Von "weiblichen Vollmenschen" und Klassenkämpferinnen - KOBRA ...
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<strong>Von</strong> „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ <strong>und</strong> <strong>Klassenkämpferinnen</strong><br />
–<br />
Frauengeschichte <strong>und</strong> Frauenleitbilder<br />
in der proletarischen Frauenzeitschrift<br />
„Die Gleichheit“ (1891-1923)<br />
Inaugural-Dissertation<br />
zur Erlangung des akademischen Grades eines<br />
Doktors der Philosophie (Dr. phil.)<br />
im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften (Fachgebiet Geschichte)<br />
der Universität Kassel<br />
vorgelegt von:<br />
Mirjam Sachse<br />
Erster Gutachter:<br />
Prof. Dr. Jens Flemming<br />
Zweiter Gutachter:<br />
Prof. Dr. Hans-Joachim Bieber<br />
Datum der Disputation: 03.02.2010
Dank<br />
An dieser Stelle möchte ich all jenen Menschen herzlich danken, die maßgeblich zur<br />
Entstehung dieser Dissertation beigetragen haben.<br />
Ich danke Prof. Dr. Jens Flemming <strong>und</strong> Prof. Dr. Hans-Joachim Bieber für ihre<br />
fachkompetenten Ratschläge <strong>und</strong> ihre „doktorväterliche“ Geduld.<br />
Die Rosa Luxemburg Stiftung hat durch das mir bewilligte Stipendium mehr als nur die<br />
finanzielle Gr<strong>und</strong>lage für die Durchführung dieser Dissertation geschaffen. Die fachlichen<br />
Diskussionen <strong>und</strong> Vernetzungen, die ich der ideellen Förderung der Stiftung <strong>und</strong> ihren<br />
MitarbeiterInnen <strong>und</strong> VertrauensdozentInnen verdanke, gaben solidarischen Rückhalt für die<br />
Durchführung meines Forschungsvorhabens <strong>und</strong> lassen hoffen, dass die Auseinandersetzung<br />
mit unserer Gesellschaft <strong>und</strong> unserer Geschichte nie ihre linke Perspektive verlieren wird.<br />
Meinen ehemaligen Kolleginnen in der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung danke<br />
ich für ihre mehr als kollegiale Unterstützung bei Recherche <strong>und</strong> Spurensuche nach dem<br />
<strong>weiblichen</strong> Geschichtsbewusstsein, dessen kompetente Sachwalterinnen sie sind.<br />
Ich danke besonders meinen lieben Eltern <strong>und</strong> Geschwistern für ihre ermutigenden Worte <strong>und</strong><br />
offenen Ohren während der letzten fordernden wie förderlichen Jahre.<br />
Meinen langjährigen Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>innen in Kassel <strong>und</strong> München danke ich für ihre<br />
drängende Ungeduld, für ihre piesackenden Fragen, für all das, was Fre<strong>und</strong>schaft ausmacht<br />
<strong>und</strong> noch mehr. Sie sind in meinen Augen die „GeburtshelferInnen“ dieser Dissertation <strong>und</strong><br />
dürfen nicht ungenannt bleiben: Alexandra Volk, Anett Steinbrecher, Bianka Bux, Joachim<br />
Prokscha, Jochen Staufer, Karin Koch-Bolender, Klaus Steinbock, Martin Norwig, Peter<br />
Tewes, Sabine Schindler, Thomas Schindler, Torsten Bolender, Wolfram Haupt <strong>und</strong> Jürgen<br />
Lachmann.<br />
Danke!<br />
3
Inhaltsverzeichnis<br />
Einleitung ..................................................................................................................................9<br />
1 „Nicht auf Sand gebaut“<br />
– Politische Frauenorganisation <strong>und</strong> -presse in Deutschland 1848 bis 1891 ..........................37<br />
1.1 Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich .................37<br />
1.1.1 Die Revolution von 1848 – Wurzel der deutschen Frauenbewegung ..................37<br />
1.1.1 Der Beginn des „Hüben <strong>und</strong> Drüben“ von proletarischer <strong>und</strong><br />
bürgerlicher Frauenbewegung<br />
– Die Anfänge des Frauenvereinswesens in den 1860er Jahren ...........................41<br />
1.1.2 Frauenagitation ist sozialistische Agitation – Die proletarische Frauenbewegung<br />
als Teil der Arbeiterbewegung ............................................................52<br />
1.2 Die erste deutsche Frauenzeitschrift:<br />
Die „Frauen-Zeitung“ (1849-1852) .................................................................................59<br />
1.3 Die erste proletarische Frauenzeitschrift:<br />
„Die Staatsbürgerin“ (3. Januar 1886-13. Juni 1886) ......................................................65<br />
1.4 Die erste sozialdemokratische Frauenzeitschrift:<br />
„Die Arbeiterin“ (1890-1891) ..........................................................................................77<br />
2 Die erste sozialistische Frauenzeitschrift Deutschlands:<br />
„Die Gleichheit“ (1891-1923) .................................................................................................87<br />
2.1 Zwischen Kontinuität <strong>und</strong> Neubeginn<br />
– Gründung <strong>und</strong> Zielsetzung der „Gleichheit“ ................................................................87<br />
2.2 Amt oder Meinung?<br />
– Die Redaktionen der „Gleichheit“ ................................................................................97<br />
2.2.1 Die „Ära Zetkin“ <strong>und</strong> der Erste Weltkrieg ...........................................................97<br />
2.2.2 Der Erste Weltkrieg, die Entlassung Zetkins im Mai 1917<br />
<strong>und</strong> der Zielsetzungswandel der „Gleichheit“.....................................................115<br />
2.2.3 Die Redakteurinnen der „neuen“ „Gleichheit“...................................................130<br />
2.3 „Für die ‘Gleichheit’ mit der Feder tätig“<br />
– Die MitarbeiterInnen der „Gleichheit“ .......................................................................141<br />
2.3.1 Die MitarbeiterInnen Zetkins .............................................................................141<br />
2.3.2 Die MitarbeiterInnen der neuen Redaktion ........................................................159<br />
2.3.3 Die „Gleichheit“ als Organ der Sozialistischen Fraueninternationale<br />
<strong>und</strong> ihre internationalen Korrespondentinnen ....................................................178<br />
5
2.4 In Fraktur <strong>und</strong> Quartformat<br />
– Preis, Umfang, Erscheinungsweise, Erscheinungsbild, Verlag, Struktur<br />
<strong>und</strong> Inhalte der „Gleichheit“ ..........................................................................................191<br />
2.4.1 Erscheinungsweise, Seitenumfang <strong>und</strong> Preis .....................................................191<br />
2.4.2 Verlag <strong>und</strong> Finanzierung ....................................................................................196<br />
2.4.3 Erscheinungsbild ................................................................................................200<br />
2.4.4 Werbung .............................................................................................................204<br />
2.4.5 Leitartikel, Artikel <strong>und</strong> Rubriken .......................................................................206<br />
2.4.6 Feuilleton <strong>und</strong> Beilagen .....................................................................................217<br />
2.5 Kein Blatt der Massen?!<br />
– Zur Frage der Rezeption der „Gleichheit“ ..................................................................233<br />
3 Zwischen Feuilleton <strong>und</strong> Wissenschaft – Frauengeschichte, Frauenleitbilder <strong>und</strong><br />
Frauenbiographien in der „Gleichheit“..................................................................................243<br />
3.1 Geschichte in der „Gleichheit“.......................................................................................243<br />
3.2 Frauengeschichte in der „Gleichheit“.............................................................................253<br />
3.3 Frauenleitbilder in der „Gleichheit“...............................................................................289<br />
3.3.1 Was ist ein Leitbild<br />
– wie wird es konstruiert <strong>und</strong> welche Funktion erfüllt es?.................................289<br />
3.3.2 Die sozialistische Frauenemanzipationstheorie, proletarische Frauenleitbilder<br />
<strong>und</strong> die moderne Kritik daran..............................................................292<br />
3.3.3 Frauenleitbilder in der „Gleichheit“....................................................................299<br />
3.4 Frauenbiographien in der „Gleichheit“...........................................................................307<br />
4 Zusammenstellung der in der „Gleichheit“ enthaltenen Frauenbiographien,<br />
Jubiläumsartikel <strong>und</strong> Nekrologe – Interpretative Analyse ihrer Leitbildfunktionen ............315<br />
6<br />
4.1 „[…] mit warmem Herzen, klarem Geist <strong>und</strong> starkem Wollen“<br />
– Der „weibliche Vollmensch“ als elementares Leitbild sozialistischer<br />
Frauenbildung ................................................................................................................315<br />
4.1.1 Zum Frauenleitbild des „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“..........................................315<br />
4.1.2 Gelehrte <strong>und</strong> kulturschaffende Frauen ...............................................................324<br />
4.1.3 Frauen der Französischen Revolution ................................................................346<br />
4.1.4 Deutsche Freiheitskämpferinnen <strong>und</strong> Demokratinnen .......................................362<br />
4.1.5 Frauen „von sozialistischer Gesinnung“ ............................................................387
4.2 „[…] wie Mutterdenken, Mutterempfinden, Mutterhandeln […]<br />
der ganzen Menschheit […] zum Segen werden kann“<br />
– Die Mutter der sozialistischen Zukunft .....................................................................407<br />
4.2.1 Zum Frauenleitbild der sozialistischen Mutter <strong>und</strong> der „Mütterlichkeit“...........407<br />
4.2.2 Die erzogene Erzieherin......................................................................................422<br />
4.3 „Genossin seiner Ideale“<br />
– Die Ehefrau als Lebens-, Arbeits- <strong>und</strong> Kampfgefährtin ............................................437<br />
4.3.1 Zum Leitbild der sozialistischen Ehefrau............................................................437<br />
4.3.2 Die Genossin seiner geistigen Ideale .................................................................448<br />
4.3.3 Die Genossin seines Kampfes – die Ehefrauen der 1848er-Revolutionäre ........455<br />
4.3.4 Die Genossinnen führender Genossen ...............................................................469<br />
4.4 „[…] eine Kühnheit des Geistes, eine Kraft des Willens, eine Reinheit<br />
der Gesinnung <strong>und</strong> Größe der Opferfreudigkeit […]“<br />
– Die Klassenkämpferin ................................................................................................487<br />
4.4.1 Zum Frauenleitbild der „Klassenkämpferin“......................................................487<br />
4.4.2 Revolution oder Terror?! – Die <strong>Klassenkämpferinnen</strong> Russlands .....................500<br />
4.4.3 Zwei Kämpferinnen der Pariser Kommune .......................................................522<br />
4.4.4 Kämpferinnen der ersten St<strong>und</strong>e – Engagierte Proletarierinnen unter dem<br />
Sozialistengesetz ................................................................................................533<br />
4.4.4.1 Sympathisantinnen <strong>und</strong> „Parteikleinarbeit“ leistende Mitglieder .......533<br />
4.4.4.2 Risikoträgerinnen der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung<br />
<strong>und</strong> Pionierinnen der frühen proletarischen Frauenbewegung ............539<br />
4.4.5 Organisierte Genossinnen<br />
– Die Stützen der proletarischen Frauenbewegung ............................................565<br />
4.4.6 „[J]unge[…] Frauchen“ – Die junge Generation engagierter Proletarierinnen ..576<br />
4.4.7 In erster Reihe – Führerinnen der deutschen proletarischen Frauenbewegung<br />
<strong>und</strong> Mitarbeiterinnen der „Gleichheit“ .............................................582<br />
4.4.8 Internationale Genossinnen im Klassenkampf ...................................................625<br />
4.4.8.1 Österreich ............................................................................................625<br />
4.4.8.2 Dänemark ............................................................................................627<br />
4.4.8.3 Niederlande .........................................................................................628<br />
4.4.8.4 Belgien ................................................................................................629<br />
4.4.8.5 Schweiz ...............................................................................................631<br />
4.4.8.6 Italien ...................................................................................................633<br />
4.4.8.7 Polen ....................................................................................................644<br />
4.4.8.8 Großbritannien ....................................................................................646<br />
4.4.8.9 USA .....................................................................................................652<br />
4.4.8.10 Südafrika .............................................................................................666<br />
7
4.5 Leitbild ohne historische Vorbilder? – Zum Frauenleitbild der Republikanerin............667<br />
4.6 „[…] reich an Mitgefühl <strong>und</strong> Hilfsbereitschaft gegenüber fremdem Leid,<br />
reich an Bürgersinn <strong>und</strong> Bürgertugend, stark in der Pflichttreue[…]“<br />
– Die Ausnahmeerscheinungen bürgerlicher Frauenrechtelei ......................................689<br />
5 Zusammenfassung .................................................................................................................705<br />
6 Literatur .................................................................................................................................721<br />
