Gemeinwesen, von freien, gleichberechtigten<br />

Arbeitern. Sie weiß, daß sie Bildung <strong>und</strong> Freiheit bedarf, um in der<br />

einen <strong>und</strong> anderen Beziehung ihre Gleichberechtigung zu erkämpfen. Und<br />

fordert nicht das Mutterherz stürmisch, daß den Kindern an Bildung, Freiheit,<br />

Gleichberechtigung zu Theil werden soll, was der Frau heute versagt bleibt!” 663<br />

Die ProletarierInnen der kommenden Generation sollten nicht mehr als „sozial Enterbte“<br />

unterdrückt werden. Keine Mutter sollte ihre Kinder freiwillig einem Schicksal überlassen, das<br />

schon sie selbst unwillig ertragen musste. 664<br />

Reflektierten die proletarischen Frauen ihre eigene Klassenlage, so müsste ihnen ihr<br />

Erziehungsauftrag als proletarische Mütter klar auf der Hand liegen: „KlassenkämpferInnen“<br />

sollten sie erziehen. Ein Auftrag, für dessen Erfüllung sie jedoch erst einmal selbst erzogen<br />

werden mussten. Denn nur die “starke, klare, in sich gefestigte mütterliche Individualität<br />

[könne] starke Individualitäten zeugen <strong>und</strong> erziehen“ 665 . Den Müttern fehlte es dafür jedoch<br />

meist an gr<strong>und</strong>legendem Wissen. Die „Gleichheit“ wusste um die nicht wenigen<br />

662 Kipfmüller, Bertha: Kants Mutter. In: GL, 30/ 04/ 24.01.1920/ 28.<br />

663 Für Brot, Bildung <strong>und</strong> Freiheit! In: GL, 11/ 17/ 14.08.1901/ 129.<br />

664 Nipperdey stellt Folgendes für das sich im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert verändernde Eltern-Kind-Verhältnis fest: „Die neue<br />

Haltung zu den Kindern hat sich von der – stärker entlasteten – Bildungsschicht auch auf die Mittelschichten<br />

<strong>und</strong> die respektable Arbeiterschaft ausgedehnt. Verantwortung, mehr mütterliche Zuwendung, Priorität des<br />

Kindes vor der Behauptung im Lebenskampf, mehr Erziehungsinteresse – das ist doch in dem strengeren, distanzierteren,<br />

autoritären <strong>und</strong> zum Teil auch brutalen, not- <strong>und</strong> arbeitsgeprägten Erziehungsstil dieser Schichten<br />

in durchweg steigendem Maße zu beobachten.“ (Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866, S. 122).<br />

665 „Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch“. In: GL, 08/ 02/ 19.01.1898/ 9. Genau gegenteiliger<br />

Meinung waren bürgerliche Wissenschaftler wie der Nervenarzt Paul Julius Möbius. Dieser hatte 1894<br />

ein Buch mit dem Titel „Vom physiologischen Schwachsinn des Weibes“ veröffentlicht. Nach Gertrud Davids<br />

(1872-1936) Interpretation in der „Gleichheit“ besagte das Möbius’sche Werk, „daß jede auch die nicht übertriebene<br />

geistige Arbeit <strong>und</strong> Entwicklung der Frau diese für ihren Mutterberuf untauglicher mache, <strong>und</strong> daß<br />

daher das Weib im Interesse der Nachkommenschaft in Stumpfsinn <strong>und</strong> Dummheit erhalten bleiben müsse.“<br />

(David, Gertrud: Das Weib <strong>und</strong> der Intellektualismus. In: GL, 12/ 11/ 21.05.1902/ 83 (Rezension zu: Olberg,<br />

Oda: Das Weib <strong>und</strong> der Intellektualismus. Akademischer Verlag für soziale Wissenschaften, Berlin, Bern<br />

1902).<br />

407


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Erziehungsprobleme, die daraus alltäglich resultierten:<br />

“Mit h<strong>und</strong>ert Fragen drängen sich die wißbegierigen Kleinen an die Mutter heran.<br />

Ihr Interesse an allem, was wächst <strong>und</strong> blüht, was kriecht <strong>und</strong> fliegt, ist noch nicht<br />

in tagtäglichem Sorgen <strong>und</strong> Mühen erstickt. Aber verständnislos blickt die Mutter<br />

meist auf sie herab. ‘Das weiß ich nicht, laßt mich in Ruh!’ so lautet ihre ständige<br />

Antwort. Wie sollte denn auch sie, die in der Regel selber keine Linde von einer<br />

Buche unterscheiden kann, selber nicht das geringste von der Lebensweise der<br />

Tiere, von dem Lauf der Gestirne weiß, die Fragen ihrer Kinder befriedigen<br />

können? Die elende Volksschule hat ihr kaum die elementarsten Kenntnisse beigebracht.<br />

[…] Das ist traurig für die Proletarierfrau selbst, trauriger noch für das<br />

heranwachsende Geschlecht … .“ 666<br />

Gewiss, die junge Generation war „bildsam“, das änderte aber nichts daran, dass ihre Mütter<br />

geplagt vom Proletarierinnenalltag kaum Zeit <strong>und</strong> nur ein spärliches Wissen weiterzugeben hatten.<br />

Dies zu ändern, dafür traten die Sozialistinnen z. B. mit ihrer Forderung für den Achtst<strong>und</strong>entag<br />

ein, die bereits für die Bildung zum „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ <strong>und</strong> die Hebung des Familien-<br />

lebens so zentrale Bedeutung hatte. Die von bürgerlichen ZeitgenossInnen geübte Kritik an der<br />

Sozialdemokratie, sie wolle die Familie zerstören, oder die Befürchtungen männlicher Genossen,<br />

die proletarische Frauenbewegung erziehe ihre Frauen zu „Mannweibern“ war gänzlich unbe-<br />

gründet, denn Zetkin konstatierte bereits 1896 in Gotha:<br />

„[E]s darf auch unmöglich die Aufgabe der sozialistischen Frauenagitation sein,<br />

die proletarische Frau ihren Pflichten als Mutter <strong>und</strong> Gattin zu entfremden; im<br />

Gegenteil, sie muß darauf wirken, daß sie diese Aufgabe besser erfüllt als bisher;<br />

<strong>und</strong> das im Interesse der Befreiung des Proletariats. Je besser die Verhältnisse in<br />

der Familie, die Wirksamkeit in ihrem Heim, um so kampffähiger wird sie. Je mehr<br />

sie die Erzieherin <strong>und</strong> Bildnerin ihrer Kinder sein kann, um so mehr kann sie sie<br />

aufklären, kann sie dafür sorgen, daß sie mit der gleichen Begeisterung <strong>und</strong> Opferfreudigkeit<br />

wie wir in Reih <strong>und</strong> Glied weiter kämpfen für die Befreiung des<br />

Proletariats“ 667<br />

Zetkin entwarf hier ein Idealbild sozialistischer Frauenbildung <strong>und</strong> Erziehung wie sie sie sich für<br />

die proletarischen Familien wünschte <strong>und</strong> wie sie auch die Familie zum idealen Ort sozialistischer<br />

Bildung machen würde. Sie wollte einen Gesellschaftszustand schaffen, der es der Proletarierin<br />

erlauben würde, allen alltäglichen <strong>und</strong> besonderen Erwartungen gerecht zu werden. Wenn man<br />

Zetkin auch vorwerfen mag, dass ihre Utopie von der Realität weit entfernt war, so hatte sie eben<br />

diese doch als Hintergr<strong>und</strong>. Die bürgerlich-radikalen feministischen Vorstellungen von „Müt-<br />

terlichkeit“ jedoch blendeten die alltäglichen Sorgen <strong>und</strong> Nöte, die das Muttersein für<br />

Proletarierinnen tatsächlich mit sich brachte, oft gänzlich aus. 668<br />

666 Wulff, Frida: Nur Zeit! In: GL, 18/ 09/ 27.04.1908/ 81-82.<br />

667 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 166.<br />

668 Tornieporth beschäftigte sich mit dem Leitbild der „geistigen Mütterlichkeit“, wie es in der bürgerlichen<br />

Frauenbewegung im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert entstand, musste jedoch offen lassen, ob es sich bei ihm um eine bewusste<br />

Konstruktion oder einen Reflex bzw. eine Spiegelung der Lebensumstände bürgerlicher Frauen handelte. Dem<br />

408


4.2.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER SOZIALISTISCHEN MUTTER UND DER „MÜTTERLICHKEIT“<br />

Trotzdem fand das von der bürgerlichen Frauenbewegung im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert entwickelte „Prinzip<br />

der Mütterlichkeit“ 669 , welches weit mehr umfasste als „Mutterschaft“ oder „Muttersein“, auch<br />

immer mehr Anklang in der proletarischen Frauenbewegung. „Mütterlichkeit“, so die Pädagogin<br />

<strong>und</strong> Schulreformerin Else Sander (1896-1988), sei<br />

„[d]er feine Spürsinn für andrer leibliche <strong>und</strong> seelische Bedürfnisse, für Verwirrung<br />

<strong>und</strong> Not, ist die kluge Güte, die rechte Wege zum Helfen findet, <strong>und</strong> die unbekümmerte<br />

herzhafte Art zu helfen, die auch das Opferbringen nicht scheut.“ 670<br />

Mütterlichkeit kann nicht anerzogen werden <strong>und</strong> muss auch nicht notwendigerweise von<br />

natürlichen Müttern gefühlt werden. Allerdings gab es vor allem in den Reihen der bürgerlichen<br />

Frauenbewegung die Vorstellung, Mütterlichkeit sei die „höchste Form des <strong>weiblichen</strong> Seins“ 671 .<br />

Für Ellen Key war Mütterlichkeit sogar schlicht ein Gr<strong>und</strong>gesetz in der Natur, das jedoch als<br />

solches keine Kultur verändern, sondern nur veredeln könne. 672 Trotzdem schrieb sie der „Gesell-<br />

schaftsmütterlichkeit“ 673 gerade in Verbindung mit dem Frauenwahlrecht eine besondere Bedeu-<br />

tung zu:<br />

„Die gesellschaftsmütterlichen Sorgen der Frau umfassen jetzt zunächst die Kinder,<br />

die Schwachen, die Leidenden. Daß die Frau die Möglichkeit erlangt, die Gesellschaftsmütterlichkeit<br />

in ihrem vollen – auch volksrepräsentativen – Umfang zu<br />

betätigen, kann nur eine Zeitfrage sein. In einem Jahrh<strong>und</strong>ert wird man über unsere<br />

Zeit lächeln, in der man noch über so selbstverständliche Dinge debattiert hat. Und<br />

die heute noch die Frauenbewegung belächeln, werden dann am allermeisten<br />

belächelt werden!“ 674<br />

Es kann also festgestellt werden, dass sich die Vorstellungen von Mütterlichkeit nicht unähnlich<br />

waren. Die proletarische Frauenbewegung versuchte jedoch, einen ihrer Situation <strong>und</strong> ihrer Partei-<br />

theorie angemesseneren Weg zu gehen.<br />

In der „Gleichheit“ spiegelte sich das u. a. in einem Artikel von Gertrud David (1872-1936) 675<br />

Zusammenhang zwischen „geistiger Mütterlichkeit“ <strong>und</strong> proletarischem Frauenleben geht Tornieporth durch die<br />

Analyse der Autobiographien Ottilie Baaders „Ein steiniger Weg“ (1921) <strong>und</strong> Adelheid Popps „Jugendgeschichte<br />

einer Arbeiterin“ (1909) nach (vgl. Tornieporth, Proletarische Frauenleben <strong>und</strong> bürgerlicher Weiblichkeitsmythos,<br />

S. 309).<br />

669 Peters, Dietlinde: Mütterlichkeit im Kaiserreich.<br />

670 Sander, Else: Mädchenfortbildungsschule <strong>und</strong> Volkskultur. Leipzig: Klinkhardt, 1919. Zit. nach: Schneider,<br />

Deutscher Frauen Leben <strong>und</strong> Streben, S. 8.<br />

671 Schneider, Deutscher Frauen Leben <strong>und</strong> Streben, S. 8.<br />

672 Vgl. Key, Die Frauenbewegung, S. 203.<br />

673 Ebd., S. 198.<br />

674 Ebd.<br />

675 Gertrud David, geb. Swiderski, wurde in Leipzig geboren <strong>und</strong> war ältestes von den vier Kindern eines wohlhabenden<br />

Maschinenbaufabrikanten. Nach dem Besuch der Höheren Töchterschule in Leipzig widmete sie sich<br />

volkswirtschaftlichen Studien. 1896 heiratete sie den sozialdemokratischen Redakteur <strong>und</strong> späteren Reichstagsabgeordneten<br />

Eduard David. Beide waren in der Genossenschaftsbewegung engagiert, gründeten 1899 die<br />

409


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

wider. Sie entwarf darin das Bild einer mütterlichen lebenserhaltenden „Kulturmission“ 676 . Die<br />

Mutter dürfe keinesfalls auf ihre Rolle als Gebärende reduziert werden, sondern müsse, wie<br />

bereits betont, als Erzieherin der Kinder selbst ein gewisses Maß an Erziehung genossen haben.<br />

Indem angenommen wurde, dass in der Frau ein „Bewußtsein von dem Werthe des Menschen-<br />

lebens am stärksten, am unmittelbarsten vorhanden“ 677 sei, wurde ihr auch ein natürliches pazi-<br />

fistisches Wesen zugeschrieben. Eine Mutter mit dem dargestellten Bewusstsein würde bestimmt<br />

nicht zulassen, dass ihre eigenen Söhne ihr Blut für den kapitalistischen Imperialismus lassen. Sie<br />

würde sie im sozialistischen Geist erziehen <strong>und</strong> bilden, damit auch sie gegen den Militarismus<br />

kämpfen. In diesem Sinne schrieb Wilhelm Liebknecht 1872:<br />

„Eine gebildete Jugend läßt sich nicht zu Kanonenfutter verarbeiten.“ 678<br />

Manche dieser „kulturmissionarischen“ Züge führten aber auch in einen übertriebenen<br />

„pseudoreligiösen Mutterkult“ 679 <strong>und</strong> stilisierten die Mutter zur „schmerzgeheiligte[n] Trägerin<br />

der Zukunft“ 680 . Eine Ausdrucksweise dieser Art dürfte die „Gefühlssozialistinnen“ unter den<br />

„Gleichheit“-Leserinnen sehr angesprochen haben.<br />

Die nächste Generation würde alles anders <strong>und</strong> vor allem besser machen – so auch die nächste<br />

Generation sozialistischer Mütter. In vollem sozialistischen Bewusstsein erzogen, würde sie nicht<br />

nur in vollem sozialistischen Bewusstsein handeln, sondern dieses auch weitergeben. Das, was die<br />

ältere Generation mit Mühe erkennen <strong>und</strong> verinnerlichen musste, würde dann der jungen<br />

Generation quasi „in die Wiege gelegt“. Den Kindern sollten moralische <strong>und</strong> klassenkämpferische<br />

Bildungsinhalte vermittelt werden, was stark von einem guten elterlichen Vorbild abhing. So<br />

wurden sowohl in die Eltern als auch in die Kinder hohe Erwartungen gesetzt <strong>und</strong> die Referentin<br />

<strong>und</strong> spätere preußische Landtagsabgeordnete Minna Bollmann (1876-1935) 681 betonte 1909 auf<br />

Mainzer Spar-, Konsum- <strong>und</strong> Produktionsgenossenschaft <strong>und</strong> Gertrud David veröffentlichte 1910 die Broschüre<br />

„Sozialismus <strong>und</strong> Genossenschaftsbewegung“. 1900-1917 betreute David die Rubrik „Genossenschaftswesen“ in<br />

den „Sozialistischen Monatsheften“. 1908 trennte sich das Ehepaar David gütlich, die Scheidung erfolgte 1911.<br />

David wirkte an der Herstellung von Propagandafilmen mit. 1917 verfasste sie ihr erstes Drehbuch. 1924 gründete<br />

sie ihre eigene Produktionsfirma „Gervid-Film“.<br />

676 David, Gertrud: Das Weib <strong>und</strong> der Intellektualismus. In: GL, 12/ 11/ 21.05.1902/ 84.<br />

677 Ebd.<br />

678 Liebknecht, Wilhelm: Wissen ist Macht – Macht ist Wissen; Festrede, gehalten zum Stiftungsfest des Dresdener<br />

Arbeiterbildungsvereins am 5. Februar 1872. Zit. nach: Feidel-Mertz, Zur Geschichte der Arbeiterbildung, S. 63.<br />

679 Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus, S. 210.<br />

680 Selinger, Berta: Um Wissen <strong>und</strong> Bildung. In: GL, 21/ 12/ 13.03.1911/ 184.<br />

681 Minna Bollmann, geb. Zacharias, wurde in Halberstadt geboren <strong>und</strong> war Tochter eines Schneidermeisters. Dieser<br />

war genauso bekennender Sozialdemokrat wie der Gastwirt Max Bollmann (?-1925), der 1896 sein Schwiegersohn<br />

wurde. Seit 1907 wirkte die gelernte Schneiderin Bollmann als Agitatorin für die proletarische Frauenbewegung.<br />

Während des Ersten Weltkrieges war sie als Bezirkspflegerin in der Kriegsfürsorge tätig. Sie wurde<br />

1919 in die Nationalversammlung gewählt <strong>und</strong> bekleidete 1919-1933 in Halberstadt das Amt einer Stadtverordneten.<br />

1921-1933 war Bollmann zudem Abgeordnete des preußischen Landtags. Da ihre Gastwirtschaft<br />

auch nach 1933 zentraler Treffpunkt der Sozialdemokratie war, geriet Bollmann unter Bewachung durch die<br />

410


4.2.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER SOZIALISTISCHEN MUTTER UND DER „MÜTTERLICHKEIT“<br />

der Sozialdemokratischen Frauenkonferenz des Regierungsbezirks Magdeburg,<br />

„daß schon im zartesten Kindesalter die Charakterbildung des Kindes begonnen<br />

werden müsse. Am besten wirken gute Beispiele. Der Widerspruch zwischen<br />

Reden <strong>und</strong> Tun bei den Eltern ist verderblich. Den Kindern muß frühzeitig klar<br />

gemacht werden, daß sie stolz darauf sein müssen, Arbeiterkinder zu sein, da der<br />

Fortschritt der Kultur von der Arbeit abhängt <strong>und</strong> die Befreiung der Menschheit<br />

von der Arbeiterklasse.“ 682<br />

Sie sprach sich zudem gegen jede unbedachte Bestrafung der Kinder 683 <strong>und</strong> für ihre verstärkte Zu-<br />

führung zu den Jugendorganisationen aus. Gerade Letzteres werde viel zu häufig, vor allem wenn<br />

es sich um Mädchen handele, von den Eltern unterlassen. Eine Unterlassung, die<br />

“sehr bedauerlich [sei], da die jungen Mädchen Mütter werden, die später die hohe<br />

Aufgabe haben, das heranwachsende Geschlecht zu einem Klassenbewußtsein zu<br />

erziehen” 684 .<br />

Die Identifikation mit der eigenen Klasse – ohne Frage ein Bildungsziel jener Jugendorgani-<br />

sationen – <strong>und</strong> die Teilnahme an deren gesellschaftlichem Leben mussten auch den Mädchen<br />

ermöglicht werden. So gibt dieser Artikel ein gutes Beispiel dafür, dass die ungleiche, ge-<br />

schlechtsspezifische Erziehung der Kinder <strong>und</strong> die den Mädchen in den eigenen Reihen verwehrte<br />

Weiterbildung durchaus von den Sozialistinnen kritisiert wurde.<br />

Dass sich viele Frauen ihrer gesellschaftsgestaltenden Macht als Mütter bewusst waren <strong>und</strong> sie für<br />

den Frieden <strong>und</strong> ihre Rechte einzusetzen versuchten, beweist die kurz vor Kriegsbeginn<br />

einsetzende „Gebärstreikdebatte“ 685 . Sie wurde ausgelöst durch die Eingabe eines Gesetzes in den<br />

Reichstag, welches vorsah, dem allgemeinen Geburtenrückgang mittels des generellen Verbotes<br />

Nationalsozialisten. Wegen eines 1935 gegen sie eingeleiteten Verfahrens <strong>und</strong> der Angst vor Folter beging<br />

Bollmann Suizid. Die Stadt Halberstadt verleiht heute an engagierte Sozialdemokratinnen den „Minna-Bollman-<br />

Preis“.<br />

682 Sozialdemokratische Frauenkonferenz für den Regierungsbezirk Magdeburg. In: GL, 20/ 03/ 08.11.1909/ 41.<br />

683 Körperliche Züchtigung war innerhalb der Proletarierfamilien nicht selten, wurde aber von den sozialistischen<br />

Pädagogen wie Otto Rühle oder Heinrich Schulz immer abgelehnt.<br />

684 Ebd.<br />

685 Die „Gleichheit“-Redaktion <strong>und</strong> Zietz waren gegen den Gebärstreik. Zum Gebärstreik erschien in den „Gleichheit“-Jahrgängen<br />

23 <strong>und</strong> 24 eine längere Artikelserie zum Geburtenrückgang in Berlin. Außerdem: x.:<br />

Sozialistische Frauenkonferenz für Groß-Berlin. In: GL, 24/ 05/ 26.11.1913/ 72-73 (Themen u. a. Gebärstreikdebatte,<br />

Jugendagitation; beteiligte Genossinnen u. a. Duncker, Wurm, Bohm-Schuch); Ein Gesetz gegen den<br />

Verkehr mit Mitteln zur Verhinderung von Geburten … In: GL, 24/ 12/ 04.03.1914/ 192 (GL lehnt zwar Gebärstreik<br />

ab, aber auch diesen gesetzlichen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte); Gebärzwang <strong>und</strong> Gebärstreik. I. In:<br />

GL, 24/ 14/ 01.04.1914/ 209-211; Gebärzwang <strong>und</strong> Gebärstreik. II. In: GL, 24/ 17/ 13.05.1914/ 257-259;<br />

Gebärzwang <strong>und</strong> Gebärstreik. III. In: GL, 24/ 19/ 10.06.1914/ 289-291. Zietz, Luise: Gegen den staatlichen<br />

Gebärzwang. In: GL, 24/ 15/ 15.04.1914/ 227-228 (Rede auf der Berliner Protestversammlung am 03.03.1914<br />

gegen das von den bürgerlichen Parteien geforderte gesetzliche Verbot des Verkaufs antikonzeptioneller Mittel);<br />

Zietz, Luise: Gegen den staatlichen Gebärzwang (Fortsetzung). In: GL, 24/ 16/ 29.04.1914/ 242-243. Zum Gebärstreik<br />

siehe: Haas, Gebärstreik im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert; Haas, Gebärstreik. Frauen gegen den staatlich verordneten<br />

Muttermythos; Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus.<br />

411


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

empfängnisverhütender Mittel entgegenzuwirken. 686 Aus einer bevölkerungspolitischen Debatte<br />

wurde eine Debatte über die Rechte der Frau auf eine freie Sexualität <strong>und</strong> die Rechte der Frau an<br />

ihrem eigenen Körper. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges kam noch zusätzlich der Aspekt hinzu,<br />

ob Sozialistinnen durch einen „Gebärstreik“ Einfluss auf den Krieg nehmen, ihn auf diese Weise<br />

gar beenden könnten. Dieser Aspekt wurde von Zetkin <strong>und</strong> anderen als zugleich dem Sozialismus<br />

<strong>und</strong> seiner Entfaltung schadend abgelehnt. In einem Unterkapitel mit dem bezeichnenden Titel<br />

„Die proletarische Gebärerin“ behauptet Puschnerat, Zetkin habe mittels einer<br />

sozialdarwinistisch-moralisierenden Argumentation die Arbeiterfrauen quasi unter einen „regel-<br />

rechten Gebärdruck“ 687 gesetzt. Sie habe Geburtenkontrolle <strong>und</strong> Abtreibung besonders für<br />

proletarische Frauen abgelehnt, weil dies in ihren Augen Ausdruck eines egoistischen Individua-<br />

lismus sei. 688 Jedoch geht Puschnerat dann doch nicht weiterführend darauf ein, dass Zetkin<br />

wiederum einer Resolution gegen den § 218 ihre Zustimmung gegeben hatte. 689 Zetkin war näm-<br />

lich durchaus nicht der Meinung, dass jeder Mutter eines Kind auch dessen adäquate Erziehung<br />

im Sinne des Sozialismus zuzutrauen bzw. zuzumuten sei:<br />

„Also die erste beste Gans – man verzeihe mir den Ausdruck – welche Mutter<br />

wird, erhält durch die bloße Geburt die magische Gabe, alle Aufgaben dieses<br />

schweren <strong>und</strong> folgereichen Berufs zu erledigen! Diese Auffassung ist ihren<br />

Ergebnissen nach geradezu verbrecherisch!“ 690<br />

Zetkin wollte vielmehr die Gesellschaft – <strong>und</strong> damit auch den Mann – in die erzieherische Verant-<br />

wortung nehmen <strong>und</strong> sah dies als indirekten Zusammenhang mit der besonderen Verantwortung<br />

der Mutter:<br />

„Wenn wir die öffentliche Erziehung brauchen, um Bürger zu erziehen, so bedürfen<br />

wir der häuslichen Erziehung, um starke Persönlichkeiten zu erziehen.“ 691<br />

Im Oktober 1914 veröffentlichte Zetkin einen Leitartikel mit dem Titel „Wir Mütter“ 692 . Bereits<br />

686 Vgl. Beavan/Faber, Wir wollen unser Teil fordern, S. 237.<br />

687 Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 145.<br />

688 Vgl. ebd., S. 143.<br />

689 Vgl. ebd., S. 140. Zetkins Haltung scheint hier keine gr<strong>und</strong>sätzliche gewesen zu sein. Ihre Argumentation, dass<br />

das Recht auf Abtreibung <strong>und</strong> Verhütung nicht die soziale Frage lösen können (vgl. ebd. S. 141) ist genauso<br />

zutreffend wie der Gedanke, dass gerade Müttern sehr kinderreicher Familien durch Geburtenplanung ein Stück<br />

Lebensqualität <strong>und</strong> eine bessere Chance zur politischen Teilhabe gegeben worden wäre.<br />

690 Zetkin, Die Arbeiterinnen- <strong>und</strong> Frauenfrage der Gegenwart, S. 32. Ähnliches formulierte Zetkin auch in ihrer<br />

Schrift „Der Student <strong>und</strong> das Weib“ (Zetkin, Der Student <strong>und</strong> das Weib, S. 25).<br />

691 Zetkin, Clara: Die „neue Familie“. (1906). Zit. nach: Hervé, Frauenbewegung <strong>und</strong> revolutionäre Arbeiterbewegung,<br />

S. 43. Puschnerat ist dagegen der Meinung, Zetkin habe die Erzieherinnenrolle für die proletarischen<br />

Mütter abgelehnt, weil diese selbst noch erzogen werden müssten (vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit<br />

<strong>und</strong> Marxismus, S. 137). M. E. kann von Ablehnung keine Rede sein, sondern lediglich von der Verdeutlichung<br />

der Notwendigkeit einer solchen Erziehung der Mütter.<br />

692 Wir Mütter. In: GL, 25/ 02/ 16.10.1914/ 9-10.<br />

412


4.2.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER SOZIALISTISCHEN MUTTER UND DER „MÜTTERLICHKEIT“<br />

die vielen weißen Zensurlücken weisen darauf hin, dass der Inhalt keine harmlosen Erziehungs-<br />

tipps betraf. Vielmehr hob Zetkin angesichts des „Ernst[es] dieser geschichtlichen St<strong>und</strong>e“ 693 die<br />

Bedeutung der Mütter, besonders der „Mütter des arbeitenden Volkes“ 694 , hervor. Zetkin wollte<br />

durch die Ansprache „Wir Mütter“ ihr Mitverstehen ausdrücken <strong>und</strong> den Identifikationsgrad<br />

erhöhen. Dies drückt sich auch darin aus, dass sie sowohl diejenigen Mütter ansprach, die sich<br />

„den Anforderungen einer auferzwungenen oder frei gewählten Berufstätigkeit beugen“ 695 müs-<br />

sen, als auch diejenigen, die „still <strong>und</strong> emsig am häuslichen Herde inmitten der Kinder schalten<br />

<strong>und</strong> walten“ 696 .<br />

Ihnen allen gemeinsam sei, dass sie als Mütter stets ihren Blick auf die Zukunft richteten <strong>und</strong><br />

diese Zukunft sich in ihren Kindern verkörpere. Wie Mütter „in dem jungen Leben den reifen<br />

Menschen von morgen […] hegen <strong>und</strong> […] pflegen“ 697 , so müssten sie<br />

„ebenso eifrig darauf bedacht sein, die gesellschaftliche Umwelt zu gestalten, die<br />

Verhältnisse zu beeinflussen, unter denen das Kind seine körperlichen <strong>und</strong> seelischen<br />

Kräfte entfaltet“ 698 .<br />

Zetkin sah darin eine Notwendigkeit, ja sogar eine Naturnotwendigkeit, denn „[w]ir Mütter<br />

können gar nicht anders, wir müssen Dienerinnen der Zukunft sein“ 699 . Der Krieg belastete jedoch<br />

diesen Dienst an der Zukunft. Das Kommen des Krieges 700 habe<br />

„die Erkenntnis getrübt für das, was die Völker einigt, wie für das, was innerhalb<br />

der einzelnen kapitalistischen Staaten die verschiedenen Gesellschaftsschichten<br />

trennt“ 701 .<br />

Zetkin wollte deshalb den Blick ihrer Leserinnen wieder auf die wesentlichen Konflikte des Klas-<br />

senkampfes lenken. Sie wollte sie aus ihrer nationalen Kriegsbegeisterung 702 reißen, die<br />

„noch wenigstens vorübergehend einen Teil der jahrzehntelangen Erziehungsarbeit<br />

ausgelöscht [hat], die die Mühseligen <strong>und</strong> Beladenen befähigen sollte, sicheren<br />

Schrittes ihren Weg nach dem Kanaan der sozialistischen Gesellschaftsordnung zu<br />

wandern.“ 703<br />

Die Enttäuschung über die verlorene Arbeit, über das augenscheinliche Zeugnis ihrer<br />

693 Ebd., S. 9.<br />

694 Ebd.<br />

695 Ebd.<br />

696 Ebd.<br />

697 Ebd.<br />

698 Ebd.<br />

699 Ebd.<br />

700 Das originale Bezugswort des Zitats stand im vorherigen Absatz, wurde aber zensiert.<br />

701 Ebd.<br />

702 Das originale Bezugswort des Zitats stand im vorherigen Absatz, wurde aber zensiert.<br />

703 Ebd. - ein Beispiel für Zetkins Anlehnungen an biblische Bilder.<br />

413


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Ungenügsamkeit ist unverkennbar. Und doch setzte sie noch immer großes Vertrauen in die sozia-<br />

listischen Frauen <strong>und</strong> besonders in die Mütter. Denn Frauen, so Zetkin, wären<br />

„nur Weibchen, keine Mütter, wollten […] [sie ihre] Aufgabe darin erschöpft<br />

sehen, daß […] [ihr] Leib die Gußform des Kindes ist“ 704 .<br />

Mütter waren für Zetkin weder „Gebärmaschinen“ 705 noch waren sie schwächliche Opfer der Um-<br />

stände:<br />

„Muttermacht geht über die Nücken <strong>und</strong> Tücken äußerer Gewalt, geht auch über<br />

Kriegsrecht. Muttermacht kann <strong>und</strong> darf nur eines vorbereiten: die künftigen Siege<br />

des Sozialismus. Ihnen leben wir, für sie erziehen wir die Kinder, wir Mütter.“ 706<br />

Zetkin blieb sehr abstrakt darin, worin sich diese gegen das Kriegsrecht angehende Muttermacht<br />

ausdrücken könne – im anderen Falle wäre ein solche Aussage jedoch sicherlich nicht unzensiert<br />

geblieben. 707<br />

Nach Ende des Krieges <strong>und</strong> vor dem Hintergr<strong>und</strong> der vielen Millionen Kriegsopfer wurde die be-<br />

völkerungspolitische Debatte wieder aufgenommen. Die „neue“ „Gleichheit“-Redaktion wollte in<br />

Kooperation mit bürgerlichen Frauenorganisationen <strong>und</strong> durch eine besondere Agitation unter den<br />

katholischen Arbeiterfrauen gegen die Illegalisierung von Verhütungsmitteln <strong>und</strong> Abtreibung pro-<br />

testieren. 708 Diesen Eingriff in die Selbstbestimmung der Frau, sah die „neue“ „Gleichheit“ in<br />

einer Linie mit dem immer noch ausstehenden Frauenwahlrecht. Hatten die Frauen im Krieg noch<br />

allen bewiesen, dass sie Verantwortung übernehmen konnten <strong>und</strong> „in erfreulichem Maße an<br />

Selbstgefühl <strong>und</strong> Persönlichkeitsbewußtsein gewonnen“ 709 , so sah manche Partei sie jedoch immer<br />

noch nicht reif genug für eine volle politische Gleichberechtigung.<br />

704 Ebd. S. 10.<br />

„Statt dessen will man euch auf kleinliche Weise zwingen, möglichst viel Kinder in<br />

die Welt zu setzen, man will euch selbst die ungefährlichsten Mittel nehmen, durch<br />

die ihr selber bestimmen könnt, wann <strong>und</strong> wie oft ihr Kinder gebären wollt. Ginge<br />

es nach dem Willen der Regierung <strong>und</strong> der bürgerlichen Parteien, so bliebe euch<br />

bei den ständigen Schwangerschaften <strong>und</strong> Wochenbetten keine Zeit mehr für die<br />

Beteiligung am Kulturleben, an der politischen Tätigkeit, an der Frauenbewegung.“<br />

710<br />

705 Vgl. dazu Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 140ff.<br />

706 Wir Mütter. In: GL, 25/ 02/ 16.10.1914/ 10.<br />

707 Zetkin suchte die Kriegsschuld im imperialistischen Machtstreben des Deutschen Reiches, doch noch unter ihrer<br />

Redaktion regten sich auch feministische Anklagen gegen eine Lust am Krieg der Männer (vgl. Eine Bek<strong>und</strong>ung<br />

der internationalen Solidarität <strong>und</strong> des Friedenswillens deutscher Frauenstimmrechtsorganisationen … In: GL, 25/<br />

11/ 19.02.1915/ 67-68).<br />

708 Gegen die bevölkerungspolitischen Ausnahmegesetze! In: GL, 18/ 26/ 27.09.1918/ 201.<br />

709 Ebd.<br />

710 Ebd.<br />

414


4.2.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER SOZIALISTISCHEN MUTTER UND DER „MÜTTERLICHKEIT“<br />

Hinsichtlich der prinzipiellen Ablehnung des § 218 <strong>und</strong> hinsichtlich der Vehemenz, mit welcher<br />

dieser Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Frau verurteilt wurde, waren sich SPD <strong>und</strong><br />

USPD ausnahmsweise einig. 711<br />

Mit Kriegsende erreichte in der „Gleichheit“ die bereits erwähnte „Pseudoreligiösität“ betreffs des<br />

„heilbringenden“ Charakters der „Mütterlichkeit“ eine neue Qualität. Nach den traumatisierenden<br />

Erlebnissen des Krieges setzte man nun umso größere Hoffnung in das mütterliche Wesen. Fürth<br />

war der Meinung, dass der „intellektuellen Manneskultur <strong>und</strong> der Gefahr, die darin für die<br />

Menschheitsentwicklung“ 712 lag, etwas entgegengesetzt werden müsste. Dies sei – noch stärker als<br />

zuvor – die Kulturaufgabe der Frau. Ihre Stärken lägen glücklicherweise nicht im intellektuellen<br />

Bereich, der in seiner Dominanz so verheerende Auswirkungen hatte, sondern „vorwiegend auf<br />

dem Gebiet des Fühlens, der Intuition im Schauen, Denken, Urteilen <strong>und</strong> Handeln“ 713 - in den<br />

psychischen Fähigkeiten also, die noch heute dem Weiblichen zugeschrieben werden.<br />

Fürth erwartete von der Frau nicht eine<br />

„quantitative Mehrung bereits vorhandener Kulturwerte […], sondern jenen<br />

qualitativen Kultureinsatz, den in dieser Form sie <strong>und</strong> nur sie zu geben vermag.<br />

Sie, deren intuitives Schauen <strong>und</strong> Gestalten aus dem Tiefsten quellend ins Tiefe<br />

trifft. Sie, deren verstehende Güte den abstrakten Gerechtigkeitsbegriff des Mannes<br />

in das Höhere, in Menschlichkeit wandelt. Und über alles das hinaus eines. Das<br />

Weib hat die unbestrittene Herrschaft im Reiche des Liebeslebens, das seine<br />

Gipfelung im Muttertum findet.“ 714<br />

Die Frau hat demzufolge als Mutter eine Machtposition inne, die Fürth nicht unterschätzt wissen<br />

wollte. Da ihrer Vorstellung nach eine Mutter diese Machtposition niemals zum Verderben einer<br />

Gesellschaft missbrauchen würde, konnte Fürth folgendes Bild mütterlicher Idylle zeichnen:<br />

„Unsere überintellektuelle Welt bedarf der Sonnenwärme der Mütterlichkeit. Hier<br />

liegt die Kulturaufgabe der Frau, <strong>und</strong> in diesem Zeichen wird sie siegen. Im<br />

Zeichen jener Mütterlichkeit, die aller Erkenntnisse <strong>und</strong> Reichtümer modernen<br />

Lebens voll ist <strong>und</strong> bereit, sie zum Besten aller auszunützen <strong>und</strong> dahinzugeben.“ 715<br />

Diese Art der Mütterlichkeit würde sich nicht nur zum repressiven Patriarchat, sondern auch zu<br />

dem „vegetativen Muttertum vergangener Zeiten, das Liebe hatte, aber kein Verstehen“ 716 , unter-<br />

scheiden.<br />

Mit der Annahme des Versailler Vertrages war es die Kulturmission des sozialdemokratischen,<br />

711 Vgl. „Unabhängiger“ Kampf gegen die Gesetzentwürfe. In: GL, 18/ 26/ 27.09.1918/ 201-202.<br />

712 Fürth, Henriette: Zum Wahlrecht der Frauen (Schluß.). In: GL, 29/ 08/ 17.01.1919/ 63.<br />

713 Ebd.<br />

714 Ebd.<br />

715 Ebd.<br />

716 Ebd.<br />

415


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

mütterlichen Wesens, die nächste Generation im Zeichen der Völkerversöhnung zu erziehen:<br />

„Sehet im Menschen den Menschen, auch wenn er nicht Eure Sprache spricht. Legt<br />

in die Seelen Eurer Kinder die Liebe zum Menschen <strong>und</strong> nähret nicht den Haß<br />

gegen andere Völker. Kurz, lernet sozialistisch fühlen, denken <strong>und</strong> handeln.“ 717<br />

Ottilie Kobacsobics (?-?) 718 sah hier demnach nur allein den Frauen die Fähigkeit gegeben, trotz<br />

der als Unrecht empf<strong>und</strong>enen Repressionen der Siegermächte ihre Kinder zu einer völker-<br />

versöhnenden Menschlichkeit zu erziehen. Und auch Kobacsobics stellte dieser Aufgabe wieder<br />

die gr<strong>und</strong>legende Bedingung voraus: „Wer aber erziehen will, der muß erzogen sein“ 719 .<br />

Die Bedeutung des Mutterseins <strong>und</strong> der Mütterlichkeit wurde z. B. in Form des Säuglingspflege-<br />

Unterrichts sogar in Mädchenabende <strong>und</strong> in die Schule hineingetragen. Dieses Vorgehen be-<br />

fürwortete auch Kurt Heilbut <strong>und</strong> sah darin eine gute Gelegenheit, um die Mädchen auf „die<br />

Mutterschaft als die eigentliche Erfüllung der Frau hinzuweisen“ 720 . Heilbuts Argumentation für<br />

einen allgemein größeren Einfluss von Müttern <strong>und</strong> Frauen war äußerst feministisch <strong>und</strong> von den<br />

Kriegsereignissen geprägt:<br />

„Groß ist die Schuld des Mannes gegenüber der Frau. Und diese Schuld ist ihm<br />

nicht vergeben worden. Bitter hat sich die jahrtausendelange Unterdrückung der<br />

Frau gerächt. Die ‘Reinhaltung’ unserer Politik von allem Weiblichen, allem<br />

Gefühlsmäßigem, das stete Betonen der ‘reinen Vernunft’, die, ach so oft, die reine<br />

Unvernunft war, sie haben uns dahin geführt, wo wir heute stehen: an den Rand<br />

eines Abgr<strong>und</strong>s.“ 721<br />

Heilbut hob damit vehementer als Fürth oder andere weibliche „Gleichheit“-Kolleginnen die<br />

Vorzüge vermeintlich weiblicher Charaktereigenschaften hervor. Er konstatierte den Gegensatz<br />

von weiblich <strong>und</strong> männlich, von Gefühl <strong>und</strong> Verstand, <strong>und</strong> schrieb allein der <strong>weiblichen</strong> Natur<br />

<strong>und</strong> Empfindsamkeit die Kraft zu, die durch den Krieg geschlagenen W<strong>und</strong>en zu heilen:<br />

„Zwar fehlt den meisten Frauen dieser Zeit die nötige Vorbildung, das angelernte<br />

Wissen. Dafür bringen sie viele gute Dinge mit, die der Mann meist nicht hat: ein<br />

angeborenes Gefühl für das Richtige, viel Frische <strong>und</strong> Natürlichkeit, viel Idealismus<br />

<strong>und</strong> guten Willen. Und dann etwas, das gar nicht hoch genug eingeschätzt<br />

werden kann: das Wohl, das Interesse der Frau deckt sich stets mit dem Wohl <strong>und</strong><br />

Interesse der Gesamtheit.“ 722<br />

Genauso wie für Fürth stand es auch für Heilbut außer Frage, dass eine Beteiligung der Frauen an<br />

Politik <strong>und</strong> Kultur der Allgemeinheit zuträglich sein würde – nicht aus einem emanzipatorischen<br />

717 Kobacsobics, Ottilie: Erziehung zum Sozialismus. In: GL, 30/ 03/ 17.01.1920/ 22.<br />

718 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu<br />

Ottilie Kobacsobics.<br />

719 Ebd.<br />

720 Heilbut, Kurt: Mädchenabende. In: GL, 30/ 08/ 21.02.1920/ 62.<br />

721 Heilbut, Kurt: Zur Wiederkehr des Revolutionstages. In: GL, 29/ 38/ 08.11.1919/ 303.<br />

722 Ebd.<br />

416


Prinzip heraus, sondern ihrer Wesensart gemäß:<br />

4.2.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER SOZIALISTISCHEN MUTTER UND DER „MÜTTERLICHKEIT“<br />

„Wie der Egoismus, die Selbstsucht des Mannes, den Fortschritt gehemmt <strong>und</strong><br />

verzögert hat, wird die Selbstsucht der Frau, die Selbstsucht der Mutter antreibend,<br />

beschleunigend auf die Entwicklung der Menschheit wirken.“ 723<br />

Jeder Frau sah Heilbut – der hier besonders harsche Kritik an seinen selbstsüchtigen Geschlechts-<br />

genossen übte – ein mütterliches Wesen gegeben, das in seinen Interessen zugleich die Interessen<br />

der Menschheit verfolgt. Heilbut sah diese Bedeutung des Mütterlichen, des Weiblichen nicht nur<br />

für eine kulturelle Erneuerung. Es sollte auch Gr<strong>und</strong>stein für einen neuen Staat sein.<br />

„Wie lange noch, dann wird nicht mehr der waffenstarrende, menschenmordende<br />

Krieger, sondern die liebeerfüllte, lebenzeugende Mutter das wichtigste Glied im<br />

Staat <strong>und</strong> menschlicher Gesellschaft sein.“ 724<br />

Diese Überhöhung der Frau <strong>und</strong> Mutter ebbte schließlich in den Artikeln Heilbuts ab. Der Mann<br />

wurde wieder zum Maßstab großer Leistungen. In einem späteren Artikel stellte Heilbut sich <strong>und</strong><br />

den „Gleichheit“-Leserinnen die Frage, ob nicht „der Mann die geniale Arbeite schaffe, <strong>und</strong> die<br />

Frau den genialen Menschen“ 725 . Seiner Meinung nach sei das eine Art der „‘Arbeitsteilung’, bei<br />

der die Frau keineswegs hinter dem Mann zurücksteh[e]“ 726 . Wie großartig hatte sich nicht die<br />

Frau im Ersten Weltkrieg bewährt? Ein Beweis dafür,<br />

„daß die Frau genau die gleiche Lern- <strong>und</strong> geistige Aufnahmefähigkeit besitzt wie<br />

der Mann, sobald ihr die gleichen Ausbildungsmöglichkeiten gegeben werden“ 727 .<br />

Und doch sprach sich Heilbut gegen eine entsprechende Agitation aus. Er war vielmehr der<br />

Meinung, man müsse mit dem<br />

„seitherigen Gr<strong>und</strong>satz brechen, die Frauen auf die gleiche Art wie den Mann für<br />

den Sozialismus gewinnen zu wollen. Es führen viele Wege zum Sozialismus. Und<br />

der Weg der Frau ist ein anderer als der des Mannes. Er muß notgedrungen ein<br />

anderer sein infolge ihrer anderen Veranlagung, Vorbildung <strong>und</strong> bisherigen Erziehung.<br />

Wenn auch nicht für alle, so doch für den größten Teil der Frauen führt<br />

der Weg zum Sozialismus, zum Gemeinschaftsleben über die Mutterschaft. Hier ist<br />

das Reich, wo die Frau Herrscherin ist. Ueber die Fragen der Mutterschaft <strong>und</strong> des<br />

Kindes führt die große Linie, auf der die Frau über die Interessen des einzelnen<br />

hinaus für die Gesamtheit zu bewegen <strong>und</strong> zu gewinnen ist.“ 728<br />

Der Frau wurde ein anderer Weg zugebilligt, aber das „Ergebnis“ sollte das Gleiche sein. Wenn<br />

kritisiert wird, dass die „Gleichheit“ die Frau in ihrer Rolle als Mutter zu funktionalisieren<br />

723 Ebd.<br />

724 Ebd.<br />

725 [Heilbut, Kurt] K.H.: Ist die Frau weniger begabt als der Mann? In: GL, 32/ 12/ 15.06.1922/ 115-117, S. 116.<br />

726 Ebd.<br />

727 Ebd.<br />

728 Ebd., S. 117.<br />

417


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

versuchte, ist dies nur teilweise richtig. Die „Gleichheit“ hätte niemals vollkommen ausblenden<br />

können, dass die Sozialisation der Frau auch an der Schwelle zum 20. Jahrh<strong>und</strong>ert besonders auf<br />

ihre Rolle als zukünftige Mutter abzielte 729 . Heilbuts obige Überlegung, dass Frauen über ihre<br />

Mutterschaft „bewegt <strong>und</strong> gewonnen“ werden können, war nicht von der Hand zu weisen.<br />

Außerdem eröffnete sich der proletarischen Frauenbewegung hier auch eine neue<br />

Bildungsstrategie, eine weitere Ebene der Ansprache, die Gefühl <strong>und</strong> Zweckdienlichkeit verband,<br />

um den Frauen durchaus auch den wissenschaftlichen Sozialismus näher zu bringen. Sollte sie<br />

diese einfach ungenutzt lassen? Auf diese Weise wäre sie den Interessen ihrer Anhängerinnen<br />

nicht vollständig gerecht geworden. Und so wurde die Frau einerseits erneut in ihren individuellen<br />

Interessen angesprochen, um sie für den Sozialismus zu gewinnen, andererseits verlangte man von<br />

ihr aber die Opferung dieses Egoismus im Interesse der proletarischen Klassengemeinschaft. Dies<br />

erforderte einerseits ein Erkennen der eigenen Lage <strong>und</strong> andererseits ein Verstehen der gesell-<br />

schaftlichen Zusammenhänge. Nun zielte aber der Aspekt der Mütterlichkeit nicht auf einen<br />

ausgesprochen kognitiven Prozess ab, sondern in erster Linie doch auf die Gefühlsebene der Frau.<br />

Friese entlarvt diese Taktik so:<br />

„Die Proletarierin wurde als Mutter angesprochen, wenn es sich um die Forderungen<br />

nach Verkürzung der Arbeitszeit handelte, als Mutter während der Friedensk<strong>und</strong>gebungen<br />

der Frauen im Ersten Weltkrieg. Nur als Mutter ihres Sohnes im<br />

Felde <strong>und</strong> als Ehefrau sollte sie ein Interesse an der baldigen Beendigung des<br />

Krieges haben. In ihrer Eigenschaft als ‘Mutter für viele’ arbeitete die Frau in der<br />

Kinderschutzkommission. Ihren Beitrag für die Zukunft leistete sie als Gebärerin<br />

des proletarischen Heldengeschlechts, als Bildnerin der Kinder im Geiste des<br />

Sozialismus, damit der Kampf des Proletariats siegreich zu Ende geführt werden<br />

konnte.“ 730<br />

Die Angst um ihre Kinder, der Stolz auf ihre „produktive“ Leistung, ihre zukunftsweisende,<br />

heilbringende, naturgegebene Macht – all das appellierte in erster Linie an ihre Gefühlswelt, erst<br />

in zweiter Linie an ihr übergeordnetes Verantwortungsbewusstsein. Ist dies schlicht als<br />

„Propagandamasche“ der Sozialistinnen zu beurteilen, ja vielleicht sogar zu verurteilen? Oder<br />

wird hier doch nur der Versuch unternommen, die Frauen über „generative“ 731 , erkenntnis-<br />

zeugende Themen zu existenzsichernder politischer Aktivität zu motivieren? Festzuhalten ist:<br />

Diese fließende Grenze zwischen Manipulation <strong>und</strong> Motivation ist bei der Beurteilung der schein-<br />

bar „banalen“ <strong>und</strong> „gefühlsduseligen“ Bildungsentwürfe der proletarischen Frauenbewegung stets<br />

729 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 248.<br />

730 Freier, Dimensionen <strong>weiblichen</strong> Erlebens <strong>und</strong> Handelns, S. 213.<br />

731 Der Begriff der „generativen Themen“ wurde von dem „Volkspädagogen“ Paulo Freire in seinem Werk<br />

„Pädagogik der Unterdrückten“ 1970 geprägt. Er besagt, dass „Themen im Menschen, in seinen Beziehungen mit<br />

der Welt, im Hinblick auf konkrete Tatsachen“ (Freire, Pädagogik der Unterdrückten, S. 89) existieren. Um die<br />

Menschen zu verstehen, muss man ihre Themen verstehen.<br />

418


im Auge zu behalten.<br />

4.2.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER SOZIALISTISCHEN MUTTER UND DER „MÜTTERLICHKEIT“<br />

Vernachlässigt man die pseudoreligiösen Floskeln, die das in der „Gleichheit“ dargestellte Mutter-<br />

bild prägten, so bleibt – in Anbetracht der proletarischen Familienverhältnisse – die angestrebte<br />

Entwicklung <strong>und</strong> „Betonung der politischen Bedeutung einer richtig verstandenen Mutter-<br />

schaft“ 732 .<br />

„Richtig“ verstanden wurde Mutterschaft im Sinne des Sozialismus wohl dann, wenn eine sozia-<br />

listische Mutter, ausgestattet mit pädagogischen <strong>und</strong> psychologischen Kenntnissen, sozialistische<br />

Kinder erzog. Die Möglichkeiten, dies angesichts des Proletarierinnenalltags umzusetzen, waren<br />

jedoch begrenzt.<br />

Einige der hier bereits als weibliche Vollmenschen charakterisierten Frauen waren Mütter <strong>und</strong><br />

hatten zum Teil eigene Vorstellungen von der Bedeutung der Mutterrolle. Oft hatte die Mutterrolle<br />

einen ganz besonderen Einfluss auf ihre „Menschwerdung“, auf die Vervollständigung ihrer Per-<br />

sönlichkeit <strong>und</strong> es erging ihnen wie Karoline von Humboldt (1766-1829):<br />

„Alles noch Unausgeglichene, Suchende, Schwärmende ihres Wesens [wurde]<br />

durch die Mutterschaft zur höchsten Harmonie.“ 733<br />

Mit der Mutterschaft konnte sich also ein Persönlichkeitswandel vollziehen. Blos steigert die<br />

mitschwingende Wertschätzung noch, indem sie herausstellte, dass Humboldt ihre Kinder selbst<br />

gestillt habe <strong>und</strong> „dadurch vom ersten Tage an das festeste innigste Band her[stellte], das Mutter<br />

<strong>und</strong> Kind vereinen kann“ 734 . Zetkin war es ebenfalls wichtig, in ihrer Skizze zum Leben Jeanne-<br />

Marie Rolands (1754-1793) zu erwähnen, dass sie ihre Tochter selbst genährt habe. 735 Eine<br />

„vorzügliche Mutter“ 736 war auch Karoline Schlegel-Schelling, deren „Hauptinteresse […] der<br />

Erziehung ihrer Kinder“ 737 galt, Blos hob in ihrem Fall besonders hervor, dass<br />

„[i]m Gegensatz zu so vielen Eltern, die die Erziehung als eine Art Abrichtung<br />

nach ihrem Willen betrachteten, […] Karoline die Aufgaben der Erziehung in weit<br />

höherem Sinne auf[gefasst]“ 738<br />

732 Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung <strong>und</strong> Neuer Weiblichkeit, S. 142. Wobbe sieht im<br />

mütterlichen Konzept der bürgerlichen Frauenbewegung, das sich lediglich durch den fehlenden sozialistischen<br />

Aspekt von dem der proletarischen unterschied, sehr wohl eine rationale Überlegung: „die Überwindung des politischen<br />

Ausschlusses“ <strong>und</strong> stärker noch die „Ausweitung des sozialen Einflusses“ (Wobbe, Die Frauenbewegung<br />

ist keine Parteiensache, S. 54).<br />

733 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts [VIII]: Karoline v. Humboldt, geb. v. Dachröden. In: GL, 31/ 12/<br />

15.06.1921/ 117.<br />

734 Ebd.<br />

735 Vgl. Madame Roland. (Fortsetzung statt Schluß.). In: GL, 04/ 02/ 24.01.1894/ 11.<br />

736 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts V: Karoline. In: GL, 30/ 28/ 10.07.1920/ 228.<br />

737 Ebd., S. 229.<br />

738 Ebd.<br />

419


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

habe. Ähnlich sah es Malvida von Meysenbug, die zwar nicht selbst Mutterschaft erfahren, aber in<br />

ihrer Rolle als Erzieherin Mutterpflichten wahrgenommen hatte. Zukünftige Mütter hatten ihrer<br />

Meinung nach geistige Fähigkeiten zu entwickeln,<br />

„durch die sie nicht nur die liebenden Mütter, sondern auch die wahren<br />

Erzieherinnen <strong>und</strong> Bildnerinnen der Jugend werden könnten“ 739 .<br />

Wahre Mutterschaft durfte sich also ihrer Meinung nach nicht nur auf das Versorgen der Kinder<br />

beschränken, die Frauen mussten<br />

„als bewußte freie Wesen im Verein mit dem Manne an der Vervollkommnung des<br />

Lebens in der Familie, in der Gesellschaft, dem Staate, den Wissenschaften <strong>und</strong><br />

Künsten, kurz, an der Verwirklichung der Ideale im Leben der Menschheit […]<br />

arbeiten“ 740 .<br />

Diese Zusammenarbeit war gr<strong>und</strong>sätzlich nur möglich, wenn die Gleichberechtigung der Frau<br />

durchgesetzt würde <strong>und</strong> diese „aufhöre, ein Götzenbild, eine Puppe oder eine Sklavin zu sein“ 741 –<br />

ein deutliches Plädoyer für den „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“.<br />

Ihre Forderungen zur Gleichberechtigung der Frau wollte auch Beatrice Webb (1858-1943) nicht<br />

missverstanden wissen. Sie wollte, dass die Frau<br />

„weiblich, mütterlich bleibe, für ihre Kinder, für ihren Gatten, für ihre Geschwister<br />

<strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e, <strong>und</strong> für alle Mitmenschen. Die physische <strong>und</strong> geistige Mütterlichkeit<br />

scheint mir die außerordentlichste Thätigkeit, zu der die Frau berufen ist.“ 742<br />

Das „Prinzip der Mütterlichkeit“, wie es über „Muttersein“ weit hinausging <strong>und</strong> sich auf die ge-<br />

samte Gesellschaft erstrecken sollte, hatte demnach auch solche Sozialistinnen überzeugt, die der<br />

„Gleichheit“ vor allem wegen ihres besonderen Intellekts Vorbild waren.<br />

Gebildete, politisch aufgeklärte Mütter, die ebensolche Kinder erziehen, fasste Zetkin in fol-<br />

gendes, der antiken Mythologie entlehntes Bild:<br />

„Die Pfade frei, auf denen das weibliche Geschlecht zu den Bildungsquellen<br />

wandern kann! Die Frau will ihr Vollmenschentum erringen, denn sie will als<br />

Mutter vom prometheus’schem Geist erfüllt, stolz der Welt entgegenschleudern<br />

können: ‘Hier sitze ich <strong>und</strong> forme Menschen nach meinem Bilde, ein Geschlecht,<br />

das mir gleich sei.’“ 743<br />

Mutterschaft birgt den Widerspruch einerseits eine Position der Stärke <strong>und</strong> Macht zu vermitteln –<br />

wie hier in der Rolle der Schöpferin – , aber andererseits eine gesellschaftliche Fessel zu sein.<br />

Letzteres sowohl dadurch, dass Mutterschaft verschiedene Einschränkungen mit sich bringt als<br />

auch dadurch, dass die Rollenerwartungen an eine „gute“ Mutter sowohl für innere als auch<br />

739 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von Meysenbug. In: GL, 29/ 42/ 06.12.1919/ 331.<br />

740 Ebd., S. 332.<br />

741 Ebd., S. 331.<br />

742 Beatrice Webb. (Schluß.). In: GL, 07/ 15/ 21.07.1897/ 118.<br />

743 Zetkin, Der Student <strong>und</strong> das Weib, S. 25.<br />

420


4.2.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER SOZIALISTISCHEN MUTTER UND DER „MÜTTERLICHKEIT“<br />

äußere Konflikte sorgt. Gomard stellt fest, dass diese Konflikte in den biographischen<br />

Darstellungen der „Gleichheit“ ignoriert worden seien. Es gebe nur zwei Fälle, in denen die<br />

Mutterrolle von den biographierten Frauen nicht auf das Beste ausgefüllt wurde. Allgemein, so<br />

Gomard weiter, würden die „Gleichheit“-Biographien die Mutterrolle stets als „konfliktfrei“ 744<br />

beschreiben. Die „Gleichheit“ beschrieb zwar Frauen, die ihrem politischen Engagement eine<br />

eindeutig größere Bedeutung beimaßen als ihrer Rolle als Mutter. 745 Aber die meisten ihrer Vor-<br />

bilder waren auch vorbildliche Mütter. Sie hätte sich selbst einen Bärendienst erwiesen, hätte sie<br />

ihren Leserinnen vermeintliche „Rabenmütter“ als Vorbild präsentiert. Indem die „Gleichheit“ das<br />

gesellschaftliche Gefüge für viele der Probleme einer Mutter <strong>und</strong> ihrer Familie verantwortlich<br />

machte, waren ihre Interpretationen der Mutterrolle aber auch alles andere als „konfliktfrei“ – der<br />

Konflikt zeigte sich nur auf einer anderen Ebene. Frauen, die jenem Ideal entsprachen, Mutter <strong>und</strong><br />

Klassenkämpferin zu sein, wurden dem Leitbild der „Klassenkämpferin“ zugeordnet.<br />

Die drei Mütter, die im folgenden Kapitel porträtiert werden, waren keine sozialistischen Mütter<br />

<strong>und</strong> mussten jenen Konflikt zwischen Mutterschaft <strong>und</strong> politischen Engagement nicht<br />

thematisieren, da sie entweder nicht politisch aktiv waren oder über entsprechende<br />

Rahmenbedingungen verfügten. Ihre Mutterrolle war weniger ein Faktor der <strong>weiblichen</strong><br />

Persönlichkeitsentwicklung, sondern erscheint für sich allein genommen als eine Form politischen<br />

Engagements, denn die Mütter hatten eine wesentliche Bedeutung für die geniale Entwicklung<br />

ihrer Kinder. Die Geschichte, die „Lehrmeisterin des Lebens“, ist im Falle der folgenden drei<br />

biographischen Skizzen Zeugin von „Erziehungsergebnissen“ geworden, denn sie präsentieren<br />

den Leserinnen die Mütter berühmter Männer. Die Kinder – in den vorliegenden Fällen<br />

ausnahmslos Söhne – mussten jedoch erst erwachsen werden <strong>und</strong> eine hervorragende Wesensart<br />

entwickeln, um das Verdienst ihrer Mütter zu „beweisen“.<br />

744 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 35. Gomard nennt Katharina Breschko-<br />

Breschkowskaja <strong>und</strong> Minna Kautsky.<br />

745 Zusätzlich zu den von Gomard genannten Frauen (siehe obige Fußnote) kann hier noch Anita Garibaldi angeführt<br />

werden, die ihre Kinder der Schwiegermutter anvertraute, um an der Seite ihres Ehemannes für die Freiheit zu<br />

kämpfen (vgl. Blos, Anna: Anita Garibaldi. (Schluß.). In: GL, 17/ 14/ 08.07.1907/ 117).<br />

421


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

4.2.2 Die erzogene Erzieherin<br />

In ihrer unnachahmlichen Art ironisiert Zetkin in der Einleitung ihres Artikels die<br />

gesellschaftlichen Anforderungen, die an die Frau gestellt würden:<br />

„Die Frau muß einfachen, kindlichen Geistes sein, sie darf sich nicht um öffentliche<br />

Angelegenheiten bekümmern, die ††† Politik zumal muß ihr ein Rührmichnichtan<br />

bleiben, sie soll sich mit ihrem Interesse nicht außerhalb der Häuslichkeit<br />

<strong>und</strong> des fraubasigen Kirchthurmsgeklatsch wagen, ihr Denken muß in einem Kochtopf<br />

<strong>und</strong> in einem Fingerhut Platz finden, denn sie hat zunächst den Pflichten ihres<br />

‘Naturberufs’ als Mutter nachzukommen.“ 746<br />

Soweit, so Zetkin, der „landläufige Köhlerglaube“ 747 über die Bestimmung der Frau <strong>und</strong> das<br />

Vorurteil, eine gute Mutter könne sich nicht um ihre Kinder kümmern <strong>und</strong> gleichzeitig politisch<br />

interessiert sein. Zetkin setzt argumentativ sehr schlüssig dagegen, dass eine Frau, die sich nicht<br />

mit Politik, nicht mit Dingen des allgemeinen Interesses beschäftigen dürfe, dies im Rahmen ihres<br />

vermeintlichen „Naturberufes“ auch nicht ihren Kindern näherbringen könne. Sie stellt den<br />

„Gleichheit“-Leserinnen schließlich die rhetorische Frage:<br />

„Kann die Unvernunft die Vernunft entwickeln, die Bornirtheit zur Weite des<br />

Blickes, die Engherzigkeit zur Größe der Gesinnung erziehen?“ 748<br />

Wie wichtig das eigene geistige Sein – wie es bereits an dem Leitbild des „<strong>weiblichen</strong> Voll-<br />

menschen“ entwickelt wurde – für die Erziehung von Kindern ist, dafür sei die antike Römerin<br />

Cornelia (um 190 v.u.Z.- um 100 v.u.Z.) ein besonderes Beispiel. Zwar sei Cornelia, so der ver-<br />

mutlich von Zetkin verfasste Artikel, vor allem anderen ein „Muster häuslichen Sinns <strong>und</strong><br />

mütterlicher Pflichttreue“ 749 gewesen, jedoch könne man sie deshalb nicht als „simples Nichts-als-<br />

Hausmütterchen“ 750 charakterisieren. Sie habe als Mutter „Höchstes leisten“ 751 können, gerade<br />

weil sie über einen „hochgebildeten Geist“ 752 verfügte <strong>und</strong> stets über wissenschaftliche wie auch<br />

„Zeit- <strong>und</strong> Streitfragen“ 753 informiert war <strong>und</strong> Anteil daran nahm.<br />

Als Tochter des Scipio Africanus, eines gefeierten <strong>und</strong> verehrten Heerführers <strong>und</strong> Bezwinger<br />

746 Cornelia, die Mutter der Gracchen. In: GL, 03/ 04/ 22.02.1893/ 31.<br />

747 Ebd. VertreterInnen dieses „Köhlerglaubens“ bemühten sich, so Zetkin, um eine wissenschaftliche F<strong>und</strong>ierung,<br />

indem sie auf den Philosophen Arthur Schopenhauer verwiesen. Nach Meinung Zetkins allerdings war Schopenhauer<br />

„sicher mindestens ein ebenso großer Spießer als großer Philosoph“ (ebd.) <strong>und</strong> es würde nicht richtiger, was<br />

er sagte, wenn es nur mehr Menschen kritiklos „nachschwätzt[en]“ (ebd.).<br />

748 Ebd.<br />

749 Ebd.<br />

750 Ebd.<br />

751 Ebd.<br />

752 Ebd.<br />

753 Ebd.<br />

422


4.2.2 DIE ERZOGENE ERZIEHERIN<br />

Hannibals, habe sie schon früh ein „schwungvolles Gemüth <strong>und</strong> einen edlen Stolz“ 754 gezeigt.<br />

Dieser habe dazu geführt, dass sie sich, für damalige Bräuche, recht spät verheiratete. Kein<br />

Verehrer sei ihr genehm gewesen bis sie sich schließlich für Tiberius Sempronius Gracchus<br />

entschied – einen für seine Bildung, seine diplomatischen <strong>und</strong> militärischen Fähigkeiten <strong>und</strong> seine<br />

Ehrlichkeit angesehenen Mann. Es sei eine glückliche Ehe gewesen, weil sie, so Zetkin, „auf die<br />

gegenseitige Achtung der Gatten gründete“ 755 . Jedoch starb Gracchus sehr früh <strong>und</strong> Cornelia<br />

musste fortan allein die Verantwortung für die Erziehung zweier Söhne <strong>und</strong> einer Tochter tragen.<br />

Sie habe dabei besonders auf die gleichwertige Schulung von „Geist, Gemüth <strong>und</strong> Charakter“ 756<br />

der Kinder geachtet <strong>und</strong><br />

„ihre Lebensaufgabe darin [erblickt], ihre Söhne zu Männern zu machen, denen<br />

das Wohl der Allgemeinheit das höchste Gesetz sei“ 757 .<br />

Eine Lebensaufgabe, die sie nur erfüllen konnte, da sie selbst im „Vollbesitz der damals höchsten<br />

Bildung“ 758 [Hervorhebung von M.S.] war. Ihre Kenntnisse <strong>und</strong> Fähigkeiten in Griechisch, Latein,<br />

Literatur <strong>und</strong> Kulturgeschichte gab sie durch entsprechenden Unterricht an ihre Kinder weiter.<br />

Weit größeren Einfluss auf die Erziehung ihrer Kinder habe jedoch „ihr Beispiel“ 759 gehabt.<br />

Cornelias „strenge[r] Gerechtigkeitssinn“ 760 , die „warme Menschenliebe“ 761 , das „selbstlose<br />

Interesse für die Allgemeinheit“ 762 seien zu einem „Ideal sozialer Gerechtigkeit“ 763 verschmolzen,<br />

dem schließlich auch ihre Kinder nachstrebten.<br />

Eine neuerliche Heirat lehnte Cornelia ab, um sich ganz der Erziehung ihrer Kinder widmen zu<br />

können. Außerdem nutzte sie ihre so gewahrte Freiheit, um aus ihrem Haus einen Treffpunkt für<br />

andere, meist alleinstehende Frauen zu machen – ähnlich der Art „Salon“, wie er im 18. <strong>und</strong><br />

19. Jahrh<strong>und</strong>ert existierte <strong>und</strong> meist von gebildeten Frauen inspiriert <strong>und</strong> organisiert wurde.<br />

Cornelias Erziehung machte aus ihrer Tochter Sempronia eine „unerschrockene, selbständige<br />

Frau“ 764 . Mit ihrer Wahl des angesehenen Heerführers Scipio Aemilianus zum Ehemann war<br />

Cornelia sehr zufrieden. Die Erfolge ihres Schwiegersohns waren ihr jedoch nicht so wichtig wie<br />

754 Ebd.<br />

755 Ebd.<br />

756 Ebd.<br />

757 Ebd.<br />

758 Ebd.<br />

759 Ebd.<br />

760 Ebd.<br />

761 Ebd.<br />

762 Ebd.<br />

763 Ebd.<br />

764 Ebd.<br />

423


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

die ihrer Söhne. Deshalb soll sie gesagt haben:<br />

„Wann werde ich vom Volk nicht nur genannt werden als die Schwiegermutter des<br />

Scipio […], sondern als die Mutter der Gracchen?“ 765<br />

Hohe Erwartungen setzte sie demnach in die noch zu vollbringenden Taten ihrer beiden Söhne.<br />

Taten, die ihren Ruhm als Mutter <strong>und</strong> Erzieherin begründen sollten.<br />

Das Leben in der römischen Republik gestaltete sich zunehmend schwieriger. Der Gegensatz<br />

zwischen Reich <strong>und</strong> Arm verschärfte sich. Neben einer exzessiven Verschwendungssucht<br />

existierte eine große Armut, <strong>und</strong> es war absehbar, dass der soziale Frieden bald nicht mehr mit<br />

einzelnen notlindernden Kornverteilungen oder anderen „Palliativmitteln“ 766 zu gewährleisten sein<br />

würde.<br />

Die Darstellung der gesellschaftlichen Situation im antiken Rom nutzte Zetkin nun für eine<br />

Stellungnahme aus der Perspektive der materialistischen Geschichtsauffassung. Sie war der<br />

Auffassung, dass soziale Ungleichheit auch damals nur hätte beseitigt werden können<br />

„durch eine revolutionäre, gerechte Umgestaltung der Eigenthumsverhältnisse <strong>und</strong><br />

durch Verleihung des vollen römischen Bürgerrechts an alle italischen Völkerschaften,<br />

welche ein Gegengewicht gegen den käuflichen Anhang der Geschlechter<br />

gebildet hätten“ 767 .<br />

Eigentum, Cliquenwirtschaft <strong>und</strong> Korruption waren in der römischen Republik demnach gr<strong>und</strong>-<br />

legende Probleme <strong>und</strong> auch damals schon, so Zetkin, blieb „[d]ie Ursache […] aller sozialen<br />

Schäden – die Ungleichheit des Besitzes – […] unangetastet“ 768 .<br />

Cornelias Söhne Tiberius <strong>und</strong> Gajus fassten – den Gerechtigkeitssinn ihrer Mutter ehrend – den<br />

Plan, mit entsprechenden Gesetzeseingaben mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Sowohl ein<br />

Gesetz über die Verteilung der Staatsländereien als auch ein weiteres für die Gewährung des<br />

römischen Bürgerrechts an die italischen B<strong>und</strong>esgenossen sollten dies leisten. Jedoch machten sie<br />

sich mit diesen Gesetzesentwürfen so manchen reichen Bürger zum Feind: Tiberius wurde<br />

ermordet <strong>und</strong> Gajus einige Jahre später im Straßenkampf getötet. In der Öffentlichkeit sei, so<br />

Zetkin,<br />

„[d]as lautere, aufopfernde Wirken der Gracchen für die Masse […] als Volksaufhetzung,<br />

Volksverführung, als Ausfluß schlimmsten Ehrgeizes, eitler Ruhmsucht<br />

verketzert“ 769<br />

worden. Auch Cornelias Schwiegersohn Scipio Aemilianus sah die Ermordung seines Schwagers<br />

765 Ebd.<br />

766 Ebd., S. 32. Dies ist nur ein Beispiel von vielen dafür, welche Fremdwortkenntnisse Zetkin manchmal ihren<br />

Leserinnen scheinbar unbedacht abverlangte.<br />

767 Ebd.<br />

768 Ebd.<br />

769 Ebd.<br />

424


4.2.2 DIE ERZOGENE ERZIEHERIN<br />

Tiberius als gerechtfertigt an <strong>und</strong> versuchte alles, um das volksfre<strong>und</strong>liche Ackergesetz wieder<br />

aufheben zu lassen. Jedoch fand man ihn am Morgen des Tages, an dem die Entscheidung darüber<br />

fallen sollte, tot auf seinem Bett liegend. Hauptverdächtige war seine Schwiegermutter Cornelia,<br />

doch das Volk forderte die Einstellung aller Nachforschungen, die der hochverehrten Frau schaden<br />

könnten. Wenn wirklich Cornelia den Tod ihres Schwiegersohnes herbeigeführt habe, so habe ihre<br />

Tat nicht nur dem Feind ihres Sohnes, sondern auch dem Feind der Sache des Volkes gegolten 770 –<br />

<strong>und</strong> war damit nach Meinung Zetkins gerechtfertigt.<br />

Groß war der persönliche Schmerz einer Mutter über den Tod ihrer Söhne, ihrer „zärtlich<br />

geliebten <strong>und</strong> liebenden genialen Kinder“ 771 . Groß war aber auch der Schmerz einer<br />

„leidenschaftliche[n] Parteigängerin der Sache des Volkes, der sie mit ganzer Seele anhing“ 772 . Mit<br />

ihren Söhnen, die dieselben Ideale teilten <strong>und</strong> „in selbstlosem Ringen für Volksglück“ 773 gewirkt<br />

hatten, „sank die Hoffnung <strong>und</strong> das Werk ihres ganzen Lebens ins Grab“ 774 . Cornelias Schmerz<br />

habe in gleicher Weise dem Tod ihrer Söhne gegolten als auch dem „Scheitern der Bestrebungen<br />

für eine ges<strong>und</strong>e Wiedergeburt des römischen Staatslebens“ 775 . Ihr persönliches Schicksal ließ<br />

Cornelia die Bedeutung, die die Geschehnisse für das Volk haben würde, nicht vergessen.<br />

Die Mutter der Gracchen zog sich auf ein Landgut bei Misenum zurück, wo sie gastfre<strong>und</strong>lich<br />

Gelehrte <strong>und</strong> Dichter empfing. Ihr zu Ehren wurde eine Bildsäule errichtet, auf der auf ihren<br />

Wunsche hin jedoch nur zu lesen war „Cornelia, die Mutter der Gracchen“. Nicht als Frau, nicht<br />

als Römerin, sondern, so Zetkin, „als Mutter ihrer Söhne wollte sie in der Geschichte fort-<br />

leben“ 776 .<br />

Zetkin resümierte schließlich die besonderen Charaktereigenschaften <strong>und</strong> das Wirken Cornelias.<br />

Sie habe allen Gr<strong>und</strong> gehabt, stolz auf das zu sein, „was sie aus ihren Kindern gemacht“ 777 hatte,<br />

„was sie ihnen gewesen“ 778 sei. Sie sei<br />

770 Vgl. ebd.<br />

771 Ebd.<br />

772 Ebd.<br />

773 Ebd.<br />

774 Ebd.<br />

775 Ebd.<br />

776 Ebd.<br />

777 Ebd.<br />

778 Ebd.<br />

„ein leuchtendes Beispiel, was eine Frau als Mutter zu leisten vermag, wenn sie<br />

selbst eine voll- <strong>und</strong> allseitig entwickelte Individualität ist, wenn sie hohen Geistes<br />

<strong>und</strong> großen Herzens dem Leben ihrer Zeit Verständniß entgegenbringt <strong>und</strong> sich mit<br />

425


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

ihrem Interesse nicht auf den engen Kreis der Häuslichkeit beschränkt“ 779 .<br />

Für Zetkin war es nur ein logischer Rückschluss, dass wenn<br />

„wir Gracchen haben [wollen], ein heranwachsendes Geschlecht, das seine Zeit<br />

<strong>und</strong> ihre Aufgaben begreift, so müssen wir uns angelegen sein lassen, Frauen zu<br />

erziehen, welche der Cornelia gleichen“ 780 .<br />

Für die Erziehung der Jugend, einer sozialistischen Jugend, die einer sozialistischen Zukunft<br />

entgegenstrebt, die bereit ist, diese Zukunft auch zu erkämpfen – für die Erziehung einer solchen<br />

Jugend war die Erziehung einer besonderen Müttergeneration notwendig. Nur „[a]ufgeklärte, frei-<br />

denkende, edel empfindende, energisch handelnde Frauen, welche die Gegenwart wohl erfassen“<br />

781 , konnten eine solche Entwicklung der Jugend, konnten den Sozialismus gewährleisten. Mutter-<br />

leitbilder, wie das Cornelias, waren für die politische <strong>und</strong> charakterliche Bildung proletarischer<br />

Frauen unabdingbar.<br />

Welch enge Bindung zwischen Mutter <strong>und</strong> Kind nicht nur hinsichtlich einer liebenden Beziehung,<br />

sondern auch der Entwicklung beider Persönlichkeiten besteht, belegt auch das Beispiel von<br />

Katharina Elisabeth Goethe (1731-1808) <strong>und</strong> ihrem Sohn Johann Wolfgang. Wittich setzte in<br />

seiner Artikelserie „dieser herrlichen Frau, die uns unseren größten Dichter geschenkt“ 782 hat, ein<br />

Denkmal <strong>und</strong> hob ihren Einfluss auf das Genie ihres Sohnes hervor. Es sei das Naturell der<br />

Mutter, dem der Sohn „so viele Eigenschaften verdank[e], auf denen seine menschliche <strong>und</strong><br />

künstlerische Größe beruht“ 783 .<br />

Goethe – im Folgenden ist damit stets die Mutter gemeint – beschrieb in einem Brief ihr Äußeres<br />

selbst als „‘ziemlich groß <strong>und</strong> ziemlich korpulent’“ 784 , hatte braune Augen <strong>und</strong> braunes Haar. Die<br />

eindeutige Ähnlichkeit, die viele ihrer Fre<strong>und</strong>Innen zwischen ihr <strong>und</strong> ihrem berühmten Sohn<br />

feststellten, sah sie selbst nicht gegeben. Als ihre wichtigsten Charaktereigenschaften definierte<br />

sie „‘Ordnung <strong>und</strong> Ruhe’“ 785 – zwei Tugenden, die in Deutschland schon immer sehr wichtig<br />

waren.<br />

Katharina Elisabeth Goethe war die älteste Tochter des kaiserlichen Rathes <strong>und</strong> Stadtschultheißen<br />

von Frankfurt am Main Johann Wolfgang Textor. Ihre Eltern erzogen sie <strong>und</strong> ihre Geschwister, so<br />

779 Ebd.<br />

780 Ebd.<br />

781 Ebd.<br />

782 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. In: GL, 12/ 06/ 12.03.1902/ 44.<br />

783 Ebd.<br />

784 Katharina Elisabeth Goethe zit. nach: Ebd. Wittich scheint diese Zitate dem in der Reclamschen Sammlung<br />

erschienenen Werk „Briefe von Goethes Mutter“ (ca. 1920) entnommen zu haben.<br />

785 Ebd.<br />

426


4.2.2 DIE ERZOGENE ERZIEHERIN<br />

Wittich, „natürlich <strong>und</strong> schlicht“ 786 . „[K]einerlei Pedanterie“ 787 habe die „angeborenen Anlagen<br />

des Mädchens, Heiterkeit, Witz <strong>und</strong> Lebendigkeit des Geistes […] verkümmer[n]“ 788 lassen <strong>und</strong><br />

Goethe genoss viele Freiheiten. Nicht nur, dass sie Lesen <strong>und</strong> Schreiben lernte, sie durfte laut<br />

eigenen Angaben auch Umgang „‘mit Kindern von geringem Stande’“ 789 haben. Im Gegensatz zu<br />

ihren Altersgenossinnen habe sie „‘wild sein’“ 790 dürfen <strong>und</strong> doch sei ihre Jugend außerdem von<br />

einer, so Wittich, „schlichte[n], tiefwurzelnden, aber keineswegs kopfhängerische[n] oder mucke-<br />

rische[n] Hausfrömmigkeit“ 791 geprägt gewesen.<br />

Rückblickend kam Goethe zu der Erkenntnis, dass die besten Menschen, die sie kennengelernt<br />

hatte, „‘eben die [gewesen seien], auf deren Erziehung man am wenigsten gewendet hatte’“ 792 .<br />

Man sollte jetzt aber nicht den Trugschluss ziehen, dass Goethe nichts von einer allgemeinen<br />

Mädchenbildung gehalten habe – ganz im Gegenteil. Was sie in dieser Richtung ablehnte, war<br />

jedoch die Erziehung der Mädchen höherer Stände zu einem prätentiösen Verhalten. Laut Wittich<br />

trat darin ihre Bevorzugung der „schlichten Natürlichkeit“ 793 zutage <strong>und</strong> auch ihr genialer Sohn<br />

habe nichts von einem „Formalismus <strong>und</strong> gezierten gekünstelten Wesen“ 794 gehalten.<br />

1748 heiratete sie den 17 Jahre älteren kaiserlichen Rath <strong>und</strong> Doktor beider Rechte Johann Kaspar<br />

Goethe. Dieser war laut Wittich „im Charakter <strong>und</strong> Temperament wesentlich anders geartet, als<br />

sein junges Weibchen“ 795 – eine übrigens bemerkenswerte Wortwahl innerhalb eines Artikels der<br />

„Gleichheit“. Goethes Ehemann stammte aus sehr einfachen Verhältnissen. Der von ihm<br />

schließlich vollbrachte gesellschaftliche Aufstieg habe in einem besonders „starken Bürgerstolz<br />

<strong>und</strong> Bürgertrotz“ 796 gewurzelt. Außerdem habe er einen „tüchtige[n] Kern in seiner rauhen<br />

Schale“ 797 besessen. Wenn es auch keine Liebesheirat war, so habe Katharina Elisabeth Goethe<br />

ihrem Ehemann gegenüber stets „Achtung <strong>und</strong> treue Ergebenheit [bewiesen], indem sie ihn nahm<br />

786 Ebd.<br />

787 Ebd.<br />

788 Ebd.<br />

789 Katharina Elisabeth Goethe zit. nach: Ebd.<br />

790 Katharina Elisabeth Goethe zit. nach: Ebd.<br />

791 Ebd.<br />

792 Katharina Elisabeth Goethe zit. nach: Ebd.<br />

793 Ebd.<br />

794 Ebd.<br />

795 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 07/ 26.03.1902/ 52.<br />

796 Ebd. Hinsichtlich einer Charakterisierung Johann Kaspar Goethes verwies Wittich auf die Studie „Goethes Vater“<br />

(1899) von Felicie Ewart [d.i. Emilie Exner (1850-1909)], aus der deutlich würde, dass der Dichter die<br />

„glückliche Mischung der väterlichen <strong>und</strong> mütterlichen Elemente“ (ebd.) aufzeige.<br />

797 Ebd.<br />

427


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

wie er war <strong>und</strong> wohl auch geschickt <strong>und</strong> taktvoll zu behandeln wußte“ 798 .<br />

1749 gebar Katharina Elisabeth Goethe ihr erstes Kind, „unseren großen Johann Wolfgang<br />

Goethe“ 799 . <strong>Von</strong> den weiteren Kindern (zwei Söhne <strong>und</strong> drei Töchter) sollte nur die Tochter<br />

Kornelia erwachsen werden. Goethe habe den Sohn der Tochter eindeutig vorgezogen, weshalb es<br />

nicht verw<strong>und</strong>erlich ist, dass diese eher zum Bruder als zur Mutter ein inniges Verhältnis pflegte.<br />

Mit <strong>und</strong> durch ihren Sohn sei im Leben Goethes „ein glänzender Stern“ 800 aufgegangen. Wittich<br />

charakterisierte diese übergroße Mutterliebe wie folgt:<br />

„[I]n ihrem ‘Hätschelhans’, später dem ‘Doktor’, schien sie allzeit fast ohne Rest<br />

aufzugehen.“ 801<br />

Es ist jene vollständige Hingabe an eine Person, die das sozialistische Mutterideal ausmacht <strong>und</strong><br />

die sich auf das Ideal der „Klassenkämpferin“ als Hingabe an den Sozialismus übertragen lässt.<br />

Große aufregende Abenteuer, so Wittich weiter, weise Goethes Leben nicht auf, denn es sei vor<br />

allem von ihrem Sohn <strong>und</strong> der Sorge für ihn ausgefüllt gewesen. Deshalb, so Wittich scherzhaft<br />

<strong>und</strong> zugleich sehr bedeutungsvoll, müsste man im Folgenden gewissermaßen nicht Goethes,<br />

sondern „Wolfgangs Leben erzählen <strong>und</strong> notiren“ 802 . Nicht ihr Leben war es deshalb, sondern ihr<br />

Charakter, den Wittich<br />

„in seiner prächtigen, einzigen Eigenart so viel als möglich mit ihren eigenen<br />

Worten <strong>und</strong> in Zeugnissen der Zeitgenossen […] vor den geistigen Augen der<br />

Leser“ 803<br />

lebendig machen wollte. Wittich zitierte zu diesem Zweck aus Goethes im Reclam-Verlag<br />

veröffentlichten Briefen, die seiner Meinung nach „als Lebens- <strong>und</strong> Hausbuch in der Hand aller<br />

deutschlesenden Frauen sein“ 804 sollten. Er extrahierte daraus eine Darstellung ihres „Gemüths-<br />

reichtums, Humors <strong>und</strong> ihrer ‘allr<strong>und</strong>en’ Tüchtigkeit“ 805 .<br />

Indem er in den Zügen des Dichters ganz deutlich die „mütterliche Mitgift“ 806 zu erkennen glaubte<br />

– „wie das ja so oft bei bedeutenden <strong>und</strong> berühmten Menschen zu bemerken“ 807 sei – ließ Wittich<br />

sich zu der gewagten These hinreißen, dass es<br />

798 Ebd.<br />

799 Ebd.<br />

800 Ebd.<br />

801 Ebd.<br />

802 Ebd. Allerdings dürfte nach den Beschreibungen Bettina von Arnims das Leben Goethes nicht so langweilig<br />

gewesen sein, wie es hier von Wittich dargestellt wurde (vgl. Kapitel 4.1.3).<br />

803 Ebd.<br />

804 Ebd., S. 53.<br />

805 Ebd., S. 52.<br />

806 Ebd., S. 53.<br />

807 Ebd.<br />

428


4.2.2 DIE ERZOGENE ERZIEHERIN<br />

„überhaupt viel mehr darauf an[komme], was einer für eine Mutter gehabt hat, als<br />

darauf, wie sein Vater war“ 808 .<br />

Er relativierte diese Meinung jedoch schnell, indem er die Klärung dieser Frage „den Natur-<br />

forschern, Aerzten <strong>und</strong> Psychologen“ 809 überließ, „die ja heutzutage das Gras wachsen hören,<br />

wenn man ihnen glauben will“ 810 .<br />

Goethe selbst habe nie jemanden „bemoralisire[n]“ 811 <strong>und</strong> stets die guten Seiten eines Menschen<br />

sehen wollen. Dies habe ihrem Wesen etwas „unsäglich Wohlthuende[s]“ 812 verliehen, so dass<br />

viele ZeitgenossInnen in ihr eine „Trösterin, Beratherin <strong>und</strong> Helferin“ 813 suchten. Auch die<br />

Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Dichterkollegen des Sohnes, die ihr den Beinamen „Frau Aja“ 814 gaben <strong>und</strong> ihre<br />

„Mitsöhne“ 815 wurden, baten sie oft um Rat <strong>und</strong> Tat. Wittich war sich sicher, dass des Dichters<br />

berühmter Ausspruch, der Mensch möge „‘edel, hilfreich <strong>und</strong> gut’“ 816 sein, das hervorragende<br />

Beispiel seiner Mutter reflektiere. Stets habe sie ihre Umwelt zur Selbstkritik, zur Erkenntnis der<br />

eigenen Fehler ermahnt.<br />

Mutter <strong>und</strong> Sohn Goethe waren sich in ihrem politischen Denken sehr ähnlich – so z. B. in ihrer<br />

kritischen Einstellung zum Krieg. Außerdem teilten sie die Vorliebe für eine deftige<br />

Ausdrucksweise, die für ihren resoluten Charakter spricht. Trotz dieser innigen Beziehung stattete<br />

Katharina Elisabeth Goethe ihrem Sohn nie einen Besuch in Weimar ab. Sie war eine ein-<br />

gefleischte Frankfurterin <strong>und</strong> liebte ihre Heimatstadt, in der sie ihrem besonderen Interesse für<br />

Musik, Literatur <strong>und</strong> Theater 817 nachgehen konnte, sehr.<br />

1772 verstarb Goethes Ehemann <strong>und</strong> sie versuchte, ihre Einsamkeit <strong>und</strong> ihren Kummer mit<br />

Humor zu bewältigen, das „Unangenehme[…] <strong>und</strong> Traurige[…]“ 818 abzuschütteln.<br />

Gemäß all ihrer charakterlichen Vorzüge war es für Wittich selbstverständlich, dass Goethe<br />

„allerinnigste Theilnahme“ 819 <strong>und</strong> nicht ähnlich den spießbürgerlichen EinwohnerInnen Weimars<br />

808 Ebd.<br />

809 Ebd.<br />

810 Ebd.<br />

811 Ebd.<br />

812 Ebd.<br />

813 Ebd.<br />

814 Vgl. Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 08/ 09.04.1902/ 61. Wittich erklärte, “Aja”<br />

komme aus dem Spanischen „Aya” <strong>und</strong> heiße so viel wie „Hofmeisterin” (ebd.).<br />

815 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 10/ 07.05.1902/ 76.<br />

816 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 08/ 09.04.1902/ 60.<br />

817 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 09/ 23.04.1902/ 68.<br />

818 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 10/ 07.05.1902/ 76.<br />

819 Ebd.<br />

429


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LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Ablehnung zeigte, als ihr Sohn sich mit Christiane Vulpius verband. Schon nach dem ersten<br />

Kennenlernen Vulpius‘ hatte sie keinerlei Einwände gegen die „‘Gewissensehe’“ 820 ihres Sohnes,<br />

die später auch legitimiert wurde. Auch verstehe es sich von selbst, so Wittich,<br />

„[d]aß die Frau Rath, die beste Mutter von der Welt, auch den Kindern Wolfgangs<br />

die zärtlichste <strong>und</strong> vortrefflichste Großmutter war“ 821 .<br />

Demnach war Goethe eine in sich ruhende <strong>und</strong> harmonische Persönlichkeit – ein „weiblicher<br />

Vollmensch“, der das Familienleben genoss. Ihr berühmt gewordener Sinn für Humor gipfelt in<br />

der gelungenen Anekdote, sie habe kurz vor ihrem Lebensende eine Einladung mit den Worten<br />

ausgeschlagen: „‘Die Frau Rath hat alleweile keine Zeit, sie muß ganz nothwendig sterben!’“ 822<br />

Katharina Elisabeth Goethe, eine „herrliche w<strong>und</strong>erbare Frau“ 823 , starb 1808, aber Wittich sah für<br />

alle Zeiten ihren Namen „mit goldenen Lettern in die Ehrenannalen des ganzen <strong>weiblichen</strong><br />

Geschlechts eingetragen“ 824 . Johann Wolfgang von Goethe habe seine Mutter stets als „tüch-<br />

tige[…], brave[…] Hausfrau, […] sorgsame[…] treuliebende[…] Gattin, […] zärtlich um ihrer<br />

Kinder Glück besorgte[…] Mutter“ 825 erlebt <strong>und</strong> setzte ihr in Form dreier seiner literarischer Fi-<br />

guren ein besonderes Denkmal. 826<br />

Diese für alle Frauen geltende Leitbildfunktion Goethes blieb von den Proletarierinnen jedoch<br />

nicht unwidersprochen. Wittich erhielt nach einem seiner Vorträge zur Biographie Goethes<br />

folgenden Kommentar:<br />

„‘Ja, lieber Genosse, der Frau Goethe hat es materiell an nichts gefehlt, sie kannte<br />

keine Nahrungssorgen, lebte in guten reichlich bürgerlichen Verhältnissen, hatte<br />

einen berühmten Mann zum Sohne <strong>und</strong> viele gute, ja vornehme Verbindungen;<br />

kurz, sie war, wie wir Sachsen zu sagen pflegen: schöne‘ raus! Sie hatte es leicht,<br />

allezeit guten Humors zu sein!’“ 827<br />

Diesen Einwand konnte <strong>und</strong> wollte Wittich nicht für völlig unzutreffend erklären, denn dies hätte<br />

bedeutet, die tatsächlichen Lebensverhältnisse seines Klientels zu ignorieren. Stattdessen betonte<br />

er die Relativität der gesellschaftlichen Verhältnisse. Die politischen <strong>und</strong> sozialen Verhältnisse des<br />

Jahres 1902 seien zur Zeit Goethes genauso unleugbar andere gewesen wie auch die „Art des<br />

820 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 11/ 21.05.1902/ 84.<br />

821 Ebd.<br />

822 Katharina Elisabeth Goethe zit. nach: Ebd.<br />

823 Ebd.<br />

824 Ebd.<br />

825 Ebd.<br />

826 Diese drei Figuren sind laut Wittich: Elisabeth, die Gattin Götz von Berlichingens (1771), die Mutter Hermanns in<br />

„Hermann <strong>und</strong> Dorothea“ (1797) <strong>und</strong> die Mutter Wilhelm Meisters (1796).<br />

827 Unbekannt zit. nach: Ebd.<br />

430


4.2.2 DIE ERZOGENE ERZIEHERIN<br />

Fühlens <strong>und</strong> Denkens“ 828 eine andere gewesen sei. Unverändert sei jedoch das „allgemein<br />

Menschliche“ 829 ,<br />

„<strong>und</strong> das allgemein Menschliche war auch der Frau Rath auferlegt zu tragen“ 830 .<br />

Im Tragen dieses „allgemein Menschlichen“ habe Goethe schließlich Bestes geleistet. Sie habe<br />

„auf ihrem Schlachtfeld mit ihren Waffen <strong>und</strong> der Taktik der Besten ihrer Zeit<br />

<strong>und</strong> ihrer Klasse einen guten Kampf gekämpft, tapfer <strong>und</strong> treu <strong>und</strong> nach ihrem<br />

besten Wissen <strong>und</strong> Können für das höchste Ziel der Menschheit“ 831 .<br />

Wittich wandte sich damit gegen jede resignierende Entschuldigung, die eine Proletarierin für den<br />

Umstand vorbringen könnte, dass sie nicht entsprechend ihrer Möglichkeiten Gleiches tat. Auch<br />

Goethe seien nicht alle Vorzüge ihres Lebens geschenkt worden, „das Beste <strong>und</strong> Schönste von<br />

allem Glück, das ihr vom Schicksal beschieden war, ha[be] sie ehrlich <strong>und</strong> tapfer selbst erkämpft<br />

<strong>und</strong> erstritten, also reichlich verdient“ 832 . Wittich sah in ihr „ein leuchtendes Vorbild echter, edler<br />

Humanität“ 833 .<br />

Der von der Germanistin Bertha Kipfmüller (1861-1948) 834 im Januar 1920 verfasste Artikel<br />

„Kants Mutter“ 835 atmet zu Beginn ganz offenk<strong>und</strong>ig den Geist seiner Zeit. Der Erste Weltkrieg<br />

warf seine langen Schatten in die Zeit des Friedens <strong>und</strong> der jungen Weimarer Republik. Viele<br />

Menschen, so Kipfmüller, nahmen die schwierige nationale <strong>und</strong> internationale Lage zum Anlass,<br />

Halt in Immanuel Kants 1793 verfasstem Werk „Zum ewigen Frieden“ zu suchen. Die darin<br />

behandelten Möglichkeiten der Völkerversöhnung <strong>und</strong> die „Charakterstärke der inneren<br />

Geistesgröße“ 836 eines Kant hätten jedoch leider durch den US-amerikanischen Präsidenten<br />

Wilson <strong>und</strong> seine Politik keine Nachahmung gef<strong>und</strong>en. Insgesamt, so bemängelte Kipfmüller, sei<br />

828 Ebd.<br />

829 Ebd.<br />

830 Ebd.<br />

831 Ebd.<br />

832 Ebd.<br />

833 Ebd.<br />

834 Bertha Kipfmüller wurde in Pappenheim geboren <strong>und</strong> war Tochter eines Goldschmiedes. In München absolvierte<br />

sie eine Ausbildung zur Lehrerin. Sie wurde eine der ersten Lehrerinnen in Mittelfranken <strong>und</strong> gründete 1886 den<br />

ersten bayerischen selbständigen Berufsverein, den „Mittelfränkischen Lehrerinnen-Verein“. 1896 absolvierte sie<br />

das Abitur <strong>und</strong> wurde von der philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg zum Studium der Fächer<br />

Germanistik, Sanskrit <strong>und</strong> vergleichenden Sprachwissenschaften zugelassen, dass sie mit der Promotion 1899<br />

abschloss. Im selben Jahr nahm sie eine Stellung als Lehrerin an der höheren Mädchenschule „Frauentorgraben“<br />

in Nürnberg an, die sie 27 Jahre ausfüllte. Nachdem sie aufgr<strong>und</strong> des Erreichens der Altersgrenze den Schuldienst<br />

verließ, promovierte sie 1926-1928 in Erlangen als Juristin. Sie war die erste promovierte Frau in Bayern <strong>und</strong> eine<br />

zentrale Person für die Entwicklung der bürgerlichen Frauenbewegung Nürnbergs.<br />

835 Kipfmüller, Bertha: Kants Mutter. In: GL, 30/ 04/ 24.01.1920/ 27-29. Dieser Artikel erschien bereits 1905 in der<br />

Zeitschrift „Frauenbildung“ (1902-1923) (vgl. Frauenbildung, 04/ 1905/ 49-59).<br />

836 Ebd., S. 27.<br />

431


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

der Bekanntheitsgrad Kants <strong>und</strong> seiner Philosophie ein sehr geringer <strong>und</strong> dies obwohl gerade das<br />

einfache Volk wissen müsste, „was es dem Größten zu danken hat“ 837 . Es sei wichtig, dass auch<br />

das einfache „Volk[…]“ 838 – Kipfmüller verwandte weder den Begriff des „Proletariats“ noch der<br />

„Arbeiterklasse“ – „erfahre[…], aus welchem Gedanken- <strong>und</strong> welchem Wirtschaftskreise die<br />

bedeutendsten Geister hervorgegangen sind“ 839 . In der Auseinandersetzung mit dem eigenen Kul-<br />

turgut <strong>und</strong> der eigenen Geschichte – denn diese gab es ja trotz des verlorenen Krieges noch –<br />

sollte „Hoffnung […] für die eigene Zukunft“ 840 geschöpft werden.<br />

Eine Zukunft, die vor allem in den Händen der Frauen, der Mütter lag. Deshalb sollten sich gerade<br />

diese mit deutscher Geistesgeschichte beschäftigen, welche sie sicherlich zu der Frage anregen<br />

würde:<br />

„Wie, sollte es mir nicht auch möglich sein, der Welt einen Sohn, eine Tochter<br />

zu schenken, die der Menschheit Erlöser werden könnten?“ 841<br />

Die Menschheit, so Kipfmüller, ersehne sich schon immer einen Erlöser. Ein Erlöser oder eine<br />

Erlöserin kann jedoch nur aus der Menschheit selbst kommen. Deshalb habe auch bereits Johann<br />

Wolfgang von Goethe im zweiten Teil seines „Faust“ (1832) klar die Mütter als „Urschöpfer der<br />

Menschheit“ 842 definiert.<br />

Wenn auch nicht den Erlöser, so doch „den größten Philosophen des Erdballs“ 843 , so Kipfmüller<br />

begeistert, habe der Menschheit Anna Regina Kant (1697-1737) geschenkt. Deren Persönlichkeit<br />

sei eine ganz andere gewesen als die der berühmten Johanna Schopenhauer (1766-1838) oder<br />

die der Katharina Elisabeth Goethe, „die aus vornehmen Patriziergeschlecht stammte <strong>und</strong> ob ihres<br />

berühmten Sohnes Größe Fürstinnen zu Besuch“ 844 gehabt habe. Kant war laut Kipfmüller eine<br />

„einfache, schlichte Bürgersfrau“ 845 , Ehefrau des Riemers 846 Johann Georg Kant <strong>und</strong> lebte im<br />

ostpreußischen Königsberg. Ihre Charaktereigenschaften wie „Fleiß, Sparsamkeit, Ausdauer bis<br />

ins kleinste“ 847 waren für das finanzielle Auskommen der Familie unerlässlich. Besondere Kraft<br />

<strong>und</strong> Hilfe schöpfte sie aus ihrer Frömmigkeit. Das Ehepaar Kant gehörte dem „strengen<br />

837 Ebd.<br />

838 Ebd.<br />

839 Ebd.<br />

840 Ebd.<br />

841 Ebd.<br />

842 Ebd.<br />

843 Ebd., S. 28.<br />

844 Ebd., S. 27.<br />

845 Ebd.<br />

846 Riemer gehörten zu den lederverarbeitenden Handwerkern.<br />

847 Ebd.<br />

432


4.2.2 DIE ERZOGENE ERZIEHERIN<br />

Pietistenkurs“ an, dem die Frömmigkeit nicht äußerer Schein, sondern wirkliche Tu-<br />

gend“ 848 gewesen sei. Während ihr Ehemann, ein redlicher <strong>und</strong> fleißiger Mensch, vor allem<br />

Wahrheitsliebe verlangte, so ging Anna Regina Kant noch weiter: „[s]ie verlangte Heilig-<br />

keit“ 849 . Diese Hinwendung zum Überirdischen habe jedoch nicht die „scharfe[…] Klarheit ihres<br />

Geistes“ 850 beeinträchtigt. Kipfmüller bew<strong>und</strong>erte die „volle[…] <strong>und</strong> reine[…] Tiefe ihres Ge-<br />

müts“, die sich in der „Tiefe <strong>und</strong> Weite“, in der „Höhe <strong>und</strong> Erhabenheit“ der Philosophie ihres<br />

Sohnes widerspiegele – einer „Weisheitslehre […] wie sie nicht vor <strong>und</strong> nicht nachher ein zweiter<br />

Denker [habe] schenken k[önnen]“ 851 . Aus seinen Werken spreche ein Mensch, „dessen Reich<br />

gleich Christi Reich nicht von dieser Welt “ 852 sei. Immanuel Kant war für Kipfmüller der<br />

Begründer einer neuen Moral <strong>und</strong> seine Mutter wiederum deren „Urquell“ 853 .<br />

Zwar würden bisherige Erläuterungen der Kantschen Philosophie nicht den „Zusammenhang des<br />

seelischen Einflusses der Mutter auf das Kind“ 854 berücksichtigen, aber gerade in ihm sei der<br />

Beweis gebracht,<br />

„wie Mutterdenken, Mutterempfinden, Mutterhandeln einem Kinde, ja oft der<br />

ganzen Menschheit […] zum Segen werden kann“ 855 .<br />

Immanuel Kant, seine Persönlichkeit, sein Wirken – „eine Erscheinung deren die Welt nur alle<br />

Jahrtausende eine geschenkt erhält“ – ist nicht unabhängig von seinen Eltern zu beurteilen. Auch<br />

sie wurden für Kipfmüller zum „Vorbild, gleich ehrwürdig wie der Sohn“ 856 . Über die ihm<br />

zugute gekommene Erziehung berichtete der Sohn, dass er von seinen Eltern kein einziges Mal<br />

etwas Unanständiges gehört <strong>und</strong> nie etwas Unwürdiges gesehen habe. 857 Und tatsächlich waren es<br />

laut Kipfmüller u. a. seine guten Manieren, sein<br />

„Feingefühl für den inneren <strong>und</strong> äußeren Anstand, ohne dessen Beachtung der<br />

Verkehr von Mensch zu Mensch so unangenehm werden kann, dessen Vorhandensein<br />

uns ein Beweis guter Kindheitserziehung“ 858<br />

sei <strong>und</strong> die ihn später bei jedermann beliebt gemacht hätten. Seine Eltern seien Immanuel Kant<br />

Vorbilder in Fleiß, Ordnung, Menschen- <strong>und</strong> Wahrheitsliebe gewesen. Und dennoch habe im Haus<br />

848 Ebd.<br />

849 Ebd.<br />

850 Ebd.<br />

851 Ebd.<br />

852 Ebd., S. 28.<br />

853 Ebd.<br />

854 Ebd.<br />

855 Ebd.<br />

856 Ebd.<br />

857 Vgl. ebd.<br />

858 Ebd.<br />

433


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

kein „finsterer, weltabgewandter Geist“ 859 geherrscht, sondern „Natürlichkeit <strong>und</strong> Heiterkeit, in<br />

deren Sonne sich alle guten Eigenschaften entwickeln können“ 860 . War die Erziehung der sieben<br />

Kinder auch eine streng christliche, so war sie doch „frei von Mucker- <strong>und</strong> Zelotentum <strong>und</strong><br />

<strong>und</strong>uldsamer Orthodoxie“ 861 .<br />

Es waren nicht nur gr<strong>und</strong>sätzliche Charaktereigenschaften, die Kant ihrem Sohn vermittelte,<br />

sondern auch Gr<strong>und</strong>kenntnisse der Astronomie. Abends habe sie ihm das sternenbedeckte Uni-<br />

versum so weit erschlossen, wie sie dies selbst vermochte. 862 Und auch Anna Regina Kant habe<br />

von ihrem „Manelchen“, das erst 13 Jahre alt war, als sie starb, viel gelernt.<br />

Die Umstände, unter denen Anna Regina Kant schließlich starb, waren sehr kurios. Kipfmüller<br />

gab an dieser Stelle die Darstellung Ehregott Andreas Christoph Wasianskis 863 wieder, nach<br />

welcher eine Fre<strong>und</strong>in den Tod Kants verursachte. Der Verlobte dieser Fre<strong>und</strong>in hatte sein<br />

Eheversprechen gebrochen <strong>und</strong> sie verlassen. Der Trennungsschmerz gipfelte in einem schweren<br />

Fieber, aber die Kranke weigerte sich vehement, die ihr verordneten Medikamente zu nehmen.<br />

Kant, die ihre auf dem Sterbebett liegende Fre<strong>und</strong>in aufopfernd pflegte, versuchte stetig, sie zur<br />

Einnahme eines Medikaments zu bewegen. Da die Kranke vorschob, das Medikament habe einen<br />

unerträglich widerlichen Geschmack, wollte Kant sie mit ihrem eigenen Beispiel vom Gegenteil<br />

überzeugen. Mit demselben Löffel, von welchem bereits die Kranke gekostet hatte, nahm sie das<br />

Medikament ein. Kaum getan, hätten „‘Ekel <strong>und</strong> kalter Schauer’“ 864 Kant überkommen. Da sie<br />

dann später außerdem am Körper ihrer Fre<strong>und</strong>in seltsame Flecken entdeckte, führte ihre Ein-<br />

bildungskraft sie zu der Überzeugung, nun sterben zu müssen. Sie habe „‘sich noch an demselben<br />

Tage hin[gelegt] <strong>und</strong> [sei] bald danach als ein Opfer der Fre<strong>und</strong>schaft ’“ 865 gestorben.<br />

Kipfmüller machte aus Kant im Gegensatz zu Wasianski jedoch in ihren folgenden Ausführungen<br />

ein „Opfer aus Fre<strong>und</strong>schaft“. Kants Opfertod sei aus dem „Gefühl der Hingabe <strong>und</strong> Aufopferung<br />

für ein anderes Wesen“ 866 , oder, wie Immanuel Kant Fre<strong>und</strong>schaft definierte, aus dem „‘Gefühl<br />

von der Schönheit <strong>und</strong> der Würde der menschlichen Natur ’ “ 867 dargebracht<br />

worden. Diese Deutung vermittelt einen würdevolleren Eindruck als den, dass Kant schlicht das<br />

859 Ebd.<br />

860 Ebd.<br />

861 Ebd.<br />

862 Vgl. ebd.<br />

863 Es dürfte sich dabei um die Schrift „Immanuel Kant in seinen letzten Lebensjahren. Ein Beytrag zur Kenntniß<br />

seines Charakters <strong>und</strong> häuslichen Lebens aus dem täglichen Umgang mit ihm“ (1804) handeln.<br />

864 Ehregott Andreas Christoph Wasianski zit. nach: Ebd., S. 29.<br />

865 Ehregott Andreas Christoph Wasianski zit. nach: Ebd.<br />

866 Ebd.<br />

867 Immanuel Kant zit. nach: Ebd.<br />

434


Opfer ihrer eigenen Hypochondrie geworden ist.<br />

4.2.2 DIE ERZOGENE ERZIEHERIN<br />

Wichtig für die ihre Mutterrolle ergänzende Leitbildfunktion als „weiblicher Vollmensch“ ist die<br />

Charakterisierung Kants als „[e]in großer, starker Geist, eine reine Persönlichkeit“ 868 . Nicht<br />

weniger bedeutsam ist auch der Umstand, dass sie – eine „einfache, schlichte Frau des Hand-<br />

werkerstandes“ 869 – in der Lage gewesen sei, mittels eines „unverfälschten, ‘ges<strong>und</strong>en Menschen-<br />

verstand[es]’“ 870 einen Menschen von der Genialität eines Immanuel Kant zu erziehen. „Ihr sei die<br />

Ehre“ 871 <strong>und</strong> jeder anderen Frau – aus Proletariat <strong>und</strong> Bürgertum – die Möglichkeit, es ihr<br />

nachzutun.<br />

868 Ebd., S. 28.<br />

869 Ebd.<br />

870 Ebd. Dieser Eigenschaft widmete Immanuel Kant in seinem Hauptwerk „Kritik der reinen Vernunft“ (1781)<br />

besondere Beachtung.<br />

871 Ebd.<br />

435


4.3 „Genossin seiner Ideale“<br />

– Die Ehefrau als Lebens-, Arbeits- <strong>und</strong> Kampfgefährtin 872<br />

4.3.1 Zum Leitbild der sozialistischen Ehefrau<br />

Wie die Frauenfrage insgesamt, so wurden von der proletarischen Frauenbewegung auch die<br />

sich aus Paarbeziehung <strong>und</strong> Geschlechterspezifität ergebenden Probleme im Sinne der sozialis-<br />

tischen Frauenemanzipationstheorie beurteilt. Sie sind genau wie die gegenwärtige Form der<br />

bürgerlichen Ehe Ergebnisse einer historischen Entwicklung. Deshalb sind diese Probleme<br />

auch nie unabhängig von der Entwicklung von Privatbesitz, Christentum <strong>und</strong> Kapitalismus zu<br />

sehen.<br />

Indem die Frau jedoch nach einer adäquaten Erwerbstätigkeit strebte, strebte sie nach einem<br />

Bruch mit dem traditionellen Rollenbild. Das Ideal war eine sozialistische Ehegemein- <strong>und</strong><br />

Genossenschaft, in welcher die Frau dem Manne gleichgestellt war – entweder auch erwerbs-<br />

tätig oder als Hausfrau für den Haushalt verantwortlich. Im Falle ihrer Erwerbstätigkeit, so das<br />

Ideal, sei die Frau dann auch gewerkschaftlich organisiert <strong>und</strong> in den politischen <strong>und</strong><br />

kulturellen Zusammenhängen der Partei aktiv. Am zuträglichsten für eine solche ideale sozia-<br />

listische Ehe <strong>und</strong> damit für den Klassenkampf war es, das der Frau eigene politische Potential<br />

auszubilden <strong>und</strong> zu nutzen. Deshalb wandte sich Anna Blos in ihrem Artikel „Glückliche<br />

Ehen“ 873 gegen das althergebrachte Rezept für eine vermeintlich harmonische Ehe, welches<br />

vorsah, dass der Ehemann alles Politische „vor der Türe seines Hauses“ 874 ablege <strong>und</strong> die<br />

Ehefrau sich nicht dafür interessieren dürfe. Dieses Desinteresse aber sei eben bisher durch das<br />

Christentum <strong>und</strong> die Reduzierung der Frauen auf die „vier K“ 875 (Kinder, Kirche, Küche,<br />

Kleider) stets noch gefördert worden.<br />

Besonders angesichts der Integration der Frauenorganisationen in die Partei <strong>und</strong> damit der<br />

Zusammenlegung der getrenntgeschlechtlichen Organisationen wurde 1908 das Geschlechter-<br />

verhältnis dringendes Thema. Auch wenn sich im Vorfeld einige Genossinnen <strong>und</strong> Genossen<br />

für die völlige Aufhebung jeglicher weiblicher „Sonderorganisationen“, ja sogar für die Auf-<br />

lösung der Frauenzeitungen ausgesprochen hatten 876 , beschloss die vom 11.-12. September<br />

1908 in Nürnberg stattfindende Frauenkonferenz die Beibehaltung spezieller Einrichtungen,<br />

z. B. die der Frauenbildungsvereine <strong>und</strong> Leseabende. Diesen Einrichtungen wurde jedoch<br />

872 Julie Bebel †. In: GL, 21/ 05/ 21.11.1910/ 68.<br />

873 Blos, Anna: Glückliche Ehen. In: GL, 28/ 17/ 24.05.1918/ 133-135.<br />

874 Ebd., S. 133.<br />

875 Ebd.<br />

876 Vgl. Der Gewerkschaftskongreß zu Hamburg. In: GL, 18/ 14/ 06.07.1908/ 123.<br />

437


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

gegenüber den Parteiorganisationen ein niedrigerer Stellenwert zugeschrieben: Frauenkonferenz<br />

<strong>und</strong> Parteitag beschlossen, dass jede Genossin verpflichtet sei, der sozialdemokratischen<br />

Parteiorganisation ihres Ortes beizutreten. Politische Sonderorganisationen der Frauen waren nicht<br />

mehr gestattet. Das Weiterbestehen unpolitischer Frauenorganisationen oblag einer gemeinsam<br />

gefassten Entscheidung der Genossinnen <strong>und</strong> Genossen der einzelnen Ortschaften. 877 Auch Baader<br />

<strong>und</strong> Zietz – als Beauftragte des Zentralen Frauenbüros – erachteten es als „selbstverständliche<br />

Pflicht“ 878 der Frauen, in die Parteiorganisationen einzutreten. Drei Jahre später betonte Zietz<br />

erneut, dass die existierenden Frauenleseabende lediglich einen die Parteiarbeit unterstützenden<br />

Charakter hätten. Sie sollten die Frauen „schulen <strong>und</strong> ihre K raft der P artei nutzbar<br />

[…] machen.“ 879<br />

Parteipolitische Frauenbildung lag laut Zietz<br />

„sowohl im Interesse der F rauen , ihrer geistigen Weiterbildung, der Hebung<br />

ihres Intellektes, der Festigung ihres Charakters, also der Entwicklung ihrer Persönlichkeit<br />

<strong>und</strong> damit der Kräfte, die sie für ihre Befreiung einsetzen müssen, als<br />

auch im Interesse der P artei , die mutige, willensstarke, aber auch kluge,<br />

zielklare K lassenkämpferinnen <strong>und</strong> – s ozialistische Jugenderzieher<br />

braucht.“ 880<br />

Frauen sollten befähigt werden, ihr Können <strong>und</strong> Wissen im Interesse der Partei einzusetzen.<br />

Paradoxerweise sollte sich gerade in diesem Bereich die bis 1908 aufgezwungene Autonomie als<br />

sehr konstruktiv erweisen, denn in den eigenständigen Frauenorganisationen hatten die Frauen<br />

gelernt, ihre geschlechtsspezifischen Probleme zu erkennen <strong>und</strong> ein Selbstbewusstsein zu<br />

entwickeln, das sie auch <strong>und</strong> gerade in den Männerorganisationen brauchten, um diese Probleme<br />

anzusprechen <strong>und</strong> Lösungsvorschläge zu machen. 881<br />

Die sozialistischen Frauen kämpften ja nicht gegen die Männer, sondern für ihre Befreiung als<br />

Arbeiterinnen gegen den Kapitalismus <strong>und</strong> der Sieg hierin hätte ersteres wie von selbst mit sich<br />

gebracht bzw. erübrigt, da alle nun frei wären. Das selbst von Parteimännern gezeigte frauen-<br />

erniedrigende Verhalten übersahen sie dabei geflissentlich, um die Harmonie mit den Genossen<br />

nicht zu gefährden. 882<br />

877 Vgl. Bericht über die 5. sozialdemokratische Frauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages Nürnberg 1908,<br />

S. 485 ff. <strong>und</strong> ebd., S. 547.<br />

878 Baader, Ottilie / Zietz, Luise: An die Genossinnen Deutschlands! In: GL, 19/ 01/ 12.10.1909/ 1.<br />

879 Zietz, Luise: Die proletarischen Frauen als politisch Organisierte. In: GL, 21/ 09/ 30.01.1911/ 129.<br />

880 Ebd.<br />

881 Vgl. Wurms, <strong>Von</strong> heute an gibt’s mein Programm, S. 20f.<br />

882 Der Umstand, dass die Klassensolidarität in erster Linie von den Frauen geübt wurde, zeigte sich nach Freier besonders<br />

nach 1908, während die proletarische Frauenbewegung immer mehr in die SPD-Strukturen integriert <strong>und</strong><br />

auf die Parteilinie eingeschworen wurde (ebd., S. 213). Freier schreibt dabei die antifeministischen Verhaltens-<br />

438


4.3.1 ZUM LEITBILD DER SOZIALISTISCHEN EHEFRAU<br />

Es war nach Freier die „spezifische Tragik einer Bewegung, die sich als Frauenbewegung<br />

verstand, aber den Geschlechterkampf aus politischen Gründen ablehnte“ 883 . Freier entlarvt damit<br />

auch das Festhalten am klassensolidarischen Prinzip als Illusion <strong>und</strong> taktischen Fehler der sozia-<br />

listischen Frauen. Diese hätten nicht erkannt, dass wenn<br />

„das Klassenverhältnis die Bedingung der Unterdrückung der Frau [ist], […] allein<br />

der Kampf mit den Männern derselben Klasse erfolgversprechend [sei]. Wird<br />

hingegen in der Unterdrückung als Geschlechtswesen eine Eigendynamik gesehen,<br />

[müsse][…] in eine Befreiungsstrategie auch der geschlechtliche Unterdrückungszusammenhang<br />

Eingang finden, als Kampf, der dann u. a. gegen die Männer der<br />

eigenen Partei hätte geführt werden müssen, […].“ 884<br />

Freier unterstellt damit der proletarischen Frauenbewegung, zu sehr auf die Verwirklichung des<br />

sozialistischen Gleichheitsgr<strong>und</strong>satzes gepocht <strong>und</strong> damit Chancen einer geschlechtssolidarischen<br />

Zusammenarbeit vertan zu haben. Aus ihren Forschungsergebnissen heraus erklärt sie konsequent<br />

die sozialistische Frauenemanzipationsbewegung für gescheitert <strong>und</strong> wirft auch der aktuellen<br />

Forschung vor, die individual-psychologische Betrachtungsweise innerhalb der Analyse der<br />

gesellschaftlichen Strukturen zu vernachlässigen, obwohl dies für die Erklärung von gescheiterten<br />

Emanzipationsversuchen in der Geschichte notwendig sei. 885<br />

Auch SPD, Gewerkschaften <strong>und</strong> proletarische Frauenbewegung konnten – in betonter<br />

Abgrenzung zur bürgerlichen Frauenbewegung – nicht gänzlich vor den aus den Geschlechterbe-<br />

ziehungen resultierenden Problemen die Augen verschließen. So wurde auch innerhalb der<br />

proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> der „Gleichheit“ Kritik am häuslichen Benehmen der<br />

männlichen Genossen geübt.<br />

So wie Bebel im November 1901 auf einer Frauenversammlung in Hamburg forderte, dass die<br />

Männer ihre Frauen mehr unterstützen sollten 886 , so formulierte Zietz die konkrete Forderung an<br />

weisen nicht einem der beiden Parteiflügel – dem revisionistischen oder dem marxistisch-orthodoxen – zu, sondern<br />

vertritt die These, „daß der ‘proletarische Antifeminismus’ keineswegs ein Phänomen der revisionistischen<br />

Linie innerhalb der Partei war, sondern dass er durchgängig sowohl bei Revisionisten <strong>und</strong> Antirevisionisten<br />

verbucht werden konnte, entgegen der in der Literatur zur proletarischen Frauenbewegung weit verbreiteten<br />

Meinung“ (ebd., S. 198). In Fußnote Nr. 13, S. 217 nennt sie als VertreterInnen dieser Forschungsmeinung Neef<br />

<strong>und</strong> Thönnessen.<br />

883 Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. 1.<br />

884 Freier, Dimensionen <strong>weiblichen</strong> Erlebens <strong>und</strong> Handelns, S. 196.<br />

885 Ebd., S. 199. Tatsächlich bin ich bei meinen Recherchen aber auf andere AutorInnen gestoßen, die den individualpsychologischen<br />

Aspekt berücksichtigen. Bornemann zum Beispiel führt allgemein an, dass es „leider eines der<br />

unerschütterlichen Gesetze der menschlichen Geschichte [sei], daß man innerhalb einer gegebenen Gesellschaftsordnung<br />

keine Verhaltensmodelle vorwegnehmen kann, die sich erst in der nächsten Gesellschaftsordnung<br />

realisieren lassen“ (Bornemann, Vorwort des Herausgebers, S. 39). Dies kann man auch als eine gr<strong>und</strong>sätzlich zutreffende<br />

Erklärung des antifeministischen Verhaltens der Parteimänner anführen.<br />

886 Zwei stark besuchte Frauenversammlungen tagten am 20. November in Hamburg. In: GL, 11/ 25/ 04.12.1901/<br />

196-197; vgl auch: Maurenbrecher, Hulda: Die Arbeiterfrau daheim. In: GL, 14/ 12/ 01.06.1904/ 90-91.<br />

439


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

die proletarischen Massen, dass<br />

„Vereinbarungen zwischen Mann <strong>und</strong> Frau […] der letzteren die Möglichkeit<br />

sichern [sollten], von Zeit zu Zeit an den Versammlungen teilnehmen zu können,<br />

indem der Mann sie bei der Beaufsichtigung der Kinder ablöst.“ 887<br />

Diese Art der Forderungen nahmen nach dem Ersten Weltkrieg <strong>und</strong> dem Redaktionswechsel zu.<br />

So wurde u. a. gefordert, dass auch Männern Hauswirtschaftsunterricht erteilt werden müsse. 888<br />

Der sozialistische Blick auf Geschlechterverhältnis, Ehe <strong>und</strong> Sexualität war dennoch kein feminis-<br />

tischer Blick. Der Mann war nicht – wie besonders von der radikalen bürgerlichen Frauenbe-<br />

wegung definiert – ein egoistischer Unterdrücker. Er sollte der Proletarierin vielmehr Schicksals-<br />

<strong>und</strong> Klassengenosse sein. Im Dienste dieser „Klassenharmonie“ war es Auftrag der proletarischen<br />

Frauenbewegung, auch für eine „Geschlechterharmonie“ zu agitieren.<br />

Zwar thematisierte die proletarische Frauenbewegung das innerhalb einer ehelichen Beziehung<br />

bestehende Unterdrückungsverhältnis, die sozialpsychologischen <strong>und</strong> ökonomischen Abhängig-<br />

keiten, gab diesen Diskussionen aber nicht den ihnen zukommenden Stellenwert. Ein Haupt-<br />

interesse lag darin, die beeinträchtigende Wirkung politisch nicht aufgeklärter Ehefrauen auf das<br />

politische Engagement ihrer Ehemänner zu analysieren. Die in ihren Rollen <strong>und</strong> ihrer Unwissen-<br />

heit gefangenen Frauen galten allgemein als politischer Hemmschuh. In ihrer unnachahmlichen<br />

Art fasste Zetkin dieses Problem in ein anschauliches Bild <strong>und</strong> sprach ihre LeserInnen zudem<br />

direkt an:<br />

„Wer von uns hat nicht einen lieben Fre<strong>und</strong>, der sonnensehnsüchtig, mit Adlerflug<br />

sich zu den höchsten Höhen emporschwingen wollte. Doch siehe, er paarte sich mit<br />

einer Gans, <strong>und</strong> nach kurzer Mauserung stand der stolze Vogel als simpler<br />

Gänserich da, der nicht über den heimischen Hof hinausstrebte <strong>und</strong> sich an der<br />

stillen Stoppelweise genügen ließ. Aus dem Vorwärtsdränger wird ein Stillstehender,<br />

bald ein Rückwärtsschreitender.“ 889<br />

Es sei ein Gr<strong>und</strong>satz, dass<br />

„[w]o der Frau die Kraft mangelt, mit dem Manne emporzusteigen, da gleitet in der<br />

Regel der Mann zur Frau in die Niedrigkeit <strong>und</strong> Alltäglichkeit hinab“ 890 .<br />

Wesentliches Bildungs- <strong>und</strong> Leitbildelement für die proletarische Frauenbewegung war es<br />

887 Zietz, Luise: Die proletarischen Frauen als politisch Organisierte. In: GL, 21/ 09/ 30.01.1911/ 129-130.<br />

888 Seifert, Elise: Ohne Titel. In: GL, 29/ 35/ 18.10.1919/ 278-279. (eine in der Rubrik „Gedankenaustausch“ erschienene<br />

Reaktion auf einen Artikel von Anna Blos in Nr. 28 zur notwendigen hauswirtschaftlichen Ausbildung<br />

der Mädchen); Bannwarth, Gertrud: Zum Thema Frauenbewegung … In: GL, 32/ 01/ 01.01.1922/ 9; Heilbut,<br />

Kurt: Männergedanken zur Frauenkonferenz. In: GL, 30/ 46/ 13.11.1920/ 378; [Wachenheim, Hedwig?] H. W.:<br />

Frauengedanken zu den Männergedanken. In: GL, 30/ 48/ 27.11.1920/ 395 (eine kritische Erwiderung auf einen<br />

Artikel Heilbuts); Müller, H.: Was soll die Frau dem Manne sein? [I-III]. In: GL, 30/ 47/ 20.11.1920/ 383-384 bis<br />

GL, 30/ 49/ 04.12.1920/ 398-400.<br />

889 Zetkin, Der Student <strong>und</strong> das Weib, S. 26.<br />

890 Ebd.<br />

440


4.3.1 ZUM LEITBILD DER SOZIALISTISCHEN EHEFRAU<br />

deshalb, die Frau zu demselben politischen Verständnis zu erziehen, über welches ihr Ehemann<br />

verfügte. 891 Ein noch besseres Ergebnis war es, wenn „[s]o manche Mutter, so manche Gattin, […]<br />

Mann <strong>und</strong> Kinder mit Klassenbewußtsein erfüllt[e]“ 892 . Diese familiäre Bildungsarbeit war in<br />

Augen Zetkins den Leistungen politisch Aktiver durchaus gleichwertig. So war es angestrebtes<br />

Ziel, die Frau zu einem höheren politischen Verständnis zu führen, mit welchem sie sowohl<br />

innerhalb ihrer Familie als auch innerhalb der politischen Bewegung wertvolle Bildungsarbeit<br />

vollbringen konnte. Solche Frauen gehörten dann nicht zu denjenigen, die ihrem Ehemann den<br />

Besuch der Parteiversammlung <strong>und</strong> das Abonnement der Parteizeitung als Zeit- <strong>und</strong> Geld-<br />

verschwendung vorwarfen oder allzu „familienegoistisch“ dachten. Solche Frauen wagten es aber<br />

wohl auch selten, von ihrem Mann die Betreuung der Kinder zu verlangen, um selbst einmal eine<br />

Versammlung zu besuchen.<br />

Blos, sammelte ihre Kenntnisse um die Beschaffenheit einer glücklichen Ehe aus der Erforschung<br />

von historischer Paare. Sie vertrat daher die Auffassung, dass gerade solche Ehen als glücklich<br />

bekannt seien,<br />

„in denen die Frauen die geistigen, sehr oft auch die politischen Interessen ihrer<br />

Männer nicht nur geteilt, sondern häufig sogar gefördert“ 893<br />

hätten. So plädierte Blos dafür, dass man sich freimachen müsse von der<br />

„Auffassung, daß die Politik den Charakter verdirbt. Sie kann große Geister<br />

zusammenführen trotz verschiedener Rasse, Konfession, Herkunft, wenn sie die<br />

ideale Seite der Politik begreifen <strong>und</strong> ihr leben.“ 894<br />

Diesem alle Grenzen <strong>und</strong> Hindernisse überwindenden gemeinsamen politischen Interesse haftete<br />

sogar ein Hauch von Romantik an. Es gab also auch innerhalb der Arbeiterbewegung das von<br />

Nipperdey allgemein für das 19. Jahrh<strong>und</strong>ert formulierte Idealbild von Liebe <strong>und</strong> Ehe:<br />

„Die Begegnung des Paares hat, so meint man, etwas Schicksalhaftes, Unausweichliches,<br />

Einmaliges; die Liebe auf den ersten Blick, das Füreinander-Be-<br />

891 Puschnerat formuliert das Erziehungsziel Zetkins <strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>ene Probleme richtig, aber mit einer deutlich<br />

negativen Konnotation: „Die sozialistische Didaktik, die Zetkin für die Arbeiterin entwarf, war kompensatorisches<br />

Erziehungswerk an der unfertigen, ja unmündigen Persönlichkeit, orientiert am Ideal des klassenbewussten organisierten<br />

<strong>und</strong> gebildeten Arbeiters. Dieses Erziehungswerk zielte auf Leistungsmaximierung <strong>und</strong> es war nie<br />

abgeschlossen.“ (Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 140).<br />

892 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 166.<br />

893 Blos, Anna: Glückliche Ehen. In: GL, 28/ 17/ 24.05.1918/ 133. Zu diesen Frauen zählte Blos Jeanne-Marie<br />

Roland <strong>und</strong> Lucile Desmoulins (1770-1794). Die Begeisterung für die Sache der Freiheit sei es überhaupt, die<br />

viele Menschen zu einer glücklichen Ehe zusammengeführt habe. Folgende Paare, die dieser These Blos‘ entsprachen,<br />

wurden bereits in den vorhergehenden Kapiteln porträtiert: Luise Otto-Peters <strong>und</strong> August Peters,<br />

Mathilde <strong>und</strong> Fritz Anneke, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling <strong>und</strong> Karoline Schlegel-Schelling, Rahel Levin<br />

<strong>und</strong> Karl August Varnhagen von Ense, Karoline <strong>und</strong> Wilhelm von Humboldt. Weitere werden – teilweise maßgeblich<br />

auf entsprechende Artikel von Blos gestützt – im Folgenden noch beschrieben.<br />

894 Blos, Anna: Glückliche Ehen. In: GL, 28/ 17/ 24.05.1918/ 135.<br />

441


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

stimmtsein, die absolute Wichtigkeit dieser Liebe, ja die Fehlerlosigkeit des geliebten<br />

Wesens, das gehört dazu oder auch die Idee der großen Leidenschaft, die erotische<br />

Attraktion. Das waren ursprünglich Romanideen, nicht die Wirklichkeit, aber<br />

diese Ideen beflügelten die Phantasie, änderten die Wirklichkeit. Die allgemeine<br />

Meinung hielt freilich das Bewußtsein fest, daß solche Liebe <strong>und</strong> Leidenschaft vergänglich<br />

seien; die Ehe müsse auch oder stattdessen auf Sympathie, auf gefühlsbestimmte<br />

Gefährtenschaft gegründet werden. Aber das war eben auch neu. Der Sinn<br />

der Ehe war nicht mehr Amt, Hilfe, die Erfüllung gesellschaftlicher Rollen, sondern<br />

– schrecklich neu – ‘Selbsterfüllung’, persönliches, individuelles Glück.“ 895<br />

War die Gefühlswelt proletarischer <strong>und</strong> bürgerlicher Frauen auch sehr ähnlich – ihr Ehealltag<br />

jedoch unterschied sich in vielerlei Hinsicht. Bereits die Anbahnung einer Ehe oder die<br />

vorehelichen Beziehungen zwischen Mann <strong>und</strong> Frau verliefen sehr verschieden. In proletarischen<br />

Familien erfolgte die Partnerwahl meist nach persönlichen Neigungen. So konnten laut Mühlberg,<br />

eventuell „ethnische <strong>und</strong> religiöse Bindungen“ 896 für eine Partnerwahl ausschlaggebend sein,<br />

Besitz jedoch habe für ProletarierInnen – im Gegensatz zur bürgerlichen so genannten Kon-<br />

venienzehe – eine sehr geringe Rolle gespielt. 897 . Während es durchaus zu Eheschließungen<br />

zwischen Angehörigen verschiedener bürgerlicher Schichten sowie zwischen Großbürgertum <strong>und</strong><br />

Adel kam, blieben laut Mühlberg ProletarierInnen eher „unter sich“ 898 . In ihrem Kreis war auch<br />

der Umgang mit Sexualität – vor allem vorehelicher Sexualität – weniger scheinheilig.<br />

Schwangere Frauen wurden nicht sitzen gelassen, uneheliche Mutterschaft war innerhalb der<br />

Arbeiterklasse kein Stigma, sondern ein schlichtes, wenn auch wesentliches Versorgungsproblem.<br />

899<br />

Innerhalb der öffentlichen Diskussionen wurde das Thema Sexualität jedoch trotzdem nicht so<br />

behandelt wie man es annehmen könnte. Wurden Ehen als „glücklich“ bezeichnet, so galten sie<br />

unausgesprochen auch als sexuell erfüllt. Während Sexualität innerhalb der modernen bürger-<br />

lichen Frauenbewegung ein zentrales Thema war 900 , war der Umgang der proletarischen<br />

Frauenbewegung mit ihm jedoch sehr allgemein gehalten. 901 Die persönliche Ebene gelebter weib-<br />

895 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866, S. 118.<br />

896 Mühlberg, Proletariat, S. 69.<br />

897 Nipperdey, der in diesem Punkt jedoch keine Gesellschaftsschichten unterscheidet, konstatiert dagegen, dass die<br />

Ehe im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert zwar „gr<strong>und</strong>sätzlich auf eigenen Entschluß“ (Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866,<br />

S. 118) <strong>und</strong> „auf personalisierter Liebe“ (ebd.) begründet, Letzteres jedoch „natürlich nur in einer materiell<br />

weniger belasteten ‘Ober’-klasse möglich“ (ebd.) gewesen sei. Bezeichnenderweise wird die Frauenfrage in<br />

Nipperdeys Gr<strong>und</strong>lagenwerk „Deutsche Geschichte 1800-1866: Bürgerwelt <strong>und</strong> starker Staat“ unter das Kapitel<br />

„Familie, Geschlechter, Generationen“ gefasst (vgl. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866).<br />

898 Vgl. Mühlberg, Proletariat, S. 69; siehe auch: Gedicht „Die Spinnerin“ von Gottfried Keller im Anhang.<br />

899 Siehe: Gedicht „An die heilige Jungfrau“ von Karla Herr im Anhang.<br />

900 Siehe: Frauen <strong>und</strong> Sexualmoral; Stein, Femme fatale – Vamp – Blaustrumpf; Weber-Kellermann, Die deutsche<br />

Familie; Flemming, „Sexuelle Krise“ <strong>und</strong> „Neue Ethik“.<br />

901 Bajohr, Sexualaufklärung im proletarischen Milieu; Usborne, Representation of Abortion in Popular Culture in<br />

442<br />

Weimar Germany; Lipp, Sexualität <strong>und</strong> Heirat.


4.3.1 ZUM LEITBILD DER SOZIALISTISCHEN EHEFRAU<br />

licher Sexualität fand keinen Eingang in die Abhandlungen der proletarischen Frauenbewegung<br />

oder in die „Gleichheit“. Jedoch waren viele Standpunkte Bebels in „Die Frau <strong>und</strong> der Sozia-<br />

lismus“ <strong>und</strong> Zetkins in ihrem 1896 erschienen Artikel „Arbeiterinnen pflegen keine Vestalinnen<br />

zu sein“ 902 ganz gr<strong>und</strong>sätzlicher <strong>und</strong> äußerst progressiver Art. 903 In beiden Werken wurden den<br />

Frauen sexuelle Bedürfnisse zugestanden <strong>und</strong> die Institution der Ehe kritisch hinterfragt. 904 Die<br />

bürgerliche Ehe, besonders die Konvenienzehe, komme lediglich einer Versorgungsinstitution<br />

gleich, innerhalb derer die Produktion legitimer Erben garantiert werden solle. Eine solche Form<br />

der Ehe sei legale Prostitution ohne echte Gefühle. Zetkin verteidigte das Recht proletarischer<br />

Mädchen <strong>und</strong> Frauen, ihre Gefühle <strong>und</strong> ihre sexuellen Bedürfnisse frei auszuleben – selbst ohne<br />

Trauschein, dafür aber mit „dem Manne […] ihre[r] Neigung“ 905 , in „gegenseitiger Achtung <strong>und</strong><br />

Sympathie“ 906 . In diesem Artikel prangerte Zetkin zudem den sexuellen Missbrauch von<br />

Arbeiterinnen durch ihre Vorgesetzten an <strong>und</strong> kritisierte die Doppelmoral des bürgerlichen Mono-<br />

gamie-Begriffs. Prostitution <strong>und</strong> einhergehende Geschlechtskrankheiten wurden als Auswüchse der<br />

kapitalistischen Gesellschaft <strong>und</strong> ihrer Doppel- bzw. Unmoral erachtet. 907 Der proletarischen Klasse<br />

<strong>und</strong> der proletarischen Frau dagegen wurden eine höhere Moral zugeschrieben. Bebel <strong>und</strong> Zetkin<br />

idealisierten sie, doch sie entsexualisierten sie nicht. 908<br />

Jedoch änderte sich die Betrachtung proletarischer Sexualität in der „Gleichheit“ nach dem<br />

Ausscheiden Zetkins gr<strong>und</strong>legend. Die Thematik büßte ihre systemkritische Qualität weitgehend ein<br />

<strong>und</strong> wurde auch von MitarbeiterInnen wie Anna Mosegaard, die als junges Dienstmädchen selbst<br />

eine Vielzahl sexueller Belästigungen durch ihre männlichen Arbeitgeber hatte ertragen müssen 909 ,<br />

902 Arbeiterinnen pflegen keine Vestalinnen zu sein. In: GL, 06/ 06/ 18.03.1896/ 41-42.<br />

903 Laut Puschnerat ist es jedoch problematisch, „Zetkin aus heutiger Perspektive als ‘Feministin’ […] zu verstehen<br />

[…], wenn man zum Gr<strong>und</strong>bestand feministischer Theorie das Recht der Frau auf autonome Selbstbestimmung<br />

zählt“ (Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 157). Denn nach Puschnerat schloss „Zetkins<br />

Kollektivismus […] eine eigenständige Entwicklung weiblicher Lebensentwürfe von vornherein aus“ (ebd.,<br />

S. 158). Sexualität als individuelles Interesse der Frau hätte eventuell gegensätzlich zum Klasseninteresse stehen<br />

können.<br />

904 Der Einfluss nietzeanischen Gedankenguts, so Puschnerat, mache sich in Zetkins Vorstellung über Sexualität<br />

deutlich. Sie forderte eine sittliche <strong>und</strong> geistige Zügelung der Sexualität <strong>und</strong> war gegen die „freie“ Ehe – damit de<br />

facto auch gegen die von den ProletarierInnen praktizierte Sexualmoral. Zetkins Eheideal sei strikt monogam,<br />

voller Selbstdisziplin <strong>und</strong> erotische Askese mit einem gemeinsamen Ideal als Gr<strong>und</strong>lage (vgl. Puschnerat, Clara<br />

Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 152). Auf Zetkins Artikel „Arbeiterinnen pflegen keine Vestalinnen zu<br />

sein“ nimmt Puschnerat keinen Bezug.<br />

905 Arbeiterinnen pflegen keine Vestalinnen zu sein. In: GL, 06/ 06/ 18.03.1896/ 41.<br />

906 Ebd.<br />

907 Vgl. Beavan/Faber, Wir wollen unser Teil fordern, S. 238.<br />

908 Siehe: Bebel, Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus, Arbeiterinnen pflegen keine Vestalinnen zu sein. In: GL, 06/ 06/<br />

18.03.1896/ 41 <strong>und</strong> vgl. Luckhardt, Die Frau als Fremde, S. 109.<br />

909 Mosegaard, Anna: Die „unsittlichen“ Dienstboten? In: GL, 22/ 02/ 23.10.1911/ 31.<br />

443


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

mit Stereotypen damaliger Moralvorstellungen vom „anständigen Mädchen“ 910 gespickt. 911 In ihrem<br />

1921 erschienenen Artikel beschrieb sie, wie sie selbst ihre Tochter <strong>und</strong> ihren ältesten Sohn<br />

sexuell aufklärte. Ihr Anliegen dabei war es aber, sie vor allem vor den Gefahren von<br />

Geschlechtskrankheiten zu schützen, nicht ihre Vorbereitung auf ein erfülltes Sexualleben. In den<br />

Mutter-Kind-Gesprächen wurde nicht auf Probleme wie „Das erste Mal“ oder den eigenen, noch<br />

unbekannten Körper eingegangen, sondern auf die Übertragungsweisen von Geschlechts-<br />

krankheiten – <strong>und</strong> das so „körperlos“ wie möglich. Da war von dem „Teufel Alkohol“ 912 die Rede<br />

<strong>und</strong> seinem Beitrag zur Verbreitung der heimtückischen Geschlechtskrankheiten. Die ohnehin<br />

durch den Krieg dezimierte Bevölkerung galt als in ihrem ges<strong>und</strong>en Bestand gefährdet, deshalb<br />

hatte sexuelle Aufklärung im Allgemeinen eine bevölkerungspolitische Intention.<br />

Auch wenn Mosegaard betonte, wie wichtig es sei „‘über solche Sachen mit den jungen Leuten<br />

[zu] reden’“ 913 [Hervorhebung von M.S.], so sah sie doch für Jungen <strong>und</strong> Mädchen einen sehr<br />

unterschiedlichen Aufklärungsbedarf. Mädchen hätten eine wesentlich größere Reife <strong>und</strong> Selb-<br />

ständigkeit. Und selbst wenn sie diese nicht hätten, so hielten sich die anständigen Mädchen doch<br />

bereits aus „Angst vor dem ‘Mutterwerden’ […] rein“ 914 <strong>und</strong> entsprachen so zwangsläufig den<br />

gesellschaftlichen Kodizes. Mütter wie Mosegaard gaben ihren Töchtern Folgendes mit auf den<br />

Weg: „Ein Mädchen ist wie eine weiße Schürze, ist erst ein Fleck daran, ist die ganze Schürze<br />

verdorben.“ 915<br />

Wenn Sexualität demnach auch nicht zu den Tabuthemen sozialdemokratischer Diskussionen<br />

gehörte, so doch bestimmte Teilbereiche. Nicht nur in der traditionellen Öffentlichkeit der SPD, in<br />

Presse, Agitationsschriften <strong>und</strong> Versammlungen wurden die Frage der Empfängnisverhütung, die<br />

rollenstereotype Arbeitsteilung im Haushalt <strong>und</strong> die Gewalt gegen Frauen tabuisiert 916 , auch die<br />

proletarische Frauenbewegung maß diesen sich aus Paarbeziehungen ergebenden Problemen<br />

kaum Bedeutung zu. Im Vordergr<strong>und</strong> stand vielmehr, dass sich mit dem Wunsch der meisten<br />

Proletarier nach einer anderen, besseren Gesellschaft auch Vorstellungen eines ganz privaten<br />

910 Mosegaard, Anna: Ein Wort an unsere Mütter. In: GL, 31/ 01/ 01.01.1921/ 3-5.<br />

911 „Mit der endgültigen Konversion der SPD zur ‘Ordnungspartei’ verkümmerte die sozialdemokratische Frauenbewegung<br />

weitgehend zu einer Organisation für Wohlfahrtspflege. Hatte die sozialdemokratische Frauenbewegung<br />

seit je nur zögernd sexuelle Tabus der bürgerlichen Gesellschaft angegriffen, so identifizierte sie sich nun fast<br />

völlig mit deren repressiven Moralvorschriften.“ (Merfeld, Die Emanzipation der Frau in der sozialistischen<br />

Theorie <strong>und</strong> Praxis, S. 78).<br />

912 Mosegaard, Anna: Ein Wort an unsere Mütter. In: GL, 31/ 01/ 01.01.1921/ 3.<br />

913 Ebd.<br />

914 Ebd., S. 4.<br />

915 Ebd.<br />

916 Soder, Hausarbeit <strong>und</strong> Stammtischsozialismus, S. 70.<br />

444


4.3.1 ZUM LEITBILD DER SOZIALISTISCHEN EHEFRAU<br />

Glückes verbanden, die kleinbürgerlich geprägt waren. „Vor der Zeit verblüht <strong>und</strong> gealtert,<br />

überflutet von Arbeit, Kindersorgen <strong>und</strong> Krankheit, mit einem schlecht verdienenden Mann, den<br />

oft das Elend im eigenen Hause in die Kneipe trieb“ 917 , so Weber-Kellermann, „konnte es für diese<br />

Frauen nur eine Wunschvorstellung geben: das bürgerliche Familienidyll mit der nicht arbeitenden<br />

sorglosen Hausfrau.“ 918 Indem sich die „Gleichheit“ anfangs vornehmlich an die erwerbstätigen<br />

Proletarierinnen gewandt hatte, hatte sie diesem Rollenbild bewusst nicht entsprechen wollen. Die<br />

proletarische Familie sollte weniger Ort eines „persönlichen Glücks“ oder eines Familien-<br />

egoismus sein, sondern Ort des gemeinsamen Klassenkampfes von Mann <strong>und</strong> Frau <strong>und</strong> Erziehung<br />

der Kinder zum Sozialismus. Die proletarische Familie hatte Bollwerk zu sein gegen „die bürger-<br />

liche Indoktrination durch Kirche <strong>und</strong> Schule“ 919 . Doch auch die „Gleichheit“ konnte nicht umhin,<br />

den Wunschvorstellungen ihrer Leserinnen zu entsprechen – z. B. durch die Einführung der<br />

Beilagen. Nach dem Redaktionswechsel kam hinzu, dass man sich angesichts der veränderten<br />

Position als systemtragende Partei von gar zu radikalen sozialistischen Positionen distanzieren<br />

musste. So war „Gleichheit“-Autor Wilhelm Soldes der Meinung, dass<br />

„[g]egen die Bestrebungen törichter Menschen, die aus Unkenntnis der<br />

Entwicklungsgeschichte des Menschengeschlechtes <strong>und</strong> der Formen seines<br />

geschlechtlichen Lebens die Frau als eine Sache zum Gemeineigentum machen<br />

wollen, […] nicht energisch genug Stellung genommen werde[…].“ 920<br />

Soldes lehnte sich jedoch in seinen Ausführungen deutlich an das auch unter Zetkin vertretene<br />

Eheideal an:<br />

„Die n e u e Ehe, wie wir sie erstreben, soll nicht nur dem einen Zweck der<br />

Befriedigung des physischen Bedürfnisses dienen, sondern sie soll mehr sein: die<br />

innige seelische Gemeinschaft zweier sich gleichberechtigt gegen -<br />

überstehender Menschen.“ 921<br />

Sogar die Kritik an einer „kapitalistisch-orientierten Ehe, der ‘Zwangsehe’“ sah Soldes als<br />

notwendig an <strong>und</strong> sah die „Ablösung […] durch die innige seelische <strong>und</strong> physische Ehegemein-<br />

schaft, die f r e i e s o z i a l i s t i s c h e E i n e h e , in der Mann <strong>und</strong> Frau als ganze Menschen<br />

gleichberechtigt zusammenstehen“ 922 voraus.<br />

917 Weber-Kellermann, Die deutsche Familie, S. 140f.<br />

918 Ebd. Soder beschreibt dieses Idyll ironisch: „Familienleben meinte – für Sozialdemokraten <strong>und</strong> Bürger gleichermaßen<br />

– ein trautes warmes Heim, möglichst mit pfeiferauchendem Vater, dem die strickende Mutter die<br />

Pantoffeln reicht, artig angestrahlt von rotbackigen Kindern, […]“ (Soder, Martin: Hausarbeit <strong>und</strong> Stammtischsozialismus,<br />

S. 25).<br />

919 Gomard, Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität <strong>und</strong> Utopie, S. 41.<br />

920 Soldes, Wilhelm: Sozialisierung der Frau oder sozialistische Ehe? In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 340-341,<br />

S. 341.<br />

921 Ebd.<br />

922 Ebd.<br />

445


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Einen weniger sozialistischen, sondern beinahe esoterischen Tenor hat folgendes, in der<br />

„Gleichheit“ von Max Dortu [d.i. Karl Neumann] (1878-1935) 923 publiziertes Gedicht:<br />

„Gleichheit / Der Mann ist nicht größer als die Frau. / Der Mann steht nicht über<br />

der Frau: der Mann steht neben der Frau! / Mann <strong>und</strong> Frau sind ergänzende Hälften<br />

der Einheit Mensch. / Nur diese zweigeteilte Einheit zeugt das Kind. / Die Seele<br />

der Frau ist Sonnenflug. Die Seele des Mannes ist mehr Erdtrieb. Frauenseele <strong>und</strong><br />

Mannesseele zusammen sind der Maßstab am kosmischen Gedanken. / Wessen<br />

Dünkel die Frau überfliegen will: dessen Sturz in den Abgr<strong>und</strong> des Nichterkennens<br />

ist sicher. / Gleichheit zwischen Mann <strong>und</strong> Frau – nicht im Charakter – aber im<br />

Seelenwert: das ist das sternhintragende Schwingenpaar erkannten Menschentums!“<br />

924<br />

Die nun folgenden biographischen Skizzen heben wie auch einige zuvor dargestellte<br />

Frauenbiographien „weiblicher Vollmenschen“ das Ideal der Genossenschaft von Mann <strong>und</strong> Frau<br />

hervor. Sie geben einen Eindruck von dem „Zweisamkeitsideal“, wie es in der „Gleichheit“ de-<br />

finiert wird. Meist handelt es sich dabei um die legitimierte Form der Lebensgemeinschaft, die<br />

Ehe, <strong>und</strong> nicht um eheähnliche Gemeinschaften bzw. „wilde Ehen“ wie die von Clara <strong>und</strong> Ossip<br />

Zetkin oder von Mary Wollstonecraft (1759-1797) <strong>und</strong> Imlay. Diese Form des Zusammenlebens<br />

war, wenn auch in der Arbeiterklasse akzeptiert, eher ungewöhnlich. Auch eine tolerante Ehe wie<br />

die von Wilhelm <strong>und</strong> Karoline von Humboldt findet sich in den biographischen Skizzen kein<br />

zweites Mal. Dies spricht einerseits für die große Bedeutung des Treuebegriffs innerhalb sozialis-<br />

tischer Partnerschaftsvorstellungen, doch haftete andererseits einer Scheidung im Proletarier-<br />

milieu nichts Verwerfliches an. So vollzog die „Gleichheit“, wie es Gomard sehr zutreffend<br />

ausdrückt, „eine Gratwanderung zwischen überkommener bürgerlicher Moral <strong>und</strong> Ansätzen zu<br />

einer alternativen Moral auf sozialistischer Gr<strong>und</strong>lage“ 925 .<br />

Diejenigen Frauen, die hier dem Frauenleitbild der sozialistischen Ehefrau zugeordnet wurden,<br />

sind keine Ehefrauen der Art einer Jeanne-Marie Roland, die ihren Ehemann an gesellschaft-<br />

lichem Einfluss deutlich überragte. Es sind meist Ehefrauen, die sich auszeichneten, weil sie an<br />

der Seite ihres Ehemannes standen – auch wenn sie selbst nicht öffentlich wirksam wurden. Es<br />

verkörperte diejenige Frau das sozialistische Ideal einer Ehefrau <strong>und</strong> Mutter, die es schaffte, keine<br />

ihrer „naturgegebenen“ Aufgaben zu vernachlässigen, während sie sich außerdem politisch bildete<br />

<strong>und</strong> engagierte. Ein Ideal, das unter den gegebenen Arbeits- <strong>und</strong> Lebensbedingungen nahezu<br />

923 Max Dortu war das Pseudonym des Arbeiterdichters Karl Neumann <strong>und</strong> bezog sich auf den im Alter von 22<br />

Jahren in Freiburg i. Br. hingerichteten 1848er Revolutionär Johann Maximilian Dortu (1826-1849).<br />

924 Dortu, Max: Gleichheit. In: GL, 32/ 16/ 15.08.1922/ 151.<br />

925 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 37. So wie die Frauenfrage Anhängsel der politischen<br />

Theoriebildung geblieben sei, sei das sozialistische Eheideal durch <strong>und</strong> durch bürgerlich geprägt gewesen<br />

(vgl. Geiger/Weigel, Sind das noch Damen?, S. 85).<br />

446


4.3.1 ZUM LEITBILD DER SOZIALISTISCHEN EHEFRAU<br />

unmöglich erschien. Zwar findet sich, wie Gomard treffend feststellt, „[a]n keiner Stelle […] ein<br />

Hinweis darauf, daß die Ehemänner etwa im Haushalt mitgeholfen hätten“ 926 , doch gibt es viele<br />

Beispiele für Ehemänner, die der Hemmschuh für das politische Engagement ihrer Frauen waren.<br />

Diese Beispiele lassen sich sowohl in den Biographien der „Gleichheit“- MitarbeiterInnen als<br />

auch in den Biographien „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ <strong>und</strong> „<strong>Klassenkämpferinnen</strong>“ finden. Die nun<br />

folgenden biographischen Artikel konnten den „Gleichheit“-Leserinnen kaum Wege aus dem<br />

dargestellten Dilemma der Doppelbelastung aufzeigen, aber den Stellenwert gemeinsamer<br />

politischer Ideale untermauern. Das Leben vieler historischer Frauenpersönlichkeiten wäre in<br />

Vergessenheit geraten, hätten es die idealen Ehemänner nicht zumindest in ihren Memoiren<br />

gewürdigt.<br />

926 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 35.<br />

447


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

4.3.2 Die Genossin seiner geistigen Ideale<br />

Einige der bereits portraitierten Frauen hatten ihren Lebensweg gekreuzt: Christiane Goethe-<br />

Vulpius (1765-1816). Auffälligerweise wird die Ehefrau des berühmten Dichters Johann Wolf-<br />

gang von Goethe nur in wenigen biographischen Beschreibungen mit eben jenem Doppelnamen<br />

bezeichnet. 927 In dem bereits vorgestellten „Gleichheit“-Artikel zum Leben Katharina Elisabeth<br />

Goethes stellte Wittich fest, dass Geschichte <strong>und</strong> Literaturgeschichte von ihr als „Christiane von<br />

Goethe“ spreche. Diesen Namen sah er nicht nur deshalb als gerechtfertigt an, weil „der Weimarer<br />

Olympier […][sie] sich kirchlich antrauen ließ“ 928 , sondern weil er für das besondere Verhältnis<br />

der beiden Menschen zueinander stehe. Nicht nur, weil ich mich im Folgenden vornehmlich auf<br />

den Artikel „Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung“ 929 von Anna Blos beziehe <strong>und</strong> um<br />

Verwechslungen vorzubeugen, sondern auch in Hinblick auf die vielen Jahre, die das Paar in<br />

einem freien Liebesverhältnis lebte, werde ich in dieser Arbeit den weniger gebräuchlichen<br />

Doppelnamen verwenden.<br />

Blos gab ihrem Artikel den bezeichnenden Untertitel „Eine Rechtfertigung“, weil sie denjenigen<br />

Lästerzungen entgegenwirken wollte, die von Goethe-Vulpius wie von so manchen anderen<br />

Persönlichkeiten nur ein „verzerrtes Bild“ 930 in die Welt gesetzt hätten. 931 Dennoch bezog sich<br />

Blos auf den Weimarer Klatsch der damaligen Zeit <strong>und</strong> teilte den „Gleichheit“-Leserinnen mit,<br />

Goethe-Vulpius‘ Vater sei „an Trunksucht zugr<strong>und</strong>e gegangen“ 932 . Während er seinem Sohn<br />

Christian eine gute Bildung zukommen ließ, war die seiner Tochter Christiane eine sehr mangel-<br />

hafte. Goethe-Vulpius wurde Arbeiterin in einer Blumenfabrik. Es konnte also kaum eine<br />

umfassende Bildung sein, die Goethe später an ihr schätzen würde. Vielmehr sei es, so Blos, der<br />

„tiefweibliche[…] Gehalt ihres Wesens“ 933 gewesen, der den Dichter faszinierte. Dies wohl schon<br />

an dem Tag, an dem dieses Fabrikmädchen eine die Anstellung des Bruders betreffende Bittschrift<br />

927 So z. B. in: Weissensteiner, Die Frauen der Genies.<br />

928 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 10/ 07.05.1902/ 76.<br />

929 Blos, Anna: Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung. In: GL, 29/ 01/ 11.10.1918/ 6-7; GL, 29/ 02/<br />

25.10.1918/ 13-14.<br />

930 Blos, Anna: Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung. In: GL, 29/ 01/ 11.10.1918/ 6.<br />

931 Auch das von Etta Federn (1883-1951) verfasste Werk „Christiane von Goethe. Ein Beitrag zur Psychologie<br />

Goethes“ (1916), welches bereits im selben Jahr in zweiter Auflage erschien, sei, so Blos, „ein dankenswertes<br />

Unternehmen, […] solchen Persönlichkeiten zu ihrem Recht zu verhelfen <strong>und</strong> klarzulegen, daß sie besser waren<br />

als ihr Ruf“ (ebd.). Es wäre daher sehr aufschlussreich, die Werke anderer BiographInnen mit den Artikeln <strong>und</strong><br />

Werken Blos‘ direkt zu vergleichen. So würden die Gegensätze von sozialistischer <strong>und</strong> bürgerlicher Geschichtsschreibung<br />

noch deutlicher aufgezeigt.<br />

932 Ebd.<br />

933 Blos, Anna: Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung. In: GL, 29/ 01/ 11.10.1918/ 6.<br />

448


4.3.2 DIE GENOSSIN SEINER GEISTIGEN IDEALE<br />

an den „mächtigen Minister“ Goethe überbrachte <strong>und</strong> ihm so zum ersten Mal begegnete. 934<br />

Zu Beginn war Goethe-Vulpius „nur“ Goethes „Bettschatz“ 935 <strong>und</strong> die Mutter einiger früh<br />

verstorbener gemeinsamer Kinder sowie schließlich der Söhne August <strong>und</strong> Wolfgang. Dennoch<br />

wurde sie, wie man aus entsprechenden Briefen erfahre, auch von Beginn an von Goethes Mutter<br />

Katharina Elisabeth vollauf akzeptiert <strong>und</strong> gemocht. 936<br />

1801 erkrankte Goethe lebensgefährlich. Nur die, so Blos, „aufopfernde Pflege“ 937 seiner Ehefrau<br />

habe ihn gerettet. Fünf Jahre später rettete sie ihm erneut das Leben, indem sie sich tapfer<br />

zwischen ihn <strong>und</strong> französische Marodeure warf. 938 Im selben Jahr – dem Jahr der Schlacht von<br />

Jena, dem Geburtsjahr des gemeinsamen Sohnes Wolfgang – erfolgte die kirchliche Trauung <strong>und</strong><br />

damit die Legitimierung ihrer Liebesbeziehung. Die Trauung war ein rein formaler Akt. Er habe,<br />

so hier die Meinung Wittichs, weder der Beziehung „einen Deut tiefere Bedeutung <strong>und</strong> höhere<br />

Weihe“ 939 verleihen können als sie ohnehin bereits hatte, noch habe er Goethe-Vulpius in den<br />

Augen der Weimarer Öffentlichkeit rehabilitiert. Die eingangs erwähnten Lästerzungen schwiegen<br />

nicht still <strong>und</strong> hätten dies wohl auch nicht, selbst wenn das freie Liebesverhältnis bereits früher<br />

legitimiert worden wäre. 940 Zu diesen gehörte vor allem Goethes ehemalige Geliebte Charlotte von<br />

Stein, „die mit dem feinen <strong>weiblichen</strong> Empfinden früher als Goethe selbst erkannt[…] [habe], daß<br />

seine Liebe zu Christiane mehr bedeutete als nur sinnliches Hinneigen“ 941 <strong>und</strong> deshalb große<br />

Eifersucht empfand.<br />

In seinem Artikel zum Leben der Mutter Goethes bemühte sich Wittich, das Bild Goethe-Vulpius‘<br />

als das einer dem Genie untergeordneten Persönlichkeit zu widerlegen. Aus den Briefen Goethes<br />

ginge klar hervor, dass sie „die ihm ‘Bestimmte’“ 942 gewesen sei. Blos war ähnlicher Meinung, als<br />

sie schrieb, dass sich Goethe-Vulpius mit dem ihr eigenen „einfachen natürlichen Scharfblick“ 943<br />

934 Vgl. ebd.<br />

935 Ebd.<br />

936 Vgl. ebd.<br />

937 Ebd.<br />

938 Vgl. Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 10/ 07.05.1902/ 76.<br />

939 Ebd.<br />

940 Vgl. ebd.<br />

941 Blos, Anna: Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung. In: GL, 29/ 01/ 11.10.1918/ 6.<br />

Blos erachtete es als sehr auffällig, dass Goethe-Vulpius im Briefwechsel der beiden Fre<strong>und</strong>e Goethe <strong>und</strong> Schiller<br />

keinerlei Rolle gespielt habe <strong>und</strong> dass selbst nachdem Schiller ihr seinen Sohn manches Mal zur Obhut gegebenen<br />

hatte, sich kein Dank oder Gruß an sie finden lasse. Dieses kühle Verhalten Schillers sei auf den Einfluss<br />

zurückzuführen, den Stein auf Schillers Ehefrau Charlotte (1766-1826) gehabt habe (vgl. ebd., S. 13). Tatsächlich<br />

war Stein die Patin Charlotte Schillers.<br />

942 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 11/ 21.05.1902/ 84.<br />

943 Blos, Anna: Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung. In: GL, 29/ 02/ 25.10.1918/ 14.<br />

449


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

„als tapfere Mitkämpferin im Kampfe gegen Dummheit <strong>und</strong> Bosheit an seiner Seite in vollem<br />

Maße bewährt“ 944 habe. Charlotte von Stein sah in ihr jedoch nur „‘eine Dirne, eine ungebildete<br />

dumme Köchin, eine Säuferin’“ 945 . Was Goethe-Vulpius im Gegenzug von Stein dachte, behielt<br />

sie laut Blos für sich – wie sie auch sonst nie Böses über andere gesprochen haben soll. 946<br />

Auch in anderer Hinsicht legte sich Goethe-Vulpius ein sehr dickes Fell zu <strong>und</strong> trug in großer<br />

„Selbstlosigkeit […] alle Sorgen allein“ 947 . Erst dann, wenn jeder Kummer überstanden war, habe<br />

sie den oft abwesenden Goethe über die nun gelösten Probleme informiert. Ein Merkmal ihrer<br />

Ehe, die jedoch m. E. wenig von einer Partnerschaft hat. Goethe-Vulpius bereitete ihrem auf<br />

seinen Reisen „von schönen <strong>und</strong> geistreichen Frauen“ 948 umworbenen Gatten ein besonderes<br />

Heim, was ihn schreiben ließ: „‘<strong>Von</strong> Ost nach Westen, zu hause am besten.’“ 949 Auch auf seine<br />

künstlerische Arbeit hatte sie inspirierenden Einfluss <strong>und</strong> manche Frauengestalten tragen ihre<br />

Charakterzüge – das Gretchen im „Faust“ oder das Klärchen im „Egmont“ (1788). Laut Blos<br />

stand für die Biographin Ella [d.i. Etta] Federn (1883-1951) deshalb Folgendes fest:<br />

„‘Und wenn wir von Christiane gar nichts wüßten, als daß Goethe ihr die Metamorphose<br />

der Pflanzen schrieb, es wäre Gr<strong>und</strong> genug, sich mit ihr zu beschäftigen<br />

<strong>und</strong> in ihr Wesen einzudringen.’“ 950<br />

Demnach bestand Goethe-Vulpius‘ Verdienst bereits darin, als Muse des großen Dichters gewirkt<br />

zu haben. Entscheidende Erkenntnis der proletarischen Leserinnen konnte demnach sein,<br />

„daß Goethes tiefste <strong>und</strong> einzig dauernde Neigung dem Kind aus dem Volke<br />

gegolten hat, über das auch heute noch viele die Nase rümpfen möchten“ 951 .<br />

Selbst, wenn es wie im Falle Charlotte von Steins nur die „Strahlen der Dichtersonne“ 952 waren,<br />

die dem Vorbild Goethe-Vulpius‘ Glanz verliehen, dürfte jede Proletarierin dank dieser gr<strong>und</strong>sätz-<br />

lichen Aussage <strong>und</strong> dieses Vorbildes einen gewissen Stolz empf<strong>und</strong>en haben.<br />

Es war die 1873 erschienene Autobiographie ihres zweiten Ehemannes John Stuart Mill, die dem<br />

Leben, dem Wirken <strong>und</strong> der Persönlichkeit Harriet Taylor-Mills (1807-1858) ein Denkmal<br />

944 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 11/ 21.05.1902/ 84.<br />

945 Charlotte von Stein zit. nach: Blos, Anna: Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung. In: GL, 29/ 02/<br />

25.10.1918/ 14.<br />

946 Vgl. ebd.<br />

947 Ebd., S. 13.<br />

948 Ebd., S. 14.<br />

949 Johann Wolfgang von Goethe zit. nach: Ebd.<br />

950 Ella Federn zit. nach: Ebd.<br />

951 Ebd.<br />

952 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. Charlotte von Stein. In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 338.<br />

450


4.3.2 DIE GENOSSIN SEINER GEISTIGEN IDEALE<br />

setzte. 953 Diese Autobiographie war auch die Gr<strong>und</strong>lage für einen vermutlich von Zetkin<br />

verfassten biographischen Artikel. Zu Beginn hielt sich Zetkin darin auffällig mit jeder Wertung<br />

zurück <strong>und</strong> formulierte scheinbar um Objektivität bemüht:<br />

„Sie muß eine außerordentliche Frau gewesen sein, werth der Liebe <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>schaft<br />

ihres bedeutenden Mannes.“ 954<br />

Es scheint, dass Zetkin an dieser Stelle kein endgültiges Urteil über Taylor-Mill hatte fällen<br />

wollen. Im gleichen Augenblick aber machte sie die Bedeutung, die Taylor-Mill für ihren Ehe-<br />

mann hatte, zum Maßstab ihrer Beurteilung. Es ist anzunehmen, dass Zetkins ganzes Wissen um<br />

das Leben Taylor-Mills nur auf den subjektiven Erzählungen des Ehemannes basierte <strong>und</strong> ihr<br />

Urteil deshalb so zögerlich ausfiel. Ihren Leserinnen legte sie ans Herz, sich selbständig mit dieser<br />

Autobiographie zu beschäftigen. 955 Im Folgenden zitierte Zetkin einen großen Abschnitt jener<br />

Autobiographie Mills, machte jedoch keinerlei Angaben zu der von ihr herangezogenen Ausgabe<br />

oder Übersetzung.<br />

Mill beschrieb, wie die Fre<strong>und</strong>schaft mit seiner späteren Ehefrau „‘Ehre <strong>und</strong> […] Hauptsegen<br />

[s]eines Daseins’“ 956 wurde. Auch sei diese Fre<strong>und</strong>schaft „‘die Quelle von Vielem’“ gewesen, was<br />

er „‘zur Hebung der Menschheit versucht habe oder noch zu erzielen hoff[t]e’“ 957 . Eine<br />

Fre<strong>und</strong>schaft, die 1830 begann <strong>und</strong> erst 22 Jahre später in einer Ehe mündete.<br />

Harriet Taylor-Mill wurde als Harriet Hardy in London geboren. Ihren Charakter hätten schon<br />

früh ein stetiges Streben nach „‘Selbstveredelung’“, nach einem „‘inneren Aufschwung’“ <strong>und</strong> eine<br />

„‘Bereicherung an Weisheit’“ 958 ausgezeichnet. Mills Bemerkung, sie habe bis zu ihrer Bekannt-<br />

schaft mit ihm „‘den hergebrachten Typus des <strong>weiblichen</strong> Genius entfaltet’“ 959 [Hervorhebungen<br />

von M.S.], scheint auf die Rolle hinzudeuten, die er bei ihrer geistigen Entwicklung spielte oder<br />

gespielt zu haben meint. Sie sei eine „‘geistvolle Schönheit mit einem Zug von natürlicher<br />

Distinktion’“ 960 gewesen <strong>und</strong> für ihr näherstehende Menschen<br />

„‘ein Weib von tiefem, starkem Gefühl, einem eindringenden, schnell auffassenden<br />

Verstand <strong>und</strong> hervorragend beschaulichem, poetischem Wesen’“ 961 .<br />

953 Diese Autobiographie trug den schlichten Titel „Autobiography“. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen<br />

werden, dass Zetkin die Originalausgabe verwandte.<br />

954 John Stuart Mills Frau. In: GL, 06/ 05/ 04.03.1896/ 38.<br />

955 Vgl. ebd.<br />

956 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />

957 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />

958 John Stuart Mill zit. nach: Ebd., S. 39.<br />

959 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />

960 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />

961 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />

451


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Umso unverständlicher erscheint Taylor-Mills frühe Heirat mit John Taylor. Dieser sei, so das Ur-<br />

teil ihres zweiten Ehemannes, zwar ein ehrenhafter, liberal eingestellter <strong>und</strong> gut erzogener Mensch<br />

gewesen sei, jedoch ohne jegliches intellektuelles <strong>und</strong> künstlerisches Interesse. Wenn John Taylor<br />

deshalb auch kein „‘harmonische[r] Gefährte[…]’“ 962 für Taylor-Mill habe sein können, so sei ihr<br />

Verhältnis dennoch ein sehr gutes gewesen <strong>und</strong> Taylor-Mill habe ihrem Ehemann ehrlich <strong>und</strong> treu<br />

angehangen. 963<br />

Schon bald, nachdem Mill Aufnahme in den Fre<strong>und</strong>eskreis des Ehepaares gef<strong>und</strong>en hatte, habe er<br />

erkannt, dass Taylor-Mill all jene Eigenschaften in sich vereinte, die er bei all seinen Bekannten<br />

stets nur partikulär vorgef<strong>und</strong>en habe:<br />

„‘Bei ihr stammten die vollständige Freiheit von Aberglauben jeder Art <strong>und</strong> das<br />

ernste Zurückweisen vieler Dinge, die noch einen Theil der hergebrachten Gesellschaftseinrichtungen<br />

bilden, nicht aus einem starren Verstand, sondern aus der<br />

Kraft eines edlen, gehobenen Gefühls <strong>und</strong> konnten recht wohl bestehen neben einer<br />

Natur, die mit Achtung für alles Edle <strong>und</strong> Hohe erfüllt war.’“ 964<br />

Taylor-Mill habe zudem eine besondere Auffassungsgabe besessen, die sie in die Lage versetzte,<br />

den Gedankenfaden Mills aufzunehmen. Er habe ihr „‘in intellektueller Beziehung’“ 965 sehr viel<br />

zu verdanken. Oft habe er Lob geerntet, welches zum Teil ihr anzurechnen sei.<br />

Neben ihrem Verstand, mit dem sie sehr schnell <strong>und</strong> umfassend das Prinzip einer Idee erfassen<br />

konnte, habe sie eine „‘feurige <strong>und</strong> zarte Seele’“ 966 , „‘lebhafte Beredsamkeit’“ 967 , „‘eine tiefe<br />

Kenntniß der Menschennatur <strong>und</strong> eine große Klugheit <strong>und</strong> Unterscheidungsgabe im praktischen<br />

Leben’“ 968 besessen. All dies überzeugte Mill davon, dass seine Gefährtin<br />

„‘in den Zeiten, die den Frauen eine weite Laufbahn erschließt, eine hochstehende<br />

Rolle hätte spielen müssen unter den Lenkern des Menschengeschlechts’“ 969 .<br />

Auch wenn ihr diese Karriere versagt blieb, so stellte sie doch all ihre intellektuellen Fähigkeiten,<br />

so Mill, in den „‘Dienste eines moralischen Charakters’“ 970 . Es scheint, als habe Taylor-Mill ein<br />

harmonisches Gleichgewicht gelebt, das man entsprechend der Zetkin‘schen Thesen auch als<br />

„weibliches Vollmenschentum“ bezeichnen könnte. Dazu gehört auch ihre große „‘Selbstlosig-<br />

962 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />

963 Vgl. ebd.<br />

964 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />

965 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />

966 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />

967 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />

968 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />

969 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />

970 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />

452


keit’“ 971 , die laut des analytischen Urteils Mills<br />

4.3.2 DIE GENOSSIN SEINER GEISTIGEN IDEALE<br />

„‘nicht die eines angelernten Systems von Pflichten [gewesen sei], sondern der<br />

Ausfluß eines Herzens, das die Gefühle Anderer zu den eigenen machte, ja wohl<br />

darüber hinausging, indem sie diese Gefühle imaginativ mit der Innigkeit der<br />

ihrigen bekleidete’“ 972 .<br />

Taylor-Mill war demnach ein sehr intuitiver, empathischer <strong>und</strong> auch altruistischer Mensch. So<br />

seien all ihre selbstlosen Taten aus einem „‘schrankenlosen Edelmuth’“ 973 <strong>und</strong> einer „‘Fülle von<br />

Liebe’“ 974 heraus geschehen. So, wie sich ihre intellektuellen Eigenschaften harmonisch mit ihren<br />

moralischen Charakterzügen ergänzten, stand alles zusammen im Einklang mit den Eigenschaften<br />

ihres Geistes <strong>und</strong> Herzens. Taylor-Mill vereinte in sich, so Mill,<br />

„‘die echteste Bescheidenheit in Verbindung mit dem edelsten Stolz, die größte<br />

Einfachheit <strong>und</strong> Aufrichtigkeit gegen Alle, die sich dafür empfänglich zeigten, die<br />

tiefste Verachtung gegen das Gemeine <strong>und</strong> Feige, <strong>und</strong> ein glühender Unwille über<br />

alles Rohe <strong>und</strong> Tyrannische, Treulose oder Unehrenhafte im Benehmen <strong>und</strong> Charakter’“<br />

975 .<br />

Doch noch war diese so leidenschaftlich verehrte Frau <strong>und</strong> Mutter einer Tochter die Ehefrau eines<br />

anderen <strong>und</strong> Mill nur ein Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> häufiger Gast der Familie. Seine Besuche, die anfangs<br />

wirklich nur aus Anhänglichkeit <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>schaft motiviert gewesen seien, fanden oft in der Ab-<br />

wesenheit Taylors statt. Sehr leicht hätten sie Ursache für Eifersucht <strong>und</strong> Klatsch sein können,<br />

doch Taylor-Mill setzte sich ohne zu zögern über jede böswillige Deutung <strong>und</strong> jeden<br />

gesellschaftlichen Dünkel hinweg.<br />

1849 verunglückte Taylor tödlich. Mill, der Fre<strong>und</strong> der Familie, fasste nun den Entschluss, „‘den<br />

Unfall zu [s]einem Besten zu wenden’“ 976 . Der bereits bestehenden „‘Gemeinschaft des Denkens,<br />

Fühlens <strong>und</strong> Schreibens’“ habe er „‘die Vereinigung [ihres][…] ganzen Daseins hinzufüg[en]’“ 977<br />

wollen. 1851 heiratete er Taylor-Mill, die bereits siebeneinhalb Jahre später während eines<br />

Aufenthaltes in Frankreich an einer Lungenentzündung starb.<br />

Zetkin sah die Notwendigkeit, zusätzlich die Widmung, die Mill in seinem Buch „Ueber die<br />

Freiheit“ (1859) veröffentlicht hatte, wörtlich wiederzugeben. Es habe darin ihr Ehemann Taylor-<br />

Mill „ein schönes Denkmal […] gesetzt […], das ebenso für sie als für ihn spr[eche]“ 978 . Es war<br />

971 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />

972 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />

973 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />

974 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />

975 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />

976 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />

977 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />

978 Ebd.<br />

453


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

dem Philosophen Mill ein großes Bedürfnis, auf diese Weise die Unterstützung, die er von seiner<br />

Ehefrau beim Schreiben <strong>und</strong> Korrigieren seiner Schriften erfahren hatte, besonders heraus-<br />

zustellen. Er widmete daher sein Werk<br />

„‘[d]em geliebten <strong>und</strong> beweinten Andenken Derjenigen, die Alles, was das Beste in<br />

meinen Schriften ist, mir eingegeben <strong>und</strong> zum Theil selbst geschaffen hat – der<br />

Fre<strong>und</strong>in <strong>und</strong> Gattin, deren hoher Sinn für Wahrheit <strong>und</strong> Recht mein stärkster<br />

Antrieb <strong>und</strong> deren Billigung mein bester Lohn war, […]. Gleich Allem, was ich seit<br />

vielen Jahren geschrieben habe, ist diese Schrift ebenso sehr ihr Werk als das<br />

meinige.’“ 979<br />

Demnach dürfte der Anteil, den Taylor-Mill an den Werken Mills hatte, nicht unwesentlich <strong>und</strong><br />

über reine Inspiration deutlich hinausgegangen sein. Sie hatte nicht die Rolle einer Muse, sondern<br />

einer ebenbürtigen Mitarbeiterin <strong>und</strong> Mitstreiterin. Ihre Ehe verkörperte die absolute Hingabe für<br />

die Ideale des anderen, weshalb Mill in tiefer Trauer schrieb:<br />

„‘Meine Lebensziele sind nur diejenigen, die auch die ihrigen waren, meine<br />

Beschäftigung die, welche sie mit mir theilte <strong>und</strong> die mich stetig an sie erinnert. Ihr<br />

Andenken ist für mich eine Religion <strong>und</strong> ihr Beifall meine Richtschnur, nach der<br />

ich, da sie alles Würdige <strong>und</strong> Edle einschließt, mein Leben zu regeln bemüht bin.’“<br />

980<br />

Hinsichtlich der Fragestellung der vorliegenden Arbeit muss die Darstellung einer solch großen<br />

„Gegenliebe“ besonders hervorgehoben werden. Mill drückte seine eigenen Gefühle <strong>und</strong> eigenen<br />

Zielsetzungen in einer Art <strong>und</strong> Weise aus, wie sie bisher nur für das Leitbild der idealen Ehefrau<br />

dokumentiert wurden. Diese Worte eines Ehemannes jedoch dürften die „Gleichheit“-Leserinnen<br />

nicht nur emotional berührt, sondern auch das von der proletarischen Frauenbewegung entworfene<br />

Eheideal für sie noch erstrebenswerter gemacht haben.<br />

979 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />

980 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />

454


4.3.3 DIE GENOSSIN SEINES KAMPFES – DIE EHEFRAUEN DER 1848ER-REVOLUTIONÄRE<br />

4.3.3 Die Genossin seines Kampfes – die Ehefrauen der 1848er-Revolutionäre<br />

Anders als Goethe-Vulpius war Anita Garibaldi (1821-1849) keine Frau, die daheim auf die<br />

Rückkehr ihres Mannes wartete. Giuseppe Garibaldi, aus dessen 1872 veröffentlichten Memoiren<br />

981 die meisten Informationen für die beiden hier vorzustellenden „Gleichheit“-Artikel stammen 982 ,<br />

führte in den 1830er Jahren als der berühmteste Freiheitskämpfer Italiens einen Kampf gegen<br />

Papst <strong>und</strong> Fürsten für eine italienische demokratische Republik. 1834 wurde er gefangen genom-<br />

men <strong>und</strong> zum Tode verurteilt, jedoch gelang ihm die Flucht nach Südamerika, wo er in Brasilien<br />

die 18-jährige gebürtige Spanierin Anita Riveras kennenlernte. Der Romanschriftsteller Ratcliffe<br />

meinte bereits in ihrem Äußerem besondere Wesenszüge erkennen zu können:<br />

„‘Der gebräunte, aber durchsichtig klare Teint, ihres Gesichtes verriet die Kreolin<br />

[…] Ihr schönes Antlitz verriet bedeutende Willenskraft; das blaue Auge strahlte<br />

eine Erregbarkeit des Geistes <strong>und</strong> Herzens, die nur des zündenden Funkens bedurfte,<br />

um zur vollen Flamme emporzuschlagen.’“ 983<br />

Dieser Funke war schließlich die Selbstverständlichkeit, mit der Giuseppe Garibaldi ihr bereits bei<br />

der ersten Begegnung gesagt haben soll, dass sie sein werden müsse. Auf diese unkonventionelle<br />

Weise habe er ihr Herz im Sturm erobert. Da die von ihm begehrte, „leidenschaftliche <strong>und</strong> geistes-<br />

starke“ 984 Frau jedoch bereits verheiratet war, entführte Giuseppe Garibaldi sie kurzerhand <strong>und</strong><br />

fand in ihr, so die Schriftstellerin Clara Stockinger-Altenhof (?-?) 985 , „eine Gehilfin im edelsten<br />

<strong>und</strong> besten Sinne des Wortes“ 986 . Genauso wie er selbst sei auch diese Gehilfin „von glühender<br />

Begeisterung für die Sache der Freiheit beseelt“ 987 gewesen. Garibaldi begleitete ihren Ehemann<br />

auf all seinen Reisen, in all seine Kämpfe <strong>und</strong> war ihm eine wahrhafte <strong>und</strong> wehrhafte Gefährtin.<br />

Gemeinsam kämpfte das Paar im Auftrage der Handelsstadt Montevideo, die Giuseppe Garibaldi<br />

dafür die Stellung eines Generals anbot. Dies, so Stockinger-Altenhof, habe er jedoch abgelehnt,<br />

weil er das einfache Leben eines Soldaten bevorzugte. Die ärmlichen Verhältnisse eines solchen<br />

Lebens machten ihm nichts aus – ein Umstand der sich später jedoch rächen sollte. Denn wenn<br />

981 Diese Memoiren verfasste Giuseppe Garibaldi unter Mithilfe des berühmten französischen Schriftstellers Victor<br />

Hugo.<br />

982 Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In: GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 183-184; Blos, Anna: Anita Garibaldi.<br />

In: GL, 17/ 13/ 24.06.1907/ 109-110; GL, 17/ 14/ 08.07.1907/ 117.<br />

983 Ratcliffe zit. nach: Blos, Anna: Anita Garibaldi. In: GL, 17/ 13/ 24.06.1907/ 109.<br />

984 Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In: GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 183.<br />

985 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine eindeutigen biographischen Informationen<br />

zu Clara Stockinger-Altenhof. Es könnte sich um Clara Anna Therese Stockinger (1863-1949) handeln, die<br />

u. a. die Werke „Elternsünden. Ein Beitrag zur Erziehung der Eltern“ (1926) <strong>und</strong> „Das Buch der Hausfrau. Eine<br />

neuzeitliche Haushaltungsk<strong>und</strong>e“ (1929) verfasste.<br />

986 Ebd.<br />

987 Ebd.<br />

455


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

auch Anita Garibaldi laut Stockinger-Altenhof „ohne Murren, ja mit Freudigkeit die Entbehrungen<br />

der Armuth“ 988 ertragen haben soll <strong>und</strong> diese „so gut es ging durch ihre Arbeit zu lindern<br />

suchte“ 989 , dürften diese Lebensumstände doch dazu beigetragen haben, dass ihre kleine Tochter<br />

Rosa früh verstarb. 990 Der revolutionäre Kampf nahm jedoch keine Rücksicht auf Leid <strong>und</strong> Trauer<br />

<strong>und</strong> musste trotzdem weitergehen.<br />

Während der Abwesenheit ihres Gatten musste Garibaldi das Oberkommando übernehmen, um<br />

den Angriff brasilianischer Truppen abzuwehren. Sie habe ihrem Ehemann Dienste geleistet, so<br />

nun Anna Blos in einem zweiten Artikel,<br />

„wie kaum ein Mann sie hätte leisten können [<strong>und</strong>][…] stand aufrecht im Stern des<br />

Bootes im Kartätschenhagel, ruhig <strong>und</strong> stolz wie eine Statue der Pallas Athene.“ 991<br />

Trotz all dieser Gefahren <strong>und</strong> den Strapazen durch die herrschende Lebensmittelknappheit habe<br />

sich Garibaldi eine „tapfere, fröhliche Art <strong>und</strong> Weise“ 992 erhalten, mit der sie so manchen mutlos<br />

gewordenen Mann beschämte. Sie war, so Blos, der „Engel der Verw<strong>und</strong>eten“ 993 <strong>und</strong> gönnte sich<br />

auch als Munitionsträgerin keinerlei Schonung. Sogar hochschwanger habe sie die meiste Zeit im<br />

Sattel verbracht. 994 1840 wurde ihr Sohn Menotti geboren. Er soll mit einer Narbe am Kopf zur<br />

Welt gekommen sein, die von einem Sturz Garibaldis vom Pferd herrührte. 995 Blos beschrieb eine<br />

abenteuerliche Situation, in der Garibaldi von Feinden umringt, ihrem Pferd die Sporen gab, dem<br />

Kugelhagel mit einem Loch im Hut entrinnen konnte <strong>und</strong> auf der Suche nach ihrem Mann acht<br />

Tage durch den Urwald irrte – ihr kleines Kind immer auf dem Arm. 996 Bei diesem schwierigen<br />

Marsch durch den Urwald habe Garibaldi die Soldaten sogar immer wieder mit ihrem, so<br />

Stockinger-Altenhof, „fre<strong>und</strong>liche[n], tröstliche[n] Zuspruch“ 997 ermuntert.<br />

In welch großem Maße Garibaldi das im Rahmen dieser Arbeit besonders hevorhebenswerte<br />

„Ideal jener hingebenden, selbstverleugnenden Liebe“ 998 verwirklichte, zeigt sich auch darin, dass<br />

sie 1848 für ihren Gatten ihre Heimat <strong>und</strong> all das ihr Vertraute verließ. In Italien hatte sich<br />

988 Ebd.<br />

989 Ebd.<br />

990 Blos ließ den Tod der Tochter Rosa unerwähnt.<br />

991 Blos, Anna: Anita Garibaldi. In: GL, 17/ 13/ 24.06.1907/ 110.<br />

992 Ebd.<br />

993 Ebd.<br />

994 Ebd.<br />

995 Blos, Anna: Anita Garibaldi. (Schluß.). In: GL, 17/ 14/ 08.07.1907/ 117.<br />

996 Laut Stockinger-Altenhof war Menotti damals drei Monate (vgl. Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In:<br />

GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 184), laut Blos erst 12 Tage alt (vgl. Blos, Anna: Anita Garibaldi. (Schluß.). In: GL, 17/<br />