6.1 Fachliteratur ...................................................................................................................721<br />
6.1.1 Aufsätze, Sammelwerke, Quellensammlungen <strong>und</strong> Monographien...................721<br />
6.1.2 Nachschlagewerke / Bibliographien / Datenbanken...........................................741<br />
6.1.3 Protokolle ...........................................................................................................743<br />
6.1.4 Graue Literatur ...................................................................................................746<br />
6.1.5 Zeitschriften........................................................................................................748<br />
6.2 Biographische Literatur .................................................................................................753<br />
6.2.1 Für die biographische Recherche verwendete Monographien,<br />
Nachschlage-, Sammelwerke <strong>und</strong> Datenbanken.................................................753<br />
6.2.2 Auto-/Biographische Arbeiten <strong>und</strong> Aufsätze zu den „Gleichheit“-<br />
MitarbeiterInnen..................................................................................................758<br />
6.3 Die frauenbiographischen Artikel aus dem Hauptblatt der „Gleichheit“.......................773<br />
6.1 Auswahl der geschichtlichen Artikel im Hauptblatt der „Gleichheit“...........................787<br />
7 Anhang.....................................................................................................................................III<br />
8<br />
7.1 Gedichtauswahl..................................................................................................................V<br />
7.2 Tabellen.....................................................................................................................XXVII<br />
7.3 Bildmaterial....................................................................................................................XLI<br />
7.3.1 Titelblätter der „Frauen-Zeitung“, „Staatsbürgerin“, „Arbeiterin“<br />
<strong>und</strong> „Gleichheit“.................................................................................................XLI<br />
7.3.2 Porträt- <strong>und</strong> Szenenbilder aus der „Gleichheit“..................................................LVI<br />
7.3.3 Bildnachweis......................................................................................................LXI
Einleitung<br />
Geschichte wird nicht von Frauen gemacht.<br />
„Ihre Leistungen büßen dadurch nichts von ihrem<br />
Werthe ein, daß sie nicht vom Glorienschein des<br />
Großartigen <strong>und</strong> Ungewöhnlichen umstrahlt in die<br />
Augen fallen, daß sie nicht von Dichtern besungen,<br />
von Geschichtschreibern gepriesen werden.“ 1<br />
Dies ist zumindest der Eindruck, den die etablierte Geschichtswissenschaft gerade durch viele<br />
ihrer Gr<strong>und</strong>lagenwerke vermittelt. Die Frauengeschichte, die Geschichte des Frauenalltags <strong>und</strong><br />
der Frauenbewegung bleibt dort nicht selten ausgespart. Schreibt ein Historiker wie Thomas<br />
Nipperdey in seinem Werk „Deutsche Geschichte 1800-1866“, dass die Auswirkungen der<br />
Frauenbewegung „in 50, in 100 Jahren Gesellschaft, Welt <strong>und</strong> Leben mehr als jede andere ‘Be-<br />
wegung’ verwandelt“ 2 hätten, so hat das durchaus Seltenheitswert. Das Gros der einschlägigen<br />
Sach- <strong>und</strong> Schulliteratur scheint dagegen diese Ansicht über die die Welt verändernde Be-<br />
deutung der Frauenbewegung nicht zu teilen. 3 So verw<strong>und</strong>ert es also nicht, dass sich die Frauen<br />
selbst auf die Suche nach ihrer Geschichte begeben mussten <strong>und</strong> dies bis heute tun.<br />
Seit nun fast 40 Jahren versucht die moderne Frauengeschichtsforschung der Vernachlässigung<br />
der Frauenperspektive in Wissenschaft <strong>und</strong> Öffentlichkeit entgegenzuarbeiten. Die Frauen-<br />
geschichtsforschung revidiert, korrigiert oder vervollständigt Geschichtsbilder <strong>und</strong> Wahrneh-<br />
mungen. Zudem ist sie es, von der die entscheidenden Impulse ausgehen, eine Geschichtsfor-<br />
schung jenseits der Mann-Frau-Dichotomie zu konstituieren, d. h. eine gleichberechtigte Ge-<br />
schichtsforschung der Geschlechter. Vorrangiges Ziel der Frauengeschichtsforschung muss es<br />
jedoch bleiben, das Leben bekannter <strong>und</strong> unbekannter Frauen der Vergangenheit zu rekon-<br />
struieren. Dies sind die entscheidenden Voraussetzungen, um die Bedeutung von Geschichte<br />
für das eigene Erleben zu erkennen, ein Erkenntnisprozess, an dessen Ende schließlich nicht<br />
nur ein weibliches Geschichtsbewusstsein stehen könnte, sondern ein konstitutiver Beitrag<br />
1 Die Frauen <strong>und</strong> das Ausnahmegesetz. In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 164f., S. 165. Zur Zitation von Artikeln der<br />
historischen Frauenzeitschriften siehe: Unterpunkt „Quellmaterial <strong>und</strong> Zitation“.<br />
2 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866, S. 124.<br />
Zur Zitation: Innerhalb dieser Einleitung wird die noch vorzustellende zentrale Forschungsliteratur vollständig<br />
belegt. Im weiteren Verlauf wird wie folgt belegt: Nachname der AutorInnen, Kurztitel, Seitenzahl.<br />
Belegwiederholungen werden durch „ebd.“ gekennzeichnet <strong>und</strong> beziehen sich auf den letztgenannten Beleg.<br />
3 Ob allgemeine Geschichtslexika wie der „dtv-Atlas zur Weltgeschichte“, Golo Manns 1958 verfasste<br />
„Deutsche Geschichte des 19. <strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>erts“ oder die neueren Werke von Helmut M. Müller „Deutsche<br />
Geschichte in Schlaglichtern“ von 2004, Peter Zollings „Deutsche Geschichte 1871 bis zur Gegenwart. Wie<br />
Deutschland wurde, was es ist“ von 2005 oder Manfred Mais „Deutsche Geschichte“ von 2003: Zieht man<br />
diese Einführungsliteratur heran, um Gr<strong>und</strong>sätzliches zur Geschichte der Frauenbewegung zu erfahren, ist die<br />
Enttäuschung groß.<br />
9
EINLEITUNG<br />
weiblicher Identitätsbildung.<br />
Ruf bringt das Verhältnis von Geschichtsbewusstsein <strong>und</strong> Identität wie folgt auf den Punkt:<br />
„Die Geschichte der Frauen stellt sich uns als ein stetiger Kreislauf von Aufbruch<br />
<strong>und</strong> Verdrängung dar. Im Bewußtsein um die Mechanismen, die ihn bewegen,<br />
können sowohl Frauen als auch Männer an der Geschichte lernen <strong>und</strong> Folgerungen<br />
daraus ziehen. Das Sichtbarmachen von Frauen mit Hilfe der historischen<br />
Frauenforschung <strong>und</strong> damit die Aneignung von Geschichte, nicht zuletzt das<br />
selbstbewußte Inanspruchnehmen von Definitionsmacht ist ein Weg, Identität zu<br />
entwickeln. Identifikationsmöglichkeiten wiederum beheben die dominierende<br />
Geschichtslosigkeit der Frauen <strong>und</strong> schaffen Tradition – eine ‘weibliche<br />
Genealogie’ <strong>und</strong> ‘weibliche Autorität’.“ 4<br />
Das Sichtbarmachen des <strong>weiblichen</strong> Anteils an Kultur <strong>und</strong> Geschichte, an Politik <strong>und</strong> Gesellschaft<br />
ist ein Sichtbarmachen von Macht- <strong>und</strong> Ohnmachtsverhältnissen aus vielerlei Perspektiven.<br />
Außerdem handelt es sich dabei keineswegs um einen Prozess, der erst unter dem feministischen<br />
Einfluss der „neuen“ Frauenbewegung <strong>und</strong> der Ereignisse des Jahres 1968 begann. Seine Wurzeln<br />
gründen bereits sowohl in den von Frauen verfassten Schriften des Mittelalters 5 als auch be-<br />
sonders in der „alten“ Frauenbewegung des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts.<br />
Sind es auch 100 Jahre, die die „neue“ von der „alten“ Frauenbewegung trennen, weisen ihre<br />
Entwicklung <strong>und</strong> ihre Probleme doch erstaunliche <strong>und</strong> viel sagende Parallelen auf. Jeweils aus<br />
autonomen Frauenprojekten hervorgegangen, stehen beide Bewegungen <strong>und</strong> ihr Kampf um die<br />
politische, soziale <strong>und</strong> rechtliche Gleichberechtigung für ein „Trotz allem“. Dieses Ringen <strong>und</strong><br />
Widerstehen manifestiert sich sowohl in den Erlebnissen <strong>und</strong> Erfahrungen einzelner Frauen als<br />
auch in der Entwicklungsgeschichte einzelner Frauenorganisationen. Der Schritt in die politische<br />
Öffentlichkeit bedeutete für Frauen den Bruch mit den gesellschaftlichen Normen. Diesem folgten<br />
wiederum meist negative Sanktionen in Form öffentlicher <strong>und</strong> rechtlicher Diskriminierung. Die<br />
politisch aktiven Frauen des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts versuchten, aus dieser Not eine Tugend zu machen,<br />
indem sie sich die von Männern auch heute noch oft belächelten eigenen Räume, eigenen<br />
Netzwerke <strong>und</strong> vor allem eigenen Publikationsmöglichkeiten schufen. Auf diese Weise leisteten<br />
sie inneren wie auch öffentlichen Widerstand. Ein wichtiger Teil dieses Widerstandes war die<br />
Suche nach der eigenen Geschichte.<br />
Heute, wie auch im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert, sind es deshalb vor allem Frauenzeitschriften, die – meist als<br />
Organe eines Frauenvereins entstanden – in ihren Inhalten <strong>und</strong> Strukturen das Selbstverständnis,<br />
die Probleme <strong>und</strong> Problemlösungen „bewegter“ Frauen am besten widerspiegeln. 6 Die<br />
4 Ruf, Bildung hat (k)ein Geschlecht, S. 25.<br />
5<br />
In ihrer 1405 verfassten Schrift „Das Buch von der Stadt der Frauen“ beschreibt z. B. Christine de Pisan (um<br />
1364-um 1430) nicht nur das Frauenleben <strong>und</strong> das Frauenbild des Mittelalters, sondern stärkt auch das<br />
Selbstbewusstsein der Frauen ihrer Zeit.<br />
6 So ist auch die seit 1977 von Alice Schwarzer herausgegebene „Emma“ (1977-aktuell) eine feste Größe der<br />
10
EINLEITUNG<br />
Frauenzeitschriften der „alten“ Frauenbewegung sind zudem Medien in zweifacher Hinsicht.<br />
Damals waren sie aktuelle Presseorgane einer zeitgenössischen Öffentlichkeit, heute sind sie<br />
wissenschaftliche Quellen <strong>und</strong> Archivalien. Als aktuelle Presseorgane beschrieben sie nicht nur<br />
die politischen Entwicklungen des deutschen Kaiserreichs <strong>und</strong> der Weimarer Republik <strong>und</strong> wie<br />
diese Zeit zwischen demokratischem Aufbruch <strong>und</strong> konservativer Repression hin <strong>und</strong> her<br />
pendelte, sondern forschten auch nach dem <strong>weiblichen</strong> Anteil an Geschichte. Zwar sind die<br />
Methoden <strong>und</strong> Ergebnisse nicht mit denen moderner Frauengeschichtsforschung vergleichbar,<br />
doch handelt es sich trotzdem um geschichtliche Aufklärungsarbeit. Diese Aufklärungsarbeit<br />
stellte sich in den Dienst der Emanzipation der Frau <strong>und</strong> war damit eindeutig politisch intendiert.<br />
Allein die Gründung einer Frauenzeitschrift war <strong>und</strong> ist ein politisches Votum, ihre konkrete<br />
politische Ausrichtung macht sich jedoch an ihren Inhalten fest. Selbst so genannte „unpolitische“<br />
Frauen- <strong>und</strong> Familienzeitschriften betrieben Politik. Sie taten dies in mehr oder weniger subtiler<br />
Weise <strong>und</strong> durch Vermittlung eines meist konservativen Frauenbildes. Dagegen bekannten sich<br />
politische Frauenzeitschriften meist offen zu einer reformorientierten Strömung oder sogar zu<br />
einer politischen Partei. Besonders das vermittelte Geschichtsbild spiegelt den jeweiligen<br />
politischen Standort einer Frauenzeitschrift wider. Die Auswahl historischer Themen <strong>und</strong><br />
historischer Biographien, die Art ihrer Darstellung <strong>und</strong> Interpretation einer von Frauen <strong>und</strong> für<br />
Frauen gemachten Zeitschrift gibt aufschlussreiche Einblicke in die Theorie <strong>und</strong> Praxis politischer<br />
Frauenbildung.<br />
Der gezielten politischen Frauenbildung <strong>und</strong> Vermittlung eines <strong>weiblichen</strong> Geschichts-<br />
bewusstseins hatte sich während des deutschen Kaiserreichs vor allem eine Frauenzeitschrift<br />
verschrieben: „Die Gleichheit“ (1891-1923) 7 . Mit der „Gleichheit“ wird eine Frauenzeitschrift im<br />
Mittelpunkt dieser Dissertation stehen, deren historische Bedeutung immens <strong>und</strong> sehr viel-<br />
schichtig ist: Sie war Presseorgan der organisierten proletarischen 8 Frauenbewegung Deutsch-<br />
lands, wurde 1901 offiziell parteieigenes Frauenorgan der deutschen Sozialdemokratie <strong>und</strong> 1907<br />
das Organ der Sozialistischen Fraueninternationale 9 . Vorrangig wollte sie aber laut ihres<br />
Untertitels eines sein: „Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen“. Ihre Themen waren die<br />
öffentlichen Meinung, deren Bedeutung nicht unbedingt an einer Auflage von „nur“ 60.000 Exemplaren gemessen<br />
werden kann.<br />
7 Die Hervorhebung von Personennamen wird in dem Unterpunkt „Quellmaterial <strong>und</strong> Zitation“ erläutert.<br />
8 Der Begriff „proletarisch“ oder „Proletariat“ wird hier allgemein für Aspekte <strong>und</strong> Mitglieder der Arbeiterklasse<br />
verwendet. Gleiches gilt für den Begriff „Proletarierin“, der allgemein eine Frau der Arbeiterklasse bezeichnet.<br />
Hinsichtlich besonderer Zusammenhänge wird es dagegen geboten sein, zwischen in „Arbeiterin“ <strong>und</strong> „Arbeiterfrau“,<br />
„Sozialdemokratin“ <strong>und</strong> „Sozialistin“ oder „sozialdemokratisch“ <strong>und</strong> „sozialistisch“ zu unterscheiden.<br />
9 Die Literatur weist verschiedene Bezeichnungen für die Kongresse dieser internationalen Institution auf („Internationale<br />
Konferenz sozialistischer Frauen“, „Internationale sozialistische Frauenkonferenz“). In der vorliegenden<br />
Arbeit wird die Bezeichnung „Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale“ verwendet.<br />
11
EINLEITUNG<br />
Lebenswelt(en) der deutschen Proletarierinnen, deren Erfahrungen mit Gewalt, Unterdrückung<br />
<strong>und</strong> Ohnmacht – sowohl innerhalb ihrer eigenen Familie als auch innerhalb der bürgerlichen<br />