14/ 08.07.1907/ 117).<br />

997 Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In: GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 184.<br />

998 Ebd., S. 183.<br />

456


4.3.3 DIE GENOSSIN SEINES KAMPFES – DIE EHEFRAUEN DER 1848ER-REVOLUTIONÄRE<br />

mittlerweile die politische Lage gr<strong>und</strong>legend geändert. Der Papst war geflohen <strong>und</strong> die neu<br />

gegründete Republik brauchte nun jeden Schutz gegen die neapolitanischen, päpstlichen <strong>und</strong><br />

französischen Truppen. Auch hier machte Garibaldi die Sache ihres Mannes zu der ihrigen, so<br />

Stockinger-Altenhof:<br />

„[S]ein Gott, sein Ideal, es war ihr Ideal, sein Volk war hinfort ihr Volk, für dessen<br />

Befreiung sie Glück <strong>und</strong> Leben freudig aufs Spiel setzte“ 999 .<br />

Sie nahm an allen Feldzügen teil, stand Wache, übernahm oft die Aufgabe eines Hauptmannes<br />

oder des Adjutanten ihres Gatten. Allein ihre Gegenwart habe oft dazu beigetragen, so Blos, „den<br />

gesunkenen Mut zu heben <strong>und</strong> alle Anstrengungen vergessen zu lassen“ 1000 . Denn es sei ihre<br />

Gegenwart <strong>und</strong> ihr besonders mutiges <strong>und</strong> ausdauerndes Beispiel gewesen, die dazu führten, dass<br />

sich keiner der männlichen Kämpfer „von dieser Frau beschämen lassen“ 1001 wollte.<br />

Ganz der Sache ihres Gatten angehörend „dachte [Garibaldi] nie an sich selbst“ 1002 , blieb aber<br />

„immer <strong>und</strong> vor allem […] das liebende Weib, die treue Mutter“ 1003 . Die Mutter von mittlerweile<br />

drei Kindern – Menotti <strong>und</strong> die noch in Südamerika geborenen Riciotti <strong>und</strong> Teresita – hatte diese<br />

bei ihrer Schwiegermutter zurückgelassen, um ihren Gatten nach wie vor begleiten zu können. 1004<br />

Diese „mutige <strong>und</strong> liebende Frau“ 1005 , die „lieber an der Seite ihres Gemahls [habe] sterben<br />

[wollen], als ohne ihn zu leben“ 1006 , stellte damit sowohl ihre Mutterpflichten als auch ihr<br />

Mutterglück hintan. Es war schließlich eine neuerliche Mutterschaft, die sie das Leben kosten<br />

sollte.<br />

Bereits durch Strapazen <strong>und</strong> Entbehrungen geschwächt, habe ihr, so Stockinger-Altenhof, „eine zu<br />

frühe Niederkunft […] die letzte Kraft“ 1007 geraubt. Aus Rom geflohen starb sie in der Nähe<br />

Ravennas an den Folgen einer Fehlgeburt. Und auch als ihr Gatte die sterbende Garibaldi im Arm<br />

gehalten habe, sei keine Klage über ihre Lippen gekommen. Laut Stockinger-Altenhof habe sich<br />

„keine Verzweiflung […] sich ihres starken Geistes [bemächtigt], sie [sei] nur von einem<br />

Gedanken erfüllt [gewesen]: Garibaldi gerettet <strong>und</strong> der Sache der Freiheit erhalten zu sehen“ 1008 .<br />

999 Ebd.<br />

1000 Blos, Anna: Anita Garibaldi. (Schluß.). In: GL, 17/ 14/ 08.07.1907/ 117.<br />

1001 Ebd.<br />

1002 Ebd.<br />

1003 Ebd.<br />

1004 Vgl. ebd.<br />

1005 Ebd.<br />

1006 Ebd.<br />

1007 Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In: GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 184.<br />

1008 Ebd.<br />

457


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Ihr Gatte musste jedoch im Moment ihres Todes fliehen <strong>und</strong> der Pächter der Meierei, in der ihre<br />

Leiche lag, wollte diese so schnell wie möglich verbergen – einerseits um sich selbst nicht zu<br />

belasten, andererseits um sie vor Schändungen durch die feindlichen Soldaten zu bewahren.<br />

Deshalb habe er sie so überhastet vergraben, dass lange Zeit ihr Grab nicht wiedergef<strong>und</strong>en<br />

werden konnte. Erst nachdem zufällig ein wühlendes Schwein auf ihren Leichnam stieß, habe<br />

Giuseppe Garibaldi in Nizza seiner Gattin ein würdiges Grab geben können. 1009<br />

Anita Garibaldi war ihrem Ehemann, so Stockinger-Altenhof,<br />

„nicht blos die Geliebte, sondern auch die Vertraute, die Gesinnungs- <strong>und</strong> Kampfesgenossin,<br />

der treue Kamerad, der von allen Lasten <strong>und</strong> Mühsalen des Lebens<br />

<strong>und</strong> Streitens seine Hälfte forderte <strong>und</strong> mit Befriedigung trug“ 1010 .<br />

All dies <strong>und</strong> noch mehr erfährt man aus dessen Memoiren <strong>und</strong> aus dem Roman „Cantoni il<br />

volontario“ (1870), in welchem er seiner verstorbenen Frau in der Gestalt der Ida ein Denkmal<br />

setzte. Tatsächlich wurde für Anita Garibaldi –„zur Erinnerung an eine der edelsten Frauen, deren<br />

Leben <strong>und</strong> Sterben dem Dienste der Freiheit geweiht war“ 1011 – ein Denkmal in Rom errichtet. 1012<br />

Das Verhältnis der Gatten zueinander, Garibaldis heroischer Kampf <strong>und</strong> ihre Persönlichkeit – alles<br />

erscheint, so Stockinger-Altenhof, wie „ein liebliches Idyll inmitten eines Heldengedichtes“ 1013 ,<br />

wie „von reichem romantischem Zauber umwoben, ähnlich einer Heldin, wie sie die Phantasie be-<br />

gabter Dichter schafft“ 1014 <strong>und</strong> dürfte die „Gleichheit“-Leserinnen in ihrem emotionalen Bedürfnis<br />

nach Romantik sehr befriedigt haben. Die Redaktion der „Gleichheit“ präsentierte in Garibaldi ein<br />

besonderes Beispiel einer idealen Lebens-, Arbeits- <strong>und</strong> Kampfgefährtin. Anita Garibaldi hatte ein<br />

tiefes Verständnis für die Bestrebungen ihres Ehemannes. Sie hatte nie versucht, ihn von seinem<br />

Vorhaben abzubringen, sei stets „unbekümmert um ihr eigenes Wohl <strong>und</strong> Glück“ 1015 gewesen. Sie<br />

ergänzten sich in ihrer Begeisterung „für die höchsten Ideale der Menschheit“ 1016 . Mit Garibaldi<br />

1009 Blos, Anna: Anita Garibaldi. (Schluß.). In: GL, 17/ 14/ 08.07.1907/ 117. Die Freiheitskämpfer wurden 1867<br />

vernichtend geschlagen, Giuseppe Garibaldi zog sich auf die Felseninsel Caprera zurück. <strong>Von</strong> dort durfte er nur<br />

wenige Jahre später miterleben, wie die französischen Truppen abgezogen wurden <strong>und</strong> das Königreich Italien sich<br />

Rom als neue Hauptstadt eingliederte – sein Traum war zumindest teilweise in Erfüllung gegangen. Zwar heiratete<br />

Giuseppe Garibaldi in späteren Jahren eine Dame der italienischen Aristokratie, doch wurde laut Blos die Ehe<br />

schon einen Tag nach der Trauung wieder gelöst. Die Tote sei ihm unvergesslich geblieben <strong>und</strong> „[e]in Medaillon<br />

mit ihren Haaren […] [habe] immer über seinem Bette“ (ebd.) gehangen.<br />

1010 Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In: GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 183.<br />

1011 Blos, Anna: Anita Garibaldi. (Schluß.). In: GL, 17/ 14/ 08.07.1907/ 117.<br />

1012 Das Denkmal stellt Anita Garibaldi auf einem sich aufbäumendem Pferd dar – in einem Arm hält sie ein Kind, in<br />

der Hand des anderen eine Pistole.<br />

1013 Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In: GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 183.<br />

1014 Ebd.<br />

1015 Ebd., S. 184.<br />

1016 Ebd.<br />

458


4.3.3 DIE GENOSSIN SEINES KAMPFES – DIE EHEFRAUEN DER 1848ER-REVOLUTIONÄRE<br />

wollte Blos eine Frau ehren, die nicht nur den „Sonnenschein der Liebe“ 1017 in das Leben eines<br />

Kämpfers gebracht hatte, sich „durch außerordentliche Schönheit wie durch Kühnheit <strong>und</strong> Edel-<br />

mut“ 1018 <strong>und</strong> „dem Gatten eine treue Gefährtin […] in seinem unruhevollen Leben“ 1019 war,<br />

sondern eine Frau, die zudem selbst „im Donner der Schlachten“ 1020 stand. So war für Blos, der<br />

unglückliche Tod Garibaldis trotzdem<br />

„ein echter Heldentod, <strong>und</strong> unter den Frauen, die sich für die Freiheit geopfert,<br />

steht ihr Name mit an erster Stelle“ 1021 .<br />

Ihre Treue <strong>und</strong> ihr Mut hatte noch zu ihren Lebzeiten Nachahmerinnen gef<strong>und</strong>en, so dass auch<br />

andere Frauen bekannt sind, „die tapfere Streiterinnen“ 1022 im italienischen Freiheitskampf waren.<br />

Im Gegensatz zu Blos verstand es Stockinger-Altenhof, einen aktuellen politischen Bezug für die<br />

Vorbildfunktion Garibaldis aufzuzeigen. Sie schlug am Schluss ihres Artikels den Bogen von der<br />

Geschichte zur Gegenwart <strong>und</strong> zur sozialistischen Geschichtstheorie, indem sie die von Armut<br />

<strong>und</strong> Lohnsklaverei geprägte aktuelle Situation in Italien anprangerte. Denn noch seien am Kampf<br />

für ein „wirklich freies Italien“ 1023 nur wenige Frauen beteiligt, die wie Garibaldi, so Stockinger-<br />

Altenhof, „zu jedem Opfer, zu jeder Heldenthat, aber auch zum Märtyrerthum bereit sind“ 1024 .<br />

Bald aber würden sie Tausende <strong>und</strong> Zehntausende zählen, denn, so die Überzeugung Stockinger-<br />

Altenhofs, „dafür sorgen die unendlichen <strong>und</strong> unsäglichen Leiden, welche die Klassenlage des<br />

Proletariats mit sich bringt“ 1025 . Der 15 Jahre später verfasste Artikel Blos‘ lässt, obwohl noch<br />

unter der Redaktion Zetkins veröffentlicht, diese politische Überzeugung gänzlich vermissen.<br />

Hatte Garibaldi jemals vorausgeahnt, dass sie eine Kämpferin für Freiheit <strong>und</strong> Demokratie sein<br />

würde? Wie hätte sie? Wahrscheinlich hatte sie wie Emma Herwegh (1817-1904) „nie mehr sein<br />

[wollen,] als [ein][…] hingebungsvolles, liebendes Weib“ 1026 . Aber auch Herwegh, für die 1904<br />

vermutlich Zetkin einen Nachruf für die „Gleichheit“ verfasste, war letztlich beides. Denn „aus<br />

dem Gleichklang zweier Seelen heraus, […] die eins waren im Wollen <strong>und</strong> Ringen“ 1027 sei das<br />

1017 Blos, Anna: Anita Garibaldi. In: GL, 17/ 13/ 24.06.1907/ 109.<br />

1018 Ebd.<br />

1019 Ebd.<br />

1020 Ebd.<br />

1021 Ebd.<br />

1022 Blos, Anna: Anita Garibaldi. (Schluß.). In: GL, 17/ 14/ 08.07.1907/ 117.<br />

1023 Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In: GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 184.<br />

1024 Ebd.<br />

1025 Ebd.<br />

1026 Eine Freiheitskämpferin. In: GL, 14/ 09/ 20.04.1904/ 71.<br />

1027 Ebd.<br />

459


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

liebende Weib auch zu einer Freiheitskämpferin geworden <strong>und</strong> hat als solche „einen Platz in der<br />

Geschichte“ 1028 .<br />

Als Tochter des jüdischen Bankiers Johann Gottfried Siegm<strong>und</strong> in Berlin entstammte Herwegh<br />

einer sehr reichen Familie, die zudem großen Wert auf Bildung <strong>und</strong> den Umgang mit „geist- <strong>und</strong><br />

charaktervollen“ 1029 Persönlichkeiten legte. Eben durch diesen Umgang <strong>und</strong> eine entsprechende<br />

Lektüre habe sich das „tiefe Geistes- <strong>und</strong> Gemütsleben“ 1030 Herweghs ausgebildet. So kannte sie,<br />

als sie in ihrem Elternhaus zum ersten Mal ihrem zukünftigen Ehemann Georg Herwegh<br />

begegnete, bereits dessen dichterische Werke. Sie verliebten sich <strong>und</strong>, so Zetkin, „[a]us der rasch<br />

emporgeloderten Liebe erwuchs der innigste B<strong>und</strong> für das ganze Leben“ 1031 . Die Tatsache, dass sie<br />

es war, die bereits nach acht Tagen Bekanntschaft dem „blutarme[n] […] <strong>und</strong> schüchtern[en]“ 1032<br />

Dichter ihre Hand anbot, sei, so Zetkin weiter, Beleg für die besonders selbstbewusste Art <strong>und</strong><br />

Vorurteilslosigkeit Emma Herweghs. Folgende Worte habe sie zu ihm gesagt:<br />

„’Ich kann dir Freiheit <strong>und</strong> Unabhängigkeit bieten, noch mehr, ich liebe dich, ich<br />

kann dir Trost in Leiden <strong>und</strong> Teilnahme in Freuden bieten. Willst du, so sei der<br />

B<strong>und</strong> auf ewig geschlossen <strong>und</strong> hony soit qui mal y pense‘ (Schande dem, der<br />

Schlimmes dabei denkt).“ 1033<br />

Die Bedenken Herweghs zu der Art <strong>und</strong> Weise, wie die Verlobung öffentlich aufgenommen<br />

würde, waren tatsächlich nicht unbegründet. Während einige Zeitgenossen spotteten, befürchteten<br />

viele Fre<strong>und</strong>e des Dichters vor allem, dass „die ’eiserne Lerche‘ […] in dem goldenen Käfig einer<br />

reichen Ehe bald verstummen“ 1034 könnte. Georg Herwegh konnte seine Fre<strong>und</strong>e jedoch<br />

beruhigen, denn „‘das Mädchen [sei] noch rabiater als […][er selbst] <strong>und</strong> ein Republikaner von<br />

der ersten Sorte‘“ 1035 .<br />

1842 wurde Georg Herwegh aus Deutschland ausgewiesen. Er ging in die Schweiz, wohin ihm<br />

seine Verlobte folgte <strong>und</strong> wo schließlich 1843 ihre Hochzeit stattfand. Emma Herwegh brachte in<br />

die Ehe ein bedeutendes Vermögen mit, das jedoch dem Ehemann, der für wirtschaftliche Dinge<br />

kein Talent besaß, schnell in den Fingern zerrann. Herwegh hatte den Komfort ihres Elternhauses<br />

hinter sich gelassen <strong>und</strong> reiste mit ihrem Gatten durch die Schweiz, Italien <strong>und</strong> Frankreich. Sie<br />

war jedoch nicht nur die Reisegefährtin ihres Ehemannes:<br />

1028 Ebd.<br />

1029 Ebd.<br />

1030 Ebd.<br />

1031 Ebd.<br />

1032 Ebd.<br />

1033 Ebd.<br />

1034 Ebd.<br />

1035 Georg Herwegh in einem Brief an Robert Prutz. Zit. nach: Ebd.<br />

460


4.3.3 DIE GENOSSIN SEINES KAMPFES – DIE EHEFRAUEN DER 1848ER-REVOLUTIONÄRE<br />

„Mit tiefem Verständnis lebte sie das geistige <strong>und</strong> politische Leben ihres Georg<br />

mit. Was er empfand, dachte, erstrebte, fand in ihrem Herzen <strong>und</strong> Hirn ein starkes<br />

Echo, ihre Energie <strong>und</strong> ihr praktischer Sinn halfen ihm seine Pläne durchführen.“<br />

1036<br />

In dieser von Zetkin als ideal charakterisierten Ehe unterstützte Herwegh ihren Ehemann nicht nur<br />

im herkömmlichen Sinne, indem sie ihm z. B. ein gemütliches Heim bereitete. Sie hatte zudem<br />

maßgeblichen Anteil an seinem dichterischen Schaffen, u. a. an der Herausgabe des zweiten<br />

Bandes „Gedichte eines Lebendigen“ (1844) <strong>und</strong> an der Fertigstellung einer Shakespeare-<br />

Übersetzung.<br />

1847 kehrte Herwegh kurzzeitig in ihre Heimatstadt Berlin zurück. In ihrem dortigen Fre<strong>und</strong>es-<br />

kreis, so Zetkin, „entsetzte sie manchen Angstmeier“ 1037 , weil sie offen zu ihrer revolutionären<br />

Überzeugung stand. Ab 1848 begleitete sie ihren Ehemann auf den Märschen der Revolutions-<br />

truppen. Im Gegensatz zu anderen bisher vorgestellten Revolutionärinnen blieb sie dabei sehr<br />

unauffällig. Mit kurz geschnittenem braunblondem Haar, in schwarzer Hose <strong>und</strong> schwarzer Samt-<br />

bluse, zwei kleine Pistolen <strong>und</strong> einen Dolch in ihrem Ledergürtel, habe man sie oft für einen<br />

„halbwüchsigen Burschen“ 1038 gehalten. Keine Kokarde oder Feder schmückte ihren breit-<br />

krämpigen schwarzen Hut. Sie, die die Männer „[m]ehr als einmal […] an Kampfestugenden“ 1039<br />

übertroffen habe, stand jedoch bald unter ihren GegnerInnen in dem Ruf einer „blutdürstige[n]<br />

Furie“ 1040 . Tatsächlich nahm sich Herwegh in dem Trubel <strong>und</strong> den Gefahren der Ereignisse die<br />

Zeit <strong>und</strong> die Gelegenheit, eine Broschüre mit dem Titel „Zur Geschichte der deutschen<br />

demokratischen Legion aus Paris. <strong>Von</strong> einer Hochverräterin“ (1849) zu schreiben. Später – in<br />

Paris, wohin das Ehepaar zog, nachdem die Revolution gescheitert war – verdiente sie ihren<br />

Lebensunterhalt mit Übersetzungen. Ihre Wohnung wurde der Mittelpunkt der deutschen Flücht-<br />

linge <strong>und</strong> sie, so Zetkin, ihre „liebenswürdige, geistreiche Wirtin“ 1041 .<br />

Als ihr Ehemann ein vorübergehendes Liebesverhältnis mit Natalie Alexandrowna Herzen (?-<br />

1852), der Ehefrau des Schriftstellers <strong>und</strong> Publizisten Alexander Herzen, einging, trennte sich<br />

Herwegh von ihrem Mann <strong>und</strong> entzog ihm auch die gemeinsamen Kinder. Sobald sich jedoch das<br />

Ende dieses Verhältnisses, dieser – wie Zetkin es formulierte – „Episode“ 1042 abzeichnete, habe<br />

1036 Ebd.<br />

1037 Ebd.<br />

1038 Ebd.<br />

1039 Ebd.<br />

1040 Ebd., S. 72.<br />

1041 Ebd.<br />

1042 Ebd.<br />

461


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Herwegh ihrem „vergötterten Dichter“ 1043 gegenüber wieder jene „nie versagende[…],<br />

geduldige[…] große[…] Liebe, die alles glaubt, hofft <strong>und</strong> – verzeiht“ 1044 , bewiesen. Sie sei<br />

während dieser Krise immer davon überzeugt gewesen, so Zetkin, „daß das hohe, reine Gefühl,<br />

das Herz zu Herz gefügt hatte, nie zu Asche verbrennen könne“ 1045 . Einerseits war es nach den<br />

Schilderungen Zetkins eine „Liebes- <strong>und</strong> Lebensgemeinschaft“ 1046 , beruhend „auf dem harmo-<br />

nischen Zusammenklang des Besten in zwei Menschen“ 1047 . Andererseits aber scheint es, dass es<br />

stets Herwegh war, die alles für den von ihr als Dichter <strong>und</strong> als Mensch verehrten Ehemann tat,<br />

die ihn „hegte[,] […] pflegte“ 1048 <strong>und</strong> sogar „verzog“ 1049 . Sie sei es gewesen, die „[f]ür seine<br />

Eigenheiten […] das feinste Verständnis, für seine Schwächen eine unerschöpfliche Geduld <strong>und</strong><br />

Nachsicht“ 1050 [Hervorhebungen von M.S.] hatte. Überdies habe sie sich sogar bemüht, so Zetkin,<br />

seine „Mängel anderen gegenüber zu verhehlen <strong>und</strong> als Tugenden erscheinen zu lassen“ 1051 <strong>und</strong><br />

„[w]er ihres Helden Persönlichkeit <strong>und</strong> Leistung kritisierte, den betrachtete sie als Feind“ 1052 .<br />

Georg Herwegh lernte Lasalle <strong>und</strong> die Bestrebungen der Arbeiterbewegung kennen. Lasalle<br />

übertrug dem Dichter, der laut Zetkin jedoch kein ausgesprochener Organisator <strong>und</strong> Agitator war,<br />

das Amt des Bevollmächtigten des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“ in Zürich. Herwegh<br />

arbeitete nun auch als Autor für den in der Schweiz gedruckten „Sozialdemokrat“ (1879-1890)<br />

<strong>und</strong> den „Volksstaat“. Nach dem Tod ihres Ehemannes 1875 genoss Emma Herwegh – stets „auf-<br />

opfernde Gattin“ 1053 <strong>und</strong> „zärtliche Mutter“ 1054 – an ihrem Lebensabend besonders „[d]as Glück<br />

erfüllter Mutterliebe <strong>und</strong> Mutterhoffnung“ 1055 . Sie zog zu ihrem Sohn Marcel, einem Musiker,<br />

nach Paris. Da auch hier sich ihr ganzes Tun immer noch um ihren Ehemann, um die Publikation<br />

seiner Gedichte <strong>und</strong> Briefwechsel drehte, kann von Emma Herwegh in den Worten Zetkins gesagt<br />

werden:<br />

1043 Ebd.<br />

1044 Ebd.<br />

1045 Ebd.<br />

1046 Ebd.<br />

1047 Ebd.<br />

1048 Ebd.<br />

1049 Ebd.<br />

1050 Ebd.<br />

1051 Ebd.<br />

1052 Ebd.<br />

1053 Ebd.<br />

1054 Ebd.<br />

1055 Ebd.<br />

1056 Ebd.<br />

462<br />

„Bis zur letzten Faser ganz die seine, hat sie gelebt, ist sie gestorben.“ 1056


4.3.3 DIE GENOSSIN SEINES KAMPFES – DIE EHEFRAUEN DER 1848ER-REVOLUTIONÄRE<br />

Ihrem Wunsch entsprechend, wurde Herwegh neben ihrem Ehemann begraben – „in republika-<br />

nischer Erde“ 1057 auf dem Friedhof des schweizerischen Liestal.<br />

Zwar stand sie im Gegensatz zu Garibaldi <strong>und</strong> Herwegh „dem eigentlichen Kampfe fern“ 1058 , doch<br />

widmete auch sie ihm ihr Leben, indem „sie ihre ganze Kraft dafür einsetzte, dem Manne ihrer<br />

Wahl volle Bewegungsfreiheit für den Kampf zu schaffen“ 1059 : Johanna Kinkel (1810-1858). Blos<br />

beschrieb sie in ihrem 1908 veröffentlichten Artikel als ein leuchtendes Beispiel dafür,<br />

„[w]as eine Frau ihrem Gatten, ihrer Familie sein kann als treue Gefährtin, als<br />

Stütze in den Zeiten der Not <strong>und</strong> Entbehrung, als Mitarbeiterin im Kampfe um das<br />

Dasein wie im Kampfe um die Freiheit“ 1060 .<br />

Als Tochter des Bonner Gymnasialprofessors Peter Mockel kam Kinkel in den Genuss einer guten<br />

geistigen Ausbildung. In jungem Alter heiratete sie den Kölner Buch- <strong>und</strong> Kunsthändler<br />

Matthieux. Diese Ehe wurde jedoch bald geschieden, da Matthieux die geistigen <strong>und</strong> musika-<br />

lischen Interessen seiner Ehefrau nicht geteilt habe. 1061 Bereits hier ist zu erkennen, dass Kinkel<br />

keine Frau war, die sich in ein vermeintliches Schicksal fügte. Selbstbewusst ging sie ihren Weg,<br />

wurde sogar Komponistin <strong>und</strong> schuf u. a. die „Vogelkantate“ (1830), womit sie zu den wenigen<br />

<strong>weiblichen</strong> Komponistinnen gehört.<br />

Ihr Äußeres war laut Blos nicht schön oder anmutig zu nennen, sondern eher stark, fast männlich,<br />

mit auffallend dunklem Teint <strong>und</strong> gedrungener Gestalt. Nur ihre dunkel blitzenden Augen <strong>und</strong> ihre<br />

tiefe volle Stimme müssen beeindruckt haben – so auch den fünf Jahre jüngeren Privatdozenten<br />

für Theologie, Gottfried Kinkel. Er war der Mann ihrer Wahl, dem sie später in oben be-<br />

schriebener Art den Rücken freihalten sollte. Gottfried Kinkel besaß im Gegensatz zu seiner<br />

Ehefrau ein sehr sanftmütiges Naturell <strong>und</strong> eine zierliche Statur, die „fast weiblich“ 1062 gewirkt<br />

habe. Er sei, so Blos, „ein auffallend schöner Mann“ 1063 gewesen – so schön, dass Kinkel wiede-<br />

rum Selbstzweifel hinsichtlich ihrer eigenen Anziehungskraft gehabt habe. 1064 Allerdings sollten<br />

nicht diese Äußerlichkeiten die Basis einer langwährenden glücklichen Beziehung werden, son-<br />

dern Kinkels tiefes Verständnis für die geistigen Interessen ihres Ehemannes.<br />

1057 Ebd.<br />

1058 Blos, Anna: Auch eine Heldin. In: GL, 18/ 10/ 11.05.1908/ 89.<br />

1059 Ebd.<br />

1060 Ebd.<br />

1061 Vgl. ebd.<br />

1062 Ebd.<br />

1063 Ebd.<br />

1064 Vgl. ebd.<br />

463


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Da es der Position ihres Mannes an der Bonner Universität schadete, dass Johanna Kinkel zwar<br />

katholisch aber geschieden war, zog das Ehepaare nach Poppelsdorf am Rhein. Vier Kinder<br />

wurden hier geboren <strong>und</strong> viele gemeinsame schriftstellerische <strong>und</strong> dichterische Werke verfasst,<br />

von denen einige auch von Kinkel vertont wurden. Dann kam das Jahr 1848 <strong>und</strong> der mit ihm<br />

synonym gewordene demokratische Aufbruch. Es sei Kinkel gewesen, die ihren Ehemann, so<br />

Blos, „zum Radikalismus seiner Anschauungen gebracht“ 1065 habe. Aus diesem Radikalismus<br />

heraus schloss sich der Akademiker mit „schwärmerischer Begeisterung“ 1066 der revolutionären<br />

Bewegung an. Der Agitator <strong>und</strong> Journalist wurde schließlich inhaftiert <strong>und</strong> Kinkel war<br />

gezwungen, als Komponistin <strong>und</strong> Musiklehrerin allein für sich <strong>und</strong> die Kinder zu sorgen. Sie habe<br />

alles getan, um ihre Kinder diese Belastung nicht spüren zu lassen – sie gab Musikunterricht,<br />

komponierte <strong>und</strong> bewältigte es, so Blos, „ihr eigenes Schicksal den Allgemeininteressen<br />

unterzuordnen“ 1067 . „Jeder Egoismus“, so Blos weiter, „war ihr fremd.“ 1068<br />

In dieser selbstlosen Weise bereitete Kinkel ihren Kindern <strong>und</strong> ihrem Ehemann, dem die Flucht<br />

gelungen war, auch im Londoner Exil ein neues Heim. Den „Gleichheit“-Leserinnen präsentierte<br />

Blos nun Kinkel als<br />

„das glänzendste Beispiel, wie eine Frau eine hingebende Gattin, eine treue Mutter,<br />

eine gewissenhafte Hausfrau sein <strong>und</strong> doch mithelfen kann beim Erwerb, ohne daß<br />

eine ihrer anderen Pflichten leidet“ 1069 .<br />

Tatsächlich aber war, so räumte Blos ein, die Arbeit als Lehrerin, mit der Kinkel zum Einkommen<br />

der Familie beitrug, „ihrem innersten Wesen zuwider“ 1070 – sie sah sich selbst „‘[m]it all [ihren]<br />

Talenten […] lebendig begraben, nur noch eine Pflichtmaschine’“ 1071 . Kinkel wurde schwer herz-<br />

leidend, hatte aber nicht die finanzielle Möglichkeit, sich entsprechend auszuruhen <strong>und</strong> zu<br />

kurieren – Kranksein war ein Luxus, den sie sich nicht leisten konnte. Hinzu kamen erneut große<br />

Selbstzweifel hinsichtlich ihres wenig attraktiven Äußeren <strong>und</strong> ihres nun große Erfolge feiernden,<br />

von schönen Frauen umschwärmten Ehemannes. Kinkels „rheinische Natur“ 1072 <strong>und</strong> die Möglich-<br />

keit, sich ihren Kummer wie z. B. in ihrem Roman „Hans Ibeles“ (1860) von der Seele zu<br />

schreiben, ließen sie stets neuen Mut finden. Großes Ansehen erwarb sie sich auch durch ihre<br />

Gastfre<strong>und</strong>schaft, die sie vielen anderen Emigranten wie z. B. Malvida von Meysenbug erwies.<br />

1065 Ebd.<br />

1066 Ebd.<br />

1067 Ebd.<br />

1068 Ebd.<br />

1069 Ebd.<br />

1070 Ebd.<br />

1071 Johanna Kinkel zit. nach: Ebd.<br />

1072 Ebd.<br />

464


4.3.3 DIE GENOSSIN SEINES KAMPFES – DIE EHEFRAUEN DER 1848ER-REVOLUTIONÄRE<br />

Meysenbug war es auch, die in einer Aussage vor Gericht das häusliche Leben <strong>und</strong> das bisherige<br />

in „treuer Liebe miteinander getragen[e]“ 1073 Schicksal des Ehepaares Kinkel beschreiben musste.<br />

Kinkel war 1858 bei einem Sturz aus dem Fenster ums Leben gekommen. Laut Blos, war dieses<br />

Unglück „in einem Anfall von heftiger Atemnot“ 1074 geschehen. Viele Zeitgenossen hielten<br />

Kinkels Ende jedoch „für kein unfreiwilliges“ 1075 . War es demnach Suizid? Auch Mord schien den<br />

Behörden aber nicht ausgeschlossen. Letztendlich glaubten die Richter den Darstellungen<br />

Meysenbugs <strong>und</strong> Gottfried Kinkels <strong>und</strong> beließen es bei der Annahme, dass es ein Unfall war.<br />

Unter großer Anteilnahme der in London lebenden Emigranten wurde Kinkel am 20. November<br />

1858 beerdigt. Der Dichter Ferdinand von Freiligrath verfasste zu diesem Anlass ein ehrendes<br />

Gedicht. 1076 Kinkels Ehemann sollte nach ihrem Tod, so Blos, „nicht viel Bedeutendes mehr“ 1077<br />

an dichterischen Werken erzeugen – sein schöpferischer Geist schien demnach durch den großen<br />

Verlust gebrochen, seine Inspiration dahin gewesen zu sein.<br />

In einem einzigen Satz versuchte Blos zu beschreiben, was die Persönlichkeit Kinkels ihrer<br />

Meinung nach zu einer Frauenleitfigur macht: Sie sei eine Frau gewesen, die eine<br />

„unerschrockene Kämpferin für Wahrheit <strong>und</strong> Recht <strong>und</strong> doch so ganz Weib<br />

geblieben war in den Pflichten des häuslichen Lebens“ 1078 .<br />

Alles zu bewältigen, nicht das eine für das andere zu vernachlässigen – das war das Frauenideal<br />

der proletarischen Frauenbewegung.<br />

Wie Kinkel war auch Amalie Struve (1824-1862) die Ehefrau eines 1848er-Revolutionärs <strong>und</strong> zu<br />

ihrer Zeit eine der bekanntesten Persönlichkeiten Deutschlands. Der von Wilhelm Blos, dem<br />

Ehemann Anna Blos‘, verfasste Artikel erschien ebenfalls 1908 in der „Gleichheit“, die mit diesen<br />

Artikeln möglicherweise den 60. Jahrestag der 1848er-Revolution begehen wollte. 1079<br />

Struve wurde in Mannheim als Amalie Düsar, Tochter einer nach Deutschland eingewanderten<br />

französischen Familie, geboren. Dort lebte auch ihr späterer Ehemann Gustav Struve, der ur-<br />

sprünglich aus Livland stammte, ehemals Gustav von Struve hieß <strong>und</strong> wesentlich älter als sie war.<br />

Aus dem ehemaligen Diplomaten <strong>und</strong> Rechtsanwalt war ein Anhänger der republikanischen Ideen<br />

geworden, die er auch in seiner Zeitung „Deutscher Zuschauer“ (1846-1848) oder im „Mann-<br />

1073 Ebd.<br />

1074 Ebd.<br />

1075 Ebd.<br />

1076 Dieses Gedicht ist – obwohl in der „Gleichheit“ nicht vollständig publiziert – im Anhang enthalten.<br />

1077 Ebd.<br />

1078 Ebd.<br />

1079 Der Anlass der Veröffentlichungen wird jedoch weder in den von dem Ehepaar Blos verfassten biographischen<br />

Artikeln noch in den Leitartikeln der jeweiligen Nummern deutlich.<br />

465


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

heimer Journal“ (1837-1888) vertrat. Durch dieses Engagement geriet er schon früh in den Fokus<br />

politischer Verfolgung. Wenn dann Amalie Struve wieder einmal ohne jeglichen Hausstand aus-<br />

kommen musste, weil dieser für die Bezahlung von Strafen <strong>und</strong> Gerichtskosten verpfändet war,<br />

seien es, so Blos, Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> solidarische Arbeiter gewesen, die unter Strafe der Ausweisung<br />

halfen, das Nötigste zurückzuersteigern. 1080<br />

Struve wurde von ihren Zeitgenossen, so Blos, als eine außerordentlich schöne Frau beschrieben.<br />

Viele Männer dürften sie sehr verehrt <strong>und</strong> begehrt haben. Aber auch wenn der Klatsch der Feinde<br />

ihres Mannes anderes behauptete, laut Wilhelm Blos gab sie diesen Begehrlichkeiten nie nach.<br />

Amalie <strong>und</strong> Gustav Struve hätten eine glückliche Ehe geführt <strong>und</strong> Amalie sich in jeder<br />

Überzeugung ihrem Ehemann angeschlossen. Sie habe sogar den strengen Vegetarismus ihres<br />

Ehemannes geteilt, welcher in den Augen Blos‘ eine derjenigen „Seltsamkeiten <strong>und</strong> Extra-<br />

vaganzen“ 1081 war, die oft „außerordentlichen Menschen“ 1082 anhaften würden. Die Tatsache, dass<br />

Struve auch diese Seltsamkeit mit ihrem Ehemann geteilt habe, spreche für die „Tiefe ihrer Zu-<br />

neigung“ 1083 , welche auch dann nicht anzuzweifeln sei, wenn Struve, wie manchmal behauptet<br />

wurde, „heimlich oftmals Kalbs- oder Hammelbraten genossen“ 1084 habe.<br />

Im Laufe der 1848er-Bewegung musste das Ehepaar in die Schweiz fliehen. Ein misslungener<br />

Putschversuch in Baden <strong>und</strong> Denunziation brachten Gustav Struve schließlich ins Gefängnis,<br />

während auch seine Ehefrau unter brutaler Misshandlung in einem Gefängnisturm in Freiburg<br />

inhaftiert wurde. 1085 Im April 1849 aus der Gefangenschaft entlassen, besuchte Struve ihren in<br />

Bruchsal inhaftierten Ehemann. Sie war gerade bei ihm, als es Aufständischen gelang, ihn zu be-<br />

freien. Aus diesem Zufall, so Blos, sei von reaktionärer Seite das Gerücht konstruiert worden,<br />

Struve habe mit Koketterie die badischen Soldaten zum Aufstand bewegen wollen. 1086 Was dieses<br />

Gerücht vor allem verdeutlicht, ist der Umstand, dass den <strong>weiblichen</strong> Revolutionärinnen meist nur<br />

die Verwendung der vermeintlichen Waffen einer Frau zugetraut wurde.<br />

Das Ehepaar floh erneut in die Schweiz, aus der es jedoch ausgewiesen wurde. Weitere Stationen<br />

der Flucht waren Frankreich, England <strong>und</strong> schließlich 1851 die USA. Trotz dieser Strapazen<br />

1080 Blos, Wilhelm: Eine deutsche Republikanerin. In: GL, 18/ 02/ 20.01.1908/ 13 <strong>und</strong> Fußnote *.<br />

1081 Ebd.<br />

1082 Ebd.<br />

1083 Ebd.<br />

1084 Ebd.<br />

1085 „An den Eisenstäben sinkt die Liebe blutend nieder“ lautet die Unterschrift einer Skizze ihrer Zelle, die von<br />

Amalie Struve selbst angefertigt <strong>und</strong> dem Artikel beigefügt wurde (vgl. ebd., S. 14 <strong>und</strong> siehe: Bildmaterial).<br />

1086 Ebd.<br />

466


4.3.3 DIE GENOSSIN SEINES KAMPFES – DIE EHEFRAUEN DER 1848ER-REVOLUTIONÄRE<br />

verlor Struve, „das tapfere Weib“ 1087 , nie, so Blos, „die Heiterkeit ihres Geistes <strong>und</strong> ihre Seelen-<br />

stärke“ 1088 . Auch in der Fremde – genauer gesagt auf Staten Island – habe sie es geschafft, ihr<br />

Heim recht bequem <strong>und</strong> beschaulich einzurichten. Das Ehepaar bestritt sein Einkommen gemein-<br />

sam, <strong>und</strong> zwar durch Arbeiten für Zeitschriften <strong>und</strong> die Herausgabe von Gustav Struves<br />

Hauptwerk „Weltgeschichte“ 1089 . Bereits 1850 erschien Amalie Struves eigenständiges schriftstel-<br />

lerisches Werk, das aus den zwei Bänden „Erinnerungen aus den badischen Freiheitskämpfen“<br />

<strong>und</strong> „Historische Zeitbilder“ besteht.<br />

Erst 1859 wurde Struve Mutter. Sie gebar eine Tochter, die jedoch früh verstarb. 1860 schenkte sie<br />

erneut einer Tochter das Leben. Eine weitere Geburt sollte Struve 1862 selbst das Leben kosten –<br />

sie starb im Wochenbett.<br />

Struve, so resümierte Blos, war ihrem Ehemann „Geliebte! Gattin <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>in!“ 1090 . Sie sei eine<br />

Frau gewesen, die<br />

„ihrem Mann alles war, was eine Frau überhaupt einem Manne sein kann <strong>und</strong> was<br />

eine Frau einem Manne sein muß, wenn die Ehe eine ideale Vereinigung von Leib<br />

<strong>und</strong> Seele, ein In- <strong>und</strong> Miteinander-, statt ein Nebeneinanderleben sein soll“ 1091 .<br />

Jenes Ideal wollte er am Beispiel Struves den „Gleichheit“-Leserinnen vermitteln. Wie innig das<br />

Ehepaar Struve einander liebte, lasse sich u. a. auch daran aufzeigen, dass Gustav Struve während<br />

seiner Zeit im Gefängnis nicht nur die Tage seiner Haft, sondern auch die Tage der Trennung von<br />

seiner Ehefrau gezählt habe.<br />

Auf den Spott, den manche, so Blos, „[a]lltägliche Menschen“ 1092 wie auch „‘demokratische’ Phi-<br />

lister“ 1093 über Struve ausgeschüttet hätten, ging Blos jedoch ebenso wenig ein wie auf seine<br />

eigene Bemerkung, dass ihre „Art […] auch ihre Schattenseiten“ gehabt habe. Wichtiger war es<br />

ihm, die „Wärme <strong>und</strong> Seelengröße“ 1094 dieser Frau hervorzuheben, deren „Gestalt […] der heu-<br />

tigen bürgerlichen Frauenwelt in Deutschland märchenhaft erscheinen“ 1095 müsse. Diesen Angriff<br />

auf die bürgerliche Frauenbewegung verstärkte Blos, indem er hinzufügte, die bürgerliche Frauen-<br />

bewegung „glaub[e] wohl selbst nicht daran, daß sie solche Feuerseelen jemals wieder<br />

1087 Ebd.<br />

1088 Ebd.<br />

1089 Der dritte, vierte <strong>und</strong> fünfte Band der „Weltgeschichte“ erschienen 1852, der sechste Band 1856 in New York.<br />

1090 Ebd., S. 13.<br />

1091 Ebd.<br />

1092 Ebd., S. 14.<br />

1093 Ebd.<br />

1094 Ebd.<br />

1095 Ebd.<br />

467


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

hervorbringt“ 1096 . Für die proletarische Frauenbewegung jedoch sei Struve – „[w]enn ihr auch der<br />

wissenschaftliche Sozialismus fremd geblieben ist“ 1097 – „eine interessante historische Erschei-<br />

nung“ 1098 . Sie sei<br />

„ein lebendiges Zeugnis dafür, daß es damals im deutschen Bürgertum Frauen gab,<br />

die im Kampfe für freiheitliche Ideen ihre ganze Persönlichkeit einsetzten, die Kerker,<br />

Verbannung <strong>und</strong> Elend nicht scheuten“ 1099 .<br />

Gefahren – so ein erneuter geschickter Seitenhieb Blos‘–, die „den bürgerlichen Frauenrecht-<br />

lerinnen von heute“ 1100 nicht drohen würden.<br />

Im Gegensatz zu den Artikeln seiner Ehefrau Anna findet sich im Artikel Wilhelm Blos‘ eine<br />

deutlich sozialistische Darstellungsweise. Es wurde den proletarischen „Gleichheit“-Leserinnen in<br />

Struve nicht nur eine herausragende Leitfigur präsentiert. Blos konfrontierte zudem die bürger-<br />

liche Frauenbewegung mit ihren revolutionären Vorgängerinnen. Eine solche ganz auf der<br />

Zetkin‘schen Linie liegende Stellungnahme fand sich nach dem Redaktionswechsel in der<br />

„Gleichheit“ kaum noch. Die Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Frauenbewegung erfolgte<br />

nicht mehr auf einer prinzipiellen, sondern auf einer praktischen Ebene. 1101<br />

1096 Ebd.<br />

1097 Ebd., S. 13.<br />

1098 Ebd.<br />

1099 Ebd.<br />

1100 Ebd.<br />

1101 Nach dem Redaktionswechsel scheint Wilhelm Blos im Gegensatz zu seiner Ehefrau nicht mehr für die „Gleich-<br />

468<br />

heit“ geschrieben zu haben.


4.3.4 Die Genossinnen führender Genossen<br />

4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN<br />

Die „Gleichheit“-Leserinnen wurden auch in die „Ehegeschichten“ der großen sozialistischen<br />

Führer <strong>und</strong> verehrten Legenden der frühen Arbeiterbewegung eingeweiht. So war es anlässlich<br />

des Todestages von Karl Marx selbstverständlich, dass in der „Gleichheit“ auch ein Artikel zum<br />

Leben seiner Ehefrau Jenny Marx (1814-1881) erschien. Anna Blos ging in diesem Artikel davon<br />

aus, dass es für ihre Leserinnen „von besonderem Interesse [sei], etwas über die Lebensgefährtin<br />

dieses genialen Mannes zu erfahren“ 1102 . Dies umso mehr, da Karl Marx doch „gewiß“ 1103 „[h]ohe<br />

Ansprüche […] an die Frau seiner Wahl gestellt“ 1104 haben dürfte. Die Ehe von Karl <strong>und</strong> Jenny<br />

Marx war nach Meinung Blos‘ ein herausragendes Beispiel dafür, dass zwei Menschen „von noch<br />

so verschiedener Rasse, Herkunft, Familie“ 1105 dann glücklich miteinander werden könnten,<br />

„wenn nur das gleiche Streben nach Idealen, nach Freiheit sie erfüllt“ 1106 .<br />

Die als Jenny von Westphalen geborene Marx stammte aus einer begüterten <strong>und</strong> vornehmen<br />

Familie. Ihr zukünftiger Ehemann stand zu dieser Familie bereits früh in einem solch fre<strong>und</strong>-<br />

schaftlichem Verhältnis, dass er dem Vater Ludwig von Westphalen sogar seine Dissertation<br />

widmete. Aus der in Kindertagen entstandenen Bekanntschaft wurde schließlich Liebe. 1836 ver-<br />

lobte sich die vier Jahre ältere Jenny von Westphalen mit dem Jurastudenten Karl Marx <strong>und</strong> 1843<br />

heirateten sie.<br />

In einem Brief an seinen Schwiegersohn, so Blos, schrieb Westphalen über seine Tochter, dass sie<br />

etwas „‘Genialisches’“ 1107 an sich habe <strong>und</strong> dass sie ihm eine treue Ehefrau sein werde. Nicht<br />

einmal ein Fürst, so laut Blos der stolze Vater, wäre imstande sie ihrem Ehemann „‘abwendig zu<br />

machen’“ 1108 , da sie ihm „‘mit Leib <strong>und</strong> Seele’“ 1109 anhänge. Er solle jedoch nicht vergessen, dass<br />

sie ihm „‘in ihrem Alter […] ein Opfer [bringe], wie gewöhnliche Mädchen es gewiß nicht fähig<br />

wären’“ 1110 . Wahrscheinlich dachte der Vater an viele guten Partien, die seine Tochter mit ihrer<br />

Entscheidung nun endgültig <strong>und</strong> unwiederbringlich ausgeschlagen hatte.<br />

In Jenny Marx sah der Politiker <strong>und</strong> Arbeiterführer Stephan Born Herz <strong>und</strong> Geist harmonisch<br />

1102 Blos, Anna: Jenny Marx. In: GL, 28/ 15/ 26.04.1918/ 114. Diesen Artikel zum Leben Jenny Marx‘ platzierte die<br />

„Gleichheit“-Redaktion unterhalb eines viel auffälliger gestalteten Gedichtes zu Ehren ihres Ehemannes Karl.<br />

1103 Ebd.<br />

1104 Ebd.<br />

1105 Ebd.<br />

1106 Ebd.<br />

1107 Ludwig von Westphalen zit. nach: Ebd., S. 115.<br />

1108 Ludwig von Westphalen zit. nach: Ebd.<br />

1109 Ludwig von Westphalen zit. nach: Ebd.<br />

1110 Ludwig von Westphalen zit. nach: Ebd.<br />

469


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

gestaltet <strong>und</strong> laut Blos verehrte auch Wilhelm Liebknecht in ihr das „Ideal eines Weibes“ 1111 . Born<br />

habe an ihr bew<strong>und</strong>ert, dass sie<br />

„‘ganz in den Ideen ihres Mannes [lebte,] […] dabei ganz in der Sorge für die<br />

Ihrigen auf[ging] <strong>und</strong> […] doch so himmelweit von der strumpfstrickenden, den<br />

Kochlöffel rührenden deutschen Hausfrau entfernt’“ 1112<br />

gewesen sei. Demnach zeigte Marx zwar die Tugenden einer guten Ehefrau <strong>und</strong> Mutter, verfiel<br />

aber nicht in das Rollenklischee eines Hausmütterchens oder – wie Zetkin sagen würde – einer<br />

„Nur-Hausfrau“. Diese Beschreibung lässt andererseits aber auch schlicht vermuten, dass Marx in<br />

ihrem Haushalt über entsprechendes Personal verfügt haben dürfte.<br />

Hart traf Marx der Verlust ihrer Kinder: <strong>Von</strong> insgesamt sieben Kindern sollten nur drei überleben.<br />

Marx selber erkrankte an Krebs <strong>und</strong> litt noch monatelang große Qualen. Doch ihr Interesse an den<br />

politischen Ereignissen in Deutschland <strong>und</strong> ihr rheinischer Humor, mit dem sie ihren Zustand zu<br />

überspielen versuchte, seien, so Blos, ungebrochen geblieben. Ihre Tochter Eleanor beschrieb, wie<br />

Marx trotz ihrer Schmerzen „‘scherzte, […] lachte, sie lachte uns alle <strong>und</strong> den Arzt aus, weil wir<br />

so ernsthaft waren’“ 1113 .<br />

Jenny Marx sei ihrem Mann, so resümierte Blos, „Geliebte, Gattin, Fre<strong>und</strong>in <strong>und</strong> Mitarbeiterin in<br />

des Wortes schönster Bedeutung“ 1114 gewesen. Jedoch beinhaltete des „Wortes schönste Bedeu-<br />

tung“ scheinbar keinerlei geistige oder literarische Koproduktion wie es sie bei anderen<br />

Ehepaaren gab. Marx ist eine Vertreterin jener Ehefrauen, die ihren Ehemännern alle Alltags-<br />

sorgen abnahmen, sie unterstützten <strong>und</strong> als „die Sonne [in ihrem][…] Leben“ 1115 inspirierten.<br />

Jenny Marx starb einige Jahre vor ihrem Ehemann. Ganz anders das Schicksal des Ehepaares<br />

Moses <strong>und</strong> Sybille Heß (1820-1903), welche ihren Mann um 28 Jahre überlebte <strong>und</strong> ihre Aufgabe<br />

schließlich darin sah, seinen Nachlass zu bewahren. Es ist vermutlich Zetkin, die zu Beginn ihrer<br />

Artikelreihe 1116 schrieb, dass Heß zwar eine „treffliche Frau“ 1117 , aber „zu keiner Zeit ihres Lebens<br />

eine selbständig Mitschaffende an den Ereignissen gewesen“ 1118 sei. Dennoch sah Zetkin ihr einen<br />

wichtigen Platz in der Geschichte zugedacht:<br />

1111 Ebd. Liebknecht soll laut Blos die Charaktereigenschaften Marx‘ mit denen der literarischen Figuren Iphigenie<br />

<strong>und</strong> Eleonore verglichen haben (vgl. ebd.).<br />

1112 Ebd.<br />

1113 Eleanor Marx-Aveling zit. nach: Ebd., S. 116.<br />

1114 Ebd.<br />

1115 Ebd.<br />

1116 Sybille Heß. In: GL, 14/ 01/ 01.01.1904/ 5-6; GL, 14/ 02/ 13.01.1904/ 10-11; GL, 14/ 03/ 27.01.1904/ 19-21.<br />

1117 Sybille Heß. In: GL, 14/ 01/ 01.01.1904/ 5.<br />

1118 Ebd.<br />

470


4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN<br />

„sie hat bedeutsame Abschnitte in der Geschichte der sozialistischen Bewegung<br />

bewußt miterlebt in inniger Ideengemeinschaft mit denen, die ihre vornehmsten<br />

Träger waren. Sie blieb eine treue Pflegerin der Ideale, die sie von ihnen<br />

empfangen hat. Der Hauch großen Geschehens, das sie erlebt, der gewaltigen<br />

revolutionären schöpferischen Gärung der Verhältnisse <strong>und</strong> Geister, an der sie<br />

teilgehabt, ist in ihr bis in den Alltag ihres Greisenalters hinein lebendig<br />

gewesen.“ 1119 [Hervorhebung von M.S.]<br />

Heß war eine besondere <strong>und</strong> politisch bewusste Zeitzeugin der Anfänge der sozialistischen<br />

Arbeiterbewegung. Außerdem war sie auch eine bewusste Kritikerin mancher Entwicklungen<br />

innerhalb der sozialistischen Theorie. Ihre Kritik basierte vor allem auf den von ihrem Ehemann<br />

vertretenen theoretischen Auffassungen, die sie in der Bewegung zu wenig gewürdigt glaubte.<br />

Heß lernte ihren zukünftigen Ehemann – den aus einer reichen jüdischen Familie stammenden<br />

Philosophen Moses Heß – kennen, als sie als Putzmacherin arbeitete. Sie soll „von bestrickendem<br />

Liebreiz der Erscheinung, die verkörperte Jugendfrische, eine muntere Plauderin mit schlag-<br />

fertigem Mutterwitz“ 1120 gewesen sein. W<strong>und</strong>er Punkt für die Familie ihres Mannes sei laut Zetkin<br />

nicht ihre Armut als Putzmacherin, sondern der streng katholische Glauben gewesen, in dem sie<br />

erzogen worden war. Moses Heß selbst hatte sich als bekennender Sozialist vom Judentum <strong>und</strong><br />

von jeder anderen Religion distanziert, doch seine Ehefrau hielt anfangs an ihrem Kirchenglauben<br />

fest. Und so war ihre Ehe nicht ganz „dornenlos“ 1121 , denn es fehlte „bei aller Liebe nicht an<br />

Kämpfen <strong>und</strong> Schmerzen“ 1122 hinsichtlich dieser Frage. Später habe Heß es ihrem Ehemann, so<br />

Zetkin,<br />

„als ein besonders großes Verdienst um ihre Entwicklung gedankt, daß er sie aus<br />

der dunklen, engen Kammer konfessionellen Dogmenglaubens in die lichte, weite<br />

Welt geistiger Freiheit geführt hat, daß er in ihrem Herzen ‘den Kirchengott vom<br />

Throne stieß <strong>und</strong> die Menschen darauf setzte’“ 1123 .<br />

All die Bemühungen ihres Ehemannes wären jedoch umsonst gewesen, hätte Heß nicht auch über<br />

einen „helle[n] Verstand, ein empfindsames, reiches Gemüt <strong>und</strong> ein feuriges Temperament“ 1124<br />

verfügt. Nur auf diese Weise, so Zetkin, habe sie „rasch zur leidenschaftlichen Bekennerin des<br />

Sozialismus“ 1125 werden können. Da „ihr Sein <strong>und</strong> Leben […] das Sein <strong>und</strong> Leben ihres Gat-<br />

1119 Ebd.<br />

1120 Ebd.<br />

1121 Ebd.<br />

1122 Ebd.<br />

1123 Ebd., S. 5-6.<br />

1124 Ebd., S. 5.<br />

1125 Ebd.<br />

471


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

ten“ 1126 war <strong>und</strong> sich dessen Inhalt an der „treueste[n] Hingabe an die sozialistische Idee“ 1127<br />

festmachte, stand für Zetkin der Lebensgang Heß‘ beispielhaft für die Geschichte des Sozialis-<br />

mus, „seiner Entwicklung von der Utopie zur Wissenschaft, von der Sekte zur Partei“ 1128 .<br />

Im Weiteren nutzte Zetkin die Gelegenheit, nicht nur den Werdegang Moses Heß‘ zu beschreiben,<br />

sondern auch Kritik an dessen Sozialismusauffassung zu üben. Zwar habe Moses Heß gemeinsam<br />

mit Marx <strong>und</strong> Engels auf dem Boden des „‘revolutionären Kommunismus’“ 1129 gestanden – eine<br />

Bezeichnung, die die Abgrenzung zum verbürgerlichten Sozialismus feststellen sollte –, doch sei<br />

er niemals wie diese beiden zu einer „klaren <strong>und</strong> einheitlichen Geschichtsauffassung“ 1130 gelangt.<br />

Die Philosophie habe „ihn nicht zur richtigen Wertung des wirtschaftlichen Faktors für die ge-<br />

schichtliche Entwicklung kommen“ 1131 lassen. Trotz seiner von Zetkin wertgeschätzten ehrlichen<br />

Bemühungen, sich die Auffassung von Marx <strong>und</strong> Engels zu eigen zu machen, habe er es nicht<br />

„vermocht[…][,] die Eierschalen des philosophisch-schöngeistigen Sozialismus […] vollständig<br />

abzustoßen“ 1132 . Die von Marx <strong>und</strong> Engels in den Augen Zetkins zu Recht geübte Kritik an seiner<br />

Auffassung, habe den Philosophen, der sich selbst als eine „‘versöhnende Natur’“ 1133 charakteri-<br />

sierte, sehr schwer getroffen.<br />

Moses Heß bewies großes politisches Engagement, verzichtete auf soziale Vorteile <strong>und</strong> materielle<br />

Sicherheit, um in der demokratischen Bewegung des Vormärz‘ als Herausgeber <strong>und</strong> Mitbegründer<br />

verschiedener kritischer Zeitungen zu wirken. Dieses Engagement zwang ihn ins Exil nach Paris<br />

<strong>und</strong> Brüssel. Bis er 1863 nach Paris übersiedelte, versah er das Amt des ersten Bevollmächtigen<br />

des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“. Er war Verfasser verschiedener Arbeiten für den<br />

„Sozialdemokrat“ wie auch für den „Volksstaat“ <strong>und</strong> wurde Mitglied der Internationale.<br />

All diese nach Zetkins eigener Aussage „gedrängt <strong>und</strong> dürftig“ 1134 vorgestellten Ausführungen<br />

ließen ihrer Meinung nach trotzdem<br />

„durchblicken, wie kampf- <strong>und</strong> entsagungsschwer <strong>und</strong> doch wie reich <strong>und</strong> beglückend<br />

das Leben gewesen [sein müsse], das Sybille Heß mitlebte“ 1135 .<br />

1126 Sybille Heß. (Fortsetzung statt Schluss.). In: GL, 14/ 02/ 13.01.1904/ 10.<br />

1127 Ebd.<br />

1128 Ebd.<br />

1129 Ebd.<br />

1130 Ebd.<br />

1131 Ebd.<br />

1132 Ebd., S. 10-11.<br />

1133 Moses Heß zit. nach Ebd., S. 11.<br />

1134 Ebd.<br />

1135 Ebd.<br />

472


4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN<br />

Es war eine stets „unsichere[…], stets bedrohte[…] Existenz“ 1136 , die sie mit ihm teilte <strong>und</strong> die<br />

jeder führe, so Zetkin, „der den Kampf für ein hohes Ideal der behaglichen Ecke hinter dem Ofen<br />

vorzieht“ 1137 . So „schwere moralische <strong>und</strong> materielle Opfer“ 1138 das Eintreten für den Sozialismus<br />

auch gefordert habe, so<br />

„[g]elassen, ja freudig, trug Frau Heß ihr Teil davon als etwas Selbstverständliches,<br />

ohne zu seufzen <strong>und</strong> zu murren, ohne sich eitel zu brüsten <strong>und</strong> Lob zu<br />

heischen“ 1139 .<br />

Jene Gelassenheit, mit der Heß diese Opfer auf sich nahm, erklärt sich vielleicht auch daraus, dass<br />

sie sie zugleich, „zu geistiger Freiheit, zur sittlichen Größe selbstlosester Hingabe an eine große<br />

Idee, höchster Güte <strong>und</strong> Aufopferung heran[wachsen]“ 1140 ließen.<br />

Sie habe vornehmlich als „arbeitsame, kluge <strong>und</strong> praktische Hauswirtin“ 1141 ihren Teil zur Sache<br />

beigetragen <strong>und</strong> als solche ihrem Ehemann ein „behagliches Heim“ 1142 geschaffen, ohne – <strong>und</strong> das<br />

ist das entscheidende Moment – ihn die Entbehrungen <strong>und</strong> Mühen, die sie deswegen ertrug,<br />

merken zu lassen. Sie, die selber kinderlos geblieben war, „erschöpfte sich“, so Zetkin, „in nie<br />

versagender, wahrhaft mütterlicher Sorgfalt <strong>und</strong> Pflege für sein körperliches Wohl, in zarter<br />

Rücksichtnahme auf seine seelischen Stimmungen“ 1143 . Nie aber habe sie sich als die „entsagende<br />

Dulderin, die selbstverleugnende Märtyrerin“ 1144 aufgespielt – im Gegenteil:<br />

„Sie fühlte sich dabei als Empfangende, nicht als Gebende <strong>und</strong> fand höchstes<br />

Glück in dem Bewußtsein, mit ihrer Liebe verständnisvoll <strong>und</strong> fürsorgend dem<br />

geistig bedeutenden Manne zur Seite zu stehen <strong>und</strong> dadurch seine Kampfeskraft im<br />

Dienste der Überzeugung zu stärken, welcher sie beide mit ganzer Seele<br />

anhingen.“ 1145<br />

So unterstützte Heß ihren Ehemann <strong>und</strong> die Sache des Sozialismus laut Zetkin mit allem, was sie<br />

hatte <strong>und</strong> was sie war. Ihr Charakter, ihr Geschick, ja selbst ihr „kräftige[r], urwüchsige[r]<br />

Humor“ 1146 hätten geholfen, ihrem Ehemann so manche schwere St<strong>und</strong>e zu erleichtern. Ihren rhei-<br />

nischen Humor hatte Heß mit Jenny Marx gemeinsam, in der sie ein „leuchtendes Vorbild“ 1147<br />

1136 Ebd.<br />

1137 Ebd.<br />

1138 Ebd.<br />

1139 Ebd.<br />

1140 Ebd.<br />

1141 Sybille Heß. (Schluß.). In: GL, 14/ 03/ 27.01.1904/ 19.<br />

1142 Ebd.<br />

1143 Ebd.<br />

1144 Ebd.<br />

1145 Ebd.<br />

1146 Ebd.<br />

1147 Ebd., S. 20.<br />

473


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

gesehen habe. Hatte Heß Karl Marx gegenüber einige Vorbehalte – begründet in dessen Kritik an<br />

ihrem Mann – so war sie bezüglich dessen Ehefrau Jenny jedoch nur voll des Lobes <strong>und</strong> bewies<br />

sich in deren Haushalt sogar als „helfender ‘Hausgeist’ <strong>und</strong> ‘gute Tante’“ 1148 .<br />

Kamen dann in ihr eigenes Haus „die erlesensten Geister“ 1149 , um laut Zetkin<br />

„in fre<strong>und</strong>schaftlichem Meinungsaustausch alle Gebiete des Wissens, der Kultur<br />

[zu] durchwander[n], die bedeutsamsten Zeit- <strong>und</strong> Streitfragen [zu] erörter[n], den<br />

tiefgründigsten Problemen in Welt <strong>und</strong> Gesellschaft nach[zu]spür[en]“ 1150 ,<br />

so sei Heß stets die bescheiden „Hörende <strong>und</strong> Lernende“ 1151 gewesen. Sie habe „die Achtung <strong>und</strong><br />

Sympathie der bedeutenden Menschen“ 1152 nicht durch ihre Beteiligung an den Diskussionen<br />

gewonnen, sondern durch ihr „geschickte[s] hausmütterliche[s] Walten“ 1153 .<br />

Der Tod ihres Ehemannes 1875 traf Heß umso schwerer, so Zetkin, da die Ehe wie erwähnt<br />

kinderlos geblieben war. 1154 Ihre wichtigste Aufgabe wurde es nun, seine nachgelassenen Schriften<br />

zu veröffentlichen. Trotz ihrer großen eigenen finanziellen Opfer <strong>und</strong> ihres „stille[n], echt<br />

<strong>weiblichen</strong> Heroismus“ 1155 kam diese Veröffentlichung jedoch nicht zustande. Wie Heß mit dieser<br />

schweren Enttäuschung umging, wird von Zetkin nicht beschrieben.<br />

Heß sei in erster Linie Gefühlssozialistin gewesen. Verstandesmäßig habe sie den Sozialismus nur<br />

insoweit erfasst, als ihr Ehemann sie in seine eigene Auffassung eingeführt habe. Dessen Leis-<br />

tungen für die Entwicklung der sozialistischen Theorie habe Heß enorm überschätzt <strong>und</strong> deshalb<br />

ihrer Umwelt vorgeworfen, ihren Ehemann <strong>und</strong> seine Leistungen zu verkennen. Die Leistungen<br />

seiner, in den Augen Zetkins, „ihn so viel überragenden Fre<strong>und</strong>e Marx <strong>und</strong> Engels“ 1156 habe Heß<br />

nie zu schätzen gelernt. Nachdem sie die Angebote privater Sammler <strong>und</strong> Zionisten abgelehnt<br />

hatte, übernahm später das Parteiarchiv den Nachlass ihres Ehemannes.<br />

Heß‘ aktives politisches Engagement bestand vor allem darin, an politischen Demonstrationen<br />

teilzunehmen. So z. B. im Mai 1880 an einer Demonstration zum Gedenken an die Kommune-<br />

kämpferInnen. Diese Demonstrationsteilnahme vermutet Zetkin als Gr<strong>und</strong> dafür, dass Heß zwei<br />

Monate später aus Frankreich ausgewiesen <strong>und</strong> unter schlimmsten Transportbedingungen (ohne<br />

Nahrung <strong>und</strong> mit normalen StraftäterInnen in einen Transportwagen gepfercht) in die Schweiz<br />

1148 Ebd.<br />

1149 Ebd., S. 19.<br />

1150 Ebd.<br />

1151 Ebd.<br />

1152 Ebd.<br />

1153 Ebd.<br />

1154 Vgl. ebd., S. 20.<br />

1155 Ebd.<br />

1156 Ebd.<br />

474


abgeschoben wurde – bald darauf erhielt sie jedoch den Status der Duldung zurück.<br />

4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN<br />

Abgesichert mit einer Witwenrente von der Familie ihres Mannes wurde Heß förderndes Mitglied<br />

des Vereins der Sozialdemokraten, der ExilantInnen unterstützte. „Opferfreudig“, so Zetkin, habe<br />

Heß „materiell die Zwecke des Vereins […] soweit sie nur konnte [gefördert], ja über ihre<br />

bescheidenen Mittel hinaus.“ 1157 Alles, was die bald als „Mutter Heß“ bezeichnete Sozialistin an<br />

finanzieller Hilfe dargeboten habe, „das ward in reinster, brüderlicher Gesinnung dargebracht <strong>und</strong><br />

konnte von dem Zartfühlendsten ohne Demütigung empfangen werden“ 1158 . Auch wenn sie im<br />

Verein „[h]in <strong>und</strong> wieder“ 1159 das Wort ergriff, spielte sich ihr wahres Engagement nicht in der<br />

Öffentlichkeit ab, sondern im persönlichen Verkehr – hier erwies sie sich laut Zetkin als „eine<br />

feurige, das Gemüt ergreifende Evangelistin der sozialistischen Freudenbotschaft“ 1160 . Sie trieb die<br />

„Lauen <strong>und</strong> Lässigen“ 1161 zu mehr Eifer an, versuchte besonders die Frauen für den Sozialismus<br />

zu gewinnen, war eine warmherzige, „liebevolle, fürsorgliche Mutter“ 1162 für Ratsuchende.<br />

Zetkin hatte ihrem Artikel den Auszug aus einem Brief eines deutschen Exilanten vorangestellt.<br />

Dieser hatte ihn nach einer Begegnung mit der sich selbst scherzhaft als die „‘Mutter der<br />

deutschen Genossen in Paris’“ 1163 bezeichnenden Heß verfasst. Heß habe ihm von der Zeit erzählt<br />

als in Paris all die großen Sozialisten <strong>und</strong> Demokraten wie Marx, Engels, Heine <strong>und</strong> Herwegh Zu-<br />

flucht genommen hatten. „‘Ihr Kopf <strong>und</strong> Herz’“, so der Unbekannte, sei „‘eine Art liebevoll<br />

gepflegtes Museum für Erinnerungen aus den Kindertagen der modernen sozialistischen Bewe-<br />

gung.’“ 1164 In den vielen Jahren, die Sybille Heß ihrem Ehemann „‘aufopfernde, verständnisvolle<br />

Gefährtin gewesen’“ 1165 , hatte sie die Entwicklung der Arbeiterbewegung hautnah miterlebt. Und<br />

wenn sie auch „‘[d]er theoretischen Entwicklung der sozialistischen Auffassung […] nicht immer<br />

zu folgen vermocht[e]’“ 1166 , habe doch „‘ihr gutes, großes Herz […] mit jeder Faser dem sozialis-<br />

tischen Ideal’“ 1167 gehört.<br />

Altersbeschwerden machten es notwendig, dass Heß zu einer Stiefschwester nach Clichy, einem<br />

1157 Ebd., S. 21.<br />

1158 Ebd.<br />

1159 Ebd.<br />

1160 Ebd.<br />

1161 Ebd.<br />

1162 Ebd.<br />

1163 Unbekannt zit. nach: Sybille Heß. In: GL, 14/ 01/ 01.01.1904/ 5.<br />

1164 Unbekannt zit. nach: Ebd.<br />

1165 Unbekannt zit. nach: Ebd.<br />

1166 Unbekannt zit. nach: Ebd.<br />

1167 Unbekannt zit. nach: Ebd.<br />

475


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Pariser Vorort, zog, wo sie allerdings sehr isoliert lebte <strong>und</strong> schließlich einsam <strong>und</strong> als eine, so<br />

Zetkin, „Verschollene, fast eine Vergessene“ 1168 1903 starb.<br />

Zetkin pointierte nochmals die Bedeutung Heß‘ als Leitfigur für proletarische Frauen wie folgt:<br />

„Eine Einfache war sie, groß in ihrer schrankenlosen Hingabe an die erkannte<br />

Wahrheit, groß in ihrer Liebe <strong>und</strong> Güte für die Menschen. Beklagen wir nicht den<br />

stillen Ausklang ihrer Tage, danken wir ihr für das, was sie dem Befreiungskampfe<br />

des Proletariats gegeben, indem wir in ihrem Geiste für ihn wirken. Nicht jeder<br />

kann in diesem Kampfe die Waffe führend in erster Reihe stehen, aber jeder <strong>und</strong><br />

jede vermag wie Sybille Heß dem befreienden Sozialismus zu leben.“ 1169<br />

Heß‘ Liebe für die Menschen begann mit der Liebe zu ihrem Ehemann. Und so sollte sich auch<br />

jede Proletarierin angesprochen fühlen, aus der Liebe für die Ihren heraus für die sozialistische<br />

Sache zu kämpfen – wenn auch nur in zweiter Reihe.<br />

Wie die Ehefrauen anderer Parteiführer stand auch Julie Bebel (1843-1910) vor dem Zwiespalt<br />

zwischen einem öffentlichen <strong>und</strong> einem nur im stillen häuslichen Bereich stattfindenden Engage-<br />

ment. Auch ihr Wirken war nicht nur auf die herkömmlichen Familienpflichten einer Frau<br />

begrenzt. Dies verdeutlicht der vermutlich von Zetkin verfasste Nachruf auf die Ehefrau August<br />

Bebels. 1170<br />

44 Jahre lang war Bebel ihrem Ehemann, so Zetkin, „verständnisvollste, aufopferungsfähigste Ge-<br />

fährtin“ 1171 , mehr als „ein vorbildlich sorgendes Hausmütterchen“ 1172 , vielmehr „eine Genossin<br />

seines Lebens <strong>und</strong> Strebens“ 1173 . Seine Sache wurde die ihre <strong>und</strong> ihre Ehe somit eine ideale<br />

„Wege- <strong>und</strong> Werkgemeinschaft“ 1174 . Während er eine „persönliche[…] Aufwärtsentwicklung<br />

ohnegleichen“ 1175 vollzog, habe es Bebel vermocht, ihm „zur Seite“ 1176 , ihm ebenbürtig zu bleiben.<br />

Während ihre Liebe dem „reine[n], reiche[n] Wesen“ 1177 ihres Ehemannes galt, galt ihre Hingabe<br />

den „emportragenden Ideen des Sozialismus“ 1178 <strong>und</strong> dessen hohen Menschheitsidealen – aus<br />

beidem habe sie ihre Kraft geschöpft.<br />

1168 Sybille Heß. (Schluß.). In: GL, 14/ 03/ 27.01.1904/ 21.<br />

1169 Ebd.<br />

1170 Julie Bebel †. In: GL, 21/ 05/ 21.11.1910/ 67.<br />

1171 Ebd.<br />

1172 Ebd., S. 67.<br />

1173 Ebd.<br />

1174 Ebd., S. 68-69.<br />

1175 Ebd.<br />

1176 Ebd.<br />

1177 Ebd.<br />

1178 Ebd.<br />

476


4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN<br />

Bebel war Tochter eines Bahn-Bodenarbeiters <strong>und</strong> arbeitete später als Putzmacherin. Zetkin<br />

bemerkt nachdrücklich, dass Bebel aus einer proletarischen Familie stammte <strong>und</strong> dass diese zwar<br />

nicht in Elend, aber doch in beengten proletarischen Verhältnissen gelebt habe. 1179<br />

1866 – nach zweijähriger Verlobungszeit – heiratete sie in Leipzig den Drechsler August Bebel.<br />

Dieser wurde durch seine offene sozialistische Gesinnung zum politisch Verfolgten. Groß sei das<br />

Verdienst Julie Bebels, in jener Zeit, so Zetkin, „das Existenzschifflein des Gehetzten“ 1180 behütet<br />

zu haben, so dass er „frisch <strong>und</strong> kraftvoll“ 1181 aus allen Stürmen habe hervorgehen können. 1182<br />

Dabei konnte sie vor allem auf ihre „praktische Lebenstüchtigkeit, die im Haushalt W<strong>und</strong>er der<br />

Finanzkunst verrichtete“ 1183 , zurückgreifen. Auch mit ihrer „sonnige[n] Heiterkeit“ 1184 <strong>und</strong> ihren<br />

„nimmermüden Händen“ 1185 habe sie ihrem Ehemann „ein schmuckes <strong>und</strong> trauliches Heim“ 1186<br />

geschaffen, wo dieser „Erquickung <strong>und</strong> Rast“ 1187 finden konnte.<br />

Bebel sorgte sich allerdings nicht nur um ihre Familie. Der Idealismus, den sie mit ihrem<br />

Ehemann teilte, habe sie, so Zetkin, „über ein kleinbürgerlich beschränktes <strong>und</strong> im Gr<strong>und</strong>e egois-<br />

tisches Familienidyll hinaus[…]gehen“ 1188 lassen. Die Familien der Parteigenossen konnten stets<br />

auf ihre Hilfe <strong>und</strong> Güte zählen. „Zweideutigkeit, Unehrlichkeit, Gemütsroheit <strong>und</strong> Mangel an<br />

Aufopferungsfähigkeit“ 1189 , so Zetkin, seien ihr „verhaßt“ 1190 gewesen. Über diese Charakter-<br />

mängel habe man sie nicht täuschen können, „denn nicht bloß das Herz, auch der Kopf saß bei ihr<br />

auf dem rechten Fleck“ 1191 .<br />

Einerseits „geschickte <strong>und</strong> liebevolle Hausfrau, […] zärtlichste <strong>und</strong> beglückteste Mutter“ habe<br />

August Bebel in seiner Ehefrau, „der wissensdurstig Fragenden“ 1192 , vor allem „die Genossin<br />

seiner Ideale [gehabt], die mit allen Fasern des eigenen Seins sein Wirken mit erlebte“ 1193 . Ihr<br />

1179 Vgl. ebd.<br />

1180 Ebd., S. 68.<br />

1181 Ebd.<br />

1182 Ebd.<br />

1183 Ebd.<br />

1184 Ebd.<br />

1185 Ebd.<br />

1186 Ebd.<br />

1187 Ebd.<br />

1188 Ebd.<br />

1189 Ebd.<br />

1190 Ebd.<br />

1191 Ebd.<br />

1192 Ebd.<br />

1193 Ebd.<br />

477


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

eigener Bildungsdrang – einem „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ entsprechend – führte Bebel zum<br />

Sozialismus <strong>und</strong> festigte damit auch ihre Ehegemeinschaft. Wenn August Bebel durch Reisen oder<br />

Haft nicht in der Lage war, seine Parteiaufgaben zu erfüllen, so habe dies unter beharrlicher<br />

Beobachtung <strong>und</strong> Bespitzelung der Ordnungshüter seine Ehefrau übernommen. Sie – „‘unseres<br />

Augusts Frau’“ 1194 – war dann „Berichterstatterin <strong>und</strong> Stellvertreterin ihres Mannes“ 1195 . Auch war<br />

sie seine Sekretärin, die ihm beim Verfassen schriftlicher Beiträge half, seine Korrespondenz<br />

ordnete <strong>und</strong> ihm auf diese Weise Zeit für „Kampf <strong>und</strong> Studium“ 1196 gewann. Diese dem Ehemann<br />

erbrachte Unterstützung – das „Wohltun <strong>und</strong> Mitteilen“ 1197 – war nach Meinung Zetkins zudem<br />

„ein Stück selbstverständlicher Praxis sozialistischer Brüderlichkeit“ 1198 .<br />

Ihr Stolz <strong>und</strong> ihre Bescheidenheit hätten es Bebel jedoch verboten, „als die ‘Frau ihres Mannes’ in<br />

der Partei, in der Öffentlichkeit eine Rolle zu spielen“ 1199 . Nur eine einzige Ausnahme war Zetkin<br />

bekannt: Bebel wurde in den 1890er Jahren Mitgründerin <strong>und</strong> Vorstandsmitglied des Berliner<br />

Bildungsvereins für Frauen <strong>und</strong> Mädchen. Sie habe diese Ämter aber nur übernommen, um mit<br />

ihrem Namen die Entwicklung des Vereins zu fördern. Für diese Behauptung spreche, dass sie den<br />

Ehrenposten abgab, sobald sie dieses Ziel erreicht sah. 1200 Manchmal jedoch – so wusste Zetkin<br />

vermutlich aus sehr persönlichen Gesprächen mit Bebel zu berichten – habe sie es bereut, nicht<br />

stärker selbständig gewirkt zu haben. Dann beklagte sie, so Zetkin,<br />

„daß es ihr nicht vergönnt gewesen sei, einen höheren Flug zu nehmen <strong>und</strong> sich<br />

einen eigenen Wirkungskreis in der Bewegung zu schaffen“ 1201 .<br />

In Julie Bebel war der proletarischen Frauenbewegung eine Leitfigur gegeben, die ihr ganzes<br />

Potential als „weiblicher Vollmensch“ in ihrer Ehe auslebte.<br />

„Bewußt <strong>und</strong> freiwillig hat sie ihr Wünschen vor der Erkenntnis beschieden, daß<br />

das Beste, ja Unersetzliche, was sie für ihre sozialistische Überzeugung leisten<br />

könne, das Aufgehen ihres Eigenlebens in das eines Größeren sei, eines<br />

Wegbereiters <strong>und</strong> Führers, wie die Sozialdemokratie keinen zweiten kennt.“ 1202<br />

Bebel bezwang demnach ihren persönlichen Ehrgeiz <strong>und</strong> fand die Verwirklichung ihres Selbst<br />

sowie ihrer Ideale in der Unterstützung ihres politisch aktiven Ehemannes. Zudem schien Zetkin<br />

1194 Ebd.<br />

1195 Ebd.<br />

1196 Ebd.<br />

1197 Ebd.<br />

1198 Ebd.<br />

1199 Ebd.<br />

1200 Vgl. ebd.<br />

1201 Ebd., S. 68f.<br />

1202 Ebd., S. 69.<br />

478


4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN<br />

ohnehin Zweifel an der Eignung Bebels für eine führende Rolle – vielleicht in der proletarischen<br />

Frauenbewegung – gehabt zu haben. Sie war der Meinung, dass „[i]n der Natur […] die Gaben<br />

ungleich verteilt“ 1203 seien <strong>und</strong> es deshalb „[n]icht jede vermag […], das weiche Frauenherz hinter<br />

dem Harnisch zu bergen <strong>und</strong> sich in das Getümmel des Klassenkampfes zu stürzen“ 1204 . Etwas,<br />

was dagegen jeder Mensch, jede Frau für die Sache zu leisten vermag, sei, „den Ringenden eine<br />

selbstverleugnende Helferin“ 1205 zu sein.<br />

Eine ebenfalls „tapfere, aufopfernde Lebensgefährtin [eines][…] unvergeßlichen ‘Alten’“ 1206 war<br />

Natalie Liebknecht (1835-1909). Die Witwe Wilhelm Liebknechts war bereits ein Jahr vor Julie<br />

Bebel einen, wie vermutlich Zetkin schrieb, „sanfte[n] Tod“ 1207 gestorben.<br />

Geboren wurde Liebknecht in Darmstadt als Tochter des Hofgerichtsadvokaten Jacob Ludwig<br />

Theodor Reh, eines ehemaligen Mitglieds der Frankfurter Nationalversammlung, der seiner<br />

Tochter zudem eine gute Bildung zukommen ließ. 1868 begegnete sie ihrem zukünftigen Ehe-<br />

mann, der damals bereits Witwer <strong>und</strong> Vater zweier Töchter war. Für die Ehe mit ihm gab<br />

Liebknecht die Sicherheit einer bürgerlichen Existenz auf <strong>und</strong> übernahm einen Haushalt, der, so<br />

Zetkin, „nicht viel mehr als ein Zeltlager [gewesen sei], in dem zwei verwaiste Mädchen nach<br />

Mutterpflege <strong>und</strong> Mutterliebe verlangten“ 1208 . Wilhelm Liebknecht erwarb als Schriftsteller <strong>und</strong><br />

Vortragender nur geringe Einkünfte <strong>und</strong> auch sein späteres Gehalt als Redakteur, so die Meinung<br />

der Redakteurin Zetkin, „würde heute niemand dem letzten Laufburschen in der Expedition eines<br />

Parteiblattes zu bieten wagen“ 1209 . Es war Natalie Liebknechts großes Verdienst, trotz dieser<br />

geringen Geldmittel einen immer größer werdenden Haushalt – Liebknecht gebar noch fünf Söhne<br />

– zu versorgen. Als Ehefrau <strong>und</strong> Mutter war es ihre, so Zetkin,<br />

„heilige Lebensaufgabe […], […] ein behagliches Familienleben zu schaffen, das<br />

als Quickborn dem leidenschaftlichem Kämpfer die Kräfte stählte <strong>und</strong> die junge<br />

Brut ges<strong>und</strong>, stark an Leib <strong>und</strong> Seele heranwachsen ließ“ 1210 .<br />

Damit habe sie dem Sozialismus „in ihrer Weise“ 1211 gedient. Sie trug sowohl die „ökonomische<br />

1203 Ebd.<br />

1204 Ebd.<br />

1205 Ebd.<br />

1206 Natalie Liebknecht. In: GL, 19/ 10/ 15.02.1909/ 152.<br />

1207 Ebd.<br />

1208 Ebd.<br />

1209 Ebd.<br />

1210 Ebd.<br />

1211 Ebd.<br />

479


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

wie die moralische Verantwortung“ 1212 mit <strong>und</strong> nahm „die Hauptlast der Haus- <strong>und</strong> Erziehungs-<br />

sorgen auf ihre Schultern“ 1213 . Das Ergebnis ihrer Erziehung waren nach Meinung Zetkins<br />

„aufrechte[…], wahrhaftige[…] Männer[…], […] würdige[…] Träger[…] des Vaternamens“ 1214 .<br />

<strong>Von</strong> größerer Bedeutung jedoch war, dass sie all diese „Haus- <strong>und</strong> Erziehungssorgen“ allein<br />

bewältigte <strong>und</strong> ihr Ehemann davon unbelastet blieb. Indem sie ihm „eine Stätte der Ruhe <strong>und</strong><br />

Rast“ 1215 geschaffen habe, habe sie der Sozialdemokratie „ihren ältesten hervorragenden Führer<br />

bis ins hohe Alter hinein in jugendlicher Frische <strong>und</strong> Rüstigkeit erhalten“ 1216 . Die körperliche <strong>und</strong><br />

geistige Ges<strong>und</strong>heit ihres Ehemannes musste Liebknecht nicht nur als Ehefrau angelegen sein,<br />

sondern auch als überzeugte Sozialdemokratin. Wenn auch „[d]ie Liebe [sie] […] in das Lager des<br />

kämpfenden Proletariats geführt“ 1217 habe, so Zetkin, „die Überzeugung ließ sie hier heimisch<br />

werden“ 1218 . Liebknecht war demnach zu Beginn „Gefühlssozialistin“ einer besonderen Art<br />

gewesen, aber „das innerlichste Miterleben der Ideen […], der Ziele“ 1219 ihre Ehemannes <strong>und</strong><br />

„eifrige Lektüre“ 1220 machten aus ihr eine Genossin. Zwar keine streitbare Kämpferin, aber, wie<br />

Zetkin meinte, eine Vertreterin „des stillen <strong>weiblichen</strong> Heldentums“ 1221 , deren Leben weit über<br />

jedem „kleinbürgerlichen Aschenputteltum[…]“ 1222 gestanden habe <strong>und</strong> somit vorbildhaft war.<br />

Eine weiterer führender Genosse aus der frühen Geschichte der SPD <strong>und</strong> vor allem verantwortlich<br />

für die illegale Publikationsarbeit in der Schweiz war Julius Motteler, genannt der „Rote Post-<br />

meister“. Die „Gleichheit“-Leserinnen erfahren aus einem vermutlich von Juchacz verfassten<br />

Nachruf, dass am Neujahrstag 1919 dessen Ehefrau Emilie Motteler (?-1919) gemeinsam mit<br />

ihrem Bruder, E. Schwarz in Leipzig einer Gasvergiftung „zum Opfer“ 1223 gefallen war. Sie sei<br />

ihrem Ehemann „eine treue Gefährtin […] auf allen Wanderfahrten“ 1224 gewesen. Zudem „eine<br />

1212 Ebd.<br />

1213 Ebd.<br />

1214 Ebd.<br />

1215 Ebd.<br />

1216 Ebd.<br />

1217 Ebd.<br />

1218 Ebd.<br />

1219 Ebd.<br />

1220 Ebd.<br />

1221 Ebd.<br />

1222 Ebd.<br />

1223 Emilie Motteler. In: GL, 29/ 09/ 31.01.1919/ 68.<br />

1224 Ebd.<br />

480


4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN<br />

gütige Helferin <strong>und</strong> treue Fre<strong>und</strong>in aller, die mit ihr gleiche Not <strong>und</strong> gleiches Wollen verband“ 1225 .<br />

Wäre Zetkin noch Redakteurin der „Gleichheit“ gewesen, so hätte sie vermutlich deutlich mehr<br />

zum Leben der Ehefrau ihres engen Fre<strong>und</strong>es Motteler zu berichten gehabt. Damit machte sich<br />

auch in der Art <strong>und</strong> Weise, wie „alte“ Kämpferinnen gewürdigt wurden, der Wechsel in der<br />

„Gleichheit“-Redaktion bemerkbar.<br />

Nicht nur Ehefrau, sondern auch Tochter eines führenden Genossen war Laura Lafargue (1845-<br />

1911). Die Tochter von Karl <strong>und</strong> Jenny Marx stellt ein außergewöhnliches Beispiel einer idealen<br />

Ehefrau dar, die vor keinem Opfer zurückschreckte. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Paul<br />

Lafargue beging sie im Dezember 1911 Suizid. Bevor sich jedoch Zetkin dem Leben Laura<br />

Lafargues widmete, beschrieb sie den Werdegang ihres auf Kuba geborenen Ehemannes Paul.<br />

Paul Lafargue war Sohn wohlhabender Eltern <strong>und</strong> zog im Alter von neun Jahren nach Frankreich,<br />

wo er ein Medizinstudium begann. Sein politisches Engagement in der „Internationalen Asso-<br />

ciation“, in dem Studentenkongress 1866 in Lüttich <strong>und</strong> bei Demonstrationen gegen Napoleon III.<br />

gab den Behörden ausreichenden Gr<strong>und</strong>, ihn von allen französischen Universitäten aus-<br />

zuschließen. Zur Fortsetzung seines Medizinstudiums ging er deshalb nach London, wo er wegen<br />

seiner Spanischkenntnisse als Sekretär für die Internationale arbeitete <strong>und</strong> die bereits von<br />

Frankreich aus geknüpften Kontakte zu Karl Marx intensivierte. Bald verband die beiden Männer<br />

„eine herzliche Fre<strong>und</strong>schaft“ 1226 , die sich noch vertieft habe, als Lafargue der Gatte von Marx‘<br />

zweitältester Tochter wurde.<br />

Im Auftrage der Pariser Kommune wirkte Paul Lafargue dann in Südfrankreich. In dieser Zeit sei,<br />

so Zetkin, keinerlei „gesicherte Häuslichkeit“ 1227 möglich gewesen. Die Kämpfe im Süden schufen<br />

Notwendigkeiten, wegen derer die Eheleute oft voneinander getrennt waren, <strong>und</strong> sie „trugen<br />

Unruhe, Sorgen, Entbehrungen in ihre Existenz“ 1228 . Diese gefahrvollen Umstände könnten dazu<br />

beigetragen haben, dass ihre zwei Kinder schon früh verstarben. Paul Lafargue belastete der Tod<br />

seiner Kinder sehr. Er sah sich nicht mehr in der Lage, den Beruf des Arztes auszuüben <strong>und</strong><br />

verrichtete, nachdem sie erneut nach London gezogen waren, literarische Gelegenheitsarbeiten<br />

<strong>und</strong> Tätigkeiten als Holzschneider. Laura Lafargue gab Privatst<strong>und</strong>en <strong>und</strong> fertigte Übersetzungen<br />

an. Eine geregelte Erwerbstätigkeit strebten beide nicht an. Sie zogen, so Zetkin,<br />

1225 Ebd.<br />

„die magere Freiheit der fetten Sklaverei einer alltäglichen Berufsfron vor. Höher<br />

1226 Paul <strong>und</strong> Laura Lafargue. In: GL, 22/ 06/ 11.12.1911/ 83.<br />

1227 Ebd., S. 84.<br />

1228 Ebd.<br />

481


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

als die äußeren Annehmlichkeiten des Lebens stand ihnen die Bewegungsfreiheit,<br />

Geist <strong>und</strong> Charakter weiterzubilden <strong>und</strong> dem sozialistischen Ideal zu dienen, wo<br />

immer sich Gelegenheit dazu bot“ 1229 .<br />

Laura Lafargue waren diese Lebensumstände nicht neu. Ihre Eltern hatten unter ähnlichen<br />

Bedingungen leben müssen. Und wie ihre Mutter habe nach Meinung Zetkins auch Lafargue diese<br />

„in revolutionärer Begeisterung mit Stolz <strong>und</strong> Anmut getragen“ 1230 .<br />

1882 konnte das Ehepaar dank einer Amnestie für KommunekämpferInnen wieder nach Frank-<br />

reich zurückkehren. Der Schwerpunkt der politischen Tätigkeit Paul Lafargues lag zu jener Zeit<br />

nicht in der Agitation <strong>und</strong> auch nicht in seinem Amt als Abgeordneter des französischen Parla-<br />

ments, das er von 1891 bis 1893 innehatte. Paul Lafargue war vielmehr ein sehr begabter<br />

Publizist, der mit seinen satirischen Streitschriften laut dem Urteil Zetkins zu den „besten Pamph-<br />

letisten“ 1231 zu zählen sei. Außerdem war er ein Wissenschaftler, der sich zwar nicht bemüht habe,<br />

„das Gold des historischen Materialismus in die kleinen Münzen umzuprägen, deren das<br />

Tagesleben der Partei“ 1232 bedürfe, der aber durch seine Forschungsarbeiten die Theorie des Sozia-<br />

lismus bereichert habe. Seine geschichts- <strong>und</strong> literaturwissenschaftlichen Beiträge, deren viele in<br />

der „Neuen Zeit“ veröffentlicht wurden, hätten zu selbständigem Nachdenken angeregt <strong>und</strong> ihn,<br />

so Zetkin, „zu einem Lehrer des internationalen Proletariats erhoben“ 1233 .<br />

Es sei eine „seltene Harmonie“ 1234 gewesen, die die Eheleute miteinander verband <strong>und</strong> Laura<br />

Lafargue habe ihrem Ehemann „an innerem Reichtum“ 1235 nicht nachgestanden. Sie war die ideale<br />

Genossin seiner Ideale, da alles, so Zetkin, „was den tiefsten Inhalt seines Lebens ausmachte, […]<br />

auch dem ihren Richtung <strong>und</strong> Ziel“ 1236 gab. Laura Lafargue besaß bedeutende Sprachkenntnisse,<br />

eine große Belesenheit, wissenschaftliche Bildung <strong>und</strong> Kunstverstand. Mit diesen Fähigkeiten<br />

konnte sie „wichtige Hilfsarbeit“ 1237 für ihren Ehemann leisten <strong>und</strong> sie waren ihm zudem „eine un-<br />

versiegliche Quelle der Anregung <strong>und</strong> Selbstverständigung“ 1238 . „Besonders wertvoll war es“, so<br />

Zetkin, „daß Laura ihm die Kenntnis der deutschen sozialistischen Bewegung vermittelte, ihn mit<br />

1229 Ebd.<br />

1230 Ebd.<br />

1231 Ebd.<br />

1232 Ebd., S. 85.<br />

1233 Ebd., S. 84.<br />

1234 Ebd., S. 85.<br />

1235 Ebd.<br />

1236 Ebd.<br />

1237 Ebd.<br />

1238 Ebd.<br />

482


deutscher Wissenschaft <strong>und</strong> Literatur vertraut machte.“ 1239<br />

4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN<br />

Schließlich widmete sich Zetkin dem selbständigen Wirken <strong>und</strong> Arbeiten Laura Lafargues. Sie<br />

übersetzte deutsche Gedichte, z. B. solche von Heinrich Heine, ins Englische <strong>und</strong> die von ihrem<br />

Vater verfasste Schrift „Kritik der politischen Ökonomie“ (1859) ins Französische. Lafargue<br />

schrieb kleinere Artikel über die internationale Arbeiterbewegung für frühe sozialistische Zeit-<br />

schriften – dies laut Zetkin aber „[u]ngenannt“ 1240 . Ihre für die ersten Jahrgänge der „Gleichheit“<br />

verfassten Artikel zeichnete Lafargue jedoch. Ähnlich einer Anekdote beschrieb Zetkin Lafargues<br />

Taktik, für die Verbreitung des Organs der französischen Sozialisten zu wirken:<br />

„Rührend war die Unermüdlichkeit, mit der sie in den achtziger Jahren Monate<br />

hindurch von Zeitungskiosk zu Zeitungskiosk ging, um durch Nachfrage nach dem<br />

Parteiorgan ‘Le Socialiste’ dessen Verbreitung zu fördern. Wie manchen ersparten<br />

Frank verausgabte sie, um das Blatt ‘en gros’ anzukaufen <strong>und</strong> dann unter die<br />

Arbeiter des äußeren ‘Quartier Latin’ zu verteilen. Aber ach! Diese Kleinarbeit<br />

blieb so erfolglos wie das Bemühen, mit Hilfe einiger Fre<strong>und</strong>innen durch Unterrichtskurse<br />

die Proletarierinnen der Partei zuzuführen.“ 1241<br />

Diese Misserfolge hätten jedoch in keiner Weise Lafargues „feste[…] Zuversicht auf den Sieg des<br />

Sozialismus“ oder ihre Überzeugung von der Notwendigkeit, dass die „Frauen diesen Sieg […]<br />

als Vorbedingung ihrer eigenen Befreiung“ 1242 miterkämpfen müssen, getrübt.<br />

Interessant ist es, dass Zetkin zwar die jüngere Schwester Lafargues, Eleanore Marx-Aveling<br />

erwähnt, aber nicht den Umstand, dass diese 1898 ebenfalls Suizid begangen hatte. Lafargue habe<br />

im Gegensatz zu ihrer Schwester nicht „das Hinaustreten in die Öffentlichkeit, die starke Willens-<br />

bek<strong>und</strong>ung“ 1243 gelegen. Doch „im stillen[sic]“ 1244 habe sie, so die Meinung Zetkins, „mit der<br />

gleichen Hingebung <strong>und</strong> Treue wie diese für den Sozialismus gewirkt“ 1245 .<br />

Zetkins Artikel zitiert den Abschiedsbrief Paul Lafargues:<br />

1239 Ebd.<br />

1240 Ebd.<br />

1241 Ebd.<br />

1242 Ebd.<br />

1243 Ebd.<br />

1244 Ebd.<br />

1245 Ebd.<br />

„‘Ges<strong>und</strong> an Leib <strong>und</strong> Geist gab ich mir den Tod, bevor das unerbittliche<br />

Greisenalter einen Teil des Vergnügens <strong>und</strong> der Freude des Daseins nimmt <strong>und</strong><br />

mich der physischen <strong>und</strong> geistigen Kraft beraubt, meine Energie lähmt, meine<br />

Sinne bricht <strong>und</strong> mich zur Last für mich selbst <strong>und</strong> die anderen macht. Seit Jahren<br />

habe ich mir das Versprechen gegeben, das siebzigste Lebensjahr nicht zu überschreiten.<br />

Ich habe die Jahreszeit für meinen Abschied aus dem Leben längst<br />

bestimmt <strong>und</strong> die Ausführung meines Entschlusses vorbereitet, nämlich eine Einspritzung<br />

von Zyankali. Ich sterbe mit höchster Freude, die mir die Gewißheit<br />

483


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

bereitet, daß die Sache, der ich 45 Jahre meines Lebens gewidmet habe, in nicht<br />

allzu ferner Zukunft triumphieren wird. Es lebe der Kommunismus, es lebe der<br />

internationale Sozialismus’“ 1246<br />

Paul Lafargue erwähnte mit keinem Wort seine Ehefrau, die zusammen mit ihm freiwillig 1247 aus<br />

dem Leben schied. Rational hatte er den Beschluss gefasst, sich einen Monat vor seinem 70. Ge-<br />

burtstag eine tödliche Injektion zu setzen, weil er sich von dem Alter nicht mehr viel erhoffte. Die<br />

nur drei Jahre jüngere Laura Lafargue muss ähnlich gedacht haben. Zetkin nannte einen<br />

möglichen Gr<strong>und</strong>, weshalb auch sie nichts mehr im Leben gehalten haben könnte: Ihre<br />

Kinderlosigkeit. Den Verlust ihrer Kinder hatten beide nie verw<strong>und</strong>en. Laura Lafargue scheint<br />

zum Zeitpunkt ihres Todes vor allem noch sehr unter dem Tod ihrer Tochter gelitten zu haben.<br />

Zwar habe sie nach Meinung Zetkins „nicht zu denen [gehört], die ihr Herz leicht auf die Lippen<br />

heben, <strong>und</strong> ihrem hohen Sinne [sei] das Leiden um der Überzeugung willen selbstverständlich“ 1248<br />

gewesen, doch die Erinnerung an ihre Tochter habe ihr stets die Tränen in die Augen getrieben.<br />

Umso bitterer Zetkins Gedanke, dass die Eheleute Lafargue „‘geborene[…] Eltern’ <strong>und</strong> Kinder-<br />

fre<strong>und</strong>e“ 1249 gewesen seien.<br />

Mit Laura Lafargue habe in Draveil bei Paris eine der „treuesten <strong>und</strong> bescheidensten Diene-<br />

rinnen“ 1250 der sozialistischen Internationale ihr Leben freiwillig beendet. Zetkin gab sich<br />

besondere Mühe, ihren Leserinnen diesen Entschluss sachlich zu erklären, ihn nicht als leicht-<br />

fertig oder verzweifelt erscheinen zu lassen:<br />

„Paul <strong>und</strong> Laura Lafargue waren vollsaftige Menschen, deren Eigenart der<br />

Sozialismus nur schärfer ausgeprägt hatte. Denn er war ihnen mehr als eine graue<br />

ökonomisch-historische Doktrin: der grüne Lebensbaum einer einheitlichen Weltanschauung<br />

voll duftender Blüten, mit denen sie sich freudig das Haupt bekränzten.<br />

Früh hatten sie sich zu jener abgeklärten Lebensweisheit durchgerungen,<br />

welche die besten Zeiten der Antike ausgezeichnet hat <strong>und</strong> deren Gr<strong>und</strong>lage das<br />

Bewußtsein von der Einheit <strong>und</strong> dem ewigen Flusse alles Seins ist. Nicht demütige<br />

Zerknirschung, stolze Ruhe strömte ihnen aus der Erkenntnis zu, daß auch sie nur<br />

Atome seien in dem unerschöpflichen, grenzenlosen All, Atome, die die Welle hebt<br />

<strong>und</strong> verschlingt. So werteten sie ihr Leben nicht nach vorgefaßten Schablonen,<br />

sondern nach dem, wie sie selbst es mit schöpferischer Hand zu formen verstanden.“<br />

1251<br />

Der Suizid war demnach eine bewusste Entscheidung <strong>und</strong> eine Entscheidung, die auch als Teil der<br />

1246 Paul Lafargues Abschiedsbrief an seine Fre<strong>und</strong>e (1911). Zit. nach: Ebd., S. 83.<br />

1247 Diese Freiwilligkeit wurde jedoch auch in Frage gestellt. Luise Kautsky erwähnte die Möglichkeit, dass Laura<br />

Lafargue das Gift ohne ihr Wissen zu sich nahm, wusste aber auch um die Unmöglichkeit, diese Frage jemals zu<br />

klären (Kautsky, Luise: Mai-Erinnerungen. In: GL, 33/ 09-10/ 01.05.1923/ 71-79, S. 77).<br />

1248 Paul <strong>und</strong> Laura Lafargue. In: GL, 22/ 06/ 11.12.1911/ 84.<br />

1249 Ebd.<br />

1250 Ebd., S. 83.<br />

1251 Ebd., S. 85.<br />

484


4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN<br />

Persönlichkeitsentwicklung gesehen werden müsse. Sie hatten ein selbstbestimmtes Leben gelebt<br />

<strong>und</strong> sie bestimmten selbst über dessen Ende. Zetkin wollte nicht den Verdacht aufkommen lassen,<br />

dass das Ehepaar verzweifelt gewesen sei oder gar am Sozialismus gezweifelt habe. Im Gegenteil:<br />

„Eine ges<strong>und</strong>e Freude am Leben“ 1252 habe sie erfüllt. Sie seien „beide Lebenskünstler im edelsten<br />

Sinne des Wortes“ 1253 gewesen <strong>und</strong><br />

„[a]us dieser ihrer Lebenskunst [sei] ihnen der Wille <strong>und</strong> die Freudigkeit zum<br />

gemeinsamen freiwilligen Tod erwachsen. Nicht als eine drückende Bürde oder ein<br />

verächtliches Gut haben sie das Leben von sich geworfen. Sie löschten es aus, weil<br />

sie wußten, daß seine Flammen so hoch <strong>und</strong> hell gebrannt hatten, daß nun kein<br />

trübes, qualmiges Schwälen folgen durfte.“ 1254<br />

Auch den möglichen Vorwurf, die Lafargues hätten mit ihrem Suizid der Bewegung wichtige<br />

Kräfte entzogen, schmetterte Zetkin mit den Worten ab: „Ein Mann von der Vergangenheit <strong>und</strong><br />

dem Wesen Lafargues durfte in dieser Gewissensfrage wohl sein eigener Richter sein.“ 1255<br />

Zetkin plädierte für eine bewusst andere gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Freitod<br />

<strong>und</strong> forderte:<br />

„Lassen wir doch endlich die Toten ihre Toten begraben, <strong>und</strong> haben wir den Mut<br />

zur Umwertung eines Wertes, den uns eine zweitausendjährige Knechtung des<br />

Geistes durch den kirchlichen Spiritualismus in die Seele gehämmert hat.“ 1256<br />

Sie bat ihre Leserinnen um Verständnis für „die Stolzen, die in sittlicher Freiheit <strong>und</strong> Kraft zu<br />

sterben wissen, ehe daß Leib <strong>und</strong> Seele verfällt“ 1257 , denn Paul <strong>und</strong> Laura Lafargue hätten, so<br />

Zetkin ihren Nachruf schließend,<br />

1252 Ebd.<br />

1253 Ebd.<br />

1254 Ebd.<br />

1255 Ebd.<br />

1256 Ebd.<br />

1257 Ebd.<br />

1258 Ebd.<br />

„in Schönheit gelebt, sie sind in Schönheit gestorben, ohne Pose, einfach <strong>und</strong><br />

schlicht. Die Frommen mögen sie schelten, die Kleinmütigen sie bedauern, wir<br />

neigen uns in Fre<strong>und</strong>schaft vor ihnen als vor Starken <strong>und</strong> Freien.“ 1258<br />

485


4.4 „[…] eine Kühnheit des Geistes, eine Kraft des Willens, eine Reinheit der<br />

Gesinnung <strong>und</strong> Größe der Opferfreudigkeit […]“ 1259<br />

– Die Klassenkämpferin<br />

4.4.1 Zum Frauenleitbild der „Klassenkämpferin“<br />

Proletarische Frauenbildung zielte im Gegensatz zu manchen bürgerlichen Frauen(aus)bil-<br />

dungsinitiativen nicht auf den individuellen Aufstieg der einzelnen Frau ab. Vielmehr sollte<br />

„[d]em Proletarier […] Bildung in erster Linie Kampfeswaffe, nicht lediglich Schmuck oder<br />

Genuß“ 1260 sein. Die Arbeiterinnen sollten die Bedingungen ihrer gesellschaftlichen Lage, die<br />

kollektive Kraft ihrer Klasse erkennen <strong>und</strong> ein Klassenbewusstsein entwickeln. Dies verlangte<br />

ihnen die Transferleistung ab, vom wirtschaftlichen <strong>und</strong> historischen Schicksal der gesamten<br />

Klasse auf ihr eigenes individuelles Schicksal zu schließen <strong>und</strong> umgekehrt. Damit war zwar<br />

eine individuelle berufliche Weiterqualifikation oder Allgemeinbildung nicht ausgeschlossen,<br />

aber eine solche war nicht zentrales Anliegen der sozialistischen Emanzipationstheorie. Die<br />

individuelle Befreiung aus Elend <strong>und</strong> Unterdrückung – egal ob für Mann oder Frau, egal<br />

welche beruflichen Qualifikationen man sich bis dahin für das Überleben in einer „überholten“<br />

Gesellschaft angeeignet hatte – konnte nur im Kollektiv, nur als Klasse erreicht werden. 1261 Ihr<br />

Klassenbewusstsein musste ihr sagen, dass jede individuelle Befreiung aus Elend <strong>und</strong><br />

Unterdrückung nur Ergebnis eines erfolgreichen Kampfes der unterdrückten gegen die unter-<br />

drückende Klasse sein konnte. Ob Mann oder Frau <strong>und</strong> unabhängig von jeder beruflichen<br />

Qualifikation, die man sich bisher für ein Überleben in einer „überholten“ Gesellschaft ange-<br />

eignet hatte – das Kollektiv, die gesamte Arbeiterklasse war einziger Garant für ein glückliches<br />

Leben.<br />

Da scheint die Tatsache, dass Arbeiterinnen zwar leicht für unorganisierte Aktionen mobilisiert<br />

werden konnten, aber kaum für die nachhaltige Durchsetzung politischer Forderungen 1262<br />

wenig erfolgversprechend für den Kampf um eine Utopie. Meist waren Arbeiterinnen „nur“ an<br />

der praktischen Befriedigung ihrer Lebensbedürfnisse, an der Lösung der sie persönlich <strong>und</strong><br />

ihre Familie betreffenden „Magenfrage“ interessiert. Es war also notwendig, dass die Argu-<br />

mentation sozialistischer Theorie <strong>und</strong> Agitation stets beides bekräftigte – den Wert individu-<br />

1259 Maria Lwowna Berditschewskaja. In: GL, 15/ 05/ 08.03.1905/ 25.<br />

1260 Der Gewerkschaftskongreß zu Hamburg. In: GL, 18/ 14/ 06.07.1908/ 123.<br />

1261 Auch dies ein Unterschied zu den bürgerlichen Frauen, denn individuelle Weiterbildung machte für viele<br />

bürgerliche Frauen den Reiz ihres Engagements innerhalb der Frauenbewegung aus.<br />

1262 „Sie halfen sich gegenseitig beim Überleben, bei Totgeburten, bei Abtreibungen. Bei Teuerungswellen machten<br />

sie spontane ‘Krawalle’, stürmten Lebensmittelstände <strong>und</strong> Geschäfte, kauften zu selbstgesetzten Preisen<br />

ein oder eigneten sich das Notwendige ohne Bezahlung an.“ (Grossmann/Meyer-Renschhausen, Frauen <strong>und</strong><br />

Arbeiterbewegung in Deutschland, 1914-1938, S. 55)<br />

487


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

ellen Engagements <strong>und</strong> den Wert des Kollektivs. Lag der Schwerpunkt zu sehr auf den<br />

Bedürfnissen des Kollektivs <strong>und</strong> war das Verständnis der ProletarierInnen noch zu wenig aus-<br />

geprägt, so barg dies die Gefahr, dass ähnlich dem Verständnis des historischen Materialismus‘ ein<br />

individuelles Engagement als unnötig angesehen wurde, da die Entwicklung ja bereits vorgegeben<br />

schien.<br />

Die Unterdrückungsmechanismen des Kapitalismus mussten erst durchschaut <strong>und</strong> dann bekämpft<br />

werden. Für diesen Erkenntnisprozess war eine gewisse Allgemeinbildung gr<strong>und</strong>legend, aber eben<br />

nicht Selbstzweck. Besondere Bedeutung für die Emanzipation der proletarischen Frau hatte die<br />

Erwerbsarbeit. Diese konnte jedoch Verschiedenes bedeuten: Sie konnte Horizonterweiterung <strong>und</strong><br />

Selbstverwirklichung sein, aber auch „Fronarbeit“, Doppel- <strong>und</strong> Dreifachbelastung. Verheirateten<br />

Arbeiterinnen wurde durch menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, Familien- <strong>und</strong><br />

Eheprobleme, die Sorge um Essen <strong>und</strong> Wohnung, schließlich durch die pure Existenzangst das<br />

Leben schwer gemacht. All das waren Probleme, die eine Organisation unter ihnen so schwer,<br />

aber auch so unerlässlich machte.<br />

Die politisierende Schubwirkung, die der Erwerbsarbeit theoretisch zuzuschreiben ist, ließ sich<br />

anscheinend praktisch für die proletarische Frauenbewegung nicht nutzen. Woher sollten die<br />

Arbeiterinnen unter solchen Lebensbedingungen auch das Wissen <strong>und</strong> die Kraft für ein politisches<br />

Engagement nehmen? Solche Frauen konnten nicht über ihr Selbstbewusstsein als Arbeiterin für<br />

den Sozialismus gewonnen werden, da doch nur der kleinste Teil von ihnen ein solches Selbstbe-<br />

wusstsein besaß <strong>und</strong> dann zumeist schon berufsgruppenmäßig in den Gewerkschaften organisiert<br />

war.<br />

So musste auch die SPD erkennen, dass sie, wenn sie effizient agitieren wollte, die Arbeiterin<br />

nicht nur als Erwerbstätige, sondern auch als Ehefrau, Hausfrau <strong>und</strong> Mutter ansprechen musste.<br />

Folglich setzte dann – wie Evans in seinem gr<strong>und</strong>legenden Werk „Sozialdemokratie <strong>und</strong> Frauen-<br />

emanzipation im deutschen Kaiserreich“ 1263 feststellt – die Agitation der SPD bei vermeintlich rein<br />

frauenspezifischen Themen wie Lebenshaltungskosten, Fleischpreisen <strong>und</strong> legislativen Reformen<br />

zum Schutz von Kindern an. Die „Gleichheit“ <strong>und</strong> auch die Bildungsvereine lockten mit<br />

plakativen Titeln – einmal kämpferisch, einmal fürsorglich. Zwar zielte diese Themenauswahl<br />

hauptsächlich auf die Interessen der Hausfrauen als „praktische Ernährerinnen“ der Familie, aber<br />

man kann sagen, dass mit ihr auch die existenziellen Interessen vieler anderer Personengruppen<br />

angesprochen wurden. Sicherlich hatten nicht nur Hausfrauen, sondern auch deren Männer Gr<strong>und</strong>,<br />

gegen die Lebensmittelteuerungen zu protestieren. 1264<br />

1263 Evans, Sozialdemokratie <strong>und</strong> Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich.<br />

1264 Im Gegensatz zu Evans lässt sich m. E. nicht gr<strong>und</strong>sätzlich schlussfolgern, dass die gesamte „Propaganda der<br />

488


4.4.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER „KLASSENKÄMPFERIN“<br />

Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> veranschaulichen die Forderungen zum Achtst<strong>und</strong>entag nicht nur die<br />

Bildung zum „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“, sondern auch die zur Klassenkämpferin. Baader ver-<br />

knüpfte die Erkämpfung freier Zeit mit den Möglichkeiten zur Selbstbildung, Schonung der<br />

Ges<strong>und</strong>heit, Gestaltung eines Familienlebens <strong>und</strong> der Pflichterfüllung als „Staats- <strong>und</strong> Gesell-<br />

schaftsbürgerin“. 1265 Sie sah den Achtst<strong>und</strong>entag als Voraussetzung politischer Bewusstwerdung<br />

zur Klassenkämpferin:<br />

“Wir fordern den Achtst<strong>und</strong>entag, weil er der Arbeiterin ermöglicht, sich über ihre<br />

eigenen persönlichen <strong>und</strong> Klasseninteressen aufzuklären, sich über das Wesen der<br />

heutigen Wirtschafts- <strong>und</strong> Gesellschaftsordnung <strong>und</strong> die treibenden Kräfte der<br />

geschichtlichen Entwicklung zu belehren, die Ursachen des proletarischen Elends<br />

<strong>und</strong> die Bedingungen der Befreiung des Proletariats kennen zu lernen. Der Achtst<strong>und</strong>entag<br />

läßt die Arbeiterin zum Bewußtsein ihrer Rechtlosigkeit als Frau, ihrer<br />

Ausbeutung <strong>und</strong> Verknechtung als Proletarierin erwachen <strong>und</strong> treibt sie in den<br />

Kampf für ihre soziale Gleichberechtigung, ihre Befreiung in der einen <strong>und</strong><br />

anderen Beziehung.” 1266<br />

Das Gewicht all dieser Betrachtungsweisen liegt auf der „Selbstbildung“, der „Selbsterkenntnis“<br />

<strong>und</strong> dem selbständigen Lernen. Ziel war aber eben nicht individuelle Bildung, sondern im Ver-<br />

b<strong>und</strong> mit all den anderen bewusstgewordenen Genossinnen in den Kampf für die gemeinsame<br />

Sache einzutreten.<br />

Die Frau konnte nur zur Klassenkämpferin geschult werden, wenn sie in ihrem Schicksal das<br />

Schicksal ihrer ganzen Klasse, in ihrem Kampf den Kampf Millionen anderer Frauen erkannte.<br />

Zielgerichtet konnte sie nur kämpfen, wenn sie ihre „wahren Feinde“ erkannte. In diesem Sinne<br />

klärte die „Gleichheit“ die Frauen über die Hintergründe der wirtschaftlichen Lage <strong>und</strong> ihre<br />

Verknüpfung mit den politischen Machthabern auf:<br />

„Bildung <strong>und</strong> Freiheit gefährdet, nicht bloß durch die unvermeidlichen wirthschaftlichen<br />

Ergebnisse der Wucherzölle, sondern auch durch ihre politischen Folgen!<br />

Die Theuerungspreise stärken mit der Mammonsgewalt auch die politische Macht<br />

des Junkerthums. Das Junkerthum haßt aber Bildung <strong>und</strong> Freiheit des arbeitenden<br />

Volkes gleich Todtsünden. Entreißen sie doch die robottenden Massen der Ausbeutung<br />

der blaublütigen Sippe. Kein Zweifel deshalb; diese wird ihre gekräftigte<br />

politische Herrenstellung brauchen <strong>und</strong> mißbrauchen, um auf allen Gebieten Bildung<br />

<strong>und</strong> Freiheit derer zu beschneiden, die ihr zins- <strong>und</strong> tributpflichtig bleiben<br />

sollen.“ 1267<br />

Da die Zusammenhänge zwischen Wirtschaft <strong>und</strong> Politik auf ihrer staatlichen Ebene den<br />

Proletarierinnen meist zu abstrakt erscheinen mussten, versuchte man, ihnen das Interesse für die<br />

SPD eindeutig auf Hausfrauen <strong>und</strong> auf verheiratete Arbeiterinnen ausgerichtet [war]“ (ebd., S. 207. Vgl. auch<br />

Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus, S. 219.).<br />

1265 Baader, Ottilie: Acht St<strong>und</strong>en! In: GL, 16/ 09/ 02.05.1906/ 58.<br />

1266 Warum fordern wir den Achtst<strong>und</strong>entag? In: GL, 18/ 09/ 27.04.1908/ 78.<br />

1267 Für Brot, Bildung <strong>und</strong> Freiheit! In: GL, 11/ 17/ 14.08.1901/ 129.<br />

489


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

große Politik näher zu bringen, indem man ihre Verbindung mit den alltäglichen<br />

Überlebensproblemen aufzeigte:<br />

“Der politisch wenig aufgeklärten Proletarierin erscheinen Bäcker, Fleischer <strong>und</strong><br />

Krämer als ihre schlimmsten Feinde. Ihnen glaubt sie es zuschreiben zu müssen,<br />

daß die notwendigsten Lebensmittel teurer werden, daß sie <strong>und</strong> die Ihrigen den<br />

Hungerriemen immer fester schnallen müssen. Sie findet daher nicht genug Anklagen<br />

für die Schlimmen. Sie bedenkt aber nicht, daß hinter ihnen andere Leute<br />

stehen, welche die eigentlichen Urheber der Teuerungspreise <strong>und</strong> damit der proletarischen<br />

Leiden sind. Das kann ihr klar werden, wenn sie ihre Scheu vor der<br />

Politik überwindet <strong>und</strong> ihr Augenmerk auf die Vorgänge richtet, die sich gerade<br />

jetzt im deutschen Reichstag abspielen.” 1268<br />

Politische Frauenbildung musste praxisnah vermittelt werden, aber ein gänzlicher Verzicht auf<br />

Theorie war ausgeschlossen. Zetkin <strong>und</strong> alle anderen orthodox-marxistischen Sozialdemo-<br />

kratInnen sprachen sich gegen die<br />

„Abrichtung der Proletarier zu theoretisch ungeschulten, von den gelehrten Akademikern<br />

geleithammelten Werkzeugen, gegen ihre Beraubung um das Teuerste <strong>und</strong><br />

Unentbehrlichste, nämlich die volle Einsicht in die historischen Bedingungen der<br />

eigenen Klassenbefreiung, also den wissenschaftlichen Sozialismus“ 1269<br />

aus. Zetkin wollte theoretisch geschulte KlassenkämpferInnen, keine Marionetten, die sich für<br />

jede, nur nicht für die „richtige“ Theorie einspannen lassen würden. Im Gr<strong>und</strong>e wären sie dann<br />

von ihrer Führung genauso ausgenutzt, bevorm<strong>und</strong>et <strong>und</strong> in Unkenntnis belassen wie von den<br />

Kräften der bürgerlichen Gesellschaft.<br />

Eine Möglichkeit der klassenkämpferischen Schulung <strong>und</strong> der Übernahme von Verantwortung<br />

war das mit einer Erwerbstätigkeit möglichst verknüpfte Engagement in einer Gewerkschaft. Die<br />

Identifikation über die Gruppe der Arbeitskolleginnen, über den Beruf <strong>und</strong> die gewerkschaftliche<br />

Organisation, sollte aus der diskriminierten „Sklavin“ eine organisierte Kämpferin gegen den<br />

„Sklaventreiber“ machen. Jede einzelne Kämpferin machte die gewaltige Macht der Gewerkschaft<br />

aus, jede einzelne war wichtig. Die Arbeiterin war nicht nur „ein Rädchen im sausenden Getriebe<br />

des Wirthschaftslebens […][, sondern] ein lebendiges, fühlendes, denkendes, wollendes Wesen“<br />

1270 .<br />

Die gewerkschaftliche Organisation unterlag aber genauso wie die rein politischen Frauenorgani-<br />

sationen den Widrigkeiten des <strong>weiblichen</strong> Alltags. Die „Gleichheit“ rief im folgenden Artikel zu<br />

1268 Billiges Brot! In: GL 19/ 21/ 19.07.1909/ 326.<br />

1269 Der Parteitag in Nürnberg. In: GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 181. Erstaunlich, dass gerade sie die „Theoriekluft“<br />

zwischen Basis <strong>und</strong> Führung anprangerte, war sie es doch, die ihre Machtposition vornehmlich durch diese Kluft<br />

ausbauen konnte. Vielleicht ging es Zetkin aber eben nicht um ihre persönliche Profilierung. Vielleicht wollte sie<br />

vielmehr die gleichberechtigte theoretische Bildung aller, wobei sie die zwangsläufig aufkommende Konkurrenz<br />

in Kauf genommen hätte.<br />

1270 An Alle, die es angeht. In: GL, 12/ 21/ 08.10.1902/ 164.<br />

490


Verständnis <strong>und</strong> Beseitigung dieser Widrigkeiten auf:<br />

4.4.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER „KLASSENKÄMPFERIN“<br />

„In der Hauptsache sind sie [die Organisierungsschwierigkeiten, M.S.] unmittelbar<br />

oder mittelbar in dem Weibsein der Arbeiterin begründet. Weil die Arbeiterin ein<br />

Weib ist, so treten Tendenzen in Erscheinung, welche in der Richtung wirken,<br />

organisationsunfähig <strong>und</strong> organisationsunlustig zu machen. <strong>Von</strong> der niedrigen Entlohnung<br />

der Arbeiterinnen, ihrem zwiefachen Pflichtenkreise in der Fabrik <strong>und</strong> in<br />

der Familie gilt das Erstere. Die Organisationsunlust der erwerbsthätigen Frauen<br />

<strong>und</strong> Mädchen aber wird durch zahlreiche andere Umstände bedingt. Durch den<br />

Hinblick auf die Familie, ihre Anforderungen <strong>und</strong> ihre eng erfaßten Interessen; die<br />

Hoffnung, in ihr den Unterhalt zu finden <strong>und</strong> in Verbindung mit dieser Erwartung<br />

die Werthung der Berufsarbeit als eines zeitweiligen Nothbehelfs; die Milderung<br />

der Folgen der Arbeitslosigkeit durch die Familie; das Betreiben der Erwerbsarbeit<br />

als Zwischen- <strong>und</strong> Nebenwerk; die unterbürtige Stellung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts;<br />

seine Bedürfnislosigkeit <strong>und</strong> Fügsamkeit; die Rückständigkeit seiner<br />

sozialen Einsicht; das mangelnde Interesse für die Allgemeinheit; das unterentwickelte<br />

Solidaritätsgefühl etc. etc. […].” 1271 [Hervorhebung von M.S.]<br />

Die Autorin – wahrscheinlich Zetkin – diagnostizierte schon hier präzise die Probleme weiblicher<br />

Organisation. Jedoch erscheinen ihr die Lebensumstände der Proletarierinnen <strong>und</strong> die weibliche<br />

Psyche lediglich als störender „Stolperstein“ der klassenkämpferischen Ausbildung – Rück-<br />

schlüsse auf die Sozialisationsbedingtheit dieser Eigenarten zog sie nicht. Sie schloss sich damit –<br />

enttäuscht, aber wohl unbeabsichtigt – den Vorurteilen der bürgerlichen Frauenemanzipations-<br />

gegner an, die den Frauen eben mit Hinweis auf diese „Mängel“ ihre Rechte verweigerten.<br />

Eine weitere Möglichkeit, Proletarierinnen auch schon vor 1908 politisch zu bilden, klassen-<br />

kämpferisch zu schulen <strong>und</strong> sie Verantwortung übernehmen zu lassen, waren die Wahlhilfe-<br />

gruppen. Zetkin beschrieb die Atmosphäre im Vorfeld von Wahlen, an denen Frauen nur auf diese<br />

eine Weise Anteil haben durften:<br />

„Zu den Wahlversammlungen drängen sich die Frauen. Die blasse, von später<br />

Arbeit übernächtigte Näherin, die noch schüchterne Fabriklerin, die abgespannte<br />

Verkäuferin, die dürftige Arbeiterfrau, welche ihre Wirtschaft <strong>und</strong> ein Häuflein<br />

Kinder versorgen, ‘nebenbei’ aber noch für den Erwerb arbeiten muß, sie alle, die<br />

tagaus, tagein schuften <strong>und</strong> schanzen, ohne mehr als das trockene Brot zu verdienen,<br />

sie stellen sich ein. Mit blitzenden Augen, Begeisterung auf den<br />

verhärmten Zügen, fast andächtig lauschen sie den Ausführungen der sozialdemokratischen<br />

Redner. Hier <strong>und</strong> da ergreifen Frauen das Wort […] Sie sind aber auch<br />

Täter des Wortes <strong>und</strong> nicht Hörer allein. Wo <strong>und</strong> wie sie können, helfen sie den<br />

Genossen bei den praktischen Wahlarbeiten. Frauen, die bis tief in die Nacht hinein<br />

geschafft haben, stehen am frühen Morgen in Reih <strong>und</strong> Glied, um bei der Verteilung<br />

von Flugblättern, Agitationsschriften, Programmen behilflich zu sein.<br />

Keine Treppe zu hoch, keine Gasse zu abgelegen, kein Weg zu weit <strong>und</strong> ermüdend!<br />

Es gilt ja, die Bewohner der höchsten Stockwerke, der entlegensten Winkel aufzu-<br />

1271 Zur Frage der gewerkschaftlichen Agitation unter den Arbeiterinnen. I. In: GL, 12/ 07/ 26.03.1902/ 49.<br />

491


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

klären <strong>und</strong> zu gewinnen.“ 1272<br />

Frauen leisteten in diesen Wahlhilfegruppen <strong>und</strong> Wahlvereinen wertvolle „Parteikleinarbeit“ <strong>und</strong><br />

dies wurde als für die Proletarierinnen sehr lehrreich erachtet:<br />

„Das Wahljahr wird ihnen ein gutes Schuljahr, <strong>und</strong> ihre Mitarbeit wird den Genossen<br />

besonders in diesem Jahre sehr willkommen sein. Bei den übrigen Arbeiten,<br />

wie Flugblattverbreitung, Agitation etc., haben schon immer eine Anzahl Genossinnen<br />

wacker mitgeholfen, <strong>und</strong> in jeder Versammlung fordern wir zur weiteren<br />

Beteiligung der Frauen an solchen Arbeiten auf. Dadurch fördern wir unsere große<br />

gemeinsame Sache ungemein, <strong>und</strong> unsere Genossinnen gewinnen in geistiger <strong>und</strong><br />

politischer Hinsicht.” 1273<br />

Der Gedanke an die gemeinsame Sache <strong>und</strong> die Möglichkeit überhaupt für die Partei aktiv zu<br />

werden, scheint hier jedem persönlichen Ehrgeiz übergeordnet gewesen zu sein. Allerdings ist<br />

fraglich, ob mittels solcher kleinen Hilfsarbeiten wirklich das inhaltliche Verständnis für den Sozi-<br />

alismus gefördert oder nur ein „sittlicher“ Beitrag zur Lernmoral der Proletarierinnen geleistet<br />

wurde.<br />

Bedeutete „Klassenkampf“ in erster Linie nicht „Kampf“, der zum Teil mit illegalen, zum Teil<br />

auch mit gewaltsamen Mitteln geführt werden sollte?!<br />

Viele andere Male rief die „Gleichheit“ deshalb nicht nur zur stillen Mitarbeit in einem System<br />

auf, das der Sozialismus eigentlich zu vernichten bestrebt war. Sie schürte vielmehr die Kampfes-<br />

lust der Proletarierinnen als „sozial Enterbte“ 1274 <strong>und</strong> als „Paria“ der deutschen Klassengesell-<br />

schaft. Sie schürte damit ein Aufbegehren, welches notwendigerweise oft am Rande der geltenden<br />

Gesetzlichkeit liegen musste.<br />

Denn es war nicht unbedingt „stille[s] weibliche[s] Heldentum“ 1275 , das eine Frau zur sozialis-<br />

tischen Klassenkämpferin machte. Vielmehr musste eine streitbare sozialistische Kämpferin auch<br />

über eine gewisse Radikalität verfügen:<br />

„Die politisch aufgeklärte Proletarierin ist nicht länger ein willenloses, kapitalistenfrommes<br />

Ausbeutungsobjekt, sie nimmt Theil am Kampfe ihrer Klasse, sie ist eine<br />

Todfeindin der Bourgeoisie.“ 1276<br />

Besonders die revolutionäre Bewegung in Russland der 1870er Jahre war Zetkin ein Beispiel<br />

dafür, wie eine „rein idealistische, friedliche Propagandabewegung“ 1277 durch die ihr zugefügte<br />

Gewalt, die Verfolgungen <strong>und</strong> Verbannungen, radikalisiert wurde. Für Zetkin war klar: Der<br />

1272 Die deutschen Genossinnen im Wahlkampf. In: GL, 03/ 15/ 26.07.1893/ 118-120, S. 119.<br />

1273 Zietz, Luise: Frauen in Vertrauensposten der sozialdemokratischen Wahlvereine Hamburgs. In: GL, 13/ 06/<br />

11.03.1903/ 45.<br />

1274 Dem Kampfe entgegen! Der Freiheit entgegen! In: GL, 10/ 01/ 03.01.1900/ 2.<br />

1275 Natalie Liebknecht. In: GL, 19/ 10/ 15.02.1909/ 152.<br />

1276 Die deutschen Genossinnen im Wahlkampf. In: GL, 03/ 15/ 26. 07.1893/ 120.<br />

1277 Sophie Perowskaja. In: GL, 02/ 21/ 19.10.1892/ 175.<br />

492


4.4.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER „KLASSENKÄMPFERIN“<br />

„weiße Schrecken“ provozierte den „rothen Schrecken“ 1278 . Doch trotz jedes Verständnisses lehnte<br />

die deutsche Sozialdemokratie prinzipiell den Terror, der sich im Falle der russischen Bewegung<br />

vor allem gegen die Personen des Zaren <strong>und</strong> hochrangige Beamte richtete, als Kampfmethode ab.<br />

Dies, wie Kautsky bzw. Kähler schrieb,<br />

„[n]icht aus moralischen Gründen heraus, sondern aus geschichtlicher Erkenntnis<br />

[…] Die vereinzelte Tat gegen einzelne Personen wird niemals imstande sein, ein<br />

ganzes System zu ändern – das vermag nur der feste, planmäßig organisierte<br />

Kampf der Massen.“ 1279<br />

Auch wenn die Autorin den Terror ablehnte, begriff sie ihn doch als historisch gewachsen, denn es<br />

sei eine „[h]istorische Tatsache […], daß jede reaktionäre Periode aufs neue terroristische Taten<br />

zeitigt nach der alten Regel, daß Druck Gegendruck erzeugt“ 1280 <strong>und</strong> die Sozialdemokratie dürfe<br />

an den Attentaten „nicht achtlos oder gleichgültig vorübergehen“ 1281.<br />

Zetkin machte es sich besonders in den ersten Jahren der „Gleichheit“ zur Aufgabe, ihren<br />

Leserinnen die Lebensbilder russischer Terroristinnen bzw. Revolutionärinnen vorzustellen. Es<br />

waren ihrer Meinung nach herausragende Frauen in einer herausragenden Bewegung, die „zu den<br />

glänzendsten Ruhmesblättern in der Geschichte des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts“ gehörten. Andere<br />

Freiheitskämpfe in der Geschichte würden nicht so viele Frauen in den vordersten Reihen der<br />

Kämpfer aufweisen – Frauen, die<br />

„im Dienste ihrer Ideale eine Kühnheit des Geistes, eine Kraft des Willens, eine<br />

Reinheit der Gesinnung <strong>und</strong> Größe der Opferfreudigkeit bewiesen, die sie als<br />

Ebenbürtige neben die mutvollsten Helden des Altertums, die selbstverleugnendsten<br />

Märtyrer der christlichen Religion stellen“ 1282<br />

Der Begriff von der „Reinheit der Gesinnung“ verweist auf den Grad der wissenschaftlichen<br />

Aufgeklärtheit einer idealen Klassenkämpferin, der der „Opferfreudigkeit“ <strong>und</strong> des „selbst-<br />

verleugnenden Märtyrertums“ u. a. auf ihre körperlichen Leiden <strong>und</strong> mythische Überhöhung.<br />

Den größten Beifall, so stimme ich Gomard zu, erhielten in der „Gleichheit“ nicht diejenigen<br />

Frauen, die sich emotional, von einem Gefühlssozialismus geleitet der politischen Sache ver-<br />

schrieben, sondern die aufgeklärten Anhängerinnen des wissenschaftlichen Sozialismus. 1283 Es war<br />

Zetkin auch an einem seriösen Bild nach innen <strong>und</strong> außen gelegen, wenn sie die bürgerlichen<br />

1278 Ebd.<br />

1279 [Kautsky, Luise? oder Kähler, Luise?] L. K.: Zwei Märtyrerinnen im russischen Freiheitskampf. In: GL, 18/ 04/<br />

17.02.1908/ 30.<br />

1280 Ebd.<br />

1281 Ebd.<br />

1282 Maria Lwowna Berditschewskaja. In: GL, 15/ 05/ 08.03.1905/ 25.<br />

1283 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 30.<br />

493


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Propagandabilder von der „sozialrevolutionäre[n] Kämpferin“ 1284 als „‘entmenschte[…] Furie’“ 1285<br />

oder „rasende[…] ‘Petroleuse’“ 1286 zu entkräften suchte. Grubitzsch spricht im Zusammenhang<br />

mit solchen diffamierenden Propagandabildern von der „Pathlogie der revolutionären Frau“ 1287 .<br />

Nicht selten seien Frauen schlicht zu Geisteskranken erklärt worden, wenn sie in ihrer Radikalität<br />

Grenzen überschritten. 1288 Die „Verrücktheit“ lag jedoch nur darin, dass diese Frauen Normen<br />

„verrückt“ oder ignoriert hatten. Mit dem Argument, dass revolutionäre Frauen schlichtweg<br />

geisteskrank seien, hatte man jedoch zusätzlich die Möglichkeit, ihre Kämpfe ins Lächerliche zu<br />

ziehen – ohnehin ein sehr beliebtes Mittel der Diffamierung:<br />

„Wo es nicht gelingt, Frauen als minderwertig <strong>und</strong> infantil erscheinen zu lassen,<br />

tritt die andere Variante des Frauenhasses auf: Frauen werden als Mannweiber abgestempelt,<br />

die irgendwie verrückt sein müssen, weil sie die ihnen gesellschaftlich<br />

zugedachte Rolle nicht zu spielen gedenken.“ 1289<br />

Umso mehr war für die moderne Klassenkämpferin der wissenschaftliche Sozialismus ein<br />

genauso schlagkräftiges Argument wie der Kampf. In der Berufung auf ihn lag sowohl Hoffnung<br />

als auch Gewissheit.<br />

Zetkin beschrieb in ihrer kritischen Zusammenfassung des Nürnberger Parteitages zwei in der<br />

Partei herrschende Auffassungen vom proletarischen Klassenkampf:<br />

Erstens den „Standpunkt des unerbittlichen, schroffen Klassenkampfes, dem das sozialistische Zu-<br />

kunftsideal, das Endziel als Leitstern in allem Tun voranleuchtet“ 1290 . Zweitens den<br />

„Standpunkt des unbewußten Kompromisses mit der bestehenden Ordnung, dem<br />

ein ebenso unbewußter Skeptizismus in bezug auf das sozialistische Endziel zugr<strong>und</strong>e<br />

liegt <strong>und</strong> gleichzeitig damit eine Überschätzung der auf dem Boden des<br />

Bestehenden erreichbaren Reformen <strong>und</strong> Besserungen“ 1291 .<br />

In dieser kurzen Skizzierung spiegeln sich die beiden Linien der orthodoxen Marxisten <strong>und</strong> der<br />

Revisionisten wider. Zetkin schrieb jedoch nicht einzelnen Personen eine Schuld am partei-<br />

zersplitternden Ideenkampf zu – obwohl sie schon an einzelnen Personen wie Eduard Bernstein<br />

(1850-1932) für den Revisionismus oder Karl Kautsky (1854-1938) als seinem revolutionären<br />

1284 Louise Michel. In: GL, 03/ 06/ 22.03.1893/ 44.<br />

1285 Ebd.<br />

1286 Ebd. Zu den Rollenklischees weiblicher Kombatanten siehe: Theweleit, Männerphantasien.<br />

1287 Grubitzsch, Ein steiniger Weg, S. 21.<br />

1288 Ebd., S. 20. Grubitzsch, die in ihrer Studie eigene leidvolle Erfahrungen aus der aktuellen Politik mitteilt, verweist<br />

hier auf die vermeintlich „pathologischen Fälle“ Wabnitz <strong>und</strong> Michel, der man nachsagte, sie sei nach dem Tod<br />

ihrer Mutter „wahnsinnig“ geworden. Im „Fall“ Wabnitz ließ auch Zetkin in ihrem Nachruf die psychologische<br />

Komponente nicht außer Acht.<br />

1289 Ebd., S. 23.<br />

1290 Der Parteitag in Nürnberg. In: GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 181.<br />

1291 Ebd.<br />

494


4.4.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER „KLASSENKÄMPFERIN“<br />

Kontrahenten festzumachen waren – sie charakterisierte vielmehr den Revisionismus als ein<br />

„unvermeidliches, historisch bedingtes, deshalb auch völlig normales Ergebnis“ 1292 des Partei-<br />

wachstums. Der damit verb<strong>und</strong>ene Zulauf aus dem Kleinbürgertum ließe es manchen pragmatisch<br />

denkenden SozialistInnen einfach ratsamer <strong>und</strong> erfolgversprechender erscheinen, mit den Bürger-<br />

lichen zu paktieren – auch wenn dies wider alle klassenkämpferischen Prinzipien war. 1293 Für<br />

Zetkin war der Revisionismus also schlicht ein Element des „historischen Materialismus“, eine<br />

Unvermeidbarkeit oder wie Staude es ausdrückt:<br />

„Sie betrachtete Reformen <strong>und</strong> die soziale Revolution nicht als Gegensätze in der<br />

Strategie <strong>und</strong> Taktik des Kampfes der revolutionären Arbeiterbewegung gegen das<br />

kapitalistische System. Für sie waren Reform <strong>und</strong> Revolution zwei Seiten in der<br />

Entwicklung der Klassengesellschaft, die wechselseitig miteinander verb<strong>und</strong>en<br />

sind, sich gegenseitig bedingen <strong>und</strong> einander ergänzen. In diesem Prozeß ist die<br />

soziale Revolution Geburtshelfer der neuen Gesellschaftsordnung; der Reform<br />

kommt dabei vorbereitende Funktion zu.“ 1294<br />

Es ist allerdings später zu beobachten, dass Zetkin, je mehr die revisionistische Position in der<br />

Partei vorherrschend wird, desto unerbittlicher gegen sie agitierte. Mit Zuspitzung des Positions-<br />

kampfes stand die „Gleichheit“ klar im Lager der MarxistInnen. Sie wurde, so Staude, nach 1907<br />

zu einem „Organ der deutschen Linken“ 1295 <strong>und</strong> sollte bis 1917 der „Sammelpunkt der revolutio-<br />

nären Marxisten in Deutschland“ 1296 bleiben. Dies vor allem, weil unter der Redaktion Zetkins<br />

FührerInnen des radikal-revolutionären Flügels wie Bebel, Mehring <strong>und</strong> Luxemburg in ihr<br />

publizierten. Auch Lenin, so Staude weiter, habe zu den „ständigen Lesern“ 1297 der „Gleichheit“<br />

gehört.<br />

Wenn allerdings die im vorhergehenden Kapitel dargelegte Niggemann‘sche Analyse, dass trotz<br />

dieser prominenten Unterstützung allein Zetkin das radikale Element innerhalb der proletarischen<br />

Frauenbewegung darstellte, zutrifft, dann war also zeitgleich mit ihrem Machtverlust, der ja wie<br />

das Erstarken des Revisionismus mit dem Parteiwachstum zusammenhing, die revisionistische<br />

Entwicklung der Frauenbewegung unaufhaltbar. Der Erste Weltkrieg sollte diesen Umstand<br />

offenbaren.<br />

Zetkin als die Verkörperung des „sozialistischen Gewissens“ innerhalb der proletarischen<br />

1292 Ebd.<br />

1293 Vgl. ebd.<br />

1294 Staude, Die Rolle der „Gleichheit“ im Kampf Clara Zetkins für die Emanzipation der Frau, S.436.<br />

1295 Ebd., S. 428.<br />

1296 Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. In acht Bänden hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim<br />

Zentralkomitee der SED, Bd. 1: <strong>Von</strong> den Anfängen der deutschen Arbeiterbewegung bis zum Ausgang des<br />

19. Jahrh<strong>und</strong>erts, Berlin: Dietz, 1966, S. 451. Siehe auch: Staude, Die Rolle der „Gleichheit“ im Kampf Clara<br />

Zetkins für die Emanzipation der Frau, S. 440.<br />

1297 Ebd., S. 434.<br />

495


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Frauenbewegung stellte seit Beginn des Krieges die Erziehung von Kriegsgegnerinnen in den<br />

Mittelpunkt ihrer Schulung 1298 <strong>und</strong> damit die „Gleichheit“ in eine parteivorstands- <strong>und</strong> gewerk-<br />

schaftsoppositionelle Linie. Ihr Handlungsspielraum war durch Pressezensur <strong>und</strong> unterdrückende<br />

Gesetzesmaßnahmen erheblich eingeschränkt. Leitartikel der „Gleichheit“ hatten dennoch die<br />

schmerzlich spürbaren Folgen des Krieges zum Thema, z. B. die Kriegerwitwen- <strong>und</strong> -waisenver-<br />

sicherung, die Arbeitslosigkeit (die nun eher kriegsunwichtige Zweige betraf), die Frauenarbeit,<br />

Teuerungen jeder Art, besonders im Bereich der Ernährung, <strong>und</strong> die Frauenbewegung im Ausland.<br />

Dies <strong>und</strong> die offen gegen den Parteivorstand eingenommene Haltung wurden von vielen nationa-<br />

listischen SPD- <strong>und</strong> Gewerkschaftsfrauen nicht gern gesehen. Doch die „Gleichheit“ blieb als<br />

Organ der Sozialistischen Fraueninternationale ihrer internationalen <strong>und</strong> somit auch radikalen<br />

Linie treu.<br />

„Denn weit davon entfernt, eine Abschwächung <strong>und</strong> Abstumpfung der sozialistischen<br />

Auffassung gesellschaftlicher Dinge zu lehren, predigt der Krieg mit gewaltiger<br />

Stimme die Notwendigkeit der klarsten Herausarbeitung, der größten<br />

Vertiefung der sozialistischen Auffassung, als der unerschütterlichen Gr<strong>und</strong>lage für<br />

die künftige Einheit des Erkennens, Wollens <strong>und</strong> Handelns.“ 1299<br />

Zetkin klagte die Haltung der Partei an, die in einem Moment des opportunistischen Kalküls alle<br />

Gr<strong>und</strong>sätze der sozialistischen Weltanschauung verraten hatte. Die Partei verfolgte lediglich die<br />

Taktik der Durchsetzung bürgerlicher Reformen. Zetkin ging dies nicht weit genug <strong>und</strong> sie for-<br />

derte, ihrer Radikalität <strong>und</strong> der Einheit von sozialistischem Denken <strong>und</strong> Handeln gemäß, den<br />

revolutionären Umsturz des Kapitalismus. Alle auf dem Boden des Sozialismus stehenden Klas-<br />

senkämpferInnen mussten diesen Krieg verdammen. Und wer diesen Krieg verdammte, musste<br />

letztendlich die Politik verdammen, die diesen Krieg zugelassen hatte.<br />

Die ges<strong>und</strong>heitlichen Opfer wurden einer <strong>Klassenkämpferinnen</strong> teils von sich selbst, teils von<br />

ihren Gegnern abverlangt. Die Beweggründe der Klassenkämpferin für ihre Teilnahme am Kampf<br />

waren, so Gomard,<br />

„die Fürsorge für die Schwachen, ihr Mitleid, aber dazu auch Wut <strong>und</strong> Desparation<br />

<strong>und</strong> die Hoffnung auf ein besseres Leben – alles im Begriff ‘proletarische Solidarität’<br />

zusammengefaßt“ 1300 .<br />

Die Solidarität der proletarischen Frauen wurde jedoch in der Zeit ihrer Illegalität auf besonders<br />

harte Proben gestellt. Und doch, so Braun 1897, habe vieles, was die proletarischen Frauen <strong>und</strong><br />

die proletarische Frauenbewegung auf der einen Seite hemmte, auf der anderen zu ihrer Förderung<br />

1298 Dafür standen ihre Leitartikel <strong>und</strong> die eigens ab Nr. 8 des 25. Jahrgangs eingerichtete Rubrik „Für den Frieden“.<br />

1299 Einladung zum Abonnement In: GL, 25/ 26/ 17.09.1915/ 173.<br />

1300 Gomard, Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität <strong>und</strong> Utopie, S. 42.<br />

496


4.4.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER „KLASSENKÄMPFERIN“<br />

beigetragen. Verfolgung stärke die Verfolgten, indem sie sie energischer <strong>und</strong> selbstloser mache. 1301<br />

Braun schrieb auf diese Weise dem illegalen Raum, in dem die Frauenorganisation sich bewegen<br />

musste, letztendlich einen positiven Aspekt zu, weil er das Solidaritätsgefühl stärkte.<br />

„Und der Mangel an äußeren Mitteln weckt die beste Kraft des Weibes: die Aufopferungsfähigkeit,<br />

sie macht aus zagenden, demüthigen Sklavinnen, stolze, selbstbewußte<br />

Frauen, die wissen, daß sie auf Niemanden, als auf sich selbst zu hoffen<br />

haben.“ 1302<br />

Mit der Zuschreibung großer Opferbereitschaft redete Braun einerseits den damaligen patriarcha-<br />

lischen Rollenmustern <strong>und</strong> Wesensvorstellungen der Frau das Wort, andererseits aber auch einer<br />

autonomen Entwicklung, die, übertragen auf die gesamte proletarische Frauenbewegung, die<br />

Verbindung mit der Sozialdemokratie in Frage stellte. Auch aus diesem Gr<strong>und</strong> dürfte die von den<br />

Genossinnen an ihrem Beitrag vorgenommene Kritik so heftig ausgefallen sein.<br />

Das Selbstbewusstsein einer Klassenkämpferin richtete sich nie gegen ihre Klassengenossen, war<br />

nie egoistisch. Es ist vielmehr festzustellen, dass das Selbstbewusstsein in Gestalt bedingungslo-<br />

ser Opferbereitschaft sogar über „Selbstlosigkeit […] bis zur vollständigen Selbstverleugnung“ 1303<br />

reichte.<br />

Zetkin selbst nahm in ihrer Arbeitswut keinerlei Rücksicht auf ihre Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> dabei auch<br />

schwere ges<strong>und</strong>heitliche Schäden in Kauf. Puschnerat erklärt diese Hingabe mit einer für Zetkin<br />

typischen „asketisch-protestantische[n] Haltung“ 1304 <strong>und</strong> als symptomatisch für ihre Eigenart der<br />

Instrumentalisierung <strong>und</strong> Funktionalisierung, die auch vor dem eigenen Körper nicht Halt<br />

gemacht habe. 1305 Andere WissenschaftlerInnen sehen in dieser Unermüdlichkeit Zetkins eine be-<br />

w<strong>und</strong>erungswürdige Opferbereitschaft <strong>und</strong> Selbstlosigkeit – Eigenschaften, die im sozialistischen<br />

Frauenleitbild der „Gleichheit“ hoch geschätzt wurden. Die Inkaufnahme von Schmerzen – kör-<br />

perlichen wie seelischen – rückte <strong>Klassenkämpferinnen</strong>, wie an Zetkins Aussage aufgezeigt, sogar<br />

auf den Rang von „Märtyrerinnen“. Diese <strong>und</strong> weitere biblische Metaphern unterstreichen zudem<br />

den dramatischen Duktus der „Gleichheit“ <strong>und</strong> die „Heilsbotschaft“ des Sozialismus. Gomard gibt<br />

als<br />

„Erklärung für das religiöse Pathos […], daß die Partei kein eigenes Pathos entwickelt<br />

hat, <strong>und</strong> deshalb ein vorhandenes Pathos umfunktioniert, das die<br />

Leserinnen schon aufgr<strong>und</strong> ihrer Sozialisation mit positiven Vorstellungen ver-<br />

1301 [Braun, Lily] Braun-Gizycki, Lily: Die nächsten Aufgaben der deutschen Arbeiterinnenbewegung. 07/ 06/<br />

17.03.1897/ 41.<br />

1302 Ebd., S. 41f.<br />

1303 Agnes Wabnitz. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 147.<br />

1304 Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 46.<br />

1305 Ebd.<br />

497


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

binden“ 1306 .<br />

Puschnerat sieht dieses Pathos mit einer Re-Mythologisierung einhergehen, die ihrer Meinung<br />

nach zu einem Zeitpunkt einsetzte, an dem die SPD erkannt habe, dass angesichts der nicht<br />

eintretenden Revolution sich das Primat der Wissenschaftlichkeit abgenutzt hatte. 1307 Tatsächlich<br />

aber gab es mythologische Anlehnungen in der „Gleichheit“ sowohl unter der vom wissenschaft-<br />

lichen Sozialismus geprägten Redaktion Zetkins als auch unter deren Nachfolgerinnen, die auf<br />

diese Weise die Kirchgängerinnen unter ihren Leserinnen anzusprechen versuchten.<br />

Historische Leitfiguren, die dem Ideal einer „sozialistischen Klassenkämpferin“ entsprochen<br />

hätten, konnte die „Gleichheit“ nur aus der jüngeren Geschichte entnehmen. Teils hätte es den<br />

Leserinnen noch wie Frau Bosse ergehen können, die bei der sozialdemokratischen Frauen-<br />

konferenz 1904 in Bremen während ihres Berichtes zum Organisationsstand erwähnte, dass sie<br />

selbst von Guillaume-Schack für die sozialistische Sache begeistert worden sei:<br />

„Durch sie kam ich zu der Ehre, hier eine Führerrolle zu spielen. Ich tat, was in<br />

meinen schwachen Kräften stand, es konnte nicht viel sein. Ich bin eine arme Proletarierin,<br />

hatte wenig Bildung <strong>und</strong> Wissen. Meine Dreistigkeit, mich öffentlich im<br />

Reden zu versuchen, war mein einziges Verdienst. Ich konnte nicht viel leisten.“ 1308<br />

Bosse erhöhte hier, indem sie die der Klassenkämpferin eigene Bescheidenheit pflegte, das Vor-<br />

bild einer der ersten Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung. Die bekannteste von allen,<br />

Clara Zetkin, wurde bereits zu Lebzeiten als Vorbild verehrt <strong>und</strong> wurde als solches auch in<br />

Gedichten gepriesen:<br />

„Gegen Junker, gegen Pfaffen / Schleuderst Du des Geistes Waffen, / Gegen<br />

schnöden Wucherzoll, / Der das Brot vertheuern soll / Stehst Du stolz auf Deiner<br />

Schanze / Als ein Weib mit Schwert <strong>und</strong> Lanze, / Als ein Vorbild für so Viele. /<br />

Auf! ihr Frauen, auf zum Ziele!“ 1309<br />

Zetkin war Leitfigur <strong>und</strong> – wie die nachfolgenden Biographien zeigen werden – in ihrer<br />

rücksichtslosen Selbstaufopferung für die politische Sache alles andere als allein. So wie sie<br />

fragten auch andere nicht was, sondern zu welchem Zweck etwas verlangt wurde. 1310<br />

In den nachfolgenden Biographien <strong>und</strong> Nachrufen werden in Person weiblicher Terroristinnen<br />

1306 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 29.<br />

1307 Vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 103.<br />

1308 Bosse im Bericht über die 3. sozialdemokratische Frauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages Bremen<br />

1904, S. 341.<br />

1309 GL, 11/ 25/ 04.12.1901/ 197. Der mit dieser Widmung versehene prachtvolle Blumenkorb hatte Zetkin nach einer<br />

Versammlung in Leipzig überreicht werden sollen, musste dann aber mit der Post gesandt werden (vgl. ebd.).<br />

1310 Vgl. Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 173. Ursprünglich wandte sich Zetkin mit dieser<br />

Argumentation gegen die Art der von der bürgerlichen Frauenbewegung formulierten Forderungen. Doch wird<br />

hier auch eine Parallele zum Gedanken absoluter Opferbereitschaft deutlich.<br />

498


4.4.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER „KLASSENKÄMPFERIN“<br />

Russlands, Funktionärinnen der SPD <strong>und</strong> internationaler sozialistischer Organisationen ideal-<br />

typische <strong>Klassenkämpferinnen</strong> vorgestellt werden. Sie stehen hauptsächlich für die besonderen<br />

Charakterstärken, die eine sozialistische Klassenkämpferin ausmachen. Aber einige der Frauen<br />

wurden hinsichtlich der „Reinheit ihrer Gesinnung“, welche nur durch das wissenschaftliche<br />

Studium des Sozialismus erlangt werden konnte, vor allem von Zetkin einer strengen Kritik unter-<br />

zogen. Manche von ihnen haben sich nicht über den „Gefühlssozialismus“, der sie zur<br />

Arbeiterbewegung brachte, oder über utopische Theorien hinaus entwickelt, andere gingen<br />

„falsche“ Wege, z. B. in Richtung Anarchismus oder bürgerliche Frauenbewegung. Eine Klassen-<br />

kämpferin jedoch musste „Hirn <strong>und</strong> Herz“ 1311 für die Sache des Sozialismus einsetzen.<br />

1311 Margarete Wengels zum 60. Geburtstag. In: GL, 26/ 13/ 17.03.1916/ 98-99, S. 98.<br />

499


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

4.4.2 Revolution oder Terror?! – Die <strong>Klassenkämpferinnen</strong> Russlands<br />

Die „bedeutendste“ 1312 unter den Frauen, die sich zuerst in der friedlichen Propagandaarbeit <strong>und</strong><br />

dann am Terrorismus beteiligten, war nach Zetkins Meinung Sophie Perowskaja (1853-1881) 1313 .<br />

Sie sei<br />

„[a]n Opfermuth, Pflichttreue, Hingabe <strong>und</strong> Begeisterung […] Schärfe <strong>und</strong> Weite<br />

des Blicks,[…] ruhiger Kaltblütigkeit, geistiger Spannkraft <strong>und</strong> eiserner Festigkeit<br />

des Willens“ 1314<br />

unübertroffen gewesen.<br />

Perowskaja wurde 1854 (nach anderen Angaben bereits 1853) in Sankt Petersburg als Tochter<br />

einer aristokratischen Familie geboren, die sehr unter dem despotischen Vater gelitten habe.<br />

Jedoch gelang es Perowskaja, ihrem Vater die Erlaubnis für ein Studium in einem Institut für<br />

höhere Töchter abzuringen. Auf diese Weise dem Elternhaus entflohen, lernte sie bald viele<br />

Studenten <strong>und</strong> Studentinnen kennen, die den sozialistischen Ideen anhingen <strong>und</strong> den „Zirkel der<br />

Tschaikowzi“ 1315 gründeten. Perowskaja, die die anderen durch die „unzähmbare Energie ihres<br />

Willens“ 1316 einerseits <strong>und</strong> durch ihre Fähigkeit, „ein Ereigniß leidenschaftslos, ohne Vorurtheil<br />

<strong>und</strong> trügerische Illusion“ 1317 allseitig zu betrachten andererseits weit überragte, wurde führendes<br />

Mitglied dieses Zirkels. Nach ihrer Ausbildung zur Lehrerin agitierte sie unter der bäuerlichen<br />

Bevölkerung <strong>und</strong> wurde von dieser wegen „ihres Ernstes <strong>und</strong> ihrer Einfachheit“ 1318 sehr gut<br />

aufgenommen – laut Zetkin sogar geliebt.<br />

Perowskaja kehrte nach Sankt Petersburg zurück, um dort verschiedene revolutionäre Gruppen<br />

<strong>und</strong> geheime Druckereien zu gründen. 1873 wurde sie jedoch verhaftet. Nach einem Jahr<br />

Untersuchungshaft kam sie auf Kaution frei, musste aber die Stadt verlassen. Allerdings nutzte sie<br />

die drei Jahre, die sie notgedrungen in der Provinz verbringen musste, um eine chirurgische<br />

Ausbildung zu absolvieren. Schließlich kehrte sie als Krankenpflegerin <strong>und</strong> W<strong>und</strong>ärztin wieder<br />

nach Sankt Petersburg zurück. Erneut verhaftet, stand Perowskaja im so genannten „Prozess der<br />

193“ vor Gericht. Sie wurde freigesprochen, sollte aber trotzdem unter Bewachung gestellt<br />

werden. Es gelang ihr, dieser zu entkommen <strong>und</strong> sich erneut einer politischen Gruppe, der<br />

1312 Sophie Perowskaja. In: GL, 02/ 21/ 19.10.1892/ 175.<br />

1313 Der vollständige Name Perowskajas lautet: Sophie Lwowna Perowskaja.<br />

1314 Ebd. Der 1871 entstandene Zirkel benannte sich nach einem seiner Mitbegründer, N.W. Tschaikowski (vgl. Figner,<br />

Nacht über Russland, S. 505).<br />

1315 Sophie Perowskaja. In: GL, 02/ 21/ 19.10.1892/ 175.<br />

1316 Ebd., S. 176.<br />

1317 Ebd.<br />

1318 Ebd.<br />

500


4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS<br />

„Semlja i Wolja“ („Land <strong>und</strong> Freiheit“) anzuschließen. Diese Gruppe gab eine illegale Zeitschrift<br />

heraus <strong>und</strong> befreite außerdem politische Gefangene aus ihren Gefängnissen. Auch Perowskaja<br />

verkleidete sich als Kammerfrau oder Dienstmädchen, um unbemerkt in die Gefängnisgebäude zu<br />

gelangen.<br />

Die Gruppe spaltete sich 1879 <strong>und</strong> Perowskaja wurde Mitglied der terroristischen Gruppe<br />

„Narodnaja Wolja“ („Volkswillen“). Hier war sie als „die Seele des revolutionären Exekutiv-<br />

komités“ 1319 sowohl an der Planung der terroristischen Unternehmungen als auch an ihrer Durch-<br />

führung beteiligt. Weil sie aber immer stärker ins Blickfeld der Behörden geriet, wollten ihre<br />

Genossen sie ins Ausland bringen. Perowskaja weigerte sich jedoch hartnäckig: Sie wollte „lieber<br />

in Rußland gehangen werden, als im Auslande unthätig dahinleben“ 1320 . Angesichts dieser heiklen<br />

Situation war es umso kaltblütiger, dass ausgerechnet sie das Häuschen mietete, in dem die Mine<br />

für ein Attentat auf den Zug des Zaren hergestellt werden sollte. Auch an dem Attentat, bei dem<br />

Zar Alexander II. am 13. März 1881 ermordet wurde, war Perowskaja maßgeblich beteiligt.<br />

Anstatt jedoch nach diesem gelungenen Attentat die Stadt zu verlassen, wollte sie bei ihrem<br />

inhaftierten Lebensgefährten Andrej Iwanowitsch Sheljaboff bleiben, womit ihre Verhaftung <strong>und</strong><br />

ihr Todesurteil nur eine Frage der Zeit wurde.<br />

Perowskaja sei „muthig, wie eine Heldin“ 1321 gestorben, habe weder Angst gezeigt noch Effekt-<br />

hascherei betrieben. Sie war für Zetkin ein herausragendes Vorbild, aber eines, dem schwer<br />

nachzustreben sei.<br />

„Alles in Allem ist es nicht[sic!] leichter, zu sterben, wie sie starb, als zu leben, zu<br />

handeln, wie sie gelebt <strong>und</strong> gewirkt.“ 1322<br />

Nach all den Beschreibungen jener heldenhaften Frau ist es also nicht ihr Märtyrerinnentod, den<br />

Zetkin von ihren Leserinnen verehrt <strong>und</strong> nachgeahmt wissen wollte, sondern das „selbstver-<br />

leugnende Wirken“ 1323 für eine Sache – für den Sozialismus.<br />

In demselben Alter wie Perowskaja <strong>und</strong> wie sie eine der „selbstlosesten <strong>und</strong> bedeutendsten“ 1324<br />

Frauen der revolutionären Bewegung Russlands war Sophie Bardina (1853-1880/1883?).<br />

1319 Ebd.<br />

1320 Ebd.<br />

1321 Ebd.<br />

1322 Ebd. Hier liegt m. E. ein Druck- oder Gedankenfehler vor, da es Zetkins Ansinnen gewesen sein muss, Perowskajas<br />

Schaffen für den Sozialismus positiv hervorzuheben.<br />

1323 Ebd.<br />

1324 Issajew, A.: Sophie Bardina. In: GL, 02/ 16/ 10.08.1892/ 135.<br />

501


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Bardina, so erfährt man aus dem von A. Issajew (?-?) 1325 verfassten zweiteiligen Artikel, genoss<br />

als Tochter des Polizeikommissars der Stadt Morschwask eine gute Schulbildung <strong>und</strong> absolvierte<br />

das Gymnasium mit Auszeichnung. Ihr Vater sei zwar ein ehrlicher Beamter gewesen, aber außer-<br />

dem auch ein Familiendespot, der seine „herzensgute, milde Frau“ 1326 in einer ständigen Angst<br />

gehalten habe.<br />

1871 studierte Bardina in Moskau, wo sie sich einer revolutionären StudentInnengruppe an-<br />

schloss. Ihre Mitglieder beschäftigten sich, um der revolutionären Sache noch besser nützen zu<br />

können, neben ihrem Fachstudium zusätzlich mit Naturwissenschaften, Nationalökonomie <strong>und</strong><br />

Geschichte. Viele gingen ins Ausland, bevorzugt nach Zürich, um dort freier als in Russland in so<br />

genannten „Zirkeln für Selbstbildung“ vor allem Sozialwissenschaften zu studieren. 1327 Auch<br />

Bardina ging nach Zürich <strong>und</strong> gründete gemeinsam mit anderen jungen Frauen im Alter von 17<br />

bis 18 Jahren einen solchen Zirkel. Als Älteste <strong>und</strong> Belesenste unter ihnen war Bardina die trei-<br />

bende Kraft <strong>und</strong> sie besaß darüber hinaus einen ausgezeichneten Charakter, viel Humor <strong>und</strong> die<br />

Fähigkeit, ihre ZuhörerInnen zu bezaubern. <strong>Von</strong> ihren sehr gefühlsseligen Gefährtinnen hob sie<br />

sich zusätzlich durch einen, so Issajew, „klare[n], scharfblickende[n], ja satirische[n] Geist“ 1328 ab.<br />

Ihr sei<br />

„jede Uebertreibung zuwider [gewesen], kritisch prüfte sie sich selbst, ihre<br />

Fre<strong>und</strong>e, die Verhältnisse; das Idealisieren, die Illusionen erachtete sie als<br />

gefährlich für das Ziel, dem sie alle zustrebten“ 1329 .<br />

Dieses Ziel hatte Bardina auch vor Augen, als sie ein Medizinstudium begann, denn für die<br />

agitatorische Tätigkeit im Volk war der Arztberuf besonders vorteilhaft. Da jedoch eine Agitation<br />

„ohne gründliche Berufsbildung <strong>und</strong> reiches sozialpolitisches Wissen, sowie theoretische Klar-<br />

heit“ 1330 wenig Erfolg haben würde, studierte sie zusätzlich die Sozialwissenschaften.<br />

1873 untersagte die russische Regierung – aufgeschreckt durch die zunehmende Radikalisierung<br />

der im Ausland studierenden Jugend – russischen StudentInnen das Studium an der Züricher Uni-<br />

versität. Während daraufhin viele ihrer Kameradinnen in die Heimat zurückgingen, versuchte<br />

Bardina erfolglos, an der Pariser Universität angenommen zu werden. Sie ging nach Genf, wo sie<br />

sich zur Hebamme ausbilden ließ – ein von russischen Revolutionärinnen häufig ergriffener<br />

1325 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu A.<br />

Issajew.<br />

1326 Ebd.<br />

1327 Vgl. ebd.<br />

1328 Ebd.<br />

1329 Ebd.<br />

1330 Ebd.<br />

502


4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS<br />

Beruf, der die Fühlung mit dem Volk <strong>und</strong> die Agitation unter ihm erleichterte. 1331<br />

Bardina kehrte nach Moskau zurück, wo sich 1874 ihr alter Zirkel mit einem anderen zusammen-<br />

schloss <strong>und</strong> eine geheime Gesellschaft gründete, deren Zweck die sozialistische Agitation sein<br />

sollte. Die politische Situation in der Heimat habe, so Issajew, aus „ehemaligen Träumerinnen <strong>und</strong><br />

Idealistinnen […] standhafte <strong>und</strong> erfahrene Kämpferinnen“ 1332 gemacht. Sie gingen als Arbeite-<br />

rinnen in die Fabriken, um dort für die Gründung von Arbeiterorganisationen zu agitieren <strong>und</strong><br />

mussten nicht nur das schlechte Essen, das Ungeziefer <strong>und</strong> die harte Arbeit ertragen, sondern auch<br />

den dort herrschenden Antifeminismus:<br />

„Die Arbeiter waren es nicht gewöhnt, die Frauen als ebenbürtige menschliche<br />

Wesen zu behandeln, <strong>und</strong> auf jede ernste Aussprache der jungen Mädchen<br />

antworteten sie mit rohem Gelächter, mit schlechten Witzen, ja oft mit Zoten.“ 1333<br />

Bardina ließ sich jedoch laut Issajew von diesem Gehabe nicht abschrecken, sondern schlich sich<br />

nachts in den Schlafsaal der Männer, um ihnen aus revolutionären Schriften vorzulesen – die<br />

Tatsache, dass sie als Frau lesen konnte, hatte ihr den nötigen Respekt verschafft. Doch bei einer<br />

dieser nächtlichen Lesungen wurde sie von einem Aufseher ertappt <strong>und</strong> aus der Fabrik geworfen.<br />

Schließlich wurde sie denunziert, verhaftet <strong>und</strong> ins Gefängnis gebracht. Nach zwei Jahren Unter-<br />

suchungshaft wurde sie im so genannten „‘Prozeß der Fünfzig’“ 1334 der „gemeingefährliche[n]<br />

Bewegung“ 1335 angeklagt. Die Anklagevertreter setzten alles daran, die Angeklagten in möglichst<br />

schlechtem Licht darzustellen, doch das Gegenteil geschah:<br />

„In Betreff des Lebens, der Auffassung, der idealen Ziele der Angeklagten […]<br />

[gelangten] das Publikum sowie die Richter […] zu der Ansicht […]: das sind<br />

keine Barbaren <strong>und</strong> Mörder, das sind Helden <strong>und</strong> Märtyrer.“ 1336<br />

Besonders die Verteidigungsrede Bardinas, die von Issajew in großen Teilen zitiert wurde, habe<br />

alle Anwesenden sehr beeindruckt. Ihr Schlusswort an die Richter resümierte ihre Überzeugung<br />

von der Überlegenheit der neuen Weltanschauung:<br />

„‘Sie haben ja die materielle Macht, meine Herren! Aber wir besitzen für uns die<br />

sittliche Macht, die Macht des geschichtlichen Fortschritts, die Macht der Idee, <strong>und</strong><br />

Ideen – oh! – Ideen lassen sich nicht mit Bajonetten niederstechen!’“ 1337 [Im<br />

Original durch Sperrdruck hervorgehoben].<br />

Bardina wurde zu neun Jahren Zwangsarbeit verurteilt, was später zu lebenslanger sibirischer<br />

1331 Vgl. ebd., Fußnote.<br />

1332 Ebd., S. 136.<br />

1333 Ebd.<br />

1334 Issajew, A.: Sophie Bardina. In: GL, 02/ 17/ 24.08.1892/ 143.<br />

1335 Ebd.<br />

1336 Ebd.<br />

1337 Ebd., S. 144.<br />

503


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Verbannung umgewandelt wurde. Nicht die Schikanen ihrer Bewacher hätten sie 1880 zur Flucht<br />

bewegt, vielmehr die entsetzlich quälende Untätigkeit. Allerdings war ihre Ges<strong>und</strong>heit aufgr<strong>und</strong><br />

einer unheilbaren Blutarmut zu sehr geschwächt, um auf Dauer ein Leben in der Illegalität zu<br />

ertragen. Sie hielt sich in der Schweiz auf, als sie, so Issajew, „ihrem Charakter entsprechend“ 1338<br />

gedachte,<br />

„den Platz zu räumen, der für sie nicht mehr ein Arbeitsplatz, ein Kampfplatz sein<br />

konnte“ 1339 .<br />

Weil sie sich der „Sache“ so ergeben hatte,<br />

„daß sie nur für diese lebte <strong>und</strong> außerhalb derselben kein persönliches Glück, keine<br />

innere Befriedigung finden konnte“ 1340 ,<br />

wollte sie sich selber töten. Bei dem Versuch, sich zu erschießen, verfehlte sie sich aber zweimal,<br />

bevor dann die dritte Kugel sie nur schwer verw<strong>und</strong>ete. Noch 13 Tage musste sie sich im<br />

Todeskampf quälen, dann hatte die „edle Kämpferin für Volksfreiheit ausgelitten“ 1341 .<br />

Eine der wenigen russischen Revolutionärinnen, die nicht aus „gebildeten oder besitzenden<br />

Klassen“ 1342 stammte, war Jessa Helfmann (zw. 1852 u. 1855-1882) 1343 . Sie war laut Zetkin, die<br />

diesen Artikel verfasst haben dürfte,<br />

„eine Arbeiterin im vollen Sinne des Wortes, <strong>und</strong> zwar eine der opferfreudigsten<br />

<strong>und</strong> pflichttreuesten Arbeiterinnen, die je im Dienste der sozialistischen Idee<br />

gestanden“ 1344 .<br />

Helfmanns verfügte nur über eine geringe Bildung, was sich für Zetkin auch daraus erklärte, dass<br />

sie aus einer jüdischen Kleinbürgerfamilie stammte. Diese habe gegenüber jeder geistigen Bil-<br />

dung „einen mit Verachtung gepaarten Abscheu entgegen[ge]bracht[…]“ 1345 . Die Revolution ver-<br />

mochte Helfmann jedoch sogar in jener rückständigen Gegend, in der ihre Familie lebte, „mit<br />

unwiderstehlicher Kraft“ 1346 zu ergreifen. Sie verließ das Elternhaus, ging nach Kiew <strong>und</strong> arbeitete<br />

werktags als Näherin <strong>und</strong> Schneiderin. In den Abendst<strong>und</strong>en <strong>und</strong> an Feiertagen jedoch eignete sie<br />

sich gemeinsam mit revolutionären Studentinnen die elementarsten Kenntnisse über den Sozia-<br />

1338 Ebd.<br />

1339 Ebd.<br />

1340 Issajew, A.: Sophie Bardina. In: GL, 02/ 16/ 10.08.1892/ 135.<br />

1341 Issajew, A.: Sophie Bardina. In: GL, 02/ 17/ 24.08.1892/ 144.<br />

1342 Jessa Helfmann. In: GL, 02/ 03/ 08.02.1892/ 31.<br />

1343 Die Schreibweise von Helfmanns Namen variiert. Im Anhang zu Vera Figners Lebenserinnerungen „Nacht über<br />

Rußland“ wird sie als Hesja Mironowna Helfmann geführt (vgl. Figner, Nacht über Rußland, S. 490).<br />

1344 Jessa Helfmann. In: GL, 02/ 03/ 08.02.1892/ 31.<br />

1345 Ebd.<br />

1346 Ebd.<br />

504


4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS<br />

lismus an. Es war noch in jener Zeit, in der sie den Sozialismus „mehr instinktiv ahnte, als ver-<br />

standesmäßig begriff“ 1347 , als sie bereits das erste Mal verhaftet wurde. Wie Bardina wurde auch<br />

Helfmann im „Prozess der Fünfzig“ angeklagt. Der schlichte Tatbestand, dass unter ihrem Namen<br />

eine Deckadresse für propagandistische Korrespondenz angelegt worden war, führte zu ihrer Ver-<br />

urteilung wegen Verschwörung <strong>und</strong> zu einer Strafe von zwei Jahren Gefängnis. Doch im<br />

Gefängnis fand Helfmann in ihren Mitgefangenen viele geeignete Lehrerinnen für das Studium<br />

des Sozialismus. 1877 gelang ihr die Flucht <strong>und</strong> sie ging nach Sankt Petersburg, wo sie sich ter-<br />

roristisch agierenden RevolutionärInnen anschloss.<br />

Helfmann spielte im Gegensatz zu Perowskaja <strong>und</strong> Bardina keine führende Rolle in der<br />

Bewegung, aber<br />

„[s]ie übernahm die unscheinbarsten, <strong>und</strong>ankbarsten <strong>und</strong> dabei doch oft hoch<br />

gefährlichen Aufgaben <strong>und</strong> erfüllte sie mit ebenso viel Freude als peinlicher<br />

Gewissenhaftigkeit“ 1348 .<br />

Zu diesen Aufgaben gehörten u. a. die „Haushaltsführung“ für eine revolutionäre Gruppe, die in<br />

einer unterirdischen Druckerei arbeitete, Wachpostenstehen, Botengänge oder das st<strong>und</strong>enlange<br />

Verteilen von Agitationsschriften auf den Straßen Sankt Petersburgs.<br />

„Sie kannte kein Vergnügen, keine innere Genugthuung, als im Dienst ihrer Sache<br />

thätig zu sein; fröhlichen Muths trug sie alle Entbehrungen, mit nicht zu ermüdender<br />

Ausdauer <strong>und</strong> Zähigkeit unterzog sie sich allen Anstrengungen, voll<br />

Begeisterung setzte sie sich all’ den Gefahren aus, die mit ihrer Zugehörigkeit zur<br />

terroristischen Partei verb<strong>und</strong>en waren.“ 1349<br />

Es scheint, als habe Helfmann kein Privatleben, keine Familie gehabt, doch tatsächlich hatte<br />

Helfmann einen Ehemann – Nikolai Kolotkewitsch. Dieser dürfte jedoch vollstes Verständnis für<br />

ihre politische Tätigkeit gehabt haben, denn auch er selbst war Mitglied der terroristischen<br />

Gruppe. 1881 wurde Kolotkewitsch verhaftet <strong>und</strong> zum Tode verurteilt. Helfmann, die noch dazu<br />

schwanger war, versuchte ihre Trauer zu lindern, indem sie ohne Pause für die Revolution tätig<br />

war. Sie mietete die Wohnung an, in der die für Zar Alexander II. tödlichen Bomben hergestellt<br />

wurden. Bereits eine Woche nach dem gelungenen Attentat wurde Helfmann verhaftet. Die Todes-<br />

strafe schien ihr sicher, jedoch beschloss das Gericht, sie wegen der Schwangerschaft für vier<br />

Monate auszusetzen. Während dieser Zeit sei Helfmann gefoltert worden, aber standhaft ge-<br />

blieben. Weiteres war Zetkin über ihr Schicksal nicht bekannt. Einerseits heisse es, sie sei einige<br />

Wochen vor der Geburt des Kindes zu lebenslanger Haft „begnadigt“ worden. Andererseits gehe<br />

man davon aus, dass sie trotz dieser Begnadigung gehängt wurde. Zetkin hielt es dagegen für<br />

1347 Ebd.<br />

1348 Ebd.<br />

1349 Ebd.<br />

505


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

wahrscheinlicher, dass Helfmann bereits früh an den Folgen der Folter gestorben ist.<br />

Die Persönlichkeit Helfmanns hat ein besonderes Potential als Leitbildfigur:<br />

„In der Einfachheit, Schlichtheit <strong>und</strong> Bescheidenheit ihres Wesens <strong>und</strong> Wirkens ist<br />

sie ein reiner <strong>und</strong> ungemein anziehender Typus jener H<strong>und</strong>erte <strong>und</strong> Tausende von<br />

Helden <strong>und</strong> Heldinnen, deren Namen, sofern es ein Zufall nicht anders fügt, die<br />

Geschichte nicht in ihre Bücher verzeichnet, deren Thaten kein Dichter zu besingen<br />

pflegt.“ 1350<br />

Helfmann steht damit nicht für die theoretisch geschulten Revolutionärinnen <strong>und</strong> Agitatorinnen,<br />

sondern sie steht für jene namenlose Menge, deren<br />

„hausbacken erscheinende Alltagsarbeit […] unentbehrliche Vorbedingung für die<br />

Existenz <strong>und</strong> Entwicklung jeder sozialen Bewegung“ 1351<br />

ist. Und Helfmann steht für die totale Aufopferung:<br />

„Jedes Atom von körperlicher <strong>und</strong> geistiger Kraft, das sie besaß, jede Minute Zeit,<br />

über welche sie verfügte, gehörte einzig <strong>und</strong> allein der Partei, in deren Leben <strong>und</strong><br />

Thun ihr eigenes bescheidenes Ich vollständig aufging.“ 1352<br />

Helfmann scheint demnach der „Prototyp“ einer idealen Klassenkämpferin gewesen zu sein.<br />

Tragischerweise hatte sie den „Genossen ihrer Ideale“ jedoch früh verloren, <strong>und</strong> auch Mutter-<br />

schaft durfte sie nicht erleben. So war ihr nicht die Möglichkeit gegeben, auch jene Aspekte prole-<br />

tarischer Frauenleitbilder in einer „harmonischen Persönlichkeit“ zu vereinen.<br />

Marina Nikonorowna Polonsky (?-1898) war, so erfährt man aus ihrem Nachruf, wie Perowskaja<br />

eine führende Persönlichkeit der revolutionären Bewegung Russlands <strong>und</strong> wie diese Mitglied des<br />

Exekutivkomitees der Partei „Narodnaja Wolja“.<br />

Bereits als junges Mädchen habe sie auf alle Annehmlichkeiten eines bürgerlichen Lebens<br />

verzichtet, „um sich mit glühender Seele ganz der Sache des Volkes zu widmen“ 1353 . Dies tat sie<br />

als eifrige Agitatorin <strong>und</strong> Kurierin der terroristischen Partei. Monatelang war sie in einer ge-<br />

heimen Druckerei gleichsam lebendig begraben <strong>und</strong> immer wieder waren ihr „Spione <strong>und</strong><br />

Häscher auf den Fersen“ 1354 . Doch trotz all dieser Belastungen sei Polonsky glücklich gewesen,<br />

„glücklich in dem Bewußtsein, einer großen Sache zu dienen“ 1355 . Weil jedoch die Situation in<br />

Russland immer bedrohlicher wurde, drängten ihre Genossen sie 1882, ins Ausland zu gehen. 1356<br />

1350 Jessa Helfmann. In: GL, 02/ 03/ 08.02.1892/ 31-32.<br />

1351 Ebd., S. 32.<br />

1352 Ebd., S. 31.<br />

1353 Eine der besten russischen Vorkämpferinnen für die Befreiung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts <strong>und</strong> des arbeitenden<br />

Volkes … In: GL, 08/ 23/ 09.11.1898/ 182.<br />

1354 Ebd.<br />

1355 Ebd.<br />

1356 Vgl. ebd.<br />

506


4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS<br />

Der genaue Aufenthaltsort ging aus dem Nachruf nicht hervor, doch dürfte es sich um Paris<br />

gehandelt haben. Dort lebte Polonsky sehr zurückgezogen <strong>und</strong> erwarb sich ihren Lebensunterhalt<br />

vor allem „durch Uebersetzungen <strong>und</strong> andere literarische Tagelöhnerarbeiten“ 1357 . Auch wenn sie<br />

nun heimatlos war, setzte sie sich ungebrochen für ihre politische Überzeugung ein – bis zu ihrem<br />

Tode habe sie „[d]as Beste <strong>und</strong> Stärkste ihrer reichen Persönlichkeit“ 1358 für die Sache gegeben.<br />

Die Darstellung der revolutionären Ereignisse im Russland der 1870er <strong>und</strong> 1880er Jahre war für<br />

Zetkin besonders unter dem Gesichtspunkt weiblicher Teilhabe wichtig. Denn<br />

„[w]as die russische Sozialdemokratie geworden ist <strong>und</strong> geleistet hat, das ist seit<br />

dem ersten Tage ihrer Existenz auch mit Frauenwerk“ 1359 .<br />

Frauen waren unter den Revolutionären <strong>und</strong> Terroristen <strong>und</strong> damit auch unter den Toten zu finden.<br />

So verlor Maria Lwowna Berditschewskaja (?-1905) ihr erst 26 Jahre währendes Leben bei<br />

einem Aufstand am 22. Januar 1905, der als „Blutsonntag“ 1360 in die Geschichte einging. Für<br />

Berditschewskajas Charakterisierung als Klassenkämpferin entscheidend ist, dass sie, wie Zetkin<br />

betonte, nicht als ein „Zufallsopfer des mordgierigen Despotismus“ 1361 gefallen sei, „sondern als<br />

bewußte Kämpferin“ 1362 [Hervorhebung von M.S.].<br />

Diesem Bewusstsein ging eine Entwicklung voraus, die ausgelöst wurde durch den Suizid ihres<br />

älteren Bruders. Er hatte als „Narodnaja Wolja“-Mitglied 1885 an einem mißglückten Überfall<br />

teilgenommen <strong>und</strong> entzog sich durch Suizid seiner Verhaftung. Hatte Berditschewskaja anfangs<br />

„nur“ „glühende[…] Sympathie“ 1363 für die revolutionäre Bewegung gehabt, so war sie nun ent-<br />

schlossen, einen Feldscher- <strong>und</strong> Hebammenkurs zu absolvieren, um sich in Ausübung dieses<br />

Berufs für die Sozialdemokratie zu engagieren. Diesem Engagement gab sie sich „vollständig“ 1364<br />

hin, nahm Verfolgung <strong>und</strong> Verhaftung in Kauf. Für besonders erwähnenswert erachtete es Zetkin,<br />

dass Berditschewskaja nicht nur bei ihren Fre<strong>und</strong>en, sondern auch bei ihren Gegnern hohe<br />

Achtung genoss 1365 – der ehrliche Respekt des Gegners war eine wichtige Bestätigung, die sich<br />

1357 Ebd.<br />

1358 Ebd.<br />

1359 Maria Lwowna Berditschewskaja. In: GL, 15/ 05/ 08.03.1905/ 25. Zusammen mit der biographischen Darstellung<br />

wurde dem „russischen Bruderorgan ‘Jstra’“ auch ein Porträtbild entnommen (vgl. ebd., Fußnote S. 25). Acht<br />

Monate später erschien zudem ein von Otto Krille verfasstes Gedicht. Beides ist im Anhang enthalten.<br />

1360 Der von der „Gleichheit“ veröffentlichte Artikel verwendet diesen Begriff jedoch nicht.<br />

1361 Ebd.<br />

1362 Ebd.<br />

1363 Ebd.<br />

1364 Ebd.<br />

1365 Vgl. ebd.<br />

507


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

häufiger in den Artikeln der „Gleichheit“ findet.<br />

Bei den Barikadenkämpfen des erwähnten Aufstandes am 22. Januar 1905 wurde Berditschews-<br />

kaja schwer verw<strong>und</strong>et, doch selbst noch auf ihrem Sterbebett habe sie den Kampf nicht bereut. 1366<br />

Sie verkörperte den Idealtypus der Märtyrerin, denn sie starb in dem Bewusstsein, ihr Leben der<br />

Sache geopfert zu haben. Wie aber bereits am Beispiel Perowskajas gezeigt, war es keineswegs<br />

das Anliegen Zetkins, zum Märtyrerinnentod aufzurufen – die „Gleichheit“-Leserinnen sollten<br />

sich vielmehr deren Leben <strong>und</strong> Wirken zum Vorbild nehmen.<br />

Jene Ereignisse des 22. Januar, die Berditschewskaja das Leben kosteten, veranlassten wiederum<br />

Esther Riskind (?-1905/ 25-jährig), aus ihrem Exil nach Russland zurückzukehren. Der „Gleich-<br />

heit“-Artikel zu ihrem Leben wurde nicht von Zetkin, sondern von H.H. verfasst, der/die Riskind<br />

1899 noch persönlich kennengelernt hatte. Er beginnt mit einem nüchternen biographischen<br />

Abriss:<br />

„Mitglied des ‘Allgemeinen Jüdischen Arbeiterb<strong>und</strong>es für Litauen, Polen <strong>und</strong> Rußland’,<br />

getötet im Alter von 25 Jahren in Bialystok während der Metzelei am<br />

12. August 1905.“ 1367<br />

Demnach war auch Riskind, deren Porträt – wie das Berditschewskajas – eines der wenigen über-<br />

haupt in der „Gleichheit“ enthaltenen Bilder ist, Märtyrerin der revolutionären Bewegung Russ-<br />

lands.<br />

Riskind wurde in einer im jüdischen Ansiedlungsgebiet gelegenen Kleinstadt geboren. Ihre<br />

Familie war arm, aber nicht so bildungsfern, wie es Zetkin für die jüdische Familie Helfmanns be-<br />

schrieb. Riskind lernte früh russisch zu lesen <strong>und</strong> zu schreiben <strong>und</strong> verfasste bereits im Alter von<br />

10 Jahren eigene Gedichte. Sie hatte ein munteres Temperament <strong>und</strong> vor allem ein „heißes<br />

Mitgefühl für alle Unterdrückten <strong>und</strong> Leidenden“ 1368 . Dieses entsprang keiner „weichliche[n]<br />

tränenselige[n] Sentimentalität“ 1369 , sondern ihrer „tiefedlen <strong>und</strong> reichen Natur“ 1370 . Im Alter von<br />

15 Jahren entschloss sie sich gegen den Willen <strong>und</strong> ohne jegliche finanzielle Unterstützung ihrer<br />

Eltern, die Universität Charkow zu besuchen. Hier kam sie in ersten Kontakt zu sozialistischen<br />

Studenten. Deren theoretische Diskussionen waren Riskind jedoch zu wenig. Sie wollte revolutio-<br />

näre Arbeit unter den Arbeitermassen leisten <strong>und</strong> zog in die Fabrikstadt Bialystok. Obwohl sie<br />

sich durch Privatst<strong>und</strong>en etwas Geld verdienen konnte, blieb ihre finanzielle Situation miserabel.<br />

1366 Ebd.<br />

1367 H. H.: Esther Riskind. In: GL, 16/ 02/ 24.01.1906/ 7.<br />

1368 Ebd.<br />

1369 Ebd.<br />

1370 Ebd.<br />

508


4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS<br />

Bedingt durch die große Arbeitsbelastung <strong>und</strong> eine unzureichende Ernährung litt sie häufig an<br />

Kopf- <strong>und</strong> Magenschmerzen wie auch an einer nervlichen Zerrüttung. Sie ließ sich ihren Zustand<br />

jedoch nie anmerken, war stets fre<strong>und</strong>lich, warmherzig <strong>und</strong> sehr beliebt bei den ArbeiterInnen,<br />

wurde von ihnen sogar – wie H.H. schreibt – „vergöttert[…]“ 1371 .<br />

Riskind, die stets für eine Arbeiterin <strong>und</strong> nicht für eine „‘Intelligente’“ 1372 gehalten worden sei,<br />

war eine begabte Rednerin <strong>und</strong> stellte dieses Talent auf großen Versammlungen unter Beweis. Auf<br />

einer solchen Versammlung in Lodz wurde sie verhaftet <strong>und</strong> anschließend in ihr Heimatstädtchen<br />

abgeschoben, wo es sie jedoch nicht lange hielt. In Warschau wurde sie agitatorisch für den<br />

„Allgemeinen Jüdischen Arbeiterb<strong>und</strong> für Litauen, Polen <strong>und</strong> Rußland“ tätig. In dieser großen<br />

Stadt konnte sie auch Möglichkeiten nutzen, ihrer Leidenschaft für Musik <strong>und</strong> Theater<br />

nachzugehen. Dies tat sie immer dann, wenn sie nicht als Arbeiterin unter ArbeiterInnen Agitation<br />

betrieb. Die vielen Fre<strong>und</strong>e, die sie unter den „legalen“ jüdischen Schriftstellern hatte, wussten oft<br />

nichts von diesem „Doppelleben“. Ein Jahr lang sei dies gut verlaufen – ein Jahr, in dem Riskind<br />

nicht lebte, sondern, so H.H., förmlich „brannte“ 1373 . Sie wurde jedoch verhaftet, lange in Unter-<br />

suchungshaft genommen <strong>und</strong> dann wegen ihres schlechten Ges<strong>und</strong>heitszustandes „nur“ nach<br />

Sibirien verbannt. Die Zeit im Gefängnis <strong>und</strong> auf der späteren Flucht ins Ausland ließ Riskind<br />

nicht ungenutzt verstreichen:<br />

„sie hat in der Einsamkeit viel gelernt <strong>und</strong> über so manche wichtige Frage<br />

gründlich nachgedacht. Ihre Weltanschauung hatte sich dadurch erheblich vertieft<br />

<strong>und</strong> erweitert.“ 1374<br />

Kaum drangen die Nachrichten von den Ereignissen des 22. Januar, den Aufständen <strong>und</strong> Kämpfen<br />

zu ihr, beschloss sie, nach Russland zurückzukehren. Sie ging nach Wilna, wo ihr im Exekutiv-<br />

komitee des genannten Jüdischen Arbeiterb<strong>und</strong>es ein Amt übertragen wurde. Da sich jedoch die<br />

Lage für sie angesichts fortwährender Bespitzelung immer gefährlicher gestaltete, wurde sie<br />

erneut nach Bialystok beordert, wo sie schließlich bei einem Angriff der Regierungssoldaten fiel.<br />

Ein weiterer Name auf dem „Matyrolog der russischen Revolution“ 1375 , ein weiteres Opfer des<br />

russischen Absolutismus, war M.A. Spiridonowa (?-1906/ 21-jährig). Die 21-jährige Revo-<br />

lutionärin hatte den Vizegouverneur von Tambow, Luschenowsky, erschossen. Dieser war<br />

verantwortlich für die Ermordung, Auspeitschung <strong>und</strong> Misshandlung unzähliger aufständischer<br />

1371 Ebd., S. 8.<br />

1372 Ebd.<br />

1373 Ebd.<br />

1374 Ebd.<br />

1375 M.A. Spiridonowa. In: GL, 16/ 09/ 02.05.1906/ 59.<br />

509


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Bauern gewesen. Sofort nach ihrer Tat verhaftet, wurde Spiridonowa in der Haft auf das<br />

Schlimmste misshandelt <strong>und</strong> gefoltert. Zwar dürften den „Gleichheit“-Leserinnen Informationen<br />

zum brutalen Umgang mit Gefangenen bekannt gewesen sein, doch in Spiridonowa wurde ihnen<br />

eine mutige Frau vorgestellt, die die ihr angetanen Gräuel bewusst öffentlich machte. Der<br />

vermutlich von Zetkin verfasste Artikel stützte sich auf einen von Spiridonowa in der Sankt<br />

Petersburger Zeitung „Ruß“ (d.i. „Rus‘“ (1903-1908)) veröffentlichten Brief. Spiridonowa be-<br />

schrieb darin die verschiedenen Misshandlungen bis zu ihrer Ankunft im Gefängnis, wo sich dann<br />

Verhöre <strong>und</strong> Folterungen anschlossen. Sie scheute dabei kein Detail: Ausgerissene Haare,<br />

Fußtritte, glimmende Zigaretten – die Folterungen wurden sehr eindrücklich geschildert. Auch<br />

nannte Spiridonowa die Namen ihrer Peiniger, deren mindestens einer auch ihr Vergewaltiger war<br />

<strong>und</strong> sie mit Syphilis infiziert hatte. Sie brachen ihre Lebenskraft, ihr Augenlicht <strong>und</strong> ihr Gehör.<br />

Einige der W<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Spuren ihrer bestialischen Misshandlungen wurden von zwei<br />

Gefängnisärzten als solche tatsächlich auch diagnostiziert <strong>und</strong> vor Gericht bestätigt. Spiridonowa<br />

– in einem „zerfolterten Körper[,] de[ssen] Geist trotz aller erduldeten Martern stark geblieben“ 1376<br />

war – erschien trotz allem zu ihrer Verhandlung als „eine überzeugte <strong>und</strong> begeisterte Kämpferin<br />

für das Glück ihres Volkes“ 1377 . Ihr Auftritt vor Gericht wurde besonders dramatisch dargestellt.<br />

Immer wieder von einem blutigem Husten unterbrochen habe Spiridonowa ihre Motive für den<br />

Mord erläutert:<br />

„Nicht feige Mordlust hatte ihr zugerufen: töte! sondern unsägliches Erbarmen mit<br />

den getretenen menschlichen Kreaturen, glühende Menschen- <strong>und</strong> Freiheitsliebe.“<br />

1378<br />

Ihrem Urteil sah sie gelassen entgegen, denn dem, was sie ertragen hatte, könne auch die<br />

grausamste Strafe des Gerichts nichts hinzufügen. 1379 Zwar lautete das Urteil auf Tod durch Er-<br />

hängen, doch durch den offensichtlich schlechten Ges<strong>und</strong>heitszustand Spiridonowas, die bereits<br />

an Schwindsucht litt, sei bereits vorbestimmt gewesen, dass<br />

„[e]in Mächtigerer als alle Henker des Zarenreiches […] früher über das Schicksal<br />

des Heldenmädchens entscheiden [würde]: der Tod, der ihr als Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Befreier<br />

naht[e]“ 1380 .<br />

Spiridonowa starb, doch ihre Peiniger lebten weiter, wurden von ihren Vorgesetzten ausgezeichnet<br />

<strong>und</strong> befördert. Für einen jedoch, für den Vergewaltiger Spiridonowas, habe das „revolutionäre<br />

1376 Ebd., S. 60.<br />

1377 Ebd., S. 60.<br />

1378 Ebd.<br />

1379 Vgl. ebd.<br />

1380 Ebd.<br />

510


4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS<br />

Strafgericht“ 1381 sein Urteil gefällt: Er wurde auf offener Straße erschossen. Eine Selbstjustiz, die<br />

Zetkin als Zeichen dafür nahm, dass „auch das fluchbeladene Regime des Absolutismus, das<br />

Verbrechen über Verbrechen gebiert, […] eines Tages von dem revolutionären Weltgericht zer-<br />

schmettert werden“ 1382 wird.<br />

Verraten, verurteilt, hingerichtet, gefallen – das sind die bisher beschriebenen Schicksale der<br />

russischen Revolutionärinnen. Eine besondere Ausnahme bietet die kuriose Freisprechung Wanda<br />

Dobrodzickas (1863-?). Der von „L. Ky.“ – vermutlich Luise Kautsky – verfasste Artikel<br />

beschrieb das Leben Dobrodzickas, aber vor allem einen Gerichtsprozess, der nur wenige Tage<br />

vor Publikation des Artikels gegen sie geführt worden war. Diesem Prozess, der in dem kleinen<br />

galizischen Dorf Wadowice stattgef<strong>und</strong>en hatte, maß Kautsky sogar eine „welthistorische<br />

Bedeutung“ 1383 zu.<br />

Dobrodzicka wurde in einem kleinen Dorf Russisch-Polens als Wanda Krahelska geboren. Ihr<br />

Vater, der 1863 an einem Aufstand teilgenommen hatte, vermittelte ihr erste revolutionäre Ideen.<br />

Vom zehnten bis zum siebzehnten Lebensjahr besuchte sie ein Warschauer Pensionat <strong>und</strong> unter-<br />

richtete anschließend die Kinder ihres Heimatortes in der polnischen Sprache. Nach einem<br />

erneuten Aufenthalt in Warschau 1904, wo Dobrodzicka in Kontakt mit SozialistInnen <strong>und</strong> sozia-<br />

listischer Literatur kam, kehrte sie in ihre Heimat zurück, um hier diese Literatur eingehender zu<br />

studieren, selbst erste Agitationsschriften zu verfassen <strong>und</strong> mit einer Handdruckerei zu verviel-<br />

fältigen.<br />

1906 wurde sie Mitglied der Polnischen Sozialistischen Partei (PSP) <strong>und</strong> wirkte im Mai desselben<br />

Jahres an einem Attentat mit, das den brutalen Generalgouverneur von Warschau zum Ziel hatte.<br />

Die verwendeten Bomben waren jedoch so schlecht konstruiert, dass das Attentat scheiterte. Erst<br />

1907 wurde Dobrodzicka durch Zeugen als Mieterin des Hauses identifiziert, von dessen Balkon<br />

die Bomben geschleudert worden waren.<br />

Nun kamen mehrere Umstände zusammen: Das Attentat war im russisch-polnischen Warschau be-<br />

gangen worden, die Identifizierung der Attentäterin <strong>und</strong> ihre Festnahme erfolgte jedoch im<br />

polnischen Krakau. Seit 1907 besaß diese durch die Heirat mit dem Maler Adam Dobrodzicki<br />

noch dazu die österreichische Staatsbürgerschaft. Ein Rechtsstreit russischer, polnischer <strong>und</strong> öster-<br />

reichischer Behörden um den geeigneten Ort für die Gerichtsverhandlung entbrannte. Die<br />

1381 Ebd.<br />

1382 Ebd.<br />

1383 [Kautsky, Luise?] L.Ky.: Eine freigesprochene Attentäterin. In: GL, 18/ 05/ 02.03.1908/ 39. Kautsky scheint<br />

diesen Artikel der „Wiener Arbeiterzeitung“ entnommen zu haben. Sie gab jedoch keinen Beleg an <strong>und</strong> kennzeichnete<br />

nur an seinem Ende einzelne Passagen entsprechend als Zitate.<br />

511


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

russischen Ankläger lehnten Krakau als Verhandlungsort ab, weil sie dort mit einer zu großen<br />

patriotisch motivierten Parteinahme für die gebürtige Polin rechneten. Schließlich konnte<br />

Dobrodzickas Verteidiger erzwingen, die wegen versuchten Meuchelmordes <strong>und</strong> Verbrechen<br />

gegen das Sprengstoffgesetz zu führende Gerichtsverhandlung vor einem galizischen Schwur-<br />

gericht in Wadowice abzuhalten.<br />

Die obligatorische Frage des Richters, ob sie sich schuldig bekenne, soll Dobrodzicka mit den<br />

Worten beantwortet haben:<br />

„Nein, denn auch der Soldat, der in der Schlacht den Feind<br />

tötet, ist nicht strafbar.“ 1384<br />

Auch ihr Verteidiger argumentierte ähnlich, wenn er ihr Vergehen als ein „rein politisches“ 1385 dar-<br />

stellte, das nicht dem Strafgesetz unterliege. Er führte weiter aus,<br />

„daß auch vom Standpunkt der Ethik <strong>und</strong> Moral die Tat nicht strafbar sei, denn die<br />

Angeklagte habe dem Volk zu seinem Recht verhelfen wollen, <strong>und</strong> wo es sich um<br />

dieses Recht handle, da müsse das Strafgesetz schweigen.“ 1386<br />

Das Unglaubliche passierte: Dobrodzicka wurde einstimmig freigesprochen <strong>und</strong> sofort in Freiheit<br />

gesetzt. Die „Wiener Arbeiterzeitung“ (1889-1934), der Kautsky den Bericht entnommen hatte,<br />

zog das Fazit:<br />

„‘Es ist nicht gelungen, die Polen zu finden, die eine Polin verurteilen, weil sie<br />

gegen den schlimmsten <strong>und</strong> grausamsten Peiniger ihres Volkes die Hand erhoben<br />

hat.’“ 1387 .<br />

Ein ungewöhnlicher Rechts- <strong>und</strong> Glücksfall, der eine absolute Ausnahme darstellen dürfte – wenn<br />

denn dieser Verlauf auch historisch zu belegen ist. 1388<br />

Weniger Glück – oder Recht? – hatten zwei andere russische Revolutionärinnen: Fruma Frumkin<br />

(?-1907) <strong>und</strong> E.P. Ragozinnikowa (?-1907/ 21-jährig). 1389<br />

Vor dem Gericht, welches über die Strafe für das von ihr begangene Attentat zu urteilen hatte,<br />

schilderte Frumkin ihr bisheriges Leben. Diese Schilderung wurde in einer Ausgabe der „Tribune<br />

Russe“ 1390 wiedergegeben, auf die L.K. (möglich, dass es sich erneut um Kautsky oder um Luise<br />

1384 Ebd., S. 40.<br />

1385 Ebd.<br />

1386 Ebd.<br />

1387 Wiener Arbeiterzeitung zit. nach: Ebd.<br />

1388 Es konnten keine Angaben gef<strong>und</strong>en werden, die das Stattfinden dieses Prozesses <strong>und</strong> dessen Verlauf bestätigt<br />

hätten.<br />

1389 [Kautsky, Luise? oder Kähler, Luise?] L.K.: Zwei Märtyrerinnen im russischen Freiheitskampf. In: GL, 18/ 04/<br />

17.02.1908/ 30.<br />

1390 „Tribune Russe“ („Russische Tribüne“) (?-?). Diese Zeitschrift erschien in Paris <strong>und</strong> war Parteiorgan der revolutionären<br />

Sozialisten, die im Unterschied zu den Sozialdemokraten Russlands den „organisierten Terror“, die<br />

512


4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS<br />

Kähler (1869-1955) 1391 handelt) ihren Artikel stützte. Frumkin berichtete, wie sie zunächst als<br />

Näherin <strong>und</strong> Krankenpflegerin arbeitete. Später wurde sie Hebamme <strong>und</strong> lernte in Lodz das Elend<br />

der Arbeiterfamilien kennen – Zustände, die sie dahin brachten, sich schließlich für „das Ideal des<br />

Sozialismus“ 1392 zu begeistern. Frumkin wurde Mitglied des „B<strong>und</strong>es der jüdischen Sozialisten<br />

Polens <strong>und</strong> Russlands“, dem sie bis 1901 angehörte. Zwei Jahre später schloss sie sich jedoch der<br />

Partei der revolutionären Sozialisten an. 1904 wurde Frumkin wegen sozialistischer Agitation in<br />

das Gefängnis von Kiew gebracht, wo sie versuchte, den Chef der politischen Gendarmerie zu er-<br />

morden. Daraufhin zu elf Jahren Zwangsarbeit verurteilt, gelang ihr die Flucht nach Moskau, wo<br />

sie ihre politische Tätigkeit fortsetzte. Wiederum wurde sie festgenommen <strong>und</strong> wiederum verübte<br />

sie im Gefängnis ein Attentat, für das sie aber dieses Mal zum Tode verurteilt wurde:<br />

„unerschrocken bestieg sie das Schafott, so daß sie selbst ihren Henkern Bew<strong>und</strong>erung<br />

durch die Schlichtheit <strong>und</strong> den Mut einflößte, mit dem sie starb“ 1393 .<br />

Dieser außergewöhnliche Lebensweg lässt Frumkin als eine Klassenkämpferin erscheinen, die<br />

ohne Rücksicht auf die eigene Existenz jede sich bietende Gelegenheit nutzte, die Feinde ihrer<br />

Bewegung zu töten.<br />

E.P. Ragozinnikowa tötete den Chef der Gefängnisverwaltung für ganz Russland <strong>und</strong> wurde dafür<br />

vom Zaren persönlich zum Tode verurteilt. Ihre Entschlossenheit für die Tat wurde dadurch<br />

deutlich, dass sie für den Fall des Fehlschlagens ein Paket Dynamit um ihren Leib geb<strong>und</strong>en hatte.<br />

Entschlossen wirkte sie auch bei der Verkündung ihres Todesurteils, das sie lächelnd entgegen-<br />

„Einzelaktion“ befürworteten (vgl. ebd.). Die ZDB verweist unter dem Titel „La tribune russe: revue mensuel du<br />

Mouvement Socialiste et Revolutionnaire en Russie“ auf eine Zeitschrift, die nachweislich von 1904 bis 1909 in<br />

Paris erschien (vgl. www.zdb-opac.de). Ob es sich dabei um die hier von der „Gleichheit“ angeführte Zeitschrift<br />

oder eine Nachfolgerin handelt, ist nicht ersichtlich.<br />

1391 Luise Kähler, geb. Girnth, war Tochter eines Droschken- <strong>und</strong> Möbelkutschers. Nach dem Besuch der Volksschule<br />

arbeitete sie 1883-1885 als Dienstmädchen, absolvierte 1885-1888 eine Lehre als Schneiderin <strong>und</strong> zog 1892 nach<br />

Hamburg um. 1893-1895 war sie Stewardess auf einem Handelsschiff der Ostasienroute. 1895 heiratete sie den<br />

Maler August Kähler, gebar ein Kind <strong>und</strong> wurde heimarbeitende Näherin. 1906-1913 hatte Kähler den Vorsitz des<br />

von ihr mitgegründeten „Vereins der Dienstmädchen, Wasch- <strong>und</strong> Scheuerfrauen“ in Hamburg inne, ab 1909<br />

außerdem den Vorsitzende der Filiale des Hausangestelltenverbandes. 1908-1913 arbeitete sie als besoldete<br />

Hilfsarbeiterin des Stellenachweises der Hausangestellten in Hamburg <strong>und</strong> als Vorsitzende des zentralen Verbandsausschusses<br />

des Hausangestelltenverbandes. 1913-1923 wirkte sie als hauptamtliche Vorsitzende im Hauptvorstand<br />

des Hausangestelltenverbandes mit Sitz in Berlin. Während des Ersten Weltkrieges war sie aktives<br />

Mitglied der Kriegsfürsorge (besonders in der Kranken- <strong>und</strong> Wöchnerinnenhilfe), nach seinem Ende war Kähler<br />

Mitgründerin der AWO <strong>und</strong> engagierte sie besonders in der Abschaffung der feudalen Gesindeordnung. 1910-<br />

1931 nahm sie an verschiedenen Gewerkschaftskongressen teil. 1919-1921 war sie Abgeordnete des preußischen<br />

Landtags <strong>und</strong> 1920-1932 einziges weibliches Mitglied im Vorläufigen Reichswirtschaftsrat. 1927 nahm sie als<br />

Delegierte am Internationalen Gewerkschaftskongress in Paris teil. Nach 1945 war Kähler zunächst wieder in der<br />

SPD aktiv, 1946 trat sie der SED bei <strong>und</strong> wurde 1948 Mitglied im „Demokratischen Frauenb<strong>und</strong> Deutschlands“.<br />

Trotz ihrer politischen Tätigkeit in der SED blieb sie in West-Berlin wohnhaft <strong>und</strong> ließ sich 1954 als SED-Spitzenkandidatin<br />

für Berlin-Kreuzberg für die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus aufstellen. 1953 erhielt Kähler<br />

den Karl-Marx-Orden.<br />

1392 Ebd.<br />

1393 Ebd.<br />

513


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

nahm. 1394 In einem Brief an ihre Familie rechtfertigte Ragozinnikowa ihre Tat damit, dass ihr<br />

Opfer kein Mensch gewesen sei, sondern „‘ein Teil jener Werkzeuge, die nur dazu dienen, die<br />

Menschen auszurotten, ihr Leben zu vergiften’“ 1395 . Sie schrieb von sich selbst, dass sie ihre Fami-<br />

lie sehr geliebt habe, dass sie dann aber begann, „‘alle Menschen zu lieben’“ 1396 [Hervorhebung<br />

von M.S.] <strong>und</strong> sich schließlich für sie alle hingegeben habe.<br />

Diesen beiden Beispielen von Mut, Tapferkeit, persönlichen <strong>und</strong> politischen Tugenden habe, so<br />

L.K., die russische Regierung nichts Ebenbürtiges gegenüberzustellen. 1397 Ihre Besonderheit sei,<br />

dass sie für eine Idee kämpften – <strong>und</strong><br />

„[e]ine Idee, die zu H<strong>und</strong>erten <strong>und</strong> Tausenden Helden <strong>und</strong> Märtyrer erstehen läßt<br />

wie die revolutionären Sozialistinnen Frumkin <strong>und</strong> Ragozinnikowa, muß siegen“<br />

1398 .<br />

Dies war der Autorin des Artikels eine sie selbst <strong>und</strong> alle „Gleichheit“-Leserinnen motivierende<br />

Gewissheit.<br />

Angesichts der 22 Jahre Kerkerhaft, die Wera Figner (1852-1942) 1399 in der Schlüsselburg – laut<br />

Zetkin eines der scheußlichsten Gefängnisse der ganzen Welt – verbringen musste, könnten die<br />

bisher beschriebenen Todesurteile manchen „Gleichheit“-Leserinnen vielleicht als Segen er-<br />

schienen sein.<br />

Figner entstammte einer begüterten <strong>und</strong> gebildeten Familie. Bereits als elfjähriges Mädchen<br />

erfasste sie intuitiv die Notwendigkeit sozialer <strong>und</strong> politischer Umwandlungen. Anhand der<br />

Literatur politischer Kritiker wie Nikolai Gawrilowitsch Tschernischewski <strong>und</strong> Dmitri Iwano-<br />

witsch Pissareff 1400 entwickelte Figner sowohl Verständnis als auch großes Mitgefühl für die<br />

Leiden der Volksmassen. Sie wurde sich der „Vorteile des Besitzes <strong>und</strong> der Bildung“ 1401 , die auch<br />

sie genießen durfte, bewusst. Geschaffen aus der Not <strong>und</strong> der Unwissenheit von Millionen wurden<br />

ihr diese zum Sinnbild für menschliches Unrecht.<br />

1394 Ebd.<br />

1395 Ebd.<br />

1396 Ebd.<br />

1397 Vgl. ebd.<br />

1398 Ebd.<br />

„Dieses Unrecht zu sühnen durch die selbstlose Hingabe an die Sache des Volkes,<br />

an den revolutionären Befreiungskampf: das war der Gedanke, der immer mehr ihr<br />

1399 Wera Finger. In: GL, 22/ 22/ 24.07.1912/ 340. „Finger“ ist ein Druckfehler der „Gleichheit“, der hier zwar im<br />

Text, aber nicht in der Belegangabe korrigiert wird.<br />

1400 Die Schreibweise der Nachnamen ist auch hier der „Gleichheit“ entnommen.<br />

1401 Ebd.<br />

514


ganzes Sein beherrschte.“ 1402<br />

4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS<br />

Figner entschloss sich zu einem Medizinstudium, das sie in Kasan, Bern <strong>und</strong> Zürich absolvierte.<br />

Daneben beschäftigte sie sich sich zusätzlich mit der sozialistischen Literatur. 1875 begann sie<br />

ihre Agitation unter den Bauern <strong>und</strong> Arbeitern Russlands. Sie brachte ihnen – erst unter ihrem<br />

wahren Namen, dann auch mit falscher Identität <strong>und</strong> in allerlei Verkleidungen 1403 – das „Evange-<br />

lium des Sozialismus“ 1404 <strong>und</strong> schürte „das heilige Feuer der Empörung in der studentischen<br />

Jugend“ 1405 .<br />

Die politische Situation jener Zeit wurde von Zetkin erneut wie folgt beschrieben:<br />

„Die blutige Schmach- <strong>und</strong> Schreckensherrschaft des Absolutismus zwang die<br />

friedlichen Apostel einer kommunistischen Gesellschaftsordnung zum politischen<br />

Kampf. Und wie die Verhältnisse in Rußland lagen, mußte dieser zeitweilig seine<br />

Spitze gegen den Zaren selbst kehren.“ 1406<br />

Zetkin versuchte, die Radikalisierung der RevolutionärInnen <strong>und</strong> die Attentate auf Funktions-<br />

träger des Zarismus als Tyrannenmord zu rechtfertigen. Vielleicht dachte auch Figner so, als sie<br />

1879 Mitglied des berühmten terroristischen Exekutivkomitees wurde – wie bereits Perowskaja<br />

<strong>und</strong> Polonsky – <strong>und</strong> am Zarenattentat im März 1881 mitwirkte. Figner wurde kurze Zeit später<br />

von einem Kampfgenossen aus den eigenen Reihen für 10.000 Rubel an die Polizei verraten, zum<br />

Tode verurteilt <strong>und</strong> schließlich zu lebenslanger Haft begnadigt. In der Schlüsselburg, in der Figner<br />

seit 1883 inhaftiert war, waren die Zustände entsetzlich – eine andere Revolutionärin, Sophie<br />

Günzburg (1863-1891) 1407 beging dort Suizid, um nicht unter Folter ihre Kameraden zu verraten.<br />

1905 hatte das Leid Figners ein Ende – „die siegreiche Revolution holte […] die lebendig<br />

Begrabene aus ihrer Hölle hervor“ 1408 <strong>und</strong> diese ging ungebrochen in Überzeugung <strong>und</strong> Taten-<br />

drang erneut an die politische Arbeit. Ihr schlechter Ges<strong>und</strong>heitszustand zwang sie jedoch, diese<br />

1402 Ebd.<br />

1403 Ebd.<br />

1404 Ebd.<br />

1405 Ebd.<br />

1406 Ebd.<br />

1407 An anderer Stelle schrieb Zetkin zur Person Günzburgs: „Das Heldenmädchen Sophie Günzburg, das im letzten<br />

Jahre in einem der höllischsten Gefängnisse des Zarenreichs unter Aufbietung ungewöhnlicher Energie durch<br />

Selbstmord endete, um nicht in Augenblicken geistiger Umnachtung die Kameraden den Henkern auszuliefern, ist<br />

der beste Beweis dafür, daß die russischen Frauen nicht darauf verzichtet haben, in dem Kampf für die Freiheit in<br />

den vordersten Reihen zu stehen. Wenn heute in Rußland der Despotismus fällt <strong>und</strong> politische Bewegungsfreiheit<br />

gegeben wird, da wird man in Rußland eine Frauenbewegung, eine Antheilnahme des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts an<br />

der Ausgestaltung des öffentlichen Lebens sehen, wie in keinem zweiten Lande.“ (Die russischen Revolutionärinnen.<br />

In: GL, 02/ 01/ 11.01.1892/ 15). Die Schreibweise von Günzburgs Namen variiert. Im Anhang zu Vera<br />

Figners Lebenserinnerungen „Nacht über Rußland“ wird sie als Sofia Michailowna Ginsburg geführt (vgl. Figner,<br />

Nacht über Rußland, S. 490).<br />

1408 Wera Finger. In: GL, 22/ 22/ 24.07.1912/ 340.<br />

515


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Tätigkeit im Ausland fortzusetzen. Unermüdlich, denn die sozialistische Erkenntnis habe wie ein<br />

Jungbrunnen auf Figner gewirkt, hielt sie Vorträge, verfasste Artikel <strong>und</strong> Flugblätter <strong>und</strong> orga-<br />

nisierte Spendensammlungen. Und da Zetkins Artikel noch zu Lebzeiten Figners in der „Gleich-<br />

heit“ publiziert wurde, sollte er<br />

„Wera Finger, der stolzen Dulderin, der kühnen Freiheitskämpferin [ein][…] herzliche[r],<br />

verehrungsvolle[r] Schwesterngruß der deutschen Proletarierinnen [sein],<br />

die wie sie den sehnsuchtsschweren <strong>und</strong> doch klaren Blick unverwandt auf die<br />

emporsteigende Sonne des Sozialismus richten“ 1409 .<br />

Figner starb 1942 in Moskau.<br />

Auch Wanda Cäsarina Wojnarowska (1861-1911) starb im Exil. Doch auch in der Fremde, in<br />

Paris, konnte sie entscheidende Aufgaben für die russische Revolution erfüllen.<br />

Wojnarowska war Tochter einer adeligen Gutsbesitzerfamilie <strong>und</strong> besuchte in Sankt Petersburg<br />

eine höhere Schule, als sie 1878 – als 17-jähriges Mädchen – den polnischen Revolutionär <strong>und</strong><br />

Publizisten Ludwig Warynsky kennenlernte. Diese Bekanntschaft gab den Ausschlag für ihre<br />

Entscheidung, sich dem revolutionären Kampf für eine bessere Gesellschaft anzuschließen. 1410<br />

Sie brach alle Brücken hinter sich ab <strong>und</strong> ging nach Warschau. Vom Charakter her<br />

„leidenschaftlich[…] <strong>und</strong> aufopferungsfreudig[…]“ 1411 , wurde sie eines der tätigsten Mitglieder<br />

einer Geheimorganisation. Bereits nach einem Jahr wurde Wojnarowska aber verhaftet <strong>und</strong> nach<br />

zwei Jahren Untersuchungshaft schließlich nach Sibirien verbannt. Ihr gelang die Flucht <strong>und</strong> sie<br />

reiste über Warschau weiter nach Krakau, wo sie erneut als Agitatorin tätig wurde. Diese Tätigkeit<br />

war nun umso erfolgreicher, denn, so die Autorin M., „[w]ie für jeden echten Revolutionär war für<br />

sie die Zeit im Kerker eine Zeit des Studiums <strong>und</strong> angestrengter Geistesarbeit gewesen“ 1412 . Nach<br />

einer weiteren Verhaftung, zehn Monaten Kerker <strong>und</strong> schließlicher Ausweisung ging Wojnarows-<br />

ka erst in die Schweiz <strong>und</strong> dann nach Paris. Hier studierte sie bei dem französischen Historiker<br />

François-Alphonse Aulard Literatur <strong>und</strong> Geschichte <strong>und</strong> wurde eine seiner besten Schülerinnen.<br />

Die ganze Dimension dieser wissenschaftlichen Fähigkeiten Wojnarowskas beschrieb die Autorin<br />

des Artikels so:<br />

1409 Ebd., S. 341.<br />

„Vielleicht wäre Wanda Wojnarowska eine jener Frauen geworden, deren Namen<br />

in der Wissenschaft glänzen, wenn sie es über sich gebracht hätte, sich dieses<br />

schmeichelhafte Urteil des einflussreichen Professors zunutze zu machen. Es wäre<br />

ihr ein leichtes geworden, ein Stipendium zu erhaschen, eine hochgelehrte Ab-<br />

1410 Vgl. M.: Eine Kämpferin. In: GL, 21/ 16/ 08.05.1911/ 248.<br />

1411 Ebd.<br />

1412 Ebd.<br />

516


4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS<br />

handlung zu schreiben <strong>und</strong> ‘ihren Weg zu machen’, wie es so viele Frauen getan<br />

haben, die nicht halb soviel Geist <strong>und</strong> Talent haben, wie ihr eigen war. Aber dieser<br />

Weg des Karrieremachens war nichts für ihre feurige Seele. Für Genossin Wojnarowska<br />

blieb die Wissenschaft nur Mittel zum Zwecke, nicht etwa um bequemen<br />

Unterhalt <strong>und</strong> billigen Ruhm zu gewinnen, sondern Mittel zum Zwecke des revolutionären<br />

Kampfes.“ 1413<br />

Tatsächlich bestritt Wojnarowska ihren Lebensunterhalt jedoch mit schlecht bezahlten Privat-<br />

st<strong>und</strong>en. Ihr Interesse fokussierte sich vor allem auf die Geschehnisse in ihrer Heimat <strong>und</strong> auf ihre<br />

Arbeit für die Revolution. Nachdem sich die Sozialisten Polens in zwei Lager geteilt hatten, fiel<br />

Wojnarowska die Entscheidung für eines der beiden sehr schwer. Ihr geschichtswissenschaftliches<br />

Denken erschloss ihr jedoch, dass die Polnische Sozialistische Partei (PSP) „einer Utopie nach-<br />

jage“ 1414 – sie wählte das Lager der Sozialdemokratie Russisch-Polens <strong>und</strong> Litauens. Schweren<br />

Herzens brach sie mit bisherigen KampfesgenossInnen. Mit dieser Entscheidung hatte sie sich im<br />

Pariser Exil nahezu vollkommen isoliert, da die hier im Exil lebenden polnischen SozialistInnen<br />

vornehmlich AnhängerInnen der PSP waren. 1415<br />

1901 übernahm Wojnarowska die Vertretung der sozialdemokratischen Partei Russisch-Polens<br />

<strong>und</strong> Litauens im Internationalen Sozialistischen Büro, die sie aus ges<strong>und</strong>heitlichen Gründen 1904<br />

jedoch wieder niederlegte. Russischen <strong>und</strong> polnischen Flüchtlingen war sie Beraterin <strong>und</strong> Helferin<br />

– laut M. ein „charakteristische[r] Zug“ Wojnarowskas, die „stets <strong>und</strong> immer zu jedem Opfer für<br />

andere <strong>und</strong> für die Sache der Revolution bereit“ 1416 gewesen sei. <strong>Von</strong> dem Wenigen, das sie besaß,<br />

gab sie anderen <strong>und</strong> litt selbst Hunger. Wenn Fre<strong>und</strong>e sie mahnten, winkte sie ab <strong>und</strong> forderte „das<br />

einzige Recht, das ihr blieb – sich für andere aufzuopfern“ 1417 . Schließlich erlag sie einem Herz-<br />

schlag <strong>und</strong> wurde auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise beerdigt.<br />

Als „Großmutter der russischen Revolution“ 1418 bezeichnete man Katharina Breschko-<br />

Breschkowskaja (1844-1934) 1419 . Zu ihrem Leben <strong>und</strong> Wirken veröffentlichte die „Gleichheit“<br />

sogar mehrere Artikel. Zwei dieser Artikel erschienen anlässlich ihres 70. Geburtstags im Frühjahr<br />

1914. An diesem Tag, den Breschkowskaja als Verbannte im sibirischen Irkutsk verbringen<br />

1413 Ebd.<br />

1414 Ebd.<br />

1415 Außerdem arbeitete Wojnarowska schriftstellerisch für das guesdistische Lager der französischen SozialistInnen.<br />

Zur Geschichte der französischen Sozialdemokratie vgl. Braunthal, Geschichte der Internationale.<br />

1416 M.: Eine Kämpferin. In: GL, 21/ 16/ 08.05.1911/ 249.<br />

1417 Ebd.<br />

1418 Tenenbaum, Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. In: GL, 24/ 20/ 24.06.1914/ 307.<br />

1419 Der Name der russischen Revolutionärin, der auch in den verschiedenen „Gleichheit“-Artikeln sehr unterschiedlich<br />

zitiert wurde, wird hier einheitlich mit „Breschkowskaja“ angegeben.<br />

517


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

musste, gedachten ihrer selbst jene russischen SozialistInnen, die nicht wie sie der Partei der<br />

russischen Sozialrevolutionäre angehörten. 1420<br />

Breschkowskaja wurde laut Edda Tenenbaum (?-?) 1421 im Geiste der Freiheits- <strong>und</strong> Gleichheits-<br />

ideen ihres Vaters, eines adeligen Liberalen, erzogen. So wie er sei auch sie von der „revolutio-<br />

näre[n] Gärung“ 1422 erfasst worden, die „aus der geistigen Unzufriedenheit mit den herrschenden<br />

Zuständen geboren [war], die die Gebildeten aller Gesellschaftskreise ergriffen hatte“ 1423 [Hervor-<br />

hebung von M.S.]. Und so erblickte die „tatendurstige“ 1424 siebzehnjährige Breschkowskaja noch<br />

in der Gründung von Sparkassen, Bildungsvereinen <strong>und</strong> Genossenschaften die „Erlösung der<br />

leidenden Volksmassen von allen Übeln“ 1425 . Auch der Mann, den sie in jungem Alter heiratete,<br />

war ausgesprochen liberal. Weil Breschkowskaja aber erkannte, dass die Mittel der Liberalen<br />

nicht wirkungsvoll genug waren, stand sie plötzlich vor einem privaten Problem: Entweder<br />

musste sie sich<br />

„bescheiden, im liberalen Fahrwasser an ruhigen Ufern entlang weiter zu treiben,<br />

oder aber sie mußte mit ihrem ganzen bisherigen Leben brechen. […] mußte alle<br />

Brücken hinter sich verbrennen“ 1426 .<br />

Schließlich siegte die Revolutionärin in ihr – ja, es siegte sogar „die Revolution über die Mut-<br />

ter“ 1427 in ihr, denn 1874 1428 verließ Breschkowskaja ihr Kind, um „einem höheren Pflicht-<br />

gebot“ 1429 zu folgen.<br />

In Kiew schloss sie sich einer kommunistischen Gruppe an, um für diese getarnt als Färberin oder<br />

Linnenhändlerin unter den ArbeiterInnen zu agitieren. Sie verätzte sich sogar Gesicht <strong>und</strong> Hände,<br />

damit ihre feine Haut nicht ihre vornehme Herkunft verraten konnte. Nach dreieinhalb Monaten<br />

1420 Katharina Breschkowski, eine der tapfersten russischen Freiheitskämpferinnen … In: GL, 24/ 13/ 18.03.1914/<br />

207. Auch Tenenbaum bemerkte diese Ehrung wohlwollend: „Es ist im allgemeinen bei den russischen Sozialdemokraten<br />

nicht Brauch die Geburts- <strong>und</strong> Namenstage von revolutionären Kämpfern festlich zu begehen, mögen<br />

diese auch im dichtesten Kugelregen, auf dem verantwortlichsten Posten stehen. Die Sozialdemokratie lehnt ja<br />

den Personenkultus auf das entschiedenste ab, <strong>und</strong> Feste passen schlecht in den Rahmen der brutalen, blutigen<br />

russischen Wirklichkeit. Es mußte also ein triftiger Gr<strong>und</strong> dafür vorhanden sein, daß die Sozialdemokratie von<br />

ihrer Regel abgewichen war, <strong>und</strong> daß sie sich überdies zu einer Feier mit der sozialrevolutionären Partei vereinigt<br />

hatte.“ (Tenenbaum, Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. In: GL, 24/ 20/ 24.06.1914/ 307).<br />

1421 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine eindeutigen biographischen Informationen<br />

zu Edda Tenenbaum. Ihr Nachname lässt auf eine jüdische Herkunft schließen.<br />

1422 Tenenbaum, Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. In: GL, 24/ 20/ 24.06.1914/ 307.<br />

1423 Ebd.<br />

1424 Ebd., S. 308.<br />

1425 Ebd., S. 308.<br />

1426 Ebd.<br />

1427 Ebd.<br />

1428 Die ursprünglich hier genannte Jahreszahl 1877 wurde in der Fortsetzung des Artikels korrigiert (vgl. Tenenbaum,<br />

Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. (Schluß.). In: GL, 24/ 21/ 08.07.1914/ 325).<br />

1429 Tenenbaum, Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. In: GL, 24/ 20/ 24.06.1914/ 308.<br />

518


4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS<br />

Agitationsarbeit wurde Breschkowskaja in Besitz von Propagandaplakaten aufgegriffen <strong>und</strong><br />

verhaftet. Zusammen mit anderen RevolutionärInnen – darunter wie erwähnt auch Sophie Perows-<br />

kaja – wurde sie nach vier Jahren Untersuchungshaft im so genannten „Prozess der 193“ zu fünf<br />

Jahren Zwangsarbeit <strong>und</strong> zum Verlust aller bürgerlichen Rechte verurteilt. Ihr erster Fluchtversuch<br />

1881 scheiterte <strong>und</strong> sie wurde mit weiteren vier Jahren Zwangsarbeit <strong>und</strong> 40 Knutenhieben<br />

bestraft. Das öffentliche Interesse an ihr war jedoch so groß, dass die Behörden zögerten, die<br />

Schläge vollziehen zu lassen. Breschkowskaja nutzte dieses Zögern für „etwas unerwartetes,<br />

seltenes, vielleicht einzig dastehendes: die Verurteilte fordert[e] die Vollstreckung des Urteils“ 1430<br />

– die Bew<strong>und</strong>erung aller war ihr damit sicher. Ihr Fluchtversuch hatte aber auch zur Folge, dass<br />

die ihrer langen Untersuchungshaft wegen erteilte Vergünstigung, keine Zwangsarbeit leisten zu<br />

müssen, aufgehoben wurde. Erst 1896 1431 kehrte Breschkowskaja nach Russland zurück.<br />

In ihrer Heimat hatte sich in dieser langen Zeit vieles verändert. Sie stieß in der eigenen<br />

Bewegung auf Probleme, als sie, so Tenenbaum, „versuchte, da anzuknüpfen, wo vor 22 Jahren<br />

der Faden ihres revolutionären Wirkens gerissen war“ 1432 . Ihr Revolutionsappell an die Bauern-<br />

schaft <strong>und</strong> die Kampftaktik des Terrors gegen einzelne hochgestellte Persönlichkeiten war nicht<br />

mehr zeitgemäß. 1433 Die „Großmutter“ der russischen Revolution hatte laut Tenenbaum die Ent-<br />

wicklung zu anderen Revolutionsauffassungen <strong>und</strong> -methoden nicht nachvollziehen können. Sie<br />

habe auch ihre Vorstellung von der sozialrevolutionären Rolle der Bauernschaft keiner „Re-<br />

vision“ 1434 unterzogen, weshalb sie<br />

„nicht zu dem Ergebnis gekommen [sei], das in der Partei der[sic] aufsteigenden[sic]<br />

Klasse des Proletariats verkörpert ist, in der Sozialdemokratie, die<br />

sich auf der Gr<strong>und</strong>lage der materialistischen Geschichtsauffassung ein festes<br />

wirtschaftliches Programm gegeben hat.“ 1435<br />

Die Teilhabe am Parlamentarismus war ihr fremd <strong>und</strong> so agitierte sie in den Jahren 1897 bis 1903<br />

unermüdlich in ihrer Art <strong>und</strong> Weise weiter – nun allerdings mit der Möglichkeit, moderne Trans-<br />

portmittel zu nutzen <strong>und</strong> auf bereits erfolgte Agitation aufzubauen. Im Interesse ihrer Sicherheit<br />

beschloss das Zentralkomitee der Partei, dass sie Russland verlassen solle. <strong>Von</strong> 1903 bis 1905 leb-<br />

te sie deshalb im Ausland <strong>und</strong> trat als Rednerin auf Versammlungen in England <strong>und</strong> den USA auf.<br />

1430 Ebd.<br />

1431 Die Jahresangaben in dem Artikel von Karl Soll unterscheiden sich teilweise von denen Tenenbaums. Laut Soll<br />

kehrte Breschkowskaja erst 25 Jahre später <strong>und</strong> außerdem im Jahr 1897 nach Russland zurück (Soll, Karl:<br />

Politische Frauen. (Schluß). In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210) – es ist daher anzunehmen, dass die Zeiten der<br />

Untersuchungshaft unterschiedlich in die Angaben einbezogen wurden.<br />

1432 Tenenbaum, Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. (Schluß.). In: GL, 24/ 21/ 08.07.1914/ 325.<br />

1433 Vgl. ebd.<br />

1434 Ebd.<br />

1435 Ebd.<br />

519


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Nach Russland zurückgekehrt, wurde sie 1907 von einem ehemaligen Kampfgenossen denunziert,<br />

verhaftet <strong>und</strong> nach Sankt Petersburg gebracht. Das Gericht verurteilte sie dieses Mal zu<br />

lebenslänglicher Verbannung nach Sibirien. Aufgr<strong>und</strong> eines Fluchtversuchs wurde ihr straf-<br />

verschärfend auferlegt, an eine der entlegensten Orte Sibiriens, Nishni-Kolymsk, umzusiedeln. Zu<br />

dem Zeitpunkt, als Tenenbaums Artikel in der „Gleichheit“ erschien, war über ihren Transport<br />

dorthin jedoch noch nichts Genaues bekannt.<br />

Diese Lebensgeschichte <strong>und</strong> die langen Haftstrafen, die Breschkowskaja auf sich genommen<br />

hatte, lassen die „Gleichheit“ zusammenfassend urteilen, sie habe<br />

„der Sache des Volkes, der Freiheit, ein Vermögen geopfert, eine glänzende<br />

gesellschaftliche Stellung <strong>und</strong> was noch mehr bedeuten will: ein ganzes Leben“ 1436 .<br />

Karl Soll stellte vergleichend fest, dass Breschkowskaja eben dadurch, dass sie ihr vornehmes<br />

Leben aufgegeben habe, um als einfache Arbeiterin die Bauern aufzuklären, ein ganz „andere[r]<br />

Typus“ 1437 einer politischen Frau gewesen sei als es Jeanne-Marie Roland war. Dieser 1919<br />

erschienene Artikel Solls ergänzt nun die Informationen zu Breschkowskajas weiterem Schicksal:<br />

In Männerkleidern versuchte sie einen zweiten Fluchtversuch, der jedoch ebenfalls scheiterte. Ihre<br />

Verbannung endete erst im März 1917 mit der glücklichen Nachricht, dass die Revolution das<br />

Zarentum besiegt habe. Breschkowskaja bekam im neuen Russland sogar die ehrenvolle Aufgabe,<br />

das Vorparlament zu eröffnen. Weiteres war auch Soll nicht bekannt, denn Breschkowskaja floh<br />

„vor der Regierung Lenins ins Ausland“ 1438 – wie man aus dem Geburtstagsartikel erfährt, nach<br />

Paris.<br />

Der Charakter Breschkowskajas sei, so Soll, von einem „angeborene[n] Optimismus“ 1439 <strong>und</strong> „un-<br />

zerstörbare[r] Arbeitsfreudigkeit“ 1440 geprägt gewesen. Ihr den „Gleichheit“-Leserinnen vielleicht<br />

„fremdartig“ 1441 anmutendes Lebensbild, das „nur auf russischem Boden sich so abspielen konn-<br />

te“ 1442 , zeige<br />

„eine edle, starke <strong>und</strong> uneigennützige Persönlichkeit, die jede Nation mit Stolz zu<br />

den Ihren zählen würde“ 1443 .<br />

1436 Katharina Breschkowski, eine der tapfersten russischen Freiheitskämpferinnen … In: GL, 24/ 13/ 18.03.1914/<br />

207.<br />

1437 Soll, Karl: Politische Frauen. (Schluß). In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210.<br />

1438 Ebd.<br />

1439 Ebd.<br />

1440 Ebd.<br />

1441 Ebd.<br />

1442 Ebd.<br />

1443 Ebd.<br />

520


4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS<br />

Die russischen Revolutionärinnen gingen in die Geschichte ein als Märtyrerinnen einer poli-<br />

tischen Sache. Aber wie bereits Zetkin war es auch Tenenbaum wichtig, nicht ihren Tod, sondern<br />

ihr Wirken hervorzuheben:<br />

„Unsterblich ist das Verdienst der vielen russischen Frauen, deren Kampf um Freiheit<br />

<strong>und</strong> Glück ihres Volkes der revolutionären Bewegung Rußlands Schwung <strong>und</strong><br />

Glanz verliehen hat, jener Frauen, die heiter lächelnd für die heilige Befreiungssache<br />

in den Tod gingen. Doch nicht minder strahlend <strong>und</strong> unvergänglich ist der<br />

Ruhm der anderen, die wie Katharina Breschkowskaja für diese Sache zu leben<br />

wußten, als sie verloren schien, ist der Ruhm der Frauen, die ein Menschenleben<br />

hindurch trotz Sibirien <strong>und</strong> Zwangsarbeit unerschütterlich an die Revolution glaubten,<br />

keinen Augenblick an ihrem Sieg zweifelten <strong>und</strong> unberührt von der trostlosen<br />

Wirklichkeit den Blick fest <strong>und</strong> unverwandt auf das hohe Ziel gerichtet hielten.<br />

Diese aufopferungsvolle Treue <strong>und</strong> dieser hinreißende Glaube haben W<strong>und</strong>er gewirkt,<br />

sie haben Schlafende geweckt, Gleichgültige aufgerüttelt <strong>und</strong> den prometheusschen<br />

Funken in zahlreichen Menschenherzen zu begeisterten Flammen<br />

emporschlagen lassen.“ 1444 [Hervorhebungen von M.S.]<br />

Es ist nicht das Leitbild der Märtyrerin, dem die „Gleichheit“ huldigte. Es ist vielmehr das Leit-<br />

bild der „Klassenkämpferin“, die ihr Leben in den Dienst des Sozialismus stellte <strong>und</strong> auch bereit<br />

war, dieses Leben zu riskieren.<br />

1444 Tenenbaum, Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. (Schluß.). In: GL, 24/ 21/ 08.07.1914/ 326.<br />

521


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

4.4.3 Zwei Kämpferinnen der Pariser Kommune<br />

Der beeindruckenden Zahl der russischen Revolutionärinnen, welche in der „Gleichheit“ ge-<br />

würdigt wurden, stehen erstaunlicherweise nur zwei Kommunekämpferinnen gegenüber. Marie<br />

Ferré (ca. 1851-1882) <strong>und</strong> Louise Michel (1839-1905), die zudem in einem sehr engen Fre<strong>und</strong>-<br />

schaftsverhältnis standen. Beide kämpften in der Pariser Kommune für „die Idee einer gesell-<br />

schaftlichen Wiedergeburt“ 1445 .<br />

Ferré, die aus einer kleinbürgerlichen, aber mit dem Proletariat sympathisierenden Familie<br />

stammte, vereinte laut einer verallgemeinernden These Zetkins<br />

„[i]n ihrer einfachen, schlichten Persönlichkeit […] die Charakterzüge jener drei<br />

Typen, die uns während des Heldenkampfes des Pariser Proletariats so zahlreich<br />

unter dessen Frauen entgegentreten: die Charakterzüge der Heldin, Märtyrerin <strong>und</strong><br />

Samariterin“ 1446 .<br />

Ihre Biographie hatte demnach ein besonderes „Vorbildpotential“ <strong>und</strong> bot den „Gleichheit“-Lese-<br />

rinnen zahlreiche Identifikationsmöglichkeiten.<br />

Ferré lebte mit ihrer Familie – Vater, Mutter <strong>und</strong> den beiden Brüdern Théophile <strong>und</strong> Hippolyte –<br />

in Levallois-Perret, einem Vorort von Paris. Die gesamte Familie hing den Ideen der Kommune<br />

an, es herrschte eine „revolutionäre[…] Atmosphäre“ 1447 im Elternhaus vor. Das Engagement für<br />

die Kommune blieb aber auch in der Familie Ferré geschlechtsrollenspezifisch. Während der<br />

Vater <strong>und</strong> die Brüder auf den Barrikaden kämpften, blieb Ferré<br />

„als Hilfe <strong>und</strong> Stütze der Mutter zurück, theilte mit ihr die häuslichen Arbeiten, die<br />

Sorgen um die kämpfenden Lieben, das Streben, sich diesen <strong>und</strong> der Sache der<br />

Kommune würdig <strong>und</strong> nützlich zu erweisen“ 1448 .<br />

Es entspricht ihrem beschriebenen Charakterzug als Samariterin, wenn sie nicht nur Vater <strong>und</strong><br />

Brüdern Essen <strong>und</strong> Wäsche brachte, sondern auch Verw<strong>und</strong>ete pflegte <strong>und</strong> „die Leiden Aller […],<br />

die an der Kommune theilgenommen hatten“ 1449 zu lindern suchte. Sie habe „Muthlose mit neuer,<br />

eiserner Energie“ 1450 , erfüllt <strong>und</strong> stets „ein liebreiches, ermuthigendes Wort, eine kleine Gabe für<br />

Die bereit [gehabt], welche des Trostes oder der Unterstützung bedurften“ 1451 . Für diese Sama-<br />

riterinnenarbeit, die über die Pflege körperlicher W<strong>und</strong>en weit hinausging, wurde sie, so Zetkin,<br />

1445 Marie Ferré. In: GL, 02/ 14/ 13.07.1892/ 119.<br />

1446 Ebd.<br />

1447 Ebd.<br />

1448 Ebd.<br />

1449 Ebd.<br />

1450 Ebd.<br />

1451 Ebd., S. 120.<br />

522


4.4.3 ZWEI KÄMPFERINNEN DER PARISER KOMMUNE<br />

„wie eine Heilige verehrt“ 1452 <strong>und</strong> selbst von den Gegnern bew<strong>und</strong>ert. Im Kampf für die Sache<br />

habe sie ihren eigenen Körper jedoch viel zu wenig geschont:<br />

„In edlem Selbstvergessen war ihr ganzes Thun darauf gerichtet, Anderen <strong>und</strong> vor<br />

Allem der Idee der Befreiung der Arbeiterklasse zu dienen.“ 1453<br />

Dem revolutionären Ziel bis zur Erschöpfung dienend, wurde Ferré von einem typhösen Fieber<br />

ergriffen, welches sie ans Bett fesselte. So lag sie auch krank zu Hause, als ein Trupp Soldaten auf<br />

der Suche nach ihrem Bruder Théophile ihr Elternhaus inspizierte. Die Soldaten drohten, ihre<br />

Mutter zu verhaften, um von ihr den Aufenthaltsort zu erzwingen. Um ihrer Mutter dies zu<br />

ersparen, bot sich Ferré statt ihrer als Gefangene an, was wiederum die Mutter nicht zulassen<br />

wollte. Zetkin sieht in diesem „edle[n] Wettstreit“ der beiden Frauen ein „lehrreiches Schauspiel“<br />

1454 , das zeige, dass die als „‘Megären der Kommune’“ 1455 verlästerten Kämpferinnen ein beson-<br />

deres Ehrempfinden besaßen. Beide Frauen hätten sich „einander die Ehre streitig […][gemacht],<br />

sich für eins ihrer Familienmitglieder opfern zu dürfen“ 1456 . H<strong>und</strong>ertfach habe sich diese Szene<br />

wiederholt <strong>und</strong> sie<br />

„rede[…] ganze Bände, auf welcher Seite, der bürgerlichen Geschichtsfälschung<br />

entgegen, während der Kommune Größe der Gesinnung zu finden war“ 1457 .<br />

Zetkin nutzte hier die Gelegenheit, dem bürgerlichen Bild proletarischer Verrohung das Bild einer<br />

höheren proletarischen Moral entgegenzusetzen.<br />

Es war schließlich die kranke Marie Ferré, die die die Soldaten begleiten musste. Ihre Erkrankung<br />

ließ sie während einer Nervenkrise fast bewusstlos werden <strong>und</strong> in diesem fatalen Zustand habe sie<br />

schließlich doch Angaben zum Aufenthaltsort ihres Bruders gemacht. Ihr Bruder wurde daraufhin<br />

gef<strong>und</strong>en, verurteilt <strong>und</strong> erschossen. 1458 Ihre Mutter erlitt einen psychischen Zusammenbruch <strong>und</strong><br />

starb in einer Irrenanstalt, während der Vater <strong>und</strong> der zweite Bruder, der später deportiert wurde,<br />

ins Gefängnis kamen.<br />

Die 20-jährige 1459 Ferré hatte nun ganz auf sich allein gestellt ein schweres Schicksal zu tragen.<br />

Zusätzlich musste sie sich, den Vater <strong>und</strong> den Bruder, die im Gefängnis schlecht versorgt waren,<br />

ernähren. Ihre Arbeitssuche blieb aber lange erfolglos, denn die Verwandten der<br />

1452 Ebd.<br />

1453 Ebd.<br />

1454 Ebd., S. 119.<br />

1455 Ebd.<br />

1456 Ebd.<br />

1457 Ebd.<br />

1458 Bei seiner Erschießung soll Théophile Ferré, so Zetkin, den „Muth[…] eines antiken Helden“ (ebd., S. 120)<br />

bewiesen haben.<br />

1459 Aus dieser Angabe lässt sich das ungefähre Geburtsjahr Ferrés schlussfolgern.<br />

523


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Kommunekämpfer wurden allgemein „wie Aussätzige gemieden oder auch wie Verbrecher<br />

betrachtet“ 1460 . Die Hilfe von Fre<strong>und</strong>en schlug sie aus, weil sie ihre Pflicht als Schwester <strong>und</strong><br />

Tochter als unteilbare Ehre erachtete. Nach mehrjähriger Haft wurde ihr Vater entlassen <strong>und</strong> 1880<br />

kam auch ihr Bruder Hippolyte in den Genuss einer Amnestie, die alle KommunekämpferInnen<br />

erhielten.<br />

Ihre Aufopferung für Familie <strong>und</strong> Revolution, die auch eine Art selbstgewählter Sühne für den<br />

„Verrat“ an ihrem Bruder Théophile gewesen sein dürfte, <strong>und</strong> die schwierige Lebenssituation<br />

verstärkten ein Herzleiden Ferrés. Sie starb 1882 <strong>und</strong> Zetkin war davon überzeugt, dass sie trotz<br />

der vielen Opfer nicht „mit dem Gefühl der Trauer um eine heldenkühne Niederlage der Idee,<br />

welcher sie gedient,“ 1461 aus dem Leben geschieden sei, sondern „mit der stolzen Zuversicht eines<br />

gewissen Sieges derselben“ 1462 .<br />

In Bew<strong>und</strong>erung <strong>und</strong> Sympathie widmete Louise Michel, die als „Rote Jungfrau“ berühmt wurde,<br />

Marie Ferré ihre „Memoiren“. Die beiden „edlen, hochherzigen Frauen“ 1463 habe, so Zetkin,<br />

„[e]ine tiefe, innige Fre<strong>und</strong>schaft <strong>und</strong> die leidenschaftliche Hingebung für gemeinsame Ideale“ 1464<br />

verb<strong>und</strong>en. So ist es nicht verw<strong>und</strong>erlich, dass auch Michel, die zudem Zetkin seit ihrer Zeit in<br />

Paris persönlich bekannt war, in der „Gleichheit“ als ein besonderes Vorbild sozialistischer<br />

Frauenbildung vorgestellt wurde.<br />

Im März 1893 schloss Nummer 5 der „Gleichheit“ mit der Ankündigung, die nächste Nummer als<br />

eine besondere Agitations-Nummer zu Ehren Michels zu gestalten. Sie sollte sowohl die Bio-<br />

graphie als auch Porträtbilder „der idealen Vorkämpferin des Proletariats“ 1465 enthalten. 1466 An den<br />

Anfang ihres Artikels stellte Zetkin die Behauptung, dass es keine ideale Gestalt gäbe, die Michel<br />

„an Größe <strong>und</strong> Lauterkeit der Gesinnung, an Hingabe des ganzen Ichs an eine hohe<br />

Idee, an freudiger Thatkraft […] überträfe“ 1467 .<br />

Michel sei „die Verkörperung schrankenloser Selbstaufopferung, flammender Begeisterung <strong>und</strong><br />

nicht rastenden Wirkens für ein großes Ziel“ 1468 , ein<br />

1460 Ebd.<br />

1461 Ebd.<br />

1462 Ebd.<br />

1463 Ebd.<br />

1464 Ebd.<br />

1465 [Ohne Titel, In:] GL, 03/ 05/ 08.03.1893/ 40.<br />

1466 Zetkin rechnete mit einem größeren Absatz dieser „Gleichheit“-Nummer, weshalb sie die zuständigen GenossInnen<br />

aufforderte, „etwaige Mehrbestellungen der Expedition […] rechtzeitig zukommen zu lassen“ (ebd.).<br />

1467 Louise Michel. In: GL, 03/ 06/ 22.03.1893/ 44.<br />

1468 Ebd.<br />

524


4.4.3 ZWEI KÄMPFERINNEN DER PARISER KOMMUNE<br />

„eigenthümliches Gemisch von glaubensfreudiger, um nicht zu sagen glaubensfanatischer<br />

Märtyrerin, thatenfreudiger Heldin <strong>und</strong> weichherziger Samariterin“ 1469 .<br />

Auch im Falle Michels griff Zetkin demnach auf die drei von ihr definierten Charaktertypen einer<br />

Kommunekämpferin zurück. Auch in diesem Falle trachtete Zetkin nach der Korrektur der<br />

bürgerlichen Propagandabilder, die aus einer „sozialrevolutionäre[n] Kämpferin“ 1470 eine „‘ent-<br />

menschte[…] Furie’“ 1471 oder „rasende[…] ‘Petroleuse’“ 1472 zu machen suchten.<br />

Als ein „Kind der Liebe“ 1473 sei Michel 1839 im Schloss Broncourt geboren worden. Sie war<br />

Tochter eines einfachen Dorfmädchens <strong>und</strong> dem Sohn einer Adelsfamilie, die es bemerkens-<br />

werterweise als selbstverständlich erachtete, das uneheliche Enkelkind in ihrem Hause auf-<br />

zunehmen <strong>und</strong> zu erziehen. Michel verbrachte eine glückliche Kinderzeit. Die Großeltern<br />

vermittelten ihr einen „liebevollen Sinn für die Natur, Verständniß <strong>und</strong> Begeisterung für die<br />

Poesie, für alles Schöne <strong>und</strong> Große“ 1474 . Es seien die Erzählungen des Großvaters von der Franzö-<br />

sischen Revolution gewesen, die in ihr außerdem „eine schrankenlose Freiheitsliebe“ 1475 entfesselt<br />

hätten.<br />

Nach dem Tod der Großeltern begann Michel eine Ausbildung zur Lehrerin. In ihrem Unterricht<br />

machte sie keinen Hehl aus ihren politischen Ansichten als Republikanerin <strong>und</strong> Gegnerin<br />

Napoleons III. Nach den zu erwartenden Problemen mit den Schulbehörden nahm sie eine<br />

Stellung an einer Pariser Privatschule an. Hier in Paris kam sie in Kontakt mit anderen Repu-<br />

blikanerInnen <strong>und</strong> wurde Mitglied verschiedener Geheimclubs. Sie befürwortete den Plan,<br />

Napoleon III. durch ein Attentat zu beseitigen, doch der „brudermörderische[…], kulturfeind-<br />

liche[…]“ 1476 Krieg mit Deutschland, so Zetkin, vereitelte die Durchführung desselben.<br />

Nach der Niederlage der französischen Truppen bei Sedan <strong>und</strong> der Gefangennahme Napoleons<br />

wurde in Paris die von Michel heißersehnte Republik ausgerufen. Zetkin analysierte die Situation<br />

jedoch wie folgt:<br />

1469 Ebd.<br />

1470 Ebd.<br />

1471 Ebd.<br />

1472 Ebd.<br />

1473 Ebd.<br />

1474 Ebd.<br />

1475 Ebd.<br />

1476 Ebd.<br />

1477 Ebd.<br />

„Die Regierungsform war gewechselt worden <strong>und</strong> hatte einen anderen Namen<br />

bekommen, aber das Wesen der französischen Staats- <strong>und</strong> Gesellschaftsverhältnisse<br />

war das gleiche geblieben.“ 1477<br />

525


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Die tatsächlichen gesellschaftlichen Umstände blieben unverändert, die Klassengegensätze traten<br />

schärfer denn je hervor. Und so brachen auch die Gegensätze zwischen Michel <strong>und</strong> ihren bis-<br />

herigen Kampfgenossen auf. Wenn Michel auch „Republikanerin mit Leib <strong>und</strong> Seele“ blieb, so<br />

war es doch nicht die „‘blaue’, bürgerliche Republik“ 1478 , sondern die „‘rothe,’ soziale Repub-<br />

lik“ 1479 , die kommunistische Gesellschaft, in der die „für Volksglück glühende Lehrerin“ 1480 „Brot,<br />

Wissen <strong>und</strong> Gesittung für Alle“ 1481 verwirklicht sah. So schloss sich Michel derjenigen Gruppe an,<br />

die später die Kommune begründen sollte, <strong>und</strong> beteiligte sich an Komitees <strong>und</strong> Wohlfahrtsaus-<br />

schüssen.<br />

Am 18. März 1871 wurde die Pariser Kommune proklamiert. Michel engagierte sich vor allem für<br />

die Agitation der Frauen. Sie versuchte, sie in Vereinen zu organisieren, um die Kommune-Mit-<br />

glieder, die durch die Militärtruppen der republikanischen Regierung verw<strong>und</strong>et wurden, zu<br />

pflegen, Lebensmittel zu verteilen <strong>und</strong> die Betreuung der Kinder zu gewährleisten. Ob beim<br />

Aufbau der Wälle <strong>und</strong> Barrikaden, dem Transport <strong>und</strong> der Pflege der Verw<strong>und</strong>eten oder dem<br />

Versuch, „Sterbenden die letzte St<strong>und</strong>e zu versüßen durch Hinweis auf das große Ziel, für das sie<br />

gefallen“ 1482 – Michel sei „barmherzige Samariterin“ 1483 <strong>und</strong> „kühne[…] Heldin“ 1484 zugleich<br />

gewesen.<br />

Weil man nach der äußerst blutigen Niederschlagung der Kommune nach Michel fahndete <strong>und</strong><br />

dabei ihre Mutter als Druckmittel hätte gefangen nehmen können, stellte sie sich schließlich frei-<br />

willig. Als Kriegsgefangene ins Versailler Gefängnis gebracht, nahm Michel erst die unwürdigen<br />

Haftbedingungen <strong>und</strong> dann auch das Urteil zur lebenslangen Verbannung auf die Halbinsel Ducos<br />

in Neukaledonien gelassen hin. Lediglich die Trennung von ihrer Mutter <strong>und</strong> ihrer besten<br />

Fre<strong>und</strong>in Marie Ferré quälte sie.<br />

Selbst in der Verbannung blieb Michel nicht untätig. Sie erlernte die Sprache der einheimischen<br />

Kanaken, sammelte einerseits deren Legenden <strong>und</strong> Dichtungen <strong>und</strong> erteilte ihnen andererseits<br />

Unterricht. 1485 Dank einer allgemeinen Amnestie nach Frankreich zurückgekehrt, setzte sie auch<br />

hier wieder die Agitationsarbeit für die Umwandlung der Gesellschaft fort. Ihren Lebensunterhalt<br />

verdiente sie sich durch literarische Arbeiten. Sie musste des Öfteren Gefängnisstrafen verbüßen<br />

1478 Louise Michel. In: GL, 03/ 06/ 22.03.1893/ 45.<br />

1479 Ebd.<br />

1480 Ebd.<br />

1481 Ebd.<br />

1482 Ebd.<br />

1483 Ebd.<br />

1484 Ebd.<br />

1485 Ebd.<br />

526


4.4.3 ZWEI KÄMPFERINNEN DER PARISER KOMMUNE<br />

<strong>und</strong> während einer ihrer Haftzeiten starb ihre Mutter. Diesen Verlust sollte Michel nie verwinden.<br />

Eine Begnadigung schlug sie aus, man musste sie sogar mit Gewalt aus dem Gefängnis entfernen.<br />

Für den Fall weiterer solcher exzentrischen Reaktionen drohten die Behörden ihr mit der Ein-<br />

lieferung in ein Irrenhaus.<br />

1890 ging Michel nach London <strong>und</strong> gründete dort eine internationale Schule für die Kinder der<br />

vielen in London lebenden politischen Flüchtlinge, die sich jedoch finanziell nicht halten konnte.<br />

Auch agitatorisch war Michel weiterhin tätig, die fremde Sprache erschwerte ihr Wirken jedoch in<br />

einem Maße, „daß der Name, der einst in Aller M<strong>und</strong>e war, heute nur noch selten in der sozialis-<br />

tischen Bewegung genannt wird“ 1486 .<br />

Ein anderer Gr<strong>und</strong> dafür, dass Louise Michels „Wirken ohne tiefere Bedeutung für den Fortgang<br />

der französischen Arbeiterbewegung“ 1487 blieb, lag in der „Unklarheit ihrer Anschauung, in man-<br />

gelndem Verständniß für den Werth der Organisation“ 1488 . Sie selbst habe offiziell keiner sozialis-<br />

tischen Partei angehört <strong>und</strong> sich auch nicht genug von den sie umschmeichelnden Anarchisten –<br />

„unter ihnen auch viele falsche Brüder, Spitzel <strong>und</strong> Lockspitzel“ 1489 – distanziert.<br />

Am 6. April 1904 erschien in der „Gleichheit“ ein Nachruf auf Michel. In diesem wurden viele<br />

der in der Agitationsnummer skizzierten Ereignisse im Leben Michels <strong>und</strong> ihre besonderen Cha-<br />

raktereigenschaften erneut vorgestellt. Zetkin, die diesen Nachruf verfasst haben dürfte, nutzte<br />

aber außerdem diese Gelegenheit, um der Pariser Kommune, die eine „friedliche[…] Diktatur der<br />

kleinbürgerlich-proletarischen Demokratie“ 1490 gewesen sei, „die blutige Diktatur der besitzenden<br />

Klassen“ 1491 gegenüberzustellen. Letztere sei eine „Schreckensherrschaft, gewalttätiger, greuel-<br />

belasteter als alle revolutionären Erhebungen des französischen Volkes im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert“ 1492<br />

gewesen.<br />

Vor diesem historischen Hintergr<strong>und</strong> erscheint die Gestalt Louise Michels umso leuchtender <strong>und</strong><br />

reiner. Während die Richter des 3. Kriegsgerichts in Versailles, dessen Verhandlung Michel auf<br />

der ganzen Welt bekannt machte, versucht hätten, sie als Furie, als „Bestie in Menschengestalt“ 1493<br />

darzustellen, war sie für Zetkin stets Lehrerin, Heldin, barmherzige Samariterin, Pflegerin <strong>und</strong><br />

1486 Ebd., S. 46.<br />

1487 Ebd.<br />

1488 Ebd.<br />

1489 Ebd.<br />

1490 Louise Michel †. In: GL, 14/ 08/ 06.04.1904/ 57.<br />

1491 Ebd.<br />

1492 Ebd.<br />

1493 Ebd.<br />

527


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Trösterin. 1494<br />

Nochmals betonte Zetkin die in sie gesetzten Erwartungen, die die Kommuneheldin nach ihrer<br />

Rückkehr aus der Verbannung jedoch enttäuscht habe:<br />

„Wohl schaute Louise Michel in der Verzückung einer Seherin die Insel der<br />

Seligen, welche der Sozialismus der erlösten Menschheit erschließt, dagegen<br />

erkannte sie nicht den Weg, der durch Sturm, Wogendrang <strong>und</strong> Klippen zu dem<br />

hehren Ziele führt.“ 1495<br />

Es sei die ihr mangelnde klare, geschichtliche Auffassung <strong>und</strong> politische Schulung gewesen, die<br />

sie weiterhin auf dem „Flugsand der sozialistischen Utopie“ statt auf dem „sicheren Boden des<br />

wissenschaftlichen Sozialismus“ stehen ließen. Mit jedem Fortschritt in der inneren Entwicklung<br />

der sozialistischen Arbeiterbewegung geriet Michel weiter ins Abseits. Aus ihr sei allmählich eine<br />

„sozial-revolutionäre[…] Eingängerin“ 1496 geworden, sich „eng <strong>und</strong> enger“ 1497 an die Anarchisten<br />

anschließend, die ihre „pseudorevolutionären Torheiten“ 1498 mit Michels berühmtem Namen<br />

schmückten. In London habe ihrer Agitation – erschwert durch das fremde Milieu – der „Re-<br />

sonanzboden“ 1499 gefehlt.<br />

Michel gehe in die Geschichte der sozialistischen Arbeiterbewegung ein als „Evangelistin <strong>und</strong><br />

Märtyrerin des sozialistischen Gedankens“. Ihr Verdienst waren „[n]icht selbstgeschmiedete,<br />

feingeschliffene, wissenschaftliche Formeln […], nicht Früchte politischer Reife <strong>und</strong> Weisheit“,<br />

da ihr das „systematische[…] Arbeiten <strong>und</strong> Ringen der Arbeiterklasse“ 1500 fremd war. Ihr<br />

Verdienst sei es vielmehr gewesen, „eine reiche Fülle revolutionärer sittlicher Werte“ 1501 hinter-<br />

lassen zu haben:<br />

„Im Toben des Klassenkampfes wie in der Stille ihres Privatlebens war sie durch<br />

die lebendige Macht des Beispiels eine große Erzieherin zur höchsten Bürgertugend,<br />

zur Einheitlichkeit von Sein <strong>und</strong> Tun.“ 1502<br />

Dieses Beispiel hatte auch Bedeutung für die deutschen <strong>Klassenkämpferinnen</strong>, denn die Situation<br />

unter dem Sozialistengesetz war der Zeit der Kommune sehr ähnlich. Es war nicht nur von Be-<br />

deutung, weil Michel in „ihrer Charaktergröße <strong>und</strong> Charaktereinheit“ anderen Kraft gab, „dem<br />

Wüten der Reaktion mannhaft zu trotzen, in glaubensfreudiger Unerschütterlichkeit für das sozia-<br />

1494 Vgl. ebd.<br />

1495 Ebd.<br />

1496 Ebd.<br />

1497 Ebd.<br />

1498 Ebd.<br />

1499 Ebd., S. 58.<br />

1500 Ebd.<br />

1501 Ebd.<br />

1502 Ebd.<br />

528


4.4.3 ZWEI KÄMPFERINNEN DER PARISER KOMMUNE<br />

listische Ideal zu kämpfen“ 1503 , sondern weil sie der Beweis dafür war, dass einem „kämpfenden<br />

Weib[…]“ nicht das<br />

„Erbarmen für fremde Leben <strong>und</strong> Leiden abstirbt, ja mehr noch, daß sein stärkster<br />

Heroismus aus seiner tiefsten Güte quillt“ 1504 .<br />

Michel – jederzeit die ganze Persönlichkeit für ihr Ideal einsetz[end]“ 1505 – habe sowohl als<br />

Besiegte nie ihren Stolz <strong>und</strong> ihre Würde, als auch als Ruhmumrauschte nie ihre Bescheidenheit<br />

<strong>und</strong> Einfachheit verloren 1506 , stets Menschenliebe <strong>und</strong> Überzeugungstreue bewiesen.<br />

Einerseits freudig erleichtert, aber andererseits peinlich berührt musste die „Gleichheit“-<br />

Redaktion ihren Leserinnen in der nächsten Nummer mitteilen, dass der Tod Michels eine<br />

Falschmeldung war. Diese sei eben nicht nur von den meisten anderen deutschen Zeitungen,<br />

sondern auch von der „Gleichheit“ gebracht worden. Michel war nicht in London gestorben,<br />

vielmehr befand sie sich schwer krank im französischen Toulon <strong>und</strong> war bereits wieder auf dem<br />

Wege der Besserung. 1507<br />

Nur ein knappes Jahr später jedoch – am 9. Januar 1905 – verstarb Michel tatsächlich. Zetkin<br />

selbst verfasste nun lediglich eine Notiz. Die „Gleichheit“ hatte ja bereits mit der Falschmeldung<br />

im März des vorigen Jahres Michels „Persönlichkeit <strong>und</strong> ihr Wirken ausführlich gewürdigt“ 1508 . Es<br />

habe, so Zetkin, nun „[e]in großes Herz, das ganz <strong>und</strong> gar den Armen <strong>und</strong> Enterbten gehörte, das<br />

leidenschaftlich für die höchsten Ideale der Menschheit glühte, […] aufgehört zu schlagen“ 1509 . Im<br />

Weiteren wiederholte sie den letzten Absatz ihres damaligen Nachrufes:<br />

„Ein Gelöbnis in der Seele, so grüßen wir voll unauslöschlicher Dankbarkeit die<br />

Tapfere <strong>und</strong> Edle, der aus leidenschaftlichem Mitgefühl für alle Menschennot der<br />

todesmutige Rebellentrotz einer revolutionären Kämpferin erwuchs; die als Besiegte<br />

ihren Stolz <strong>und</strong> ihre Würde, als Ruhmumrauschte ihre Bescheidenheit <strong>und</strong><br />

Einfachheit bewahrte; die in allen Bitternissen die Glut ihrer Menschenliebe, in<br />

allen Wechselfällen des Lebens die felsenfeste Überzeugungstreue unversehrt erhielt;<br />

[…].“ 1510<br />

Die Widersprüche im Leben der Louise Michel, die von Zetkin hier angeführt wurden, waren<br />

keine wirklichen Widersprüche <strong>und</strong> betrafen auch nicht ihre politische Gesinnung. Mit diesen<br />

1503 Ebd.<br />

1504 Ebd.<br />

1505 Ebd.<br />

1506 Ebd.<br />

1507 Eine gute Nachricht … In: GL, 14/ 09/ 20.04.1904/ 72.<br />

1508 Louise Michel †. In: GL, 15/ 02/ 25.01.1905/ 11.<br />

1509 Ebd.<br />

1510 Ebd.<br />

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ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

sollte sich aber Wilhelm Holzamer (1870-1907) 1511 in seinem ganz andersartigen Nachruf auf die<br />

Kommunardin beschäftigen.<br />

Der Lyriker <strong>und</strong> Schriftsteller hatte persönlich die letzte von Michel in Paris gehaltene Rede ge-<br />

hört <strong>und</strong> beschreibt sehr detailliert den tiefen Eindruck, den diese Begegnung auf ihn gemacht<br />

hatte <strong>und</strong> der überraschend anders ist:<br />

„Ihr Ende war längst vorauszusehen. Ihre letzte Krankheit im vorigen Winter hatte<br />

sie sehr geschwächt. Sie war nur noch ein Schatten nach ihr, ein Skelett.“ 1512<br />

Holzamers Bericht wirkt alles andere als geschönt. Kein Wort von der Frische einer Greisin, von<br />

einer ungebrochenen Kraft, die Michel ausgestrahlt haben könnte. Stattdessen die Beschreibung<br />

ihres verfallenden, verwelkenden Körpers, ihre blauädrigen Hände, ihrer gekrümmten Gestalt, in<br />

der man nie die berühmte Louise Michel vermutet hätte. Und auch ihr Auftritt sprach für ihren<br />

körperlichen Verfall:<br />

„Dann kam Louise von hinten hervor. Langsam, müde zerfallen. Sie kam von ‘den<br />

Pforten des Todes’ her. Und so ärmlich sah sie aus. Ein sehr einfaches schwarzes<br />

verschossenes Kleidchen in altmodischem Schnitt, ein kleines Kapottchen auf dem<br />

grauen Kopfe, das Haar dünn über die Schläfen gestrichen.“ 1513<br />

Lediglich in ihren Augen sei jene „große Güte, dieses gütige Weibsein, das ihr eigen war“, zu er-<br />

kennen gewesen <strong>und</strong> wenn ihr zahnloser M<strong>und</strong> erzählte, dann war „alles Milde in ihr“ erkennbar,<br />

dann war sie „ganz Weib <strong>und</strong> Hingebung“ 1514 . Andererseits schien sie nur schwach <strong>und</strong> gebrech-<br />

lich, denn sie hätte „die Ausdauer alter Leute, die nicht alt sein wollen. Sie hat noch viel zu sagen,<br />

sie wird es alles noch sagen.“ 1515<br />

Michel sprach bei jenem Auftritt in Paris gegen<br />

„die kleinen Gelegenheiten, wo der ganze Einsatz der Persönlichkeit versäumt<br />

worden, wo der Einzelne kein Ganzer gewesen war mit mutiger, rücksichtsloser<br />

Selbsttreue, wodurch er der Gesamtheit am schwersten geschadet, wodurch er die<br />

Gesamtheit in sich verraten <strong>und</strong> preisgegeben hatte“ 1516 .<br />

Sie appellierte auf die Weise besonders an die Frauen <strong>und</strong> Mütter, so Holzamer, an „ihren Einfluß<br />

auf den Mann, sein geistiges <strong>und</strong> politisches Leben, an ihren Einfluß auf die Erziehung der<br />

1511 Wilhelm Holzamer arbeitete 1889 als Lehrer in Heppenheim. 1901 übertrug ihm Großherzog Ernst Ludwig von<br />

Hessen die Leitung der „Darmstädter Spiele“ <strong>und</strong> seiner Kabinettsbibliothek. 1902-1905 lebte Holzamer in Paris,<br />

ab 1905 in Berlin. Holzamer verfasste u. a. verschiedene Frauenromane: „Inge“ (1903), „Ellida Solstratten“<br />

(1904), „Vor Jahr <strong>und</strong> Tag“ (1908). In dem autobiographischen Werk „Der Entgleiste“ (1910) verarbeitete er seine<br />

Pariser Zeit.<br />

1512 Holzamer, Wilhelm: Louise Michel. In: GL, 15/ 03/ 08.02.1905/ 14.<br />

1513 Ebd.<br />

1514 Ebd.<br />

1515 Ebd.<br />

1516 Ebd.<br />

530


4.4.3 ZWEI KÄMPFERINNEN DER PARISER KOMMUNE<br />

Kinder“ 1517 <strong>und</strong> daran, ihn für die Sache zu gewinnen. Holzamer hielt es im Weiteren aber für<br />

gerechtfertigt, auf eine inhaltliche Analyse ihrer Rede zu verzichten. Er bezeichnete diese als<br />

„dilettantisme, Dilettantismus, in einem besonderen Sinne“ 1518 . Dieser Dilettantismus habe zwar<br />

das „Höchste gemeinsam: Freiheit, Menschenrecht“ 1519 , aber entbehre die „gerade[…] Logik<br />

politischer Anschauung“ 1520 . Zwar sei dieses Höchste im Fall Michels alles andere als Phrase,<br />

denn „ein schweres Leben zeugte dafür, es war Tat“ 1521 . Zwar bewies Michel den „Mut der<br />

Märtyrer,[…] Idealismus der Überzeugung, […] Freudigkeit des Erduldens“ 1522 <strong>und</strong> in diesen<br />

Einzelheiten ihres Lebens liege das Packende ihrer Ausführungen, aber ansonsten fehle ihnen der<br />

„große Zug“ 1523 .<br />

Dies habe sich, so Holzamer weiter, auch in ihrer Weltanschauung widergespiegelt. Ihre<br />

Schwäche sei es gewesen, „in der Zufälligkeit stecken“ 1524 geblieben zu sein. Weil sie in der Tat<br />

aufging <strong>und</strong> nicht nach den tieferen Beweggründen fragte, war sie „auch Dilettant der<br />

Überzeugung“ 1525 , waren „Sozialismus <strong>und</strong> Anarchismus […] im Gr<strong>und</strong>e doch nur Mittel, nicht<br />

Zweck <strong>und</strong> Ziel“ 1526 . Michel, so Holzamer resümierend, „war ein Spätling, ihre Zeit war schon<br />

vorübergegangen“ 1527 . Und doch wollte er mit all dem, was er an ihrer politischen Einstellung<br />

kritisierte, „nicht die höchste Anerkennung [mindern], die ihr Charakter verdient, den ihr Leben<br />

ehrt“ 1528 .<br />

Es ist dieser „Überzeugungsdilettantismus“, den bereits Zetkin in ihrem Nachruf auf Michel – nur<br />

in weniger harten Worten – kritisierte <strong>und</strong> womit Michels Bedeutung als sozialistische Leitfigur<br />

sehr stark relativiert wurde. Entgegen dem von der proletarischen Frauenbewegung vertretenen<br />

Ideal, die Frauen zu wissenschaftlich geschulten Sozialistinnen zu erziehen, sei Michel „Revo-<br />

lutionärin aus Temperament, Sozialistin aus Gerechtigkeitsgefühl geblieben“ 1529 . Sie teilte nicht<br />

1517 Ebd.<br />

1518 Ebd. Auch ihre Sprache <strong>und</strong> ihr dichterisches Können sei lediglich dilettantisch – in jenem französischen Wortsinn<br />

– gewesen (vgl. ebd.).<br />

1519 Ebd.<br />

1520 Ebd.<br />

1521 Ebd.<br />

1522 Ebd.<br />

1523 Ebd.<br />

1524 Ebd.<br />

1525 Ebd.<br />

1526 Ebd.<br />

1527 Ebd.<br />

1528 Ebd.<br />

1529 Louise Michel. In: GL, 03/ 06/ 22.03.1893/ 46.<br />

531


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

die fortschrittliche Erkenntnis der modernen Arbeiterbewegung, dass die Umgestaltung der Ge-<br />

sellschaft Ergebnis der geschichtlichen Entwicklung sein würde – ihr war sie „eine sittliche Noth-<br />

wendigkeit“ 1530 . Diese Überzeugung war für Zetkin keine wahrhaft sozialistische Überzeugung.<br />

Und so sah sie Michels Bedeutung <strong>und</strong> damit ihre Vorbildfunktion nicht in dem, was sie bewirkt<br />

hat, sondern in ihrer Persönlichkeit:<br />

„in der Größe, Reinheit ihrer Gesinnung, in dem Heroismus <strong>und</strong> der Selbstlosigkeit<br />

ihres Thuns, der Wahrhaftigkeit <strong>und</strong> Einfachheit ihres Wesens. Ihr Leben <strong>und</strong><br />

Wirken war von dem großen Gesetz der Selbstaufopferung regiert, es bleibt ein<br />

leuchtendes Beispiel der vollen Hingabe eines ganzen, reichen Menschenlebens an<br />

eine Idee, eine ergreifende <strong>und</strong> begeisternde Bethätigung des ‘Alles für Andere’“<br />

1531 .<br />

Louise Michel, die „Rote Jungfrau“, wird in ihrer Bedeutung damit quasi auf die Stufe einer jener<br />

bürgerlichen Frauenleitfiguren degradiert, wie sie in Kapitel 4.5 dieser Arbeit noch skizziert<br />

werden. Es ist die prinzipielle Klarheit der richtigen politischen Anschauung, die eine sozialis-<br />

tische Klassenkämpferin von einem „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ unterscheidet. Hinsichtlich der<br />

Persönlichkeit Michels <strong>und</strong> ihrem besonderen Potential fiel ihre Beurteilung angesichts der<br />

enttäuschten Erwartungen besonders kompromisslos aus.<br />

1530 Ebd.<br />

1531 Ebd.<br />

532


4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />

4.4.4 Kämpferinnen der ersten St<strong>und</strong>e – Engagierte Proletarierinnen unter dem<br />

Sozialistengesetz<br />

Die „Gleichheit“ dokumentiert den Wandel innerhalb der proletarischen Frauenbewegung auch<br />

dadurch, dass sie ihren Leserinnen in Form von Nachrufen den tragischen Verlust engagierter<br />

Mitglieder anzeigen musste. Besonders die Reihen der „Alten“, der Kämpferinnen der ersten<br />

St<strong>und</strong>e, lichteten sich mehr <strong>und</strong> mehr. 1532 Auch diese hochverdienten Kämpferinnen lassen sich<br />

wiederum in verschiedene Gruppen differenzieren. Sie waren Frauen, die mit der Arbeiter-<br />

bewegung sympathisierten, Frauen, die Kleinarbeit in Agitation <strong>und</strong> Organisation betrieben <strong>und</strong><br />

Frauen, die Führungspositionen übernahmen. Gemeinsam ist ihnen allen der Schwerpunkt ihres<br />

Engagements in einer Zeit, in der auch die schlichte Sympathie für die Sozialdemokratie große<br />

„Scherereien“ einbringen konnte.<br />

4.4.4.1 Sympathisantinnen <strong>und</strong> „Parteikleinarbeit“ leistende Mitglieder<br />

Einer der ersten Nachrufe auf eine Kämpferin der ersten St<strong>und</strong>e, war derjenige auf Lina Kowald<br />

(?-1892) aus Stuttgart. Sie wurde darin als eine „treue, gesinnungstüchtige Genossin“ 1533 be-<br />

schrieben, die „[i]n der festen Ueberzeugung von der Gerechtigkeit der Sache des Proletariats“ 1534<br />

die Folgen ertrug, die sich aus dem politischen Engagement ihres ersten Ehemannes auch für sie<br />

ergaben. Auch ihr zweiter Mann, mit dem sie gemeinsam für drei „unerzogene“ 1535 Kinder sorgte,<br />

war ein Parteigenosse.<br />

Auch Marie Brader (?-1897), so ist aus ihrem Nachruf zu erfahren, stand viele Jahre treu zur<br />

Fahne der Sozialdemokratie <strong>und</strong> „bewährte […] sich als eine rührige <strong>und</strong> opferfreudige Kämp-<br />

ferin für die hehre Idee der Befreiung der Arbeiterklasse“ 1536 . Bis zu ihrem Lebensende, das von<br />

einem tückischen Leiden beschleunigt eintrat, war sie aktiv am Kampf beteiligt, hing sie der<br />

Arbeiterbewegung „mit glühender Seele“ 1537 an, war treue Ideen- <strong>und</strong> Kampfesgenossin“ 1538 .<br />

1532 Baader, Ottilie: Lina Scherzer – Berlin †. In: GL, 26/ 08/ 07.01.1916/ 57.<br />

1533 [Ohne Titel. In:] GL, 02/ 15/ 27.07.1892/ 126.<br />

1534 Ebd.<br />

1535 Ebd.<br />

1536 Ein[e] wackere Streiterin… In: GL, 07/ 22/ 27.10.1897/ 175.<br />

1537 Ebd.<br />

1538 Ebd.<br />

533


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Ein besonders langjähriges Mitglied der Bewegung war die im Alter von 81 Jahren verstorbene<br />

Lina Scherzer (?-1915). Laut ihrem von Baader verfassten Nachruf war sie ein stets rühriges<br />

Mitglied der proletarischen Frauenbewegung Berlins, aber über die Grenzen Berlins wohl kaum<br />

bekannt. Wie noch einige andere der folgenden Kämpferinnen der ersten St<strong>und</strong>e trug auch sie den<br />

Ehrennamen „Mutter Scherzer“. Geboren auf dem Lande als „echtes, rechtes Proletarierkind“ 1539<br />

musste sie bereits als Kind zum Familieneinkommen beitragen. Ihre Schulbildung war eine sehr<br />

ungenügende, so dass sie das Lesen erst später erlernte <strong>und</strong> das Schreiben für sie eine „unerlern-<br />

bare Kunst“ 1540 blieb – was daran lag, dass die harte Kinderarbeit ihre Finger hatte ungelenk<br />

werden lassen. Trotz der mangelnden Bildung „ergriffen die sozialistischen Lehren mit unwider-<br />

stehlicher Gewalt ihr Herz <strong>und</strong> Hirn […]. Sie wurden der Leit- <strong>und</strong> Hoffnungsstern ihres<br />

Lebens“ 1541 , dem sie zustrebte – nicht für Ansehen <strong>und</strong> Anerkennung, sondern aus „Pflicht-<br />

erfüllung“ 1542 . In ihrer ruhigen, sicheren Art war sie ein vorbildliches Parteimitglied, dem es<br />

angelegen war, „die Zahl ihrer Mitglieder zu vermehren, Abonnenten für die Presse zu gewinnen<br />

usw.“ 1543 . Sie leistete demnach vornehmlich die übliche Kleinarbeit, dennoch sprach an ihrem<br />

Grab sogar der Reichstagsabgeordnete Richard Fischer. In seiner Rede gedachte er mit Scherzer<br />

einer von<br />

„den Vielen, die ungenannt im stillen wirken, ihr Bestes geben <strong>und</strong> deren Treue<br />

<strong>und</strong> Aufopferungsfähigkeit eine der Kraftquellen der sozialistischen Bewegung<br />

ist“ 1544 .<br />

Die Bedeutung der Partei <strong>und</strong> das Verhältnis ihrer Mitglieder zu ihr wird besonders durch<br />

folgende Argumentation der „Gleichheit“ beleuchtet:<br />

„Hohe Ideale muß eine Partei verfechten, damit sie Charaktere von der Lauterkeit<br />

<strong>und</strong> dem rastlosen Eifer unserer Genossin Scherzer gewinnt <strong>und</strong> festhält.“ 1545<br />

Eine Partei <strong>und</strong> ihr Programm ist demnach nur so authentisch wie ihre Mitglieder – <strong>und</strong><br />

umgekehrt.<br />

Auch ? Trompeter (?-1897) hatte sowohl die Schwierigkeiten des Alltags als auch die des Sozia-<br />

listengesetzes zu bewältigen. Auch als ihr Ehemann aus politischen Gründen ausgewiesen wurde,<br />

„zog sie mit dem Gatten in die Fremde, ohne durch Murren oder Klagen seine moralische Wider-<br />

1539 Baader, Ottilie: Lina Scherzer – Berlin †. In: GL, 26/ 08/ 07.01.1916/ 57.<br />

1540 Ebd.<br />

1541 Ebd.<br />

1542 Ebd.<br />

1543 Ebd.<br />

1544 Ebd.<br />

1545 Ebd.<br />

534


4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />

standskraft zu schwächen <strong>und</strong> seine Sorgen zu mehren“ 1546 . Sie reisten nach London <strong>und</strong> in die<br />

Schweiz, kehrten dann aber nach Deutschland zurück. Trompeter teilte zwar vorbildlich die Ideale<br />

ihres Ehemannes <strong>und</strong> zog mit ihm die Konsequenzen, aber es war „nur“ „rege <strong>und</strong> verständnis-<br />

volle Sympathie“ 1547 , die sie für die sozialistische Bewegung hatte. Sie selbst war nicht aktiv, aber<br />

„[i]hr umsichtiges, rühriges Walten in Haus <strong>und</strong> Geschäft trug ganz wesentlich<br />

dazu bei, dem Gatten die Möglichkeit zu schaffen, wieder an erster Stelle in der<br />

politischen <strong>und</strong> gewerkschaftlichen Bewegung Frankfurts zu kämpfen“ 1548 .<br />

So leistete Trompeter, die außerdem Mutter eines Sohnes war, auf ihre Weise ihren Beitrag an der<br />

politischen Bewegung. Dies tat sie bis sie einer Lungenkrankheit erlag. Ihren Trauerzug geleiteten<br />

nicht nur 2.000 GenossInnen, sondern auch eine große Zahl von Polizisten – gerade so, als habe<br />

es sich bei der Trauergemeinde um „einen niederzuknüppelnden gewaltthätigen Auflauf“ 1549<br />

gehandelt. Die Polizei untersagte dem Parteivertrauensmann eine Ansprache <strong>und</strong> verhaftete ihn<br />

schließlich noch am Grab. Auch wenn diese besondere Anteilnahme der GenossInnen eher auf die<br />

Position ihres Ehemannes zurückzuführen sein dürfte, so hatte aber auch Trompeter ihren Anteil<br />

an der Größe der Partei, denn die „Gleichheit“ war der Meinung:<br />

„Eine Partei, in deren Reihen Tausende <strong>und</strong> Abertausende von Frauen vom Schlage<br />

der Genossin[…] Trompeter stehen <strong>und</strong> für ihre Ideale im tagtäglichen<br />

unscheinbaren <strong>und</strong> doch hochwichtigen Kampfe opfern <strong>und</strong> ringen, eine solche<br />

Partei ist unbesieglich.“ 1550<br />

Mit jeder Genossin vom Format einer Trompeter, die starb, wurde die Zukunft <strong>und</strong> der Charakter<br />

der Partei <strong>und</strong> der ihr zugehörigen Frauenbewegung jedoch ungewisser, die gezielte politische<br />

Schulung demnach immer dringlicher.<br />

Das Engagement Wilhelmine Lehmanns (?-1911) zur Zeit des Sozialistengesetzes wurde in ihrem<br />

Nachruf nicht näher beschrieben. 1905 war sie Mitbegründerin der proletarischen Frauen-<br />

organisation in Mannheim <strong>und</strong> später Vorsitzende der Organisation von Bezirk Neckarvorstadt.<br />

Die Ehefrau des Reichstagsabgeordneten Lehmann 1551 starb an den Folgen eines Schlaganfalls <strong>und</strong><br />

gab laut „Gleichheit“ „ein leuchtendes Beispiel, wie die Frau die Pflichten gegen die Familie mit<br />

1546 Zwei wackere Kämpferinnen … In: GL, 07/ 08/ 14.04.1897/ 61.<br />

1547 Ebd.<br />

1548 Ebd.<br />

1549 Ebd.<br />

1550 Ebd.<br />

1551 Da es nur einen Reichstagsabgeordneten mit Nachnamen Lehmann gab, muss es sich hier um Gustav Lehmann<br />

handeln. Er war gelernter Schreiner <strong>und</strong> bereits seit 1882 als Parteifunktionär <strong>und</strong> später als Mitarbeiter im SPD-<br />

Verlagswesen aktiv. Seit 1905 bekleidete Lehmann das Amt eines Stadtverordneten in Mannheim <strong>und</strong> 1907-1912<br />

das eines Reichstagsabgeordneten. Angaben zu seinem Familienstand fehlen in der BIOSOP-Datenbank jedoch.<br />

535


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

der Arbeit für die große Sache ihrer Klasse verbinden kann“ 1552 .<br />

Auch Johanna Schwartz‘ (1833-1912/ fast 80-jährig) Ehemann – Theodor Schwartz – war<br />

Reichstagsabgeordneter. Es war die Liebe zu ihm, die sie in die neue Ideenwelt führte. 1865<br />

heirateten sie <strong>und</strong> seit 1866 sei Schwartz nicht nur die „verständnis- <strong>und</strong> liebevollste Lebens-<br />

gefährtin“ 1553 ihres Ehemannes gewesen, sondern auch bekennende Sozialistin. Doch, so das<br />

Urteil der „Gleichheit“, habe Schwartz im Sozialismus „keine verstandesmäßige Lehre“ 1554 , son-<br />

dern „vielmehr eine Herzenssache [gesehen], deren warmer Schein das ganze Leben durch-<br />

drang“ 1555 . Obwohl sie gemeinsam mit ihrem Gatten 30 Jahre lang als Stewardess zur See fuhr,<br />

versäumte es „Mutter Schwartz“ nicht, auf den meisten Parteitagen <strong>und</strong> internationalen Kon-<br />

gressen anwesend zu sein. Auch wenn sie diese nicht als Delegierte besuchte, so sei sie doch eine<br />

„aufmerksame[…] Zuhörerin“ 1556 gewesen, „die mit geradezu religiöser Andacht den Verhand-<br />

lungen folgte <strong>und</strong> die Ideen in ihrem Herzen bewegt[…]“ 1557 habe.<br />

Unersetzliche Kleinarbeit war es, die Amalie Taubert (?-1913/ 65-jährig) zur Zeit des Sozialisten-<br />

gesetzes in Leipzig geleistet habe. So sah es die Leiterin der proletarischen Frauenbewegung<br />

Leipzigs Klara Wehmann (?-1915/ 56-jährig) in dem von ihr verfassten Nachruf. Taubert habe<br />

ihre Aufgaben stets gemeinsam mit ihrem Ehemann Gustav gemeistert, der als Zigarrenmacher<br />

arbeitete <strong>und</strong> zudem als Parteikolporteur wirkte. Sie war Mitglied der Freireligiösen Gemeinde,<br />

weil sie als Mutter einer großen Kinderschar diese nicht, so Wehmann, mit dem „Wust des<br />

Kirchenglaubens belasten“ 1558 wollte. Dieser kirchenkritischen Einstellung entsprechend verfügte<br />

sie, nicht beerdigt, sondern eingeäschert zu werden. Ein weiterer Gr<strong>und</strong> für diese Entscheidung<br />

dürfte der Eklat gewesen sein, den es 19 Jahre zuvor bei der Beerdigung ihres Ehemannes<br />

gegeben hatte. Damals war trotz des ausdrücklichen Wunsches des Verstorbenen <strong>und</strong> der Familie<br />

ein Geistlicher <strong>und</strong> ein Totengräber zur Beerdigung erschienen. Der dienstbeflissene Totengräber<br />

sprang sogar ins Grab hinein, um die mit roten Schleifen geschmückten Kränze wieder heraus-<br />

zuholen, wobei er aber fortdauernd mit noch mehr Kränzen beworfen wurde.<br />

Für die erstarkende proletarische Frauenbewegung hatte Taubert vor allem als Austrägerin<br />

1552 Blase, Therese: Wilhelmine Lehmann (Mannheim) †. In: GL, 21/ 18/ 05.06.1911/ 282.<br />

1553 Johanna Schwartz †. In: GL, 23/ 04/ 13.11.1912/ 58.<br />

1554 Ebd.<br />

1555 Ebd.<br />

1556 Ebd.<br />

1557 Ebd.<br />

1558 Wehmann, Klara: Amalie Taubert †. In: GL, 23/ 11/ 19.02.1913/ 171.<br />

536


4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />

(vermutlich auch der „Gleichheit“) gewirkt <strong>und</strong> sich außerdem der Arbeit in einer Konsum-<br />

genossenschaft gewidmet. 1559<br />

Es ist kein Nachruf, sondern ein Jubiläumsartikel zum 70. Geburtstag, in dem die Autorin Ottilie<br />

Baader an das Leben <strong>und</strong> den Werdegang Marie Klingners (1846-?) erinnerte. Frühzeitig Witwe<br />

geworden, habe Klingner im Sozialismus Glauben <strong>und</strong> „Zukunftshoffnung“ 1560 gef<strong>und</strong>en. Sie war<br />

eines der ersten Mitglieder in dem 1903/04 gegründeten politischen Frauenwahlverein <strong>und</strong><br />

außerdem von Beginn an Mitglied des „Vereins für Frauen <strong>und</strong> Mädchen der Arbeiterklasse“. Hier<br />

erledigte sie vor allem Kleinarbeiten. So übernahm sie z. B. die Mahnung beitragssäumiger Mit-<br />

glieder oder nahm regelmäßig an Versammlungen, Sitzungen <strong>und</strong> Leseabenden teil, um dort neue<br />

Mitglieder zu werben. Damit stand Klingner zwar auf keiner herausragenden Position innerhalb<br />

der proletarischen Frauenorganisationen, aber ihr Geburtstag gab Baader Gelegenheit, daran zu<br />

erinnern,<br />

„daß in unserer Partei gar viele sind, die mit gleichem Opfermut, gleicher Liebe<br />

<strong>und</strong> Treue die sozialistischen Lehren verbreiten helfen, <strong>und</strong> deren Namen man<br />

kaum kennt, Ungenannte <strong>und</strong> Unbekannte, die still in den Reihen der Massen als<br />

Teile des Ganzen mit der größten Hingabe sich betätigen“ 1561 .<br />

Wie bereits Zetkin, so zog auch Baader angesichts des besonderen Opfermutes, der von den<br />

AnhängerInnen der SPD bewiesen wurde, folgenden Rückschluss:<br />

„Eine Lehre, die in ihren Anhängern so viel Treue, Selbstlosigkeit <strong>und</strong> Opfermut<br />

erzeugt, wie wir das im klassenbewußten Proletariat finden, muß erhebend, beglückend,<br />

erlösend sein. Und das ist der Sozialismus.“ 1562<br />

Die Frauen opferten jedoch nicht nur, sie erhielten Vieles für ihr Engagement zurück. Manche<br />

Frauen fanden im Kampf für den Sozialismus eine besondere Erfüllung.<br />

So führte der Kampf für den Sozialismus auch ? Lorenz (?-1916/ 72-jährig) über „die engen<br />

Schranken eines Proletarierdaseins“ 1563 hinaus. Ein „scharfer Verstand“ 1564 <strong>und</strong> ein „heißes<br />

Herz“ 1565 hätten sie, so die „Gleichheit“, angetrieben, „diese Schranken geistig zu durchbrechen<br />

1559 Ebd.<br />

1560 [Baader, Ottilie] O.B.: Eine Jubilarin. In: GL, 26/ 25/ 01.09.1916/ 184.<br />

1561 Ebd., S. 185.<br />

1562 Ebd.<br />

1563 Genossin Lorenz, Kiel-Gaarden †. In: GL, 27/ 01/ 13.10.1916/ 7.<br />

1564 Ebd.<br />

1565 Ebd.<br />

537


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

<strong>und</strong> sich die weite Welt des Sozialismus zueigen zu machen“ 1566 . Im Sozialismus „fand sie ihre<br />

wahre Heimat, im Dienste des sozialistischen Ideals erwuchs ihr Glück <strong>und</strong> ungesuchte Ehre“ 1567 .<br />

Die Betonung, dass Lorenz diese Ehre nicht gesucht oder auf eine besondere Anerkennung spe-<br />

kuliert habe, passt zum Idealbild „selbstlose[r] Begeisterung“ 1568 . Unermüdlich war sie in der<br />

Parteikleinarbeit tätig, „die unter dem Ausnahmegesetz oft ebenso gefährlich als wichtig“ 1569<br />

gewesen sei <strong>und</strong> wurde 1905 zweite Vertrauensperson der Genossinnen von Gaarden. Bis ins<br />

Greisenalter blieb Lorenz für die sozialdemokratische Bewegung aktiv. Die „Gleichheit“ schloss<br />

ihren Nachruf mit den Worten:<br />

„Die Mahnung, ihr nachzueifern, ist das Vermächtnis dieses schlichten, ausgefüllten<br />

<strong>und</strong> edlen Lebens.“ 1570<br />

Es war ein Leben, das seine Erfüllung in der politischen Arbeit für die proletarische Frauen-<br />

bewegung gef<strong>und</strong>en hatte <strong>und</strong> zu dessen privater Seite die „Gleichheit“ nur zu erzählen hatte, dass<br />

auch ein „Lebensgefährte“ existierte.<br />

Ganz anders dagegen der Tenor des Jubliäumsartikels, den die „Gleichheit“ anlässlich Emilie<br />

Dittmers (1837-?) – „Mutter Dittmers“ – 80. Geburtstag veröffentlichte. Dittmer wurde als „Pro-<br />

letarierkind“ im mecklenburgischen Renitz geboren <strong>und</strong> wuchs als Waise bei ihrer Großmutter<br />

auf. Schon früh ging sie als Dienstmädchen in der Großstadt Hamburg in Stellung. Ihre Heirat, so<br />

L.F., sei Dittmer als eine „Erlösung aus der Unfreiheit des Dienstbotenlebens“ 1571 erschienen.<br />

Doch war sie gezwungen, als Heimarbeiterin hinzuzuverdienen <strong>und</strong> stand damit lediglich in einer<br />

anderen Art von Abhängigkeit. Diese noch gesteigert durch ihre Verantwortung <strong>und</strong> Belastung als<br />

Ehefrau <strong>und</strong> Mutter. Sie war 25 Jahre alt, als sie einen Haushalt zu versorgen <strong>und</strong> mehrere Kinder<br />

zu verpflegen hatte, von denen jedoch nur eine Tochter überlebte. Dittmer führte das für Heim-<br />

arbeiterinnen typische isolierte Leben. Doch ihr Ehemann vermittelte ihr, indem er sie mit der<br />

Tabakarbeiterbewegung <strong>und</strong> den sozialistischen Ideen bekannt machte, schließlich die Welt<br />

außerhalb ihres Heimes. 1572 Bereits zu Zeiten des Sozialistengesetzes wurde sie Mitglied des<br />

örtlichen Frauenvereins <strong>und</strong> half oft mit, „der Polizei ein Schnippchen zu schlagen“ 1573 .<br />

1566 Ebd.<br />

1567 Ebd.<br />

1568 Ebd.<br />

1569 Ebd.<br />

1570 Ebd.<br />

1571 L.F.: Mutter Dittmer 80 Jahre alt. In: GL, 27/ 09/ 02.02.1917/ 60.<br />

1572 Vgl. ebd.<br />

1573 Ebd.<br />

538


4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />

Nach dem Fall des Sozialistengesetzes wurde Dittmer SPD-Parteimitglied <strong>und</strong> 1907 wurde sie<br />

eines der ersten Mitglieder der Hamburger Dienstbotenorganisation – zu diesem Zeitpunkt war sie<br />

70 Jahre alt. Sie war nicht nur eine eifrige Leserin der Parteiliteratur, sondern auch regelmäßige<br />

Besucherin von Bezirks- <strong>und</strong> Distriktversammlungen. 1910 verblüffte sie die Hamburger Dele-<br />

gierten, weil sie trotz ihres hohen Alters plötzlich in Kopenhagen auf der Konferenz der Sozialis-<br />

tischen Fraueninternationale erschien.<br />

Doch auch Dittmer blieb von Schicksalsschlägen nicht verschont. Kurz nachdem sie 1912<br />

Goldene Hochzeit gefeiert hatte, verstarb ihr Ehemann, <strong>und</strong> bereits im ersten Jahr des Ersten Welt-<br />

krieges fiel ihr einziger Enkel an der Front. Die Verfasserin des Artikels wünschte der Jubilarin<br />

deshalb umso mehr, dass es ihr noch vergönnt sein solle, „die Segnungen des kommenden Frie-<br />

dens zu schauen“ 1574 .<br />

4.4.4.2 Risikoträgerinnen der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung <strong>und</strong> Pionierinnen der<br />

frühen proletarischen Frauenbewegung<br />

Die nun folgenden biographischen Skizzen sollen die Gefahren deutlich machen, denen sich die<br />

Anhängerinnen der Arbeiterbewegung zur Zeit des Sozialistengesetzes aussetzten <strong>und</strong> zeigen zu-<br />

gleich die Raffinessen auf, die die sozialistischen <strong>Klassenkämpferinnen</strong> anwandten.<br />

Eine jener <strong>Klassenkämpferinnen</strong> – überzeugt <strong>und</strong> opferfreudig von <strong>und</strong> für die sozialistische<br />

Sache – war Marie Musfeldt (?-1896). Sie wurde gemeinsam mit zwei weiteren Frauen unter dem<br />

Titel „Wackere Kämpferinnen“ 1575 geehrt. Für alle drei definierte Zetkin zu Beginn des Artikels,<br />

sie seien<br />

„„mehr als persönlich anziehende <strong>und</strong> sympathische Gestalten. Sie sind typische<br />

Vertreterinnen der proletarischen Kämpferinnen, typische Vertreterinnen des neuen<br />

idealen Geistes, der sich in der proletarischen Frauenwelt regt. Im Proletariat sind<br />

sie geboren, im Proletariat sind sie stehen geblieben. <strong>Von</strong> zartester Kindheit an bis<br />

zum Grabe schritt die Armuth, eine kalte, unfre<strong>und</strong>liche, herrische Begleiterin<br />

neben ihnen her <strong>und</strong> zeichnete ihrer Entwicklung <strong>und</strong> Bethätigung enge Bahnen.“<br />

1576<br />

Diese Typisierung ließ es unwesentlich erscheinen, detailliert auf Leben <strong>und</strong> Herkunft der Verstor-<br />

1574 Ebd.<br />

1575 Wackere Kämpferinnen. In: GL, 06/ 24/ 25.11.1896/ 188-189. Dieser Artikel enthielt außerdem die Nachrufe von<br />

Marie Ludwig (?-1896) <strong>und</strong> Agnes Schilling (?-1896/ 34-jährig). Die beiden Frauen werden, trotzdem Zetkin sie<br />

bewusst in ihrer Einheit als Kämpferinnen darstellen wollte, aufgr<strong>und</strong> ihrer verschiedenartigen Tätigkeiten für die<br />

proletarische Frauenbewegung bzw. ihr frühes Sterbealter in der vorliegenden Arbeit aber an anderer Stelle vorgestellt.<br />

1576 Ebd., 189.<br />

539


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

benen einzugehen. Im Falle von Musfeldt wurde daher tatsächlich weitgehend darauf verzichtet.<br />

Die zentrale Rolle spielte vielmehr ein Gerichtsprozess, in welchem sie <strong>und</strong> andere nach §128 <strong>und</strong><br />

§129 des Strafgesetzbuches unter Anklage standen, Geheimbündelei betrieben zu haben. Zuvor<br />

hatte im März 1887 die Polizei bei der als Marie Könemann geborenen Musfeldt eine Haus-<br />

suchung vorgenommen. In einem von ihr vermieteten Zimmer fand man ein Lager sozialistischer<br />

Druckschriften, Sammellisten <strong>und</strong> mehrere Kassenbücher. Daraufhin wurde die fast 60-jährige<br />

Musfeldt in Haft genommen, um von ihr den Namen ihres Mieters zu erzwingen. Die gef<strong>und</strong>enen<br />

Unterlagen galten als Beweis, dass in jenem Zimmer das Geschäftslokal der „geheim organisier-<br />

ten Genossen von Hamburg-Altona“ 1577 untergebracht sei. Erst nach fünf Monaten Untersuchungs-<br />

haft, in der Musfeldt dem Druck jedoch nicht nachgegeben hatte, <strong>und</strong> einem Gerichtsverfahren<br />

vor dem Altonaer Landgericht wurden alle 13 Angeklagten freigelassen. Mit ihrem mutigem<br />

Schweigen hatte Musfeldt nicht nur sich selbst <strong>und</strong> die zwölf Mitangeklagten gerettet, sondern<br />

auch viele weitere Arbeiter <strong>und</strong> Familienväter vor Gefängnis <strong>und</strong> Ausweisung bewahrt. 1578<br />

Sehr oft waren es die Herstellung <strong>und</strong> Verbreitung sozialdemokratischer Literatur, mit denen<br />

sozialdemokratische Frauen ihre Freiheit riskierten. So auch Marie Hoppe (?-1900/ 81-jährig),<br />

Wickelmacherin in der Tabakindustrie <strong>und</strong> ältestes Parteimitglied Bremens. Unter dem Sozialis-<br />

tengesetz, so ihr Nachruf in der „Gleichheit“, bot Hoppe nicht nur ihre Wohnung für geheime<br />

Treffen an, sie half auch, den „Sozialdemokrat“ zu schmuggeln <strong>und</strong> zu verstecken. Die neuen Lie-<br />

ferungen der illegalen Parteizeitschrift habe sie manchmal in einen Brotkorb gelegt, um sie dann<br />

in den örtlichen Armeekasernen zu verstecken. Gerade dort, so die „Gleichheit“ ironisch, hätten<br />

sich die Exemplare bis zu ihrer Verteilung in „bester Sicherheit“ 1579 bef<strong>und</strong>en. In Hoppe paarte<br />

sich jene gewiefte Risikobereitschaft mit einer innigen Begeisterung <strong>und</strong> einem aufopferungs-<br />

vollem Wirken, das auch keine finanziellen Opfer gescheut habe. Sie sei eine Klassenkämpferin<br />

gewesen, deren schlichtes Leben <strong>und</strong> Wirken „Tausenden <strong>und</strong> Abertausenden von Proletarierin-<br />

nen“ 1580 zurufe: „‘Gehet hin <strong>und</strong> thuet desgleichen!’“ 1581<br />

Der Nachruf auf Flora Schulze (?-1904/60-jährig) ist ein Beispiel dafür, wie sich die persönliche<br />

Betroffenheit einer „Gleichheit“-Autorin auf die Länge eines von ihr verfassten biographischen<br />

1577 Ebd.<br />

1578 Ebd.<br />

1579 Eine muthige <strong>und</strong> treue Kämpferin für die Befreiung des Proletariats … In: GL, 10/ 03/ 31.01.1900/ 21.<br />

1580 Ebd.<br />

1581 Ebd.<br />

540


4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />

Artikels auswirken konnte. Käte Duncker, die hinter den Initialen K. D. zu vermuten ist, scheint<br />

die Ehefrau des Gewerkschaftskartellsvorsitzenden Karl Schulze gut gekannt zu haben.<br />

Zumindest verfügte sie über viele Informationen aus deren 60 Jahre währendem „Proletarier-<br />

dasein voll Mühe <strong>und</strong> Arbeit, Entbehrungen <strong>und</strong> Enttäuschungen“ 1582 .<br />

Bereits als Kind hatte sie arbeiten müssen. Als 15-jähriges Mädchen ging sie nach Warschau, um<br />

dort bei einem Bruder ihrer Mutter als Dienstmädchen zu arbeiten. Anfang der 1860er Jahre<br />

kehrte sie aber auf Wunsch der Mutter <strong>und</strong> wegen in Polen ausgebrochener Unruhen nach<br />

Deutschland zurück. Es hielt sie jedoch nicht lange im Elternhaus, denn ihre Mutter verweigerte<br />

ihr die Erlaubnis für eine Liebesheirat. Schulze ging zurück nach Warschau, wo sie einen Mann<br />

russischer Herkunft heiratete. Diese Ehe verlief jedoch nicht glücklich <strong>und</strong> Anfang der 1870er<br />

Jahre kehrte Schulze ein weiteres Mal nach Deutschland zurück. Dort arbeitete sie erst als<br />

Schneiderin <strong>und</strong> dann als Zigarrenmacherin. Bereits vor Erlass des Sozialistengesetzes schloss<br />

sich Schulze der Leipziger Arbeiterbewegung an. 1889 erfuhr sie in Erfurt von der Gründung<br />

einer neuen Parteizeitschrift. Schulze stellte laut Duncker der Redaktion dieser Zeitschrift „ihr<br />

ganze[s] Besitztum zur Verfügung […], eine in fast zwei Jahrzehnten rastloser Arbeit ersparte<br />

Summe von 3000 Mark“ 1583 . So verdankte die „Thüringer Tribüne“ (1889-1897) ihre Entstehung<br />

zum Teil der „Opferfreudigkeit“ 1584 Flora Schulzes. 1890 heiratete sie Karl Schulze, der einer der<br />

ersten Redakteure der „Thüringer Tribüne“ war. In dieser Zeit wirkte Schulze als Agitatorin <strong>und</strong><br />

Rednerin. Schließlich gab das Ehepaar Schulze die Leitung der Zeitschrift ab <strong>und</strong> zog nach<br />

Bernburg. Da jedoch eine neue Existenzgründung fehlschlug, musste Schulze ihre Arbeit als<br />

Zigarrenmacherin wieder aufnehmen – sie als Meisterin, ihr Mann als ihr Geselle. Dies war eine<br />

glückliche Entscheidung <strong>und</strong> sie begannen einen gutgehenden Zigarrenverkauf in Wernigerode,<br />

welchen sie ab 1896 in Leipzig betrieben.<br />

In ihren letzten Lebensjahren trat Schulze zwar nicht mehr öffentlich in der Bewegung hervor,<br />

aber sie, so Duncker,<br />

„ermöglichte […] es dafür ihrem Manne, es zu tun. Damit er in Partei <strong>und</strong><br />

Gewerkschaft tätig sein konnte, stand sie von früh bis spät im Laden, nie hielt sie<br />

ihn zurück, im Gegenteil, sie spornte ihn an.“ 1585<br />

Sie selbst nahm nur noch an Maifeiern <strong>und</strong> Gewerkschaftsfesten teil oder besuchte<br />

Veranstaltungen des Leipziger „Vereins für Frauen <strong>und</strong> Mädchen der Arbeiterklasse“ 1586 . Diesem<br />

1582 [Duncker, Käte] K. D.: Flora Schulze – Leipzig †. In: GL, 14/ 25/ 30.11.1904/ 199.<br />

1583 Ebd.<br />

1584 Ebd.<br />

1585 Ebd.<br />

1586 Duncker war selbst Vorsitzende dieses Vereins.<br />

541


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

gehörte Schulze als Mitglied an <strong>und</strong> noch zwei Tage vor ihrem Tod besuchte sie eines seiner<br />

Treffen. 1587 Es ist auch dieser besondere Umstand, der Duncker schließlich zusammenfassen lässt:<br />

„Ihre Pflichttreue <strong>und</strong> Opferfreudigkeit, ihr Eifer, noch zu lernen, <strong>und</strong> ihr aufrichtiges<br />

Wesen mag den Genossinnen als Vorbild dienen.“ 1588<br />

Schulze hatte Vorbildfunktion sowohl als Klassenkämpferin als auch als „weiblicher Vollmensch“.<br />

Sie war bereit gewesen, der Arbeiterbewegung ihre eigene finanzielle Existenz zu opfern. Glück-<br />

licherweise aber hatte sie sich <strong>und</strong> ihrem Ehemann damit sogar letztendlich eine Existenz schaffen<br />

können.<br />

Der Nachruf Ernestine Schlossers (?-1904), der vermutlich von Zetkin verfasst wurde, birgt<br />

keine solche „Erfolgsgeschichte“ wie sie Schulze erlebt hatte. Schlosser erlebte stattdessen die<br />

volle Härte des Sozialistengesetzes während sie in Zwickau an der Verteilung des „Sozial-<br />

demokrat“ mitwirkte. Stets habe sie diese schwierige Aufgabe, so Zetkin, „[u]nerschrocken,<br />

umsichtig <strong>und</strong> geschickt“ 1589 erfüllt. Selbst als Schlosser bereits behördlich beobachtet wurde,<br />

„gelang es ihr doch aufs beste, die harrenden Genossen mit ihrem Organ zu versorgen“ 1590 . Doch<br />

dann fiel bei einer Haussuchung ein Exemplar der illegalen Zeitung in die Hände der Polizei. Die<br />

hochschwangere Schlosser hatte dieses einzige vorhandene Exemplar zuvor unter ihren Kleidern<br />

versteckt <strong>und</strong> gehofft, in ihrem Zustand keiner körperlichen Untersuchung unterzogen zu werden.<br />

Bei der von einem Polizisten dann aber doch vorgenommenen Leibesvisite sei „ihr das Blatt vom<br />

bloßen Leibe weg[genommen]“ 1591 worden. Diese Erniedrigung sei so groß gewesen, dass Schlos-<br />

ser laut Zetkin „glaubte diese schmachvolle Behandlung nicht überleben zu können“ 1592 . Noch in<br />

der Nacht – ihr Ehemann war noch nicht von seiner Schicht als Bergmann zurückgekehrt – wollte<br />

sie sich im nahen Mühlgraben ertränken. Da das kalte Wasser frühzeitige Geburtswehen auslöste,<br />

sei es das „Muttergefühl“ 1593 gewesen, das Schlosser von ihrem ursprünglichen Vorhaben abge-<br />

halten habe. Am rettenden Ufer brachte sie einen Sohn zur Welt <strong>und</strong> beide wurden schließlich von<br />

einer „Schildwache“ gef<strong>und</strong>en. Eine lange Zeit habe es gebraucht bis Schlosser „die ihr angetane<br />

Schmach <strong>und</strong> die tiefe Erschütterung ihres Innern zu überwinden“ 1594 vermochte.<br />

1587 Vgl. ebd.<br />

1588 Ebd.<br />

1589 Ernestine Schlosser †. In: GL, 14/ 27/ 28.12.1904/ 215.<br />

1590 Ebd.<br />

1591 Ebd.<br />

1592 Ebd.<br />

1593 Ebd.<br />

1594 Ebd.<br />

542


4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />

Eine solch heftige Reaktion auf eine Haussuchung <strong>und</strong> Leibesvisitation für eine Kämpferin der<br />

proletarischen Frauenbewegung ist eher ungewöhnlich. Schlossers Beispiel steht aber für alle zu<br />

einer Gefängnishaft verurteilten Mitglieder proletarischer Frauenorganisationen, die ähnliche Pro-<br />

zeduren über sich ergehen lassen mussten. Die Anstellung weiblicher Polizisten lag deswegen<br />

nicht nur im Interesse der Prostituierten, die immer wieder zu solcherlei Untersuchungen ge-<br />

zwungen wurden.<br />

Im Oktober 1905 starb nach „langem qualvollen Siechtum“ 1595 ? Jallandt (?-1905), die eine der<br />

„ersten begeisterten Trägerinnen der Frauenbewegung in Deutschland“ 1596 gewesen sei. Bereits<br />

Anfang der 1870er Jahre – „unter großen Schwierigkeiten <strong>und</strong> Opfern“ 1597 – war sie in der<br />

Aufklärung <strong>und</strong> Agitation proletarischer Frauen tätig. Jallandt war eine der Gründerinnen <strong>und</strong><br />

Leiterinnen des ersten sozialistischen Frauenvereins in Hamburg. Sie war darin auch in den<br />

1880er Jahren sehr aktiv <strong>und</strong> unterhielt Kontakte zu den von Hahn <strong>und</strong> Staegemann geleiteten<br />

Organisationen in Berlin. Während des Sozialistengesetzes habe so mancher Verfolgte nur deshalb<br />

Aufnahme in Hamburg gef<strong>und</strong>en, weil ihm Jallandt <strong>und</strong> ihr Ehemann den notwendigen Nachweis<br />

der Existenzmittel ermöglicht hätten. Sie habe eine unzerrüttbare Überzeugung besessen <strong>und</strong> blieb<br />

bis sie bettlägerig wurde ein rühriges Mitglied der Organisation.<br />

Trotz all dieser Verdienste musste die „Gleichheit“ feststellen, dass Jallandt „eine aus dem<br />

Gedächtnis der kämpfenden Proletarier Hamburgs fast Verschollene“ 1598 war. Diesem Vergessen<br />

versuchte die „Gleichheit“ entgegenzuwirken <strong>und</strong> gibt Jallandt ihre Bedeutung für die Geschichte<br />

der proletarischen Frauenbewegung zurück:<br />

„Ihr Herz gehörte bis zum letzten Schlage dem sozialistischen Ideal. Der tapferen,<br />

treuen Genossin Jallandt gebührt ein Ehrenplatz in der Geschichte der<br />

proletarischen Frauenbewegung. Sie muß von allen unvergessen sein, die für das<br />

Emporsteigen des Proletariats aus Nacht zum Licht ihre Kraft einsetzen.“ 1599<br />

Die „Gleichheit“ sah sich auch hier wieder bewusst als Bewahrerin von Frauengeschichte.<br />

Der Nachruf 1600 auf die in Crimmitschau verstorbene Marie Colditz (1827-1907/ 79jährig) bot<br />

1595 [Ohne Titel. In:] GL, 15/ 24/ 29.11.1905/ 142.<br />

1596 Ebd.<br />

1597 Ebd.<br />

1598 Ebd.<br />

1599 Ebd.<br />

1600 Der Nachruf war eine Nummer zuvor angekündigt worden. In der entsprechenden Notiz wurde hervorgehoben,<br />

dass Colditz in der Zeit des Sozialistengesetzes „der Partei durch ihren Mut <strong>und</strong> ihre Treue wertvolle Dienste<br />

geleistet (Genossin Colditz †. In: GL, 17/ 04/ 20.02.1907/ 28) habe. Deshalb behielt es sich Zetkin vor, noch eine<br />

ausführlichere Würdigung zu veröffentlichen.<br />

543


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Zetkin die Gelegenheit, die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> die Ereignisse im<br />

sächsischen Crimmitschau in den 1860er Jahren zu skizzieren <strong>und</strong> dabei auf die von ihr 1906<br />

verfasste Artikelserie „Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland“ zu ver-<br />

weisen. 1601 Bereits zu jener Zeit der Illegalität sei Colditz zwar keine junge Frau mehr gewesen,<br />

aber<br />

„jugendlich war die Begeisterung, mit der sie sich der Arbeitersache widmete,<br />

jugendlich der Haß, den sie gegen jede Ungerechtigkeit, gegen Gemeinheit <strong>und</strong><br />

Kriecherei im Herzen hegte“ 1602 .<br />

Nicht im großen, aber im kleinen Kreis habe sie als Rednerin gewirkt <strong>und</strong> in dem „zeitweilige[n]<br />

Hauptquartier“ 1603 , der Gastwirtschaft, die sie zur Zeit des Sozialistengesetzes mit ihrem Ehemann<br />

August betrieb, Flüchtlinge versteckt. Zudem diente ihr Haus als Umschlagsort für illegale Litera-<br />

tur:<br />

„Viele verbotene Früchte vom Baume der Erkenntnis lagen in seinen bescheidenen<br />

vier Wänden gut verborgen aufgestapelt <strong>und</strong> wurden von dort aus nach anderen<br />

Orten Deutschlands verbreitet“ 1604 .<br />

Sobald eine Haussuchung wieder einmal glücklich überstanden war, habe sich „Mutter Colditz“<br />

auf den Weg gemacht, um Botengänge zu besorgen <strong>und</strong> den „Schweizer Käse“ („Sozialdemo-<br />

krat“) 1605 an seinen Bestimmungsort zu transportieren.<br />

Die Tage, an denen die Handarbeiterinnen ihre Waren in die Stadt brachten, so Zetkin bereits in<br />

ihrer erwähnten Artikelserie, waren für Colditz „Arbeitstage <strong>und</strong> Festtage der Seele“ 1606 , denn<br />

dann habe sie keine Gelegenheit zur Agitation ausgelassen. Sie sei ein „‘Typ vom kernges<strong>und</strong>en,<br />

zielklaren Charakter jener ausgesprochen proletarischen Bewegung’“ 1607 gewesen, habe über „agi-<br />

tatorische Veranlagung, […] kluge[n] Sinn […] [<strong>und</strong>] Energie“ 1608 verfügt. „‘[A]usdauernd, opfer-<br />

mutig’“ war sie „‘der Schrecken aller Halben <strong>und</strong> Undurchsichtigen’“ 1609 , die ihr Haus betraten.<br />

Zusammen mit Colditz <strong>und</strong> den Ereignissen in Crimmitschau 1869 müssen drei weitere Frauen<br />

genannt werden, zu deren Biographien jedoch deutlich weniger in der „Gleichheit“ zu finden ist –<br />

tatsächlich nur in jener Artikelserie. Wilhelmine Weber (?-?) <strong>und</strong> Christiane Peuschel (?-?)<br />

1601 Vgl. Genossin Marie Colditz … In: GL, 17/ 05/ 06.03.1907/ 36.<br />

1602 Ebd.<br />

1603 Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 169.<br />

1604 Genossin Marie Colditz … In: GL, 17/ 05/ 06.03.1907/ 36.<br />

1605 Ebd.<br />

1606 Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 169.<br />

1607 Ebd. Vermutlich war es Julius Motteler, der hier von Zetkin zitiert wurde.<br />

1608 Ebd.<br />

1609 Ebd.<br />

544


4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />

waren Mitglieder eines Komitees, das durch die Internationale Gewerksgenossenschaft der Manu-<br />

faktur-, Fabrik- <strong>und</strong> Handarbeiter eingesetzt worden war, um einen allgemeinen Kongress der<br />

Manufaktur-, Fabrik- <strong>und</strong> Handarbeiter in Leipzig zu organisieren. Beide waren Handarbeite-<br />

rinnen 1610 <strong>und</strong> sollten sich zu „geschickten[…] Debattenrednerinnen“ 1611 entwickeln, die es<br />

„durch gut gewählte Fragen [verstanden], die Verhandlungen zu beleben, praktische<br />

Anregungen zu geben <strong>und</strong> das Interesse der Frauen für die Organisation <strong>und</strong><br />

ihre Ziele zu wecken“ 1612 .<br />

Drei Jahre später nutzte Peuschel die Gelegenheit als Delegierte auf dem ersten deutschen Weber-<br />

tag vom 28.-30. März 1871 in Glauchau, die Ideen der von ihr mitgegründeten Gewerksgenos-<br />

senschaft zu verbreiten <strong>und</strong> sich gegen die Ausgrenzung der Frau aus der Erwerbsarbeit zu<br />

wenden. 1613 Peuschels Diskussionsbeiträge, so Zetkin,<br />

„künden unzweideutig die Schule der Internationale. Sie erweisen des weiteren,<br />

daß die Internationale Gewerksgenossenschaft Kämpferinnen umschloß, die den<br />

Männern nicht bloß gleichberechtigt, sondern auch ebenbürtig an Fähigkeiten <strong>und</strong><br />

Schulung waren. Denn wahrlich, an sachlichem Wert, an Klarheit, Bestimmtheit<br />

<strong>und</strong> Logik des Gedankens übertrafen Frau Peuschels Ausführungen die Reden<br />

zahlreicher männlicher Delegierter <strong>und</strong> stellten sich denen der geschultesten Köpfe<br />

ebenbürtig zur Seite.“ 1614<br />

Durch diese überzeugenden Leistungen habe die Handarbeiterin aus Crimmitschau, die<br />

„Vorkämpferin der klassenbewußten Proletarierinnen“ 1615 , Anteil daran gehabt, dass auf dem Kon-<br />

gress eine Resolution Bebels angenommen wurde, welche den Kampf für die gleichberechtigte<br />

Aufnahme von Frauen in die Gewerkschaften <strong>und</strong> ihre gleiche Entlohnung forderte. 1616 Schließlich<br />

engagierte sich Peuschel nicht mehr politisch. Sie – eine „sehr begabte <strong>und</strong> gutgeschulte Genos-<br />

sin“ 1617 – schien „aus dem Kampfe verschollen zu sein“ 1618 .<br />

Weber, die zu den Versammlungen meist in Begleitung ihrer Söhne erschien <strong>und</strong> „wie eine Mutter<br />

begrüßt“ 1619 worden sei, habe wie ihre Genossinnen keine Gelegenheit ausgelassen, um in<br />

1610 Vgl. Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 21/ 17.10.1906/<br />

146-147.<br />

1611 Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 23/ 14.11.1906/ 162.<br />

1612 Ebd.<br />

1613 Vgl. Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 22/ 31.10.1906/<br />

154.<br />

1614 Vgl. ebd.<br />

1615 Vgl. ebd.<br />

1616 Ebd.<br />

1617 Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 170.<br />

1618 Ebd.<br />

1619 Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 23/ 14.11.1906/ 162.<br />

545


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

persönlichen Gesprächen für die Sache zu werben <strong>und</strong> so als eine der „Sendbotinnen des<br />

Sozialismus“ 1620 zu wirken – vor allem unter den Frauen:<br />

„In gemütlicher Aussprache öffneten sich die Herzen, auf die Lippen drängten sich<br />

Klagen über die Leiden, welche der Ausgebeuteten Erbteil sind. Die Genossinnen<br />

entzündeten an den schwachen Fünkchen der Hoffnung auf bessere Zeiten die hell<br />

lodernde Flamme der Begeisterung für die sozialistische Freiheit, Gleichheit,<br />

Brüderlichkeit, das strahlende Licht des Glaubens an die Befreiung der Arbeit<br />

durch die Erkenntnis <strong>und</strong> den Willen der Arbeitenden selbst.“ 1621<br />

Neben der Vorliebe Zetkins, pseudoreligiöse Vergleiche anzustellen, wird an dieser Stelle die<br />

frauenspezifische Agitationstaktik der proletarischen Frauenbewegung deutlich. Weber wanderte<br />

später aus <strong>und</strong> suchte, so Zetkin, „jenseits des großen Wassers Glück <strong>und</strong> Stern“ 1622 . Aber auch in<br />

den USA habe sie durch Beiträge in deutschsprachigen Parteiblättern ihre „treue Mitarbeit an der<br />

Bewegung bezeug[t]“ 1623 .<br />

Während Weber, Colditz <strong>und</strong> Peuschel in Crimmitschau in der Sache der Proletarierinnen wirkten,<br />

war ? Misselwitz(?-?) in Chemnitz „bestrebt, Kopf <strong>und</strong> Herz der Proletarierinnen für die<br />

sozialistischen Ideen zu erobern“ 1624 . Misselwitz sei bereits „ein älteres Mädchen“ gewesen. Sie<br />

kam von den Lasalleanern zu der Internationalen Gewerksgenossenschaft, „vergaß am Quartals-<br />

schluß nie, ihre Mitgliedskarte zu erneuern, <strong>und</strong> führte diese stets mit Stolz bei sich“ 1625 . Zetkin<br />

zitierte Motteler, der von Misselwitz schrieb:<br />

„‘Sie verkörperte den typischen, aber freiwilligen britischen walking-delegate …,<br />

belesen, redegewandt, von kluger Disputierlust <strong>und</strong> einem meisterhaften Erzähler-<br />

<strong>und</strong> Lehrtalent war sie in Chemnitz freiwillige Propagandistin für die Gewerkschafts-<br />

<strong>und</strong> Parteisache zugleich. …’“ 1626<br />

Als Gr<strong>und</strong> dafür, dass Misselwitz nie ein offizielles Amt übernahm, nannte der SPD-Politiker<br />

Julius Vahlteich ihr starkes Hinken. Wegen dieses Leidens habe sie hauptsächlich „‘in kleinerem<br />

Kreise <strong>und</strong> in den Familien, wo sie schneiderte oder Gast war’“ die „‘sozialistischen Gr<strong>und</strong>sätze<br />

<strong>und</strong> Ziele’“ 1627 gelehrt.<br />

Für Vahlteich, der sie während einer Kampagne in Chemnitz 1872-1878 kennengelernt hatte, war<br />

1620 Ebd.<br />

1621 Ebd.<br />

1622 Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 170.<br />

1623 Ebd.<br />

1624 Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 23/ 14.11.1906/ 162.<br />

1625 Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 169.<br />

1626 Motteler zit. nach: Ebd. Zetkin nannte als ihre Quellengr<strong>und</strong>lage lediglich Briefe von Motteler <strong>und</strong> Vahlteich, gab<br />

jedoch keinen literarischen Beleg an.<br />

1627 Julius Vahlteich zit. nach: Ebd.<br />

546


4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />

„‘die arme verwachsene Näherin’“ 1628 gleich einem Sueschen (?-?) Roman entsprungen. Sie habe<br />

„‘ein so heißes Herz’“ 1629 gehabt, eine Genossin,<br />

„‘die so heiß <strong>und</strong> hoffnungslos liebte <strong>und</strong> so bescheiden <strong>und</strong> opferwillig für andere<br />

lebte. Ihr Eifer im Parteidienst war mustergültig für jeden Mann. Es war das<br />

Pflichtgefühl, <strong>und</strong> nur dieses, was sie zu jedem Opfer bereit machte.’“ 1630<br />

Vahlteich erinnerte sich nicht, dass Misselwitz<br />

„‘etwas besonderes Hervorragendes getan hätte, wodurch die allgemeine Aufmerksamkeit<br />

auf sie gelenkt worden wäre, aber sie war bei allem dabei, <strong>und</strong> man konnte<br />

darauf rechnen, daß sie eine übernommene Pflicht voll <strong>und</strong> ganz erfüllte’“ 1631 .<br />

Schließlich war Vahlteich der Meinung, dass die Verdienste von Misselwitz <strong>und</strong> ihrer<br />

Genossinnen in ihrer Bedeutung für den sozialen Kampf nicht hoch genug eingeschätzt werden<br />

könnten <strong>und</strong> dass Frauen <strong>und</strong> Mädchen „‘innerhalb <strong>und</strong> außerhalb der Parteikreise’“ 1632 – „‘sofern<br />

sie sich am öffentlichen Leben beteilig[t]en’“ 1633 – oft „‘eifriger, ausdauernder <strong>und</strong> pflichtgetreuer<br />

arbeite[te]n als die Männer’“ 1634 . Misselwitz, so die Information Vahlteichs, wanderte in den<br />

1890er Jahren nach Milwaukee in den USA aus, wo sie auch starb.<br />

Zetkins in ihre Artikelserie eingeflossenen biographischen Skizzen waren nur mittels der<br />

gesammelten Aufzeichnungen <strong>und</strong> Dokumente des „roten Postmeisters“ Motteler möglich gewe-<br />

sen. Ohne diese wären jene Frauen in vollständige Vergessenheit geraten. Zetkin gab deshalb mit<br />

Nachdruck die Aufforderung Mottelers weiter:<br />

„Sammelt die Bausteine zu einer proletarischen Frauenbewegung, solange die<br />

Dokumente nicht zerfallen <strong>und</strong> verweht sind, die von ihren ersten Anfängen erzählen,<br />

solange die Persönlichkeiten noch leben, die ihre ersten Pioniere gewesen<br />

sind.“ 1635<br />

Eine Anregung, die von Zetkin <strong>und</strong> vielen der „Gleichheit“-Mitarbeiterinnen aufgegriffen wurde.<br />

Auch Katharina Kellner (?-1910), so erfährt man aus ihrem von Hermann Bender (1846-<br />

1910) 1636 verfassten Nachruf, war bereits während des Sozialistengesetzes für die Partei tätig ge-<br />

1628 Julius Vahlteich zit. nach: Ebd.<br />

1629 Julius Vahlteich zit. nach: Ebd.<br />

1630 Julius Vahlteich zit. nach: Ebd.<br />

1631 Julius Vahlteich zit. nach: Ebd.<br />

1632 Julius Vahlteich zit. nach: Ebd.<br />

1633 Julius Vahlteich zit. nach: Ebd.<br />

1634 Julius Vahlteich zit. nach: Ebd.<br />

1635 Ebd., S. 170.<br />

1636 Vermutlich handelt es sich um Hermann Ign. Jos. Bender, den in Koblenz geborenen Sohn eines Fabrikanten.<br />

Dieser studierte in Vorbereitung darauf, den Betrieb seines Vaters zu übernehmen, Naturwissenschaften. Nachdem<br />

547


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

wesen. In Frankfurt am Main betrieb sie als Witwe des Malers Gils das am Paulsplatz gelegene<br />

Restaurant „Zum Hainerhof“, in welchem sie Flüchtige versteckte. Bender ist sich sicher:<br />

„Wenn die Wände reden könnten, so würden sie von manchen Schnippchen<br />

erzählen, das die Verstorbene der preußischen Polizei schlug.“ 1637<br />

Stets habe sie sich trotz des auf ihr lastenden Drucks „liebe- <strong>und</strong> verständnisvoll“ 1638 um die<br />

Verfolgten gekümmert. 1908 zog sie mit ihrem zweiten Ehemann – einen Monteur, der in Italien<br />

durch einen Unfall zum Invaliden geworden war – <strong>und</strong> den zwei erwachsenen Kindern nach<br />

Preungesheim, einem Stadtteil von Frankfurt am Main. Auch dort engagierte sie sich im örtlichen<br />

sozialdemokratischen Verein, bevor sie schließlich nach langer Krankheit verstarb.<br />

Im „schwarzen Winkel“ des Rheinlandes, in Düren, hatte für den Sozialismus Julie Heusgen<br />

(1866-1911) gewirkt. Dann erlag sie wie die „Gleichheit“ betonte einer „Proletarierkrankheit“ 1639 ,<br />

der Knochentuberkulose.<br />

Heusgens Vater, ein Schuhmacher <strong>und</strong> bekennender Sozialist, versteckte zur Zeit des<br />

Sozialistengesetzes Flüchtlinge. Schon früh drang deshalb „die Sonne sozialistischer Erkenntnis“<br />

1640 auch in das Herz seiner Tochter. Heusgen heiratete einen Gesellen ihres Vaters <strong>und</strong> gemeinsam<br />

zog das „‘gefährliche Paar’“ 1641 – so die „Gleichheit“ ironisch zur Einschätzung der Behörden –<br />

ins Rheinland. Bis zu einer gerichtlich verfügten Kündigung war ihre Wohnung unter den<br />

GenossInnen nur als das „Revolutionsbureau“ 1642 bekannt, denn hier fanden Versammlungen,<br />

März- <strong>und</strong> Maifeiern statt. Die Agitation für die Sache der kämpfenden Arbeiterklasse sei<br />

Heusgen „Lebenslust <strong>und</strong> Glück“ 1643 gewesen. 17 Jahre lang war sie Austrägerin der „Rheinischen<br />

Zeitung“ <strong>und</strong> für die „Gleichheit“ habe sie „manche frische Korrespondenz“ 1644 verfasst. Jahrelang<br />

vertrat sie außerdem als Delegierte im Gewerkschaftskartell den Transportarbeiterverband. Trotz<br />

dieses umfangreichen Engagements sei Heusgen stets auch ihren Pflichten als Mutter <strong>und</strong> Gattin<br />

jedoch das elterliche Vermögen verloren ging, trat Bender als Telegraphen-Ingenieur der Eisenbahn in den<br />

Staatsdienst. Später wurde er Schriftsteller <strong>und</strong> Lyriker. Manche seiner eher volkstümlichen <strong>und</strong> patriotischen<br />

Gedichte wurden vertont. Zu seinen Werken zählen: „Dornen <strong>und</strong> Rosen“ (Gedichte 1894), „Rom <strong>und</strong> römisches<br />

Leben im Altertum“ (o.J.; 2. verbesserte Aufl. 1898), „Vagantenlieder“ (1899), „Toggenburger Lied aus dem<br />

dreizehnten Jahrh<strong>und</strong>ert“ (1900), „Volkstümliche Dichtungen“ 6 Bde. 1910ff.).<br />

1637 Bender, Hermann: Genossin Katharina Kellner – Preungesheim †. In: GL, 21/ 05/ 05.12.1910/ 76.<br />

1638 Ebd.<br />

1639 Julie Heusgen, Düren †. In: GL, 21/ 11/ 27.02.1911/ 170.<br />

1640 Ebd.<br />

1641 Ebd.<br />

1642 Ebd.<br />

1643 Ebd.<br />

1644 Ebd., S. 171. Beispiele für das Wirken Heusgens als „Gleichheit“-Korrespondentin konnten im Rahmen der<br />

548<br />

angestellten Recherchen nicht gef<strong>und</strong>en werden.


4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />

nachgekommen <strong>und</strong> habe „[w]ie stoisch […] für sich Entbehrungen <strong>und</strong> Herzeleid getragen“ 1645 .<br />

Damit, so die „Gleichheit“ weiter,<br />

„bestätigte [Heusgen] jenes stille Dulder- <strong>und</strong> Heldentum, das der sozialdemokratischen<br />

Bewegung Kraft <strong>und</strong> Schwung verleiht“ 1646 .<br />

Auffällig ist hier dieses offene Bek<strong>und</strong>en, dass die Arbeiterbewegung nicht nur auf die aktive<br />

Mitwirkung der Frauen, sondern auch auf ihr „stilles Duldertum“ setzte.<br />

Mit Heusgen trat in dieser Arbeit bereits eine derjenigen Frauen auf, die als gewerkschaftlich<br />

organisierte Mitglieder <strong>und</strong> als Delegierte ihres Verbandes exponierte Positionen innehatten. Im<br />

Folgenden kommen Frauen hinzu, die ähnliche Positionen oder Positionen der sich entwickelnden<br />

proletarischen Frauenbewegung, z. B. als Vorsitzende eines Frauenbildungsvereins oder als Ver-<br />

trauensperson bekleideten. Sie wurden dadurch auch ein besonderes Ziel behördlicher Willkür.<br />

Marie Ludwig (?-1896), so erzählte vermutlich Zetkin in einem Nachruf rückblickend auf die<br />

politische Tätigkeit der Verstorbenen, wurde als Vorstandsmitglied des letzten Berliner „Bildungs-<br />

vereins für Frauen <strong>und</strong> Mädchen“ gerichtlich verurteilt. Dies <strong>und</strong> das Verbot des Vereins hinderten<br />

sie jedoch nicht, später das erste Mitglied der Berliner Arbeiter-Bildungsschule zu werden <strong>und</strong> in<br />

dieser bis zu ihrem Tod aktiv zu sein. Ihr politisches Engagement, ges<strong>und</strong>heitliche Probleme,<br />

„harte Arbeit, wie sie die Dürftigkeit der proletarischen Existenz mit sich bringt“ 1647 , <strong>und</strong> auch<br />

Schwierigkeiten wie die Arbeitslosigkeit ihres Ehemannes, so Zetkin, hinderten sie jedoch nicht,<br />

sowohl „den Pflichten in der Familie […][als auch] den Pflichten als Klassenkämpferin<br />

gerecht“ 1648 zu werden. Selbst kinderlos geblieben, nahm Ludwig sogar zwei Waisenkinder (fünf<br />

<strong>und</strong> zehn Jahre alt) auf, „die sie mit opferfreudiger Liebe erzog[en]“ 1649 habe.<br />

Laut ihres in der „Gleichheit“ veröffentlichten Nachrufs war Dorothea Piele (?-1897) maßgeblich<br />

am Aufbau der proletarischen Frauenorganisationen in Berlin beteiligt. <strong>Von</strong> Beginn an war sie<br />

Mitglied der örtlichen Filiale der Offenbacher Frauen-Krankenkasse <strong>und</strong> fast ununterbrochen im<br />

Vorstand anderer Filialen dieser Organisation tätig. Es geschah ausgerechnet in einer Sitzung<br />

dieser Frauen-Krankenkasse als Piele durch einen Schlaganfall gelähmt wurde, zwei Tage ohne<br />

1645 Ebd.<br />

1646 Ebd.<br />

1647 Wackere Kämpferinnen. In: GL, 06/ 24/ 25.11.1896/ 188.<br />

1648 Ebd.<br />

1649 Ebd.<br />

549


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Bewusstsein blieb <strong>und</strong> schließlich verstarb. Der Tod, so die „Gleichheit“, hatte sie „aus Reih <strong>und</strong><br />

Glied der Berliner Genossinnen“ 1650 gerissen. Die Partei habe mit ihr eine „treue Mitarbeiterin“ 1651<br />

verloren, die „stets zu opferfreudigem Thun bereit“ 1652 <strong>und</strong> ihren Kindern eine vorzügliche, treu-<br />

sorgende Mutter gewesen sei.<br />

Zu den Risikoträgerinnen, zu jener „kleinen Schaar von Proletarierinnen“ 1653 , die überzeugt vom<br />

Sieg des Sozialismus weder Gefahren noch Opfer fürchteten <strong>und</strong> bereits unter dem Sozialisten-<br />

gesetz „am gewerkschaftlichen <strong>und</strong> politischen Leben ihrer Klasse theilnahmen“ 1654 gehörte auch<br />

? Ranke (?-1901). Bereits als 15-jährige, so ihr vermutlich von Zetkin verfasster Nachruf, sei sie<br />

in die Erwerbstätigkeit gezwungen worden <strong>und</strong> arbeitete bis zu ihrer Heirat in einer Wirkerei <strong>und</strong><br />

Strickerei. Ihre eigene Existenz habe somit früh ihren Blick für die Lebens- <strong>und</strong> Leidenssituation<br />

des Proletariats <strong>und</strong> für die „soziale Knechtschaft des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts“ 1655 geschärft. Dem<br />

echten proletarischen Empfinden folgte das Verständnis von den Zusammenhängen. Interessanter-<br />

weise hebt der Nachruf nicht nur hervor, dass Ranke „eine vorzügliche Arbeitskraft“ 1656 gewesen<br />

sei, sondern bemerkt auch, dass sie „bei einem humanen Arbeitgeber in Brot stand“ 1657 . Damit<br />

waren es ausnahmsweise besonders günstige Bedingungen, unter denen eine Sozialdemokratin<br />

„energisch daran gehen [konnte], ihre Erkenntniß in Thaten umzusetzen“ 1658 .<br />

1888 begründete Ranke die Organisation der Berliner Wirkerinnen mit <strong>und</strong> leitete dieselbe bis zu<br />

deren Vereinigung mit der Gewerkschaft der Textilarbeiter. Ein Jahr lang wirkte Ranke als<br />

Mitglied der Agitationskommission der Berliner Textilarbeiter. <strong>Von</strong> 1892 bis 1894 war sie zudem<br />

Mitglied der Berliner Frauenagitationskommission – eine der wichtigsten Keimzellen der prole-<br />

tarischen Frauenbewegung Deutschlands. Kurze Zeit war sie auch Vorstandsmitglied des Frauen-<br />

bildungsvereins. Ranke versäumte kaum eine wichtige Versammlung. Selbst als sie bereits krank<br />

war, besuchte sie unter Schmerzen die Veranstaltungen <strong>und</strong> wusste, dass sie für diese Anstrengung<br />

würde „doppelt leiden“ 1659 müssen. Ihre Tätigkeit für die Bewegung habe sie insgesamt nur zu<br />

1650 Eine wackere Streiterin … In: GL, 07/ 24/ 24.11.1897/ 190. Dieser Hinweis lässt vermuten, dass es sich um eine<br />

Berliner Zweigstelle der Offenbacher Organisation handelte.<br />

1651 Ebd.<br />

1652 Ebd.<br />

1653 Genossin Ranke – Berlin †. In: GL, 11/ 19/ 11.09.1901/ 150.<br />

1654 Ebd.<br />

1655 Ebd.<br />

1656 Ebd.<br />

1657 Ebd.<br />

1658 Ebd.<br />

1659 Ebd.<br />

550


4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />

leisten vermocht, weil sie mit ihrem Ehemann eine innige Ideengemeinschaft verband. Nach lang-<br />

jähriger Bettlägerigkeit starb Ranke schließlich an einer tückischen Krankheit <strong>und</strong> wurde auf<br />

eigenen Wunsch nicht in Berlin eingeäschert <strong>und</strong> bestattet, sondern in Hamburg. Zetkin war der<br />

festen, zuversichtlichen Überzeugung, dass<br />

„[i]n dem goldenen Buche des proletarischen Befreiungskampfes der Name Genossin<br />

Rankes nicht an letzter Stelle stehen [würde]. Denn sie ha[be] redlich das Ihrige<br />

zu dem Bau beigetragen, in dem einst glückliche Menschen wohnen werden“ 1660 .<br />

Ranke verkörperte somit in ihrem Leben <strong>und</strong> Wirken das Idealbild einer „sozialistischen<br />

Klassenkämpferin“.<br />

Ebenfalls nicht an letzter Stelle dieses goldenen Buches stehen würde der Name Auguste<br />

Eichhorn (1851-?). Als Verfasserin des Nachrufes auf diese Kämpferin der ersten St<strong>und</strong>e ist umso<br />

mehr Zetkin zu vermuten, da sie die Verstorbene bei einer besonderen Gelegenheit persönlich<br />

kennengelernt hatte. 1886 besuchte Zetkin in Begleitung eines befre<strong>und</strong>eten Genossen 1661 in<br />

Leipzig eine geheime Parteiversammlung, um dort auch ihre „Jungfernrede“ 1662 zu halten. Bei<br />

dieser Gelegenheit begegnete sie Eichhorn <strong>und</strong> ihr Fre<strong>und</strong> habe ihr zu deren Person folgende In-<br />

formationen gegeben:<br />

„‘Frau Eichhorn ist die Frau eines unseres tüchtigsten Genossen, des Steinmetz<br />

Eichhorn. Sie ist eine überzeugte Genossin, welche mit ganzem Herzen unsere<br />

Ideale theilt. Ein tapferes, kluges Weib, findig <strong>und</strong> resolut der ‘Polenta’ (Polizei)<br />

gegenüber <strong>und</strong> beim Austragen des ‘Käse’ (‘Sozialdemokrat’); stark <strong>und</strong> unverzagt<br />

in allem Ungemach, das der Kampf schon über ihre Familie gebracht hat. Gar<br />

mancher Frau, die kleinmüthig verzagte <strong>und</strong> den Mann zur Fahnenflucht treiben<br />

wollte, hat unsere Gustel den Kopf zurechtgesetzt <strong>und</strong> das gehörig!’“ 1663<br />

Diese Einschätzungen konnte Zetkin später aus eigenen Erfahrungen im Umgang mit Eichhorn<br />

nur bestätigt finden. Bei einem Treffen in Dresden lernte Zetkin Eichhorn näher kennen <strong>und</strong> stellte<br />

fest, dass diese über ideale Charaktereigenschaften einer Klassenkämpferin verfügte. So über<br />

einen<br />

1660 Ebd.<br />

„ges<strong>und</strong>e[n] proletarische[n] Klasseninstinkt, der durch harte Erfahrungen, scharfe<br />

Beobachtung <strong>und</strong> sozialistische Lektüre zum klaren Klassenbewußtsein geläutert<br />

war; eine unbezähmbare Thatkraft <strong>und</strong> ein[en] unstillbare[n] Bildungshunger; eine<br />

leidenschaftliche Hingabe an das sozialistische Ideal, ein zwingendes Bedürfnis,<br />

1661 Dieser Fre<strong>und</strong> habe Zetkin zu ihren ersten rednerischen Versuchen motiviert <strong>und</strong> musste, so Zetkin, „zur Rache<br />

dafür nicht selten bei meinen Buben die Rolle des ‘gebildeten Kindermädchens’ spielen“ (Auguste Eichhorn. In:<br />

GL, 12/ 13/ 18.06.1902/ 100).<br />

1662 Ebd.<br />

1663 Ebd.<br />

551


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

ihm zu dienen, ihm Bekenner zu werben“ 1664 .<br />

In Eichhorn, so Zetkin weiter, habe „das Beste ihrer Klasse <strong>und</strong> ihrer Zeit [ge]lebt[…]“ 1665 . Sie<br />

verknüpfte die Ideale eines „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ mit denen einer „echte[n] kämpfende[n]<br />

Proletarierin“ 1666 .<br />

Eichhorn wurde in Chemnitz geboren. Ihr Vater war Weber <strong>und</strong> starb kurz vor ihrer Geburt.<br />

Obwohl ihre Mutter ein zweites Mal heiratete, seien ihre Lebensverhältnisse ärmlich geblieben.<br />

Deshalb sei Eichhorn nach Abschluss einer nur mäßigen Volksschulbildung gezwungen gewesen,<br />

als Fabrikarbeiterin zum Familieneinkommen beizutragen. Die Mutter, die augenscheinlich die<br />

Ehe als Versorgungsinstitution betrachtete, habe Eichhorn schließlich zugeredet, sich zu ver-<br />

heiraten, was diese auch tat. Die Ehe sei jedoch eine sehr unglückliche <strong>und</strong> eine „innere Lebens-<br />

gemeinschaft“ 1667 mit ihrem Ehemann für Eichhorn unmöglich gewesen. Es folgte die Scheidung.<br />

Schließlich lernte sie den Steinmetz Hermann Eichhorn kennen, mit dem sie nicht nur Liebe,<br />

sondern auch eine „innige, treue Ideengenossenschaft“ 1668 verband. Seine Arbeitslosigkeit war<br />

Anlass für das Ehepaar, 1877 in die Schweiz überzusiedeln. Hier sei Auguste Eichhorn durch den<br />

Kontakt zu SozialistInnen in die sozialistische Ideenwelt eingeführt worden. Besonders für das<br />

sozialistische Zukunftsideal habe sie eine „inbrünstige Liebe“ 1669 empf<strong>und</strong>en, in ihm den Messias<br />

erkannt. Zetkin konstatiert:<br />

„Die Suchende war zur Wissenden geworden, die Wissende mußte zur Kämpferin<br />

werden.“ 1670<br />

Eichhorn habe sich durch Selbststudium in die zentralen Schriften des Sozialismus vertieft <strong>und</strong><br />

unermüdlich politische <strong>und</strong> gewerkschaftliche „Kleinarbeit“ 1671 geleistet. <strong>Von</strong> 1877 bis 1880<br />

waren sie <strong>und</strong> ihr Ehemann in der Schweiz für die Bewegung tätig <strong>und</strong> nahmen auch unter-<br />

stützenden Einfluss auf das Engagement anderer. Der Dichter Robert Seidel, so erfährt man aus<br />

einem von ihm verfassten Artikel, war damals von Eichhorn überzeugt worden, dem Vorstand der<br />

Fabrik- <strong>und</strong> Handarbeitergewerkschaft beider Geschlechter beizutreten. Dort arbeiteten sie dann<br />

auch einige Zeit zusammen. 1672<br />

1664 Ebd.<br />

1665 Ebd.<br />

1666 Ebd.<br />

1667 Ebd.<br />

1668 Ebd.<br />

1669 Ebd.<br />

1670 Ebd., S. 101.<br />

1671 Ebd.<br />

1672 Seidel, Robert: Ein Kranz auf Genossin Eichhorns Grab. In: GL, 12/ 14/ 02.07.1902/ 108. Dadurch, dass Seidel<br />

Zürich 1879 verließ, verloren sich er <strong>und</strong> Eichhorn schließlich aus den Augen.<br />

552


4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />

Aus der Schweiz nach Leipzig zurückgekehrt, hielt „[e]in kleiner Schreihals nach dem anderen<br />

[…] Einzug in die Familie Eichhorn“ 1673 , so Zetkin die Familiensituation Eichhorns humorig<br />

beschreibend. Stets eine „zärtliche, gewissenhafte Mutter“ 1674 <strong>und</strong> „treubesorgte Hausfrau“ 1675 ,<br />

musste Eichhorn mit Näharbeiten zum Familieneinkommen beitragen. Diese den „Gleichheit“-<br />

Leserinnen nur zu vertraute Dreifachbelastung erschwerte Eichhorns Selbststudien zum Sozialis-<br />

mus erheblich, denn woher sollte sie die Zeit dafür nehmen? Zetkin bringt es auf den Punkt:<br />

„Wollte sie ihren Bildungsdrang befriedigen, so hieß es, als Erste auf, als Letzte zu Bett.“ 1676<br />

1888 wurde Eichhorns Ehemann wegen seiner politischen Tätigkeit aus Leipzig ausgewiesen <strong>und</strong><br />

die Familie zog nach Dresden um. Hier übernahm Eichhorn immer mehr Verantwortung als<br />

Agitatorin <strong>und</strong> Organisatorin in der sich entwickelnden proletarischen Frauenbewegung. Sie<br />

wurde Mitglied der Frauenagitationskommission, aus der 1894 der „Arbeiterinnenbildungsverein“<br />

entstand. Sie befürwortete 1908 – in, wie Zetkin betonte, „richtiger Würdigung der Verhältnisse“<br />

1677 – die Auflösung der Frauenorganisationen <strong>und</strong> die Integration in die allgemeine Bewegung.<br />

Sie war als Dresdener Delegierte auf den Parteitagen in Köln, Gotha <strong>und</strong> Hamburg. Zwar habe<br />

Eichhorn auf den Versuch mancher Genossen, „‘den Herrenstandpunkt des Mannes’ über die<br />

Gr<strong>und</strong>sätze des Sozialisten“ 1678 zu stellen, stets sehr ablehnend reagiert, sie sei dabei aber nie in<br />

„frauenrechtlerische Eigenbrödelei“ 1679 verfallen. Demnach verfügte Eichhorn nicht nur über ein<br />

besonderes Selbstbewusstsein als Frau, sondern wendete für ihre Kritik an den männlichen<br />

Genossen stets diejenigen Mittel an, die ihr das Parteistatut gab.<br />

Nachdem sie bereits ihre Tochter verlieren musste, verstarb 1896 auch ihr Ehemann. Er sei, so<br />

Zetkin der „tückischen ‘Steinmetzkrankheit’“ 1680 erlegen. Dies waren schwere Schicksalsschläge,<br />

die Eichhorn auch deshalb zu meistern vermochte, weil sie „[a]n ihrer Begeisterung für das hehre<br />

sozialistische Ideal ges<strong>und</strong>et[…]“ 1681 sei. Jedoch machten sich auch bei ihr erste Anzeichen einer<br />

Lungenerkrankung bemerkbar. Bald hatte sie nicht mehr die Kraft, in Versammlungen weiterhin<br />

eine führende Rolle zu spielen. Sie beschränkte sich auf die Position einer Zuhörerin <strong>und</strong><br />

Beraterin. Dies fiel ihr anscheinend sehr schwer, denn sie soll kurz vor ihrem Tod zu einer<br />

1673 Auguste Eichhorn. In: GL, 12/ 13/ 18.06.1902/ 101.<br />

1674 Ebd.<br />

1675 Ebd.<br />

1676 Ebd.<br />

1677 Ebd.<br />

1678 Ebd.<br />

1679 Ebd.<br />

1680 Ebd.<br />

1681 Ebd.<br />

553


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Genossin gesagt haben:<br />

„‘Mein Leben ist nun ohne Werth für die Bewegung. Aber könnte es ihr nützen,<br />

wenn ich auf Jahre ins Gefängniß ginge <strong>und</strong> dort stürbe, wie gern ginge ich in<br />

Gefängniß.’“ 1682<br />

Diese Anekdote soll Zeugnis für Eichhorns enorm große Opferbereitschaft ablegen, kann aber<br />

auch für eine Eigenart stehen, auf diese pathetische Weise den herzlichen Widerspruch ihres<br />

Gegenübers herauszufordern. Eichhorns Leben sei von außen betrachtet durchaus ein schlichtes<br />

gewesen, doch dadurch, so Zetkin, dass es ein „nützliches Leben“ 1683 war, stelle es<br />

„an tiefem Gehalt <strong>und</strong> innerer Größe das Sein <strong>und</strong> Thun mancher glänzenden,<br />

vielgenannten Persönlichkeit in den Schatten“ 1684 .<br />

Ihre Lebensgeschichte ist für Zetkin demnach Teil einer „Gegengeschichte“, einer Geschichte<br />

„von unten“, einer Geschichte der Frauen.<br />

Ein besonderes Beispiel für den großen Einfluss der Familie auf die politische Gesinnung einer<br />

Person ist der Werdegang Anna Brügmanns (?-1906). Die als Anna Hennrichs geborene<br />

Brügmann verlor früh ihre Mutter <strong>und</strong> ihr Vater war bereits unter dem Sozialistengesetz politisch<br />

für die Arbeiterbewegung aktiv. Es sei dessen „energische[…] Beteiligung […] am Klassen-<br />

kampf“ 1685 gewesen, so ? Brumm (?-?) 1686 , die seine Tochter schließlich zur Sozialistin habe<br />

werden lassen. Im Weiteren erfährt die „Gleichheit“-Leserin noch, dass Brügmann im 5. schles-<br />

wig-holsteinischen Reichstagswahlkreis die Leitung der proletarischen Frauenbewegung 1687 <strong>und</strong> in<br />

Itzehoe die Position einer Vertrauensperson innehatte.<br />

Der von Luise Zietz auf Auguste Ebel (?-1908) verfasste Nachruf ist dagegen viel umfassender<br />

<strong>und</strong> trägt eine ausgeprägtere Vorbildfunktion. Ebel, die bei den Hamburger GenossInnen unter<br />

dem Namen „Mutter Ebel“ bekannt war, habe nicht nur über „Gradheit <strong>und</strong> Ehrlichkeit des Cha-<br />

rakters […] [<strong>und</strong>] unerschütterliche Überzeugungstreue“ 1688 verfügt, sondern dies alles sei zudem<br />

„gepaart [gewesen] mit hohem Idealismus, Pflichtbewußtsein <strong>und</strong> nie versiegender Opferwillig-<br />

1682 Ebd., S. 102.<br />

1683 Ebd.<br />

1684 Ebd.<br />

1685 Brumm[, ?]: Genossin Brügmann – Itzehoe †. In: GL, 16/ 07/ 04.04.1906/ 45.<br />

1686 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu<br />

Brumm.<br />

1687 Ebd.<br />

1688 Zietz, Luise: Mutter Ebel †. In: GL, 18/ 06/ 16.03.1908/ 54.<br />

554


4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />

keit“ 1689 . Bereits zur Zeit des Sozialistengesetzes war sie Mitglied <strong>und</strong> Agitatorin im Hamburger<br />

Frauen- <strong>und</strong> Mädchenverein. Ebel war als eine der ersten Austrägerinnen der „Gleichheit“ <strong>und</strong><br />

auch als Spendensammlerin viel unterwegs. Für diese Tätigkeit seien ihr ihre musterhafte<br />

Pünktlichkeit <strong>und</strong> ihre große Umsicht sehr zu Gute gekommen. Später wurde sie Bezirksführerin<br />

des 88. Bezirkes des zweiten Hamburger Wahlkreises. 1906 war Ebel als Delegierte auf der<br />

Mannheimer Frauenkonferenz <strong>und</strong> anschließend auch auf mehreren SPD-Parteitagen anwesend.<br />

Obwohl sie selbst nie als Dienstbotin gearbeitet hatte, wurde sie Mitglied der Dienstboten-<br />

bewegung, um diese in ihrer Entwicklung zu unterstützen.<br />

Es scheint, dass sie ihre politische Tätigkeit mit ihren Familienpflichten hatte gut vereinbaren<br />

können, denn Zietz schreibt in biblischem Duktus, dass ihre<br />

„Liebe […] groß genug [gewesen sei], daß sie nicht aufgezehrt ward von ihrer<br />

treusorgenden Tätigkeit als Gattin <strong>und</strong> Mutter, daß sie vielmehr alle umfaßte, die<br />

da mühselig <strong>und</strong> beladen sind“ 1690 .<br />

Es war der heilbringende Sozialismus, für den Ebel auf diese Weise kämpfte bis sie schließlich im<br />

Alter von 67 Jahren verstarb.<br />

Die bereits beschriebene Vereinigung der beiden Leitbilder „weiblicher Vollmensch“ <strong>und</strong><br />

„Klassenkämpferin“ wird nochmals besonders deutlich in der Persönlichkeit Emilie Mahns<br />

(1847-1908). „Ihr Leben“, so die „Gleichheit“, „war das einer Proletarierin, die ihr Menschentum<br />

empfindet“ 1691 . Dieses Empfinden sei es gewesen, dass sie nicht in ihrem Leid resignieren,<br />

sondern im „Glauben[…] an eine schöne Zukunft ihrer Klasse froh […]kämpf[en]“ 1692 ließ. Zur<br />

Zeit des Sozialistengesetzes versteckte die in Magdeburg lebende Mahn politische Flüchtlinge.<br />

Einige Zeit lebte sie mit ihrem Ehemann im braunschweigischen Lengelsheim, kehrte aber nach<br />

Magdeburg zurück. Hier verteilte sie dann nicht nur Flugblätter, sondern wurde Mitbegründerin<br />

eines Frauen- <strong>und</strong> Mädchenbildungsvereins. Viele Jahre lang versah Mahn außerdem das Amt<br />

einer Vertrauensperson <strong>und</strong> war mehrmals zu Frauenkonferenzen <strong>und</strong> Parteitagen delegiert. Sie<br />

arbeitete als Tabakarbeiterin <strong>und</strong> wurde Mitglied der entsprechenden Berufsorganisation. Zudem<br />

war sie jahrelang im Vorstand der Krankenkasse der Tabakarbeiter tätig. Selbst „auf ihrem<br />

Schmerzenslager, wenige Tage vor dem Tode“ 1693 , so die „Gleichheit“, habe sich Mahn bei<br />

1689 Ebd.<br />

1690 Ebd.<br />

1691 Emilie Mahn †. In: GL, 18/ 12/ 08.06.1908/ 108.<br />

1692 Ebd.<br />

1693 Ebd.<br />

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ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Genossen „nach dem Stand der Bewegung“ 1694 erk<strong>und</strong>igt.<br />

Eine ebenfalls lange Zeit – 25 Jahre – engagierte sich Anna Sachs (?-1910) für die Sache des<br />

Proletariats. Dies tat sie, obwohl sie nicht aus proletarischen, sondern wohlhabenden Verhältnis-<br />

sen stammte. Jedoch verlor ihr Vater unverschuldet seinen gesamten Besitz, weil er eine Bürg-<br />

schaft geleistet hatte. Da der Vater zudem sehr früh verstarb, musste die Mutter sich <strong>und</strong> sechs<br />

Kinder ernähren. Sachs war das drittälteste der Kinder <strong>und</strong> musste nun mitarbeiten. Auf diese<br />

Weise habe sie „die Ängste um das tägliche Brot, den Heroismus der Arbeit über die schwache<br />

Kraft, das Duldertum des Darbens kennen[gelernt]“ 1695 . Auf diese Weise auch schon sehr früh „die<br />

volle Daseinslast erwachsener Armer, Ausgebeuteter“ 1696 erfahren, „die so vielen kleinen prole-<br />

tarischen Mädchen einen vorzeitigen Ernst auf die Gesichtchen schreib[e]“ 1697 . Drei ihrer Ge-<br />

schwister starben in jener schweren Zeit an der „Proletarierkrankheit“ 1698 , an welcher auch später<br />

Sachs sterben sollte.<br />

Sachs war als Blumenarbeiterin erwerbstätig <strong>und</strong> engagierte sich bereits als 16-jähriges Mädchen<br />

<strong>und</strong> zudem in der Zeit des Sozialistengesetzes in der entsprechenden Organisation der Berliner<br />

Arbeiterinnen. Nach dem Tod ihrer Mutter fand sie in einer Proletarierfamilie eine „wahre zweite<br />

Heimat, eine Gemeinschaft des Lebens <strong>und</strong> Strebens“ 1699 <strong>und</strong> daraus, so die „Gleichheit“, sei ihre<br />

Verb<strong>und</strong>enheit mit der proletarischen Sache erwachsen.<br />

<strong>Von</strong> 1890 bis 1894 war Sachs Mitglied der Frauenagitationskommission <strong>und</strong> Mitglied im Verband<br />

der Schneider <strong>und</strong> Schneiderinnen. Sei sie später auch nicht mehr in vorderster Reihe tätig<br />

gewesen, so habe sie doch nicht aufgehört, der Sache mit ganzer Seele zu dienen. 1700 Im<br />

Hintergr<strong>und</strong> war sie auch weiterhin tätig, engagierte sich bei der Einrichtung des ersten <strong>und</strong><br />

zweiten Frauenwahlvereins Berlins, leistete Werbearbeit <strong>und</strong> nahm regelmäßig an Versammlungen<br />

teil. 1701 Die „Gleichheit“ resümiert:<br />

1694 Ebd.<br />

„Trägerinnen des proletarischen Befreiungskampfes von den hohen Bürgertugenden<br />

einer Anna Sachs machen seine Stärke, seine unbezwingliche Kraft aus, sie<br />

leben in seinem Siege weiter, auch wenn sie ungekannt <strong>und</strong> ungenannt ins Grabe<br />

sinken.“ 1702<br />

1695 Anna Sachs †. In: GL, 21/ 06/ 19.12.1910/ 91.<br />

1696 Ebd.<br />

1697 Ebd.<br />

1698 Ebd. Meist waren mit dieser Umschreibung Schwindsucht oder Knochentuberkulose gemeint.<br />

1699 Anna Sachs †. In: GL, 21/ 06/ 19.12.1910/ 92.<br />

1700 Vgl. ebd., S. 91.<br />

1701 Vgl. ebd.<br />

1702 Ebd., S. 92.<br />

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4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />

Zumindest Anna Sachs wurde das Schicksal, „ungekannt <strong>und</strong> ungenannt“ zu bleiben, nicht zuteil<br />

– dafür steht dieser Nachruf <strong>und</strong> seine Veröffentlichung in einer der wichtigsten Frauenzeit-<br />

schriften der Welt.<br />

Aus dem vermutlich von Hofmann auf Berta Wünsche (?-1910/ 42-jährig) verfassten Nachruf<br />

erfährt die „Gleichheit“-Leserin, dass Wünsche eine der Gründerinnen <strong>und</strong> Schriftführerin des<br />

Regensburger Frauen- <strong>und</strong> Mädchenbildungsvereins war. Zudem war sie als Ausschussmitglied<br />

der Parteiorganisation, als Agitatorin <strong>und</strong> Rednerin für SPD <strong>und</strong> proletarische Frauenbewegung<br />

tätig. Hofmann erachtete es sogar als erwähnenswert, dass Wünsche im März 1910 als Vor-<br />

sitzende eine Versammlung leitete, auf der wiederum Emma Ihrer eine Rede gehalten habe. 1703<br />

Wünsche habe eine „fest[e] <strong>und</strong> klar[e]“ 1704 sozialistische Überzeugung gehabt, die ihr auch „in<br />

den unsäglichen Leiden des Krankenbettes“ 1705 „ein starker Trost“ 1706 gewesen sei. Entsprechend<br />

konsequent habe sie gehandelt, indem sie jeden geistlichen Zuspruch <strong>und</strong> die Mitwirkung der<br />

Kirche an ihrer Beerdigung ablehnte. Trotz der großen Beteiligung von GenossInnen, sei es<br />

schließlich doch ein sowohl schlichtes als auch feierliches Begräbnis gewesen – wie Hofmann<br />

meinte, „ihres edlen Charakters <strong>und</strong> ihrer aufopfernden Tätigkeit würdig“ 1707 . Demnach ist Be-<br />

scheidenheit eine proletarische Tugend, die sich auch im Begräbnis einer Klassenkämpferin<br />

widerspiegelt.<br />

Zietz begann ihren Artikel zum 80. Geburtstag Chr[istine/Christiane?] Baumanns (1837-?) –<br />

„Tante Baumann“ genannt – mit der Beschreibung derjenigen Eigenschaften, die die Jubilarin<br />

„weit über die große Masse der apathisch dahinlebenden Arbeiterinnen erhob[en]“ 1708 haben<br />

sollen:<br />

„ihr klares selbständiges Urteil über die Dinge des Lebens, ihre gefestigte sozialistische<br />

Weltanschauung, zu der sie sich tapfer durchgerungen hat, <strong>und</strong> bei aller<br />

persönlichen Bescheidenheit ihr starkes Selbstbewußtsein das ihrem Äußern <strong>und</strong><br />

ihrem ganzen Wesen den Stempel aufdrückt“ 1709 .<br />

1703 Vgl. [Hofmann, Marie?] M.H.: Berta Wünsche – Regensburg †. In: GL, 21/ 10/ 13.02.1911/ 154. Die Erwähnung<br />

Emma Ihrers verdichtet die Vermutung, dass es sich bei M.H. um Marie Hofmann handeln könnte, da Hofmann –<br />

wie in Kapitel 1.1.2 <strong>und</strong> Kapitel 1.4 beschrieben – in engem Kontakt zu dieser gestanden hatte.<br />

1704 Ebd.<br />

1705 Ebd.<br />

1706 Ebd.<br />

1707 Ebd.<br />

1708 Zietz, Luise: Tante Baumann achtzigjährig! In: GL, 27/ 15/ 27.04.1917/ 101.<br />

1709 Ebd.<br />

557


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

All dies habe sich Baumann aneignen können, obwohl sie in ein typisches Proletarierdasein hin-<br />

eingeboren worden sei. Wie sich dieses Proletarierdasein im Einzelnen gestaltete bleibt<br />

unerwähnt. Baumann heiratete einen Bahnbeamten <strong>und</strong> siedelte mit ihm von Sachsen in das<br />

tschechische Prag über. Auf der Reise dorthin starb ihr einziges Kind <strong>und</strong> beinahe hätte man Bau-<br />

mann des Kindsmords angeklagt. Ein weiterer Schicksalsschlag war, dass man das Ehepaar be-<br />

züglich der Gewinnaussichten ihres in Prag eröffneten Ladengeschäfts böswillig getäuscht hatte.<br />

Auch habe man sie wegen ihrer deutschen Herkunft <strong>und</strong> evangelischen Religionszugehörigkeit in<br />

Prag diskriminiert. So kehrte das Ehepaar schließlich nach Deutschland zurück <strong>und</strong> ließ sich in<br />

Altona nieder.<br />

Obwohl Baumann als Näherin <strong>und</strong> Putzmacherin „erheblich zum Lebensunterhalt bei[tragen]“ 1710<br />

musste, vermochte es die „geistig regsame Proletarierin“ 1711 , Zeit für die Lektüre sozialistischer<br />

Agitationsschriften zu finden. Durch den Kontakt zu Anhängern des Sozialismus sei sie schließ-<br />

lich selbst zur Sozialistin geworden <strong>und</strong> habe trotz Sozialistengesetz auch keinen Hehl daraus<br />

gemacht. 1712 Baumann wirkte für die Sozialdemokratie als Kolporteurin des Hamburger Partei-<br />

blattes <strong>und</strong> wurde als solche auch Mitglied des Transportarbeiterverbandes.<br />

Nach dem Tod ihres Ehemannes war sie vor allem ihrem Neffen Ernst Baumann <strong>und</strong> dessen<br />

Familie eng verb<strong>und</strong>en. Gemeinsam mit dessen Ehefrau Linchen Baumann (?-?) – selbst ein<br />

bekanntes Mitglied der proletarischen Frauenbewegung – engagierte sie sich in der Frauen- <strong>und</strong><br />

Arbeiterbewegung Hamburgs, blieb aber auch ihren Organisationen in Altona treu. Beide Frauen<br />

hatten sich für die Delegation Zietz‘ zum Hamburger Parteitag eingesetzt. Diese wünschte<br />

Baumann schließlich „[v]or allen Dingen Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> die Erhaltung der heiteren Gemüts-<br />

stimmung, die ein Gr<strong>und</strong>zug ihres Wesens“ 1713 sei. Dies wünschte sie ihr umso mehr, da sie nun<br />

zur Kriegszeit harte Entbehrungen hinnehmen musste, ihr Großneffe im Felde stand <strong>und</strong> die<br />

Partei, für die sie stets unermüdlich gearbeitet hatte, zersplittert war. Ihr Geburtstag würde ihr, so<br />

Zietz, also kein „besonderer Freudentag“ 1714 sein.<br />

Den Nachruf auf Helma Steinbach (1847-1918), die während eines Kurbesuches im lauen-<br />

burgischen Plüsing einem Herzschlag erlag, verfasste nicht eine der „Gleichheit“-Mitarbeiterinnen<br />

oder Genossinnen, sondern der führende SPD-Politiker Hermann Molkenbuhr (1851-1927) 1715 .<br />

1710 Ebd.<br />

1711 Ebd.<br />

1712 Vgl. ebd.<br />

1713 Ebd.<br />

1714 Ebd.<br />

1715 Hermann Molkenbuhr war Sohn eines Schneidermeisters, besuchte die Volksschule <strong>und</strong> arbeitete 1862-1864 in<br />

558


4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />

Dies erklärt sich daraus, dass Steinbach sich weniger in der Frauenbewegung als in der Gewerk-<br />

schaftsbewegung engagiert hatte. Es fällt auf, dass Molkenbuhr jedoch keinerlei Informationen zu<br />

Steinbachs familiärer Herkunft oder ihrem persönlichen Charakter lieferte. 1716 Stattdessen be-<br />

schränkte er sich vor allem auf Steinbachs Fähigkeiten zur Selbstbildung <strong>und</strong> ihr Wirken für<br />

verschiedene gewerkschaftliche Organisationen.<br />

Bereits unter dem Sozialistengesetz wurde Steinbach Mitglied der Hamburger SPD. Sie bewies<br />

ein besonderes Talent auf dem Gebiet der Haus- <strong>und</strong> Kleinagitation <strong>und</strong> entwickelte eine be-<br />

sondere Beredsamkeit. Sie habe sich vorbildlich aus der Tagespresse über die politischen <strong>und</strong><br />

parteipolitischen Ereignisse informiert <strong>und</strong> jeden Abend in einem Café die Zeitungen aller<br />

Parteirichtungen studiert. 1717 Anschließend habe sie oft, so Molkenbuhr, das Gelesene mit anderen<br />

in der Gewerkschaftsorganisation engagierten Genossen wie Wilhelm Schröder <strong>und</strong> Adolph von<br />

Elm diskutiert. Ihr Talent als Vorleserin bewies sie in den Frauenleseabenden jedoch mit Bellet-<br />

ristik, vor allem sozialkritischen Romanen.<br />

Nach Fall des Sozialistengesetzes war sie an der Gründung der Organisation der Hamburger Plät-<br />

terinnen beteiligt. Aber auch die großen Streiks anderer Berufsgruppen wurden von ihr rege<br />

unterstützt <strong>und</strong> für die Werbung neuer Parteimitglieder genutzt. Sie agitierte besonders erfolgreich<br />

für den Konsum-, Bau- <strong>und</strong> Sparverein „Produktion“. Länger als 30 Jahre habe sie in der ersten<br />

Reihe der Arbeiterbewegung Hamburgs gestanden <strong>und</strong> auch dadurch Anteil an ihr genommen,<br />

indem sie bei keiner größeren Veranstaltung fehlte. Steinbach, so Molkenbuhr abschließend, sei<br />

deshalb „[a]n Eifer <strong>und</strong> Pflichttreue […] für alle Zeiten ein Vorbild“ 1718 .<br />

Mit Steinbach endet hier die Riege derjenigen in der „Gleichheit“ porträtierten Frauen, die bereits<br />

unter dem Sozialistengesetz leitende Positionen innehatten. Es folgen nun die Frauen, die<br />

innerhalb der proletarischen Frauenbewegung einen besonderen Ruf als Pionierinnen besaßen.<br />

Besondere Frauen, die „von dem Gedanken des Sozialismus ergriffen, für ihn wirkten <strong>und</strong> die<br />

einer Zichorienfabrik, 1864-1890 in einer Zigarrenfabrik. 1872 wurde er Mitgründer <strong>und</strong> 1874 Bevollmächtigter<br />

des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) in Lokstedt-Ottensen. 1881 wurde Molkenbuhr aus Hamburg<br />

ausgewiesen <strong>und</strong> lebte bis 1884 in den USA. Nach seiner Rückkehr arbeitete er 1890-1904 als Redakteur des<br />

„Hamburger Echos“ (1887-1933[?]). 1904-1927 bekleidete er das Amt des Parteisekretärs im SPD-Parteivorstand<br />

<strong>und</strong> 1890-1924 war er Reichstagsabgeordneter. Er war Mitglied verschiedener Kommissionen <strong>und</strong> 1907-1924<br />

Mitglied im Vorstand der SPD-Reichstagsfraktion. Auf kommunaler Ebene war Molkenbuhr 1907-1915 als Stadtverordneter<br />

<strong>und</strong> 1915-1919 als Stadtrat für Berlin-Schöneberg aktiv. 1912-1918 war er zudem Mitglied des Provinziallandtages<br />

Brandenburg.<br />

1716 Molkenbuhr, Hermann: Helma Steinbach. In: GL, 28/ 22/ 02.08.1918/ 173. Hinsichtlich dieser fehlenden<br />

biographischen Informationen siehe auch: Haake, Helma Steinbach – eine Reformistin in der Hamburger Arbeiterbewegung<br />

zur Zeit des Kaiserreichs.<br />

1717 Molkenbuhr, Hermann: Helma Steinbach. In: GL, 28/ 22/ 02.08.1918/ 173.<br />

1718 Ebd., S. 174.<br />

559


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Anfänge der proletarischen Frauenbewegung schufen“ 1719 . Es waren Frauen, die „ihre ganze<br />

Persönlichkeit für ihre Überzeugung einsetzen <strong>und</strong> die höchsten Bürgertugenden entfalten“ 1720<br />

mussten. Frauen wie Johanne Schackow (?-1902), die laut Zetkin „[e]ine der ältesten <strong>und</strong><br />

treuesten Vorkämpferinnen für die Gleichberechtigung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts <strong>und</strong> die volle<br />

Befreiung des Proletariats“ 1721 gewesen sei.<br />

Schackow engagierte sich in der frühen Berliner Arbeiterinnenbewegung mit der Zielsetzung,<br />

diese dem Einfluss bürgerlicher Frauenorganisationen zu entziehen. Als Schriftführerin des<br />

„Berliner Arbeiterfrauen- <strong>und</strong> Mädchenvereins“ gehörte sie zu den Vorstandsmitgliedern, die 1877<br />

bei der Auflösung des Vereins verurteilt <strong>und</strong> bestraft wurden. 1722 Nachdem sie <strong>und</strong> ihr Ehemann<br />

aus Berlin ausgewiesen worden waren, gingen sie erst nach Hamburg <strong>und</strong> dann nach Magdeburg.<br />

Diese Rastlosigkeit <strong>und</strong>, so Zetkin, das „Übermaß dessen, was sie fronden, entbehren, dulden<br />

mußte“ 1723 habe Schackows Ges<strong>und</strong>heit sehr geschwächt. Krank <strong>und</strong> gealtert kehrte sie nach dem<br />

Fall des Sozialistengesetzes nach Berlin-Weißensee zurück. Dies ist für Zetkin eine Erklärung<br />

dafür, warum sie nicht erneut in den Vordergr<strong>und</strong> der Bewegung getreten sei, aber dennoch „mit<br />

unerschütterlicher Überzeugungstreue […] bis zuletzt dem Ideal des befreienden Sozialismus“ 1724<br />

angehangen habe.<br />

Es sind drei Artikel, die in der „Gleichheit“ erschienen, um die verstorbene Pauline Staegemann<br />

(1830-1909) zu ehren. Der erste dürfte aus der Feder der Chefredakteurin Clara Zetkin stammen.<br />

Diese war der Meinung, dass mit Staegemann „die politische Frauenbewegung Deutschlands nicht<br />

bloß eines ihrer eifrigsten, selbstlosesten Glieder […], sondern eine ihrer ersten Bahnbrecherinnen<br />

in schwerer Zeit [verloren]“ 1725 habe. Staegemann gründete in den 1860er Jahren zusammen mit<br />

Cantius <strong>und</strong> Schackow den Berliner Arbeiterinnenverein <strong>und</strong> organisierte in den 1880er Jahren<br />

zusammen mit Ihrer, Hofmann <strong>und</strong> Jagert die Konfektionsarbeiterinnen. „Ihr Wirken in jener Zeit<br />

würdigen“, so Zetkin weiter, „heißt ein Kapitel aus der Geschichte der proletarischen<br />

Frauenbewegung schreiben, <strong>und</strong> eines ihrer schönsten <strong>und</strong> lehrreichsten Kapitel.“ 1726 Staegemann<br />

1719 Johanne Schackow †. In: GL, 13/ 03/ 28.02.1903/ 22. Der Artikel enthielt einige peinliche Druckfehler, die in der<br />

darauf folgenden Nummer korrigiert werden mussten (vgl. GL, 13/ 04/ 11.02.1903/ 32).<br />

1720 Ebd.<br />

1721 Ebd.<br />

1722 Ebd., S. 21-22.<br />

1723 Ebd., S. 22.<br />

1724 Ebd.<br />

1725 Pauline Staegemann † In: GL, 19/ 26/ 27.09.1909/ 409.<br />

1726 Ebd.<br />

560


4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />

habe zu den „hochsinnigen Naturen mit klarem Blick <strong>und</strong> großem Herzen“ 1727 gehört. Aber die<br />

Verhältnisse hätten sich geändert <strong>und</strong> Staegemann habe „nicht mehr wie einst in ihrem Dienst<br />

Führende“ 1728 sein können. Sie sei „als einfache Kämpferin in Reih <strong>und</strong> Glied zurück[ge-<br />

treten]“ 1729 , eine „eifrig Mitarbeitende für eine hehre Sache“ 1730 geblieben <strong>und</strong> „die Flamme ihrer<br />

Begeisterung für den Sozialismus [habe] nicht minder hoch <strong>und</strong> rein gebrannt als früher“ 1731 .<br />

Zetkin spielte damit vermutlich auf die zunehmende Institutionalisierung <strong>und</strong> Radikalisierung der<br />

proletarischen Frauenbewegung an, benannte allerdings nicht sich daraus ergebende Unzuläng-<br />

lichkeiten Staegemanns.<br />

Zwar hatten „des Lebens Nöte ihre Runen“ 1732 in das Gesicht Staegemanns gegraben, doch sei es<br />

auch „von dem inneren Leuchten einer schönen Seele, die ganz einem Großen hingegeben war,<br />

gar w<strong>und</strong>ersam verklärt“ 1733 worden. Zetkin resümierte, dass Staegemann „es vollauf verdient<br />

[habe], daß die proletarische Frauenbewegung Deutschlands ihr Grab mit immergrünem Lorbeer<br />

schmückt“ 1734 .<br />

Konzentrierte sich Zetkin vor allem auf die Darstellung der politischen Verdienste Staegemanns,<br />

so gab Ihrer, die eine sehr enge Wegbegleiterin Staegemanns war, auch einige Informationen zu<br />

deren Privatleben. Die später als „Mutter Staegemann“ 1735 geehrte Gründerfigur der proletarischen<br />

Frauenbewegung wurde in der Nähe der Stadt Landsberg a.W. geboren. Im Alter von 18 Jahren<br />

siedelte sie nach Berlin über <strong>und</strong> arbeitete als Hausgehilfin. Die Bemerkung, dass sie sich „bald<br />

nachdem“ 1736 sie 1865 den Maurerpolier Staegemann geheiratet hatte, für die Arbeiterinnen enga-<br />

giert habe, ist bezeichnend für die „Heranführung“ vieler (Ehe)Frauen an die Politik.<br />

Staegemann wurde Ladenbesitzerin <strong>und</strong> die manchmal in ihrem Laden stattfindenden Treffen von<br />

ArbeiterInnen machten sie für die Polizei verdächtig. 1737 Ungeachtet dieser Gefahr bot sie<br />

Verfolgten des Sozialistengesetzes immer Hilfe <strong>und</strong> Unterschlupf. 1873 wurde sie Vorsitzende des<br />

1727 Ebd.<br />

1728 Ebd.<br />

1729 Ebd.<br />

1730 Ebd.<br />

1731 Ebd.<br />

1732 Ebd.<br />

1733 Ebd.<br />

1734 Ebd.<br />

1735 Ihrer, Emma: Mutter Staegemann. In: GL, 20/ 01/ 11.10.1909/ 2.<br />

1736 Ebd.<br />

1737 Die Unterlagen dieser Treffen, so Ihrer, die mit ihrem Buch „Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands,<br />

ihre Entstehung <strong>und</strong> Entwicklung“ 1893 die Chronik der ersten Arbeiterinnenvereine schrieb, seien rar, weil es zu<br />

gefährlich war, sie aufzubewahren (vgl. ebd.).<br />

561


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

neu gegründeten „Arbeiterfrauen- <strong>und</strong> Mädchenvereins“, in dessen Vorstand außerdem Hahn,<br />

Gr<strong>und</strong>emann <strong>und</strong> Schackow mitarbeiteten. Staegemanns Versuche, mit Klara Ringius (?-?) <strong>und</strong><br />

Martha Legel (?-?) noch weitere Vereinsgründungen anzustoßen 1738 , erhielten einen herben<br />

Rückschlag als der Verein verboten <strong>und</strong> der Vorstand zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. In<br />

einem weiteren Prozess wurde Staegemann 1879 wegen „Verächtlichmachung kirchlicher Insti-<br />

tutionen“ 1739 zu sechs Wochen Haft im Frauengefängnis Barnim verurteilt. Dieses Urteil nahm<br />

keinerlei Rücksicht darauf, dass sie Mutter von vier kleinen Kindern war. 1740<br />

Neuen Elan erhielt die proletarische Frauenbewegung Berlins vor allem durch das Wirken<br />

Guillaume-Schacks. Außerdem wurden Staegemann <strong>und</strong> Cantius nun von Wabnitz <strong>und</strong> Ihrer in<br />

der Organisation der Arbeiterinnen unterstützt. Staegemann übernahm gemeinsam mit Hofmann<br />

den Vorsitz des „Vereins zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen“. Doch auch dieser<br />

wurde verboten <strong>und</strong> Staegemann erneut zu einer Geldstrafe verurteilt. Deutlich langlebiger war<br />

der 1899 gegründete „Frauenbildungsverein“. Diesem gehörte Staegemann bis zu ihrem Tode an.<br />

Mit ihrer „aufopfernde[n] Tätigkeit“ 1741 für die proletarische Frauenbewegung habe die Verstor-<br />

bene, so Zetkin,<br />

„Mut <strong>und</strong> Energie, volles Verständnis für die Seele des arbeitenden Volkes <strong>und</strong> ein<br />

warmes Herz für seine Leiden, sowie auch eine außergewöhnliche Rednergabe“ 1742<br />

bewiesen. Auch wenn sie im höheren Alter keine öffentlichen Reden mehr gehalten habe, habe sie<br />

jedoch „im Kreise der Genossen stets belebend <strong>und</strong> anfeuernd“ 1743 gewirkt. Wie auch einige<br />

andere Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung wurde auch Staegemann auf dem Zentral-<br />

friedhof Berlin-Friedrichsfelde beerdigt.<br />

Im darauf folgenden Jahr war es ein von m.w. – vermutlich Marie Wackwitz – verfasster Artikel,<br />

der anlässlich einer stillen Feier 1744 zum Geburtstag Staegemanns an diese Pionierin der prole-<br />

tarischen Frauenbewegung erinnerte. Politisch <strong>und</strong> gewerkschaftlich organisierte Frauen<br />

Großberlins hatten aus eigenen Mitteln einen Grabstein gestiftet <strong>und</strong> während der Feierlichkeiten<br />

den Kindern Staegemanns übergeben. Obwohl die Behörden jede Ansprache am geschichts-<br />

1738 Ebd.<br />

1739 Ebd.<br />

1740 Ebd. Diese ihre Rolle als treusorgende Mutter <strong>und</strong> auch ihr Wirken für die Emanzipation der Frau würdigt der<br />

Kondulenzbrief, den ein Fre<strong>und</strong> ihres ältesten Sohnes verfasste (vgl. ebd., S. 3). Da er selbst kein Sozialdemokrat<br />

war, betonte er Staegemanns Wirken für die Gesamtheit der Frauenbewegung – unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit.<br />

Er schließt mit den Worten: „Sie ist eine von denen, deren Leben nicht vergeblich war.“ (ebd.).<br />

1741 Ihrer, Emma: Mutter Staegemann. In: GL, 20/ 01/ 11.10.1909/ 2.<br />

1742 Ebd.<br />

1743 Ebd.<br />

1744 [Wackwitz, Marie] m.w.: Zur Ehrung der verstorbenen Genossin Pauline Staegemann … In: GL, 20/ 14/<br />

562<br />

11.04.1910/ 220.