Gesellschaft. Nur allzu gerne verschloss die bürgerliche Öffentlichkeit die Augen vor den harten<br />
<strong>und</strong> ungerechten Lebensumständen der Arbeiterfamilien <strong>und</strong> den Belastungen, die deren<br />
weibliche Mitglieder zu tragen <strong>und</strong> zu ertragen hatten. Der „Gleichheit“ <strong>und</strong> ihrer Redaktion war<br />
der Name Programm. Mit ihm stellte sie die Forderung nach Gleichberechtigung in den<br />
Mittelpunkt. Eine Forderung, die sie zwar mit bürgerlichen Frauen, deren Organisationen <strong>und</strong><br />
Zeitschriften gemeinsam hatte, die sie aber in bestimmter Hinsicht auch von jenen trennte. Sahen<br />
manche Frauen des bürgerlichen Lagers genug Möglichkeiten, im Rahmen des bestehenden<br />
Gesellschaftssystems ihre Gleichberechtigung zu erlangen, erkannten andere die Ursache der<br />
Unterdrückung der Frauen in der kapitalistischen Ordnung selbst begründet. Eine Verbesserung<br />
der Lage der Frauen konnte für sie daher folgerichtig nur aus der Überwindung einer<br />
Gesellschaftsordnung resultieren, welche prinzipiell auf der Ausbeutung des Menschen durch den<br />
Menschen basiert.<br />
Forschungsinteresse<br />
Die „Gleichheit“ ist ein Forschungsgegenstand, in dem sich sowohl Frauen-, Organisations-,<br />
Parteien- <strong>und</strong> Theoriengeschichte wie auch Presse- <strong>und</strong> Alltagsgeschichte in einer sehr intensiven<br />
Wechselbeziehung miteinander verbinden, eine Wechselbeziehung, die einerseits die große<br />
Bedeutung der „Gleichheit“, andererseits ihre sträfliche Vernachlässigung durch die aktuelle<br />
Geschichtswissenschaft erklärt: <strong>Von</strong> der etablierten Geschichtswissenschaft stiefmütterlich<br />
behandelt, weil sie eine Frauenzeitschrift ist, findet sie wiederum als SPD-Zeitschrift wenig<br />
Beachtung innerhalb der Frauengeschichtsforschung. 10 Selbst in vielen Darstellungen zur SPD-<br />
Geschichte wird die „Gleichheit“ nicht einmal namentlich erwähnt. 11 In denjenigen<br />
10 Das Spektrum aktueller Veröffentlichungen vermittelt den Eindruck, dass der Erforschung der bürgerlichen<br />
Frauenbewegung ein deutlicher Vorrang gegeben wird. Teilweise wird der proletarischen Frauenbewegung, die<br />
den Weg des gemeinsam mit den Männern geführten Klassenkampfes wählte, der Charakter einer<br />
Frauenbewegung <strong>und</strong> damit ihre Relevanz für den Forschungsbereich der Frauengeschichte abgesprochen (vgl.<br />
Hamm-Brücher, Seit 70 Jahren Abschied vom Männerwahlrecht, S. 35). Diesem Standpunkt widerspricht Gerhard<br />
sehr treffend in ihrer Arbeit „Unerhört“: „Die Stimmen, die der proletarischen Frauenbewegung jegliche<br />
Zugehörigkeit zur Frauenbewegung absprechen, verkennen, wieviel Frauenbewußtsein <strong>und</strong> -solidarität, spezifisch<br />
Frauenpolitisches durch die besondere Organisierung von Fraueninteressen innerhalb der SPD <strong>und</strong> auch der<br />
Gewerkschaften möglich wurde. Davon zeugen besonders ‘Die Gleichheit’, aber auch die seit 1900 regelmäßig<br />
stattfindenden Frauenkonferenzen, nicht zuletzt der 1911 zum erstenmal weltweit veranstaltete Internationale<br />
Frauentag.“ (Gerhard, Unerhört, S. 199f.; vgl. auch Borneman, Vorwort des Herausgebers, S. 40f.) Auch<br />
Gr<strong>und</strong>lagenwerke wie das „Wörterbuch Geschichte“ ignorieren unter dem Schlagwort „Frauenbewegung,<br />
Frauenemanzipation“ die proletarische Frauenbewegung völlig (vgl. Fuchs/Raab: Wörterbuch Geschichte,<br />
S. 256f.). Ganz anders dagegen ein von Asendorf verfasster Artikel, in dem trotz der gebotenen Kürze bürgerliche<br />
<strong>und</strong> proletarische Frauenbewegung gewürdigt werden (vgl. Asendorf/Flemming/Müller/Ullrich, Geschichte.<br />
Lexikon der wissenschaftlichen Gr<strong>und</strong>begriffe, S. 187-191).<br />
11<br />
12<br />
In den Nachschlagewerken ihrer Zeit wie z. B. „Sperlings Zeitschriften-Adressbuch“ wird die „Gleichheit“ nicht
EINLEITUNG<br />
Forschungsarbeiten, die schließlich den Wert der 33 Jahrgänge der „Gleichheit“ als einzigartiges<br />
Quellenmaterial erkannten, wird sie selbst jedoch kaum zum Gegenstand einer umfassenden<br />
publizistischen Analyse gemacht.<br />
Das vorrangige Forschungsinteresse dieser Dissertation wird es daher sein, die „Gleichheit“ – in<br />
erster Linie ihr Hauptblatt –, die an ihr beteiligten Personen, ihre Strukturen <strong>und</strong> ihr Selbst-<br />
verständnis möglichst detailliert <strong>und</strong> anhand publizistischer Kriterien darzustellen.<br />
Ein weiteres Forschungsinteresse besteht in der Untersuchung der „Gleichheit“ als einem Medium<br />
<strong>weiblichen</strong> Geschichtsbewusstseins. Welche frauengeschichtlichen Inhalte, Frauenbiographien<br />
<strong>und</strong> schließlich Frauenleitbilder finden sich in ihren Artikeln? Welche Rolle spielte die sozialis-<br />
tische Geschichtsauffassung bei der Vermittlung dieser Frauenleitbilder? Welche Auswirkungen<br />
hatte u. a. der Redaktionswechsel 1917 auf die Art der Darstellung <strong>und</strong> die Auswahl der Beiträge?<br />
Im Folgenden werden die gr<strong>und</strong>sätzliche Relevanz dieser beiden Forschungsinteressen <strong>und</strong> die<br />
Definitionen zentraler Begrifflichkeiten in größerem Zusammenhang dargestellt.<br />
Die „Gleichheit“ als Gegenstand einer pressegeschichtlichen Darstellung<br />
Im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert waren Zeitungen <strong>und</strong> Zeitschriften die Medien mit der höchsten Aktualität <strong>und</strong><br />
dem größten Wirkungsgrad – Radio <strong>und</strong> Kino befanden sich dagegen noch in den Anfängen ihrer<br />
massenwirksamen Entwicklung. Allerdings beobachteten <strong>und</strong> kommentierten Presseorgane als<br />
Spiegel des so genannten Zeitgeistes nicht nur die herrschenden gesellschaftlichen Strukturen <strong>und</strong><br />
Strömungen. Sie waren zudem Foren verschiedener avantgardistischer Bewegungen <strong>und</strong> hatten<br />
als solche eine wichtige orientierende Funktion – eine Eigenschaft, die hinsichtlich der zu unter-<br />
suchenden Frauenleitbilder noch eine besondere Rolle spielen wird. Kaum eine andere schriftliche<br />
Quelle vermochte die öffentliche Meinung so unmittelbar darzustellen wie die Presse – sie ent-<br />
steht sprichwörtlich „am Puls der Zeit“. Dieser Umstand macht sie auch jenseits eines rein<br />
publizistischen Interesses zu einem ganz besonderen Forschungsobjekt. Der Schriftsteller, Philo-<br />
loge <strong>und</strong> Literaturhistoriker Robert Eduard Prutz unterstreicht den besonderen Wert dieses<br />
Mediums mit großer Emphase <strong>und</strong> den folgenden Worten:<br />
„Wir treten, indem wir uns in die vergelbten Jahrgänge alter Zeitungen vertiefen,<br />
wie in eine Totenstadt, ein anderes Pompeji, in welchem wir ein längst<br />
entschw<strong>und</strong>enes Geschlecht plötzlich, als ob wir das Rad der Zeit zurückbewegen<br />
könnten, in der ganzen Unmittelbarkeit seines täglichen Daseins, im Innersten<br />
seiner häuslichen Zustände überraschen. Und wie man aus dem verschütteten<br />
als Frauenzeitschrift geführt, sondern in der Rubrik „Rechts- <strong>und</strong> Staatswissenschaften, Politik, Sozialpolitik,<br />
Statistik, Volkswirtschaft <strong>und</strong> öffentliche Wohlfahrt“ (vgl. Sperlings Zeitschriften-Adressbuch. Adressbuch der<br />
hervorragenden politischen Tagesblätter Deutschlands, Oesterreichs <strong>und</strong> der Schweiz. Hand- <strong>und</strong> Jahrbuch der<br />
deutschen Presse. Stuttgart: H.O. Sperling, 41. Jg. (1902)).<br />
13
EINLEITUNG<br />
Pompeji Urnen <strong>und</strong> Salbgefäße ausgegraben hat, die selbst den Duft ihres Inhalts,<br />
das Arom ihrer Kostbarkeiten erhalten hatten: so weht auch aus den aufgedeckten<br />
Schachten des Journalismus uns jenes w<strong>und</strong>ersame Lüftchen an, das die eigentliche<br />
Lebenslust jeder historischen That, der lebendige Athem jedes bedeutenden<br />
Ereignisses ist – jene Luft, ohne deren reinigenden Hauch der Horizont des Geschichtschreibers<br />
ewig bewölkt bleibt, <strong>und</strong> die doch in unserer eigenen Gegenwart<br />
von so Vielen so leicht verkannt wird: die öffentliche Meinung vergangener Jahrh<strong>und</strong>erte,<br />
die hier (<strong>und</strong> hier allein) ihre wandelbare Erscheinung befestigt hat.“ 12<br />
Alte Zeitungen <strong>und</strong> Zeitschriften haben innerhalb der Geschichtsschreibung demnach die<br />
Bedeutung wieder entdeckter Schätze. Aus ihnen sprudelt, wie aus keinen anderen Quellen, das<br />
Leben vergangener, sich wandelnder Zeiten. Zudem reflektieren sie diesen Zeitenwandel in einem<br />
Maße, wie es monographischen Zeugnissen nicht möglich ist, da diese einer weniger steten<br />
öffentlichen Kritik ausgesetzt sind.<br />
Unweigerlich stellt sich daher die Frage, warum alten Zeitungen <strong>und</strong> Zeitschriften trotz ihres<br />
Forschungswertes so wenig Beachtung innerhalb der Geschichtsschreibung zuteil wird.<br />
Pragmatisch betrachtet könnte ein Gr<strong>und</strong> dafür in den umfangreichen Untersuchungen liegen, die<br />
für die sorgfältige Erfassung der organisatorischen Hintergründe <strong>und</strong> Strukturen unabdingbar sind.<br />
Allein die Tatsache, dass der Erscheinungszeitraum einer Zeitung durchaus über mehrere<br />
Jahrzehnte <strong>und</strong> die redaktionelle <strong>und</strong> personelle Organisation entsprechend wechselhaft verlaufen<br />
kann, birgt eine kaum überschaubare Quantität an Informationen <strong>und</strong> damit wiederum eine<br />
aufwändige Recherche- <strong>und</strong> Gliederungsarbeit. Es wäre z. B. eine unzulässige Vereinfachung,<br />
wenn der Eindruck vermittelt würde, dass eine Zeitschrift sich quasi selbst schreibt – eine Zeitung<br />
wird stets gemacht. Wandlungen ihres Erscheinungsbildes, ihres Umfanges, ihrer editorischen <strong>und</strong><br />
personellen Strukturen sind nicht nur Ausdruck einer aktuellen Mode, sondern auch<br />
entscheidender gesellschaftspolitischer <strong>und</strong> persönlicher Konflikte. Gerade diese sind es, die einer<br />
umfangreichen Erforschung <strong>und</strong> Interpretation nicht nur würdig sind, sondern dieser auch<br />
bedürfen. Schlussendlich sind es wohl derartige Erschwernisse, die Anteil an dem Dilemma<br />
haben, wie es bereits für die „Gleichheit“ festgestellt wurde: Pressemedien sind häufig Quellen,<br />
aber selten Gegenstand historischer Forschung.<br />
Nun war die „Gleichheit“ jedoch keine Zeitung. Sie war auch nicht nur eine Zeitschrift oder poli-<br />
tische Zeitschrift. Sie war eine politische Frauenzeitschrift. Die Besonderheiten, die sich hinter<br />
diesen publizistischen Kategorien verbergen, machen eine Erörterung des Begriffs der Zeitschrift<br />
<strong>und</strong> des Begriffs der politischen Zeitschrift im Speziellen unverzichtbar, welche deshalb an dieser<br />
12 Prutz, Geschichte des deutschen Journalismus, S. 7f. Prutz verfasste mit diesem Werk die erste, wenn auch<br />
unvollendet gebliebene „Geschichte des Journalismus“. Vgl. auch: Lewin-Dorsch: Aus alten Zeitungen. In: GL,<br />
21 (1911)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 20/ 78-79.<br />
14
Stelle kurz erfolgen soll.<br />
EINLEITUNG<br />
Nach dem von Haacke 1968 verfassten Gr<strong>und</strong>lagenwerk „Die politische Zeitschrift“ sind folgende<br />
Kriterien für die Charakterisierung eines Presseorgans entscheidend: Kontinuität, Periodizität,<br />
Aktualität, Publizität, Universalität <strong>und</strong> Soziabilität. 13 Eine Zeitschrift ist demnach als eine solche<br />
zu definieren, wenn sie – im Gegensatz zur täglich erscheinenden Zeitung – ein wöchentliches<br />
oder monatliches Erscheinen aufweist, weniger aktuell als vielmehr umfassend <strong>und</strong> vertiefend ist<br />
<strong>und</strong> sich auf einen bestimmten Leserkreis begrenzt. Hinsichtlich der hier im Mittelpunkt<br />
stehenden Frauenzeitschriften trifft Letzteres in besonderem Maße zu. Wenn sie aber auch durch<br />
die Begrenzung ihrer Leserkreise einerseits stark an Publizität <strong>und</strong> Universalität einbüßen, so<br />
stärken Frauenzeitschriften damit andererseits jedoch auch ihre Soziabilität, also ihre „gesell-<br />
schaftsfördernde, gruppenbildende, gemeinschaftsformende Kraft“ 14 . Diese laut Haacke jeder<br />
Zeitschrift innewohnende Kraft steht nicht nur in direktem Bezug zum politischen Gehalt einer<br />
Zeitschrift <strong>und</strong> damit zur politischen Zeitschrift, sie verweist auch bereits auf den Charakter eines<br />
Leitbildes, wie er später noch näher erläutert werden wird.<br />
Eine politische Zeitschrift unterscheidet sich von anderen Zeitschriften vor allem darin, nicht nur<br />
informieren, sondern auch zu Diskussion <strong>und</strong> vor allem zu Aktion anregen zu wollen. Sie bemüht<br />
sich, ihre Leserschaft zu agitieren, d. h. im Sinne einer politischen Idee zu einem entsprechenden<br />
Handeln zu bewegen. 15<br />
Im Falle einer politischen Frauenzeitschrift des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts ist diese politisierende Ziel-<br />
setzung viel gr<strong>und</strong>sätzlicher gegeben als im Falle heutiger Frauenzeitschriften. Im deutschen<br />
Kaiserreich bedeutete bereits die Lektüre einer politischen Frauenzeitschrift eine Anteilnahme am<br />
öffentlichen Geschehen <strong>und</strong> damit einen Bruch mit dem gängigen konservativen Frauen(leit)bild.<br />
Dieses enthielt wiederum viele Argumente für das Bestreben, Frauen von Öffentlichkeit <strong>und</strong> Poli-<br />
tik fernzuhalten. Einen besonders noblen <strong>und</strong> fürsorglichen Eindruck machte man(n), wenn Politik<br />
generell als zu „schmutzig“ <strong>und</strong> unzumutbar für das reine weibliche Wesen deklariert wurde. Dem<br />
eigenen Ego konnte man(n) dagegen schmeicheln, erklärte man(n) Politik schlichtweg als zu<br />
13 Vgl. Haacke, Wilmont: Die politische Zeitschrift 1665-1965, Bd. 1. Stuttgart: K.F. Koehler, 1968, S. 37-40. Die<br />
einzige von Haacke untersuchte Frauenzeitschrift ist allerdings die von Helene Lange (1848-1930) <strong>und</strong> Gertrud<br />
Bäumer (1873-1954) herausgegebene bürgerliche „Die Frau“ (1893-1944) (vgl. Haacke, Die politische Zeitschrift,<br />