4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />

trächtigen Datum des 18. März untersagt hatten, traf man sich zu einer Ansprache Emma Ihrers in<br />

einem Lokal. Denn, so m.w., „[t]rotz aller Polizeiverbote [ließe] sich die Arbeiterklasse das Recht<br />

nicht rauben, ihre Toten zu ehren, wie sie es will“ 1745 .<br />

Ähnlich wie Staegemann dürfte auch Mathilde von Hofstetten (1847-?) durch ihren Ehemann zu<br />

einer sozialistischen Überzeugung gelangt sein. So ist es auch nicht verw<strong>und</strong>erlich, dass Max<br />

Schütte (?-?) 1746 in dem von ihm verfassten Jubiläumsartikel zunächst dessen Leben beschreibt.<br />

Der bayerische Kavallerieleutnant Johann Baptist von Hofstetten war ein persönlicher Fre<strong>und</strong><br />

König Maximilians II., aber seit seiner Bekanntschaft mit Ferdinand Lasalle auch bekennender<br />

Sozialdemokrat. Nachdem er als Mitgründer des „Sozialdemokrat“ nahezu sein gesamtes Ver-<br />

mögen aufgebraucht hatte, arbeitete Johann Baptist von Hofstetten als schlechtbezahlter Reporter<br />

<strong>und</strong> brach schließlich geistig verwirrt in der Berliner Charité zusammen. Auch in jener Zeit war<br />

ihm seine zweite Ehefrau, die er 1881 geheiratet hatte, „eine treue Stütze im harten Kampfe ums<br />

tägliche Brot“ 1747 gewesen. Die Witwe Hofstetten, die vor ihrer Hochzeit als Verkäuferin in einem<br />

Berliner Hutgeschäft gearbeitet hatte, musste sich nun als Wäschenäherin selbst versorgen.<br />

Darüber hinaus entwickelte sie jedoch agitatorische Fähigkeiten, die sie zu einer bewährten<br />

Rednerin für Frauenversammlungen machten. 1890 wurde Hofstetten als Delegierte für den<br />

Parteitag in Halle gewählt, trat aber zugunsten Ihrers von ihrem Mandat zurück. Die Delegation<br />

zum Erfurter Parteitag 1891 nahm sie dagegen an. Sie engagierte sich vornehmlich in der<br />

Kellnerinnenbewegung <strong>und</strong> den Verbänden der Wäscherinnen. Außerdem war Hofstetten<br />

Mitbegründerin <strong>und</strong> Vorsitzende sowohl des ersten „Bildungsvereins für Frauen <strong>und</strong> Mädchen der<br />

Arbeiterklasse“ als auch des „Vereins zur ersten Hilfe bei Unglücksfällen“ <strong>und</strong> Vorstandsmitglied<br />

der Offenbacher Frauenkasse 1748 . Noch als 73-jährige habe sie ihre Ämter wahrgenommen <strong>und</strong><br />

schließlich ihren Lebensabend bei „große[r] geistige[r] Frische <strong>und</strong> Klarheit“ 1749 im Lange-<br />

Schunke-Stift verbracht.<br />

Dieser von einem männlichen „Gleichheit“-Mitarbeiter verfasste Artikel ist besonders markant, da<br />

er nicht nur mit der Lebensbeschreibung des Ehemannes der Jubilarin beginnt, sondern auch<br />

insgesamt nur eine schwache Emotionalität enthält. Letzteres dürfte mit dem neuen Redaktionsstil<br />

1745 Ebd.<br />

1746 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu Max<br />

Schütte.<br />

1747 Schütte, Max: Zum 75. Geburtstage Mathilde von Hofstettens. In: GL, 32/ 14-15/ 01.08.1922/ 142.<br />

1748 Vermutlich handelt es sich dabei um eine Filiale der die „Staatsbürgerin“ tragenden „Offenbacher Kranken- <strong>und</strong><br />

Begräbnißkasse für Frauen <strong>und</strong> Mädchen“.<br />

1749 Ebd.<br />

563


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

zusammenhängen, der sich nach Zetkins Entlassung bemerkbar machte.<br />

564


4.4.5 Organisierte Genossinnen<br />

– Die Stützen der proletarischen Frauenbewegung<br />

4.4.5 ORGANISIERTE GENOSSINNEN – DIE STÜTZEN DER PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG<br />

In den biographischen Skizzen mancher Mitglieder der proletarischen Frauenbewegung findet<br />

deren Engagement unter dem Sozialistengesetz keine ausdrückliche Erwähnung. Es ist zu<br />

vermuten, dass entsprechende Informationen gänzlich fehlen oder diese Frauen erst später zur Ar-<br />

beiterbewegung <strong>und</strong> zur proletarischen Frauenbewegung gestoßen waren. Einige dieser Frauen<br />

erlebten sogar die beiden Ereignisse mit, die für die weitere Organisation der proletarischen<br />

Frauenbewegung entscheidend sein sollten: Den Fall des Sozialistengesetzes 1890 <strong>und</strong> die<br />

Einführung des Reichsvereinsgesetzes 1908. Beide Ereignisse brachten eine beträchtliche Erleich-<br />

terung für die sozialistische Agitation unter den Proletarierinnen <strong>und</strong> reduzierten das persönlich zu<br />

tragende Risiko ungemein. Die ersten Pionierinnen, so konstatiert auch Zetkin diesen Wandel,<br />

seien<br />

„begeistert <strong>und</strong> mutig bahnbrechend in einer Zeit vorangegangen, wo es nicht verhältnismäßig<br />

so leicht war, wie heutzutage, als Frau kämpfend in den Reihen des<br />

klassenbewußten Proletariats zu stehen“ 1750 .<br />

Diese Pionierinnen hätten nicht nur „die härteste Verfehmung seitens der bürgerlichen Welt zu<br />

tragen“ 1751 gehabt, sie seien außerdem mit den antifeministischen Vorurteilen aus dem eigenen,<br />

sozialistischen Lager konfrontiert gewesen. Letzteres blieb jedoch auch nach der Integration der<br />

proletarischen Frauenbewegung in die SPD ein nicht aufzulösender Konflikt.<br />

Zu den Frauen, deren Engagement bereits zu Zeiten des Sozialistengesetzes begonnen haben<br />

dürfte, aber nicht in ihrem Nachruf erwähnt wurde, gehört auch Katharina Bode (1861-1901). Als<br />

das Leben einer „echte[n] <strong>und</strong> rechte[n] Proletarierin“ 1752 sei ihr Leben, so die „Gleichheit“, voll<br />

von Mühe <strong>und</strong> Arbeit, aber auch ein „köstlich[es]“ Leben gewesen, „denn es war ein Leben<br />

treuester Pflichterfüllung“ 1753 . Bode habe als Sozialistin diese Pflichterfüllung aber nicht nur<br />

gegenüber ihren eigenen Angehörigen, sondern auch gegenüber „der großen Familie der Aus-<br />

gebeuteten <strong>und</strong> Enterbten“ 1754 bewiesen. In einer besonderen „Selbstlosigkeit“ 1755 im Kampf für<br />

die sozialistischen Ideale habe sie schließlich ihren Lebensinhalt gef<strong>und</strong>en.<br />

Als Tochter eines Arbeiters lernte sie von Anfang an die „enge <strong>und</strong> sonnenlose Proletarier-<br />

1750 Johanne Schackow †. In: GL, 13/ 03/ 28.02.1903/ 22.<br />

1751 Ebd.<br />

1752 Katharina Bode †. In: GL, 11/ 08/ 10.04.1901/ 60.<br />

1753 Ebd.<br />

1754 Ebd.<br />

1755 Ebd.<br />

565


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

existenz“ 1756 kennen, die auch verantwortlich war, dass sich ihr reger Geist nur mit der üblichen<br />

Volksschulbildung begnügen musste. Sie war 14 Jahre alt als sie die Mittellosigkeit ihrer Familie<br />

in ihre erste Anstellung als Dienstmädchen zwang <strong>und</strong> 16 Jahre alt als sie „den Kampf ums Dasein<br />

aufnehmen“ 1757 musste <strong>und</strong> nach Hamburg ging:<br />

„Das eigene Loos, wie die Großstadt mit ihren Gegensätzen von glänzendem<br />

Reichtum <strong>und</strong> düsterer Armuth brachte dem scharfen Verstand <strong>und</strong> dem empfindsamen<br />

Gemüth Katharinas die schreiende Ungerechtigkeit der bestehenden Gesellschaftsordnung<br />

zum Bewußtsein.“ 1758<br />

All diese das Klassenbewusstsein weckenden Erfahrungen hatte Bode in einem Alter machen<br />

müssen, so die „Gleichheit“ in einem moralischen Seitenhieb gegen das Bürgertum, in dem „die<br />

Töchter der gesellschaftlichen Drohnen wie kostbare Blüthen gehegt <strong>und</strong> gepflegt“ 1759 würden.<br />

Über die Ursachen der gesellschaftlichen Ungerechtigkeit <strong>und</strong> über die proletarische Pflicht,<br />

gegen sie zu kämpfen, wurde Bode von ihrem späteren Ehemann – einem Schneider – aufgeklärt<br />

<strong>und</strong> somit in die sozialistische Ideenwelt eingeführt. Nach der Heirat siedelte das Ehepaar nach<br />

Kiel über. Hier agitierte Bode im Fre<strong>und</strong>es- <strong>und</strong> Bekanntenkreis <strong>und</strong> führte den Gewerkschaften<br />

neue weibliche Mitglieder zu. 1893 bemühte sie sich um die Gründung des Bildungsvereins für<br />

Frauen <strong>und</strong> Mädchen, der bald ca. 500 Mitglieder hatte <strong>und</strong> deren erste Vorsitzende sie viele Jahre<br />

war. Diese Vereinsgründung <strong>und</strong> auch sein Fortbestehen stieß auf vielerlei Probleme – sowohl von<br />

außen wie auch von innen. Doch Bode habe<br />

„[m]it kluger Vorsicht […] die Organisation an den Klipppen des preußischen<br />

Vereinsrechts vorüber[gesteuert] <strong>und</strong> mit feinem Takte <strong>und</strong> ruhiger Besonnenheit<br />

verstand sie es, innere Zwistigkeiten zu vermeiden <strong>und</strong> Gegensätze auszugleichen,<br />

wie sie so oft die ges<strong>und</strong>e Entwicklung der Frauenvereine bedroh[t]“ 1760<br />

hätten. 1896 wurde Bode Vertrauensperson von Kiel <strong>und</strong> legte den Vereinsvorsitz nieder. Es waren<br />

wohl ges<strong>und</strong>heitliche Probleme, die dies erforderlich machten, denn mehrere Operationen hatten<br />

keine Besserung ihres Ges<strong>und</strong>heitszustandes gebracht. Die „Gleichheit“ stellte ihren Leserinnen<br />

mit Bode eine Frau vor, die wie sie selbst „nicht von überflüssiger Zeit <strong>und</strong> reichlichen Mitteln“<br />

1761 habe zehren können. Auch sie habe „neben dem Wirken für die sozialistischen Ideale […]<br />

häusliche Arbeit“ 1762 zu verrichten gehabt. Aber ihr Bildungsdrang <strong>und</strong> ihr Engagement für die<br />

Sache sei so groß gewesen, dass oft „die späte Nacht, der frühe Morgen sie noch bei der Lektüre,<br />

1756 Ebd.<br />

1757 Ebd.<br />

1758 Ebd.<br />

1759 Ebd.<br />

1760 Ebd.<br />

1761 Ebd., S. 61.<br />

1762 Ebd.<br />

566


4.4.5 ORGANISIERTE GENOSSINNEN – DIE STÜTZEN DER PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG<br />

der Arbeit“ 1763 gef<strong>und</strong>en habe. So habe die Verstorbene „genug gelebt für alle Zeiten, denn sie hat<br />

dem Besten ihrer Zeit gelebt“ 1764 – dem Sozialismus. Der Nachruf schloss mit der Aufforderung an<br />

die Leserinnen, desgleichen zu tun.<br />

Wie Bode war auch Josephine Döring (?-1902) laut ihres vermutlich von Zetkin verfassten<br />

Nachrufs Proletarierin durch <strong>und</strong> durch. Als „[e]ines Proletariers Kind“ 1765 sei sie „eines Prole-<br />

tariers Weib“ 1766 geworden. Ihr Mann war als Saisonarbeiter oft lange Zeit ohne Arbeit. Deshalb<br />

musste Döring neben der Haushaltsführung noch als Konfektionsnäherin zum Einkommen<br />

beitragen. Dennoch habe sie sich die nötige Zeit für geistige Anregung nehmen können:<br />

„Allein was immer Genossin Döring litt, was immer sie drückte: es versank, sobald<br />

sie eine sozialistische Broschüre, ein Bändchen Gedichte zur Hand nahm, sobald<br />

sie mit Gleichgesinnten über die Ideen sprechen konnte, die ihren Muth, ihre Thatkraft<br />

stets aufs Neue entflammten.“ 1767<br />

Aus dieser Begeisterung heraus wurde Döring eines der ersten <strong>und</strong> eifrigsten Mitglieder der Bres-<br />

lauer Frauenorganisation, die sich 1895 gründete. Nach deren Verbot leistete sie für die<br />

allgemeine Arbeiterbewegung wichtige „Kleinarbeit“, verkaufte Bons oder warb Versammlungs-<br />

besucher. Die später möglich gewordenen Frauenversammlungen bereicherte Döring des Öfteren<br />

mit der Rezitation schlesischer M<strong>und</strong>artgedichte des Breslauer Dichters Karl von Holtei. Eines<br />

Abends, sie habe gerade dazu angesetzt, dessen Gedicht „Suste nischt, ack heem“ („Sonst nichts,<br />

nur heim“) vorzutragen, erlitt sie vollkommen überraschend einen Herzanfall. Döring habe<br />

innegehalten, sich an den Kopf gefasst <strong>und</strong> sei schließlich lautlos auf den Stuhl zurückgesunken –<br />

ein, wie Zetkin meinte, „plötzlicher, sanfter <strong>und</strong> schöner Tod“ 1768 . Ein großes Unglück jedoch für<br />

ihren Ehemann, dem sie „Ernährerin“ gewesen sei <strong>und</strong> dem jegliche finanziellen Mittel fehlten,<br />

ihre Beerdigung zu bezahlen. Nur mittels einer Spendensammlung hatten diese aufgebracht<br />

werden können – ein Zeugnis proletarischer Solidarität, aber auch ein, wie Zetkin schrieb, „ty-<br />

pisches Bild proletarischen Elends in dieser besten aller Welten“ 1769 .<br />

Wie gering die Finanzmittel ihrer Familie aber auch gewesen waren, dies hatte Döring nicht<br />

hindern können, zu den Leseabenden zu kommen <strong>und</strong> andere Menschen mit ihren Vorträgen zu<br />

1763 Ebd.<br />

1764 Ebd.<br />

1765 Josephine Döring †. In: GL, 12/ 22/ 22.10.1902/ 173.<br />

1766 Ebd.<br />

1767 Ebd.<br />

1768 Ebd.<br />

1769 Ebd., S. 174.<br />

567


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

begeistern. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e war Döring der „Gleichheit“ ein Vorbild für das,<br />

„was H<strong>und</strong>erttausende, was Millionen Enterbter können, wenn sie nur wollen,<br />

wenn sie sich selbstlos <strong>und</strong> opferfreudig dem Ideal der Menschheitsbefreiung ergeben“<br />

1770 .<br />

Auch wenn diese Millionen nicht erwarten dürften, dass die Geschichtsschreibung Notiz von<br />

ihnen nehme, so könnten sie aber gewiss sein, dass ihr Wirken für den Sozialismus<br />

„an innerem Gehalt den geschäftigen Müßiggang mancher Fürstin <strong>und</strong> ‘berühmten’<br />

Frau, von dem die Geschichtsklitterung ein Breites erzählt“ 1771 ,<br />

überträfe. Die „Gleichheit“ <strong>und</strong> Zetkin hatten es sich zur Aufgabe gemacht, dieses Wirken <strong>und</strong><br />

diese Personen sichtbar zu machen, ihre Verdienste für alle Zeiten festzuhalten.<br />

Eine Mutter von acht Kindern war Magdalene Schmidt (?-1904/ 36-jährig). Obwohl sie diese<br />

pflegte, betreute <strong>und</strong> durch ihre Erwerbstätigkeit miternährte, sei sie, so wusste Zietz zu berichten,<br />

auch „unermüdlich“ 1772 für die Hamburger Arbeiterbewegung tätig gewesen. Schmidt verrichtete<br />

Kleinarbeit, beteiligte sich an Versammlungen <strong>und</strong> erbrachte sogar von dem Wenigen, das sie<br />

hatte, finanzielle Beiträge für die Partei. Nie habe sie „ihr guter Humor, ihr frischer Mut“ 1773 ver-<br />

lassen. Wie Schmidt zu Lebzeiten „in ihrer Selbstlosigkeit <strong>und</strong> Begeisterung ein leuchtendes<br />

Vorbild“ gewesen sei, so sollte sie, die an Kindbettfieber starb, es auch „über das Grab hinaus<br />

bleiben“ 1774 .<br />

„Unsere Adelheid“ 1775 wurde Adelheid Zeh (1869-1909) im bayerischen Lechhausen genannt, in<br />

das sie 1890 als Fabrikarbeiterin kam. Über Zehs Kindheit wusste die mit „M.G.“ zeichnende Ver-<br />

fasserin des Nachrufs – vermutlich Marie Greifenberg – lediglich zu berichten, dass sie im Alter<br />

von zehn Jahren ihre Mutter verlor. 1896 habe sie „mit dem Mann ihrer Wahl“ 1776 eine Ehe ge-<br />

schlossen, die sowohl „ein gemeinsamer Kampf um die Existenz“ 1777 als auch „für die Befreiung<br />

des Proletariats“ 1778 gewesen sei. Es sei<br />

1770 Ebd.<br />

1771 Ebd.<br />

1772 Zietz, Luise: Magdalene Schmidt – Hamm-Hamburg. In: GL, 15/ 01/ 11.01.1905/ 4.<br />

1773 Ebd.<br />

1774 Ebd.<br />

1775 [Greifenberg, Marie?] M.G.: Adelheid Zeh – Lechhausen †. In: GL, 19/ 12/ 15.03.1909/ 184. Für Greifenberg als<br />

Autorin spricht die aus den Recherchen in der „Gleichheit“ gewonnene Information, dass sie in Bayern Vorträge<br />

hielt, Zeh also gekannt haben dürfte.<br />

1776 Ebd.<br />

1777 Ebd.<br />

1778 Ebd.<br />

568


4.4.5 ORGANISIERTE GENOSSINNEN – DIE STÜTZEN DER PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG<br />

„eine echte, rechte Proletarierehe [gewesen], die zwei einsichtige, herzensgute,<br />

strebende Menschen vereinte <strong>und</strong> ihre höchste Weihe durch das harmonische<br />

Wirken im Dienste der sozialistischen Ideen erhielt“ 1779 .<br />

Indem es eine dem sozialistischen Ideal entsprechende Ehe war, so der nahegelegte Rückschluss,<br />

sei es eine glückliche Ehe gewesen.<br />

1905 wurde die sich durch Opferfreudigkeit <strong>und</strong> Lauterkeit auszeichnende Zeh zur Vertrauens-<br />

person gewählt. Ein Amt, das sie trotz ihrer „schlechten, mangelhaften Schulbildung“ 1780<br />

auszufüllen verstand. Sie sammelte erfolgreich eine „Kerntruppe von Genossinnen“ um sich, um<br />

diese „mit der Idee des Sozialismus zu erfüllen“ 1781 . Zeh war Teilnehmerin an den Frauen-<br />

konferenzen 1906 in Mannheim, 1908 in Nürnberg <strong>und</strong> der bayerischen Landesfrauenkonferenz<br />

von 1907.<br />

Lange Zeit schon litt sie an einem schweren rheumatischen Leiden. Diesem Leiden <strong>und</strong> ihrem<br />

Leben setzte eine Herzlähmung ein Ende. Dass sie sich „[a]uch in religiösen Dingen […] zu voll-<br />

ständiger Freiheit der Anschauung durchgerungen“ 1782 hatte, bewies Zeh kurz vor ihrem Tod,<br />

indem sie eine letzte Beichte <strong>und</strong> die Anwesenheit eines Geistlichen bei ihrer Beerdigung strikt<br />

abgelehnt hatte. Diese ihre „eigenste[…] freie[…] Entscheidung“ 1783 traf sie „von dem Bewußt-<br />

sein beseelt, daß jeder sein eigener Richter darüber sein müsse, wie er gelebt <strong>und</strong> gehandelt“ 1784<br />

hat. Doch auch andere richteten über Zehs Leben, wenn es in ihrem Nachruf lautete: „Ihr<br />

nachleben, heißt sie am schönsten ehren.“ 1785<br />

Eine große Anzahl von Menschen nahm an der Trauerfeier teil. Vor allem sei es ein Beweis, so<br />

Greifenberg, der<br />

„große[n] persönliche[n] Tüchtigkeit unserer verstorbenen Vorkämpferin, daß auch<br />

die Firma Butz & Söhne, wo sie lange Jahre geschafft hat, der fleißigen <strong>und</strong><br />

gewissenhaften Arbeiterin einen Kranz widmete“ 1786 .<br />

Diese Bemerkung beweist aber auch, dass der den sozialdemokratischen Frauen oft unterstellte<br />

Dogmatismus relativ zu sehen war. Anscheinend legten auch sie viel Wert auf Anerkennung durch<br />

bürgerliche Respektspersonen <strong>und</strong> vermeintliche kapitalistische Ausbeuter.<br />

1779 Ebd.<br />

1780 Ebd.<br />

1781 Ebd.<br />

1782 Ebd.<br />

1783 Ebd.<br />

1784 Ebd.<br />

1785 Ebd., S. 185.<br />

1786 Ebd.<br />

569


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Es ist nur ein kurzer Nachruf, den Maria Martzloff (?-?) 1787 auf die verstorbene Johanna<br />

Grünfeld (?-1911) verfasste. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass die „Gleichheit“-Redaktion<br />

sich genötigt gesehen hatte, Kürzungen vorzunehmen. Sie lebte in Freiburg i. B., war dort<br />

Mitbegründerin der sozialdemokratischen Frauensektion <strong>und</strong> als Rednerin <strong>und</strong> Agitatorin aktiv. So<br />

wurden nur wenige Informationen zu dem „Leben treuer Pflichterfüllung“ 1788 gegeben, das<br />

Grünfeld geführt habe <strong>und</strong> wie es laut Martzloff „in persönlicher Beziehung wie in Arbeit <strong>und</strong><br />

Kampf für das sozialistische Ideal vorbildlich“ 1789 gewesen sei.<br />

Auf ungewöhnliche Weise sticht Pauline Hennig (?-1912/ 49-jährig) aus der Gruppe der bisher<br />

porträtierten <strong>weiblichen</strong> SPD-Mitglieder heraus. Ungewöhnlich ist nicht, dass sich Hennig als ein<br />

aufgeklärtes Parteimitglied trotzdem nicht unmittelbar in der sozialdemokratischen Frauen-<br />

bewegung engagierte. Ungewöhnlich ist vielmehr ihre dezidierte Begründung für diese Ent-<br />

scheidung. Hennig habe, so Wehmann, die proletarische Frauenbewegung als eine Zersplitterung<br />

der proletarischen Kräfte erachtet <strong>und</strong> deshalb vornehmlich in der Jugend- <strong>und</strong> Kinderarbeit<br />

gewirkt. Die aus „rein proletarischen Verhältnissen“ 1790 stammende Hennig war selbst kinderlos<br />

geblieben, aber arrangierte Märchenaufführungen, gab Spielleiterkurse für Sommer- <strong>und</strong> Kinder-<br />

feste, war viele Jahre in der Jugendbücherei tätig <strong>und</strong> organisierte Jugend-Wanderungen. Ge-<br />

meinsam mit Ehemann Gustav Hennig setzte sie sich vor allem für die Wiederbelebung der<br />

Dramagruppe des früheren Arbeiterbildungsvereins Leipzig-Lindenau ein. Die Parteiarbeit ihres<br />

Ehemannes sei nur möglich <strong>und</strong> erfolgreich gewesen, weil er in seiner Ehefrau eine ver-<br />

ständnisvolle Gefährtin gehabt habe. 1791 Bevor Hennig an den Folgen einer Operation verstarb, so<br />

Wehmann, habe sie den besonderen Wahlsieg der SPD von 1912 noch miterleben dürfen.<br />

Der Kreis Dresden-Land verlor im September 1912 mit Luise Schirmer (?-1912/ 38-jährig), so<br />

der von M.W. verfasste Nachruf, eine „opferfreudige Verfechterin proletarischer Bestre-<br />

bungen“ 1792 . Schirmer war Delegierte der Genossinnen von Tolkewitz-Laubegast <strong>und</strong> Leiterin der<br />

Diskussionsabende. Im Andenken an diese Genossin, die all ihre Kräfte eingesetzt, über einen<br />

„edlen Sinn“ <strong>und</strong> „Schlichtheit“ verfügt habe, waren die „Gleichheit“-Leserinnen aufgefordert,<br />

1787 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu Marie<br />

Martzloff.<br />

1788 Martzloff, Marie: Genossin Johanna Grünfeld, Freiburg i. Br. † In: GL, 22/ 06/ 11.12.1911/ 91.<br />

1789 Ebd.<br />

1790 Wehmann, Klara: Pauline Hennig †. In: GL, 22/ 12/ 04.03.1912/ 187.<br />

1791 Vgl. ebd.<br />

1792 [Wackwitz, Marie?] M.W.: Luise Schirmer †. In: GL, 23/ 01/ 02.10.1912/ 10.<br />

570


„für die große Sache des Sozialismus weiterzukämpfen“ 1793 .<br />

4.4.5 ORGANISIERTE GENOSSINNEN – DIE STÜTZEN DER PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG<br />

Selma Spindler (?-1915) sei eine „aufrechte, klarblickende Proletarierin“ 1794 gewesen. Sie lebte in<br />

Döbeln, das im zehnten sächsischen Wahlkreis lag. Im gemeinsamen Kampf um die Befreiung<br />

ihrer Klasse aus der „‘Not der Tyrannei <strong>und</strong> der Tyrannei der Not’“ 1795 habe sie eine kamerad-<br />

schaftliche Ehe geführt. Spindler – eines der ersten <strong>weiblichen</strong> Mitglieder der Partei – engagierte<br />

sich sowohl in „aufklärender Kleinarbeit“ 1796 als auch im Besuch von Versammlungen. Das Ge-<br />

heimnis ihrer Überzeugungskraft war ein „vom Herzen kommendes zündendes Wort“ 1797 <strong>und</strong><br />

„[i]hr Beispiel gab vielen anderen Mut“ 1798 . Nachdem M. Drechsler (?-?), die Verfasserin des<br />

Nachrufes, aus Döbeln weggezogen war, folgte ihr Spindler, die bisher das Amt der Kassiererin<br />

versehen hatte, als Leiterin der sozialdemokratischen Frauengruppe nach. Außerdem engagierte<br />

sie sich sehr in der Jugendbewegung. Trotz eines Herzleidens sei Spindler eine „allzeit freudige<br />

<strong>und</strong> hingebungsvolle Beraterin <strong>und</strong> Helferin, […] ein Beispiel nie versagender Pflichttreue“ 1799 ge-<br />

wesen.<br />

Keine Erwähnung ihres Privatlebens fand sich in dem Nachruf auf Frieda Kuhlmanns (?-1916).<br />

Die Anzahl der von ihr bekleideten Ämter lässt tatsächlich die Vermutung zu, dass sie<br />

alleinstehend war. Kuhlmann war in der Dienstbotenbewegung von Hamburg <strong>und</strong> Altona aktiv<br />

<strong>und</strong> Mitglied der Hamburger Ortsgruppe des Zentralverbandes der Hausangestellten. Außerdem<br />

war sie Mitbegründerin <strong>und</strong> Kassiererin des „Vereins der Dienstboten, Wasch- <strong>und</strong> Scheuer-<br />

frauen“ Hamburgs <strong>und</strong> Mitglied des sozialdemokratischen Vereins des Distrikts Uhlenhorst. Seit<br />

1901 war sie Austrägerin der „Gleichheit“ <strong>und</strong>, so Luise Kähler als Verfasserin des Nachrufs, stets<br />

„bemüht, immer neue Leser für unser sozialistisches Frauenblatt zu werben“ 1800 . Obwohl ihr<br />

immer wieder nahegelegt, habe sie sich gescheut als Rednerin in großen Versammlungen auf-<br />

zutreten. Sie habe mehr Interesse daran gehabt, „in kleinem Kreis […] zu belehren, anzuregen, zu<br />

ermutigen <strong>und</strong> zu bilden“ 1801 .<br />

1793 Ebd.<br />

1794 Drechsler, M.: Selma Spindler †. In: GL, 26/ 02/ 15.10.1915/ 13.<br />

1795 Ebd.<br />

1796 Ebd.<br />

1797 Ebd.<br />

1798 Ebd.<br />

1799 Ebd.<br />

1800 Kähler, Luise: Frieda Kuhlmann – Hamburg … In: GL, 26/ 17/ 12.05.1916/ 128.<br />

1801 Ebd.<br />

571


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

„Rücksicht auf sich selbst“ 1802 sei für Kuhlmann, so Kähler, „etwas Unbekanntes“ 1803 gewesen.<br />

Eine solch aufopfernde Haltung wurde auffälligerweise besonders unter der Redaktion Zetkins<br />

herausgehoben <strong>und</strong> die ernsten Folgen, die eine solche haben konnte, ignoriert. Es geht nicht<br />

exakt aus dem Artikel hervor, ob Kuhlmann, die wegen eines ges<strong>und</strong>heitlichen Leidens ins Kran-<br />

kenhaus musste, auch dort verstarb. War es vielleicht eine zu spät erkannte <strong>und</strong> behandelte<br />

Krankheit <strong>und</strong> damit ihre Rücksichtslosigkeit gegenüber sich selbst, die sie das Leben kostete?<br />

Mit einem sehr kurzen Artikel feierte die „Gleichheit“ den 60. Geburtstag Emma Tölles (1854-?)<br />

aus Friedenau bei Berlin. Trotz dieses hohen Alters leitete sie „[r]üstig <strong>und</strong> voller Energie <strong>und</strong><br />

Begeisterung“ die örtliche Frauenorganisation der SPD. Seit den 1890er Jahren Mitglied des Ber-<br />

liner Verbandes der Schneiderinnen <strong>und</strong> Schneider sei Tölle, so die Verfasserin „E.B.“, „ein<br />

Vorbild für alle, die […] für die schöne sozialistische Zukunft arbeiten <strong>und</strong> ringen“ 1804 .<br />

Ebenfalls sehr kurz gehalten ist der von „os.“ verfasste Nachruf auf ? Hajlamátz (?-1916). Dies<br />

könnte sich einerseits durch den Mangel an Informationen, andererseits durch den Mangel an<br />

Papier erklären, der während des Ersten Weltkriegs das Erscheinen der „Gleichheit“ stark<br />

beeinträchtigte. Hajlamátz engagierte sich vor allem in der Leipziger Jugendbewegung. Ihr sei<br />

„[d]er Sozialismus […] mehr als ein bloßes Lippenbekenntnis [gewesen], er bestimmte ihr<br />

Handeln“ 1805 . Der Erste Weltkrieg ließ auch ihr Schicksal nicht unberührt: Ihr Lebensgefährte, der<br />

als Soldat in Italien dienen musste, konnte nur noch im letzten Augenblick an ihrem Todestage bei<br />

ihr sein.<br />

Der Nachruf auf Sibylla Benz (?-1918) verwies – verfasst von der neuen „Gleichheit“-Redaktion<br />

– auf eine neue Generation organisierter Genossinnen, denn Benz gehörte „erst“ seit 1906 der<br />

SPD an. Dieser späte Parteieintritt könnte darauf zurückzuführen sein, dass sie aus einem<br />

„klerikalen Dorfe“ 1806 stammte <strong>und</strong> sich lange nicht von den tradierten Vorstellungen lösen konnte.<br />

Die Biographie Benz‘, die sich vor allem in der Distriktleitung des Sozialdemokatischen Vereins<br />

<strong>und</strong> in der Kriegsfürsorge engagierte, weist manche für die Kriegszeit typische Karriereaspekte<br />

auf. Sie wurde die erste sozialdemokratische Armenpflegerin der Stadt Köln <strong>und</strong> während ihr<br />

Mann als Soldat eingezogen war hatte sie zudem dessen Amt als Kassierer des Sattlerverbandes<br />

1802 Ebd.<br />

1803 Ebd.<br />

1804 E.B.: Der 60. Geburtstag einer wackeren Kämpferin. In: GL, 24/ 14/ 01.04.1914/ 216.<br />

1805 os.: Genossin Hajlamátz – Leipzig †. In: GL, 26/ 23/ 04.08.1916/ 173.<br />

1806 Genossin Benz †. In: GL, 28/ 18/ 07.06.1918/ 141.<br />

572


4.4.5 ORGANISIERTE GENOSSINNEN – DIE STÜTZEN DER PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG<br />

inne. Selbst ihre Pflichten als Mutter von sechs Kindern (das jüngste war ein Jahr alt), so die<br />

„Gleichheit“, hinderten sie nicht an einer „treue[n] Pflichterfüllung für die Partei“ 1807 . Nicht nur<br />

zeige ihr Beispiel – gegeben in der schweren Zeit des Ersten Weltkrieges – vielen Frauen, „was<br />

eine der Ihren zu leisten vermag“ 1808 , es beschäme zugleich viele der Männer 1809 .<br />

Der in der „neuen“ „Gleichheit“ erschienene <strong>und</strong> – entsprechend des Erscheinungsjahres – ver-<br />

mutlich von Juchacz verfasste Nachruf auf Benz unterscheidet sich auffällig zu vergleichbaren<br />

Nachrufen der „alten „Gleichheit“. Zwar würdigte auch er mit Benz eine „tapfere[…]<br />

Kämpferin“ 1810 , doch sind die Ziele ihres Kampfes andere geworden. Der Krieg eröffnete ihr <strong>und</strong><br />

vielen anderen Frauen neue Tätigkeitsfelder: „Sobald der Ruf zur Mitarbeit in der Kriegsfürsorge<br />

erging, winkte ihr neue Arbeit.“ 1811 Benz war eine Mehrheitssozialdemokratin par Excellence, die<br />

ihre Pflichterfüllung darin sah, das Kriegselend zu lindern, anstatt es für einen revolutionären<br />

Umschwung zu nutzen. Benz starb in Köln-Ehrenfeld an einer Blutvergiftung.<br />

Stephanie Hoffmann (?-1918/ 47-jährig) war, so lässt es der von der Mannheimer SPD-<br />

Politikerin Therese Blase (1873-1930) 1812 verfasste Nachruf annehmen, ein Beispiel dafür wie<br />

manche Frauen für ihre Tätigkeit in der proletarischen Frauenbewegung Raubbau an der eigenen<br />

Ges<strong>und</strong>heit betrieben. Ein langwieriges Herz- <strong>und</strong> Rheumatismusleiden 1813 hatte sie bereits einmal<br />

zu einer zweijährigen Pause gezwungen bevor sie schließlich daran starb. In jener Pause hatte sie<br />

ihre seit 1905 bekleideten Ämter als erste Kassiererin <strong>und</strong> Vertrauensperson solange ruhen lassen<br />

müssen, bis sie wieder „in Wort <strong>und</strong> Schrift“ agitatorisch tätig werden konnte. Hoffmann sei über<br />

die Grenzen Mannheims „bekannt <strong>und</strong> beliebt“ 1814 gewesen. Sie wurde mehrmals zu SPD-<br />

1807 Ebd., S. 142.<br />

1808 Ebd.<br />

1809 Ebd.<br />

1810 Ebd.<br />

1811 Ebd.<br />

1812 Therese Blase, geb. Knauf, wurde im thüringischen Craula geboren. Sie war Tochter eines Landwirts, lebte seit<br />

1900 in Ludwigshafen <strong>und</strong> war ab 1903 in Mannheim ansässig. Zu diesem Zeitpunkt war sie Hausfrau <strong>und</strong><br />

demnach vermutlich bereits mit dem Kupferschmied Blase verheiratet. Vor 1901 – ein genaue Angabe ließ sich<br />

nicht feststellen – wurde Blase SPD-Mitglied <strong>und</strong> 1905 Mitgründerin der „Frauenabteilung des Sozialdemokratischen<br />

Vereins“. Ab 1911 engagierte sie sich in der Mannheimer Armenpflege, war Vorsitzende des Krüppelvereins<br />

Baden <strong>und</strong> ab 1912 Mitglied der Armenkommission im Jugendamt. Ab 1917 arbeitete sie in der Kriegsfürsorge<br />

Mannheim. Blase war Vorsitzende der Sozialdemokratischen Frauen Badens <strong>und</strong> Mitglied im sozialdemokratischen<br />

Landesvorstand. 1919-1930 war sie Abgeordnete des Badischen Landtages, außerdem Mitglied<br />

des Mannheimer Bürgerausschusses. 1925 war sie Mitglied der Krankenhauskommission. Für die „Gleichheit“<br />

verfasste sie mehrere hier enthaltene Nachrufe <strong>und</strong> den Leitartikel „Der Kampf, Erwecker des Klassenbewußtseins<br />

(GL, 16/ 17/ 22.08.1906/ 113).<br />

1813 Blase, Therese: Stephanie Hoffmann. In: GL, 28/ 22/ 02.08.1918/ 174.<br />

1814 Ebd.<br />

573


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Parteitagen delegiert <strong>und</strong> war Mitglied der Schulkommission <strong>und</strong> Vorsitzende der Mannheimer<br />

Kinderschutzkommission, deren Tätigkeit zu Kriegszeiten jedoch eingestellt worden war.<br />

Während des Krieges engagierte sie sich in der Zentrale für Kriegsfürsorge <strong>und</strong> machte trotz ihrer<br />

Krankheit regelmäßig Familien-, Armen- <strong>und</strong> Krankenbesuche.<br />

Regine Friedländer (?-1918) sei, so „O.W.“ in einem Nachruf, als „Proletarierkind“ 1815 geboren<br />

worden. Doch außerdem war sie „[e]ine geborene Agitatorin“ 1816 <strong>und</strong> beliebte Rednerin. Aus der<br />

Bemerkung, Friedländers „Temperament [habe] bedächtig widerstrebendes Überlegen für sich<br />

nicht anerkannt[…]“ 1817 , ist wohl zu schließen, dass sie in ihren Reden nicht unbedingt wissen-<br />

schaftlich argumentierte. Richtig erfasst habe sie aber trotzdem „die Notwendigkeit mühseliger<br />

organisatorischer Kleinarbeit für den Aufstieg der Arbeiterklasse“ 1818 <strong>und</strong> als erste weibliche<br />

Angestellte des Handlungsgehilfenverbandes eine solche auch geleistet. Aus eigener Kraft bahnte<br />

sie sich ihren Weg. Umso schwerer sei es ihr gefallen, anlässlich ihrer Heirat ihren Mädchen-<br />

namen Kraus <strong>und</strong> die liebgewordene Stellung wieder aufzugeben. Besonders die wachsende Zahl<br />

von Kindern habe aber Letzteres notwendig gemacht. Friedländer war keine Mehrheitssozial-<br />

demokratin, hegte aber, so „O.W.“ die „Hoffnung auf eine Einigung der Arbeiterschaft nach den<br />

Wirrsalen des Krieges“ 1819 , dessen Ende sie wegen einer typhusartigen Erkrankung allerdings<br />

nicht erlebte.<br />

Die im vogtländischen Rebesgrün [unleserlich] tätige Elise Heckel (?-1923) erlag „der Würgerin<br />

Tuberkulose“ 1820 . „Selbstlos, unermüdlich“ 1821 habe sie, so die Reichstagsabgeordnete Minna<br />

Schilling (1877-1928 oder 1943) 1822 , „Stein um Stein für den Bau unserer Zukunft zusam-<br />

1815 O.W.: Regine Friedländer †. In: GL, 29/ 02/ 25.10.1918/ 14.<br />

1816 Ebd.<br />

1817 Ebd., S. 15.<br />

1818 Ebd.<br />

1819 Ebd.<br />

1820 Schilling, Minna: Elise Heckel †. In: GL, 33/ 06/ 15.03.1923/ 47.<br />

1821 Ebd.<br />

1822 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten teilweise sehr widersprüchliche biographische<br />

Informationen zu Schilling: Minna (Martha) Schilling, geb. Petermann, wurde im sächsischen Freiberg geboren<br />

(Freiburg, wie Niggemann es angibt, ist unwahrscheinlich). Sie war Tochter eines Tabakarbeiters <strong>und</strong> selbst als<br />

Tabakarbeiterin im sächsischen Döbeln erwerbstätig. Als Hausfrau <strong>und</strong> Mutter von 6 Kindern lebte sie dann in<br />

Leipzig. 1919 erst Mitglied der Nationalversammlung, saß Schilling außerdem 1920-1928 als Abgeordnete im<br />

Reichstag <strong>und</strong> 1922-1928 im sächsischen Landtag. 1927-1928 war sie Aufsichtsratsmitglied der Landessiedlungsgesellschaft<br />

„Sächsisches Heim“ <strong>und</strong> 1925-1928 des Landeswohlfahrts- <strong>und</strong> Jugendamtes. Laut<br />

BIOSOP-Datenbank kam Schilling 1928 bei einem Eisenbahnunglück ums Leben, laut Niggemann <strong>und</strong> M.d.R<br />

verstarb sie 1943 in Weimar.<br />

574


4.4.5 ORGANISIERTE GENOSSINNEN – DIE STÜTZEN DER PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG<br />

men[getragen]“ 1823 . In der Zeit da während des Krieges die männlichen Funktionäre Kriegsdienst<br />

leisteten, hatte Heckel die Ortsgruppe geleitet. Das Leid anderer sei ihr Leid, die Freude anderer,<br />

„ihre reinste Freude“ 1824 gewesen. Im Oktober 1918 durch die Nachricht vom Tod ihres Ehe-<br />

mannes auf das Krankenlager geworfen, habe ihr das Miterleben der Revolution neue Kraft<br />

gegeben. Heckel wurde Mitglied im Gemeinderat, wo sie sich besonders in der Kriegshinter-<br />

bliebenenfürsorge engagierte. Sie wirkte „eifrig für die Allgemeinheit“ 1825 – „[i]hrer Ges<strong>und</strong>heit<br />

nicht achtend“ 1826 .<br />

Heckel hinterließ zwei schulpflichtige Kinder <strong>und</strong> „H<strong>und</strong>erte, deren Beschützerin“ 1827 sie gewesen<br />

war. Dem Andenken der Verstorbenen würden die Leserinnen am ehesten gerecht, so Schilling,<br />

wenn sie selbst nun weiter vorwärts strebten <strong>und</strong> in Heckels „Ueberzeugung weiter bau[t]en“ 1828 .<br />

1823 Ebd.<br />

1824 Ebd.<br />

1825 Ebd.<br />

1826 Ebd.<br />

1827 Ebd.<br />

1828 Ebd.<br />

575


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

4.4.6 „[J]unge[…] Frauchen“ – Die junge Generation engagierter Proletarierinnen<br />

Die Organisationen der proletarischen Frauenbewegung hatten große Probleme, Frauen jüngeren<br />

Alters als Mitglieder oder Leiterinnen zu gewinnen. Meist waren jüngere Arbeiterinnen – zumal<br />

wenn sie unverheiratet waren – voll erwerbstätig <strong>und</strong> zeitlich noch weniger flexibel als Arbeiter-<br />

frauen. Auch die sozialpsychologische Komponente einer noch wenig entwickelten Persönlichkeit<br />

<strong>und</strong> geringes persönliches Zutrauen dürften eine Rolle gespielt haben. Informationen zu dieser<br />

jüngeren Frauengeneration der proletarischen Frauenbewegung erhält man aus der „Gleichheit“<br />

lediglich aus Nachrufen, denn einen öffentlich gewürdigten „höheren“ Geburtstag erlebten sie ja<br />

nicht. Im Folgenden werden die Biographien in der proletarischen Frauenbewegung engagierter<br />

Frauen skizziert, die jünger als 35 Jahre waren.<br />

Mitten hinein in die Zeit des Sozialistengesetzes wurde Agnes Schilling (?-1896/ 34-jährig)<br />

geboren. Überzeugt <strong>und</strong> „opferfreudig“ 1829 habe sie später die damals sehr gefährliche Arbeit einer<br />

Vertrauensperson versehen. Schilling war mit einem Schneider verheiratet <strong>und</strong> hatte fünf Kinder<br />

zu versorgen. Deren ältestes war zehn, das jüngste drei Wochen alt als Schilling starb. Wie viele<br />

andere engagierte Proletarierinnen hatte also auch sie eine Vielfachbelastung zu tragen gehabt,<br />

denn<br />

„die Nothwendigkeit gebot, den Verdienst des Mannes durch Mitarbeit zu mehren,<br />

die zärtliche Mutterliebe ließ keine Vernachlässigung der Pflichten gegen die<br />

Kleinen zu, die leidenschaftliche Ueberzeugung duldete keine Säumigkeit im<br />

Wirken für die Befreiung des Proletariats“ 1830 .<br />

Kaum verw<strong>und</strong>erlich, so die „Gleichheit“, dass „die Arbeitstage […] oft zu Arbeitsnächten“ 1831<br />

wurden <strong>und</strong> kaum verw<strong>und</strong>erlich, so die „Gleichheit“ weiter, wenn diese Überlastung nicht zum<br />

frühen Tode Schillings beigetragen haben dürfte.<br />

Auch Luise Teumer (?-1904/ 27-jährig) verstarb in jungen Jahren. Sie war Tochter eines Prole-<br />

tariers <strong>und</strong> wurde im Alter von 12 Jahren Vollwaise. In ihrer Jugend wurde sie, so die „Gleich-<br />

heit“, sehr religiös erzogen,<br />

„doch einmal hinausgestoßen in das feindliche Leben erkannte sie bald, daß mit<br />

Dulden, Beten <strong>und</strong> Hoffen auf das Himmelreich den Armen nicht geholfen ist, daß<br />

sie lernen <strong>und</strong> kämpfen müssen, um sich auf Erden ein kulturwürdiges Dasein zu<br />

schaffen“ 1832 .<br />

1829 Wackere Kämpferinnen. In: GL, 06/ 24/ 25.11.1896/ 188.<br />

1830 Ebd.<br />

1831 Ebd.<br />

1832 Genossin Luise Teumer in Obereichenbach i.V. †. In: GL, 14/ 12/ 01.06.1904/ 93. Weil Teumer noch kurz vor<br />

576


4.4.6 „[J]UNGE[…] FRAUCHEN“ – DIE JUNGE GENERATION ENGAGIERTER PROLETARIERINNEN<br />

Das „feindliche Leben“ 1833 , die „Härten <strong>und</strong> Leiden des Lebens, welche die kapitalistische<br />

Ordnung den Ausgebeuteten in reicher Fülle beschert“ 1834 , sie seien es aber auch gewesen, die<br />

Teumer „allmählich zu einer überzeugten Genossin <strong>und</strong> Kämpferin heranreifen“ 1835 ließen.<br />

Sie übernahm das Amt einer Vertrauensperson <strong>und</strong> wurde 1903 wegen Teilnahme am Maifeiertag<br />

von ihrem Arbeitgeber aus dem Betrieb ausgeschlossen. Teumer engagierte sich in der Schulung<br />

der Genossinnen, in Kleinarbeit, Flugblätterverteilen, dem Austragen des Organs des<br />

Holzarbeiterverbandes <strong>und</strong> Einkassieren der Beiträge. 1836 Sie sei eine „eifrige, aufopfernde Genos-<br />

sin“ 1837 gewesen, die von der Proletarierkrankheit „aus den Reihen der kämpfenden Arbeiterklasse<br />

gerissen“ 1838 wurde. Doch war es nicht nur ihr Tod, den der Ehemann <strong>und</strong> der vierjährige Sohn zu<br />

ertragen hatten. Mit Teumer „sank ein neues, keimendes Leben ins Grab“ 1839 , denn sie hätte in den<br />

nächsten Monaten ein zweites Kind bekommen.<br />

Eher selten finden sich in den biographischen Artikeln Informationen darüber, welche Rolle die<br />

skizzierten Frauen bei der Arbeit <strong>und</strong> der Verbreitung der „Gleichheit“ spielten. Lea Heiden-<br />

Deutschmann (1877-1906) aber war nicht nur eine derjenigen Frauen, die die „Gleichheit“<br />

verbreiteten, sie war zudem Verfasserin von Vorträgen <strong>und</strong> Beiträgen für „Gleichheit“, „Vorwärts“<br />

<strong>und</strong> „Neue Zeit“. 1840 Aus dem vom „Gesamtausschuß des Frauen- <strong>und</strong> Mädchenbildungsvereins<br />

für München <strong>und</strong> Umgebung“ verfassten Nachruf lässt sich erkennen, dass mit Heiden-Deutsch-<br />

mann „viel liebe <strong>und</strong> stolze Hoffnungen zu Grabe getragen worden“ 1841 waren. Sie habe „zu den<br />

fähigsten, geschultesten <strong>und</strong> charaktervollsten jungen Vertreterinnen der proletarischen Frauen-<br />

bewegung“ 1842 gezählt. Seit sie ungefähr zehn Jahre vor ihrem Tod „in den Bannkreis des<br />

sozialistischen Ideals ger[aten]“ 1843 sei, habe die junge Handelsangestellte „rastlos um Läuterung<br />

ihrem Tode ein kirchliches Begräbnis abgelehnt hatte, wurde es ihren Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Gesinnungsgenossen verboten,<br />

an ihrem Grabe zu sprechen (vgl. ebd., S. 94).<br />

1833 Ebd., S. 93.<br />

1834 Ebd.<br />

1835 Ebd.<br />

1836 Ebd.<br />

1837 Ebd.<br />

1838 Ebd.<br />

1839 Ebd., S. 94.<br />

1840 Lea Heiden-Deutschmann †. In: GL, 16/ 21/ 17.10.1906/ 147. Heiden-Deutschmann verfasste u. a. für die<br />

„Gleichheit“: Katholische Arbeiterinnenbewegung. In: GL, 15/ 20/ 04.10.1905/ 117-118; Verbandstage der<br />

„radikalen“ Frauenrechtlerinnen. In: GL, 15/ 21/ 18.10.1905/ 122-123 (ein Bericht zu den vom 02.-05.10.1906<br />

stattfindenden Generalversammlungen des Verbandes fortschrittlicher Frauenvereine <strong>und</strong> des Verbandes für<br />

Frauenstimmrecht in Berlin).<br />

1841 Ebd.<br />

1842 Ebd.<br />

1843 Ebd.<br />

577


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

ihrer Erkenntnis gerungen“ 1844 . Sie sei stets „ohne nach den Opfern zu fragen, für ihre Über-<br />

zeugung eingetreten“ 1845 <strong>und</strong> war nicht nur in München, sondern zuvor auch in Frankfurt am Main<br />

<strong>und</strong> Berlin agitatorisch tätig. Nicht nur, dass sie in jenen Städten Vorträge hielt, sie war auch<br />

Mitglied des jeweiligen Frauenbildungsvereins – in Frankfurt am Main war sie sogar Vertrauens-<br />

person 1846 . Besonders engagiert war sie in der Organisation der Handelsgewerbearbeiter. Doch all<br />

diese Informationen über das breitgefächerte Wirken Heiden-Deutschmanns, so ihre Genossinnen<br />

weiter, könnten nicht die Schwere ihres Verlustes erklären, wenn man sie nicht auch persönlich<br />

gekannt habe. Ihre Persönlichkeit machte zugleich ihr Wirken aus:<br />

„In heißen äußeren <strong>und</strong> inneren Kämpfen hat sie sich selbst finden müssen. Aber<br />

sie hatte das Glück, zugleich eine feste, in sich geschlossene Weltanschauung im<br />

Sozialismus gef<strong>und</strong>en zu haben, <strong>und</strong> so ist sie über Steine <strong>und</strong> durch Dornen<br />

gewandert – oft müden Fußes <strong>und</strong> blutenden Herzens, aber nie mutlos, nie rückwärts,<br />

sondern mit stetig wachsenden geistigen <strong>und</strong> sittlichen Kräften aufwärts.“ 1847<br />

Heiden-Deutschmann habe über eine große Allgemeinbildung <strong>und</strong> ein umfassendes theoretisches<br />

Wissen verfügt. Mit diesen Fähigkeiten <strong>und</strong> Kenntnissen wäre es „ihr ein leichtes gewesen, sich<br />

eine bürgerlich angesehene, einträgliche Stellung zu schaffen“ 1848 . Doch ihr „glühende[r]<br />

Drange“ 1849 habe dem Ziel gegolten, „den Emanzipationskampf des Proletariats immer besser ge-<br />

rüstet mitkämpfen zu können“ 1850 . Ein Kampf, über den sie jedoch nie versäumte, „eine zärtliche,<br />

treubesorgte <strong>und</strong> einsichtsvolle Mutter“ 1851 zu sein, die in „echte[r] Wärme des Gefühls“ 1852 die<br />

Entwicklung ihres Sohnes begleitete. Heiden-Deutschmann verstarb im Münchner Josefinum. 1853<br />

Klara Heinrich (?-1908/ 33-jährig) 1854 war bereits Mutter von vier Kindern im Alter von drei bis<br />

neun Jahren als sie im Wochenbett an einer Herzerweiterung <strong>und</strong> Bauchfellentzündung starb.<br />

1844 Ebd.<br />

1845 Ebd.<br />

1846 Heiden-Deutschmann wurde 1902 zur Vertrauensperson der Sozialdemokratinnen Frankfurts gewählt (vgl. Klausmann,<br />

Politik <strong>und</strong> Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich, S. 120f.)<br />

1847 Ebd.<br />

1848 Ebd., S. 148.<br />

1849 Ebd.<br />

1850 Ebd.<br />

1851 Ebd.<br />

1852 Ebd.<br />

1853 Im November 1904 hatte sich Heiden-Deutschmann von ihrem Ehemann, dem stellvertretenden Vorsitzenden des<br />

Sozialdemokratischen Vereins <strong>und</strong> zweiten Arbeitersekretär Frankfurts, Johannes Heiden, getrennt <strong>und</strong> war nach<br />

München umgezogen (vgl. Klausmann, Politik <strong>und</strong> Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich, S. 348; Niggemann,<br />

Emanzipation zwischen Feminismus <strong>und</strong> Sozialismus, S. 311).<br />

1854 Diese Altersangabe erklärt sich durch die Information, dass Heinrich als 21jährige am Parteitag in Gotha 1896<br />

teilgenommen habe (vgl. Genossin Klara Heinrich †. In: GL, 13/ 22/ 21.10.1903/ 175).<br />

578


4.4.6 „[J]UNGE[…] FRAUCHEN“ – DIE JUNGE GENERATION ENGAGIERTER PROLETARIERINNEN<br />

„Das Lesen sozialdemokratischer Schriften <strong>und</strong> Zeitungen“, so ihr Nachruf, sei dieser jungen Frau<br />

„ein höherer Genuß als Tanz <strong>und</strong> andere Zerstreuungen“ 1855 gewesen. Glücklich gemacht habe es<br />

sie,<br />

„im kleinen Kreise das Evangelium von der Freiheit alles dessen, was<br />

Menschenantlitz trägt, verkünden zu können, ihm neue Bekenner <strong>und</strong><br />

Bekennerinnen zu werben oder ihm sonst zu dienen“ 1856 .<br />

Als Delegierte der Wahlkreise Grünberg-Freiberg <strong>und</strong> Sagan-Sprottau nahm Heinrich – ein<br />

„junges Frauchen“ 1857 von 21 Jahren 1858 – an dem Parteitag 1896 in Gotha teil. Unermüdlich<br />

leistete Heinrich, die gewerkschaftlich im Fabrikarbeiterverband organisiert war, besonders in<br />

Zittau <strong>und</strong> Löbau agitatorische <strong>und</strong> organisatorische „Kleinarbeit“. Es seien schließlich die<br />

„mit der Kinderzahl wachsenden mütterlichen Verpflichtungen [gewesen, die]<br />

verhinderten, daß Genossin Heinrich ihrer Begabung <strong>und</strong> Neigung entsprechend,<br />

sich ein größeres Wirkungsfeld in der Bewegung schaffen konnte“ 1859 .<br />

Heinrich ist damit eine der wenigen von der „Gleichheit“ porträtierten Frauen, denen es nicht<br />

vollständig gelungen war, Mutterpflichten <strong>und</strong> Klassenkampf in idealem Maß gerecht zu werden.<br />

Umso verständlicher wird das erklärte Ziel der „Gleichheit“, ideale Voraussetzungen – kürzere<br />

Arbeitszeiten, bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten – zu erkämpfen, um mehr weibliches En-<br />

gagement in Politik <strong>und</strong> Gesellschaft möglich zu machen. Die Lösung dieser Probleme lag für sie<br />

<strong>und</strong> ihre MitarbeiterInnen im Sozialismus.<br />

Ebenfalls im Alter von 33 Jahren, an einer chronischen Bleivergiftung <strong>und</strong> Nierenentzündung<br />

starb Auguste Kadeit (?-1909/ 33-jährig). Bereits als Kind gezwungen, mitzuverdienen, weil ihr<br />

Vater früh verstorben war, musste Kadeit nach kurzer Schulzeit erst in einer Zigarren- <strong>und</strong> dann in<br />

einer Korkfabrik arbeiten. Nach Berlin umgezogen, wurde sie Metallarbeiterin. Durch diese<br />

Arbeit habe sie sich – „[w]ährend sie für andere Reichtümer sch[uf]“ 1860 – „den Keim der<br />

tödlichen Krankheit“ 1861 geholt, der sie später erlag. Anders als bei vielen anderen Sozialdemo-<br />

kratinnen, waren es anscheinend nicht die ihr nahe stehenden Personen, die Kadeit zur<br />

Arbeiterbewegung führten, sondern ihr bewusstes Wahrnehmen <strong>und</strong> Hinterfragen ihrer eigenen<br />

1855 Ebd.<br />

1856 Ebd.<br />

1857 Ebd.<br />

1858 Heinrichs Redebeitrag auf dem Parteitag befürwortete die Herausgabe allgemeinverständlicher Broschüren (vgl.<br />

ebd. <strong>und</strong> Heinrich im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 171).<br />

1859 Genossin Klara Heinrich †. In: GL, 13/ 22/ 21.10.1903/ 175.<br />

1860 Auguste Kadeit †. In: GL, 19/ 23/ 16.08.1909/ 361.<br />

1861 Ebd.<br />

579


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Existenzbedingungen <strong>und</strong> ihre Lebenserfahrung.<br />

Die chronische Krankheit zwang Kadeit des Öfteren zur Bettlägerigkeit, welche sie jedoch zur<br />

Lektüre <strong>und</strong> Fortbildung genutzt habe. Ihr so gesammeltes Wissen gab sie an ihre Berufs-<br />

genossinnen weiter <strong>und</strong> bald wurde sie zur Agitatorin für die sozialistische Sache. Zu Beginn des<br />

Jahres 1909 sei sie nach einer Versammlung „von einer Gehirnerschütterung befallen“ 1862 worden<br />

<strong>und</strong> musste für sechs Wochen in das Krankenhaus des kleinen Ortes, in dem sie sich gerade<br />

aufhielt. Kaum erholt, seien es „ihr Pflichteifer <strong>und</strong> das Vertrauen ihrer Kolleginnen <strong>und</strong><br />

Kollegen“ 1863 gewesen, die sie als Delegierte zur Generalversammlung der Metallarbeiter in<br />

Hamburg reisen ließen. Vermutlich ein fahrlässiger Fehler, denn aus Hamburg kehrte sie krank<br />

nach Berlin zurück, wo sie ihrem Leiden erlag. Der „Gleichheit“ ist Kadeit ein besonderes<br />

„Beispiel der geistigen <strong>und</strong> sittlichen Kraft, die in den proletarischen Frauen zum<br />

Licht drängt“ 1864 .<br />

Die Jüngste in dieser Reihe junger sozialistischer Frauen ist Grete Brüggemann (?-1910/ 24-<br />

jährig). Sie starb nach Meinung der Verfasserin ihres Nachrufes, Relie Deffner (?-?), „in einem<br />

Alter, wo die Seele reich an Blütenträumen“ 1865 sei. Zur proletarischen Frauenbewegung habe sie<br />

durch den Wirkungskreis ihres Vaters gef<strong>und</strong>en, der als Gauleiter des Deutschen Textilarbeiter-<br />

verbandes tätig war. Der Tod des „liebenswürdige[n], stets heitere[n] Mädchen[s] 1866 bedeute für<br />

die Frauenorganisation einen besonderen Verlust, denn die Entwicklung Brüggemanns habe zu<br />

„den schönsten Hoffnungen für eine fruchtreiche Arbeit im Dienste unserer Ideen berechtigt[…]“<br />

1867 . Sie sei<br />

„um so schwerer zu ersetzen, als es nicht viele gibt, die in so jugendlichem Alter<br />

sich zu solch klarer Erkenntnis der Ziele der sozialdemokratischen Bewegung<br />

durchgerungen haben“ 1868 .<br />

Brüggemann – laut Deffner eine „echte Proletariern“ 1869 – litt wie Tausende ihrer Klassengenossen<br />

an einer Proletarierkrankheit, an einem „langjährige[n], hartnäckige[n] Lungenleiden“ 1870 , das<br />

auch in einem Sanatorium nicht geheilt werden konnte. Weder die qualvolle Krankheit noch<br />

1862 Ebd. Diese Beschreibung lässt eher nicht auf eine einfache Gehirnerschütterung in herkömmlicher Bedeutung<br />

schließen.<br />

1863 Ebd.<br />

1864 Ebd.<br />

1865 Deffner, Relie: Grete Brüggemann †. In: GL, 20/ 14/ 11.04.1910/ 220.<br />

1866 Ebd.<br />

1867 Ebd.<br />

1868 Ebd.<br />

1869 Ebd.<br />

1870 Ebd.<br />

580


4.4.6 „[J]UNGE[…] FRAUCHEN“ – DIE JUNGE GENERATION ENGAGIERTER PROLETARIERINNEN<br />

„Sturm[…][,] Regen, […] Frost […][oder] Sonnenhitze“ 1871 hätten sie aber daran hindern können,<br />

vor den Fabriktoren <strong>und</strong> in den Straßen Flugblätter <strong>und</strong> Versammlungsaufrufe zu verteilen, um auf<br />

diese Weise „Aufklärung <strong>und</strong> Wissen unter die Arbeiterschaft zu tragen“ 1872 . Wenn auch Brügge-<br />

manns Wirken „nach außenhin nicht so auffiel, war sie doch äußerst wertvoll“ 1873 , denn ihre<br />

„unermüdlich[e] Kleinarbeit“ sei „für den Gesamterfolg unentbehrlich“ 1874 gewesen.<br />

Die Solinger SPD habe mit der jungen Margarete Ries (?-1922/ 25-jährig), so „M.A.“, eine<br />

„mutige, lebensfrohe Genossin“ 1875 verloren, die „immer an erster Stelle, selbstlos <strong>und</strong> rein“ 1876 der<br />

Bewegung gedient habe. Eine Grippeinfektion forderte mit der gerade erst 25-jährigen Ries ein<br />

Opfer, das „in seiner schlichten einfachen Art, frei von aller Kleinlichkeit, gewissenhaft als<br />

Kämpferin für den Sozialismus seinen Weg“ 1877 gegangen sei – den anderen Genossinnen damit<br />

„Ansporn <strong>und</strong> leuchtendes Vorbild“ 1878 war.<br />

1871 Ebd.<br />

1872 Ebd.<br />

1873 Ebd.<br />

1874 Ebd.<br />

1875 M.A.: Margarete Ries † In: GL, 32/ 02/ 15.01.1922/ 18.<br />

1876 Ebd.<br />

1877 Ebd.<br />

1878 Ebd.<br />

581


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

4.4.7 In erster Reihe – Führerinnen der deutschen proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong><br />

Mitarbeiterinnen der „Gleichheit“<br />

Die Zusammenstellung der bisherigen biographischen Skizzen deutscher <strong>Klassenkämpferinnen</strong><br />

erfolgte nach einer mehr oder weniger aus den Artikeln heraus feststellbaren Hierarchie der von<br />

ihnen bekleideten Ämter. <strong>Von</strong> den Sympathisantinnen der Arbeiterbewegung <strong>und</strong> Pionierinnen der<br />

deutschen proletarischen Frauenbewegung aus der Zeit des Sozialistengesetzes bis zu den füh-<br />

renden Genossinnen der Frauenorganisationen, die sich vor allem nach 1890 engagierten. Im<br />

Folgenden werden nun die herausragenden Persönlichkeiten der proletarischen Frauenbewegung,<br />

die zudem eine große Rolle für die Gestaltung der „Gleichheit“ spielten, vorgestellt. Es sind dies<br />

sowohl Pionierinnen der 1890er Jahre als auch „Sozialdemokratinnen“ – wie sich Frauen im<br />

Gr<strong>und</strong>e erst seit dem Reichsvereinsgesetz von 1908 bezeichnen konnten. Einige der Führerinnen<br />

der proletarischen Frauenbewegung vereinigen in ihren Biographien beide Aspekte, waren sowohl<br />

führendes Mitglied der SPD als auch der proletarischen Frauenbewegung.<br />

Bevor nun diejenigen Pionierinnen vorgestellt werden, deren Wirken in direktem Zusammenhang<br />

mit der „Gleichheit“, ihrer Gründung <strong>und</strong> ihrer inhaltlichen Gestaltung steht, soll eine besondere<br />

Biographie vorangestellt werden. Eine Biographie, die sowohl innerhalb der aktuellen Bericht-<br />

erstattung der „Gleichheit“ als auch innerhalb dieser Sammlung von Frauenbiographien einen<br />

besonderen Fall darstellt. Zetkin war der Meinung, dass im Befreiungskampf des deutschen Prole-<br />

tariats<br />

„eine Menge idealer Gestalten an die Oberfläche [tauchen], die an Charaktergröße,<br />

an Adel der Gesinnung, an Energie des Willens <strong>und</strong> selbstverleugnender Pflichttreue<br />

den Besten aller Zeiten zur Seite gestellt werden können“ 1879 .<br />

Eine dieser idealen Gestalten sei Agnes Wabnitz (1841-1894) 1880 gewesen. Allerdings war Wabnitz<br />

auch eine besonders eigentümliche Persönlichkeit der proletarischen Frauenbewegung, deren<br />

Einsatz für die Bewegung über ein ges<strong>und</strong>es Maß – im wahrsten Sinne des Wortes – hinausging<br />

<strong>und</strong> von Zetkin nicht ohne Skepsis gesehen wurde. Auch Wabnitz habe dem „hehren Ideal einer<br />

sonnenreichen Zukunft für Alle“ 1881 entgegengestrebt. Sie sei mit einem „ehrlichen, leiden-<br />

schaftlichen Haß gegen die heutigen ungerechten Gesellschaftsverhältnisse beseelt“ 1882 gewesen<br />

1879 Agnes Wabnitz. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 147.<br />

1880 Das in der „Gleichheit“ <strong>und</strong> auch auf dem Grabstein Wabnitz‘ angegebene Geburtsjahr 1842 ist anscheinend<br />

falsch. Der Autor Klaus Kühnel bezieht sich dabei auf die 1841 erschienene Weihnachtsausgabe des „Oberschlesischen<br />

Wanderers“ (1828-1945) – der Heimatzeitung des Geburtsortes Wabnitz‘ –, in welcher deren Geburt<br />

bekannt gegeben wurde (vgl. Kühnel, Wanderrednerin der SPD).<br />

1881 Ebd.<br />

1882 Ebd.<br />

582


4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />

<strong>und</strong> habe „Aufopferung <strong>und</strong> Hingabe“ 1883 „mit einer Selbstlosigkeit, die bis zur vollständigen<br />

Selbstverleugnung ging“ 1884 , bewiesen. Ausgestattet mit einem „scharfen, schlagfertigen Geist“ 1885<br />

<strong>und</strong> rednerischem Talent habe sie alle Voraussetzungen gehabt, eine besondere Führungskraft der<br />

proletarischen Frauenbewegung zu werden. In ihren letzten Lebensjahren trat in ihrem Wesen<br />

jedoch ein „krankhafter Zug“ 1886 hervor. Dieser neue Wesenszug <strong>und</strong> die drohende Inhaftierung in<br />

ein Irrenhaus trieben Wabnitz zum Suizid – jedoch habe sie sich nicht, so betonte Zetkin, als<br />

„Müde <strong>und</strong> Verzweifelte“ 1887 , sondern als „kühl Entschlossene“ 1888 das Leben genommen.<br />

Wabnitz wurde als Tochter eines wohlhabenden Hotelbesitzers im oberschlesischen Gleiwitz<br />

geboren. Ihre Mutter entstammte polnischem Adel, dessen Familiennamen jedoch selbst lang-<br />

jährige Kampfesgenossinnen Wabnitz‘ nie erfahren haben. Sie hatte zwei Brüder <strong>und</strong> eine<br />

Schwester, die reich geheiratet haben soll. Um die Pflege der später gelähmten Mutter musste sich<br />

jedoch Wabnitz ganz allein kümmern. Da einer ihrer Brüder trunk- <strong>und</strong> spielsüchtig war <strong>und</strong> das<br />

Geld der Familie nahezu durchgebracht hatte, war Wabnitz gezwungen, als so genannte „Bon-<br />

ne“ 1889 in Russisch-Polen erwerbstätig zu sein. Zusätzliches Geld verdiente sie mit Handarbeiten.<br />

Dann zog sie nach Berlin <strong>und</strong> verdiente den Lebensunterhalt für sich <strong>und</strong> ihre Mutter, sowie für<br />

die Familie eines ihrer Brüder durch Näharbeiten. Bevor sie sich der proletarischen Frauenbe-<br />

wegung anschloss, war sie in der freireligiösen Gemeinde <strong>und</strong> dann in der bürgerlichen Frauen-<br />

bewegung aktiv gewesen. 1882 wurde sie Mitglied des englischen Sittlichkeitsb<strong>und</strong>es, trat bald<br />

darauf jedoch wieder aus. Im selben Jahr hörte sie einen Vortrag Johanna Weckers. <strong>Von</strong> diesem<br />

inspiriert beteiligte sich Wabnitz 1883 an der Gründung des Berliner „Frauenhilfsvereins“. 1890<br />

Diese Informationen zu Wabnitz‘ familiärer Herkunft stammen nicht aus dem anfangs zitierten<br />

Nachruf Zetkins, sondern aus dessen Berichtigung. 1891 Zetkin hatte einige der in ihrem ersten<br />

Artikel veröffentlichten Informationen korrigieren müssen. Die korrekten Angaben entnahm sie<br />

selbst dem Artikel „Wie Agnes Wabnitz Sozialistin wurde“ aus Nr. 33 des „Sozialdemokrat“. Es<br />

war u. a. nicht richtig, dass Wabnitz eine geringe, orthodox religiös geprägte Bildung genossen<br />

habe, sie hatte im Gegenteil eine gute Schulbildung genossen. Hatte Zetkin in ihrem ersten Artikel<br />

noch werbewirksam behauptet, Wabnitz‘ Verlobter sei im deutsch-französischen Krieg 1870/71<br />

1883 Ebd.<br />

1884 Ebd.<br />

1885 Ebd.<br />

1886 Ebd.<br />

1887 Ebd.<br />

1888 Ebd.<br />

1889 „Bonne“ ist ein Synonym für Kindermädchen, Gouvernante oder Erzieherin.<br />

1890 Vgl. Berichtigung zu dem Artikel „Agnes Wabnitz“ in Nr. 19 der „Gleichheit“! In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 163.<br />

1891 Ebd., S. 163-164.<br />

583


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

gefallen <strong>und</strong> dies sei ausschlaggebend für ihr erwachendes Klassenbewusstsein gewesen, so<br />

musste sie in der Berichtigung veröffentlichen, dass Wabnitz in Wahrheit ihre Verlobung gelöst<br />

hatte. Dies zudem weil ihr Verlobter eines Sittlichkeitsvergehens schuldig geworden war. 1892<br />

Nach dieser etwas verwirrenden Einführung in die Biographie Agnes Wabnitz‘ nun zu ihrem<br />

Wirken für die proletarische Frauenbewegung:<br />

Wabnitz habe eine „wahre Samariternatur“ 1893 besessen <strong>und</strong> viele finanzielle Opfer gebracht, um<br />

Menschen in Not zu helfen. Sie unterstützte zudem die politische <strong>und</strong> gewerkschaftliche Agita-<br />

tion, hielt Zeitungsabonnements <strong>und</strong> las Parteiliteratur zum Studium der Sozialwissenschaften. Ihr<br />

sei eine „beispiellose Bedürfnislosigkeit“ 1894 <strong>und</strong> „große Willensstärke“ 1895 eigen gewesen.<br />

In den 1880er Jahren nahm Wabnitz regen Anteil an der Gründung des „Vereins der Arbeiterinnen<br />

Berlins (Nord)“ <strong>und</strong> des „Vereins der Mantelnäherinnen“ – den Wurzeln der Berliner Frauen-<br />

agitation <strong>und</strong> -organisation. In letzterem Verein war sie Vorstandsmitglied <strong>und</strong> wurde als solches<br />

anlässlich seines Verbotes zu einer Geldstrafe verurteilt. Wabnitz reiste als Agitatorin durch<br />

Deutschland, um „den Enterbten das Evangelium des Sozialismus zu bringen“ 1896 , um aus „Opfern<br />

der Gesellschaft von heute […] Streiter[…] für die Gesellschaft von morgen“ 1897 zu machen. Ihre<br />

Wirkung habe nicht nur in ihrem rednerischen Talent, sondern vor allem in ihrem Vorbild, dem<br />

„Beispiel ihrer Person“ 1898 bestanden. 1891 wurde sie in Frankfurt am Main erstmals zu einer<br />

Haftstrafe verurteilt. Das Urteil lautete „nur“ auf eine Woche Gefängnis. Es wurde jedoch eine<br />

Woche, in der Wabnitz jegliche Nahrungsaufnahme verweigerte, um gegen die widerrechtliche<br />

Freiheitsentziehung, gegen die Macht des Klassenstaates passiven Widerstand zu leisten.<br />

In den von Zetkin verfassten Nachruf lassen sich nun die ebenfalls von ihr verfassten Notizen<br />

einflechten, mit der die „Gleichheit“ die letzten Ereignisse auf Wabnitz‘ Lebensweg zeitnah be-<br />

gleitete. Es sind mehrere kleine, in der Rubrik „Arbeiterinnenbewegung“ erschienene Notizen, die<br />

über die Verhaftung <strong>und</strong> Gefängniszeit Wabnitz‘ berichten <strong>und</strong> auf die Zetkin auch in ihrem Nach-<br />

ruf verwies. Am 11.07.1892, so berichtete die „Gleichheit“, wurde Wabnitz wegen „wiederholter<br />

Majestätsbeleidigung <strong>und</strong> Beschimpfung von Einrichtungen der christlichen Kirche“ 1899 zu einer<br />

1892 Vgl. Agnes Wabnitz. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 147 <strong>und</strong> Berichtigung zu dem Artikel „Agnes Wabnitz“ in Nr. 19<br />

der „Gleichheit“! In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 163.<br />

1893 Agnes Wabnitz. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 148.<br />

1894 Ebd.<br />

1895 Ebd.<br />

1896 Ebd.<br />

1897 Ebd.<br />

1898 Ebd.<br />

1899 [Ohne Titel. In:] GL, 02/ 15/ 27.07.1892/ 126.<br />

584


4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />

Gefängnisstrafe von zehn Monaten verurteilt. 1900 Wabnitz wollte dieses Urteil aber nicht ohne<br />

Weiteres akzeptieren. Erneut entschloss sie sich zum passiven Widerstand <strong>und</strong> leistete den Eid, im<br />

Gefängnis weder zu essen, noch zu trinken. Dieser Hungerstreik führte dazu, dass sie in die<br />

Berliner Charité überführt wurde. Dort wurde sie mit durch einen Gummischlauch eingeflößten<br />

Brei zwangsernährt. 1901 Zetkin missbilligte diesen Hungerstreik Wabnitz‘ prinzipiell, d. h. „vom<br />

sozialistischen Standpunkt aus“ 1902 . Jeder wisse, dass Wabnitz eine gesinnungstreue, unermüdliche<br />

<strong>und</strong> aufopfernde Genossin sei.<br />

„Wozu also eine Demonstration, welche der Arbeiterfrage absolut nichts nützt, im<br />

Gegentheil, wäre sie durchgeführt worden, ihr eine tüchtige Kraft geraubt hätte?<br />

Den Gegnern der Arbeiterbewegung könnte jedenfalls kein größerer Liebesdienst<br />

erwiesen werden, als wenn alle Agitatoren <strong>und</strong> Agitatorinnen bei Verurtheilung das<br />

gleiche Gelöbnis ablegten wie Frl. Wabnitz <strong>und</strong> es auch durchführten.“ 1903<br />

Deshalb machte sie sich selbst <strong>und</strong> den Leserinnen das Verhalten Wabnitz‘ als eine Auswirkung<br />

einer ihr eigen gewordenen „nervöse[n] Ueberreizung“ 1904 begreiflich. Einige Wochen später<br />

konnte die „Gleichheit“ schließlich berichten, dass Wabnitz den Hungerstreik aufgegeben <strong>und</strong> die<br />

Zwangsernährung damit aufgehört habe. 1905 Zetkin wiederholte, dass Wabnitz‘ selbstzerstörerische<br />

Aktion, wäre sie nicht abgebrochen worden, nur den Gegnern der Arbeiterbewegung genutzt<br />

hätte. 1906<br />

Im Januar 1893 stand die Entlassung Wabnitz‘ aus der Krankenabteilung Dalldorf kurz bevor. Ihre<br />

Untersuchungshaft, die sie wegen angeblicher Fluchtgefahr sofort hatte antreten müssen, war<br />

zwar bereits im Oktober 1892 aufgehoben worden, der Staatsanwalt hatte Wabnitz jedoch wegen<br />

ihres Hungerstreiks für „gemeingefährlich geisteskrank“ erklärt. Aus diesem Gr<strong>und</strong> sah sich die<br />

Krankenabteilung nicht befugt, sie zu entlassen. Obwohl also die Untersuchungshaft ausgesetzt<br />

worden war, hielt man sie widerrechtlich in der Charité fest <strong>und</strong> es erfolgte eine Überführung als<br />

„gemeingefährliche Geisteskranke“ 1907 in das „Irrenhaus“ in Dalldorf.<br />

Angesichts dieser ungesetzlichen Behandlung schrieb Zetkin ironisch:<br />

1900 Ebd.<br />

„Gewiß wäre eine Bourgeoisdame, welche sich der gleichen Exzentritäten wie<br />

Fräulein Wabnitz schuldig gemacht hätte, ebenso behandelt worden wie die sozialistische<br />

Agitatorin. Alle Preußen sind ja vor dem Gesetz gleich, <strong>und</strong> wer‘s nicht<br />

1901 [Ohne Titel. In:] GL, 02/ 16/ 10.08.1892/ 133.<br />

1902 Ebd.<br />

1903 Ebd.<br />

1904 Ebd.<br />

1905 Vgl. [Ohne Titel. In:] GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 181.<br />

1906 Vgl. ebd.<br />

1907 Agnes Wabnitz. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 149.<br />

585


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

glaubt, zahlt einen Thaler.“ 1908<br />

Es sei schließlich der „Aufenthalt unter Geisteskranken“ 1909 gewesen, der die ohnehin an ihr auf-<br />

fällig gewordene „hochgradige Erregung“ 1910 noch gesteigert habe. Aus Furcht, die Irrenanstalt nie<br />

wieder verlassen zu können, versuchte sie gerade an jenem Tage, an dem ihre Entlassung erreicht<br />

werden sollte, sich das Leben zu nehmen. Doch auch damit nahm die Schikane der Behörden kein<br />

Ende. Der Staatsanwalt wollte sie als Geisteskranke entmündigen lassen, das Gericht bestätigte<br />

erneut die Strafe von zehn Monaten Haft <strong>und</strong> nicht ein einziger ihrer bisherigen Hafttage sollte<br />

auf die Strafe angerechnet werden. Daraufhin vergiftete sich Wabnitz auf dem Friedhof<br />

Friedrichshain, demjenigen Friedhof – wie Zetkin vieldeutig erwähnte – auf dem die 1848-Revo-<br />

lutionäre Berlins begraben wurden. 1911 Dieser Friedhof war noch ein Jahr zuvor Schauplatz einer<br />

Märzfeier gewesen, anlässlich welcher zahlreiche Blumengebinde durch die Vertreterinnen<br />

verschiedener Frauenvereine auf den Gräbern der Märzgefallenen niedergelegt worden waren. Der<br />

Blumenkranz der Frauenagitationskommission trug ein von Wabnitz verfasstes Gedicht – Wabnitz<br />

selbst hatte an der Feier nicht teilgenommen, weil sie noch von einer Operation geschwächt war:<br />

„‘Wer für des Volkes Freiheit starb,<br />

Lebt fort, wär‘ er auch todtgeschossen.<br />

Das ‘Unvergessen’ er Erwarb,<br />

Für Freiheit ist sein Blut geflossen.<br />

Des Volkes Tochter nahet still<br />

Dem Hügel, der den Leib Euch deckt,<br />

Mit einem Kranz sie danken will,<br />

Daß Ihr der Freiheit Geist erweckt!’“ 1912<br />

Es scheint sich hier bereits eine Todessehnsucht der Arbeiterführerin auszudrücken. In ihrem<br />

Nachruf auf Wabnitz betonte Zetkin aber nochmals, dass es nicht die Furcht vor zehn Monaten<br />

Gefängnishaft gewesen sei, die Wabnitz in den Tod getrieben habe – hatte sie doch zuvor<br />

„unerschrocken <strong>und</strong> treu lange Jahre allen Gefahren des Kampfes gegen die<br />

übermächtige kapitalistische Gesellschaft getrotzt“ 1913 .<br />

Wabnitz sei entschlossen gewesen, die Gefängniskost ein weiteres Mal zu verweigern <strong>und</strong> sie<br />

habe gewusst, dass dies abermals die Überführung ins „Irrenhaus“ mit sich gebracht hätte. Es war<br />

die sichere Erwartung, „als Ges<strong>und</strong>e unter Irre gesperrt zu werden, in der Folge die Umnachtung<br />

1908 [Ohne Titel. In:] GL, 03/ 02/ 25.01.1893/ 12.<br />

1909 Agnes Wabnitz. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 149.<br />

1910 Ebd. Zetkin diagnostizierte Wabnitz‘ Leiden als „Neurasthenie“ (ebd., S. 149).<br />

1911 Wabnitz hinterließ einer Fre<strong>und</strong>in einen Abschiedsbrief, in dem sie schrieb: „‘Liebe Frau M. Ich ruhe im<br />

Friedrichshain nahe dem Krankenhaus auf unserem Freiheitsacker. Mit Gruß Ihre G…’“ (ebd., S. 148).<br />

1912 Nachtrag zur Märzfeier. In: GL, 03/ 07/ 19.04.1893/ 60-61.<br />

1913 Agnes Wabnitz. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 149-150.<br />

586


4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />

des Geistes befürchten zu müssen“ 1914 , die Wabnitz den letzten Ausweg im Suizid sehen ließ. „Mit<br />

Agnes Wabnitz“, so Zetkin, habe<br />

„die deutsche zielbewußte Arbeiterklasse ihre Louise Michel verloren, der Heldin<br />

der Kommune ebenbürtig an Idealismus <strong>und</strong> Ehrlichkeit der Gesinnung, an Selbstlosigkeit<br />

des Strebens, an Begeisterung, Opferfreudigkeit <strong>und</strong> nicht ermattender<br />

Energie, wie sie auch leidend unter den Fehlern ihrer Vorzüge, ihr ähnlich in dem<br />

<strong>und</strong> jenem eigenartigen Zuge des Wesens. Nur Eins hat ihr gefehlt, damit die Aehnlichkeit<br />

scharf zu Tage trat, damit ihr Name von M<strong>und</strong> zu M<strong>und</strong> über den Erdball<br />

flog, von den Einen mit Bew<strong>und</strong>erung <strong>und</strong> Liebe, von den Anderen mit Haß<br />

genannt: der große tragische geschichtliche Hintergr<strong>und</strong>.“ 1915<br />

Aber auch sie würde nie vergessen werden <strong>und</strong> stelle angesichts ihrer „Bürgertugenden so<br />

manchen Helden mit <strong>und</strong> ohne Krone tief in den Schatten“ 1916 . Wabnitz sei eine der „talent-<br />

vollsten, opfermuthigsten, charakterfestesten <strong>und</strong> eifrigsten Vorkämpferinnen“ 1917 gewesen, „von<br />

ungewöhnlicher Herzensgüte <strong>und</strong> Wärme des Empfindens“ 1918 .<br />

Wabnitz‘ Beerdigung wurde – trotz Polizeiverbot – zu einer sozialdemokratischen Massen-<br />

demonstration. Dies beschreibt ein Artikel, den Zetkin dem „Vorwärts“ entnahm <strong>und</strong> in der<br />

„Gleichheit“ veröffentlichte: Zehntausende ProletarierInnen, über tausend Kränze vom Partei-<br />

vorstand der SPD, von Redaktion <strong>und</strong> Expedition des „Vorwärts“ <strong>und</strong> des „Sozialdemokrat“, von<br />

Verlag <strong>und</strong> Druckerei, von Parteigenossen, Wahlvereinen, Gewerkschaften, Werkstätten <strong>und</strong><br />

Fabriken. Des Weiteren Kränze von all den Organisationen, denen die Verstorbene persönlich<br />

angehört hatte: <strong>Von</strong> der Frauenagitationskommission, vom Frauen- <strong>und</strong> Mädchen-Bildungsverein,<br />

von der Organisation der Schneider <strong>und</strong> Schneiderinnen Berlins. Tausend Trauerkränze für Wab-<br />

nitz waren auch tausend „‘Arbeitergroschen, doch gern gegeben, als schwacher Ausdruck der<br />

Gefühle, die Jeder <strong>und</strong> Jede in sich trug’“ 1919 . Bis zum Anbruch der Dunkelheit seien die Massen –<br />

geschätzte 40.000 bis 45.000 Personen – an ihrem Grab vorbeigeströmt, um ihr die letzte Ehre zu<br />

erweisen. Ein außergewöhnliches Ausmaß anlässlich der Beerdigung einer Selbstmörderin, für das<br />

schließlich der „Vorwärts“ die beste Erklärung ergibt:<br />

1914 Ebd., S. 149.<br />

1915 Ebd., S. 150.<br />

1916 Ebd.<br />

„‘Durch den Verlauf dieser imposanten Todtenfeier ehrte das arbeitende Volk nicht<br />

nur das Opfer der heutigen Zustände, die Kämpferin für Wahrheit <strong>und</strong> Recht,<br />

sondern auch sich selbst. Das Volk ist frei von jener Heuchelei, die vor der ‘Selbstmörderin’<br />

drei Kreuze schlägt.’“ 1920<br />

1917 Agnes Wabnitz †. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 148.<br />

1918 Ebd.<br />

1919 „Vorwärts“ zit. nach: Ebd., S. 149.<br />

1920 „Vorwärts“ zit. nach: Ebd.<br />

587


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Abgesehen von ihrer überspannten Persönlichkeit, die irgendwie nicht in das Idealbild der „Klas-<br />

senkämpferin“ passen will, war Wabnitz ein besondere „Agitationsgröße“. Ihr Schicksal war eine<br />

Demonstration gegen die Polizei, gegen die Justiz, gegen die in ihren Diensten stehende Ärzte-<br />

schaft <strong>und</strong> nicht zuletzt gegen die Kirche, die den Suizid ächtete, indem sie die Bestattung in<br />

geweihtem Boden verweigerte.<br />

Nur einige Wochen nach Wabnitz‘ Tod veröffentlichte die bürgerliche Schriftstellerin <strong>und</strong><br />

Frauenrechtlerin Bertha Glogau (1849-?) 1921 eine Broschüre zum Leben der Sozialdemokratin.<br />

Zetkin warnte jedoch die „Gleichheit“-Leserinnen nachdrücklich vor dem Kauf dieser Broschüre.<br />

Sie würden „mit ihren sauer ersparten Groschen“ 1922 nur ein „ganz werthlose[s] Machwerk“ 1923<br />

kaufen. Glogau ließe sich auf 35 Seiten für 50 Pfennig lediglich in „sentimental-überschweng-<br />

liche[n], hohle[n], zum Theil geradezu sinnlose[n] Deklamationen“ 1924 über die Persönlichkeit<br />

Wabnitz‘ aus. Sie mache aus ihr eine „süßlich-rührselige[…] Romanfigur“ 1925 . Wabnitz‘ Ideale<br />

würden „zu einer platten, farblosen, einseitigen Moralmeierei verballhornisiert“ 1926 . Wäre Wab-<br />

nitz, so Zetkins Argumentation, tatsächlich die in der Broschüre als verschroben dargestellte<br />

Persönlichkeit gewesen,<br />

„so wäre ihr Wirken <strong>und</strong> ihr Erfolg innerhalb der deutschen sozialistischen<br />

Arbeiterbewegung ein Ding der Unmöglichkeit gewesen“ 1927 .<br />

Auch hier macht sich, wie bereits bei den Kämpferinnen der ersten St<strong>und</strong>e festgestellt, ein<br />

„qualitativer“ Rückschluss vom Charakter der Mitglieder auf den Charakter der Partei, von dem<br />

Charakter der Partei auf den Charakter der Mitglieder deutlich. Indem Zetkin Wabnitz verteidigte,<br />

verteidigte sie auch die Sozialdemokratie.<br />

Wabnitz blieb auch ohne diese Broschüre unvergessen. Ein Jahr später veröffentlichte die „Gleich-<br />

heit“ unter dem Titel „Das Proletariat vergißt seine Todten nicht“ einen Artikel zu ihrem ersten<br />

Todestag. Unter Beteiligung vieler Vereine <strong>und</strong> eines Gesangsvereins wurde ihr zu Ehren ein aus<br />

Sandsteinblöcken zusammengesetztes Denkmal mit Granitplatte enthüllt. Die Sandsteinblöcke<br />

stellten eine Felsenpartie dar, die „symbolisch zerrissen <strong>und</strong> zerklüftet, eckig <strong>und</strong> kantig“ 1928 sei.<br />

1921 Bertha Glogau, geboren in Königsberg <strong>und</strong> Tochter eines Kriegsrates, verfasste vornehmlich Essays <strong>und</strong> Kritiken<br />

<strong>und</strong> war Mitarbeiterin der Berliner „Nationalzeitung“ (1848-1938) <strong>und</strong> des „Deutschen Montagsblatts“ (1877-<br />

1888; außerdem nachgewiesen 1934). Kühnel bezeichnet sie als „Fre<strong>und</strong>in“ der verstorbenen Wabnitz‘ (vgl.<br />

Kühnel, Wanderrednerin der SPD).<br />

1922 Agnes Wabnitz. <strong>Von</strong> B. Glogau. Eine Frauenstimme aus der Bourgeoisie. In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 168.<br />

1923 Ebd.<br />

1924 Ebd.<br />

1925 Ebd.<br />

1926 Ebd.<br />

1927 Ebd.<br />

1928 Das Proletariat vergißt seine Todten nicht. In: GL, 05/ 20/ 02.10.1895/ 154.<br />

588


4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />

Ob diese Symbolik eher für die Persönlichkeit Wabnitz‘ oder für die Arbeiterbewegung stehen<br />

sollte, wird nicht erklärt.<br />

Nur eine kleine Notiz war die erste Reaktion der „Gleichheit“ auf den Tod Gertrud Guillaume-<br />

Schacks (1845-1903), einer besonders zentralen Persönlichkeit der deutschen Frauenbewegung.<br />

In dieser Notiz gab die „Gleichheit“-Redaktion bekannt, dass sie eine entsprechende Nachricht<br />

erst fünf Monate nach Guillaume-Schacks Tod erreicht habe. Es müsse nun erst „zuverlässiges<br />

Material“ 1929 zum „Wirken <strong>und</strong> der Persönlichkeit dieser tapferen, großherzigen Frau“ 1930 , zu<br />

dieser „Bahnbrecherin[…] der ersten, schwersten St<strong>und</strong>en“ 1931 der proletarischen Frauenbewegung<br />

gesammelt werden. Schließlich wolle die „Gleichheit“ gewissenhaft <strong>und</strong> in treuer Dankbarkeit der<br />

Verstorbenen „einen vollen Lorbeerkranz widme[n]“ 1932 – auch wenn Guillaume-Schack später die<br />

SPD verlassen habe <strong>und</strong> „in anarchistelnder Eigenbrödelei ihre Pfade“ 1933 gegangen sei.<br />

Es dauerte jedoch weitere sechs Monate bis die „Gleichheit“ schließlich einen besonders gewis-<br />

senhaft ausgearbeiteten Nachruf veröffentlichte. Verfasserin dieses Nachrufes war Marie Hof-<br />

mann, die selbst zu den Führerinnen der deutschen proletarischen Frauenbewegung zu zählen ist.<br />

Guillaume-Schack, diese „Adlige, deren Herz <strong>und</strong> Geist auch von hohem Adel war“ 1934 , sei<br />

zugleich eine Frau<br />

„aus dem Volke [gewesen], die durch tatkräftigen Opfermut einen dauernden Platz<br />

in der Geschichte der sozialdemokratischen Partei erworben“ 1935<br />

habe. Sie wurde als Tochter des Grafen <strong>und</strong> der Gräfin Schack im oberschlesischen Beuthen<br />

geboren <strong>und</strong> verlebte dort eine glückliche Jugend. Dies nicht zuletzt, weil ihr Vater „jede selb-<br />

ständige Geistesregung seiner Kinder ermutigt[…]“ 1936 habe <strong>und</strong> sich so ihre Persönlichkeiten voll<br />

entfalten konnten. In der Schweiz lernte Guillaume-Schack den jungen Künstler Guillaume ken-<br />

nen. Sie heiratete ihn <strong>und</strong> beide zogen nach Paris um. Da jedoch die Ehe keine glückliche war,<br />

trennte sie sich nach kurzer Zeit wieder von ihrem Ehemann. Guillaume-Schack, so Hofmanns<br />

Überzeugung, sei „zu wahrhaftig [gewesen], um an einem Irrtum des Herzens der Konvenienz<br />

halber lebenslang festzuhalten“ 1937 .<br />

1929<br />

Frau Guillaume-Schack †. In: GL, 14/ 03/ 27.01.1904/ 22.<br />

1930<br />

Ebd.<br />

1931<br />

Ebd.<br />

1932<br />

Ebd.<br />

1933<br />

Ebd.<br />

1934<br />

Hofmann, Marie: Gertrud Guillaume-Schack. In: GL, 14/ 13/ 15.06.1904/ 99.<br />

1935 Ebd.<br />

1936 Ebd.<br />

1937 Ebd. Das gute Verhältnis Guillaume-Schacks zu ihren Schwiegereltern belege ihre Schuldlosigkeit an der<br />

589


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

In Paris engagierte sich Guillaume-Schack im, so Hofmann, „Britisch-kontinentalen B<strong>und</strong>“ für die<br />

Abschaffung der Sittenpolizei, die mit ihren erniedrigenden Untersuchungen Prostituierte<br />

drangsalierte <strong>und</strong> stigmatisierte. Hofmann meinte dieses erste Tätigkeitsfeld Guillaume-Schacks<br />

rechtfertigen zu müssen, indem sie schrieb: „Der tüchtige <strong>und</strong> energische Mensch widmet sich<br />

zunächst der ersten guten Sache, die Arbeit braucht, ohne sich lange zu bedenken.“ 1938<br />

Guillaume-Schack kehrte in ihr Elternhaus zurück <strong>und</strong> gründete in Beuthen den Hauptverein des<br />

„Kulturb<strong>und</strong>es“, in dem sie sich auch weiterhin der Prostituiertenfrage annahm. Im Vergleich zu<br />

den Organisationen anderer Länder hatte er jedoch kaum öffentliche Resonanz. Erst 1882<br />

gründete sich ein Zweigverein <strong>und</strong> trotz zahlreicher Agitationsreisen blieb die Anhängerschaft<br />

gering. Während die abolitionistischen Bewegungen anderer Länder oft von führenden Persön-<br />

lichkeiten aus Politik <strong>und</strong> Gesellschaft getragen wurden, erachtete man das Thema in Deutschland<br />

als unsittlich oder zu politisch. 1883 jedoch wurde in Berlin ein weiterer Zweigverein gegründet.<br />

Hofmann vermutet, dass das zunehmende Interesse mancher Personen an dem Verein <strong>und</strong> manche<br />

Rücksichtnahme der Behörden nur in der adeligen Abstammung seiner Vorsitzende begründet<br />

war:<br />

„[D]er Philister beider Geschlechter hörte lieber die Gräfin als eine Bürgerliche, er<br />

verzieh ihr auch leichter ihre ‘Extravaganz’“ 1939 .<br />

Guillaume-Schack geriet jedoch immer mehr in Konflikt mit der Inkonsequenz <strong>und</strong> den<br />

bürgerlichen Vorurteilen innerhalb ihrer eigenen Organisation. Auch dass der „Korrespondent“<br />

(1887-1921) 1940 , das offizielle Organ des Britisch-kontinentalen B<strong>und</strong>es, einen Artikel mit dem<br />

Titel „Die meisten Dirnen sind Sozialdemokratinnen“ veröffentlichte, ließ Guillaume-Schack<br />

schließlich erkennen, dass sie nicht am richtigen Platz war. Guillaume-Schack wandte sich nun<br />

„mehr <strong>und</strong> mehr an das Volk, welches“, so Hofmann, „zugänglicher für gerechte Klagen <strong>und</strong><br />

Forderungen [sei] als die höheren Klassen“ 1941 . Ihre „gewinnende[…] Persönlichkeit“ 1942 <strong>und</strong> ihr<br />

ernstes <strong>und</strong> würdevolles Auftreten, schlugen die Brücken zum Proletariat. Doch war die Gräfin<br />

nicht vorbereitet auf die Konfrontation mit dessen revolutionärer Überzeugung, dass nur eine Ver-<br />

änderung der wirtschaftlichen Umstände eine Besserung einzelner Missstände bringen könne. Wie<br />

manche anderen aus dem Bürgertum stammenden Frauen habe auch Guillaume-Schack eine<br />

Trennung (vgl. ebd.).<br />

1938 Ebd.<br />

1939 Ebd., S. 100.<br />

1940 Es ist anzunehmen, dass es sich hierbei um „Der Korrespondent für das Rettungswerk an den Gefallenen <strong>und</strong> für<br />

die Arbeit zur Hebung der Sittlichkeit“ herausgegeben vom Vorstand des Westdeutschen Sittlichkeitsvereins<br />

Mülheim a.d. Ruhr handelte.<br />

1941 Ebd.<br />

1942 Ebd.<br />

590


4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />

„naturgemäße“ 1943 Entwicklung durchmachen müssen, um diese Überzeugung teilen zu können.<br />

Die Unterdrückung der Frau erkennend, hatte sie ihre Tätigkeit in der Frauenbewegung begonnen,<br />

eine „notwendige logische Entwicklung“ 1944 , so Hofmann, musste sie zur Sozialdemokratie<br />

führen.<br />

1885 gründete Guillaume-Schack den „Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen“,<br />

der allerdings bedingt durch das Vereinsrecht „natürlich auf ganz unpolitischer Gr<strong>und</strong>lage“ 1945<br />

habe beruhen müssen. Später zog sie wegen der vorteilhafteren politischen Umstände ins<br />

hessische Offenbach um. Hier existierte bereits eine vor allem von Frauen gestützte freiwillige<br />

Hilfskasse für Portefeuillearbeiter, die Guillaume-Schack in die „Central-Kranken- <strong>und</strong> Begräb-<br />

nißkasse für Frauen <strong>und</strong> Mädchen in Deutschland“ umwandelte. Dies war die Trägerin der bereits<br />

dargestellten Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, die laut Hofmann für Folgendes stand:<br />

„Nicht fromme Redensarten, sondern Tatsachen wurden geboten, nicht demütige<br />

Ergebung in Gottes Willen, sondern redliches <strong>und</strong> tapferes eigenes Streben – das<br />

predigte die ‘Staatsbürgerin’.“ 1946<br />

Die Umstände unter denen diese Zeitschrift zusammen mit den drei wichtigsten Berliner<br />

Frauenvereinen verboten wurde, wurden bereits beschrieben. Guillaume-Schack kam gerade von<br />

einem Kongress des Britisch-kontinentalen B<strong>und</strong>es aus London nach Offenbach zurück, als sie<br />

von ihrer Ausweisung in Kenntnis gesetzt wurde. Nach einem kurzen Aufenthalt in der Schweiz<br />

ließ sich Guillaume-Schack in London nieder. In England hatte sie jedoch große Schwierigkeiten,<br />

ihr Wirken fortzusetzen. Der Ton der Briefe, die sie an Hofmann schrieb, habe „immer mehr eine<br />

resignierende Färbung“ 1947 angenommen <strong>und</strong> „Arbeitsmüdigkeit“ 1948 ausgedrückt. Das Exil in<br />

England, so Hofmanns These, habe auf fast jede sozialdemokratische Gesinnung einen negativen<br />

Einfluss gehabt. Viele „weniger widerstandsfähige Naturen“ 1949 hätten sich dort von der „selbst-<br />

süchtig-realistische[n] Strömung, die das ganze öffentliche Leben durchdringt <strong>und</strong> lenkt“ 1950<br />

täuschen lassen. „Es lieg[e]“, so Hofmann, „ein feiner betäubender Duft in der englischen Luft,<br />

der verhängnisvoll auf den deutschen Idealisten wirk[e]“ 1951 . So auch auf Guillaume-Schack, die<br />

1943 Ebd.<br />

1944 Ebd.<br />

1945 Ebd.<br />

1946 Hofmann, Marie: Gertrud Guillaume-Schack. (Schluß.). In: GL, 14/ 14/ 29.06.1904/ 107.<br />

1947 Ebd.<br />

1948 Ebd.<br />

1949 Ebd.<br />

1950 Ebd.<br />

1951 Ebd.<br />

591


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

eine „deutsche Idealistin […] in des Wortes schönster <strong>und</strong> bester Bedeutung“ 1952 gewesen sei. Dies<br />

ist wohl auch als eine Erklärung für Guillaume-Schacks Verbindungen zur englischen Anarchie zu<br />

sehen.<br />

Was Guillaume-Schack, die „froh <strong>und</strong> ruhig“ 1953 nach langem, still erduldetem Leiden entschlief,<br />

der deutschen proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> was diese für Guillaume-Schack war, fasst<br />

Hofmann wie folgt zusammen:<br />

„Ihre froheste Zeit, ihre Sonnentage sind es gewesen, als sie im Kampfe für Freiheit<br />

<strong>und</strong> Recht auf dem vorgeschobenen Posten stand, viele durch die Kraft ihres<br />

Wortes, durch die gewinnende Liebenswürdigkeit ihres ganzen Wesens mit sich riß<br />

<strong>und</strong> die Bewegung der Proletarierinnen mit einheitlichem Streben erfüllte. Ihre<br />

Tätigkeit hat kurz gedauert, aber reiche Früchte getragen. In einer Zeit, da alles still<br />

geworden, hat sie der Arbeiterinnenbewegung neues Leben eingehaucht.“ 1954<br />

Und selbst der Umstand, dass sich Guillaume-Schack in ihren letzten Lebensjahren den „Theo-<br />

sophen“ 1955 anschloss, war nach Meinung Hofmanns „durch die Aufrichtigkeit einer Natur<br />

bedingt, die von den hergebrachten Formen ließ, wenn eine neue ihrem Geiste oder ihrem Gemüt<br />

mehr Befriedigung bot“ 1956 . Dies ist wiederum eine Charakterisierung, die Guillaume-Schack<br />

nicht unbedingt zu den gesinnungsreinsten <strong>Klassenkämpferinnen</strong> zählen lässt.<br />

Vor allem optisch ist der in der „Gleichheit“ veröffentlichte Nachruf auf Emma Ihrer (1857-<br />

1911) eine Besonderheit. Der das ganze Titelblatt füllende Text ist in einen schwarzen Rahmen<br />

gesetzt <strong>und</strong> Ihrers Name auffällig groß gedruckt. Zetkin, die diesen Nachruf verfasst haben dürfte,<br />

nimmt mit ihm Abschied nicht nur von einer „langjährigen Fre<strong>und</strong>in“ 1957 , sondern auch von einer<br />

„rastlosen Kampfgenossin, […] glänzenden Agitatorin <strong>und</strong> Organisatorin, […]<br />

anregenden Beraterin unserer Frauenbewegung <strong>und</strong> einer ihrer verdienstvollsten<br />

Begründerinnen“ 1958 .<br />

Doch auch diese Vielzahl von Zuschreibungen könne nicht den „richtigen Maßstab“ 1959 für die<br />

Bedeutung Ihrers geben. „[N]ur die genaue Kenntnis der Geschichte unserer Bewegung, die in<br />

1952 Ebd.<br />

1953 Ebd., S. 108.<br />

1954 Ebd., S. 107.<br />

1955 Die Theosophie ist eine esoterische Strömung, die sich u. a. mit der Unsterblichkeit des menschlichen Ich, Reinkarnation,<br />

Astrologie <strong>und</strong> Askese beschäftigt <strong>und</strong> das Weltgeschehen als einen göttlichen Prozess deutet (vgl.<br />

Metzler-Philosophie-Lexikon, S. 596).<br />

1956 Ebd.<br />

1957 Emma Ihrer †. In: GL, 21/ 08/ 16.01.1911/ 113.<br />

1958 Ebd.<br />

1959 Ebd.<br />

592


4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />

ihrem Werden <strong>und</strong> Wachsen aufs innigste mit Genossin Ihrers Tätigkeit verb<strong>und</strong>en ist“ 1960 , so<br />

Zetkin, könne deren Bedeutung ermessen lassen. Deshalb stellte Zetkin an den Anfang des Nach-<br />

rufes einen Einblick in den politischen Werdegang Ihrers. Sie, deren „starke[r], arbeitsfrohe[r]<br />

Lebenswille“ 1961 nun durch eine wochenlange kräftezehrende Krankheit gebrochen war, sei eine<br />

der ersten Frauen gewesen, die „[w]egweisend, aufbauend […] erwecken[d], sammeln[d] <strong>und</strong><br />

erziehen[d]“ 1962 in der organisierten proletarischen Frauenbewegung wirkten. Den Schwierig-<br />

keiten, die „durch die Härten des Sozialistengesetzes verzehnfacht <strong>und</strong> verh<strong>und</strong>ertfacht“ 1963<br />

worden seien, sei sie „mit unvergleichlicher Tatkraft <strong>und</strong> Opferwilligkeit“ 1964 entgegengetreten.<br />

Zetkin nutzte an dieser Stelle die Gelegenheit, sich kritisch zu den – damaligen – frauenfeind-<br />

lichen Tendenzen innerhalb der Parteiführung zu äußern:<br />

„Obgleich sich die sozialistische Arbeiterbewegung von ihrem Ursprung an in der<br />

Theorie zu voller Gleichberechtigung der Geschlechter bekannte, so setzte sich<br />

doch – erklärlich genug – nicht bloß innerhalb der proletarischen Massen, sondern<br />

auch in ihrer kämpfenden Vorhut die Praxis des Gr<strong>und</strong>satzes nur allmählich <strong>und</strong><br />

nicht ohne Reibungen durch.“ 1965<br />

Auch wenn sich Ihrer um soziale Reformen bemüht habe 1966 , so habe sie doch als eine der<br />

„allerersten, […] [die] Tragweite der gemeinsamen gewerkschaftlichen Organisierung <strong>und</strong><br />

Schulung der Arbeiterschaft aller Berufe ohne Unterschied des Geschlechts“ 1967 erkannt. Es sei<br />

„dem ganz persönlichen Verdienst der unablässigen Aufklärungsarbeit“ 1968 Ihrers zu verdanken,<br />

dass schließlich immer mehr Gewerkschaften weibliche Mitglieder aufnahmen. <strong>Von</strong> ihr seien<br />

„zahllose fruchtbare Anregungen“ 1969 ausgegangen, um „die Werbekraft der Gewerkschaften auf<br />

das weibliche Proletariat zu steigern, die Mitarbeit der <strong>weiblichen</strong> Mitglieder zu erleichtern <strong>und</strong><br />

zu vertiefen“ 1970 . Ihrers Erziehungsarbeit wiederum sei es zu verdanken, dass aus den zahlenden<br />

Neumitgliedern auch „verstehende[…], tätige[…] Gewerkschafterinnen“ 1971 wurden.<br />

Sie war Gründerin des Arbeiterinnensekretariats der Gewerkschaften <strong>und</strong> vieler gewerkschaft-<br />

1960 Ebd.<br />

1961 Ebd.<br />

1962 Ebd.<br />

1963 Ebd.<br />

1964 Ebd.<br />

1965 Ebd.<br />

1966 Ebd.<br />

1967 Ebd.<br />

1968 Ebd.<br />

1969 Ebd.<br />

1970 Ebd.<br />

1971 Ebd.<br />

593


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

licher Unterrichtskurse für Frauen. Gleichzeitig war sie von Beginn an „beratend, agitierend,<br />

sammelnd“ 1972 an der politischen Organisation der Proletarierinnen beteiligt. Sie engagierte sich<br />

erst in den kurzlebigen Frauenvereinen, dann für den Aufbau des Vertrauenspersonensystems.<br />

Eine von Ihrer „wieder <strong>und</strong> wieder dringlich gewünschte Institution“ 1973 war das Frauenbüro. Sie<br />

wurde wie bereits beschrieben Begründerin <strong>und</strong> Herausgeberin der ersten sozialdemokratischen<br />

Frauenzeitschrift Deutschlands – der „Arbeiterin“ – <strong>und</strong> leitete dieses „treffliche Agitations-<br />

blatt“ 1974 „unter großen persönlichen Opfern“ 1975 . Neben ihrer Redaktions- <strong>und</strong> Gewerkschafts-<br />

arbeit wirkte Ihrer in den vielfältigsten Bereichen. Sie war maßgeblich an der Entwicklung der<br />

Frauenbildungsvereine, den Vorläuferinnen der Lese- <strong>und</strong> Diskussionsabende, beteiligt. Auch die<br />

genossenschaftliche Bewegung erfuhr durch sie „Sympathie <strong>und</strong> Förderung“ 1976 . Zudem war Ihrer<br />

bestrebt,<br />

„die sozialistischen Frauen der verschiedenen Länder in enge <strong>und</strong> regelmäßige<br />

Verbindung miteinander zu bringen, die internationalen Frauenkonferenzen immer<br />

mehr diesem Ziele <strong>und</strong> damit dem proletarischen Befreiungskampf dienstbar zu<br />

machen“ 1977 .<br />

Egal welches „Blatt auch immer aus der Geschichte der sozialistischen Frauenbewegung“ man<br />

aufschlage, so Zetkin zusammenfassend zu Ihrers politischer Tätigkeit, es kämen darauf die „un-<br />

verwischbaren Züge[…] von Emma Ihrers hingebungsvoller Tätigkeit“ 1978 zum Vorschein.<br />

Schließlich versuchte sich Zetkin an einer Charakterstudie Ihrers. Sie habe über eine „praktische<br />

Begabung“ 1979 <strong>und</strong> „geduldige[…] Hartnäckigkeit“ 1980 verfügt. Ein „[i]dealer Sinn“ 1981 verb<strong>und</strong>en<br />

mit „sozialistische[r] Erkenntnis“ 1982 habe diese Eigenschaften in den Dienst „höchste[r] Mensch-<br />

heitsziele“ 1983 gestellt <strong>und</strong> aus Ihrer eine „nimmer rastende Evangelistin des Sozialismus“ 1984<br />

gemacht. Zetkin betonte ihre „echte, ungekünstelte Beredsamkeit, die nicht nachahmte, nicht<br />

1972 Ebd., S. 114.<br />

1973 Ebd.<br />

1974 Ebd.<br />

1975 Ebd.<br />

1976 Ebd.<br />

1977 Ebd.<br />

1978 Ebd.<br />

1979 Ebd.<br />

1980 Ebd.<br />

1981 Ebd.<br />

1982 Ebd.<br />

1983 Ebd.<br />

1984 Ebd.<br />

594


4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />

blenden, vielmehr überzeugen wollte“ 1985 . Diese „erwärmte die Herzen <strong>und</strong> erleuchtete die<br />

Köpfe[…] [,] […]war […] in ihrer Wirkung unwiderstehlich“ 1986 . Ihrers Charakter hatte viele<br />

Facetten. Sie war<br />

„unversöhnliche Hasserin jedes Vorurteils, rücksichtslose Verfechterin der vollen<br />

Gleichberechtigung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts, […] unerschrockene Kämpferin<br />

gegen alle knechtenden <strong>und</strong> büttelnden Gewalten“ 1987 ,<br />

die keine Gefahr fürchtete <strong>und</strong> kein Opfer scheute. Wie so viele der hier bereits dargestellten<br />

<strong>Klassenkämpferinnen</strong> war Ihrer aber auch „ein gr<strong>und</strong>gütiges Weib, eine durch <strong>und</strong> durch<br />

mütterliche Natur“ 1988 , wurde wie so viele dieser Frauen erst nur gefühlsmäßig vom Sozialismus<br />

ergriffen. „Eifriges Studium“ 1989 habe ihre „sozialistische Erkenntnis vertieft <strong>und</strong> befestigt“ 1990 ,<br />

aber immer sei ihr der Dienst am Sozialismus auch „heilige Herzenssache […] geblieben“ 1991 .<br />

Ihrer war für Zetkin „eine Führerin, die mehr als Gefolgschaft, die Nachahmung verdient“ 1992<br />

habe. Und sie war<br />

„ein schönes Beispiel, daß die Frau in aufopfernder Weise die höchsten Bürgertugenden<br />

betätigen <strong>und</strong> in dem sozialen Schlachtgetümmel dieser eisengepanzerten<br />

Zeit ganz Kämpferin sein kann, ohne aufzuhören Weib zu sein.“ 1993<br />

Diese Aussage traf Zetkin, ohne jedoch im Besonderen auf das Privatleben Ihrers eingegangen zu<br />

sein. Einige Angaben dazu finden sich erst in einem weiteren Artikel, den die „Gleichheit“<br />

anlässlich ihres Begräbnisses veröffentlichte.<br />

Ihrer wurde am 11. Januar 1911 auf dem Berliner Friedhof Friedrichsfelde beerdigt. An der<br />

Beerdigungsfeier nahmen außergewöhnlich viele „Abordnungen gewerkschaftlicher <strong>und</strong> poli-<br />

tischer Organisationen, […] nächste[…] persönliche[…] Fre<strong>und</strong>e, alte[…] <strong>und</strong> neue[…] Genos-<br />

sinnen der Arbeit <strong>und</strong> des Kampfes“ 1994 teil. Unter diesen vielen Trauernden befand sich auch<br />

Ihrers „treue Hausgehilfin“ Lieschen, die als eine der „Schmerzgebeugtesten“ 1995 am Grabe ge-<br />

standen habe. Sie sei, so die „Gleichheit“, ein „lebendiges Zeugnis dafür, wie groß <strong>und</strong> echt die<br />

1985 Ebd.<br />

1986 Ebd.<br />

1987 Ebd.<br />

1988 Ebd.<br />

1989 Ebd.<br />

1990 Ebd.<br />

1991 Ebd.<br />

1992 Ebd.<br />

1993 Ebd.<br />

1994 Emma Ihrers Begräbnis. In: GL, 21/ 09/ 30.01.1911/ 140.<br />

1995 Ebd.<br />

595


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Herzensgüte der Verstorbenen gewesen“ 1996 war. Zetkin legte als Redakteurin der „Gleichheit“, als<br />

Kampfgenossin <strong>und</strong> persönliche Fre<strong>und</strong>in Blumenspenden nieder. Paula Thiede 1997 sprach für das<br />

gewerkschaftliche Arbeiterinnenorganisationskomitee, dessen Begründerin Ihrer war, <strong>und</strong> Luise<br />

Zietz zeichnete den Lebensweg „unserer Emmy“ 1998 nach. Als zweiter Vorsitzender der General-<br />

kommission der Gewerkschaften Deutschlands skizzierte Gustav Bauer die „Unermüdlichkeit <strong>und</strong><br />

Selbstlosigkeit“ 1999 , mit denen Ihrer für die Generalkommission gewirkt hatte. Im Namen des<br />

Verbandes der sozialdemokratischen Wahlvereine 2000 Groß-Berlins legte Margarete Wengels<br />

(1856-1931) einen Blumenkranz nieder. Welche große Anerkennung Ihrer auch im internationalen<br />

Ausland genoss, bewiesen die zahlreichen Nachrufe anderer sozialistischer Frauenblätter. 2001<br />

Obwohl die „Gleichheit“ im Rahmen einer Berichtigung – der Todestag Ihrers war mit dem 9. No-<br />

vember statt mit dem 8. November bekanntgegeben worden – die Veröffentlichung einer aus-<br />

führlichen Lebensskizze ankündigte 2002 , erschien erst vier Jahre später eine neuerliche Würdigung.<br />

Innerhalb eines Artikels zu Ehren Carl Legiens, der sich für die gleichberechtigte Aufnahme der<br />

Frauen in die deutsche Gewerkschaftsbewegung engagierte, wurde Ihrer als dessen „treueste[…]<br />

Mitarbeiterin“ 2003 vorgestellt. Unerwähnt blieb, dass Legien der Liebhaber Ihrers war <strong>und</strong> sie mit<br />

ihm <strong>und</strong> ihrem Ehemann Emanuel eine Dreiecksbeziehung lebte. 2004<br />

Zehn Jahre nach Ihrers Tod verfasste „G.H.“ – vermutlich die Gewerkschafterin Gertrud Hanna –<br />

einen Artikel, aus dem die „Gleichheit“-Leserinnen nun auch einiges zu Ihrers Privatleben<br />

1996 Ebd.<br />

1997 Thiede wurde acht Jahre später auf demselben Friedhof beerdigt.<br />

1998 Ebd.<br />

1999 Ebd.<br />

2000 Frauen war auf Gr<strong>und</strong>lage von § 21 des Preußischen Vereinsgesetzes bereits seit 1903 das kurzzeitige Engagement<br />

in so genannten „Wahlvereinen“ erlaubt, in denen sie Parteiorganisationen beim Wahlkampf unterstützten durften.<br />

2001 Vgl. ebd.<br />

2002 Vgl. ebd.<br />

2003 Ein Förderer der Arbeiterinnenbewegung. In: GL, 26/ 04/ 12.11.1915/ 26.<br />

2004 Den Hinweis auf die Beziehung Ihrers zu Carl Legien <strong>und</strong> darauf, dass das Ehepaar Ihrer gemeinsam mit Legien<br />

ein Haus bewohnte, verdanke ich Prof. Jürgen Hofmann anlässlich eines Besuches der „Gedenkstätte der Sozialisten“<br />

auf dem Zentralfriedhof Berlin-Friedrichsfelde im November 2006. Ihrers Grab ist heute Teil dieser<br />

Gedenkstätte <strong>und</strong> liegt markanterweise direkt neben dem Legiens. Das Bild Ihrers als das einer sehr unkonventionellen<br />

Persönlichkeit beschrieb auch eine Plauderei Kautskys zehn Tage nach dem Parteitag in Erfurt:<br />

„Notabene, ein Gegenstück zu Frau Besant [d. i. Annie Besant (1847-1933), Theosophin, Freidenkerin <strong>und</strong><br />

Frauenrechtlerin] ist Frau Ihrer. Diese Dame scheint übrigens sehr freigebig mit ihrer Gunst zu sein. <strong>Von</strong> den<br />

jüngeren Fraktionsmitgliedern gab in Erfurt fast jeder einige Erfahrungen darüber zum besten, was mir allerdings<br />

auch nicht sehr ritterlich erschien; ihre Gunst scheint übrigens Glück zu bringen; ihre Liebhaber wurden alle bei<br />

den letzten Wahlen gewählt. Sie stimmte gegen die Déchargeertheilung an den Parteivorstand. Als man sie fragte,<br />

warum, soll sie erklärt haben: Weil mich einige Mitglieder des Vorstands nicht befriedigt haben. Dieser Witz<br />

scheint von allen Kongreßwitzen am meisten Anklang gef<strong>und</strong>en zu haben, denn er wurde mir von ca. 30 verschiedenen<br />

Seiten mitgetheilt.“ (Karl Kautsky in einem Brief an Friedrich Engels, 30.10.1891. In: Friedrich<br />

Engels‘ Briefwechsel mit Karl Kautsky, S. 312-316, S. 316).<br />

596


4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />

erfahren konnten. 2005 Ihrer wurde im schlesischen Glatz geboren <strong>und</strong> entstammte kleinbürger-<br />

lichen Verhältnissen 2006 . Ihre Mutter sei eine strenggläubige Katholikin gewesen, was Ihrer in ihrer<br />

Entwicklung stark beeinflusst habe. Zur Arbeiterbewegung kam Ihrer über die bürgerliche Frauen-<br />

bewegung, deren Bemühungen, die Arbeiterinnen in ihrer Sittlichkeit zu heben, sie in ihrer 1898<br />

erschienenen Broschüre „Die Arbeiterin im Klassenkampf“ beschrieb <strong>und</strong> kritisierte. Ihrer war<br />

Mitbegründerin vieler – später wieder verbotener – Frauenvereine. Trotz des erheblichen Drucks<br />

durch die Behörden habe sie nicht aufgehört, auf ihren vielen Agitationsreisen neuerliche Vereins-<br />

gründungen anzustoßen. Sie sei zudem eine Art „Talentsucherin“ gewesen, die es meisterhaft<br />

verstand,<br />

„Kräfte herauszufinden, heranzubilden <strong>und</strong> an die Sache zu fesseln. Ihr liebenswürdiges,<br />

heiteres Wesen <strong>und</strong> ihr klarer Blick waren dazu wie geschaffen.“ 2007<br />

Hannas Artikel enthielt besonders hinsichtlich der Gründungsgeschichte der „Arbeiterin“ eine<br />

sehr wertvolle Information: Ihrer gründete die Zeitschrift 1891<br />

„[m]it finanzieller Hilfe einer stets hervorragend opferbereiten wohlhabenden<br />

Parteigenossin (die sich aber stets bescheiden im Hintergr<strong>und</strong> hielt) <strong>und</strong> zum Teil<br />

aus eigenen Mitteln“ 2008 .<br />

Über diese wohlhabende Parteigenossin ist jedoch nichts bekannt.<br />

Ihrer wurde eine der „erfolgreichsten, beliebtesten <strong>und</strong> bekanntesten Agitatorinnen“ 2009 der pro-<br />

letarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> ihr Name, so Hanna, sei „unlösbar“ 2010 mit der „Gleichheit“<br />

verknüpft. Ihrer habe die Redaktion der „Gleichheit“ nicht übernommen, weil sie ihren Wohnsitz<br />

in Velten nicht verlassen wollte. Auf der Suche nach einer neuen Redakteurin – so eine weitere<br />

Variante zur Gründungsgeschichte der „Gleichheit“ – habe Ihrer diese in Clara Zetkin gef<strong>und</strong>en.<br />

2011 Laut Hanna blieb Ihrer „bis zu ihrem Tod Mitarbeiterin der Frauenzeitschrift, die nun „Die<br />

Gleichheit“ hieß“ 2012 . Sie erwähnt allerdings nicht, dass sie sich sowohl als Herausgeberin als auch<br />

als Mitarbeiterin immer mehr zurückzog bzw. von Zetkin vielleicht auch zurückgedrängt wurde.<br />

Ihrers größtes Tätigkeitsfeld war die gewerkschaftliche Organisation der Arbeiterinnen. 1890<br />

wurde sie als erste Frau in die neu gegründete Generalkommission der Gewerkschaften Deutsch-<br />

lands gewählt, war Mitgründerin <strong>und</strong> Vorsitzende des „Blumen- <strong>und</strong> Federarbeiterverbandes“ <strong>und</strong><br />

2005 [Hanna, Gertrud?] G.H.: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 60.<br />

2006 Emma Ihrer war Tochter des Schuhmachers Rothe.<br />

2007 Ebd., S. 61. Diese Seite zeigt zwei Porträts Ihrers, die im Anhang dieser Arbeit enthalten sind.<br />

2008<br />

Ebd.<br />

2009<br />

Ebd., S. 60.<br />

2010<br />

Ebd.<br />

2011<br />

Ebd., S. 61.<br />

2012 Ebd.<br />

597


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Redakteurin der Verbandszeitschrift. Die Inschrift auf ihrem Grabstein<br />

„’Wirken für andere war ihres Glückes ergiebigster Quell.“ 2013<br />

steht für das altruistische Ideal, das in der proletarischen Frauenbewegung gepflegt wurde. Sie<br />

verdeutlicht aber auch, dass diese Art von Altruismus sowohl einen selbstlosen wie auch einen<br />

selbstbildenden Charakter trägt.<br />

Eine wichtige Mitarbeiterin der „Gleichheit“ <strong>und</strong> führende Persönlichkeit der Berliner<br />

Frauenbewegung war Margarete Wengels (1856-1931). Zu ihr dürfte Zetkin ein umso innigeres<br />

Verhältnis gehabt haben, da Wengels von 1906 bis 1912 als Sekretärin für sie tätig war <strong>und</strong> ihre<br />

Korrespondenz schrieb. 2014 Zetkin dürfte daher auch die Verfasserin des Artikels sein, den die<br />

„Gleichheit“ anlässlich Wengels‘ 60. Geburtstag veröffentlichte. 2015<br />

Den Umstand, dass Wengels an einem 29. Februar Geburtstag hatte, kommentierte Zetkin humor-<br />

voll damit, dass sie demnach ein „Schalttagskind“ 2016 <strong>und</strong> „Frauen ihrer Art […] leider noch<br />

selten“ 2017 seien. Seit dem Moment, da Wengels mit „Herz <strong>und</strong> Hirn“ 2018 die Prinzipien des Sozia-<br />

lismus erfasst hatte, habe sie ihm<br />

„mit einem Eifer gedient, den Schwierigkeiten <strong>und</strong> Gefahren nicht schreckten, <strong>und</strong><br />

dem Opfern Freude ist […], ohne nach Anerkennung <strong>und</strong> Lohn zu fragen“ 2019 .<br />

Wengels war nach Zetkins Auffassung eine „Verkörperung der besten proletarischen Kampfes-<br />

tugenden“ 2020 .<br />

In „echt proletarischen Verhältnissen“ aufgewachsen 2021 , habe Wengels „den ganzen Kreislauf der<br />

Aufgaben <strong>und</strong> Sorgen einer Arbeiterfrau“ 2022 mit Erwerbsarbeit <strong>und</strong> Kinderreichtum durchlebt. Sie<br />

dürfe sich „rühmen“, so Zetkin, dass jedes ihrer acht Kinder „überzeugt dem Sozialismus“ 2023 an-<br />

hänge. Trotz der mit einer solchen Kinderschar verb<strong>und</strong>enen Belastungen vermochte es Wengels,<br />

sich aktiv in die proletarische Frauenbewegung einzubringen:<br />

2013 Ebd.<br />

2014 Wiss, Les débats sur la transformation sociale, S. 79, Fußnote 14.<br />

2015 Margarete Wengels zum 60. Geburtstag. In: GL, 26/ 13/ 17.03.1916/ 98-99.<br />

2016 Ebd., S. 98.<br />

2017 Ebd.<br />

2018 Ebd.<br />

2019 Ebd.<br />

2020 Ebd.<br />

2021 Wengels war Tochter eines Krefelder Strumpfwirkers <strong>und</strong> heiratete den Weber <strong>und</strong> Sozialdemokraten Robert<br />

Wengels.<br />

2022 Ebd.<br />

2023 Ebd.<br />

598


4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />

„Niemand hat mehr als sie getan, um die proletarische Frauenbewegung Berlins zu<br />

schaffen, zu entwickeln <strong>und</strong> zu heben, sie mit gr<strong>und</strong>sätzlicher Klarheit <strong>und</strong> Festigkeit<br />

zu erfüllen, ihr eine starke Aktionskraft zu verleihen.“ 2024<br />

Unter ihrer Führung habe sich die Berliner Frauenorganisation zur Vorbildorganisation entwickelt.<br />

Zudem war Wengels selbst auch Vorbild <strong>und</strong> dies in vielerlei Hinsicht:<br />

„Auf verantwortlichem Posten <strong>und</strong> schlicht in Reih‘ <strong>und</strong> Glied; vor der Öffentlichkeit<br />

wie im stillen[sic], denn Margarete Wengels gehört zu jenen, denen es genügt,<br />

daß geschieht, was ihrer Überzeugung nach geschehen muß, auch ohne daß ihr<br />

Name dabei genannt wird.“ 2025<br />

So sei sie „im Dunkeln geblieben“ 2026 . Auch in anderen Biographien wird eine solche Bescheiden-<br />

heit als besonderer Charakterzug hervorgehoben. Kritisch beurteilt, hat diese Bescheidenheit<br />

letztendlich aber auch zum Verschwinden oder zur Abwertung weiblicher Errungenschaften bei-<br />

getragen.<br />

Ihrer Überzeugung gemäß habe Wengels die Frauenfrage als Teil der sozialen Frage erfasst <strong>und</strong><br />

war – so „versteh[e] es sich von selbst“ 2027 – auf dem linken Flügel der SPD zu finden. Wengels<br />

hatte Prinzipien:<br />

„Ein scharfer proletarischer Klasseninstinkt, der sich fast nie in der Einschätzung<br />

der Dinge <strong>und</strong> Menschen täuscht, hat es ihr erleichtert, sich auch in Zeiten der<br />

Wirrungen <strong>und</strong> Irrungen rasch <strong>und</strong> sicher zu orientieren, die Tagesaufgaben des<br />

Proletariats richtig zu sehen, ebenso die Mittel <strong>und</strong> Wege zu dem großen sozialistischen<br />

Endziel.“ 2028<br />

So war Wengels auch nach Beginn des Krieges <strong>und</strong> der innerparteilichen Streitigkeiten dem<br />

linken Flügel der SPD zugehörig <strong>und</strong> Zetkin konnte ihren Artikel für einen R<strong>und</strong>umschlag gegen<br />

die „Umlerner“ nutzen:<br />

2024 Ebd.<br />

2025 Ebd.<br />

2026 Ebd.<br />

2027 Ebd.<br />

2028 Ebd.<br />

2029 Ebd.<br />

„So trotzig <strong>und</strong> unerschrocken wie sie [Wengels; M.S.] den Kampf aufnahm, als<br />

das Sozialistengesetz die deutsche Arbeiterklasse knebelte, hat sie ihn weitergeführt,<br />

als noch das vormärzliche preußische Vereinsrecht der Betätigung der<br />

Frauen im öffentlichen Leben harte Fesseln anlegte. Und sie war unter den ersten<br />

<strong>und</strong> Entschiedensten, die mit ‘Hier!’ antworteten, als es galt, sich in den Tagen des<br />

großen ‘Umlernens’ um das Banner des internationalen Sozialismus zu sammeln<br />

<strong>und</strong> sich zu seinen Idealen durch die Tat zu bekennen. Auch die Zukunft wird<br />

Margarete Wengels nie unter den ‘Staatsweisen’ finden, die mit bürgerlichen Zielen<br />

<strong>und</strong> Parteien opportunistisch liebäugeln; nie unter den Rechnungsträgern, die nach<br />

allen Richtungen ihre Kußhändchen werfen; nie unter den Neunmalklugen, die sich<br />

erst entscheiden, wenn sie wissen, wo die Mehrheit steht.“ 2029<br />

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ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Zetkin war sich sicher: Wengels würde nicht zur Opportunistin werden, denn im Kampf wie in<br />

ihrer Fre<strong>und</strong>schaft sei Wengels „aufrecht <strong>und</strong> treu“ 2030 <strong>und</strong> kümmere sich nicht darum, ob sie mit<br />

ihrer Meinung „oben oder unten anstößt“ 2031 . Noch viele „glückliche Jahre“ 2032 wünschte Zetkin<br />

der Jubilarin. Doch „glückliche“ Jahre seien für Wengels sicherlich „nicht Jahre der Ruhe, viel-<br />

mehr Jahre des Kampfes, des erfolgreichen Kampfes für die Befreiung ihrer Klasse“ 2033 .<br />

Ebenfalls erfreulich war der Anlass für einen Artikel zu Ehren von Ernestine Lutze (1873-<br />

1948). 2034 Lutze hatte sogar ein „Doppeljubiläum“ zu feiern: Ihren 50. Geburtstag <strong>und</strong> ihre auf den<br />

Tag genau 25 Jahre währende Mitgliedschaft in der SPD.<br />

Die in Dresden ansässige Lutze sei als ein „echtes Proletarierkind“ 2035 aufgewachsen. Im Alter von<br />

neun Jahren verloren sie <strong>und</strong> ihr drei Jahre älterer Bruder den Vater. Lutze musste deshalb nun<br />

zum Familienunterhalt beitragen. Die „Gleichheit“ nannte akribisch die Art der Tätigkeiten <strong>und</strong><br />

sogar Lutzes jeweiligen Verdienst. Mit der Übernahme mehrerer „Aufwartestellen“ 2036 verdiente<br />

Lutze 50 Pfennig in der Woche. Im Alter von zwölf Jahren ging sie neben der Schule noch der<br />

Erwerbstätigkeit in einer Dresdner Blumenfabrik nach, wo sie 5 Pfennige pro St<strong>und</strong>e verdiente.<br />

Zusätzlich aber musste sich Lutze - „als Schulkind!“ 2037 wie die „Gleichheit“ betont - noch zu<br />

bindende „Blumenästchen“ 2038 für die Heimarbeit mitnehmen. Im Alter von 24 Jahren heiratete<br />

Lutze. Weil es die finanziellen Verhältnisse aber nicht zuließen, dass sie nun als Hausfrau arbei-<br />

tete, musste sie die auch von den meisten „Gleichheit“-Leserinnen selbst erfahrene Doppelbe-<br />

lastung ertragen. Früh morgens um 6 Uhr wurden die beiden Kinder „in Pflege gegeben“ 2039 <strong>und</strong><br />

abends um 7 oder 8 Uhr wieder abgeholt. Der Arbeit in der Fabrik folgten nahtlos die Arbeit im<br />

Haushalt <strong>und</strong> die Heimarbeit. Die Geburt des dritten Kindes machte die außerhäusige Erwerbs-<br />

tätigkeit unmöglich <strong>und</strong> Lutze konzentrierte sich auf Heimarbeit, Kindererziehung <strong>und</strong> Haushalt.<br />

Den Beschreibungen eines bisher wenig freudvollen Lebens folgten in dem Artikel nun die<br />

Beschreibungen des parteipolitischen Engagements Lutzes. Konkreter Auslöser für ihren Partei-<br />

eintritt 1898 sei ein Referat Luise Zietz‘ gewesen. Lutze – damals bereits gewerkschaftlich<br />

2030 Ebd.<br />

2031 Ebd.<br />

2032 Ebd.<br />

2033 Ebd.<br />

2034 Ein Doppeljubiläum. In: GL, 33/ 14/ 15.07.1923/ 115-116.<br />

2035 Ebd., S. 115.<br />

2036 Ebd.<br />

2037 Ebd.<br />

2038 Ebd.<br />

2039 Ebd.<br />

600


4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />

organisiert – habe sich daraufhin entschlossen, in der Parteiorganisation tätig zu werden. Anfangs<br />

leistete sie wertvolle Kleinarbeit, war „trotz der Erwerbsarbeit <strong>und</strong> der kleinen Kinder!“ 2040<br />

Kassiererin <strong>und</strong> Austrägerin der „Gleichheit“. 1911 wurde Lutze von der „Gewerkschaft der<br />

Blumenarbeiter“ auf die Berliner Gewerkschaftsschule entsandt <strong>und</strong> engagierte sich von da an<br />

vornehmlich gewerkschaftspolitisch. Sie war Delegierte verschiedener Parteitage <strong>und</strong> Kongresse<br />

<strong>und</strong> wurde schließlich 1919 in die Nationalversammlung gewählt.<br />

Der Beschreibung der Herkunft Ernestine Lutzes hatte man in diesem Artikel genauso viel Platz<br />

beigemessen wie ihrem politischen Werdegang. In beidem sollte sie den „Gleichheit“-Leserinnen<br />

Vorbild sein: „Im Interesse unserer Bewegung aber sprechen wir die Hoffnung aus, daß sich<br />

möglichst viele Frauen an dieser tatkräftigen Genossin ein Beispiel nehmen möchten.“ 2041<br />

Es war „selbstverständlich“ 2042 für Ida Schulze (?-?) 2043 , dass die verstorbene Anna Hübler<br />

(1876-1923) nach der erfolgreichen Novemberrevolution „führend vorang[ehen]“ 2044 würde.<br />

Schulze beschrieb in ihrem Nachruf, dass Hübler „schon in ihrer Jugend für den Sozialismus<br />

gelitten“ 2045 habe. Bereits als junges Mädchen musste sie erfahren, „was es heißt, sich zur Partei<br />

der Verfolgten zu bekennen“ 2046 , denn ihr Vater Konrad Müller wurde als SPD-Mitglied zur Zeit<br />

des Sozialistengesetzes häufig verhaftet <strong>und</strong> ausgewiesen. Hübler betrieb – stets „in den vor-<br />

dersten Reihen der Bewegung“ 2047 stehend <strong>und</strong> „von den sozialistischen Ideen durchglüht“ 2048 –<br />

sowohl Agitation auf dem Land als auch in der Stadt. Dies tat sie vor allem in der Region um das<br />

sächsische Schkeuditz, in dessen Stadtparlament sie gewählt wurde. Die Verstorbene hatte, so<br />

Schulze, ein „ehrliches <strong>und</strong> offenes Wesen“ 2049 <strong>und</strong> leistete eine „opferreiche Arbeit“ 2050 , für die sie<br />

1919 in die Nationalversammlung gewählt wurde. Eine schmerzhafte Krankheit, an der sie<br />

2040 Ebd.<br />

2041 Ebd., S. 116.<br />

2042 Schulze, Ida: Anna Hübler †. In: GL, 33/ 16/ 15.08.1923/ 132.<br />

2043 Da „Schulze“ ein recht häufiger Name ist, konnte die Identität der Verfasserin im Rahmen dieser Arbeit nicht mit<br />

absoluter Sicherheit geklärt werden. Unwahrscheinlich ist, dass es sich bei ihr um die aus Ostfriesland stammende<br />

Autorin Ida Schulze handelt, die in Nachfolge der verstorbenen Henriette Davidis (1801-1876) deren erfolgreiches<br />

Kochbuch unter dem neuen Titel „Das neue Kochbuch für die deutsche Küche“ (1933) herausgab.<br />

2044 Ebd.<br />

2045 Ebd.<br />

2046 Ebd.<br />

2047 Ebd.<br />

2048 Ebd.<br />

2049 Ebd.<br />

2050 Ebd.<br />

601


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

schließlich auch starb, verhinderte eine Kandidatur für den späteren Reichstag. Im Gedenken an<br />

die Verstorbene, forderte Schulze die „Gleichheit“-Leserinnen auf, am Sozialismus festzuhalten<br />

<strong>und</strong> gleich Hübler für die Befreiung des Proletariats zu wirken. 2051<br />

Es ist bemerkenswert, dass die in der „Gleichheit“ veröffentlichten Ehrungen Ottilie Baaders<br />

(1847-1925) mit einem Nachruf auf ihren Vater Gustav beginnen. Dieser starb 84-jährig im<br />

November 1897 <strong>und</strong> wird in seiner Bedeutung für die persönliche Entwicklung Baaders hervor-<br />

gehoben. Denn<br />

„was sie der Bewegung leistet, sie verdank[e] es neben ihrem Fleiß <strong>und</strong> ihrem<br />

Pflichtbewußtsein ganz wesentlich seinen Bemühungen, ihren Bildungsdrang zu<br />

fördern <strong>und</strong> die richtigen Wege zu leiten“ 2052 .<br />

Tochter <strong>und</strong> Vater verband „[e]ine rührende Ideen- <strong>und</strong> Kampfesgemeinschaft“ <strong>und</strong> mit ihm, der<br />

ein Kämpfer der 1848er Revolution war, verlor die Tochter nicht nur den Vater, sondern auch den<br />

Fre<strong>und</strong>, Lehrer <strong>und</strong> Ratgeber.<br />

Anlässlich ihres 60. Geburtstages warf die „Gleichheit“ einen Blick zurück auf eben jene durch<br />

den Vater geförderte Entwicklung. Aus einer „stille[n] unbekannte[n] Genossin, welche das Evan-<br />

gelium des Sozialismus in ihrem Herzen bewegte“ 2053 , wurde eine Kleinarbeit leistende „rührige<br />

Organisatorin <strong>und</strong> Agitatorin“ 2054 <strong>und</strong> schließlich die „Trägerin eines der wichtigsten Vertrauens-<br />

ämter“ 2055 der proletarischen Frauenbewegung. Dieses wichtige Amt der „Vertrauensperson der<br />

Genossinnen Deutschlands“ habe sie mit entsprechender „Umsicht, Gewissenhaftigkeit <strong>und</strong><br />

Takt“ 2056 verwaltet.<br />

Hatte die „Gleichheit“ zehn Jahre zuvor die Bedeutung des Vaters hervorgehoben, so wurde nun<br />

betont, dass Baader ihre Entwicklung „sich selbst <strong>und</strong> der befruchtenden Kraft des proletarischen<br />

Klassenkampfes“ 2057 verdanke. Sie hatte sich früh selbst gebildet <strong>und</strong> brachte viele „treffliche[…]<br />

persönliche[…] Eigenschaften“ 2058 mit. Damit habe sie so „manches Vorurteil gegen die politische<br />

Betätigung der Frauen entwaffnet“ 2059 . Trotz ihrer 60 Jahre habe sie sich „Frische <strong>und</strong> Rüstigkeit<br />

2051 Ebd.<br />

2052 Genosse Baader … In: GL, 07/ 24/ 24.11.1897/ 190.<br />

2053 Ein Jubiläum. In: GL, 17/ 12/ 10.06.1907/ 102.<br />

2054 Ebd.<br />

2055 Ebd.<br />

2056 Ebd.<br />

2057 Ebd.<br />

2058 Ebd.<br />

2059 Ebd.<br />

602


4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />

bewahrt, wie sie nur eine ewig junge Begeisterung für eine große Sache zu geben vermag“ 2060 .<br />

In der letzten von ihr redigierten „Gleichheit“-Nummer ehrte vermutlich Zetkin persönlich Baader<br />

als „schlichte, aufrechte Proletarierin“ 2061 . Den Leserinnen wurde anlässlich ihres 70. Geburtstages<br />

der Lebensweg der sich bereits seit Jahrzehnten im proletarischen Befreiungskampf engagieren-<br />

den Vorkämpferin detailliert dargestellt.<br />

Baader wurde in Rackow (Schlesien) 2062 geboren <strong>und</strong> war die Tochter eines Zuckerfabrikarbeiters.<br />

Nach dem frühen Tod der Mutter musste sie bereits als Siebenjährige <strong>und</strong> als zweitältestes von<br />

vier Kindern den Familienhaushalt führen 2063 – sie wurde mehr oder weniger zwangsläufig der<br />

„gute Hausgeist, das sorgende, liebevolle Hausmütterchen der Ihrigen“ 2064 . In Frankfurt/Oder<br />

besuchte sie erst die Volksschule <strong>und</strong> siedelte dann vierzehnjährig mit dem Vater <strong>und</strong> zwei<br />

Geschwistern nach Berlin über. Hier musste Baader zum Familieneinkommen beitragen, indem<br />

sie Wäsche nähte, als Spinnerin in einer Wollfabrik <strong>und</strong> als Mantelnäherin arbeitete. Mit der An-<br />

schaffung einer eigenen Nähmaschine teilte Baader schließlich das ärmliche Schicksal der vielen<br />

Heimarbeiterinnen. Außerdem pflegte sie nicht nur den greisen Vater, sondern sorgte auch für ihre<br />

Brüder <strong>und</strong> deren Kinder. Baader – „[e]ine durch <strong>und</strong> durch mütterliche Natur“ 2065 – habe es stets<br />

geschafft, so Zetkin, „den Ihrigen das bescheidene Heim traulich zu gestalten“ 2066 .<br />

Zwei „Wesenseigenschaften“ seien für Baaders Entwicklung besonders entscheidend gewesen:<br />

2060 Ebd.<br />

„heißer Bildungsdrang <strong>und</strong> ein lebhaftes, tiefes Mitempfinden mit den Leiden <strong>und</strong><br />

Freuden ihrer Schicksalsgenossen, das sich zur Erkenntnis der proletarischen<br />

Klassensolidarität entwickelte“ 2067 .<br />

2061 Ottilie Baaders siebzigster Geburtstag. In: GL, 27/ 17/ 25.05.1917/ 114.<br />

2062<br />

Ebd. Vgl. auch [Heymann, Johanna?] J. H.: Ottilie Baader-Diedrichs. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/<br />

01.04.1921/ 62, wo als Geburtsort Frankfurt/Oder genannt wird. In diesem Artikel wird Baader außerdem unter<br />

dem Doppelnamen Baader-Diedrichs vorgestellt, den sie seit ihrer Hochzeit führte. Sie selbst zeichnete einen Artikel<br />

auch mit dem Namen Dietrichs-Baader (vgl. Unsere Toten. In: GL, 32/ 17-18/ 01.09.1922/ 164). Baader wurde<br />

zwar als letzte einer Reihe von „Vorkämpferinnen“ vorgestellt, sei aber „eigentlich die Erste“ ([Heymann,<br />

Johanna?] J. H.: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 62).<br />

Die Initialen J. H. <strong>und</strong> der Zeitpunkt des Erscheinens dieses Artikels lassen auf Johanna Heymann (1900[?]-<br />

1935[?]) als Autorin schließen. Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine eindeutigen<br />

biographischen Informationen zu Heymann. Sie veröffentlichte in der „Gleichheit“ u. a. in der Rubrik<br />

„Wohlfahrtspflege“: Heymann, Johanna: Arbeiterwohlfahrt. IV. In: GL, 30/ 28/ 10.07.1920/ 230;<br />

Arbeiterwohlfahrt. IV. In: GL, 30/ 28/ 10.07.1920/ 230; Arbeiterwohlfahrt. V. In: GL, 30/ 29/ 17.07.1920/ 238-<br />

239; Arbeiterwohlfahrt. VI. In: GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 247; Arbeiterwohlfahrt. VIII. In: GL, 30/ 32/ 07.08.1920/<br />

262-263. Gemeinsam mit Juchacz veröffentlichte Heymann schließlich das Buch „Die Arbeiterwohlfahrt. Voraussetzungen<br />

<strong>und</strong> Entwicklung“ (1924).<br />

2063<br />

Vgl. [Heymann, Johanna?] J. H.: Ottilie Baader-Diedrichs. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/<br />

01.04.1921/ 62.<br />

2064<br />

Ottilie Baaders siebzigster Geburtstag. In: GL, 27/ 17/ 25.05.1917/ 114.<br />

2065 Ebd.<br />

2066 Ebd.<br />

2067 Ebd.<br />

603


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Außerdem war es wie beschrieben aber auch ihr Vater, der sie zu dem „inneren <strong>und</strong> äußeren<br />

Anschluß an die sozialistische Arbeiterbewegung“ 2068 ermutigt hatte. Zusammen mit ihm schloss<br />

sie sich im Alter von 30 Jahren der „Freien Gemeinde“ an, durch die sie auch in Kontakt zu<br />

organisierten Arbeitern kam. 2069 Nun war der Schritt von der Erkenntnis zum Handeln nicht mehr<br />

schwer:<br />

„Einen Inhalt bekam ihr [Baaders; M.S.] Leben erst, als sie mit der Sozialdemokratie<br />

in Berührung kam, als sie anfing, sozialdemokratische Versammlungen zu<br />

besuchen.“ 2070<br />

Diese tiefgreifende Bedeutung bekam der Sozialismus für Baader bereits während des Sozialisten-<br />

gesetzes. Es war im Rahmen eines Streiks gegen Lohnsenkung, dass sie 1870 erstmals als<br />

Wortführerin öffentlich hervortrat. Als Mitglied des Berliner Mantelnäherinnenvereins <strong>und</strong> seit<br />

1890 Mitglied des Schneiderverbandes beteiligte sie sich an entsprechenden Streikkämpfen. Nach<br />

dem Fall des Sozialistengesetzes engagierte sie sich in der proletarischen Frauenbewegung, war<br />

Mitgründerin verschiedener Vereine, oft deren Leiterin <strong>und</strong> Organisatorin von Versammlungen. So<br />

wurde sie schließlich eine der Führungskräfte der organisierten Arbeiter <strong>und</strong> Arbeiterinnen <strong>und</strong> als<br />

solche auch Opfer unzähliger Haussuchungen, Verhaftungen <strong>und</strong> Anklagen. Davon ließ sie sich<br />

jedoch nicht unterkriegen – im Gegenteil: All diese „Schwierigkeiten <strong>und</strong> Gefahren“, so Zetkin,<br />

„stärkten ihre Kräfte, befeuerten den Eifer, die Aufopferungsfähigkeit“ 2071 .<br />

1900 wurde Baader in Mainz zur „Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands“ gewählt, ein<br />

Amt, das sie bis 1908, bis zur Integration der proletarischen Frauenorganisationen in die SPD,<br />

bekleiden sollte. 2072 Sie war Teilnehmerin der internationalen Konferenzen in Paris, London,<br />

Brüssel <strong>und</strong> Kopenhagen.<br />

Besonders als Zentralvertrauensperson – in der Zeit zwischen Aufhebung des Sozialistengesetzes<br />

<strong>und</strong> Inkrafttreten des Reichsvereinsgesetzes, jenen „Jahren der kleinen, tastenden, suchenden<br />

Anfänge“ 2073 – hatte Baader Anteil an den<br />

2068 Ebd.<br />

„planmäßige[n] Bestrebungen […], die dreifach unfreien Frauen des werktätigen<br />

Volkes zu wecken, zu sammeln, zu schulen <strong>und</strong> zu selbständig denkenden <strong>und</strong><br />

handelnden Kämpferinnen für volles, freies Menschentum aller zu erheben“ 2074 .<br />

2069<br />

[Heymann, Johanna?] J. H.: Ottilie Baader-Diedrichs. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/<br />

62.<br />

2070<br />

Ebd.<br />

2071<br />

Ottilie Baaders siebzigster Geburtstag. In: GL, 27/ 17/ 25.05.1917/ 114.<br />

2072<br />

Der Artikel von Heymann nannte fälschlicherweise das Jahr 1897 als das Jahr, in dem Baader zur<br />

„Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands“ gewählt wurde. Vgl. [Heymann, Johanna?] J. H: Ottilie<br />

Baader-Diedrichs. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 63.<br />

2073<br />

Ottilie Baaders siebzigster Geburtstag. In: GL, 27/ 17/ 25.05.1917/ 114.<br />

2074 Ebd.<br />

604


4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />

Baader habe sich dabei besonders durch ein „aufopfernde[s], eifrige[s] Wirken“, durch eine<br />

„konsequente, feste Haltung in allen Fragen gr<strong>und</strong>sätzlichen Bekenntnisses <strong>und</strong> der daraus<br />

folgenden Taktik“ 2075 ausgezeichnet <strong>und</strong> stets ihre „bescheidene[…], entgegenkommende[…]<br />

Art“ 2076 bewahrt.<br />

Wie sehr Baader dem Ideal eines „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ <strong>und</strong> einer proletarischen Klassen-<br />

kämpferin entsprach, macht sich an folgender Darstellung deutlich:<br />

„Nach Verdienst <strong>und</strong> Brauch dünkte es allen recht <strong>und</strong> billig, daß Ottilie Baader,<br />

als erste Vertreterin der Genossinnen in der Leitung der sozialdemokratischen Partei<br />

Sitz <strong>und</strong> Stimme erhalten hätte. Mit jener weisen, würdigen Selbstbescheidung,<br />

die zugleich höchster, echter Stolz ist, lehnte sie jedoch das Ehrenamt ab, dessen<br />

Aufgabenkreis ihrer Überzeugung nach einer jüngeren, stärkeren Kraft bedurfte.<br />

Sie schlug vor, Genossin Zietz in den Parteivorstand zu wählen <strong>und</strong> begnügte sich<br />

selbst mit der Stellung einer Sekretärin im Frauenbureau.“ 2077<br />

Baader kannte demnach keinen persönlichen Ehrgeiz, sondern hatte stets nur das Interesse der<br />

Bewegung im Sinn. So wurde sie auch in ihrer Funktion als Frauensekretärin „Anregerin,<br />

Fre<strong>und</strong>in <strong>und</strong> Führerin, Agitatorin <strong>und</strong> Organisatorin“ 2078 , ging mit ihrem „persönlichen Sein ganz<br />

in dem Wirken für die Sache des Sozialismus auf[…]“ 2079 .<br />

Dann kam der August 1914 <strong>und</strong> auch Baader habe mit Kummer, so Zetkin „die verhängnisvolle<br />

Rückwirkung des Krieges auf die sozialistische Bewegung“ 2080 erkannt. Allerdings belässt diese<br />

Formulierung es im Unklaren, ob die Prinzipienlosigkeit der SPD oder der Mitgliederrückgang<br />

gemeint ist. Die „Gleichheit“ wünschte Baader zu ihrem Geburtstag – aber nicht nur ihr –, dass es<br />

ihr<br />

„vergönnt sei[…], in Rüstigkeit die politische Wiedergeburt des Proletariats zu<br />

erleben, den Aufmarsch einer gr<strong>und</strong>sätzlich klaren, entschlossenen sozialistischen<br />

Partei des Klassenkampfes, die ihrer historischen Aufgabe bewußt in großer St<strong>und</strong>e<br />

ein großes Geschlecht zum Siege führt“ 2081 .<br />

In Zetkins Augen hatte die deutsche Sozialdemokratie versagt, war ihr internationalistischer Geist<br />

erloschen.<br />

Baader dagegen stand auch noch an ihrem Lebensabend im Dienst der Partei, leitete ihre<br />

Abteilung, nahm an Parteiveranstaltungen teil <strong>und</strong> zeigte großes Interesse an jeder Parteiarbeit.<br />

2075 Ebd.<br />

2076 Ebd.<br />

2077 Ebd., S. 114f.<br />

2078 Ebd., S. 115.<br />

2079 Ebd.<br />

2080 Ebd.<br />

2081 Ebd.<br />

605


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Erst relativ spät – im September 1911 – hatte sie August Dietrichs geheiratet. Ihre glückliche Ehe<br />

fand durch dessen Tod ein viel zu frühes Ende. Zetkin verwies schließlich auf die bevorstehende<br />

Veröffentlichung der Lebenserinnerungen Baaders 2082 , die „für uns Jüngere gewiß sehr viel<br />

Interessantes <strong>und</strong> Wissenswertes enthalten“ 2083 würden. Auch mit diesem Hinweis betrieb Zetkin –<br />

entsprechend der These dieser Arbeit – eine bewusste Tradierung eigener Geschichte.<br />

Der Artikel, der schließlich 1921 zu Baaders 75. Geburtstag in der „Gleichheit“ veröffentlicht<br />

wurde, bringt kaum neue Erkenntnisse zu ihrer Persönlichkeit oder ihrem Werdegang. Es ist sogar<br />

falsch, wenn darin angegeben wird, Baader habe bereits seit 1897 das Amt der Vertrauensperson<br />

der Genossinnen Deutschlands inne gehabt. In diesem Jahr ist sie lediglich zur Parteitags-Dele-<br />

gierten gewählt worden. 2084 1908 sei Baader – in der „Bescheidenheit, die immer ein besonderer<br />

Zug ihres Wesens gewesen“ 2085 sei – von ihrem „Ehrenposten“ 2086 zurückgetreten, um Luise Zietz<br />

für den Sitz im Parteivorstand vorzuschlagen. Unerwähnt blieb, dass der vermeintliche „Ehren-<br />

posten“ tatsächlich ein bezahltes Amt war. Im hohen Alter von 75 Jahren besuchte Baader immer<br />

noch Versammlungen <strong>und</strong> Besprechungen. Als sie 1925 verstarb, erschien im „Gleichheit“-Nach-<br />

folgeorgan „Die Genossin“ ein bemerkenswerter Nachruf, der sie als „Veteranin der Frauen-<br />

bewegung, Vorkämpferin für Frauenrecht, für soziales Recht, für die Idee des Sozialismus“ 2087<br />

ehrte <strong>und</strong> besonders ihre „Sehnsucht nach Menschentum“ 2088 hervorhob.<br />

Luise Zietz (1865-1922), der Baader wie erwähnt den Vortritt gelassen hatte, wurde eine der<br />

wichtigsten Führerinnen der deutschen proletarischen Frauenbewegung. Doch es war nicht nur<br />

allein jenes offizielle Amt als erstes <strong>und</strong> einziges weibliches Mitglied des SPD-Parteivorstandes,<br />

welches ihre Position innerhalb der Bewegung ausmachte.<br />

Bohm-Schuch war die Verfasserin des Nachrufes auf diese umstrittene sozialdemokratische<br />

Führerin, die im am 26. Januar 1922 während einer Sitzung im Reichstag einen Ohnmachtsanfall<br />

erlitt <strong>und</strong> am darauf folgenden Morgen starb. Bemerkenswerterweise erschien dieser Nachruf erst<br />

zwei Wochen nach seiner Veröffentlichung im „Vorwärts“. 2089 Es sei kennzeichnend für das<br />

2082 Diese Lebenserinnerungen wurden unter dem Titel „Ein steiniger Weg“ 1921 veröffentlicht <strong>und</strong> sind auch heute<br />

ein besonderes autobiographisches Zeugnis zum Leben einer Arbeiterin.<br />

2083 [Heymann, Johanna?] J. H.: Ottilie Baader-Diedrichs. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/<br />

63.<br />

2084 Ottilie Baader 75 Jahre! In: GL, 32/ 11/ 01.06.1922/ 102.<br />

2085 Ebd.<br />

2086 Ebd.<br />

2087 Ottilie Baader †. In: Die Genossin, 02/ 10/ 1925/ 283.<br />

2088 Ebd.<br />

2089 Bohm-Schuch, Clara: Luise Zietz zum Gedächtnis. In: GL, 32/ 04/ 15.02.1922/ 34-35.<br />

606


4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />

„unbeugsame“ 2090 Wesen Zietz‘ gewesen, so Bohm-Schuch,<br />

„wie der starke Wille immer wieder die Herrschaft über den siechen Körper<br />

davontrug […]. Solange sie lebte schaffte sie; der Tod nur konnte sie zur Ruhe<br />

zwingen“ 2091 .<br />

Zietz sei mit ihrer Arbeit „unlöslich verb<strong>und</strong>en“ 2092 gewesen <strong>und</strong> im Proletariat, in dem ihre Per-<br />

sönlichkeit wurzelte, „sprang der Quell ihrer Kraft“ 2093 . Denn als Tochter einer Weberfamilie im<br />

holsteinischen Bargteheide geboren, so Bohm-Schuch, „kannte“ 2094 Zietz die Bedingungen<br />

eines Proletarierlebens <strong>und</strong> „wusste“ 2095 um die Sehnsucht nach Besserem. Sie vollzog den<br />

idealen Erkenntnisweg einer Klassenkämpferin:<br />

„Aus dem Erleben kam bei Luise Zietz der Wille nach <strong>und</strong> zur Erlösung; darum<br />

konnte sie so vielen zur Befreierin werden.“ 2096<br />

Zietz engagierte sich seit 1892 in der Arbeiterbewegung <strong>und</strong> wurde 1908 Parteivorstandsmitglied.<br />

1917 wurde sie Mitgründerin der USPD <strong>und</strong> Mitglied in deren Vorstand. Hatte die „Gleichheit“<br />

ihr noch 1916 baldige Genesung von einer schweren Erkrankung gewünscht – ein Wunsch, so der<br />

Artikel, in dem sich sicher „alle Genossinnen begegnen“ 2097 [Hervorhebung von M.S.] –, so verlor<br />

sie jedoch nach der Parteispaltung bei den neuen „Gleichheit“-RedakteurInnen erheblich an An-<br />

sehen. Unter dem Titel „Störenfriede!“ 2098 erschien im November 1918 ein Bericht zu einer<br />

Versammlung, die die Hamburger Mehrheitssozialdemokratinnen gemeinsam mit dem örtlichen<br />

Frauenstimmrechtsverband veranstaltet hatte. Diese von 5.000 Personen besuchte Veranstaltung<br />

sei von Mitgliedern der USPD unter Führung von Zietz in ungehörigem Maße gestört worden.<br />

Wegen Radaus habe die Rednerin der Frauenstimmrechtsverbandes nur kurz <strong>und</strong> Marie Juchacz<br />

gar nicht mehr sprechen können. Die Versammlung musste schließlich aufgelöst werden. 2099 Die<br />

Verfasserin des Artikels – von dem Verhalten Zietz‘ sehr enttäuscht – fragte, ob Zietz wirklich<br />

2090 Ebd., S. 34.<br />

2091 Ebd.<br />

2092 Ebd.<br />

2093 Ebd.<br />

2094 Ebd.<br />

2095 Ebd.<br />

2096 Ebd.<br />

2097 Genossin Zietz … In: GL, 26/ 16/ 28.04.1916/ 120. Die „Gleichheit“ informierte ihre Leserinnen <strong>und</strong> da vor allem<br />

Funktionärinnen auch über schwere Erkrankungen so organisatorisch wichtiger Personen wie Zietz, um zu<br />

erklären, dass sie außerstande waren, Zuschriften persönlich zu beantworten.<br />

2098 Störenfriede! In: GL, 29/ 04/ 22.11.1918/ 31-32.<br />

2099 Um solchen Sprengkommandos, die hauptsächlich aus männlichen USPD-Mitgliedern bestünden, keine Gelegenheit<br />

zu bieten, die geplante Wiederholung der Veranstaltung zu stören, wollte man sie als reine Frauenversammlung<br />

durchführen (vgl. ebd., S. 32).<br />

607


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

glaube, „dadurch das Proletariat zu erlösen, daß sie es antreibt, sich gegenseitig zu zer-<br />

fleischen?“ 2100 Auch diejenigen Sozialdemokratinnen, die bisher ihrer früheren Tätigkeit <strong>und</strong> ihrer<br />

unschuldig erlittenen Haftstrafe ehrenhaft gedachten, seien nun über ihren wahren Charakter<br />

aufgeklärt <strong>und</strong> würden „sich angewidert von ihr ab[wenden]“ 2101 . Diese vehemente Reaktion auf<br />

die Agitationstätigkeit Zietz‘ für die USPD wiederholte sich wenige Monate später in einem<br />

Leitartikel. 2102 Dieser Artikel gab nicht nur die von Juchacz in der Nationalversammlung gehaltene<br />

Parlamentsrede wieder, die „Die erste Parlamentsrede einer Frau in Deutschland“ war, sondern<br />

ging zum Schluss auch auf die Redebeiträge der anderen <strong>weiblichen</strong> Abgeordneten ein. Am<br />

20. Februar 1919 hatte Zietz für die USPD gesprochen <strong>und</strong> die „neue“ „Gleichheit“-Redaktion<br />

„bedauert[e], über die Rede dieser an sich klugen <strong>und</strong> tüchtigen Frau kein fre<strong>und</strong>liches<br />

Wort sagen zu können. Luise Zietz neigte schon in den normalen Zeiten vor<br />

dem Kriege zur Übertreibung, sie liebte die Superlative <strong>und</strong> starke Unterstreichungen.<br />

In den Jahren des Krieges <strong>und</strong> in den Monaten der Revolution, wo<br />

ohnehin alles aus dem Gefüge geraten ist <strong>und</strong> die ganze Welt nur noch aus Superlativen<br />

des Gewalttätigen <strong>und</strong> Ungeheuerlichen zu bestehen scheint, kann Luise<br />

Zietz aus dem Vollen schöpfen. Und sie tut es!“ 2103<br />

Zietz, so kann man wieder dem von Bohm-Schuch verfassten Nachruf entnehmen, wurde später in<br />

den Reichstag gewählt. In ihren Reden <strong>und</strong> Broschüren – u. a. zum Mutter-, Säuglings- <strong>und</strong><br />

Kinderschutz, die Broschüre „Die Frauen <strong>und</strong> der politische Kampf“ oder Agitationsschriften mit<br />

den Titeln „Gehörst du zu uns?“ oder „Bist du eine der unsrigen?“, die die Leserinnen auf be-<br />

sonders persönliche Art ansprechen sollten – habe Zietz es verstanden, „trockenes Material“ so zu<br />

vermitteln, dass es „die Frauen packte“ 2104 .<br />

Alle Sozialdemokratinnen, „die die Schroffen <strong>und</strong> Schr<strong>und</strong>en des politischen Kampfes im eigenen<br />

Wesen tragen“, könnten verstehen, dass auch Zietz‘ „Wesen oft hart <strong>und</strong> rauh werden mußte“ 2105 .<br />

Es ist sehr auffällig, wie sich Bohm-Schuch bemühte, Verständnis aufzubringen <strong>und</strong> sogar persön-<br />

liche Gemeinsamkeiten mit der Unabhängigen Sozialdemokratin Zietz betonte: Es seien vor allem<br />

deren<br />

„Klassenbewußtsein, ihr stolzes Zusammengehörigkeitsgefühl mit der Arbeiterschaft<br />

<strong>und</strong>, hieraus entspringend, die innere Trennungslinie zur bürgerlichen<br />

Frauenbewegung“ 2106<br />

gewesen, die die neue „Gleichheit“-Redakteurin mit ihr verb<strong>und</strong>en hätten. Zwar sind Bohm-<br />

2100 Ebd., S. 31.<br />

2101 Ebd., S. 32.<br />

2102 Die erste Parlamentsrede einer Frau in Deutschland. In: GL, 29/ 12/ 14.03.1919/ 89-93.<br />

2103 Ebd., S. 93. Bewusst positiv fiel das Urteil Juchacz‘ zur Rede Gertrud Bäumers aus (vgl. ebd.).<br />

2104 Ebd.<br />

2105 Ebd.<br />

2106 Ebd.<br />

608


4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />

Schuchs Äußerungen ein Indiz dafür, dass sich die sozialdemokratische Frauenbewegung – wohl<br />

auch zur Identifikationsstiftung – zur bürgerlichen Frauenbewegung abgrenzte, aber sie können<br />

nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies weniger radikal geschah als zuvor unter der Führung<br />

Zetkins <strong>und</strong> Zietz‘. Viele derjenigen Frauen, die nun in vorderster Reihe der SPD standen, so<br />

Bohm-Schuch weiterhin in einem versöhnlichem Tenor, seien „durch die Schule von Luise<br />

gegangen“ 2107 . Wenn Zietz auch diese später<br />

„leidenschaftlich bekämpfte, so wollen wir ihr nicht vergessen, daß dies gerade aus<br />

ihrer Liebe zur gemeinsamen Sache der Arbeiterschaft entsprang“ 2108 .<br />

Keine der Mehrheitssozialdemokratinnen würde der Verstorbenen die „Reinheit der Motive, die<br />

Ehrlichkeit des Wollens […] absprechen“ 2109 , mit der sie so handelte wie sie handelte. Zietz‘<br />

Leben sei ein<br />

„leuchtendes Beispiel dafür, wie ein starker Mensch sich aus widrigen<br />

Verhältnissen zu geistiger Höhe emporarbeiten kann“ 2110 .<br />

Denn obwohl sie wie viele andere Arbeitertöchter nur eine Volksschulbildung genossen hatte,<br />

erwarb sie sich aus eigener Energie höheres Wissen. Krönung all dieser Versöhnlichkeit <strong>und</strong> jen-<br />

seits aller umstrittenen Inhalte ist die folgende Charakterisierung Zietz‘:<br />

„Sie mußte sein wie sie war, weil sie sich einer Sache nur ganz hingeben konnte.“<br />

2111<br />

Und doch: Bohm-Schuch ließ die Gelegenheit nicht ungenutzt, um die Politik der USPD zu<br />

kritisieren. Sie erachtete sie schlicht „für falsch“ 2112 <strong>und</strong> betrachtete die Parteispaltung als „das<br />

schlimmste Hindernis zur Erreichung des Sozialismus“ 2113 .<br />

Ein Jahr später verfasste eine derjenigen SozialdemokratInnen, die dieses Hindernis mittrugen,<br />

einen Artikel anlässlich Zietz‘ erstem Todestag. 2114 Mathilde Wurm – ehemalige USPD-Genossin<br />

<strong>und</strong> nach der Wiedervereinigung der Sozialdemokratien als Redakteurin zur „Gleichheit“ zurück-<br />

gekehrt – beschrieb das Wirken Zietz‘ aus USPD-Perspektive:<br />

2107 Ebd.<br />

2108 Ebd.<br />

„Wie so vielen anderen Tapferen in unseren Reihen hatten auch ihr die materiellen<br />

Entbehrungen während des Krieges, häufige Untersuchungshaft, Haussuchungen<br />

<strong>und</strong> Vernehmungen <strong>und</strong> der Verlust so manches lieben Kampfgefährten Körper-<br />

<strong>und</strong> Nervenkraft gebrochen.“ 2115<br />

2109 Ebd.<br />

2110 Ebd.<br />

2111 Ebd.<br />

2112 Ebd.<br />

2113 Ebd.<br />

2114 [Wurm, Mathilde] M. W.: Luise Zietz zum Gedächtnis. In: GL, 33/ 02/ 15.01.1923/ 10.<br />

2115 Ebd.<br />

609


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

AnhängerInnen der USPD <strong>und</strong> anderer linker Gruppierungen waren während des Krieges<br />

tatsächlich ähnlich wie unter dem Sozialistengesetz behandelt worden – nur, dass die Mitverant-<br />

wortlichen dafür ehemalige ParteigenossInnen waren. Zu solcherlei Strapazen sei Zietz‘ ständige<br />

„Ueberarbeit“ 2116 hinzugekommen, mittels der sie jedoch auch ein Beispiel dafür war, „was eine<br />

Frau an Hingabe für ein großes Ziel zu leisten vermag“ 2117 . Laut Wurm war es<br />

„ein nach außen <strong>und</strong> innen stark <strong>und</strong> geschlossen dastehendes, international verb<strong>und</strong>enes<br />

Proletariat, in dem Mann <strong>und</strong> Weib gemeinsam arbeiten <strong>und</strong> kämpfen für<br />

die Befreiung der Arbeiterklasse, für die Befreiung der Menschheit“ 2118 ,<br />

für das Zietz gelebt habe, für das sie auch gestorben sei. Die „Einigung des Proletariats“, „seine<br />

ganze Einigung, ohne Unterschied der Richtung“ 2119 , habe sie sich ersehnt. Luise Zietz, die mit<br />

der ersten deutschen Republik „die Morgenröte einer neuen Zeit hatte aufziehen sehen“, hatte<br />

nicht sterben, sondern „mit aller Kraft auch die Sonne noch leuchten sehen“ 2120 wollen, die Sonne<br />

über einem sozialistischen Deutschland.<br />

Wie Zietz, so war auch Klara Wehmann (?-1915 / 56jährig) bereits seit Anfang der 1890er in der<br />

Arbeiterbewegung tätig. Die Mutter von zwei Söhnen gehörte in Leipzig zur Kerntruppe auf-<br />

geklärter Genossinnen <strong>und</strong> war Mitbegründerin <strong>und</strong> Förderin der dortigen proletarischen Frauen-<br />

bewegung. Geboren als „einfache[s] Volkskind“ 2121 , so vermutlich Zetkin in einem Nachruf, habe<br />

sie sich zu einer starken<br />

„eigengeprägten Persönlichkeit entwickelt, die Tiefe <strong>und</strong> Zartheit des Empfindens<br />

mit klarem Blick, selbständigem Urteil <strong>und</strong> leidenschaftlichem, zähem Wollen<br />

vereinigte“ 2122 [Hervorhebungen von M.S.].<br />

Wehmann habe für den Sozialismus „mit glühender Begeisterung, klarem Zielbewußtsein <strong>und</strong> nie<br />

versagender, selbstloser Opferfreudigkeit“ 2123 gekämpft <strong>und</strong> sich dabei immer auch einen kri-<br />

tischen Geist bewahrt, der vieles hinterfragte:<br />

2116 Ebd.<br />

2117 Ebd.<br />

2118 Ebd.<br />

2119 Ebd.<br />

2120 Ebd.<br />

„ihr Leben <strong>und</strong> ihr Wirken [wurde] nicht von Meinungen regiert, die wie Rohr im<br />

Winde der Ereignisse <strong>und</strong> Stimmungen hin- <strong>und</strong> herschwanken, es war der Ausdruck<br />

einer stark gewurzelten Überzeugung, die kraftvolle Schößlinge, Blüten <strong>und</strong><br />

Früchte trieb“ 2124 .<br />

2121 Genossin Clara Wehmann – Leipzig †. In: GL, 25/ 23/ 06.08.1915/ 153.<br />

2122 Ebd.<br />

2123 Ebd.<br />

610


4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />

Wehmann, die zu dieser Zeit durch ein Herzleiden bereits bettlägerig war, war eine kritische<br />

Beobachterin des Ersten Weltkrieges <strong>und</strong> die Briefe, die sie aus dieser Beobachtung heraus der<br />

„Gleichheit“-Redaktion zukommen ließ, seien „herzerfrischende Bekenntnisse sozialistischer Auf-<br />

fassung“ 2125 gewesen. Wenn Zetkin urteilte, dass Wehmann „mit Leib <strong>und</strong> Seele Sozialistin“ 2126<br />

war, so ist davon auszugehen, dass sie der Opposition angehörte <strong>und</strong> die „Gleichheit“ in ihrer<br />

Haltung gegen SPD-Vorstand <strong>und</strong> Krieg unterstützte.<br />

Aber war es angesichts des Krieges <strong>und</strong> seiner zahllosen Opfer nicht sehr vermessen, einer<br />

einzelnen verstorbenen Sozialistin zu gedenken? Zetkin begründete diese Unerlässlichkeit so:<br />

„Das Proletariat darf <strong>und</strong> kann über den Massengräbern der Seinigen, die der Weltkrieg<br />

füllt, nicht den bescheidenen Einzelhügel vergessen, der ein Herz deckt, das<br />

bis zur letzten Minute für die Sache der Menschheitsbefreiung schlug, unter dem<br />

ein Wille zur Ruhe gekommen ist, der selbstlose Hingabe an dies große Ziel befahl.“<br />

2127<br />

Jene selbstlose Hingabe wurde in einem weiteren, vermutlich von Käte Duncker verfassten,<br />

Artikel beschrieben.<br />

1893 wurde Wehmann Mitarbeiterin im Leipziger Frauenbildungsverein, der jedoch schon 1894<br />

verboten wurde. Sie gründete <strong>und</strong> leitete von 1900 bis zu seiner Verschmelzung mit der<br />

Organisation der männlichen SPD-Mitglieder den „Verein der Frauen <strong>und</strong> Mädchen der Arbeiter-<br />

klasse“. Wehmanns Engagement war es zu verdanken, dass die Diskussions- <strong>und</strong> Leseabende der<br />

Leipziger Sozialdemokratinnen <strong>und</strong> auch die unentgeltliche Lieferung der „Gleichheit“ erhalten<br />

nach jener Verschmelzung beibehalten wurden. Dies um, wie Duncker meint, den Frauen <strong>und</strong><br />

Mädchen „die ihrer <strong>weiblichen</strong> Eigenart entsprechende Durchbildungsmöglichkeit“ 2128 zu gewähr-<br />

leisten. Damit ist hier einer derjenigen Fälle dokumentiert, in denen die Frauenleseabende trotz<br />

gemischtgeschlechtlicher Organisationsstrukturen nach 1908 nicht eingestellt wurden. Wehmann<br />

war bis in ihr letztes Lebensjahr hinein für diese Frauenleseabend, die Jugendbewegung <strong>und</strong> in<br />

der Leitung einer Bibliothek tätig. Außerdem leitete sie bis zur seiner Verschmelzung mit dem<br />

Schneiderverband den Leipziger Wäscherverband.<br />

Mehrfach wurde Wehmann zu Versammlungen <strong>und</strong> Konferenzen delegiert. Sie, die über einen<br />

„klare[n] Verstand <strong>und</strong> ernste Gründlichkeit“ 2129 verfügte, habe fortwährend an sich <strong>und</strong> ihrer<br />

Weiterbildung gearbeitet <strong>und</strong> war Teilnehmerin verschiedener Bildungs- <strong>und</strong> Unterrichtskurse.<br />

2124 Ebd.<br />

2125 Ebd.<br />

2126 Ebd.<br />

2127 Ebd., S. 154.<br />

2128 [Duncker, Käte] K. D.: Klara Wehmann †. In: GL, 25/ 24/ 20.08.1915/ 161.<br />

2129 Ebd.<br />

611


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Und doch war Wehmann keine der öffentlich besonders herausragenden Führerinnen der prole-<br />

tarischen Frauenbewegung. Dafür gibt Duncker folgende Erklärung:<br />

„Und wenn es ihr nicht gegeben war, das Selbstdurchdachte <strong>und</strong> Erkannte in<br />

zündender, packender Rede anderen mitzuteilen, so hat sie dafür durch ihr schlichtes,<br />

klares Wort, durch ihr Beispiel, ihre Treue, ihre Ehrlichkeit, ihr echt solidarisches<br />

Handeln gewirkt.“ 2130<br />

Das rednerische Talent, das ihr zu fehlen schien, machte Wehmann demnach mit anderen idealen<br />

Charaktereigenschaften einer proletarischen Klassenkämpferin wieder wett. Durch diese Charak-<br />

terisierung wird ihr Tun für einfache Proletarierinnen außerdem umso nachvollziehbarer. In ihrer<br />

Zeit als Leiterin des Arbeiterinnenvereins habe Wehmann – immer im Dienst der Sache – „nichts<br />

Kleinliches, nichts Persönliches aufkommen [lassen,] […] wußte […] geschickt zu vermitteln <strong>und</strong><br />

auszugleichen“ 2131 . Nie habe sie den „Fehler so mancher Vereinsleiter“ 2132 begangen <strong>und</strong><br />

Konkurrenz neben sich nicht ertragen können. Stattdessen habe sie sich „über jede junge Kraft<br />

[gefreut] <strong>und</strong> suchte sie zu fördern“ 2133 .<br />

Schließlich verfasste Duncker, das Vorbild Wehmanns vor Augen, eine Definition für die ideale<br />

sozialistische Klassenkämpferin:<br />

„Ihr [Wehmann; M.S.] war der Sozialismus nicht nur Gefühlssache, nicht nur<br />

Erkenntnis, er war ihr beides: er war ihr Weltanschauung, Glauben, Religion, die<br />

ihr ganzes Leben durchdrang. Sie bekannte ihn nicht nur, sie lebte ihn, auch daheim<br />

in ihrer Familie, in der Erziehung der Söhne, im Getriebe des Alltags.“ 2134<br />

Diese ideale sozialistische Gesinnung einer Frau lehnte die Gefühlskomponente wie in einigen<br />

anderen „Gleichheit“-Artikeln beschrieben nicht ab, sondern erkannte sie als Beweggr<strong>und</strong> poli-<br />

tischen Engagements an. Doch Wehmann habe es nicht allein dabei belassen: „Lieber kämpfend<br />

sterben, als tatenlos dahinvegetieren, das war ihre Losung.“ 2135<br />

Wehmann – „ein tüchtiger, aufrechter Mensch“ 2136 – sei zudem eine „liebevolle Gattin“ 2137 ge-<br />

wesen, die ihr Ehemann „auf Händen trug“ 2138 , eine „aufopfernde Mutter“ 2139 , die ihren Söhnen<br />

auch Fre<strong>und</strong>in war, „eine tapfere Genossin <strong>und</strong> Kämpferin“ 2140 . Der Weltkrieg allerdings habe der<br />

2130 Ebd.<br />

2131 Ebd.<br />

2132 Ebd.<br />

2133 Ebd.<br />

2134 Ebd.<br />

2135 Ebd.<br />

2136 Ebd.<br />

2137 Ebd.<br />

2138 Ebd.<br />

2139 Ebd.<br />

2140 Ebd.<br />

612


4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />

herzleidenden Wehmann „den letzten Stoß gegeben“ 2141 . Denn nicht nur, dass sie sich um die im<br />

Feld stehenden Söhne sorgen musste, auch die Verwirrung in der Partei traf sie schwer. Ihr Herz,<br />

so Duncker, „schlug immer leiser <strong>und</strong> leiser, bis es endlich stehen blieb“ 2142 . Es ist ihre prinzipien-<br />

treue Haltung, die Duncker nochmals besonders herausstellt <strong>und</strong> die Wehmann auch in schweren<br />

Zeiten bewahrt habe:<br />

„Und wenn sie auch materielle Sorgen <strong>und</strong> trübe Tage genug erlebt hat, sie war<br />

doch reich, reich durch den Besitz eines Zukunftsglaubens[,] einer Aufgabe, für die<br />

es sich zu leben lohnt. Und sie ist sich bis zuletzt treu geblieben! Sie hat nicht<br />

umgelernt, nicht wie so viele andere verbrannt, was sie früher anbeteten, <strong>und</strong> angebetet,<br />

was sie früher verbrannten. Sie blieb ihrem Ideal, dem Gedanken der<br />

Menschheitsbefreiung <strong>und</strong> Menschheitsverbrüderung auch treu unter den Erschütterungen<br />

des Weltkriegs, treu bis zum Tod. Es sind nicht viele, an deren Grab man<br />

das wird sagen können.“ 2143<br />

Bereits ein Jahr nach Kriegsbeginn formulierte Duncker hier mit einer sehr deutlichen Sprache<br />

ihre Vorwürfe in Richtung der zukünftigen Mehrheitssozialdemokratie <strong>und</strong> der Gewerkschaften.<br />

Die gewerkschaftliche Organisierung der Arbeiterinnen war Tätigkeitsfeld Wilhelmine Kählers,<br />

der Verfasserin des folgenden Nachrufes, <strong>und</strong> Paula Thiedes (1870-1919), die einer Krebs-<br />

erkrankung erlag. Anfang der 1890er Jahre hatte Kähler Thiede auf einer Berliner Konferenz zur<br />

Intensivierung der Frauenagitation kennengelernt. Thiede engagierte sich vor allem in der<br />

Agitation unter den Buchdruckereihilfsarbeitern <strong>und</strong> -arbeiterinnen. Sie baute deren Zentral-<br />

verband auf <strong>und</strong> stand bald selbst an dessen Spitze. 2144 Mit Tatkraft, Berufskenntnis <strong>und</strong> Witz habe<br />

sie sich erfolgreich für Lohnerhöhungen eingesetzt, war Teilnehmerin <strong>und</strong> geschickte Leiterin der<br />

Generalversammlungen ihres Verbandes. Jedoch sei Thiede nicht nur eine tüchtige Kraft, sondern<br />

auch ein „prachtvoller Mensch“ 2145 <strong>und</strong> eine enge Fre<strong>und</strong>in Emma Ihrers gewesen.<br />

Der Tod ihrer Mitarbeiterin Hanna Lewin-Dorsch (?-1911) erschütterte die „Gleichheit“-<br />

Redaktion merklich. Die Nachricht von ihrem Tod durch ein schweres Hirnleiden kam für sie<br />

„unerwartet wie der Dieb in der Nacht“ 2146 . Zetkin verlor mit Lewin-Dorsch, die vor allem kultur-<br />

historische Artikel für die Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ verfasst hatte,<br />

2141 Ebd.<br />

2142 Ebd.<br />

2143 Ebd.<br />

2144 Kähler, Wilhelmine: Paula Thiede †. In: GL, 29/ 13/ 28.03.1919/ 100. Auffällig an dem Nachruf ist, dass er in<br />

größerem Zeilenabstand gedruckt <strong>und</strong> damit besonders hervorgehoben wurde.<br />

2145 Ebd.<br />

2146 Hannah Lewin-Dorsch †. In: GL, 21/ 23/ 14.08.1911/ 362.<br />

613


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

„eine vorzügliche Mitarbeiterin von weitfassender gründlicher Bildung, treuer<br />

Gewissenhaftigkeit, brennendem Eifer <strong>und</strong> großem Talent“ 2147 .<br />

Aus gut bürgerlicher, orthodox protestantischer Familien stammend, sei Lewin-Dorsch eine der<br />

„reifsten <strong>und</strong> tüchtigsten Trägerinnen“ der proletarischen Frauenbewegung geworden. Auch wenn<br />

ihr diese Entwicklung „nicht an der Wiege gesungen worden“ war, so spielte ihre Familien-<br />

herkunft dabei doch keine unwesentliche Rolle. Vielmehr habe zu der Entwicklung, „daß sie eines<br />

Tages als leidenschaftliche Bekennerin des wissenschaftlichen, des revolutionären Sozialismus für<br />

das kämpfende Proletariat wirken sollte“, sehr beigetragen, dass „in ihren Adern […][das] Re-<br />

bellenblut“ 2148 ihres Großvaters „pulsierte“ 2149 , der ein 1848er-Revolutionär gewesen war. Ein<br />

glühender, fanatischer Wahrheitsdrang habe sie erst auf „verschlungenen <strong>und</strong> oft recht dornigen<br />

Pfaden“ 2150 gehen lassen. Doch schließlich habe sie sich immer, so Zetkin,<br />

„mit schweren Kämpfen […] die einheitliche <strong>und</strong> harmonische Weltanschauung<br />

erkauft, nach der ihr auf philosophisches Durchdringen gerichteter Geist verlangte,<br />

wie auch die persönliche Selbständigkeit, die für ihren stolzen, aufrechten Sinn<br />

Lebensluft war“ 2151 .<br />

Es ist die Begeisterung für die Wissenschaft, die Zetkin den „Gleichheit“-Leserinnen hier in<br />

besonders bewegenden Worten zu vermitteln versuchte. Lewin-Dorsch habe aber nicht nur ein<br />

wissenschaftliches, sondern auch ein künstlerisches Talent besessen. Und es seien „Talent <strong>und</strong><br />

Hingabe“ 2152 gewesen, die ihr eine angesehene Stellung als Krankenschwester eingebracht hätten,<br />

welche sie aber zusammen mit ihrem Kirchenglauben aufgab. Sie entwickelte sich zur Anhängerin<br />

des Monismus 2153 , zur Freidenkerin, <strong>und</strong> unterhielt einen fre<strong>und</strong>schaftlichen Kontakt zu dem<br />

Botaniker <strong>und</strong> Darwinisten Arnold Dodel-Port. Schließlich wurde sie Dodels Pflegerin, Beraterin<br />

<strong>und</strong> Schülerin. 2154 Er vermittelte ihr erste Kenntnisse vom Sozialismus, die Lewin-Dorsch<br />

2147 Ebd.<br />

2148 Ebd.<br />

2149 Ebd.<br />

2150 Ebd.<br />

2151 Ebd.<br />

2152 Ebd.<br />

2153 Der Monismus als „Alleinheitslehre“ erklärt die Entstehung der Welt aus einem Prinzip, einem Stoff, einer<br />

Substanz. Um 1900 war der Monismus eine weitverbreitete Art Religionsersatz. 1906 wurde in Jena der Monistenb<strong>und</strong><br />

gegründet, der sich auf die Alleingültigkeit der Naturgesetze berief <strong>und</strong> der nach dem Ersten Weltkrieg vor<br />

allem sozialistische <strong>und</strong> pazifistische Denkströmungen vertrat.<br />

2154 Wie einem 11. August 1911 verfassten Brief der schweizerischen Sozialistin Margarethe Faas-Hardegger an den<br />

deutschen Anarchisten Erich Mühsam zu entnehmen ist, war Lewin-Dorsch Dodels Sekretärin (vgl. http://www.margarethe-hardegger.ch/Q_hardegger_muehsam.<br />

Die auf dieser Webseite publizierten Briefe Hardeggers sind<br />

Quellmaterial für die von Regula Bochsler veröffentlichte Biographie „Ich folgte meinem Stern. Das kämpferische<br />

Leben der Margarethe Hardegger“ (2004)) Gemeinsam mit ihm veröffentlichte sie 1907 die Schrift „Eine neue<br />

Reformation von Christentum zum Monismus“. Faas-Hardegger <strong>und</strong> Mühsam standen jedoch vor allem in Kontakt<br />

mit Eugen Lewin, dem Eheman Lewin-Dorschs, der als politischer Schriftsteller wirkte <strong>und</strong> einen Nachruf auf<br />

Dodel für die „Gleichheit“ verfasste (vgl. Lewin, Eugen: Arnold Dodel. Zu seinem Todestag, 11. April 1908. In:<br />

GL, 19/ 14/ 12.04.1908/ 210).<br />

614


selbständig vertiefte:<br />

4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />

„Ihrem auf Klarheit, Folgerichtigkeit <strong>und</strong> Einheitlichkeit gestimmten Wesen genügte<br />

der gefühlsmäßige Sozialismus nicht, es forderte eine fest f<strong>und</strong>ierte wissenschaftliche<br />

Erkenntnis.“ 2155<br />

Mit der Vertiefung in die Materie, sei die Offenbarung gekommen <strong>und</strong> schließlich, so Zetkin,<br />

wurde Lewin-Dorsch „[d]ie materialistische Geschichtsauffassung […] der Schlüssel zum Ver-<br />

ständnis der treibenden Kräfte <strong>und</strong> Zusammenhänge der Menschheitsgeschichte“ 2156 . Dieser<br />

Entwicklung schloss sich ein Studium der Naturwissenschaften, dann der Gesellschafts-<br />

wissenschaften <strong>und</strong> der Geschichte an der Züricher Universität an. Bereits zu dieser Zeit begann<br />

Lewin-Dorsch Werke für die Massen zu verfassen. Sie wurde Mitarbeiterin der „Gleichheit“, der<br />

„Arbeiter-Jugend“ <strong>und</strong> anderer deutscher <strong>und</strong> österreichischer Parteiblätter.<br />

Diese erfolgreiche berufliche Entwicklung fand ihre Ergänzung darin, dass Lewin-Dorsch einen<br />

Lebensgefährten fand, „der eins war in der Gesinnung, eins im leidenschaftlichen Ringen um<br />

Erkenntnis <strong>und</strong> Tat“ 2157 . Mit der Geburt einer Tochter habe sich auch ihre „lange heimlich ersehnte<br />

Seligkeit der Mutterschaft“ 2158 erfüllt – dies jedoch nur einen Monat vor ihrem Tod. 2159 Lewin-<br />

Dorsch hatte die Absicht, im Winter 1911 ihre Doktorarbeit abzuschließen, doch nun musste mit<br />

ihr nicht nur „eine teure, unvergeßliche Fre<strong>und</strong>in eingesargt“ 2160 werden, sondern, so Zetkin, auch<br />

„viele unserer liebsten Hoffnungen auf eine reiche Zukunftssaat, die der kämpfenden<br />

Arbeiterklasse reifen konnte“ 2161 .<br />

Eine weitere Akademikerin, die voll <strong>und</strong> ganz der Sache des Sozialismus anhing, war Hope<br />

Bridges Adams-Lehmann (1855-1916). Sie war eine der ersten Frauen, die nach einem<br />

erfolgreichen Medizinstudium tatsächlich auch in Deutschland als Ärztin praktizieren konnte. Sie<br />

habe es sich zum Lebensinhalt gemacht,<br />

„[z]u heilen, nicht bloß die Gebrechen <strong>und</strong> Schwächen des Körpers, vielmehr alle<br />

Mühsal, alle Übel, die Menschen bedrücken <strong>und</strong> zermürben können“ 2162 .<br />

Der Sozialismus sei Adams-Lehmann sowohl „Heiland“ 2163 als auch „große[r] Heiler“ 2164 gewesen.<br />

2155<br />

Hannah Lewin-Dorsch †. In: GL, 21/ 23/ 14.08.1911/ 362.<br />

2156<br />

Ebd., S. 363.<br />

2157<br />

Ebd.<br />

2158<br />

Ebd.<br />

2159<br />

Faas-Hardegger teilte Mühsam mit, dass Lewin-Dorsch bereits zwei Wochen nach der Geburt ihrer Tochter Rahel<br />

Susanne an einer Gehirnhautentzündung gestorben sei (vgl. http://www.margarethe-hardegger.ch/Q_hardegger_muehsam).<br />

2160<br />

Hannah Lewin-Dorsch †. In: GL, 21/ 23/ 14.08.1911/ 363.<br />

2161 Ebd.<br />

2162 Genossin Hope Bridges Adams-Lehmann †. In: GL, 27/ 02/ 27.10.1916/ 14.<br />

615


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Zudem war er ihr – der gebürtigen Engländerin – gleichbedeutend mit Internationalismus. Und so<br />

begann sie,<br />

„[d]ie Dinge <strong>und</strong> die Menschen für den internationalen Sozialismus vorzubereiten,<br />

jeden Keim liebevoll zu hegen <strong>und</strong> zu pflegen, der sich auf dieses Ziel gerichtet, zu<br />

entwickeln versprach: das war ihr Streben <strong>und</strong> Tun“ 2165 .<br />

Über dieses Streben <strong>und</strong> Tun habe sie jedoch nicht vergessen, „ganz Weib, ganz Mutter“ zu<br />

bleiben, denn „[d]ie stärkste Wurzel ihrer hohen, reinen Menschlichkeit [sei] gerade ihre Weib-<br />

lichkeit, ihre Mütterlichkeit“ 2166 gewesen. Alle Erschütterung legte Zetkin in die folgenden<br />

abschließenden Worte:<br />

„Ein Geist von seltener Klarheit <strong>und</strong> Durchbildung ist erloschen. Ein Herz von<br />

unerschöpflichem Reichtum <strong>und</strong> selbstlosester Hingabe hat aufgehört zu schlagen.<br />

Ein eiserner Wille zur Tat ist nicht mehr. Ein großer Mensch ist von uns gegangen,<br />

der sein Daseinsziel bewußt in dem gelebten Dichterwort erblickte: Mitzulieben<br />

bin ich da.“ 2167<br />

Adams-Lehmann vereinte demnach in Geist, Herz <strong>und</strong> Willen die Ideale einer bekennenden<br />

Sozialistin.<br />

Ursprünglich hatte diesem kurz gehaltenen Nachruf eine ausführlichere Würdigung folgen sollen.<br />

Doch erst fünf Jahre später erschien die Zusammenstellung dreier Artikel zum Leben dreier<br />

Vorkämpferinnen der proletarischen Frauenbewegung – Adams-Lehmann war eine davon. Die<br />

„Gleichheit“-Leserin erfährt nun, dass Adams-Lehmann „eine der berühmtesten <strong>und</strong> gesuchtesten<br />

Frauenärzte Deutschlands“ 2168 gewesen <strong>und</strong> dennoch „arm“ 2169 gestorben sei. Diese Armut, so<br />

Antonie Pfülf (1877-1933) 2170 , sei aber nicht Ergebnis einer Misswirtschaft oder eines Schicksals-<br />

schlages gewesen – es war gelebter Sozialismus:<br />

2163 Ebd.<br />

2164 Ebd.<br />

2165 Ebd.<br />

2166 Ebd.<br />

2167 Ebd.<br />

2168 Pfülf, Antonie: Dr. med. Hope Bridget Adams-Lehmann In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/<br />

61. Pfülf gibt hier den <strong>weiblichen</strong> Vornamen „Bridget“ an, korrekt ist aber der Familienname„Bridges“.<br />

2169 Ebd.<br />

2170 Antonie Pfülf wurde in Metz geboren. Sie stammte aus einer bayerischen Offiziersfamilie <strong>und</strong> absolvierte eine<br />

Ausbildung zur Lehrerin. Als solche arbeitete sie in verschiedenen Orten bis sie im April 1911 aus ges<strong>und</strong>heitlichen<br />

Gründen beurlaubt wurde. 1916-1919 arbeitete Pfülf als Lehrerin an einer privaten Höheren Mädchenschule<br />

<strong>und</strong> Frauenschule in München, außerdem auch als Armen- <strong>und</strong> Waisenpflegerin. Dort war sie nach der<br />

Novemberrevolution einziges weibliches Mitglied im Arbeiter- <strong>und</strong> Soldatenrat. Pfülf war Vorsitzende des B<strong>und</strong>es<br />

sozialistischer Frauen, Mitgründerin der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Lehrer <strong>und</strong> weiterer schulreformerischer<br />

Gremien. 1919 wurde sie in die Nationalversammlung gewählt, wo sie sich besonders für die Abschaffung<br />

des Lehrerinnenzölibats einsetzte. 1920-1933 war Pfülf Reichstagsabgeordnete. Sie befand sich von<br />

Beginn an im Widerstand gegen die NSDAP, da aber die Appelle an die eigene Partei nicht fruchteten, überkam<br />

sie eine so große Verzweiflung, dass sie sich 1933 das Leben nahm. Für die „Gleichheit“ verfasste sie vor allem<br />

im 30. Jahrgang mehrere Artikel u. a. zur Schulpolitik (vgl. GL, 30/ 21/ 22.05.1920/ 162).<br />

616


4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />

„Persönlich bedürfnislos, ließ sie alles, was sie über den Bedarf ihrer Familie<br />

hinaus verdiente, den großen allgemeinen Zwecken der Gesellschaft wieder zufließen.<br />

Und das geschah so selbstverständlich <strong>und</strong> unauffällig, daß wohl nie<br />

jemand ihren Namen in den Listen der großen Wohlfahrtsaktionen gelesen haben<br />

wird. So fern lag ihrem Wesen die Unkeuschheit persönlicher Wohltätigkeit.“<br />

2171<br />

Adams-Lehmann war demnach nicht nur ein „Genie des Herzens“ 2172 , sondern auch Vorbild für<br />

Bescheidenheit.<br />

Nie sei ihr, obwohl sie mit Operationen <strong>und</strong> Krankenbesuchen stark belastet war, der Beruf „zum<br />

Handwerk“ 2173 geworden. Außerdem fand sie immer Zeit, Artikel für die „Gleichheit“, wie auch<br />

für die „Neue Zeit“ <strong>und</strong> die „Sozialistischen Monatshefte“ zu verfassen. Sie stand in engem Kon-<br />

takt mit Bebel, Georg von Vollmar, Wilhelm Liebknecht, Zetkin, Viktor <strong>und</strong> Friedrich Adler. Mit<br />

ihrem Ehemann Carl Lehmann, der in einem französischen Feldlazarett an einer Blutvergiftung<br />

starb 2174 , habe sie eine sehr glückliche Ehe geführt. Wohl auch aus dieser Erfahrung heraus, galt<br />

ihr Engagement der, wie Pfülf schreibt, „Veredelung der erotischen Beziehungen“ 2175 , womit<br />

einerseits praktische Sexualaufklärungsarbeit, aber auch Thesen der „freien Liebe“ gemeint sein<br />

dürften. Adams-Lehmanns engagierte sich für die Abschaffung des § 218 <strong>und</strong> führte selbst<br />

Schwangerschaftsabbrüche durch. Denn, so Pfülf, es habe „[k]ein Strafgesetzparagraph ver-<br />

m[ocht,] sie davon abzuhalten, auch in ihrer ärztlichen Praxis zu tun, was ihr soziales Gewissen<br />

ihr vorschr[ieb]“ 2176 . Adams-Lehmann strebte den Bau eines großen Frauenheims <strong>und</strong> die Ein-<br />

richtung von Versuchskindergärten an.<br />

In England geboren, war Adams-Lehmann aber mit den Jahren ganz <strong>und</strong> gar Münchnerin<br />

geworden. Im Oktober 1914 – also nur wenige Monate nach der deutschen Kriegserklärung –<br />

reiste sie deshalb auch nicht mithilfe eines falschen Passes nach England, um sich dort<br />

niederzulassen, sondern um sich mit englischen Sozialisten wie Ramsay Mac Donald zu be-<br />

sprechen. Erst im Januar 1915 kehrte sie zurück <strong>und</strong> verfasste anschließend die Schrift „Kriegs-<br />

gegner in England“ (1915). In dieser beschwor sie den internationalen Geist der sozialistischen<br />

Internationale <strong>und</strong> ihren Friedenswillen. Pfülf erachtete es als „[e]in gütiges Geschick“ 2177 , dass<br />

2171 Ebd.<br />

2172 Ebd.<br />

2173 Ebd.<br />

2174 Vgl. Genossin Hope Bridges Adams-Lehmann †. In: GL, 27/ 02/ 27.10.1916/ 14.<br />

2175 Pfülf, Antonie: Dr. med. Hope Bridget Adams-Lehmann. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/<br />

62. Diese Seite zeigt ein Porträt Adams-Lehmanns, das im Anhang enthalten ist.<br />

2176 Ebd.<br />

2177 Ebd.<br />

617


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Adams-Lehmann durch ein Lungenleiden davor bewahrt geworden sei, „diesen Frieden“ 2178<br />

in Form des Versailler Vertrages mitzuerleben.<br />

Der Dichterin Klara Müller-Jahnke (1861-1905) kommt mehr durch ihre Präsenz in der<br />

„Gleichheit“ als durch eine Führungsposition Bedeutung für die proletarische Frauenbewegung<br />

zu. Zetkin schätzte Müller-Jahnke sehr <strong>und</strong> verfasste anlässlich der Veröffentlichung ihres<br />

Gedichtbandes „Mit rothen Kressen“ (1899), der von „glühende[m] Freiheitssehnen[…]“ 2179<br />

erfüllt sei, eine biographische Skizze. Es ist vor allem der darin dominierende Duktus , der das<br />

Leben der damals noch unverheirateten Klara Müller im Gegensatz zu mancher anderen sozialis-<br />

tischen Schriftstellerin als das einer Klassenkämpferin charakterisieren lässt. Unverkennbar sind<br />

in dieser Skizze jedoch auch jene Elemente enthalten, die einen „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ aus-<br />

zeichnen:<br />

„Die große Sehnsucht unserer Zeit, die bewußt oder unbewußt in Millionen Herzen<br />

brennt, die Sehnsucht nach dem freien Ausleben der Persönlichkeit blickt uns mit<br />

heißen Augen von allen Seiten des Buches entgegen. Mit zwiefacher Gewalt mußte<br />

sie Besitz von der Verfasserin Seele ergreifen: als Weib <strong>und</strong> als mit dem Hirn pflügende<br />

Proletarierin hat Klara Müllers kraftvolle Eigenart im Leben die Schwere<br />

lastender Ketten empf<strong>und</strong>en.“ 2180<br />

Müller-Jahnkes „Sehnsuchtsschrei […] nach Freiheit [sei] der Sehnsuchtsschrei zweier Klassen:<br />

des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts <strong>und</strong> des Proletariats“ 2181 . Sie war Frau <strong>und</strong> Proletarierin, ihr Schicksal<br />

kein Einzelschicksal, sondern, so Zetkin, „ein Stück modernes Menschenschicksal“ 2182 . In dieses<br />

Schicksal gab die „Gleichheit“-Redakteurin ihren Leserinnen einen Einblick.<br />

Müller-Jahnke wurde im pommerischen Leuzen als Tochter eines Pastoren <strong>und</strong> Enkelin eines<br />

Schäfers geboren. Gerade der Beruf des Großvaters habe in Müller-Jahnke den Gr<strong>und</strong>stein für ihr<br />

naturnahes Empfinden gelegt <strong>und</strong> sei verantwortlich dafür, dass sie den Einfluss kleinbürgerlicher<br />

Lebensverhältnisse schnell „abgeschüttelt“ 2183 habe. Sie sei keine „wild gewordene ‘höhere<br />

Tochter’“ 2184 , keine „bildungsprotzige, schöngeisternde Spießbürgerin“ 2185 gewesen, sondern ein<br />

2178 Ebd.<br />

„Kind des Volkes, das die moderne Kultur mit allen Poren eingesogen hat, <strong>und</strong> das<br />

in urwüchsigem Rebellentrotz, der gesellschaftlichen Vorurtheile <strong>und</strong> Schranken<br />

2179 Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. In: GL, 09/ 06/ 15.03.1899/ 44.<br />

2180 Ebd.<br />

2181 Ebd.<br />

2182 Ebd.<br />

2183 Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. In: GL, 09/ 06/ 15.03.1899/ 45.<br />

2184 Ebd.<br />

2185 Ebd.<br />

618


4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />

lachend, sein eigenes Leben lebt <strong>und</strong> nach Freiheit <strong>und</strong> Glück ringt“ 2186 .<br />

Wenn auch das Elternhaus anfangs einen religiösen Einfluss auf sie genommen hatte, so machte<br />

sich ihre Selbstbefreiung von dieser belastenden Tradition vor allem in ihren Gedichten „Ich sah<br />

das Weib“ <strong>und</strong> „Der Heiland“ bemerkbar. Müller-Jahnke, so Zetkin, sei „eine innerlich Freie“ 2187<br />

geworden.<br />

Als Müller-Jahnke zwölf Jahre alt war, starb ihr Vater. Dies führte dazu, dass sie in eine „that-<br />

sächlich proletarische Existenz geschleudert“ 2188 wurde. Zusammen mit der Mutter <strong>und</strong> einer<br />

jüngeren Schwester siedelte Müller-Jahnke nach Belgard (Pommern) über, wo sie als 14-jährige<br />

Sprachunterricht bekam während sie gleichzeitig Privatunterricht gab – die Lernende wurde ge-<br />

zwungenermaßen zur Lehrenden. 1877 wurde sie Schülerin an der Berliner Handelsschule, nach<br />

deren Abschluss sie als Buchhalterin in einer Tapetenfabrik arbeitete. Der auf ihr lastende, „blei-<br />

schwere[…] Druck der proletarischen Existenz“ sei umso größer gewesen, da Müller-Jahnke ihn<br />

„<strong>und</strong> alles, was ihr das Leben vorenthielt“ 2189 mit „verfeinerten Sinnen, mit wachem Geiste, im<br />

klaren bohrenden Bewußstein“ 2190 wahrgenommen habe. Aus dieser feinen Wahrnehmung er-<br />

wuchs ihr demnach das Verständnis für die proletarische Klassenlage <strong>und</strong> den Klassenkampf.<br />

Eine „[h]ochgradige Bleichsucht“ 2191 zwang sie, ihre Anstellung in der Tapetenfabrik aufzugeben<br />

<strong>und</strong> zu ihrer Mutter zurückzukehren. Dort gab sie erneut Privatunterricht <strong>und</strong> übernahm schließ-<br />

lich in Kolberg, in das sie <strong>und</strong> ihre Mutter 1884 übersiedelten, eine Vertretung an der Volksschule.<br />

1889 erhielt Müller-Jahnke eine Stellung in der Redaktion der „Zeitung für Pommern“<br />

(1852[?]-?). Zwar war dies ein liberales Blatt, doch ihrem „Sehnsuchtsruf nach freiem, vollem<br />

Menschenthum“ habe die Dichterin dort keinen Ausdruck verleihen können. Diese Stellung be-<br />

kleidete sie aber auch noch in jenem Jahr, in welchem Zetkin diesen Artikel über sie verfasste. 2192<br />

Mit einer merklichen Euphorie beurteilte Zetkin das schriftstellerische Werk Müller-Jahnkes.<br />

Auch die sentimentale, ja „tendenziös[e]“ 2193 Färbung der Gedichte erachtete Zetkin nicht als<br />

Mangel, sondern begrüßte die Art <strong>und</strong> Weise, in der Empfindungen, Gedanken <strong>und</strong> Hoffnungen in<br />

ihnen ausgedrückt wurden. Seien es doch „nicht müdes Entsagen, sondern trotzige[r] Kampf“ 2194<br />

2186 Ebd.<br />

2187 Ebd.<br />

2188<br />

Ebd.<br />

2189<br />

Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. In: GL, 09/ 06/ 15.03.1899/ 46.<br />

2190<br />

Ebd.<br />

2191<br />

Ebd.<br />

2192<br />

Mit zwei Ausrufezeichen hob die Redakteurin der „Gleichheit“ hervor, dass Müller-Jahnke dort lediglich 55 Mark<br />

im Monat verdiente (vgl. ebd.).<br />

2193 Ebd., S. 44.<br />

2194 Ebd.<br />

619


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

<strong>und</strong> „lichtvolle Zuversicht“ 2195 , die sie predigten. Sie bestätigte Müller-Jahnke ein besonderes<br />

„[k]ünstlerisches Empfindungs- <strong>und</strong> Schaffensvermögen“ 2196 , eine überdurchschnittliche Bega-<br />

bung <strong>und</strong> Können.<br />

In ihrer Werksanalyse kam Zetkin zu dem Urteil, dass Müller-Jahnkes Sprache „der Reiz des Per-<br />

sönlichen“ 2197 eigen sei. Sie sei „weder schwatzschweifig, noch süßlich“ 2198 wie die anderer<br />

dichtender Frauen, „sondern markig, gedrungen, biegsam <strong>und</strong> scharf wie guter Stahl, der Funken<br />

schlägt“ 2199 . Ihre Werke verkörperten ein „sonnensehnsüchtige[s] Menschenthum[…]“ 2200 . Laut<br />

der begeisterten Kunstkritikerin Zetkin verlieh Müller-Jahnkes „feines künstlerisches Gestaltungs-<br />

vermögen […] der Wahrheit den Zauberreiz der Dichtung“ 2201 <strong>und</strong> ihr glühendes Verlangen<br />

hauch[e] der Dichtung die Kraft der Wahrheit ein“ 2202 . Eben jenes sind die besonderen Möglich-<br />

keiten der Dichtung, denn Träume <strong>und</strong> Utopien – <strong>und</strong> damit auch andere Formen von Vorbildern –<br />

können für die Realität wegweisend sein.<br />

Es wurde schließlich besonders Müller-Jahnkes Gespür für die Sache der Frau hervorgehoben. Sie<br />

habe diese in Gedichten vertreten, ohne jedoch das Wort „Frauenrechte“ zu gebrauchen:<br />

„Aber ein so durchaus individuelles Gepräge die Gedichte tragen, so typisch sind<br />

sie gleichzeitig für modernes Frauenleben <strong>und</strong> Frauenverlangen. Ein Leiden, Genießen,<br />

Ringen <strong>und</strong> Sehnen reckt in ihnen die Glieder, das Bein vom Bein, Fleisch<br />

vom Fleisch Tausender von Frauen in unseren Tagen ist. Kein einziges Schlagwort<br />

von Frauenrechten fällt, <strong>und</strong> doch klingt aus dem Bändchen Gedichte [„Mit rothen<br />

Kressen“; M.S.] vernehmlich der sehnsuchtsschwere Schrei nach dem Rechte der<br />

Frau, sich als Persönlichkeit frei zu entfalten <strong>und</strong> auszuleben. Dieser Gr<strong>und</strong>ton<br />

macht es erklärlich, daß die inbrünstig Verlangende, die Pfadsucherin, die uns die<br />

Verse zeigen, im Ringen um ihr Glück <strong>und</strong> tiefen, vielseitigen Lebensinhalt zur<br />

trotzigen Rebellin wird wider den bürgerlichen Moralkodex, zur Kämpferin für<br />

soziale Freiheit. –“ 2203<br />

Diese Kritik Zetkins, die selten besonders überschwänglich lobte, wirkt sehr eigentümlich. Doch<br />

hier scheint Zetkin wirklich persönlich berührt. Es lässt sich vermuten, dass diese<br />

Überschwänglichkeit direkt oder indirekt damit zusammenhängt, dass sie in jenem Jahr – 1899 –<br />

ihren zukünftigen Ehemann, den 18 Jahre jüngeren Kunstmaler Georg Friedrich Z<strong>und</strong>el, kennen-<br />

lernte. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, wurde nicht nur Müller-Jahnke, sondern auch Zetkin<br />

zur „trotzigen Rebellin wider den bürgerlichen Moralkodex“.<br />

2195 Ebd.<br />

2196 Ebd.<br />

2197 Ebd.<br />

2198 Ebd.<br />

2199 Ebd.<br />

2200 Ebd.<br />

2201 Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. (Fortsetzung statt Schluß.). In: GL, 09/ 07/ 29.03.1899/ 52.<br />

2202 Ebd.<br />

2203 Ebd.<br />

620


4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />

Diese Interpretation weiterverfolgend, ist Zetkins kunstkritische Rezension nicht nur als ein Auf-<br />

begehren gegen die bürgerliche Moral zu sehen, sondern auch als ein Aufbegehren gegen das<br />

Älterwerden. So schrieb sie:<br />

„Mit geradzu elementarer Wucht, der konventionellen Heuchelei spottend, bäumt<br />

sich in diesen kraftvollen Versen das tiefste Sehnen des Weibes auf wieder das<br />

drohende Welken <strong>und</strong> Verkümmern der ‘alten Jungfernschaft’, fordert es gebieterisch<br />

das Recht auf Liebe, das Recht auf Fortdauer in der Ewigkeit einander<br />

ablösender Geschlechter.“ 2204<br />

Müller-Jahnke scheint demnach zu diesem Zeitpunkt noch kinderlos gewesen zu sein <strong>und</strong> machte<br />

ihre Hoffnung auf Liebe <strong>und</strong> Mutterschaft zum Thema ihrer Werke. Ein Thema, das in der Frauen-<br />

lyrik jener Zeit häufig behandelt wurde. Allerdings, so Zetkin, unterschieden sich die dichte-<br />

rischen Darstellungen Müller-Jahnkes<br />

„durch ihre Kühnheit <strong>und</strong> Leidenschaft sehr günstig von dem süßlichen, himmelblau<br />

<strong>und</strong> rosenrothen Gesäusle der landläufigen Frauenlyrik […]. Dort verlogene,<br />

unges<strong>und</strong>e Empfindelei, hier warmes, wildes, starkes Leben“ 2205 .<br />

Es sei Lebensfreude <strong>und</strong> „das leidenschaftliche Verlangen, die überquellende Fülle zärtlicher<br />

Liebe über ein theures Kindeshaupt zu schütten“ 2206 , das aus ihren Werken spreche. Die zu diesem<br />

tiefen Muttergefühl verfassten Verse gehören laut dem Urteil Zetkins „zu dem Reifsten, Groß-<br />

zügigsten <strong>und</strong> künstlerisch Vollendetsten“ 2207 , was Müller-Jahnke mit ihren Gedichten ihren Lese-<br />

rinnen geboten habe.<br />

Und doch sei es nicht nur der „Sehnsuchtslaut des Weibes nach Liebes- <strong>und</strong> Mutterglück“ 2208 , der<br />

aus Müller-Jahnkes Gedichten töne, sondern auch<br />

„der Empörungsruf des Menschen, auf dessen Blüthendrang der tödtliche Frost des<br />

Vorurtheils, der gesellschaftlichen Einrichtungen, vor Allem aber der Armuth<br />

fällt“ 2209 .<br />

Den Argumenten ihrer heutigen KritikerInnen, die in Zetkin nur die Propagandistin einer<br />

„proletarischen Gebärerin“ 2210 sehen wollen, widerspricht es, wenn sich diese in ihrem Artikel<br />

dafür aussprach, dass „[g]ewiß […] das ‘Ewig Weibliche’ etwas ewig Menschliches im Leben der<br />

Frau [sei], aber […] nicht der einzige, der ganze Inhalt ihrer Persönlichkeit“ 2211 . Zetkin plädierte<br />

2204 Ebd., S. 54.<br />

2205 Ebd., S. 52.<br />

2206 Ebd., S. 53.<br />

2207 Ebd.<br />

2208 Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. (Schluß.). In: GL, 09/ 08/ 12.04.1899/ 60.<br />

2209 Ebd.<br />

2210 So der Titel eines Unterkapitels in der Zetkin-Biographie Puschnerats (vgl. Puschnerat, Clara Zetkin –<br />

Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 140).<br />

2211 Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. (Schluß.). In: GL, 09/ 08/ 12.04.1899/ 60.<br />

621


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

hier deutlich für eine umfassende Entfaltung der <strong>weiblichen</strong> Persönlichkeit.<br />

Eine Entfaltung, die Müller-Jahnke selbst sehr schwer gemacht wurde. Der Erwerbszwang habe<br />

sie in den „ausgetretenen Bahnen einer engen Berufsbildung“ 2212 gehalten <strong>und</strong> ihre nächste Umge-<br />

bung habe weder Verständnis noch „Mitgefühl für das Suchen <strong>und</strong> Fehlen, für das Kämpfen,<br />

Unterliegen, Wiedererheben <strong>und</strong> rastlose Vorwärtshasten <strong>und</strong> Vorwärtstasten“ 2213 der jungen<br />

Dichterin gehabt. Ihr Versuch, ihr „eigenes Leben leben zu wollen, die konventionelle Heuchelei<br />

preiszugeben, um etliche Strahlen persönlichen Glücks zu erhaschen“ 2214 wurde verurteilt. Diese<br />

repressive Situation scheint Müller-Jahnke in eine tiefe Krise geworfen zu haben, denn Zetkin<br />

schrieb, sie habe „[v]or des Daseins Jammer […] in den Schlaf, […] in den Tod flüchten“ 2215<br />

wollen. Diesen Plan einer „feige[n], poetisch verklärte[n] Weltflucht“ 2216 habe jedoch ihre<br />

„Lebensfrische <strong>und</strong> Strebensfreude“ 2217 vereiteln können. Auch sei ihr ihre Dichtkunst „kein Nar-<br />

kotikum [gewesen], das von den Kämpfen unserer Tage in das Reich einer traumseligen Schönheit<br />

entrückt“ 2218 . Vielmehr habe Müller-Jahnke immer auch „den Kampfesgehalt der Zeit“ 2219 in ihre<br />

Werke hineingenommen. Sie habe eine starke Eigenart bewiesen, trotz <strong>und</strong> wegen der<br />

„sie sich den ‘Herdenthieren’ gegenüber nicht in den Verachtungswinkel hinein[dichte],<br />

in dem so viele derer hocken, welche sich ‘Uebermenschen’ nennen,<br />

weil sie Unterknirpse“ 2220<br />

seien. Müller-Jahnke habe „die Gemeinschaft mit der Masse“ 2221 , ihren „proletarischen Kern“ 2222<br />

gefühlt <strong>und</strong> deshalb nicht nur „mit dem Proletariat“ 2223 empf<strong>und</strong>en, sondern sich selbst „als<br />

Proletarierin, deren stolze Individualität die Härte des Beugenlernens erfahren hat“ 2224 .<br />

Nur jene Menschen, die „unfrei unter Unfreien fremden Reichthum gefrohndet“ 2225 hätten, so<br />

betonte Zetkin, könnten die Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse richtig empfinden. Müller-Jahnkes<br />

Bilder könnten auch nur deshalb so packend, so lebensnah gezeichnet sein, weil sie „nicht blos<br />

2212 Ebd.<br />

2213 Ebd.<br />

2214 Ebd.<br />

2215 Ebd.<br />

2216 Ebd., S. 61.<br />

2217 Ebd.<br />

2218 Ebd.<br />

2219 Ebd.<br />

2220 Ebd.<br />

2221 Ebd.<br />

2222 Ebd.<br />

2223 Ebd.<br />

2224 Ebd.<br />

2225 Ebd.<br />

622


4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />

mit dem Auge geschaut“ 2226 , sondern „mit der Seele empf<strong>und</strong>en“ 2227 seien. Ihre Werke seien „blitz-<br />

scharf, Gerechtigkeitsgefühl <strong>und</strong> Grimm wachrüttelnd“ 2228 , weil die Dichterin darin den Gegensatz<br />

zwischen ausgebeutetem Proletariat <strong>und</strong> ausbeutenden Kapitalisten aufzeige. 2229 Aber sie würden<br />

auch „von der Gewissheit, dass eine neue Welt geboren wird“ 2230 sprechen. Eine Welt,<br />

„wo jeder nach Entfaltung drängende Keim Wärme <strong>und</strong> Licht empfängt, wo Jedem<br />

freies Menschenthum zufällt als sein Recht <strong>und</strong> ‘nicht als Bettlergabe aus<br />

Erbarmen’“ 2231 .<br />

Hier klingt eine Kampfbereitschaft für ein besseres Leben an, die laut Zetkin auch das Gedicht<br />

„Der Messias kommt mit Schwerterklang“ ausmache. Denn ProletarierInnen würden nicht um<br />

Gnade oder Schonung bitten, sondern bewusst um ihr Recht streiten. In jenem Streit <strong>und</strong> nicht „als<br />

eine müßige Zuschauerin […] hinter der Front“ 2232 wollte Müller-Jahnke stehen. Auch wenn sie<br />

älter geworden sei, „schaff[e] <strong>und</strong> wirk[e]“ 2233 „in ihrem Inneren […] noch Jugendkraft, die kein<br />

Schmerz brechen, keine Enttäuschung abstumpfen“ 2234 könne. Müller-Jahnke sei in der Tat dem<br />

Volke „‘eine Stimme der Freiheit’“ 2235 geworden, so wie sie es sich immer gewünscht habe.<br />

Diese von Zetkin so hoch verehrte Dichterin starb im November 1904 unerwartet an einer Lun-<br />

genentzündung. Die Nachricht von ihrem Tod teilte die „Gleichheit“ ihren Leserinnen<br />

„[s]chmerzlich bewegt“ 2236 vorerst nur in einer kurzen Notiz mit, ein Nachruf sollte folgen. 2237<br />

Müller-Jahnke sei eine der „treuen Mitarbeiterinnen“ 2238 der „Gleichheit“ <strong>und</strong> außerdem „ein<br />

starkes Talent <strong>und</strong> ein starker, reiner Charakter“ 2239 gewesen. Die Tochter eines Pfarrers hatte in-<br />

zwischen den Maler Oskar Jahnke geheiratet. Nachdem sie „[u]nter den härtesten, äußeren <strong>und</strong><br />

inneren Lebenskämpfen […] aus der Geb<strong>und</strong>enheit bürgerlichen Lebens <strong>und</strong> Denkens zu geistiger<br />

Freiheit durchgerungen“ 2240 hatte, sei sie eine „überzeugte Kämpferin des klassenbewußten Prole-<br />

2226 Ebd., S. 62.<br />

2227 Ebd.<br />

2228<br />

Ebd.<br />

2229<br />

Ebd.<br />

2230<br />

Ebd.<br />

2231<br />

Ebd.<br />

2232<br />

Ebd., S. 63.<br />

2233<br />

Ebd.<br />

2234<br />

Ebd.<br />

2235<br />

Ebd.<br />

2236<br />

[Ohne Titel.] GL, 15/ 24/ 29.11.1905/ 142.<br />

2237 Vgl. ebd.<br />

2238 Ebd.<br />

2239 Ebd.<br />

2240 Ebd.<br />

623


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

tariats“ 2241 geworden <strong>und</strong> als eine seiner Dichterinnen kreativ gewesen. Zwar wurde für eine der<br />

späteren Nummer „eine eingehende Würdigung ihrer Persönlichkeit <strong>und</strong> ihres Werkes“ 2242 ange-<br />

kündigt, diese erfolgte jedoch nicht. 2243<br />

Müller-Jahnkes Grab, so Friedel Schirbel (?-?) 16 Jahre später in Erinnerung an deren Todestag,<br />

liege<br />

„[g]anz still <strong>und</strong> einsam auf der Höhe, weit weg von den übrigen Gräbern des<br />

kleinen Heidefriedhofes, da, wo sonst die Ausgestoßenen schlafen, wo aber die<br />

Vögel desto schöner singen <strong>und</strong> die Blumen üppig <strong>und</strong> wild blühen, da ist’s, dort<br />

trägt ein großer Granitstein ein Frauenbild mit scharfen markanten Zügen <strong>und</strong><br />

einem vom festen Willen sprechenden M<strong>und</strong>“ 2244 .<br />

Schirbel verfasste diesen Artikel drei Jahre nach Kriegsende <strong>und</strong> bedauert es sehr, dass Müller-<br />

Jahnke – „die Frau des Volkes“ 2245 – in dieser schweren Zeit nicht mehr lebte, um „ihren Mit-<br />

schwestern […] die bittern Tränen [zu] trocknen, […] in ihren w<strong>und</strong>en Herzen [zu] lesen“ 2246 . In<br />

dieser wichtigen Aufgabe hätte sie ansonsten ihr „stille[s] Heldentum“ 2247 dartun können.<br />

2241 Ebd.<br />

2242 Ebd.<br />

2243 Es erschien jedoch 1911 in der Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ ein entsprechender Artikel: Trojan,<br />

E.W.: Klara Müller-Jahnke. In: GL, 21 (1911)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 13/ 49-50. E. W. Trojan (?-?)<br />

(die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine Informationen zur Biographie Trojans.<br />

Es ist zu vermuten, dass die Person in verwandtschaftlichem Verhältnis zu dem Dichter, Schriftsteller <strong>und</strong> Chefredakteur<br />

des „Kladderadatsch“, Johannes Trojan, stand) würdigte darin die sich w<strong>und</strong>erbar ergänzenden Talente<br />

des Ehepaares Müller-Jahnke. Oskar Jahnke hatte die Werke seiner Frau nach deren Tode gesammelt, sie mit<br />

eigenen Illustrationen ergänzt <strong>und</strong> schließlich mit Unterstützung des „Vorwärts“-Verlages herausgegeben.<br />

2244 Schirbel, Friedel: Klara Müller-Jahnke zum Gedächtnis. Gestorben am 4. November 1905. In: GL, 31/ 20/<br />

15.10.1921/ 195.<br />

2245 Ebd., S. 196.<br />

2246 Ebd.<br />

2247 Ebd.<br />

624


4.4.8 Internationale Genossinnen im Klassenkampf<br />

4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />

Die „Gleichheit“ war das offizielle Organ der Sozialistischen Fraueninternationale <strong>und</strong> Clara<br />

Zetkin deren Sekretärin. Dieser Funktion <strong>und</strong> den internationalen Kontakten Zetkins ent-<br />

sprechend, veröffentlichte die „Gleichheit“ des Öfteren Nachrufe <strong>und</strong> Jubiläumsartikel auf aus-<br />

ländische <strong>Klassenkämpferinnen</strong>. Deren Biographien stehen für die Entwicklung der Arbeiter- <strong>und</strong><br />

Frauenbewegung in verschiedenen Staaten <strong>und</strong> Kontinenten. Da es sich aber ausschließlich um<br />

Industriestaaten handelt, in denen diese Frauen wirkten, erklärt es sich, dass sich die an ihnen<br />

hervorgehobenen Leitbildeigenschaften nicht sonderlich von denen deutscher Klassenkämpferin-<br />

nen unterscheiden.<br />

4.4.8.1 Österreich<br />

Viktoria Kofler (?-1894) entstammte einer österreichischen Arbeiterfamilie <strong>und</strong> durchlebte deren<br />

typische Existenznöte. Ihr Arbeiterinnenleben sei jedoch<br />

„[k]östlich […][geworden] durch den reichen Inhalt, den ihm die schlichte Frau<br />

gab, indem sie ihr warmes Herz, ihren offenen Geist, ihre unbeugsame Energie<br />

dem Dienst einer großen Sache widmete: dem Befreiungskampf des Proletariats“<br />

2248 .<br />

So seien neue „lebenskräftige Ideale“ 2249 an die Stelle „alte[r] trügerische[r] Götter“ 2250 getreten.<br />

Der Sozialismus gab Kofler, so vermutlich Zetkin für die „Gleichheit“,<br />

„den heißen, felsenfesten Glauben […] an die hohe, geschichtliche Mission des<br />

Proletariats als Erlöser seiner selbst, als Träger einer sonnigen Zukunft für die<br />

ganze Menschheit […][,] gab ihr die unbezwingbare Thatkraft, für ihre Ideale zu<br />

kämpfen, die Freudigkeit, für sie zu entbehren <strong>und</strong> zu opfern“ 2251 .<br />

Kofler war eine begabte Rednerin <strong>und</strong> Mitgründerin des Wiener „Arbeiterinnen-Bildungsvereins“.<br />

Besonders wichtig war ihr die Verbreitung sozialistischer Literatur unter die Massen <strong>und</strong> hier vor<br />

allem unter die proletarischen Frauen. Vehement forderte sie deshalb die Herausgabe eines<br />

besonderen Frauenorgans. Ihrer Meinung nach machte die „vielfach vorhandene Rückständigkeit<br />

der Frauen eine Zeitung nothwendig […], welche dem <strong>weiblichen</strong> Auffassungsvermögen angepaßt<br />

sei“ 2252 . Kofler wurde offizielle Herausgeberin der 1892 gegründeten „Arbeiterinnen-Zeitung“, die<br />

quasi das „Schwesterblatt“ der „Gleichheit“ wurde. Sie habe stets für die Bewegung gearbeitet,<br />

2248 Viktoria Kofler. In: GL, 04/ 09/ 02.05.1894/ 70.<br />

2249 Ebd.<br />

2250 Ebd.<br />

2251 Ebd.<br />

2252 Ebd.<br />

625


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

ohne ihre Pflichten als Mutter von fünf Kindern <strong>und</strong> als Gattin, die mit ihrem Mann in „treuer<br />

Ideen- <strong>und</strong> Kampfesgemeinschaft“ 2253 lebte, zu vernachlässigen.<br />

Die Lungenschwindsucht, an der sie schließlich sterben sollte, fesselte sie mehrere Monate ans<br />

Bett. Es sei ihr sehr schwer gefallen, ihren Ges<strong>und</strong>heitszustand <strong>und</strong> damit den Umstand zu akzep-<br />

tieren, dass sie nicht mehr für die Partei tätig sein konnte. Jedoch blieb ihr reges Interesse an<br />

Informationen zum Fortgang der Bewegung auch durch die Krankheit ungebrochen.<br />

Kofler war nach der Meinung Zetkins nicht bloß eine sympathische <strong>und</strong> bew<strong>und</strong>erungswürdige<br />

„Individualität“ 2254 , sondern „ein Typus: der Typus des kämpfenden, klassenbewußten Prole-<br />

tarierweibes“ 2255 . Es wirkte „tröstlich <strong>und</strong> erhebend“ 2256 auf Zetkin, zu wissen, dass dieser Typus<br />

keine Seltenheit mehr sei, sondern dass man ihn<br />

„heutzutage […] in Österreich, in Deutschland, in Frankreich, in England, kurz<br />

überall [anträfe], wo die Zertretenen sich ihres Menschenthums bewußt werden<br />

<strong>und</strong> für ihre Befreiung kämpfen“ 2257 .<br />

Koflers Beispiel hatte demnach internationale Größe <strong>und</strong> definierte in Zetkins Augen die ideale<br />

Klassenkämpferin – ausgezeichnet durch „Selbstzucht […], Selbstlosigkeit <strong>und</strong> Charakter-<br />

größe“ 2258 . Solche <strong>Klassenkämpferinnen</strong> seien nicht nur aktiv an der Arbeiterbewegung beteiligt,<br />

sie seien außerdem<br />

„leuchtende Beweise für die Lebenskraft <strong>und</strong> Bildungsfähigkeit der Masse, die von<br />

den oberen Zehntausend als Kanaille, als wüster Pöbelhaufen verachtet wird“ 2259 .<br />

In diesem Sinne sind <strong>Klassenkämpferinnen</strong> quasi „Vorzeigeproletarierinnen“, die die Über-<br />

legenheit ihrer Klasse hinsichtlich Moral <strong>und</strong> Bildung demonstrieren sollen.<br />

Doch andererseits war Koflers <strong>Klassenkämpferinnen</strong>tum auch sehr typisch. Sie habe „in Reih <strong>und</strong><br />

Glied der sozialistischen Bewegung“ 2260 gestanden <strong>und</strong> nicht danach getrachtet, aufzufallen.<br />

Irgendwie besonders <strong>und</strong> doch eine von vielen. Weiter beschrieb Zetkin die idealtypischen Klas-<br />

senkämpferinnen <strong>und</strong> ihre Bedeutung für die Geschichte wie folgt:<br />

2253 Ebd., S. 71.<br />

2254 Ebd.<br />

2255 Ebd.<br />

2256 Ebd.<br />

2257 Ebd.<br />

2258 Ebd.<br />

2259 Ebd.<br />

2260 Ebd.<br />

626<br />

„Nur der kleinste Kreis von Genossinnen <strong>und</strong> Genossen kennt <strong>und</strong> schätzt sie. Sie<br />

kämpfen <strong>und</strong> fallen ungekannt <strong>und</strong> ungenannt von der großen Masse, ‘ihren<br />

Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch’. Aber neben den schlichten Gestalten<br />

verbleicht der Ruhm gar mancher Fürstinnen, von deren Heldenthaten als Wickelkind<br />

eine feile Hofgeschichtsklitterung erzählt, von deren ‘gemeinnützigem Thun’<br />

schwatzschweifig <strong>und</strong> lobhudelnd berichtet wird, weil sie sich einfallen ließen, die


4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />

Leere <strong>und</strong> Langweiligkeit eines inhaltslosen Lebens durch irgend welche[sic] nützliche<br />

Thätigkeit auszufüllen. Im besten Falle gaben diese der Allgemeinheit von<br />

ihrem Ueberfluß. Die ungenannten Proletarierinnen opfern dagegen das Scherflein<br />

der Witwe, ihr Alles, ihre Nachtruhe, ihre Erholung, ihre Ges<strong>und</strong>heit, ihr Leben<br />

selbst.“ 2261<br />

Zetkin drückte an dieser Stelle ihr Bemühen um eine originär proletarische <strong>und</strong> weibliche<br />

Geschichtsperspektive in Auseinandersetzung mit einer bürgerlichen Geschichtsschreibung beson-<br />

ders illustrativ aus. Der Nachruf, die Biographie einer Klassenkämpferin, war ihr geeignete Gele-<br />

genheit, gleichsam „Geschichte von unten“ zu betreiben. Auch wenn Kofler wie dargestellt eine<br />

bedeutungsvolle Funktionärin der proletarischen Frauenbewegung war, die zeitgenössische Ge-<br />

schichtsschreibung würde ihrer nicht gedenken. Zetkin sieht daher ihren Nachruf als Versprechen,<br />

dass einst „das befreite Proletariat ein Blatt seiner Geschichte dem Andenken der Ungenannten<br />

widmen“ 2262 würde.<br />

Auch Marie Nowak-Krasa (1874-1911) war eines der ersten Mitglieder des 1890 gegründeten<br />

Wiener „Arbeiterinnen-Bildungsvereins“. Außerdem war sie auch Mitglied des Komitees, das<br />

1891 die Herausgabe der „Arbeiterinnen-Zeitung“ vorbereitete. Bevor sie an den Folgen einer<br />

Operation starb, sei sie, so die „Gleichheit“, „restlos aufopfernd <strong>und</strong> freudig für den Befreiungs-<br />

kampf des Proletariats“ 2263 tätig gewesen. Die Redaktion der „Gleichheit“ wollte im Andenken an<br />

die „Selbstlose[…] <strong>und</strong> Tapfere[…]“ 2264 einen Immortellenstrauß 2265 an ihrem Grabe niederlegen.<br />

4.4.8.2 Dänemark<br />

Eine durch eine Darmverschlingung notwendig gewordene Operation kostete die 57-jährige<br />

Olivia Nielsen (1852-1910) das Leben. 17 Jahre lang stand sie an der Spitze des Arbeiterinnen-<br />

verbandes, den sie selbst mitgegründet hatte. 1909 wurde Nielsen in die Kopenhagener Stadt-<br />

verordnetenversammlung gewählt. Den besonderen Eifer <strong>und</strong> die Fähigkeiten der arbeits- <strong>und</strong><br />

„opferfreudige[n]“ 2266 Genossin, so die „Gleichheit“, hätten auch GegnerInnen des Sozialismus<br />

billigend anerkennen müssen. Nielsen verstarb in Aarhus, wo sie an einem Kongress ihres Ar-<br />

beiterverbandes hatte teilnehmen wollen.<br />

2261 Ebd.<br />

2262 Ebd.<br />

2263<br />

Marie Nowak-Krasa †. In: GL, 21/ 18/ 05.06.1911/ 287.<br />

2264<br />

Ebd.<br />

2265<br />

Die Strohblumenart „Immortellen“ war aufgr<strong>und</strong> ihrer französischen Wortbedeutung „unsterblich“ ein häufig gewähltes<br />

Zeichen der Würdigung einer verstorbenen Genossin.<br />

2266<br />

Genossin Olivia Nielsen †. In: GL, 20/ 22/ 01.08.1910/ 352.<br />

627


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

4.4.8.3 Niederlande<br />

Einige der in der proletarischen Frauenbewegung engagierten <strong>Klassenkämpferinnen</strong> besaßen<br />

großes dichterisches Talent. Sie stellten es in den Dienst der Sache, wie es auch Cornélie<br />

Huygens (1848-1902) tat. Der Schriftsteller <strong>und</strong> Parteifunktionär Max Grunwald (1873-1926) 2267<br />

bezeichnete in seinem Nachruf Huygens als „hochbegabte Dichterin“ 2268 <strong>und</strong> „treue Mitstreiterin<br />

im Kampfe des internationalen Proletariats“ 2269 . Allerdings hatte sich Huygens bereits vor ihrem<br />

Eintritt in die proletarische Frauenbewegung einen Namen als Dichterin gemacht, weshalb Grun-<br />

wald schrieb:<br />

„Als sie zu uns kam auf der Höhe bürgerlichen Ruhmes, trat sie als letzte, bescheidenste<br />

Streiterin in unsere Reihen, als sie von uns ging, stand sie unter den achtungsgebietendsten<br />

Vorkämpfern, <strong>und</strong> ihr Ruhm begann weit über ihr kleineres<br />

Vaterland hinauszustrahlen.“ 2270<br />

Huygens, die einem alten holländischen Adelsgeschlecht entstammte, brach mit ihrer Familie, um<br />

sich der Arbeiterbewegung anzuschließen. Sie habe deren Zielsetzungen als die richtigen <strong>und</strong> die<br />

ihrigen erkannt. Diese „Wahrheit ihrer Erkenntniß“ 2271 ließ sie „Reichtum, bürgerliche Ehren,<br />

älteste Familienbande“ 2272 aufgeben, denn „[w]ahr sein, [sei] das erste <strong>und</strong> letzte Gebot ihrer<br />

Lebensauffassung“ 2273 gewesen. War sie zuvor der „verwöhnte Liebling einer Großbourgeoisie“ 2274<br />

gewesen, so habe sie nun „voll selbstlosester Bescheidenheit“ 2275 jede noch so anstrengende Tätig-<br />

keit wie z. B. die strapaziöse Agitation auf dem Land übernommen. Huygens Voraussetzungen für<br />

eine Karriere in der Parteihierarchie waren hinsichtlich ihrer Herkunft unbestreitbar günstige.<br />

Bald wurde sie Mitglied im Parteivorstand der holländischen Sozialdemokratie, blieb aber auch<br />

weiterhin literarisch tätig. Über ihren sozialistischen Roman „Berthold Meryan“ (1908), so Grun-<br />

2267 Max Grunwald absolvierte 1895-1899 ein natur- <strong>und</strong> staatswissenschaftliches Studium <strong>und</strong> arbeitete 1897-1899<br />

als Assistent am staatswissenschaftlichen Seminar der Universität Jena. Er wurde 1904 Leiter des SPD-<br />

Parteiarchivs <strong>und</strong> der Parteibibliothek in der Lindenstraße 3, außerdem Geschäftsführer der SPD-Reichstagsfraktion<br />

<strong>und</strong> Lehrbeauftragter an der Berliner Ausbildungsschule. Er war als Schriftsteller <strong>und</strong> als Chefredakteur<br />

der „Tribüne“ in Erfurt tätig. Grunwald veröffentlichte u. a.: „Die moderne Frauenbewegung <strong>und</strong> das Judentum.<br />

Vortrag gehalten im Verein „Österreichisch-Israelitische Union“ am 11. März 1903“.<br />

2268 Grunwald, Max: Cornélie Huygens †. In: GL, 12/ 24/ 19.11.1902/ 185.<br />

2269 Ebd.<br />

2270 Ebd.<br />

2271 Ebd.<br />

2272 Ebd.<br />

2273 Ebd.<br />

2274 Ebd.<br />

2275 Ebd.<br />

628


4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />

wald, hätten selbst bürgerliche Kritiker gesagt, dass er, wenn nicht in holländischer, sondern in<br />

englischer Sprache verfasst, „ein internationales literarisches Ereigniß“ 2276 hätte werden können.<br />

In ihrem Werk „Die Liebe im Frauenleben“ (1899) bezog sie sich auf Prämissen der proleta-<br />

rischen Frauenbewegung. Den Kontakt zur bürgerlichen Frauenbewegung, in der sie durchaus<br />

hätte „Karriere“ machen können, brach sie – in Erkenntnis der scharfen Gegensätze – ab.<br />

Nach Meinung Grunwalds blieb Huygens<br />

„bei all ihrer intellektuellen Schärfe, ihrer Energie, ihrer Leidenschaft ein Wesen<br />

tiefster Weiblichkeit, zartester Empfindungen, wahrer Keuschheit, ein Vorbild fast<br />

ohne Gleichen in dieser Vollkommenheit ausgebildeter Persönlichkeit“ 2277 .<br />

Umso tragischer war es für die gesamte internationale Frauenbewegung, dass ihr diese ideale<br />

Leitfigur ausgerechnet durch Suizid genommen wurde. Ein Suizid zu einem Zeitpunkt, da die<br />

niederländische Dichterin gerade begann, sich auch in Deutschland einen Namen zu machen. Zu<br />

einem Zeitpunkt, da sie als Klassenkämpferin <strong>und</strong> „weiblicher Vollmensch“ „in der unge-<br />

schwächten Vollkraft geistigen Schaffens“ 2278 gestanden habe.<br />

4.4.8.4 Belgien<br />

Wie Huygens, so stammte auch Isabella Gatti de Gamond (1839-1905), die Vorkämpferin der<br />

Sozialistinnen Belgiens <strong>und</strong> Mitglied des Parteivorstandes der belgischen sozialistischen<br />

Arbeiterpartei wurde, nicht aus proletarischen Verhältnissen. Sie wurde als Tochter einer<br />

wohlhabenden, gebildeten <strong>und</strong> bürgerlichen Familie geboren. Ihre Mutter engagierte sich in der<br />

belgischen Frauenbewegung für die Gleichberechtigung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts <strong>und</strong> legte<br />

großen Wert auf die Bildung ihrer Tochter. Gatti de Gamond wurde Lehrerin <strong>und</strong> leitete 1864 bis<br />

1899 ein Bildungsinstitut für Mädchen, in welchem diese sowohl als Kindergärtnerinnen,<br />

Elementar- <strong>und</strong> Mittelschullehrerinnen ausgebildet wurden als auch Universitätskurse besuchen<br />

konnten. 2279 Selbst unverheiratet <strong>und</strong> kinderlos geblieben, sei sie<br />

„bis in die letzte Faser ihres Wesens ein mütterliches Weib [gewesen], das seine<br />

große Familie in allen leiblich <strong>und</strong> geistig Hilfsbedürftigen erblickte“ 2280 .<br />

Jenes Wesen gab sie weiter an ihre Schülerinnen, die später selbst berufstätig <strong>und</strong>/oder Mütter <strong>und</strong><br />

Gattinnen so mancher führender Männer wurden. Indem es später unter staatliche Leitung gestellt<br />

wurde, habe die Ausbildungsarbeit ihres Instituts, so vermutlich Zetkin als Verfasserin des<br />

2276 Ebd.<br />

2277 Ebd.<br />

2278 Ebd.<br />

2279 Isabella Gatti de Gamond †. In: GL, 15/ 22/ 01.11.1905/ 127.<br />

2280 Ebd.<br />

629


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Nachrufs, schließlich eine besondere Wertschätzung erfahren.<br />

Laut Zetkin war Gatti de Gamond „nicht bloß eine Freidenkerin, sie war eine freie Denkerin“ 2281 .<br />

Sie stellte dem Machtstreben der Kirche „das Recht des Volkes“ 2282 entgegen, dem Dogma die<br />

Wissenschaft. Es war ihr großes Anliegen, den „die Geister vergiftenden <strong>und</strong> brechenden Einfluß<br />

des Klerikalimus“ 2283 aus „Hirn <strong>und</strong> Herz“ der belgischen Frauen <strong>und</strong> Familien zu vertreiben.<br />

Möglich war ihr dies u. a. als Mitgründerin <strong>und</strong> Führerin der Liga der sozialistischen Frauen, als<br />

Mitbegründerin <strong>und</strong> Redakteurin der ersten sozialistischen Frauenzeitschrift Belgiens („Cahiers<br />

féministes“ (1903-1907)) <strong>und</strong> als beliebte Rednerin <strong>und</strong> Schriftstellerin.<br />

Doch war Gatti de Gamond nicht in allem die ideale sozialistische Klassenkämpferin. Nach<br />

Meinung Zetkins hatte sie<br />

„nicht immer den Weg von der Utopie zur Wissenschaft gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> die scharfen<br />

Grenzlinien erkannt, welche den Idealismus der Sozialisten von dem bürgerlichen<br />

Ideologismus scheiden“ 2284 .<br />

Es waren vor allem ihr Kontakt zur bürgerlichen Frauenbewegung <strong>und</strong> ihre Erwartungen, die sie<br />

irrigerweise an deren weibliche Solidarität gestellt habe, die Zetkin damit kritisierte. Jedoch<br />

wollte Zetkin die Verstorbene mittels dieser Kritikpunkte nicht diffamieren – im Gegenteil: Diese<br />

Kritik „zu verschweigen, hieße die Tote beleidigen, die zeitlebens heiß um Wahrheit gerungen“ 2285<br />

habe.<br />

Im Fall dieser belgischen Sozialistin zeigte sich Zetkin ungewohnt nachsichtig <strong>und</strong> mochte ihr<br />

„diese <strong>und</strong> jene Unklarheit […] [nicht] zum besonderen Vorwurf […] machen“ 2286 . Die hoch-<br />

betagte Gatti de Gamond, die an den Folgen einer Operation starb, habe eben nicht mehr lernen<br />

können, „bei allen sozialen Erscheinungen historisch mit dem Kopfe die Klassen zu wägen, statt<br />

ideologisch mit dem Herzen auf die einzelnen Persönlichkeiten zu hoffen“ 2287 . Sie hatte vergebens<br />

gehofft, einzelne bürgerliche Frauen zu überzeugen, den gleichen Mut wie sie selbst aufzubringen,<br />

die gleiche Konsequenz wie sie sie selbst zu beweisen <strong>und</strong> ins sozialistische Lager überzutreten.<br />

2281 Ebd.<br />

2282 Ebd.<br />

2283 Ebd.<br />

2284 Ebd.<br />

2285 Ebd.<br />

2286 Ebd.<br />

2287 Ebd.<br />

630


4.4.8.5 Schweiz<br />

4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />

Elise Dunkel (?-1913) war das Kind armer Eltern <strong>und</strong> verlor diese noch dazu sehr früh. Sie<br />

arbeitete bis zu ihrer Heirat als Dienstmädchen, wurde Mitglied des 1887 gegründeten ersten sozi-<br />

alistischen Arbeiterinnenvereins <strong>und</strong> blieb zehn Jahre seine Leiterin. Acht Jahre lang bekleidete<br />

Dunkel das Amt der Zentralvorsitzenden des Schweizerischen Arbeiterinnenverbandes. Doch<br />

nicht diese herausragenden Leistungen in Form öffentlicher Ämter seien es gewesen, die ihr<br />

großes Vertrauen <strong>und</strong> Respekt eingetragen hätten, sondern<br />

„ihr unermüdliches, treues Wirken im stillen[sic], ihr gerader lauterer Charakter,<br />

ihr unerschrockenes Eintreten für das Recht“ 2288 .<br />

Es sind auch hier wiederum Schlichtheit <strong>und</strong> Selbstbescheidung, die der „Gleichheit“ als Ideale<br />

einer Klassenkämpferin wichtig waren, hervorzuheben. Für Dunkel sei der Sozialismus „nicht<br />

bloß eine klare Erkenntnis, sondern heilige Herzenssache“ 2289 gewesen <strong>und</strong> indem sie ihm alles<br />

gab, was sie zu geben vermochte, habe sie vor allem all denjenigen „ein Beispiel gelebt, die in der<br />

Stille für den Sozialismus wirken“ 2290 .<br />

Aufgewachsen als „Proletarierkind“ 2291 in Frankfurt am Main, habe Betty Scherz (?-1916) schon<br />

als eines von 13 Kindern einen „scharfe[n], durchdringende[n] Geist, ein empfindsames reiches<br />

Gemüt, eine lebhafte Phantasie“ 2292 entwickelt. Da es ihre körperliche Kondition nicht erlaubte,<br />

schwere Arbeiten zu verrichten, wurde Scherz Kontoristin. Obwohl der Kontor ein „nicht ganz<br />

üble[r] Käfig“ 2293 gewesen sei, habe sie ihm doch entfliehen wollen. Durch „leidenschaftliches<br />

Selbststudium <strong>und</strong> in starker, bewußter Selbstzucht“ 2294 bildete sie ein dichterisches Talent aus <strong>und</strong><br />

wurde bereits unter ihrem Mädchennamen Betty Meier sehr bekannt. Ihre Werke, so Zetkin, spie-<br />

gelten ihre proletarische Herkunft, „die sozialistische Gefühls- <strong>und</strong> Gedankenwelt“ 2295 wider, denn<br />

„[w]ie so manches Volkskind [sei] auch sie an dem Sozialismus <strong>und</strong> durch ihn<br />

gewachsen <strong>und</strong> geworden“ 2296 .<br />

Verschiedene Reisen führten Scherz nach Berlin, nach Paris <strong>und</strong> in die Schweiz. Nach ihrer Heirat<br />

2288 Elise Dunkel †. In: GL, 23/ 24/ 20.08.1913/ 383.<br />

2289 Ebd.<br />

2290 Ebd.<br />

2291 Genossin Betty Scherz – Zürich †. In: GL, 27/ 09/ 02.02.1917/ 59.<br />

2292 Ebd.<br />

2293 Ebd.<br />

2294 Ebd.<br />

2295 Ebd.<br />

2296 Ebd.<br />

631


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

zog sie in das thüringische Gotha, wo sie sich besonders in den Leseabenden der proletarischen<br />

Frauenbewegung engagierte. Im Schicksalsjahr 1914 gehörte sie zu den Gegnerinnen des Krieges<br />

<strong>und</strong> blieb um den internationalen Charakter der sozialdemokratischen Frauenorganisation bemüht.<br />

„Denn“, so Zetkin<br />

„Betty Scherz‘ Geist war zu lichtvoll, ihr Wissen zu gründlich, ihr proletarisches<br />

Empfinden zu unverdorben <strong>und</strong> stark, als daß die nationalistische Hochflut sie auch<br />

nur einen Augenblick in ihrer sozialistischen Überzeugungstreue erschüttert <strong>und</strong><br />

mit fortgerissen hätte.“ 2297<br />

Sie blieb auch dann aktives Mitglied der proletarischen Frauenbewegung als ihr Ehemann die<br />

Redaktion des Parteiblattes im schweizerischen Sankt Gallen übernahm, sie erst dorthin <strong>und</strong><br />

schließlich nach Zürich umziehen musste. Es waren vornehmlich „Gedichte, Skizzen, Erzäh-<br />

lungen, feuilletonistische Plaudereien“ 2298 , die Scherz sowohl in deutschen als auch schweize-<br />

rischen Parteiblättern veröffentlichte. Auch für die „Gleichheit“ verfasste sie Beiträge 2299 <strong>und</strong> war<br />

ihren Leserinnen Vorbild, denn sie sei „ein Mensch [gewesen], der mit seiner Person vollständig<br />

hinter die erwählte Sache zurücktrat“ 2300 .<br />

Zwar ist der Nachruf auf Rosa Bloch (1880-1922) sehr kurz abgefasst, doch dafür ist sein<br />

Erscheinen in der von Mehrheitssozialdemokratinnen redigierten „Gleichheit“ umso bemerkens-<br />

werter. Denn Bloch war eine herausragende Persönlichkeit der kommunistischen Frauenbewegung<br />

der Schweiz <strong>und</strong> stark in der Kommunistischen Internationale engagiert. Erst wenige Jahre vor<br />

Beginn des Ersten Weltkrieges wurde die aus bürgerlicher Familie stammende Bloch Mitglied der<br />

schweizerischen Sozialdemokratie, um dort schon bald an führender Stelle zu wirken. Bis 1920/21<br />

– der Spaltung der Partei – war sie Redakteurin des sozialdemokratischen Frauenblattes „Die Vor-<br />

kämpferin“ (1906-1920[?]). Nach der Parteispaltung entschied sie sich für eine Mitgliedschaft in<br />

der Kommunistischen Partei. 2301<br />

Auffälligerweise wurden in dem Nachruf keinerlei charakterliche Eigenschaften Blochs erwähnt.<br />

Dies könnte entweder schlicht dem mangelnden Kontakt zu ihrer Person oder doch einem poli-<br />

tischen Ressentiment geschuldet sein.<br />

2297 Ebd.<br />

2298 Genossin Betty Scherz – Zürich †. In: GL, 27/ 09/ 02.02.1917/ 59.<br />

2299 Scherz war u. a. Verfasserin des Gedichtes „Wir Frauen“ (GL, 25/ 8/ 09.01.1915/ 43), das im Anhang enthalten ist.<br />

2300 Genossin Betty Scherz – Zürich †. In: GL, 27/ 09/ 02.02.1917/ 59.<br />

2301 Rosa Bloch †. In: GL, 32/ 16/ 15.08.1922/ 153. Bloch starb an den starken Blutungen einer Kropfoperation.<br />

632


4.4.8.6 Italien<br />

4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />

Der erste „Gleichheit“-Artikel zum Leben Anna Kulischoffs (1857-1925) erschien anlässlich<br />

deren Verhaftung <strong>und</strong> Verurteilung wegen Aufhetzung des Volkes zu gewalttätigem Widerstand.<br />

Es war vermutlich Zetkin, die innerhalb dieses Artikels auch sehr ausführlich über die gegen-<br />

wärtige in Italien stattfindende Verfolgung von SozialistInnen informierte. Den SozialistInnen<br />

wurde von den staatlichen Behörden das verstärkte Auftreten von Hungerrevolten <strong>und</strong> Unruhen<br />

angelastet. Doch laut Zetkin seien es gerade die SozialistInnen gewesen, die „den Kampf auf dem<br />

Boden der gesetzlichen Verhältnisse predigend, zu Ruhe gemahnt“ 2302 hätten. Die Verfolgung traf<br />

jedoch nicht nur die Gruppen <strong>und</strong> Einrichtungen der SozialistInnen, sondern überhaupt „[a]lle<br />

Organisationen des werkthätigen Volkes“ wie z. B. Gewerkschaften, Arbeiterkammern oder<br />

Konsumvereine. 2303<br />

Kulischoff wurde wegen „Aufreizung zu gewaltthätigem Aufstande“ 2304 zu zwei Jahren Haft<br />

verurteilt. Damit habe die Härte der Klassenjustiz, so Zetkin, „eine selten hochsinnige <strong>und</strong><br />

bedeutende Frau […], gleich hervorragend an Gemüth, Geist, Wissen, Willen <strong>und</strong> Idealismus“ 2305<br />

getroffen. Kulischoff habe, so Zetkin zu „jener geistig-sittlichen Elite von Russinnen“ 2306 gehört,<br />

welche in den 1870er Jahren „den Kampf für die Befreiung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts <strong>und</strong> die<br />

Befreiung des arbeitenden Volkes mit ebenso großer Energie wie Hingabe führten“ 2307 [Hervor-<br />

hebung von M.S.]. Die Erkenntnis von der notwendigen Verknüpfung beider Kämpfe machte den<br />

entscheidenden Unterschied zu den „westeuropäischen Frauenrechtlerinnen“ 2308 aus. Diesen seien<br />

die Russinnen ohnehin „an Kenntnissen, geschichtlicher Einsicht <strong>und</strong> vor Allem an opferbereitem<br />

Idealismus bei Weitem überlegen“ 2309 gewesen.<br />

1878 musste sich Kulischoff als 21-jähriges „blutjunges Ding“ 2310 , „den Verfolgungen der zaris-<br />

tischen Schergen durch die Flucht ins Ausland […] entziehen“ 2311 – sie ging nach Italien. Hier<br />

setzte sie erst ihr Ingenieursstudium fort, wechselte dann aber zum Studium der Medizin, neben<br />

welchem sie außerdem Sprachen, Geschichte, Nationalökonomie <strong>und</strong> die internationalen sozialis-<br />

2302 Anna Kulischoff. In: GL, 08/ 15/ 20.07.1898/ 116.<br />

2303 Vgl. ebd.<br />

2304 Ebd.<br />

2305 Ebd.<br />

2306 Ebd.<br />

2307 Ebd.<br />

2308 Ebd.<br />

2309 Ebd.<br />

2310 Ebd.<br />

2311 Ebd.<br />

633


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

tischen Gr<strong>und</strong>lagenwerke studierte.<br />

Kulischoff schloss sich der jungen sozialrevolutionären Bewegung Italiens an, die damals noch<br />

einen deutlich anarchistischen Charakter besaß. Dem Kampf des italienischen Proletariats habe sie<br />

ihre „ganze reiche <strong>und</strong> kraftvolle Persönlichkeit“ 2312 zur Verfügung gestellt. Der italienische Staat<br />

habe „ihr als Urk<strong>und</strong>e ihrer Bürgerschaft die Märtyrerkrone gereicht“ 2313 , indem er sie wegen ihrer<br />

politischen Aktivitäten verhaftete.<br />

Kulischoff heiratete Andrea Costa, der sich zuerst in der anarchistischen Bewegung engagiert<br />

hatte <strong>und</strong> dann eine führende Position innerhalb der sozialdemokratischen Partei Italiens einnahm.<br />

Ihre Ehe sei „aus Ueberzeugung eine freie“ 2314 gewesen, „eine geistig-sittliche Einheit“ 2315 ohne<br />

äußere Formel der Weihe. Auch in materieller Hinsicht basierte die Beziehung, aus der Tochter<br />

Andreïna entsprang, von Beginn an auf der Selbstständigkeit des einzelnen Partners. Dennoch war<br />

es keine glückliche Partnerschaft, denn sie habe „die Entwicklung der Individualitäten“ 2316 mehr<br />

gehemmt als gefördert. Das Paar löste seinen B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Kulischoff stand wieder – als Frau <strong>und</strong> als<br />

Mutter – „auf eigenen Füßen“ 2317 . Diese Selbständigkeit gestaltete sich sehr schwierig, denn die<br />

finanziellen Aufwendungen waren hoch, die politische Verfolgung forderte viele Opfer. Opfer, die<br />

sie nicht nur für sich selbst gebracht habe, sondern ganz im Sinne der „in den revolutionären<br />

Kreisen in hohem Maße geübte Solidarität, die stets bereit war, mit den Mehrbedürftigen auch das<br />

Letzte zu theilen“ 2318 . Kulischoff führte ihren Haushalt selbst <strong>und</strong> verdiente sich einiges durch lite-<br />

rarische Arbeiten hinzu. Diese Jahre von Überanstrengung <strong>und</strong> Entbehrung, so Zetkin, hätten den<br />

Gr<strong>und</strong>stein für ein tückisches Leiden – Knochentuberkulose – gelegt. Kulischoff ließ sich<br />

schließlich in Mailand als Ärztin nieder, bewies dort in ihrem Beruf „Begabung, Gewissen-<br />

haftigkeit <strong>und</strong> Aufopferung“ 2319 <strong>und</strong> behandelte sowohl die Armen <strong>und</strong> Ärmsten wie auch<br />

Bourgeoisie <strong>und</strong> Adel.<br />

In einer zweiten freien Ehe verband sie sich mit Filippo Turati, dem, so Zetkin, „unstreitig […]<br />

bedeutendsten politischen Führer der italienischen Sozialistenpartei“ 2320 . Beide errangen sich auch<br />

in der „besseren“ Gesellschaft große Achtung, was sich unter anderem darin ausdrückte, „daß<br />

auch in streng konservativen Kreisen die Ehe der Frau Kulischoff als eine vollgiltige <strong>und</strong><br />

2312 Ebd., S. 117.<br />

2313 Ebd.<br />

2314 Ebd.<br />

2315 Ebd.<br />

2316 Ebd.<br />

2317 Ebd.<br />

2318 Ebd.<br />

2319 Ebd.<br />

2320 Ebd.<br />

634


4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />

moralisch unantastbare geschätzt wurde“ 2321 . Zusammen mit ihrem Ehemann leitete Kulischoff<br />

das Organ der italienischen Sozialisten „La Critica Sociale“ (seit 1891), das einen modernen<br />

wissenschaftlichen Sozialismus vertrat. Dieses Engagement kostete sie nicht nur Zeit <strong>und</strong> Kraft,<br />

sondern auch einen Großteil ihrer finanziellen Mittel. In Zetkins Augen war die Ehe Kulischoffs<br />

<strong>und</strong> Turatis eine ideale Gemeinschaft in Leben <strong>und</strong> Arbeiten:<br />

„Die Redaktion der ‘Critica’, ihre Haltung beruhte auf dem innigsten geistigen<br />

Zusammenarbeiten von Filippo <strong>und</strong> Anna. Frau Kulischoff zeichnete nur ganz<br />

ausnahmsweise einen Artikel mit ihrem Namen. Aber jeder Artikel, den Turati<br />

schrieb oder der ‘von der Redaktion’ veröffentlicht wurde, war die Frucht der<br />

gemeinsamen Ueberlegung <strong>und</strong> Berathung, sehr oft auch der gemeinsamen Abfassung.<br />

So innig <strong>und</strong> ergänzend griff das Denken <strong>und</strong> Arbeiten der Gatten<br />

ineinander, so fest fügte es sich zur geistigen Einheit zusammen, daß es meist unmöglich<br />

ist, festzustellen, was das persönliche Werk des Einen oder des Anderen<br />

ist.“ 2322<br />

Die Beschreibung dieses idealen Eheverhältnisses erinnert an die Beziehung von Clara <strong>und</strong> Ossip<br />

Zetkin. Und auch die Art <strong>und</strong> Weise, in der sie ihre Artikel veröffentlichten, gleicht sich. Auf die<br />

Frage, warum diejenigen Werke, die in Kooperation der beiden Eheleute entstanden, nur mit dem<br />

Namen des Mannes gezeichnet wurden <strong>und</strong> die Frau die ihren gar nicht zeichnete, gab Zetkin<br />

keine Antwort. War es Bescheidenheit, politische Notwendigkeit oder wie im Falle Zetkins<br />

zunehmende Überheblichkeit? Es ist auf jeden Fall ein sehr traditionelles Bild, das hier von einer<br />

ansonsten als vorbildlich modern präsentierten Beziehung gezeichnet wurde: Eine fähige Frau ist<br />

für sich <strong>und</strong> für ihren Partner produktiv tätig, bleibt dabei aber im Hintergr<strong>und</strong>.<br />

Kulischoff hatte vielfältige Sprachkenntnisse. Ihre Muttersprache war Russisch, die ihres<br />

„Adoptivvaterlandes“ 2323 Italienisch <strong>und</strong> darüber hinaus sprach sie Französisch, Deutsch <strong>und</strong><br />

Englisch. Sie studierte die sozialistische Literatur der verschiedenen Länder <strong>und</strong> habe, so Zetkin,<br />

„der deutschen Bewegung, für welche sie die größte Hochachtung <strong>und</strong> Bew<strong>und</strong>erung hegte“ 2324 ,<br />

„eine besonders eingehende <strong>und</strong> liebevolle Beachtung [ge]widmet[…]“ 2325 . Darüber hinaus<br />

verfügte Kulischoff über ein „gediegenes geschichtliches <strong>und</strong> nationalökonomisches Wissen“ 2326 –<br />

die beiden von Zetkin für die Schulungsarbeit der proletarischen Frauenbewegung gesetzten<br />

Bildungsschwerpunkte. Zetkin gab folgende Charakterstudie:<br />

2321 Ebd.<br />

2322 Ebd., S. 118.<br />

2323 Ebd.<br />

2324 Ebd.<br />

2325 Ebd.<br />

2326 Ebd.<br />

„Ihre [Kulischoffs; M.S.] durch Wissen verstärkte geistige Ueberlegenheit, die<br />

635


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

scharfe echt russische Logik ihrer Beweisführung, ihr frischer Spott, der sich zur<br />

beißenden Ironie steigern konnte, <strong>und</strong> der sich besonders oft über die Ritter der<br />

ideologisch rührseligen Revolutionsphrase ergoß: machten sie zu einer gefürchteten<br />

Gegnerin. Die Lauterkeit ihres Charakters <strong>und</strong> ihres Strebens zwang jedoch<br />

auch dem Gegner volle Hochachtung ab.“ 2327<br />

Wie bereits bei der Beschreibung der Ehe- <strong>und</strong> Arbeitsgemeinschaft, so fällt auch auch bei dieser<br />

Charakterstudie ins Auge, dass Zetkin Kulischoff in Vielem ähnlich war. Ihre Bew<strong>und</strong>erung für<br />

die Persönlichkeit Kulischoffs <strong>und</strong> für die vermeintlich typisch russische Art ist unübersehbar.<br />

Kulischoff führte ein sehr gastfre<strong>und</strong>liches Haus am Mailänder Domplatz <strong>und</strong> habe es in den dort<br />

veranstalteten Debatten vermocht, ganz „ohne jede schulmeisterliche Pedanterie <strong>und</strong> Ueber-<br />

hebung“ 2328 zu belehren, zu überzeugen <strong>und</strong> anzuleiten. Ihre Agitationstätigkeit, die sie erst in den<br />

letzten Jahren aufgenommen hatte, galt vornehmlich den Interessen der proletarischen Frauen.<br />

All ihre aufreibenden Tätigkeiten verschlechterten jedoch Kulischoffs Ges<strong>und</strong>heitszustand er-<br />

heblich. Die harte Zeit als Studentin hatte eine Knochentuberkulose ausgelöst, die sich später vor<br />

allem in einer der Hände bemerkbar machte <strong>und</strong> sie 1895 zwang, ihre Arztpraxis aufzugeben.<br />

Daraufhin widmete sie sich umso stärker ihrer politischen Tätigkeit, die sie aber nie ihre Pflichten<br />

als Frau <strong>und</strong> Mutter habe vernachlässigen lassen. Sie sei ihrer Tochter Andreïna – begabt, ideal<br />

veranlagt, ihrer Mutter wie ihrem Stiefvater liebevoll zugetan – die „verständigste <strong>und</strong> liebevollste<br />

der Mütter“ 2329 gewesen. Mit ihrem Gatten war sie in tiefer <strong>und</strong> inniger Harmonie verb<strong>und</strong>en,<br />

denn, so Zetkin,<br />

„[w]as die Liebe, die Wahlverwandtschaft des Geistes <strong>und</strong> Charakters zusammengeführt,<br />

das schmiedete die Gemeinsamkeit der Ideale zu einer unlösbaren sittlich<br />

schönen Einheit zusammen“ 2330 .<br />

Weder in ihrem Wesen noch in ihrer Lebenshaltung habe sie der „Spießbürgervorstellung“ 2331<br />

einer „‘Petroleuse’“ 2332 entsprochen. Lediglich „die Zigarette, die weder bei der Unterhaltung,<br />

noch bei der Arbeit ausging, erinnerte“ 2333 , so Zetkin, „an die typische ‘Nihilistin’“ 2334 . Auch ihren<br />

Pflichten als Gastgeberin <strong>und</strong> Hausfrau kam Kulischoff in einem „eleganten, mit geläutertem<br />

künstlerischen Geschmack eingerichteten Heim“ 2335 nach. Sie sei stets ordentlich <strong>und</strong> pünktlich<br />

2327 Ebd.<br />

2328 Ebd.<br />

2329 Ebd.<br />

2330 Ebd.<br />

2331 Ebd.<br />

2332 Ebd.<br />

2333 Ebd.<br />

2334 Ebd.<br />

2335 Ebd.<br />

636


4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />

gewesen <strong>und</strong> habe zu sagen gepflegt, „‘Ordnung <strong>und</strong> gute Zeiteintheilung verlängern den Tag um<br />

die Hälfte’“ 2336 .<br />

Angesichts dieser vielseitigen <strong>und</strong> aufopfernden Tätigkeit bek<strong>und</strong>ete Zetkin, dass „[n]ur wenig<br />

Männer […] in Italien gleichviel wie Anna Kulischoff für die sozialistische Bewegung geleistet“<br />

2337 hätten. Sie sah es als Kulischoffs Verdienst,<br />

„daß die italienische Bewegung aus den Bahnen der Anarchisterei, der Putschmacherei<br />

<strong>und</strong> des Verschwörerthums in die des Kampfes auf gesetzlichem Boden<br />

<strong>und</strong> mit gesetzlichen Mitteln eingelenkt“ 2338<br />

sei. Dieses Verdienst anerkennend habe der 1893 in Zürich stattfindende Internationale Sozialis-<br />

tische Arbeiterkongress Kulischoff für seine letzte Sitzung zur Vorsitzenden gewählt.<br />

Nach diesem Überblick über Kulischoffs Leben <strong>und</strong> Wirken kehrte Zetkin zum ursprünglichen<br />

Anlass ihres Artikels zurück. Die zweijährige Gefängnisstrafe, zu der Kulischoff verurteilt worden<br />

war, war in den Augen Zetkins „ein Akt rohester Klassenrache“ 2339 <strong>und</strong> sie befürchtete Schlimmes<br />

für deren ohnehin schlechten Ges<strong>und</strong>heitszustand. Es würden zwei Jahre sein, die das Fort-<br />

schreiten ihrer Knochentuberkulose beschleunigen würden, zwei Jahre, „so gut wie […] ein<br />

Todesurtheil“ 2340 . Mit Kulischoff, so urteilten laut Zetkin auch andere sozialistische Blätter, sei ein<br />

„krankes, schwaches Weib“ 2341 verurteilt worden. Ein Eindruck, den Zetkin jedoch richtigstellen<br />

wollte:<br />

„Ein krankes Weib ja, ein schwaches Weib nun <strong>und</strong> nimmermehr. Frau Kulischoff<br />

gehört zum Geschlecht der edlen russischen Revolutionärinnen, die vor den<br />

Tribunalen nicht begehrten, als das gleiche Loos, das ihren männlichen Kameraden<br />

fiel.“ 2342<br />

Nicht rührseliges Mitleid mit einem Weib forderte Zetkin für Kulischoff, sondern „Hochachtung<br />

<strong>und</strong> Sympathie für die überzeugungstreue, opferfreudige <strong>und</strong> starke Kämpferin“ 2343 . Anhand deren<br />

Beispiel brachte Zetkin schließlich ihre Vorstellung von dem bewussten politischen Handeln einer<br />

Frau auf den Punkt: „Kampfesgefahr hat sie muthvoll gewollt <strong>und</strong> bestanden, Kampfesehre sei ihr<br />

Theil.“ 2344 . Zetkin forderte Anerkennung der Frauen, ihrer Verdienste <strong>und</strong> ihrer Opfer bis hin zum<br />

2336 Anna Kulischoff zit. nach: Ebd.<br />

2337 Ebd.<br />

2338 Ebd., S. 119.<br />

2339 Ebd.<br />

2340 Ebd., S. 118.<br />

2341 Ebd., S. 119.<br />

2342 Ebd.<br />

2343 Ebd.<br />

2344 Ebd.<br />

637


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Märtyrerinnentod. Auch als notwendige Gr<strong>und</strong>lage einer solchen Anerkennung machte sie deshalb<br />

in der „Gleichheit“ Frauengeschichte sichtbar.<br />

Zwei Monate später war es tatsächlich Kulischoffs Ges<strong>und</strong>heitszustand, der die „Gleichheit“ in<br />

einem weiteren Artikel beschäftigte. Kulischoff, selbst Ärztin, diagnostizierte an sich Symptome<br />

einer Blutkrankheit. Laut Zetkin, war dies der Gr<strong>und</strong>, weshalb man sie noch nicht ins Zuchthaus<br />

gebracht hatte <strong>und</strong> der ihre krankheitsbedingte Entlassung möglich erscheinen ließ. Doch Kuli-<br />

schoff lehnte jeden Gnadenakt für sich selbst ab. In einem Brief an einen Fre<strong>und</strong> forderte sie:<br />

„‘Verbieten sie Jedem, auch meiner Tochter, mir eine solche moralische Beleidigung<br />

zuzufügen. Eine Freiheit, die ich auf diesem Wege erlangen sollte, würde für<br />

mich eine solche Qual sein, daß ich sie nicht ertragen könnte;[…].’“ 2345<br />

Zetkin befand es hier für gut, die eigene Ges<strong>und</strong>heit geringer zu schätzen als den persönlichen<br />

Stolz <strong>und</strong> die politische Sache. Kaum verw<strong>und</strong>erlich, ging sie doch mit ihrem eigenen Körper<br />

nicht anders um.<br />

1903 veröffentlichte die „Gleichheit“ eine Artikelreihe des Soziologen Robert Michels (1876-<br />

1936) 2346 mit dem Titel „Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in<br />

Italien“ 2347 . Darin skizziert Michels nicht nur den Charakter <strong>und</strong> die politische Bedeutung Kuli-<br />

schoffs, sondern auch anderer italienischer Frauen. Zwei davon werden hier im Anschluss noch<br />

eingehender vorgestellt werden.<br />

Die Öffentlichkeit, so Michels, erfuhr von Kulischoff zum ersten Mal anlässlich eines Ver-<br />

schwörungsprozesses in Florenz im November 1879. Dort habe sie „[ä]sthetisch <strong>und</strong> moralisch<br />

[…] einen gleich gewaltigen Eindruck“ 2348 gemacht. Der ästethische Eindruck kann anscheinend<br />

2345 Unsere tapfere Genossin Kulischoff … In: GL, 08/ 20/ 28.09.1898/ 159.<br />

2346 Robert Michels besuchte das Collège Français in Berlin <strong>und</strong> das Carl-Friedrich-Gymnasium in Eisenach. 1896-<br />

1900 leistete er freiwilligen Militärdienst, nach dessen Ende er an der Pariser Sorbonne ein Studium der Nationalökonomie<br />

<strong>und</strong> Geschichte aufnahm. Er promovierte 1900 an der Universität Halle-Wittenberg. Es folgten viele<br />

Auslandsaufenthalte in Frankreich, Belgien <strong>und</strong> Italien. 1903-1905 versah Michels eine Dozentur an der Universität<br />

Brüssel, 1906 wurde er Mitglied der Société de Sociologie in Paris. 1907 habilitierte er an der Universität<br />

Turin, wo er bis 1914 als Privatdozent wirkte. Es folgten verschiedene Lehrstühle <strong>und</strong> schließlich eine Tätigkeit<br />

an der faschistischen Parteihochschule in Perugia. Michels beschäftigte sich vor allem mit der Soziologie des<br />

Parteiwesens <strong>und</strong> der Oligarchie. 1903-1907 stand er in Kontakt zur SPD <strong>und</strong> der „Partito Socialista Italiano“.<br />

1913 wurde er italienischer Staatsbürger <strong>und</strong> bekannte sich zunehmend zum italienischen Nationalismus. 1922<br />

wurde er schließlich Mitglied der „Partito Nazionale Fascista“ von Mussolini. Darüber hinaus verfasste Michels<br />

verschiedene Schriften zur Geschlechtsmoral <strong>und</strong> Sittlichkeit. Für die „Gleichheit“ verfasste Michels u. a.:<br />

Michels, Robert: Der vier<strong>und</strong>dreißigste Bebel. In: GL, 14/ 15/ 13.07.1904/ 113-115; Die deutsche Frau im Beruf.<br />

In: GL, 14/ 11/ 18.05.1904/ 82-84 (Rezension zum vierten Teil des „Handbuchs der Frauenbewegung“ (1901-<br />

1906)).<br />

2347 Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien [I-VI] In: GL, 13/<br />

01/ 01.01.1903/ 2-3 bis GL, 13/ 17/ 12.08.1903/ 131-134. Im letzten Beitrag wurde eine Fortsetzung angekündigt,<br />

die dann aber nicht erfolgte. Diese Reihe, in der Michels Quellenangaben mit Fußnoten belegt, ist ein weiteres<br />

Beispiel für das wissenschaftliche Niveau mancher „Gleichheit“-Artikel.<br />

2348 Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Anna Maria<br />

Mozzoni, Anna Kulischoff. Die ersten größeren Lohnbewegungen der italienischen Arbeiterinnen. In: GL, 13/ 05/<br />

25.02.1903/ 36.<br />

638


4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />

auf Kulischoffs Äußeres zurückgeführt werden, das Michels begeistert wie folgt beschrieb:<br />

„Sie war nur wenig über zwanzig Jahre alt. Mit ihrem aschblonden, etwas<br />

strähnigen Haare erschien sie den Italienern als echter Typ einer slawischen Jungfrau.“<br />

2349<br />

Beeindruckender noch als ihr Aussehen sei aber ihre „selbstbewußte Haltung“ 2350 gegenüber ihren<br />

Richtern gewesen. Ihren Blick, so Michels, habe man nur schwer aushalten können. Er habe „wie<br />

ein plötzliches <strong>und</strong> blendendes Licht dem Beschauer entgegen[ge]strahlt“ <strong>und</strong> schien „ihm bis in<br />

die innerste Seele hineinzuschauen“ 2351 . Mit 15 habe Kulischoff ihr reiches Elternhaus verlassen<br />

<strong>und</strong> „ohne mit der Wimper zu zucken“ 2352 alles ertragen, um ihren Idealen zu leben. Sie studierte<br />

Medizin in Neapel, vertiefte ihre Studien in Turin, Zürich <strong>und</strong> Paris, um sich als praktische Ärztin<br />

schließlich in Mailand niederzulassen.<br />

Kulischoff trat als Vertreterin des italienischen Sozialismus auf den internationalen Kongressen in<br />

Brüssel <strong>und</strong> in Zürich auf. Deutlich sprach sie sich auf Letzterem für eine Frauenschutzgesetz-<br />

gebung aus <strong>und</strong> wollte diese konkret in Italien umsetzen. Doch auf keinem der nachfolgenden<br />

Landeskongresse ging man näher auf ihre Vorschläge ein. 2353 „Enttäuscht <strong>und</strong> wohl auch ein wenig<br />

verbittert“ 2354 habe Kulischoff daraufhin eine eigene Agitation <strong>und</strong> Reformtätigkeit für eine<br />

Frauen- <strong>und</strong> Kinderschutzgesetzgebung betrieben. Jenes Engagement für die Frauen <strong>und</strong> Kinder<br />

habe man ihr aber 1898 als aufrührerisch zur Last gelegt <strong>und</strong> mit Gefängnis bestraft. Vor dem<br />

Kriegsgericht erklärte Kulischoff ihr Handeln wie folgt:<br />

„‘Wenn ich als Ärztin nicht immer mit dem moralischen <strong>und</strong> physischen Elend der<br />

arbeitenden Frauen in stetem Kontakt gewesen wäre, hätte ich ja vielleicht nicht<br />

einmal das bißchen Agitation zu ihren Gunsten getrieben, welche man mir nun vorwirft.<br />

Aber ich habe sie getrieben <strong>und</strong> zwar zu ihrem Besten, <strong>und</strong> darüber freue ich<br />

mich jetzt.’“ 2355<br />

Ihre praktische Berufstätigkeit als Ärztin hatte sie demnach zum Sozialismus geführt <strong>und</strong> nie den<br />

Kontakt zu den Massen <strong>und</strong> deren Problemen verlieren lassen. Wie sie Michels selber erzählt<br />

2349 Ebd.<br />

2350 Ebd.<br />

2351 Ebd. Michels verweist bezüglich eines Zusammenhanges zwischen Physiognomie <strong>und</strong> Charakter auf ein Buch<br />

Paola Lombrosos (1871-1954), „I segni rivelatori della personalità“ (1902), das auch Kulischoff als Beispiel<br />

aufführe. Lombroso war die Tochter des Psychiaters <strong>und</strong> Anthropologen Cesare Lombroso, der 1893 das umstrittene<br />

Werk „Das Weib als Verbrecherin <strong>und</strong> Prostituierte“ veröffentlichte.<br />

2352 Ebd., S. 37.<br />

2353 Vgl. Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Die<br />

Ausbreitung <strong>und</strong> Vertiefung der Arbeiterinnenbewegung in den Jahren 1893 bis 1898. In: GL, 13/ 11/ 20.05.1903/<br />

83f.<br />

2354 Ebd., S. 84.<br />

2355 Angiolini, Alfredo: Cinquant’Anni die Socialismo in Italia (1900), S. 295. Zit. nach: Michels, Robert: Rückblick<br />

auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Die Ausbreitung <strong>und</strong> Vertiefung der<br />

Arbeiterinnenbewegung in den Jahren 1893 bis 1898. In: GL, 13/ 11/ 20.05.1903/ 83.<br />

639


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

habe, besuchte sie wochenlang ein Lokal, in dem Arbeiterinnen ihre Mahlzeit einnahmen, um in<br />

dieser kurzen Pause zu ihnen zu sprechen. Gebannt hätten ihr die Arbeiterinnen gelauscht <strong>und</strong> erst<br />

ihre Mahlzeit begonnen, nachdem sie ihren Vortrag geendet hatte. Für Michels ein Beweis dafür,<br />

dass diesen italienischen Arbeiterinnen „geistige Nahrung […] noch über die körperliche“ 2356 ge-<br />

gangen sei.<br />

Indem Kulischoff sowohl reale als auch ideale Kampfmittel angewandt habe, so Michels in jener<br />

Artikelreihe weiter, habe sie die Vorzüge zweier ihrer italienischen Vorkämpferinnen in sich<br />

vereint: Die Anna Maria Mozzonis (1837-1920) 2357 <strong>und</strong> die Laura Solera Mantegazzas (1813-<br />

1873). Das Leben Mantegazzas stellte Michels den Leserinnen der „Gleichheit“ etwas aus-<br />

führlicher vor.<br />

Mantegazza wurde in Mailand geboren <strong>und</strong> „entstammte der reichen <strong>und</strong> vornehmen<br />

lombardischen Bourgeoisie“ 2358 . Wie Michels der von Mantegazzas Sohn Paolo verfassten Bio-<br />

graphie entnommen hatte, war Mantegazza bereits während der Revolution 1848/49 politisch<br />

aktiv. 2359 1850 gründete sie, um Arbeiterinnen mit Kindern die Erwerbstätigkeit zu erleichtern, das<br />

erste große Säuglingsasyl. 1862 gründete sie den „Arbeiterinnenb<strong>und</strong> zu gegenseitiger Unter-<br />

stützung <strong>und</strong> Belehrung“ („Associazione di mutuo Soccorso ed Istruzion di Operaie“). Dieser<br />

B<strong>und</strong> sollte seine Mitglieder nicht nur bei Krankheit, Invalidität, Wochenbett <strong>und</strong> Alter unter-<br />

stützen, sondern auch ein Recht auf Arbeit gewährleisten, indem er bei der Arbeitssuche half.<br />

Außerdem gründete Mantegazza die erste „Mutterschaftskasse“ („Casse di Maternitá“), eine<br />

Schule für proletarische Analphabetinnen <strong>und</strong> 1870 eine Gewerbeschule für Mädchen, die dort<br />

eine Ausbildung in Kunstgewerbe <strong>und</strong> Handwerk erhielten. Es waren die praktischen Bedürfnisse<br />

<strong>und</strong> Fortbildungsmöglichkeiten der Arbeiterinnen, denen sich Mantegazza annahm. Diese Re-<br />

formtätigkeit beurteilte Michels zum Schluss seiner Beschreibungen jedoch etwas kritischer, da er<br />

der Meinung war, dass aus einer unermüdlich wirkenden „Philanthropin mit […] goldene[m]<br />

Herzen“ 2360 nur „fast […] eine[…] Sozialistin mit weitem Blick“ 2361 geworden sei.<br />

2356 Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Das „böse Jahr“<br />

1898. In: GL, 13/ 17/ 12.08.1903/ 132.<br />

2357 Die biographischen Angaben zu Maria Mozzoni sind in Michels Artikel marginal <strong>und</strong> bleiben hier deshalb<br />

unberücksichtigt. Siehe: Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in<br />

Italien. Anna Maria Mozzoni, Anna Kulischoff. Die ersten größeren Lohnbewegungen der italienischen Arbeiterinnen.<br />

In: GL, 13/ 05/ 25.02.1903/ 36-38.<br />

2358 Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Die ersten Anfänge<br />

der proletarischen Frauenbewegung in Italien bis 1893. In: GL, 13/ 01/ 01.01.1903/ 2.<br />

2359 Michels verweist hier auf: Mantegazza, Paolo: La mia mamma. Laura Solera Mantegazza (1876) (vgl. ebd.).<br />

2360 Ebd., S. 3.<br />

2361 Ebd.<br />

640


4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />

Mit „Fug <strong>und</strong> Recht“ 2362 , so Michels weiter, könne man Emilia Alciati Marabini (?-1897) „eine<br />

zweite Mantegazza“ 2363 nennen. Jedoch habe sie wiederum in einer Zeit gewirkt, in der die sozia-<br />

listische Bewegung bereits eine beachtliche Entwicklung genommen hatte.<br />

Marabini entstammte einer „reichen klerikalen Familie“ 2364 <strong>und</strong> heiratete den Rechtsanwalt Ezio<br />

Marabini, welcher ihr die Ideen des Sozialismus näher brachte. Die Loslösung Marabinis von<br />

ihrem Kirchenglauben beschrieb Michels so:<br />

„Bald hatte sie ihren katholischen Glauben völlig durch die Hoffnung auf eine<br />

Besserung der Menschheit in der sozialistischen Gesellschaft ersetzt, ohne deshalb<br />

ihr tiefinnerstes Christentum völlig aufgegeben zu haben.“ 2365<br />

Marabini war eine Gefühlssozialistin, die das „Herz […] dem Sozialismus in die Arme getrieben“<br />

2366 habe, nicht wie im Falle Anna Kulischoffs der Kopf 2367 .<br />

Marabini betrieb bei den ArbeiterInnen der römischen Vorstädte gezielte Agitation <strong>und</strong> verband<br />

diese mit praktischer Hilfeleistung. Ein besonderes Augenmerk richtete sie in ihrer Agitation <strong>und</strong><br />

in ihren Schriften auf den in den eigenen Reihen herrschenden Antifeminismus. Marabini sprach<br />

vor allem gegen die Lässigkeit <strong>und</strong> die Lächerlichkeit mit der auch Genossen das politische En-<br />

gagement ihrer Frauen abtaten:<br />

„‘Lächerlich sind doch nur die […], welche das Eine sagen <strong>und</strong> das Andere tun.<br />

Lächerlich sind doch nur die, welche den Sozialismus zwar in den Versammlungen<br />

mit großer Schwatzhaftigkeit verteidigen, im täglichen Leben aber bekämpfen,<br />

indem sie so<strong>und</strong>soviele Intelligenzen der Propaganda entziehen. Lächerlich sind<br />

nur diejenigen, welche nicht den Mut besitzen, die Meinung, welche sie doch zu<br />

haben behaupten, vollständig auszusprechen <strong>und</strong> sie aus falschem Opportunismus<br />

ihren Frauen gegenüber schön bei sich behalten. Lächerlich sind die, welche zwar<br />

unter der Schar der Sozialisten kämpfen, welche aber dennoch die Frau für ein<br />

Wesen halten, mit dem man sich genügend beschäftigt hat, wenn man ihm zu Kindern<br />

verhilft. Lächerlich, ja schlimmer noch als lächerlich sind diejenigen, welche,<br />

trotzdem sie zu uns gekommen sind, um den Egoismus zu bekämpfen, dennoch in<br />

sich selbst den ungerechtfertigsten <strong>und</strong> unvernünftigsten Egoismus nicht zu besiegen<br />

wissen.’“ 2368<br />

Interessanterweise hatte Zetkin diesen Teil trotz seines sehr kritischen Blickes auf die Ge-<br />

2362 Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Die Ausbreitung<br />

<strong>und</strong> Vertiefung der Arbeiterinnenbewegung in den Jahren 1893 bis 1898. In: GL, 13/ 11/ 20.05.1903/ 85.<br />

2363 Ebd.<br />

2364 Ebd., S. 84.<br />

2365 Ebd.<br />

2366 Ebd.<br />

2367 Vgl., ebd.<br />

2368 Marabini, Emilia Alciati: Propaganda. 4. Aufl., Rom: Tipografia Cooperativa Sociale, 1898, S. 80. Zit. nach: Ebd.,<br />

S. 85.<br />

641


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

schlechterharmonie des Proletariats nicht gekürzt. 2369 Aufgr<strong>und</strong> ihrer feministischen Sichtweise<br />

dürfte Marabini aber keine Sozialistin nach dem Geschmack Zetkins gewesen sein. Während<br />

Marabini sogar die Einrichtung einer „Spezialarbeitskammer für Frauen“ 2370 anstrebte, die zwar<br />

mit den Männern kooperieren, aber unabhängig sein sollte, lehnte Zetkin stets jede Frauensonder-<br />

organisation ab.<br />

Marabini, so Michels, habe sich immer eine Tochter gewünscht, mit der sie die Zahl der Genos-<br />

sinnen hatte stärken wollen. 2371 „Eine traurige Ironie des Schicksals“ 2372 wollte, dass Marabini 32-<br />

jährig im Wochenbett nach Geburt eben jener Tochter verstarb.<br />

Die „Gleichheit“ schätzte die erbaulichen <strong>und</strong> kämpferischen Gedichte der italienischen Dichterin<br />

Ada Negri (1870-1945) sehr. 2373 Immer wieder findet man einzelne von ihnen zwischen den<br />

Artikeln des Hauptteils oder in das Feuilleton eingestreut. Jeweils einen Artikel zu Negris Leben<br />

<strong>und</strong> Wirken verfassten Karl Soll <strong>und</strong> die „Gleichheit“-Redakteurin Clara Bohm-Schuch. Auffällig<br />

ist, dass es das Hauptblatt der „neuen“ „Gleichheit“ war, in denen beide hier herangezogenen bio-<br />

graphischen Artikel erschienen. Obwohl auch Zetkin die Werke Negris sehr schätzte, erschien<br />

unter ihrer Redaktion ein erster Artikel zum Leben Negris nicht nur auffällig spät, sondern außer-<br />

dem nur in der Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“. 2374<br />

Negri wurde als Tochter armer Eltern in Lodi geboren. Da ihr Vater früh verstarb, war die Mutter<br />

gezwungen, als Fabrikarbeiterin zu arbeiten. Durch ihre Erwerbstätigkeit ernährte sie nicht nur die<br />

Familie, sie ermöglichte außerdem ihrer Tochter, eine Ausbildung als Lehrerin zu absolvieren. Im<br />

Alter von 18 Jahren nahm Negri die schlechtbezahlte Stellung einer Lehrerin <strong>und</strong> Jugendbildnerin<br />

2369 Im Gegenteil: Diese Textstelle veröffentlichte die „Gleichheit“ einige Nummern später in einer längeren Version<br />

<strong>und</strong> anstelle einer Fortsetzung der Artikelreihe von Michels (vgl. Alciati-Marabini, Emilia: „Lächerlich“. In: GL,<br />

13/ 18/ 26.08.1903/ 139-141).<br />

2370 Ebd.<br />

2371 Vgl. Ebd.<br />

2372 Ebd.<br />

2373 In der „Gleichheit“ erschienen u. a. die Gedichte „Herausforderung“ (GL, 05/ 11/ 29.05.1895/ 85), „Mutterschaft“<br />

(GL,15/ 09/ 03.05.1905/ 54), „Gassenjunge“ (GL, 30/ 07/ 14.02.1920/ 51) <strong>und</strong> die im Anhang enthaltenen Werke<br />

„Seid gegrüßt“ (GL, 10/ 09/ 25.04.1900/ 65) <strong>und</strong> „Mutterliebe“ (GL, 30/ 32/ 07.08.1920/ 257).<br />

2374 Rausch, Bernhard: Eine Dichterin des Proletariats. In: 23 (1913)/ Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen 10/ 37-39.<br />

Zur Person Bernhard Rauschs (?-?) konnten keine Angaben gef<strong>und</strong>en werden. 1918 verfasste er die Schrift „Am<br />

Springquell der Revolution. Die Kieler Matrosenerhebung“. Er verfasste für die „Gleichheit“ mehrere<br />

Rezensionen – dies sogar „im Felde“ (vgl., Rausch, Bernhard: [Rezension zu: Everth, Erich: <strong>Von</strong> der Seele des<br />

Soldaten im Felde. Bemerkungen eines Kriegsteilnehmers. Tat-Flugschriften 10, Eugen Diederich Verlag, 1916]<br />

In: GL, 28/ 10/ 15.02.1918/ 119; Drei Jahre Weltrevolution. In: GL, 28/ 08/ 18.01.1918/ 57f; (dies war eine sehr<br />

positive Rezension zum gleichnamigen Buch Paul Lenschs, das 1917 erschien. Der Erste Weltkrieg sei nichts<br />

anderes als eine Weltrevolution <strong>und</strong> Lensch stehe mit dieser durchaus marxistischen Geschichtsbetrachtung „turmhoch“<br />

(ebd., S. 57) über Franz Mehring). Ebenfalls 1913 erschien im Notizenteil unter „Verschiedenes“ eine anrührende<br />

Beschreibung Negris <strong>und</strong> eines von ihr gehaltenen Vortrages vor italienischen EmigrantInnen in Zürich<br />

(vgl. Ada Negri als Vortragende vor italienischen Emigranten in Zürich. In: GL, 23/ 23/ 06.08.1913/ 368).<br />

642


4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />

in einem armen Weberdorf am Ticino an. 2375 Diese an sich selbst erfahrene Not sei es gewesen, so<br />

Soll, die Negris „starke[s] soziale[s] Empfinden“ 2376 <strong>und</strong> damit auch ihre beeindruckende Karriere<br />

als Dichterin begründet habe. Bereits ihre ersten Gedichtbände – darunter die Sammlung<br />

„Schicksal“ (1892) – machten sie weltberühmt. Sie ließen sie, so die Meinung Bohm-Schuchs, zur<br />

„Dichterin des Weltproletariats“ 2377 werden. Schließlich erhielt Negri eine Stellung als Lehrerin<br />

für italienische Literatur in Mailand <strong>und</strong> darüber hinaus einen „Ehrensold“. 2378<br />

1896 machte Negris Leben einen starken – wie Soll betont – „äußeren Wandel“ 2379 durch. Sie<br />

heiratete einen italienischen Großindustriellen <strong>und</strong> das mit dieser Heirat verb<strong>und</strong>ene luxuriöse<br />

Leben führte dazu, dass sie nicht mehr dichtete. Doch habe es auf Dauer nicht Negris „innere<br />

Stimme […] ertöten“ 2380 können. Sie verließ schließlich ihren Ehemann, befreite sich aus dem<br />

„goldene[n] Joch“ 2381 <strong>und</strong> ging mit ihrem Kind nach Zürich. Mit diesem Schritt sei sie „innerlich<br />

zurückgekehrt zu allen, die mühselig <strong>und</strong> beladen sind“ 2382 . Nach Solls Meinung machte gerade<br />

ihre thematische Begrenzung auf die proletarische Lebens- <strong>und</strong> Gefühlswelt, „[d]er enge Kreis<br />

ihrer stofflichen Welt“ 2383 Negris schöpferische Stärke aus: „Ihr gab ein Gott zu sagen was<br />

Tausende stumm erleiden.“ 2384 Sie sei „eine Proletarierin vom reinsten Adel, eine soziale Ruferin<br />

im Streit’“ 2385 . Der Umstand, dass Soll Negri an dieser Stelle nicht als „sozialistische Ruferin“<br />

bezeichnete, ist wohl dem ideologischen Wandel der „Gleichheit“ nach Zetkins Entlassung<br />

geschuldet.<br />

Aus Bohm-Schuchs Artikel, der anlässlich des 50. Geburtstages Negris erschien, sprach die<br />

besondere Wirkung ihrer Gedichte. Sie hatten Bohm-Schuch, die in der „Gleichheit“ häufig<br />

eigene Gedichte veröffentlichte, persönlich sehr berührt. 2386 Obwohl Negri bereits nicht mehr<br />

schöpferisch tätig war, sie „die Mittagshöhen überschritten [hatte] <strong>und</strong> […] sinkender Sonne ent-<br />

gegen“ 2387 ging, hoffte Bohm-Schuch, dass sie der Welt noch „Abendlieder schenkt, die schön <strong>und</strong><br />

2375 Vgl. [Bohm-Schuch, Klara] B.-S.: Ada Negri. In: GL, 30/ 07/ 14.02.1920/ 51.<br />

2376 Soll, Karl: Politische Frauen. (Schluß). In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210.<br />

2377 [Bohm-Schuch, Klara] B.-S.: Ada Negri. In: GL, 30/ 07/ 14.02.1920/ 51.<br />

2378 Soll, Karl: Politische Frauen. (Schluß). In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210.<br />

2379 Ebd., S. 211.<br />

2380 Ebd.<br />

2381 Ebd.<br />

2382 Ebd.<br />

2383 Ebd.<br />

2384 Ebd.<br />

2385 Ebd.<br />

2386 [Bohm-Schuch, Klara] B.-S.: Ada Negri. In: GL, 30/ 07/ 14.02.1920/ 51.<br />

2387 Ebd.<br />

643


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

glühend sind, wie das Rauschen ihres Lebensmorgens war“ 2388 .<br />

4.4.8.7 Polen<br />

Alwine Müller (?-1910?), Textilarbeiterin <strong>und</strong> Mutter von fünf Kindern, lebte in Lodz (Russisch-<br />

Polen). Sie arbeitete in der größten Textilfabrik der Stadt <strong>und</strong> war Mitglied der dortigen sozial-<br />

demokratischen Organisation. Müller, so „e.d.“, sei ein vorbildliches Mitglied ihrer Arbeiter-<br />

organisation gewesen. Sie kam jedem Streikaufruf wie selbstverständlich nach <strong>und</strong> ertrug ebenso<br />

selbstverständlich die zu erwartenden Aussperrungen <strong>und</strong> Zwänge. Diese Kämpfe waren ihr so<br />

„selbstverständlich, wie daß die Sonne scheint <strong>und</strong> die Nacht den Tag ablöst“ 2389 . Die einfache<br />

Proletarierin Müller habe „nichts zu verlieren [gehabt] als ihre Ketten <strong>und</strong> eine Welt voll Glück<br />

<strong>und</strong> Recht zu gewinnen“ 2390 . Dieses Zitat aus dem Kommunistischen Manifest markiert den sehr<br />

agitatorischen Duktus des Artikels. In Anlehnung an die sozialistischen Gr<strong>und</strong>sätze wurde Müller<br />

beschrieben als eine<br />

„jener Ungezählten, aus der sich Ihre Majestät, die Masse zusammensetzt.<br />

Ungenannt <strong>und</strong> ungekannt tragen sie die schwersten Opfer, schlagen sie die<br />

größten Schlachten, wälzen sie das Rad der Geschichte um.“ 2391<br />

Es ist die historische Mission der Massen, die mittels dieses biographischen Artikels zum Leben<br />

einer scheinbar bedeutungslosen Arbeiterin untermauert werden soll. Aber so bedeutungslos war<br />

Müller eben nicht. Eine einzelne Tat – „voll Heldenmut <strong>und</strong> Todesverachtung“ 2392 – hob sie von<br />

der Masse ab, „um wie ein Meteor aufzuleuchten <strong>und</strong> zu versinken“ 2393 . Eine einzelne Tat machte<br />

sie zum Beispiel für die Kräfte <strong>und</strong> Werte, die in der proletarischen Masse vorhanden sind.<br />

Diese einzelne Tat nahm ihren Anfang während eines Streiks von 2.000 Arbeitern <strong>und</strong> Arbeite-<br />

rinnen der Lodzer Textilfabrik des Fabrikanten Silberstein. Müller war eine von den Streikenden,<br />

die Lohnerhöhungen forderten, <strong>und</strong> sie war eine von den Streikenden, die sich allabendlich zu Be-<br />

ratungen in der Fabrik einfanden. Eines Abends kam einer der Fabrikbesitzer zu dem Streiktreffen<br />

hinzu. Ob dieser aus eigenem Antrieb kam oder von den Arbeitern in eine Falle gelockt worden<br />

war, sollte bei der späteren Gerichtsverhandlung ein entscheidender Streitpunkt sein. Jedenfalls<br />

hielt man den Fabrikbesitzer schließlich gegen seinen Willen fest, um ihn zu Lohnzugeständnissen<br />

2388 Ebd.<br />

2389 Ebd.<br />

2390 e.d.: Alwine Müller. In: GL, 20/ 15/ 25.04.1910/ 230.<br />

2391 Ebd.<br />

2392 Ebd.<br />

2393 Ebd.<br />

644


4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />

zu zwingen. Müller, bewaffnet mit einem geladenen Revolver, blockierte den Weg zum Telefon.<br />

Das weitere Geschehen beschrieb die „Gleichheit“ dann wie folgt:<br />

„Vergebens mahnten einige besonnene Genossen zur Ruhe, vergebens warnten sie<br />

die maßlos Erbitterten, sich von ihrem gerechten Zorn zu Handlungen hinreißen zu<br />

lassen, die nicht zu den Kampfmitteln der Sozialdemokratie gehören. Es kochte in<br />

der Masse. Da zog der tollkühne Kapitalist einen Revolver, richtete ihn drohend<br />

gegen die Arbeiter <strong>und</strong> rief: ‘Höhere Löhne möchtet ihr – Kugeln habe ich für<br />

euch, ihr Straßenräuber.’ In demselben Augenblick entriß ihm eine Arbeiterfaust<br />

den Revolver, ein Schuß krachte <strong>und</strong> tödlich getroffen sank der Fabrikant zu<br />

Boden.“ 2394<br />

Dieser Beschreibung nach war es eher Notwehr der ArbeiterInnen als ein heimtückisch geplanter<br />

Mord, doch so oder so sollte sich zeigen: „ein Fabrikantenleben ist teuer“ 2395 .<br />

Mehrere der beteiligten ArbeiterInnen wurden verhaftet <strong>und</strong> gefoltert bis sie die Namen ver-<br />

meintlicher RädelsführerInnen preisgegeben hatten. Schließlich wurden sieben Personen zum<br />

Tode verurteilt – darunter auch Alwine Müller. Selbst in dieser dramatischen Situation habe sie<br />

größte Gelassenheit bewiesen:<br />

„Schweigend vernahm die Proletarierin ihr Todesurteil. Schweigend wies sie dem<br />

Priester die Tür, als er kam, um ihr den letzten christlichen Trost zu spenden. […]<br />

Einige der Todgeweihten schluchzten, der Priester brach ohnmächtig zusammen –<br />

Alwine Müller zuckte mit keiner Wimper. Schweigend empfing sie den Tod …“ 2396<br />

Ein bemerkenswert stoisches Verhalten, für das auch „e.d.“ nach einer Erklärung suchte <strong>und</strong> diese<br />

schließlich auch gab:<br />

„Wer war Alwine Müller? Ein entmenschtes, gefühlloses Weib oder eine Heldin?<br />

Hing sie nicht am Leben? Gedachte sie nicht ihrer Kinder, die vielleicht in<br />

derselben St<strong>und</strong>e weinend nach der Mutter riefen? Alwine Müller liebte das Leben<br />

– wie hätte sie sonst so viel daran gesetzt, es schöner <strong>und</strong> menschenwürdiger zu<br />

gestalten. Sie liebte ihre Kinder, wie hätte sie sonst alles gewagt, eine helle Zukunft<br />

zu erkämpfen. […] Alwine Müller liebte ihre Kinder, darum war ihr einziges <strong>und</strong><br />

bestes Vermächtnis für sie ihr eigener standhafter Heldentod.“ 2397<br />

Müller war sozialistische Klassenkämpferin <strong>und</strong> war sozialistische Mutter. Indem sie für den<br />

Klassenkampf ihr Leben opferte, gab sie es für eine über jedes kleinliche familienegoistische<br />

2394 Ebd.<br />

2395 Ebd.<br />

2396 Ebd.<br />

2397 Ebd.<br />

645


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Denken erhabene Sache. Diese Botschaft ist es zumindest, die die „Gleichheit“ ihren Leserinnen<br />

anhand Müllers Beispiel <strong>und</strong> Vorbild vermitteln wollte.<br />

4.4.8.8 Großbritannien<br />

Johanna Beckenstedt (?-1897) gehörte zu den Tausenden <strong>und</strong> Abertausenden von Frauen, die<br />

tagtäglich für ihre Ideale kämpften – unscheinbar <strong>und</strong> doch so bedeutend. 2398 Seit 1882 war sie<br />

rühriges Mitglied des Kommunistischen Bildungsvereins in der Londonder Tottenham Street 49.<br />

Nie habe Beckenstedt „vor nöthigen Opfern <strong>und</strong> Mühen zurück[geschreckt]“ 2399 <strong>und</strong> besonders für<br />

die finanzielle Existenzsicherung der politischen Zeitschrift „Londoner Freie Presse“ (1886-1890)<br />

gewirkt. 23 Jahre lang führte sie eine glückliche Ehe. Dies mit einem Mann, mit dem sie nicht nur<br />

Liebe <strong>und</strong> Achtung, sondern auch eine „innige Ideengemeinschaft“ 2400 im Kampfe für die<br />

sozialistische Arbeiterbewegung verb<strong>und</strong>en habe.<br />

Eine der bekanntesten <strong>und</strong> „energischsten Vorkämpferinnen des Sozialismus in England“ 2401 war<br />

die in Manchester als Tochter eines Katt<strong>und</strong>ruckers aufgewachsene Emmeline Pankhurst (1858-<br />

1928). Vermutlich war es die Lektüre einer ihrer Schriften, die Zetkin zum Schreiben eines bio-<br />

graphischen Artikels anregte, denn es ist weder ein Nachruf noch ein Jubiläumsartikel.<br />

Durch lange Diskussionen zu Politik <strong>und</strong> Nationalökonomie, die bereits in ihrem Familienkreis<br />

geführt worden seien, habe Pankhurst vieles über die Lage der Arbeiterklasse erfahren können. Ihr<br />

eigenständiges „Nachdenken“ 2402 habe sie schließlich als junges Mädchen den Anschluss an die<br />

Arbeiterbewegung vollziehen lassen. Sieben Jahre lang besuchte sie die Fabian-Gesellschaft in<br />

London (gegründet 1884) 2403 , in der sie sozial <strong>und</strong> politisch geschult wurde. 1879 heiratete sie den<br />

Rechtsanwalt Pankhurst, der zwar zum politischen Lager der Republikaner gehörte, aber zum<br />

Sozialismus tendierte. Beide wurden Mitglied der „Independent Labour Party“ <strong>und</strong> „wirkten mit<br />

2398 Vgl. Zwei wackere Kämpferinnen … In: GL, 07/ 08/ 14.04.1897/ 62.<br />

2399 Ebd., S. 61.<br />

2400 Ebd.<br />

2401 Emmeline Pankhurst. In: GL, 07/ 19/ 15.09.1897/ 149.<br />

2402 Ebd.<br />

2403 Die Fabian-Gesellschaft ist eine immer noch existierende Gruppierung sozialistischer Intellektueller. Neben Pankhurst<br />

gehörten das Ehepaar Webb, George Bernhard Shaw <strong>und</strong> H.G. Wells zu ihren Mitgliedern. Die Gruppierung,<br />

die 1900 großen Anteil an der Gründung der Labour Party hatte, benannte sich nach dem für seine zögerlichabwartende<br />

Kampf-Strategie bekannten römischen General Fabius Maximus Verrucosus. Die Gesellschaft vertrat<br />

damit weniger einen revolutionären als vielmehr evolutionären Sozialismus. Ähnliche Gesellschaften entstanden<br />

in Neuseeland <strong>und</strong> Australien.<br />

646


4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />

Begeisterung, Energie <strong>und</strong> Opferfreudigkeit für die sozialistischen Ideen“ 2404 . Diese politische<br />

Gesinnung führte jedoch dazu, dass sie, so Zetkin, „wirthschaftlich geboykottet“ 2405 wurden. Die<br />

damit verb<strong>und</strong>enen finanziellen Einbußen habe das Ehepaar jedoch schlicht als „unvermeidliche<br />

Zufälle des Kampfes für eine feste Ueberzeugung“ 2406 hingenommen.<br />

1894 kandidierte Pankhurst für den Schulrat der Stadt Manchester. Für ihren Wahlkampf habe sich<br />

die „junge schöne Frau“ 2407 einfachster <strong>und</strong> doch wirksamer Werbemittel bedient. Auf einem Stuhl<br />

stehend erläuterte sie den PassantInnen auf offener Straße ihr Programm. Meist hätten die<br />

PassantInnen tatsächlich mehr Interesse als Hohn gezeigt <strong>und</strong> die Versammlungsfreiheit sei von<br />

der englischen Polizei anstandslos respektiert worden – unvorstellbar für deutsche Sozialdemokra-<br />

tinnen. Pankhurst sei, obwohl sie unter Lampenfieber gelitten habe, eine beeindruckende Rednerin<br />

gewesen. Unzählige Versammlungen habe sie in ihrer für sie typischen „gedrängte[n] Rede-<br />

weise“ 2408 abgehalten. Dies tat sie selbst dann noch als 1896 der Stadtrat von Manchester unter<br />

Androhung von Arrest <strong>und</strong> Geldstrafen Versammlungen in öffentlichen Parks untersagt hatte. Um<br />

ein Haar wäre es zu einer Verurteilung Pankhursts gekommen. Doch die Richter sprachen sie frei,<br />

weil sie das öffentliche Aufsehen um die bereits sehr bekannte <strong>und</strong> beliebte Politikerin vermeiden<br />

wollten.<br />

Pankhurst sei der Überzeugung gewesen, so Zetkin,<br />

„daß die Frau ihren richtigen Platz erst dann einnehmen, ihre wahre Aufgabe erst<br />

dann erfüllen wird, wenn sie die volle Gleichberechtigung mit dem Manne in politischer<br />

<strong>und</strong> rechtlicher Hinsicht erlangt hat“ 2409 .<br />

Der Aspekt ökonomischer Unabhängigkeit blieb hier allerdings unbeachtet. Es waren im Weiteren<br />

weniger Pankhursts Qualitäten als Klassenkämpferin denn als „weiblicher Vollmensch“, die<br />

Zetkin hervorhob. Pankhurst war für sie bestes Beispiel dafür,<br />

2404 Ebd.<br />

2405 Ebd.<br />

2406 Ebd.<br />

2407 Ebd.<br />

2408 Ebd.<br />

2409 Ebd.<br />

„daß die willensstarke, pflichttreue <strong>und</strong> aufgeklärte Frau sehr wohl ihre Aufgaben<br />

in der Welt erfüllen kann, ohne die Aufgaben im Hause zu vernachlässigen. Ihre<br />

Kinder entwickeln sich unter gewissenhafter mütterlicher Obhut in einem glücklichen<br />

Heim. Ihr Gatte schöpft Anregung <strong>und</strong> Kraft aus dem Zusammenleben mit<br />

einer Gefährtin, die seine Ideale theilt, seine Bestrebungen fördert. In treuer Ideengemeinschaft<br />

kämpfen Mann <strong>und</strong> Frau zusammen für ihre Ueberzeugungen, <strong>und</strong><br />

auch die heranwachsenden Kinder der Familie Pankhurst suchen nach Kräften der<br />

sozialistischen Sache zu dienen. So schließt sich Frau Pankhursts Wirken im<br />

öffentlichen Leben mit ihrem Walten im Heim zu einem harmonischen, reichen<br />

647


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Ganzen zusammen.“ 2410<br />

Die gesamte Familie Pankhurst war demnach eine Familie sozialistischer Vollmenschen – ein<br />

Idealbild scheint in ihr Realität geworden zu sein. Nie habe die Familie bei Festen der sozialis-<br />

tischen <strong>und</strong> gewerkschaftlichen Organisationen gefehlt, was für ihr Engagement um die kultu-<br />

rellen Bedürfnisse der ArbeiterInnen spreche. 2411 Auffällig wird an dieser Stelle, dass Zetkin kein<br />

einziges Alltagsproblem erwähnte, was annehmen lässt, dass der Haushalt der Pankhursts über<br />

Personal verfügt haben dürfte.<br />

<strong>Von</strong> besonderer Prominenz war Eleanor Marx-Aveling (1855-1898), die „jüngste <strong>und</strong> liebste<br />

Tochter“ 2412 von Karl <strong>und</strong> Jenny Marx. Der vermutlich von Zetkin verfasste Nachruf enthält<br />

jedoch kaum einen Bezug auf diese besondere Elternschaft. Zetkin beschrieb zuerst ihre<br />

vielfältigen Verdienste um die sozialistische Bewegung. Marx-Aveling war Mitbegründerin der<br />

„Gasarbeiter- <strong>und</strong> Tagelöhner-Union“, mit der besonders die ungelernten Arbeiter organisiert <strong>und</strong><br />

der Gewerkschaftsbewegung zugeführt wurden. Sie war eine rege Agitatorin <strong>und</strong> arbeitete<br />

aufgr<strong>und</strong> ihrer vielseitigen Sprachkenntnisse auf vielen internationalen sozialistischen <strong>und</strong><br />

gewerkschaftlichen Kongressen als Übersetzerin. Sowohl inner- als auch außerhalb der sozialis-<br />

tischen Bewegung kämpfte sie für die Rechte der Frau, „aber ebenso energisch bekämpfte sie jede<br />

frauenrechtlerische Unklarheit“ 2413 . Sie veröffentlichte eigene Broschüren, Abhandlungen <strong>und</strong><br />

Artikel, aber auch Werke ihres berühmten Vaters.<br />

Dann kam Zetkin dem sicherlich vorhandenen Interesse ihrer Leserinnen nach, mehr über die Um-<br />

stände zu erfahren, unter denen Marx-Aveling am 1. April 1898 2414 Suizid beging. Zetkin<br />

spekulierte, dass es die „wochenlange[n] Nachtwachen am Krankenbette des zärtlich geliebten<br />

Gatten“ 2415 waren, die ihre Kräft aufzehrten. Trotzdem sei Marx-Aveling<br />

„[n]icht als Müde, nicht als Verzweifelte […] aus dem Leben gegangen. Vielmehr<br />

als Klarblickende <strong>und</strong> Stolze, die sich im tiefsten Lebensmark getroffen fühlte, <strong>und</strong><br />

die zu leidenschaftlich ihren Idealen anhing, um mit einer halben Kraft weiter zu<br />

vegetiren, um die halbe Kraft ihrer Feuerseele in den Dienst der Bewegung zu<br />

stellen. Als Vollmensch hatte sie gelebt, als Vollmensch wollte sie sterben.“ 2416<br />

Der „Gleichheit“ <strong>und</strong> ihren Leserinnen solle sie als ein solcher „weiblicher Vollmensch“, als „Ge-<br />

2410 Ebd.<br />

2411 Vgl. ebd.<br />

2412 Eleanor Marx-Aveling †. In: GL, 08/ 08/ 13.04.1898/ 57.<br />

2413 Ebd.<br />

2414 In einem weiteren „Gleichheit“-Artikel wird als Todestag Marx-Avelings der 31. März 1898 genannt. Vgl. Banner,<br />

Robert: Den Tod unserer unvergeßlichen Genossin Eleanor Marx betreffend… In: GL, 08/ 10/ 11.05.1898/ 76.<br />

2415 Eleanor Marx-Aveling †. In: GL, 08/ 08/ 13.04.1898/ 57.<br />

2416 Ebd.<br />

648


stalt von seltener Reinheit <strong>und</strong> Größe“ 2417 im Gedächtnis bleiben.<br />

4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />

Nach Veröffentlichung eines weiteren Artikels erschien die Gestalt Marx-Avelings jedoch weitaus<br />

weniger rein <strong>und</strong> groß. Denn der von ihrem langjährigen Fre<strong>und</strong> Robert Banner 2418 in mehreren<br />

sozialistischen Blättern Englands <strong>und</strong> auch in der „Gleichheit“ veröffentlichte Artikel wirft ein<br />

etwas anderes Licht auf die Verstorbene. Nach Meinung <strong>und</strong> Kenntnissen Banners waren es nicht<br />

die Sorgen um die Erkrankung ihres Ehemannes Edward Aveling oder gar finanzielle Probleme,<br />

die Marx-Aveling zum Äußersten gebracht hätten. 2419 Ähnlich einem Protokoll beschrieb Banner<br />

in elf definitiven Aussagen die Situation direkt vor dem Suizid <strong>und</strong> revidierte damit die Speku-<br />

lation um dessen Motivation.<br />

Marx-Aveling habe den Entschluss zum Suizid erst an dem nämlichen Tage gefasst. Am Morgen<br />

empfing sie einen Brief, der sich auf eine andere Person bezog <strong>und</strong> diese „in sehr schlechtem<br />

Lichte“ 2420 darstellte. Banner blieb an dieser Stelle sehr vage, weil er selbst den Briefinhalt nicht<br />

kannte. Daraufhin bestellte Marx-Aveling per Boten Gift bei einem Apotheker, empfing es <strong>und</strong><br />

quittierte seinen Erhalt. Dies alles tat sie in Gegenwart ihres Ehemannes, den sie auf diese Weise<br />

hindern wollte, das Haus zu verlassen. Eduard Aveling schien das Haus aber dennoch verlassen zu<br />

haben. Seine Ehefrau habe ihm gegenüber, so die spätere Aussage Avelings, des Öfteren mit<br />

Suizid gedroht <strong>und</strong> ihm sogar gemeinsamen Suizid vorgeschlagen. Deshalb erschienen ihm ihre<br />

Drohungen nicht mehr als ein ernstlicher Vorsatz. An jenem Tag aber verfasste Marx-Aveling<br />

einen Brief an ihren Anwalt, in welchem sie die Namen verschiedener Personen nannte <strong>und</strong> dem<br />

am Morgen erhaltenen Brief beifügte. Briefe, die ihren Anwalt jedoch nie erreichten, so Banner,<br />

sondern nach der Totenschau ihrem Ehemann ausgehändigt worden seien. Entgegen dem Wunsch<br />

der Toten habe dieser sie schließlich auch nicht weitergeleitet. 2421 Die Beschreibungen Banners<br />

lassen insgesamt auf ein Eifersuchtsdrama schließen, was die „Gleichheit“ jedoch gänzlich un-<br />

kommentiert ließ. Sie ergänzte lediglich die Information, dass Aveling nach diesen Ereignissen<br />

seinen Rücktritt aus dem Rat der Zeitschrift „Justice“ (1884/85-1898), dem Zentralorgan der<br />

„Sozialdemokratischen Föderation Englands“, genommen hatte. 2422<br />

Mary Middleton (1870-1911), eine der Gründerinnen der englischen „Women’s Labour League“<br />

2417 Ebd.<br />

2418 Das Mitglied der „Socialist League“, Robert Banner, war laut „Gleichheit“ zu jener Zeit Stadtrat von Woolwich.<br />

2419<br />

Vgl. Banner, Robert: Den Tod unserer unvergeßlichen Genossin Eleanor Marx betreffend… In: GL, 08/ 10/<br />

11.05.1898/ 76. Abgefasst wurde der Artikel am 21. April 1898 – 21 Tage nach dem Suizid.<br />

2420<br />

Vgl. ebd.<br />

2421<br />

Vgl. ebd.<br />

2422<br />

Vgl. ebd. Siehe außerdem: Bernstein, Eduard: Was Eleanor Marx in den Tod trieb. In: Neue Zeit, 16 (1897/98,<br />

Bd. 2)/ 41/ 481-491.<br />

649


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

(„Liga für die Interessen der erwerbstätigen Frauen“), wählte nicht den Freitod, sondern erlag<br />

einem „tückische[n] qualvolle[n] Leiden“ 2423 . Ein Jahr lang, so Zetkin in ihrem Nachruf, fesselten<br />

sie dieses Leiden an das Krankenbett. Doch selbst dort habe Middleton für ihre GenossInnen noch<br />

beratende Arbeit geleistet. Alle für ihre Beerdigung bestimmten Blumengebinde, so habe<br />

Middleton vor ihrem Tode verfügt, sollten stattdessen kranken GenossInnen gebracht werden. Den<br />

Angehörigen <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>en dieser selbstlosen Kämpferin sprach die „Gleichheit“ im Namen der<br />

sozialistischen Frauen aller Länder ihre aufrichtige Teilnahme aus.<br />

Völlig unerwartet war der Kindbetttod der 41-jährigen Margaret Ethel Mac Donald (1870-1911).<br />

Aus dem vermutlich von Zetkin verfassten Nachruf erfuhr die „Gleichheit“-Leserin, dass diese die<br />

Tochter einer Aristokratin <strong>und</strong> des angesehenen Professors Gladstone war. <strong>Von</strong> ihm, der sich als<br />

ein bürgerlicher Radikaler <strong>und</strong> Philanthrop für die allgemeine Volksbildung einsetzte, habe Mac<br />

Donald ihre<br />

„unerschütterliche demokratische Gesinnung, das Gefühl der Mitverantwortlichkeit<br />

für die sozialen Geschehnisse <strong>und</strong> Zustände <strong>und</strong> den unwiderstehlichen Drang, für<br />

andere zu wirken[,]“ 2424<br />

geerbt. Die Mitwirkung an der Reformarbeit ihres Vaters ließ sie aber weiterdenken, ließ sie<br />

erkennen, dass die Gesellschaft gr<strong>und</strong>legend umgestaltet werden müsse. Zwar hätte ihr ihre Her-<br />

kunft, ihre soziale Stellung <strong>und</strong> ihre Erziehung ohne Weiteres eine hohe Position in der<br />

bürgerlichen Gesellschaft verschaffen können, doch ließen sie ihr „klarer Blick“ 2425 <strong>und</strong> ihr „mit-<br />

fühlendes Herz“ 2426 ihren wahren Platz unter den Arbeitenden finden.<br />

Mac Donald engagierte sich für den Sozialismus, „gab sich ihm ganz <strong>und</strong> für immer“ 2427 , indem<br />

sie sich 1895 durch ihren Beitritt zur Unabhängigen Arbeiterpartei offen als Sozialistin bekannte<br />

<strong>und</strong> auch so manches familiäre Band zerbrach. Sie lernte Ramsay Mac Donald kennen <strong>und</strong><br />

heiratete ihn 1896. Ihre Ehe war auch eine Arbeitsgemeinschaft, die beide in ihrer Entwicklung<br />

sehr förderte. Mac Donald begleitete ihren Ehemann auf Studienreisen nach Südafrika, Indien,<br />

Australien <strong>und</strong> Kanada. Neben all ihrem Engagement war sie aber ihren sechs Kindern auch eine<br />

fürsorgliche Mutter.<br />

Eine gute Rednerin sei sie hingegen nicht gewesen. Auch „den Weg zum wissenschaftlichen<br />

2423 Mary Middleton †. In: GL, 21/ 18/ 05.06.1911/ 287.<br />

2424 Margaret Ethel Mac Donald †. In: GL, 21/ 26/ 25.09.1911/ 405.<br />

2425 Ebd.<br />

2426 Ebd.<br />

2427 Ebd.<br />

650


4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />

Sozialismus“ 2428 , so Zetkin, habe Mac Donald „nicht finden k[önnen]“ 2429 , sei – bedingt durch die<br />

herrschenden Umstände <strong>und</strong> ihren Werdegang – immer „eine Gefühlssozialistin englischen<br />

Schlags“ 2430 geblieben. Die Durchsetzung von Reformen, die Organisation von Arbeiterinnen <strong>und</strong><br />

ihre Unterstützung im Arbeitskampf – dies seien Wirkungsfelder gewesen, so Zetkin, auf denen<br />

Mac Donald „als der Tätigsten eine auf dem Plan“ 2431 stand. Die Vielzahl der führenden Ämter<br />

Mac Donalds ist dementsprechend beeindruckend. Sie arbeitete in der „Nationalen Union der<br />

Arbeiterinnen“, engagierte sich für die Einrichtung von Werkstätten für arbeitslose Frauen <strong>und</strong> für<br />

die Gründung von Gewerbeschulen für Frauen in London. Sie war eine der Begründerinnen des<br />

„Komitees zum Schutze erwerbstätiger Kinder“ <strong>und</strong> zweite Vorsitzende des „Nationalverbandes<br />

der Klubs lediger Arbeiterinnen“ („Girls Clubs“). In Kooperation sozialistischer Frauen <strong>und</strong><br />

bürgerlicher Reformerinnen war Mac Donald an der Gründung des „Frauenarbeitsrats“<br />

(„Women’s Industrial Council“) beteiligt. Sie war Mitgründerin der großen nationalen Organi-<br />

sation „Liga für die Interessen der erwerbstätigen Frauen“ (1906) <strong>und</strong> der großen internationalen<br />

Organisation „Internationaler Sozialistischer Frauenrat“. Als Delegierte nahm sie sowohl an der<br />

Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale in Stuttgart (1907) als auch in Kopenhagen<br />

(1910) teil. Obwohl Mac Donald stets weiterdachte, war sie Befürworterin des beschränkten<br />

Frauenwahlrechts. Sie glaubte, das „Damenwahlrecht“, so Zetkin, als „bittere Vorfrucht des<br />

allgemeinen Bürgerrechts in den Kauf nehmen zu müssen“ 2432 .<br />

Die Sozialistische Fraueninternationale verlor mit ihr eine vielversprechende Persönlichkeit, die<br />

ihr Leben dem Sozialismus gewidmet hatte <strong>und</strong> die „trotz fruchtbaren, aufopfernden Wirkens<br />

keine Müde, Ruheverlangende, sondern umgekehrt, eine Arbeitsfrohe, eine Kämpfende“ 2433 ge-<br />

wesen sei.<br />

Auch Mathilda Hyndman (?-1913) war eine häufige Teilnehmerin internationaler Kongresse <strong>und</strong><br />

der ersten Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale in Stuttgart. Bereits in den 1880er<br />

Jahren hatte sie im kleinen Kreis ihre agitatorische Tätigkeit begonnen. Da Hyndmans Ehemann<br />

ein bekannter Sozialistenführer war, erfuhr das Ehepaar oft schwere gesellschaftliche Dis-<br />

kriminierungen <strong>und</strong> finanzielle Notlagen. Doch selbst als das Ehepaar gezwungen war, sein Haus<br />

2428 Ebd.<br />

2429 Ebd.<br />

2430 Ebd., S. 406.<br />

2431 Ebd.<br />

2432 Ebd.<br />

2433 Ebd., S. 405.<br />

651


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

zu verkaufen, habe Hyndman den Verlust mutig ertragen.<br />

Hyndman war kinderlos geblieben <strong>und</strong> umso leidenschaftlicher setzte sich die „Mutter des<br />

Sozialismus“ 2434 besonders für eine kostenlose Speisung der Arbeiterkinder ein. Nur von einigen<br />

wenigen Fre<strong>und</strong>innen unterstützt, bereitete sie von Ende der 1880er Jahre bis Anfang der 1890er<br />

Jahre in Battersea jeden Winter 30.000 Mahlzeiten zu. Hyndman arbeitete in verschiedenen<br />

Frauenkomitees <strong>und</strong> Frauenräten mit, <strong>und</strong> Anfang März 1913 hatte sie als Vorsitzende anlässlich<br />

des Kongresses des Frauenrates der britischen sozialistischen Partei ihren letzten öffentlichen<br />

Auftritt. Die „Gleichheit“ schloss ihren Nachruf mit den weissagenden Worten: „Sie wird lange<br />

vermißt <strong>und</strong> nie vergessen werden.“ 2435<br />

Mary Macarthur (1880-1921) engagierte sich im Gegensatz zu Hyndman vor allem als<br />

Gewerkschafterin. Es ist fraglich, ob ihr eine von Zetkin redigierte „Gleichheit“ einen Nachruf ge-<br />

widmet hätte – die „neue“ „Gleichheit“ tat es.<br />

17 Jahre lang, so Emmy Kämmerer-Leonhardt (1890-?) 2436 in einem auffällig emotionslosen<br />

Nachruf, war Macarthur in verschiedenen Ämtern tätig, u. a. als Vorsitzende des<br />

Exekutivausschusses der englischen Arbeiterinnenvereine („Standing Joint Comittee of Women’s<br />

Industrial Organisations“) oder als Sekretärin des Verbandes der Frauengewerkschaften. 2437 Sie<br />

war als Delegierte auf verschiedenen internationalen Kongressen anwesend <strong>und</strong> nahm 1919 in<br />

Washington an der Arbeitskonferenz des Völkerb<strong>und</strong>es teil. Während des Krieges setzte sich Mac-<br />

arthur als Sprecherin einer Deputation für Minimallöhne der Munitionsfabrikarbeiterinnen ein.<br />

Macarthur, die als Interessenvertreterin der Arbeiterinnen „‘unermüdlich, tatkräftig, zuversicht-<br />

lich’“ 2438 gewesen sei, verstarb nach langer Krankheit. 2439<br />

4.4.8.9 USA<br />

Als „[e]ine Deutsche, die von den Stürmen des Sozialistengesetzes über den Ozean getrieben<br />

2434 Genossin Mathilda Hyndman †. In: GL, 23/ 22/ 23.07.1913/ 351.<br />

2435 Ebd.<br />

2436 Emmy Kämmerer-Leonhardt, geb. Kämmerer, war Tochter eines Bankdirektors. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte<br />

sie sich längere Zeit im Ausland aufgehalten. 1914-1915 war sie in der Hamburger Kriegsfürsorge <strong>und</strong> der Gesellschaft<br />

für Arbeitsnachweis tätig. Seit 1916 engagierte sie sich in der SPD. 1919-1920 war sie Gewerkschaftsangestellte<br />

<strong>und</strong> nahm in dieser Zeit auch ein Mandat als Abgeordnete der Hamburger Bürgerschaft wahr. Eine<br />

Kandidatur 1920 für den Reichstag blieb erfolglos.<br />

2437 Vgl. Kämmerer-Leonhardt, E[mmy]: Olive Schreiner <strong>und</strong> Mary Macarthur/ 31/ 03/ 01.02.1921/ 18.<br />

2438 So die Meinung J. Mallons, Mitarbeiter des „Daily Telegraph“ (1855-aktuell). Zit. nach: Ebd., S. 19.<br />

2439 Kämmerer-Leonhardt, die in ihrem Artikel kein Geburtsjahr angab, behauptete Macarthur sei 38jährig verstorben<br />

652<br />

(vgl. ebd.).


4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />

wurde“ 2440 , sei Johanna Greie-Cramer (1864-1911) in die USA gekommen. Im Gepäck habe sie<br />

„als teuerstes Gut aus der Heimat“ 2441 , so vermutlich Zetkin als Verfasserin der kleinen Notiz, „die<br />

sozialistische Heilslehre“ 2442 gehabt. Diese habe das „schriftstellerische <strong>und</strong> rednerische Talent des<br />

jungen Weibes“ 2443 befruchtet. Diesen einleitenden Informationen sollte in der nächsten Nummer<br />

ein Nachruf auf Greie-Cramer folgen, was jedoch erst zwei Nummern später im nächsten Jahr-<br />

gang tatsächlich geschah. 2444<br />

Johanna Greie-Cramer, so erfährt man aus dem Nachruf, wurde in Dresden geboren <strong>und</strong> war<br />

Tochter einer kleinbürgerlichen Familie. Ihren Wissenshunger konnte die übliche Volksschul-<br />

bildung nicht stillen, weshalb sie von sich aus sehr viel las. Sie begann eine kaufmännische<br />

Ausbildung <strong>und</strong> nahm in Magdeburg eine Stellung an. Hier lernte die 21-jährige den Dreher <strong>und</strong><br />

überzeugten Sozialdemokraten Emil Greie kennen <strong>und</strong> heiratete ihn. In dieser Ehe fand sie, so<br />

Zetkin, die „Ideengemeinschaft <strong>und</strong> Anregung, von der ihre heiße Bildungssehnsucht geträumt<br />

hatte“ 2445 . Seine geistige Welt, die freireligiöse <strong>und</strong> sozialistische Bewegung, wurde bald die ihre<br />

<strong>und</strong> er unterstützte ihre schriftstellerische Tätigkeit für die Magdeburger „Gerichtszeitung“ <strong>und</strong><br />

für andere Tagesblätter.<br />

1887 entschloss sich das Ehepaar Greie unter dem Druck des Sozialistengesetzes, in die USA<br />

auszuwandern. In New York wurden sie, so Zetkin, zu „Bahnbrechern des wissenschaftlichen<br />

Sozialismus“ 2446 . Greie-Cramer hatte aber erst von ihrem eigenen Wert für die Bewegung über-<br />

zeugt werden müssen. Ihr Parteifre<strong>und</strong> Rosenberg beschrieb sein eigenes Talent für die Suche<br />

nach geeigneten AgitatorInnen wie folgt:<br />

„‘Als Sekretär des Exekutivkomitees der damals rein deutschen sozialistischen<br />

Arbeiterpartei war mein Auge geschärft für werktätige Kräfte, <strong>und</strong> wo ich solche<br />

witterte, da zwang ich sie durch Überredung hinein in die Öffentlichkeit der Propaganda’“<br />

2447 .<br />

Nicht wenige SozialistInnen dürften durch eine solche persönliche Ansprache für leitende<br />

Funktionen geworben worden sein. Mit Greie-Cramer gewann Rosenberg der sozialistischen Be-<br />

wegung der USA eine Klassenkämpferin, die<br />

„[o]hne Wanken <strong>und</strong> Schwanken, ohne Rücksicht auf Opfer <strong>und</strong> Gefahr […]<br />

2440 Johanna Greie-Cramer †. In: GL, 21/ 26/ 25.09.1911/ 416.<br />

2441 Ebd.<br />

2442 Ebd.<br />

2443 Ebd.<br />

2444 Johanna Greie-Cramer. In: GL, 22/ 02/ 23.10.1911/ 19.<br />

2445 Ebd.<br />

2446 Ebd.<br />

2447 Rosenberg zit. nach: Ebd.<br />

653


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

jederzeit in den vordersten Reihen“ 2448<br />

stand. Es gelang ihr, auch in den USA als Schriftstellerin <strong>und</strong> Rednerin erfolgreich tätig zu sein,<br />

Novellen, Erzählungen <strong>und</strong> u. a. den Roman „Im Banne der Vorurteile“ (1890) zu veröffentlichen.<br />

1888 begab sie sich zum ersten Mal auf eine Agitationsreise durch die USA – wie Zetkin schrieb:<br />

„als Sendbotin des sozialistischen Evangeliums“ 2449 . Ab 1903 waren ihr solche Reisen aufgr<strong>und</strong><br />

eines körperlichen Leidens jedoch nicht mehr möglich.<br />

Greie-Cramer war maßgeblich an der Gründung des „Sozialdemokratischen Frauenvereins“ in<br />

New York, der ersten zentralistischen sozialdemokratischen Frauenorganisation der USA,<br />

beteiligt. <strong>Von</strong> 1904 bis 1906 war sie Redakteurin der „Frauenseite“ der „New Yorker Volks-<br />

zeitung“ (1878-1932). 1907 nahm sie als Delegierte an der ersten Konferenz der Sozialistischen<br />

Fraueninternationale in Stuttgart teil. Der „Gleichheit“ war Greie-Cramer ein gutes Vorbild einer<br />

proletarischen Klassenkämpferin, weil auch sie<br />

„nicht von heut auf morgen von einer schwärmerischen Gefühlssozialistin zur<br />

geschulten Vorkämpferin des wissenschaftlichen Sozialismus gereift“ 2450<br />

sei. Auch sie hatte „heiß <strong>und</strong> zähe um Kenntnisse <strong>und</strong> Klarheit [ringen]“ 2451 müssen <strong>und</strong> sich dann<br />

umso mehr für die Sache des Sozialismus eingesetzt, „ohne zu rechnen <strong>und</strong> zu sparen, ohne an<br />

sich zu denken“ 2452 .<br />

Nach dem Tod ihres Ehemannes Emil hatte Greie-Cramer Albert Cramer geheiratet. Sie verstarb<br />

schließlich in Elisabeth (New Jersey).<br />

In New York verstarb im Januar 1916 Julie Romm (1853-1916). Sie war gebürtige Deutsche, mit<br />

einem Russen verheiratet <strong>und</strong> mit diesem in die USA ausgewandert. 2453 In „glühender<br />

Begeisterung <strong>und</strong> freudiger Opferwilligkeit“ 2454 habe Romm dem internationalen Sozialismus<br />

angehangen. Fünf Jahre lang redigierte sie die „Frauenseite“ der „New Yorker Volkszeitung“ <strong>und</strong><br />

hatte darin demnach die Nachfolge Greie-Cramers angetreten. Mit ihrem Tod habe die sozialis-<br />

tische Frauenbewegung eine Frau verloren, so die „Gleichheit“,<br />

2448 Ebd.<br />

2449 Ebd.<br />

2450 Ebd.<br />

2451 Ebd.<br />

2452 Ebd.<br />

„deren lichtvoller, reicher Geist dem edlen Herz ebenbürtig war, deren Tun im<br />

schönsten Einklang stand mit ihrer Überzeugung, bei der die tiefgewurzelte<br />

2453 Julie Romm †. In: GL, 26/ 12/ 03.03.1916/ 90.<br />

2454 Ebd.<br />

654


Weltanschauung lebensgestaltend wirkte“ 2455 .<br />

4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />

Eben jener „lebensgestaltende“ Einfluss sozialistischer Weltanschauung war es, den die „Gleich-<br />

heit“ ihren Leserinnen in Nachrufen auf verdiente <strong>Klassenkämpferinnen</strong> nahebringen wollte.<br />

Im Anschluss an die Biographien deutschstämmiger Immigrantinnen werden im Folgenden drei<br />

Frauen der US-amerikanischen Arbeiter- <strong>und</strong> Gewerkschaftsbewegung vorgestellt. Lucy Stone<br />

(1818-1893) ist eine davon.<br />

In ihrem Nachruf erklärte Zetkin, dass Stone eine der „aufopferndsten, selbstlosesten, fähigsten<br />

<strong>und</strong> energischsten Vorkämpferinnen für die Gleichberechtigung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts“ 2456<br />

gewesen sei. Zudem sei sie ein Beispiel dafür, dass<br />

„eine charaktervolle Frau sich in der Oeffentlichkeit als Vorkämpferin einer Idee<br />

bethätigen kann, ohne daß sie dadurch an Zartheit der Empfindung, an Tiefe des<br />

Gemüthslebens einbüßt, <strong>und</strong> ohne daß ihre Aufgaben als Gattin <strong>und</strong> Mutter leiden“<br />

2457 .<br />

Die Beschäftigung mit Politik, die H<strong>und</strong>erte von Versammlungen auf denen sie gesprochen, die<br />

zahllosen Schriften <strong>und</strong> Flugblätter, die sie verfasst hatte – all dies habe sie nicht gehindert,<br />

„ihrem Manne liebevolle Gefährtin <strong>und</strong> Mitarbeiterin, ihren Kindern eine treusorgende<br />

Mutter, ihren Fre<strong>und</strong>en eine theilnehmende Beratherin <strong>und</strong> Helferin“ 2458<br />

zu sein. Sie war ganz Klassenkämpferin <strong>und</strong> blieb dabei doch auch ganz Frau.<br />

Als achtes von neun Kindern wuchs Stone auf einer Farm in Massachussetts auf. Dort hatte sie<br />

bereits im Kindesalter entsprechende körperliche Farmarbeit zu leisten. Ihre Eltern – der<br />

starrköpfige Vater <strong>und</strong> die sanfte Mutter – führten eine Ehe nach althergebrachtem <strong>und</strong> in der<br />

Bibel überliefertem Muster: Sie war ihm untertan. Dieses vermeintlich gottgewollte Abhängig-<br />

keitsverhältnis der Mutter <strong>und</strong> die Lektüre der Bibel waren es, die in Stone schließlich den<br />

Wunsch weckten, Hebräisch <strong>und</strong> Griechisch zu lernen. Mit diesen Kenntnissen habe sie, so Zet-<br />

kin, vor allem die Zuverlässigkeit der Übersetzung am Original selbst prüfen wollen. 2459<br />

Stone habe bereits als Kind „ein starkes Rechts- <strong>und</strong> Freiheitsgefühl“, großen „Drang <strong>und</strong> […]<br />

Willenskraft, für das als wahr Erkannte zu kämpfen“ 2460 , besessen. Außerdem zeichneten sie laut<br />

2455 Ebd. Die „Gleichheit“-Redaktion wollte „versuchen, in nächster Nummer unseren Leserinnen ein Bild von der<br />

Persönlichkeit <strong>und</strong> der sozialistischen Betätigung Julie Romms zu skizzieren“ (ebd.). Dies geschah jedoch nicht.<br />

2456 Lucy Stone. In: GL, 04/ 07/ 04.04.1894/ 55. Neben jenem Artikel im Hauptblatt der „Gleichheit“ erschien zudem<br />

1916 eine umfangreiche Artikelserie in der Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“, auf welche hier aber nur<br />

verwiesen werden soll: Lucy Stone. Eine nordamerikanische Bahnbrecherin der Frauenbewegung [I-VIII] In: GL,<br />

26 (1916)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 13/ 52 bis GL; 26 (1916)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“<br />

21/ 83-84).<br />

2457 Lucy Stone. In: GL, 04/ 07/ 04.04.1894/ 55.<br />

2458 Ebd.<br />

2459 Vgl. ebd.<br />

2460 Ebd.<br />

655


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Zetkin „Unerschrockenheit, Wahrhaftigkeit […] [<strong>und</strong>] Eifer beim Lernen“ 2461 aus. Weil ihr Vater<br />

ihr jedoch jede Unterstützung für ein Studium verweigerte, sammelte Stone Früchte <strong>und</strong> Kasta-<br />

nien, verkaufte sie <strong>und</strong> erwarb aus diesem Erlös eigene Bücher. Später arbeitete sie als Lehrerin<br />

<strong>und</strong> im Alter von 25 Jahren hatte sie genug Wissen <strong>und</strong> ein wenig Geld erworben, um auf das<br />

Oberlin College zu gehen – dem einzigen College der USA, zu dem damals Frauen zugelassen<br />

wurden. Auch als Collegestudentin musste Stone jedoch selbst für ihren Lebensunterhalt auf-<br />

kommen <strong>und</strong> deshalb weiterhin als Privatlehrerin <strong>und</strong> Aufwärterin arbeiten. Obwohl sie in Armut<br />

lebte, sei sie „stets heiter <strong>und</strong> zufrieden“ 2462 gewesen.<br />

Bereits während ihres Studiums, das sie mit Auszeichnung abschloss, engagierte sich Stone für<br />

die Abschaffung der Sklaverei. 1847 trat sie zum ersten Mal öffentlich als Rednerin auf, um für<br />

die Abschaffung der Sklaverei, die Gleichberechtigung der Farbigen <strong>und</strong> die Gleichberechtigung<br />

der Frau zu agitieren. Mit diesem Engagement für die Entrechteten machte sie sich allerdings<br />

andernorts sehr unbeliebt, wurde als „Ungeheuer“ 2463 verschrieen, „gescholten <strong>und</strong> verabscheut,<br />

verlacht, verhöhnt <strong>und</strong> beschimpft“ 2464 – Lucy Stones Name wurde gar zu einem Spottnamen. 2465<br />

In ihrem Engagement für die Abschaffung der Sklaverei fand Stone viele Gleichgesinnte <strong>und</strong><br />

konnte sogar auf den Rückhalt großer bereits bestehender Organisationen rechnen – in ihrem<br />

Kampf für die Gleichberechtigung der Frau stand sie jedoch allein. Laut Zetkin existierte nicht<br />

eine einzige Organisation, welche dieses Ziel verfolgte, <strong>und</strong> in vielen Städten habe Stone als erste<br />

Frau eine öffentliche Rede gehalten. 2466 Stone betrat demnach mit ihrer Agitation für die Rechte<br />

der Frau absolutes Neuland <strong>und</strong> hatte gegen viele Vorurteile anzukämpfen. Oft waren die<br />

Zuschauer sehr verblüfft, wenn statt dem erwarteten Mannweib eine „zierliche, anspruchslos, be-<br />

scheidene Frau […] von gewinnendem Benehmen <strong>und</strong> äußerst melodischer Stimme“ 2467 erschien.<br />

Es sei, so Zetkin, besonders ihre Stimme <strong>und</strong> der gesamte „Zauber ihrer Persönlichkeit“ 2468 ge-<br />

wesen, denen die Massen erlagen. Aber auch „[d]ie Energie <strong>und</strong> die Selbstlosigkeit, mit welcher<br />

sie ihre Ideale verfolgte“ 2469 , hätten selbst ihren Gegnern imponiert. Ebenso beeindruckend wirkte<br />

die Tatsache,<br />

2461 Ebd.<br />

2462 Ebd.<br />

2463 Ebd.<br />

2464 Ebd.<br />

2465 Vgl. ebd.<br />

2466 Ebd.<br />

2467 Ebd.<br />

2468 Ebd.<br />

2469 Ebd.<br />

656<br />

„daß die Frau, welche Kraft ihrer Kenntnisse <strong>und</strong> ihres Geistes eine glänzende


Stellung hätte einnehmen können, in größter Dürftigkeit lebte“ 2470 .<br />

4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />

Zwar pries Zetkin hier im Falle Stones das Ideal der selbstgewählten Armut, doch war sie selbst<br />

eine der SozialdemokratInnen, deren eigener bürgerlich anmutender Wohlstand Angriffspunkt<br />

ihrer Gegner wurde <strong>und</strong> ist. Ihre Lebensweise erscheint manchen BiographInnen nicht authentisch<br />

mit der von ihr vertretenen Weltanschauung.<br />

1855 heiratete Stone den Kaufmann Henry Blackwell, der sich wie sie für die Gleichberechtigung<br />

der Farbigen <strong>und</strong> der Frauen engagierte. Stone behielt nach ihrer Hochzeit jedoch ihren Mädchen-<br />

namen bei, weil alles andere den „Verlust[…] der persönlichen Freiheit“ 2471 bedeutet hätte.<br />

Gemeinsam verfasste das Ehepaar eine erfolgreiche Protestschrift gegen die Gesetze, die dem<br />

Mann die absolute Verfügungsgewalt über das Vermögen der Frau <strong>und</strong> die Kinder zusprachen.<br />

1866 gründete Stone den „B<strong>und</strong> für die Gleichberechtigung“ mit <strong>und</strong> wurde dessen langjährige<br />

Vorsitzende – ebenso 1869 für den „Amerikanischen B<strong>und</strong> für das Wahlrecht der Frauen“. 1870<br />

gründete sie „The Women’s Journal“ (1870-1931) 2472 , dessen Redaktion sie anfangs gemeinsam<br />

mit ihrem Gatten, später mit ihrer Tochter führte. Schließlich zwang Stone ein rheumatisches<br />

Leiden, ihre öffentlichen Auftritte zu beenden <strong>und</strong> mehr Zeit am Schreibtisch zu verbringen.<br />

Es sei die „Energie ihres Willens, die Lauterkeit ihres Charakters, die Selbstlosigkeit ihres Stre-<br />

bens“ 2473 gewesen, die sie auszeichneten. Zetkin resümierte Stones Vorbildcharakter wie folgt:<br />

„Sie zählt zu der kleinen Schaar der Helden des Geistes, die unbekümmert um den<br />

persönlichen Vortheil, das persönliche Wohl, sich mit glühender Seele einer Idee<br />

hingeben <strong>und</strong> für ihr Ideal Alles zu leisten <strong>und</strong> Alles zu opfern im Stande sind.“ 2474<br />

Es war Stones Ideal, ihre „tiefinnerste Ueberzeugung“ 2475 , dass im Zuge der Gleichberechtigung<br />

der schwarzen Bevölkerung der USA <strong>und</strong> der Gleichberechtigung der Frauen schließlich auch<br />

„die Gleichstellung alles Dessen verwirklicht würde, was Menschenantlitz trägt“ 2476 . Zetkin zog<br />

daraus den Schluss, dass Stone „[d]ie Klassengegensätze zwischen Arm <strong>und</strong> Reich, zwischen<br />

Kapitalist <strong>und</strong> Proletarier […] nie zum Bewußtsein gekommen“ 2477 seien. Auch habe sie „nichts<br />

von der Nothwendigkeit des Kampfes für die Befreiung der Arbeiterklasse, für die Beseitigung<br />

2470 Ebd.<br />

2471 Ebd., S. 56.<br />

2472 Die ZDB gibt den Titel der Zeitschrift mit „The Woman’s Journal“ an. Es war das Organ der „National American<br />

Woman Suffrage Association“.<br />

2473 Ebd.<br />

2474 Ebd.<br />

2475 Ebd.<br />

2476 Ebd.<br />

2477 Ebd.<br />

657


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

der kapitalistischen Gesellschaft“ 2478 gewusst.<br />

Stone scheint also gar keine Klassenkämpferin, sondern eher eine bürgerliche Frauenrechtlerin<br />

gewesen zu sein. Zetkin erklärte jedoch, warum Stone trotzdem dem skizzierten Leitbild „Klas-<br />

senkämpferin“ entsprach. Stone habe keine klassenbewusste Kämpferin sein können, weil zu ihrer<br />

Zeit in den USA die Klassengegensätze noch nicht deutlich aufgebrochen waren. Und als dann in<br />

ihren letzten Lebensjahren doch „die Kluft zwischen Bourgeoisdamen <strong>und</strong> Proletarierinnen“ 2479<br />

immer größer <strong>und</strong> auch die Frauen immer stärker in den Klassenkampf hineingerissen wurden, so<br />

Zetkin, „da war Lucy Stone bereits zu alt, um sich noch in eine ganze neue Auffassung der<br />

gesellschaftlichen Verhältnisse hineinarbeiten zu können“ 2480 . Zetkin war sich jedoch sicher, dass<br />

Stone, wenn sie einer späteren Generation angehört hätte, „eine der hervorragendsten <strong>und</strong><br />

thätigsten Vorkämpferinnen […] für die Rechte des Proletariats“ 2481 gewesen wäre: „Denn ihr<br />

Herz schlug in heißem Mitgefühl für alle Unterdrückten <strong>und</strong> Leidenden.“ 2482<br />

Anders als Stone war die 12 Jahre jüngere Mary Jones (1830-1930) für Zetkin das „Fleisch <strong>und</strong><br />

Blut gewordene Solidaritätsgefühl, Klassengefühl des Proletariats selbst“ 2483 . Die „Gleichheit“<br />

veröffentlichte im November 1902 einen vermutlich von Zetkin abgefassten Artikel, der sehr stark<br />

auf die idealen Charaktereigenschaften <strong>und</strong> die politische Tätigkeit Jones‘ konzentriert war <strong>und</strong><br />

sich auf Artikel anderer Zeitschriften stützte. Dieser Artikel erschien aus aktuellem Anlass, denn<br />

in den US-amerikanischen Kohlerevieren fanden gerade ungewöhnlich große Streikbewegungen<br />

statt, in die die als „Mother Jones“ bekannt gewordene Kämpferin involviert war. In anfeuernden<br />

Reden versuchte Jones vor allem „die Frauen von der Notwendigkeit des Kampfes zu über-<br />

zeugen“ 2484 . Selbst „kühn […], opfermuthig“ 2485 war Jones überall dort anzutreffen, wo Männer<br />

„vom Streikbruch abgehalten werden“ 2486 mussten, wo es galt,<br />

„die Ausdauer zu entfesseln, die Opferfreudigkeit zu entflammen, die Frauen aus<br />

Gegnerinnen zu begeisterten Vertheidigerinnen des Ausstandes zu verwandeln“ 2487 .<br />

Doch Jones vermochte nicht nur zu begeistern, sie besaß zudem ein praktisches Talent in der<br />

2478 Ebd.<br />

2479 Ebd.<br />

2480 Ebd.<br />

2481 Ebd.<br />

2482 Ebd.<br />

2483 Mutter Jones. In: GL, 12/ 23/ 05.11.1902/ 180.<br />

2484 Ebd.<br />

2485 Ebd.<br />

2486 Ebd.<br />

2487 Ebd.<br />

658


4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />

Beschaffung von Materialien <strong>und</strong> Lebensmitteln. Ein von Zetkin zitierter Artikel der „Neuen Zeit“<br />

2488 vergleicht das öffentliche Auftreten Jones‘ mit dem „‘eines jungen, von flammender<br />

Begeisterung beseelten Mannes’“ 2489 <strong>und</strong> es habe sie trotz ihres hohen Alters ein „‘frische[r],<br />

kraftvoll[r] Geist <strong>und</strong> [ein] jugendliche[s] Herz’“ 2490 ausgezeichnet. Das Setzen eines männlichen<br />

Maßstabes <strong>und</strong> der Vergleich mit diesem ist hier besonders auffällig.<br />

Jones war bekennendes Mitglied der Sozialdemokratischen Partei der USA, sah aber nicht in Par-<br />

teiarbeit (oder gar „Parteikleinarbeit“), sondern in der aktiven Unterstützung der Arbeiterstreiks<br />

ihr ureigenes Wirkungsfeld. Hier hatte sie beste Möglichkeiten, ihr Talent der moralischen<br />

Beeinflussung, der Hebung der Kampfgesinnung <strong>und</strong> des Beschaffens von Lebensmitteln ein-<br />

zusetzen. Oft marschierten sie <strong>und</strong> die von ihr motivierten Frauen an der vordersten Spitze der<br />

Streikenden – ein bewährtes Mittel, um Milizen <strong>und</strong> Soldaten vom Gebrauch der Schusswaffe ab-<br />

zuhalten, welches aber nicht immer wirkte.<br />

Gr<strong>und</strong>lage der weiteren Ausführungen Zetkins war ein Artikel des Journalisten <strong>und</strong> Politikers<br />

William Mailly (1871-1912) 2491 , der im „Social-Democrat“ (1897-1911[?]), dem wissen-<br />

schaftlichen Organ der englischen Sozialdemokratie, erschien 2492 . Mailly schrieb darin, dass Jones<br />

schon des Öfteren mit der Jungfrau von Orleans – Jeanne d‘Arc – verglichen worden sei. Ein Ver-<br />

gleich, den er jedoch als unzutreffend erachtete, denn Jones sei eben nicht durch Phantasien,<br />

sondern „‘durch lebendige Männer <strong>und</strong> Frauen’“ 2493 inspiriert worden, deren Hoffnungen <strong>und</strong><br />

Ängste, Freuden <strong>und</strong> Sorgen sie geteilt habe:<br />

„‘Sie wendet sich den Dingen zu, die sind, um die besseren Verhältnisse zu<br />

schaffen, die sein werden.’“ 2494<br />

Eine Gemeinsamkeit gebe es jedoch mit der Jungfrau von Orleans: Beide seien „‘typische Pro-<br />

2488 Der Streik der Kohlengräber in den „Vereinigten Staaten“. In: Neue Zeit, 19 (1900/1901, Bd. 1)/ 11. Zit. nach:<br />

Mutter Jones. In: GL, 12/ 23/ 05.11.1902/ 180-182.<br />

2489 „Neue Zeit“ zit. nach: Ebd., S. 181.<br />

2490 „Neue Zeit“ zit. nach: Ebd.<br />

2491 William Mailly wurde in den USA geboren, wuchs im englischen Liverpool auf <strong>und</strong> kehrte 1889 in die USA<br />

zurück, wo er zuerst als Arbeiter im Kohlebergbau <strong>und</strong> bei der Eisenbahn tätig war. 1890 zog Mailly nach<br />

Alabama <strong>und</strong> beteiligte sich dort 1893 an Bergarbeiterstreiks. So begann sein Engagement für den Sozialismus.<br />

1897 war er Mitgründer der sozialdemokratischen Partei der USA. 1903-1905 wirkte Mailly als Nationaler<br />

Sekretär der Socialist Party. Und 1908-1909 als Herausgeber des „New York Evening Call“ (1908-1923). Es<br />

folgten weitere Tätigkeiten als Journalist, Redakteur, Delegierter der Gewerkschaften <strong>und</strong> Parteifunktionär der<br />

Socialist Party. Mailly war zudem ein Verfechter der Gleichberechtigung der Frau <strong>und</strong> verheiratet „mit einer gebildeten<br />

Frau, die er als Genossin im sozialistischen Lager kennen gelernt hatte“ (Stern, Meta L.[ilienthal]:<br />

William Mailly, ein sozialistischer Vorkämpfer. In: GL, 23/ 02/ 16.10.1912/ 23-24).<br />

2492 The Social-Democrat, 6. Jg., Nr. 9, 15.09.1902.<br />

2493 Mailly, William in: The Social-Democrat, 6. Jg., Nr. 9, 15.09.1902. Zit. nach: Mutter Jones. (Fortsetzung.). In:<br />

GL, 12/ 24/ 19.11.1902/ 188.<br />

2494 Mailly zit. nach: Ebd.<br />

659


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

dukte der thatsächlichen Verhältnisse ihrer Zeit’“ 2495 <strong>und</strong> wären „‘in einer anderen Geschichts-<br />

periode eine Unmöglichkeit gewesen’“ 2496 . Die moderne Arbeiterbewegung habe bereits eine<br />

bedeutende Entwicklung hinter sich <strong>und</strong><br />

„‘Mutter Jones [sei] die Verkörperung des neuen, klareren geistigen Lebens <strong>und</strong><br />

Strebens, das die erwachende Arbeiterklasse unserer Tage charakterisiert. Sie [sei]<br />

der Fleisch <strong>und</strong> Blut gewordene Geist der Revolte, der Auflehnung gegen die<br />

Bedingungen, die der moderne Kapitalismus schafft’“ 2497 .<br />

Mailly betonte „‘vor Allem <strong>und</strong> über alles’“ 2498 , dass Jones „‘ein Weib des Proletariats […][,]<br />

Fleisch von seinem Fleisch <strong>und</strong> Bein von seinem Bein’“ 2499 sei. Für ihre Anhängerschaft war sie<br />

authentisch, war sie eine Genossin <strong>und</strong> dieses „‘vielleicht unbewußte Gefühl dieser inneren, innig-<br />

sten Zusammengehörigkeit’“ 2500 gab ihr schließlich diese besondere Autorität. Auch ihre Reden,<br />

die Gr<strong>und</strong>lage ihres Erfolges, versuchte Mailly, auf ihre Besonderheiten hin zu analysieren. Er<br />

kam zu dem Ergebnis, dass es eben nicht die herkömmlichen Qualitäten wie Satzbau, Phrasen<br />

oder wohlklingende Stimme seien, die ihre Brillianz ausmachten, sondern das Gegenteil: Jones‘<br />

Sprache war einfach, die darin gezeichneten Bilder derb, aber lebendig, ihre Stimme schrill <strong>und</strong><br />

hart. Es war ihr schlagfertiger Witz, der besondere Überzeugungskraft besaß <strong>und</strong> es ist anzu-<br />

nehmen, dass sie weniger überzeugend gewirkt hätte, hätte sie stattdessen mehr auf den Satzbau<br />

geachtet. 2501 Vielleicht, so schließlich Zetkin 2502 , habe nichts so sehr zu ihrem Erfolg beigetragen<br />

als „ihre Gabe, der schwierigsten Situation eine heitere Seite abzugewinnen“ 2503 . Jones –<br />

scharfsinnig, energisch, entschlossen, gewissenhaft, pflichttreu <strong>und</strong> schlicht – lebte in ihrer Arbeit,<br />

lebte für ihre Arbeit <strong>und</strong> besaß eine untrügliche Menschenkenntnis. Selbst absolut aufrichtig, habe<br />

sie ein Gespür für die Unaufrichtigkeit anderer gehabt. Vor allem sei es ihr wichtig gewesen, gut<br />

informiert zu sein, weshalb sie aufmerksam Zeitungen las. 2504<br />

Jeder, vom Greis bis zum Kleinkind, kannte sie <strong>und</strong> fasste schnell Vertrauen zu „Mutter Jones“.<br />

Auch die notwendige Härte im Kampf habe ihr nichts von ihrer Weiblichkeit genommen:<br />

2495 Mailly zit. nach: Ebd.<br />

2496 Mailly zit. nach: Ebd.<br />

2497 Mailly zit. nach: Ebd.<br />

2498 Mailly zit. nach: Ebd., S. 189.<br />

2499 Mailly zit. nach: Ebd.<br />

2500 Mailly zit. nach: Ebd.<br />

2501 Vgl. Mailly zit. nach: Ebd.<br />

2502 Es fehlen entsprechende Ausführungszeichen, um zu erkennen, an welcher Stelle der Artikel Maillys endete oder<br />

ob Zetkin sich auch bei den folgenden Informationen auf ihn bezog. Im Folgenden wird angenommen, dass Zetkin<br />

für die Fortsetzungen des Artikels verantwortlich war.<br />

2503 Mutter Jones. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 25/ 03.12.1902/ 197.<br />

2504 Vgl. ebd.<br />

660


4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />

„‘Allein wenn Mitgefühl für Andere <strong>und</strong> das Streben, ihre Leiden zu mildern;<br />

wenn das Suchen nach Wahrheit <strong>und</strong> der Muth, für sie zu kämpfen, auch auf die<br />

Gefahr hin, die Verachtung <strong>und</strong> den Spott des eigenen Geschlechts zu ernten, wenn<br />

das der Maßstab für wahre Weiblichkeit ist: dann ist Mutter Jones ein echtes<br />

Weib.’“ 2505<br />

Mitgefühl <strong>und</strong> Mut schließen sich im Charakter einer Frau <strong>und</strong> Klassenkämpferin keineswegs aus.<br />

Samariterin <strong>und</strong> Heldin – <strong>und</strong> wenn die Sache es verlangt auch Märtyrerin –, so idealtypisch<br />

wurde bereits die Klassenkämpferin der Pariser Kommune skizziert.<br />

Jones wurde im irischen Cork geboren <strong>und</strong> war Mitglied einer Familie, deren Ahnen bereits an<br />

vielen revolutionären Bewegungen teilgenommen hatten. Ihre Eltern wanderten nach Kanada aus,<br />

als Jones noch ein kleines Kind war. Jones wurde Ehefrau <strong>und</strong> Mutter von vier Kindern. Ihre<br />

gesamte Familie starb jedoch in Memphis an Gelbfieber. Jahrelang war sie als Näherin erwerbs-<br />

tätig, doch schöne Kleider oder andere Dinge, „welche angeblich allein das weibliche Geschlecht<br />

beschäftigen sollen“ 2506 , hätten Jones nie interessiert. Trotzdem war es Zetkin wichtig, darauf hin-<br />

zuweisen, dass Jones in der Auswahl ihrer Kleider immer großen Chic <strong>und</strong> Geschmack bewiesen<br />

habe.<br />

Als Lehrerin kam sie in den Westen der USA. In San Francisco kam sie erstmals in Kontakt mit<br />

der Arbeiterbewegung <strong>und</strong> begann für deren Ziele – damals zum Beispiel gegen die chinesische<br />

„Schmutzkonkurrenz“ – zu agitieren. Erst ein Mitglied der „Volkspartei“ („People’s Party“),<br />

schloss sie sich später der sozialistischen <strong>und</strong> vor allem der gewerkschaftlichen Bewegung an <strong>und</strong><br />

nahm in den 1890er Jahren an verschiedenen großen Streikbewegungen teil. Jones zog per Pferde-<br />

wagen durch den Westen <strong>und</strong> arbeitete in den Baumwollfabriken der Südstaaten, um ihre dort<br />

gesammelten Erfahrungen agitatorisch zu nutzen. 2507 Zur Zeit der Veröffentlichung des<br />