Bd. 2, S. 267ff.).<br />
14 Haacke, Die politische Zeitschrift, Bd. 1, S. 40.<br />
15 Kinnebrock verweist hier auf Franz Ronneberger, der die Funktion einer politischen Zeitschrift darin sieht, „eine<br />
‘qualifizierte’ Öffentlichkeit herzustellen, die ‘nicht nur passiv konsumiert, sondern auch diskutiert <strong>und</strong> agiert’,<br />
sodass sich neue (politische) Ideen entwickeln können“ (Ronneberger, Franz: Kommunikationspolitik III.<br />
Kommunikationspolitik als Medienpolitik. Mainz: v. Hase & Koehler, 1986, S. 50f. Zit. nach: Kinnebrock,<br />
Gerechtigkeit erhöht ein Volk!?, S. 158). Im Folgenden wird der Begriff der „Agitation“ im selben positiven<br />
Wortsinn gebraucht wie es die „Gleichheit“ tat, d. h. im Sinne einer „politischen Aufklärungsarbeit“ <strong>und</strong> nicht<br />
einer „politischen Hetze“ (vgl. Wahrig. Deutsches Wörterbuch, S. 168).<br />
15
EINLEITUNG<br />
anspruchsvoll für den <strong>weiblichen</strong> Intellekt.<br />
Es erscheint also, als ob die politische Frauenzeitschrift dem Charakter einer politischen<br />
Zeitschrift par excellence entspricht. Dies trifft aber nur bedingt zu, da auf sie die Definition der<br />
politischen Zeitschrift nicht gänzlich unmodifiziert angewendet werden kann. 16 Denn wie unter-<br />
haltende Frauenzeitschriften nie gänzlich als unpolitisch klassifiziert werden können, enthalten<br />
umgekehrt politische Frauenzeitschriften stets auch einen Unterhaltungs- <strong>und</strong> Ratgeberteil. 17<br />
Weder ist die „Gleichheit“ eine allgemeine Frauenzeitschrift, ausschließlich ein Mitteilungsblatt<br />
ihrer Frauenorganisationen oder nur ein Unterhaltungsblatt für die Frau. Die „Gleichheit“ ist nicht<br />
einer dieser einzelnen Kategorien allein zuzuordnen. Vielmehr vereinte sie alle in sich – wenn<br />
auch mit verschiedenen Schwerpunkten. Gleiches gilt für ihre Vorgängerinnen.<br />
Die „Gleichheit“ als Quelle einer inhaltlich-qualitativen Analyse historischer Frauen-<br />
leitbilder<br />
Neben einer detaillierten Darstellung der „Gleichheit“ beansprucht diese Dissertation, eine Ana-<br />
lyse der in ihren biographischen Artikeln enthaltenen Frauenleitbilder zu leisten. Dies erfordert<br />
zunächst einige Erläuterungen zum Begriff des „Frauenleitbildes“. Dabei soll aufgezeigt werden,<br />
dass sich hinter ihm etwas anderes verbirgt als vielleicht im Alltagsdenken angenommen oder<br />
durch den Begriff suggeriert wird. Bei Frauenleitbildern handelt es sich nicht um eine Be-<br />
schreibung adäquater Lebenswege für Frauen – vorurteilslos <strong>und</strong> zweckdienlich –, sondern<br />
vielmehr um weibliche Stereotypen <strong>und</strong> Rollenklischees. Entweder basieren Frauenleitbilder da-<br />
bei auf althergebrachten Traditionen <strong>und</strong> streben deren Erhalt an, oder aber sie zielen auf eine<br />
Bewusstseinsumbildung <strong>und</strong> einen radikalen Bruch mit den Traditionen – ein Entweder-Oder, das<br />
gegensätzlicher nicht sein könnte. Und doch gelingt es so manchem radikalen Frauenleitbild<br />
erstaunlicherweise nicht, seine traditionellen Wurzeln vollkommen zu kappen. Eine Fülle von<br />
Berührungspunkten <strong>und</strong> Kompromissen zwischen alten <strong>und</strong> neuen Frauenleitbildern scheinen die<br />
Bewusstseinsumbildung zu überdauern oder deren Unvollständigkeit zu bezeugen. Besonders<br />
auffällig zeigt sich dies bei den Mutter-Leitbildern innerhalb der verschiedenen Strömungen der<br />
deutschen Frauenbewegung.<br />
Die proletarische Frauenbewegung definierte sich als Teil der revolutionär-sozialistischen<br />
Arbeiterbewegung <strong>und</strong> forderte als solcher die Umwälzung der kapitalistischen Gesellschaft. Sie<br />
16 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 17.<br />
17 Ein Sonderfall ist z. B. die kulturpolitische Zeitschrift, weil sie mit ihren kulturellen <strong>und</strong> literarischen Themen<br />
traditionelle Interessengebiete der Frauen anspricht. Doch auch in politischen Zeitschriften der SPD wie den<br />
„Sozialistischen Monatsheften“ (1897-1933) ist auffällig, dass kulturelle Themen vornehmlich von <strong>weiblichen</strong><br />
Mitarbeitern behandelt werden.<br />
16
EINLEITUNG<br />
stand für den gemeinsamen revolutionären Klassenkampf gegen die Bourgeoisie <strong>und</strong> den<br />
Kapitalismus. Ein Bruch mit den althergebrachten Traditionen erschien da unumgänglich. Wenn<br />
dem aber so war, welche Alternativen wurden geboten? Agitierten Frauenbewegung <strong>und</strong> Partei für<br />
ein alternatives sozialistisches Gesellschaftsideal, so mussten den Proletarierinnen auch ent-<br />
sprechende Identifikations- <strong>und</strong> Orientierungsmöglichkeiten geboten <strong>und</strong> vermittelt werden.<br />
Unabhängig von den jeweiligen Inhalten hatte man zudem eine geeignete Art <strong>und</strong> Weise zu<br />
finden, um die Masse der indifferenten Proletarierinnen zu erreichen. Nur mittels einer geeigneten<br />
Ansprache konnte man sie gr<strong>und</strong>legend politisieren, für die gewerkschaftliche Organisation <strong>und</strong><br />
die Mitgliedschaft in Vereinen interessieren, sie letztlich für eine aktive Teilnahme am revolu-<br />
tionären Klassenkampf gewinnen. Um diesen möglichst umfassenden – d. h. sowohl intensiven<br />
als auch extensiven – Wandel des bisher gültigen bürgerlich-kapitalistischen Frauenleitbildes zu<br />
erreichen, mussten die Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung die engen Grenzen ihrer<br />
bis zu diesem Zeitpunkt in der Hauptsache auf persönlicher Ansprache beruhenden Agitation<br />
durchbrechen. Zu diesem Zweck bedurfte es, neben Versammlungen <strong>und</strong> Vereinstreffen, dringend<br />
einer eigenen Presse, denn diese eröffnete gerade für die Steuerung, Reproduktion <strong>und</strong> Multi-<br />
plikation politisch motivierter Leitbilder ganz neue Möglichkeiten.<br />
Diese einleitenden thematischen Annäherungen verdeutlichen bereits, dass Presse <strong>und</strong> Leitbilder<br />
sich in ihren Funktionen <strong>und</strong> Zielsetzungen auffällig gut ergänzten. Moderne Medien bedienen<br />
sich zur Informationsübermittlung z. B. der Methoden der Vereinfachung <strong>und</strong> der Wiederholung –<br />
prinzipiell nur zwei Eigenschaften, die in der Natur der Sprache liegen. Jedoch muss man sich<br />
stets vergegenwärtigen, wie Sprache auf eine solche verkürzte <strong>und</strong> standardisierte Weise eben<br />
auch eine Art Konformität herstellt bzw. zwangsläufig herstellen muss. 18 Und so wird ganz neben-<br />
bei deutlich, dass es jenes publizistische „Handwerkszeug“ der Vereinfachung, Wiederholung,<br />
Verkürzung <strong>und</strong> Standardisierung ist, auf dem auch die Wirksamkeit von Frauenleitbildern basiert.<br />
Es ist jedoch entscheidend, dass die Vermittlung von Frauenleitbildern insoweit über eine reine In-<br />
formationsübermittlung hinausgeht, als sie nicht nur auf eine möglichst homogenisierende<br />
Wirkung auf ein ansonsten heterogenes weibliches Publikum abzielt, sondern vor allem auf eine<br />
Verinnerlichung politischer Inhalte. Die „Gleichheit“ fasste zu diesem Zweck z. B. komplexe<br />
wirtschaftliche Zusammenhänge nicht nur in eine einfache <strong>und</strong> vor allem politisch gefärbte<br />
Sprache, sondern gab ihnen immer auch einen direkten Bezug zum proletarischen Alltag. Indem<br />
dieser Alltag überwiegend als elend <strong>und</strong> sorgenvoll dargestellt wurde – was er zweifelsohne ja<br />
18 Auf sehr unterhaltsame Weise beschäftigt sich die Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch in ihrer 1990<br />
erschienenen Publikation „Alle Menschen werden Schwestern“ mit feministischer Sprachkritik.<br />
17
EINLEITUNG<br />
auch war –, bediente man sich zudem einer Emotionalität, welche auch innerhalb einer politischen<br />
Frauenzeitschrift ihren festen Platz hatte – vor allem im Feuilleton.<br />
Der Begriff der Frauenbewegung musste, um keine leere Worthülse zu sein, sowohl einen<br />
Erkenntnisprozess als auch praktisches Handeln umfassen. Die Proletarierinnen sollten verstehen,<br />
dass es in ihrem persönlichen Interesse lag, den Umsturz der kapitalistischen Gesellschaft erst<br />
einmal zu wollen <strong>und</strong> dann auch zu betreiben. Auf den ersten Blick scheint dies in logischer<br />
Konsequenz jenen Traditionsbruch mit dem „Kinder, Küche, Kirche“-Leitkonzept der bürger-<br />
lichen Gesellschaft zu beinhalten. Doch zeigte sich schon bald, dass auch die Proletarierinnen in<br />
ihren klassischen Rollen sowohl „als Arbeiterin, als Frau <strong>und</strong> vor allem auch als Mutter“ 19<br />
angesprochen werden wollten. Um aber mit dieser Art der Ansprache nicht „bourgeoisen“<br />
Frauenleitbildern Vorschub zu leisten, musste sie nach anderen, nach proletarischen Prinzipien<br />
<strong>und</strong> Inhalten erfolgen. Umso strenger sollte nach Meinung einiger Sozialistinnen die „reinliche<br />
Scheidung“ 20 zur bürgerlichen Frauenbewegung <strong>und</strong> ihren Zielsetzungen vollzogen werden.<br />
Die langjährige Vorkämpferin der proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> Redakteurin der<br />
„Gleichheit“ Clara Zetkin (1857-1933) 21 erklärte auf dem Parteitag in Gotha 1896:<br />
19 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 175.<br />
20 Zu diesem zentralen von Zetkin geprägten Begriff für die Charakterisierung des Verhältnisses von proletarischer<br />
<strong>und</strong> bürgerlicher Frauenbewegung vgl. Reinliche Scheidung. In: GL, 04/ 08/ 18.04.1894/ 63. Noch einmal<br />
„reinliche Scheidung“, I. In: GL, 04/ 13/ 27.06.1894/ 102-103. Noch einmal „reinliche Scheidung“, II. In: GL, 04/<br />
15/ 25.07.1894/ 115-117.<br />
21<br />
Die Hervorhebungsweisen von Personennamen werden in dem Unterpunkt „Quellmaterial <strong>und</strong> Zitation“ (S. 23ff.)<br />
eingehend erläutert.<br />
Clara Josephine Zetkin, geb. Eißner, später verh. Z<strong>und</strong>el, wurde im sächsischen Wiederau als Tochter eines<br />
Dorfschullehrers <strong>und</strong> Kantors geboren. Ihre Mutter hatte persönlichen Kontakt zur bürgerlichen Frauenbewegung.<br />
Zetkin besuchte 1874-1878 das Steybersche Institut, ein Lehrerinnenseminar, in Leipzig, dort lernte sie in einem<br />
Kreis linksintellektueller EmigrantInnen aus Russland Ossip Zetkin, ihren späteren Lebensgefährten, kennen.<br />
1878 schloss sie sich der SPD an. Zetkin arbeitete als Erzieherin in Deutschland, Österreich <strong>und</strong> der Schweiz, wo<br />
sie im Vertrieb verbotener SPD-Literatur mitwirkte, <strong>und</strong> wurde schließlich in Paris ansässig. Hier lebte sie seit<br />
1882 in Lebensgemeinschaft mit Ossip Zetkin, verfasste mit ihm gemeinsam Aufsätze für Zeitschriften in<br />
Deutschland <strong>und</strong> brachte zwei Söhne zur Welt, Maxim <strong>und</strong> Kostja. Auf dem Gründungskongress der Zweiten<br />
Internationale im Juli 1889 hielt Zetkin ein viel beachtetes Referat zur „Arbeiterinnen- <strong>und</strong> Frauenfrage der<br />
Gegenwart”. Auf diesem Kongress kam der erste Kontakt zu Emma Ihrer <strong>und</strong> ihrer späteren engen Fre<strong>und</strong>in Rosa<br />
Luxemburg zustande. 1890 kehrte Zetkin nach Deutschland zurück <strong>und</strong> wurde in Stuttgart ansässig. 1899 heiratete<br />
sie den 18 Jahre jüngeren Maler <strong>und</strong> Dichter Georg Friedrich Z<strong>und</strong>el. Mit ihm, der bald durch Porträtmalerei hohe<br />
Einkünfte erzielen sollte, erwarb Zetkin 1903 ein Haus in Sillenbuch. 1917 trennte sich das Ehepaar, 1927 erfolgte<br />
die Scheidung. 1892-1913 wurde Zetkin zu jedem SPD-Parteitag delegiert. 1891-1917 war sie Redakteurin der<br />
„Gleichheit”. Seit 1899 wurden ihre Arbeiten durch zunehmende Blindheit (in den Jahren 1899 bis 1906 erfolgten<br />
drei Augenoperationen) erschwert. 1907 ernannte die Sozialistische Fraueninternationale Zetkin zur internationalen<br />
Sekretärin der sozialistischen Frauen. 1910 stellte Zetkin gemeinsam mit Käte Duncker (1871-1953)<br />
auf der zweiten Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale einen Antrag auf jährliche Ausrichtung eines<br />
„Internationalen Frauentages”. Zetkin war eine erklärte Kriegsgegnerin <strong>und</strong> initiierte 1915 die Berner Frauenfriedenskonferenz.<br />
In Konsequenz wurde ihr 1917 durch den SPD-Vorstand die Redaktion der „Gleichheit“<br />
entzogen <strong>und</strong> sie Mitglied der USPD. 1919 trat sie der KPD bei <strong>und</strong> wurde Redakteurin der „Kommunistin”<br />
(1919-1924). 1920-1930 war sie KPD-Abgeordnete des Reichstages. Seit 1918 war Zetkin in verschiedenen<br />
Funktionen mit dem Aufbau des sowjetischen Bildungssystems <strong>und</strong> der Vertretung der Fraueninteressen in der<br />
18
„Die Agitation unter den proletarischen Frauen muß daher in erster Linie<br />
sozialistische Agitation sein. Ihre Hauptaufgabe ist, die prole-tarischen Frauen zum<br />
Klassenbewußtsein zu wecken <strong>und</strong> für den Klassenkampf zu gewinnen.“ 22<br />
EINLEITUNG<br />
Damit formulierte Zetkin als Gr<strong>und</strong>voraussetzung für die Befreiung der Frau die Einheit von<br />
proletarischer Frauenbewegung <strong>und</strong> sozialistischer Arbeiterbewegung <strong>und</strong> präzisierte somit die so<br />
genannte „sozialistische Frauenemanzipationstheorie“ 23 . Die orthodoxen Sozialistinnen, welche in<br />
der proletarischen Frauen-bewegung bis 1917 die Mehrheit bildeten, lehnten das Leitbild einer<br />
gegen die Männerherrschaft revoltierenden „Frauenrechtlerin“ strikt ab. Dieses Leitbild war in<br />
ihren Augen nur ein Irrweg der bürgerlichen Frauenbewegung <strong>und</strong> letztlich eine Unterminierung<br />
der „Klassen- <strong>und</strong> Geschlechterharmonie“, wie sie innerhalb des Proletariats zugunsten<br />
gemeinsamer Kampfeskraft gepflegt werden sollte. <strong>Von</strong> dieser Strategie brachten sie weder die<br />
Schwierigkeiten angesichts der in Deutschland bestehenden politisch-repressiven Verhältnisse<br />
noch die innerhalb der SPD zunehmenden antifeministischen Tendenzen ab.<br />
Ein Überblick über die in der „Gleichheit“ erschienenen biographischen Artikel lässt allerdings<br />