„Gleichheit“-Artikels galten ihre Bemühungen den Kohlegräbern West-Virginias, wo ihr oft Dinge<br />

gelangen, die kein männlicher Agitator fertig gebracht hätte.<br />

Obwohl sich Jones nicht um Ortsverbote, richterliche Verfügungen <strong>und</strong> Verhaftungen scherte,<br />

habe ihr doch kein „‘Petroleumgeruch’“ 2508 angehaftet, denn sie glaubte an die Macht des Stimm-<br />

zettels, nicht an die Macht der Gewalt. 2509 Geriet sie selbst in Konflikt mit den Militärs <strong>und</strong> im<br />

Besonderen mit den im Dienste der Grubenbesitzer stehenden Milizen, so pochte Jones stets auf<br />

die ihr von der Verfassung gegebenen Rechte. Die zuständigen Amtsträger jedoch kümmerten sich<br />

2505 Mailly, William in: The Social-Democrat, 6. Jg., Nr. 9, 15.09.1902. Zit. nach: Mutter Jones. (Fortsetzung.). In:<br />

GL, 12/ 24/ 19.11.1902/ 189.<br />

2506 Mutter Jones. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 25/ 03.12.1902/ 196.<br />

2507 Vgl. ebd., S. 195.<br />

2508 Ebd., S. 196.<br />

2509 Vgl. ebd.<br />

661


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

wenig um die Verfassung, wenn es um eine sozialistische Agitatorin ging, die die Ordnung <strong>und</strong><br />

Ruhe des kapitalistischen Systems störte. Zetkin beschrieb innerhalb des Artikels drei kritische<br />

Situationen während der Streikbewegungen, an denen Jones maßgeblich beteiligt war. Jones<br />

konnte jedes Mal durch „Takt <strong>und</strong> Geschicklichkeit“ 2510 großes Blutvergießen verhindern.<br />

Die „Gleichheit“ resümierte, dass es „Muth <strong>und</strong> Selbstaufopferung“ 2511 gewesen seien, die Jones<br />

„zu der bestbeliebten Frau in der amerikanischen Arbeiterbewegung gemacht haben“ 2512 , <strong>und</strong> dass<br />

„[d]ie soziale Revolution, deren Herold sie ist, […] keine reinere, selbstlosere, makellosere<br />

Vorkämpferin“ 2513 besäße. Sie sei<br />

„die Verkörperung alles Edlen <strong>und</strong> Erhabenen in den Bestrebungen der<br />

Arbeiterklasse, ihre Persönlichkeit kann durch Verfolgungen nicht gebrochen, noch<br />

– sollte man es je versuchen – hinter Kerkermauern in Fesseln geschlagen<br />

werden“ 2514 .<br />

Man sollte es versuchen. Doch, so war sich Zetkin sicher, würde auch dies Jones‘ Ansehen keinen<br />

Abbruch tun <strong>und</strong> das Dichterwort gelten:<br />

„‘Und ob sie Zuchthauskleider trägt, im Schoß den Napf voll Erbsenbrei; / Und ob<br />

sie Werg <strong>und</strong> Wolle spinnt – doch sag ich kühn Euch: sie ist frei!’“ 2515<br />

1914 – Mary Jones war mittlerweile 76 Jahre alt – veröffentlichte die „Gleichheit“ einen von<br />

Adolf Hepner (1846-1923) 2516 verfassten Artikel. Hepner beschrieb darin Jones als<br />

„selbstvergessen“ 2517 <strong>und</strong> „aufopfernd“ 2518 in ihrem Kampf für die ArbeiterInnen. Jones war eine<br />

treibende Kraft:<br />

„Sie agitierte, um die aufzurütteln, die noch schliefen, sie organisierte, um durch<br />

die Vereinigung die Kraft derer zu erhöhen, die erwacht waren. Mit ihrem starken<br />

Glauben an das Menschentum der Ärmsten <strong>und</strong> Elendesten belebte sie den Mut der<br />

Verzagenden.“ 2519<br />

Getrieben von Menschenliebe, Gerechtigkeitsempfinden <strong>und</strong> Willenskraft sei „Mutter Jones“ zu-<br />

2510 Mutter Jones (Schluß.). In: GL, 12/ 26/ 17.12.1902/ 206.<br />

2511 Ebd.<br />

2512 Ebd.<br />

2513 Ebd.<br />

2514 Ebd.<br />

2515 Ebd.<br />

2516 Adolf Hepner wurde in Schmiegel (Posen) geboren. Er war Sohn eines Bäckermeisters. Nach dem Abitur studierte<br />

Hepner 1863-1866 in Breslau am rabbinischen Seminar, engagierte sich aber zunehmend für den Sozialismus. Er<br />

wurde Redaktionsmitglied des „Volksstaat“ <strong>und</strong> arbeitete in Leipzig mit Bebel <strong>und</strong> Liebknecht zusammen. Wie<br />

diese beiden gehörte auch Hepner 1872 zu den Angeklagten im so genannten „Leipziger Hochverratsprozess“.<br />

1882 emigrierte Hepner in die USA <strong>und</strong> lebte seit 1886 in St. Louis, wo er seit 1897 Herausgeber des „St. Louis<br />

Tageblatts“ (?-?) <strong>und</strong> schließlich der „Westlichen Post“ (1857-1938) war. 1908 kehrte er nach Deutschland zurück,<br />

ließ sich in München nieder <strong>und</strong> verfasste u. a. Artikel für die „Sozialistischen Monatshefte“.<br />

2517 Hepner, A[dolf]: Zwei amerikanische „Bergarbeiter-Engel“. I. Mutter Jones. In: GL, 24/ 08/ 07.01.1914/ 117.<br />

2518 Ebd.<br />

2519 Ebd.<br />

662


4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />

dem eine „moralische Macht“ 2520 gewesen. Aber man dürfe sie sich, so zitierte Hepner aus einem<br />

von der us-amerikanischen Journalistin <strong>und</strong> Sozialistin Emma Langdon (1875-?) 2521 verfassten<br />

Artikel, nicht als ein so genanntes „‘Mannweib’“ 2522 vorstellen. Im Gegenteil: Sie sei<br />

„‘die verkörperte weibliche Güte, hilfreich mit ihrem wenigen Gelde wie mit ihrem<br />

starken Willen <strong>und</strong> Geist, wo nur immer sie kann, aber von einem unversöhnlichen<br />

Groll gegen die Unterdrücker der Armen <strong>und</strong> Hilflosen’ “2523 .<br />

Um diese ihre selbstgewählten Aufgaben zu erfüllen, bedurfte es keiner Wissenschaftlichkeit. Es<br />

bedurfte ihrer umso weniger, „‘als die Missetaten der Herrschenden gegen die Arbeiter auch<br />

nichts mit ‘Wissenschaft’ zu tun’“ 2524 hätten. Auch dieser zweite Artikel gibt kaum Informationen<br />

zu Jones‘ Werdegang. Sie selber habe in persönlichen Gesprächen nur bekannt, dass sie aus einer<br />

streng katholischen Familie stamme. Einer ihrer Brüder war in Kanada sogar als katholischer<br />

Geistlicher tätig, ein anderer als Schriftsetzer im Osten der USA. Eben dieses Fehlen weiterer<br />

Informationen wurde von Hepner als „Selbstauflösung“ hinter der politischen Sache interpretiert:<br />

„Auch dieses Zurückdämmen alles Persönlichen, was sie erlebt, hinter die Sache,<br />

der sie dient, gehört zu den hervorstechendsten Zügen dieser Charaktergestalt. Und<br />

es ist wahrhaftig nicht der am wenigsten interessante <strong>und</strong> gewinnende Zug ihres<br />

Wesens. Mutter Jones hat nicht notwendig, sich <strong>und</strong> anderen durch tönende Worte<br />

zu versichern, daß sie eine ‘Persönlichkeit’ sei. Sie beweist durch ihre Taten, daß<br />

sie es ist.“ 2525<br />

Diese Interpretation ist ein bemerkenswertes Beispiel im Hinblick darauf, wie sozialistische<br />

Frauenagitation auch aus keiner Information die „richtige“ Information hervorhob <strong>und</strong> sie in das<br />

gewünschte Charakterbild einpasste.<br />

Auch in hohem Alter von den Militärs drangsaliert, musste Jones große Robustheit beweisen.<br />

Bereits nur wenige Monate nach Hepners Artikel berichtete die „Gleichheit“ von einer Verhaftung<br />

Jones‘ durch eine staatliche Miliz, von der sie unrechtmäßig am Bahnhof Trinidad (Colorado)<br />

abgefangen worden sei. Sie wurde in den Ort eskortiert, um dort isoliert von anderen Personen<br />

zumindest eine Mahlzeit zu sich nehmen zu können. Dann wurde sie wieder zurück zum Bahnhof<br />

eskortiert. Dort wurde sie gewaltsam in einen Zug nach Denver gesetzt <strong>und</strong> von Milizionären<br />

sogar noch bis zum Zielbahnhof begleitet. Die hartnäckige Agitatorin kehrte zwar nach Trinidad<br />

2520 Ebd., S. 118.<br />

2521 Die hier von Hepner zitierte Emma Langdon (1875-?) war Journalistin <strong>und</strong> engagierte sich in verschiedenen<br />

Gewerkschaften <strong>und</strong> in der Socialist Party der USA. 1903 war sie in das Bergwerksgebiet Cripple Creek in<br />

Colorado gezogen, um die dortigen Bergarbeiterstreiks zu unterstützen.<br />

2522 Emma Langdon zit. nach: Ebd.<br />

2523 Langdon zit. nach: Ebd.<br />

2524 Langdon zit. nach: Ebd.<br />

2525 Ebd., S. 119.<br />

663


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

zurück, aber alle List nutzte nichts: Sie wurde festgenommen <strong>und</strong> in einem Hospital festgesetzt. 2526<br />

„Wie eine schwere Verbrecherin wird eine Frau, eine Greisin behandelt <strong>und</strong><br />

mißhandelt, die durch ein aufopferungsreiches Leben bewiesen hat, daß sie zu den<br />

Besten ihres Geschlechts gehört, daß sie eine Zierde der Menschheit ist.“ 2527<br />

Diese Einschätzung Jones‘ als eine der „Besten ihres Geschlechts“ konnte die bürgerliche Frauen-<br />

bewegung der USA nicht teilen. Indem diese angesichts der ungerechten Behandlung Jones‘<br />

keinerlei Protest erhob, bestätigte sie Zetkins unabänderlichen Zweifel an einer gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />

Geschlechtssolidarität. Wo waren die Rechte der Frau, die doch in vielen Staaten der USA das<br />

Wahlrecht besaß, wo die vielbeschworene „‘große Schwesternschaft’“ 2528 ? Zetkin gab zur Ant-<br />

wort:<br />

„Sie ist an der Solidarität der bürgerlichen Damen mit den ausbeutenden<br />

Mammonsfürsten zu den H<strong>und</strong>en geflohen“ 2529 .<br />

Den Proletarierinnen werde damit wieder einmal gezeigt, dass sie<br />

„das leere frauenrechtlerische Gegacker […] von der Solidarität aller Frauen <strong>und</strong><br />

dem Wahlrecht als Endziel ihres Befreiungsringens“ 2530<br />

nicht ernst nehmen dürften. Die Misshandlungen, die Jones ohne Eingreifen der bürgerlichen<br />

Frauenorganisation hinnehmen musste, bestätigten nur die<br />

„alte Wahrheit, daß der Klassengegensatz zwischen Ausbeutern <strong>und</strong> Ausgebeuteten<br />

auch die Frauen in zwei Welten teilt <strong>und</strong> daß für die Proletarierinnen das Wahlrecht<br />

nicht Endziel ihres Befreiungskampfes sein kann, sondern nur Waffe für diesen<br />

Kampf“ 2531 .<br />

Zetkin sah keine nationalen Unterschiede im Verhalten bürgerlicher Frauenrechtlerinnen. Sie war<br />

sich sicher, dass die Mehrzahl der deutschen Frauenrechtlerinnen, die zudem das allgemeine<br />

Wahlrecht ablehne, ja „hasse[…] <strong>und</strong> fürchte[…], dass diese sich unter ähnlichen Umständen „um<br />

kein Jota anders“ 2532 verhalten hätte wie ihre amerikanischen Schwestern. Diese „nackten, unum-<br />

stößlichen Tatsachen“ 2533 , so Zetkin weiter, seien jedoch für die SozialistInnen kein Gr<strong>und</strong>, „in das<br />

laute Schellengeklingel der Anarchisten einzustimmen“ 2534 , das Wahlrecht als unzulänglich<br />

abzulehnen <strong>und</strong> den Kampf für seine Eroberung <strong>und</strong> seinen Gebrauch aufzugeben – „[n]ichts<br />

2526 Vgl. Was eine amerikanische Streikführerin erdulden muß. In: GL, 24/ 14/ 01.04.1914/ 223.<br />

2527 Ebd., S. 224.<br />

2528 Ebd.<br />

2529 Ebd.<br />

2530 Ebd.<br />

2531 Ebd.<br />

2532 Ebd.<br />

2533 Ebd.<br />

2534 Ebd.<br />

664


wäre kurzsichtiger <strong>und</strong> unseren Feinden erwünschter“ 2535 .<br />

4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />

Wenige Monate später konnte die „Gleichheit“ über die Freilassung Jones‘ berichten <strong>und</strong><br />

veröffentlichte einen ihrer Gefängnisbriefe. Die 82-jährige Jones betonte darin, dass sie eine<br />

amerikanische Bürgerin sei <strong>und</strong> „niemals ein Gesetz übertreten“ 2536 habe. Sie, eine unbescholtene<br />

Bürgerin, verlangte deshalb ihr Recht, hinzugehen, wohin sie wolle. Die Grubenbesitzer <strong>und</strong> ihre<br />

Milizen würden sich jedoch, indem sie ihr dies verweigerten, als die eigentlichen Anarchisten<br />

erweisen. 2537<br />

Auch die dritte US-amerikanische Gewerkschafterin, Annie Clemenc (1888-1956), verbrachte<br />

viel Zeit im Gefängnis. Sie wurde als Tochter kroatischer Einwanderer in den USA geboren <strong>und</strong><br />

heiratete einen Erzgräber. 2538 Clemenc‘ Statur, ihre „festen, geschmeidigen Muskeln“ 2539 ließen sie<br />

unter dem Beinamen „Big Annie“ bekannt werden. Sie galt als „furchtlos <strong>und</strong> bereit, für die Sache<br />

der ausgebeuteten Arbeiter zu sterben“ 2540 . Ihr Wort hatte in der Arbeiterschaft so großes Gewicht,<br />

dass die Grubenführer so manches Mal versucht haben sollen, sie zu bestechen. Im Oktober 1913<br />

wurde Clemenc in Camulet (Michigan) verhaftet, weil sie die Frauen angeführt hatte, die die<br />

16.000 im Ausstand befindlichen Kupferminenarbeiter unterstützen. Jedoch musste man sie bald<br />

wieder freilassen, was die „Gleichheit“ resümieren ließ:<br />

„Und so ist sie wie früher der ‘Engel’ der Ausständigen <strong>und</strong> scheut weder die<br />

Leiden noch die Gefahren des Streiks. Sie fehlt bei keiner Manifestation, <strong>und</strong> sie<br />

ist gekannt <strong>und</strong> geliebt in den Bergarbeiterhütten, drinnen das Elend haust.“ 2541<br />

Dieses Engagement, dieses tätige Beispiel sei es, was die Proletarierinnen – in USA wie im<br />

Deutschen Reich – mehr zum Durchhalten ermahnte als ihr Wort. 2542<br />

2535 Ebd.<br />

2536 f. r.: Mutter Jones Freilassung … In: GL, 24/ 19/ 10.06.1914/ 304.<br />

2537 Ebd. Der Artikel beinhaltete außerdem die Information, dass eine Arbeiterversammlung in New York eine<br />

Resolution verabschiedet hatte, die den US-Präsidenten aufforderte, „die Kohlengruben in Kolorado zu konfiszieren<br />

<strong>und</strong> im Interesse des ganzen Volkes auszubeuten“ (ebd.). Eine Forderung nach Sozialisierung wichtiger<br />

Energiequellen, die für die deutsche SPD vor allem nach Ende des Ersten Weltkrieges bedeutsam werden sollte.<br />

2538 Zwei amerikanische „Bergarbeiter-Engel“. II. Annie Clemenc. In: GL, 24/ 09/ 21.01.1914/ 132. Die „Gleichheit“<br />

stützte sich in ihrem Artikel auf Berichte der von Negley D. Cochran herausgegebenen Zeitschrift „Day Book“<br />

(?-?), welche vorrangig die Situation der US-amerikanischen Bergarbeiter beschrieben. Clemenc‘ Abstammung<br />

<strong>und</strong> das besondere Engagement finnischer Kupfergräber innerhalb der Streikbewegungen, gab Cochran Anlass, zu<br />

erwähnen, dass die eingewanderten Bergarbeiter den „eingeborenen Amerikanern an Treue <strong>und</strong> Opfermut“ (ebd.,<br />

S. 133) nicht nachgestanden hätten.<br />

2539 Ebd., S. 132.<br />

2540 Ebd., S. 132-133.<br />

2541 Ebd., S. 134.<br />

2542 Vgl. ebd.<br />

665


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

4.4.8.10 Südafrika<br />

Olive Schreiner (?-1921) war Vorkämpferin der südafrikanischen Frauenbewegung <strong>und</strong> eine be-<br />

kannte Schriftstellerin. Ihr erster Roman erschien unter dem Titel „Die afrikanische Farm“ (1883)<br />

<strong>und</strong> trägt autobiographische Züge. In einem anderen Werk wollte Schreiner die Entwicklung der<br />

sozialistischen Frauenbewegung schildern. Während des Burenkrieges fiel dessen Manuskript<br />

jedoch zusammen mit ihrem Haus einem von englischen Soldaten gelegten Feuer zum Opfer.<br />

Glücklicherweise gelang es Schreiner, so Kämmerer-Leonhardt, den Inhalt stückweise zu re-<br />

konstruieren <strong>und</strong> das Buch unter dem Titel „Die Frauen <strong>und</strong> die Arbeiterbewegung“ doch noch zu<br />

veröffentlichen. Es wurde zum Klassiker <strong>und</strong> selbst bürgerliche Zeitschriften kamen in ihren<br />

Nachrufen auf Schreiner nicht umhin, sie als die „‘genialste[…] Frau unserer Zeit’“ 2543 zu be-<br />

zeichnen.<br />

2543 Kämmerer-Leonhardt, E.: Olive Schreiner <strong>und</strong> Mary Macarthur/ 31/ 03/ 01.02.1921/ 18-19.<br />

666


4.5 Leitbild ohne historische Vorbilder? – Zum Frauenleitbild der Republikanerin<br />

Nach der Entlassung Zetkins änderte sich der Duktus der „Gleichheit“ überaus auffallend.<br />

Während der Begriff „Klassenkampf“ gänzlich verschw<strong>und</strong>en scheint, wurde zumindest der<br />

Begriff „Sozialismus“ auch weiterhin debattiert. Sogar Gedichte mit dem Titel „Sozialismus“<br />

erschienen noch:<br />

„Sozialismus ist die entfaltete Verinnerlichung des Weltgeschehens.<br />

Veräußerlichung entfalteter Innerlichkeit. / Eine Welt der Ausstrahlung. /<br />

Sozialismus ist der Tempel der Menschlichkeit. / Einen jeden ruft er, damit er<br />

dem Worte lausche <strong>und</strong> seine Eltern sagen: Warum hast du uns das angetan? /<br />

Denn es ist oberstes Gesetz, daß ein Geschlecht über das andere emporwachse. /<br />

Gebot! Der Gärtner nimmt zur Befruchtung der neuen Saat die schönsten <strong>und</strong><br />

kräftigsten Pflanzen. Er verschließt das Treibhaus <strong>und</strong> freut sich dennoch der<br />

Biene, die durch einen Spalt eindringt. / So treibe es ein jeder mit sich selbst. Er<br />

atme das Wort, er ernte die Saat geheiligten Denkens, damit auch er Saat sei <strong>und</strong><br />

nicht Dung. Aber er freue sich der Biene, die durch seinen Fensterspalt dringt. /<br />

Sozialismus! An seinem Garten erkennt man den Gärtner, am H<strong>und</strong> seinen<br />

Herrn! Aber nicht am Kristall das künftig geschliffene Glas, nicht an der Blüte<br />

die Frucht! / Die Sonne lebt von ihrem eigenen, ewig widerspiegelnden Quell. /<br />

Der Sozialismus ist deine Sonne, o Volk!“ 2544<br />

Doch selbst in den ansonsten emotional-kämpferisch geladenen Gedichten wurde der<br />

Sozialismus nun weniger als ein revolutionäres Kampfziel, sondern vielmehr als Resultat eines<br />

evolutionären Prozesses verstanden. 2545<br />

Bereits kurz vor Ende des Krieges sandte Heilbut einen Artikel aus dem Felde an die Redaktion<br />

der „Gleichheit“, mit dessen Titel „Schweigen <strong>und</strong> arbeiten“ er die in den letzten drei Kriegs-<br />

jahren vollbrachten Leistungen der Frauen am besten zu beschreiben glaubte. 2546 Innerhalb des<br />

Artikels gab er dem Wirken der Frauen in der Heimat dann aber doch einen viel heroischeren<br />

Charakter:<br />

„Zu den Heldentaten des Mannes draußen an der Front hat sich nicht minder<br />

heldenhaft <strong>und</strong> gleichwertig an stiller Kraft <strong>und</strong> Entsagung die Taten der Frau<br />

daheim gesellt. Ja, vielleicht ist ihre Tat noch höher zu werten. Denn was der<br />

Mann leistete, war schließlich nur die Krönung jahrzehntelanger Vorbereitung<br />

<strong>und</strong> Erziehung. Die Frau aber schuf ihre Werke aus dem nichts. Sie mußte erst<br />

die Ketten zerbrechen, die Sitte, Gewöhnung <strong>und</strong> Erziehung um sie geschlagen.<br />

Und sie zerbrach sie. Und in einer Zahl, in einer Größe der Leistungen wie nie<br />

zuvor in der Geschichte – trat sie als gleichwertige Genossin an die Seite des<br />

Mannes“ 2547<br />

2544 Zerfaß, Julius: Sozialismus. In: GL, 29/ 35/ 18.10.1919/ 278.<br />

2545 Geiger/Weigel finden es besonders auffällig, „[d]aß nun nicht mehr von Klassenkampf, sondern von Allgemeinwohl<br />

gesprochen“ (Geiger/Weigel, Sind das noch Damen?, S. 85) wurde, was sie in engem Zusammenhang<br />

mit dem neuen Status der SPD als Regierungspartei sehen.<br />

2546 Heilbut, Kurt: Schweigen <strong>und</strong> arbeiten? In: GL, 28/ 16/ 10.05.1918/ 122.<br />

2547 Ebd.<br />

667


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Es war der Erste Weltkrieg, ein von Deutschland ausgegangener imperialistischer Angriffskrieg,<br />

der die Frauen in einer nie dagewesenen Weise mobilisiert hatte. Zetkin hatte diese „Selbst-<br />

befreiung“, diese Kampf- <strong>und</strong> Opferbereitschaft der proletarischen Frauen oft vergeblich für den<br />

sozialistischen Klassenkampf ersehnt. Wenn nicht gerade die Kriegsereignisse, so hätten Heilbuts<br />

Worte auch eine letzte, den Sozialismus hervorbringende Revolution beschreiben können.<br />

Heilbuts Artikel klang im Weiteren sehr feministisch an. Während „Männerfäuste zerstört <strong>und</strong><br />

vernichtet“ 2548 hätten, legten sich nun „Frauenhände lindernd <strong>und</strong> heilend auf die W<strong>und</strong>en“ 2549 .<br />

Das im Titel genannte Schweigen interpretierte Heilbut als stumme, „erhabene[…], rührende[…]<br />

Opferbereitschaft“ 2550 , in jenem Moment als der Mutter ihr Kind, der Frau der Gatte <strong>und</strong> der Braut<br />

der Liebste entrissen wurde. Diese Opfer würden nun in Form gleicher Rechte ihre Belohnung<br />

finden – wie es auch in anderen Ländern geschehe. Angesichts der Einforderung dieser Rechte sah<br />

Heilbut ein längeres Schweigen jedoch nicht mehr als angebracht an:<br />

„Lange genug – vielleicht zu lange schon – haben die Frauen geschwiegen. Darum<br />

sollten sie jetzt hinausrufen in die Welt: Goldene Worte von ihrem Willen <strong>und</strong><br />

ihrem Sehen nach Frieden <strong>und</strong> Freiheit.“ 2551<br />

Auch die Gewerkschafterin Kähler betonte kämpferisch, dass Rechte wie das Frauenwahlrecht<br />

nicht einfach in den Schoß fallen würden, man müsse sie fordern <strong>und</strong> Stück für Stück erkämpfen.<br />

Geschenkte Rechte hätten keine Kraft, seien wie „Schwerter von Holz“ 2552 <strong>und</strong><br />

„[n]ur was im harten Kampfe errungen wurde, ist von Dauer“ 2553 .<br />

Welchen Kampf hatte sie aber damit gemeint, wenn die Integration in das bürgerliche System<br />

doch ganz offensichtlich <strong>und</strong> mit der Befürwortung des Krieges quasi vollzogen war? Der<br />

auffällige Verzicht auf klassenkämpferische Parolen <strong>und</strong> staatsumstürzlerische Losungen, die noch<br />

unter der Leitung Zetkins das Bild der „Gleichheit“ geprägt hatten, signalisierte das Eintreten für<br />

klassenübergreifende, nationale Interessen <strong>und</strong> Ziele 2554 . Die proletarische Frauenbewegung trug<br />

nun gemäß der betriebenen gesellschaftsintegrierenden Parteipolitik diese am „Burgfrieden“<br />

orientierten Interessen voll <strong>und</strong> ganz mit. Es wurde sogar eine eigene Rubrik „Aus der bürger-<br />

lichen Frauenbewegung“ eingerichtet. Kähler hielt es so auch für die<br />

2548 Ebd.<br />

2549 Ebd.<br />

2550 Ebd.<br />

2551 Ebd.<br />

„Aufgabe der Frauenbewegung, den Sozialismus immer mehr aus einer Sache des<br />

Herzens zu einer Sache zugleich des Verstandes <strong>und</strong> der Tat, der Schulung <strong>und</strong> der<br />

2552 Kähler, Wilhelmine: Einst <strong>und</strong> jetzt. In: GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 119.<br />

2553 Ebd.<br />

2554 Vgl. Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung <strong>und</strong> Neuer Weiblichkeit, S. 162.<br />

668


4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN<br />

praktischen Mitarbeit der Frauen auf möglichst vielen Gebieten zu machen.“ 2555<br />

Sie votierte damit zwar für die Fortsetzung der politischen Schulung, jedoch unter dem<br />

Vorzeichen der „praktischen Mitarbeit“. Wie konnte eine solche anders aussehen, als dass sich die<br />

Proletarierinnen in das bestehende bürgerliche System eingliederten <strong>und</strong> sich dort vornehmlich in<br />

Form von Sozial- oder Gemeindearbeit engagierten?! Die proletarische Frauenbewegung begab<br />

sich zunehmend auf das relativ gemäßigte Forderungsniveau der bürgerlichen Frauen <strong>und</strong> sogar<br />

noch darunter. Im Gegensatz zu den bürgerlichen Frauen hatte sie den Emanzipationskampf ja nie<br />

gegen das andere Geschlecht führen wollen, sondern gegen die kapitalistische Klasse. Solche<br />

klassenkämpferische Positionen wurden jedoch seit dem „Burgfrieden“ zurückgedrängt, die Pläne<br />

vom revolutionären Umsturz der Gesellschaft waren einer reformistischen Haltung gewichen.<br />

Damit verschwamm die „Scheidungslinie“ 2556 zwischen den Frauenlagern stetig, die zwischen den<br />

Parteilagern verschärfte sich dagegen immer mehr: Die USPD wurde zur hart bekämpften<br />

Konkurrentin.<br />

Der Erste Weltkrieg fand für Deutschland im November 1918 ein revolutionäres Ende. Das<br />

Deutsche Reich, die deutsche Monarchie war zerstört <strong>und</strong> die deutsche Nation musste sich eine<br />

neue Staatsform geben. Aus dem monarchistischen Untertanenstaat wurde eine Republik. 2557<br />

Es bildete sich übergangsweise, um die Staatsgeschäfte weiterzuführen <strong>und</strong> Ordnung in den<br />

turbulenten Revolutionszeiten zu gewährleisten, der „Rat der Volksbeauftragten“. Er bestand aus<br />

drei SPD- <strong>und</strong> drei USPD-Mitgliedern. Dieser verkündete am 12. November das allgemeine,<br />

direkte <strong>und</strong> geheime Frauenwahlrecht <strong>und</strong> die Aufhebung der Gesindeordnung. Ein lang gehegter<br />

Traum schien wahr zu werden, ein natürliches Recht zugestanden <strong>und</strong> damit ein lang geführter<br />

Kampf gewonnen zu sein. Endlich sollte der „goldene Schlüssel zum Reiche des freien Geistes,<br />

dem Reiche der Schönheit <strong>und</strong> des Wissens“ 2558 auch in die Hände der Frauen gelangen. Die<br />

Parole „Da wir nicht wählen können, so müssen wir um so mehr wühlen“ 2559 hatte sich scheinbar<br />

erübrigt, weil für die proletarische Frauenbewegung die Zeiten, in denen sie den deutschen Staat<br />

zu untergraben hatte, vorbei waren – so schien es jedenfalls.<br />

2555 Kähler, Wilhelmine: Einst <strong>und</strong> jetzt. In: GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 119. Und auch Johanna Reitze schrieb: „Neben<br />

der theoretischen Aufklärung wird mehr als bisher die praktische Mitarbeit in der sozialen Fürsorge hervortreten<br />

müssen.“ (Reitze, Johanna: Was nun? In: GL, 27/ 22/ 03.08.1917/ 154-155).<br />

2556 Reitze, Johanna: Was nun? In: GL, 27/ 22/ 03.08.1917/ 154.<br />

2557 Ich verzichte hier auf eine genauere Darstellung der historischen Ereignisse <strong>und</strong> verweise bezüglich der Rolle der<br />

Frauen innerhalb der „Arbeiter- <strong>und</strong> Soldatenräte“ auf: Weberling, Zwischen Räten <strong>und</strong> Parteien. Frauenbewegung<br />

in Deutschland 1918/1919.<br />

2558 Selinger, Berta: Um Wissen <strong>und</strong> Bildung. In: GL, 21/ 12/ 13.03.1911/ 184.<br />

2559 Zu den preußischen Landtagswahlen! In: GL, 18/ 10/ 11.05.1908/ Beilage.<br />

669


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Ihren ersten Gang zur Urne vollzogen die deutschen Frauen anlässlich der Wahl zur verfassungs-<br />

gebenden Nationalversammlung am 19. Januar 1919. Die weibliche Wahlbeteiligung war sehr<br />

groß: Fast 90% aller wahlberechtigten Frauen gaben ihre Stimmen ab <strong>und</strong> sie wählten 41 ihrer<br />

Geschlechtsgenossinnen in dieses staatskonstituierende Gremium. Mit einem Anteil von 9,6% war<br />

dies damals für eine verfassungsgebende Versammlung „einmalig […] in der Welt“ 2560 .<br />

Die „Gleichheit“ hob den geschlechtsunabhängigen Status der gewählten <strong>weiblichen</strong> Abgeord-<br />

neten hervor. Sie seien nicht „in das Parlament […] gewählt als besondere Vertreterinnen der<br />

Fraueninteressen, sondern als die gleichberechtigten Vertreterinnen des gesamten Volkes.“ 2561 Tat-<br />

sächlich aber beschäftigten sich alle <strong>weiblichen</strong> Abgeordneten in ihrer politischen Praxis<br />

vorwiegend mit frauenspezifischen Themen, waren Mitglieder in frauen- oder familienspezi-<br />

fischen Ausschüssen. 2562 Außerdem legte die „Gleichheit“ in einem kurzbiographischen Artikel zu<br />

den 19 <strong>weiblichen</strong> SPD- Abgeordneten Wert auf die Bemerkung:<br />

„Wenn wir auch […] in der Fraktion Genossinnen haben, deren Kindheit <strong>und</strong><br />

Jugend frei von der Not des Proletariats war <strong>und</strong> die deshalb, mit reicherem Wissen<br />

ausgerüstet, durch eigene wissenschaftliche Erkenntnis sich zur sozialdemokratischen<br />

Weltanschauung durchgerungen haben, so entstammt doch der weitaus<br />

größere Teil unserer Frauen den arbeitenden Schichten.“ 2563<br />

Juchacz erklärte in ihrer Rede vor der Nationalversammlung bezüglich des Zustandekommens des<br />

endlich garantierten Frauenwahlrechts:<br />

„Ich möchte hier feststellen <strong>und</strong> glaube damit im Einverständnis vieler zu<br />

sprechen, daß wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten<br />

Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine<br />

Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht<br />

vorenthalten worden ist. (Sehr richtig! bei den Soz.)“ 2564<br />

2560 Gerhard, Unerhört, S. 333. Ein solcher Anteil weiblicher Abgeordneter in einem deutschen Parlament wurde erst<br />

wieder 1983 mit dem Einzug der „Grünen“ in den Deutschen B<strong>und</strong>estag erreicht. Der Frauenanteil stieg damals<br />

auf 9,8% <strong>und</strong> beträgt heute 32,2% (www.b<strong>und</strong>estag.de/mdb/mdb_zahlen/frauen.html; letzter Seitenbesuch:<br />

10.10.2008).<br />

Die Frauen der Nationalversammlung gehörten zu mehr als der Hälfte der SPD an. Drei entstammten der USPD,<br />

jeweils sechs kamen vom katholischen Zentrum <strong>und</strong> der liberal-bürgerlichen Deutsch-Demokratischen Partei<br />

(DDP). Die Fraktion der Deutschen Volkspartei (DVP), in der sich rechte Nationalliberale zusammengef<strong>und</strong>en<br />

hatten, stellte nur eine Frau, während die Deutsch-Nationale Volkspartei (DNVP) drei weibliche Abgeordnete<br />

entsandte (vgl. Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung <strong>und</strong> Neuer Weiblichkeit, S. 165).<br />

2561 Vor neuen Pflichten. In: GL, 29/ 08/ 17.01.1919/ 57.<br />

2562 Zu der Anzahl der <strong>weiblichen</strong> SPD-Reichstagsabgeordneten siehe: Thönessen, Frauenemanzipation, S. 149.<br />

Ausblick: Insgesamt hatten 111 Frauen von 1919 bis 1933 als Abgeordnete im Deutschen Reichstag Sitz <strong>und</strong><br />

Stimme. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme nahmen sich vier von ihnen das Leben, 13 wurden<br />

verhaftet, 10 wurden in KZs verschleppt, 14 gingen ins Exil (vgl. Craig, Rolle der Frauen zwischen 1918 <strong>und</strong><br />

1930, S. 348).<br />

2563 Schroeder, Luise: Unsere Frauen in der deutschen Nationalversammlung. In: GL, 29/ 11/ 28.02.1919/ 84-87, S.<br />

84.<br />

2564 Juchacz im Protokoll der Nationalversammlung. Zit. nach: Die erste Parlamentsrede einer Frau in Deutschland.<br />

670<br />

In: GL, 29/ 12/ 14.03.1919/ 89-93, S. 89.


4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN<br />

In der Forschungsliteratur werden verschiedene Thesen zur Einführung des Frauenwahlrechts<br />

vertreten. Manche WissenschaftlerInnen sehen in ihm weniger ein erworbenes Recht als eine<br />

„Verordnung von oben“, die ohne den Rat der Volksbeauftragten niemals zustande gekommen<br />

wäre, weil die Sozialdemokratie unter anderen Nachkriegsumständen einen Handel mit den<br />

bürgerlichen Parteien eingegangen wäre. 2565 Dem Ersten Weltkrieg wird zusammen mit der Aus-<br />

weitung des tertiären Wirtschaftssektors allgemein eine die Emanzipation begünstigende Wirkung<br />

zugeschrieben 2566 . Einige WissenschaftlerInnen sehen in der Erringung des Frauenwahlrechts<br />

jedoch bewusst nicht ein Ergebnis des Krieges, sondern seines revolutionären Endes. Ohne<br />

Zweifel muss jedoch der (Vorkriegs-)Sozialdemokratie als der einzigen politischen Partei, die die<br />

Forderung nach der Einführung des Frauenwahlrechts in ihrem Programm aufgenommen hatte,<br />

eine maßgebliche Rolle beim Zustandekommen dieses Gr<strong>und</strong>rechts zugestanden werden. 2567<br />

Feministische WissenschaftlerInnen wie Freier heben dagegen den Eigenanteil der deutschen<br />

Frauen am Kampf um das Wahlrecht <strong>und</strong> damit die in der vorliegenden Arbeit im Mittelpunkt<br />

stehende politische Frauenbildung hervor. Und so würden sie das Wahlrecht weder „der SPD noch<br />

den Räten [verdanken], sondern ihren eigenen Aktionen sowohl im Lager der sozialistischen als<br />

auch der bürgerlichen Frauen“ 2568 . Das Frauenwahlrecht ist also Ergebnis politischer Schulung <strong>und</strong><br />

Agitation beider Frauenlager.<br />

Viele WissenschaftlerInnen betonen jedoch, dass man das Frauenwahlrecht keinesfalls den Bemü-<br />

hungen der bürgerlichen Frauen zuschreiben dürfe. Niggemann fasst das vermeintliche Versagen<br />

der bürgerlichen Frauen sogar folgendermaßen zusammen:<br />

„Es ist eine Legende, daß das Frauenwahlrecht in Deutschland von der bürgerlichen<br />

Frauenbewegung oder gar den liberalen Parteien erkämpft worden sei.“ 2569<br />

Diese Bilanz der Forschungsaussagen macht also deutlich, dass neben den zeitgeschichtlichen<br />

2565 Vgl. Hamm-Brücher, Seit 70 Jahren Abschied vom Männerwahlrecht, S. 33 <strong>und</strong> Gieseke, Geschlechterverhältnis<br />

<strong>und</strong> Weiterbildung, S. 27. Zu den Positionen der verschiedenen bürgerlichen Parteien um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende<br />

siehe auch: Schenk, Die feministische Herausforderung, S. 38-39 u. S. 41.<br />

2566 Sommerhoff, Frauenbewegung, S. 41; Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. 126; Nave-<br />

Herz, Die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland, S. 49ff. Allerdings wird einem diese Betrachtungsweise<br />

im Rückblick nicht leicht gemacht: Die betriebene geschlechtsspezifische, fürsorgerische Tätigkeit, die<br />

hingenommenen Maßnahmen sexueller Unterdrückung wie die Verschärfung des § 218 <strong>und</strong> die Identifizierung mit<br />

den kriegshetzerischen Durchhalteparolen des Wilhelminischen Reiches zeugt von der Einseitigkeit des Emanzipations-<br />

<strong>und</strong> Politisierungsschubes des Krieges. Der Aufbruch in neue Berufsfelder <strong>und</strong> das Übernehmen von<br />

Verantwortung im öffentlichen Leben kann man dagegen ohne weiteres als emanzipationsfördernd bewerten. Bezüglich<br />

des Frauenwahlrechts hat die Nachhaltigkeit der emanzipationsfördernden Elemente des Krieges wohl den<br />

Ausschlag für seine Beurteilung gegeben.<br />

2567 Vgl. Hamm-Brücher, Seit 70 Jahren Abschied vom Männerwahlrecht, S. 33 <strong>und</strong> Gerhard, Frauenwahlrecht in<br />

Deutschland, S. 22. Siehe auch: Gerhard, Frauenwahlrecht, S. 21 <strong>und</strong>. Bornemann, Vorwort des Herausgebers,<br />

S. 36.<br />

2568 Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. 156.<br />

2569 Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus, S. 152.<br />

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ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Umständen dem Engagement der proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> damit auch ihrer poli-<br />

tischen Frauenbildung bei der Erlangung des Frauenwahlrechtes im allgemeinen ein großer Ver-<br />

dienst zukommt.<br />

Es war die Weimarer Verfassung 2570 , die den Frauen das Recht zu wählen <strong>und</strong> gewählt zu werden<br />

gesetzlich gewährleistete. Der bekennende Monarchist Freiherr Axel von Freytagh-Loringhoven<br />

gibt folgende zeitgenössische Charakterisierung der Verfassung: Für ihn war sie lediglich<br />

„Notbau […], häßlich <strong>und</strong> windschief, nach ausländischen, <strong>und</strong>eutsch [sic!] gedachten<br />

Plänen, aus unedlem Material, aber geschickt verputzt, mit Ornamenten<br />

aus billigem Stuck verziert.“ 2571<br />

Diese ablehnende Haltung gegenüber der Weimarer Verfassung war in konservativen Kreisen weit<br />

verbreitet <strong>und</strong> damit begründet, dass sie dem „deutschen Wesen“ fremd sei, sich zu stark an die<br />

westliche Kultur, – die Kultur der Siegermächte – anlehnte <strong>und</strong> als ein Konstrukt, das viel<br />

verspräche <strong>und</strong> wenig hielte, nichts tauge für die Nachkriegsordnung.<br />

Tatsächlich war die Weimarer Verfassung aber nur ein Kind ihrer Zeit. Sie sollte beides:<br />

Kontinuitäten bewahren <strong>und</strong> Neuerungen vorantreiben. Diesen Mittelweg der Integration beschritt<br />

auch die Mehrheitssozialdemokratie <strong>und</strong> verwarf damit zugleich die Pläne eines sozialistischen<br />

Staates. Sie versuchte die Umwandlung der bürgerlichen Gesellschaft auf dem Boden einer<br />

deutschen Demokratie zu vollziehen, womit Unruhen vermieden <strong>und</strong> die Integration in die Ge-<br />

meinschaft der westlichen Völker gewährleistet werden sollte. Demgegenüber betrieben einerseits<br />

die am 31. Dezember 1918 gegründete, aus dem Spartakusb<strong>und</strong> hervorgegangene „Kommunis-<br />

tische Partei Deutschlands“ (KPD), andererseits die reaktionären bürgerlichen bzw. monarchis-<br />

tischen Parteien eine Art „Blockadepolitik“. Die einen wollten nun endlich den Maximen des<br />

Sozialismus <strong>und</strong> dem Beispiel der russischen GenossInnen gemäß einen sozialistischen Staat auf-<br />

bauen, die anderen wollten die Monarchie rekonstruieren oder zumindest den Gr<strong>und</strong>pfeiler der<br />

bürgerlichen Gesellschaft, das Privateigentum, erhalten. Diesen gegensätzlichen Erwartungen<br />

konnte die Verfassung in ihrem Kompromisscharakter nicht gerecht werden.<br />

Auch in der Formulierung der rechtlichen Gleichstellung der Geschlechter machte sich dieser<br />

Kompromisscharakter bemerkbar: Mit dem Zusatz der „Gr<strong>und</strong>sätzlichkeit“ ließ § 109 der<br />

Weimarer Verfassung „modifizierend-einschränkende Lesarten“ 2572 des Gr<strong>und</strong>rechtes auf Gleich-<br />

2570 Die Weimarer Verfassung wurde von dem Sozialdemokraten Hugo Preuss konzipiert <strong>und</strong> am 31. Juli 1919 von der<br />

Nationalversammlung mit 262 gegen 75 Stimmen verabschiedet.<br />

2571 Freytagh-Loringhoven, Die Weimarer Verfassung in Lehre <strong>und</strong> Wirklichkeit, S. 399.<br />

2572 Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung <strong>und</strong> Neuer Weiblichkeit, S. 166.<br />

672


4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN<br />

heit zu. Das wurde von beiden Frauenbewegungen aber bewusst in Kauf genommen 2573 , da auch<br />

sie sich zwar immer für die „Gleichwertigkeit“, aber gegen die „Gleichartigkeit“ der Geschlechter<br />

ausgesprochen hatten. Man sah hier also nicht die Gefahr erneut legitimierter Unterdrückung <strong>und</strong><br />

Beschränkung, sondern im Gegenteil garantierte Flexibilität <strong>und</strong> Berücksichtigung geschlechts-<br />

spezifischer Eigenheiten.<br />

Was bedeutete diese vermeintliche Gleichheit für die weitere Entwicklung der Frauenorga-<br />

nisationen? Mit dem Erreichen ihres Hauptzieles, dem Frauenwahlrecht, löste sich die radikal-<br />

bürgerliche Frauenbewegung auf oder integrierte sich in den gemäßigten Flügel. Die sozialis-<br />

tischen Frauenorganisationen könne man, so Schenk, schon seit der Parteispaltung gar nicht mehr<br />

als “Frauenbewegung“ bezeichnen, sie seien zu „Untergruppierungen der jeweiligen Partei“ 2574 ge-<br />

worden. Tatsächlich wurde auch von Juchacz die Absolutheit der Parteitreue deutscher sozialis-<br />

tischer Frauen kritisch hinterfragt:<br />

„Ja, entwickelt die deutsche sozialistische Frauenbewegung denn gar kein eigenes,<br />

geistiges Leben, schafft sie sich keine eigenen Daseinsformen, läßt sie sich gutwillig<br />

uniformieren <strong>und</strong> fühlt sich wohl dabei?“ 2575<br />

Juchacz bemühte sich 1923 eine Antwort auf diese Fragen zu geben, indem sie von der<br />

Unnötigkeit schrieb, dass das politische Auftreten der Frauen sich spektakulär von dem der<br />

sozialistischen Männer abzusetzen habe:<br />

„Nicht daß wir Aufsehen machen <strong>und</strong> die Augen der Welt auf uns lenken, nein, daß<br />

Gesetzgebung <strong>und</strong> Verwaltung durchdrungen werden von weiblichem Geist, befreit<br />

werden von der Einseitigkeit <strong>und</strong> Starrheit des nur männlich Gerichteten, das ist<br />

das Wesentliche.“ 2576<br />

Und dieses wurde eben nicht besonders auffällig betrieben. Zogen es die Sozialdemokratinnen<br />

also vor, sich in die Politik „einzuschmuggeln“ statt ihre Rechte lautstark einzufordern? War es<br />

nicht dieses Verhalten gewesen, das die Sozialistinnen unter Zetkin den bürgerlichen Frauen als<br />

„Halbheit“ vorgeworfen hatten?! Indem die Sozialdemokratische Partei außerdem „ein zu-<br />

nehmend konservativeres Familien- <strong>und</strong> Frauenbild [entwickelte], das sich nur graduell von dem<br />

anderer bürgerlicher Parteien untersch[ied]“ 2577 , war trotz der positiven Veränderungen für die<br />

Frauen seit dem Beginn der Weimarer Republik eine gr<strong>und</strong>legende Neuerung der <strong>weiblichen</strong><br />

2573 Wenngleich Mathilde Wurm 1923 in der „Gleichheit“ schrieb, dass das zu Ende gegangene Jahr 1922 „noch<br />

immer nicht das in der Verfassung gegebene Versprechen auf gr<strong>und</strong>sätzliche Gleichberechtigung der Frau erfüllt“<br />

(Wurm, Mathilde: Rückblick <strong>und</strong> Ausblick I. In: GL, 33/ 01/ 01.01.1923/ 1) habe, blieb der Protest doch erstaunlich<br />

dürftig.<br />

2574 Schenk, Die feministische Herausforderung, S. 52.<br />

2575 Juchacz, Marie: Die Frau in der deutschen Partei. In: GL, 33/ 9-10/ 1./15.05.1923/ 68.<br />

2576 Ebd.<br />

2577 Schenk, Die feministische Herausforderung, S. 52.<br />

673


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Rolle weder innerhalb der Partei noch innerhalb der Gesellschaft zu erwarten – jedenfalls nicht<br />

basierend auf einer Initiative der unterwürfig zuarbeitenden Parteifrauen.<br />

Verschiedene deshalb naheliegende Pläne zur Gründung einer Frauenpartei hatten jedoch auch<br />

keine Chance, da die Klassenschranken ein geschlechtssolidarisches Vorgehen nach wie vor aus-<br />

schlossen. Es bestätigte sich, so Gerhard, „daß die Geschlechtszugehörigkeit allein noch keinen<br />

politischen Sinn macht“ 2578 . Jedenfalls noch keinen solch erheblichen, dass damit die Klassen-<br />

vorbehalte unerheblich <strong>und</strong> eine geschlechtsgeb<strong>und</strong>ene Etablierung der Frauenbewegung in Form<br />

einer Frauenpartei möglich würde. 2579<br />

Zwar blieben damit die politischen Entscheidungen nicht den Männern überlassen, doch der<br />

geringe Frauenanteil unter den Parlamentsabgeordneten war noch keine hinlängliche Garantie für<br />

die volle Vertretung der Emanzipationsinteressen der deutschen Frauen. Dies bewiesen vor allem<br />

die wirtschaftlichen Regierungsmaßnahmen der ersten Republikjahre.<br />

Staatliche Demobilmachungsmaßnahmen schufen Arbeitsplätze für die heimkehrenden Männer<br />

<strong>und</strong> zwangen die Frauen zurück ins Haus 2580 . Dies war den Frauen ein bekanntes <strong>und</strong> vielleicht<br />

auch nicht unwillkommenes Muster geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung. Trotzdem kann man<br />

nicht sagen, dass sich durch diese Maßnahmen der Arbeitsmarkt auf den Vorkriegsstandard zu-<br />

rückentwickelt hätte. Der Anteil der <strong>weiblichen</strong> Erwerbstätigen in traditionellen Frauenberufen<br />

wie z.B. der Haus- <strong>und</strong> Landwirtschaft sank weiter. Der neue Sektor der Dienstleistung zeigte<br />

dagegen einen stetig anwachsenden Bedarf an Arbeitskräften <strong>und</strong> rückte zunehmend in das<br />

öffentliche Interesse. Mit der steigenden Zahl von Sekretärinnen, Telefonistinnen, Verkäuferinnen<br />

<strong>und</strong> Stenotypistinnen – den kleineren Angestellten –, prägte sich ein neues, vorwiegend städ-<br />

tisches Phänomen aus – der so genannte Typus der „Neuen Frau“. 2581<br />

Die junge Generation dieser Frauen verdiente ihr eigenes Geld <strong>und</strong> diese finanzielle Freiheit hatte<br />

2578 Gerhard, Frauenwahlrecht, S. 27.<br />

2579 Vgl. Schenk, Die feministische Herausforderung, S. 60.<br />

2580 Am 28. März 1919 erfolgte die 1. Verordnung, am 25. Januar 1920 die 2. Verordnung zur Demobilmachung.<br />

Frauen wurden nach Ende des Ersten Weltkrieges in einer fadenscheinigen Reihenfolge der Dringlichkeit aus<br />

ihren Arbeitsverhältnissen entlassen: „1. Frauen, deren Männer Arbeit hatten, 2. alleinstehende Mädchen <strong>und</strong><br />

Frauen, 3. Mädchen <strong>und</strong> Frauen, die nur 1-2 Personen zu versorgen hatten, 4. alle übrigen Mädchen <strong>und</strong> Frauen.“<br />

(zit. nach Thönnessen, Frauenemanzipation, S. 101). Fadenscheinig war diese Dringlichkeitsstufung, weil es<br />

schließlich doch schlicht Ermessenssache des Unternehmers <strong>und</strong> der duldsamen Gewerkschaften war, ob der<br />

Verdienst einer Frau als zusätzlich oder versorgungsnotwendig einzuschätzen sei. Letztendlich stand immer die<br />

Arbeitsplatzbeschaffung für einen Mann im Mittelpunkt, auch wenn vielleicht eine ungenügend versorgte Kriegerwitwe<br />

ihren Arbeitsplatz dafür räumen musste. Siehe: Bessel, Eine nicht allzu große Beunruhigung des Arbeitsmarktes<br />

<strong>und</strong> siehe auch: [Buchheim, Johanna?]: Eine vorübergehende Erscheinung? In: GL, 26/ 02/ 15.10.1915/<br />

9-10.<br />

2581 Vgl. Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung <strong>und</strong> Neuer Weiblichkeit, S. 171ff.. Zur<br />

„Neuen Frau“ siehe: Soden/Schmidt, Neue Frauen: die zwanziger Jahre; Frauenalltag <strong>und</strong> Frauenbewegung im<br />

20. Jahrh<strong>und</strong>ert. Bd. 2: Frauenbewegung <strong>und</strong> die „Neue Frau“ 1890-1933.<br />

674


4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN<br />

zur Folge, dass sie auch andere individuelle Freiheiten beanspruchte. Die „Goldenen Zwanziger“<br />

exponierten durch Kunst, Musik <strong>und</strong> Mode die Eigenarten einer selbstbewussten, lebenslustigen<br />

<strong>und</strong> aufbegehrenden „bubiköpfigen“ Frau. Manche zeitgenössischen Gesellschaftswissen-<br />

schaftlerInnen betrachteten diesen großstädtisch geprägten Typus als Verwirklichung der weib-<br />

lichen Emanzipation par excellence. 2582 Was sie allerdings dabei aus dem Blickfeld verloren, war,<br />

dass der Großteil der Frauen von dieser Entwicklung unbeeinflusst <strong>und</strong> in gegenteiligen Mustern<br />

verhaftet blieb, abgesehen davon, dass diese Formen weiblicher Emanzipation kaum ein Vorbild<br />

sein konnten für die Proletarierin. Außerdem galt auch für die aufstrebenden <strong>weiblichen</strong> An-<br />

gestellten, dass ihre Karrieren denen der Männer zuarbeiteten, sie letzlich auf geschlechtstypische<br />

Hilfskraftpositionen festgelegt waren <strong>und</strong> im Falle der Verheiratung meistens ihr jugendlich-<br />

rebellisches Leben „freiwillig“ aufgaben.<br />

Auf politischer Ebene ist das beste Beispiel für diese von der Mehrheit der Frauen praktizierte<br />

Selbstbescheidung auf die ihnen zugeschriebenen Arbeitsfelder die 1919 von Marie Juchacz ins<br />

Leben gerufene „Arbeiterwohlfahrt“ (AWO). Sie führte als arbeiterspezifische Fürsorge-<br />

organisation die im Krieg begonnene eigenständige proletarische Sozialarbeit fort, richtete<br />

verschiedenste Beratungsstellen, Krankenpflegestationen, Kinder-, Alters- <strong>und</strong> Mütterheime ein.<br />

Zudem bot sie Möglichkeiten zur beruflichen Ausbildung von Sozialarbeiterinnen. Juchacz<br />

entwickelte ein maßgebendes Wohlfahrtskonzept, das alle bisher existierenden sozialdemokra-<br />

tischen Fürsorgeorganisationen zusammenfassen <strong>und</strong> sich durch das Prinzip der „Hilfe zur<br />

Selbsthilfe“ ganz deutlich von der bürgerlichen Almosen-Wohltätigkeit unterscheiden sollte.<br />

Einerseits führte diese Eigenständigkeit damals zu der Frage, „ob mit dem Aufbau eigener<br />

Einrichtungen dem Staat nicht ein Teil seiner Verantwortung für die Gesellschaft genommen“ 2583<br />

würde. Andererseits bietet gerade die AWO bis heute Diskussionsstoff für den Aspekt, dass die<br />

Frauen sich erneut einseitig in dienenden, pflegenden <strong>und</strong> fürsorgerischen Tätigkeitsfeldern<br />

engagieren, anstatt auf die „große“ Politik Einfluss zu nehmen. Dertinger schreibt dazu, dass<br />

„wer so urteilt, vergißt, woher die meisten jener Frauen gekommen waren <strong>und</strong><br />

welche Aufgaben sich ihnen aus eigenem Erleben als vordringlich stellten. Das<br />

Sein bestimmte das Bewußtsein von Frauen wie Marie Juchacz.“ 2584<br />

Fasst man diesen letzten Satz so auf, dass die gesellschaftlichen Umstände, in denen sich die<br />

Frauen wiederfanden, auch ihr Bewusstsein prägten, so ist die Übernahme bestimmter Rollen-<br />

2582 Vgl. Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung <strong>und</strong> Neuer Weiblichkeit, S. 172-173.<br />

2583 Dertinger, Marie Juchacz, S. 225. Siehe auch: Juchacz, Marie: Die Frau in der deutschen Partei. In: GL, 33/ 9-10/<br />

1./15.05.1923/ 68.<br />

2584 Dertinger, Marie Juchacz, S. 215.<br />

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ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

bilder <strong>und</strong> -erwartungen quasi „natürlich“. Dieser Zusammenhang erklärt auch Juchacz‘<br />

Behauptung in der Nationalversammlung, dass die Sozialpolitik Gebiete aufweise, „an denen das<br />

weibliche Geschlecht ganz besonders interessiert <strong>und</strong> für welche das weibliche Geschlecht ganz<br />

besonders geeignet“ 2585 sei. Vor dem Hintergr<strong>und</strong> des legitimen Anspruchs der Frauen auf Teilhabe<br />

in allen gesellschaftlichen Bereichen hätte aber das Bewusstsein, also der bewusste Teil der<br />

Frauenbewegung, solche „natürlichen“ Rollenerwartungen zurückweisen <strong>und</strong> auf die gesellschaft-<br />

lichen Umstände, auf das „Sein“, einwirken müssen.<br />

Die AWO zeigte zwar, indem sie Bezug auf Themen der proletarischen Lebenswelt nahm, ähnlich<br />

wie die allgemeinen Bildungskonzepte der Proletarierinnen den eigenständigen Weg prole-<br />

tarischer Kultur <strong>und</strong> Organisation auf, sie förderte aber zugleich die Entwicklung zurück zu einem<br />

stereotypen Frauenbild. 2586 Frevert fasst die Konsequenzen dieser „eher konservativen Linie“ so<br />

zusammen: Sie<br />

„trug den Frauenbewegungen von der kritischeren Jugendbewegung den Vorwurf<br />

ein, sie hätten abgewirtschaftet <strong>und</strong> ihre innovative, umgestaltende Kraft eingebüßt;<br />

für männliche Politiker wiederum hatten sie ihren aufreizenden Stachel<br />

verloren <strong>und</strong> waren zum ungefährlichen, kalkulierbaren Faktor des politischen<br />

Systems geworden.“ 2587<br />

Haben die <strong>weiblichen</strong> Politikerinnen sich selbst <strong>und</strong> ihre Geschlechtsgenossinnen demnach um<br />

die Rechte <strong>und</strong> Möglichkeiten, die ihnen die Weimarer Verfassung geboten hatte, betrogen?<br />

Woher kam der Widerspruch zwischen der Fülle neuer Rechte <strong>und</strong> der Bereitschaft, von ihnen<br />

Gebrauch zu machen? 2588 Wahrscheinlich waren den Frauen ihre Chancen nicht ersichtlich genug,<br />

<strong>und</strong> das politische System <strong>und</strong> seine Freiheiten zu ungewohnt, zu komplex.<br />

So ergab sich für die proletarische Frauenbildung ein neues Bildungsziel. Die Proletarierinnen<br />

mussten zu Republikanerinnen erzogen werden, die loyal zur deutschen Republik stehen <strong>und</strong> sich<br />

2585 Ebd., S. 214.<br />

2586 Zur weiteren Entwicklung der AWO schreibt Dertinger: „Bei ihrem Verbot [durch die Nationalsozialisten, M.S.]<br />

zählte die Arbeiterwohlfahrt, die sich seit Februar 1933 auf die illegale Weiterarbeit in Tarnorganisationen<br />

vorzubereiten suchte, 2600 Ortsausschüsse (heute Ortsvereine) mit 1414 Beratungsstellen <strong>und</strong> mehr als 135 000<br />

ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeitern. Die Nationalsozialisten übernahmen H<strong>und</strong>erte von vorbildlich<br />

arbeitenden Einrichtungen: Lehrlings-, Klub-, Erwachsenen- <strong>und</strong> Kindererholungsheime, mehr als tausend<br />

Nähstuben, Kinderkrippen, -gärten <strong>und</strong> -tagesstätten, Werkstätten <strong>und</strong> eine Reihe von gemeinnützig arbeitenden<br />

Wirtschaftsbetrieben, […]. Damit wurden bedeutende Ergebnisse einer sozialen Reformidee vernichtet <strong>und</strong><br />

Leistungen Tausender sozialdemokratischer Frauen.“ (Dertinger, Marie Juchacz, S. 225-227). Auch Thönnessen<br />

zieht diese Verbindung zwischen proletarischer Wohlfahrtsarbeit <strong>und</strong> dem Nationalsozialismus: „Der Nationalsozialismus<br />

übernimmt von der gewaltsam unterdrückten Sozialdemokratie, […] gerade die Sozialarbeit der<br />

Frauen <strong>und</strong> enthüllt sie damit als Mittel zur Verhinderung, nicht zur Realisierung der Frauenbefreiung.“ (Thönnessen,<br />

Frauenemanzipation, S. 7-8). Dertinger betont die Vernichtung der reformerischen Arbeit der SPD-Frauen,<br />

Thönnessen dagegen die Integrierbarkeit in die NSDAP-Organisationen, weil sie unterschwellig eben doch<br />

reaktionär war.<br />

2587 Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung <strong>und</strong> Neuer Weiblichkeit, S. 167.<br />

2588 Wurms, <strong>Von</strong> heute an gibt’s mein Programm, S. 21.<br />

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4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN<br />

ihrer Rechte bewusst sein sollten. Die bürgerliche Frauenrechtlerin Agnes Zahn-Harnack (1884-<br />

1950) formulierte treffend:<br />

„Aufgabe der folgenden Generation wird es nun sein, zu erwerben, was sie<br />

besitzen.“ 2589<br />

Der Erwerb, die verinnerlichende Aneignung zuerkannter Rechte, wurde zum neuen Aufgaben-<br />

gebiet der gesamten Frauenbewegung. Was würde es schließlich dem äußerst umstrittenen jungen<br />

Staat einbringen, wenn er seinen Bürgerinnen zwar eine Vielzahl an Rechten einräumte, diese sie<br />

aber nicht zu nutzen wüssten?!<br />

Die innere Zerrissenheit des noch im Werden begriffenen Staates machte vieles unkalkulierbar. So<br />

auch das Wahlverhalten der Frauen, in das gerade auch die Sozialdemokratie soviel Schulungs-<br />

arbeit investiert hatte. Zwei Tage vor der Wahl zur Nationalversammlung im Januar 1919, äußerte<br />

sich Juchacz als damalige Redakteurin der „Gleichheit“ sehr skeptisch zu dem möglichen<br />

Wahlausgang. Sie bezeichnete das Frauenwahlrecht als einen „neuen ungewissen Faktor“ 2590 des<br />

politischen Lebens <strong>und</strong> setzte bewusst nur geringe Erwartungen in die Ergebnisse der Wahlen.<br />

Tatsächlich hatten die ersten Wahlen der neuen deutschen Republik einen überraschend positiven<br />

Verlauf für die bürgerlich-konservativen Parteien. Obwohl die Sozialdemokratie stärkste Fraktion<br />

wurde, ging das konservative Zentrum als eigentlicher Sieger aus den Wahlen hervor. 2591<br />

Auch Proletarierinnen hatten die politische Vertretung der katholischen Konfession gewählt. Dies<br />

ergaben Analysen getrenntgeschlechtlicher Wahlstatistiken 2592 <strong>und</strong> ließ die „Gleichheit“-Mitarbei-<br />

terInnen an der politischen Reife ihres Klientels erneut zweifeln:<br />

„Kirchenthrone <strong>und</strong> Altäre wackelten wieder einmal bedenklich <strong>und</strong> wären sicher<br />

umgefallen, hätte man nicht euch Frauen, euch liebe, warmherzige, stets mitleidbereite<br />

Frauen zu Hilfe gerufen – <strong>und</strong> ihr ließet euch gerne rufen, kamet in Massen,<br />

zeugtet – nicht für die Kraft der Idee, wohl aber für die Wucht der Herde! Hättet<br />

ihr es aus echtem Mitleid getan, gut! Daß ihr es aber aus altem Autoritätsglauben<br />

2589 Zahn-Harnack, Die Frauenbewegung, S. 285.<br />

2590 Vor neuen Pflichten. In: GL, 29/ 08/ 17.01.1919/ 57.<br />

2591 Am 13. Februar 1919 hatte sich unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Philipp Scheidemann die sogenannte<br />

„Weimarer Koalition“ aus SPD, DDP <strong>und</strong> Zentrum als erste demokratische Regierung Deutschlands<br />

konstituieren müssen, weil der SPD keine absolute Mehrheit der Stimmen zugefallen war. Die Wahl zum<br />

1. Reichstag am 6. Juni 1920 fügte dieser christlich-sozialen Koalition einen erheblichen Stimmenverlust zu. Es<br />

bildete sich eine neue Koalition aus DDP, DVP <strong>und</strong> Zentrum. Damit war dann die SPD genauso wie die USPD<br />

von der Regierung ausgeschlossen.<br />

2592 Anlässlich der Reichstagswahl 1920 gaben bei einem katholischen Bevölkerungsanteil ganz Deutschlands von<br />

knapp einem Drittel nur 20% aller männlichen <strong>und</strong> fast 29% aller <strong>weiblichen</strong> Wähler ihre Stimme dem Zentrum.<br />

In der katholischen Hochburg Köln ist dieses geschlechtsspezifische Stimmenverhältnis noch extremer: Hier<br />

wählten 27,8% der Männer, aber 44,7% der Frauen die katholische Partei der bürgerlichen Mitte (vgl. Frevert,<br />

Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung <strong>und</strong> Neuer Weiblichkeit, S. 169). Zur Publikation getrenntgeschlechtlicher<br />

Wahlstatistiken siehe: Wirkungen des Frauenstimmrechts. In: GL, 31/ 06/ 15.03.1921/ 54.<br />

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ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

tatet, das ist das Traurige.“ 2593<br />

Die „Gleichheit“ warf den Frauen vor, nicht gemäß ihrem politischen Wissen, sondern gemäß<br />

ihrem „christlichen“ Mitgefühl gewählt zu haben. Vor allem wurde sie durch das Wahlverhalten<br />

ihres Klientels auf erschütternde Weise mit ihrem offenk<strong>und</strong>igen agitatorisch-erzieherischen Ver-<br />

sagen konfrontiert. In einem verbitterten Ton veröffentlichte sie ihre eigenen Vermutungen über<br />

die Ursachen des Wahlausgangs:<br />

„Die eine wählte nur eine Vo l k s partei, ob bayrisch oder deutsch, das gilt ihr<br />

gleich; die andere erklärt, jetzt bestimmt nicht mehr mehrheitssozialistisch oder gar<br />

unabhängig wählen zu wollen wie die letzen Male, weil man da doch nur windigen<br />

amerikanischen Speck bekommen hätte <strong>und</strong> weil das Packerl Suppengrün immer<br />

noch 20 Pf. kostet – trotz der Sozi in der Regierung; die eine wählt wie ihr Schatz<br />

wählt, weil er halt gestern wieder gar zu lieb war; die andere wählt gerade s e i n e<br />

Partei nicht, weil er sie heute versetzt hat wegen der Wahlarbeit; manche verbitterte<br />

Frau wählt den Kandidaten ihres Mannes nicht, weil sie auch gar nichts mehr mit<br />

ihm gemein haben möchte; eine andere legt in den einen Umschlag den Wahlzettel<br />

eines Kommunisten, weil er gar so schön geredet hat, <strong>und</strong> in den anderen<br />

Umschlag den Stimmzettel ihres Mannes für die Mittelpartei, damit dem ehelichen<br />

Gehorsam doch einigermaßen Genüge geleistet wird; die eine wählt extra die<br />

Kandidatin ihrer Partei nicht (wie leider auch manche Männer), weil sie halt bloß<br />

eine Frau ist; Dienstmädchen halten sich für standeserhöht, wenn sie die Kandidaten<br />

ihrer Herrschaft wählen, […].“ 2594<br />

Damit sprach die „Gleichheit“ den Frauen in auffällig enttäuschtem Tenor jede politische Reife<br />

<strong>und</strong> das Bewusstsein für die getroffene Wahlentscheidung ab.<br />

Vermutlich hatten sich in ebenso großer Enttäuschung die proletarischen Wählerinnen von der<br />

SPD abgewendet, weil sie dieser als Regierungspartei die Verantwortung für die bedrückenden<br />

Missverhältnisse anlasteten. 2595 So gesehen waren die Wahlentscheidungen der Frauen sehr wohl<br />

selbständig <strong>und</strong> bewusst getroffen, nur waren sie für überzeugte Sozialistinnen nicht nachvoll-<br />

ziehbar.<br />

Albrecht u. a. konstatierten, dass das Wahlverhalten dem Umstand zuzuschreiben sei, dass die<br />

Frauen während ihrer kriegsbedingten gesellschaftlichen Einflussnahme weder genügend poli-<br />

tischen Willen noch politische Macht entwickelt hätten. 2596 Die Konsequenzen, die die<br />

proletarische Frauenbewegung aus den Wahlniederlagen zog, mussten also vor allem pädago-<br />

gischer Art sein. Denn politischen Willen oder politische Macht vermochten die Frauen nur zu<br />

entwickeln, wenn sie sich mit den neuen Gegebenheiten vertraut machten.<br />

2593 O ihr Frauen! In: GL, 30/ 26/ 26.06.1920/ 212.<br />

2594 Ebd., S. 211f. Siehe auch: Scheuer-Insel, Else: Stimmungsbilder am Wahltage. In: GL, 30/ 26/ 26.06.1920/ 210-<br />

211.<br />

2595 Vgl. Albrecht/u. a., Frauenfrage <strong>und</strong> deutsche Sozialdemokratie, S. 506.<br />

2596 Ebd.<br />

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4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN<br />

Die „Gleichheit“ musste vieles auf einmal leisten: Die Identifikation der Frauen mit der neuen<br />

Republik als einem demokratischen System <strong>und</strong> damit die Abkehr von bisherigen Kampfzielen 2597 ,<br />

ihre Aufklärung über ihre neuen Rechte 2598 <strong>und</strong> die Identifizierung ihrer neuen Feinde. Letztere<br />

waren nicht mehr nur auf der rechten Seite zu finden, sondern auch auf der linken, noch dazu in<br />

Gestalt ehemaliger GenossInnen. 2599 Damit hatte die „Gleichheit“ mehr Klärungs- als Auf-<br />

klärungsarbeit zu leisten <strong>und</strong> legte nicht nur in ihrem ab 1919 geführten Untertitel „Zeitschrift für<br />

die Frauen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands” 2600 Zeugnis für ihre Zugehörigkeit zur<br />

SPD ab. Die proletarische Frauenbewegung musste ihre SPD-Schulungsarbeit intensivieren. Als<br />

Bildungsziel stand jetzt nicht mehr die staatskritische Bewusstwerdung zur Klassenkämpferin im<br />

Mittelpunkt, sondern die Identifizierung mit der Republik. Einer Republik, die für die Sozial-<br />

demokratie das Feld ihrer – nun mehr auf Reformen reduzierten – gesellschaftsverändernden<br />

Politik war <strong>und</strong> von der die Frauen nicht von Beginn an völlig überzeugt waren. Je mehr die<br />

Republik jedoch später von nationalistisch-monarchistischen Tendenzen bedroht wurde, desto<br />

mehr verhielten sich die Frauen zu ihr loyal. Sie sahen die Republik als ein Haus: „Ständig ver-<br />

besserungsfähig, stets ausgestaltungsmöglich.“ 2601 Und manchmal verstanden sie es, dieses Bild<br />

mit ihrer sozialistischen Überzeugung zu verknüpfen:<br />

„[w]ir wollen in Forderung <strong>und</strong> Erzwingung des Gemeinschaftssinnes uns Wohnungen<br />

darin bauen. Und dem Sozialismus muß, kraft unseres Zutuns, die Zukunft<br />

gehören.“ 2602<br />

Die zu verfolgende Bildungsstrategie war nun, die Bürger <strong>und</strong> Bürgerinnen der neuen Republik in<br />

der ungewohnten Staatsform, in ihren neuen Rechten <strong>und</strong> Pflichten zu unterweisen. Für die<br />

„Gleichheit“-Autorin Olga Essig hing vom Erfolg dieser Erziehung zum Rechtsstaat <strong>und</strong> zum<br />

Sozialismus das “Sein oder Nichtsein der Deutschen Republik“ 2603 ab:<br />

„Die Quelle aller staatsbürgerlichen Bildungsarbeit muß die neue deutsche Reichsverfassung<br />

bilden. Ihr Inhalt muß dem Wortlaut <strong>und</strong> dem Geiste nach schnellstens<br />

Gemeingut des Volkes werden. Das gilt in erster Linie für den konstruktiven Teil,<br />

2597 Bohm-Schuch, Clara: Wir wollen! In: GL, 30/ 18/ 01.05.1920/ 130 (in diesem Artikel ging es Bohm-Schuch um<br />

die Verwirklichung des Sozialismus ohne Diktatur).<br />

2598 [Bohm-Schuch, Klara] C. B.-Sch.: Frauenfragen in der Nationalversammlung. In: GL, 29/ 24/ 02.08.1919/ 185-<br />

186.<br />

2599 Bohm-Schuch, Clara: Der Kampf gegen die Regierung! In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 209-210; Wir <strong>und</strong> die andern.<br />

In: GL, 30/ 26/ 26.06.1920/ 209.<br />

2600 Vgl. GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 249.<br />

2601 Büsing, Erna: Die Zertretenen. In: GL, 32/ 24/ 15.12.1922/ 218.<br />

2602 Ebd.<br />

2603 Essig, Olga: Staatsbürgerliche Schulung sozialistischer Frauen. In: GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 249.<br />

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ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

der die Bildung des Volkswillens <strong>und</strong> die Organe zu seiner Durchführung bestimmt.“<br />

2604<br />

Essig hielt den Verfassungstext für das geeignetste Lehrmittel einer neuen intensiveren Bildungs-<br />

arbeit <strong>und</strong> entwickelte für die organisierte inhaltliche Bearbeitung der Verfassung einen<br />

detaillierten Lehrplan. 2605 Die neue politische Frauenbildung, das mussten schließlich auch Sozia-<br />

listinnen wie Essig erneut eingestehen, wies jedoch altbekannte Schwierigkeiten auf. Diese waren<br />

vorwiegend sozialisationsbedingt <strong>und</strong> somit allein durch eine „prinzipielle“ geschlechtliche<br />

Gleichheit, wie sie die neue Verfassung verbürgen sollte, nicht ohne weiteres zu bewältigen. Des-<br />

halb sollte z. B. – trotz aller von der Verfassung gewährten prinzipiellen Gleichheit der<br />

Geschlechter – die politische Schulung immer noch in speziellen Frauengruppen erfolgen. Essig<br />

begründete diese Notwendigkeit mit dem mehr als ein halbes Jahrh<strong>und</strong>ert betragenden Vorsprung<br />

der Männer. Die Frauen hätten sich außerdem in einem angemessenen Rahmen mit den<br />

gewöhnungsbedürftigen neuen Frauenrechten, die im Unterschied zu den Rechten der Männer<br />

schon rein quantitativ verschieden seien, auseinanderzusetzen. Ohnehin müsse<br />

„innerhalb der politischen Gleichberechtigung der Geschlechter infolge<br />

physiologischer <strong>und</strong> psychologischer Unterschiede auf gewissen Gebieten des<br />

wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Gemeinschaftslebens eine Arbeitsteilung bzw.<br />

Differenzierung eintreten <strong>und</strong> gesetzgeberisch formuliert werden“ 2606 .<br />

Mehr als die „prinzipielle“ Gleichheit wollten die SPD-Frauen demnach gar nicht. Sie waren<br />

bereit, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung weiterhin zu tragen, wollten aber gut darauf<br />

vorbereitet werden.<br />

Die politische Schulung der Frauen würde so ein erhebliches Pensum umfassen. Neben den<br />

„allgemein staatsrechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen, kultur- <strong>und</strong> außenpolitischen Fragen“ 2607 ,<br />

sollten diese weiterhin in Problemen der „Ehe, Mutterschaft, Kindererziehung <strong>und</strong> -fürsorge,<br />

häuslichen <strong>und</strong> außerhäuslichen Frauenarbeit, Berufsbildung usw., sowie [in den][…]<br />

Möglichkeiten gesetzgeberischer Regelung dieser Gebiete“ 2608 unterrichtet werden.<br />

Die Sozialistinnen waren aber nicht nur davon überzeugt, dass eine getrenntgeschlechtliche<br />

Schulung aus rein lerntechnischen Gründen notwendig war. Sie warfen auch einen kritischen<br />

Blick auf die bisherigen Leistungen der männerdominierten Gesellschaft:<br />

2604 Ebd.<br />

2605 Vgl. ebd.<br />

2606 Ebd., S. 250.<br />

2607 Ebd.<br />

2608 Ebd.<br />

680<br />

„Der alte, nun zusammengebrochene Staat war ausschließlich von Mannesgeist<br />

geformt <strong>und</strong> regiert; an dessen höchster Steigerung zum Militarismus ging er zu-


gr<strong>und</strong>e.“ 2609<br />

4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN<br />

Wurde von Seiten der Siegermächte den Deutschen die Kriegsschuld <strong>und</strong> die verheerenden zivili-<br />

sationszerstörerischen Folgen angelastet, so wurde dies von Seiten der Frauen den Männern<br />

vorgeworfen. Das „weibliche Wesen“ sollte nun – wie es bereits Heilbut vor Kriegsende formu-<br />

liert hatte – heilend auf die zerrüttete Welt wirken <strong>und</strong> einen erneuten männlich-militaristischen<br />

Wahn verhindern.<br />

Unverkennbar schwang hier erneut das Prinzip der Mütterlichkeit mit, denn nur<br />

„[d]ie staatsbürgerlich geschulte Mutter […] verbürgt der sozialistischen Republik<br />

das Heranwachsen einer neuen Generation, die in Liebe, in Arbeit <strong>und</strong> Stille den<br />

wahren Sozialismus aufbaut, dem die Revolution die Bahn freigemacht hat.“ 2610<br />

Nach den kämpferischen Wirren der Revolution erhofften sich die Sozialistinnen einen friedlichen<br />

Aufbau eines neuen Staates. Die soziale Verpflichtung als Mutter <strong>und</strong> deren Interessen sollten ge-<br />

stärkt <strong>und</strong> so die Frau für die Sozialdemokratie geworben werden.<br />

Minna Todenhagen schrieb in der „Gleichheit“, dass die Weimarer Verfassung erstmals sogar eine<br />

„Verpflichtung“ zur politischen Teilhabe formuliere:<br />

„Nach Art. 133 sind alle Staatsbürger verpflichtet, persönliche Dienste für den<br />

Staat <strong>und</strong> die Gemeinde zu leisten. Die gegebene Vorbereitung für diesen Dienst ist<br />

die Mitarbeit in der Partei.“ 2611<br />

War es möglich, parteiliches Engagement von oben zu verordnen? Und wenn – standen dem<br />

Engagement der Frauen nicht noch immer neben unzureichender Schulung <strong>und</strong> parteiinternem<br />

Antifeminismus auch sozialisationsbedingte Hemmnisse entgegen?!<br />

Die entpolitisierende Wirkung dieser Hemmnisse wurde von den Sozialistinnen zunehmend er-<br />

kannt. So konstatierte Marie Schulze in ihrer Analyse zu den Ursachen der politischen Indifferenz<br />

der Frau, dass<br />

„nicht allein in der Belastung mit häuslichen Pflichten […] der Gr<strong>und</strong> zu suchen<br />

[sei], sondern in der Hauptsache an der falschen Erziehung unserer schulentlassenen<br />

Mädchen. […] Unsere jungen Mädchen sehen leider alles unter dem<br />

Gesichtswinkel der Verheiratung. […] Was aus ihnen wird, wenn sich diese Hoffnung<br />

nicht erfüllt, daran denken sie nicht. So sind sie, wenn sie wirklich in die Ehe<br />

kommen, nicht an politisches Denken gewöhnt. […] Wenn wir also die geistige<br />

Trägheit der Frau bekämpfen wollen, müssen wir vor allem den Sinn unserer<br />

jungen Mädchen von den Nichtigkeiten des Lebens auf die wirtschaftlichen <strong>und</strong><br />

politischen Geschehnisse lenken <strong>und</strong> dürfen nicht dulden, daß sie ihr Leben von<br />

2609 F. P.: Die Frauen im neuen Staat. In: GL, 29/ 08/ 17.01.1919/ 64.<br />

2610 Essig, Olga: Staatsbürgerliche Schulung sozialistischer Frauen. In: GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 250.<br />

2611 Todenhagen, Minna: Klassenkampf <strong>und</strong> Staatssinn, II. In: GL, 31/ 10/ 15.03.1921/ 96.<br />

681


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Anfang an gedankenlos auf den Mann einstellen.“ 2612<br />

Wieder wurde ähnlich der „sozialistischen Frauenemanzipationstheorie“ der Erwerbstätigkeit eine<br />

politisierende <strong>und</strong> aufklärende Wirkung zugeschrieben, die den jungen Frauen den Irrglauben an<br />

ein sorgenfreies Eheleben nehmen sollte.<br />

Aber nicht nur die persönlichen Versorgungsstrategien der Mädchen wurden als entpolitisierend<br />

entlarvt, auch die im Elternhaus praktizierte Ungleichbehandlung der Geschlechter <strong>und</strong> die die<br />

Söhne bevorzugende Erziehung:<br />

„An Euch, Ihr Mütter, ist es, Eure Töchter verstehen zu lernen; gebt ihnen freie<br />

Zeit für ihre Bildung <strong>und</strong> Vervollkommnung. Laßt ihre geistigen Fähigkeiten <strong>und</strong><br />

Anlagen nicht verkümmern, sonst versündigt Ihr Euch am heranwachsenden<br />

Geschlecht.“ 2613<br />

Die Mütter hatten aus ihrer eigenen Unterdrückung durch die Eltern meist nichts gelernt <strong>und</strong><br />

gaben somit überholte Strukturen an die nächste Generation weiter. Aus Sicht der Frauenbewe-<br />

gung bedurfte es hingegen gerade verständnisvoller, die Unabhängigkeit der Töchter fördernder<br />

Mütter.<br />

Dieser generationenübergreifenden Förderung hätte es anscheinend auch in der gesamten<br />

deutschen Frauenbewegung bedurft. Laut Stoehr lässt sich jedoch anhand von drei Erscheinungs-<br />

formen ein Bruch der Generationen aufzeigen:<br />

„1. blieb der Nachwuchs weg; die Frauenbewegung wurde immer älter; 2. hatten<br />

schon vor dem 1. Weltkrieg die Jugendorganisationen einen großen Zulauf erhalten<br />

(insbesondere die Zahl der organisierten Mädchen hatte sich vervielfacht); <strong>und</strong><br />

gegen Ende der 20er Jahre machte vor allem die Attraktivität der NS-Jugendorganisationen<br />

zu schaffen; 3. kam es auf mehreren Generalversammlungen des B<strong>und</strong>es<br />

Deutscher Frauenvereine (BDF) zu offenen Auseinandersetzungen zwischen<br />

jüngeren <strong>und</strong> älteren Frauen.“ 2614<br />

Nach fünfzig Jahren organisierter Frauenbewegung musste man feststellen, dass immer noch die<br />

Frauen der ersten St<strong>und</strong>e die Richtung der Bewegung vorgaben. Der wenige Nachwuchs, der sich<br />

in den Vereinen <strong>und</strong> Verbänden engagieren wollte, fand erstarrte Strukturen vor <strong>und</strong> kam nicht mit<br />

ihnen zurecht. In ihren Augen, schreibt Stoehr, seien „Statuten, Satzungen, Geschäftsordnungen<br />

<strong>und</strong> Tagesordnungen […] Ausdruck der ‘Entleerungen’ aller gegenwärtigen Formen des öffent-<br />

lichen Lebens ‘von Sinn <strong>und</strong> Ziel’“ 2615 gewesen.<br />

Es war wie ein Hohn des Schicksals: Die Frauenbewegung hatte in ihren Anfängen um die<br />

2612 Schulze, Marie: Die Ursachen der politischen Interessenlosigkeit der Frau. In: GL, 32/ 01/ 01.01.1922/ 9.<br />

2613 Turtz, Hans: Gebt Euren Mädchen freie Zeit! In: GL, 30/ 27/ 03.07.1920/ 220.<br />

2614 Stoehr, Neue Frau <strong>und</strong> Alte Bewegung?, S. 390.<br />

2615 Ebd., S. 396.<br />

682


4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN<br />

Überwindung der hemmenden Strukturlosigkeit <strong>und</strong> um die Gründung von strukturgebenden<br />

Vereinen kämpfen müssen. Mit diesem Kampf um Gründung von Dachverbänden oder ihrer Ver-<br />

bindung mit der Arbeiterbewegung hatte sie ihre gesellschaftliche Einflussnahme erhöhen wollen.<br />

Nun, zum Zeitpunkt eines hohen Organisationsgrades, stellten diese „Errungenschaften“ für die<br />

unter freieren Umständen erwachsene Frauengeneration plötzlich ein Problem dar. Die „Gleich-<br />

heit“ dagegen schien stets neue Mitarbeiterinnen zu gewinnen <strong>und</strong> gab diesen auch die<br />

Möglichkeit, sich auf führenden Posten zu bewähren. Ihren Niedergang als die führende prole-<br />

tarische Frauenzeitschrift konnte dies jedoch auch nicht aufhalten.<br />

Im Sommer 1920 initiierte die „Gleichheit“ eine öffentliche Debatte – ähnlich der von 1908 – zu<br />

der Reformierung der nun mehr „Frauenabende“ genannten Vereinstätigkeiten. Auch hier wurde<br />

verstärkt das Prinzip der Mütterlichkeit <strong>und</strong> der Schulung zur Sozialarbeit in den Mittelpunkt<br />

gerückt. W. Birnbaum (?-?) 2616 eröffnete die Debatte um die Frauenabende mit dem Vorschlag,<br />

man solle die Schulung der Frauen noch stärker der <strong>weiblichen</strong> „Vorstellungswelt anpassen, [sich]<br />

an Gefühl, Gemüt <strong>und</strong> Seele wenden.“ 2617 Die Frauenabende sollten Lesungen in deutscher<br />

Dichtung <strong>und</strong> Prosa, Lieder zur Laute oder Volkslieder, Mottoabende wie „Frühlingsabend“ oder<br />

eine „September-Zusammenkunft“ 2618 bieten. Selbst die Überleitung zu theoretischeren Themen<br />

wie Steuer-, Kommunal- <strong>und</strong> Mietfragen ließen ihrer Meinung nach eine solch zwanglose,<br />

populäre Ausgestaltung zu. 2619 Birnbaum richtete die Frauenabende somit als Kulturver-<br />

anstaltungen aus, die mehr der Mitgliederwerbung als der Mitgliederschulung Rechnung tragen<br />

sollten. Mit ähnlicher theorieabstinenter Tendenz favorisierte Wachenheim die stärkere praktische<br />

Mitarbeit der Frauen in der politischen Öffentlichkeit:<br />

„Sie [die Frauen, M.S.] müssen bei ihrem nächsten natürlichen Interessengebiet<br />

gepackt werden. Sie sind Mütter oder können es werden. Sie sind als solche Bewahrerinnen<br />

des Lebens, Hüterinnen des schwächsten Lebens, das wollen sie zur<br />

Entfaltung bringen. Ihnen liegt die Fürsorge, die Pflege des Körpers <strong>und</strong> Geistes,<br />

also Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Erziehungsfragen bzw. Wohlfahrtspflege am nächsten“ 2620<br />

Wachenheim sah also genau wie die Politikerin Juchacz die politische Betätigung der Frau vor-<br />

nehmlich auf dem Sektor der Fürsorge als gegeben an. Auch die Verfassung sollte den Frauen<br />

nicht über die Besprechung ihrer staatsrechtlichen Konsequenzen näher gebracht werden, sondern<br />

2616 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu W.<br />

Birnbaum.<br />

2617 Birnbaum, W.: Zur Ausgestaltung der Frauenabende. In: GL, 30/ 31/ 31.07.1920/ 254.<br />

2618 Vgl. ebd., S. 255.<br />

2619 Vgl. ebd.<br />

2620 Wachenheim, Hedwig: Vorschläge zur Frauenbildungsarbeit. In GL, 30/ 32/ 07.08.1920/ 258-259.<br />

683


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

über die gesetzlichen Neuerungen auf dem sozialen Sektor. Insgesamt entwickelten sich die<br />

Frauenabende der Nachkriegszeit immer noch bzw. wieder in die im Krieg eingeschlagene für-<br />

sorgerische bzw. vor 1908 aufgezwungene unpolitische Richtung. Nicht mehr das gemeinsame<br />

Lesen theoretischer Texte – <strong>und</strong> damit die Vermittlung sozialistischer Gedanken – stand im<br />

Mittelpunkt, sondern praktische Sozialarbeit, Anleitung zu Hilfe <strong>und</strong> Selbsthilfe im alltäglichen<br />

Leben.<br />

Die Bildungskonzepte zur Republikanerin umfassten also Althergebrachtes wie das mütterliche<br />

Prinzip oder recht kraftlose Berufungen auf den Sozialismus. Im Vergleich zu der vor dem Krieg<br />

angestrebten Bildung zur Klassenkämpferin war der Theoriegehalt der von den AutorInnen der<br />

„Gleichheit“ formulierten Bildungsziele nun minimal. Der historische Materialismus oder der<br />

Klassenkampf waren nicht mehr Gegenstände proletarischer Bildung. Es stand vielmehr die<br />

harmonische Integration in das bisher noch unfertige Staatssystem im Mittelpunkt. 2621 Die sozia-<br />

listische Theorie, die „Waffe der Kritik“, die Niggemann als „Waffe der Frauen gegen die noch<br />

nicht überw<strong>und</strong>enen Vorurteile der Männer“ 2622 charakterisierte, setzten die Sozialdemokratinnen<br />

nicht mehr in dem Maße ein wie unter Zetkins Führung. Obwohl sich weiterhin ein Abweichen<br />

vom Prinzip der Gleichheit innerhalb der Partei abzeichnete, blieben die führenden Sozialdemo-<br />

kratinnen der Parteilinie treu <strong>und</strong> diskreditierten demgemäß die unabhängige, an den sozialis-<br />

tischen Gr<strong>und</strong>sätzen festhaltende Konkurrenz, die USPD, so gut sie konnten. 2623 Die SPD<br />

arrangierte sich derweil mit den gegebenen Umständen <strong>und</strong> versuchte, mittels revisionistischer<br />

Strategien die deutsche Gesellschaft, die trotz Krieg <strong>und</strong> Revolution immer noch bürgerlich ge-<br />

prägt war, umzuwandeln statt umzustürzen.<br />

Dieses völlige Abweichen von den sozialistischen bzw. marxistischen Gr<strong>und</strong>sätzen analysierte der<br />

Pädagoge <strong>und</strong> Marxist Otto Rühle (1874-1943). Er bezeichnete Juchacz‘ Koredakteur Schulz, der<br />

für die theoretische Bildungsarbeit innerhalb der Arbeiterbewegung maßgeblich verantwortlich<br />

war, als Paradebeispiel dafür, „daß man ein guter Kopfmarxist <strong>und</strong> doch dabei ein miserabler<br />

Klassenkämpfer sein kann“ 2624 . Schulz war seiner Meinung nach ein „Verräter am Marxismus“ 2625<br />

2621 So schrieben Wurm <strong>und</strong> Radtke-Warmuth 1922 zu ihrem gemeinsamen Redaktionsantritt, dass die SPD zwar<br />

einen Kampf gegen den Kapitalismus <strong>und</strong> für den Sozialismus führe, dass die Mitarbeit am Aufbau der Republik<br />

aber Etappe auf diesem Weg sei (vgl. Wurm, Mathilde / Radtke-Warmuth, Elli: Was wir wollen. In: GL, 32/ 21/<br />

01.11.1922/ 189).<br />

2622 Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus, S. 231.<br />

2623 Vgl. Bohm-Schuch, Clara: Wir <strong>und</strong> die anderen. In: GL, 30/ 26/ 26.06.1920/ 209.<br />

2624 Rühle, Illustrierte Kultur- <strong>und</strong> Sittengeschichte des Proletariats, S. 250.<br />

2625 Ebd.<br />

684


4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN<br />

geworden. Seine Bildungsarbeit hätte sich theoretisch ausgezeichnet durch die „Betonung der<br />

marxistischen Gr<strong>und</strong>auffassung der klassenkämpferischen Einstellung [<strong>und</strong>] […] der sozia-<br />

listischen Zielsetzung“ 2626 . In der politischen Praxis hätte dagegen die „völlige Preisgabe der<br />

marxistischen Orientierung, [die] unbedingte Abkehr vom Klassenkampfstandpunkt [<strong>und</strong> die]<br />

offenk<strong>und</strong>ige Ignorierung des sozialistischen Endziels“ 2627 stattgef<strong>und</strong>en.<br />

Rühle konnte sich diesen Widerspruch zwischen Theorie <strong>und</strong> Praxis, wie er meiner Meinung nach<br />

unleugbar von Anfang an in den proletarischen Bildungsentwürfen bestanden hatte, nur mit der<br />

Mangelhaftigkeit der gesamten bisher geleisteten Bildungsarbeit erklären. Auch das Ausbleiben<br />

jeglichen Widerstandes der angeblich marxistisch geschulten Massen gegen die revisionistische<br />

Parteiführung ließe sich damit erklären:<br />

„Wo regt sich ein Hauch des marxistisch entflammten Massenzorns? Nichts regt<br />

sich, kein Protest, keine Revolte im Parteilager. […] Welch ein Marxismus muß in<br />

diesen Kursen, Arbeitsgemeinschaften <strong>und</strong> Seminaren verzapft werden! Wie muß<br />

die Schulung zum Klassenkampf beschaffen sein, die den Schülern nicht bis unter<br />

die Haut geht, die alle Sünden am Geist der proletarischen Entwicklung unwidersprochen,<br />

alle Verbrechen an der Idee des Sozialismus ungestraft läßt!“ 2628<br />

Die Erziehung zum selbständigen Denken wird hier von dem Marxisten Rühle als Deckmantel<br />

einer Erziehung zur Parteikonformität entlarvt. Innerhalb der Bildungsstrategien der Arbeiter-<br />

bildung wurde allerdings beides nur allzu oft miteinander vermengt.<br />

Die sich hauptsächlich auf die von Schulz geprägte marxistische Schulung der männlichen<br />

Arbeiter beziehende Kritik Rühles trifft m. E. nicht auf die unter Zetkin organisierte proletarische<br />

Frauenbildung zu. War Zetkin doch in ihrem Pazifismus, ihrem Primat des Historischen Materia-<br />

lismus <strong>und</strong> ihrer Akzentuierung der Theorielehre eine konsequente Verfechterin des originären<br />

Marxismus gewesen. Allerdings muss auch hier gefragt werden, wie die „Ära Zetkin“ so<br />

scheinbar völlig ohne Nachwirkung bleiben konnte. Denn von der Frauenbildungsarbeit, die nach<br />

der Entlassung Zetkins von den Sozialdemokratinnen geleistet wurde, bleibt trotz des revolu-<br />

tionären Aufbruchs Weimars nur mit den Worten Rühles zu sagen: Sie war „meilenfern jener<br />

großen Menschenbildung im Sinne des revolutionären Marxismus“ 2629 .<br />

Doch auch jene marxistische Menschenbildung scheint nicht mehr die Qualitäten einer Klassen-<br />

kämpferin oder eines „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ angestrebt zu haben. Denn in ihrer Analyse<br />

verschiedener proletarischer Romane der 1920er Jahre, deren Autoren fast alle dem 1928 ge-<br />

gründeten „B<strong>und</strong> der proletarisch-revolutionären Schriftsteller“ angehörten, konstatiert Andresen,<br />

2626 Ebd., S. 251.<br />

2627 Ebd.<br />

2628 Ebd., S. 251/ 252.<br />

2629 Vgl. ebd., S. 252.<br />

685


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

dass sie selten das Bild der Frau als das einer Kämpferin darstellten:<br />

„Meistens sind die dargestellten Frauen Mütter der revolutionären Kämpfer, deren<br />

Ehefrauen oder Fre<strong>und</strong>innen. Sie selbst haben keinen direkten Bezug zum Kampf.<br />

Sie sitzen ängstlich zu Hause <strong>und</strong> warten, in der Hoffnung, daß ihre Söhne <strong>und</strong><br />

Männer heil aus den kämpferischen Gefechten zurückkehren.“ 2630<br />

Der Bruch mit dem traditionellen Frauenbild hatte hier selbst in der Literatur, in der Alternativen<br />

unabhängig von der Realität hätten entwickelt werden können, nicht stattgef<strong>und</strong>en. 2631<br />

Für die frauengeschichtlichen <strong>und</strong> frauenbiographischen Inhalte der „Gleichheit“ hatte die<br />

Wandlung im Frauenleitbild der Sozialdemokratie erhebliche Auswirkungen. Es erfolgte, wie in<br />

Kapitel 3.1. <strong>und</strong> 3.2. aufgezeigt, ein starker Rückgriff auf die Geschichte der 1848er-Revolution<br />

<strong>und</strong> ihre Forderung nach Demokratie. Auch wenn vorrangig die Bedeutung des Proletariats an den<br />

revolutionären Ereignissen dargestellt wurde, blieb der Klassenkampf, gar sein internationaler<br />

Gedanke, unberücksichtigt. Auch die historischen <strong>weiblichen</strong> Vorbilder wurden von „Gleichheit“-<br />

Autorinnen wie Anna Blos dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert entnommen. Es handelte sich meist um gebildete<br />

<strong>und</strong> bürgerlich-revolutionäre Frauen, die in Artikeln porträtiert wurden, deren Duktus sich kaum<br />

vom Duktus derjenigen Artikel unterschied, die die Vorzüge „weiblicher Vollmenschen“ cha-<br />

rakterisierten. Hätten Frauen, die an der Französichen Revolution oder an der 1848er-Revolution<br />

teilgenommen haben Vorbild für die „Gleichheit“-Leserinnen sein sollen, so hätte der Duktus,<br />

hätte ihre Darstellung als „Republikanerinnen“ eine ausgeprägtere sein müssen. Die Artikel, die ja<br />

tatsächlich zu aktiven <strong>und</strong> politisch bewussten Revolutionärinnen wie Mary Wollstonecraft <strong>und</strong><br />

Luise Aston erschienen, wären für ein gebotenes republikanisches Leitbild entwicklungsfähig<br />

gewesen, doch sie legten andere Schwerpunkte.<br />

Die Vorzüge einer Klassenkämpferin dagegen waren nur noch in Nekrologen von führenden<br />

Partei- <strong>und</strong> vermehrt Gewerkschaftsgenossinnen zu finden. Internationale Genossinnen fanden<br />

fast gar keine Erwähnung mehr – der Blick über den „deutschen Tellerrand“ hinaus gab es nicht<br />

mehr. Diese Entwicklung setzte sich fort, so dass auch nach Einstellung der „Gleichheit“ zu be-<br />

obachten war, dass die sozialdemokratische Frauenbewegung ihre Vorbilder in bürgerlichen<br />

Kreisen suchte. 2632 So musste Wurm auf der Reichsfrauenkonferenz in Kiel 1927 mit Bedauern<br />

2630 Andresen, Knorrig wie eine Eiche, S. 148. Andresen konstatierte allgemein: „Die Arbeiterbewegung ist eine<br />

kulturell männliche Bewegung. Ihre Symbole, Lieder, Bilder sind männlich.“ (ebd., S. 144). Eine Aussage, die<br />

sich mit der Lektüre der „Gleichheit“ relativieren müsste, wenn sich auch damit das in der Öffentlichkeit gepflegte<br />

Bild nicht verändert.<br />

2631 Zur Analyse der Klischees in der linken Trivialliteratur aus dem Umkreis des „B<strong>und</strong> der proletarisch-revolutionären<br />

Schriftsteller“ siehe auch: Rohrwasser, Saubere Mädel starke Genossen.<br />

2632 Eine Untersuchung der „Genossin“ <strong>und</strong> vor allem der „Frauenwelt“ hinsichtlich frauengeschichtlicher <strong>und</strong> frauenbiographischer<br />

Inhalte steht meines Wissens jedoch noch aus.<br />

686


4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN<br />

<strong>und</strong> Unverständnis feststellen, dass eine Genossin, die aufgefordert worden war, im Radio über<br />

die Vorkämpferinnen der sozialistischen Frauenbewegung zu sprechen, lediglich Bezug auf Hed-<br />

wig Dohm oder Ellen Key genommen, aber Zietz <strong>und</strong> Ihrer unerwähnt gelassen habe:<br />

„Wir brauchen wirklich nicht nach jenen zu greifen, die niemals auf unserer Seite<br />

gestanden <strong>und</strong> gekämpft haben, sondern können Vorkämpferinnen der Menschheit<br />

<strong>und</strong> des Sozialismus anführen – auch wenn sie, wie Klara Zetkin, leider nicht mehr<br />

in unserem Lager stehen –, die sich unsterbliches Verdienst um Aufklärung <strong>und</strong><br />

Befreiung der Frau erworben haben. (Bravo! <strong>und</strong> Händeklatschen.).“ 2633<br />

Wurm wollte die Bedeutung Dohms <strong>und</strong> Keys für die Emanzipation der Frauen nicht schmälern<br />

oder gar eine „reinliche Scheidung“ initiieren, aber sie wollte auch nicht die Bedeutung ihrer Mit-<br />

kämpferinnen ignoriert sehen. Ähnlich wie hier bisher dargestellt, erfasste Wurms Fre<strong>und</strong>in <strong>und</strong><br />

Weggefährtin Dora Fabian (1901-1934) 2634 den Zwiespalt einer Erziehung zur Republikanerin<br />

<strong>und</strong> einer Erziehung zur Klassenkämpferin:<br />

„Wir haben gestern <strong>und</strong> heute viel von dem staatsbürgerlichen Bewußtsein gehört,<br />

zu dem Frauen erzogen werden müßten. Wir haben aber leider sehr wenig von<br />

einem anderen Bewußtsein gehört, zu dem die Frauen erzogen werden müssen,<br />

nämlich von dem Klassenbewußtsein. Wir haben wenig davon gehört, daß die<br />

proletarische Frau in erster Linie nicht Staatsbürgerin, sondern proletarische Klassenkämpferin<br />

zu sein hat.“ 2635<br />

Die Vernachlässigung des Klassenbewusstseins hatte laut Fabian zur Folge, dass sich Sozialdemo-<br />

kratinnen in bürgerlich-republikanischen Frauenvereinen engagierten <strong>und</strong> sich nun sogar in „erster<br />

Linie [als][…] Republikanerinnen“ 2636 , nicht mehr als <strong>Klassenkämpferinnen</strong> verstanden.<br />

So spiegelte sich in dem vorherrschenden Frauenleitbild der „neuen“ „Gleichheit“ der Pragma-<br />

tismus einer in einem bürgerlich-parlamentarischen System „angekommenen“ politischen<br />

Bewegung. Neben aller berechtigten demokratischen Aufbruchsstimmung hätten die Sozialdemo-<br />

kratinnen der Weimarer Republik mehr Klassenkritik wagen müssen.<br />

2633 Wurm im Bericht der Reichsfrauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages Kiel 1927, S. 317.<br />

2634 Dora Fabian, geb. Heinemann, war Tochter des Rechtsanwalts Hugo Fabian, der sich sehr stark in der SPD<br />

engagierte. Fabian trat bereits als junge Frau der SPD bei. 1922-1928 studierte sie Nationalökonomie <strong>und</strong> schloss<br />

dieses Studium in Gießen mit einer Promotion ab. Im selben Jahr erschien ihre Schrift „Arbeiterschaft <strong>und</strong><br />

Kolonialpolitik“ (1928). Sie heiratete den politisch engagierten Schriftsteller <strong>und</strong> Lehrer Walter Fabian, von dem<br />

sie sich 1930 gütlich scheiden ließ. Fabian arbeitete als Sekretärin <strong>und</strong> Übersetzerin für den preußischen<br />

Justizminister Kurt Rosenfeld <strong>und</strong> lernte im Rahmen dieser Tätigkeit Mathilde Wurm kennen. Es verband sie eine<br />

Fre<strong>und</strong>schaft mit dem Schriftsteller <strong>und</strong> Politiker Ernst Toller. 1931 wandte sie sich von der SPD ab <strong>und</strong> wurde<br />

Mitglied der SAP. Nach einer Verhaftung durch die Gestapo emigrierte Fabian erst in die Schweiz <strong>und</strong> schließlich<br />

1933 nach England. 1934 starben sie <strong>und</strong> Wurm unter sehr mysteriösen Umständen. Die von Scotland Yard<br />

angestellten Nachforschungen über einen möglichen Anschlag nationalsozialistischer Agenten blieben ergebnislos.<br />

Es verdichtete sich die Annahme, dass Fabian vor allem unter einer unerwiderten Liebe litt <strong>und</strong> schließlich die<br />

Verzweiflung über die politische Situation in Deutschland den Suizid der beiden Frauen motivierte. In die<br />

Recherchen für die vorliegende Arbeit wurden Artikel Fabians für die „Gleichheit“ nicht einbezogen.<br />

2635 Fabian ebd., S. 332.<br />

2636 Ebd.<br />

687


4.6 „[…] reich an Mitgefühl <strong>und</strong> Hilfsbereitschaft gegenüber fremdem Leid, reich<br />

an Bürgersinn <strong>und</strong> Bürgertugend, stark in der Pflichttreue[…]“ – Die<br />

Ausnahmeerscheinungen bürgerlicher Frauenrechtelei<br />

Das Verhältnis der „Gleichheit“ als Organ der proletarischen Frauenbewegung zur bürgerlichen<br />

Frauenbewegung war, wie in den ersten Kapiteln dieser Arbeit dargestellt, sehr gespannt. Doch<br />

trotz „reinlicher Scheidung“ ließ es sich die „Gleichheit“ nicht nehmen, die Persönlichkeiten<br />

der bürgerlichen Frauenbewegung in Nachrufen oder Jubiläumsartikeln zu ehren. Geschickter-<br />

weise ließ sie diese Gelegenheit nicht ungenutzt, ihre eigene Sicht auf diese Frauen <strong>und</strong> ihr<br />

Wirken zu verdeutlichen. Vor allem Zetkin gab dabei ihrem Bedauern Ausdruck, dass es diesen<br />

Frauen nicht gelungen war, hinter der Frauenfrage die soziale Frage, hinter der Frage der<br />

Emanzipation der Frau die der allgemein-menschlichen Emanzipation zu erkennen. Untersucht<br />

man die nachfolgenden biographischen Artikel auf ihr Erscheinungsjahr, so fällt auf, dass sie<br />

überwiegend noch unter der Redaktion Zetkins veröffentlicht wurden. Die neue Redaktion<br />

scheint Artikel dieser Art entweder hauptsächlich in den Beilagen oder gar nicht veröffentlicht<br />

zu haben. Vielleicht bedurfte das Verhältnis zur bürgerlichen Frauenbewegung aber auch keiner<br />

öffentlichen Wertschätzung mehr. Die Zeiten, in denen ein striktes „Hüben <strong>und</strong> Drüben“ galt,<br />

waren mit der gemeinsamen Arbeit im „Nationalen Frauendienst“ während der Kriegsjahre, mit<br />

dem Wechsel in der „Gleichheit“-Redaktion <strong>und</strong> dem errungenen Frauenwahlrecht vorbei.<br />

Eine der ersten Frauen, die sich für die Arbeiterinnen engagierte, als es noch keine<br />

klassenspezifische Trennung der Frauenorganisationen gab, war Marianne Menzzer (1814-<br />

1895). Sie sei, so Ihrer in einem Nachruf, eine „verdiente Vorkämpferin für Frauenrechte, eine<br />

Demokratin vom alten, unbeugsamen Schlag“ 2637 gewesen. Menzzer war Schwägerin des<br />

Mitbegründers der freireligiösen Bewegung Gustav Adolf Wislicenus. Sie arbeitete besonders<br />

an der Erstellung <strong>und</strong> Veröffentlichung von Statistiken zu den Löhnen <strong>und</strong> Arbeitsbedingungen<br />

Thüringer Arbeiterinnen. Zusammen mit Johanna Wecker trat sie für die Gründung von Rechts-<br />

schutzvereinen für Arbeiterinnen ein <strong>und</strong> war Ratgeberin für die Leiterinnen von Frauen-<br />

vereinen. Regelmäßig nahm sie an Volksversammlungen teil <strong>und</strong>, obwohl sich ihr Augenlicht<br />

stetig verschlechterte, verfolgte das politische Geschehen durch die Lektüre der Tageszei-<br />

tungen. In Wort <strong>und</strong> Tat setzte sie sich für die Interessen der Arbeiterinnen ein.<br />

Mit Menzzer, so Ihrer weiter, habe die bürgerliche Frauenbewegung in kurzer Zeit die dritte<br />

Frau verloren, denen sie ihre Gründung verdanke <strong>und</strong> die mit ihrem Engagement viel riskiert<br />

hatten:<br />

2637 [Ihrer, Emma?] E. J.: Marianne Menzzer †. In: GL, 05/ 15/ 24.07.1895/ 114.<br />

689


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

„Eine Wecker, eine Otto-Peters <strong>und</strong> eine Menzzer haben für die Gleichberechtigung<br />

ihres Geschlechtes zu einer Zeit gekämpft, wo diese Gleichberechtigung<br />

nicht blos ‘den Narren eitel Thorheit dünkte’, wo die Forderung von Frauenrechten<br />

allgemein einem Wahnsinn gleichgeachtet wurde, wenn nicht gar einem Verbrechen<br />

gegen göttliche, sittliche oder natürliche Ordnung.“ 2638<br />

Doch Menzzer stellte sich nicht nur gegen die „guten Sitten“ der patriarchalischen Gesellschaft,<br />

sie stellte sich auch gegen die innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung gepflegten Klassen-<br />

vorurteile. Sie gehörte zu den wenigen Frauenrechtlerinnen, die bei der Gründung des BDF 1893<br />

gegen den Beschluss protestiert hatten, die Arbeiterinnenvereine von einer Mitgliedschaft auszu-<br />

schließen. Durch diese Geisteshaltung hob sich Menzzer unter ihren Klassengenossinnen be-<br />

sonders hervor. Ihrer verehrte in ihr eine „opferfreudige[…], selbstlose[…], warmherzige[…] <strong>und</strong><br />

energische[…] Frau“ 2639 , die ihren Idealen „bis zum letzten Athemzuge“ 2640 treu geblieben sei.<br />

Anna Schepeler-Lette (1827-1897) war seit 1866 langjährige Vorsitzende des so genannten<br />

„Lettevereins“. Dieser von ihrem Vater gegründete <strong>und</strong> nach ihm benannte Verein habe, so Zetkin<br />

als die vermutliche Verfasserin des Nachrufes, „durch seine Einrichtungen […] H<strong>und</strong>erten bürger-<br />

licher Frauen zu Lebensunterhalt <strong>und</strong> würdigem Lebensinhalt verholfen“ 2641 . Es seien „eng<br />

gesteckte[…] Grenzen“ 2642 gewesen, in denen dieser Verein – wenn auch nützlich – wirkte. Der<br />

Persönlichkeit <strong>und</strong> dem Streben Schepeler-Lettes würden aber auch diejenigen nicht eine<br />

„[w]arme Anerkennung […] versagen, die auf einem anderen <strong>und</strong> weiteren Gebiet als der Lette-<br />

verein für die Interessen des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts kämpfen“ 2643 . So auch nicht die „Gleichheit“,<br />

die gemeinsam mit ihren Leserinnen für die weitergehende Umgestaltung der Gesellschaft<br />

kämpfte.<br />

Sie war eine Vertreterin der evangelisch-sozialen Richtung der bürgerlichen Frauenbewegung,<br />

doch Emilie Gerok (?-1898) unterschied sich von ihren Gesinnungsgenossinnen, weil sie „eine<br />

wahrhaft demokratische Denkart“ 2644 pflegte. In den Augen Zetkins zeichnete sie sich auch<br />

dadurch aus, dass sie soziale Reformarbeit <strong>und</strong> nicht Wohltätigkeit leisten wollte. Über ihren<br />

Charakter schrieb Zetkin:<br />

2638 Ebd.<br />

2639 Ebd.<br />

2640 Ebd.<br />

2641 Frau Anna Schepeler-Lette … In: GL, 07/ 21/ 13.10.1897/ 166.<br />

2642 Ebd.<br />

2643 Ebd.<br />

2644 Eine treue, warme Fre<strong>und</strong>in der Frauensache <strong>und</strong> der Interessen des arbeitenden Volkes … In: GL, 08/ 22/<br />

690<br />

26.10.1898/ 176.


4.6 „[…] REICH AN MITGEFÜHL UND HILFSBEREITSCHAFT GEGENÜBER FREMDEM LEID, REICH AN BÜRGERSINN UND BÜRGERTUGEND, STARK IN DER PFLICHTTREUE[…]“ –<br />

DIE AUSNAHMEERSCHEINUNGEN BÜRGERLICHER FRAUENRECHTELEI<br />

„Was sie als recht erkannte, dem lebte sie nach, unbekümmert um Anerkennung<br />

von unten <strong>und</strong> die Mißbilligung von oben nicht scheuend, eine gerade, klare Natur,<br />

in Wort <strong>und</strong> Tat, ‘furchtlos <strong>und</strong> treu’ nach echter Schwabenart“ 2645 .<br />

Demnach dürfte Zetkin Gerok auch deshalb etwas besser gekannt haben, weil beide in Schwaben<br />

lebten <strong>und</strong> wirkten. Wie Zetkin, so nahm auch Gerok wenig Rücksicht auf die eigene körperliche<br />

Konstitution. Trotz eines ges<strong>und</strong>heitlichen Leidens beteiligte sie sich an einer von der General-<br />

kommission der Gewerkschaften veranlassten Erhebung zur Lage der Arbeiterinnen verschiedener<br />

Gewerbe. Zetkin war voll des Lobes:<br />

„Und wie hat sie mitgarbeitet! Mit der vollen Energie einer Ges<strong>und</strong>en, mit der<br />

ganzen Pflichtreue der Ueberzeugung. Erst die äußerste Verschlimmerung ihrer<br />

Krankheit riß sie aus den Reihen der Mitarbeiterinnen, <strong>und</strong> noch auf ihrem<br />

Schmerzenslager quälte sie der Gedanke, für eine Arbeit mitverantwortlich zu sein,<br />

an deren Abschluß sie nicht mehr Theil nehmen konnte.“ 2646<br />

Nicht ihre Krankheit habe sie gequält, sondern das Wissen um eine unerledigt gebliebene Auf-<br />

gabe. Diese Selbstaufopferung Geroks, welche an Selbstzerstörung grenzte, beeindruckte Zetkin<br />

anscheinend sehr.<br />

Die „Gleichheit“ hatte in ihrer internationalen Ausrichtung stets auch die bürgerliche Frauen-<br />

bewegung des Auslandes im Blick. So berichtete sie auch über die in New York verstorbene<br />

Mitbegründerin <strong>und</strong> langjährige Vorsitzende der „Internationalen Frauen-Temperenz-Bewegung“<br />

Frances Willard (1839-1898).<br />

In einer ersten Notiz zum Tode Willards ging die „Gleichheit“ noch nicht auf deren Lebensweg<br />

ein, weil eine detailliertere Biographie noch folgen sollte. Diese erschien allerdings erst viele<br />

Monate später. In jener Notiz, die vermutlich aus der Feder Zetkins stammte, heisst es:<br />

„Gewiß, die Bedeutung, welche sie der Temperenzbewegung beilegte, läßt auf eine<br />

gewisse Unklarheit <strong>und</strong> Beschränktheit im Erfassen gesellschaftlicher Verhältnisse<br />

schließen. Gewiß, Miß Willard vertrat eine durchaus bürgerliche Auffassung der<br />

Frauenfrage. Aber die Begabung, Charakterstärke, Opferfreudigkeit <strong>und</strong> Begeisterung,<br />

mit der sie jederzeit für ihre Ueberzeugungen eintrat, verdienen rückhaltslose<br />

Bew<strong>und</strong>erung.“ 2647<br />

Zetkin differenzierte hier im Falle Willards deutlich zwischen politischer Sache <strong>und</strong> Person.<br />

Der zweite Artikel über Willard informierte die „Gleichheit“-Leserinnen darüber, dass sie im Staat<br />

New York im Dorf Churchville in bescheidene Familienverhältnisse hineingeboren wurde. Der<br />

Vater, der noch des Öfteren seine beruflichen Arbeitsverhältnisse wechseln sollte, verwaltete ein<br />

2645 Ebd.<br />

2646 Ebd.<br />

2647 Eine der verdienst- <strong>und</strong> charaktervollsten Vorkämpferinnen für Frauenrechte, Miß Frances Willard … In: GL, 08/<br />

08/ 13.04.1898/ 64.<br />

691


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Ladengeschäft. Er <strong>und</strong> seine Frau, eine frühere Lehrerin, hätten eine sehr glückliche Ehe geführt.<br />

Beide waren stetig um die eigene Weiterbildung bemüht <strong>und</strong> ließen auch ihren Kindern – zwei<br />

Töchtern <strong>und</strong> einem Sohn – eine gute Bildung zukommen.<br />

Unter Anderem begann der Vater ein Studium am Oberlin College in Ohio, das von Anhängern<br />

der Sklavenbefreiungsbewegung <strong>und</strong> progressiven Christen getragen wurde. Er wollte Geistlicher<br />

werden, gab diesen Plan jedoch auf <strong>und</strong> zog mit seiner Familie – Willard war damals sieben Jahre<br />

alt – nach Wisconsin. Ihr arbeitsreiches Leben auf ihrer dortigen Farm habe Willards „Blick für<br />

das Praktische <strong>und</strong> das Geschick zur Organisation“ 2648 geprägt. In dieser ländlichen Abgeschieden-<br />

heit übernahmen es die Eltern, ihre Kinder zu unterrichten – die Mutter in den Elementarfächern<br />

sowie in Literatur <strong>und</strong> Geschichte, der Vater in Botanik <strong>und</strong> anderen Naturwissenschaften. Auch<br />

die sportlichen Fähigkeiten wurden beim Spielen in der freien Natur gut ausgebildet. In dieser<br />

gr<strong>und</strong>legenden Bildung machten die Eltern keine geschlechtsspezifischen Unterschiede, doch eine<br />

höhere Berufsausbildung wollte der Vater nur dem Sohn zukommen lassen. Erst seine Ehefrau<br />

überzeugte ihn davon, auch den Töchtern dieses Recht zuzugestehen.<br />

Die Familie zog nach Evanston bei Chicago. Die Töchter besuchten dort die Frauenhochschule,<br />

während der Vater eine Anstellung in einem Bankhaus annahm. Willard war 19 Jahre alt, als sie<br />

mit dem vierjährigen Lehramtsstudium begann. Anschließend wurde sie Lehrerin an einer kleinen<br />

Privatschule, hatte aber weiterhin familiäre Pflichten zu erfüllen:<br />

„Sie widmete sich ihrem Beruf mit Eifer <strong>und</strong> Pflichttreue, arbeitete an ihrer Bildung<br />

weiter, half der Mutter bei der Führung der Hausgeschäfte <strong>und</strong> unterstützte<br />

materiell den Bruder während seiner Universitätsstudien.“ 2649<br />

Schon in dieser Zeit habe sie, so Zetkin, „eine ungewöhnliche Arbeitsfreudigkeit <strong>und</strong> einen hohen<br />

selbstlosen Opfermut“ 2650 entwickelt. Schwer traf sie dann der Tod von Schwester <strong>und</strong> Vater.<br />

Willard erhielt die Gelegenheit, als Privatlehrerin die Tochter eines reichen Farmers auf einer<br />

zweijährigen Reise durch Europa, Ägypten <strong>und</strong> Palästina zu begleiten. Zurück in den USA wurde<br />

sie 1877 Leiterin des Evanston Colleges <strong>und</strong> widmete sich vermehrt der Frauenbewegung <strong>und</strong> den<br />

Mäßigkeitsbestrebungen, mit welchen sie sympathisierte, da in ihrer Familie nie Alkohol<br />

getrunken wurde. Willard forderte als Schriftstellerin <strong>und</strong> Rednerin die Gleichberechtigung des<br />

<strong>weiblichen</strong> Geschlechts mit gleichem Enthusiasmus wie die Alkoholabstinenz. Sie vertrat dabei<br />

prinzipiell die<br />

„Auffassung, daß die unmittelbare Betheiligung der Frauen am öffentlichen Leben<br />

im Interesse ihrer freien Entwicklung eine Nothwendigkeit <strong>und</strong> von großem Vor-<br />

2648 Frances Willard. In: GL, 08/ 26/ 21.12.1898/ 202.<br />

2649 Ebd., S. 203.<br />

2650 Ebd.<br />

692


4.6 „[…] REICH AN MITGEFÜHL UND HILFSBEREITSCHAFT GEGENÜBER FREMDEM LEID, REICH AN BÜRGERSINN UND BÜRGERTUGEND, STARK IN DER PFLICHTTREUE[…]“ –<br />

theil für die Gesammtheit sei“ 2651 .<br />

DIE AUSNAHMEERSCHEINUNGEN BÜRGERLICHER FRAUENRECHTELEI<br />

Als Vorsitzende des „Christlichen Mäßigkeitsb<strong>und</strong>es“ von Chicago initiierte sie die Gründung des<br />

„Nationalen Frauenb<strong>und</strong>es für Mäßigkeitsbestrebungen“, welche in der Gründung des „Inter-<br />

nationalen Frauenverbands für Mäßigkeitsbestrebungen“ mündete, dessen langjährige Vorsitzende<br />

Willard wurde. 2652 Auf dem Gebiet der Frauenrechte trat sie für das Frauenwahlrecht ein. Dieses<br />

habe sie, so Zetkin, „richtig“ 2653 als „Waffe“ erkannt, <strong>und</strong> den Kampf um dieses folglich als<br />

„Kernpunkt jeder ernsten Frauenbewegung“ 2654 . So gründete Willard den „B<strong>und</strong> für die Erlangung<br />

des Frauenwahlrechts“ mit <strong>und</strong> leitete ihn von 1888 bis zu ihrem Tode. Als Rednerin bereiste sie<br />

die USA <strong>und</strong> legte dafür innerhalb eines Jahres 30.000 Meilen mit der Eisenbahn zurück. Außer-<br />

dem führten sie ihre Agitationsreisen auch mehrmals nach England.<br />

Willard veröffentlichte eine Autobiographie, eine Biographie ihrer Mutter <strong>und</strong> ein Buch für junge<br />

Mädchen. In verschiedenen Artikeln, Broschüren <strong>und</strong> Flugschriften befasste sie sich mit der<br />

Frauenfrage, mit der Temperenzfrage, mit religiösen Problemen <strong>und</strong> mit der Prostitution. Doch, so<br />

die Kritik Zetkins, wenn Willard auch ihre „Auffassung stets mit großer Energie <strong>und</strong> Wärme“ 2655<br />

vertrat,<br />

„[i]n allen Materien, die sie behandelte, sind ihre Ausführungen nicht tief <strong>und</strong><br />

erheben sich wenig über das durchschnittliche frauenrechtlerische Erfassen sozialer<br />

Einrichtungen“ 2656 .<br />

Abgesehen davon, dass ihre Ziele den Horizont der bürgerlichen Gesellschaft kaum überschritten,<br />

war Willard doch eine besondere Persönlichkeit, so besonders, dass an ihrem Todestag die Re-<br />

gierung in Washington alle Flaggen auf Halbmast hissen ließ.<br />

Ebenfalls anerkennenswert war der ausgesprochen internationale Charakter ihrer Auffassung <strong>und</strong><br />

ihres Wirkens. Willard war „eine der hervorragendsten Frauenrechtlerinnen der USA <strong>und</strong><br />

Englands, ja der gesammten Welt“ 2657 . Eine solch überschwängliche, für Zetkin untypische Be-<br />

urteilung einer bürgerlichen Frauenrechtlerin ist nur verständlich durch das<br />

2651 Ebd.<br />

„hohe[…] Maß vorzüglicher Eigenschaften des Geistes <strong>und</strong> Charakters, daß<br />

[Willard][…] als Person auch der sozial Andersdenkende volle Hochachtung <strong>und</strong><br />

Sympathie zollen muß“ 2658 .<br />

2652 Vgl. ebd., S. 204.<br />

2653 Ebd., S. 203.<br />

2654 Ebd.<br />

2655 Ebd., S. 204.<br />

2656 Ebd.<br />

2657 Ebd., S. 202.<br />

2658 Ebd.<br />

693


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Wenn sie auch die Wirkung <strong>und</strong> Bedeutung der Temperenzbewegung überschätzte <strong>und</strong> für eine<br />

rein bürgerliche Lösung der Frauenfrage stand, so urteilte Zetkin hinsichtlich ihrer Person doch<br />

erstaunlich differenziert:<br />

„[N]icht das Was ihrer Ansichten, sondern das Wie ihres Wirkens für dieselben<br />

hebt Frances Willard hoch über die Alltagsmenschen empor. In edelster Selbstlosigkeit,<br />

in nimmer erkaltender Begeisterung hat sie ihre große Begabung in den<br />

Dienst ihrer Ueberzeugung gestellt. Sie war ein selten reiner <strong>und</strong> starker Charakter,<br />

ein schönes Beispiel der hohen Tugenden, welche die Frau im Kampfe für die Idee<br />

zu entfalten vermag.“ 2659<br />

Willard ist Beispiel eines „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“, der sich – abgesehen von einer „gewisse[n]<br />

Unklarheit <strong>und</strong> Beschränktheit im Erfassen gesellschaftlicher Verhältnisse“ 2660 – mit großer „Be-<br />

gabung, Charakterstärke, Opferfreudigkeit <strong>und</strong> Begeisterung“ 2661 an die Spitze einer Bewegung<br />

setzte <strong>und</strong> nach Meinung Zetkins dafür „rückhaltslose Bew<strong>und</strong>erung“ 2662 verdient.<br />

Eine andere bürgerliche Frauenrechtlerin – „eine der besten, hervorragendsten“ 2663 Deutschlands –<br />

war Jeanette Schwerin (1852-1899). Sie war die Tochter eines Arztes, der als 1848er<br />

Revolutionär gekämpft hatte. Auch ihre Mutter war sehr liberal eingestellt <strong>und</strong> leitete den „Verein<br />

zur Förderung Fröbelscher Kindergärten“. Schwerin absolvierte eine Schule für Höhere Töchter<br />

<strong>und</strong> besuchte anschließend die von Lina Morgenstern gegründete „Akademie zur wissenschaft-<br />

lichen Fortbildung für junge Damen“. Ihr Ehemann, ein Sanitätsrat, unterstützte ihre sozialen<br />

Interessen <strong>und</strong> Vereinstätigkeiten.<br />

Nach Meinung Zetkins, die die Verfasserin dieses Nachrufes sein dürfte, war an Schwerin<br />

besonders deren Erkenntnis zu würdigen, dass nicht Wohltätigkeit, sondern nur „die Unter-<br />

stützung des proletarischen Kampfes für soziale Reformen <strong>und</strong> soziale Befreiung“ 2664 das Elend<br />

der Arbeiterklasse beenden könne. Schwerin wurde Mitglied der „Deutschen Gesellschaft für<br />

ethische Kultur“. Durch die Unterstützung ihres Vorsitzenden Georg von Gizycki wie auch durch<br />

ein Studium der Nationalökonomie <strong>und</strong> der Geschichte entwickelte sie bald ein tiefer gehendes<br />

sozialpolitisches Verständnis. Schließlich stand sie in der ersten Reihe der Kämpferinnen für die<br />

Gleichberechtigung der Frau <strong>und</strong> für soziale Reformen. Dabei sei sie auch den sozialistischen<br />

Ideen immer nähergekommen, habe aber „ihrer Ueberzeugung nicht öffentlich unumw<strong>und</strong>en<br />

2659 Ebd., S. 204.<br />

2660 Eine der verdienst- <strong>und</strong> charaktervollsten Vorkämpferinnen für Frauenrechte, Miß Frances Willard … In: GL, 08/<br />

08/ 13.04.1898/ 64.<br />

2661 Ebd.<br />

2662 Ebd.<br />

2663 Jeanette Schwerin †. In: GL, 09/ 16/ 02.08.1899/ 126.<br />

2664 Ebd., S. 127.<br />

694


4.6 „[…] REICH AN MITGEFÜHL UND HILFSBEREITSCHAFT GEGENÜBER FREMDEM LEID, REICH AN BÜRGERSINN UND BÜRGERTUGEND, STARK IN DER PFLICHTTREUE[…]“ –<br />

DIE AUSNAHMEERSCHEINUNGEN BÜRGERLICHER FRAUENRECHTELEI<br />

Ausdruck [gegeben]“ 2665 . Dies hatte neben persönlichen vor allem auch praktische Gründe.<br />

Schwerins Ges<strong>und</strong>heitszustand hätte eine agitatorische Tätigkeit unter dem Proletariat kaum<br />

zugelassen. Außerdem dachte sie, so Zetkin,<br />

„der Arbeiterklasse am besten dadurch zu dienen, daß sie in der bürgerlichen Welt,<br />

zumal unter den Frauenrechtlerinnen, sozialpolitisches Verständniß verbreitete“ 2666 .<br />

Dies tat sie schließlich auch. Innerhalb des BDF setzte sich Schwerin für die Gründung einer<br />

Kommission zum Thema Arbeiterinnenschutz ein, war Vorkämpferin für die Anstellung von<br />

Fabrikinspektorinnen, organisierte einen Ausbildungskursus für weibliche Gewerbeaufsichts-<br />

beamte <strong>und</strong> engagierte sich auch für die gewerkschaftliche Organisation der Arbeiterinnen,<br />

Letzteres jedoch in den liberalen Gewerkschaften. Außerdem war sie Redakteurin des „Zentral-<br />

blattes des B<strong>und</strong>es deutscher Frauenvereine“.<br />

Schwerin saß wie auch andere bürgerliche Frauenrechtlerinnen zwischen gleich mehreren<br />

Stühlen: zwischen radikaler <strong>und</strong> gemäßigter bürgerlicher Frauenbewegung ebenso wie zwischen<br />

bürgerlicher <strong>und</strong> proletarischer Frauenbewegung. Schwerin schlug „ihr Zelt an der Grenze<br />

zwischen zwei Welten“ 2667 auf <strong>und</strong> musste deshalb, so Zetkin,<br />

„kompromisseln, abschwächen, zaudern, schweigen, wo sie gern geredet hätte, <strong>und</strong><br />

reden, wo ihr Schweigen lieber gewesen wäre“ 2668 .<br />

Auch wenn sie dadurch die Kritik der Sozialdemokratinnen auf sich zog, würdigte die „Gleich-<br />

heit“ doch ihren „ehrlichen Glauben“, der Sache der Arbeiterinnen damit nützen zu können, dass<br />

sie „Konzessionen an bürgerliche Unklarheit <strong>und</strong> Halbheit, an bürgerliches Vorurtheil <strong>und</strong> Inter-<br />

esse“ 2669 machte. Ein Irrglaube zwar, aber gut gemeint.<br />

Schaute Zetkin auf die anderen bürgerlichen Frauenrechtlerinnen, so fanden sich – abgesehen von<br />

„der trefflichen, kenntnißreichen Frau Gnauck-Kühne im evangelischen Lager“ 2670 – ihrer Mei-<br />

nung nach<br />

„nur sehr, sehr Wenige, die sich an Begabung <strong>und</strong> noch weniger an sozialpolitischer<br />

Schulung <strong>und</strong> rastloser Thätigkeit neben Frau Schwerin stellen dürfen“ 2671 .<br />

Zetkin nutzte nun die Gelegenheit, ein wahres Feuerwerk an Vorwürfen gegen die bürgerliche<br />

Frauenbewegung abzuschießen: Schwerin habe sich positiv hervorgehoben,<br />

2665 Ebd.<br />

2666 Ebd.<br />

2667 Ebd.<br />

2668 Ebd.<br />

2669 Ebd.<br />

2670 Ebd.<br />

2671 Ebd.<br />

695


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

„weil sie studirte, lernte, sich in eine Frage vertiefte, ehe sie über sie sprach; weil<br />

sie praktisch für ein erforschtes, genau abgegrenztes, wenn auch oft kleines Gebiet<br />

wirkte, statt sich in schönen Gemeinplätzen über Alles <strong>und</strong> Jedes zu verbreiten. Für<br />

sie war Frauenbewegung weder ein Paradeplatz, noch eine Deklamationsbühne,<br />

noch ein Schaufenster für Ausstellung von Toiletten <strong>und</strong> ‘bestrickender Anmuth’,<br />

sondern ein Arbeitsfeld. Schlicht <strong>und</strong> einfach in ihrem Auftreten, war sie eine<br />

ernste Arbeiterin, im hohen idealen Sinne des Wortes; eine ernste Arbeiterin im<br />

Dienste des Fortschritts <strong>und</strong> der Allgemeinheit.“ 2672<br />

Zetkin zeichnete hier ein Bild der bürgerlichen Frauenbewegung wie, es üblicherweise von männ-<br />

lichen Gegnern der Frauenemanzipation propagiert wurde. Sie unterstellte den „Damen“ mehr<br />

Wert auf Prestige <strong>und</strong> Optik zu legen als auf kompetentes politisches Engagement. Schwerin<br />

stellte für Zetkin in besonderer Weise eine Ausnahme dar. Die „hohe persönliche Werthschätzung<br />

<strong>und</strong> Sympathie“ 2673 , welche Zetkin im Nachruf der Verstorbenen gegenüber aussprach, ist wesent-<br />

lich auf jene herausragende Stellung Schwerins innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung<br />

zurückzuführen.<br />

Weniger überschwänglich beurteilte Zetkin die Persönlichkeit ihrer Lehrerin Auguste Schmidt<br />

(1833-1902). Sie war in Leipzig gestorben, der Stadt, von der wichtige Impulse für die deutsche<br />

Frauenbewegung ausgingen <strong>und</strong> in der Zetkin das Steyber‘sche Lehrerinnenseminar besucht hatte.<br />

Während Schmidts Herkunft <strong>und</strong> Bildungsweg in jenem Nachruf unerwähnt blieben, wurde ihre<br />

Position als Mitbegründerin <strong>und</strong> langjährige Vorsitzende des „Allgemeinen Deutschen Frauen-<br />

vereins“, des „B<strong>und</strong>es Deutscher Frauenvereine“ <strong>und</strong> des „Allgemeinen Deutschen Lehrerinnen-<br />

vereins“ hervorgehoben. <strong>Von</strong> elementarer Bedeutung war Schmidts Fre<strong>und</strong>schaft mit Luise Otto-<br />

Peters. Zusammen beriefen sie 1865 den ersten öffentlichen Frauentag in Leipzig ein, welcher ein<br />

Initialfunke für viele in den vorangehenden Kapiteln dieser Arbeit genannten Organisationen war.<br />

Es war die gemäßigte Richtung der bürgerlichen Frauenbewegung, die Schmidt mit „unerschüt-<br />

terlicher Überzeugungstreue <strong>und</strong> nie versagendem Idealismus“ 2674 vertrat. Als eine „in sich ge-<br />

festigte Persönlichkeit“ 2675 habe sie für eine „einheitliche[…], geschlossene[…] Weltanschau-<br />

ung“ 2676 gewirkt, nur dass diese Weltanschauung eben die „des alten bürgerlichen Liberalismus<br />

mit seiner Beschränktheit <strong>und</strong> seiner Größe“ 2677 war. Für Zetkin war es deshalb nicht verw<strong>und</strong>e-<br />

rlich, dass Schmidt das Verständnis für die „tieferliegenden, geschichtlichen <strong>und</strong> sozialen Zusam-<br />

2672 Ebd.<br />

2673 Ebd.<br />

2674 Auguste Schmidt. In: GL, 12/ 14/ 02.07.1902/ 109.<br />

2675 Ebd.<br />

2676 Ebd.<br />

2677 Ebd.<br />

696


4.6 „[…] REICH AN MITGEFÜHL UND HILFSBEREITSCHAFT GEGENÜBER FREMDEM LEID, REICH AN BÜRGERSINN UND BÜRGERTUGEND, STARK IN DER PFLICHTTREUE[…]“ –<br />

DIE AUSNAHMEERSCHEINUNGEN BÜRGERLICHER FRAUENRECHTELEI<br />

menhänge“ 2678 <strong>und</strong> den „historischen Werdegang[…], der zur Befreiung der Frau, zur Befreiung<br />

der Menschheit führt“ 2679 nicht aufzubringen vermochte. Mit großer Genugtuung bemerkte Zetkin<br />

jedoch, dass auch Schmidt „der Zerfahrenheit der radikalen Frauenrechtelei“ 2680 , deren „Weltan-<br />

schauung ein lotteriges, schlotteriges Flickwerk aus allerhand Geschichts- <strong>und</strong> Moralphilosophie“<br />

2681 sei, nichts habe abgewinnen können. Auf wissenschaftlichen Gebiet habe sie sich deshalb zu<br />

einer „richtigeren Würdigung“ 2682 der materialistischen Sichtweise „‘durchgemausert’“ 2683 , aber<br />

öffentlich dazu bekannt hat sie sich nicht. Auch auf dem Gebiet der Wohlfahrtspflege <strong>und</strong> Bil-<br />

dungsreform, so Zetkin, habe Schmidt den Arbeiterinnen weit bessere Dienste geleistet als es die<br />

radikal-bürgerliche Frauenbewegung je vermochte.<br />

Auguste Schmidt, eine „edle Frau, reich an Mitgefühl <strong>und</strong> Hilfsbereitschaft gegenüber fremdem<br />

Leid, reich an Bürgersinn <strong>und</strong> Bürgertugend, stark in der Pflichttreue“ 2684 , war vielen jungen –<br />

auch unbemittelten – Mädchen eine gute Lehrerin <strong>und</strong> gab ihnen die Möglichkeit höherer Bil-<br />

dung. Wenn es auch im Interesse der Proletarierinnen öfters notwendig gewesen sei, mit ihr die<br />

„Klingen zu kreuzen“, so Zetkin, versage man Schmidt jedoch nicht die „achtungsvolle An-<br />

erkennung“ 2685 für ihr Wirken um die Bildung der Frauen.<br />

Eine der „ältesten <strong>und</strong> treuesten Vorkämpferinnen“ 2686 der bürgerlichen Frauenbewegung, die sich<br />

bereits in den 1860er Jahren für die Gleichberechtigung der Frau einsetzten, war Lina<br />

Morgenstern (1831-1909). Viele bahnbrechende Initiativen gehen auf sie zurück: Vorsitzende des<br />

ersten Berliner Kindergartenvereins, Mitgründerin des ersten Kinderschutzvereins, Gründerin des<br />

Berliner Hausfrauenvereins mit angeschlossener Kochschule <strong>und</strong> Stellenvermittlung <strong>und</strong><br />

Organisatorin von Kursen für häusliche Krankenpflege.<br />

Darüber hinaus engagierte sich Morgenstern für die Gründung einer Akademie zur<br />

wissenschaftlichen Fortbildung der Frauen, die Gründung einer Hausindustrieschule <strong>und</strong> einer<br />

landwirtschaftlichen Bildungsanstalt für Frauen. Ihre Interessen waren vielfältig <strong>und</strong> keineswegs<br />

auf die Bildungsbedürfnisse bürgerlicher Frauen beschränkt. Auch setzte sie sich für den Abolitio-<br />

2678 Ebd.<br />

2679 Ebd.<br />

2680 Ebd.<br />

2681 Ebd.<br />

2682 Ebd.<br />

2683 Ebd.<br />

2684 Ebd., S. 110.<br />

2685 Ebd.<br />

2686 Lina Morgenstern †. In: GL, 20/ 08/ 17.01.1910/ 127.<br />

697


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

nismus, d. h. die Abschaffung der Sklaverei, ein.<br />

Während des Deutschen Krieges 1866 <strong>und</strong> des deutsch-französischen Krieges 1870/71 war<br />

Morgenstern an der Einrichtung von Notstandsküchen beteiligt, was später in die Gründung des<br />

„Vereins Berliner Volksküchen“ mündete. Dies alles waren jedoch aus der Sicht Zetkins nur<br />

„Einrichtungen, durch die die Verstorbene zur Lösung der sozialen Frage beizutragen<br />

wähnte, während sie bestenfalls die schreiende Not weniger um ein Weniges<br />

zu lindern vermochte“ 2687 .<br />

Es habe sich zwar um praktische <strong>und</strong> hilfeleistende Einrichtungen gehandelt, jedoch linderten sie<br />

nur einen Missstand, welcher gr<strong>und</strong>sätzlich durch das kapitalistische System geschaffen wurde<br />

<strong>und</strong> daher auch nur gemeinsam mit diesem zu überwinden war. Zudem, so Zetkin weiter, sei<br />

„Vieles von dem, was sie geschaffen hat, […] schon überlebt“ 2688 . Morgenstern habe schlicht den<br />

Wert sozialer Hilfsarbeit überschätzt <strong>und</strong> „sonnte sich gern – echt bürgerlich-liberal – in höfischer<br />

Anerkennung <strong>und</strong> Gunst“ 2689 . Letzteres kann als eine prinzipielle Kritik an der von vielen bürger-<br />

lichen Frauenorganisationen geübten Praxis verstanden werden, die Schirmherrschaft <strong>und</strong> Patro-<br />

nage fürstlicher Häuser zu erlangen.<br />

Zetkin kam zu dem Resümee, dass Morgensterns Zielsetzung zwar falsch war, dass sie sich aber<br />

„in dem Wie ihrer Betätigung […] als hochherzige, opferreiche Persönlichkeit erprobt“ 2690 habe.<br />

Bereits vor der Entstehung entsprechender Frauenorganisationen setzte sich auch Auguste Fickert<br />

(1855-1910) für Bildung, Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Frau ein.<br />

Sie war Gründerin <strong>und</strong> Vorsitzende des „Allgemeinen österreichischen Frauenvereins“ <strong>und</strong> der<br />

Vereinszeitschrift „Frauenrecht“ (?-?). Später wurde Fickert Redakteurin der von Marie Lang<br />

(1858-1934) <strong>und</strong> Rosa Mayreder (1858-1938) herausgegebenen Zeitschrift „Dokumente der<br />

Frauen“ (1899-1902). 2691 Diese Zeitschrift, so Zetkin gönnerhaft, habe sich „literarisch wie sozial-<br />

politisch von [den] meisten frauenrechtlerischen Publikationen vorteilhaft ab[gehoben]“. 1890<br />

gründete sich der Wiener „Arbeiterinnen-Verein“, in dem Fickert abends oft in Elementarfächern<br />

<strong>und</strong> Literatur unterrichtete. Ihr letztes praktisches Projekt war die Gründung des „Heimhofs“,<br />

eines genossenschaftlichen Einküchenhauses für erwerbstätige alleinstehende Frauen.<br />

Fickerts politische Verortung umschrieb Zetkin so:<br />

2687 Ebd.<br />

2688 Ebd.<br />

2689 Ebd.<br />

2690 Ebd.<br />

2691 Die Zeitschrift „Frauenrecht“ ist in der ZDB nicht enthalten. Sie könnte eventuell die Vorgängerin der<br />

„Dokumente der Frauen“gewesen sein. Diese wiederum wurden unter dem Titel „Neues Frauenleben“ (1902-<br />

1918) laut ZDB schließlich von Fickert allein herausgegeben.<br />

698


4.6 „[…] REICH AN MITGEFÜHL UND HILFSBEREITSCHAFT GEGENÜBER FREMDEM LEID, REICH AN BÜRGERSINN UND BÜRGERTUGEND, STARK IN DER PFLICHTTREUE[…]“ –<br />

DIE AUSNAHMEERSCHEINUNGEN BÜRGERLICHER FRAUENRECHTELEI<br />

„Innerhalb des frauenrechtlerischen Lagers stand sie stets auf der äußersten Linken,<br />

eine enthusiastische Kämpferin für geistige Freiheit <strong>und</strong> weiteste Demokratie,<br />

eine warmherzige Verfechterin aller Reformen, welche die Ausgebeuteten <strong>und</strong><br />

Unfreien heben <strong>und</strong> zu Schmieden ihres eigenen Geschickes machen können.“ 2692<br />

Fickert sei „[d]em Ideal nach“ 2693 durchaus Sozialistin gewesen, doch „ihr Wesen [habe] sich der<br />

Erkenntnis von der schöpferischen, befreienden Rolle des Klassenkampfes verschlo[ssen]“ 2694 . Sie<br />

wirkte für ihre Ideale „mit vollen Händen spendend, was sie zu geben, zu sein vermochte“ 2695 ,<br />

blieb dabei „[s]tark im Geiste <strong>und</strong> rein im Charakter“ 2696 <strong>und</strong> beugte sich weder dem Unrecht noch<br />

der Lüge. Oft setzte sie dabei ihre eigene Existenz aufs Spiel. Beispiel hierfür war ein Vorfall im<br />

Wiener Gemeinderat, in dem zu jener Zeit, so Zetkin, ein „christlichsoziale[s] Antisemiten-<br />

regiment“ 2697 geherrscht habe. Der Gemeinderat hatte alle Lehrer <strong>und</strong> Lehrerinnen zwingen<br />

wollen, ihre Schüler bei der Fronleichnamsprozession zu begleiten. Viele männliche Lehrer hätten<br />

sich „der Sicherung der Brotstelle willen dem Ukas“ 2698 gefügt, obwohl sie sich zum Freidenker-<br />

tum bekannten. Fickert dagegen war konsequent, „trat aus der Kirche aus <strong>und</strong> erklärte sich als<br />

konfessionslos“ 2699 . Zwar bewies sie mit dieser Lösung von religiösen Banden alle Qualitäten<br />

einer Sozialistin <strong>und</strong> sympathisierte offen mit der Arbeiterbewegung, doch nie habe sie von der<br />

Hoffnung abgelassen, dass die Befreiung der Menschheit als Werk aller freiheitlich Gesinnten<br />

auch ohne Klassenkampf zu erreichen sein werde.<br />

Nur eine kurze Würdigung erfährt die bekannte Kämpferin für das Frauenrecht Hedwig Dohm<br />

(1833-1919), die 86-jährig in Berlin starb. Ihr schöpferisches Leben begann im Vormärz <strong>und</strong> war<br />

laut „Gleichheit“ „streitbar, erkenntnisstark <strong>und</strong> in freudigem Schaffen aufgediehen“ 2700 . Dohm<br />

war die Verfasserin zahlreicher Romane, die eine weite Verbreitung fanden <strong>und</strong> mit ihrem letzten<br />

Werk „Die Mutter“ (1903) 2701 habe sie sich für die Vereinbarkeit von Mutterschaft <strong>und</strong> Beruf ein-<br />

gesetzt. Ihr Ehemann Ernst Dohm war langjähriger Leiter der Zeitschrift „Kladderadatsch“ (1848-<br />

2692 Auguste Fickert †. In: GL, 20/ 20/ 04.07.1910/ 320.<br />

2693 Ebd.<br />

2694 Ebd.<br />

2695 Ebd.<br />

2696 Ebd.<br />

2697 Ebd.<br />

2698 Ebd. „Ukas“ ist Russisch für „Befehl, Verordnung, Erlass des Zaren“ (vgl. Wahrig. Deutsches Wörterbuch,<br />

S. 1262).<br />

2699 Auguste Fickert †. In: GL, 20/ 20/ 04.07.1910/ 320.<br />

2700 Hedwig Dohm †. In: GL, 29/ 19/ 20.06.1919/ 152.<br />

2701 Der „Gleichheit“-Redaktion unterlief hier ein kleiner Fehler: Das Werk trägt tatsächlich den Titel „Die Mütter“.<br />

699


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

1934).<br />

Besonders hervorgehoben wurde Dohms originelle pädagogische Auffassung des Eltern-Kind-<br />

Verhältnisses. Sie sei von der Notwendigkeit überzeugt gewesen, dass Kinder ihren Eltern „über<br />

den Kopf wachsen“ <strong>und</strong> von ihrer Zeit, ihrer Umwelt mehr verlangen müssten, denn „[d]er Beruf<br />

des Kindes ist: zukünftig zu sein“ 2702 .<br />

Sie war Juristin <strong>und</strong> Volksschullehrerin, doch zuletzt arbeitete Frieda Duensing (1864-1921) als<br />

Leiterin der Münchner sozialen Frauenschule <strong>und</strong> gründete einen „Lehrgang zur Ausbildung von<br />

Arbeiterinnen für soziale Berufe“. <strong>Von</strong> verschiedenen demokratischen Zeitschriften als „‘eine von<br />

sozialem Geiste erfüllte Demokratin’“ geehrt, hätte man sie nach Meinung Berta Duensings<br />

(?-?) 2703 auch als „von demokratischem Geist erfüllte Sozialistin“ 2704 bezeichnen können. Be-<br />

sonders hätte sich diese Gesinnung bei ihrer langjährigen Arbeit in der Berliner Zentrale für<br />

Jugendfürsorge gezeigt. Da habe Duensing erkannt, dass die Lösung der wichtigsten Probleme in<br />

einer „‘neue[n] Gesellschaft’“ 2705 zu finden sei. Als Volksschullehrerin hatte sie die Nöte der Ar-<br />

beiter kennengelernt <strong>und</strong> unermüdlich für die Besserung ihrer Lage gewirkt, doch es waren erst<br />

die letzten Jahre, in denen sich zeigte, dass in ihr „alles vorhanden war, um sie zu einer der erfolg-<br />

reichsten Kämpferinnen für unsere Sache zu machen“ 2706 . Duensing hatte sich nicht für eine<br />

„weithin sichtbare[…] agitatorische[…] Stellung“ 2707 , sondern für eine in der „Stille abgeschlos-<br />

sene[…] Tätigkeit“ 2708 entschieden. Doch egal, welchen Weg sie ging: „Der Kern bleibt die soziale<br />

Gesinnung.“ 2709 Für ihr stetiges Streben steht ihre selbstgewählte Grabinschrift: „‘Ich suchte …<br />

ich fragte … ich hungerte … nun ruhe ich aus <strong>und</strong> bin satt!’“ 2710<br />

Eine von Zetkin besonders anerkannte „tapfere[…] <strong>und</strong> selbstlose[…] Vorkämpferin der Frauen-<br />

rechte“ 2711 war die Pionierin der bürgerlich-radikalen Frauenbewegung Minna Cauer (1841-<br />

2702 Ebd.<br />

2703 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu Berta<br />

Duensing. Deshalb muss an dieser Stelle ungeklärt bleiben, ob <strong>und</strong> in welchem verwandtschaftlichen Verhältnis<br />

sie zu der Verstorbenen stand.<br />

2704 Duensing, Berta: Frieda Duensing †. In: GL, 31/ 04/ 15.02.1921/ 34.<br />

2705 Ebd.<br />

2706 Ebd.<br />

2707 Ebd.<br />

2708 Ebd.<br />

2709 Ebd.<br />

2710 Ebd.<br />

2711 Frau Minna Cauers siebzigster Geburtstag … In: GL, 22/ 04/ 15.11.1911/ 64.<br />

700


4.6 „[…] REICH AN MITGEFÜHL UND HILFSBEREITSCHAFT GEGENÜBER FREMDEM LEID, REICH AN BÜRGERSINN UND BÜRGERTUGEND, STARK IN DER PFLICHTTREUE[…]“ –<br />

DIE AUSNAHMEERSCHEINUNGEN BÜRGERLICHER FRAUENRECHTELEI<br />

1922). Die „Gleichheit“ veröffentlichte sowohl zu ihrem 70. Geburtstag, zu ihrem 80. Geburtstag<br />

wie auch nach ihrem Tode jeweils einen Artikel. Bei allen fällt auf, dass in ihnen wie bereits im<br />

Nachruf auf Lina Morgenstern keinerlei Informationen zu Herkunft oder Privatleben gegeben<br />

werden. Es sind vielmehr ihre Ideale, die gewürdigt wurden, <strong>und</strong> die Cauer „mit heiliger Inbrunst<br />

durch alle Stürme“ 2712 trug. Selbst als Greisin blieb Cauer, so Zetkin im ersten der Artikel,<br />

„glaubensstark <strong>und</strong> jugendfrisch im Kampfe“ 2713 für diese Ideale, während „viele des nach-<br />

rückenden Geschlechts kleinmütig, wankend die Ziele niedriger <strong>und</strong> näher gesteckt“ 2714 hätten.<br />

Wie bereits anderen „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ wie Malvida von Meysenbug zugestanden,<br />

bewies auch Cauer „[e]ine echt demokratische Gesinnung“ 2715 . Diese Gesinnung machte sie zur<br />

„konsequenten, treuen Verfechterin der Frauenrechte“ 2716 , ließ sie aber auch Verständnis haben für<br />

das „Vorwärtsdrängen des Proletariats zur politischen Demokratie <strong>und</strong> nach sozialen Reformen“<br />

2717 , ganz im Gegensatz zu den meisten ihrer Gesinnungsgenossinnen, von denen sich viele von ihr<br />

distanzierten. Doch ob mit „kleine[r] Gefolgschaft […] oder allein“ 2718 , sie blieb sich treu. Zetkin<br />

sagte – für einen Jubiläumsartikel etwas ungalant – voraus, dass Cauer „in der Schönheit einer<br />

aufrechten liberalen Welt- <strong>und</strong> Lebensanschauung alten Stils sterben“ 2719 würde. Zugleich<br />

wünschte sie ihr aber, dass sie ihrer Sache noch viele Jahre erhalten bliebe,<br />

„[d]enn so oft wir mit ihr die Klingen kreuzen mußten <strong>und</strong> vielleicht auch in<br />

Zukunft noch kreuzen müssen: ihr Wesen <strong>und</strong> ihr Wollen ehren auch wir aufrichtig“<br />

2720 .<br />

Dieser Respekt galt Cauers Person <strong>und</strong> ihren Zielsetzungen, obwohl sie „den Weg zum wissen-<br />

schaftlichen Sozialismus nicht finden konnte“ 2721 <strong>und</strong> „noch immer den Traum von einer Wieder-<br />

geburt der bürgerlichen Demokratie in Deutschland träumt[e]“ 2722 . All dies erklärte sich für Zetkin<br />

schlicht aus Cauers „Entwicklungsgang <strong>und</strong> ihrer Wesensart“ 2723 <strong>und</strong> war damit anscheinend ent-<br />

schuldbar.<br />

2712 Ebd.<br />

2713 Ebd.<br />

2714 Ebd.<br />

2715 Ebd.<br />

2716 Ebd.<br />

2717 Ebd.<br />

2718 Ebd.<br />

2719 Ebd.<br />

2720 Ebd.<br />

2721 Ebd.<br />

2722 Ebd.<br />

2723 Ebd.<br />

701


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

Auch die „neue“ „Gleichheit“ erinnerte an Cauer als an eine Kämpferin für die Gleichberechti-<br />

gung der Frau. Kurt Heilbut verfasste einen Jubiläumsartikel anlässlich ihres 80. Geburtstages. 2724<br />

Er kannte Cauer persönlich, denn er hatte in Briefkontakt zu ihr gestanden – dies sogar während<br />

er als Soldat im Feld stand. 2725<br />

Cauers „kleine[…], zierliche[…] Persönlichkeit“ 2726 verberge eine Kämpfernatur, die vor allem<br />

auch gegenüber der Polizeirepression sehr couragiert hervorgetreten sei. Diese Zeiten der Unter-<br />

drückung der Frau seien nun nach Meinung Heilbuts aber vorbei <strong>und</strong> Cauer habe das „seltene<br />

Glück“ 2727 ,<br />

„doch noch das Ziel erreicht zu sehen, das sie sich in ihrem Leben gestellt hatte:<br />

die Gleichberechtigung der Frau “ 2728 .<br />

Dieses Ziel in Form des Frauenwahlrechts hatte aber nur, so Heilbut, durch den „Zusammenbruch<br />

unseres Vaterlandes“ 2729 erreicht werden können. Obwohl der „vaterlandslosen Gesinnung“ 2730<br />

einer Sozialistin <strong>und</strong> keinem Nationalismus anhängend, dürfte dieser Umstand doch auch Cauer<br />

geschmerzt haben.<br />

Bereits vor dem Krieg hatte sich Cauer über die „Passivität <strong>und</strong> Gleichgültigkeit“ 2731 , die bei den<br />

Frauen wie überhaupt in der bürgerlichen Gesellschaft herrschte, nicht täuschen lassen. Für ihre<br />

Friedensgesinnung hatte man sie „verhöhnt, verachtet <strong>und</strong> verfolgt“ 2732 <strong>und</strong> sie <strong>und</strong> ihre An-<br />

hängerInnen „spöttisch als die ‘Zielbewußten’“ 2733 bezeichnet. Bereits im Sommer 1917 habe sie<br />

schließlich „das Heranwogen einer neuen Zeit“ 2734 vorausgesehen. Cauer schrieb an Heilbut:<br />

„Unsere Richtung aber erlebt doch jetzt wenigstens den Anfang von all ihren<br />

Bemühungen <strong>und</strong> Arbeiten – das Erwachen des Volkes für seine notwendige Mitverantwortlichkeit<br />

im Staatsleben.“ 2735<br />

Sie sah demnach die Revolution, den demokratischen Umschwung <strong>und</strong> damit auch die staatliche<br />

Mitverantwortlichkeit der Frau heraufkommen. Heilbut erachtete Cauer als eine jener Frauen,<br />

„die unerschütterliche Zuversicht gaben, daß ohne die Befreiung der Frau aus jahr-<br />

2724 Heilbut, Kurt: Minna Cauer‘s 80. Geburtstag am 1. November 1921. In: GL, 31/ 21/ 01.11.1921/ 208.<br />

2725 Ebd.<br />

2726 Ebd.<br />

2727 Ebd.<br />

2728 Ebd.<br />

2729 Ebd.<br />

2730 Ebd.<br />

2731 Ebd.<br />

2732 Ebd.<br />

2733 Ebd.<br />

2734 Ebd.<br />

2735 Minna Cauer in einem Brief an Kurt Heilbut 1917. Zit. nach: Ebd.<br />

702


4.6 „[…] REICH AN MITGEFÜHL UND HILFSBEREITSCHAFT GEGENÜBER FREMDEM LEID, REICH AN BÜRGERSINN UND BÜRGERTUGEND, STARK IN DER PFLICHTTREUE[…]“ –<br />

DIE AUSNAHMEERSCHEINUNGEN BÜRGERLICHER FRAUENRECHTELEI<br />

tausendelanger Abhängigkeit <strong>und</strong> Unterdrückung niemals der Weg geöffnet wird<br />

für den weiteren Aufstieg <strong>und</strong> für die Befreiung der gesamten Menschheit“ 2736 .<br />

Die Novemberrevolution war der Anfang einer solchen Entwicklung, aber man dürfe, so Heilbut,<br />

bei diesem nicht stehen bleiben. Mit seinem Artikel wollte Heilbut für „all die Jungen im Land“<br />

2737 , die an der zukünftigen Entwicklung Anteil nehmen würden, Cauer als „Vorkämpferin <strong>und</strong><br />

Wegbahnerin“ 2738 ehren.<br />

Im Alter von 81 Jahren starb Minna Cauer <strong>und</strong> die nun nicht mehr von Zetkin geleitete<br />

„Gleichheit“ ehrte sie in einem Nachruf als eine der „markantesten Persönlichkeiten der deutschen<br />

Frauenbewegung“ 2739 . Cauer, so Wally Zepler, sei eine „Radikale“ gewesen,<br />

„die von den anderen in der Bewegung befehdet <strong>und</strong> gehaßt worden [sei] <strong>und</strong><br />

ihnen mit gleichem Haß vergalt“ 2740 .<br />

Es war ihre „menschlich freiheitliche[…] Gesinnung“ 2741 , die sie auszeichnete. Eine „Demokratin<br />

durch <strong>und</strong> durch“ 2742 , erschien ihr „die Selbstbestimmung der Persönlichkeit […] allererstes<br />

sittliches Recht“ 2743 – womit Zepler einen wesentlichen Aspekt des in dieser Arbeit beschriebenen<br />

Leitbildes vom „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ benennt.<br />

Mit der Novemberrevolution sei den Frauen das politische Stimmrecht „in den Schoß [ge-<br />

fallen]“ 2744 <strong>und</strong> Cauer habe gewusst, so Zepler ungewöhnlich kritisch, „daß es viel mehr ein<br />

Geschenk als der Preis für deren eigene Kampfeskraft war“ 2745 . Zepler nimmt damit Bezug auf die<br />

Mehrheit der bürgerlichen Frauen, die stets gegen das allgemeine <strong>und</strong> lediglich für ein „Damen-<br />

wahlrecht“ eingetreten war. So sei sich Cauer aber auch stets im Klaren darüber gewesen, „daß<br />

nur eine kleine Minderheit Gleichberechtigung <strong>und</strong> Freiheit so heiß ersehnten wie sie selbst“ 2746 .<br />

25 Jahre lang – von ihrer Gründung 1895 bis zur ihrer Einstellung 1919 – gab Minna Cauer die<br />

Frauenzeitschrift „Die Frauenbewegung“ heraus. Sie war Mitgründerin des „Kaufmännischen<br />

Hilfsvereins für weibliche Angestellte“ <strong>und</strong> leitete ihn viele Jahre lang. Der Verein „Frauenwohl“<br />

2736 Ebd.<br />

2737 Ebd.<br />

2738 Ebd.<br />

2739 Zepler, Wally: Unsere Toten. In: GL, 32/ 17/ 18/ 01.09.1922/ 164.<br />

2740 Ebd.<br />

2741 Ebd.<br />

2742 Ebd.<br />

2743 Ebd.<br />

2744 Ebd., S. 165.<br />

2745 Ebd.<br />

2746 Ebd.<br />

703


ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />

LEITBILDFUNKTIONEN<br />

(1888-?), der später im „Verband Fortschrittlicher Frauenvereine“ (1899-1907) 2747 aufging, war ihr<br />

Werk. Lange Zeit war sie Mitglied der Demokratischen Partei. Nachdem sie sich von dieser<br />

getrennt hatte, konnte sie sich jedoch auch nicht überwinden, der SPD beizutreten, zu viel trennte<br />

sie von deren Gr<strong>und</strong>sätzen. Doch Zepler zeigte sich versöhnlich bezüglich dieses Verhaltens:<br />

„Dennoch war sie [Cauer; M.S.] ihrer Gesinnung nach absolut Sozialistin, ging oft<br />

mit den Genossinnen zusammen <strong>und</strong> wurde in ihren Reihen auch immer halb <strong>und</strong><br />

halb als zu ihnen gehörig gerechnet“ 2748 .<br />

Zetkin hätte dies wohl etwas vorsichtiger formuliert – zumal sie von „Halbheiten“ nichts hielt.<br />

Außerdem sei Cauer, so Zepler, eine „echt weibliche Natur“ 2749 gewesen – anmutig <strong>und</strong> von ange-<br />

nehmen Äußerem. Auch ihr politischer Charakter habe diese Natur aufgewiesen:<br />

„Das Gr<strong>und</strong>motiv ihres Handelns war ihr warmes menschliches Gefühl, Teilnahme<br />

für alle Leidenden <strong>und</strong> Entbehrenden.“ 2750<br />

Als leidenschaftliche Pazifistin war sie Teilnehmerin aller Friedenskongresse <strong>und</strong> ließ sich „nie-<br />

mals von der nationalistischen Welle fortreißen“ 2751 . Minna Cauer sei eine Frau mit „Tatkraft“ <strong>und</strong><br />

„Idealismus“ 2752 gewesen, der die deutsche Frauenwelt viel zu verdanken habe. 2753<br />

2747 Der Verband schloss sich 1907 dem BDF an. Siehe: Pommerenke, Organisation <strong>und</strong> Bewegung. Die Frauenwohl-<br />

Vereine 1888-1914.<br />

2748 Ebd.<br />

2749 Ebd.<br />

2750 Ebd.<br />

2751 Ebd.<br />

2752 Ebd.<br />

2753 Ebd.<br />

704


5 Zusammenfassung<br />

Geschichte wird auch von Frauen gemacht.<br />

„Jeder, der etwas von Geschichte weiß, weiß auch,<br />

daß große gesellschaftliche Umwälzungen ohne das<br />

weibliche Ferment unmöglich sind. Der gesellschaftliche<br />

Fortschritt läßt sich exakt messen an der<br />

gesellschaftlichen Stellung des schönen Geschlechts<br />

(die Häßlichen eingeschlossen).“ 1<br />

Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber – wie in der Einleitung beschrieben – nicht ausreichend<br />

von den entsprechenden gesellschaftlichen Multiplikatoren berücksichtigt oder gar im all-<br />

gemeinen Geschichtsbewusstsein verankert. Dagegen beschreibt die sozialistische Frauen-<br />

zeitschrift „Die Gleichheit“ auf mehreren Ebenen eine Geschichte, die von Frauen „gemacht“<br />

wurde: Die „Gleichheit“ ist sowohl Teil dieser Geschichte als auch ihre Vermittlerin.<br />

Die „Gleichheit“ selbst ist ein historisches Dokument. Sie stand als eine der ersten politischen<br />

Frauenzeitschriften Deutschlands in einer besonderen Tradition. Ausgehend von der Frage nach<br />

der Kontinuität der „Gleichheit“ als einer politischen Frauenzeitschrift wurden in Kapitel 1 ihre<br />

Vorgängerinnen „Die Frauen-Zeitung“, „Die Staatsbürgerin“ <strong>und</strong> „Die Arbeiterin“ untersucht<br />

<strong>und</strong> deren Funktion als wichtige Knotenpunkte eines Netzwerkes deutscher Frauen-<br />

öffentlichkeit aufgezeigt. Diese politischen Frauenzeitschriften waren unter schwierigsten<br />

politischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Umständen Sammelplatz von Informationen, Organisationen<br />

<strong>und</strong> engagierten Menschen, die sich der sozialistischen Idee verpflichtet fühlten. Vieles am<br />

Charakter der „Gleichheit“– äußerlich wie innerlich – war vor allem Erbe der „Arbeiterin“ <strong>und</strong><br />

folgte zum Teil auch gängigen Mustern der sozialdemokratischen Presse.<br />

Im Rahmen der Darstellungen in Kapitel 2 wurde deutlich, dass die „Gleichheit“ durchaus auch<br />

neue Maßstäbe setzte. Bemerkenswert war bereits ihre Gründung durch J. H. W. Dietz, der sich<br />

nach Absage der erfahrenen „Arbeiterin“-Redakteurin Emma Ihrer für die relativ unerfahrene<br />

Clara Zetkin entschied. Diese gab der „Gleichheit“ von Beginn an ein sehr hohes, teilweise<br />

wissenschaftliches Niveau <strong>und</strong> versuchte, ihre Leserinnen mit diesem vertraut zu machen. <strong>Von</strong><br />

vielen Seiten dafür kritisiert, dass die „Gleichheit“ sich in dieser Form nicht für die Massen-<br />

agitation eigne, entschied man sich 1904, ihr die zwei leichter verständlichen Beilagen „Für<br />

unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ <strong>und</strong> „Für unsere Kinder“ beizugeben. Ein gelungenes Konzept,<br />

das nicht nur quantifizierbare Erfolge zeitigte, sondern auch die Konzentration auf das Wesent-<br />

1 Karl Marx in einem Brief an Ludwig Kugelmann, 12.12.1868. Zit. nach: MEW, Bd. 32, S. 582f.<br />

705


ZUSAMMENFASSUNG<br />

liche, die politische Aufklärung der proletarischen Frauen zuließ. Nachdem die „Gleichheit“ vor-<br />

rangig aus Gewinnen des Dietz-Verlages – vor allem aus dessen Blatt „Der wahre Jacob“ –<br />

finanziert worden war, wurde sie 1901 Parteieigentum <strong>und</strong> Obligatorium für die <strong>weiblichen</strong> Mit-<br />

glieder vieler gewerkschaftlicher Verbände <strong>und</strong> ab 1908 der Parteiorganisationen. Die Zahl der<br />

Abonnements erreichte 1914 mit 114.000 Exemplaren ihren Höchststand. Jedoch kann ausgehend<br />

von den Abonnementzahlen weder eine definitive Aussage über die konkrete Zahl der LeserInnen<br />

noch die Rezeption der „Gleichheit“ getroffen werden. Gerade ihr hohes intellektuelles Niveau<br />

machte es erforderlich, dass die Lektüre der „Gleichheit“ häufig in angeleiteten Lesezirkeln, z. B.<br />

den „Frauenleseabenden“, stattfand. Es ist daher, wenn auch empirisch kaum zu belegen, davon<br />

auszugehen, dass die Zahl der „Leserinnen“ die der Abonnentinnen weit übertraf. Außerdem wäre<br />

eine solche empirische Angabe immer noch nicht geeignet, Aufschluss darüber zu geben, ob die<br />

„Gleichheit“ ein Medium der Masse war. Hierfür müssten Erkenntnisse zu ihrer Rezeption<br />

vorliegen, doch diese bleibt auch nach Untersuchung von Zeitzeugenaussagen, Leserinnenbriefen<br />

<strong>und</strong> Parteitagsdiskussionen unklar. Trotz der allgemein begrüßten Beilagen blieb die „Gleichheit“<br />

mehr Schulungs- als Unterhaltungsblatt. Zetkin forderte bis zu ihrer Entlassung 1917 die Bei-<br />

behaltung eines hohen intellektuellen Niveaus, um den Leserinnen einen „wissenschaftlichen<br />

Sozialismus“ zu vermitteln. So genannte „Gefühlssozialistinnen“, die im „Gleichheit“-Feuilleton<br />

<strong>und</strong> in den Beilagen durchaus auch auf einer emotionalen Ebene angesprochen wurden, sollten auf<br />

diese Weise zu zielbewussten <strong>Klassenkämpferinnen</strong> erzogen werden. Eine besondere Funktion<br />

kam der „Gleichheit“ zu als Vernetzungsorgan verschiedener Organisationen innerhalb der prole-<br />

tarischen Frauenbewegung, was sich auch deutlich an ihrer Rubrizierung widerspiegelt.<br />

Ziel des Kapitels 2 war es auch, den für die meisten bisher erschienenen Forschungsarbeiten<br />

festgestellten Mangel zu beheben <strong>und</strong> die Jahre nach Zetkins Entlassung 1917 stärker zu berück-<br />

sichtigen. So konnten inhaltliche <strong>und</strong> äußere Wendepunkte markiert werden. Die inhaltliche<br />

Struktur des Kapitels richtete sich aus diesem Gr<strong>und</strong> bevorzugt nach publizistischen Kategorien.<br />

Durch die Aufstellung der jeweiligen Mitglieder <strong>und</strong> MitarbeiterInnen beider Redaktionen<br />

konnten viele Erkenntnisse zur Zusammensetzung der an der „Gleichheit“ beteiligten Personen er-<br />

bracht werden. Die „Gleichheit“ war nicht die „One-Woman-Show“, als die sie in der<br />

Forschungsliteratur häufig charakterisiert wurde <strong>und</strong> wird. Zetkin hatte stets für die Mitarbeit an<br />

der „Gleichheit“ geworben <strong>und</strong> entsprechend Artikel verschiedenster Personen <strong>und</strong> zu unter-<br />

schiedlichsten Themen veröffentlicht. Auch die Darstellung Zetkins als Redakteurin mit eisern<br />

korrigierender Hand wurde zwar einerseits von ihr selbst bestätigt, aber andererseits sogar durch<br />

Mitarbeiterinnen, die mit ihr heftige Kontroversen hatten, relativiert. Die von der Forschungs-<br />

literatur bisher kaum beachteten RedakteurInnen der „neuen“ „Gleichheit“ – Marie Juchacz,<br />

706


5 ZUSAMMENFASSUNG<br />

Heinrich Schulz, Clara Bohm-Schuch, Elli Radtke-Warmuth <strong>und</strong> Mathilde Wurm – hatten zum<br />

Teil bereits unter der Leitung Zetkins für die „Gleichheit“ geschrieben.<br />

Die Redaktionen <strong>und</strong> der Stab der MitarbeiterInnen setzten sich vor allem aus bekannten poli-<br />

tischen Größen, sozialdemokratischen Redakteuren <strong>und</strong> SchriftstellerInnen, Agitatorinnen <strong>und</strong><br />

FunktionärInnen der regionalen Ebene zusammen. Auch Leserinnen kamen zu Wort. Jedoch er-<br />

schienen Leserinnenbriefe nur sporadisch – <strong>und</strong> dies sowohl unter der Redaktion Zetkins als auch<br />

unter der neuen Redaktion, obwohl diese sogar eigens eine Rubrik „Freie Aussprache“ ein-<br />

gerichtet hatte.<br />

Bezüglich der Frage der Mitarbeit von Männern an der „Gleichheit“, konnte aufgezeigt werden,<br />

dass diese sowohl als Verfasser wie auch als Redaktionsmitglieder der „Gleichheit“ tätig waren –<br />

sowohl während als auch nach der „Ära Zetkin“. Dies ging einerseits auf den Mangel an fähigen,<br />

schriftstellerisch begabten <strong>und</strong> politisch versierten Genossinnen zurück, war aber andererseits<br />

auch Teil des von der „Gleichheit“ selbst vertretenen Prinzips, wonach die Männer <strong>und</strong> Frauen der<br />

Arbeiterbewegung nur gemeinsam den Sozialismus erkämpfen können. Bei der biographischen<br />

Recherche zu den männlichen Mitarbeitern wurde jedoch deutlich, dass ihre Tätigkeit für die<br />

„Gleichheit“ in entsprechenden Veröffentlichungen keine Erwähnung findet. Sie waren namhafte<br />

Redakteure <strong>und</strong> Mitarbeiter sozialdemokratischer Presseorgane, sie waren freischaffende Dichter<br />

<strong>und</strong> Literaten <strong>und</strong> sie waren Parteifunktionäre, aber sehr selten findet sich ein Hinweis, dass sie<br />

auch für die Frauenzeitschrift ihrer Partei geschrieben haben. Die vorliegende Arbeit macht<br />

Angaben zu Namen, Daten <strong>und</strong> Tätigkeitsbereichen der beteiligten Personen – soweit diese aus<br />

der allgemein zugänglichen Sek<strong>und</strong>ärliteratur erschlossen werden konnten – sie scheute sich aber<br />

auch nicht, die Lücken als Lücken erkennbar zu lassen. Etliche – nicht nur sinnbildlich – in ihr<br />

verbliebene Fragezeichen verweisen auf die Notwendigkeit, anhand regionaler <strong>und</strong> kommunaler<br />

Quellen <strong>und</strong> Verzeichnisse eine umfassendere Forschung zu betreiben, als es hier möglich war.<br />

Bisher wurde die Tatsache, dass die „Gleichheit“ ein internationales Organ war, überwiegend an<br />

ihrem offiziellen Status als Organ der Sozialistischen Fraueninternationale oder ihrer Bericht-<br />

erstattung über die Frauenorganisationen anderer Länder festgemacht. Ein konkreter Blick auf<br />

ihre internationalen MitarbeiterInnen wurde bisher jedoch unterlassen. Indem einige besonders<br />

engagierte Mitarbeiterinnen im Rahmen der vorliegenden Arbeit vorgestellt wurden, wurde die<br />

internationale Vernetzung der „Gleichheit“ auf einer konkreten persönlichen Ebene aufgezeigt,<br />

einer Ebene, die nach Zetkins Entlassung so keinen Bestand mehr hatte. Gleiches gilt für die Bio-<br />

graphien <strong>und</strong> Nachrufe international für den Sozialismus kämpfender Frauen, die die sozialistisch-<br />

internationale Verb<strong>und</strong>enheit der „Gleichheit“ unter der Leitung Zetkins belegen <strong>und</strong> die nach<br />

707


ZUSAMMENFASSUNG<br />

deren Entlassung fast gänzlich wegfielen. Vor dem Hintergr<strong>und</strong> ihrer internationalen Verbreitung<br />

<strong>und</strong> ihrer konsequenten Haltung während des Ersten Weltkrieges, die die „Gleichheit“ zu einem<br />

wichtigen Organ der internationalen Arbeiterbewegung werden ließen, bleibt ihre geringe Würdi-<br />

gung in Öffentlichkeit <strong>und</strong> Forschung letztlich unverständlich. Einen umfassenden Aufschluss<br />

über die Inhalte der 32 „Gleichheit“-Jahrgänge, die an ihr beteiligten Personen <strong>und</strong> von ihr ver-<br />

netzten internationalen <strong>und</strong> regionalen Frauenorganisationen kann jedoch nur ein sorgsam<br />

erstelltes Verzeichnis geben. Ein solches auf einer umfassenden Digitalisierung basierendes Regis-<br />

ter ist daher längst überfällig.<br />

Die vorliegende Arbeit hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die vorhandenen Erkenntnisse um die<br />

„Gleichheit“ <strong>und</strong> frauengeschichtlichen Erkenntnisse aus der „Gleichheit“ zusammenzuführen, zu<br />

ergänzen <strong>und</strong> zu analysieren.<br />

In Kapitel 3 wurden die geschichtlichen <strong>und</strong> mehr noch die frauengeschichtlichen Inhalte der<br />

„Gleichheit“ thematisch-chronologisch skizziert. Im Unterschied zu anderen sozialdemokra-<br />

tischen Blättern richtete die „Gleichheit“ keine besondere Rubrik „Geschichte“ ein, sondern<br />

transportierte ihre Inhalte über Artikel <strong>und</strong> Artikelserien – bevorzugt in Form von Biographien.<br />

Die Beschäftigung mit geschichtlichen Themen verlief jedoch in der „Gleichheit“ wiederum nach<br />

ähnlichen Mustern, wie sie auch für andere sozialdemokratische Blätter festzustellen sind <strong>und</strong> wie<br />

sie auf die Forschungsschwerpunkte sozialdemokratischer Historiker <strong>und</strong> Historikerinnen – im<br />

Besonderen auf August Bebels „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“ – zurückgehen. Es handelt sich<br />

auch in der „Gleichheit“ vorrangig um Themen der Kultur-, Revolutions- <strong>und</strong> SPD-Geschichte.<br />

<strong>Von</strong> Beginn an wurde von der „Gleichheit“ jedoch auch innerhalb dieser drei Kernbereiche sozia-<br />

listischer Geschichtsdarstellung auf den Bereich der Frauengeschichte fokussiert. Die<br />

„Gleichheit“ war auf der Suche nach dem <strong>weiblichen</strong> Anteil an Geschichte <strong>und</strong> es kann fest-<br />

gestellt werden, dass in ihr eine gezielte Geschichtsforschung betrieben wurde – auch wenn dies<br />

auf einem recht journalistischem Niveau geschah <strong>und</strong> die Ergebnisse daher nicht mit denen<br />

moderner „Frauengeschichtsforschung“ vergleichbar sind. Geschichte war das adäquateste Me-<br />

dium politischer Aufklärung, da sie zusammen mit den Gr<strong>und</strong>kenntnissen der sozialistischen<br />

Ökonomiekritik den Leserinnen die Gr<strong>und</strong>lagen für die Emanzipation der Frauen näher bringen<br />

konnte. Selbst die Beschäftigung mit der Rolle <strong>und</strong> dem vermeintlichen Wesen der Frau fand<br />

innerhalb der „Gleichheit“ selten in Artikeln statt, die man als soziologische oder psychologische<br />

Artikel bezeichnen könnte, sondern weit häufiger in Zusammenhang mit historischen Inhalten.<br />

Zudem kann festgestellt werden, dass die „Gleichheit“ mit den in ihr veröffentlichten Nekrologen,<br />

Jubiläums- <strong>und</strong> Erinnerungsartikeln den Beginn einer eigenen Geschichtstradition der proleta-<br />

rischen Frauenbewegung markierte. Es ist daher um so bedauerlicher, zu sehen, wie wenig die in<br />

708


5 ZUSAMMENFASSUNG<br />

ihr enthaltenen Informationen zum Leben <strong>und</strong> Wirken führender Frauen der proletarischen<br />

Frauenbewegung Berücksichtigung fanden <strong>und</strong> wie wenig die „Gleichheit“ selbst in die Historio-<br />

graphie der Arbeiterbewegung eingegangen ist, obwohl sie doch unzweifelhaft Teil dieser<br />

Bewegung war.<br />

Die Geschichtsbilder <strong>und</strong> -traditionen der SPD unter weiblichem Vorzeichen leiteten innerhalb des<br />

Kapitels 3 über zu den sich darin spiegelnden Leitbildern. Vorbereitend für die spätere Kategori-<br />

sierung der frauenbiographischen Artikel musste eine Auseinandersetzung mit dem Leitbildbegriff<br />

an sich, der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie <strong>und</strong> der Konstruktion von Frauenleit-<br />

bildern vorausgehen. Die „Gleichheit“ selbst sprach an einigen Stellen vom „Typus“ z. B. „des<br />

kämpfenden, klassenbewußten Proletarierweibes“ 2 oder allgemein von „Vorbildern“. Der Begriff<br />

des Leitbildes fand dagegen keine Verwendung. Vor allem die widersprüchliche Bedeutung von<br />

Frauenleitbildern als Orientierungshilfen <strong>und</strong> als Mittel der Funktionalisierung wurde thematisiert.<br />

Sozialistische Frauenleitbilder weisen das Problem auf, einerseits Alternativen zu bürgerlichen<br />

Frauenleitbildern sein zu wollen, aber andererseits sich an diese anzulehnen. Die von der „Gleich-<br />

heit“ <strong>und</strong> der proletarischen Frauenbewegung angestrebte Bewusstseinsumbildung konnte nicht<br />

losgelöst von den gängigen Rollenklischees erfolgen, da ansonsten das weibliche Lesepublikum<br />

nicht erreicht worden wäre. Abgesehen von diesem praktischen Problem waren aber auch die auf<br />

der sozialistischen Emanzipationstheorie basierenden Leitbilder hinsichtlich ihres Anspruchs <strong>und</strong><br />

ihrer Umsetzbarkeit sehr widersprüchlich. Das Problem der Doppelbelastung wurde wenig thema-<br />

tisiert, der Haushalt <strong>und</strong> die Kinderziehung wie auch von bürgerlich-traditioneller Seite als<br />

Zuständigkeitsbereich der Frau erachtet. Welche Widersprüche sich konkret ergaben, wurde inner-<br />

halb der in Kapitel 4 vorangestellten, jeweils in das entsprechende Leitbild einleitenden Unter-<br />

kapitel untersucht. Der Leitbilddiskussion in Kapitel 3 folgte jedoch die Auseinandersetzung mit<br />

der Frauenbiographie als Geschichts- <strong>und</strong> Leitbildvermittlerin. Frauenbiographien sind ideale<br />

Vermittlerinnen von Frauengeschichte <strong>und</strong> Frauenleitbildern, weil sie konkrete Identifikations-<br />

angebote machen <strong>und</strong> Brücken von der Erfahrung zur Utopie bauen. Es sind selten abstrakte<br />

Inhalte in ihnen zu finden, aber sie verharren auch nicht in simplen Elendsschilderungen. Dieser<br />

besonders anschauliche <strong>und</strong> emotionale Teil politischer Aufklärung setzt auf die Wirkung von<br />

<strong>weiblichen</strong> Vorbildern, die eine Persönlichkeitsentwicklung <strong>und</strong> Bewusstseinsumbildung durch-<br />

gemacht haben.<br />

2 Viktoria Kofler. In: Gl, 04/ 09/ 02.05.1894/ 71. Vgl auch: Madame Roland, (Fortsetzung statt Schluß.). In: GL, 04/<br />

02/ 24.01.1884/ 12; Jessa Helfmann. In: GL, 02/ 03/ 08.02.1892/ 31-32; Soll, Karl: Politische Frauen (Schluß.).<br />

In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210.<br />

709


ZUSAMMENFASSUNG<br />

Die Formulierung der für die Untersuchung in Kapitel 4 maßgeblichen vier Frauenleitbilder<br />

„weiblicher Vollmensch“, „sozialistische Mutter“, „sozialistische Ehefrau“ <strong>und</strong> „Klassen-<br />

kämpferin“ ergab sich anhand eines gr<strong>und</strong>legenden Artikels von Zetkin mit dem Titel „Nicht<br />

Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch” 3 . Die frauenbiographischen Inhalte der<br />

„Gleichheit“ wurden nach eben diesen vier Frauenleitbildern kategorisiert <strong>und</strong> ihnen eine<br />

Einleitung vorangestellt, in der auf die realen Lebensumstände von deutschen Proletarierinnen des<br />

19. <strong>und</strong> frühen 20. Jahrh<strong>und</strong>erts eingegangen wurde, um die Notwendigkeit alternativer Leitbilder,<br />

aber auch die Widersprüche aufzuzeigen. Entscheidend für die Kategorisierung war neben dem<br />

Inhalt der Artikel auch ihr Duktus. Dem sich nach der Erlangung des Frauenwahlrechts 1918<br />

abzeichnenden Frauenleitbild der „Republikanerin“ entsprachen als historische Vorbilder am<br />

ehesten die 1848er-Revolutionärinnen. Die Inhalte der dazugehörigen biographischen Artikel sind<br />

jedoch sehr unspezifisch <strong>und</strong> unterscheiden sich im Duktus nicht merklich vom Leitbild des<br />

„<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“. Zudem waren zu den meisten dieser Frauen bereits unter der<br />

Redaktion Zetkins biographische Artikel erschienen. Deshalb blieb das Leitbild „Republikanerin“<br />

– wie es tatsächlich auch für die besondere Situation in der Weimarer Republik weitgehend zutraf<br />

– ohne historische Vorbilder. Eine andere Entscheidung wurde hinsichtlich der Biographien<br />

führender Frauen der bürgerlichen Frauenbewegung getroffen. Es handelte sich auch bei ihnen um<br />

Frauen, die dem Leitbild des „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ entsprachen, sie wurden aber als<br />

„Ausnahmeerscheinungen bürgerlicher Frauenrechtelei“ zusammengefasst.<br />

Kapitel 4 umfasst in den jeweiligen Unterkapiteln <strong>und</strong> in verkürzter Form <strong>und</strong><br />

Schwerpunktsetzung auf die Konstruktion von Leit- <strong>und</strong> Vorbildern alle frauenbiographischen<br />

Artikel der „Gleichheit“. Im Rahmen der Untersuchungen wurde deutlich, dass den in ihnen<br />

erbrachten Erkenntnissen ein angemessener Raum zugestanden werden muss. Dies wurde nicht<br />

nur erforderlich, um die „Gleichheit“ selbst „zu Wort“ kommen zu lassen <strong>und</strong> um einen Eindruck<br />

von der schriftstellerischen Begabung ihrer MitarbeiterInnen zu geben, sondern auch um<br />

möglichst viele biographische Informationen zu den zum Teil gänzlich unbekannten Frauen der<br />

proletarischen Frauenbewegung zusammenzustellen. Darüber hinaus musste – ausgehend von der<br />

für die Vermittlung von Frauenleitbildern elementaren Methode der Wiederholung – eine aus-<br />

führliche Darstellung des Originalduktus vorgenommen werden. Im Rahmen dieser Darstellung<br />

offenbarten sich Bilder, feststehende Ausdrücke, stilistische Besonderheiten <strong>und</strong> der Einblick in<br />

die von der „Gleichheit“ intendierte Aufklärung <strong>und</strong> emotionale Berührung. Da die Schwerpunkt-<br />

setzung für die in Kapitel 4 vorgenommene Zuordnung der biographierten Frauen nicht nur vom<br />

Inhalt, sondern auch von dem kämpferischen, emotionalen <strong>und</strong> dogmatischen oder auch wissen-<br />

3<br />

710<br />

„Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch”. In: GL, 08/ 02/ 19.11.1898/ 1.


5 ZUSAMMENFASSUNG<br />

schaftlich sachlichen Duktus abhängt <strong>und</strong> dieser viel Interpretationsspielraum bietet, konnten<br />

Widersprüche nicht ausbleiben, denn der Duktus der „Gleichheit“ war auch unter der oft als zu<br />

rigide kritisierten Redaktion Zetkins nie einheitlich. Zum einen brachten die verschiedenen Mit-<br />

arbeiterInnen durchaus ihren eigenen Stil ein <strong>und</strong> zum anderen waren für die Auswahl der Artikel<br />

durch die Redaktion oft politische Ereignisse, Jahrestage oder der Tod einer Frau aus der<br />

Bewegung gr<strong>und</strong>legend. Deshalb konnten auch bei den anhand mehrerer biographischer Artikel<br />

vorgestellten Frauen Überschneidungen von Frauenleitbildern nicht ausgeschlossen werden.<br />

Die „Gleichheit“-AutorInnen schwanken in ihrem Duktus zwischen der Intention, die biogra-<br />

phierten Frauen einerseits als Frauen darzustellen, wie es sie zu Millionen gibt, <strong>und</strong> sie<br />

andererseits aufgr<strong>und</strong> ihres besonderen Sendungsbewusstseins, ihres Bildungswillens, ihrer Tat-<br />

kraft <strong>und</strong> ihrer Aufopferungsbereitschaft hervorzuheben. Teils waren sie Vorbilder, denen<br />

nachzustreben möglich <strong>und</strong> gewünscht war, teils nahmen sie den Charakter fast mythischer Aus-<br />

nahmegestalten an. Häufig ist es sogar gerade eine solche Entwicklung, die beschrieben <strong>und</strong> für<br />

die Leserinnen an spezifischen biographischen Wendepunkten aufgezeigt wird. Es sind Appelle an<br />

die Leserinnen, ihre oft selbstgesetzten Grenzen zu sprengen, ihre Handlungsräume zu erweitern.<br />

Diejenigen Frauen, die dem Leitbild des „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ zugerechnet werden, können<br />

jedem Jahrh<strong>und</strong>ert entstammen. Es stellt eine Synthese aus mehreren Elementen weiblicher<br />

Rollenklischees dar, beinhaltet aber auch die Entfaltung der individuellen Fähigkeiten <strong>und</strong> der<br />

Persönlichkeit. Die darin enthaltenen Bildungsziele sind sehr allgemein formuliert <strong>und</strong> vor allem<br />

auf die Erziehung „ganzheitlicher Persönlichkeiten“ gerichtet. Die Riege der in der „Gleichheit“<br />

versammelten Frauen beginnt jedoch nicht mit einer gelehrten Römerin oder Griechin, sondern<br />

mit einer frauenbewegten Gelehrten des französischen Mittelalters: Christine de Pisan (ca. 1364 –<br />

ca. 1430) – gefolgt von der einzigen in der „Gleichheit“ porträtierten Königin: Maria Stuart von<br />

Schottland (1542-1587). Ihre Lebenswege verweisen auf verschiedene für die Proletarierinnen des<br />

19. Jahrh<strong>und</strong>erts vorbildliche Charakterzüge. Gleiches gilt auch für die frühen Akademikerinnen,<br />

die unter dem Eindruck der Aufklärung um ihr Recht auf Bildung kämpften <strong>und</strong> dies zum Teil<br />

auch durchsetzen konnten, wie z. B. Maria Gaёtana d‘Agnesi (1718-1799). Keine Erwähnung in<br />

Form einzelner Biographien finden die <strong>weiblichen</strong> Opfer der Hexenverbrennungen, von denen<br />

nicht wenige aufgr<strong>und</strong> ihrer medizinischen Kenntnisse verfolgt wurden. In anderen frauen-<br />

geschichtlichen Artikeln werden viele dieser Opfer der Inquisition aber zumindest namentlich<br />

genannt. Gebildete Frauen des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts führten Salons, in denen sich die geistige <strong>und</strong><br />

literarische Elite ihrer Zeit bewegte. Einige setzten sich in politischer Einstellung <strong>und</strong><br />

711


ZUSAMMENFASSUNG<br />

Lebenshaltung über gesellschaftliche Normen hinweg <strong>und</strong> zeigten ein besonderes weibliches<br />

Selbstbewusstsein. Diese Art des gelehrten „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ fand sich auch unter den<br />

bürgerlichen Zeitgenossinnen wieder. Auch die Frauen der Französischen Revolution müssen zu<br />

den „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ gezählt werden – sind ihre politischen Motive doch in den Augen<br />

Zetkins noch nicht ähnlich ausgereift, wie jene einer sozialistischen Klassenkämpferin. Gleiches<br />

gilt für die Frauen des Vormärz <strong>und</strong> der 1848er-Revolution. Ihre Motive wurden von Zetkin als für<br />

ihre Zeit revolutionär, aber für Sozialistinnen nicht wegweisend erachtet. Vielleicht vorbildhafter<br />

noch als jene Frauen gehobener Bildung <strong>und</strong> gehobenen Standes handelte eine namentlich gänz-<br />

lich unbekannte Frau aus Frankfurt am Main, die 1833 Mut <strong>und</strong> Zivilcourage bewies, indem sie<br />

einen verfolgten Revolutionär versteckte. Da dem Duktus der ihnen gewidmeten Artikel ent-<br />

sprechende klassenkämpferische Momente fehlten, wurden selbst bekannte <strong>und</strong> bekennende So-<br />

zialistinnen wie Beatrice Webb (1858-1943) oder Helen Keller (1880-1968) unter die besondere<br />

Rubrik „Frauen von ‘sozialistischer Gesinnung’“ des „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ gefasst.<br />

Dem Leitbild der „sozialistischen Mutter“, das sehr stark in dem Leitbild des „<strong>weiblichen</strong><br />

Vollmenschen“ aufgeht, waren nur drei Frauen zuzuordnen. Deren größtes Verdienst um die<br />

Geschichte war es, Mütter bedeutender Persönlichkeiten gewesen zu sein, ein Verdienst, das sie<br />

nur erwerben konnten, weil sie zuvor selbst eine umfassende Bildung erworben <strong>und</strong> an ihre Söhne<br />

weitergegeben hatten: Cornelia (um 190 v. u. Z.- um 100 v. u. Z.), Katharina Elisabeth Goethe<br />

(1731-1808) <strong>und</strong> Anna Regina Kant (1697-1737) hatten Anteil am Genie ihrer Söhne, weil sie<br />

ihnen ein entsprechendes Leben vorlebten, deren Charaktere ausbildeten <strong>und</strong> deren Neigungen<br />

unterstützen. Das Leitbildelement der Opferbereitschaft kam jedoch bei diesen drei Müttern<br />

weniger zum Tragen als bei den Müttern in der Gruppe der <strong>Klassenkämpferinnen</strong>. Da in deren<br />

biographischen Skizzen bestimmte klischeehafte Bilder der Mütterlichkeit besonders deutlich<br />

hervortraten, ist der Vorwurf, in manchen Aussagen der „Gleichheit“ würde die Frau zur<br />

„proletarischen Gebärerin“ abgestempelt, nicht ganz von der Hand zu weisen. Doch gerade die<br />

obigen drei Biographien belegen, dass den Leserinnen auch anspruchsvollere Identifikations-<br />

möglichkeiten geboten wurden <strong>und</strong> von einer „sozialistischen Mutter“ weit mehr erwartet wurde,<br />

als lediglich KlassenkämpferInnen zu gebären. Mütter, bzw. wie sich an an vielen proletarischen<br />

Lebensläufen zeigte, Eltern <strong>und</strong> Familie mussten auch in der Lage sein, ihren Nachwuchs zu<br />

bewussten KlassenkämpferInnen zu erziehen.<br />

Die für das Leitbild der „sozialistischen Ehefrauen“ stehenden Frauen waren sowohl verstorbene<br />

Ehefrauen von SPD-Parteiführern als auch Frauen von 1848er-Revolutionären. In ihren<br />

712


5 ZUSAMMENFASSUNG<br />

Biographien prägt sich das Ideal der Genossenschaft von Mann <strong>und</strong> Frau aus. Bei den unter diese<br />

Kategorie gefassten „Ehefrauen“ ist die Frage, ob es sich tatsächlich um Ehen im juristischen<br />

Sinne handelte, zweitrangig. Nicht die Form ihrer Ehen stand im Vordergr<strong>und</strong>, sondern vielmehr<br />

ihr Charakter als „Gesinnungsgenossenschaft“, in welcher Mann <strong>und</strong> Frau gleichberechtigt <strong>und</strong><br />

gleichermaßen engagiert für eine politische Sache wirken oder wie Christiane Goethe-Vulpius<br />

(1765-1816) auf ihren Ehemann inspirierenden Einfluss hatten. Ehefrauen von Revolutionären –<br />

z. B. Anita Garibaldi (1821-1849), Emma Herwegh (1817-1904) oder Johanna Kinkel (1810-<br />

1858) – stehen für Frauen, die mehr oder weniger direkt an der Seite ihrer Ehemänner an den<br />

Kämpfen ihrer Zeit teilnahmen, tapfer die Folgen trugen <strong>und</strong> sie ins Exil begleiteten. Nie geklagt<br />

haben auch die Ehefrauen der großen Männer der SPD. Unter dem Sozialistengesetz haben sie oft<br />

ihre Ehemänner entbehren oder sogar deren zentrale Position innerhalb der Bewegung ersetzen<br />

müssen. Ohne Frauen wie Jenny Marx (1814-1881), Julie Bebel (1843-1910) oder Natalie<br />

Liebknecht (1835-1909), die ihren Ehemännern den Rücken frei hielten, hätte die Entwicklung<br />

der SPD sicherlich einen anderen Verlauf genommen. Diese Ehefrauen mussten nicht nur<br />

verständnisvoll, sondern auch verständig sein <strong>und</strong> im Sinne des Leitbildes des „<strong>weiblichen</strong> Voll-<br />

menschen“ über eine Bildung verfügen, die es ihnen ermöglichte, die Ideale ihres Mannes zu<br />

teilen. Frauen, die ihre Ehemänner in Bildung <strong>und</strong> gesellschaftlichem Einfluss überragten, sind<br />

dieser Kategorie nicht zugeordnet worden, weil der Schwerpunkt der jeweiligen Artikel ein<br />

anderer war. Doch auch sie wurden den „Gleichheit“-Leserinnen vorgestellt <strong>und</strong> sind in der vor-<br />

liegenden Arbeit meist unter den „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ zu finden – genauso wie es dort<br />

Frauen gibt, die in Konsequenz ihrer höheren Gesinnung <strong>und</strong> Bildung ihre ehelichen Fesseln <strong>und</strong><br />

ihre Ehemänner in doppelter Hinsicht „hinter sich ließen“.<br />

Dem Leitbild der „Klassenkämpferin“ wären chronologisch zuerst die Frauen der Bauernkriege<br />

zuzuordnen, doch die Art ihrer Erwähnung in den jeweiligen Artikeln fiel zu knapp aus, um sie<br />

hier angemessen berücksichtigen zu können. Die ersten Schwerpunkte hinsichtlich dieses Leit-<br />

bildes setzten deshalb die Studien Zetkins zu den Ereignissen im zaristischen Russland <strong>und</strong> zur<br />

Pariser Kommune. Die dieser Kategorie zuzurechnenden biographischen Skizzen beginnen in der<br />

„Gleichheit“ mit dem Porträt einer Revolutionärin aus dem Umkreis der russischen Volkstümler:<br />

Maria Lwowna Berditschewskaja (?-1905). In der „neuen“ „Gleichheit“ wurde nur eine dieser<br />

russischen Revolutionärinnen gewürdigt: Katharina Breschkowskaja (1844-1934). Zetkin<br />

porträtierte außerdem die beiden bekanntesten Kämpferinnen der Pariser Kommune: Marie Ferré<br />

(ca. 1851-1882) <strong>und</strong> Louise Michel (1839-1905). Letzterer wollte die „Gleichheit“-Redakteurin<br />

713


ZUSAMMENFASSUNG<br />

allerdings im Hinblick auf deren Annäherung an anarchistische Ideen die zielklare Gesinnung<br />

einer sozialistischen Klassenkämpferin fast aberkennen. Vorbildhaft für klassenkämpferische<br />

Tugenden <strong>und</strong> Eigenschaften waren nach 1917 hauptsächlich die verstorbenen Mitglieder der<br />

proletarischen Frauen- <strong>und</strong> Gewerkschaftsbewegung Deutschlands. 73 dieser Frauen wurden in<br />

der gesamten „Gleichheit“ meist in Nekrologen porträtiert. Die „Gleichheit“ würdigte sowohl Ge-<br />

nossinnen, die unermüdlich „Parteikleinarbeit“ leisteten, als auch die Gründerinnen der<br />

proletarischen Frauenbewegung. Weitere Schwerpunkte für eine Gliederung ergaben sich daraus,<br />

dass einige Frauen bereits als langjährige Funktionärinnen tätig waren, während anderen gemein-<br />

sam war, dass sie der Frauenbewegung als Hoffnungsträgerinnen durch einen plötzlichen Tod in<br />

jungen Jahren entrissen wurden. Ein solcher Verlust war für die „Gleichheit“-Mitarbeiterschaft<br />

vor allem Hanna Lewin-Dorsch (?-1911).<br />

Die Internationalität des Klassenkampfes fand Ausdruck in den vielen biographischen Artikeln,<br />

die das Leben <strong>und</strong> Wirken sozialistischer Frauen u. a. in Österreich, den USA oder Südafrika<br />

porträtierten. Meist war es Zetkin, die über die sozialistischen Frauenbewegungen anderer Länder<br />

informierte <strong>und</strong> deren Protagonistinnen vor allem in Form von Nachrufen würdigte. Es ist daher<br />

sehr auffällig, dass diese Artikel in der „neuen“ „Gleichheit“ die Ausnahme wurden. Dahinter ist<br />

als Ursache nicht nur die revisionistische Linie der SPD, die sich auch in ihrem Frauenorgan<br />

niederschlug, zu vermuten, sondern auch der Mangel an geeigneten AutorInnen, die in der Lage<br />

gewesen wären, sich annähernd die gleichen Kenntnisse <strong>und</strong> die gleiche Übersicht anzueignen,<br />

wie Zetkin sie besaß.<br />

Zetkin <strong>und</strong> Anna Blos waren hinsichtlich der Artikel frauengeschichtlichen Inhalts die mit Ab-<br />

stand produktivsten Mitarbeiterinnen der „Gleichheit“. Aus ihren jeweiligen historischen<br />

Arbeitsschwerpunkten resultiert auch eine große Zahl der porträtierten historischen Frauen – aus<br />

Zetkins Feder zudem die ungezeichneten Nachrufe vieler verstorbener Genossinnen <strong>und</strong> der An-<br />

fang einer „Geschichte der proletarischen Frauenbewegung“. Blos‘ Arbeiten waren in Inhalt <strong>und</strong><br />

Duktus so unverfänglich <strong>und</strong> parteipolitisch neutral, dass sie unter beiden „Gleichheit“-<br />

Redaktionen veröffentlicht werden konnten. Wenn auch in ihrer politischen Aussage zurück-<br />

haltend, kann Anna Blos doch mit Recht als eine „Pionierin der Frauengeschichte“, genauer noch<br />

„der Frauengeschichtsforschung“ bezeichnet werden. Zetkin war dies nicht minder, sah in dieser<br />

Tätigkeit jedoch vorrangig das Ziel, den Leserinnen mit der „Gleichheit“ die Quelle für ein<br />

sozialistisches weibliches Geschichtsbewusstsein zu geben. Inhalte <strong>und</strong> schriftstellerischer Duktus<br />

der Artikel dieser beiden Frauen sind daher sehr unterschiedlich, obwohl beide den Leserinnen<br />

Vorbilder politischen Handelns vorstellten. Während Zetkin den Vorbildcharakter der von ihr port-<br />

714


5 ZUSAMMENFASSUNG<br />

rätierten Frauen gleich einer Anleitung zum Nachahmen formulierte, wird aus Inhalt <strong>und</strong> Duktus<br />

der Blos‘schen Artikel nur selten eine besondere politisierende Absicht deutlich. So wurden auch<br />

die 1848er-Revolutionärinnen, die am ehesten dem Leitbild der „Republikanerin“ entsprechen,<br />

als „Frauengestalten aus dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert“ – so der Titel einer von Blos 1919-1921 veröffent-<br />

lichten Artikelreihe – den proletarischen Bürgerinnen der Weimarer Republik m. E. nicht in<br />

geeigneter Form als Vorbilder präsentiert. Auch Zetkin hatte bew<strong>und</strong>ernd auf die Teilhabe von<br />

Frauen an der 1848er-Revolution hingewiesen. Sie zeigte auf, warum diese Frauen Vorbild für<br />

jede Proletarierin sein konnten, aber auch, warum es nicht genug war, was diese forderten <strong>und</strong> zu<br />

erkämpfen suchten. Ähnliches musste für die Weimarer Republik gelten. Weder konnte es für die<br />

bürgerlichen Männer des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts genug sein, dass man ihnen von Königsgnaden eine<br />

Verfassung versprach, noch konnte es für die Frauen des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts genug sein, dass wenn<br />

auch lang ersehnte Wahlrecht zu bekommen. Und tatsächlich bestätigte das Frauenwahlrecht nur<br />

erneut das Sprichwort „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“, denn ein einziges zugestan-<br />

denes Recht macht noch keine Gleichberechtigung aus <strong>und</strong> ein Verfassungsprinzip auf staatliche<br />

Sozialisierung noch nicht den Sozialismus.<br />

Quantitativ fallen die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit wie folgt aus:<br />

Ausgehend von der Zielsetzung, alle in der „Gleichheit“ von 1891 bis 1923 erschienenen<br />

Frauenbiographien verschiedenster Formen zu erfassen, wurden in Kapitel 4 die Biographien von<br />

173 Frauen zusammengestellt.<br />

Nach der vorgenommenen Kategorisierung handelt es sich dabei um 31 „weibliche Voll-<br />

menschen“, 3 „Mütter“, 12 „Ehefrauen“, 115 „<strong>Klassenkämpferinnen</strong>“, keine „Republikanerinnen“<br />

<strong>und</strong> 11 „Ausnahmeerscheinungen bürgerlicher Frauenrechtelei“. <strong>Von</strong> Bedeutung ist ihre Ver-<br />

teilung innerhalb der „Gleichheit“ vor <strong>und</strong> nach der Entlassung Zetkins: Davon fallen in die<br />

Redaktionszeit Zetkins 22 „weibliche Vollmenschen“, 2 „Mütter“, 9 „Ehefrauen“, 98 „Klas-<br />

senkämpferinnen“ <strong>und</strong> 9 „Ausnahmeerscheinungen bürgerlicher Frauenrechtelei“. 4 In den auf die<br />

Entlassung Zetkins folgenden sechs Jahren bis zur Einstellung der „Gleichheit“ erschienen Artikel<br />

zu 15 „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“, 1 „Mutter“, 3 „Ehefrauen“, 23 „<strong>Klassenkämpferinnen</strong>“ <strong>und</strong> 3<br />

„Ausnahmeerscheinungen bürgerlicher Frauenrechtelei“. Auffallend klein ist die Schnittmenge<br />

derjenigen Frauen, zu denen sowohl in der „alten“ als auch in der „neuen“ „Gleichheit“ biogra-<br />

phische Artikel erschienen. Diese Frauen waren in ihrer Vorbildfunktion beiden „Gleichheit“-<br />

Redaktionen anscheinend gleichermaßen wertvoll. Zu diesen Frauen gehören 5 „weibliche Voll-<br />

4 Gomard untersuchte nur 67 unter der Redaktion Zetkins veröffentlichte biographische Artikel, kam aber zu<br />

denselben Ergebnissen, vor allem hinsichtlich der in der „Gleichheit“ selten gewordenen radikal-revolutionären<br />

Vorbilder (vgl. Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 120).<br />

715


ZUSAMMENFASSUNG<br />

menschen“ (Bettina von Arnim (1785-1859), Louise Aston (1815-1871), Malwida von Meysen-<br />

bug (1816-1903), Louise Otto-Peters (1819-1895) <strong>und</strong> Jeanne-Marie Roland (1754-1793), 6<br />

<strong>Klassenkämpferinnen</strong> (Hope Bridges Adams-Lehmann (1855-1916), Ottilie Baader (1847-1925),<br />

Emma Ihrer (1857-1911), Katharina Breschkowskaja (1844-1934) <strong>und</strong> die Dichterinnen Ada<br />

Negri (1870-1945) <strong>und</strong> Clara Müller-Jahnke (1861-1905) <strong>und</strong> als einzige bürgerliche Ausnahme-<br />

figur Minna Cauer (1841-1922). In Anbetracht der deutlich längeren Redaktionszeit Zetkins sind<br />

die Relationen zwischen „alter“ <strong>und</strong> „neuer“ „Gleichheit“ nur hinsichtlich der „<strong>weiblichen</strong> Voll-<br />

menschen“ auffällig. An dieser großen Zahl hatte vor allem die Artikelserie „Frauengestalten des<br />

19. Jahrh<strong>und</strong>erts“ von Blos ihren Anteil.<br />

211 frauenbiographische Artikelserien, Einzelartikel, Notizen, Gedichte <strong>und</strong> Nachrufe 5 wurden im<br />

Hauptblatt der „Gleichheit“ in 32 Jahrgängen 6 veröffentlicht <strong>und</strong> in der vorliegenden Arbeit unter<br />

besonderen Gesichtspunkten rekonstruiert. In der Frage nach der Beteiligung von Männern an der<br />

Gestaltung der „Gleichheit“, konnte festgestellt werden, dass 20 dieser Artikel <strong>und</strong> die beiden in<br />

der Zusammenstellung enthaltenen Gedichte von Männern verfasst wurden. 7 Dies entspricht<br />

jedoch nur einem Anteil von r<strong>und</strong> 10 Prozent. So kann auch für die Autorenschaft frauen-<br />

biographischer Artikel in der „Gleichheit“ konstatiert werden, dass es im Wesentlichen Frauen<br />

waren, die für Frauen über Frauen schrieben.<br />

Die Zusammenstellung <strong>und</strong> der Vergleich der frauengeschichtlichen <strong>und</strong> frauenbiographischen<br />

Artikel der „Gleichheit“ machen deutlich, dass es die in ihnen enthaltene Botschaft war, die<br />

proletarischen Frauen zur Reflexion ihrer Situation als Frau <strong>und</strong> Arbeiterin <strong>und</strong> zu einem<br />

entschlossenen politischen Engagement für den Sozialismus zu bewegen. Proletarische Frauen<br />

sollten aufgeklärt werden, damit sie sich bewusst zum Sozialismus bekennen <strong>und</strong> ihn unterstützen<br />

konnten. Ihnen wurde anhand von Vorbildern gezeigt, wie diese Unterstützung aussehen <strong>und</strong> wie<br />

sie sich für diese Aufgaben geistig wappnen konnten. Dabei wurde nicht verschwiegen, wie auf-<br />

reibend der Kampf gegen die Unterdrückung schon von jeher war <strong>und</strong> auch weiterhin sein würde.<br />

Opferbereitschaft war daher eine zentrale Tugend, die die „Gleichheit“ von ihren Leserinnen<br />

forderte. Dies durchaus nicht in Form des Opfertodes – wenn dieser auch unleugbar vor allem bei<br />

Zetkin Bew<strong>und</strong>erung fand –, sondern angesichts des proletarischen Frauenalltags in Form des<br />

Opferns freier Zeit, um die „Gleichheit“ zu lesen, Leseabende <strong>und</strong> Versammlungen zu besuchen,<br />

5 Darin nicht enthalten sind die Nachrichtennotizen oder Buchbesprechungen, die jedoch in dem anhängenden<br />

Verzeichnis „Die frauenbiographischen Artikel aus dem Hauptblatt der ‘Gleichheit’ aufgeführt sind.<br />

6 Der erste Jahrgang der „Arbeiterin“ <strong>und</strong> damit der „Gleichheit“ floss in die Untersuchung nicht ein, weil die<br />

Sammlung der erhalten gebliebenen Exemplare sehr unvollständig ist.<br />

7 Für diese quantitative Auswertung wird angenommen, dass sich hinter den Autoreninitialen, die nicht eindeutig<br />

identifiziert konnten oder zu denen keine Vermutung geäußert werden konnte, weibliche Autoren verbargen.<br />

716


5 ZUSAMMENFASSUNG<br />

in Form proletarischer Solidarität oder in Form eines offenen Bekenntnisses zum Sozialismus,<br />

trotz der repressiven Konsequenzen, die daraus folgen konnten. Proletarierinnen mussten zu der<br />

Erkenntnis gelangen, dass ihr Elend nicht schicksalhaft war. Sie brachten Opfer, aber sie mussten<br />

es nicht sein – weder Opfer der Umstände, des Gesellschaftssystems, ihrer Ehemänner oder selbst<br />

auferlegter Beschränkungen. Ihr Schicksal lag in ihren Händen <strong>und</strong> viele historische Vorbilder<br />

belegten dies.<br />

Die Suche nach Geschichte musste die Suche nach ihrer eigenen Geschichte sein. In der<br />

„Gleichheit“ hatten die sozialistischen Frauen eine Stimme, die ihren Teil forderte. Nicht nur ihren<br />

Teil an politischer Macht, nicht nur ihren Teil an Rechten <strong>und</strong> Pflichten, sondern ihren Teil am<br />

öffentlichen Bewusstsein. Und dort, wo Frauen bereits Teil des öffentlichen Bewusstseins waren –<br />

in den traditionellen Rollenbildern <strong>und</strong> Stereotypen – mussten die sozialistischen Frauen<br />

korrigierend eingreifen, mussten sie Raum für Alternativen schaffen. Dies gelang ihnen zu-<br />

gegebenermaßen nicht immer. Die Redaktionsarbeit Zetkins <strong>und</strong> die von ihr formulierten<br />

Frauenleitbilder werden aber von manchen KritikerInnen zu einseitig dargestellt, wenn sie den<br />

Widerspruch zum realen Leben der proletarischen Frauen hervorheben <strong>und</strong> diese Leitbilder damit<br />

für zu utopisch erklären. Die in den Biographien dargestellten Frauen haben tatsächlich gelebt <strong>und</strong><br />

die Frauenleitbilder, denen sie entsprachen, wurden nicht auf einem Reissbrett entworfen, sondern<br />

waren von der Geschichte <strong>und</strong> ihrem Verlauf inspiriert. Diesen Vorbildern nachzuleben ist kein<br />

schlechter Ausgangspunkt für eine Utopie.<br />

Der andere Kritikpunkt, die sozialistischen Frauenleitbilder seien bürgerlichen Frauenleitbildern<br />

zu ähnlich gewesen, um tatsächlich alternativ zu sein, verweist wiederum auf die Realitätsnähe<br />

der sozialistischen Frauenleitbilder – wenn auch auf eine ungewollte. Ohne Frage sind die Frauen-<br />

leitbilder der proletarischen Frauenbewegung teils widersprüchlich, teils zu kompromisslos for-<br />

muliert. Durch Ausschluss unerwünschter, z. B. feministischer Tendenzen, wollte die „Gleichheit“<br />

unter Zetkin besonders identitätsstiftend <strong>und</strong> integrierend wirken. Die „Gleichheit“ versuchte, wie<br />

jede Zeitschrift, ihre „gesellschaftsfördernde, gruppenbildende, gemeinschaftsformende Kraft“ 8<br />

einzusetzen <strong>und</strong> suchte stets eine mit den Gr<strong>und</strong>werten des Sozialismus zu vereinbarende <strong>und</strong> für<br />

die Leserinnen geeignete Form der Ansprache. Die häufig vorgebrachte Kritik, dass diese<br />

Ansprache auch über die klassischen Frauenrollen als Mutter <strong>und</strong> Hausfrau gesucht wurde,<br />

übersieht, dass die „Gleichheit“ den Hausfrauen, Müttern <strong>und</strong> Ehefrauen stets einen spezifisch<br />

sozialistischen, d. h. emanzipatorischen Blick auf ihre Situation zu vermitteln bestrebt war. Die<br />

proletarische Frauenbewegung war zudem in ihrer Hervorhebung der Mutterrolle deutlich maß-<br />

8 Haacke, Die politische Zeitschrift, Bd. 1, S. 40.<br />

717


ZUSAMMENFASSUNG<br />

voller als die bürgerliche, hatte sie doch weitere Möglichkeiten, ein Identifikationsgefühl unter<br />

den Frauen zu stiften: Frau, Gattin, Arbeiterin <strong>und</strong> Angehörige der unterdrückten proletarischen<br />

Klasse. Gegenüber dem, was die bürgerliche Gesellschaft den Frauen zuzugestehen gewillt war,<br />

stellte jedes sozialistische Frauenleitbild einen deutlich erweiterten Horizont weiblicher Befreiung<br />

<strong>und</strong> Selbstverwirklichung dar. Doch trotz sozialistischer Frauenemanzipationstheorie verlief dies<br />

nicht widerspruchsfrei. Bereits am Schlagwortschatz innerhalb der biographischen Artikel lassen<br />

sich potentielle Widersprüche aufweisen. Wo vom Willen zur „Selbstbildung“, zum „Selbstbe-<br />

wusstsein“ die Rede war, gab es auch die Forderung der „Selbstauflösung“ <strong>und</strong> „Selbstaufgabe“.<br />

Wo Widerstand gegen vermeintliche Autoritäten verlangt wurde, sprach man auch von<br />

„Solidarität“ <strong>und</strong> „Parteidisziplin“. Die den Proletarierinnen gebotenen Identifikations- <strong>und</strong> Orien-<br />

tierungsmöglichkeiten boten eine Fülle von Berührungspunkten <strong>und</strong> Kompromissen. Klischees<br />

überdauerten dadurch aber auch die angestrebte Bewusstseinsumbildung oder zeugen von deren<br />

Unvollständigkeit. Die politische Frauenbildung der proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> damit<br />

auch der „Gleichheit“ blieb gefangen zwischen revolutionärem Umsturz <strong>und</strong> traditioneller Kon-<br />

tinuität.<br />

Auch Zetkin hatte kein allein gültiges Rezept für die individuelle Lebensplanung – anderes zu<br />

behaupten wäre vermessen. Auch sie hing teilweise althergebrachten Rollenbildern an <strong>und</strong><br />

ignorierte deren starke Verwurzelung in der bürgerlichen Gesellschaft, die nicht allein dadurch zu<br />

lösen war, dass man vorhandene Rollenbilder sozialistisch umdeutete. Jedoch war dies oft die<br />

einzige Ebene, auf der die proletarischen Frauen erreicht werden konnten, weshalb es ein ge-<br />

lungener Kompromiss war, das niveauvolle politisch-theoretische Hauptblatt der „Gleichheit“ mit<br />

zwei ebenfalls niveauvollen, aber auch unterhaltenden Beilagen zu ergänzen. Die Ergebnisse<br />

dieser an sich widersprüchlichen, aber zugleich durchdachten Ansprache der Leserinnen hätten<br />

vielleicht andere sein können, wenn der Erste Weltkrieg, Zensur <strong>und</strong> Redaktionswechsel der kon-<br />

sequenten politischen Aufklärung der Frauen durch die „Gleichheit“ kein Ende gesetzt hätte.<br />

Die „Gleichheit“ nach Zetkins Entlassung bot keine Alternative. Die sozialdemokratische Frauen-<br />

bewegung – eine einheitlich als „proletarisch“ zu bezeichnende Frauenbewegung gab es dann<br />

nicht mehr – griff angesichts der Kriegserlebnisse vermehrt feministische Argumentationen auf<br />

<strong>und</strong> eine Auseinandersetzung mit der nach wie vor existierenden Klassengesellschaft in der Wei-<br />

marer Republik fand in ihr kaum noch statt. Die Angst vor „russischen Verhältnissen“ trieb die<br />

proletarische Frauenbewegung dazu, dem Sozialismus in seiner radikalen Form zu entsagen. Mit<br />

der deutschen Demokratie <strong>und</strong> dem Frauenwahlrecht waren große Ziele hinsichtlich der Gleich-<br />

berechtigung von Mann <strong>und</strong> Frau erreicht worden. Zu früh wandte sich die Sozialdemokratie<br />

718


5 ZUSAMMENFASSUNG<br />

jedoch von ihren revolutionären Prinzipien ab <strong>und</strong> erachtete die „sozialistische Frauenemanzi-<br />

pationstheorie“ als in der neuen Staatsform überflüssig. So mangelhaft diese Theorie in Bezug auf<br />

viele sozialpsychologische <strong>und</strong> alltagstaugliche Aspekte war, warf es die Emanzipation der Frau<br />

doch um einiges zurück, dass man sich ihrer nun gänzlich entledigte <strong>und</strong> völlig in der bürger-<br />

lichen Gesellschaft aufging. Die sozialdemokratische Frauenbewegung begnügte sich mit dem<br />

„Spatz in der Hand“ <strong>und</strong> ließ die „Taube auf dem Dach“. Sie verabschiedete sich von ihren radi-<br />

kalen Zielvorstellungen einer revolutionären Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Sie<br />

verabschiedete sich auch von revolutionären Utopien, weil das praktisch Machbare zum Greifen<br />

nahe schien. Doch bezogen auf das Geschlechterverhältnis <strong>und</strong> gesellschaftliche Normen unter-<br />

lagen die Frauen auch weiterhin noch vielen Unterdrückungsmechanismen, gegen die sie sich nur<br />

zögerlich zur Wehr setzten. Teils resultierte der Mangel an Gegenwehr aus dem zuvor verinner-<br />

lichten sozialistischen Prinzip der Klassenharmonie, teils aus bürgerlichen Weiblichkeits-<br />

stereotypen <strong>und</strong> teils aus dem übermäßigen Vertrauen in die Strukturen der noch unreifen<br />

Demokratie. Die Frauen zu überzeugten Republikanerinnen zu erziehen, war elementar für den<br />

politischen Erfolg der SPD <strong>und</strong> für die Stabilität der jungen Republik, die von Anfang an von<br />

innen stark gefährdet war. Doch dachte man über diesen Etappensieg nicht hinaus <strong>und</strong> sah nicht<br />

die Gefahren. Die „neue“ Gleichheit <strong>und</strong> noch viel stärker die „Frauenwelt“, die im Prinzip nur<br />

eine feuilletonistische Beilage war <strong>und</strong> deren allgemeine Leserinnenschaft in dem Funktionärin-<br />

nenblatt „Die Genossin“ keine politisierende Ergänzung hatte, beide waren nicht darauf angelegt<br />

selbstbewusste <strong>Klassenkämpferinnen</strong> zu erziehen.<br />

Das Leitbild der „Klassenkämpferin“ wurde für die „neue“ „Gleichheit“ mit der demokratischen<br />

Integration überflüssig <strong>und</strong> war anscheinend als Ideal nie auch nur annähernd erreicht worden,<br />

denn sonst hätte der Protest in den Jahren des Ersten Weltkrieges gegenüber der revisionistischen<br />

Entwicklung der SPD <strong>und</strong> der Widerstand gegen den aufkommenden Nationalsozialismus viel<br />

stärker sein müssen. Selbst das Ideal des allgemein-gebildeten proletarischen „<strong>weiblichen</strong> Voll-<br />

menschen“ mit seinem Bild der proletarischen Frau, der, gleich allen Menschen, ein freier Zugang<br />

zu Bildung <strong>und</strong> Kultur ermöglicht wird <strong>und</strong> die diese in eigener Person <strong>und</strong> in ihrer Rolle als<br />

Mutter <strong>und</strong> Ehefrau in den Dienst der Sache stellt, enthält den entscheidenden Widerspruch, dass<br />

dieses Bildungsideal einerseits Voraussetzung für das Ideal der „Klassenkämpferin“ war, anderer-<br />

seits aber erst Ergebnis des Klassenkampfes sein konnte. Der Sozialismus brauchte bewusste<br />

<strong>Klassenkämpferinnen</strong> <strong>und</strong> die Frauen brauchten den Sozialismus, um aus ihrer Unterdrückung<br />

befreit zu werden, die nach der Emanzipationstheorie ihre Ursachen im kapitalistischen System<br />

719


ZUSAMMENFASSUNG<br />

hatte. Deshalb wollte Zetkin auch nicht auf das hohe intellektuelle Niveau der „Gleichheit“ ver-<br />

zichten. Sie musste die Leserin in ihrer Bildung <strong>und</strong> ihrem Engagement heben. Zetkin entwarf<br />

1896 folgendes Idealbild der „Klassenkämpferin“:<br />

„Das Sehnen verdichtet sich zu zielklaren Gedanken, die Wünsche werden zur<br />

That. Neueres, höheres Streben hebt diese Frauen über die Enge ihrer<br />

Existenzverhältnisse empor, weitet <strong>und</strong> vertieft ihren Pflichtkreis. Die Beziehungen<br />

in der Familie bekommen einen neuen, reichen Inhalt. Die fleißig sorgende<br />

Hausfrau wandelt Hand in Hand mit dem Gatten im grüngoldigen Reiche der<br />

Ideale, sie kämpft an seiner Seite für die Ziele, denen ihre Herzen gemeinsam<br />

entgegenschlagen. Die liebevoll betreuende Mutter legt die neuen Menschheitshoffnungen<br />

in die Seelen ihrer Kleinen, sie erzieht sie zu Zukunftskämpfern.<br />

Mächtig regt sich der Bildungsdrang. Nachtst<strong>und</strong>en werden geopfert, um lesend zu<br />

lernen, <strong>und</strong> was gelernt worden, es drängt sich im Gespräch, im Verkehr mit Nachbarn<br />

<strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>innen lehrend über die Lippen. Jede Gelegenheit, der Sache der<br />

Arbeit zu dienen, wird gesucht, genützt. Neben den Aufgaben für die Familie<br />

finden die Pflichten gegen die Klasse ihr Recht. Heute geht es treppauf, treppab,<br />

um für Streikende zu sammeln, morgen werden Lässige an die bevorstehende<br />

Versammlung gemahnt, dann wieder gilt es, dort für den Sozialismus zu zeugen,<br />

mit den Kampfesgenossinnen <strong>und</strong> Genossen neue Pläne zu berathen, alte in die<br />

That umzusetzen. Thun reiht sich an Thun, kein Opfer erscheint zu schwer, keine<br />

Mühe schreckt.<br />

So leben <strong>und</strong> wirken heutzutage viele H<strong>und</strong>erte proletarischer Frauen, deren<br />

Namen nie in weitere Kreise dringen. So lebten <strong>und</strong> wirkten die heimgegangenen<br />

Genossinnen unter den Erstgewordenen, welche Stein um Stein für den Bau einer<br />

sonnigen Zukunft zusammentragen.“ 9<br />

Es ist dies ein Beispiel für den deutlich idealisierenden Blick Zetkins auf die Frauen, in späteren<br />

Artikeln spiegelte sich eine realistischere Einschätzung des Alltags <strong>und</strong> der Lebenswirklichkeit<br />

der Proletarierinnen wider. Das Wesentliche aber war auch hier, dass sie ihren Leserinnen immer<br />

zutraute, es besser zu können.<br />

Auch aus diesem Gr<strong>und</strong> war es ein f<strong>und</strong>amentales Prinzip des Bildungsauftrags der „Gleichheit“,<br />

die proletarischen Frauen aus der Geschichte lernen zu lassen <strong>und</strong> den Gr<strong>und</strong>stein für ihr<br />

Geschichtsbewusstsein zu legen. Er ist Voraussetzung für politisches Bewusstsein <strong>und</strong> damit für<br />

politisches Handeln <strong>und</strong> gesellschaftliche Veränderung. Doch auch wenn sich diese Frauen einer<br />

politischen Sache bis zur „Selbstaufopferung“ <strong>und</strong> „Selbstauflösung“ „hingaben“, darf von der<br />

Geschichtswissenschaft nicht versäumt werden, nach diesem „Selbst“ zu suchen, nach den Spuren<br />

der Befreiung, die in diesen Entwürfen weiblicher Identität auffindbar sind. Die frauenbio-<br />

graphischen <strong>und</strong> frauengeschichtlichen Inhalte der „Gleichheit“ belegen, dass jede Art von<br />

sozialkritischem Engagement ein Beitrag zum Sozialismus <strong>und</strong> jede mutige Frau ein Sandkorn im<br />

Getriebe einer ungerechten <strong>und</strong> bis heute nicht repressionsfreien Gesellschaft sein kann.<br />

9 Wackere Kämpferinnen. In: GL, 06/ 24/ 25.11.1896/ 189.<br />

720


6 Literatur<br />

6.1 Fachliteratur<br />

6.1.1 Aufsätze, Sammelwerke, Quellensammlungen <strong>und</strong> Monographien<br />

Abendroth, Wolfgang: Einführung in die Geschichte der Arbeiterbewegung. Bd. 1: <strong>Von</strong> den Anfängen bis 1933.<br />

Heilbronn: Distel, 1985.<br />

Adler, Victor: Briefwechsel mit August Bebel <strong>und</strong> Karl Kautsky sowie Briefe von <strong>und</strong> an Ignaz Auer, Eduard<br />

Bernstein, Adolf Braun, Heinrich Dietz, Friedrich Ebert, Wilhelm Liebknecht, Hermann Müller <strong>und</strong><br />

Paul Singer. Gesammelt <strong>und</strong> erläutert von Friedrich Adler. Hrsg. vom Parteivorstand der Sozialistischen<br />

Partei Österreichs. Wien: Verlag der Wiener Volksbuchhandlung, 1954.<br />

Adorno, Theodor W.: Ohne Leitbild. In: Ders.: Ohne Leitbild. Parva Aesthetica, 4. Aufl. Frankfurt am Main:<br />

Suhrkamp, 1970, S. 7-19.<br />

Albrecht, Willy / Boll, Friedhelm / Bouvier, Beatrix W. / Leuschen-Seppel, Rosemarie / Schneider, Michael:<br />

Frauenfrage <strong>und</strong> deutsche Sozialdemokratie vom Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts bis zum Beginn der<br />

zwanziger Jahre. In: Archiv für Sozialgeschichte, Jg. 19 (1979), S. 459-510. (ebenfalls erschienen in:<br />

Die Frau in der Arbeiterbewegung 1900-1939, Bd. 1, S. 107-181).<br />

Allendorf, Marlis: Die Frau im Sozialismus. Bild- <strong>und</strong> Textdokumentation. Leipzig: Edition Leipzig, 1975.<br />

Andresen, Sünne: Knorrig wie eine Eiche. Revolutionäre Kämpfer <strong>und</strong> Revolutionstheorie. In: Geschlechterverhältnisse<br />

<strong>und</strong> Frauenpolitik, S. 144-159.<br />

Arbeiterbewegung <strong>und</strong> Frauenemanzipation 1889-1933. Hrsg. vom Institut für Marxistische Studien <strong>und</strong><br />

Forschungen. Frankfurt am Main: Verlag Marxistische Blätter, 1973.<br />

Arendt, Hans-Jürgen / Baller, Kurt / Freigang, Werner / Kirchner, Jürgen / Müller, Joachim / Scholze, Siegfried /<br />

Staude, Fritz: Zur Rolle der Frau in der Geschichte des deutschen Volkes (1830 bis 1945) – eine<br />

Chronik. Frankfurt am Main: Verlag Marxistische Blätter, 1984.<br />

Arendt, Hans-Jürgen: Frauenpolitik <strong>und</strong> Frauenbewegung in Deutschland 1917 bis 1945 im Spiegel nichtmarxistischer<br />

Geschichtsschreibung der 70er Jahre. In: Kolloquium der Forschungsgemeinschaft<br />

„Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“, 1981, S. 42-62.<br />

Aufgeweckt. Frauenalltag in vier Jahrh<strong>und</strong>erten. Ein Lesebuch. Hrsg. von der Frauen-Geschichtsgruppe des<br />

Stadtteilarchivs Ottensen e.V., Hamburg: Ergebnisse-Verlag, 1988.<br />

Bajohr, Stefan: Sexualaufklärung im proletarischen Milieu. Geschlechtskrankheiten <strong>und</strong> staatliche Eheberatung<br />

1900 bis 1933. In: Pasteur/Niederacher/Mesner, Sexualität, Unterschichtenmilieus <strong>und</strong> ArbeiterInnenbewegung,<br />

S. 59-69.<br />

Bardenheuer, Rita: „Woher <strong>und</strong> wohin?“ – Geschichtliches <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>sätzliches aus der Frauenbewegung.<br />

Leipzig: Verlag Naturwissenschaften, 1918.<br />

Baum, Edda: Clara Zetkins Werk „Die Gleichheit“. In: IPK, Jg. 7 (1927), Nr. 67, 01.07.1927, S. 1423.<br />

Beavan, Doris / Faber, Brigitte: „Wir wollen unser Teil fordern ...“ – Interessenvertretung <strong>und</strong> Organisationsformen<br />

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Rugenstein, 1987.<br />

Bebel, August: Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus. Erw. Nachdruck der 50. Aufl., Stuttgart: Dietz 1909. Berlin:<br />

Dietz, 1996.<br />

Bebel, August: Über die gegenwärtige <strong>und</strong> künftige Stellung der Frau. Im Anhang von: Ders.: Glossen zu Yves<br />

721


LITERATUR<br />

722<br />

Guyot‘s <strong>und</strong> Sigismond Lacroix‘s „Die wahre Gestalt des Christentums“. Leipzig 1878, S. 29-44. In:<br />

Bebel, August: Ausgewählte Reden <strong>und</strong> Schriften. Bd. 10/2. München, New Providence, London,<br />

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Beckmann, Emmy: Quellen zur Geschichte der Frauenbewegung. Frankfurt am Main: Diesterweg, 1955.<br />

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Blos, Anna: Die Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands. In: Blos, Die Frauenfrage im Lichte<br />

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Bock, Hans-Manfred: Geschichte des „linken Radikalismus“ in Deutschland. Ein Versuch. Frankfurt am Main:<br />

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Bock, Petra: Die Zeitschrift „Die Frauen-Tribüne“ 1933 – Wahrnehmungen <strong>und</strong> Deutungen im Übergang zum<br />

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Berlin: Hentrich, 1995. S. 244-269.<br />

Boedecker, Elisabeth: Marksteine der deutschen Frauenbewegung von ihren Anfängen im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert bis<br />

zum Neuanfang nach 1945. 3. ergänzte Aufl., Hannover: Selbstverlag, 1973.<br />

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Brandt, Gisela / Kootz, Johanna / Steppke, Gisela: Zur Frauenfrage im Kapitalismus. Frankfurt am Main: Suhrkamp,<br />

1973.


6.1.1 AUFSÄTZE, SAMMELWERKE, QUELLENSAMMLUNGEN UND MONOGRAPHIEN<br />

Brandt, Willy (Hrsg.): Frauen heute. Eine Bestandsaufnahme ... . Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1981.<br />

Braun, Lily: Die Frauenfrage. Ihre geschichtlichen Entwicklung <strong>und</strong> ihre wirtschaftliche Seite. Nachdruck der<br />

Ausgabe Leipzig 1901. Berlin, Bonn: J. H. W. Dietz, 1979.<br />

Braunthal, Julius: Geschichte der Internationale. 3 Bde. 3. Aufl., Berlin, Bonn: Dietz Nachf., 1978.<br />

Brehmer, Ilse: Mütterlichkeit als Profession? In: Dies., Mütterlichkeit als Profession? Bd. 1, S. 1-11.<br />

Brehmer, Ilse (Hrsg.): Mütterlichkeit als Profession? Lebensläufe deutscher Pädagoginnen in der ersten Hälfte<br />

dieses Jahrh<strong>und</strong>erts. Bd. 1. Pfaffenweiler: Centaurus, 1990.<br />

Brehmer, Ilse / Ehrich, Karin (Hrsg.): Mütterlichkeit als Profession? Lebensläufe deutscher Pädagoginnen in der<br />

ersten Hälfte dieses Jahrh<strong>und</strong>erts. Bd. 2: Kurzbiographien. Pfaffenweiler: Centaurus, 1993.<br />

Bridenthal, Renate / Koonz, Claudia / Stuard, Susan (Hrsg.): Becoming Visible – Women in European History.<br />

2. Aufl., Boston u. a.: Houghton Mifflin Company, 1987.<br />

Bridenthal, Renate: Beyond Kinder, Küche, Kirche. Weimar Women at Work. In: Central European History, Jg.<br />

6 (1973), Nr. 2, S. 148-166.<br />

Brinker-Gabler, Gisela (Hrsg.): Deutsche Literatur von Frauen. 2 Bde. Bd. 2: 19. <strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />

München: Beck, 1988.<br />

Brinker-Gabler, Gisela (Hrsg.): Frauen gegen den Krieg. Frankfurt am Main: Fischer, 1980.<br />

Brinker-Gabler, Gisela (Hrsg.): Frauenarbeit <strong>und</strong> Beruf. Frankfurt am Main: Fischer, 1979.<br />

Brosius, Bernhard: Strukturen der Geschichte. Eine Einführung in den historischen Materialismus. Köln: ISP,<br />

2007.<br />

Burgard, Roswitha/ Karsten, Gaby: Die Märchenonkel der Frauenfrage: Friedrich Engels <strong>und</strong> August Bebel. 2.<br />

Aufl., Berlin: Sub Rosa Frauenpresse, 1981.<br />

Bussemer, Herrad-Ulrike: Bürgerliche <strong>und</strong> proletarische Frauenbewegung (1865-1914). In: Muttersein <strong>und</strong><br />

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Ciupke, Paul / Derichs-Kunstmann, Karin (Hrsg.): Zwischen Emanzipation <strong>und</strong> „besonderer Kulturaufgabe der<br />

Frau“. Frauenbildung in der Geschichte der Erwachsenenbildung. Essen: Klartext, 2001.<br />

Clara-Zetkin-Kolloquien der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die<br />

Befreiung der Frau“ der Sektion Geschichte der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig. Referate<br />

<strong>und</strong> Diskussionsbeiträge. Leipzig: Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“ (in chronologischer Reihenfolge).<br />

Erstes Clara-Zetkin-Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse<br />

um die Befreiung der Frau“ (3.-4. Juli 1968).<br />

Viertes Clara-Zetkin-Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse<br />

um die Befreiung der Frau“ (26. November 1974).<br />

[Fünftes] Clara-Zetkin-Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse<br />

um die Befreiung der Frau“ (30. November 1977).<br />

[Siebtes] Clara-Zetkin-Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse<br />

um die Befreiung der Frau“ (16. Mai 1985): Frauen im Kampf für den Frieden. Zum<br />

75. Internationalen Frauentag. Manuskript. Leipzig: Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“, 1985.<br />

Craig, Gordon A.: Rolle der Frauen zwischen 1918 <strong>und</strong> 1930. In: Frauen – ein historisches Lesebuch. Hrsg. von<br />

723


LITERATUR<br />

724<br />

Andrea van Dülmen, 6. Auflage, München: Beck, 1995, S. 347-349.<br />

Dalhoff, Jutta / Frey, Uschi / Schöll, Ingrid (Hrsg.): Frauenmacht in der Geschichte. Beiträge des Historikerinnentreffens<br />

1985 zur Frauengeschichtsforschung. Düsseldorf: Schwann, 1986.<br />

Daniel, Ute: Arbeiterfrauen in der Kriegsgesellschaft. Beruf, Familie <strong>und</strong> Politik im Ersten Weltkrieg.<br />

Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1989.<br />

Dertinger, Antje: Weiber <strong>und</strong> Gendarm. Vom Kampf staatsgefährdender Frauenspersonen um ihr Recht auf politische<br />

Arbeit. Köln: B<strong>und</strong>, 1981.<br />

Dickmann, Elisabeth / Friese, Marianne (Hrsg.): Arbeiterinnengeschichte im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert. Studien zum<br />

sozio-kulturellen Wandel <strong>und</strong> zum politischen Diskurs in den Frauenbewegungen in Deutschland, England,<br />

Italien <strong>und</strong> Österreich. Vorträge eines Workshops an der Universität Bremen 1993. Münster,<br />

Hamburg: Lit, 1994.<br />

Dokumente der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung zur Frauenfrage 1848-1974. Hrsg. von der Forschungsgemeinschaft<br />

„Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse um die Befreiung der<br />

Frau“ an der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig. Leipzig: Verlag für die Frau, 1975.<br />

Dokumente <strong>und</strong> Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Reihe II, Bd. 1: Juli 1914 –<br />

Oktober 1917. Hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Berlin: Dietz, 1958.<br />

Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte. Hrsg. von Ernst Rudolf Huber. Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente<br />

1803-1850. 3. neubearb. <strong>und</strong> verm. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz: Kohlhammer,<br />

1978.<br />

Dölle, Gilla / Hering, Sabine: Lila ist Trumpf. Eine Bildergeschichte zur deutschen Frauenbewegung. Münster:<br />

Westfälisches Dampfboot, 1997.<br />

Dowe, Dieter (Hrsg.): Programmatische Dokumente der deutschen Sozialdemokratie. 2., überarb. <strong>und</strong> aktual.<br />

Aufl., Bonn: Dietz, 1984.<br />

Drust, Heide (Hrsg.): Für unsere Kinder. Texte aus der Kinderbeilage der „Gleichheit“ 1905-1917. Berlin: Der<br />

Kinderbuchverlag, 1986.<br />

Drust, Heide: „Eine nie versiegende Quelle der Unterhaltung <strong>und</strong> der Belehrung“ – Die Beilagen der „Gleichheit“.<br />

In: Ariadne, 1992, Nr. 22, S. 26-30.<br />

Eifert, Christiane: Wann kommt das „Fressen“, wann die „Moral“? Das „Kriegserlebnis“ der sozialdemokratischen<br />

Frauenbewegung. In: August 1914: Ein Volk zieht in den Krieg. Hrsg. von der Berliner<br />

Geschichtswerkstatt. Berlin: Nishen, 1989, S. 103-111.<br />

Eildermann, Wilhelm (Hrsg.): Unveröffentlichte Briefe Clara Zetkins an Heleen Ankersmit. In: BzG, Jg. 9<br />

(1967), Nr. 4, S. 659-692.<br />

Elbogen, Ismar / Sterling, Eleonore: Die Geschichte der Juden in Deutschland. Frankfurt am Main: Athenäum,<br />

1988.<br />

Engelmann, Bernt: Vorwärts <strong>und</strong> nicht vergessen. Vom verfolgten Geheimb<strong>und</strong> zur Kanzlerpartei: Wege <strong>und</strong><br />

Irrwege der deutschen Sozialdemokratie. München: Bertelsmann, 1984.<br />

Erziehung <strong>und</strong> Bildung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts. Eine kommentierte Quellensammlung zur Bildungs- <strong>und</strong><br />

Berufsbildungsgeschichte von Mädchen <strong>und</strong> Frauen. Hrsg. von Elke Kleinau <strong>und</strong> Christine Mayer. 2<br />

Bde. Weinheim: Deutscher Studien Verlag, 1996.<br />

Evans, Richard J.: Sozialdemokratie <strong>und</strong> Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich. Berlin: Dietz, 1984.<br />

Feidel-Mertz, Hildegard (Hrsg.): Zur Geschichte der Arbeiterbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 1968.


6.1.1 AUFSÄTZE, SAMMELWERKE, QUELLENSAMMLUNGEN UND MONOGRAPHIEN<br />

Fetscher, Irving: Der Marxismus. Seine Geschichte in Dokumenten. Philosophie, Ideologie, Ökonomie,<br />

Soziologie, Politik. 5. Aufl., München, Zürich: Piper, 1989.<br />

Flemming, Jens: „... von Jahr zu Jahr ein Sorgen <strong>und</strong> Bangen ohne Ende“ – Einkommen, Lohn, Lebensstandards.<br />

In: Ruppert, Die Arbeiter, S. 137-145.<br />

Flemming, Jens: „Sexuelle Krise“ <strong>und</strong> „Neue Ethik“. Wahrnehmungen, Debatten <strong>und</strong> Perspektiven in der deutschen<br />

Gesellschaft der Jahrh<strong>und</strong>ertwende. In: Liebe, Lust <strong>und</strong> Leid. Zur Gefühlskultur um 1900. Hrsg.<br />

von Helmut Scheuer <strong>und</strong> Michael Grisko. Kassel: University Press, 1999, S. 27-55.<br />

Fogel, Heidi / Ploch, Beatrice (Hrsg.): Der Wäscherinnenstreik 1897. Neu-Isenburger Arbeiterinnen begehren<br />

auf. Neu-Isenburg: Magistrat der Stadt Neu-Isenburg, Kultur- <strong>und</strong> Sportamt, 1997.<br />

Franzke, Astrid / Nagelschmidt, Ilse (Hrsg.): „Ich kann nicht gegen meine Überzeugung handeln“ – Clara<br />

Zetkin zum 150. Geburtstag. Leipzig: Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, 2008.<br />

Die Frau in der Arbeiterbewegung 1900-1939. Internationale Tagung der Historiker der Arbeiterbewegung (14.<br />

Linzer Konferenz 1978). 2 Bde. Wien: Europaverlag, 1980.<br />

Die Frau <strong>und</strong> die Gesellschaft. Hrsg. von der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse<br />

um die Befreiung der Frau“ an der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig. Leipzig:<br />

Verlag für die Frau, 1974.<br />

Frau <strong>und</strong> Geschichte. Ein Reader. Landau: Knecht, 1995.<br />

Frau <strong>und</strong> Gewerkschaft. Frankfurt am Main: Fischer, 1982.<br />

Frauen befreien sich. Bilder zur Geschichte der Frauenarbeit <strong>und</strong> Frauenbewegung. München: Frauenbuchverlag,<br />

1976.<br />

Frauen in der Geschichte. 8 Bde. Bd. 1: Frauenrechte <strong>und</strong> die gesellschaftliche Arbeit der Frauen im Wandel.<br />

Fachwissenschaftliche <strong>und</strong> fachdidaktische Studien zur Geschichte der Frauen. Hrsg. von Annette<br />

Kuhn <strong>und</strong> Gerhard Schneider. 2. Aufl., Düsseldorf: Schwann, 1982.<br />

Frauen in der Geschichte. 8 Bde. Bd. 3: Fachwissenschaftliche <strong>und</strong> fachdidaktische Beiträge zur Geschichte der<br />

Weiblichkeit vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart mit geeigneten Materialien für den Unterricht.<br />

Hrsg. <strong>Von</strong> Annette Kuhn <strong>und</strong> Jörn Rüsen. Düsseldorf: Schwann-Bagel, 1983.<br />

Frauen <strong>und</strong> Sexualmoral. Hrsg. von Marielouise Janssen-Jurreit. Frankfurt am Main: Fischer, 1986.<br />

FrauenBilderLeseBuch. Hrsg. von Anna Thüne. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt, 1985.<br />

Frauenstimmen aus der Nationalversammlung. Beiträge der sozialdemokratischen Volksvertreterinnen zu den<br />

Zeitfragen. Berlin: Vorwärts, 1920.<br />

Frederiksen, Elke (Hrsg.): Die Frauenfrage in Deutschland 1865-1915. Texte <strong>und</strong> Dokumente. Stuttgart: Reclam,<br />

1994.<br />

Freier, Anna-Elisabeth: „Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären.“ – Der Antifeminismus der proletarischen<br />

Frauenbewegung im Spiegel der „Gleichheit“, 1891-1917. Frankfurt am Main: Haage <strong>und</strong><br />

Herchen, 1981.<br />

Freier, Anna-Elisabeth: Dimensionen <strong>weiblichen</strong> Erlebens <strong>und</strong> Handelns innerhalb der proletarischen Frauenbewegung.<br />

In: Frauen in der Geschichte, Bd. 3, S. 195-218.<br />

Freire, Paulo: Pädagogik der Unterdrückten – Bildung als Praxis der Freiheit, Hamburg: Rowohlt, 1993.<br />

Freudenthal, Margarete: Gestaltwandel der städtischen, bürgerlichen <strong>und</strong> proletarischen Hauswirtschaft zwi-<br />

725


LITERATUR<br />

726<br />

schen 1760 <strong>und</strong> 1910. Erstausgabe der Dissertation 1934. Frankfurt am Main: Ullstein, 1986.<br />

Frevert, Ute: „Frau <strong>und</strong> Arbeiter haben gemein, Unterdrückte zu sein.“ – Proletarische Frauenbewegung. In:<br />

Ruppert, Die Arbeiter, S. 435-451.<br />

Frevert, Ute: Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung <strong>und</strong> Neuer Weiblichkeit. Frankfurt am<br />

Main: Suhrkamp, 1986.<br />

Freyberg, Jutta von / Fülberth, Georg / Harrer, Jürgen / Hebel-Kunze, Bärbel / Hofschen, Heinz-Gerd / Ott,<br />

Erich / Stuby, Gerhard: Geschichte der deutschen Sozialdemokratie 1863 bis zur Gegenwart. Köln:<br />

Pahl-Rugenstein, 1989.<br />

Freytagh-Loringhoven, Axel Freiherr von: Die Weimarer Verfassung in Lehre <strong>und</strong> Wirklichkeit. München: J.F.<br />

Lehmann, 1924.<br />

Friedemann, Peter: Französische Revolution <strong>und</strong> deutsche sozialistische Arbeiterpresse 1918-1933. In: TAJB,<br />

Jg. 28 (1989), S. 233-248.<br />

Friedrich Engels‘ Briefwechsel mit Karl Kautsky. Zweite, durch die Briefe Karl Kautskys vervollständigte<br />

Ausgabe von „Aus der Frühzeit des Marxismus“. Hrsg. <strong>und</strong> bearb. von Benedikt Kautsky. Wien:<br />

Danubia, 1955.<br />

Friedrich, Cäcilia (Hrsg.): Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen. Berlin: Akademie, 1966.<br />

Friese, Marianne: Bildungskonzepte der Arbeiterinnenbewegung. In: Kleinau/Opitz, Geschichte der Mädchen-<br />

<strong>und</strong> Frauenbildung, Bd. 2, S. 230-247.<br />

Friese, Marianne: Frauenarbeit <strong>und</strong> soziale Reproduktion – Eine Strukturuntersuchung zur Herausbildung des<br />

<strong>weiblichen</strong> Proletariats im Übergangsprozeß zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft – dargestellt<br />

an der Region Bremen. Bremen: Universität, 1991.<br />

Friese, Marianne: Weibliches Proletariat im Bildungsprozeß der Moderne. Zur Rekonstruktion eines kritischen<br />

Bildungsbegriffs, dargestellt an der Bildungssituation von bremischen Mägden <strong>und</strong> proletarischen<br />

Töchtern im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert. In: Schlüter, Anne (Hrsg.): Bildungsmobilität, Studien zur Individualisierung<br />

von Arbeitertöchtern in der Moderne. Weinheim: Deutscher Studienverlag, 1993, S. 13-32.<br />

Führenberg, Dietlinde / Koch, Gisela / Redzepi, Josefa / Wurms, Renate (Hrsg.): <strong>Von</strong> Frauen für Frauen. Ein<br />

Handbuch zur politischen Frauenbildungsarbeit. Zürich, Dortm<strong>und</strong>: eFeF, 1992.<br />

Geiger, Ruth-Esther / Weigel, Sigrid (Hrsg.): Sind das noch Damen? Vom gelehrten Frauenzimmer-Journal zum<br />

feministischen Journalismus. München: Frauenbuchverlag, 1981.<br />

Geisel, Beatrix: Journalismus als Frauenberuf. Folge 3: Ein umfassendes Konzept fortschrittlicher Kultur- <strong>und</strong><br />

Sozialpolitik. In: Die Feder, Jg. 38 (1989), Nr. 5, S. 33-40.<br />

Gerhard, Ute (Hrsg.): Frauen in der Geschichte des Rechts. <strong>Von</strong> der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart.<br />

München: Beck, 1997.<br />

Gerhard, Ute / Hannover-Drück, Elisabeth / Schmitter, Romina: „Dem Reich der Freiheit werb‘ ich Bürgerinnen“<br />

– Die Frauen-Zeitung von Louise Otto. Frankfurt am Main: Syndikat, 1980.<br />

Gerhard, Ute / Wischermann, Ulla: Liberalismus – Sozialismus – Feminismus. Zeitschriften der Frauenbewegung<br />

um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende. In: Brinker-Gabler, Deutsche Literatur von Frauen, Bd. 2, S. 268-284.<br />

Gerhard, Ute: Frauenwahlrecht in Deutschland. Bedeutung, Meinungen <strong>und</strong> Folgen. In: Schaeffer-Hegel, Vater<br />

Staat <strong>und</strong> seine Frauen, Bd. 1, S. 21-28.<br />

Gerhard, Ute: Grenzziehungen <strong>und</strong> Überschreitungen. Die Rechte der Frauen auf dem Weg in die politische<br />

Öffentlichkeit. In: Dies., Frauen in der Geschichte des Rechts, S. 509-546.


6.1.1 AUFSÄTZE, SAMMELWERKE, QUELLENSAMMLUNGEN UND MONOGRAPHIEN<br />

Gerhard, Ute: Über die Anfänge der deutschen Frauenbewegung um 1848. Frauenpresse, Frauenpolitik <strong>und</strong><br />

Frauenvereine. In: Hausen, Frauen suchen ihre Geschichte, S. 200-224.<br />

Gerhard, Ute: Unerhört – Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung. Hamburg: Rowohlt, 1996.<br />

Geschlechterverhältnisse <strong>und</strong> Frauenpolitik. Hrsg. von Projekt Feministischer Sozialismus. Berlin: Argument-<br />

Verlag 1984.<br />

Gieschler, Sabine: Konzeptionelle Ansätze proletarischer Frauenbildung als besondere Form der Arbeiterbildung.<br />

In: Olbrich, Arbeiterbildung nach dem Fall des Sozialistengesetzes, S. 283-295.<br />

Gieseke, Wiltrud: Geschlechterverhältnis <strong>und</strong> Weiterbildung. In: Dies. (Hrsg.): Erwachsenenbildung als Frauenbildung.<br />

Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 1995, S. 9-44.<br />

Gomard, Kirsten: Die Agitation der „Gleichheit“ als proletarische Frauenöffentlichkeit untersucht anhand der<br />

Beiträge zum Thema Aufrüstung, Krieg <strong>und</strong> Pazifismus, 1892-1917. In: Die Verantwortung der Literatur<br />

in ihrer Zeit. Ausgewählte Beiträge vom VI. gemeinsamen Kolloquium von Literaturwissenschaftlern<br />

der Universität Aarhus <strong>und</strong> der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. 31. Mai bis 2.<br />

Juni 1983 in Greifswald, Greifswalder Germanistische Forschungen, 6, 1985, S. 65-72.<br />

Gomard, Kirsten: Die Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität <strong>und</strong> Utopie. In: Utopie <strong>und</strong> Realität im<br />

Funktionsverständnis von Literatur (Französische Revolution – Oktoberrevolution – Gegenwart). Ausgewählte<br />

Beiträge vom VII. gemeinsamen Kolloquium von Literaturwissenschaftlern der Universität<br />

Aarhus <strong>und</strong> der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. 18. <strong>und</strong> 19. Mai 1987 in Greifswald.<br />

Greifswalder Germanistische Forschungen, 10, 1989, S. 40-45.<br />

Gomard, Kirsten: Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“. Angebot einer alternativen Frauenidentität?<br />

In: Augias, Bd. 28 (1988), S. 25-42.<br />

Götze, Ruth: Der Beitrag der „Gleichheit“ zur Entwicklung des Geschichtsbewußtseins ihrer Leserinnen. In:<br />

Wissenschaftliche Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig. 1976, Nr. 3, S.<br />

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Graf, Angela: J. H. W. Dietz 1843-1922 – Verleger der Sozialdemokratie. Bonn: Dietz, 1998. Electronic edition:<br />

http://library.fes.de/fulltext/bibliothek/00146toc.htm (letzter Seitenbesuch: 07.12.2008).<br />

Grebing, Helga: Der Revisionismus. <strong>Von</strong> Bernstein bis zum „Prager Frühling“. München: Beck, 1977.<br />

Grebing, Helga: Frauen in der deutschen Revolution 1918/19. Heidelberg: Stiftung Reichspräsident-Friedrich-<br />

Ebert-Gedenkstätte, 1994.<br />

Grebing, Helga: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. 8. Aufl., München: dtv, 1977.<br />

Grossmann, Atina / Meyer-Renschhausen, Elisabeth: Frauen <strong>und</strong> Arbeiterbewegung in Deutschland, 1914-1938.<br />

In: Borneman, Arbeiterbewegung <strong>und</strong> Feminismus, S. 54-61.<br />

Grossmann, Atina / Meyer-Renschhausen, Elisabeth: Frauen <strong>und</strong> Arbeiterbewegung. In: Die Frau in der Arbeiterbewegung<br />

1900-1939, Bd. 1, S. 250-260.<br />

Grubitzsch, Helga: „Ein steiniger Weg“. Politische Arbeit von Frauen. In: Jelpke, Ulla (Hrsg.): Das höchste<br />

Glück auf Erden. Frauen in linken Organisationen. Hamburg: Buntbuch, 1981, S. 11-40.<br />

Grubitzsch, Helga: Mutterschaft <strong>und</strong> Mutterideologie in der Geschichte der Frauenbewegung. In: Muttersein<br />

<strong>und</strong> Mutterideologie in der bürgerlichen Gesellschaft, S. 49-77.<br />

Grunewald, Michael (Hrsg.): Das linke Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse <strong>und</strong> seine Netzwerke<br />

(1890-1960). Bern, Berlin, Brüssel, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien: Lang, 2002.<br />

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LITERATUR<br />

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Gudelius, Bärbel: Proletarische Lebenserfahrungen <strong>und</strong> sozialistische Frauenbewegung. In: Frauen in der<br />

Geschichte, Bd. 1, S. 169-206.<br />

Guttmann, Barbara: Weibliche Heimarmee. Frauen in Deutschland 1914-1918. Weinheim: Deutscher Studien<br />

Verlag, 1989.<br />

Haacke, Wilmont: Die politische Zeitschrift. 2 Bde. Bd. 1: 1665-1965. Stuttgart: K.F. Koehler, 1968. Bd. 2:<br />

1900-1980 (zusammen mit Günter Pötter). Stuttgart: K.F. Koehler, 1982.<br />

Haacke, Wilmont: Die Zeitschrift. Schrift der Zeit. Essen: Stamm, 1961.<br />

Haarmann, Elisabeth: Schwestern zur Sonne zur Gleichheit. Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung.<br />

Hamburg: Ergebnisse, 1985.<br />

Haas, Inka: Gebärstreik. Frauen gegen den staatlich verordneten Muttermythos. Frankfurt am Main: dipa, 1998.<br />

Hagemann, Karen / Kolossa, Jan: Gleiche Rechte – Gleiche Pflichten? Der Frauenkampf für „staatsbürgerliche“<br />

Gleichberechtigung. Ein Bilder-Lese-Buch zu Frauenalltag <strong>und</strong> Frauenbewegung in Hamburg. Hamburg:<br />

VSA, 1990.<br />

Hagemann, Karen: Frauenalltag <strong>und</strong> Männerpolitik. Alltagsleben <strong>und</strong> gesellschaftliches Handeln von Arbeiterfrauen<br />

in der Weimarer Republik. Bonn: Dietz, 1990.<br />

Hagemann, Walter: Die Zeitung als Organismus. Ein Leitfaden. Heidelberg: Kurt Vowinckel, 1950.<br />

Hamm-Brücher, Hildegard: Seit 70 Jahren Abschied vom Männerwahlrecht. 1918 <strong>und</strong> die Folgen für Frauen in<br />

der Politik in Deutschland. In: Schaeffer-Hegel, Vater Staat <strong>und</strong> seine Frauen, S. 33-49.<br />

Hart <strong>und</strong> zart. Frauenleben 1920-1970. Berlin: Elefanten Press, 1990.<br />

Hausen, Karin (Hrsg.): Frauen suchen ihre Geschichte. Historische Studien zum 19. <strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>ert. 2.,<br />

durchgesehene Aufl., München: Beck, 1987.<br />

Hausen, Karin: Einleitung. In: Hausen, Frauen suchen ihre Geschichte, S. 9-23.<br />

Hauser, Oswald (Hrsg.): Geschichte <strong>und</strong> Geschichtsbewußtsein. 19 Vorträge für die Ranke-Gesellschaft,<br />

Vereinigung für Geschichte im Öffentlichen Leben. Göttingen, Zürich: Muster-Schmidt, 1981.<br />

Heid, Ludger / Schoeps, Julius H.: Juden in Deutschland. <strong>Von</strong> der Aufklärung bis zur Gegenwart. Ein Lesebuch.<br />

München, Zürich: Piper, 1994.<br />

Heinemann, Rebecca: Familie zwischen Tradition <strong>und</strong> Emanzipation. Katholische <strong>und</strong> sozialdemokratische<br />

Familienkonzeptionen in der Weimarer Republik. München: Oldenbourg, 2004.<br />

Hering, Sabine / Wenzel, Cornelia: Frauen riefen, aber man hörte sie nicht. Die Rolle der deutschen Frauen in<br />

der internationalen Frauenfriedensbewegung zwischen 1892 <strong>und</strong> 1933. 2 Bde. Kassel: Archiv der deutschen<br />

Frauenbewegung, 1986.<br />

Hering, Sabine: „Damit ist die Angelegenheit wohl erledigt“ – Anmerkungen zum „Kurswechsel“ der „Gleichheit“<br />

1917. In: Ariadne, 1992, Nr. 22, S. 44-46.<br />

Herrmann, Ursula: Frauen <strong>und</strong> Sozialdemokratie 1871 bis 1910 – Zum Ringen der deutschen Sozialdemokratie<br />

<strong>und</strong> der II. Internationale um Frauenemanzipation. In: BzG, Jg. 41 (1999), Nr. 2, S. 60-71.<br />

Hertz, Deborah: Die jüdischen Salons im alten Berlin. Frankfurt am Main: Hain, 1991.<br />

Hervé, Florence (Hrsg.): Brot <strong>und</strong> Rosen. Geschichte <strong>und</strong> Perspektive der demokratischen Frauenbewegung.<br />

Frankfurt am Main: Marxistische Blätter, 1979.


6.1.1 AUFSÄTZE, SAMMELWERKE, QUELLENSAMMLUNGEN UND MONOGRAPHIEN<br />

Hervé, Florence (Hrsg.): Frauenbewegung <strong>und</strong> revolutionäre Arbeiterbewegung. Texte zur Frauenemanzipation<br />

in Deutschland <strong>und</strong> in der BRD von 1848 bis 1980. Frankfurt am Main: Marxistische Blätter, 1981.<br />

Hervé, Florence (Hrsg.): Geschichte der deutschen Frauenbewegung. 7. verb. <strong>und</strong> überarb. Aufl., Köln: Papy-<br />

Rossa, 2001.<br />

Hervé, Florence: „Massen heraus – Frauen heraus!“ – Frauen in der Novemberrevolution. In: FrauenBilderLese-<br />

Buch, S. 111-117.<br />

Hervé, Florence: Die Rolle Clara Zetkins <strong>und</strong> der „Gleichheit“ in der internationalen sozialistischen Bewegung<br />

bei der Erarbeitung, Verbreitung <strong>und</strong> Durchsetzung marxistischer Positionen in der Frauenfrage. In:<br />

Die Frau in der Arbeiterbewegung 1900-1939, Bd. 1, S. 182-187.<br />

Heyden, Günter: Die Rolle der Bewußtheit in der sozialistischen Gesellschaft <strong>und</strong> bei der Formung des sozialistischen<br />

Menschen. In: BzG, Jg. 11 (1969), Sonderheft, S. 41-46.<br />

Hickethier, Knut: Karikatur, Allegorie <strong>und</strong> Bilderfolge – zur Bildpublizistik im Dienste der Arbeiterbewegung.<br />

In: Rüden, Beiträge zur Kulturgeschichte der deutschen Arbeiterbewegung, S. 79-165.<br />

Holland-Cunz, Barbara: Die alte neue Frauenfrage. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003.<br />

Honnen, Ulrike: Vom Frauenwahlrecht zur Quotierung. 125 Jahre Kampf um die Gleichberechtigung in der<br />

SPD. Münster, New York: Waxmann, 1988.<br />

Huber-Sperl, Rita (Hrsg.): Organisiert & engagiert. Vereinskultur bürgerlicher Frauen im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert in<br />

Westeuropa <strong>und</strong> den USA. Königstein/Taunus: Helmer, 2002.<br />

Humbert-Droz, Jules: Der Krieg <strong>und</strong> die Internationale. Die Konferenzen von Zimmerwald u. Kienthal. Wien,<br />

Köln, Stuttgart, Zürich: Europa, 1964.<br />

Ihrer, Emma: Die Arbeiterinnen im Klassenkampf. Anfänge der Arbeiterinnen-Bewegung, ihr Gegensatz zur<br />

bürgerlichen Frauenbewegung <strong>und</strong> ihre nächsten Aufgaben. Hamburg: Verlag der Generalkommission<br />

der Gewerkschaften Deutschlands, 1898.<br />

Ihrer, Emma: Die Organisation der Arbeiterinnen Deutschlands, ihre Entstehung <strong>und</strong> Entwicklung. Berlin:<br />

Selbstverlag, 1893.<br />

Der internationale Frauentag. Hrsg. von der Parlamentarischen Staatssekretärin für die Gleichstellung von Frau<br />

<strong>und</strong> Mann. Düsseldorf 1991.<br />

Jardon, Cornelia: Die Frau <strong>und</strong> Bebels Utopien. Minden i. Westf.: J.C.C. Bruns, 1892.<br />

Joeres, Ruth Ellen B. / Manes, Mary Jo (Hrsg.): German Women in the Eighteenth and Ninteenth Centuries. A<br />

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Joos, Joseph: Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Deutschland. M.Gladbach: Volksvereins-Verlag,<br />

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Karstedt, Susanne: Die Gleichheit – eine „one-woman show“. In: Ariadne, 1992, Nr. 22, S. 14-21.<br />

Katzenstein, Simon: Kritische Bemerkungen zu Bebels Buch: „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“. In: Neue Zeit.<br />

Jg. 15 (1896/97), Bd. 1, Nr. 10, S. 193-303.<br />

Kerchner, Brigitte: Beruf <strong>und</strong> Geschlecht – Berufsverbände in Deutschland 1848-1908. Göttingen: Vandenhoek<br />

& Ruprecht, 1992.<br />

Ketelhut, Barbara / Kohne, Christiane / Kreutz, Maren / Niehoff, Erika: Die Familie als Brutstätte der Revolution.<br />

Familienpolitik der Arbeiterbewegung. In: Geschlechterverhältnisse <strong>und</strong> Frauenpolitik, S. 113-<br />

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Kettig, Alma: Zur proletarischen Frauenbewegung. In: Hervé, Brot <strong>und</strong> Rosen, S. 59-68.<br />

Key, Ellen: Die Frauenbewegung. Frankfurt am Main: Rütten & Loening, 1909. Nachdruck Frankfurt am Main:<br />

Keip, o. J.<br />

Kinnebrock, Susanne: „Gerechtigkeit erhöht ein Volk!?“ – Die erste deutsche Frauenbewegung, ihre Sprachrohre<br />

<strong>und</strong> die Stimmrechtsfrage. In: JbKG. Jg. 1 (1999), S. 135-172.<br />

Klausmann, Christina: Bürgerliche <strong>und</strong> proletarische Frauenbewegung in Frankfurt am Main <strong>und</strong> Umgebung.<br />

In: Fogel/Ploch, Der Wäscherinnenstreik 1897, S. 26-44.<br />

Klausmann, Christina: Politik <strong>und</strong> Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich. Das Beispiel Frankfurt am Main.<br />

Frankfurt am Main, New York: Campus: 1997.<br />

Kleinau, Elke / Opitz, Claudia (Hrsg.): Geschichte der Mädchen- <strong>und</strong> Frauenbildung. Bd. 2: Vom Vormärz bis<br />

zur Gegenwart. Frankfurt am Main, New York: Campus, 1996.<br />

Kleinau, Elke: Über den Einfluß bürgerlicher Vorstellungen von Beruf, Ehe <strong>und</strong> Familie auf die sozialistische<br />

Frauenbewegung. In: Brehmer, Ilse / Jacobi-Dittrich, Juliane / Kleinau, Elke / Kuhn, Annette (Hrsg.):<br />

„Wissen heißt Leben ...“: Beiträge zur Bildungsgeschichte von Frauen im 18. <strong>und</strong> 19. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />

Düsseldorf: Schwann, 1983, S. 145-170.<br />

Kliche, Helene: Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus. Deutschnationale Flugschrift Nr. 28, Berlin: Deutschnationale<br />

Schriftenvertriebsstelle, 1919.<br />

Klucsarits, Richard / Kürbisch, Friedrich G. (Hrsg.): Arbeiterinnen kämpfen um ihr Recht – Autobiographische<br />

Texte zum Kampf rechtloser <strong>und</strong> entrechteter „Frauenspersonen“ in Deutschland, Österreich <strong>und</strong> der<br />

Schweiz des 19. <strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>erts. 2. Aufl., Wuppertal: Hammer, 1981.<br />

Knapp, Ulla: Frauenarbeit in Deutschland. Bd. 2: Hausarbeit <strong>und</strong> geschlechtsspezifischer Arbeitsmarkt im deutschen<br />

Industrialisierungsprozess. Frauenpolitik <strong>und</strong> proletarischer Frauenalltag zwischen 1800 <strong>und</strong><br />

1933. 2., unveränd. Aufl., München: Minerva Publikation, 1986.<br />

Knoblich, Susanne: Frauenstreiks – Eine Einführung. In: Fogel/Ploch, Der Wäscherinnenstreik 1897, S. 8-25.<br />

Koch, Arthur: Die Verwirklichung sozialistischer Kindererziehung mit Hilfe der ersten deutschen proletarischen<br />

Kinderzeitschrift „Für unsere Kinder“ (1905-1917). In: Jahrbuch für Erziehungs- <strong>und</strong> Schulgeschichte,<br />

Jg. 7 (1967), S. 49-131.<br />

Koepcke, Cordula: Geschichte der deutschen Frauenbewegung. Freiburg, Basel, Wien 1979.<br />

Koerber, Lenka von: Clara Zetkin – Kämpferin für die Rechte der Frauen. (darin: Die „Gleichheit“: ein<br />

unvergängliches Denkmal Clara Zetkins). In: Leipziger Volkszeitung, Nr. 140 (20.04.1953), S. 3.<br />

Koller, Christian: Subversive Ornithologen. Die Internationale Sozialistische Konferenz von Zimmerwald von<br />

1915. In: Rote Revue, Jg. 83 (2005), Nr. 2, S. 35-38.<br />

Kolloquien der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung der<br />

Frau“ der Sektion Geschichte der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig. Referate <strong>und</strong><br />

Diskussionsbeiträge. Leipzig: Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“ (in chronologischer Reihenfolge).<br />

Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die<br />

Befreiung der Frau“ (27. Januar 1981). Leipzig: Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“, 1982.<br />

Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die<br />

Befreiung der Frau“ (27. Mai 1982). Leipzig: Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“, 1982.


6.1.1 AUFSÄTZE, SAMMELWERKE, QUELLENSAMMLUNGEN UND MONOGRAPHIEN<br />

Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die<br />

Befreiung der Frau“ (24. Januar 1983): Zur Frauenpolitik des faschistischen deutschen Imperialismus<br />

1933-1939. Leipzig: Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“, 1983.<br />

Zweites Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die<br />

Befreiung der Frau“ zur Frauenpolitik des faschistischen deutschen Imperialismus (6. März 1984): Faschistische<br />

Frauenkonzentrationslager 1933-1939. Leipzig: Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“,<br />

1984.<br />

Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung<br />

der Frau“ (6. November 1986): 40 Jahre IDDF – Zu ihrer Entstehungsgeschichte <strong>und</strong> ihrem<br />

Wirken. Leipzig: Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“, 1986.<br />

Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung<br />

der Frau“ (27. September 1988): Die Novemberrevolution 1918/19 <strong>und</strong> die Frauen. Leipzig:<br />

Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“, 1988.<br />

Kossok, Manfred: In Tyrannos: Revolutionen der Weltgeschichte. <strong>Von</strong> den Hussiten bis zur Commune. Leipzig:<br />

Edition Leipzig, 1989.<br />

Koszyk, Kurt: Deutsche Presse. 1914-1945. Geschichte der deutschen Presse Teil III. Berlin: Quelle & Meyer,<br />

1972.<br />

Koszyk, Kurt: Zwischen Kaiserreich <strong>und</strong> Diktatur. Die sozialdemokratische Presse 1914 bis 1933. Heidelberg:<br />

Quelle & Meyer, 1958.<br />

Krauth, Ulrike: Die Mutter als Erzieherin. Kindererziehung in der Zeitschrift „Die Gleichheit“ (1905 bis 1913).<br />

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Mayring, Philipp: Qualitative Inhaltsanalyse. Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Techniken. 8. Aufl., Weinheim, Basel: Beltz,<br />

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Menschik, Jutta: Rolle <strong>und</strong> Situation von Frauen in der deutschen Sozialdemokratie 1900-1933. In: Die Frau in<br />

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Merfeld, Mechthild: Die Emanzipation der Frau in der sozialistischen Theorie <strong>und</strong> Praxis. Reinbek bei Hamburg:<br />

Rowohlt, 1972


6.1.1 AUFSÄTZE, SAMMELWERKE, QUELLENSAMMLUNGEN UND MONOGRAPHIEN<br />

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Piper, 1991.<br />

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Neitzel, Sönke: Kriegsausbruch. Deutschlands Weg in die Katastrophe 1900-1914. Zürich: Pendo, 2002.<br />

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Niggemann, Heinz: Gr<strong>und</strong>konzeptionen deutscher Sozialdemokratinnen im Kaiserreich. Ihre Stellung im Prozess<br />

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Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800-1866: Bürgerwelt <strong>und</strong> starker Staat. Broschierte Sonderausgabe.<br />

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Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866-1918. 2 Bde. Bd. 1: Arbeitswelt <strong>und</strong> Bürgergeist; Bd. 2:<br />

Machtstaat vor der Demokratie. Broschierte Sonderausgabe. München: Beck, 1998.<br />

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6.1.1 AUFSÄTZE, SAMMELWERKE, QUELLENSAMMLUNGEN UND MONOGRAPHIEN<br />

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Richebächer, Sabine: Uns fehlt nur eine Kleinigkeit. Deutsche proletarische Frauenbewegung 1890-1914.<br />

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Rosenbaum, Heidi (Hrsg.): Familie <strong>und</strong> Gesellschaftsstruktur. Materialien zu den sozioökonomischen Bedingungen<br />

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Rouette, Susanne: Sozialpolitik als Geschlechterpolitik. Die Regulierung der Frauenarbeit nach dem Ersten<br />

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Rüden, Peter von (Hrsg.): Beiträge zur Kulturgeschichte der deutschen Arbeiterbewegung. 1848-1918. Frankfurt<br />

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Rüden, Peter von / Koszyk, Kurt (Hrsg.): Dokumente <strong>und</strong> Materialien zur Kulturgeschichte der deutschen<br />

Arbeiterbewegung. 1848-1918. Frankfurt am Main, Wien, Zürich: Büchergilde Gutenberg, 1979.<br />

Ruf, Katharine: Bildung hat (k)ein Geschlecht. Über erzogene <strong>und</strong> erziehende Frauen. Begleitbuch zur gleichnamigen<br />

Ausstellung der Universität Stuttgart, Abteilung für Pädagogik in Kooperation mit dem<br />

Katholischen Bildungswerk Stuttgart e.V. Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien:<br />

Lang, 1998.<br />

Rühle, Otto: Illustrierte Kultur- <strong>und</strong> Sittengeschichte des Proletariats. Autorisierter Neudruck der Erstfassung<br />

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Ruppert, Wolfgang (Hrsg.): Die Arbeiter. Lebensformen, Alltag <strong>und</strong> Kultur von der Frühindustrialisierung bis<br />

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Sachse, Mirjam: „Clara Zetkins Märzentag“. In: JBzG, Jg. 3 (2004), Heft 1, S. 168-171.<br />

Sachse, Mirjam: ”Da wir nicht wählen können, so müssen wir um so mehr wühlen.” Die proletarische Frauenzeitung<br />

”Die Gleichheit” (1891 – 1923) als Beispiel weiblicher Teilhabe an Öffentlichkeit <strong>und</strong><br />

Demokratie im deutschen Kaiserreich. In: Hertzfeldt, Hella / Schäfgen, Katrin (Hrsg): Demokratie als<br />

Idee <strong>und</strong> Wirklichkeit – Erstes Doktorandenseminar der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin: Karl Dietz,<br />

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Sachse, Mirjam: Entwicklung <strong>und</strong> Wandel linker Frauenleitbilder im Spiegel sozialdemokratischer <strong>und</strong> kommunistischer<br />

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Sachse, Mirjam: Geschichte als Schwerpunkt politischer Frauenbildung in der proletarischen Frauenzeitschrift<br />

„Die Gleichheit“ (1891-1923). In: Franzke/Nagelschmidt, „Ich kann nicht gegen meine Überzeugung<br />

handeln“ – Clara Zetkin zum 150. Geburtstag, S. 71-84.<br />

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Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich: Kritische Theorie <strong>und</strong> revolutionäre Praxis. Konzepte <strong>und</strong> Perspektiven<br />

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Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich: Die Dialektik der gesellschaftlichen Praxis. Zur Genesis <strong>und</strong> Kernstruktur der<br />

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Scholze, Siegfried: Der internationale Frauentag einst <strong>und</strong> heute. Geschichtlicher Abriss <strong>und</strong> weltweite Tradition<br />

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Scholze, Siegfried: Zur proletarischen Frauenbewegung in den Weltkriegsjahren 1914 bis 1917. In: BzG, Jg. 15<br />

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Schulz, Heinrich: Die Mutter als Erzieherin. Kleine Beiträge zur Praxis der proletarischen Hauserziehung.<br />

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6.1.1 AUFSÄTZE, SAMMELWERKE, QUELLENSAMMLUNGEN UND MONOGRAPHIEN<br />

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Schwanitz, Dietrich: Bildung – Alles, was man wissen muß. München: Goldmann, 2002.<br />

Schwendter, Rolf: Zur Geschichte der Zukunft: Zukunftsforschung <strong>und</strong> Sozialismus. 2 Bde. Bd 1., Frankfurt am<br />

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Schwestern zur Sonne zur Gleichheit. Internationaler Frauentag. Hrsg. vom B<strong>und</strong>esvorstand der<br />

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Schwierige Verhältnisse. Liebe <strong>und</strong> Sexualität in der Frauenliteratur um 1900. Hrsg. von Theresia Klugsberger,<br />

Christa Gürtler, Sigrid Schmid-Bortenschlager. Stuttgart: Hans-Dieter Heinz, 1992.<br />

Sneeringer, Julia: Winning Women’s Votes. Propaganda and Politics in Weimar Germany. Chapel Hill &<br />

London: University of North Carolina Press, 2002.<br />

Soden Eugenie, von: Die deutsche Frauenbewegung, ihre Vereine <strong>und</strong> ihre Presse. In: Das Frauenbuch. Eine allgemeinverständliche<br />

Einführung in alle Gebiete des Frauenlebens der Gegenwart. Unter Mitwirkung<br />

einer Reihe bewährter, sachk<strong>und</strong>iger Frauen hrsg. von Eugenie von Soden. Bd. 3: Stellung <strong>und</strong> Aufgaben<br />

der Frau im Recht <strong>und</strong> in der Gesellschaft. Stuttgart: Franckh‘sche Verlagshandlung, 1914,<br />

S. 195-224.<br />

Soden, Kristine von / Schmidt, Maruta (Hrsg.): Neue Frauen: Die zwanziger Jahre. BilderLeseBuch, Berlin:<br />

Elefanten Press, 1988.<br />

Soden, Kristine von: Frauen <strong>und</strong> Frauenbewegung in der Weimarer Republik. In: Die wilden Zwanziger, S. 111-<br />

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Gießen: Focus, 1980.<br />

Sommerhoff, Barbara: Frauenbewegung, Hamburg: Rowohlt, 1995.<br />

Sowerwine, Charles: The Socialist Women’s Movement from 1850 to 1940. In: Bridenthal/Koonz/Stuard,<br />

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Das Sozialistengesetz 1878-1890. Illustrierte Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse gegen das<br />

Ausnahmegesetz. Berlin: Dietz, 1980.<br />

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1982, Nr. 1, S. 51-52.<br />

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Tenfelde, Klaus: Arbeiterfamilie <strong>und</strong> Geschlechterbeziehungen im Deutschen Kaiserreich. In: Geschichte <strong>und</strong><br />

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Thönnessen, Werner: Frauenemanzipation – Politik <strong>und</strong> Literatur der deutschen Sozialdemokratie zur Frauenbewegung<br />

1863-1933. Frankfurt am Main: Europäische Verlagsanstalt, 1969.<br />

Timoschenko, Tatjana: Die Verkäuferin im Wilhelminischen Kaiserreich. Etablierung <strong>und</strong> Aufwertungsversuche<br />

eines Frauenberufes um 1900. Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Brüssel, New York, Oxford, Wien:<br />

Lang, 2005.<br />

Tornieporth, Gerda: Proletarische Frauenleben <strong>und</strong> bürgerlicher Weiblichkeitsmythos. In: Schaeffer-Hegel,<br />

Barbara / Wartmann, Brigitte (Hrsg.): Mythos Frau. Projektionen <strong>und</strong> Inszenierungen im Patriarchat.<br />

2. Aufl., Berlin: publica, 1984, S. 309-332.<br />

Twellmann, Margit: Die deutsche Frauenbewegung. Ihre Anfänge <strong>und</strong> erste Entwicklung 1843-1889. Frankfurt<br />

am Main: Hain, 1993.<br />

Um eine ganze Epoche voraus. 125 Jahre Kampf um die Befreiung der Frau. Hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft<br />

„Geschichte des Klassenkampfes der deutschen Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“ am Pädagogischen<br />

Institut Leipzig. Leipzig: Verlag für die Frau, 1970.<br />

Die ungeschriebene Geschichte. Historische Frauenforschung. Dokumentation des 5. Historikerinnentreffens in<br />

Wien, 16.-19. April 1984. Wien: Wiener Frauenverlag, 1984.<br />

Usborne, Cornelie: Representation of Abortion in Popular Culture in Weimar Germany. In: Pasteur/Niederacher/Mesner,<br />

Sexualität, Unterschichtenmilieus <strong>und</strong> ArbeiterInnenbewegung, S. 81-92.<br />

Wachenheim, Hedwig: Die deutsche Arbeiterbewegung 1844 bis 1914. Lizenzausgabe. Frankfurt am Main,<br />

Wien, Zürich: Büchergilde Gutenberg, 1971.<br />

Weber-Kellermann, Ingeborg: Die deutsche Familie. Versuch einer Sozialgeschichte. 7. Aufl., Frankfurt am<br />

Main: Suhrkamp, 1982.<br />

Weber-Kellermann, Ingeborg: Frauenleben im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert. Empire <strong>und</strong> Romantik, Biedermeier, Gründerzeit.<br />

München: Beck, 1983.<br />

Weber-Kellermann, Ingeborg: Landleben im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert. München: Beck, 1987.<br />

Weberling, Anja: Zwischen Räten <strong>und</strong> Parteien. Frauenbewegung in Deutschland 1918/1919. Pfaffenweiler:<br />

Centaurus, 1994.<br />

Weid, Beate: Stationen der proletarischen Frauenbewegung in Nürnberg. In: Verlaßt Euch nicht auf die Hülfe<br />

der deutschen Männer!“ – Stationen der bürgerlichen <strong>und</strong> proletarischen Frauenbewegung in Nürnberg.<br />

Hrsg. vom Feministischen Informations-, Bildungs- <strong>und</strong> Dokumentationszentrum (FIBiDoZ e.V.).<br />

Nürnberg: Selbstverlag, 1990, S. 77-111.<br />

Weiland, Daniela: Geschichte der Frauenemanzipation in Deutschland <strong>und</strong> Österreich. Biographien –<br />

Programme – Organisationen. Hermes Handlexikon. Düsseldorf: Econ, 1983.<br />

Wenzel, Cornelia: Diesseits <strong>und</strong> jenseits der Ära Zetkin – Vorgängerin <strong>und</strong> Nachfolgerinnen. In: Ariadne, 1992,<br />

Nr. 22, S. 56-59.<br />

Wickert, Christl: Zwischen Familie <strong>und</strong> Parlament. Sozialdemokratische Frauenarbeit in Südniedersachsen<br />

1919-1950. Am Beispiel von Hann. Münden <strong>und</strong> Einbeck. Kassel: SOVEC, 1983.


6.1.1 AUFSÄTZE, SAMMELWERKE, QUELLENSAMMLUNGEN UND MONOGRAPHIEN<br />

Wilhelms, Kerstin: Frauenzeitschriften in der Weimarer Republik. In: Hart <strong>und</strong> zart, S. 53-60.<br />

Wilhelms, Kerstin: Frauenzeitschriften in der Weimarer Republik. In: Soden/Schmidt, Neue Frauen: Die<br />

zwanziger Jahre, S. 65-72.<br />

Wischermann, Ulla: „Wir wollen eine Zeitung für die Frau des Volkes schaffen“ – Arbeiterinnenpresse vor der<br />

„Gleichheit“. In: Ariadne, 1992, Nr. 22, S. 50-55.<br />

Wischermann, Ulla: Die Presse der radikalen Frauenbewegung. In: Feministische Studien, Jg. 3 (1984), Nr. 1, S.<br />

39-62.<br />

Wischermann, Ulla: Frauenbewegung <strong>und</strong> Öffentlichkeiten um 1900. Netzwerke – Gegenöffentlichkeiten – Protestinszenierungen.<br />

Königstein/Taunus: Helmer, 2003.<br />

Wischermann, Ulla: Frauenfrage <strong>und</strong> Presse. Frauenarbeit <strong>und</strong> Frauenbewegung in der illustrierten Presse des<br />

19. Jahrh<strong>und</strong>erts. München, New York, London, Paris: Saur, 1983.<br />

Wischermann, Ulla: Frauenpublizistik <strong>und</strong> Journalismus. Vom Vormärz bis zur Revolution von 1848. Weinheim:<br />

Deutscher Studien Verlag, 1998.<br />

Wischermann, Ulla: Interaktion von Öffentlichkeiten. Zur Geschichte der Frauenpresse im 18. <strong>und</strong> 19. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />

In: Klaus/Röser/Wischermann, Kommunikationswissenschaft <strong>und</strong> Gender Studies, S. 212-240.<br />

Wiss, Emmanuelle: Les débats sur la transformation sociale et le rôle des femmes dans „Die Gleichheit“ (1891-<br />

1914). In: Grunewald, Das linke Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse <strong>und</strong> seine<br />

Netzwerke (1890-1960), S. 75-90.<br />

Wobbe, Theresa: „Die Frauenbewegung ist keine Parteiensache“. Politische Positionen der Gemäßigten <strong>und</strong><br />

Fortschrittlichen der bürgerlichen Frauenbewegung im Kaiserreich. In: Feministische Studien, Jg. 5<br />

(1986), Nr. 2, S. 50-65.<br />

Wurms, Renate: „<strong>Von</strong> heute an gibt’s mein Programm“ – Zur Entwicklung der politischen Frauenbildungsarbeit.<br />

In: Führenberg/Koch/Redzepi/Wurms, <strong>Von</strong> Frauen für Frauen, S. 11-40.<br />

Wurms, Renate: 8. März – Internationaler Frauentag. In: FrauenBilderLeseBuch, S. 12-26.<br />

Wurms, Renate: Kein einig‘ Volk von Schwestern. 1890-1918. In: Hervé, Geschichte der deutschen Frauenbewegung,<br />

S. 36-84.<br />

Wurms, Renate: Wir wollen Freiheit, Frieden, Recht. Der Internationale Frauentag. Zur Geschichte des 8. März.<br />

Frankfurt am Main: Marxistische Blätter, 1980.<br />

Zahn-Harnack, Agnes: Die Frauenbewegung. Geschichte, Probleme, Ziele. Berlin: Deutsche Buchgemeinschaft,<br />

1928.<br />

Zerges, Kristina: Sozialdemokratische Presse <strong>und</strong> Literatur. Empirische Untersuchungen zur Literaturvermittlung<br />

in der Sozialdemokratischen Presse 1876 bis 1933. Stuttgart: Metzler, 1982.<br />

Zetkin, Clara / Duncker, Käte / Borchardt, Julian / Hohendorf, Gerd: Die Erziehung der Kinder in der proletarischen<br />

Familie. Quellen zur Pädagogik der deutschen Arbeiterbewegung aus der Zeit vor dem Ersten<br />

Weltkrieg. Berlin: Volk <strong>und</strong> Wissen, 1960.<br />

Zetkin, Clara Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands. Erstausgabe 1928. Frankfurt<br />

am Main: Roter Stern, 1971.<br />

Zetkin, Clara: Ausgewählte Reden <strong>und</strong> Schriften. Bd. 1: Auswahl aus den Jahren 1889 bis 1917. Berlin: Dietz,<br />

1957; Bd. 2: Auswahl aus den Jahren 1918 bis 1923. Berlin: Dietz, 1960; Bd. 3: Auswahl aus den<br />

Jahren 1924 bis 1933. Berlin: Dietz, 1960.<br />

739


LITERATUR<br />

740<br />

Zetkin, Clara: Der Student <strong>und</strong> das Weib (1899). In: Marxistische Blätter, 33 (1995), Nr. 3, S. 17-29 (auch in:<br />

Hervé, Florence (Hrsg.): Clara Zetkin oder: Dort kämpfen, wo das Leben ist. Berlin: Karl Dietz, 2007,<br />

S. 47-73).<br />

Zetkin, Clara: Kunst <strong>und</strong> Proletariat. Erstausgabe Stuttgart: Verlag des Bildungsausschusses, 1911. Berlin:<br />

Dietz, 1977.<br />

Zetkin, Clara: Rede – gehalten auf dem USP-Parteitag am 04.03.1919. Berlin: Rote Fahne, 1919.<br />

Zetkin, Clara: Zur Arbeiterinnen- <strong>und</strong> Frauenfrage der Gegenwart. Berlin: Berliner Volkstribüne, 1889.<br />

Ziegler, H. E.: Die Naturwissenschaft <strong>und</strong> die sozialdemokratische Theorie, ihr Verhältnis dargelegt auf Gr<strong>und</strong><br />

der Werke von Darwin <strong>und</strong> Bebel. Stuttgart: Ferdinand Enke, 1894.<br />

Zolling, Peter: Deutsche Geschichte 1871 bis zur Gegenwart. Wie Deutschland wurde, was es ist. München:<br />

Hanser, 2005.<br />

Zorn, Rita: Proletarische Frauenbildung. In: Olbrich, Arbeiterbildung nach dem Fall des Sozialistengesetzes, S.<br />

296-309.


6.1.2 Nachschlagewerke / Bibliographien / Datenbanken<br />

6.1.2 NACHSCHLAGEWERKE / BIBLIOGRAPHIEN / DATENBANKEN<br />

Asendorf, Manfred / Flemming, Jens / Müller, Achatz von / Ullrich, Volker: Geschichte. Lexikon der<br />

wissenschaftlichen Gr<strong>und</strong>begriffe. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1994.<br />

Auswertung der Zeitschrift „Die Gleichheit“ 1892-1914 nach den Stichworten „Arbeit, Bildung <strong>und</strong> Beruf“.<br />

Bearbeitet von Brigitte Robak u. Jutta Schmitt. Hrsg. von der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Frauenforschung<br />

der Gesamthochschule Kassel. Kassel 1989.<br />

Bibliographie zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung <strong>und</strong> zur Theorie <strong>und</strong> Praxis der politischen<br />

Linken: http://library.fes.de/cgi-bin/populo/bizga.pl (letzter Seitenbesuch: 10.12.2007).<br />

Bibliographie zur Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse für die Befreiung der Frau <strong>und</strong> zur<br />

Rolle der Frau in der deutschen Arbeiterbewegung. <strong>Von</strong> den Anfängen bis 1970. Bearbeitet von Ingrid<br />

u. Hans-Jürgen Arendt. Hrsg. von der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig im Auftrage<br />

der Arbeitsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse für die Befreiung der<br />

Frau“. Leipzig: Selbstverlag, 1974.<br />

Clara Zetkin. Eine Auswahlbibliographie der Schriften von <strong>und</strong> über Clara Zetkin. Berlin 1957.<br />

dtv-Atlas zur Weltgeschichte. Karten <strong>und</strong> chronologischer Abriss. 2 Bde. 23. Aufl., München: dtv, 1989.<br />

Eberlein, Alfred: Internationale Bibliographie zur deutschsprachigen Presse der Arbeiter- <strong>und</strong> sozialen<br />

Bewegungen. <strong>Von</strong> 1830 bis 1982. 2., aktual. <strong>und</strong> erw. Aufl., München, New Providence, London, Paris:<br />

Saur, 1996.<br />

Frauenalltag <strong>und</strong> Frauenbewegung im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert. Materialsammlung zu der Abteilung 20. Jahrh<strong>und</strong>ert im<br />

Historischen Museum Frankfurt. Bd. 1: Industrialisierung <strong>und</strong> weibliche Lebenserfahrung 1890-1933;<br />

Bd. 2: Frauenbewegung <strong>und</strong> die „Neue Frau“ 1890-1933; Bd. 3: Frauen im deutschen Faschismus<br />

1933-1945. Frankfurt am Main: Selbstverlag, 1980.<br />

Fricke, Dieter: Handbuch zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 1869 bis 1917. 2 Bde. 5. überarb.<br />

Aufl., Berlin: Dietz, 1987.<br />

Fuchs, Konrad / Raab, Heribert: Wörterbuch Geschichte. 11. Aufl., München: dtv, 1998.<br />

Handbuch zur deutschen Arbeiterliteratur. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold. 2 Bde. München Edition Text <strong>und</strong><br />

Kritik, 1977.<br />

Koszyk, Kurt / Eisfeld, Gerhard: Die Presse der deutschen Sozialdemokratie. Eine Bibliographie. Hannover<br />

1966.<br />

Lenz, Ilse / Szypulski, Anja / Molsich, Beate (Hrsg.): Frauenbewegungen international. Eine Arbeitsbibliographie.<br />

Opladen: Leske + Budrich, 1996.<br />

Metzler-Philosophie-Lexikon. Begriffe <strong>und</strong> Definitionen. Hrsg. von Peter Prechtl <strong>und</strong> Franz-Peter Burkhard.<br />

2. überarb. u. aktual. Aufl., Stuttgart, Weimar: Metzler, 1999.<br />

Portal zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung:<br />

http://library.fes.de/portal/arb (letzter Seitenbesuch: 10.12.2007).<br />

Proletarische Frauenbewegung des 19. & frühen 20. Jahrh<strong>und</strong>erts [Elektronische Ressource]. 19 CD-Roms. Bearbeitet<br />

von Sylvia Kubina <strong>und</strong> herausgegeben von Ulrich Naumann. Wildberg: Belser Wiss. Dienst,<br />

2004. Auch in: Online-Sammlung seltener Schriften in der Stadt- <strong>und</strong> Universitätsbibliothek Frankfurt<br />

am Main: http://frauenbewegung.stub-uni-frankfurt.de/cgi-bin/uebersicht.rb (letzter Seitenbesuch:<br />

06.12.2007).<br />

741


LITERATUR<br />

742<br />

Proletarische Frauenbewegung: Literatur- <strong>und</strong> Forschungsdokumentation 1982-1986. Bearbeitet von Marit<br />

Borcherding u. Hannelore Schott. Hrsg. vom Informationszentrum Sozialwissenschaften in Zusammenarbeit<br />

mit der Friedrich-Ebert-Stiftung – Bibliothek der sozialen Demokratie. Bonn: Informationszentrum<br />

Sozialwissenschaften, 1988.<br />

Seywald, Aiga: Die Presse der sozialen Bewegungen: 1918 – 1933. Linksparteien, Gewerkschaften, Arbeiterkulturbewegung,<br />

Anarchismus, Jugendbewegung, Friedensbewegung, Lebensreform, Expressionismus.<br />

Kommentiertes Bestandsverzeichnis deutschsprachiger Periodika im Institut zur Erforschung der<br />

Europäischen Arbeiterbewegung (Bochum), im Institut für Zeitungsforschung der Stadt Dortm<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />

im Fritz-Hüser-Institut für Deutsche <strong>und</strong> Ausländische Arbeiterliteratur der Stadt Dortm<strong>und</strong>. Essen:<br />

Klartext, 1994.<br />

Verzeichnis der in Deutschland erscheinenden Frauenzeitschriften <strong>und</strong> der außerhalb des „B<strong>und</strong>es deutscher<br />

Frauenvereine“ organisierten Frauenvereine, nebst einem Anhang internationaler Frauenzeitschriften<br />

<strong>und</strong> Frauenorganisationen. Hrsg. vom Propaganda-Ausschuß des Deutschen Frauenstimmrechtsb<strong>und</strong>es.<br />

München 1917.<br />

Wahrig. Deutsches Wörterbuch. Neuausgabe. Gütersloh: Bertelsmann, 1997.<br />

ZDB: Zentrale Zeitschriftendatenbank: www.zdb-opac.de (letzter Seitenbesuch: 12.12.2008)


6.1.3 Protokolle<br />

1<br />

6.1.3 PROTOKOLLE<br />

Berichte für die Erste Internationale Konferenz sozialistischer Frauen. Abgehalten in Stuttgart am Sonnabend<br />

den 17. August 1907 vormittags 9 Uhr in der Liederhalle. Berlin: Verlag von Ottilie Baader, o.J.<br />

Berichte an die Zweite Internationale Konferenz sozialistischer Frauen zu Kopenhagen am 26. <strong>und</strong> 27. August<br />

1910. Hrsg. von Clara Zetkin-Z<strong>und</strong>el. Stuttgart: Paul Singer, 1910.<br />

Berichte der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands in den Protokollen über die Verhandlungen des<br />

Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (1902-1908 – in chronologischer<br />

Reihenfolge)<br />

Baader, Ottilie: Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands. In: Protokoll des SPD-<br />

Parteitages München 1902, S. 39-40.<br />

Baader, Ottilie: Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands. In: Protokoll des SPD-<br />

Parteitages Dresden 1903, S. 49-52.<br />

Baader, Ottilie: Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands von Anfang August 1903<br />

bis Ende Juli 1904. In: Protokoll des SPD-Parteitages Bremen 1904, S. 56-59.<br />

Baader, Ottilie: Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands von Anfang August 1904<br />

bis Ende Juli 1905. In: Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1905, S. 64-69.<br />

Baader, Ottilie: Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands für die Zeit von August<br />

1905 bis Ende Juli 1906. In: Protokoll des SPD-Parteitages Mannheim 1906, S. 68-75.<br />

Baader, Ottilie: Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands für die Zeit vom August<br />

1906 bis Ende Juli 1907. In: Protokoll des SPD-Parteitages Essen 1907, S. 103-112.<br />

Baader, Ottilie: Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands für die Zeit vom August<br />

1907 bis Ende Juli 1908. In: Protokoll des SPD-Parteitages Nürnberg 1908, S. 99-116.<br />

Handbuch der sozialdemokratischen Parteitage von 1863-1909. Bearbeitet von Wilhelm Schröder. München: G.<br />

Birk & Co., 1910. Neudruck des Zentralantiquariats der Deutschen Demokratischen Republik. Leipzig<br />

1974.<br />

Handbuch der sozialdemokratischen Parteitage von 1910-1913. Bearbeitet von Wilhelm Schröder. München: G.<br />

Birk & Co., [1917]. Neudruck des Zentralantiquariats der Deutschen Demokratischen Republik.<br />

Leipzig 1974.<br />

Protokoll des Internationalen Arbeiter-Congresses zu Paris. Abgehalten vom 14. bis 20. Juli 1889. Deutsche<br />

Uebersetzung. Nürnberg: Wörlein & Comp., 1890. In: Kongreß-Protokolle der Zweiten Internationale.<br />

2 Bde., Bd. 1: Paris 1889 – Amsterdam 1904. Glashütten im Taunus: Auvermann, 1975.<br />

Protokolle der Sitzungen des Parteiausschusses der SPD, 1912 bis 1921. Nachdrucke hrsg. von Dieter Dowe; 2<br />

Bde.; inkl. Protokoll der Parteikonferenz Weimar 22.-23. März 1919 <strong>und</strong> Protokoll der SPD-Reichskonferenz<br />

Berlin 5.-6. Mai 1920; Berlin, Bonn: J. H. W. Dietz Nachf., 1980.<br />

Protokolle über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (1890-1927 –<br />

in chronologischer Reihenfolge) 1 :<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Halle a. S. 12.-18. Oktober 1890.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Erfurt 14.-20. Oktober 1891.<br />

Im Text wurden die Protokolle jeweils zitiert: Protokoll des SPD-Parteitages Ort Jahr, Seite.<br />

743


LITERATUR<br />

744<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Berlin 14.-21. November 1892.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Köln 22.-28. Oktober 1893.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Frankfurt a. M. 21.-27. Oktober 1894.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Breslau 6.-12. Oktober 1895.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Gotha 11.-16. Oktober 1896.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Hamburg 3.-9. Oktober 1897.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Stuttgart 3.-8. Oktober 1898.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Hannover 9. bis 14. Oktober 1899.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Mainz 17.-21. September 1900 / Darin enthalten: Bericht über die<br />

1. sozialdemokratische Frauenkonferenz am 16. <strong>und</strong> 17. September 1900, S: 247-257.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Lübeck 22.-28. September 1901.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in München 14.-20. September 1902 / Darin enthalten: Bericht über die<br />

2. sozialdemokratische Frauenkonferenz am 13. <strong>und</strong>14. September 1902, S. 288-308.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Dresden 13.-20. September 1903.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Bremen 18.-24. September 1904 / Darin enthalten: Bericht über die<br />

3. sozialdemokratische Frauenkonferenz am 17. <strong>und</strong> 18. September 1904, S. 328-374.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Jena 17.-23. September 1905.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Mannheim 23.-29. September 1906 / Darin enthalten: Bericht über<br />

die 4. sozialdemokratische Frauenkonferenz am 22. <strong>und</strong> 23. September 1906, S. 396-470.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Essen 15.-21. September 1907.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Nürnberg 13.-19. September 1908 / Darin enthalten: Bericht über die<br />

5. sozialdemokratische Frauenkonferenz am 11. <strong>und</strong> 12. September 1908, S. 464-545.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Leipzig 12.-18. September 1909.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Magdeburg18.-24. September 1910.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Jena 10.-16. September 1911 / Darin enthalten: Bericht über die<br />

6. sozialdemokratische Frauenkonferenz am 8. <strong>und</strong> 9. September 1911, S. 414-463.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Chemnitz 15.-21. September 1912.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Jena 14.-20. September 1913.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Berlin 21.-23. September 1916.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Würzburg 14.-20. Oktober 1917 / Darin enthalten: Bericht des Parteivorstandes<br />

an den SPD-Parteitag in Würzburg 1914, Anhang 1, S. 1-47.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Weimar 10.-15. Juni 1919 / Darin enthalten: Bericht über die<br />

7. sozialdemokratischen Frauenkonferenz am 15. <strong>und</strong> 16. Juni 1919, S. 458-504.


6.1.3 PROTOKOLLE<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Kassel 10.-16. Oktober 1920 / Darin enthalten: Bericht über die<br />

Frauenkonferenz der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands am 9.-10. Oktober 1920, S. 336-420.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Görlitz 18.-24. September 1921 / Darin enthalten: Bericht über den<br />

Reichsfrauentag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands am 17. <strong>und</strong> 18. September 1921 in Görlitz,<br />

80 Seiten.<br />

Protokolle der Parteitage von SPD (in Augsburg 17.-23. September 1922), USPD (in Gera 20.-<br />

23. September 1920) <strong>und</strong> des Einigungsparteitages (in Nürnberg 24. September 1922).<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Berlin 11.-14. Juni 1924 / Darin enthalten: Bericht über den Reichsfrauentag<br />

der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands am 15. Juni 1924, S. 219-248.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Heidelberg 13.-14. September 1925 / Darin enthalten: Bericht über<br />

die Reichsfrauenkonferenz der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 19. September 1925, S. 327-<br />

374.<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Kiel vom 27.-29 Mai 1927 / Darin enthalten: Bericht über die Reichsfrauenkonferenz<br />

27. Mai 1927, S. 297-374.<br />

Verlag: 1890: Berlin: „Berliner Volksblatt“ / 1891-1893: Berlin: „Vorwärts“ Berliner Volksblatt / 1894-<br />

1895: Berlin: „Vorwärts“ / 1896-1910: Berlin: Buchhandlung Vorwärts / 1911-1913: Berlin: Buchhandlung<br />

Vorwärts Paul Singer / 1917-1922: Glashütten im Taunus: Detlev Auvermann; Berlin, Bonn,<br />

Bad Godesberg: J. H. W. Dietz Nachf 1973/ 1920: Buchhandlung Vorwärts / 1916+1924-1927:<br />

Glashütten im Taunus: Detlev Auvermann; Berlin, Bonn, Bad Godesberg: J. H. W. Dietz Nachf. 1974.<br />

745


LITERATUR<br />

6.1.4 Graue Literatur<br />

746<br />

Dang, Anton: Die sozialdemokratische Presse Deutschlands. Dissertation Universität Frankfurt am Main, 1928.<br />

Dapprich, Anne: Frauenbildung in der bürgerlichen <strong>und</strong> proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> deren Zusammenhang<br />

mit der körperlichen Bildung von Frauen (1871-1920). Diplomarbeit Universität Bielefeld, 1983.<br />

Eichhorn, Beate: Die sozialistische Frauenbewegung im Spiegel der „Gleichheit“ (1914-1917). Diplomarbeit<br />

Universität Wien, 1992.<br />

Eisenlohr, Sibylle / Kaschuba, Gerrit / Maurer, Susanne: Das Banner der Frauen ist allumfassend. Emanzipationskonzepte<br />

bürgerlicher <strong>und</strong> proletarischer Frauenbewegungen in Deutschland um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende,<br />

am Beispiel der Position der Vereinbarkeit von Mutterschaft <strong>und</strong> Beruf. Diplomarbeit<br />

Eberhard-Karls-Universität Tübingen, 1983.<br />

Friese, Gisela: Die alte Frauenbewegung in Deutschland – unter besonderer Berücksichtigung der proletarischen<br />

Frauenbewegung von ihren Anfängen bis 1918. Examensarbeit Technische Universität Braunschweig,<br />

1980.<br />

Frieße, Barbara: Zur bildungspolitischen <strong>und</strong> pädagogischen Tätigkeit der proletarischen Frauenbewegung von<br />

der Jahrh<strong>und</strong>ertwende bis 1909, dargestellt auf der Gr<strong>und</strong>lage der „Gleichheit“. Dissertation Pädagogische<br />

Hochschule Dresden, 1977.<br />

Haas, Inka: Gebärstreik im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert. Weibliche Strategien gegen den Gebärzwang. Diplomarbeit Universität<br />

Siegen, 1996.<br />

Hagedorn, Regine: Die Arbeits- <strong>und</strong> Lebensbedingungen Bielefelder Textil- <strong>und</strong> Bekleidungsarbeiterinnen <strong>und</strong><br />

ihr Organisationsverhalten 1890-1914. Magisterarbeit Universität Bielefeld, 1984.<br />

Herrmann, Friederieke: Die Auseinandersetzung zwischen sozialdemokratischer <strong>und</strong> radikaler bürgerlicher<br />

Frauenbewegung um die Forderung nach Frauenstimmrecht. Ein Beispiel für Emanzipationskonzepte<br />

zwischen Klasse <strong>und</strong> Geschlecht (1895-1918). Magisterarbeit Universität Hamburg, 1991.<br />

Holtsteger, Brigitta: Frauen gegen den Krieg – proletarische <strong>und</strong> bürgerliche Frauen in der Friedensbewegung<br />

von 1910 bis 1918. Diplomarbeit Hochschule für Wirtschaft <strong>und</strong> Politik Hamburg, 1982.<br />

Krug, Michaela: „Die Zwillingsschwester des Krieges ist die Not“ – Zum Diskurs über Weiblichkeit <strong>und</strong> Krieg<br />

in der Zeit des Ersten Weltkrieges. Exemplarisch dargestellt am Beispiel der Zeitschriften „Die Frau“<br />

<strong>und</strong> „Die Gleichheit“. Magisterarbeit Universität Hannover, 2004.<br />

Nickusch, Gabriele / Schröter, Ursula: Das programmatische Scheitern proletarischer Frauenemanzipation. Probleme<br />

sozialistischer Frauenpolitik vor dem Ersten Weltkrieg. Diplomarbeit Pädagogische Hochschule<br />

Berlin, 1980.<br />

Pauls, Maria: Die deutschen Frauenorganisationen. Eine Übersicht über den Bestand, die Ursprünge <strong>und</strong> die<br />

kulturellen Aufgaben. Dissertation Rheinisch-Westfälische Universität Aachen, 1966.<br />

Pommerenke, Petra: Organisation <strong>und</strong> Bewegung. Die Frauenwohl-Vereine 1888-1914. Magisterarbeit Universität<br />

Frankfurt am Main, 1996.<br />

Pore, Renate E.: The German social democratic Womens’s movement 1919 – 1933. Dissertation West Virginia<br />

University Morgantown, 1977.<br />

Quataert, Jean H.: The German Socialist Women’s Movement 1890 – 1918. Issues, International Conflicts and<br />

the Main Personages. Dissertation University of California Berkeley, 1974.


6.1.4 GRAUE LITERATUR<br />

Reimann, Katja / Sander, Birgit: Dienstbotinnen im Deutschen Kaiserreich – Leben, Arbeit <strong>und</strong> Organisation im<br />

Spiegel des Diskurses der Ersten deutschen Frauenbewegung. Studienarbeit Universität Gesamthochschule<br />

Kassel, 1999.<br />

Sachse, Mirjam: ”Heraus, ihr Frauen der Arbeit, erwacht“ – Entwürfe politischer Frauenbildung im Spiegel der<br />

proletarischen Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ (1891-1923). Magisterarbeit Universität Gesamthochschule<br />

Kassel, 2000.<br />

Sauer, Else: Die Entwicklung der bürgerlichen Frauenbewegung von der Gründung des B<strong>und</strong>es Deutscher<br />

Frauenvereine 1894 bis zum ersten Weltkrieg. 2 Bde. Dissertation Universität Leipzig, 1969.<br />

Schulze, Regina: Die proletarische Mutter als sozialistische Erzieherin – dargestellt auf der Gr<strong>und</strong>lage der<br />

Beilage zur „Gleichheit“ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ von 1905 bis 1917. Dissertation Pädagogische<br />

Hochschule Dresden, 1987.<br />

Schwarz, Ingelene: Wesenszüge der modernen deutschen Frauenzeitschrift. Dissertation Freie Universität Berlin,<br />

1956.<br />

Strain, Jaqueline: Feminism and Political Radicalism in the German Social Democratic Movement, 1890-1914.<br />

Dissertation University of California Berkeley, 1964.<br />

Suchhardt-Knierim, Birgit: Zur Bedeutung der Mütterlichkeit in der Frauenrolle des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. Hausarbeit<br />

Gesamthochschule Kassel, 1984.<br />

Vormschlag, Elisabeth: Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften der SPD, der USPD,<br />

der KPD in den Jahren 1890-1933 <strong>und</strong> der NSDAP in den Jahren 1932-1945. Dissertation Georg-<br />

August-Universität Göttingen, 1970.<br />

747


LITERATUR<br />

6.1.5 Zeitschriften<br />

748<br />

Die Arbeiterin. Zeitschrift für die Interessen der Frauen <strong>und</strong> Mädchen des arbeitenden Volkes. Organ aller auf<br />

dem Boden der modernen Arbeiterbewegung stehenden Vereinigungen der Arbeiterinnen. Probenummer<br />

(20.12.1890); Jg. 1 (1891). Hrsg. von Emma Ihrer (Velten). Hamburg: E. Jensen, 1.1890, Nr.<br />

1-14; Hamburg: Fr. Meyer, 1.1891, Nr. 14-51 [Im Bestand der Stiftung Archiv der deutschen<br />

Frauenbewegung, Kassel: Probenummer (20.12.1890); Jg. 1 (1891) / Nr. 1-26; Nr. 33; Nr. 34; Nr. 38;<br />

Nr. 39; Nr. 45-51].<br />

Archiv für die Geschichte des Widerstandes <strong>und</strong> der Arbeit (AGWA). Hrsg. von Wolfgang Braunschädel <strong>und</strong><br />

Johannes Materna. 1.1908-17.2003 (unregelmäßiges Erscheinen).<br />

Archiv für Sozialgeschichte. 1.1961- .<br />

Ariadne – Forum für Frauen- <strong>und</strong> Geschlechtergeschichte. Hrsg. von der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung.<br />

Bis 37/38.2000 mit dem Zusatz „Almanach des Archivs der deutschen Frauenbewegung“.<br />

1985, Nr. 1-.<br />

Nr. 2: [Bildung]. Kassel 1985.<br />

Nr. 20: Mentor oder Märchenonkel? Der „neue Mann“ in der alten Frauenbewegung. Kassel 1991.<br />

Nr. 22: „Ich habe nicht ein Amt, sondern eine Meinung“ – 100 Jahre „Die Gleichheit“ (1892-1923).<br />

Kassel 1992.<br />

Nr. 45/46: „Jüdisch-sein, Frau-sein, B<strong>und</strong>-sein“ – Der Jüdische Frauenb<strong>und</strong> 1904-2004. Kassel 2004.<br />

Augias. Germanistisches Institut der Universität Aarhus. 1.1981-65.2005.<br />

Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. 1.1977-29.1990. N.F. 1.1991-2.1992; 1993- .<br />

BzG: Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung.<br />

Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. 1.1959-4.1962. Hrsg. vom Institut für<br />

Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands.<br />

Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung. 5.1963-33.1991. Hrsg. vom Institut für Geschichte der<br />

Arbeiterbewegung.<br />

Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung. 34.1992- 2003.<br />

Central European History. 1.1968-.<br />

Diesseits. Zeitschrift für Kultur, Politik <strong>und</strong> Freidenkertum. 1.1987-4.1990<br />

Ergebnisse. Zeitschrift für demokratische Geschichtswissenschaft. 1.1978-50./51.1990.<br />

Die Feder – Zeitschrift der IG Druck <strong>und</strong> Papier für Journalisten <strong>und</strong> Schriftsteller. 1.1952-19.1971; (Bd. 20<br />

wurde in der Zählung übersprungen) 21.1972-38.1989.<br />

Feministische Studien. Zeitschrift für interdisziplinäre Frauen- <strong>und</strong> Geschlechterforschung. 1.1982/83-5.1986;<br />

6.1988-.<br />

Die Frau im Staat: eine Monatsschrift. 1.1919-15.1933.<br />

Die Frau von heute. 1.1946-16.1962. Hrsg. vom B<strong>und</strong>esvorstand des Demokratischen Frauenb<strong>und</strong>es<br />

Deutschlands.


6.1.5 ZEITSCHRIFTEN<br />

Frauen in der Geschichte. Zeitschrift des Vereins „Frauen in der Geschichte“ e.V. Leipzig.1992-1994; (1995<br />

nicht erschienen) 1996-1997. Leipzig: 1992-1994; Hamburg: 1996-1997.<br />

Frauenwelt: eine Halbmonatsschrift. 1.1924-10.1933, 5.<br />

Die Genossin – SPD-Informationsblatt für Funktionärinnen. 1.1924-10.1933, 4; 10.1947, 5-12.1949, 11.<br />

German Life and Letters. 1.1936/37-4.1939; N. F. 1.1947/48-.<br />

Geschichte <strong>und</strong> Gesellschaft. Zeitschrift für historische Sozialwissenschaft. 1.1975-.<br />

Die Gleichheit. 2.1891, Probenummer (28. Dezember 1891); 2.1892, Nr. 1 (1. Januar 1892)-33.1923, Nr. 17<br />

(1. September 1923).<br />

Untertitel:<br />

2.1891, Probenummer -27.1916/17, Nr. 17:<br />

„Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen“;<br />

27.1916/17, Nr. 18-29.1918/19, Nr. 31:<br />

„Zeitschrift für Arbeiterinnen <strong>und</strong> Arbeiterfrauen“;<br />

29.1918/19, Nr. 32-32.1922, Nr. 31:<br />

„Zeitschrift für die Frauen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands”;<br />

32.1922, 21-1923:<br />

„Zeitschrift für die Frauen <strong>und</strong> Mädchen des werktätigen Volkes“.<br />

Beilagen:<br />

15.1905, 1-16.1906,26: „Frauen-Beilage“;<br />

17.1907, Nr. 1-27.1916/17, Nr. 17: „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“;<br />

29.1918/19, Nr. 19-32.1922, Nr. 7: „Die Frau <strong>und</strong> ihr Haus“<br />

15.1905, Nr. 1-32.1922, Nr. 2: „Für unsere Kinder“;<br />

32.1922, Nr. 3-1923, Nr. 17: „Kinderland“<br />

Verlag:<br />

2.1891, Probenummer-7.1897, 15: Stuttgart: J.H.W. Dietz;<br />

7.1897, 16-14.1904, Nr. 27: Stuttgart: J.H.W. Dietz Nachf. G.m.b.H.;<br />

15.1905, Nr. 1-21.1910/11, Nr. 14: Stuttgart: Paul Singer;<br />

21.1910/11, Nr. 15-29.1918/19, Nr. 19: Stuttgart: J.H.W. Dietz Nachf. G.m.b.H.;<br />

29.1918/19, Nr. 20-32.1923, Nr. 17: Berlin: Buchhandlung „Vorwärts“ Paul Singer G.m.b.H.<br />

Handbuch des Vereins Arbeiterpresse. Herausgegeben vom Vorstand des Vereins Arbeiterpresse. 3.1914.<br />

-4.1927 [?].<br />

IPK: Internationale Presse Korrespondenz (1921-1937).<br />

IWK: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung.<br />

[7.]1971-[9.]1973 = Nr. 11/12-19/20; 10.1974-.<br />

Jahrbuch für Demokratie- <strong>und</strong> Arbeitergeschichte. Hrsg. von der Franz Mehring Gesellschaft. 1.1980-4./5.1985.<br />

Jahrbuch für Erziehungs- <strong>und</strong> Schulgeschichte. Hrsg. von der Kommission für Deutsche Erziehungs- <strong>und</strong> Schulgeschichte<br />

der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der Deutschen Demokratischen Republik.<br />

1.1961-30.1990.<br />

Jahrbuch für Historische Bildungsforschung. Hrsg. von der Sektion Historische Bildungsforschung der<br />

Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft. 1.1993-.<br />

JbKG: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte. 1.1999-.<br />

749


LITERATUR<br />

750<br />

JbzG: Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Hrsg. vom Förderverein für Forschungen<br />

zur Geschichte der Arbeiterbewegung. 2002-2004; 3.2005, Nr. 1; 4.2005,2- (erscheint<br />

dreimal jährlich).<br />

Die Kommunistische Fraueninternationale. 1.1921-5.1925, Nr. 5/6. Ursprünglich von Clara Zetkin im Auftrag<br />

der Exekutive der III. Internationale <strong>und</strong> des Internationalen Kommunistischen Frauensekretariats<br />

herausgegeben. Reprint, Frankfurt am Main: VTK-Verlag, 1983.<br />

Leipziger Volkszeitung. 1894-.<br />

Lernen <strong>und</strong> Handeln. Funktionärsorgan des Demokratischen Frauenb<strong>und</strong>es Deutschlands. Hrsg. vom B<strong>und</strong>esvorstand<br />

des Demokratischen Frauenb<strong>und</strong>es Deutschland. 1.1950-1990, Nr. 2.<br />

m&z: Medien & Zeit – Kommunikation in Vergangenheit <strong>und</strong> Gegenwart. Hrsg. vom Verein Arbeitskreis für<br />

historische Kommunikationsforschung. [1.]1986-.<br />

Marxistische Blätter. 1.1963-.<br />

Mitteilungsblatt der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse um die<br />

Befreiung der Frau“. Hrsg. von der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der deutschen<br />

Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“ an der Sektion Geschichte der Pädagogischen Hochschule<br />

„Clara Zetkin“ Leipzig. 1970, Nr. 1-1976, Nr. 11; 1977-1989.<br />

Mitteilungsblatt des Forschungszentrums „Frauen in der Geschichte“ an der Sektion Geschichte an der<br />

Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig. 1990-1991. Leipzig.<br />

Die Neue Gesellschaft. 1.1954-31.1984.<br />

Die Neue Zeit. 1.1883-41.1922/23, 10. (Generalregister der „Neuen Zeit“ – Wochenschrift der deutschen<br />

Sozialdemokratie. Teil 1: 1883-1902. Stuttgart: Paul Singer, 1905. Teil 2: 1903-1907. Stuttgart: Paul<br />

Singer, 1908. Teil 3: 1908-1912. Stuttgart: J. H. W. Dietz Nachf., 1914. Teil 4: 1912-1923.<br />

Vaduz/Liechtenstein: Topos, 1978 (Teile 1-3 bearbeitet von Emanuel Wurm; Teil 4 von Miroslav Tucek<br />

<strong>und</strong> Alfred Eberlein)).<br />

Das Parlament. Hrsg. vom Deutschen B<strong>und</strong>estag. 1.1951-.<br />

Rote Revue. Sozialdemokratische Zeitschrift für Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> Kultur. Hrsg. von der Sozialdemokratischen<br />

Partei der Schweiz. 1.1921/22-45.1966; 68.1989,9-70.1991,6; 71.1993-.<br />

Die Sozialistischen Monatshefte. 1=3.1897-16=18.1912 (Doppelzählung vom Vorgänger „Der sozialistische<br />

Akademiker“ übernommen, ab 1913 Zählung vom Vorgänger fortgesetzt); 19.1913-21.1915; 22.1916-<br />

38.1932=Bd. 44-76; 39.1933, Nr. 1-2= Bd. 77.<br />

Sozialistische Tribüne. Zeitschrift für sozialistische Theorie. 1979-1985.<br />

Sperlings Zeitschriften-Adressbuch. Handbuch der deutschen Presse – die wichtigsten Zeitschriften <strong>und</strong> politischen<br />

Zeitungen Deutschlands, Österreichs <strong>und</strong> des Auslandes. Hrsg. vom Börsenverein der Deutschen<br />

Buchhändler. 41.1902-51.1925.<br />

Staatsanzeiger für Baden Württemberg. Landespolitische Wochenzeitung. 1.1952-53.2004.<br />

Die Staatsbürgerin. Organ für die Interessen der Arbeiterinnen <strong>und</strong> der Central-Kranken- <strong>und</strong> Begräbnißkasse<br />

für Frauen <strong>und</strong> Mädchen in Deutschland. Offenbach: Carl Ulrich. 1.1886, Nr. 1 (11. April) – Nr. 24 (6.<br />

Juni).<br />

Die Süddeutschen Monatshefte. 1.1904-8.1911, Nr. 9; 9.1911/12-11.1913714; [12.]1914/15-[15.]1917/18;<br />

16.1918/19-33.1935/36.


6.1.5 ZEITSCHRIFTEN<br />

Südschwäbische Nachrichten. Magazin für Politik <strong>und</strong> Kultur in der Region Oberschwaben, Bodensee, Allgäu.<br />

Hrsg. von Südschwäbische Nachrichten, Ravensburg e.V., 1989-1991.<br />

TAJB: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte. Hrsg. vom Minerva-Institut für Deutsche Geschichte,<br />

Universität Tel Aviv. 16.1987-.<br />

Wissenschaftliche Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig. 1976-1990, Nr. 1.<br />

Die Zeit. Wochenzeitung für Politik, Wirtschaft, Wissen <strong>und</strong> Kultur. 1.1946-.<br />

751


6.2 Biographische Literatur<br />

6.2.1 Für die biographische Recherche verwendete Monographien, Nachschlage-,<br />

Sammelwerke <strong>und</strong> Datenbanken<br />

Am Anfang war Sigema. Ein Nürnberger Frauengeschichtsbuch. Cadolzburg: ars vivendi, 1999.<br />

Bäumer, Gertrud: Frauen der Tat – Gestalt <strong>und</strong> Wandel. Tübingen: Rainer W<strong>und</strong>erlich Verlag Hermann Leins,<br />

1959.<br />

Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. Bd. 1: Politik, Wirtschaft, Öffentliches<br />

Leben. Hrsg. vom Institut für Zeitgeschichte München <strong>und</strong> von der Research Fo<strong>und</strong>ation for Jewish<br />

Immigration, Inc., New York; München, New York, London, Paris: K. G. Saur, 1980.<br />

Biographisches Lexikon der ÖTV <strong>und</strong> ihrer Vorläuferorganisationen. Hrsg. von Rüdiger Zimmermann. Bonn:<br />

Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1998: http://library.fes.de/fulltext/bibliothek/tit00205/00205<br />

toc.htm (letzter Seitenbesuch: 10.12.2007).<br />

BIOSOP-Online. Biographien sozialdemokratischer Parlamentarier in den deutschen Reichs- <strong>und</strong> Landtagen<br />

1867-1933: http://biosop.zhsf.uni-koeln.de (letzter Seitenbesuch: 10.12.2007).<br />

BIOWEIL. Kollektive Biographie der Landtagsabgeordneten der Weimarer Republik 1918-1933: http://hsrtrans.zhsf.uni-koeln.de/quantum/bioweil/index.html<br />

(letzter Seitenbesuch: 10.12.2007).<br />

Blos, Anna: Die Frauen der deutschen Revolution 1848. Dresden: Kaden, 1928.<br />

Blos, Anna: Die Frauen in Schwaben. Fünfzehn Lebensbilder. Stuttgart: Silberburg, 1929.<br />

Bock, Helmut / Ruge, Wolfgang / Thoms, Marianne (Hrsg.): Gewalten <strong>und</strong> Gestalten. Miniaturen <strong>und</strong> Porträts<br />

zur deutschen Novemberrevolution 1918/1919. Leipzig, Jena, Berlin: Urania, 1978.<br />

Brehmer, Ilse (Hrsg.): Mütterlichkeit als Profession? Lebensläufe deutscher Pädagoginnen in der ersten Hälfte<br />

dieses Jahrh<strong>und</strong>erts. Pfaffenweiler: Centaurus, 1990.<br />

Brehmer, Ilse / Ehrich, Karin (Hrsg.): Mütterlichkeit als Profession? Lebensläufe deutscher Pädagoginnen in der<br />

ersten Hälfte dieses Jahrh<strong>und</strong>erts. Bd. 2: Kurzbiographien. Pfaffenweiler: Centaurus, 1993.<br />

Brinker-Gabler, Gisela (Hrsg.): Deutsche Literatur von Frauen. 2 Bde., Bd. 2: 19. <strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />

München: Beck, 1988.<br />

Buhle, Mari Jo: Women and American Socialism, 1870-1920. Urbana, Chicago, London: University of Illinois<br />

Press, 1981.<br />

Central Database of Shoah Victim’s Names: http://www.yadvashem.org (letzer Seitenbesuch: 16.10.2008)<br />

Demokratische Wege: deutsche Lebensläufe aus fünf Jahrh<strong>und</strong>erten. Hrsg. <strong>Von</strong> Manfred Asendorf <strong>und</strong> Rolf von<br />

Bockel. Stuttgart, Weimar: Metzler, 1997.<br />

Die Deutsche Nationalversammlung im Jahre 1919 – in ihrer Arbeit für den Aufbau des neuen deutschen<br />

Volksstaates. Hrsg. von Eduard Heilfron. 8 Bde. Berlin: Norddeutsche Buchdruckerei <strong>und</strong> Verlagsanstalt,<br />

1919[-1921].<br />

753


LITERATUR<br />

754<br />

Deutsches Biographisches Archiv (DBA) – Mikrofiche-Editition hrsg. von Willi Gorzny (Kumulation aus 284<br />

der wichtigsten biographischen Nachschlagewerke für den deutschsprachigen Bereich bis zur Mitte des<br />

20. Jahrh<strong>und</strong>erts), 1989. Unter anderem darin enthaltene Sammelwerke: Deutsches Zeitgenossen-<br />

Lexikon. Hrsg. von Franz Neubert, 1905; Literarische Silhouetten. Hrsg. von Heinz Voss <strong>und</strong> Bruno<br />

Vogler, Ausgabe 1907; Wer ist’s? Unsere Zeitgenossen. Hrsg. von Hermann A.L. Degener. 4. Ausgabe<br />

1909; Reichstags-Handbuch 1890-1912, Legislaturperiode 13, 1912; Wininger, Salomon: Große<br />

jüdische Nationalbiographie, Bd. 2, 1917; Handbuch der verfassunggebenden Nationalversammlung,<br />

Weimar 1919; Reichstags-Handbuch 1920-1933, 1. Wahlperiode 1920, 4. Wahlperiode 1928,<br />

8. Wahlperiode 1933; Wer ist’s? Unsere Zeitgenossen. Hrsg. von Hermann A.L. Degener, 9. Ausgabe<br />

1928; Das Deutsche Reich von 1918 bis heute. Hrsg. von Cuno Horkenbach, Jg. 1930; Reichshandbuch<br />

der deutschen Gesellschaft, Bd. 1, 1930; Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft, Bd. 2, 1931; Wer<br />

ist’s? Unsere Zeitgenossen. Hrsg. von Hermann A.L. Degener, 10. Ausgabe 1935; Steimel, Robert:<br />

Kölner Köpfe, 1958<br />

Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch. 3., völlig neu bearb. Aufl., Bern,<br />

München: Francke. Bd. 1 (1968)-Bd. 28 (2008: Walsh-Wedegänger).<br />

Digitale Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES): http:// library.fes.de (letzter Seitenbesuch 12.12.2008)<br />

Erziehung <strong>und</strong> Bildung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts. Eine kommentierte Quellensammlung zur Bildungs- <strong>und</strong><br />

Berufsbildungsgeschichte von Mädchen <strong>und</strong> Frauen. Hrsg. von Elke Kleinau <strong>und</strong> Christine Mayer. 2<br />

Bde. Weinheim: Deutscher Studien Verlag, 1996.<br />

Federn, Etta: Revolutionär auf ihre Art: <strong>Von</strong> Angelica Balabanoff bis Madame Roland. 12 Skizzen<br />

unkonventioneller Frauen. Hrsg., übers. <strong>und</strong> ergänzt von Marianne Kröger. Gießen: Psychosozialer-<br />

Verlag, 1997.<br />

Figner, Vera: Nacht über Russland. Lebenserinnerungen einer russischen Revolutionärin. Reinbek bei Hamburg:<br />

Rowohlt, 1988.<br />

Die Frau in der Arbeiterbewegung 1900-1939. Internationale Tagung der Historiker der Arbeiterbewegung<br />

(14. Linzer Konferenz 1978). 2 Bde. Wien: Europaverlag, 1980.<br />

Frauen auf die Straßen(-)schilder!“. Hrsg. von der Landeshauptstadt Dresden, der Gleichstellungsbeauftragten<br />

für Frau <strong>und</strong> Mann <strong>und</strong> FrauenBildungsHaus Dresden e.V., Dresden 2007.<br />

Frauen <strong>und</strong> Revolution. Strategien weiblicher Emanzipation 1789 bis 1848. Hrsg. von Frauen & Geschichte<br />

Baden-Württemberg; Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg; Haus der Geschichte<br />

Baden-Württemberg. Tübingen: Silberburg-Verlag, 1998.<br />

Frauen. Porträts aus zwei Jahrh<strong>und</strong>erten. 3. Aufl., Stuttgart: Kreuz, 1985.<br />

Frederiksen, Elke: Women Writers of Germany, Austria and Switzerland. An Annotated Bio-Bibliographical<br />

Guide. New York, Westport (Connecticut), London: Greenwood Press, 1989.<br />

Friedrich, Cäcilia (Hrsg.): Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen. Berlin: Akademie, 1966.<br />

Gerhard, Ute: Unerhört – Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung. Hamburg: Rowohlt, 1996.<br />

Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon. Hrsg. vom Institut für Marxismus-<br />

Leninismus beim ZK der SED. Berlin: Dietz, 1970.<br />

Hagemann, Karen / Kolossa, Jan: Gleiche Rechte – Gleiche Pflichten? Der Frauenkampf für „staatsbürgerliche“<br />

Gleichberechtigung. Ein Bilder-Lese-Buch zu Frauenalltag <strong>und</strong> Frauenbewegung in Hamburg.<br />

Hamburg: VSA, 1990.<br />

Hannam, June / Hunt, Karen: Socialist women: Britain, 1880s to 1920s. London, New York: Routledge, 2002.


6.2.1 FÜR DIE BIOGRAPHISCHE RECHERCHE VERWENDETE MONOGRAPHIEN, NACHSCHLAGE-, SAMMELWERKE UND DATENBANKEN<br />

Hervé, Florence / Nödinger Ingeborg: Lexikon der Rebellinnen. <strong>Von</strong> A bis Z. Dortm<strong>und</strong>: edition Ebersbach,<br />

1996.<br />

Hochreuther, Ina: Frauen im Parlament. Südwestdeutsche Abgeordnete seit 1919. Hrsg. vom Landtag Baden-<br />

Württemberg <strong>und</strong> der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg. Stuttgart: Theiss,<br />

1992.<br />

Hoffmann, Gabriele: Frauen machen Geschichte. <strong>Von</strong> Kaiserin Theophanu bis Rosa Luxemburg. Bergisch<br />

Gladbach: Lübbe, 1991<br />

Jacobi-Dittrich, Juliane: The struggle for an Identity. Working-class Autobiographies by Women in nineteenthcentury<br />

Germany. In: Joeres/Maynes, German Women in the Eighteenth and Ninteenth Centuries,<br />

S. 321-345.<br />

Jacoby, Eugen (Hrsg.): Lexikon linker Leitfiguren, Frankfurt am Main: Büchergilde Gutenberg, 1989.<br />

Jaedicke, Martin: Helen Keller. 2. Aufl., Berlin: Union, 1982.<br />

Juchacz, Marie: Sie lebten für eine bessere Welt. Lebensbilder führender Frauen des 19. <strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>erts. 2.<br />

Aufl., Berlin: Dietz, 1956.<br />

Juden <strong>und</strong> deutsche Arbeiterbewegung bis 1933. Soziale Utopien <strong>und</strong> religiös-kulturelle Traditionen. Tübingen:<br />

Mohr, 1992.<br />

Kalender „Wegbereiterinnen“. Hrsg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Konzeption Gisela Notz. 2003-.<br />

Keller, Helen: Wie ich Sozialistin wurde. 3. Aufl. Stuttgart: Robert Lutz, o.J.<br />

Kestenholz, Salomé: Die Gleichheit vor dem Schafott. Portraits französischer Revolutionärinnen. Darmstadt:<br />

Luchterhand, 1988.<br />

Klatt, Ingaburgh (Hrsg.): „Wir wollen lieber fliegen als kriechen“ – Historische Frauenporträts. Lübeck: Dräger,<br />

1997.<br />

Klausmann, Christina: Politik <strong>und</strong> Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich. Das Beispiel Frankfurt am Main.<br />

Frankfurt am Main, New York: Campus: 1997.<br />

Klucsarits, Richard / Kürbisch, Friedrich G. (Hrsg.): Arbeiterinnen kämpfen um ihr Recht – Autobiographische<br />

Texte zum Kampf rechtloser <strong>und</strong> entrechteter „Frauenspersonen“ in Deutschland, Österreich <strong>und</strong> der<br />

Schweiz des 19. <strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>erts. 2. Aufl., Wuppertal: Hammer, 1981.<br />

Kommunisten im Reichstag. Reden <strong>und</strong> biographische Skizzen. Frankfurt am Main: Marxistische Blätter, 1980.<br />

Lexikon der Frau. 2 Bde. Zürich: Encyclios, 1955.<br />

Lexikon sozialistischer Deutscher Literatur. <strong>Von</strong> den Anfängen bis 1945. Monographisch-biographische<br />

Darstellungen. Rotdruck, 1975.<br />

Library of Congress Online Catalog: http://catalog.loc.gov (letzter Seitenbesuch: 10.12.2007).<br />

M.d.R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus. Politische<br />

Verfolgung, Emigration <strong>und</strong> Ausbürgerung 1933-1945. Eine biographische Dokumentation. Hrsg. <strong>und</strong><br />

eingeleitet von Martin Schumacher. 2. unveränd. Aufl., Düsseldorf: Droste, 1992.<br />

Melzwig, Brigitte: Deutsche sozialistische Literatur 1918-1945. Bibliographie der Buchveröffentlichungen.<br />

Berlin, Weimar: Aufbau-Verlag, 1975.<br />

Neue Deutsche Biographie (NDB). Bd. 1 (1953) bis Bd. 22 (2005), Berlin: Duncker & Humblot.<br />

755


LITERATUR<br />

756<br />

Niggemann, Heinz: Emanzipation zwischen Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus – Die sozialdemokratische Frauenbewegung<br />

im Kaiserreich. Wuppertal: Hammer, 1981, Biographischer Anhang S. 295-348.<br />

Olbrich, Josef (Hrsg.): Arbeiterbildung nach dem Fall des Sozialistengesetzes (1890-1914). Konzeption <strong>und</strong><br />

Praxis. Braunschweig: Westermann, 1982.<br />

Österreichisches biographisches Lexikon. (ÖBL). 1815-1950. Hrsg. von der Österreichischen Akademie der<br />

Wissenschaften. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 1 (1957)-Bd. 12<br />

(2005).<br />

Osterroth, Franz: Biographisches Lexikon des Sozialismus. Hannover: Dietz, 1961.<br />

Pataky, Sophie (Hrsg.): Lexikon deutscher Frauen der Feder. Eine Zusammenstellung der seit dem Jahre 1840<br />

erschienenen Werke weiblicher Autoren, nebst Biographieen der lebenden <strong>und</strong> einem Verzeichnis der<br />

Pseudonyme. 2 Bde. Nachdruck der Ausgabe Berlin: Carl Pataky, 1898. Bern: Herbert Lang, 1971.<br />

Plothow, Anna: Die Begründerinnen der deutschen Frauenbewegung. 5. Aufl., Leipzig: Rothbart, 1907.<br />

Portal zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung:<br />

http://library.fes.de/portal/arb (letzter Seitenbesuch: 10.12.2007).<br />

Reichel, Edgar: Der Sozialismus der Fabier. Ein Beitrag zur Ideengeschichte des modernen Sozialismus in<br />

England. Heidelberg: Schneider, 1947.<br />

Riepl-Schmidt, Maja: Wider das verkochte <strong>und</strong> verbügelte Leben. Frauen-Emanzipation in Stuttgart seit 1800.<br />

2. Aufl., Tübingen: Silberburg, 1998.<br />

Scandinavian Biographical Index. Hrsg. von Laureen Baillie. London, Melbourne, München, New Jersey: Saur,<br />

1994.<br />

Schad, Martha: Frauen, die die Welt bewegten. Geniale Frauen, der Vergangenheit entrissen. München: Pattloch,<br />

2000.<br />

Schmieding, Walther: Aufstand der Töchter. Russische Revolutionärinnen im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert. Frankfurt am<br />

Main, Berlin, Wien: Ullstein, 1981.<br />

Schneider, Dieter (Hrsg.): Sie waren die ersten. Frauen in der Arbeiterbewegung. Frankfurt am Main:<br />

Büchergilde Gutenberg, 1988.<br />

Schneider, Margarete (Hrsg.): Deutscher Frauen Leben <strong>und</strong> Streben. Leipzig: H. Broedel, 1926.<br />

Schröder, Wilhelm Heinz: Sozialdemokratische Parlamentarier in den deutschen Reichs- <strong>und</strong> Landtagen 1867-<br />

1933. Düsseldorf: Droste, 1995.<br />

Schroeder, Luise: Unsere Frauen in der deutschen Nationalversammlung. In: GL, 29/ 11/ 28.02.1919/ 84-87.<br />

Schultz, Hans Jürgen (Hrsg.): Frauen-Porträts aus zwei Jahrh<strong>und</strong>erten, Stuttgart: Kreuz-Verlag, 1986.<br />

Stadt ohne Frauen? Frauen in der Geschichte Mannheims. Hrsg. von der Frauenbeauftragten der Stadt Mannheim<br />

<strong>und</strong> den Autorinnen. Mannheim: Edition Quadrat, 1993.<br />

Straßennamen in Dresden – Reine Männersache? Hrsg. von der Landeshauptstadt Dresden <strong>und</strong> der Gleichstellungsbeauftragten<br />

für Frau <strong>und</strong> Mann, Teil I: Dresden 2003; Teil II: Dresden 2004.<br />

Süßenberger, Claus: Die Klaviere des Henkers. Lebenswege zwischen Bastille <strong>und</strong> Guillotine. Frankfurt am<br />

Main, New York: Campus, 1998.<br />

Weissensteiner, Friedrich: Die Frauen der Genies. Wien, Frankfurt am Main: Deuticke, 2001.


6.2.1 FÜR DIE BIOGRAPHISCHE RECHERCHE VERWENDETE MONOGRAPHIEN, NACHSCHLAGE-, SAMMELWERKE UND DATENBANKEN<br />

Wickert, Christl: Unsere Erwählten. Sozialdemokratische Frauen im Deutschen Reichstag <strong>und</strong> im Preußischen<br />

Landtag 1919 bis 1933. 2 Bde. Göttingen: SOVEC, 1986.<br />

Wikipedia – die freie Enzyklopädie: http://de.wikipedia.org; http://en.wikipedia.org<br />

Witte, Bernd (Hrsg.): Deutsche Arbeiterliteratur von den Anfängen bis 1914. Stuttgart: Philipp Reclam jun.,<br />

1977.<br />

„10 Uhr pünktlich Gürzenich“. H<strong>und</strong>ert Jahre bewegte Frauen in Köln – Zur Geschichte der Organisation <strong>und</strong><br />

Vereine. Hrsg. vom Kölner Frauengeschichtsverein. Münster: agenda, 1995.<br />

Zimmermann, Rüdiger: 100 Jahre ÖTV. Frankfurt am Main: Union-Dr. <strong>und</strong> Verl. Gesellschaft, 1996.<br />

757


LITERATUR<br />

6.2.2 Auto-/Biographische Arbeiten <strong>und</strong> Aufsätze zu den „Gleichheit“-MitarbeiterInnen<br />

Adams-<br />

Lehmann Krauss, Marita: Hope. Dr. Hope Bridges Adams Lehmann. Die Biografie. München:Volk Verlag,<br />

2009<br />

Altmann<br />

Losseff-Tillmanns, Gisela: Gewerkschafterin <strong>und</strong> Freidenkerin. In: Diesseits. Zeitschrift für<br />

Kultur, Politik <strong>und</strong> Freidenkertum. 2.1988, Nr. 4, S. 34-35.<br />

Ankersmit<br />

Baader<br />

Bebel, August<br />

Hpd-Humanistischer Pressedienst: http://hpd.de/node/2275 (letzter Seitenbesuch: 28.11.2008).<br />

Welcker, Johanna M.: Ankersmit, Gerharda Johanna Helena. In: Biografisch Woordenboek van het<br />

socialisme en de Arbeidersbeweging in Nederland (BWSA): http://www.iisg.nl/bwsa/<br />

bios/ankersmit-g.html (letzter Seitenbesuch: 10.10.2008). 2<br />

Baader, Ottilie: Ein steiniger Weg. Lebenserinnerungen. Stuttgart: Dietz, 1921.<br />

Balg, Ilse: Baader, Ottilie. In: NDB, Bd. 1, 1953, S. 477.<br />

Freude, Roswitha: Die Entwicklung Ottilie Baaders (1847-1890) zur Kampfgefährtin Clara<br />

Zetkins. In: Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der<br />

Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“, 1982, S. 86-94.<br />

Freude, Roswitha: Ihr Name lebt in der Geschichte der proletarischen Frauenbewegung. Ottilie<br />

Baader. In: BzG, Jg. 28 (1986), Nr. 5, S. 666-674.<br />

Freude, Roswitha: Ottilie Baader. Ein biographischer Beitrag zur Geschichte der deutschen<br />

proletarischen Frauenbewegung. Dissertation Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“<br />

Leipzig, 1984.<br />

Friedrich, Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen, S. 63-72.<br />

Gerhard, Unerhört, S. 193.<br />

Heppener, Sieglinde: Baader. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches<br />

Lexikon, S. 17-18.<br />

Kalender „Wegbereiterinnen“ 2003.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 298.<br />

Ottilie Baader †. In: Genossin, Jg. 2 (1925), Nr. 10, S. 283.<br />

August Bebel ist tot! In: GL, 23/ 24/ 20.08.1913/ 369.<br />

Bebel, August: Aus meinem Leben. Berlin: Dietz, 1988.<br />

Ein Erinnerungsblatt. In: GL, 24/ 24/ 28.04.1914/ 371-372.<br />

Fischer, Ilse / Krause, Werner: August Bebel. 1840-1913. Ein Großer der deutschen Arbeiterbewegung.<br />

Katalog zu einer Ausstellung des Archivs der sozialen Demokratie, Friedrich-<br />

Ebert-Stiftung <strong>und</strong> Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Köln: Greven & Brechthold, 1988.<br />

Fricke, Dieter: August Bebel (1840-1913) – Ein biographischer Essay. Jena: Friedrich-Schiller-<br />

Universität, 1989.<br />

„Die Gleichheit“, 33/ 15/ 01.08.1923/ 120-124 [Artikel anlässlich des 10. Todestages].<br />

2 Die Übersetzung dieses Textes verdanke ich Jürgen Lachmann, M.A. (Kassel).<br />

758


Bebel, Julie<br />

Bender<br />

Blase<br />

Bloch<br />

Blos, Anna<br />

6.2.2 AUTO-/BIOGRAPHISCHE ARBEITEN UND AUFSÄTZE ZU DEN „GLEICHHEIT“-MITARBEITERINNEN<br />

„Die Gleichheit“, 20/ 10/ 14.02.1910/ 145-157 [Artikel anlässlich des 70. Geburtstages].<br />

Gemkow, Heinrich / Miller, Angelika (Hrsg.): August Bebel – „... ein prächtiger alter Adler“.<br />

Nachrufe, Gedichte, Erinnerungen. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK d. SED<br />

Berlin: Dietz, 1990.<br />

Hanna, Gertrud: August Bebel <strong>und</strong> die Gewerkschaften. In: GL, 33/ 15/ 01.08.1923/ 122-123.<br />

Juchacz, Marie: August Bebel. In: GL, 30/ 08/ 21.02.1920/ 57.<br />

Popp, Adelheid: Bebel zum Gedächtnis. In: GL, 23/ 25/ 10.09.1913/ 394.<br />

Richter, Wolfgang / Schmidt, Bernd: Die Rolle August Bebels <strong>und</strong> der von ihm geführten<br />

revolutionären Sozialdemokratie beim Kampf des Proletariats um die Befreiung der Frau<br />

(1865-1900). Ein Beitrag zur Geschichte der politisch-theoretischen <strong>und</strong> organisatorischen<br />

Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />

Dissertation Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig, 1973.<br />

Schmidt, Bernd / Richter, Wolfgang (Hrsg.): „Dir als dem Vorkämpfer für die volle menschliche<br />

Emanzipation des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts“ – Brief Clara Zetkins an August Bebel. In:<br />

BzG, Jg. 14 (1972), Nr. 2, S. 235-236.<br />

Schraepler, Ernst: August Bebel. Sozialdemokrat im Kaiserreich. Göttingen, Frankfurt am Main,<br />

Zürich: Musterschmidt, 1966.<br />

Seebacher-Brandt, Brigitte: Bebel. Künder <strong>und</strong> Kärrner im Kaiserreich. Berlin, Bonn: J. H. W.<br />

Dietz Nachf., 1988.<br />

Stenkewitz, Kurt: Bebel. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches<br />

Lexikon, S. 23-28.<br />

Herrmann, Ursula (Hrsg.): Briefe einer Ehe. August <strong>und</strong> Julie Bebel. Bonn: Dietz, 1997.<br />

Kalender „Wegbereiterinnen“ 2003.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 300.<br />

Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch. Bd. 1 (1968), Sp. 382-<br />

383.<br />

Geisel, Beatrix: Ohne die Mithilfe der Frau können die Ziele der Sozialdemokratie nie<br />

verwirklicht werden. SPD-Frauen im Kaiserreich <strong>und</strong> in der Weimarer Republik. In: Stadt<br />

ohne Frauen? Frauen in der Geschichte Mannheims, S. 216-231.<br />

Therese Blase. In: Hochreuther, Frauen im Parlament. Südwestdeutsche Abgeordnete seit 1919, S.<br />

56.<br />

Joris, Elisabeth: Brot, Geld <strong>und</strong> Frauenstimmrecht. In: Die Wochenzeitung:<br />

http://www.woz.ch/artikel/inhalt/2000/nr00/Schweiz/5122.html (letzter Seitenbesuch:<br />

12.12.2008).<br />

Hochreuther, Ina: „Es ist wirklich oft nur der erste Schritt, der schwer ist“. Vor 85 Jahren zogen<br />

die ersten Frauen in die Weimarer Nationalversammlung ein. In: Staatsanzeiger für Baden<br />

Württemberg, Jg. 53, Nr. 9 (08.03.2004), S. 12.<br />

Kaiser, Bernhard: Anna Blos – Ihre Tätigkeit in Gemeinde, Partei <strong>und</strong> Staat. Wissenschaftliche<br />

Arbeit an der Berufspädagogischen Hochschule Stuttgart 1977.<br />

759


LITERATUR<br />

Blos, Wilhelm<br />

Bohm-Schuch<br />

Borchardt<br />

Braun<br />

760<br />

M.d.R., S. 127.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 302.<br />

Riepl-Schmidt, Mascha: Anna Blos, geborene Tomasczewska, Historiographin einer weiblich<br />

revolutionären Tradition – Geschichtsschreibung im Spiegel des eigenen Lebens. In:<br />

Frauen <strong>und</strong> Revolution, S. 134-156.<br />

Riepl-Schmidt, Wider das verkochte <strong>und</strong> verbügelte Leben, S. 173-182.<br />

Milatz, Alfred: Blos, Wilhelm. In: NDB, Bd. 2, 1955, S. 316-317.<br />

Seidel, Jutta: Blos. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S.<br />

48-50.<br />

Dertinger, Antje: Was ist wertvoller als die Jugend? Clara Bohm-Schuch widmete ihr Leben der<br />

jungen Generation. In: Das Parlament, Okt. 1983, S. 28-29.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 302.<br />

Wenzel, Cornelia: Diesseits <strong>und</strong> jenseits der Ära Zetkin. Vorgängerin <strong>und</strong> Nachfolgerinnen. In:<br />

Ariadne, 1992, Nr. 22, S. 56-59.<br />

Gebauer, H.: Borchardt. Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S.<br />

54-56.<br />

Borkowski, Dieter: Rebellin gegen Preußen. Das Leben der Lily Braun. Frankfurt am Main:<br />

Fischer, 1984.<br />

Braun, Lily: Memoiren einer Sozialistin. Berlin, Bonn: J. H. W. Dietz Nachf., 1985. Ursprünglich<br />

zweiteilig erschienen: Lehrjahre. München: Albert Langen, 1909; Kampfjahre. München:<br />

Albert Langen, 1911.<br />

Federn, Etta: Lily Braun. In: Federn, Revolutionär auf ihre Art, S. 55-58.<br />

Gerhard, Unerhört, S. 197.<br />

Kalender „Wegbereiterinnen“ 2003.<br />

Laabs, Ute: Clara Zetkin contra Lily Braun. In: Kolloquium der Forschungsgemeinschaft<br />

„Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“, 1981, S. 33-37.<br />

Mauer, Doris: Lily Braun – Zwischen allen Stühlen. In: Schneider, Sie waren die ersten, S. 117-<br />

124.<br />

Meyer, Alfred G.: Lily Brauns unorthodoxer Marxismus. In: Sozialistische Tribüne, 1985, Nr. 1, S.<br />

194-204.<br />

Meyer, Alfred G.: The Feminism <strong>und</strong> Socialism of Lily Braun. Bloomington: Indiana University<br />

Press, 1985.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 303.<br />

Stolten, Inge: Lily Braun (1865-1916). In: Frauen. Porträts aus zwei Jahrh<strong>und</strong>erten, S. 212-224.<br />

Streidel, Melanie: Der Streit Klara Zetkins mit Lily Braun im Spannungsfeld zwischen Sozialismus<br />

<strong>und</strong> Feminismus (1894-1907). Examensarbeit Universität Erlangen-Nürnberg, 1993.


Büsing<br />

David<br />

Dietz<br />

Döltz<br />

Duncker<br />

6.2.2 AUTO-/BIOGRAPHISCHE ARBEITEN UND AUFSÄTZE ZU DEN „GLEICHHEIT“-MITARBEITERINNEN<br />

Vogelstein, Julie: Lily Braun. Ein Lebensbild. Berlin-Grunewald: Hermann Klemm, 1922.<br />

Walle, Marianne: „Ich schreibe mich in meinen Büchern frei“ – Lily Braun (1865-1916). In: Klatt,<br />

Wir wollen lieber fliegen als kriechen, S. 91-105.<br />

Walle, Marianne: Frauen <strong>und</strong> Politik/ Macht – ein Beispiel in der deutschen Frauengeschichte.<br />

Lily Braun <strong>und</strong> Clara Zetkin in der SPD um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende (1896-1908). In:<br />

Dalhoff/Frey/Schöll, Frauenmacht in der Geschichte, S. 372-379.<br />

Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch, Bd. 2 (1969), Sp. 314.<br />

Dierks, Klaas Dirk: Gertrud David – Regisseurin, Produzentin. In: Cine-Graph – Lexikon zum<br />

deutschsprachigen Film: http://www.cinegraph.de/lexikon/David_Getrud/biografie.html<br />

(letzter Seitenbesuch: 18.12.2008)<br />

Bohm-Schuch, Clara: Unsere Toten. Heinrich Dietz zum Gedächtnis. In: GL, 32/ 17-18/<br />

01.02.1922/ 163-164.<br />

Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S. 91-93.<br />

Graf, Angela: J. H. W. Dietz 1843-1922 – Verleger der Sozialdemokratie. Bonn: Dietz, 1998.<br />

Hackethal, E.: Dietz. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S.<br />

91-93.<br />

Zetkin, Klara: Heinrich Dietz zum 70. Geburtstag. In: GL, 14/ 01/ 01.10.1919/ 4-5.<br />

Drust, Für unsere Kinder, S. 198.<br />

Friedrich, Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen, S. 15, S. 26-29, S. 184-185.<br />

Münchow, Ursula: Neue Wirklichkeitssicht <strong>und</strong> politische Praxis. Sozialistische Literatur <strong>und</strong> Arbeiterinnenbewegung.<br />

In: Brinker-Gabler, Deutsche Literatur von Frauen. Bd. 2, S. 249-<br />

268, S. 260-262.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 305.<br />

Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, S. 141.<br />

Brehmer/Ehrich, Mütterlichkeit als Profession?, Bd. 2, S. 60-61.<br />

Deutschland, Heinz (Hrsg): Ich kann nicht durch Morden mein Leben erhalten. Briefwechsel<br />

zwischen Käte <strong>und</strong> Hermann Duncker 1915 bis 1917. Bonn: Pahl-Rugenstein, 2005.<br />

Deutschland, Heinz: Käte Duncker (1871-1953). Aus dem Leben einer streitbaren Sozialistin,<br />

anhand ihrer Briefe <strong>und</strong> Schriften. Unveröffentlichtes Manuskript anlässlich einer<br />

Veranstaltung des Fördervereins der Clara-Zetkin-Gedenkstätte e.V. Birkenwerder am<br />

28.03.2004.<br />

Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S. 101-103.<br />

Kirsch, Ruth: „Ihr zwingt uns nicht!“ – Ein Lebensbild der Kommunistin <strong>und</strong> Pädagogin Käte<br />

Duncker. Berlin: Selbstverlag, o.J.<br />

Kirsch, Ruth: Käte Duncker. Aus ihrem Leben. Berlin: Dietz, 1982.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 308.<br />

761


LITERATUR<br />

Essig<br />

Fürth<br />

Glogau<br />

Greifenberg<br />

Grünberg<br />

Hanna<br />

Teubner, Hans / Wrobel, Kurt: Duncker. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung.<br />

Biographisches Lexikon, S. 101-103.<br />

Brehmer/Ehrich, Mütterlichkeit als Profession?, Bd. 2, S. 68-69.<br />

Hagemann, Karen: „Sie widmete ihre ganze Kraft dem Aufbau des Mädchenberufsschulwesens“.<br />

In: Hagemann/Kolossa, Gleiche Rechte – Gleiche Pflichten?, S. 87.<br />

Hansen-Schaberg, Inge: Rückkehr <strong>und</strong> Neuanfang. Die Wirkungsmöglichkeiten der Pädagoginnen<br />

Olga Essig, Katharina Petersen, Anna Siemsen <strong>und</strong> Minna Specht im westlichen<br />

Deutschland der Nachkriegszeit. In: Jahrbuch für Historische Bildungsforschung, Jg.<br />

(1993), Bd. 1, S. 319-338.<br />

Olga Essig (1884-1965) <strong>und</strong> Anna Siemsen (1882-1951). In: Erziehung <strong>und</strong> Bildung des<br />

<strong>weiblichen</strong> Geschlechts, S. 61-73.<br />

Epple, Angelika: Henriette Fürth <strong>und</strong> die Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich. Eine<br />

Sozialbiographie. Pfaffenweiler: Centaurus, 1996.<br />

Fürth, Henriette: Streifzüge durch das Land eines Lebens. An meine Kinder. (1933).<br />

Unveröffentlicht (Privatbesitz Helga Krohn).<br />

Katzenstein, Simon: Henriette Fürth. Versuch einer Würdigung zu ihrem siebzigsten Geburtstag<br />

gewidmet von ihrem Bruder Simon Katzenstein. O. O.: O.V., 15.08.1931.<br />

Klausmann, Politik <strong>und</strong> Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich, S. 132-145.<br />

Krohn, Helga: Du sollst dich niemals beugen. Henriette Fürth – Frau, Jüdin, Sozialistin. In:<br />

Freimark, Peter / Jankowski, Alice / Lorenz, Ines S. (Hrsg.): Juden in Deutschland.<br />

Emanzipation, Integration, Verfolgung <strong>und</strong> Vernichtung. Hamburg: Hans Christians,<br />

1991, S. 327-343.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 307-308.<br />

Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch. Bd. 6 (1978), Sp. 405.<br />

Pataky, Lexikon deutscher Frauen der Feder. Bd. 1., S. 260.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 308.<br />

Weid, Beate: Helene Grünberg. In: Verlaßt Euch nicht auf die Hülfe der deutschen Männer!“ –<br />

Stationen der bürgerlichen <strong>und</strong> proletarischen Frauenbewegung in Nürnberg. Hrsg. vom<br />

Feministischen Informations-, Bildungs- <strong>und</strong> Dokumentationszentrum (FIBiDoZ e.V.).<br />

Nürnberg: Selbstverlag, 1990 , S. 91-97.<br />

Meister, Monika: „Sind wir auch keine Wählerinnen, so laßt uns Wühlerinnen sein!“ – Helene<br />

Grünberg, die erste Arbeitersekretärin Deutschlands. In: Am Anfang war Sigema, S. 153-<br />

161.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 309.<br />

Dertinger, Antje: Gertrud Hanna – Anwältin der erwerbstätigen Frau. In: Schneider, Sie waren die<br />

ersten, S. 165-182.<br />

Kalender „Wegbereiterinnen“ 2004.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 310.<br />

Heiden-<br />

Deutschmann Klausmann, Politik <strong>und</strong> Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich, S. 120-121 u. S. 348.<br />

762


Heilbut<br />

Hoernle<br />

Holzamer<br />

Ihrer<br />

Juchacz<br />

6.2.2 AUTO-/BIOGRAPHISCHE ARBEITEN UND AUFSÄTZE ZU DEN „GLEICHHEIT“-MITARBEITERINNEN<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 311.<br />

Haarhoff, Heike: Todesmarsch in die Freiheit. In: taz, 23.04.2005 (http://www.taz.de/index.php?<br />

id=archivseitedig=2005/04/23/a0265&type=98 (letzter Seitenbesuch: 06.12.2008)<br />

(erwartet wird die Veröffentlichung des Titels: Heilbut, Peter: Ins Leben gelaufen. Als<br />

Sachsenhausen-Häftling auf dem Todesmarsch April/Mai 1945. Hrsg. von der Stiftung<br />

Brandenburgische Gedenkstätten. Berlin: Metropol.).<br />

Http://www.yadvashem.org (letzer Seitenbesuch: 16.10.2008).<br />

Drust, Für unsere Kinder S. 200.<br />

Edwin Hoernle. In: Kommunisten im Reichstag, S. 416-423.<br />

Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration, Bd. 1, S. 307.<br />

Leske, Birgit: Hoernle. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon,<br />

S. 213-216.<br />

M.d.R., S. 293.<br />

Mehnert, Wolfgang: Edwin Hoernle. Berlin: Volk <strong>und</strong> Wissen, 1963.<br />

http://www.Wilhelm-Holzamer.de (letzter Seitenbesuch: 06.12.2007).<br />

Schmidt, Adalbert: Holzamer, Wilhelm. In: NDB, Bd. 9, S. 567-568.<br />

Gélieu, Claudia von: „Sie kannte nicht den Ehrgeiz, der an erster Stelle stehen will.“ – Emma Ihrer<br />

zum 150. Geburtstag. In: JBzG, Jg. 6 (2007), S. 92-104.<br />

Heppener, S.: Ihrer. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S.<br />

222-223.<br />

Malettke, Klaus: Ihrer, Emma. In: NDB, Bd. 10, 1974, S. 129.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 311.<br />

Schneider, Dieter: Emma Ihrer. Gegen Rückständigkeit <strong>und</strong> Unverstand. In: Schneider, Sie waren<br />

die ersten, S. 77-89.<br />

Juchacz, Marie: Kindheit, Jugend <strong>und</strong> erste politische Tätigkeit. In: Marie Juchacz. Gründerin der<br />

Arbeiterwohlfahrt. Leben <strong>und</strong> Werk. Bonn: Arbeiterwohlfahrt, 1979.<br />

Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, S. 337.<br />

Dertinger, Antje: Marie Juchacz. Die erste Frau, die im Parlament zum Volke sprach. In:<br />

Schneider, Sie waren die ersten, S. 211-230.<br />

Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S. 233-234.<br />

Kalender „Wegbereiterinnen“ 2004.<br />

Miller, Susanne: Juchacz, Marie. In: NDB, Bd. 10, 1974, S. 633.<br />

Gerhard, Unerhört, S. 339.<br />

Lecke, Birgit: Juchacz. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon,<br />

763


LITERATUR<br />

Kähler, Luise<br />

S. 233-234.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 314.<br />

M.d.R., S. 314-315.<br />

Herbig, Erna: Kähler. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon,<br />

S. 236-237.<br />

K. A.: Dem Gedenken Luise Kählers. Eine Veteranin der Arbeiter- <strong>und</strong> Frauenbewegung ging von<br />

uns. In: Die Frau von heute. Jg. 10, Nr. 40 (07.10.1955), S. 9.<br />

Kähler,<br />

Wilhelmine Friedrich, Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen, S. 59-62.<br />

Katzenstein<br />

Kautsky, Luise<br />

Kipfmüller<br />

Kollontay<br />

Krille<br />

764<br />

„Frauen auf die Straßen(-)schilder!“, S. 35<br />

[Kähler, Wilhelmine] W. K.: Lebenserinnerungen einer Arbeiterin. In: GL, 13/ 02/ 14.01.1903/ 12-<br />

13.<br />

M.d.R., S. 317.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 315-316.<br />

Straßennamen in Dresden – Reine Männersache?, Teil II, S. 20.<br />

Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration, Bd. 1, S. 354.<br />

Luise Kautsky zum Gedenken. Nachrufe von Friedrich Adler <strong>und</strong> Oda Lerda-Olberg, Berichte aus<br />

Amsterdam <strong>und</strong> Birkenau, Briefe aus <strong>und</strong> über Buchenwald von Benedikt Kautsky. New<br />

York: Willard, 1945.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 316.<br />

Bock, Ilse: Dr. Dr. Bertha Kipfmüller – Wegbereiterin des Frauenstudiums. In: Ariadne, 1985, Nr.<br />

2, S. 10-13.<br />

Brehmer/Ehrich, Mütterlichkeit als Profession?, Bd. 2, S. 131-132.<br />

Panzer, Marita A.: Dr. Dr. Bertha Kipfmüller, (1861-1948): Lehrerin <strong>und</strong> Privatgelehrte. In:<br />

Panzer, Marita A. / Plößl, Elisabeth: Bavarias Töchter, Regensburg: Pustet, 1997, S. 139-<br />

141.<br />

Abosch, Heinz: Alexandra Kollontai – Für Arbeiterdemokratie – gegen Parteidiktatur. In:<br />

Schneider, Sie waren die ersten, S. 155-164.<br />

Federn, Etta: Alexandra Kollontai. In: Federn, Revolutionär auf ihre Art, S. 49-54.<br />

Geyer, Dietrich: Eine Klasse für sich. Alexandra Kollontaj <strong>und</strong> ihr Weg ins Sowjetreich. In: Die<br />

Zeit, Nr. 10 (28.02.2002), S. 90.<br />

Kalender „Wegbereiterinnen“ 2004.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 318.<br />

Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, S. 397.<br />

Drust, Für unsere Kinder S. 200-201.


Kunert<br />

Ledebour<br />

Lennemann<br />

Lewin-Dorsch<br />

Lilienthal Stern<br />

Lion<br />

Luxemburg<br />

Märten<br />

Michels<br />

Mosegaard<br />

6.2.2 AUTO-/BIOGRAPHISCHE ARBEITEN UND AUFSÄTZE ZU DEN „GLEICHHEIT“-MITARBEITERINNEN<br />

Emmerich, Wolfgang: Krille, Otto. In: NDB, Bd. 13, S. 47-48.<br />

Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, S. 404.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 319.<br />

Wickert, Unsere Erwählten, S. 169.<br />

Ratz, Ursula: Ledebour, Georg. In: NDB, Bd. 14 , 1985, S. 37-38.<br />

Wittwer, Walter: Ledebour. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches<br />

Lexikon, S. 271-273.<br />

Literaturportal Westfalen: http://www.literaturportal-westfalen.de<br />

(letzter Seitenbesuch: 28.11.2008).<br />

http://www.margarethe-hardegger.ch/Q_hardegger_muehsam (letzter Seitenbesuch: 06.11.2008)<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 320.<br />

Buhle, Mari Jo: Women and American Socialism, 1870-1920, S. 128ff.<br />

Online-Version der New York Times- Ausgabe vom 29.07.1910: http://query.nytimes.com/mem/<br />

archive-free/... (letzter Seitenbesuch: 10.12.2007).<br />

Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, S. 448.<br />

Ettinger, Elżbieta: Rosa Luxemburg. Ein Leben. Bonn: Dietz, 1990.<br />

Hirsch, Helmut: Rosa Luxemburg. 20. Aufl., Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2002.<br />

Kalender „Wegbereiterinnen“ 2003.<br />

Laschitza, Annelies: Im Lebensrausch, trotz alledem. Rosa Luxemburg. Eine Biographie. 2. Aufl.,<br />

Berlin: Aufbau, 2002.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 322.<br />

Radczun, Günter: Luxemburg. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches<br />

Lexikon, S. 302-307.<br />

Rosa Luxemburg. Hrsg. von Kristine von Soden. Aktualisierte Neuausgabe. Berlin: Elefanten<br />

Press, 1995.<br />

Scharrer, Manfred: Rosa Luxemburg – Wie eine Kerze, die von beiden Enden brennt. In:<br />

Schneider, Sie waren die ersten, S. 137-154.<br />

Friedrich, Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen, S. 105, S. 165-168.<br />

Münchow, Ursula: Neue Wirklichkeitssicht <strong>und</strong> politische Praxis. Sozialistische Literatur <strong>und</strong> Arbeiterinnenbewegung.<br />

In: Brinker-Gabler, Deutsche Literatur von Frauen. Bd. 2, S. 249-<br />

268, S. 257-258.<br />

Käsler, Dirk: Michels, Robert: In: NDB, Bd. 17, S. 451-452.<br />

Drust, Für unsere Kinder S. 201.<br />

765


LITERATUR<br />

Müller, Louise<br />

Müller-Jahnke<br />

Pärssinen<br />

Pfülf<br />

Popp<br />

Reitze<br />

Röhl<br />

Rohrlack<br />

Ryneck<br />

766<br />

Friedrich, Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen, S. 73-82, S. 187.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 324.<br />

Müller, Louise: Vor 25 Jahren. Erinnerungen einer Genossin. In: GL, 30/ 22/ 29.05.1920/ 176-178.<br />

Friedrich, Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen, S. 3, S. 13-14, S. 16, S. 30-<br />

31, S. 187.<br />

Münchow, Ursula: Neue Wirklichkeitssicht <strong>und</strong> politische Praxis. Sozialistische Literatur <strong>und</strong> Arbeiterinnenbewegung.<br />

In: Brinker-Gabler, Deutsche Literatur von Frauen, Bd. 2, S. 249-<br />

268, S. 258-260.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 324.<br />

Asikainen, Sari: Me toivomme ihannemaata: Hilja Pärssinen varhainen aatemaailma ennen<br />

kansanedustjuuta. Tampere: Tampereen yliopisto. Yhteistkuntatieteiden tutkimuslaitos.<br />

Naistutkimusyksikkö, 1994.<br />

Sylvi-Kyllikki, Kilpi: Hilja Pärssinen. In: Soikkanen, Hannu (Hrsg.): Tiennäyttäjät. Bd. 1.,<br />

Helsinki: Tammi 1967, S. 121-161.<br />

Dertinger, Antje: Dazwischen liegt nur der Tod. Leben <strong>und</strong> Sterben der Sozialistin Antonie Pfülf.<br />

Berlin, u. a.: Dietz Nachf. 1984.<br />

Kalender „Wegbereiterinnen“ 2003.<br />

M.d.R., S. 436.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 327.<br />

Friedrich, Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen, S. 43-54, S. 127-129, S.<br />

187.<br />

Kalender „Wegbereiterinnen“ 2004.<br />

Martiny, Murielle: Adelheid Popp: Hoffnungen <strong>und</strong> Enttäuschungen. In: Die Frau in der<br />

Arbeiterbewegung 1900-1939, Bd. 1, S. 311-320.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 328.<br />

Popp, Adelheid: Die Jugendgeschichte einer Arbeiterin. München: Ernst Reinhardt, 1909.<br />

Popp, Adelheid: Erinnerungen. Stuttgart: J.H.W. Dietz, 1915.<br />

Hagemann, Karen: „Sozialpolitik <strong>und</strong> Wohlfahrtspflege waren ihre bevorzugten Arbeitsgebiete“.<br />

In: Hagemann/Kolossa, Gleiche Rechte – Gleiche Pflichten?, S. 41.<br />

M.d.R., S. 456-458.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 329.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 330.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 330.<br />

Leske, Birgit: Ryneck. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon,<br />

S. 388.


Salomon<br />

Schilling, Minna<br />

Schulz<br />

Selinger<br />

Sender<br />

Simon<br />

Soll<br />

Steinbach<br />

Wabnitz<br />

Wachenheim<br />

M.d.R., S. 477.<br />

6.2.2 AUTO-/BIOGRAPHISCHE ARBEITEN UND AUFSÄTZE ZU DEN „GLEICHHEIT“-MITARBEITERINNEN<br />

Salomon, Alice: Charakter ist Schicksal. Lebenserinnerungen. Hrsg. von Rüdiger Baron <strong>und</strong> Rolf<br />

Landwehr. Weinheim, Basel: Beltz, 1983.<br />

Sachße, Christoph: Salomon, Alice. In: NDB, Bd. 22, S. 389-390.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 331.<br />

M.d.R., S. 489-490.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 333.<br />

Drust, Für unsere Kinder S. 197.<br />

Braune, Peter: Die gescheiterte Einheitsschule. Heinrich Schulz – Parteisoldat zwischen Rosa<br />

Luxemburg <strong>und</strong> Friedrich Ebert. Berlin: Karl Dietz, 2004.<br />

Gebauer, H. / Leske, Birgit: Schulz. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches<br />

Lexikon, S. 414-415.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 336-337.<br />

M.d.R., S. 532.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 337.<br />

Schneider, Dieter: Toni Sender – Der Arbeiterschaft die volle Herrschaft über die Arbeit. In:<br />

Schneider, Sie waren die ersten, S. 251-268.<br />

Straßennamen in Dresden – Reine Männersache?, Teil I, S. 27.<br />

Böhm, Irmingard: Helene Simon – die Biographin von Elisabeth Gnauck-Kühne. In: Prégardier,<br />

Elisabeth / Böhm, Irmingard (Hrsg.): Elisabeth Gnauck-Kühne (1850-1917) – Zur sozialen<br />

Lage der Frau um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende. Annweiler: Plöger, 1997, S. 147-152.<br />

Friedländer, Walter: Helene Simon. Ein Leben für soziale Gerechtigkeit. Hrsg. vom<br />

Arbeiterwohlfahrt-Hauptausschuss e.V., Bonn 1962.<br />

Klöhn, Sabine: Helene Simon (1862-1947). Deutsche <strong>und</strong> britische Sozialreform <strong>und</strong> Sozialgesetzgebung<br />

im Spiegel ihrer Schriften <strong>und</strong> ihr Wirken als Sozialpolitikerin im Kaiserreich<br />

<strong>und</strong> in der Weimarer Republik. Frankfurt am Main, Bern: Lang, 1982.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 338.<br />

Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch. Bd. 18 (1998), Sp. 250-<br />

251.<br />

Haake, Kirsten: Helma Steinbach – eine Reformistin in der Hamburger Arbeiterbewegung zur Zeit<br />

des Kaiserreichs. Magisterarbeit Universität Hamburg, 1992.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 339.<br />

Kühnel, Klaus: Wanderrednerin der SPD. Die Frauenrechtlerin Agnes Wabnitz. In: Deutschland-<br />

Radio Berlin Sendung vom 30.08.2004. http://www.dradio.de/dir/sendung/merkmal/-<br />

298127 (letzter Seitenbesuch: 27.10.2005).<br />

Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, S. 786.<br />

767


LITERATUR<br />

Wackwitz<br />

Wartenberg<br />

Wengels<br />

Wirminghaus<br />

Wittich<br />

Wurm<br />

Zepler<br />

Zetkin, Clara<br />

768<br />

Klingner, Anne-Marie: Hedwig Wachenheim <strong>und</strong> die Entwicklung der Arbeiterwohlfahrt in der<br />

Weimarer Republik. Diplomarbeit Universität Dresden 1997.<br />

Wachenheim, Hedwig: Vom Großbürgertum zur Sozialdemokratie. Memoiren einer Reformistin.<br />

Berlin: Colloquium, 1973.<br />

Wickert, Christl: Sozialistin, Parlamentarierin, Jüdin: Die Beispiele Käte Frankenthal, Berta<br />

Jourdan, Adele Schreiber-Krieger <strong>und</strong> Hedwig Wachenheim. In: Juden <strong>und</strong> deutsche<br />

Arbeiterbewegung bis 1933, S. 155-164.<br />

Zeller, Susanne: Hedwig Wachenheim (1891-1969). In: Stadt ohne Frauen?, S. 161-168.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 343.<br />

Döll-Krämer, Inge: Alma Wartenberg – sozialdemokratische „Vertrauensperson“ in Ottensen. In:<br />

Aufgeweckt, S. 182-194.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 344.<br />

Wischermann, Frauenbewegungen <strong>und</strong> Öffentlichkeiten um 1900, S. 132.<br />

Roecken, Sully: Else Wirminghaus 1867-1939. In: „10 Uhr pünktlich Gürzenich“. H<strong>und</strong>ert Jahre<br />

bewegte Frauen in Köln, S. 179-182.<br />

Querfeld, Werner: Erinnerungen an Manfred Wittich (1851-1902), Amtsblatt der Stadt Greiz,<br />

2003, Nr. 1, S. 22.<br />

[Rothe, Anna:] Manfred Wittich. Ein Lebens- <strong>und</strong> Charakterbild. Dem deutschen Proletariat<br />

gewidmet von A.R. Leipzig: Lipinski, 1902.<br />

Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, S. 837.<br />

Brinson, Charmian: The strange case of Dora Fabian and Mathilde Wurm. A study of German<br />

political exiles in London during the 1930‘s. Bern: Peter Lang, 1996.<br />

Brinson, Charmian: The strange case of Dora Fabian and Mathilde Wurm. A study of German<br />

political exiles in London during the 1930‘s. In: German Life and Letters, Jg. 45 (1992),<br />

Nr. 4, S. 323-344.<br />

Globig, Martha: Wurm. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon,<br />

S. 493-494.<br />

Kalender „Wegbereiterinnen“ 2003.<br />

M.d.R., S. 629-630.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 346.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 347.<br />

Alexander, Gertrude G. L.: Aus Clara Zetkins Leben <strong>und</strong> Werk. Berlin: Vereinigung<br />

Internationaler Verlags-Anstalten, 1927.<br />

Aragon, Louis: Die Glocken von Basel. Berlin: Aufbau, 1957.<br />

Auer, Annemarie: Clara Zetkin – ein Porträt. In: Hervé, Florence (Hrsg.): Brot <strong>und</strong> Rosen.<br />

Geschichte <strong>und</strong> Perspektive der demokratischen Frauenbewegung. Frankfurt am Main:<br />

Marxistische Blätter, 1979, S. 73-78.