erahnen, dass im Gegensatz zu diesen Strategieprinzipien ein proletarisches Frauenleitbild unter-<br />
schiedliche Charaktereigenschaften <strong>und</strong> Idealtypen hervorhob – dabei aber auch auf bürgerliche<br />
Tugenden zurückgriff. Die Biographie der radikalen Kommunardin Louise Michel (1839-1905)<br />
steht neben derjenigen von Katharina Elisabeth Goethe (1731-1808), die als Mutter des späteren<br />
Weimarer Dichterfürsten dem Bürgertum zugehörte. Beide scheinen Qualitäten im Sinne eines<br />
proletarischen Frauenleitbildes zu haben <strong>und</strong> beide Personen werden in ihren historischen Lebens-<br />
zusammenhängen beschrieben. Geschichte <strong>und</strong> deren Erforschung – aber auch die sich in ihnen<br />
widerspiegelnde Tradition <strong>und</strong> Tradierung – haben eine wesentliche Bedeutung für die Konstruk-<br />
tion <strong>und</strong> Kontinuität von Frauenleitbildern. Heutige frauengeschichtliche Forschung erhebt oft<br />
den Anspruch, im Namen weiblicher Gleichberechtigung oder wissenschaftlicher Objektivität be-<br />
trieben zu werden. Die „Gleichheit“ verschrieb sich dagegen auch in diesem Bestreben von<br />
Beginn an einer konkreten politischen Richtung. Sie betrieb Erforschung <strong>und</strong> Darstellung histo-<br />
KomIntern betraut. 1925 wurde sie Präsidentin der „Internationalen Roten Hilfe”. Sie unternahm zahlreiche<br />
Reisen innerhalb der Sowjetunion. Zetkins letzter öffentlicher Auftritt in Deutschland war die Eröffnung des<br />
Reichstags 1932 als Alterspräsidentin, bei der sie zur Einheit aller antifaschistischen Kräfte aufrief.<br />
Eine Auswahl biographischer Arbeiten zu Clara Zetkin sind im Verzeichnis biographischer Literatur enthalten,<br />
Arbeiten, die einen Schwerpunkt auf ihre Tätigkeit für die „Gleichheit“ legen im Verzeichnis der Fachliteratur. Im<br />
Weiteren wird vor allem dieser Schwerpunkt hervorgehoben.<br />
22 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 175. Dieses Gr<strong>und</strong>satzreferat machte Zetkin zur<br />
führenden Theoretikerin der proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> zu einer herausragenden Persönlichkeit der<br />
sozialistischen Arbeiterbewegung.<br />
23 Siehe: Bölke, Die Wandlung der Frauenemanzipationsbewegung; Meulenbelt, Feminismus <strong>und</strong> Sozialismus.<br />
19
EINLEITUNG<br />
rischer Ereignisse <strong>und</strong> Persönlichkeiten in der Absicht, politisch Stellung zu beziehen <strong>und</strong> – ganz<br />
deutlich gesagt – ihre Leserinnen entsprechend zu beeinflussen. Diese Symbiose von Geschichts-<br />
vermittlung <strong>und</strong> politischer Zielsetzung gilt es in dieser Arbeit vorzustellen <strong>und</strong> zu interpretieren.<br />
Sek<strong>und</strong>ärliteratur <strong>und</strong> Forschungsstand<br />
Die allgemeine Forschung zur proletarischen Frauenbewegung bietet dem gezielt Suchenden<br />
durchaus einiges an Informationen zur „Gleichheit“. Die Erscheinungsjahre dieser Werke<br />
vermitteln jedoch den unzweifelhaften Eindruck, dass mit den 1980er Jahren auch der For-<br />
schungsdrang zur proletarischen Frauenbewegung insgesamt sein Ende gef<strong>und</strong>en hat. Einen guten<br />
Überblick über die vorhandene Literatur geben zwei in den 1970er <strong>und</strong> 1980er Jahren erstellte<br />
Bibliographien: Die „Bibliographie zur Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse für<br />
die Befreiung der Frau <strong>und</strong> zur Rolle der Frau in der deutschen Arbeiterbewegung. <strong>Von</strong> den<br />
Anfängen bis 1970“ 24 <strong>und</strong> „Proletarische Frauenbewegung: Literatur- <strong>und</strong> Forschungs-<br />
dokumentation 1982-1986“ 25 . Beide sind entsprechend ihrer zeitlichen Begrenzung bereits sehr<br />
ergänzungsbedürftig.<br />
Im Folgenden möchte ich die zentrale Forschungsliteratur vorstellen <strong>und</strong> dabei mit denjenigen<br />
Arbeiten beginnen, die einen ähnlichen Erkenntnisanspruch wie die hier vorliegende Dissertation<br />
haben. Es sind vor allem zwei Arbeiten zu nennen: Bei der ersten handelt es sich um Elisabeth<br />
Vormschlags Dissertation „Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften der<br />
SPD, der USPD, der KPD in den Jahren 1890-1933 <strong>und</strong> der NSDAP in den Jahren 1932-1945“ 26 .<br />
Diese 1970 verfasste <strong>und</strong> – bedauerlicherweise – unveröffentlicht gebliebene Dissertation der<br />
Georg-August-Universität in Göttingen ist m. E. ein herausragender Forschungsbeitrag. Neben der<br />
publizistischen Kategorisierung der „Gleichheit“ als politische Zeitschrift ist der tiefer gehende<br />
24 Bibliographie zur Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse für die Befreiung der Frau <strong>und</strong> zur Rolle<br />
der Frau in der deutschen Arbeiterbewegung. <strong>Von</strong> den Anfängen bis 1970. Bearbeitet von Ingrid u. Hans-Jürgen<br />
Arendt. Hrsg. von der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig im Auftrage der Arbeitsgemeinschaft<br />
„Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse für die Befreiung der Frau“. Leipzig: Selbstverlag, 1974.<br />
25 Proletarische Frauenbewegung: Literatur- <strong>und</strong> Forschungsdokumentation 1982-1986. Bearbeitet von Marit<br />
Borcherding u. Hannelore Schott. Hrsg. vom Informationszentrum Sozialwissenschaften in Zusammenarbeit mit<br />
der Friedrich-Ebert-Stiftung – Bibliothek der sozialen Demokratie. Bonn: Informationszentrum Sozialwissenschaften,<br />
1988.<br />
26 Vormschlag, Elisabeth: Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften der SPD, der USPD, der<br />
KPD in den Jahren 1890-1933 <strong>und</strong> der NSDAP in den Jahren 1932-1945. Dissertation Georg-August-Universität<br />
Göttingen, 1970. Einen ebenfalls informativen, wenn auch wesentlich kürzeren inhaltlichen Vergleich zwischen<br />
der „Gleichheit“ <strong>und</strong> den beiden bürgerlichen Frauenzeitschriften „Die Frauenbewegung“ (1895-1919) <strong>und</strong><br />
„Centralblatt des B<strong>und</strong>es Deutscher Frauenvereine“ (1899-1912/13) stellte Wischermann an. Sie setzte dabei den<br />
Schwerpunkt auf die Themen Sittlichkeit <strong>und</strong> Stimmrecht (vgl. Wischermann, Ulla: Frauenbewegung <strong>und</strong><br />
Öffentlichkeiten um 1900. Netzwerke – Gegenöffentlichkeiten – Protestinszenierungen. Königstein/Taunus:<br />
Helmer, 2003; besonders S. 199-207).<br />
20
EINLEITUNG<br />
Vergleich linker <strong>und</strong> rechter Frauenzeitschriften eine wertvolle wissenschaftliche Leistung. Als<br />
zweite Arbeit ist der sehr prägnante Artikel der dänischen Sprach- <strong>und</strong> Kommunikationswissen-<br />
schaftlerin Kirsten Gomard „Die sozialistische Frauenzeitschrift ‘Die Gleichheit’. Angebot einer<br />
alternativen Frauenidentität?“ 27 von 1988 zu nennen. Die Autorin untersucht hier u. a. 55 bio-<br />
graphische „Gleichheit“-Artikel <strong>und</strong> ordnet diese verschiedenen <strong>weiblichen</strong> Leitbildern zu. Beide<br />
Arbeiten finden Eingang in die vorgelegten Untersuchungen <strong>und</strong> werden dabei einer ausführlichen<br />
Kritik unterzogen.<br />
Eine Arbeit, die augenscheinlich die in dieser Arbeit behandelten Fragestellungen zu betreffen<br />
scheint, ist der 1976 veröffentlichte Artikel „Der Beitrag der ‘Gleichheit’ zur Entwicklung des<br />
Geschichtsbewußtseins ihrer Leserinnen“ 28 von Ruth Götze. Dieser Artikel, der sich inter-<br />
essanterweise sogar punktuell auf die Arbeit Vormschlags bezieht, stellt jedoch lediglich partei-<br />
<strong>und</strong> bewegungsgeschichtliche Inhalte der „Gleichheit“ dar. Frauengeschichtliche Inhalte werden<br />
nicht erwähnt, <strong>und</strong> ein spezifisch weibliches Geschichtsbewusstsein wird nicht als ein Auftrag der<br />
„Gleichheit“ in Betracht gezogen.<br />
Weitere gr<strong>und</strong>legende Publikationen zur „Gleichheit“ sind ein Heft der Zeitschrift „Ariadne“ 29<br />
<strong>und</strong> eine stichwortbezogene Auswertung durch die „Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Frauenfor-<br />
schung“ der Gesamthochschule Kassel. 30 Erstere ist als Publikation der in Kassel ansässigen<br />
Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung die bisher mit Abstand anschaulichste Darstellung<br />
zur „Gleichheit“. In ihr zeichnen verschieden akzentuierte Artikel die Entwicklung <strong>und</strong> Position<br />
der „Gleichheit“, der beteiligten Personen <strong>und</strong> Organisationen nach <strong>und</strong> bieten darüber hinaus vor<br />
27 Gomard, Kirsten: Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“. Angebot einer alternativen Frauenidentität?<br />
In: Augias. Germanistisches Institut der Universität Aarhus, Bd. 28 (1988), S. 25-42. Zwei weitere<br />
Artikel Gomards, die jedoch deutlich kürzer <strong>und</strong> themenspezifischer sind als der bereits genannte sind: Gomard,<br />
Kirsten: Die Agitation der „Gleichheit“ als proletarische Frauenöffentlichkeit untersucht anhand der Beiträge zum<br />
Thema Aufrüstung, Krieg <strong>und</strong> Pazifismus, 1892-1917. In: Die Verantwortung der Literatur in ihrer Zeit.<br />
Ausgewählte Beiträge vom VI. gemeinsamen Kolloquium von Literaturwissenschaftlern der Universität Aarhus<br />
<strong>und</strong> der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. 31. Mai bis 2. Juni 1983 in Greifswald, Greifswalder<br />
Germanistische Forschungen, 6, 1985, S. 65-72. Dies.: Die Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität <strong>und</strong><br />
Utopie. In: Utopie <strong>und</strong> Realität im Funktionsverständnis von Literatur (Französische Revolution – Oktoberrevolution<br />
– Gegenwart). Ausgewählte Beiträge vom VII. gemeinsamen Kolloquium von Literaturwissenschaftlern der<br />
Universität Aarhus <strong>und</strong> der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. 18. <strong>und</strong> 19. Mai 1987 in Greifswald.<br />
Greifswalder Germanistische Forschungen, 10, 1989, S. 40-45.<br />
28 Götze, Ruth: Der Beitrag der „Gleichheit“ zur Entwicklung des Geschichtsbewußtseins ihrer Leserinnen. In:<br />
Wissenschaftliche Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig, 1976, Nr. 3, S. 60-65.<br />
29 Ariadne. Nr. 22: „Ich habe nicht ein Amt, sondern eine Meinung“ – 100 Jahre „Die Gleichheit“ (1892-1923).<br />
Kassel 1992.<br />
30 Auswertung der Zeitschrift „Die Gleichheit“ 1892-1914 nach den Stichworten „Arbeit, Bildung <strong>und</strong> Beruf“.<br />
Bearbeitet von Brigitte Robak u. Jutta Schmidt. Hrsg. von der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Frauenforschung<br />
der Gesamthochschule Kassel, Kassel 1989.<br />
21
EINLEITUNG<br />
allem wertvolle Bild- <strong>und</strong> Dokumentationsmaterialien. Die stichwortbezogene Auswertung,<br />
angelegt als chronologisches Register ausgewählter Artikeldaten, stellt allerdings weniger eine<br />
Gr<strong>und</strong>lage für eine inhaltliche Diskussion, sondern vielmehr ein thematisch sehr begrenztes<br />
Forschungshilfsmittel dar.<br />
Des Weiteren gibt es einige Publikationen, die sich zwar besonders der „Gleichheit“ widmen, dies<br />
jedoch vordergründig anhand einer bestimmten Themenstellung tun – sich ihrer also lediglich als<br />
historische Quelle bedienen. Dem entsprechend sind die Beschreibungen zur „Gleichheit“ selbst<br />
in ihrer Ergiebigkeit sehr unterschiedlich: Fritz Staude veröffentlichte 1974 in den „Beiträgen zur<br />
Geschichte der Arbeiterbewegung“ den Artikel „Die Rolle der ‘Gleichheit’ im Kampf Clara<br />
Zetkins für die Emanzipation“ 31 . Er gibt darin zwar einen guten Überblick über die Entwicklung<br />
<strong>und</strong> Struktur der Zeitschrift sowie über ihre Verknüpfung mit der SPD, konzentriert seine<br />
Betrachtung aber sehr stark auf die dominante Persönlichkeit Zetkins. Letzteres ist eine Eigenart,<br />
die nahezu alle DDR-Veröffentlichungen zur „Gleichheit“ aufweisen <strong>und</strong> die in der hier<br />
vorliegenden Arbeit bewusst thematisiert <strong>und</strong> teilweise durchbrochen werden soll, um gerade auch<br />
den weniger bekannten „Gleichheit“-Mitarbeiterinnen entsprechend Platz <strong>und</strong> Bedeutung ein-<br />
zuräumen.<br />
Die „Gleichheit“-Strukturen sehr gut erfasst <strong>und</strong> in eine kritische Auseinandersetzung mit ihrem<br />
Inhalt <strong>und</strong> Selbstverständnis gesetzt hat Anna-Elisabeth Freier in ihrer 1981 publizierten Arbeit<br />
„‘Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären.’ – Der Antifeminismus der proletarischen<br />
Frauenbewegung im Spiegel der ‘Gleichheit’, 1891-1917“ 32 . Freier analysiert darin erstmals die<br />
bemerkenswerte Verbindung zwischen proletarischer Frauenbewegung <strong>und</strong> einem in ihr prak-<br />
tizierten Antifeminismus. Sie entwickelt dabei einen „sozialisationstheoretisch-psychologische[n]<br />
Standpunkt“ 33 , der auch innerhalb meiner Themenstellung eine wichtige Rolle spielen wird.<br />
Im „Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte” unternimmt 1999 Susanne Kinnebrock unter dem<br />
Titel „Gerechtigkeit erhöht ein Volk?! – Die erste deutsche Frauenbewegung, ihre Sprachrohre<br />
<strong>und</strong> die Stimmrechtsfrage” 34 einen gelungenen Vergleich zwischen der „Gleichheit“ <strong>und</strong> zwei re-<br />
präsentativen bürgerlichen Frauenzeitschriften. Trotz der gebotenen Kürze eines Artikels gibt<br />
Kinnebrock – bevor sie sich thematisch der Gr<strong>und</strong>satzdebatte zum Frauenstimmrecht widmet –<br />
31 Staude, Fritz: Die Rolle der „Gleichheit“ im Kampf Clara Zetkins für die Emanzipation der Frau. In: BzG, Jg. 16<br />
(1974), Nr. 3, S. 427-445.<br />
32 Freier, Anna-Elisabeth: „Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären.“ – Der Antifeminismus der proletarischen<br />
Frauenbewegung im Spiegel der „Gleichheit“, 1891-1917. Frankfurt am Main: Haag <strong>und</strong> Herchen, 1981.<br />
33 Ebd., S. 17.<br />
34 Kinnebrock, Susanne: „Gerechtigkeit erhöht ein Volk!?“ – Die erste deutsche Frauenbewegung, ihre Sprachrohre<br />
<strong>und</strong> die Stimmrechtsfrage. In: JbKG, Jg. 1 (1999), S. 134-171.<br />
22
hier einen guten Überblick über Strukturen <strong>und</strong> Charakter der „Gleichheit”.<br />
EINLEITUNG<br />
Die neueste mir bekannte Publikation zur „Gleichheit“ ist der Artikel von Emmanuelle Wiss „Les<br />
débats sur la transformation sociale et le rôle des femmes dans ‘Die Gleichheit’ (1891-1914)“ 35 .<br />
Der Aufsatz bietet einen Überblick über die Entwicklung <strong>und</strong> den Verbreitungsgrad der „Gleich-<br />
heit“ als Medium. Schwerpunkt sind die in ihr enthaltenen Diskussionen zum Problem der Dop-<br />
pelbelastung <strong>und</strong> Rollenzuschreibung. 36<br />
Einen festen, wenn auch unterschiedlich großen Raum nimmt die „Gleichheit“ in Arbeiten zur<br />
allgemeinen Geschichte der proletarischen Frauenbewegung ein. Werner Thönnessen veröffent-<br />
lichte 1969 unter dem Titel „Frauenemanzipation – Politik <strong>und</strong> Literatur der deutschen Sozial-<br />
demokratie zur Frauenbewegung 1863-1933“ die erste umfassende Arbeit zur proletarischen<br />
Frauenbewegung Deutschlands. Erst zehn Jahre darauf folgte ein gr<strong>und</strong>legender, von einer<br />
AutorInnengruppe der Friedrich-Ebert-Stiftung verfasster Artikel mit dem Titel „Frauenfrage <strong>und</strong><br />
deutsche Sozialdemokratie vom Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts bis zum Beginn der zwanziger Jah-<br />
re“ 37 . Ausgedehntere Arbeiten erschienen in den 1980er Jahren: Heinz Niggemann „Emanzipation<br />
zwischen Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus – Die sozialdemokratische Frauenbewegung im Kaiser-<br />
reich“ 38 , Sabine Richebächer „Uns fehlt nur eine Kleinigkeit. Deutsche proletarische Frauenbe-<br />
wegung 1890-1914“ 39 , Richard J. Evans „Sozialdemokratie <strong>und</strong> Frauenbewegung im deutschen<br />
Kaiserreich“ 40 <strong>und</strong> Elisabeth Haarmann „Schwestern zur Sonne zur Gleichheit. Die Anfänge der<br />
proletarischen Frauenbewegung“ 41 . Diese Werke bilden mittlerweile die Standardliteratur zur<br />
35 Wiss, Emmanuelle: Les débats sur la transformation sociale et le rôle des femmes dans „Die Gleichheit“ (1891-<br />
1914). In: Das linke Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse <strong>und</strong> seine Netzwerke (1890-1960). Hrsg.<br />
von Michael Grunewald in Zusammenarbeit mit Hans Manfred Bock. Bern, Berlin, Brüssel, Frankfurt am Main,<br />
New York, Oxford, Wien: Lang, 2002, S. 75-90.<br />
36 Erwähnt seien neben meiner eigenen (Sachse, Mirjam: ”Heraus, ihr Frauen der Arbeit, erwacht“ – Entwürfe<br />
politischer Frauenbildung im Spiegel der proletarischen Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ (1891-1923).<br />
Magisterarbeit Universität Gesamthochschule Kassel, 2000) hier noch zwei Abschlussarbeiten, die beide die<br />
„Gleichheit“ in den Jahren 1914 bis 1917 untersuchen: Krug, Michaela: „Die Zwillingsschwester des Krieges ist<br />
die Not“ – Zum Diskurs über Weiblichkeit <strong>und</strong> Krieg in der Zeit des Ersten Weltkrieges. Exemplarisch dargestellt<br />
am Beispiel der Zeitschriften „Die Frau“ <strong>und</strong> „Die Gleichheit“. Magisterarbeit Universität Hannover, 2004;<br />
Eichhorn, Beate: Die sozialistische Frauenbewegung im Spiegel der „Gleichheit“ (1914-1917). Diplomarbeit<br />
Universität Wien, 1992.<br />
37 Albrecht, Willy/ Boll, Friedhelm/ Bouvier, Beatrix W./ Leuschen-Seppel, Rosemarie/ Schneider, Michael: Frauenfrage<br />
<strong>und</strong> deutsche Sozialdemokratie vom Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts bis zum Beginn der zwanziger Jahre. In:<br />
Archiv für Sozialgeschichte, Jg. 19 (1979), S. 459-510.<br />
38 Niggemann, Heinz: Emanzipation zwischen Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus – Die sozialdemokratische Frauenbewe-<br />
gung im Kaiserreich. Wuppertal: Hammer, 1981.<br />
39 Richebächer, Sabine: Uns fehlt nur eine Kleinigkeit. Deutsche proletarische Frauenbewegung 1890-1914.<br />
Hamburg: Fischer, 1982.<br />
40 Evans, Richard J.: Sozialdemokratie <strong>und</strong> Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich.Berlin: Dietz, 1984.<br />
41 Haarmann, Elisabeth: Schwestern zur Sonne zur Gleichheit. Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung.<br />
23
EINLEITUNG<br />
Geschichte der proletarischen Frauenbewegung – keines davon ist jedoch bisher neu aufgelegt<br />
worden.<br />
Die meisten der genannten Arbeiten weisen jedoch ein besonderes Desiderat auf: In der<br />
Darstellung der „Gleichheit“ <strong>und</strong> der proletarischen Frauenbewegung gehen sie kaum über das<br />
Jahr 1914 (Beginn des Ersten Weltkriegs) oder 1917 (Entlassung Clara Zetkins aus der „Gleich-<br />
heit“-Redaktion) hinaus. Diese Einschnitte sind durchaus berechtigt, denn sie stellen bedeutende<br />
Wendepunkte in der Geschichte <strong>und</strong> dem Selbstverständnis der deutschen Sozialdemokratie <strong>und</strong><br />
so auch der „Gleichheit“ dar. Jedoch lässt die nähere Betrachtung der folgenden Jahre eben jene<br />
Wende <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen Wandlungen erst voll zu Tage treten. Es ist deshalb ein<br />
zentrales Anliegen dieser Dissertation, die „Gleichheit“ über diese Zäsuren hinaus, nämlich bis<br />
zur Einstellung ihres Erscheinens im Jahre 1923 vorzustellen. Trotzdem wird dabei eine Schwer-<br />
punktsetzung auf die Zeit vor 1917 unvermeidlich sein – zu bedeutend ist die Rolle Clara Zetkins<br />
in der Geschichte der proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> ihres Zentralorgans, zu eng verknüpft<br />
wiederum der Aufbau <strong>und</strong> die Entwicklung der „Gleichheit“ mit der Lebensgeschichte dieser<br />
Frau.<br />
Jede der bisher erschienenen Zetkin-Biographien – wenn auch unterschiedlich in Umfang <strong>und</strong><br />
Präsentation – beschreibt die Gründung der „Gleichheit“ <strong>und</strong> ihre durch Zetkin geprägte politische<br />
Haltung. Zu nennen sind hier in der Reihenfolge ihrer Veröffentlichung vor allem Gertrud G.L.<br />
Alexander (1882-1967) 42 „Clara Zetkins Leben <strong>und</strong> Werk“ 43 , Luise Dornemann „Clara Zetkin.<br />
Leben <strong>und</strong> Wirken“ 44 , Karen Honeycutt „Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in<br />
Wilhelmian Germany“ 45 , Karin Bauer „Clara Zetkin <strong>und</strong> die proletarische Frauenbewegung“ 46 ,<br />
Hamburg: Ergebnisse, 1985.<br />
42 Gertrud Mathilde Bertha Alexander (eine Erklärung für die obigen Initialen G.L. konnte nicht gef<strong>und</strong>en werden),<br />
geb. Gaudin, wurde im thüringischen Ruhla geboren. Sie war Tochter eines Arztes, studierte an der Universität<br />
Jena <strong>und</strong> an der Kunsthochschule Eisenach. 1908 heiratete sie Eduard Alexander, von dem sie 1920 wieder geschieden<br />
wurde. Alexander wurde Mitglied der SPD, während des Ersten Weltkrieges des Spartakusb<strong>und</strong>es <strong>und</strong><br />
schließlich der KPD. Sie betreute den Feuilleton der „Roten Fahne“ (1918-1933) <strong>und</strong> wurde zu einer bekannten<br />
Kunstkritikerin. 1925 siedelte Alexander nach Moskau über, wurde 1925 Frauensekretärin der KomIntern <strong>und</strong><br />
1926 Mitglied der KPdSU. 1931-1933 versah sie das Amt der Bevollmächtigten von der Hauptverwaltung für<br />
Literatur (Gawlit). Alexander war außerdem, Redakteurin an der Staatlichen Zentralbibliothek <strong>und</strong> der Leninbibliothek.<br />
1907 hatte sie Zetkin kennen gelernt <strong>und</strong> für die „Gleichheit“ 1909 die Artikelserie „Die Prometheussage“<br />
verfasst ([Alexander, Gertrude] G. G.: Die Prometheussage. In: GL, 19/ 07/ 04.01.1909/ 103-104.; GL, 19/<br />
08/ 18.01.1909/ 119-121; GL, 19/ 09/ 01.02.1909/ 134-136; GL, 19/ 10/ 15.02.1909/ 146-147; GL, 19/ 11/<br />
01.03.1909/ 166-167.).<br />
43 Alexander, Gertrude G. L.: Aus Clara Zetkins Leben <strong>und</strong> Werk. Berlin: Vereinigung Internationaler Verlags-<br />
Anstalten, 1927.<br />
44 Dornemann, Luise: Clara Zetkin. Leben <strong>und</strong> Wirken. Berlin: Dietz, 1973.<br />
45 Honeycutt, Karen: Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in Wilhelmian Germany. Dissertation<br />
Columbia University, 1975.<br />
46 Bauer, Karin: Clara Zetkin <strong>und</strong> die proletarische Frauenbewegung. Berlin: Oberbaum, 1978.<br />
24
EINLEITUNG<br />
Gilbert Badia „Clara Zetkin – Eine Biographie“ 47 <strong>und</strong> Tânia Puschnerat „Clara Zetkin – Bürger-<br />
lichkeit <strong>und</strong> Marxismus. Eine Biographie“ 48 . Zwei der neuesten, anlässlich Zetkins 150. Geburts-<br />
tag erschienenen Arbeiten sind die Ergebnisse wissenschaftlicher Tagungen: Astrid Franzke <strong>und</strong><br />
Ilse Nagelschmidt (Hrsg) „‘Ich kann nicht gegen meine Überzeugung handeln‘“ – Clara Zetkin<br />
zum 150. Geburtstag“ 49 <strong>und</strong> Ulla Plener (Hrsg.) Clara Zetkin in ihrer Zeit. Neue Fakten, Erkennt-<br />
nisse, Wertungen.“ 50 Außerdem erschien zu demselben Anlass eine mit wertvollen Texten Zetkins<br />
ergänzte kurze Biographie: Florence Hervé (Hrsg.): „Clara Zetkin oder: Dort kämpfen, wo das<br />
Leben ist“. 51<br />
Auch die Biographien anderer Persönlichkeiten, die in das Wirken der „Gleichheit“ auf die eine<br />
oder andere Weise involviert waren, können hinsichtlich einer Betrachtung der „Gleichheit“ sehr<br />
aufschlussreich sein. Besonders erwähnenswert ist die von Angela Graf verfasste Biographie über<br />
Johann Heinrich Wilhelm Dietz (1843-1922) 52 , welche ebenso wie die von ihm mitgegründete<br />
„Gleichheit“ in dem nach ihm benannten Dietz-Verlag erschienen ist. 53 Solche Biographien kön-<br />
nen wichtige Informationen zur Geschichte der „Gleichheit“ beisteuern, weil in ihnen u. a. auch<br />
Auswertungen persönlicher Korrespondenzen vorgenommen wurden.<br />
Aufgr<strong>und</strong> dieser Auswahl des Forschungs- <strong>und</strong> Literaturstandes – die noch durch einige zeit-<br />
genössische Arbeiten zu ergänzen wäre – könnte nun alles in allem der Eindruck entstehen, dass<br />
die proletarische Frauenbewegung ein bereits gründlich bearbeitetes Forschungsfeld ist. Die<br />
47 Badia, Gilbert: Clara Zetkin – Eine Biographie. (Originaltitel: Clara Zetkin, féministe sans frontiéres, 1993.)<br />
Berlin: Dietz, 1994.<br />
48 Puschnerat, Tânia: Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus. Eine Biographie. Essen: Klartext, 2003. Siehe<br />
auch: Sachse, Mirjam: Clara Zetkin – eine von „Ismen“ bestimmte Persönlichkeit?! In: Ariadne, 2004, Nr. 45-46,<br />
S. 149-151.<br />
49 Franzke, Astrid / Nagelschmidt, Ilse (Hrsg.): „Ich kann nicht gegen meine Überzeugung handeln“ – Clara Zetkin<br />
zum 150. Geburtstag. Leipzig: Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, 2008.<br />
50 Plener, Ulla (Hrsg.): Clara Zetkin in ihrer Zeit. Neue Fakten, Erkenntnisse, Wertungen. Material des Kolloquiums<br />
anlässlich ihres 150. Geburtstages am 6. Juli 2007 in Berlin. Berlin: Karl Dietz, 2008.<br />
51 Hervé, Florence (Hrsg.): Clara Zetkin oder: Dort kämpfen, wo das Leben ist. Berlin: Karl Dietz, 2007.<br />
52 J.H.W. Dietz wurde in Lübeck geboren, besuchte die St. Petri-Knabenschule in Lübeck <strong>und</strong> absolvierte dann eine<br />
Ausbildung im Buchdruckgewerbe. 1884-1866 arbeitete er als Buchdrucker in St. Petersburg. 1866-1874 war er<br />
Schriftsetzer <strong>und</strong> Mitarbeiter verschiedener Publikationsorgane. 1881 aus Hamburg ausgewiesen, zog Dietz nach<br />
Stuttgart um. Hier gründete er den Verlag „J.H.W. Dietz” <strong>und</strong> verlegte später neben der „Gleichheit“ noch weitere<br />
SPD-Blätter. 1874 wurde Dietz Mitglied des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“ (ADAV) <strong>und</strong> 1883 wegen<br />
Teilnahme am sozialistischen Kongress in Kopenhagen verhaftet. 1886 wurde er im Freiburger Sozialistenprozess<br />
zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. 1881-1918 Reichstagsabgeordneter, stimmte er 1914 für die Kriegskredite.<br />
Spätere Artikel der „Gleichheit“ sollten Dietz‘ Bedeutung für die proletarische Frauenbewegung <strong>und</strong> deren<br />
Frauenzeitschrift besonders ehren: Zetkin, Clara: Heinrich Dietz zum 70. Geburtstag. In: GL, 24/ 01/ 01.10.1913/<br />
4-5.; Seinen 75. Geburtstag … In: GL, 29/ 02/ 25.10.1918/ 14; Bohm-Schuch, Clara: Unsere Toten. Heinrich<br />
Dietz zum Gedächtnis. In: GL, 32/ 17/ 18/ 01.09.1922/ 163-164.<br />
53 Graf, Angela: J.H.W. Dietz 1843-1922 – Verleger der Sozialdemokratie. Bonn: Dietz, 1998.<br />
25
EINLEITUNG<br />
Materialfülle kann jedoch gravierende Forschungsmängel nicht kaschieren <strong>und</strong> stützt sich zudem<br />
bei näherem Hinsehen meist auf Wiederholungen. Pressegeschichtliche Details wie Struktur <strong>und</strong><br />
Erscheinungsweise werden immer wieder unvollständig oder gar fehlerhaft wiedergegeben. 54 Die<br />
Präsentation der „Gleichheit“-Mitarbeiterschaft bleibt in allen genannten Arbeiten stark verkürzt 55<br />
oder auf wenige bekannte Persönlichkeiten <strong>und</strong> Parteigrößen begrenzt.<br />
Quellmaterial <strong>und</strong> Zitation<br />
Die zentralen Quellen meiner Dissertation sind die 33 Jahrgänge der „Gleichheit“ – vorrangig ihr<br />
Hauptblatt. 56 Die „Gleichheit“-Beilagen „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“, „Für unsere Kin-<br />
der“ oder „Die Frau <strong>und</strong> ihr Haus“ werden nur in Ausnahmefällen herangezogen. 57<br />
Die Jahrgänge der „Gleichheit“ sind leider noch nicht anhand eines Generalregisters erschlossen. 58<br />
Jedoch gibt es einige Jahrgangsregister der „Gleichheit“ (19. Jg. (1909/10) bis 29. Jg. (1919)) 59 ,<br />
mittels derer eine gewisse Übersicht über die Schwerpunkt-setzung in diesem Zeitraum möglich<br />
ist. Allerdings werden darin die Artikel nicht nach AutorInnenschaft oder Stichwort aufgeführt,<br />
sondern lediglich nach Rubriken <strong>und</strong> darin nach Chronologie ihrer Veröffentlichung. Diese<br />
Register können nicht die für eine Untersuchung der „Gleichheit“ notwendige Totalerhebung er-<br />
setzen. Ihre Einrichtung ist aber ein klarer Beleg für das praktische Ansinnen der „Gleichheit“-<br />
54 Beispielsweise gibt Gomard in zwei von ihr verfassten Artikeln jeweils ein anderes Jahr als Ende des Erscheinens<br />
an: 1924 (Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 26.) <strong>und</strong> 1922 (Gomard, Agitation der<br />