6.2.2 AUTO-/BIOGRAPHISCHE ARBEITEN UND AUFSÄTZE ZU DEN „GLEICHHEIT“-MITARBEITERINNEN<br />

Badia, Gilbert: Clara Zetkin – Eine Biographie. (Originaltitel: Clara Zetkin, féministe sans<br />

frontiéres, 1993) Berlin: Dietz, 1994.<br />

Bauer, Karin: Clara Zetkin <strong>und</strong> die proletarische Frauenbewegung. Berlin: Oberbaum, 1984.<br />

Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, S. 845-846.<br />

Bojarskaja, Sinaida: Clara Zetkin. Eine Kämpferin. Berlin: Verlag der Jugendinternationale, 1927.<br />

Clara Zetkin. Bilder <strong>und</strong> Dokumente. Leipzig: Verlag für die Frau, 1982.<br />

Clara Zetkin. Ein Sammelband zum Gedächtnis der großen Kämpferin. Moskau, Leningrad:<br />

Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter in der UdSSR, 1934.<br />

Clara Zetkin. Eine Auswahlbibliographie der Schriften von <strong>und</strong> über Clara Zetkin. Berlin: O.A.,<br />

1957.<br />

Clara Zetkin. Hrsg. vom Demokratischen Frauenb<strong>und</strong> Deutschlands. [Berlin (Ost)] 1952.<br />

Clara Zetkin. Leben <strong>und</strong> Lehren einer Revolutionärin. Berlin: Deutscher Frauen-Verlag, 1949.<br />

„Clara Zetkin zum 100. Geburtstag“. Themenheft: Lernen <strong>und</strong> Handeln. Jg. 8 (1957), Nr. 10/11.<br />

Dornemann, Luise: Clara Zetkin. Leben <strong>und</strong> Wirken. Berlin: Dietz, 1973.<br />

Dörnenburg, Manuela: Clara Zetkin. Die Flügel wachsen mit der Aufgabe. Eine Annäherung.<br />

Birkenwerder: Korona Kulturverein e.V, 1997.<br />

Drabkin, Jakow: Die Aufrechten. Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Franz Mehring, Clara<br />

Zetkin. Berlin: Dietz, 1988.<br />

Eilers, Kerstin: Clara Zetkin als Pädagogin – ein kritischer Blick auf die DDR-Rezeption.<br />

Diplomarbeit Universität-Gesamthochschule Siegen, 1996.<br />

Elsner, Gisela: Clara Zetkin (1857-1933). In: Schultz, Frauen-Porträts aus zwei Jahrh<strong>und</strong>erten, S.<br />

158-171.<br />

Franzke, Astrid / Nagelschmidt, Ilse (Hrsg.): „Ich kann nicht gegen meine Überzeugung handeln“<br />

– Clara Zetkin zum 150. Geburtstag. Leipzig: Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, 2008.<br />

Fricke, Dieter: Clara Zetkin <strong>und</strong> der „Sozialdemokrat“. In: BzG, Jg. 3 (1961), Nr. 4, S. 927-937.<br />

Frölich, Paul: Clara Zetkin. In: Alles für die Revolution! Aus dem Leben <strong>und</strong> Wirken der<br />

Kämpferin Clara Zetkin. Hrsg. von Ernst Schneller. Berlin: Vereinigung Internationaler<br />

Verlags-Anstalten, 1927, S. 3-17.<br />

Gerhard, Unerhört, S. 188.<br />

Globig, Martha / Karl, H.: Zetkin. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches<br />

Lexikon, S. 497-501.<br />

Götze, Dieter: Clara Zetkin. Leipzig: Bibliographisches Institut, 1982.<br />

Haferkorn, Katja: Clara Zetkin. Trotz alledem! In: Bock/Ruge/Thoms, Gewalten <strong>und</strong> Gestalten.<br />

Miniaturen <strong>und</strong> Porträts zur deutschen Novemberrevolution 1918/1919, S. 207-217.<br />

Hagemann, Karen: „Und so fordern die Proletarierinnen das Wahlrecht vor allem zum Kampf<br />

gegen die kapitalistische Ordnung“. In: Hagemann/Kolossa, Gleiche Rechte – Gleiche<br />

769


LITERATUR<br />

770<br />

Pflichten?, S. 42-43.<br />

Hervé, Florence (Hrsg.): Clara Zetkin oder: Dort kämpfen, wo das Leben ist. Berlin: Karl Dietz,<br />

2007.<br />

Hoeppel, Rotraut: Clara Zetkin. Erziehung zwischen Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialismus. In:<br />

Brehmer, Mütterlichkeit als Profession? Bd. 1, S. 79-94.<br />

Hohendorf, Gerd: Clara Zetkin. Berlin: Volk <strong>und</strong> Wissen, 1965.<br />

Honeycutt, Karen: Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in Wilhelmian Germany.<br />

Dissertation Columbia University, 1975.<br />

Ilberg, Hanna: Clara Zetkin. Aus dem Leben <strong>und</strong> Wirken einer großen Sozialistin. Berlin: Neues<br />

Leben, 1956.<br />

Kalender „Wegbereiterinnen“ 2003.<br />

Klara Zetkin. Eine Tochter des deutschen Volkes. Hrsg. von der Sozialistischen Einheits-Partei<br />

Deutschlands, Kreisvorstand Altenburg, Frauenabteilung. Altenburg: Altenburger Druckerei-,<br />

Buchhandels <strong>und</strong> Verlagsgesellschaft Jonas & Co. , [1947].<br />

Klaßen, Angela: Mädchen- <strong>und</strong> Frauenbildung im Kaiserreich 1871-1918. Emanzipatorische<br />

Konzepte bei Helene Lange <strong>und</strong> Clara Zetkin. Würzburg: Ergon, 2003.<br />

Kliche, Dieter: Zur Literatur- <strong>und</strong> Kulturauffassung Clara Zetkins. In: Weimarer Beiträge, Jg. 22<br />

(1976), Nr. 12, S. 38-70.<br />

Koszyk, Kurt: Clara Zetkin – Weibliche Symbolfigur der Kommunisten. In: Schneider, Sie waren<br />

die ersten, S. 91-104.<br />

Kreh, Daniela / Mehrwald, Silke: Clara Zetkin <strong>und</strong> die Rolle der Frau. Eine Untersuchung ihrer<br />

Werke unter besonderer Berücksichtigung der Thematik Frau <strong>und</strong> Armut <strong>und</strong> die Frau in<br />

der Familie. Hausarbeit Gesamthochschule Kassel, 1985.<br />

Laabs, Ute: Clara Zetkin contra Lily Braun. In: Kolloquium der Forschungsgemeinschaft<br />

„Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“, 1981, S. 33-37.<br />

Luxenberg, Adele: Klara Zetkin. In: Schneider, Deutscher Frauen Leben <strong>und</strong> Streben, S. 80-83.<br />

Mallachow, Lore: Clara Zetkin. Ihr Leben in Bildern. Leipzig: Enzyklopädie Leipzig, 1960.<br />

M.d.R., S. 632-633.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 347-348.<br />

Pieck, Wilhelm: Clara Zetkin. Leben <strong>und</strong> Kampf. Geboren 5. Juli 1857 / gestorben 20. Juni 1933.<br />

Berlin: Dietz, 1948.<br />

Plener, Ulla (Hrsg.): Clara Zetkin in ihrer Zeit. Neue Fakten, Erkenntnisse, Wertungen. Material<br />

des Kolloquiums anlässlich ihres 150. Geburtstages am 6. Juli 2007 in Berlin. Berlin:<br />

Karl Dietz, 2008.<br />

Puschnerat, Tânia: Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus. Eine Biographie. Essen:<br />

Klartext, 2003 (darin ist eine umfangreiche Aufstellung biographischer Zetkin-Literatur<br />

enthalten, S. 443-456).<br />

Radelhammer, Schorsch [d. i. Schweizer, Karl]: Clara Zetkin in Biberach <strong>und</strong> Friedrichshafen. In:<br />

Südschwäbische Nachrichten. 1989, Nr. 3, S. 22-23.


6.2.2 AUTO-/BIOGRAPHISCHE ARBEITEN UND AUFSÄTZE ZU DEN „GLEICHHEIT“-MITARBEITERINNEN<br />

Riepl-Schmidt, Wider das verkochte <strong>und</strong> verbügelte Leben, S. 157-172.<br />

Sachse, Mirjam: Clara Zetkin – eine von „Ismen“ bestimmte Persönlichkeit?! (Rezension zu<br />

Puschnerat, Tânia: Clara Zetkin: Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus. Eine Biographie. Essen:<br />

Klartext, 2003). In: Ariadne, 2004, Nr. 45-46, S. 149-151.<br />

Söllner, Christa: Clara Zetkin <strong>und</strong> die Sozialistische Frauenbewegung in der Zeit von 1890 bis<br />

zum 1. Weltkrieg. Köln: Zentralausschuß Soz. Bildungs-Gemeinschaften e.V. NRW-<br />

Zweigbüro Köln, 1970.<br />

Staude, Fritz: Auf den Spuren Clara Zetkins – Ein Beitrag zum 125. Geburtstag der großen Revolutionärin.<br />

In: Mitteilungsblatt der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der<br />

deutschen Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“, 1982, Nr. 2, S. 5-20.<br />

Staude, Fritz: Zur bürgerlichen Historiographie über die proletarische Frauenbewegung unter<br />

besonderer Beachtung der Darstellung Clara Zetkins. In: Kolloquium der Forschungsgemeinschaft<br />

„Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“<br />

1981, S. 18-32.<br />

Streidel, Melanie: Der Streit Klara Zetkins mit Lily Braun im Spannungsfeld zwischen<br />

Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus (1894-1907). Examensarbeit Universität Erlangen-Nürnberg,<br />

1993.<br />

Walle, Marianne: Frauen <strong>und</strong> Politik/ Macht – ein Beispiel in der deutschen Frauengeschichte.<br />

Lily Braun <strong>und</strong> Clara Zetkin in der SPD um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende (1896-1908). In:<br />

Dalhoff/Frey/Schöll, Frauenmacht in der Geschichte, S. 372-379.<br />

Weber, Hermann: Zwischen kritischem <strong>und</strong> bürokratischem Kommunismus. Unbekannte Briefe<br />

von Clara Zetkin. In: Archiv für Sozialgeschichte, Bd. XI (1971), S. 417-448.<br />

Zetkin, Maxim: Clara Zetkin als Erzieherin im Hause. Erinnerungen, niedergeschrieben von ihrem<br />

Sohn Maxim Zetkin. In: Jahrbuch für Erziehungs- <strong>und</strong> Sozialgeschichte. Jg. 3 (1963), S.<br />

229-248.<br />

Z<strong>und</strong>el, Georg: „Es muss viel geschehen!“ – Erinnerungen eines friedenspolitisch engagierten<br />

Naturwissenschaftlers. Berlin: Verlag für Wissenschafts- <strong>und</strong> Regionalgeschichte, 2006<br />

(siehe auch: http://www.z<strong>und</strong>el.at/html/ueber_seinen_vater.html (letzter Seitenbesuch:<br />

12.10.2008).<br />

Zetkin,<br />

Konstantin Ettinger, Elżbieta: Rosa Luxemburg. Ein Leben. Bonn: Dietz, 1990.<br />

Zietz<br />

Gerhard, Unerhört, S. 318.<br />

Globig, Martha: Zietz. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon,<br />

S. 501-502.<br />

Hagemann, Karen: „Eine der eifrigsten <strong>und</strong> radikalsten unter den leitenden sozialdemokratischen<br />

Frauen“. In: Hagemann/Kolossa, Gleiche Rechte – Gleiche Pflichten?, S. 40.<br />

Heymann, Lida Gustava: Luise Zietz. In: Die Frau im Staat. Jg. 4 (1922), Heft 3.<br />

Kalender „Wegbereiterinnen“ 2003.<br />

Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 348.<br />

Notz, Gisela: „Alle, die ihr schafft <strong>und</strong> euch mühet im Dienste anderer, seid einig!“ – Luise Zietz,<br />

geb. Körner (1865-1922). In: JBzG, Jg. 2 (2003), Nr. 2, S. 135-149.<br />

771


LITERATUR<br />

772<br />

Zeisler, Hans: Die Stellung von Luise Zietz zur Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. In:<br />

Mitteilungsblatt der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der deutschen<br />

Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“, 1977, Nr. 3, S. 29-35.<br />

Zeisler, Hans: Luise Zietz. Leben <strong>und</strong> Wirken in der proletarischen Frauenbewegung 1865-1922.<br />

(Ein biographischer Beitrag). Dissertation Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“<br />

Leipzig, 1978.<br />

Zetkin, Clara: Luise Zietz †. In: Die Kommunistische Fraueninternationale, Jg. 2 (1922), Nr. 2/38<br />

(Reprint: S. 671-676).


6.3 Die frauenbiographischen Artikel aus dem Hauptblatt der „Gleichheit“<br />

Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />

(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />

1. Adams-Lehmann,<br />

Hope Bridges<br />

(1855-1916)<br />

2. Agnesi, Maria<br />

Gaëtana de<br />

(1718-1799)<br />

3. Anneke, Mathilde<br />

(1817-1884)<br />

4. Arnim, Bettina von<br />

(1785-1859)<br />

5. Aston, Louise<br />

(1815-1871)<br />

6. B.<br />

(?-?)<br />

7. Baader, Ottilie<br />

(1847-1925)<br />

8. Bardina, Sophie<br />

(1853-1880)<br />

9. Baumann, Christine<br />

(1837-?)<br />

10. Bebel, Julie<br />

(1843-1910)<br />

Genossin Hope Bridges Adams-Lehmann †. In: GL, 27/ 02/<br />

27.10.1916/ 14/ AdB.<br />

Pfülf, Antonie: Dr. med. Hope Bridget Adams-Lehmann. In: Unsere<br />

Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 61-62.<br />

Leitbild<br />

Maria Gaëtana d‘Agnesi. In: GL, 02/ 09/ 04.05.1892/ 79-80. V<br />

Blos, Anna: Mathilde Anneke. Die Gründerin einer Frauenzeitung aus<br />

dem Jahre 1848. In: GL, 32/ 21/ 01.11.1922/ 192-193/ F.<br />

[Wittich, Manfred?] M. W.: Bettina von Arnim. In: GL, 10/ 15/<br />

18.07.1900/ 116-117/ F.<br />

[Wittich, Manfred?] M. W.: Bettina von Arnim. (Schluß.). In: GL, 10/<br />

16/ 01.08.1900/ 124-125/ F.<br />

Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts I: Bettina von<br />

Arnim. In: GL, 29/ 31/ 20.09.1919/ 243-246/ F.<br />

Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts I: Bettina von<br />

Arnim. (Schluß). In: GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 251-252/ F.<br />

[Blos, Wilhelm?] W. B.: Aus dem Leben einer Revolutionärin. In: GL,<br />

15/ 11/ 31.05.1905/ 63-64.<br />

Blos, Anna: Luise Aston. In: GL, 24/ 12/ 04.03.1914/ 182-183.<br />

Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts [VII]: Luise Aston.<br />

In: GL, 31/ 03/ 01.02.1921/ 21-22/ F.<br />

Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts [VII]: Luise Aston.<br />

(Schluß). In: GL, 31/ 04/ 15.02.1921/ 31-33/ F.<br />

L. W.-K.: Eine muthige Frankfurterin. In: GL, 02/ 13/ 29.06.1892/<br />

111-112.<br />

Genosse Baader ... In: GL, 07/ 24/ 24.11.1897/ 190/ AdB.<br />

Ein Jubiläum. In: GL, 17/ 12/ 10.06.1907/ 102/ AdB.<br />

Ottilie Baaders siebzigster Geburtstag. In: GL, 27/ 17/ 25.05.1917/<br />

114-115.<br />

[Baader, Ottilie] Baader-Dietrichs, Ottilie: Vor dreißig Jahren. In: GL,<br />

30/ 18/ 01.05.1920/ 131-132.<br />

[Heymann, Johanna?] J. H.: Ottilie Baader-Diedrichs. In: Unsere<br />

Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 62-63.<br />

[Radtke-Warmuth, Elli?] E. Rdt.: Aus den Erinnerungen einer alten<br />

Führerin. In: GL, 32/ 03/ 01.02.1922/ 23-24.<br />

Ottilie Baader 75 Jahre! In: GL, 32/ 11/ 01.06.1922/ 102.<br />

Issajew, A.: Sophie Bardina. In: GL, 02/ 16/ 10.08.1892/ 135-136.<br />

Issajew, A.: Sophie Bardina. (Schluß.). In: GL, 02/ 17/ 24.08.1892/<br />

143-144.<br />

Zietz, Luise: Tante Baumann achtzigjährig! In: GL, 27/ 15/<br />

27.04.1917/ 101.<br />

Julie Bebel †. In: GL, 21/ 05/ 21.11.1910/ 67-69. E<br />

K<br />

V<br />

V<br />

V<br />

V<br />

K<br />

K<br />

K<br />

773


LITERATUR<br />

Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />

(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />

11. Beckenstedt, Johanna<br />

(?-1897)<br />

12. Benz, Sybilla<br />

(?-1918)<br />

13. Berditschewskaja,<br />

Maria Lwowna<br />

(?-1905)<br />

14. Bloch, Rosa<br />

(1880-1922)<br />

15. Bode, Katharina<br />

(1861-1901)<br />

16. Brader, Marie<br />

(?-1897)<br />

17. Breschkowskaja,<br />

Katharina<br />

(1844-1934)<br />

18. Brüggemann, Grete<br />

(?-1910/ 24-jährig)<br />

19. Brügmann, Anna<br />

(?-1906)<br />

20. Cauer, Minna<br />

(1841-1922)<br />

21. Clemenc, Annie<br />

(1888-1956)<br />

22. Colditz, Marie<br />

(1827-1907/ 79-jährig)<br />

23. Cornelia<br />

(um 190 v.u.Z.- um<br />

100 v.u.Z.)<br />

24. Dittmer, Emilie<br />

(1837-?)<br />

25. Dobrodzicka, Wanda<br />

(1863-?)<br />

Zwei wackere Kämpferinnen ... In: GL, 07/ 08/ 14.04.1897/ 61-62, 61/<br />

AdB.<br />

Leitbild<br />

Genossin Benz †. In: GL, 28/ 18/ 07.06.1918/ 141-142/ AuB. K<br />

Maria Lwowna Berditschewskaja. In: GL, 15/ 05/ 08.03.1905/ 25/ L.<br />

Krille, Otto: Maria Lwowna Berditschewskaja. In: GL, 25/ 22/<br />

01.11.1905/ 132.<br />

Rosa Bloch †. In: GL, 32/ 16/ 15.08.1922/ 153/ Aus der Frauenbewegung<br />

des Auslandes.<br />

Katharina Bode †. In: GL, 11/ 08/ 10.04.1901/ 60-61/ F. K<br />

Ein[e] wackere Streiterin... In: GL, 07/ 22/ 27.10.1897/ 175/ AdB. K<br />

Katharina Breschkowski, eine der tapfersten russischen Freiheitskämpferinnen<br />

... In: GL, 24/ 13/ 18.03.1914/ 207/ N<br />

Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.<br />

Tenenbaum, Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. In: GL, 24/ 20/<br />

24.06.1914/ 307-308.<br />

Tenenbaum, Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. (Schluß.). In:<br />

GL, 24/ 21/ 08.07.1914/ 325-326.<br />

Soll, Karl: Politische Frauen. (Schluß). In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210-<br />

211.<br />

Deffner, Relie: Grete Brüggemann †. In: GL, 20/ 14/ 11.04.1910/ 220/<br />

AdB.<br />

Brumm[, ?]: Genossin Brügmann – Itzehoe †. In: GL, 16/ 07/<br />

04.04.1906/ 45/ AdB.<br />

Frau Minna Cauers siebzigster Geburtstag ... In: GL, 22/ 04/ 15.11.1911/<br />

64/ N Frauenbewegung<br />

Heilbut, Kurt: Minna Cauer‘s 80. Geburtstag am 1. November 1921. In:<br />

GL, 31/ 21/ 01.11.1921/ 208.<br />

Zepler, Wally: Unsere Toten. In: GL, 32/ 17/ 18/ 01.09.1922/ 164-165.<br />

Zwei amerikanische „Bergarbeiter-Engel“. II. Annie Clemenc. In: GL,<br />

24/ 09/ 21.01.1914/ 132-134.<br />

Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in<br />

Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 169-170.<br />

Genossin Colditz †. In: GL, 17/ 04/ 20.02.1907/ 28 / AdB.<br />

Genossin Marie Colditz ... In: GL, 17/ 05/ 06.03.1907/ 36/ AdB.<br />

Cornelia, die Mutter der Gracchen. In: GL, 03/ 04/ 22.02.1893/ 31-32. M<br />

L. F.: Mutter Dittmer 80 Jahre alt. In: GL, 27/ 09/ 02.02.1917/ 59-60/<br />

AdB.<br />

[Kautsky, Luise?] L.Ky: Eine freigesprochene Attentäterin. In: GL, 18/<br />

05/ 02.03.1908/ 39-40.<br />

26. Dohm, Hedwig Hedwig Dohm †. In: GL, 29/ 19/ 20.06.1919/ 152/ AuB. B<br />

774<br />

K<br />

K<br />

K<br />

K<br />

K<br />

K<br />

B<br />

K<br />

K<br />

K<br />

K


6.3 DIE FRAUENBIOGRAPHISCHEN ARTIKEL AUS DEM HAUPTBLATT DER „GLEICHHEIT“<br />

Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />

(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />

(1833-1919)<br />

27. Döring, Josephine<br />

(?-1902)<br />

28. Duensing, Frieda<br />

(1864-1921)<br />

29. Dunkel, Elise<br />

(?-1913)<br />

30. Ebel, Auguste<br />

(?-1908)<br />

31. Eichhorn, Auguste<br />

(1851-1902)<br />

32. Ferré, Marie<br />

(ca. 1851-1882)<br />

33. Fickert, Auguste<br />

(1855-1910)<br />

34. Figner, Vera<br />

(1852-1942)<br />

35. Fluderer, Katharina<br />

(?-1920/ 45-jährig)<br />

36. Friedländer, Regine<br />

(?-1918)<br />

37. Frumkin, Fruma<br />

(?-1907)<br />

38. Garibaldi, Anita<br />

(1821-1849)<br />

39. Gatti de Gamond,<br />

Isabella<br />

(1839-1905)<br />

40. Gerok, Emilie<br />

(?-1898)<br />

41. Goethe, Katharina<br />

Elisabeth<br />

(1731-1808)<br />

Leitbild<br />

Josephine Döring †. In: GL, 12/ 22/ 22.10.1902/ 173-174/ F. K<br />

Duensing, Berta: Frieda Duensing †. In: GL, 31/ 04/ 15.02.1921/ 34. B<br />

Elise Dunkel †. In: GL, 23/ 24/ 20.08.1913/ 383/ N Sozialistische<br />

Frauenbewegung im Ausland.<br />

Zietz, Luise: Mutter Ebel †. In: GL, 18/ 06/ 16.03.1908/ 54/ AdB. K<br />

Auguste Eichhorn. In: GL, 12/ 13/ 18.06.1902/ 100-102<br />

Seidel, Robert: Ein Kranz auf Genossin Eichhorns Grab. In: GL, 12/ 14/<br />

02.07.1902/ 108/ F<br />

Marie Ferré. In: GL, 02/ 14/ 13.07.1892/ 119-120. K<br />

Auguste Fickert †. In: GL, 20/ 20/ 04.07.1910/ 320/ N Frauenbewegung B<br />

Wera Finger. In: GL, 22/ 22/ 24.07.1912/ 340-341. K<br />

Blase, Th[erese]: Katharina Fluderer †. In: GL, 30/ 16/ 17.04.1920/ 118. K<br />

O. W.: Regine Friedländer †. In: GL, 29/ 02/ 25.10.1918/ 14-15/ AuB. K<br />

[Kautsky, Luise? oder Kähler, Luise?] L. K.: Zwei Märtyrerinnen im<br />

russischen Freiheitskampf. In: GL, 18/ 04/ 17.02.1908/ 30.<br />

Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In: GL, 02/ 22/ 02.11.1892/<br />

183-184.<br />

Blos, Anna: Anita Garibaldi. In: GL, 17/ 13/ 24.06.1907/ 109-110.<br />

Blos, Anna: Anita Garibaldi. (Schluß.). In: GL, 17/ 14/ 08.07.1907/ 117.<br />

Isabella Gatti de Gamond †. In: GL, 15/ 22/ 01.11.1905/ 127/ L. K<br />

Eine treue, warme Fre<strong>und</strong>in der Frauensache <strong>und</strong> der Interessen des<br />

arbeitenden Volkes ... In: GL, 08/ 22/ 26.10.1898/ 176/ N<br />

Frauenbewegung<br />

Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. In: GL, 12/ 06/ 12.03.1902/ 44/ F.<br />

Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 07/<br />

26.03.1902/ 52-53/ F.<br />

Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 08/<br />

09.04.1902/ 60-61/ F.<br />

Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 09/<br />

23.04.1902/ 68/ F.<br />

Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 10/<br />

07.05.1902/ 76/ F.<br />

K<br />

K<br />

K<br />

E<br />

B<br />

M<br />

775


LITERATUR<br />

Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />

(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />

42. Goethe-Vulpius,<br />

Christiane<br />

(1765-1816)<br />

43. Greie-Cramer, Johanna<br />

(1864-1911)<br />

44. Grünfeld, Johanna<br />

(?-1911)<br />

45. Guillaume-Schack,<br />

Gertrud<br />

(1845-1903)<br />

46. Hajlamatz, ?<br />

(?-1916)<br />

47. Heckel, Elise<br />

(?-1923)<br />

48. Heiden-Deutschmann,<br />

Lea<br />

(1877-1906)<br />

49. Heinrich, Klara<br />

(?-1903/ 28-jährig)<br />

50. Helfmann, Jessa<br />

(zw. 1852 u.1855-<br />

1882)<br />

51. Hennig, Pauline<br />

(?-1912)<br />

52. Herwegh, Emma<br />

(1817-1904)<br />

53. Heß, Sybille<br />

(1820-1903)<br />

54. Heusgen, Julie<br />

(1866-1911)<br />

55. Hoffmann, Stephanie<br />

(?-1918/ 47-jährig)<br />

56. Hofstetten, Mathilde<br />

von<br />

(1847-?)<br />

776<br />

Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Schluß.). In: GL, 12/ 11/<br />

21.05.1902/ 84-85/ F.<br />

Blos, Anna: Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung. In: GL, 29/<br />

01/ 11.10.1918/ 6-7/ F.<br />

Blos, Anna: Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung. In: GL, 29/<br />

02/ 25.10.1918/ 13-14/ F.<br />

Johanna Greie-Cramer †. In: GL, 21/ 26/ 25.09.1911/ 416/ N<br />

Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.<br />

Johanna Greie-Cramer. In: GL, 22/ 02/ 23.10.1911/ 19-20.<br />

Martzloff, Marie: Genossin Johanna Grünfeld, Freiburg i. Br. † In: GL,<br />

22/ 06/ 11.12.1911/ 91/ AdB.<br />

Frau Guillaume-Schack †. In: GL, 14/ 03/ 27.01.1904/ 22/ AdB.<br />

Hofmann, Marie: Gertrud Guillaume-Schack. In: GL, 14/ 13/<br />

15.06.1904/ 99-101.<br />

Hofmann, Marie: Gertrud Guillaume-Schack. (Schluß.). In: GL, 14/ 14/<br />

29.06.1904/ 107-108.<br />

os.: Genossin Hajlamatz – Leipzig †. In: GL, 26/ 23/ 04.08.1916/ 173/<br />

AdB.<br />

Leitbild<br />

Schilling, Minna: Elise Heckel † In: GL, 33/ 06/ 15.03.1923/ 47/ AuB. K<br />

Lea Heiden-Deutschmann †. In: GL, 16/ 21/ 17.10.1906/ 147-148/ AdB. K<br />

Genossin Klara Heinrich †. In: GL, 13/ 22/ 21.10.1903/ 175/ AdB. K<br />

Jessa Helfmann. In: GL, 02/ 03/ 08.02.1892/ 31-32. K<br />

Wehmann, Klara: Pauline Hennig †. In: GL, 22/ 12/ 04.03.1912/ 187/<br />

AdB.<br />

Eine Freiheitskämpferin. In: GL, 14/ 09/ 20.04.1904/ 71-72. E<br />

Sybille Heß. In: GL, 14/ 01/ 01.01.1904/ 5-6.<br />

Sybille Heß. (Fortsetzung statt Schluß.). In: GL, 14/ 02/ 13.01.1904/ 10-<br />

11.<br />

Sybille Heß. (Schluß.). In: GL, 14/ 03/ 27.01.1904/ 19-21.<br />

Julie Heusgen, Düren †. In: GL, 21/ 11/ 27.02.1911/ 170-171/ AdB. K<br />

Blase, Therese: Stephanie Hoffmann. In: GL, 28/ 22/ 02.08.1918/ 174/<br />

AuB.<br />

Schütte, Max: Zum 75. Geburtstage Mathilde von Hofstettens. In: GL,<br />

32/ 14-15/ 01.08.1922/ 141-142/ AuB<br />

E<br />

K<br />

K<br />

V<br />

K<br />

K<br />

E<br />

K<br />

K


6.3 DIE FRAUENBIOGRAPHISCHEN ARTIKEL AUS DEM HAUPTBLATT DER „GLEICHHEIT“<br />

Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />

(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />

57. Hoppe, Marie<br />

(?-1900/ 81-jährig)<br />

58. Hoppe, Martha<br />

(1860-?)<br />

59. Hübler, Anna<br />

(1876-1923)<br />

60. Huch, Ricarda<br />

(1864-1947)<br />

61. Humboldt, Karoline<br />

von<br />

(1766-1829)<br />

62. Huygens, Cornélie<br />

(1848-1902)<br />

63. Hyndman, Mathilda<br />

(?-1913)<br />

64. Ihrer, Emma<br />

(1857-1911)<br />

65. Jallandt, ?<br />

(?-1905)<br />

66. Jones, Mary<br />

(1830-1930)<br />

67. Kadeit, Auguste<br />

(?-1909/ 33-jährig)<br />

68. Kant, Anna Regina<br />

(1697-1737)<br />

69. Karschin, Anna Louisa<br />

(1722-1791)<br />

Eine muthige <strong>und</strong> treue Kämpferin für die Befreiung des Proletariats ...<br />

In: GL, 10/ 03/ 31.01.1900/ 20-21/ AdB.<br />

Leitbild<br />

M. T.: Eine Jubilarin ... In: GL, 30/ 11/ 13.03.1920/ 87/ AuB. K<br />

Schulze, Ida: Anna Hübler †. In: GL, 33/ 16/ 15.08.1923/ 132. K<br />

Heymann, Lida Gustava: Ricarda Huch. In: GL, 28/ 26/ 27.09.1918/<br />

204-206/ F.<br />

Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts [VIII]: Karoline v.<br />

Humboldt, geb. v. Dachröden. In: GL, 31/ 12/ 15.06.1921/<br />

115-117/ F.<br />

Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts [VIII]: Karoline v.<br />

Humboldt, geb. v. Dachröden. (Schluß). In: GL, 31/ 13/<br />

01.07.1921/ 125-127/ F.<br />

Grunwald, Max: Cornélie Huygens †. In: GL, 12/ 24/ 19.11.1902/ 185/<br />

L.<br />

Genossin Mathilda Hyndman †. In: GL, 23/ 22/ 23.07.1913/ 351/ N<br />

Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.<br />

Emma Ihrer †. In: GL, 21/ 08/ 16.01.1911/ 113-114/ L.<br />

Emma Ihrers Begräbnis. In: GL, 21/ 09/ 30.01.1911/ 140.<br />

Ein Förderer der Arbeiterinnenbewegung. In: GL, 26/ 04/ 12.11.1915/<br />

26-27.<br />

[Hanna, Gertrud?] G. H.: Emma Ihrer. In: Unsere Vorkämpferinnen. In:<br />

GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 60-61.<br />

[Ohne Titel. In:] GL, 15/ 24/ 29.11.1905/ 142/ AdB K<br />

Mutter Jones. In: GL, 12/ 23/ 05.11.1902/ 180-182/ F.<br />

Mutter Jones. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 24/ 19.11.1902/ 188-190/ F.<br />

Mutter Jones. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 25/ 03.12.1902/ 195-198/ F.<br />

Mutter Jones (Schluß.). In: GL, 12/ 26/ 17.12.1902/ 205-206/ F.<br />

Hepner, A[dolf]: Zwei amerikanische „Bergarbeiter-Engel“. I. Mutter<br />

Jones. In: GL, 24/ 08/ 07.01.1914/ 117-119.<br />

Was eine amerikanische Streikführerin erdulden muß. In: GL, 24/ 14/<br />

01.04.1914/ 223-224/ N Sozialistische Frauenbewegung im<br />

Ausland.<br />

f. r.: Mutter Jones Freilassung ... In: GL, 24/ 19/ 10.06.1914/ 304/ N<br />

Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.<br />

Auguste Kadeit †. In: GL, 19/ 23/ 16.08.1909/ 361/ AdB. K<br />

Kipfmüller, Bertha: Kants Mutter. In: GL, 30/ 04/ 24.01.1920/ 27-29. M<br />

L. W.-K.: Anna Louisa Karschin. In: GL, 02/ 04/ 22.02.1892/ 38-40.<br />

L. W.-K.: Anna Louisa Karschin. (Schluß.). In: GL, 02/ 05/ 07.03.1892/<br />

47-48.<br />

K<br />

V<br />

V<br />

K<br />

K<br />

K<br />

K<br />

V<br />

777


LITERATUR<br />

Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />

(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />

70. Kaschewarowa-<br />

Rudnewa, Barbara<br />

Alexandrowna<br />

(1842-1899)<br />

71. Kautsky, Minna<br />

(1837-1912)<br />

72. Keller, Helen<br />

(1880-1968)<br />

73. Kellner, Katharina<br />

(?-1910)<br />

74. Kinkel, Johanna<br />

(1810-1858)<br />

75. Klingner, Marie<br />

(1846-?)<br />

76. Koenen, Sophie<br />

(?-1910)<br />

77. Kofler, Viktoria<br />

(?-1894)<br />

78. Kowald, Lina<br />

(?-1892)<br />

79. Kuhlmann, Frieda<br />

(?-1916)<br />

80. Kulischoff, Anna<br />

(1857-1925)<br />

Tod der ersten russischen Aerztin. In: GL, 09/ 13/ 21.06.1899/ 104/ N<br />

Frauenbewegung<br />

Kunert, Marie: Minna Kautsky. In: GL, 17/ 12/ 10.06.1907/ 100-101.<br />

Minna Kautsky †. In: GL, 23/ 08/ 08.01.1913/ 121/ AdB.<br />

Stern, Meta L[ilienthal]: Helen Keller eine Genossin. In: GL, 22/ 24/<br />

21.08.1912/ 383-384/ N Sozialistische Frauenbewegung im<br />

Ausland.<br />

Helen Keller ... In: GL, 30/ 12/ 20.03.1920/ 94/ Aus der Frauenbewegung<br />

des Auslandes.<br />

Lennemann, Wilhelm: Helen Keller. In: GL, 32/ 04/ 15.02.1922/ 35-37/<br />

F.<br />

Lennemann, Wilhelm: Helen Keller (Schluß). In: GL, 32/ 05/<br />

01.03.1922/ 46-48/ F.<br />

Bender, Hermann: Genossin Katharina Kellner – Preungesheim †. In:<br />

GL, 21/ 05/ 05.12.1910/ 76/ AdB<br />

Leitbild<br />

Blos, Anna: Auch eine Heldin. In: GL, 18/ 10/ 11.05.1908/ 89. E<br />

[Baader, Ottilie?] O. B.: Eine Jubilarin. In: GL, 26/ 25/ 01.09.1916/ 184-<br />

185/ AdB.<br />

Sophie Koenen †. In: GL, 21/ 04/ 21.11.1910/ 58/ AdB. K<br />

Viktoria Kofler. In: GL, 04/ 09/ 02.05.1894/ 70-71. K<br />

Ohne Titel, GL, 02/ 15/ 27.07.1892/ 126/ AB K<br />

Kähler, Luise: Frieda Kuhlmann – Hamburg In: GL, 26/ 17/ 12.05.1916/<br />

128/ AdB.<br />

Anna Kulischoff. In: GL, 08/ 15/ 20.07.1898/ 115-119.<br />

Unsere tapfere Genossin Kulischoff ... In: GL, 08/ 20/ 28.09.1898/ 159-<br />

160/ N Sozialistische Frauenbewegung im Auslande<br />

Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen<br />

Frauenbewegung in Italien. Anna Maria Mozzoni, Anna<br />

Kulischoff. Die ersten größeren Lohnbewegungen der<br />

italienischen Arbeiterinnen. In: GL, 13/ 05/ 25.02.1903/ 36-38.<br />

Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen<br />

Frauenbewegung in Italien. Fortschritte, Rückschläge <strong>und</strong><br />

Aussichten der Frauenbewegung im Jahre 1893. In: GL, 13/<br />

08/ 08.04.1903/ 58-60.<br />

Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen<br />

Frauenbewegung in Italien. Die Ausbreitung <strong>und</strong> Vertiefung<br />

der Arbeiterinnenbewegung in den Jahren 1893 bis 1898. In:<br />

GL, 13/ 11/ 20.05.1903/ 83-85.<br />

Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen<br />

Frauenbewegung in Italien. Das „böse Jahr“ 1898. In: GL, 13/<br />

17/ 12.08.1903/ 131-134.<br />

81. Lafargue, Laura Paul <strong>und</strong> Laura Lafargue. In: GL, 22/ 06/ 11.12.1911/ 83-85. E<br />

778<br />

V<br />

V<br />

V<br />

K<br />

K<br />

K<br />

K


6.3 DIE FRAUENBIOGRAPHISCHEN ARTIKEL AUS DEM HAUPTBLATT DER „GLEICHHEIT“<br />

Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />

(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />

(1845-1911)<br />

82. Legros, Françoise<br />

(1749-1788)<br />

83. Lehmann, Wilhelmine<br />

(?-1911)<br />

84. Levin, Rahel<br />

(1771-1833)<br />

85. Lewin-Dorsch, Hannah<br />

(?-1911)<br />

86. Liebknecht, Natalie<br />

(1835-1909)<br />

87. Lorenz, ?<br />

(?-1916)<br />

88. Ludwig, Marie<br />

(?-1896)<br />

89. Luther, ?<br />

(?-1898)<br />

90. Lutze, Ernestine<br />

(1873-1948)<br />

91. Mac Donald, Margaret<br />

Ethel<br />

(1870-1911)<br />

92. Macarthur, Mary<br />

(1880-1921)<br />

93. Mahn, Emilie<br />

(1847-1908)<br />

94. Mantegazza, Laura<br />

Solera<br />

(1813-1873)<br />

95. Marabini, Emilia<br />

Alciati<br />

(?-1897)<br />

96. Marx, Jenny<br />

(1814-1881)<br />

97. Marx-Aveling, Eleanor<br />

(1855-1898)<br />

98. Menzzer, Marianne<br />

(1814-1895)<br />

99. Méricourt, Théroigne<br />

de<br />

Madame Legros. In: GL, 02/ 02/ 25.01.1892/ 22-24.<br />

Die Pariser Frauen des 5. <strong>und</strong> 6. Oktober 1789. In: GL, 02/ 19/<br />

21.09.1892/ 159-160.<br />

Blase, Therese: Wilhelmine Lehmann (Mannheim) †. In: GL, 21/ 18/<br />

05.06.1911/ 282/ AdB.<br />

Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts III: Rahel Levin. In:<br />

GL, 29/ 36/ 25.10.1919/ 283-286/ F.<br />

Leitbild<br />

Hannah Lewin-Dorsch †. In: GL, 21/ 23/ 14.08.1911/ 362-263/ AdB. K<br />

Natalie Liebknecht. In: GL, 19/ 10/ 15.02.1909/ 152/ AdB. E<br />

Genossin Lorenz, Kiel-Gaarden †. In: GL, 27/ 01/ 13.10.1916/ 7/ AdB. K<br />

Wackere Kämpferinnen. In: GL, 06/ 24/ 25.11.1896/ 188-189. K<br />

Eine treue Parteigenossin ... In: GL, 09/ 02/ 18.01.1899/ 13-14/ AdB. V<br />

Ein Doppeljubiläum. In: GL, 33/ 14/ 15.07.1923/ 115-116/ AuB. K<br />

Margaret Ethel Mac Donald †. In: GL, 21/ 26/ 25.09.1911/ 405-406. K<br />

Kämmerer-Leonhardt, E.: Olive Schreiner <strong>und</strong> Mary Macarthur/ 31/ 03/<br />

01.02.1921/ 18-19.<br />

Emilie Mahn †. In: GL, 18/ 12/ 08.06.1908/ 108/ AdB. K<br />

Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen<br />

Frauenbewegung in Italien. Die ersten Anfänge der<br />

proletarischen Frauenbewegung in Italien bis 1893. In: GL, 13/<br />

01/ 01.01.1903/ 2-3.<br />

Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen<br />

Frauenbewegung in Italien. Die Ausbreitung <strong>und</strong> Vertiefung<br />

der Arbeiterinnenbewegung in den Jahren 1893 bis 1898. In:<br />

GL, 13/ 11/ 20.05.1903/ 83-85.<br />

Blos, Anna: Jenny Marx. In: GL, 28/ 15/ 26.04.1918/ 114-116. E<br />

Eleanor Marx-Aveling †. In: GL, 08/ 08/ 13.04.1898/ 57/ L.<br />

Banner, Robert: Den Tod unserer unvergeßlichen Genossin Eleanor<br />

Marx betreffend ... In: GL, 08/ 10/ 11.05.1898/ 75-76/ AdB.<br />

[Ihrer, Emma?] E. J.: Marianne Menzzer †. In: GL, 05/ 15/ 24.07.1895/<br />

114.<br />

Die Pariser Frauen des 5. <strong>und</strong> 6. Oktober 1789. (Schluß.). In: GL, 02/ 20/<br />

05.10.1892/ 167-168.<br />

V<br />

K<br />

V<br />

K<br />

K<br />

K<br />

K<br />

B<br />

V<br />

779


LITERATUR<br />

Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />

(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />

(1762-1817)<br />

100. Meysenbug, Amalia<br />

Malvida Wilhelmina<br />

Tamina von<br />

(1816-1903)<br />

101. Michel, Louise<br />

(1839-1905)<br />

102. Middleton, Mary<br />

(1870-1911)<br />

103. Misselwitz, ?<br />

(?-?)<br />

104. Morgenstern, Lina<br />

(1831-1909)<br />

105. Motteler, Emilie<br />

(?-1919)<br />

106. Müller, Alwine<br />

(?-?)<br />

107. Müller-Jahnke, Clara<br />

(1861-1905)<br />

780<br />

Théroigne de Méricourt. In: GL, 03/ 01/ 11.01.1893/ 7-8.<br />

Blos, Anna: Eine freie Schule vor fünfzig Jahren. In: GL, 16/ 22/<br />

31.10.1906/ 153-154.<br />

Blos, Anna: Das Leben einer Idealistin. In: GL, 17/ 05/ 06.03.1907/ 34-<br />

35.<br />

Blos, Anna: Das Leben einer Idealistin. (Fortsetzung.). In: GL, 17/ 06/<br />

20.03.1907/ 43-44.<br />

Blos, Anna: Das Leben einer Idealistin. (Fortsetzung.). In: GL, 17/ 07/<br />

03.04.1907/ 50-51.<br />

Blos, Anna: Das Leben einer Idealistin. (Schluß.). In: GL, 17/ 08/<br />

17.04.1907/ 60-61.<br />

Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von<br />

Meysenbug. In: GL, 29/ 42/ 06.12.1919/ 331-333/ F.<br />

Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von<br />

Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 29/ 43/ 13.12.1919/ 339-<br />

340/ F.<br />

Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von<br />

Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 29/ 45-46/ 27.12.1919/<br />

357-358/ F.<br />

Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von<br />

Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 30/ 01/ 03.01.1920/ 5-6/ F.<br />

Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von<br />

Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 30/ 02/ 10.01.1920/ 11-14/<br />

F.<br />

Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von<br />

Meysenbug. (Schluß). In: GL, 30/ 03/ 17.01.1920/ 19-20.<br />

[Redaktion: Ohne Titel.] In: GL, 03/ 05/ 08.03.1893/ 40.<br />

Louise Michel. In: GL, 03/ 06/ 22.03.1893/ 44-46.<br />

Louise Michel †. In: GL, 14/ 08/ 06.04.1904/ 57-58/ L.<br />

Eine gute Nachricht ... In: GL, 14/ 09/ 20.04.1904/ 72<br />

Louise Michel †. In: GL, 15/ 02/ 25.01.1905/ 11.<br />

Holzamer, Wilhelm: Louise Michel. In: GL, 15/ 03/ 08.02.1905/ 14.<br />

Mary Middleton †. In: GL, 21/ 18/ 05.06.1911/ 287/ N Sozialistische<br />

Frauenbewegung im Ausland.<br />

Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in<br />

Deutschland. In: GL, 16/ 23/ 14.11.1906/ 161-162.<br />

Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in<br />

Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 169-170.<br />

Lina Morgenstern †. In: GL, 20/ 08/ 17.01.1910/ 127/ N Frauenbewegung.<br />

Leitbild<br />

Emilie Motteler, In: GL, 29/ 09/ 31.01.1919/ 68/ AuB. E<br />

e.d.: Alwine Müller. In: GL, 20/ 15/ 25.04.1910/ 230-231. K<br />

Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. In: GL, 09/ 06/ 15.03.1899/<br />

44-46/ F.<br />

V<br />

K<br />

K<br />

K<br />

B<br />

K


6.3 DIE FRAUENBIOGRAPHISCHEN ARTIKEL AUS DEM HAUPTBLATT DER „GLEICHHEIT“<br />

Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />

(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />

108. Musfeldt, Marie<br />

(?-1896)<br />

109. Negri, Ada<br />

(1870-1945)<br />

110. Nielsen, Olivia<br />

(1852-1910)<br />

111. Nikitin-Gendre,<br />

Barbara<br />

(1842-1884)<br />

112. Nowak-Krasa, Marie<br />

(1874-1911)<br />

113. Otto-Peters, Louise<br />

(1819-1895)<br />

114. Pankhurst, Emmeline<br />

(1858-1928)<br />

115. Perowskaja, Sophie<br />

(1853-1881)<br />

116. Peuschel, Christiane<br />

(?-?)<br />

Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. (Fortsetzung statt Schluß.). In:<br />

GL, 09/ 07/ 29.03.1899/ 52-54/ F.<br />

Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. (Schluß.). In: GL, 09/ 08/<br />

12.04.1899/ 60-63/ F.<br />

[Ohne Titel] In: GL, 15/ 24/ 29.11.1905/ 142/ AdB.<br />

[Ohne Titel] In: GL, 29/ 41/ 29.11.1919/ 326/ F Bücherschau.<br />

Schirbel, Friedel: Klara Müller-Jahnke zum Gedächtnis. Gestorben am 4.<br />

November 1905. In: GL, 31/ 20/ 15.10.1921/ 195-196/ F.<br />

Leitbild<br />

Wackere Kämpferinnen. In: GL, 06/ 24/ 25.11.1896/ 188-189. K<br />

Ada Negri als Vortragende vor italienischen Emigranten in Zürich. In:<br />

GL, 23/ 23/ 06.08.1913/ 368/ N Verschiedenes.<br />

Soll, Karl: Politische Frauen. (Schluß). In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210-<br />

211.<br />

[Bohm-Schuch, Klara] B.-S.: Ada Negri. In: GL, 30/ 07/ 14.02.1920/ 51/<br />

F.<br />

Genossin Olivia Nielsen †. In: GL, 20/ 22/ 01.08.1910/ 352/ N<br />

Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.<br />

Barbara Nikitin-Gendre. In: GL, 02/ 12/ 15.06.1892/ 103-104. K<br />

Marie Nowak-Krasa †. In: GL, 21/ 18/ 05.06.1911/ 287/ N Sozialistische<br />

Frauenbewegung im Ausland.<br />

Luise Otto-Peters †. In: GL, 05/ 07/ 03.04.1895/ 56.<br />

Blos, Anna: Aus den Anfängen der Frauenbewegung. In: GL, 17/ 23/<br />

11.11.1907/ 197-198.<br />

Blos, Anna: Aus den Anfängen der Frauenbewegung. (Schluß.). In: GL,<br />

17/ 24/ 25.11.1907/ 208.<br />

Wurm, Mathilde: Luise Otto-Peters. In: GL, 23/ 12/ 05.03.1913/ 179-<br />

180.<br />

Wurm, Mathilde: Luise Otto-Peters (Fortsetzung.). In: GL, 23/ 13/<br />

19.03.1913/ 195-196.<br />

Wurm, Mathilde: Luise Otto-Peters (Schluß.). In: GL, 23/ 14/<br />

02.04.1913/ 212-213.<br />

Blos, Anna: Zum h<strong>und</strong>ertsten Geburtstag von Luise Otto-Peters. In: GL,<br />

29/ 13/ 28.03.1919/ 100-102/ F.<br />

Emmeline Pankhurst. In: GL, 07/ 19/ 15.09.1897/ 149. K<br />

Sophie Perowskaja. In: GL, 02/ 21/ 19.10.1892/ 175-176. K<br />

Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in<br />

Deutschland. In: GL, 16/ 21/ 17.10.1906/ 146-147.<br />

Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in<br />

Deutschland. In: GL, 16/ 22/ 31.10.1906/ 154.<br />

Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in<br />

Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 169-170.<br />

K<br />

K<br />

K<br />

V<br />

K<br />

781


LITERATUR<br />

Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />

(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />

117. Piele, Dorothea<br />

(?-1897)<br />

118. Pisan, Christine de<br />

(um 1364- um 1430)<br />

119. Polonsky,<br />

Nikonorowna Marina<br />

(?-1898)<br />

120. Potonié-Pierre,<br />

Eugénie<br />

(1844-1898)<br />

121. Prohaska, Eleonore<br />

(1785-1813)<br />

122. Ragozinnikowa, E. P.<br />

(?-1907/ 21-jährig)<br />

123. Ranke, ?<br />

(?-1901)<br />

124. Ries, Margarete<br />

(?-1922/ 25-jährig)<br />

125. Riskind, Esther<br />

(?-1905/ 25-jährig)<br />

126. Roland, Jeanne-Marie<br />

(1754-1793)<br />

127. Romm, Julie<br />

(1853-1916)<br />

128. Sachs, Anna<br />

(?-1910)<br />

129. Sand, George<br />

(1804-1876)<br />

130. Schackow, Johanne<br />

(?-1903)<br />

131. Schepeler-Lette, Anna<br />

(1827-1897)<br />

132. Scherz, Betty<br />

(?-1916)<br />

133. Scherzer, Lina<br />

(?-1915/ 81-jährig)<br />

Leitbild<br />

Eine wackere Streiterin ... In: GL, 07/ 24/ 24.11.1897/ 190/ AdB K<br />

Eine Vorkämpferin der Frauenbewegung ... In: GL, 08/ 03/ 02.02.1898/<br />

24/ N Frauenbewegung.<br />

Eine der besten russischen Vorkämpferinnen für die Befreiung des<br />

<strong>weiblichen</strong> Geschlechts <strong>und</strong> des arbeitenden Volkes ... In: GL,<br />

08/ 23/ 09.11.1898/ 182/ N Sozialistische Frauenbewegung im<br />

Auslande.<br />

Frau Potonié-Pierre, eine der rührigsten französischen<br />

Frauenrechtlerinnen, ist kürzlich in Paris verstorben. In: GL,<br />

08/ 17/ 17.08.1898/ 136.<br />

L. W.-K.: Eleonore Prohaska. In: GL, 02/ 07/ 06.04.1892/ 63-64.<br />

L. W.-K.: Eleonore Prohaska. (Schluß.). In: GL, 02/ 08/ 20.04.1892/ 71-<br />

72.<br />

Rückert, Friedrich: Auf das Mädchen aus Potsdam, Prohaska. In: GL,<br />

02/ 08/ 20.04.1892/ 72.<br />

[Kautsky, Luise? oder Kähler, Luise?] L. K.: Zwei Märtyrerinnen im<br />

russischen Freiheitskampf. In: GL, 18/ 04/ 17.02.1908/ 30.<br />

Genossin Ranke – Berlin †. In: GL, 11/ 19/ 11.09.1901/ 150. K<br />

M. A.: Margarete Ries † In: GL, 32/ 02/ 15.01.1922/ 18/ AuB. K<br />

H. H.: Esther Riskind. In: GL, 16/ 02/ 24.01.1906/ 7-8. K<br />

Madame Roland. In: GL, 04/ 01/ 10.01.1894/ 3-5.<br />

Madame Roland. (Fortsetzung statt Schluß.). In: GL, 04/ 02/ 24.01.1894/<br />

11-13.<br />

Madame Roland. (Schluß.). In: GL, 04/ 03/ 07.02.1894/ 19-22.<br />

Soll, Karl: Politische Frauen. In: GL, 29/ 26/ 16.08.1919/ 203-204.<br />

Julie Romm †. In: GL, 26/ 12/ 03.03.1916/ 90/ N Sozialistische<br />

Frauenbewegung im Ausland.<br />

Anna Sachs †. In: GL, 21/ 06/ 19.12.1910/ 91-92/ AdB. K<br />

Thurow, H[ermann]: George Sand. In: GL, 14/ 15/ 13.07.1904/ 116-117.<br />

Thurow, H[ermann]: George Sand. In: GL, 14/ 16/ 27.07.1904/ 125-126.<br />

Johanne Schackow †. In: GL, 13/ 03/ 28.02.1903/ 21-22/ F.<br />

(Druckfehlerberichtigung. In: GL, 13/ 04/ 11.02.1903/ 32.)<br />

Frau Anna Schepeler-Lette ... In: GL, 07/ 21/ 13.10.1897/ 166/ N<br />

Frauenbewegung.<br />

Genossin Betty Scherz – Zürich †. In: GL, 27/ 09/ 02.02.1917/ 59/ AdB. K<br />

Baader, Ottilie: Lina Scherzer – Berlin †. In: GL, 26/ 08/ 07.01.1916/ 57/<br />

AdB.<br />

134. Schilling, Agnes Wackere Kämpferinnen. In: GL, 06/ 24/ 25.11.1896/ 188-189. K<br />

782<br />

V<br />

K<br />

V<br />

V<br />

K<br />

V<br />

K<br />

V<br />

K<br />

B<br />

K


6.3 DIE FRAUENBIOGRAPHISCHEN ARTIKEL AUS DEM HAUPTBLATT DER „GLEICHHEIT“<br />

Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />

(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />

(?-1896/ 34-jährig)<br />

135. Schirmer, Luise<br />

(?-1912/ 38-jährig)<br />

136. Schlegel-Schelling,<br />

Karoline<br />

(1763-1809)<br />

137. Schlosser, Ernestine<br />

(?-1904)<br />

138. Schlözer, Dorothea<br />

(1770-1825)<br />

139. Schmidt, Auguste<br />

(1833-1902)<br />

140. Schmidt, Magdalene<br />

(?-1904?)<br />

141. Schreiner, Olive<br />

(1855-1920)<br />

142. Schulze, Flora<br />

(?-1904)<br />

143. Schwartz, Johanna<br />

(1833-1912)<br />

144. Schweichel, Elise<br />

(1831-1911)<br />

145. Schwerin, Jeanette<br />

(1852-1899)<br />

146. Spindler, Selma<br />

(?-1915)<br />

147. Spiridonowa, M.A.<br />

(?-1906)<br />

148. Staegemann, Pauline<br />

(1830-1909)<br />

149. Stein, Charlotte von<br />

(1742-1827)<br />

150. Steinbach, Helma<br />

(1847-1918)<br />

[Wackwitz, Marie?] M. W.: Luise Schirmer †. In: GL, 23/ 01/<br />

02.10.1912/ 10.<br />

Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts V: Karoline. In: GL,<br />

30/ 28/ 10.07.1920/ 227-229/ F.<br />

Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts V: Karoline.<br />

(Fortsetzung). In: GL, 30/ 29/ 17.07.1920/ 235-237/ F.<br />

Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts V: Karoline. (Schluß).<br />

In: GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 243-245/ F.<br />

Leitbild<br />

Ernestine Schlosser †. In: GL, 14/ 27/ 28.12.1904/ 215/ AdB. K<br />

L. W.-K.: Doktor Dorothea Schlözer. In: GL, 02/ 23/ 16.11.1892/ 191-<br />

192.<br />

Auguste Schmidt. In: GL, 12/ 14/ 02.07.1902/ 109-110/ F. B<br />

Zietz, Luise: Magdalene Schmidt – Hamm-Hamburg. In: GL, 15/ 01/<br />

11.01.1905/ 4.<br />

Kämmerer-Leonhardt, E.: Olive Schreiner <strong>und</strong> Mary Macarthur. In: GL,<br />

31/ 03/ 01.02.1921/ 18-19.<br />

[Duncker, Käte] K. D.: Flora Schulze – Leipzig †. In: GL, 14/ 25/<br />

30.11.1904/ 199.<br />

Johanna Schwartz †. In: GL, 23/ 04/ 13.11.1912/ 58/ AdB. K<br />

[Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel. In: GL, 21/ 25/ 11.09.1911/<br />

391.<br />

[Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel zum Gedächtnis. In: GL, 22/<br />

11/ 19.02.1912/ 167.<br />

Jeanette Schwerin †. In: GL, 09/ 16/ 02.08.1899/ 126-127. B<br />

Drechsler, M.: Selma Spindler †. In: GL, 26/ 02/ 15.10.1915/ 13/ AdB. K<br />

M.A. Spiridonowa. In: GL, 16/ 09/ 02.05.1906/ 59-60. K<br />

Pauline Staegemann † In: GL, 19/ 26/ 27.09.1909/ 409/ AdB.<br />

Ihrer, Emma: Mutter Staegemann. In: GL, 20/ 01/ 11.10.1909/ 2-3.<br />

[Wackwitz, Marie?] m.w.: Zur Ehrung der verstorbenen Genossin<br />

Pauline Staegemann ... In: GL, 20/ 14/ 11.04.1910/ 220/ AdB.<br />

Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts [VI]: Charlotte von<br />

Stein. In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 338-340/ F.<br />

Molkenbuhr, Hermann: Helma Steinbach. In: GL, 28/ 22/ 02.08.1918/<br />

173-174/ AuB.<br />

151. Stieglitz, Charlotte Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts II: Charlotte Stieglitz. V<br />

K<br />

V<br />

V<br />

K<br />

K<br />

K<br />

V<br />

K<br />

V<br />

K<br />

783


LITERATUR<br />

Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />

(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />

(1806-1834)<br />

152. Stojadinowitsch,<br />

Militza<br />

(1830-1878)<br />

153. Stone, Lucy<br />

(1818-1893)<br />

154. Struve, Amalie<br />

(1824-1862)<br />

155. Stuart, Maria<br />

(1542-1587)<br />

156. Taubert, Amalie<br />

(?-1913/ 65-jährig)<br />

157. Taylor-Mill, Harriet<br />

(1807-1858)<br />

158. Teumer, Luise<br />

(?-1904/ 27-jährig)<br />

159. Thiede, Paula<br />

(1870-1919)<br />

160. Tölle, Emma<br />

(1854-?)<br />

161. Trompeter, ?<br />

(?-1897)<br />

162. Viebig, Clara<br />

(1860-1952)<br />

163. Wabnitz, Agnes<br />

(1841-1894)<br />

164. Webb, Beatrice<br />

(1858-1943)<br />

165. Weber, Wilhelmine<br />

(?-?)<br />

784<br />

In: GL, 29/ 33/ 04.10.1919/ 259-260/ F.<br />

Wendel, Hermann: Militza Stojadinowitsch. In: GL, 28/ 22/ 02.08.1918/<br />

173-175/ F.<br />

Leitbild<br />

Lucy Stone. In: GL, 04/ 07/ 04.04.1894/ 55-56. K<br />

Blos, Wilhelm: Eine deutsche Republikanerin. In: GL, 18/ 02/<br />

20.01.1908/ 13-14.<br />

Wittich, Manfred: Maria Stuart. Eine historische Skizze. In: GL, 05/ 07/<br />

03.04.1895/ 52-54.<br />

Wittich, Manfred: Maria Stuart. Eine historische Skizze. (Fortsetzung.).<br />

In: GL, 05/ 08/ 17.04.1895/ 60-62.<br />

Wittich, Manfred: Maria Stuart. Eine historische Skizze. (Schluß.). In:<br />

GL, 05/ 09/ 01.05.1895/ 68-70.<br />

Wehmann, Klara: Amalie Taubert †. In: GL, 23/ 11/ 19.02.1913/ 171/<br />

AdB.<br />

John Stuart Mills Frau. In: GL, 06/ 05/ 04.03.1896/ 38-40. E<br />

Genossin Luise Teumer in Obereichenbach i.V. †. In: GL, 14/ 12/<br />

01.06.1904/ 93-94/ AdB.<br />

Kähler, Wilhelmine: Paula Thiede †. In: GL, 29/ 13/ 28.03.1919/ 100-<br />

101/ AuB.<br />

E. B.: Der 60. Geburtstag einer wackeren Kämpferin. In: GL, 24/ 14/<br />

01.04.1914/ 216/ AdB.<br />

Zwei wackere Kämpferinnen ... In: GL, 07/ 08/ 14.04.1897/ 61-62/ AdB. K<br />

Kliche, Josef: Eine Meisterin deutscher Erzählkunst/ 30/ 29/ 17.07.1920/<br />

236-238.<br />

Ohne Titel, GL, 02/ 15/ 27.07.1892/ 126/ AB.<br />

Ohne Titel, GL, 02/ 16/ 10.08.1892/ 133/ AB.<br />

Ohne Titel, GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 181/ AB.<br />

Ohne, Titel, In: GL, 03/ 02/ 25.01.1893/ 12/ AB.<br />

Agnes Wabnitz. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 147-150.<br />

Agnes Wabnitz †. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 148-149.<br />

Berichtigung zu dem Artikel „Agnes Wabnitz“ in Nr. 19 der<br />

„Gleichheit“! In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 163.<br />

Agnes Wabnitz. <strong>Von</strong> B. Glogau. Eine Frauenstimme aus der Bourgeoisie.<br />

In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 168/ Literarisches.<br />

Das Proletariat vergißt seine Todten nicht. In: GL, 05/ 20/ 02.10.1895/<br />

154-155.<br />

Beatrice Webb. In: GL, 07/ 14/ 07.07.1897/ 108-110/ F.<br />

Beatrice Webb. (Schluß.). In: GL, 07/ 15/ 21.07.1897/ 116-118/ F.<br />

Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in<br />

Deutschland. In: GL, 16/ 21/ 17.10.1906/ 146-147.<br />

V<br />

E<br />

V<br />

K<br />

K<br />

K<br />

K<br />

K<br />

K<br />

V<br />

K


6.3 DIE FRAUENBIOGRAPHISCHEN ARTIKEL AUS DEM HAUPTBLATT DER „GLEICHHEIT“<br />

Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />

(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />

166. Wehmann, Klara<br />

(?-1915/ 56-jährig)<br />

167. Wengels, Margarete<br />

(1856-1931)<br />

168. Willard, Frances<br />

(1839-1898)<br />

169. Wojnarowska, Wanda<br />

Cäsarina<br />

(1861-1911)<br />

170. Wollstonecraft, Mary<br />

(1759-1797)<br />

171. Wünsche, Berta<br />

(?-1910/ 42-jährig)<br />

172. Zeh, Adelheid<br />

(?-1909)<br />

173. Zietz, Luise<br />

(1865-1922)<br />

Siglenverzeichnis:<br />

Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in<br />

Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 169-170.<br />

Genossin Clara Wehmann – Leipzig †. In: GL, 25/ 23/ 06.08.1915/ 153-<br />

154/ AdB.<br />

[Duncker, Käte?] K. D.: Klara Wehmann †. In: GL, 25/ 24/ 20.08.1915/<br />

161/ AdB.<br />

Margarete Wengels zum 60. Geburtstag. In: GL, 26/ 13/ 17.03.1916/ 98-<br />

99/ AdB.<br />

Eine der verdienst- <strong>und</strong> charaktervollsten Vorkämpferinnen für<br />

Frauenrechte, Miß Frances Willard ... In: GL, 08/ 08/<br />

13.04.1898/ 64/ N Frauenbewegung.<br />

Frances Willard. In: GL, 08/ 26/ 21.12.1898/ 202-204.<br />

Leitbild<br />

M.: Eine Kämpferin. In: GL, 21/ 16/ 08.05.1911/ 247-249. K<br />

Blos, Anna: Mary Wollstonecraft. In: GL, 32/ 12/ 15.06.1922/ 114-116/<br />

F.<br />

M. H.: Berta Wünsche – Regensburg † In: GL, 21/ 10/ 13.02.1911/ 154/<br />

AdB.<br />

[Greifenberg, Marie?] M. G.: Adelheid Zeh – Lechhausen †. In: GL, 19/<br />

12/ 15.03.1909/ 184-185/ AdB.<br />

Genossin Zietz ... In: GL, 26/ 16/ 28.04.1916/ 120/ AdB.<br />

Bohm-Schuch, Clara: Luise Zietz zum Gedächtnis. In: GL, 32/ 04/<br />

15.02.1922/ 34-35.<br />

[Wurm, Mathilde?] M. W.: Luise Zietz zum Gedächtnis. In: GL, 33/ 02/<br />

15.01.1923/ 10.<br />

AB = Arbeiterinnenbewegung V = Weiblicher Vollmensch<br />

AdB = Aus der Bewegung M = Mutter<br />

AuB = Aus unserer Bewegung E = Ehefrau<br />

F = Feuilleton K = Klassenkämpferin<br />

L = Leitartikel B = Bürgerliche Frauenrechtlerin<br />

N = Notizenteil<br />

K<br />

K<br />

B<br />

V<br />

K<br />

K<br />

K<br />

785


6.1 Auswahl der geschichtlichen Artikel im Hauptblatt der „Gleichheit“<br />

(chronologisch nach Erscheinen geordnet)<br />

Ungenannte Heldinnen. In: GL, 02/ 10/ 18.05.1892/ 87-88.<br />

Henning, Herr: Die Zeit vor der Reformation. In: GL, 02/ 12/ 15.06.1892/ 102/ AB.<br />

Wolf, ? [Zahnarzt]: Die Geschichte der Ehe <strong>und</strong> die Stellung der Frau in der Vergangenheit. In: GL, 02/ 12/<br />

15.06.1892/ 102/ AB.<br />

Die Frau in der Vergangenheit, Gegenwart <strong>und</strong> Zukunft. In: GL, 02/ 12/ 15.06.1892/ 103/ AB.<br />

Die Pariser Frauen des 5. <strong>und</strong> 6. Oktober 1789. In: GL, 02/ 19/ 21.09.1892/ 159-160.<br />

Die Pariser Frauen des 5. <strong>und</strong> 6. Oktober 1789. In: GL, 02/ 20/ 05.10.1892/ 167-168.<br />

J.: Die revolutionäre Sozialdemokratie. In: GL, 03/ 06/ 22.03.1893/ 46-48.<br />

Zur Maifeier. In: GL, 03/ 08/ 19.04.1893/ 57/ L.<br />

Nachtrag zur Märzfeier. In: GL, 03/ 07/ 19.04.1893/ 60-61.<br />

Turgéniew, Iwan: „Je suis envoyé par les nôtres!“ – Eine Episode aus den Junitagen von 1848 zu Paris. In: GL, 03/ 10/<br />

17.05.1893/ 76-78/ F.<br />

Turgéniew, Iwan: „Je suis envoyé par les nôtres!“ – Eine Episode aus den Junitagen von 1848 zu Paris. In: GL, 03/ 11/<br />

31.05.1893/ 83-86/ F.<br />

Zur Maifeier. In: GL, 04/ 08/ 18.04.1894/ 57-58/ L.<br />

Der 18. März. In: GL, 04/ 08/ 18.04.1894/ 58.<br />

Klassenkampf ist die Losung. In: GL, 04/ 11/ 30.05.1894/ 81/ L.<br />

i-: Die Vergeltung. In: GL, 04/ 14/ 11.07.1894/ 108-110.<br />

i-: „‘s ist der Geschichte ew‘ges Muß!“. In: GL, 04/ 20/ 03.10.1894/ 156-158.<br />

Die Frauen <strong>und</strong> das Ausnahmegesetz. In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 164-165.<br />

Zur Maifeier. In: GL, 05/ 09/ 01.05.1895/ 65-66/ L.<br />

Kautsky, K[arl]: 1870-1895. In: GL, 05/ 09/ 01.05.1895/ 66 [aus der Oesterreichischen Mai-Zeitung].<br />

Jus primae noctis im letzten Viertel des XIX. Jahrh<strong>und</strong>erts in Preußen. In: GL, 05/ 11/ 29.05.1895/ 87-88.<br />

Der Staat im Kampfe gegen die proletarische Frauenbewegung. In: GL, 05/ 17/ 21.08.1895/ 131-132.<br />

Gelehrte Französinnen im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert. In: GL, 05/ 26/ 24.12.1895/ 208.<br />

Lehmann, Marie stud.med.: Ueber Entstehung <strong>und</strong> Ursachen des Frauenraubes. In: GL, 06/ 03/ 05.02.1896/ 22-23 [aus<br />

der bürgerlichen Frauenzeitschrift „Die Frauenbewegung“].<br />

Wie kam es, daß die Frauen von der Theilnahme am öffentlichen Leben ausgeschlossen wurden. In: GL, 06/ 04/<br />

19.02.1896/ 26-27 [aus: Kautsky, Karl: Der Parlamentarismus, die Volksgesetzgebung <strong>und</strong> die<br />

Sozialdemokratie, Stuttgart: J.H.W. Dietz, 1893].<br />

Große Königinnen in Aegypten. In: GL, 08/ 04/ 16.02.1898/ 32/ N Geschichtliches zur Frauenfrage.<br />

Zum 18. März. In: GL, 08/ 06/ 16.03.1898/ 41-43/ L.<br />

Menvento, Dr. Allan: Ueber die Grenzen der Frauen-Emancipation. In: GL, 08/ 14/ 06.07.1898/ 107-109.<br />

Kalt-Reuleaux, O.: Frauen im Transvaal. In: GL, 08/ 15/ 20.07.1898/ 116-117/ F.<br />

Weh, O.: Die Gleichstellung von Mensch <strong>und</strong> Thier in der Gesetzgebung des Mittelalters. In: GL, 08/ 16/ 03.08.1898/<br />

124-126/ F.<br />

Weh, O.: Die Gleichstellung von Mensch <strong>und</strong> Thier in der Gesetzgebung des Mittelalters. (Fortsetzung.). In: GL, 08/<br />

17/ 17.08.1898/ 132-133/ F.<br />

Weh, O.: Die Gleichstellung von Mensch <strong>und</strong> Thier in der Gesetzgebung des Mittelalters. (Schluß.). In: GL, 08/ 18/<br />

31.08.1898/ 140-141/ F.<br />

Frauenärzte im Alterthum. In: GL, 08/ 22/ 26.10.1898/ 176/ N Frauenbewegung.<br />

Thurow, H[ermann]: Die Proletarierfrau in der neueren französischen Lyrik. In: GL, 08/ 23/ 09.11.1898/ 180-183/ F.<br />

Thurow, H[ermann]: Die Proletarierfrau in der neueren französischen Lyrik. (Schluß.). In: GL, 08/ 24/ 23.11.1898/<br />

188-190/ F.<br />

787


LITERATUR<br />

788<br />

Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. In: GL, 09/ 01/ 04.01.1899/ 3-6.<br />

Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. II. In: GL, 09/ 02/ 18.01.1899/ 12-13<br />

Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. III. In: GL, 09/ 04/ 15.02.1899/ 29-31.<br />

Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. IV. In: GL, 09/ 06/ 15.03.1899/ 44-45<br />

Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. V. In: GL, 09/ 09/ 26.04.1899/ 67-69.<br />

Weibliche Aerzte im Alterthum <strong>und</strong> Mittelalter. In: GL, 09/ 09/ 26.04.1899/ 72/ N Frauenbewegung.<br />

Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. VI. In: GL, 09/ 12/ 07.06.1899/ 92-94 / F [aus dem „Archiv für soziale<br />

Gesetzgebung <strong>und</strong> Statistik“ (Bd. 13, Heft 1 <strong>und</strong> 2].<br />

Vom gerichtlichen Zweikampf zwischen Frau <strong>und</strong> Mann in altdeutscher Zeit. In: GL, 10/ 09/ 25.04.1900/ 68-69/ F.<br />

Lipinska, Melanie: Medizinerinnen des Mittelalters. In: GL, 10/ 11/ 23.05.1900/ 84-85/ F.<br />

Lipinska, Melanie: Medizinerinnen des Mittelalters. (Fortsetzung.). In: GL, 10/ 12/ 06.06.1900/ 92-93/ F.<br />

Lipinska, Melanie: Medizinerinnen des Mittelalters. (Fortsetzung.). In: GL, 10/ 13/ 20.06.1900/ 100-101/ F.<br />

Lipinska, Melanie: Medizinerinnen des Mittelalters. (Schluß.). In: GL, 10/ 14/ 04.07.1900/ 108-109/ F.<br />

Die Gründung eines Frauenmuseums in Petersburg .... In: GL, 10/ 15/ 18.07.1900/ 120/ N Frauenbewegung.<br />

Eine Frauenbuchdruckerei vor 100 Jahren. In: GL, 10/ 21/ 10.10.1900/ 167-168/ N Vermischtes.<br />

Frauenrechte im alten Babylonien. In: GL, 10/ 21/ 10.10.1900/ 168/ N Vermischtes.<br />

Absteigende <strong>und</strong> aufsteigende Kultur. In: GL, 10/ 25/ 05.12.1900/ 193-194/ L.<br />

Jacobi, Eugenie: Howa-Frauen. In: GL, 10/ 25/ 05.12.1900/ 196/ F [aus der „La Fronde“].<br />

a.br.: Französische Arbeiterinnen im 13., 15. <strong>und</strong> 16. Jahrh<strong>und</strong>ert. In: GL, 11/ 13/ 19.06.1901/ 100-102.<br />

Unsere Tageslosung. In: GL, 12/ 01/ 01.01.1902/ 1-2/ L.<br />

Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Die ersten Anfänge der<br />

proletarischen Frauenbewegung in Italien. In: GL, 13/ 01/ 01.01.1903/ 2-3.<br />

Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Die Entwicklung der<br />

Frauenstimmrechtsfrage in den einzelnen sozialistischen Gruppen Italiens bis 1891. In: GL, 13/ 02/ 14.01.1903/<br />

11-13.<br />

Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Anna Maria Mozzoni, Anna<br />

Kulischoff. Die ersten größeren Lohnbewegungen der italienischen Arbeiterinnen. In: GL, 13/ 05/ 25.02.1903/<br />

36-38.<br />

Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Fortschritte, Rückschläge<br />

<strong>und</strong> Aussichten der Frauenbewegung im Jahre 1893. In: GL, 13/ 08/ 08.04.1903/ 58-60.<br />

Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Die Ausbreitung <strong>und</strong><br />

Vertiefung der Arbeiterinnenbewegung in den Jahren 1893 bis 1898. In: GL, 13/ 11/ 20.05.1903/ 83-85.<br />

Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Das „böse Jahr“ 1898. In:<br />

GL, 13/ 17/ 12.08.1903/ 131-134.<br />

Die Frauen unter dem Ausnahmegesetz. In: GL, 13/ 23/ 04.11.1903/ 178-180.<br />

W. D.: Zur Geschichte der Kinderschutzgesetzgebung. I. In: GL, 14/ 03/ 27.01.1904/ 18-19.<br />

W. D.: Zur Geschichte der Kinderschutzgesetzgebung. II. In: GL, 14/ 05/ 24.02.1904/ 36-38.<br />

Borchardt, Julian: <strong>Von</strong> der sozialen Frage. In: GL, 14/ 20/ 21.09.1904/ 156-158.<br />

Zietz, Luise: Weihnachten. In: GL, 15/ 26/ 27.12.1905/ 151-152/ L.<br />

Heraus mit dem Frauenwahlrecht! In: GL, 16/ 02/ 24.01.1906/ 7/ L.<br />

Blos, Wilhelm: Die Frauen im Bauernkrieg. In: GL, 16/ 04/ 21.02.1906/ 19-20<br />

[Ledebour, Georg?] G. L.: Zum 18. März. In: GL, 16/ 06/ 21.03.1906/ 31/ L.<br />

Blos, Wilhelm: Aus dem „tollen Jahre“. In: GL, 16/ 08/ 18.04.1906/ 50-51.<br />

Hildebrand, Gerhard: Der proletarische Klassenkampf um die Volksbildung. In: GL, 16/ 16/ 08.08.1906/ 106.<br />

B[lase], Th[erese]: Der Kampf, Erwecker des Klassenbewußtseins. In: GL, 16/ 17/ 22.08.1906/ 113/ L.<br />

Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 20/ 03.10.1906/ 138.


6.1 AUSWAHL DER GESCHICHTLICHEN ARTIKEL IM HAUPTBLATT DER „GLEICHHEIT“<br />

Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland (Fortsetzung.). In: GL, 16/ 21/<br />

17.10.1906/ 146-147<br />

Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland (Fortsetzung.). In: GL, 16/ 22/<br />

31.10.1906/ 154.<br />

Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland (Fortsetzung.). In: GL, 16/ 23/ 14.11.1906/<br />

161-163.<br />

Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland (Fortsetzung.). In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/<br />

169-170.<br />

Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland (Schluß.). In: GL, 16/ 25/ 12.12.1906/ 178<br />

[die gesamte Artikelreihe erschien zuerst im „Neue Welt-Kalender“ für 1906, Hamburg: Auer & Co.].<br />

Dorsch, Hanna: Weihnachten – Sonnenwendfest! In: GL, 16/ 26/ 26.12.1906/ 186.<br />

Dienstmädchenbewegung 1848. In: GL, 17/ 05/ 06.03.1907/ 38-39/ N Dienstbotenfrage.<br />

[Ledebour, Georg?] G. L.: Märzgedanken. In: GL, 17/ 06/ 20.03.1907/ 41/ L.<br />

Luxemburg, Rosa: Die Maifeier. In: GL, 17/ 09/ 01.05.1907/ 71/ L.<br />

Wir pfeifen darauf! In: GL, 18/ 03/ 03.02.1908/ 19/ L.<br />

Geschichtliche Zeichen. In: GL, 18/ 07/ 30.03.1908/ 59/ L.<br />

Katzenstein, Simon: Wesen <strong>und</strong> Entstehung des Rechts. In: GL, 18/ 15/ 20.07.1908/ 135.<br />

Katzenstein, Simon: Die Entstehung des geltenden bürgerlichen Rechtes. In: GL, 18/ 17/ 17.08.1908/ 152-153.<br />

Wendel, Hermann: Die Frau im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert. I. In: GL, 19/ 01/ 12.10.1908/ 5-6.<br />

Wendel, Hermann: Die Frau im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert. II. In: GL, 19/ 02/ 26.10.1908/ 18-20.<br />

Blos, Anna: Hexenglauben <strong>und</strong> Hexenprozesse. In: GL, 19/ 02/ 26.10.1908/ 24-25.<br />

Blos, Anna: Hexenglauben <strong>und</strong> Hexenprozesse (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 03/ 09.11.1908/ 40-42.<br />

Blos, Anna: Hexenglauben <strong>und</strong> Hexenprozesse (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 04/ 23.11.1908/ 56-57.<br />

Blos, Anna: Hexenglauben <strong>und</strong> Hexenprozesse (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 05/ 07.12.1908/ 72-73.<br />

Korn, K.: Ein Weihnachtsgeschenk des Marxismus. In: GL, 19/ 06/ 21.12.1908/ 81-83/ L.<br />

Blos, Anna: Hexenglauben <strong>und</strong> Hexenprozesse (Schluß.). In: GL, 19/ 06/ 21.12.1908/ 86-88.<br />

[Alexander, Getrud] G. G.: Die Prometheussage. In: GL, 19/ 07/ 04.01.1909/ 103-104.<br />

[Alexander, Getrud] G. G.: Die Prometheussage (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 08/ 18.01.1909/ 119-121.<br />

[Alexander, Getrud] G. G.: Die Prometheussage (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 09/ 01.02.1909/ 134-136.<br />

[Alexander, Getrud] G. G.: Die Prometheussage (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 10/ 15.02.1909/ 146-147.<br />

[Alexander, Getrud] G. G.: Die Prometheussage (Schluß.). In: GL, 19/ 11/ 01.03.1909/ 166-167.<br />

Der Geschichte ew‘ges Muß. In: GL, 19/ 12/ 15.03.1909/ 177-178/ L.<br />

Hausenstein, Wilhelm: Der Tiroler Aufstand im Jahre 1809. In: GL, 19/ 22/ 02.08.1909/ 339-341.<br />

Hausenstein, Wilhelm: Der Tiroler Aufstand im Jahre 1809. In: GL, 19/ 23/ 16.08.1909/ 356-358.<br />

Hausenstein, Wilhelm: Der Tiroler Aufstand im Jahre 1809. In: GL, 19/ 24/ 30.08.1909/ 372-374.<br />

Oberholzer, Ernst (Zürich): Die Entwicklung der zivilrechtlichen Stellung der Frau bis zur Gegenwart. In: GL, 20/ 01/<br />

11.10.1909/ 6-8.<br />

Dies Buch gehört den Massen. In: GL, 20/ 06/ 20.12.1909/ 81-83/ L.<br />

K.: Frauennot <strong>und</strong> Frauenarbeit im Mittelalter. In: GL, 20/ 07/ 03.01.1910/ 102-103.<br />

Ueber den März hinaus. In: GL, 20/ 12/ 14.03.1910/ 177-179/ L.<br />

Jäckel, H[ermann?]: Vom Spinnen <strong>und</strong> Weben in alter Zeit. I. In: GL, 20/ 19/ 20.06.1910/ 295-296.<br />

Jäckel, H[ermann?]: Vom Spinnen <strong>und</strong> Weben in alter Zeit. II. In: GL, 20/ 20/ 04.07.1910/ 309-310.<br />

Jäckel, H[ermann?]: Vom Spinnen <strong>und</strong> Weben in alter Zeit. III. In: GL, 20/ 23/ 15.08.1910/ 360-361.<br />

Jäckel, H[ermann?]: Vom Spinnen <strong>und</strong> Weben in alter Zeit. IV. In: GL, 20/ 24/ 29.08.1910/ 375-376.<br />

789


LITERATUR<br />

790<br />

Eckstein, Gustav: Das Weib als Kulturträgerin. In: GL, 21/ 01/ 10.10.1910/ 3-4.<br />

Eckstein, Gustav: Das Weib als Kulturträgerin (Schluß.). In: GL, 21/ 02/ 24.10.1910/ 19-21.<br />

Mehring, Franz: Eine feudale Ruine. In: GL, 21/ 04/ 21.11.1910/ 50-51 [aus der „Neuen Zeit“].<br />

Kollontay, Alexandra: Der erste Mai im Zarenreich. In: GL, 21/ 15/ 24.04.1911/ 228-229.<br />

[Möhring, Henry] Roland: Sedan! In: GL, 21/ 24/ 28.08.1911/ 376.<br />

Sommer, B.: Aus der Geschichte der menschlichen Unwissenheit. In: GL, 22/ 01/ 09.10.1911/ 6-8.<br />

Sommer, B.: Aus der Geschichte der menschlichen Unwissenheit. In: GL, 22/ 02/ 23.10.1911/ 20-22.<br />

Sommer, B.: Aus der Geschichte der menschlichen Unwissenheit. In: GL, 22/ 04/ 15.11.1911/ 54-55.<br />

Mehring, Franz: Ein aufgeklärter Despot? In: GL, 22/ 10/ 05.02.1912/ 150-152 [aus der „Neuen Zeit“].<br />

Luxemburg, Rosa: Märzenstürme. In: GL, 22/ 13/ 18.03.1912/ 193-194/ L.<br />

Aus der Geschichte des Kampfes um das Frauenwahlrecht in England. In: GL, 23/ 11/ 19.02.1913/ 176/ N<br />

Frauenstimmrecht.<br />

Hahnewald, Edgar: Vom Ursprung der Arbeit. In: GL, 23/ 12/ 05.03.1913/ 181-182.<br />

Mehring, Franz: Ein Parteijubiläum. In: GL, 23/ 13/ 19.03.1913/ 194-195 [aus der „Neuen Zeit“].<br />

Hahnewald, Edgar: Vom Ursprung der Arbeit (Schluß.). In: GL, 23/ 13/ 19.03.1913/ 196-197.<br />

Fünfzig Jahre. In: GL, 23/ 18/ 28.05.1913/ 273-275/ L.<br />

Erdmann, August: Frauenarbeit im Mittelalter. In: GL, 24/ 09/ 21.01.1914/ 135-137.<br />

Erdmann, August: Frauenarbeit im Mittelalter (Schluß.). In: GL, 24/ 10/ 04.02.1914/ 147-148.<br />

Diederich, Franz: Der Saint-Simonismus <strong>und</strong> die Frauenwahlrechtsbewegung. In: GL, 24/ 13/ 18.03.1914/ 195-197.<br />

a.e.: Eine Frauenzeitung im Jahre 1848. In: GL, 24/ 16/ 29.04.1914/ 245-246.<br />

A demi mort ... Halb tot. Wie die Pariser Damen 1871 zu einer neuen Modefarbe kamen. In: GL, 24/ 18/ 27.05.1914/ 277.<br />

l. ch.: Wie es zu Kriegen kommt. In: GL, 25/ 07/ 21.12.1914/ 33-35.<br />

Der internationale sozialistische Frauentag. In: GL, 25/ 13/ 19.03.1915/ 73-74/ L.<br />

Röttcher, Fritz: Zur Soziologie des Krieges. In: GL, 25/ 23/ 06.08.1915/ 150-152.<br />

Röttcher, Fritz: Zur Soziologie des Krieges. In: GL, 25/ 24/ 20.08.1915/ 160-161.<br />

Röttcher, Fritz: Zur Soziologie des Krieges (Schluß.). In: GL, 25/ 25/ 03.09.1915/ 167.<br />

Ein Blatt Geschichte. I. In: GL, 26/ 22/ 21.07.1916/ 165-166/ L.<br />

Ein Blatt Geschichte. II. In: GL, 26/ 23/ 04.08.1916/ 171-172.<br />

Ein Blatt Geschichte. III. In: GL, 26/ 24/ 18.08.1916/ 177-178.<br />

Pax Romana. In: GL, 26/ 26/ 15.09.1916/ 189-190/ L.<br />

Blos, Anna: Friedensvorkämpferinnen im Altertum. In: GL, 27/ 20/ 06.07.1917/ 137-138/ F.<br />

Lensch, Paul: Zum Luthertag. In: GL, 28/ 02/ 26.10.1917/ 9-10/ L.<br />

Blos, Anna: Die Stellung der Frauen im Zeitalter der Reformation. In: GL, 28/ 03/ 09.11.1917/ 21-22/ F.<br />

Blos, Anna: Die Stellung der Frauen im Zeitalter der Reformation (Schluß.). In: GL, 28/ 04/ 23.11.1917/ 29-30/ F.<br />

Rausch, Bernhard: Drei Jahre Weltrevolution. In: GL, 28/ 08/ 18.01.1918/ 57-58/ L.<br />

***: Das Frauenwahlrecht in aller Welt. In: GL, 28/ 16/ 10.05.1918/ 121-122/ L.<br />

Blos, Anna: Glückliche Ehen. In: GL, 28/ 17/ 24.05.1918/ 133-135.<br />

Zehn Jahre Reichsvereinsgesetz. In: GL, 28/ 23/ 16.08.1918/ 177-178/ L.<br />

Heilbut, Kurt: Die Urform der Ehe. In: GL, 29/ 45/ 46/ 27.12.1919/ 357-358.<br />

Sommer, Br.: Die Anfänge der Töpferei. In: GL, 29/ 03/ 08.11.1918/ 21-23/ F.<br />

Zepler, Wally: Die Frauen <strong>und</strong> die Zukunft des Sozialismus. In: GL, 29/ 07/ 03.01.1919/ 51-53.<br />

Blos, Anna: Alt-Weimarer Tage. In: GL, 29/ 14/ 11.04.1919/ 109-111/ F.<br />

Kähler, Wilhelmine: Einst <strong>und</strong> jetzt. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/ 122-123.


6.1 AUSWAHL DER GESCHICHTLICHEN ARTIKEL IM HAUPTBLATT DER „GLEICHHEIT“<br />

Blos, Anna: Der Einfluß der Frauen auf die Entwicklungsgeschichte der Menschheit. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/ 124-125.<br />

Heilbut, Kurt: Gretchen <strong>und</strong> wir. In: GL, 29/ 19/ 20.06.1919/ 147-148/ F.<br />

Heilbut, Kurt: Kommunismus oder Sozialismus. In: GL, 29/ 24/ 02.08.1919/ 187-188.<br />

Heilbut, Kurt: Zur Wiederkehr des Revolutionstages. In: GL, 29/ 38/ 08.11.1919/ 303-304.<br />

Juchacz, Marie: Einst <strong>und</strong> Jetzt. In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 332.<br />

Soldes, Wilhelm: Sozialisierung der Frau oder sozialistische Ehe? In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 340-341.<br />

Heilbut, Kurt: Mutterrecht. In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 342-343.<br />

Weiß-Rathenau, Liesbeth: Die Schätze der Berliner Museen. In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 344.<br />

Heilbut, Kurt: Die Ehebrecherin. In: GL, 30/ 04/ 24.01.1920/ 29-30/ F.<br />

Heilbut, Kurt: Eine berechtigte Forderung I. In: GL, 30/ 15/ 10.04.1920/ 110-111.<br />

Heilbut, Kurt: Eine berechtigte Forderung II. In: GL, 30/ 16/ 17.04.1920/ 115-116.<br />

Altmann-Bronn, Ida: Erlöser Sozialismus. In: GL, 30/ 19/ 08.05.1920/ 146-148/ Beilage.<br />

Müller, Louise: Vor 25 Jahren. Erinnerungen einer Genossin. In: GL, 30/ 22/ 29.05.1920/ 176-178.<br />

Soldes, Wilhem: Die bürgerliche Frauenbewegung <strong>und</strong> das Wahlrecht. In: GL, 30/ 22/ 29.05.1920/ 178-179.<br />

Altmann-Bronn, Ida: Erlöser Sozialismus II. In: GL, 30/ 22/ 29.05.1920/ 181-191/ Beilage.<br />

Essig, Olga: Dokumente des Kampfes der Sozialdemokratie um die Befreiung der Frau. In: GL, 30/ 23/ 05.06.1920/ 186.<br />

Altmann-Bronn, Ida: Erlöser Sozialismus III. In: GL, 30/ 24/ 12.06.1920/ 194.<br />

Soldes, Wilhelm: Der Siegeslauf des Frauenwahlrechts in der Welt. In: GL, 30/ 24/ 12.06.1920/ 194-195.<br />

Altmann-Bronn, Ida: Erlöser Sozialismus IV. In: GL, 30/ 25/ 19.06.1920/ 202-203.<br />

Altmann-Bronn, Ida: Erlöser Sozialismus V. In: GL, 30/ 26/ 26.06.1920/ 214.<br />

Altmann-Bronn, Ida: Erlöser Sozialismus VI. In: GL, 30/ 27/ 03.07.1920/ 222.<br />

Altmann-Bronn, Ida: Erlöser Sozialismus VII. In: GL, 30/ 29/ 17.07.1920/ 234-236.<br />

Schöfer, Sophie: Die Quäker. In: GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 242-243.<br />

Altmann-Bronn, Ida: Erlöser Sozialismus (Schluß). In: GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 246-247.<br />

Schwann-Schneider, Rosa: Die Internationale des Geistes. In: GL, 30/ 34/ 21.08.1920/ 274-275.<br />

Röhl, Elisabeth: Die moderne Frau. In: GL, 30/ 35/ 28.08.1920/ 285-286.<br />

Radtke, Elli: [Rezension zu: Klühs, Franz: Der Aufstieg]. In: GL, 31/ 02/ 15.01.1921/ 13/ F<br />

Blos, Anna: Leibeigene – Dienstmagd – Hausangestellte. In: GL, 32/ 05/ 01.03.1922/ 44-46.<br />

Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. I. [fehlt im Bestand der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung: GL, 32/<br />

07/ 01.04.1922/ ?].<br />

Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. II. Die Zeit der geheimen Bünde. In: GL, 32/ 08/ 15.04.1922/ 70-71.<br />

Baader, Ottilie: Die erste Maifeier. In: GL, 32/ 09/ 01.05.1922/ 83-84 / F [aus Baaders Autobiographie „Ein steiniger<br />

Weg“].<br />

Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. III. Waffenschmiede im Exil. In: GL, 32/ 09/ 01.05.1922/ 84-85.<br />

Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. IV. [fehlt im Bestand der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung: GL, 32/<br />

10/ 15.05.1922/ ?].<br />

Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. V. Der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein. In: GL, 32/ 11/ 01.06.1922/ 103-104.<br />

Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. VI. Die Eisenacher Partei. In: GL, 32/ 12/ 15.06.1922/ 111-112.<br />

[Heilbut, Kurt] K. H.: Ist die Frau weniger begabt als der Mann? In: GL, 32/ 12/ 15.06.1922/ 115-117.<br />

Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. VII. Charakterköpfe aus der Frühzeit. In: GL, 32/ 14-15/ 15.07.1922/ 135-137.<br />

Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. VIII. Attentatshetze <strong>und</strong> Sozialistengesetz. In: GL, 32/ 16/ 15.08.1922/ 148-149.<br />

Juchacz, Marie: Das geistige Leben in unserer Frauenbewegung 1921. In: GL, 32/ 17-18/ 01.09.1922/ 159-160.<br />

Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. Eine neue Epoche. In: GL, 32/ 19-20/ 01.10.1922/ 178-179.<br />

791


LITERATUR<br />

792<br />

Kampffmeyer, Paul: Karl Marx <strong>und</strong> die Märzrevolution. In: GL, 33/ 05/ 01.03.1923/ 34-35.<br />

Sender, Tony: Das Klassenbewußtsein als Quelle unserer Kraft. In: GL, 33/ 06/ 15.03.1923/ 41-42/ L.<br />

Blos, Anna: Die Frauen des Jahres 1848. In: GL, 33/ 06/ 15.03.1923/ 44-45/ F.<br />

Reitze, Hanna: Maienhoffnung auf die Internationale. In: GL, 33/ 09-10/ 01.05.1923/ 66-67/ L.<br />

Agnes, Lore: Die Frauen <strong>und</strong> die Internationale. In: GL, 33/ 09-10/ 01.05.1923/ 67-68.<br />

Kautsky, Luise: Mai-Erinnerungen. In: GL, 33/ 09-10/ 01.05.1923/ 71-79/ F.


<strong>Von</strong> „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ <strong>und</strong> <strong>Klassenkämpferinnen</strong><br />

–<br />

Frauengeschichte <strong>und</strong> Frauenleitbilder<br />

in der proletarischen Frauenzeitschrift<br />

„Die Gleichheit“ (1891-1923)<br />

ANHANG<br />

Inaugural-Dissertation<br />

zur Erlangung des akademischen Grades eines<br />

Doktors der Philosophie (Dr. phil.)<br />

im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften (Fachgebiet Geschichte)<br />

der Universität Kassel<br />

vorgelegt von:<br />

Mirjam Sachse<br />

Erster Gutachter:<br />

Prof. Dr. Jens Flemming<br />

Zweiter Gutachter:<br />

Prof. Dr. Hans-Joachim Bieber<br />

Datum der Disputation: 03.02.2010<br />

I


7 Anhang<br />

7.1 Gedichtauswahl.............................................................................................................V<br />

7.2 Tabellen................................................................................................................XXVII<br />

7.3 Bildmaterial...............................................................................................................XLI<br />

III


7.1 Gedichtauswahl<br />

(nach Erscheinen in der „Gleichheit“ geordnet)<br />

1. H[ofmann], M[arie]: Aufruf! (1890)........................................................................VII<br />

2. Rückert, Friedrich: Auf das Mädchen aus Potsdam, Prohaska (1892)....................VIII<br />

3. Dehmel, Richard: Die Magd (1898).......................................................................VIII<br />

4. Keller, Gottfried: Die Spinnerin. (1899)....................................................................IX<br />

5. Negri, Ada: Seid gegrüßt. (1900)................................................................................X<br />

6. Krille, Otto: Maria Lwowna Berditschewskaja. (1905)............................................XI<br />

7. Märten, Lu: Frauenbewegung (1905).......................................................................XII<br />

8. Bohm, Klara: Rosen (1906)......................................................................................XII<br />

9. Holz, Arnold: Weltgeschichte (1907)......................................................................XIII<br />

10. Freiligrath, Ferdinand von: Nach Johanna Kinkels Begräbnis (1908)...................XIV<br />

11. Döltz, Emma: Wir rufen Euch. (1911)...................................................................XVII<br />

12. Döltz, Emma: Wir können euch doch schlagen! (1912)......................................XVIII<br />

13. Scherz, Betty: Wir Frauen. (1915)..........................................................................XIX<br />

14. Fürth, Henriette: Die rote Fahne (1919).................................................................XIX<br />

15. Stahl, Artur: Frauenwahlrechts-Marseillaise (1919)................................................XX<br />

16. Müller-Jahnke, Klara: Den Frauen. (1919).............................................................XXI<br />

17. Heilbut, Kurt: Zwei Mütter. (1919).......................................................................XXII<br />

18. Fürth, Henriette: Den Frauen. (1919)....................................................................XXII<br />

19. Heilbut, Kurt: An Bebel (1919)............................................................................XXIII<br />

20. Negri, Ada: Mutterliebe (1920)............................................................................XXIII<br />

21. Bohm-Schuch, Klara: Zum 9. November 1918. (1920)........................................XXV<br />

22. Bohm-Schuch, Clara: [Und wieder wehet …] (1922).........................................XXVI<br />

V


1.H[ofmann], M[arie]: Aufruf! (1890)<br />

1<br />

Wir lebten hier in Dämm’rung tief,<br />

In unser’m Haupt das Denken schlief.<br />

Wir schaffen spät, wir schaffen frühe,<br />

Bei hartem Zwang, mit schwerer Mühe.<br />

Man hat von jeher uns gelehrt,<br />

Daß wir nicht haben eig’nen Werth.<br />

Nichts darf für sich die Frau erstreben,<br />

Für Mann <strong>und</strong> Kind nur soll sie leben.<br />

So war’s gelehrt, so war’s geglaubt,<br />

So ward der Frau das Recht geraubt;<br />

Das Recht zu wollen <strong>und</strong> zu denken,<br />

Das eig’ne Schicksal selbst zu lenken.<br />

Doch plötzlich sind wir aufgewacht,<br />

Die bitt’re Noth hat es vollbracht.<br />

Sie pocht an uns’res Hirnes Schranken:<br />

Heraus Ihr schlummernden Gedanken!<br />

Sie spricht: Ermanne Dich, o Frau,<br />

Der Kraft im eig’nen Busen trau.<br />

Wirf ab der Ketten schwere Bürde<br />

<strong>und</strong> fühle Deine Menschenwürde.<br />

Im Lichte steh’n wir, frei <strong>und</strong> frank,<br />

O herbe Noth, Dir werde Dank!<br />

Du hast zu denken uns gelehrt,<br />

Du gabst die Kraft, die Dich zerstört.<br />

Nicht mit dem Mann, der unser Feind,<br />

Der uns’re Rechte schroff verneint;<br />

Nur mit Genossen gleichen Strebens<br />

Geschlossen sei der B<strong>und</strong> des Lebens.<br />

Dieselbe Pflicht, dasselbe Recht<br />

Führt Mann <strong>und</strong> Weib nun in’s Gefecht;<br />

Mit gleicher Kraft, mit gleichen Waffen<br />

Ein schönes Leben uns zu schaffen.<br />

In Ost <strong>und</strong> West, in Nord <strong>und</strong> Süd,<br />

Arbeiterinnen, hört das Lied!<br />

Erwacht <strong>und</strong> folget unser’n Bahnen<br />

Und führt zum Siege uns’re Fahnen.<br />

So laßt uns wirken, dicht geschaart,<br />

Uns Frauen neuer echter Art,<br />

Daß siegesfroh der Ruf erschalle:<br />

Freiheit <strong>und</strong> gleiches Recht für Alle! 1<br />

H[ofmann], M[arie]: Aufruf! In: Arbeiterin, 01/ 01 (Probenummer)/ 20.12.1890.<br />

VII


2.Rückert, Friedrich: Auf das Mädchen aus Potsdam, Prohaska (1892)<br />

3.Dehmel, Richard: Die Magd (1898)<br />

2<br />

VIII<br />

Ich müßte mich schämen, ein Mann zu heißen,<br />

Wenn ich nicht könnte führen das Eisen,<br />

Und wollte Weibern es gönnen,<br />

Daß sie führen es können!<br />

Wer ist der Gesell, so fein <strong>und</strong> jung?<br />

Doch führt er das Eisen mit gutem Schwung.<br />

Wer steckt unter der Maske?<br />

Eine Jungfrau, heißt Prohaska<br />

Wie merkten wir’s nur nicht lange schon<br />

Am glatten Kinn, am feineren Ton?<br />

Doch unter den männlichen Thaten<br />

Wer konnte das Weib errathen?<br />

Aber es hat sie getroffen ein Schuß;<br />

Jetzt sagt sie’s selber, weil sie muß.<br />

W<strong>und</strong>arzt, geh‘ bei Leibe<br />

Nicht unsanft um mit dem Weibe!<br />

Zum Glück traf dich die Kugel nicht eh’r,<br />

Als bis du dir hattest gnügliche Ehr‘<br />

Erstritten in Mannesgeberden,<br />

Jetzt kannst du ein Weib wieder werden.<br />

Doch ich müßte mich schämen, ein Mann zu heißen,<br />

Wenn ich nicht wollte können führen das Eisen,<br />

Und wollte Weibern es gönnen,<br />

Daß sie führen es können! 2<br />

Maiblumen blühten überall,<br />

Er sah mich an so trüb‘ <strong>und</strong> müd‘ –<br />

Im Faulbaum rief die Nachtigall:<br />

Die Blüthe flieht! Die Blüthe flieht!<br />

<strong>Von</strong> Düften war die Nacht so warm,<br />

Wie unser Blut so warm, wie unser Blut,<br />

Und wir so jung, so freudearm –<br />

Und über uns im Busch das Lied,<br />

Das zuckende Lied: Die Gluth verglüth!<br />

Und Er so treu <strong>und</strong> mir so gut …<br />

In Knospen schoß der wilde Mohn,<br />

Es sog die Sonne unsern Schweiß,<br />

Es wurden roth die Knospen schon,<br />

Da wurden meine Wangen weiß.<br />

Ums liebe Brot, ums theure Brot<br />

Floß doppelt heiß im Korn sein Schweiß;<br />

Der wilde Mohn stand feuerroth –<br />

Es war wohl fressendes Gift der Schweiß –<br />

Rückert, Friedrich: Auf das Mädchen aus Potsdam, Prohaska. In: GL, 02/ 08/ 20.04.1892/ 72.


4.Keller, Gottfried: Die Spinnerin. (1899)<br />

3<br />

Es ward auch sein Wange weiß;<br />

Und die Sonne stach im Korn ihn todt …<br />

Die Astern schwankten, bleich am Zaun,<br />

Im feuchten Wind die Traube schwoll;<br />

Im Hofe zischelten die Frau’n,<br />

Der Apfelbaum hing schwer <strong>und</strong> voll.<br />

Es war ein Tag so regensatt,<br />

Wie einst sein Blick so blaß <strong>und</strong> matt;<br />

Die Astern standen braun <strong>und</strong> naß,<br />

Vom gelben Blatt der Nebel troff,<br />

da stieß man sie voll Hohn <strong>und</strong> Haß,<br />

die sündige Magd, hinaus vom Hof …<br />

Nun blüht von Eis der kahle Hain,<br />

Die Thräne friert im schneidenden Wind;<br />

Aus flimmernden Scheiben glüht der Schein<br />

Des Christbaums auf mein wimmernd Kind.<br />

Die hungernden Spatzen bettelnd schrei’n,<br />

Vom blanken Dach die Krähe krächzt;<br />

Am schlaffen Busen zitternd ächzt<br />

Mein Kind <strong>und</strong> Keiner läßt uns ein;<br />

Wie die Worte des Reichen, so scharf <strong>und</strong> weh<br />

Knirscht unter mir der harte Schnee.<br />

So weh – oh, bohrt es mir ins Ohr:<br />

Du Kind der Schmach! Du Sündenlohn!<br />

Und dennoch beten sie empor<br />

zum Sohn der Magd, zum Jungfrau’nsohn?…<br />

Oh, brennt mein Blut – was that denn ich?<br />

War’s Sünde nicht, daß sie gebar? –<br />

Mein Kind, mein Heiland – weine nicht:<br />

Ein Bett für Dich – Dein Blut für mich.<br />

Vom Himmel rieselt’s silberklar:<br />

Wie träumt es sich so süß im Schnee.<br />

Was that denn ich? – wie müd‘ <strong>und</strong> weh!<br />

War’s Liebe nicht –? war’s – Liebe – nicht? 3<br />

Nur diesen letzten Rocken<br />

Noch spinnt der Mädchenfleiß,<br />

Dann schmiegt euch, meine Locken<br />

Dem grünen Myrtenreiß!<br />

Ich habe lang‘ gesponnen<br />

Und lange mich gefreut;<br />

Zum Bleichen an der Sonnen<br />

Liegt meine Jugendzeit.<br />

Hat er wohl auch das Seine<br />

Mit treuem Muth gethan?<br />

Betreten schon die Eine<br />

Dehmel, Richard: Die Magd. In: GL, 08/ 11/ 25.05.1898/ 86.<br />

IX


5.Negri, Ada: Seid gegrüßt. (1900)<br />

4<br />

X<br />

Des Mannes Ehrenbahn?<br />

Hat innig er begriffen<br />

Die Arbeit seiner Zeit?<br />

Hat er sein Schwert geschliffen,<br />

Zum letzten Kampf bereit?<br />

Weh ihm, wenn er nicht rechten<br />

Für unsre Freiheit will!<br />

Weh ihm, wenn er nicht fechten<br />

Für sein Gewissen will!<br />

Dann mag mein Liebster minnen<br />

Nur auf <strong>und</strong> ab im Land, –<br />

Und dies mein bräutlich Linnen<br />

Wird dann ein Grabgewand. 4<br />

Der Kämpfer denk‘ ich, die in Händen tapfer<br />

Die Schaufel halten, trotzend Gluth <strong>und</strong> Sturmgruß,<br />

Abringend den gequälten, dürren Schollen<br />

Ein elend Brotstück.<br />

Der Kämpfer denk‘ ich, die im finstern Schachtgr<strong>und</strong><br />

Die Haue führen mit den magern Fäusten,<br />

Die keuchend in den schwarzverruchten Schatten<br />

Ruhlos sich abmühn.<br />

Ein heimlich Sausen schleicht da – das erschüttert<br />

mit niederstürzendem Gekrach die Wölbung,<br />

Und Staub ist Alles, Finsterniß <strong>und</strong> langes<br />

Geseufz des Todes …<br />

Doch den zerfetzten Schooß des großen Berges<br />

Siegreich der Dampf zerspaltet <strong>und</strong> durchschreitet.<br />

Ihn grüßt am Ausgang leuchtenden Triumphes<br />

Der Sonne Lichtstrahl. –<br />

Der Kämpfer denk‘ ich, die mit edler Seele<br />

In fieberhafter Müh‘ Gedanken weben,<br />

Führer <strong>und</strong> Märtyrer, den Wissensarmen<br />

Zum Zeitkampf donnernd.<br />

Des Wachen denk‘ ich, der sich quält <strong>und</strong> hingeht<br />

Einsam, verkannt … es bricht aus meinem Busen<br />

Ein Schrei mit weitem Widerhall auf Erden:<br />

Euch grüß‘ ich Helden!<br />

Euch grüß‘ ich ehern hemdenlose Brüste,<br />

Ihr rauhen Leiber, muskulösen Arme,<br />

Ihr unermüdlichen, im brüllenden Schlachtlärm<br />

Der Riesenwerkstatt.<br />

Keller, Gottfried: Die Spinnerin. In: GL, 09/ 04/ 15.02.1899/ 28.


Euch grüß‘ ich, die der heil’ge Stolz der Arbeit<br />

Durchflammt, euch, die der Tod beim Schaffen hinrafft,<br />

Eich, wack’re Kämpfer des Gedankens <strong>und</strong> des Geschwung’nen<br />

Hammers.<br />

Vor mir vorüberziehn, in strengen Bildern,<br />

Der bleichen Mädchen unglücksel’ge Schaaren;<br />

Vorüberziehn in der Fabriken Schraubstock<br />

Gepreßte Frauen.<br />

Und müde Kinder <strong>und</strong> vergrämte Stirnen,<br />

Zerissne Glieder <strong>und</strong> entstellte Mienen,<br />

Und eine wegemüde, ungeheure<br />

Erdfahle Volkschaft.<br />

<strong>Von</strong> ferne hör‘ ich ein Getös von Stimmen,<br />

Der Aexte, Hämmer <strong>und</strong> der Pickel Schläge,<br />

Ich aber singe frei durch dieser Erde<br />

Verworrnes Lärmen:<br />

Dir sing‘ ich, o zerstreute, arbeitsame,<br />

O große menschliche Familie! Vorwärts!<br />

Kämpfe <strong>und</strong> siege! Schließe dich zusammen<br />

Zur Glückseinheit.<br />

Auf Arbeitshelden, auf! Zu Siegers Häupten<br />

Und der Gefallnen letztem Todesringen,<br />

Mit mildem Auge schöne Zukunft spendend<br />

Leuchtet die Sonne. 5<br />

6.Krille, Otto: Maria Lwowna Berditschewskaja. (1905)<br />

(Erschossen von der Soldateska beim Barrikadenbau am Petersburger Blutsonntag, 22. Januar 1905)<br />

5<br />

6<br />

Die Welle will ich preisen, die im Sand verrinnt,<br />

Der trägen Flut das Erdreich zu erweichen.<br />

Ruhmloser Tod, wenn Sonne oder Wind<br />

Die Knospe streift vom Baum, dem blüthenreichen!<br />

Es mag der Schmerz um jedes Schicksal weinen,<br />

Um jedes Leben, grabbedroht,<br />

Doch tränenlose Ewigkeit für deinen,<br />

Für solchen Rettertod.<br />

In jenes Mordes frechem Bacchanale<br />

War deine Tat ein leuchtendes „Erkennt!“<br />

Die Barrikade ward zum Rächermale,<br />

Worauf des Rechtes ew’ge Flamme brennt.<br />

Du Mädchen von der Helden großem Stamme,<br />

Dein Blut verraucht, dein stürmisch Herz versinkt,<br />

An deiner Asche noch entzündet sich die Flamme,<br />

Die Rußlands Freiheit bringt. 6<br />

Negri, Ada: Seid gegrüßt. In: GL, 10/ 09/ 25.04.1900/ 65.<br />

Krille, Otto: Maria Lwowna Berditschewskaja. In: GL, 25/ 22/ 01.11.1905/ 132. Entnommen aus: Krille,<br />

XI


7.Märten, Lu: Frauenbewegung (1905)<br />

8.Bohm, Klara: Rosen (1906)<br />

7<br />

XII<br />

(aus dem Zyklus “Nachtbilder”)<br />

Otto: Welt <strong>und</strong> Einsamkeit. Berlin: Johann Sassenbach, 1905.<br />

Ins Dunkel stieß man uns zurück.<br />

Nicht achtend unsrer Leiden, ohne Licht <strong>und</strong> Freiheit<br />

galt das Wort:<br />

“Weib sein <strong>und</strong> Mutter, sei euch alles<br />

Um der Kinder willen, die ihr leiblich sollt gebären,<br />

bleibt verborgen!” –<br />

Ha, in Nacht <strong>und</strong> Stille wähnte man uns sicher, doch in<br />

Nacht <strong>und</strong> Stille wurden wir zum andern Male<br />

Mütter!<br />

Unterm Schmerzensschrei der halben Menschheit, aus der<br />

Kraft des Leidens haben wir ein Kind zum Licht<br />

getragen.<br />

Königskind! Geboren zu befreien <strong>und</strong> zu siegen!<br />

So ziehe hin denn, Kind!<br />

Erfülle deiner Mütter Wollen <strong>und</strong> lebe ihrem Traum;<br />

In deine Rechte nimm das Schwert, <strong>und</strong> in deine Linke halt’<br />

die Fackel.<br />

Dein Herz sei stark ob Todesw<strong>und</strong>en; dein scharfes Auge<br />

laß von trügerischem Licht nicht täuschen.<br />

Geh vorbei an Thronen <strong>und</strong> Palästen, werfe deinen Schein<br />

<strong>und</strong> wecke Leben;<br />

Eile hin zu jenen Stätten, wo der Schrei des Hungers durch<br />

die Lüfte braust, wo die Arbeit man entheiligt, wo<br />

man Leiber zwingt, die Seelen zu vergessen.<br />

– Und eine nie gekannte Liebestat, die keine Zeit vor dir<br />

Getan – du sollst sie tun.<br />

Steig hinunter in die Tiefen, leuchte mit der Liebesfackel in<br />

das Elend, das Welt das Laster nennt.<br />

Beuge deine Knie vor dem tiefsten Leid des Weibes,<br />

Drücke deinen reinen Kuß auf sünd’ge Lippen,<br />

Denke, daß noch nie ein Weib g e f a l l e n , daß nicht vorher<br />

ward zertreten.<br />

So stürze Schranken, sprenge Fesseln, <strong>und</strong> reife stark <strong>und</strong><br />

froh zur Mutter einer neuen Zeit.<br />

Geh siegreich hin durch alle Welt, halt treue, heil’ge Wacht;<br />

Ein wildes, schönes Sturmlied sei, ein Blitz aus tiefer Nacht! 7<br />

Rosen hängen um dein Fenster <strong>und</strong> kränzen es ein.<br />

Heute Morgen sah ich, daß sich die erste Blüte erschlossen hatte. Es<br />

regnet leise <strong>und</strong> heimlich, <strong>und</strong> ein paar glitzernde Tropfen hängen wie<br />

Diamanten in den feinen Blumenblättern. – Und wie ich hinsehen<br />

muß, wieder <strong>und</strong> immer wieder, <strong>und</strong> der Regen so weich <strong>und</strong><br />

träumend in mein Gesicht sprüht, da ist es mir, als hingen die ganzen<br />

Ranken voll zarter, weißroter Blüten. Wie weiße Arme umschlangen<br />

sie dein Fenster, als ob die Sehnsucht <strong>und</strong> die Schönheit Einlaß zu dir<br />

Märten, Lu: Frauenbewegung. In: GL, 15/ 08/ 19.11.1905/ 48.


9.Holz, Arnold: Weltgeschichte (1907)<br />

8<br />

Bohm, Klara: Rosen. In: GL, 16/ 13/ 27.06.1906/ 90.<br />

begehrten.<br />

Und ich denke an all das süße duftende Leben, welches so eine kleine<br />

Knospe <strong>und</strong> Blüte in sich schließt. Ich denke an das kurze Leben <strong>und</strong><br />

an das schnelle Vergehen.<br />

Da öffnest du das Fenster <strong>und</strong> siehest hinaus in den jungen Tag. In<br />

deinen schimmernden Augen liegt noch der Traum der Nacht, mit<br />

halbgeöffneten Lippen atmest du die reine frische Morgenluft, <strong>und</strong><br />

deine Arme strecken sich hinaus in den weichen Sommerregen.<br />

Da siehst du die erschlossene Rose. Schnell beugst du dich nieder,<br />

deine Hand hebt die Blüte wie zum Licht empor, <strong>und</strong> scheu <strong>und</strong> leise<br />

küssen deine Lippen die glitzernden Tropfen aus dem zarten<br />

Blütenhauch.<br />

Wie du wieder aufblickst, ist der Traum aus deinen Augen<br />

verschw<strong>und</strong>en, aber ein Leuchten ist in ihnen, wie das Ahnen des<br />

kommenden Sommertags.<br />

Du hast mich nicht gesehen. Dein leuchtender Blick ging in ewige<br />

Fernen. Und du sollst mich nicht sehen. –<br />

Leise gehe ich vom Fenster zurück.<br />

Wenn die erste Rose am Morgen erblüht <strong>und</strong> ein junges Menschenkind<br />

zum erstenmal das Glück durch die Welt schreiten ahnt, dann darf<br />

niemand den heiligen Augenblick stören. – Morgen werden an allen<br />

Ranken Rosen blühen. 8<br />

Heimlich durchwandert die Nacht den Tann,<br />

Duftend im Vollmond schwanken die Gräser;<br />

Alles schläft! Nur ein steinalter Mann<br />

Putzt sich geschäftig die Brillengläser.<br />

Nimmt sich ein Prischen <strong>und</strong> sagt: Hätschi!<br />

Ich bin der achte der sieben Weisen!<br />

Ach, <strong>und</strong> er merkt es nicht einmal, wie<br />

Ueber ihm leuchtend die Sterne kreisen!<br />

Sehnsüchtig harft durch die Zweige der Wind,<br />

Blüten erschließen sich, Knospen schwellen;<br />

Alles still! Nur der Nachttau rinnt<br />

Und von den Bergen her rauschen die Quellen.<br />

Raune nur traumhaft, du dunkle Natur,<br />

Raune das Rätsel der Elemente,<br />

Hat doch der alte Graukopf nur<br />

Sinn für Bücher <strong>und</strong> Pergamente!<br />

Wenn er nur schnüffeln <strong>und</strong> büffeln kann,<br />

Mag dreist dies Sonnensystem erkalten;<br />

Ihm ist’s schon recht, denn was geht es ihn an,<br />

Daß sich die Welten wie Blumen entfalten?<br />

Festgeleimt an den Stuhl das Gesäß,<br />

Fängt er sich Grillen <strong>und</strong> mästet sich Motten,<br />

Hüstelt <strong>und</strong> schreibt gelehrte Essays<br />

Ueber Assyrer <strong>und</strong> Hottentotten.<br />

XIII


Tintenfässer bilden Spalier,<br />

Goldstreusand <strong>und</strong> Radiermesser blinken,<br />

Ganze Ballen von Schreibpapier<br />

Liegen bekritzelt ihm schon zur Linken.<br />

Säuberlich hat er drin aufnotiert<br />

Jede Schlacht <strong>und</strong> jedes Gemetzel,<br />

Neben Napoleon figuriert<br />

Kaiser Tiber <strong>und</strong> der Hunnenchan Etzel.<br />

Ekelerregend mit jedem Band<br />

Schwillt das Gemengsel von Blut, Fleisch <strong>und</strong> Knochen;<br />

Leute wie Sokrates, Shakespeare <strong>und</strong> Kant<br />

Werden nur so nebenbei besprochen.<br />

Weltharmonie <strong>und</strong> Sphärenmusik<br />

Können ihm vollends gestohlen bleiben;<br />

Interessanter ist schon die Rubrik,<br />

Wie sich die Kaiser von China entleiben!<br />

Also sitzt er <strong>und</strong> schmiert <strong>und</strong> schmiert<br />

Tote Zahlen <strong>und</strong> trockne Berichte,<br />

Bis er dann endlich „Schluß“ drunter kliert<br />

Und auf das Titelblatt: „Weltgeschichte“.<br />

Weltgeschichte! O blutiger Hohn!<br />

Uralter Hymnus auf die Borniertheit!<br />

Wann, o wann kommt des Menschen Sohn,<br />

Der dich erlöst aus deiner Vertiertheit?<br />

Immer noch brütet die alte Nacht<br />

Grauenvoll über den Völkern der Erde,<br />

Aber schon seh‘ ich rotlodernd entfacht<br />

Flammen des Geistes auf ewigem Herde.<br />

Freiheit <strong>und</strong> Gleichheit <strong>und</strong> Brüderlichkeit<br />

Jubelt die neugeborene Trias!<br />

Freu dich, mein Herz, denn die goldene Zeit<br />

Dämmert <strong>und</strong> predigen wird der Messias:<br />

Lebt in Frieden <strong>und</strong> baut euer Zelt,<br />

Viel, ach, müßt ihr noch lehren <strong>und</strong> lernen;<br />

Ein Herz schlägt durch die ganze Welt,<br />

Ein Geist flutet von Sternen zu Sternen.<br />

Ruft drum als Losung von Land zu Land:<br />

Eins sei die Menschheit von Zone zu Zone!<br />

Erst wenn sie staunend sich selbst erkannt,<br />

Dann erst ist sie der Schöpfung Krone! 9<br />

10.Freiligrath, Ferdinand von: Nach Johanna Kinkels Begräbnis (1908)<br />

9<br />

XIV<br />

20. November 1858.<br />

Zur Winterszeit in Engelland,<br />

Versprengte Männer, haben<br />

Wir schweigend in den fremden Sand<br />

Die deutsche Frau begraben.<br />

Der Rauhfrost hing am Heidekraut,<br />

Holz, Arno: Weltgeschichte. In: GL, 17/ 23/ 11.11.1907/ 204.


Doch sonnig lag die Stätte,<br />

Und sanften Zugs hat ihr geblaut<br />

Der Surreyhügel Kette.<br />

Um Ginster <strong>und</strong> Wacholderstrauch<br />

Schwang zirpend sich die Meise,-<br />

Da wurde dunkel manches Aug',<br />

Und mancher schluchzte leise;<br />

Und leise zitterte die Hand<br />

Des Fre<strong>und</strong>es, die bewegte,<br />

Die auf den Sarg das rote Band,<br />

Den grünen Lorbeer legte.<br />

Die mutig Leben sie gelehrt<br />

Und mut'ge Liederweisen,<br />

Am offnen Grabe stand verstört<br />

Das Häuflein ihrer Waisen;<br />

Und fest, ob auch wie quellend Blut<br />

Der w<strong>und</strong>en Brust entrungen,<br />

Ist über der verlaßnen Brut<br />

Des Vaters Wort erklungen.<br />

So ruh' denn aus in Luft <strong>und</strong> Licht!<br />

Und laß uns das nicht klagen,<br />

Daß Drachenfels <strong>und</strong> Ölberg nicht<br />

Ob deinem Hügel ragen!<br />

Daß er nicht glänzt im Morgentau,<br />

Noch glüht im Abendscheine,<br />

Wo durch Geländ' <strong>und</strong> Wiesenau<br />

Die Sieg entrollt zum Rheine!<br />

Wir senken in die Gruft dich ein,<br />

Wie einen Kampfgenossen;<br />

Du liegst auf diesem fremden Rain,<br />

Wie jäh vorm Feind erschossen;<br />

Ein Schlachtfeld auch ist das Exil -<br />

Auf dem bist du gefallen,<br />

Im festen Aug' das EINE Ziel,<br />

das EINE mit uns allen!<br />

Drum hier ist deine Ehrenstatt,<br />

In Englands wilden Blüten;<br />

Kein Gr<strong>und</strong>, der besser Anrecht hat<br />

Im Sarge dich zu hüten!<br />

Ruh' aus, wo du gestritten!<br />

Für dich kein stolzer Leichenfeld,<br />

Als hier im Land der Briten!<br />

Die Luft, so dieses Kraut durchwühlt<br />

Und dieses Graseswellen,<br />

Sie hat mit Miltons Haar gespielt,<br />

Des Dichters <strong>und</strong> Rebellen;<br />

Sie hat geweht mit frischem Hauch<br />

In Cromwells Schlachtstandarten;<br />

Und dieses ist ein Boden auch,<br />

Drauf seine Rosse scharten!<br />

Und auf von hier zum selben Bronn<br />

XV


10<br />

XVI<br />

Des goldnen Lichtes droben<br />

Hat Sidney, jener Algernon,<br />

Sein brechend Aug' erhoben;<br />

Und oft wohl an den Hügeln dort<br />

IHR Aug' ließ Rahel hangen, -<br />

Sie, Russels Weib, wie du der Hort<br />

Des Gatten, der gefangen!<br />

Die sind's vor allen, diese vier!<br />

Dies Land, es ist das ihre!<br />

Und sie beim Scheiden stellen wir<br />

Als Wacht an deine Türe!<br />

Die deinem Leben stets den Halt<br />

Gegeben <strong>und</strong> die Richtung, -<br />

Hier stehn sie, wo dein Hügel wallt:<br />

Freiheit <strong>und</strong> Lieb' <strong>und</strong> Dichtung!<br />

Fahr wohl! <strong>und</strong> daß an mut'gem Klang<br />

Es deinem Grab nicht fehle,<br />

So überschütt' es mit Gesang<br />

Die frühste Lerchenkehle!<br />

Und Meerhauch, der dem Freien frommt,<br />

Soll flüsternd es umspielen,<br />

Und jedem, der hier pilgern kommt,<br />

Das heiße Auge kühlen! 10<br />

Freiligrath, Ferdinand von: Nach Johanna Kinkels Begräbnis. 20. November 1858. Entnommen aus:<br />

Schwering, Julius (Hrsg.): Freiligraths Werke. Dritter Teil. Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart: Deutsches<br />

Verlagshaus Bong & Co., o.A., S. 9-11. Vgl. auch: Blos, Anna: Auch eine Heldin. In: GL, 18/ 10/ 11.05.1908/<br />

89.


11.Döltz, Emma: Wir rufen Euch. (1911)<br />

11<br />

Heraus, ihr Frauen, aus Haus <strong>und</strong> Fabrik,<br />

Jetzt gilt’s, euer Recht zu erringen.<br />

Aus dumpfer Stube, aus gift’gem Betrieb,<br />

Aus des Alltags ehernen Schlingen,<br />

Heraus zum Kampf. Weh‘ über die Frau’n,<br />

Die heute nicht mit uns gehen;<br />

Nur stumpfen Sinn’s auf sich selber schau’n,<br />

Doch sich <strong>und</strong> die Zeit nicht verstehen.<br />

Jahrtausende lasten auf unsrem Geschlecht,<br />

Und der freie Geist schien zu schlafen.<br />

Mit Füßen getreten ward unser Recht<br />

Und gelobt nur die Tugend der Sklaven.<br />

Doch ein Ende hat auch die finsterste Nacht,<br />

Nun gilt es, den Morgen zu schauen.<br />

Heraus, ihr Frauen der Arbeit, erwacht,<br />

Und helft uns die Zukunft bauen.<br />

Wen kümmert’s, wie schwer unser Leben verrinnt?<br />

Man sagt uns: dulde <strong>und</strong> liebe.<br />

Und reißt von der säugenden Brust uns das Kind,<br />

Stößt hinein uns ins Wirthschaftsgetriebe.<br />

Wenn nachts der Lärm der Maschine schweigt,<br />

Erloschen des Herdes Flammen,<br />

Dann sitzen wir noch, vornübergebeugt,<br />

Und flicken die Lumpen zusammen.<br />

Mit unsrem geknechteten, harten Los<br />

Bezahlen die Herrn ihre Schulden.<br />

Wir ziehen dem Staate die Kinder groß<br />

Und sollen doch schweigen <strong>und</strong> dulden.<br />

Wir schaffen mit flinken Händen die Pracht,<br />

Mit der sich die Reichen umgeben.<br />

Nun wollen wir aus des Elends Nacht<br />

Unsre fordernde Stimme erheben.<br />

Sie stellen Gesetze <strong>und</strong> Rechte auf,<br />

Wir sollen vor ihnen uns beugen.<br />

Sie halten die Hand an des Schwertes Knauf,<br />

Um uns seine Schärfe zu zeigen.<br />

Sie sprechen heuchelnd, mit lüsternem Trug:<br />

“Die Freiheit des Weibes ist sündig.”<br />

Wir aber sagen: Nun ist es genug.<br />

Und sprechen uns selber mündig.<br />

Wir wollen in längst überlebten Brauch<br />

Uns nicht mehr geduldig fügen.<br />

Und steht eine Welt von Feinden auf:<br />

Wir wollen kämpfen <strong>und</strong> siegen.<br />

Wir werden siegen. Das Rad der Zeit<br />

Läßt sich nicht rückwärts drehen;<br />

Und über die Hindernisse von heut<br />

Wird morgen donnernd es gehen. 11<br />

Döltz, Emma: Wir rufen euch. In: GL, 21 (1911)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 11/ 41.<br />

XVII


12.Döltz, Emma: Wir können euch doch schlagen! (1912)<br />

12<br />

XVIII<br />

Es braust ein Sturm durchs deutsche Land,<br />

Der bricht das Morsche nieder.<br />

Das Volk erhebet hoch sein Haupt<br />

Und reckt die kräft’gen Glieder.<br />

Sein Zorneslied durchschallt die Welt<br />

In diesen Kampfestagen,<br />

Wie Donner klingt’s – <strong>und</strong> nur wir Frau’n:<br />

Wir haben nichts zu sagen.<br />

Wohl hat man uns, dem Manne gleich,<br />

In harte Fron geschmiedet,<br />

Mit flinken Händen schaffen wir,<br />

Was euch das Leben bietet.<br />

Für uns die Qual durchwachter Nacht,<br />

Ums Brot das bange Zagen.<br />

Wir bauen an der Zukunft, doch:<br />

Wir haben nichts zu sagen.<br />

Was immer man zum Leben braucht,<br />

Ihr sucht’s uns zu verteuern,<br />

Nehmt unsrer Kinder letztes Brot<br />

Durch Zölle <strong>und</strong> durch Steuern.<br />

Doch wollen wir: “Wo bleibt das Geld?”<br />

Mit lauter Stimme fragen,<br />

Lacht ihr uns höhnisch ins Gesicht:<br />

Wir haben nichts zu sagen.<br />

Ihr pochet wohl auf die Armee<br />

Und rasselt mit den Spießen,<br />

Doch sind es unsre Jungen nur,<br />

Die die Kolonnen schließen.<br />

Die Mutter zog den Jüngling groß,<br />

Der sich im Feld soll schlagen,<br />

Doch welchem Feind die Kugel gilt:<br />

Das hat sie nicht zu sagen.<br />

Ihr hämmertet ein neu Gesetz,<br />

Verziert mit alten Stücken,<br />

Damit ihr mit dem Schein des Rechts<br />

Uns tiefer könnet drücken.<br />

Wenn Witwen <strong>und</strong> wenn Waisen um<br />

Betrogene Hoffnung klagen,<br />

Euch kümmert’s nicht! Es sind nur Frau’n:<br />

Die haben nichts zu sagen.<br />

Doch Not <strong>und</strong> Elend trieb auch uns<br />

Empörung in die Wangen.<br />

Wir wollen unser gutes Recht<br />

Im rauhen Kampf erlangen.<br />

Und dürfen wir im Parlament<br />

Nicht unsre Meinung sagen,<br />

So zeigen wir durch die Partei:<br />

Wir können euch doch schlagen! 12<br />

Döltz, Emma: Wir können Euch doch schlagen! In: GL, 22/ 08/ 08.01.1912/ 122.


13.Scherz, Betty: Wir Frauen. (1915)<br />

14.Fürth, Henriette: Die rote Fahne (1919)<br />

13<br />

14<br />

Wir Frauen in des Alltags Joch,<br />

Wir hoffen doch, wir harren doch –<br />

Ist sie auch weit, es kommt die Zeit<br />

Der freien, frohen Menschlichkeit.<br />

Noch lastet schwer auf uns die Not,<br />

Die Sorg‘ ums Brot, – die Not ums Brot,<br />

Doch tragen w i s s e n d wir das Joch –<br />

Und hoffen doch! Und kämpfen doch!<br />

Und wissen, daß nach Kampf <strong>und</strong> Leid<br />

Erstrahlt das Licht der Menschlichkeit! 13<br />

Wir lagen am Boden <strong>und</strong> ächzten schwer,<br />

Und über uns brauste das Wetter her.<br />

Voll Feinde die Welt.<br />

Die setzten uns auf den Nacken den Fuß<br />

Und sandten uns grimmigen Hohn zum Gruß.<br />

Unser Wehruf gellt.<br />

Da rauschte empor unsres Herzens Blut,<br />

Da loderte unseres Zornes Glut.<br />

Wir machten uns frei.<br />

Zersprengten die Fesseln, die uns umkrallt;<br />

Da war der Fürsten Herrschergewalt<br />

Zerspellt <strong>und</strong> vorbei.<br />

Hoch flattert die Fahne. Die Fahne ist rot.<br />

Die färbte mit Herzblut Gevatter Tod.<br />

Die Farbe hält.<br />

Die rote Fahne geht uns voran.<br />

Wir folgen der Fahne, Weib <strong>und</strong> Mann,<br />

Und zwingen die Welt. 14<br />

Scherz, Betty: Wir Frauen. In: GL, 25/ 08/ 09.01.1915/ 43.<br />

Fürth, Henriette: Die rote Fahne. In: GL, 29/ 7/ 03.01.1919/ 49.<br />

XIX


15.Stahl, Artur: Frauenwahlrechts-Marseillaise (1919)<br />

15<br />

XX<br />

Eilt an die Urne, Arbeitsschwestern,<br />

Die Freiheit ruft, der Sieg ist nah!<br />

Er muß so allgewaltig werden,<br />

Wie ihn die Welt noch niemals sah!<br />

Auf euch ist heut in allen Gauen<br />

Der Blick des Volkes hingewandt,<br />

Drum reicht uns schwesterlich die Hand<br />

Und habt in eure Macht Vertrauen!<br />

Der Geist der neuen Zeit,<br />

Er finde euch bereit!<br />

Wohlan, es ruht in eurem Schoß<br />

Der Menschheit Zukunftslos!<br />

Traut nicht der List, die euch umgarnet<br />

Und nachher spottet eurer Not!<br />

Sie sucht die Sinne zu betören<br />

<strong>und</strong> bietet Steine nur für Brot!<br />

Der Sozialismus ist das Zeichen,<br />

Das keine Winkelzüge liebt<br />

Und euch das Licht des Lebens gibt,<br />

Vor dem die Dunkelmänner weichen!<br />

Der Geist der neuen Zeit,<br />

Er finde euch bereit!<br />

Wohlan, es ruht in eurem Schoß<br />

Der Menschheit Zukunftslos!<br />

Wer gab euch denn die Menschenrechte,<br />

Die ihr jetzt endlich üben sollt?<br />

Des feilen Mammons schnöde Knechte,<br />

Die münzten nie dies lautre Gold!<br />

Sie brachten Elend <strong>und</strong> Verderben<br />

Und Krieg nur unserm Vaterland,<br />

Nun wir dies Schreckgespenst gebannt,<br />

Versuchen Sie uns zu enterben!<br />

Der Geist der neuen Zeit,<br />

Er finde euch bereit!<br />

Wohlan, es ruht in eurem Schoß<br />

Der Menschheit Zukunftslos!<br />

Drum helft die Freiheit uns beschützen<br />

Und macht euch selber wahrhaft frei!<br />

Nicht ziemt’s, das Alte noch zu stützen,<br />

Schafft, daß der Sieg vollkommen sei!<br />

Mag sich die Reaktion auch spreizen,<br />

Die nur um eure Stimmen buhlt,<br />

Ihr seid fürwahr genug geschult,<br />

Um Spreu zu scheiden von dem Weizen!<br />

Der Geist der neuen Zeit,<br />

Er finde euch bereit!<br />

Wohlan, es ruht in eurem Schoß<br />

Der Menschheit Zukunftslos! 15<br />

Stahl, Artur: Frauenwahlrechts-Marseillaise. In: GL, 29/ 08/ 17.01.1919/ 64.


16.Müller-Jahnke, Klara: Den Frauen. (1919)<br />

16<br />

Den Frauen einen Frühlingsgruß!<br />

Euch allen, die in Fron <strong>und</strong> Mühen<br />

Ihr dornenreiche Pfade geht,<br />

Euch sollen Maienrosen blühen!<br />

Greift lachend in die rote Pracht:<br />

Ein Morgen glüht, den keine Wolke<br />

In schwarze Schatten hüllen wird,<br />

Ein Festtagsmorgen allem Volke!<br />

Den Frauen einen Maiengruß!<br />

Ihr tragt die Zukunft unterm Herzen,<br />

Ihr säugt die Freiheit an der Brust, –<br />

Das ist ein heilig Recht der Schmerzen:<br />

Das ist ein göttlich Frauenrecht,<br />

Das haltet fest mit starkem Wollen …<br />

Und eure rote Blume blüht,<br />

Wenn rings umher die Wetter grollen.<br />

Und ob ihr wohnt am Seinestrand,<br />

An Skandinaviens Felsentoren,<br />

Ob Londons Nebel euch umspinnt,<br />

Ob Rußlands Steppe euch geboren,<br />

Ob euch Italiens Sonne scheint,<br />

Ob euch Germaniens Eichenstärke<br />

Die Muskeln spannt: ich rufe euch<br />

Zu einem großen Maienwerke!<br />

Den Haß, der die Nationen trennt,<br />

Soll eure Liebe überwinden,<br />

Wenn schwesterlich die Hände sich<br />

Zum letzten großen Kampfe finden.<br />

Des Sturmjahrh<strong>und</strong>erts Morgenschein<br />

Soll eurer Rechte Sieg verklären:<br />

Erst müßt ihr freie Menschen sein,<br />

Um freie Menschen zu gebären!<br />

Aus märchenblauen Zeiten klingt<br />

Ein Segenswort: den Fluch des Bösen,<br />

Der auf das Haupt der Menschheit fiel,<br />

Wird einst die Hand des Weibes lösen.<br />

Aus Lügenschlamm <strong>und</strong> Gassenstaub<br />

Wird sie den Schatz der Wahrheit heben<br />

Und segnend ihn als Hort des Rechts<br />

Den kommenden Geschlechtern geben.<br />

Den Frauen einen Segensgruß!<br />

Aus alter Kindermärchen Klarheit<br />

Lacht hell in all den Sonnenglanz<br />

Das heilige Angesicht der Wahrheit.<br />

Kein Traumglück mehr, kein Sehnsuchtslaut.<br />

Es gilt der Kampf! auch euch, den Frauen.<br />

Und eure Kinder werden einst<br />

Der Freiheit Maitag feiernd schauen! 16<br />

Müller-Jahnke, Klara: Den Frauen. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/ 122.<br />

XXI


17.Heilbut, Kurt: Zwei Mütter. (1919)<br />

18.Fürth, Henriette: Den Frauen. (1919)<br />

17<br />

18<br />

XXII<br />

Wie ich so unter den Bäumen lag,<br />

Sah ich zwei Mütter. – Die erste sprach,<br />

Den Blondkopf stolz gen Himmel gewandt:<br />

„Drei Söhne gab ich dem Vaterland!<br />

Der erste fiel stürmend in vorderster Reihn,<br />

Dem zweiten zerriß die Granate das Bein,<br />

Der dritte kämpft in Berg <strong>und</strong> Tal –<br />

Teil der Mauer von Eisen <strong>und</strong> Stahl.<br />

Und ob auch ihn der Tod einst küßt:<br />

Wenn nur die Heimat gerettet ist!“<br />

Die zweite senkte weinend das Haupt:<br />

„Drei Söhne hat der Krieg mir geraubt!<br />

Der erste ruht auf dem Meeresgr<strong>und</strong>,<br />

Der zweite heimkehrte weh <strong>und</strong> w<strong>und</strong>,<br />

Der dritte, der jüngste, der Heimat verbannt,<br />

Lebt noch, gefangen in Feindesland. –<br />

Mich freut kein Lenz mehr, mich freut kein Sieg:<br />

Drei Söhne nahm mir der Moloch Krieg!<br />

Drei – dem schaffenden Leben geboren,<br />

Ums Leben betrogen, der Freude verloren. …“<br />

Und wie sie still vorüber ging,<br />

War mir’s, als flocht der Sonne Licht<br />

Dicht um ihr Haupt einen goldenen Ring.<br />

Ich aber neigte mich, da sie ging,<br />

Tief vor dem heiligen Angesicht. 17<br />

Frauen! Mütter! Es ward unser Tag!<br />

Nun möge kommen, was komme mag.<br />

Nun müssen Mut <strong>und</strong> Kraft wir spenden<br />

Und Segen <strong>und</strong> Sonne mit Mutterhänden,<br />

Daß unserm Volk in des Todes Nacht<br />

Noch einmal die Sonne des Lebens lacht.<br />

Lasset uns aufrecht zum Tode gehen.<br />

Das wir lebten, das Sein war schön.<br />

Es war der Arbeit, der Sorgen voll,<br />

Und doch von Segen es überquoll.<br />

Nun ist es vorbei. Wir klagen nicht.<br />

Es trifft uns schuldlos ein schwer Gericht.<br />

Wir bleiben aufrecht, wie tief es auch traf,<br />

Und sterben so. Lieber tot als Sklav. 18<br />

Heilbut, Kurt: Zwei Mütter. In: GL, 29/ 17/ 23. 05.1919/ 130.<br />

Fürth, Henriette: Den Frauen. In: GL, 29/ 18/ 06.06.1919/ 141.


19.Heilbut, Kurt: An Bebel (1919)<br />

20.Negri, Ada: Mutterliebe (1920)<br />

19<br />

Wir Frauen – ein minderwertig Geschlecht,<br />

Verhöhnt, verachtet, ohne Recht.<br />

Man sagte uns stets: die Geschichte lehrt,<br />

Daß dem Mann allein die Herrschaft gehört.<br />

Daß die Frau nichts versteht von des Lebens Nöten<br />

Als das Haus zu hüten <strong>und</strong> höchstens – zu beten.<br />

Du aber rissest der Weltgeschicht‘<br />

Die verlogene Maske vom Gesicht:<br />

Daß auch die Frau bestimmt sei<br />

Als Mensch zu leben, geachtet <strong>und</strong> frei.<br />

Daß wir nimmer die Menschheit zur Freiheit führen,<br />

Eh‘ nicht die Frau’n ihre Ketten verlieren.<br />

Daß wir von allen am meisten verehren<br />

Die Mütter, die uns dem Leben gebären!<br />

Arbeiter <strong>und</strong> Frau –<br />

Beide entrechtet,<br />

Beide geknechtet –<br />

Du wiesest ihrem suchenden Blick<br />

Den Weg in die Freiheit, den Weg zum Glück!<br />

Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Führer, dein Wort noch besteht,<br />

Wenn du schon längst im All verweht.<br />

Wir tragen dich in uns gleich einem Panier,<br />

Arbeiter <strong>und</strong> Frau – wir danken dir! 19<br />

In der Fabrik, bei rauher Wollarbeit,<br />

Wo lauter Lärm den weiten Raum durchklingt!<br />

Und kreischend Rad um Rad sich schwingt!<br />

Und tausend Frau’n hinwelken vor der Zeit,<br />

Müht sie sich ab schon mehr als ein Jahrzehnt;<br />

Die Schiffchen fliegen leicht durch ihre Hand,<br />

Und das Geräusch, das unverwandt<br />

Gleich einem Ungewitter um sie dröhnt,<br />

Sie merkt es kaum. – So müde ist sie meist,<br />

So müde, daß sie fast zusammenbricht;<br />

Und doch die bleiche Stirne spricht<br />

<strong>Von</strong> Festigkeit <strong>und</strong> ungebeugtem Geist;<br />

Sie scheint zu sagen: Vorwärts! … Welch‘ Geschick,<br />

Würf‘ Krankheit eines Tages zu Boden sie<br />

Und die Unsel’ge könnte nie,<br />

Ach nie auf ihren Posten mehr zurück! …<br />

Sie darf <strong>und</strong> kann es nicht. – Ihr einz’ger Sohn,<br />

der große Stolz in ihrer Dürftigkeit,<br />

Auf dessen Stirne ernst <strong>und</strong> breit<br />

Heilbut, Kurt: An Bebel. In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210.<br />

XXIII


20<br />

XXIV<br />

Des Genius Götterflug sie ahnet schon,<br />

Ihr Sohn studiert. – Und bei der Arbeit ringt<br />

Sie unermüdlich <strong>und</strong> gibt tropfenweis<br />

Ihr Leben hin bei Müh‘ <strong>und</strong> Schweiß,<br />

Indem sie stumm sich selbst zum Opfer bringt;<br />

Und gibt ihr Alter jetzt so freudig hin,<br />

Wie einstmals ihre schöne Jugendzeit,<br />

Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> die Süßigkeit<br />

Der Ruhe auch, die heil’ge Dulderin;<br />

Allein ihr Sohn studiert. – In hellem Licht<br />

Steht seine Zukunft groß vor ihrem Blick,<br />

Und um sein braunes Haupt das Glück<br />

<strong>Von</strong> Gold <strong>und</strong> Lorbeer reiche Kränze flicht! …<br />

… In nied’rer Hütte, die kein Sonnenlicht<br />

Erreicht, studiere tapfer nur, du Sohn<br />

Des Volkes, dem aus den Augen schon<br />

Des Genius tief Geheimnis spricht.<br />

O wahre dir die starken Muskeln nur,<br />

Die frische Energie, das warme Blut<br />

Den stolzen ungebeugten Mut<br />

Der reinen, ungezähmten Volksnatur.<br />

Um dir den Weg zu bahnen, stirbt sie arm<br />

Die gute Mutter, wirf noch einen Kuß<br />

Der Toten zu <strong>und</strong> einen Gruß, –<br />

Und stürz‘ entgegen dich dem Feindesschwarm.<br />

Zum Kampf mit Wort <strong>und</strong> Feder sei bereit,<br />

Zeig‘ neue Horizonte, licht <strong>und</strong> schön<br />

Und ungeahnte Strahlenhöh’n<br />

Der alten, matt <strong>und</strong> stumpf geword’nen Zeit.<br />

Und ehrlich, unverdorben sei <strong>und</strong> rein,<br />

Es setzte deine Mutter voller Qual,<br />

Im lärmend lauten Arbeitssaal,<br />

Ihr Leben ja als Opfer für dich ein. 20<br />

Negri, Ada: Mutterliebe. In: GL, 30/ 32/ 07.08.1920/ 257 (Titelblatt).


21.Bohm-Schuch, Klara: Zum 9. November 1918. (1920)<br />

21<br />

Blutumrauschet <strong>und</strong> tränenschwer<br />

Zogen die Jahre,<br />

Hart <strong>und</strong> leer<br />

War unser Leben,<br />

Todumdroht<br />

Gingen wir hin<br />

Durch all die Not.<br />

Männer starben,<br />

Kinder verdarben,<br />

Wir schafften ums Brot.<br />

Bis unser Tag kam!<br />

November war es voll Frühlingsluft,<br />

Voll Lerchenschlag <strong>und</strong> Veilchenduft,<br />

November, wie kaum ihn Menschen gesehn<br />

Voll Drängen <strong>und</strong> Werden <strong>und</strong> Auferstehn.<br />

Aus all den Strömen von jungen Blut<br />

Wuchs eines Volkes Verzweiflungsmut.<br />

Es rüttelt hart an der Zwingburg Tor,<br />

Und siehe, Menschen strömten hervor,<br />

Zur Freiheit, zur Sonne, zum Menschensein!<br />

Klirrend zersprangen Ketten <strong>und</strong> Schein.<br />

Opfer fielen mit jauchzendem Schrei<br />

Auf sterbenden Lippen:<br />

Unser Volk ist frei!<br />

Frei wurden auch wir, wir geknechteten Frau’n!<br />

Wir dürfen froh auf zur Sonne schau’n.<br />

Dürfen lieben das heilige Leben.<br />

Rein ist die Seele,<br />

Flammendurchloht.<br />

Irrtum <strong>und</strong> Fehle,<br />

Schmerz <strong>und</strong> Not<br />

Läßt der Liebe heiligen Schein<br />

Heller nur leuchten, welthinein!<br />

Tag der Erlösung aus schmachvoller Qual<br />

Wir grüßen dich heut zum zweiten Mal.<br />

Du bist der Wahrstein der wollenden Kraft<br />

Die in den Tiefen des Volkes schafft, –<br />

Das Land voll Freiheit <strong>und</strong> Erdenglück<br />

Du zeigest es dem umflorten Blick.<br />

Wegleuchte der Zukunft auf dunkelem Pfad –<br />

Du Tag des Wollens, du Tag der Tat! 21<br />

Bohm-Schuch, Klara: Zum 9. November 1918. In: GL, 30/ 45/ 06.11.1920/ 365 (Titelblatt).<br />

XXV


22.Bohm-Schuch, Clara: [Und wieder wehet …] (1922)<br />

22<br />

XXVI<br />

Und wieder wehet linde Frühlingsluft,<br />

Und wieder sprießt um uns das neue Leben.<br />

Millionen Keime sprengen ihre Gruft<br />

Und wollen sich empor zum Lichte heben.<br />

Die alten Linden treibt’s mit wilder Kraft,<br />

Bald werden über Nacht die Knospen springen,<br />

Aus schlanken Birken quillt der Lebenssaft<br />

Und durch die ganze Pracht ein jubelndes Klingen.<br />

Durchs Herze aber geht mit wildem Schrei<br />

Die Sehnsucht nach dem Neugeborenwerden,<br />

Ein einzig lautes, wildes „Mach uns frei“,<br />

Komm zu uns, Glück, komm zu uns schon auf Erden!<br />

Die Sehnsucht stille hier, wir trachten nicht<br />

Vermessen nach den lichten Aetherhöhen,<br />

Zeig uns nur hier dein holdes Angesicht,<br />

Und laß uns nicht in Elendsqual vergehen.<br />

Sind wir nicht alle Kinder jenes Lichts,<br />

Das Knospenträume weckt <strong>und</strong> Früchte reifet?<br />

Und von dem goldnen Glanze ward uns nichts<br />

Als daß die Sehnsucht unsre Seelen streifet!<br />

Auch uns gehört der Erde Blütenpracht,<br />

Auch unser sei des Lebens Schönheitsfülle,<br />

Der Sehnsucht Flamme ist in uns entfacht,<br />

An ihr erstarke unser trotz’ger Wille.<br />

Wir wollen freigebor’ne Menschen sein!<br />

Wir woll’n kein Trugglück in des Himmels Höhen,<br />

Wir wollen hier der Sonne goldnen Schein!<br />

Wir wollen hier dem Glück ins Antlitz sehen!<br />

Wir wollen! Treu <strong>und</strong> fest sei dieser Schwur!<br />

Hört ihr den Jubelklang auf allen Wegen?<br />

Ein Rauschen geht durch Wald <strong>und</strong> Feld <strong>und</strong> Flur.<br />

Stolz schreiten wir dem Sonnentag entgegen. 22<br />

Bohm-Schuch, Clara: [Und wieder wehet …]. In: GL, 32/ 08/ 15.04.1922/ 69.


7.2 Tabellen<br />

1. Aufstellung früher regionaler proletarischer Frauenorganisationen.........................XXVIII<br />

2. Entstehung <strong>und</strong> Entwicklung von Frauenorganisationen 1865 – 1908<br />

in Anzahl der Verbände................................................................................................XXIX<br />

3. Die dargestellten Frauenzeitschriften im Vergleich......................................................XXX<br />

4. Die wichtigsten Zeitschriften der deutschen Frauenbewegung...................................XXXI<br />

5. Geschäftsjahresabrechnungen der „Gleichheit“1902-1913......................................XXXIII<br />

6. Zuschüsse an zentrale Parteiorgane im Jahre 1921 in Mark.....................................XXXIV<br />

7. Abonnentinnen der “Gleichheit” 1902-1923 ....................................................................35<br />

8. Preisentwicklung der „Gleichheit“ (in Mark)...........................................................XXXVI<br />

9. Zahl der <strong>weiblichen</strong> Vertrauenspersonen (bis 1907) <strong>und</strong><br />

Vorstandsmitglieder (ab 1909) 1901-1912 .............................................................XXXVII<br />

10. Die Berufe führender Sozialdemokratinnen, ihrer Ehemänner <strong>und</strong> Väter.............XXXVIII<br />

11. Mitglieder der sozialdemokratischen Frauenbewegung 1901-1907 ........................XXXIX<br />

12. Übersicht über die Fluktuation weiblicher SPD-Mitglieder 1906-1931..........................XL<br />

XXVII


1.Aufstellung früher regionaler proletarischer Frauenorganisationen 23<br />

23<br />

Ort Vereinsname Gründungsjahr<br />

Frauen- <strong>und</strong> Mädchenbildungs-Verein für Berlin <strong>und</strong><br />

Umgegend<br />

Verein der Plätterinnen <strong>und</strong> verwandten Berufsgenossen<br />

Verein der in der Hutfabrikation beschäftigten Arbeiterinnen<br />

Verein der Arbeiterinnen an Buch- <strong>und</strong> Steindruck-<br />

Schnellpressen<br />

Freie Vereinigung der in der Blumen- <strong>und</strong> Putzfedern-<br />

Branche beschäftigten Arbeiter <strong>und</strong> Arbeiterinnen<br />

Verein der gewerblichen Hilfsarbeiter <strong>und</strong> Arbeiterinnen<br />

Berlins <strong>und</strong> Umgegend<br />

Verein der Arbeiter <strong>und</strong> Arbeiterinnen der Buch-, Papier- <strong>und</strong><br />

Lederwaren-Industrie<br />

1890<br />

?<br />

1890<br />

1891<br />

1890<br />

1892<br />

Mitglieder<br />

insgesamt<br />

Altona Frauen- <strong>und</strong> Mädchen-Verein für Ottensen <strong>und</strong> Umgebung 1887 91<br />

Berlin Allgemeiner Arbeiterinnen-Verein<br />

1888 270<br />

(vier Filialen)<br />

1892 112<br />

700<br />

100<br />

1.100<br />

67<br />

(58 Frauen)<br />

120<br />

541<br />

(70 Frauen)<br />

Bernau Textil-Arbeiter <strong>und</strong> Arbeiterinnen-Verein 1890 300<br />

(100 Frauen)<br />

Bernburg Bildungs-Verein für Frauen <strong>und</strong> Mädchen ? 100<br />

Bielefeld Freier Verein für Frauen <strong>und</strong> Mädchen 1890 50<br />

Bremen Arbeiterinnen-Verein<br />

1888 50<br />

Freie Vereinigung der Kistenbekleberinnen<br />

1890 60<br />

Breslau Arbeiterinnen-Verein aller Berufszweige 1892 152<br />

Dessau Frauen- <strong>und</strong> Mädchen-Verein Unverdrossen 1890 42<br />

Elberfeld Bildungs-Verein für Frauen <strong>und</strong> Mädchen des arbeitenden<br />

Volkes<br />

1892 210<br />

Forst Textil-Arbeiterinnen-Verein 1891 280<br />

Frankfurt a. M. Allgemeiner Arbeiterinnen-Verein 1891 119<br />

Freiburg Arbeiterinnen-Verein 1892 25<br />

Hamburg Zentral-Verein der Näherinnen<br />

Zentral-Verein der Frauen <strong>und</strong> Mädchen<br />

Zentral-Verein der Plätterinnen<br />

1891<br />

1892<br />

1889<br />

Hanau Arbeiterinnen-Verein 1891 260<br />

Herford Freie Vereinigung der Frauen <strong>und</strong> Mädchen 1890 32<br />

Köln Frauen- <strong>und</strong> Mädchen-Bildungsverein 1892 98<br />

Leipzig Fachverein der in Buchbindereien beschäftigten Arbeiter <strong>und</strong><br />

Arbeiterinnen<br />

? ?<br />

Liegnitz Bildungsverein für Frauen <strong>und</strong> Mädchen 1892 27<br />

Mainz Frauen <strong>und</strong> Mädchenverein 1891 80<br />

Mannheim Verein sozialistischer Mädchen <strong>und</strong> Frauen 1892 235<br />

München Bildungsverein für Frauen <strong>und</strong> Mädchen 1891 80<br />

Netzschkau Arbeiter- <strong>und</strong> Arbeiterinnen-Verein ? ?<br />

Nürnberg Frauen- <strong>und</strong> Mädchen-Bildungsverein 1892 65<br />

Offenbach Allgemeiner Frauen- <strong>und</strong> Mädchen-Verein 1891 135<br />

Rostock Frauen- <strong>und</strong> Arbeiterinnen-Verein 1891 44<br />

Sagan Frauen- <strong>und</strong> Mädchen- Bildungs-Verein 1892 50<br />

Sorau Textil-Arbeiterinnen-Verein 1890 140<br />

Stuttgart Verein der in Buchbindereien <strong>und</strong> verwandten Berufszweigen<br />

beschäftigten Arbeiter <strong>und</strong> Arbeiterinnen<br />

? 75 Frauen<br />

Wandsbek Frauen- <strong>und</strong> Mädchenverein Gleichheit 1892 50<br />

Tabelle erstellt nach: Ihrer, Emma: Die Organisation der Arbeiterinnen in Deutschland, ihre Entstehung <strong>und</strong><br />

Entwicklung, Berlin 1893 (ausgenommen der überregionalen Verbände), S. 8-15. Vgl. auch: Zorn,<br />

Proletarische Frauenbildung, S. 297f.<br />

XXVIII<br />

99<br />

85<br />

100


2.Entstehung <strong>und</strong> Entwicklung von Frauenorganisationen 1865 – 1908 in Anzahl der Verbände 24<br />

24<br />

Gründungsjahr Allgemeine<br />

Frauenorganisationen<br />

Berufliche<br />

Organisationen<br />

Soziale<br />

Organisationen<br />

Karitative<br />

Organisationen<br />

Bildungsorganisationen<br />

Politische<br />

Organisationen<br />

* R L O R L O R L O R L O R L O R L O<br />

vor 1865 - - - - - - - - 4 1 5 35 1 - 2 - - -<br />

1866-1880 1 - - 3 - 4 - - 9 - 3 25 1 - 17 - - -<br />

1881-1890 - - 3 3 1 26 1 1 5 2 1 17 - 1 3 - - -<br />

1891-1900 4 3 55 9 5 69 5 1 55 4 5 34 4 - 27 - - 1<br />

1901-1905 3 7 122 8 8 87 2 1 56 1 10 35 1 1 20 2 2 2<br />

1906-1908 1 4 95 5 26 104 2 1 44 - 4 14 2 1 12 1 5 16<br />

unbekannt - - 12 - 1 99 1 - 5 2 34 21 - - - - - 1<br />

zusammen 9 14 287 28 41 389 11 4 178 10 62 181 9 3 81 3 7 20<br />

* R= Reichsverbände; L = Landes- <strong>und</strong> Bezirksverbände; O = Ortsvereine<br />

Entnommen aus: Kerchner, Beruf <strong>und</strong> Geschlecht – Berufsverbände in Deutschland 1848-1908, S. 103.


3.Die dargestellten Frauenzeitschriften im Vergleich<br />

XXX<br />

Erscheinungszeitraum<br />

Redakteurin<br />

„Frauen-<br />

Zeitung“<br />

„Die<br />

Staatsbürgerin“<br />

„Die Arbeiterin“ „Die Gleichheit“<br />

1849-1852 1886 1890-1891 1891-1923<br />

Louise<br />

Otto-Peters<br />

Verlag Theo Haffner<br />

Preis pro<br />

Einzelnummer<br />

Preis im<br />

Vierteljahresabonnement<br />

(Großenhain)<br />

Keine<br />

Angabe<br />

15 Reichsgroschen<br />

Gertrud<br />

Guilleaume-<br />

Schack<br />

Carl Ulrich<br />

(Offenbach)<br />

Emma Ihrer Clara Zetkin<br />

(Dez. 1891-Mai 1917)<br />

In Vertretung:<br />

Johanna Buchheim<br />

(Aug. 1915-Okt. 1915)<br />

E. Jensen (Jan.-April)<br />

Fr. Meyer (April-Dez.)<br />

(Hamburg)<br />

Marie Juchacz <strong>und</strong><br />

Heinrich Schulz<br />

(Juni 1917-April 1919)<br />

Clara Bohm-Schuch<br />

(April 1919-Jan. 1922)<br />

Elli Radtke-Warmuth<br />

(Feb. 1922-Nov. 1922)<br />

Elli Radtke-Warmuth <strong>und</strong><br />

Mathilde Wurm<br />

(Nov. 1922-Sept. 1923)<br />

J.H.W. Dietz<br />

(Dez. 1891-Juli 1897)<br />

(Stuttgart)<br />

J.H.W. Dietz Nachf.<br />

G.m.b.H.<br />

(Juli 1897-Dez. 1904)<br />

(Stuttgart)<br />

Paul Singer<br />

(Jan. 1905-April 1911)<br />

(Stuttgart)<br />

J.H.W. Dietz Nachf.<br />

G.m.b.H.<br />

(April 1911-Juni 1919)<br />

(Stuttgart)<br />

Buchhandlung „Vorwärts“<br />

Paul Singer G.m.b.H.<br />

(Juli 1919-Sept. 1923)<br />

(Berlin)<br />

Keine Angabe 10 Pfennig 10 Pf. (1891-Okt. 1918)<br />

15 Pf. (Okt. 1918-Juli<br />

1919)<br />

Weitere Preisentwicklung<br />

siehe Tabelle 8<br />

75 Pfennig 1 Mark 55 Pf. (1891-Okt. 1918)<br />

95 Pf. (Okt. 1919-Juli<br />

1919)<br />

Weitere Preisentwicklung<br />

siehe Tabelle 8


4.Die wichtigsten Zeitschriften der deutschen Frauenbewegung 25<br />

25<br />

Titel Erscheinungsjahre<br />

Demokratische<br />

Zeitschriften um 1848<br />

Herausgeberin<br />

[bzw. Redaktion]<br />

Frauen-Zeitung 1848 M.F. Anneke<br />

Der Freischärler 1848 L. Aston<br />

Frauen-Zeitung 1849-1852 L. Otto-Peters<br />

Soziale Reform 1849 L. Dittmar<br />

Proletarische<br />

Frauenbewegung<br />

Die Staatsbürgerin 1884-1886 G. Guillaume-<br />

Schack<br />

Die Arbeiterin [1890-1891] E. Ihrer<br />

Die Gleichheit 1891-1917<br />

1917- [1919]<br />

[1919-1922]<br />

[1922-1923]<br />

C. Zetkin [in<br />

Vertretung:<br />

J. Buchheim]<br />

M. Juchacz [<strong>und</strong><br />

H. Schulz]<br />

C. Bohm-Schuch<br />

[E. Radtke-<br />

Warmuth <strong>und</strong><br />

M. Wurm]<br />

Organisation<br />

Verein zur Wahrung der Interessen der<br />

Arbeiterinnen<br />

Deutsche sozialdemokratische<br />

Frauenbewegung<br />

Arbeiterinnenzeitung 1892 A. Popp Österreichische sozialdemokratische<br />

Frauenbewegung<br />

Gewerkschaftliche<br />

Frauenzeitung<br />

Bürgerliche<br />

Frauenbewegung<br />

ALLGEMEINE ZEITSCHR.<br />

DER GEMÄSSIGTEN<br />

Neue Bahnen 1866-1919 L. Otto-Peters<br />

Centralblatt des B<strong>und</strong>es<br />

Deutscher Frauenvereine<br />

1916 G. Hanna Deutsche gewerkschaftliche<br />

Frauenbewegung<br />

1899-1900<br />

1900-1913<br />

A. Schmidt<br />

E. Krokenberg<br />

G. Bäumer<br />

E. Altmann-<br />

Gottheiner<br />

J. Schwerin<br />

M. Stritt<br />

Allgemeiner Deutscher Frauenverein<br />

B<strong>und</strong> Deutscher Frauenvereine<br />

Die Frauenfrage 1913-1920 M. Stritt B<strong>und</strong> Deutscher Frauenvereine<br />

Die Frau 1893-1944 H. Lange<br />

FRAUENBILDUNG UND<br />

FRAUENERWERB<br />

G. Bäumer<br />

Der Frauenanwalt 1870-1876 J. Hirsch Lette-Verein<br />

Deutscher Frauenanwalt 1878-1881 J. Hirsch Lette-Verein<br />

Entnommen <strong>und</strong> ergänzt aus: Weiland, Geschichte der Frauenemanzipation in Deutschland <strong>und</strong> Österreich,<br />

S. 100f.<br />

XXXI


XXXII<br />

Frauenberuf 1887-1892 H. Kettler Frauenverein Reform<br />

Deutsche Hausfrauenzeitung 1874- L. Morgenstern Berliner Hausfrauenverein<br />

ALLGEMEINE ZEITSCHR.<br />

DER RADIKALEN<br />

Frauenwohl 1893-1895 M. Cauer Verein “Frauenwohl”<br />

Die Frauenbewegung 1895-1919 M. Cauer (L.<br />

Braun)<br />

Dokumente der Frauen 1899 R. Mayreder<br />

Deutsche<br />

Arbeiterinnenzeitung<br />

M. Lang<br />

A. Fickert<br />

Verein “Frauenwohl”<br />

1904 Verband fortschrittlicher<br />

Frauenvereine<br />

Mutterschutz 1905-1907 H. Stöcker B<strong>und</strong> für Mutterschutz <strong>und</strong><br />

Sexualreform<br />

Die neue Generation 1908-1919 H. Stöcker B<strong>und</strong> für Mutterschutz <strong>und</strong><br />

Sexualreform<br />

FRAUENSTIMMRECHTS-<br />

BEWEGUNG<br />

Radikal:<br />

Zeitschrift für<br />

Frauenstimmrecht<br />

1907-1912 A. Augspurg Deutscher Verband für<br />

Frauenstimmrecht<br />

Frauenstimmrecht 1912-1914 A. Augspurg Deutscher Verband für<br />

Frauenstimmrecht<br />

Zeitschrift für<br />

Frauenstimmrecht<br />

Gemäßigt:<br />

1912-1918 M. Cauer Verein “Frauenwohl”<br />

Die Staatsbürgerin 1914-1919 A. Schreiber-<br />

Krieger<br />

Deutscher Reichsverband für<br />

Frauenstimmrecht<br />

Frauen <strong>und</strong> Staat 1912-1916 I. Dehmel Vereinigung für Frauenstimmrecht<br />

SITTLICHKEITS-<br />

BEWEGUNG<br />

Der Abolitionist K. Scheven Deutsche Sektion der Internationalen<br />

Föderation zur Bekämpfung der<br />

staatlich reglementierten Prostitution<br />

FRIEDENSBEWEGUNG<br />

Die Frau im Staat 1919-1933 A. Augspurg<br />

L.G. Heymann<br />

Internationale Frauenliga für Frieden<br />

<strong>und</strong> Freiheit


5.Geschäftsjahresabrechnungen der „Gleichheit“1902-1913 26<br />

1902 1903 1904 1905 1906 1907<br />

Einnahmen<br />

1908 1909 1910 1911 1912 1913<br />

Abonnements 4.682,04 9.416,56 8.080,06 20.683,34 39.332,62 62.243,25 76.144,30 73.139,26 76.386,18 79.590,10 85.168,25 90.829,38<br />

Ausgaben<br />

Satz, Druck,<br />

Falzen<br />

2.688,49 3.337,05 2.608,25 6.221,60 8.555,75 14.433,14 19.485,40 21.853,00 22.776,45 24.032,20 25.915,00 26.929,70<br />

Papier 931,00 1.667,70 1.430,70 3.587,25 7.756,85 15.364,78 23.486,28 24.500,40 25.964,40 29.309,40 33.271,20 35.382,00<br />

Redaktion 3.000,00 3.000,00 2.250,00 3.225,00 3.175,00 6.875,00 7.200,00 7.870,00 7.400,00 8.500,00 8.500,00 15.155,76<br />

[inkl.<br />

Mitarbeiter]<br />

Mitarbeiter 644,55 736,00 801,00 1.623,00 4.330,00 5.128,64 5.227,00 5.976,70 5.972,22 5.930,49 5.459,74<br />

Porto <strong>und</strong><br />

sonstige<br />

Unkosten<br />

348,70 843,40 790,00 1.659,60 2.522,18 4.018,60 4.119,45 4.226,70 [vermutl. in<br />

Satz, Druck<br />

usw.<br />

enthalten]<br />

[vermutl. in<br />

Satz, Druck<br />

usw.<br />

enthalten]<br />

[vermutl. in<br />

Satz, Druck<br />

usw.<br />

enthalten]<br />

[vermutl. in<br />

Satz, Druck<br />

usw.<br />

enthalten]<br />

Remittenden 79,74 214,27 125,41 370,74 409,05 721,75 1.236,57 1.147,48<br />

Drucksachen,<br />

Int. Frauenkonferenz<br />

- - - - - - - - 1.033,60 - - -<br />

Gesamt-<br />

Ausgabe<br />

Gesamt-<br />

Einnahme<br />

Verlust/Gewi<br />

nn<br />

7.692,48 9.798,42 8.005,36 16.687,19 26.784,83 46.541,91 60.754,70 65.574,28 63.146,67 67.772,09 73.145,94 77.467,46<br />

4.682,04 9.416,56 8080,06 20.683,34 39.332,62 62.243,25 76.144,30 73.139,26 76.386,18 79.590,10 85.168,25 90.829,38<br />

-3.010,44 -381,86 +74,70 +3.996,15 +12.583,79 +15.701,34 +15.389,60 +7.564,98 +13.239,51 +11.818,01 +12.022,31 +13.361,92<br />

26 Leicht vereinheitlicht erstellt aus den Angaben in dem jeweiligen Bericht des Parteivorstandes an den Parteitag. In den Protokollen über die Verhandlungen der Parteitage<br />

Dresden 1903 (S. 36), Bremen 1904 (S. 27), Jena 1905 (S. 45), Mannheim 1906 (S. 48), Essen 1907 (S. 50), Nürnberg 1908 (S. 53), Leipzig 1909 (S. 46), Magdeburg<br />

1910 (S. 47), Jena 1911 (S. 45), Chemnitz 1912 (S. 43), Jena 1913 (S. 32) <strong>und</strong> Würzburg 1914 (Anhang des Parteitagsprotokolls Würzburg 1917, S. 25).


6.Zuschüsse an zentrale Parteiorgane im Jahre 1921 in Mark 27<br />

Titel Fehlbetrag Gewinn<br />

„Die Gleichheit“ 125.377,55<br />

„Arbeiter-Jugend“ 80.532,22<br />

„Freie Lehrer“ 65.790,60<br />

„Kommunale Praxis“ 50.491,45<br />

„Arbeiter-Bildung“ 7.202,62<br />

„Die Neue Zeit“ 61.310,00<br />

„Der wahre Jacob“ 17.299,02<br />

Gesamtzuschüsse 197.935, 74<br />

27 Entnommen aus: Ressmann, Strukturprobleme sozialdemokratischer Medienunternehmen, S. 82. Quelle:<br />

Protokoll des SPD-Parteitages in Görlitz 1921, S. 41.<br />

XXXIV


7.Abonnentinnen der “Gleichheit” 1902-1923 28<br />

Jahr Auflage<br />

1902 4 000<br />

1903 9 500<br />

1904 12 000<br />

1905 23 000<br />

1906 46 000<br />

1907 70 000<br />

1908 85 000<br />

1909 82 000<br />

1910 85 000<br />

1911 94 500<br />

1912 107 000<br />

1913 112 000 29<br />

1914 124 000<br />

1915 46 500<br />

1916 35 500<br />

1917 19 000<br />

1918 28 000<br />

1919 33 000<br />

1920 13 000<br />

1921 25 000<br />

1922 33 000<br />

1923 22 000<br />

28 Entnommen aus: Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus, S. 75.<br />

29 Für das Jahr 1913 gibt der Verein Arbeiterpresse in seinem Handbuch eine Auflage von 113.500 Exemplaren<br />

an (vgl. Handbuch des Vereins Arbeiterpresse, 3.1914, S. 125).<br />

35


8.Preisentwicklung der „Gleichheit“ (in Mark)<br />

Heft, in dem die Änderung eintritt<br />

Einzelnummer<br />

Vierteljahresabonnement<br />

Kreuzband<br />

Jahresabonnement<br />

MonatlichesAbonnement<br />

Inserate<br />

Jg. 2, Probenummer (28.12.1891), S. 1 30 0,10 0,55 31 0,85 - - 0,20 32<br />

Jg. 6, Nr. 22 (28.10.1896), S. 0,10 0,55 0,85 2,60 - 0,20<br />

Jg. 29, Nr. 1 (11.10.1918), S. 1 0,15 0,95 1,45 - - -<br />

Jg. 29, Nr. 20 (05.07.1919), S. 153 0,30 33 3,60 4,25 - 1,20 -<br />

Jg. 30, Nr. 24 (12.06.1920), S. 193 - 3,60 34 - - - 1,50 35<br />

Jg. 31, Nr. 1 (01.01.1921), S. 1 0,30 36 3,60 - - - 1,50<br />

Jg. 31, Nr. 2 (15.01.1921), S. 9 0,30 2,70 - - - 2,-<br />

Jg. 31, Nr. 13 (01.07.1921), S. 121 0,30 3,- - - - 2,-<br />

Jg. 31, Nr. 18/19 (15.09.1921), S. 173 D: 0,30 3,- - - - 3,-<br />

Jg. 31, Nr. 22 (15.11.1921), S. 213 0,30 3,- - - - 3,- 37<br />

Jg. 31, Nr. 3 (01.02.1922), S. 21 0,30 3,30 - - - 6,-<br />

Jg. 32, Nr. 8 (15.04.1922), S. 69 0,30 3,30 - - - 6,- 38<br />

Jg. 32, Nr. 13 (01.07.1922), S. 121 0,30 6,- - - - 10,-<br />

Jg. 32, Nr. 17/18 (1./15.09.1922), S. 157 - 6,- - - - 36,-<br />

Jg. 32, Nr. 19/20 (1./15.10.1922), S. 173 D: 8,- - - - - 36,-<br />

Jg. 32, Nr. 21 (01.11.1922), S. 189 6,- 24,- 39 - - - -<br />

Jg. 32, Nr. 23 (01.12.1922), S. 205 15,- 24,- - - - -<br />

Jg. 33, Nr. 1 (01.01.1923), S. 1 30,- - - - 60,- -<br />

Jg. 33, Nr. 3 (01.02.1923), S. 17 40,- - - - 80,- -<br />

Jg. 33, Nr. 5 (01.03.1923), S. 33 130,- - - - 260,- -<br />

Jg. 33, Nr. 9/10 (1./15.05.1923), S. 65 D: 260,- - - - 260,- -<br />

Jg. 33, Nr. 11 (01.06.1923), S. 85 150,- - - - - -<br />

Jg. 33, Nr. 13 (01.07.1923), S. 101 350,- - - - - -<br />

Jg. 33, Nr. 15 (01.08.1923), S. 177 1.200,- - - - - -<br />

Jg. 33, Nr. 16 (15.08.1923), S. 125 2.000,- - - - - -<br />

Jg. 33, Nr. 17 (01.09.1923), S. 133 40.000,- - - - -<br />

D: Doppelnummer<br />

30 Die Probenummer weist zwar im Titelblatt die entsprechenden Preisangaben auf, wurde aber gratis verteilt.<br />

31 Per Post <strong>und</strong> ohne Bestellgeld. Soweit durch Fußnote keine Änderung angegeben ist, treffen jeweils die<br />

vorhergehenden Vertriebs- <strong>und</strong> Preisbedingungen zu, wie sie den Titelköpfen der „Gleichheit“ entnommen<br />

wurden.<br />

32 2 gespaltene Petitzeilen.<br />

33<br />

Wöchentliches Erscheinen.<br />

34<br />

Ohne Postbezug.<br />

35<br />

5 gespaltene Nonpareillezeilen <strong>und</strong> bei Wiederholung Rabatt.<br />

36<br />

Vierzehntägliches Erscheinen.<br />

37<br />

Plus 30% tariflicher Teuerungszuschlag.<br />

38<br />

6 gespaltene Nonpareillezeilen.<br />

39<br />

Monatlich zweimal <strong>und</strong> durch die Post bezogen.<br />

XXXVI<br />

-


9.Zahl der <strong>weiblichen</strong> Vertrauenspersonen (bis 1907) <strong>und</strong><br />

Vorstandsmitglieder (ab 1909) 1901-1912 40<br />

Jahr Vertrauenspersonen<br />

1901 25<br />

1902 54<br />

1903 78<br />

1904 100<br />

1905 190<br />

1906 325<br />

1907 407<br />

1909 257<br />

1910 557<br />

1911 570<br />

1912 646<br />

40 Entnommen aus: Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus, S. 73.<br />

XXXVII


10.Die Berufe führender Sozialdemokratinnen, ihrer Ehemänner <strong>und</strong><br />

Väter 41<br />

Beruf der Frauen selbst der Ehemänner der Väter<br />

Arbeiter <strong>und</strong><br />

Handwerker<br />

Bauern <strong>und</strong><br />

Landarbeiter<br />

Angestellte, auch<br />

der Partei <strong>und</strong><br />

Gewerkschaft<br />

Beamte, Lehrer,<br />

Ärzte, freie Berufe<br />

Kaufleute,<br />

Gastwirte<br />

Zahl % Zahl % Zahl %<br />

87 66,92 38 46,34 53 63,10<br />

- - - - 2 2,38<br />

18 13,85 9 10.98 4 4,76<br />

23 17,69 31 37,80 10 11,90<br />

2 1,54 4 4,88 10 11,90<br />

Adel <strong>und</strong> Militär - - - - 5 5,95<br />

Summen 130 100,00 82 100,00 84 100,00<br />

41 Entnommen aus: Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus, S. 217.<br />

XXXVIII


11.Mitglieder der sozialdemokratischen Frauenbewegung 1901-1907 42<br />

Jahr Weibliche<br />

Parteimitglieder<br />

Freiwillige<br />

Beiträgerinnen<br />

Spalte<br />

1 + 2<br />

Abonnentinnen<br />

der<br />

“Gleichheit”<br />

1901 4 000<br />

1902 9 500<br />

1903 11 000<br />

1904 28 700<br />

Mitglieder<br />

der Frauenbildungsv.<br />

Spalte<br />

1 + 2 + 5<br />

1905 4 000 1 000 5 000 44 000 3 000 8 000<br />

1906 6 460 4 933 11 393 67 000 8 890 20 283<br />

1907 10 943 8 751 19 694 75 000 10 500 30 194<br />

Spalte 1 2 3 4 5 6<br />

42 Entnommen aus: Evans, Sozialdemokratie <strong>und</strong> Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich, S. 192.<br />

XXXIX


12.Übersicht über die Fluktuation weiblicher SPD-Mitglieder 1906-1931 43<br />

Jahr Parteimitglieder weibliche<br />

Parteimitglieder<br />

%<br />

Frauen<br />

absolute<br />

Veränderung<br />

gegen Vorjahr<br />

1906 384 327 6 460 1,7 + 2 460<br />

1907 530 446 10 943 2,1 + 4 483<br />

1908 527 336 29 458 5,6 + 18 515<br />

1909 633 309 62 259 9,8 + 32 801<br />

1910 720 038 82 642 11,5 + 20 383<br />

1911 836 562 107 693 12,9 + 25 051<br />

1912 970 112 130 371 13,4 + 22 678<br />

1913 982 850 141 115 14,4 + 10 744<br />

1914 1 085 905 174 754 16,1 + 33 639<br />

1915 515 898 ? ? ?<br />

1916 432 618 107 336 24,8 - 67 418<br />

1917 243 061 66 608 27,4 - 40 728<br />

1918 249 411 70 659 28,3 - 4 059<br />

1919 1 012 299 206 354 20,4 + 135 695<br />

1920 1 180 208 207 000 17,5 + 646<br />

1921 1 221 059 192 485 15,8 - 14 515*<br />

1922 1 174 105 ? ? ?<br />

1923 1 261 072 130 000 10,3 - 62 485<br />

1924 940 078 148 125 15,8 + 18 125<br />

1925 844 495 152 693 18,1 + 4 568 ∗<br />

1926 823 520 165 492 20,1 + 12 799 ∗<br />

1927 866 671 181 541 20,9 + 16 049<br />

1928 937 381 198 771 21,2 + 17 230<br />

1929 949 306 201 000 21,2 + 2 229<br />

1930 1 037 384 228 278 22,0 + 27 278<br />

1931 1 008 953 230 331 22,8 + 2 053<br />

43 Entnommen aus: Thönnessen, Frauenemanzipation, S. 131 (die mit ∗ gekennzeichneten Zahlen sind von<br />

Evans, Sozialdemokratie <strong>und</strong> Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich, S. 195 übernommen, da die<br />

Angaben von Thönnessen an dieser Stelle rechnerisch nicht korrekt waren.).<br />

XL


7.3 Bildmaterial<br />

7.3.1 Titelblätter der „Frauen-Zeitung“, „Staatsbürgerin“, „Arbeiterin“<br />

<strong>und</strong> „Gleichheit“<br />

XLI


XLII


XLIII


XLIV


XLV


XLVI


XLVII


XLVIII


XLIX


LII


LIII


LIV


7.3.2 Porträt- <strong>und</strong> Szenenbilder aus der „Gleichheit“<br />

LVI<br />

(nach Erscheinen geordnet)


LVII


LVIII


LIX


7.3.3 Bildnachweis<br />

Titelblattauswahl:<br />

Porträt- <strong>und</strong> Szenenbilder:<br />

GL, 02/ 01/ 11.01.1892/ 1.<br />

GL, 17/ 01/ 09.01.1907/ 1.<br />

GL, 21/ 12/ 13.03.1911/ 177.<br />

GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 117.<br />

GL, 29/ 20/ 05.07.1919/ 153.<br />

GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 249.<br />

GL, 33/ 05/ 01.03.1923/ 33.<br />

GL, 33/ 07/ 01.04.1923/ 49.<br />

GL, 12/ 09/ 23.04.1902/ 65.<br />

GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 57.<br />

GL, 31/ 18-19/ 15.09.1921/ 173.<br />

„Louise Michel als Kommune-Kämpferin“ (GL, 03/06/22.03.1893/ 44)<br />

„Louise Michel 1892“ (GL, 03/06/22.03.1893/ 45)<br />

„Madame Roland“ (GL, 04/01/ 10.01.1894/ 4)<br />

„Madame Roland verläßt das Gefängnis“ (GL, 04/ 01/ 10.01.1894/ 5)<br />

„Maria Lwowna Berditschewskaja“ (GL, 15/ 05/ 08.03.1905/ 25 (Titelblatt))<br />

„Esther Riskind“ (GL, 16/ 02/ 24.01.1906/ 7 (Titelblatt))<br />

„An den Eisenstäben sinkt die Liebe blutend nieder“<br />

(Struve > GL, 18/ 02/ 20.01.1908/ 14)<br />

„Emma Ihrer“ (GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 61)<br />

„Emma Ihrer“ (GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 61)<br />

„Dr. med Hope Bridget[sic] Adams-Lehmann“ (GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 62)<br />

„Ottilie Baader-Diedrichs“ (GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 62)<br />

LXI


Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Dissertation selbständig <strong>und</strong> ohne unerlaubte<br />

Hilfe angefertigt <strong>und</strong> andere als die in der Dissertation angegebenen Hilfsmittel nicht benutzt<br />

habe. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus veröffentlichten oder unveröffentlichten<br />

Schriften entnommen sind, habe ich als solche kenntlich gemacht. Kein Teil dieser Arbeit ist<br />

in einem anderen Promotions- oder Habilitationsverfahren verwendet worden.<br />

Kassel, den<br />

LXIII

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