„Gleichheit“ als proletarische Frauenöffentlichkeit, S. 66) – beide sind falsch. Auch Thönnessen macht falsche<br />
Angaben hinsichtlich des Einstellungsjahrs der „Gleichheit“ <strong>und</strong> des Redaktionswechsels (vgl. Thönnessen,<br />
Frauenemanzipation, S. 133 u. S. 135).<br />
55 Puschnerat widmet im Hinblick darauf, dass sie die „Gleichheit“ „mit Fug <strong>und</strong> Recht als Quelle für eine Analyse<br />
der Mentalität Zetkins“ heranzieht, ihrer Darstellung erstaunlich wenig Raum. So zeichnet sie z. B. in nur einem<br />
einzigen Absatz die Entwicklungslinie von der Einrichtung ihrer beiden Beilagen 1905 – ein Umstand, der den<br />
Charakter der „Gleichheit“ entscheidend verändern sollte – über die Zensur während des Ersten Weltkrieges bis<br />
zur Entlassung Zetkins 1917 nach (vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 86f.).<br />
56 Der Großteil des verwendeten Quellenmaterials – vor allem nahezu alle Nummern <strong>und</strong> Jahrgänge der „Arbeiterin“<br />
<strong>und</strong> der „Gleichheit“ – sowie die zentrale Sek<strong>und</strong>ärliteratur konnten in der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung<br />
in Kassel eingesehen werden.<br />
57 Für Darstellungen der „Gleichheit“-Beilagen siehe die bisher angeführte Sek<strong>und</strong>ärliteratur <strong>und</strong> im Besonderen:<br />
Schulze, Regina: Die proletarische Mutter als sozialistische Erzieherin – dargestellt auf der Gr<strong>und</strong>lage der Beilage<br />
zur „Gleichheit“ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ von 1905 bis 1917. Dissertation Pädagogische Hochschule<br />
Dresden, 1987; Koch, Arthur: Die Verwirklichung sozialistischer Kindererziehung mit Hilfe der ersten deutschen<br />
proletarischen Kinderzeitschrift „Für unsere Kinder“ (1905-1917). In: Jahrbuch für Erziehungs- <strong>und</strong> Schulgeschichte,<br />
Jg. 7 (1967), S. 49-131; Drust, Heide: „Eine nie versiegende Quelle der Unterhaltung <strong>und</strong> der Belehrung“<br />
– Die Beilagen der „Gleichheit“. In: Ariadne, 1992, Nr. 22, S. 26-30; dies. (Hrsg.): Für unsere Kinder. Texte<br />
aus der Kinderbeilage der „Gleichheit“ 1905-1917. Berlin: Der Kinderbuchverlag, 1986; Krauth, Ulrike: Die Mutter<br />
als Erzieherin. Kindererziehung in der Zeitschrift „Die Gleichheit“ (1905 bis 1913). In: ergebnisse, 1981,<br />
Nr. 15, S. 15-91.<br />
58 Ein solches Generalregister hatte in wissenschaftlicher Voraussicht z. B. Emanuel Wurm als Koredakteur für die<br />
„Neue Zeit“ (1883-1923) erstellt.<br />
59 Erstaunlicherweise wird weder in der ZDB noch in der genannten Sek<strong>und</strong>ärliteratur – mit Ausnahme der Dissertation<br />
von Vormschlag – auf diese Jahrgangsregister verwiesen. Ihre Existenz ist dadurch nahezu unbekannt.<br />
26
EINLEITUNG<br />
Redaktion, diese Frauenzeitschrift auch späterhin noch als Bildungsorgan <strong>und</strong> Nachschlagewerk<br />
zugänglich <strong>und</strong> nutzbar zu machen.<br />
Aus diesen Problemen ergibt sich ein weiteres Anliegen dieser Dissertation: Indem die Strukturen<br />
<strong>und</strong> die Belege der „Gleichheit“ detailliert <strong>und</strong> eindeutig dargestellt werden, soll ein erster Schritt<br />
getan werden, den Zugang zu dieser zentralen schriftlichen Quelle zu erleichtern. Belege zu<br />
Artikeln der „Gleichheit“ werden in den Fußnoten deshalb wie folgt nachgewiesen:<br />
Nachname, Vorname: Aufsatztitel. In: GL, Jahrgang / Nummer / Datum / Seite.<br />
Für die wenigen Fälle, in denen die Beilagen zitiert werden, gilt:<br />
Nachname, Vorname: Aufsatztitel. In: GL, Jahrgang (Jahr)/ „Beilagentitel“ Nummer/ Seite.<br />
Bezüglich „Gleichheit“-Artikeln, die nicht gezeichnet wurden, wird angenommen, dass sie von<br />
den entsprechenden RedakteurInnen verfasst wurden. Artikeln, die nur mit Initialen gezeichnet<br />
wurden, aber einem/einer mutmaßlichen VerfasserIn zugeordnet werden können, wird in eckigen<br />
Klammern jene Mutmaßung vorangestellt; z. B. „[Duncker, Käte?] K. D.“. Ebenso wie die<br />
Schreibweise der VerfasserInnennamen (z. B. Zietz, Louise oder Zietz, Luise) werden auch die<br />
Initialen in ihrer jeweiligen Schreibweise (z.B. Groß- bzw. Kleinschreibung) wie in der<br />
„Gleichheit“ abgedruckt übernommen.<br />
Die in den „Gleichheit“-Artikeln verwendete zeitgenössische Orthographie <strong>und</strong> Schreibweise von<br />
Eigennamen werden unverändert übernommen. So wird auch mit den Hervorhebungen im Text<br />
(vor allem in Sperrdruck) verfahren. Eigene Hervorhebungen im fremden Text erfolgen kursiv<br />
<strong>und</strong> werden mit dem Nachsatz „[Hervorhebungen von M.S.]“ nochmals kenntlich gemacht.<br />
Die Leserschaft der „Gleichheit“ betreffend werde ich vornehmlich von Leserinnen ausgehen,<br />
obwohl nachweislich auch Männer zu ihr gehörten. Um diese sprachlich nicht zu diskriminieren,<br />
werde ich in gegebenen Fällen die sprachbewusste Form „LeserInnen“ verwenden. Im Falle der<br />
Mitarbeiterschaft der „Gleichheit“ wird ähnlich verfahren, jedoch bevorzugt von MitarbeiterInnen<br />
gesprochen.<br />
Mit dieser Dissertation soll anhand der „Gleichheit“ der weibliche Anteil an Geschichte <strong>und</strong> die<br />
Bedeutung zeitgenössischer Presseorgane sichtbar gemacht werden. Zu diesem Zweck wurden<br />
verschiedene Möglichkeiten der typographischen Hervorhebung angewendet:<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich werden die Namen historischer Frauen bei ihrer ersten Nennung fett hervorgehoben<br />
<strong>und</strong> in Klammern mit den Lebensdaten ergänzt, sofern diese ermittelbar waren. Sofern keine<br />
erheblichen Fehler in der Schreibweise der Namen historischer Persönlichkeiten vorliegen, wird<br />
die Schreibweise von der „Gleichheit“ übernommen. Die Namen weiblicher wie auch männlicher<br />
27
EINLEITUNG<br />
Mitarbeiter <strong>und</strong> Autoren der „Gleichheit“ werden außerdem in den Fußnoten durch Kurz-<br />
biographien <strong>und</strong> gegebenenfalls durch eine Auswahl ihrer für die „Gleichheit“ verfassten Artikel<br />
ergänzt. Nicht ermittelbare Lebensdaten werden mit „?“ markiert. Die Namen derjenigen „Gleich-<br />
heit“-MitarbeiterInnen <strong>und</strong> historischen Frauen, deren Biographien in der Zusammenstellung<br />
enthalten sind, werden bei ihrer erstmaligen Nennung nicht nur fett, sondern zusätzlich auch<br />
kursiv hervorgehoben. Bei manchen Frauen, die in den Darstellungen zur Geschichte der Frauen-<br />
bewegung in Deutschland eine zentrale Rolle spielen, wird sich die Hervorhebung ihrer Namen an<br />
gegebener Stelle wiederholen. 60 Ist das Sterbejahr <strong>und</strong> Alter einer Person bekannt, aber das<br />
Geburtsjahr nicht eindeutig ermittelbar, so werden nur die bekannten Angaben in Klammern hin-<br />
zugefügt; z. B. Marie Hoppe (?-1900/ 81-jährig).<br />
Die für die Untersuchung herangezogenen biographischen „Gleichheit“-Artikel sind dem Litera-<br />
turverzeichnis in einem eigens zusammengestellten Verzeichnis angehängt. Dieses ist alphabetisch<br />
geordnet <strong>und</strong> führt für jede Frau nach Erscheinen geordnet alle innerhalb dieser Arbeit<br />
herangezogenen Artikel auf. Außerdem ist jeder dieser Frauen, die einem Leitbild zugeordnet<br />
wurden, eine entsprechende Sigle beigefügt. Auch die biographische Literatur, die für die Vor-<br />
stellung zentraler Personen <strong>und</strong> „Gleichheit“-MitarbeiterInnen herangezogen wurde, ist als<br />
gesondertes Verzeichnis dem Literaturverzeichnis angefügt.<br />
Die Titel zeitgenössischer Presseorgane werden bei ihrer ersten Nennung ebenfalls mit ihren<br />
„Lebensdaten“ ergänzt. 61 Auf diese Weise soll zumindest ein kleiner Eindruck von ihrer Relevanz<br />
für die politische Öffentlichkeit <strong>und</strong> das öffentliche Leben von Frauen gegeben werden.<br />
Methode<br />
Bereits 1976 äußerte die US-amerikanische Historikerin Molly Nolan vehemente Kritik an der<br />
eklatanten Begrenztheit der Methoden <strong>und</strong> Quellen im Rahmen der Erforschung der proleta-<br />
rischen Frauenbewegung. In ihrem Aufsatz „Proletarischer Anti-Feminismus. Dargestellt am Bei-<br />
spiel der SPD-Ortsgruppe Düsseldorf, 1890 bis 1914“ 62 schreibt sie:<br />
„Die Historiker gründen ihre Arbeiten auf Parteitagsprotokolle, Parteiprogramme,<br />
die wichtigsten Parteizeitungen <strong>und</strong> Zeitschriften <strong>und</strong> letztlich auf Briefe,<br />
Memoiren <strong>und</strong> einige allgemeine Statistiken. So wertvoll wie solche Quellen sind,<br />
60 Die Namen entsprechender Frauen, die innerhalb der Fußnoten erstmals auftreten, werden auch mit den<br />
Lebensdaten ergänzt, aber i. d R. nicht weiter hervorgehoben.<br />
61 Die Daten wurden dem Verzeichnis der ZDB entnommen. In einigen Fällen konnten jedoch keine eindeutigen<br />
Zuweisungen vorgenommen werden bzw. müssen vor allem die Jahre, in denen eine Zeitschrift ihr Erscheinen<br />
einstellte, offen bleiben <strong>und</strong> sind mit [?] markiert.<br />
62 Nolan, Molly: Proletarischer Anti-Feminismus. Dargestellt am Beispiel der SPD-Ortsgruppe Düsseldorf, 1890 bis<br />
1914. In: Frauen <strong>und</strong> Wissenschaft. Beiträge zur Berliner Sommeruniversität für Frauen Juli 1976, hrsg. von der<br />
Gruppe Berliner Dozentinnen, Berlin: Courage, 1977, S. 356-377.<br />
28
sie sagen wenig über das Leben <strong>und</strong> das politische Verhalten der <strong>weiblichen</strong> oder<br />
männlichen Mitglieder aus. Nur die geschultesten <strong>und</strong> mächtigen Sozialdemokraten<br />
haben auf den Parteitagen gesprochen.“ 63<br />
EINLEITUNG<br />
Nolans Feststellung war vor allem als eine Kritik an Thönnessen <strong>und</strong> allen sich auf ihn stützenden<br />
US-amerikanischen Studien formuliert, ihrer damaligen Bestandsaufnahme kann aber durchaus<br />
auch hinsichtlich neuerer Arbeiten zugestimmt werden. Tatsächlich wird mit einer Begrenzung der<br />
Quellen auch eine Begrenzung der Methoden <strong>und</strong> Problemstellungen vorgenommen, was wiede-<br />
rum dazu führt, dass bestimmte Entwicklungen verkürzt oder gar verfälscht dargestellt werden. 64<br />
Nolan greift meiner Meinung nach jedoch deutlich zu kurz, wenn sie außerdem behauptet:<br />
„Die meisten SPD-Mitglieder haben die Zeitungen <strong>und</strong> Zeitschriften, die in diesen<br />
Studien benutzt worden sind, offensichtlich nicht gelesen. Die Frauenzeitung ‘Die<br />
Gleichheit’ zum Beispiel wude[sic] auf sehr hohem Niveau geschrieben <strong>und</strong> war<br />
hauptsächlich nur den Funktionärinnen zugänglich <strong>und</strong> verständlich.“ 65<br />
Die Lektüre <strong>und</strong> Analyse der „Gleichheit“ widerlegen diese pauschalisierende Behauptung<br />
Nolans. Zwar kamen in ihr als einem Organ von Partei- <strong>und</strong> Frauenorganisation tatsächlich<br />
bevorzugt die „Elite der Frauenbewegung […] <strong>und</strong> einige andere Prominente, die rednerische <strong>und</strong><br />
schriftstellerische Begabungen entwickelt hatten“ 66 zu Wort, darüber hinaus wurden aber auf aus-<br />
drücklichen Wunsch Zetkins auch Alltagsberichte unbekannter <strong>und</strong> unerfahrener Autorinnen ab-<br />
gedruckt. Solche dürften demnach auch die „Gleichheit“ gelesen haben. Es kann zudem davon<br />
ausgegangen werden, dass an den so genannten „Lese- <strong>und</strong> Diskussionsabenden“, in denen die<br />
„Gleichheit“ zur Gr<strong>und</strong>lektüre wurde, nicht nur die Elite der proletarischen Frauenbewegung teil-<br />
genommen hat. Unbestritten ist, dass das intellektuelle Niveau der „Gleichheit“ sehr hoch war, ein<br />
Sachverhalt, der von Anfang an viele Diskussionen <strong>und</strong> viel Kritik hervorrief. Anfangs beharrte<br />
Zetkin zugegebenermaßen darauf, dass die „Gleichheit“ ein Blatt für Funktionärinnen sei, spätes-<br />
tens 1905 lenkte sie mit der Einrichtung zweier Unterhaltungsbeilagen jedoch ein. Wie Kritik <strong>und</strong><br />
63 Nolan, Proletarischer Anti-Feminismus, S. 359.<br />
64 Beispiel für eine solche Verfälschung ist nach Nolan die Behauptung, die SPD-Parteispitze sei in ein radikalfeministisches<br />
<strong>und</strong> ein revisionistisch-antifeministisches Lager gespalten gewesen. Tatsächlich wird damit der<br />
sozialdemokratische Antifeminismus an einer einzigen politischen Tendenz festgemacht <strong>und</strong> sehr vereinfacht dargestellt.<br />
Dass dem nicht so war <strong>und</strong> ohnehin auch die in der Parteispitze vorherrschenden Verhältnisse nie 1:1 auf<br />
die unteren Ebenen übertragen werden konnten, bestätigen auch spätere Forschungsarbeiten (vgl. Nolan, Proletarischer<br />
Anti-Feminismus, S. 359, die sich hier kritisch auf Honeycutt <strong>und</strong> Thönnessen bezieht) <strong>und</strong> Freier, Dem<br />
Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. 150ff.)<br />
In Bezug auf das „antifeministische“ <strong>und</strong> frauenarbeitsfeindliche Verhalten innerhalb der Arbeiterbewegung teile<br />
ich die Auffassung von Niggemann, dass „in solchen unmarxistischen Aussagen nicht immer Revisionismus oder<br />
Antifeminismus, sondern das Ergebnis eines theorielosen Gefühlssozialismus zu sehen“ (Niggemann, Emanzipation<br />
zwischen Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus, S. 48) ist. Ich weise aber darauf hin, dass auch engagierte, gut geschulte<br />
Sozialisten ein antifeministisches Verhalten an den Tag legen konnten, wenn sie eben nicht nach der<br />
Theorie, sondern nach ihrem Vorurteil handelten.<br />
65 Nolan, Proletarischer Anti-Feminismus, S. 359.<br />
66 Nolan, Proletarischer Anti-Feminismus, S. 358f.<br />
29
EINLEITUNG<br />
Popularisierung tatsächlich die Abonnentinnenzahlen beeinflussten, wird jedoch noch zu klären<br />
sein.<br />
Nolan schlussfolgert trotz allem nicht zu Unrecht, dass<br />
„[w]enn man solche Quellen beutzt[sic], […] man die Geschichte der sozialdemokratischen<br />
Frauenbewegung nur so darstellen [kann], wie sie von oben aussah.“ 67<br />
Damit benennt Nolan aber lediglich das altbekannte <strong>und</strong> nahezu unlösbare Problem, dass der<br />
„einfache Arbeiter“ <strong>und</strong> vor allem die „einfache Arbeiterin“ meist nur im Rahmen statistischer<br />
Erhebungen zum Forschungsgegenstand wurde, selbst aber nie zu Wort gekommen ist. Es gibt nur<br />
wenige Aussagen <strong>und</strong> schon gar keine zeitgenössische Studie, die Gewissheit darüber verschaffen<br />
könnten, wie die Inhalte der „Gleichheit“ aufgefasst, aufgenommen <strong>und</strong> umgesetzt wurden. Diese<br />
Umstände nötigen auch die hier vorliegende Arbeit dazu, die Methoden <strong>und</strong> Inhalte der „Gleich-<br />
heit“ vornehmlich in ihrer gewünschten Wirkung darzustellen <strong>und</strong> zu interpretieren. Zwar streben<br />
neuere, vor allem sozialgeschichtliche Arbeiten eine Erforschung der Basisresonanz <strong>und</strong> der<br />
Frage, ob die Parteispitze die Situation in der Parteimasse immer zutreffend eingeschätzt hatte, an,<br />
aber der „Blick von unten“ bleibt mangels entsprechender Quellen schwierig <strong>und</strong> oft spekulativ.<br />
Deshalb stimme ich besonders Kinnebrock zu, wenn sie anmerkt, dass<br />
„die tatsächlichen Inhalte [von Frauenbewegungszeitschriften; M.S.] […], ihre<br />
spezifischen Funktionen <strong>und</strong> ihre Rolle bei der Förderung des sozialen Wandels –<br />
der Realisierung weiblicher Bürger- <strong>und</strong> Beteiligungsrechte – […] von der Historiographie<br />
kaum aufgearbeitet“ 68 [Hervorhebung von M.S.]<br />
wurden. Denn auch bei Standardquellen wie der „Gleichheit“ oder SPD-Parteitagsprotokollen, die<br />
vollkommen ausgeschöpft scheinen, lohnt sich ein genaueres Hinschauen. Dies umso mehr, da<br />
sich mit den Methoden <strong>und</strong> Erkenntnissen u. a. aus der Sozial-, Frauen- <strong>und</strong> Geschlechterge-<br />
schichte auch in der Geschichtswissenschaft selbst ein Perspektivenwandel vollzogen hat. Diese<br />
neuen Perspektiven machen auch „altbekannte“ Quellen wieder interessant. Für die Erforschung<br />
der proletarischen Frauenbewegung – so die Forderung Nolans <strong>und</strong> Richebächers – muss dies vor<br />
allem bedeuten, Alltagsleben, Sozialisierung, Familien- <strong>und</strong> Arbeitsverhältnisse <strong>und</strong> das politische<br />
Wirken von Frauen auf lokaler <strong>und</strong> regionaler Ebene stärker zu berücksichtigen 69 – eine Forde-<br />
rung, die anfangs tatsächlich eher von den autonomen Einrichtungen der neuen Frauenbewegung<br />
berücksichtigt wurde als von der etablierten Geschichtswissenschaft.<br />
Bei einigen hier angeführten Forschungsarbeiten steht die kritisierte Begrenzung der Quellen-<br />
auswahl <strong>und</strong> der vernachlässigte Perspektivenwandel in einem auffälligen Zusammenhang mit<br />
dem Geschlecht der VerfasserInnen. Zwar bemühen sich die männlichen Autoren, der<br />
67 Nolan, Proletarischer Anti-Feminismus, S. 359.<br />
68 Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk!?, S. 135.<br />
69 Nolan, Proletarischer Anti-Feminismus, S. 359; Richebächer, Lebenszusammenhang <strong>und</strong> Organisation, S. 205.<br />
30
EINLEITUNG<br />
proletarischen Frauenbewegung ihren Platz in der Geschichte der SPD <strong>und</strong> der Arbeiterbewegung<br />
einzuräumen, sie ziehen dafür aber kaum diejenigen Quellen heran, die – wie von Nolan gefordert<br />
– in der „großen Politik“ wie im „kleinen Alltag“ einen frauenspezifischen Blickwinkel ein-<br />
nehmen. Hingegen sind es die <strong>weiblichen</strong> Autoren, die – meist zusätzlich zu ihren eigentlichen<br />
Schwerpunkten – eine Analyse z. B. der Position zur bürgerlichen Frauenbewegung, des gesell-<br />
schaftlichen Frauenbildes <strong>und</strong> des Frauenalltags leisten. Diese Entwicklung steht m. E. in engem<br />
Zusammenhang mit der Institutionalisierung vieler Frauenprojekte <strong>und</strong> Frauengeschichtswerk-<br />
stätten, die – in den 1960er <strong>und</strong> 1970er Jahren gegründet – seit den 1980er Jahren 70 mit der Auf-<br />
arbeitung vergessener Geschichte begonnen haben. Hier entwickelten sich die neuen innovativen<br />
Zugänge, die sozialen, regionalen <strong>und</strong> biographischen Schwerpunkte, mit deren Hilfe Frauen in<br />
der Geschichte sichtbar gemacht werden sollen.<br />
Es verw<strong>und</strong>ert daher auch nicht, wenn die 1975 von Helga Grebing verfasste Publikation „Ge-<br />
schichte der deutschen Arbeiterbewegung“ 71 oder die von Susanne Miller mitherausgegebene<br />
„Kleine Geschichte der SPD“ 72 die proletarische Frauenbewegung <strong>und</strong> auch die „Gleichheit“ mit<br />
keinem einzigen Wort erwähnten – die Zeit war wohl noch nicht gekommen.<br />
Ähnlich der Arbeitsweise Kinnebrocks, die für ihre vergleichende Zeitschriftenanalyse die je-<br />
weiligen Jahrgänge der Zeitschriften „im Rahmen einer Totalerhebung […] systematisch durch-<br />
gesehen“ 73 hat, wurde auch in der vorliegenden Dissertation verfahren <strong>und</strong> die „Gleichheit“ einer<br />
qualitativ-hermeneutischen Inhaltsanalyse unterzogen. Hinsichtlich der Definition der quantitativ<br />
orientierten Forschung als eines Ansatzes, welcher über standardisierte Methoden, Techniken oder<br />
Messinstrumente verfügt, <strong>und</strong> der qualitativ orientierten Forschung, innerhalb derer die Methoden<br />
meist für den jeweiligen Forschungsgegenstand entwickelt <strong>und</strong> differenziert werden, beruft sich<br />
die vorliegende Arbeit vornehmlich auf Philipp Mayrings „Einführung in die qualitative Sozial-<br />
forschung“ 74 . Sich methodisch an der „Gleichheit“ als ihrem Forschungsgegenstand orientierend,<br />
nutzt sie einen ebenfalls von Mayring ausführlich dargelegten Ansatz der qualitativen Forschung:<br />
die Interpretation.<br />
70 So entstand z. B. 1984 aus einer privaten Initiative heraus in Kassel das Archiv der deutschen Frauenbewegung<br />
<strong>und</strong> ein Unterstützerinnenverein (seit 2004 in eine Stiftung umgewandelt).<br />
71 Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 1975.<br />
72 Miller/Potthoff, Kleine Geschichte der SPD. Dieses 1974 erstmals erschienene Werk erfuhr 2002 die 8. Auflage,<br />
doch wurde der entsprechende historische Teil nicht überarbeitet.<br />
73 Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk!?, S. 136.<br />
74 Vgl. Mayring, Philipp: Einführung in die qualitative Sozialforschung. Eine Anleitung zu qualitativem Denken.<br />
5. überarbeitete Aufl. Weinheim, Basel: Beltz, 2002, S. 145.<br />
31
EINLEITUNG<br />
Die Qualitätseinschätzung einer Interpretation, so Mayring, sei aus ihrer argumentativen<br />
Begründung ersichtlich. 75 Qualitatives Denken lasse explizit ein induktives Vorgehen zu <strong>und</strong> so<br />
setzten sich „[a]us einzelnen Beobachtungen […] die ersten Zusammenhangsvermutungen zusam-<br />
men, die dann durch systematische weitere Beobachtungen zu erhärten versucht werden“ 76 . Den<br />
Gr<strong>und</strong>gedanken hermeneutischer, d. h. interpretativer Ansätze skizziert Mayring schließlich so:<br />
„Texte, wie alles vom Menschen Hervorgebachte, sind immer mit subjektiven Bedeutungen,<br />
mit Sinn verb<strong>und</strong>en; eine Analyse der nur äußerlichen Charakteristika<br />
führt nicht weiter, wenn man nicht diesen subjektiven Sinn interpretativ herauskristallisieren<br />
kann.“ 77<br />
Diesbezüglich erscheint die Analyse einer Zeitschrift potenziell besonders ergiebig, da in ihr<br />
äußere Gestaltung <strong>und</strong> innerer Gehalt zusammenspielen <strong>und</strong> beides eine ausgesuchte Botschaft<br />
vermitteln soll. Interessanterweise stellt Mayring fest, dass als systematische Methode der Publi-<br />
zistik für die Analyse von Zeitungsartikeln bisher vor allem die quantitative Inhaltsanalyse heran-<br />
gezogen worden sei. 78 Mit dem Aufkommen der Massenmedien, dem Zweiten Weltkrieg (Analyse<br />
der Feindpropaganda), für Verfassungsschutzzwecke <strong>und</strong> kommerzielle Auftraggeber habe diese<br />
Methode zu Beginn des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts einen Aufschwung <strong>und</strong> wissenschaftliche Spezifizierung<br />
erlebt. Jedoch häuften sich auch die Kritiken, u. a. „‘daß es bisher noch nicht gelungen [sei], mit<br />
Hilfe der Inhaltsanalyse ein griffiges Instrument für die Beschreibung <strong>und</strong> Differenzierung von<br />
Zeitschriften zu entwickeln’.“ 79 Unter diesem Gesichtspunkt ist die Einschätzung des „Zeit-<br />
schriftenforschers“ Rollka sehr interessant, der noch 1985 eine „traditionelle Mißachtung der<br />
Zeitungen <strong>und</strong> des Tagesschrifttums als ernstzunehmende Quelle“ feststellte. Es dominiere ledig-<br />
lich das „‘illustrierende’ Zitieren“ 80 aus diesen wertvollen Quellen. Gerade die Unterhaltungs-<br />
literatur, zu der teilweise auch die biographischen „Gleichheit“-Artikel zu zählen sind, sei als For-<br />
schungsgegenstand viel zu gering geschätzt worden, bis angeregt durch sozialwissenschaftliche<br />
<strong>und</strong> sozialhistorische Ansätze der „mediale[…] Charakter vieler literarischer Produkte“ 81 wieder-<br />
entdeckt werde. Auch die Zeitungswissenschaft stelle verstärkt Fragen sozialer Interaktion in den<br />
Mittelpunkt. 82<br />
75 Vgl. ebd.<br />
76 Mayring, Einführung in die qualitative Sozialforschung, S. 37.<br />
77 Ebd., S. 13f.<br />
78 Mayring, Philipp: Qualitative Inhaltsanalyse. Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Techniken. 8. Aufl., Weinheim, Basel: Beltz, 2003,<br />
S. 24.<br />
79 Koch, V. / Witte, H. / Witte, E. H.: Die Inhaltsanalyse als Meßinstrument. Methodenkritische Aspekte einiger<br />
Inhaltsanalysen von Publikumszeitschriften. In: Publizistik, 1974, Nr. 19, S. 177-184, S. 183. Zit. nach: Mayring,<br />
Qualitative Inhaltsanalyse, S. 25.<br />
80 Rollka, Die Belletristik in der Berliner Presse des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, S. 1.<br />
81 Ebd., S. 6.<br />
82 Ebd., S. 6f.<br />
32
EINLEITUNG<br />
Diesen Fragen nach der sozialen Interaktion sind anhand der „Gleichheit“ <strong>und</strong> anderer Zeit-<br />
schriften bereits Kinnebrock <strong>und</strong> Vormschlag nachgegangen. Beide verzichten dabei ebenfalls<br />
völlig auf quantitative Methoden <strong>und</strong> gehen allein von einer Interpretation des vorgegebenen text-<br />
lichen Materials aus. Kinnebrock jedoch begrenzt sich in ihrer Analyse auf themenspezifische<br />
selbständige Artikel <strong>und</strong> einzelne Meldungen 83 , während Vormschlag das Feuilleton in den Mittel-<br />
punkt ihres Forschungsansatzes stellte. 84 Die vorliegende Arbeit wendet sich dagegen einem<br />
Bereich zu, den zwar auch Gomard in ihrem bereits erwähnten Artikel besprochen, aber nicht aus-<br />
reichend rekonstruiert hat.<br />
Die qualitative Analyse der vorliegenden Arbeit bezieht sich auf die „Gleichheit“ als Publikations-<br />
organ <strong>und</strong> als Quelle eines <strong>weiblichen</strong> Geschichtsbewusstseins. Sie kann sich zu diesem Zweck<br />
nicht nur auf Leitartikel <strong>und</strong> Redaktionsnotizen beschränken, denn zahlreiche Informationen<br />
erschließen sich erst aus der Analyse der Struktur <strong>und</strong> des Erscheinungsbildes dieser Zeitschrift.<br />
Besonders hinsichtlich ihrer Analyse als Quelle frauengeschichtlicher Inhalte sind verschiedenste<br />
Publikationsformen einzubeziehen: Leitartikel, Notizen, Nekrologe <strong>und</strong> Beiträge des Feuilletons.<br />
Die Zusammenstellung der untersuchten Frauenbiographien ist dementsprechend keine beispiel-<br />
hafte Auswahl, sondern eine Rekonstruktion aller im Hauptblatt veröffentlichten Artikel, die<br />
historische bzw. zeitgenössische Frauenbiographien zum Thema haben. Für die Rekonstruktion<br />
wurde der Schwerpunkt auf jene Informationen gelegt, die nicht nur Aufschluss über das Leben<br />
der Person, sondern über deren Charakter <strong>und</strong> damit auch über deren Leitbildfunktion geben.<br />
Besonders jene Charakterbeschreibungen in Verbindung mit dem besonderen Duktus der „Gleich-<br />
heit“ lassen eine systematische Gliederung der Frauenbiographien nach Frauenleitbildern zu. Eine<br />
solche Gliederung kann sowohl kollektivbiographische Zusammenhänge als auch Intentionen<br />
politischer Frauenbildung aufzeigen. Es werden sich dabei sowohl Klischees sozialistischer<br />
Frauenleitbilder bestätigen als auch überraschende Ausnahmen ermitteln lassen. Die Quantität der<br />
hier zu den einzelnen Frauen gegebenen Informationen richtet sich nach Umfang <strong>und</strong> Anzahl der<br />
in der „Gleichheit“ jeweils veröffentlichten Artikel <strong>und</strong> kann entsprechend unterschiedlich aus-<br />
fallen. Die in den Artikeln aufgeführten Angaben zu Personen <strong>und</strong> Ereignissen sollen als solche<br />
nicht verifiziert, sondern in ihrer Bedeutung <strong>und</strong> Wirkung auf die Leserinnen interpretiert werden.<br />
Lediglich die ermittelbaren Lebensdaten <strong>und</strong> Namen der Personen <strong>und</strong> Erscheinungsjahre ihrer<br />
Schriften werden ergänzt. Die Schreibweise von Personennamen wurde aus der „Gleichheit“<br />
übernommen.<br />
83 Vgl. Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 136.<br />
84 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 86 <strong>und</strong> S. 99f.<br />
33
EINLEITUNG<br />
Die Vollständigkeit der frauenbiographischen Artikel <strong>und</strong> ihre Rekonstruktion wurde auch deshalb<br />
angestrebt, um die „entdeckten“ Frauen nun, da sie einmal ins „Auge gefallen sind“, nicht erneut<br />
der Vergessenheit anheim fallen zu lassen.<br />
Inhaltliche Gliederung der Dissertation<br />
Aus dem bisher Dargestellten <strong>und</strong> dem gewählten Schwerpunkt ergibt sich für die hier vor-<br />
liegende Arbeit folgende inhaltliche Gliederung:<br />
1. Eine Überblicksdarstellung der ersten Organisations- <strong>und</strong> Publikationsmöglichkeiten der<br />
proletarischen Frauen des deutschen Kaiserreichs, die als direkte Vorgängerinnen der<br />
„Gleichheit“ zu sehen sind. Die vorliegende Arbeit wird zwar hinsichtlich der Organisations-<br />
geschichte der proletarischen Frauenbewegung keine neuen Erkenntnisse anbieten <strong>und</strong> muss<br />
auch aus Gründen der Kompaktheit auf ihre ausführliche Beschreibung <strong>und</strong> Analyse weitest-<br />
gehend verzichten. 85 Unverzichtbar in Bezug auf ihre Bedeutung für die historischen <strong>und</strong><br />
biographischen Inhalte der „Gleichheit“ ist jedoch das Aufzeigen der Wurzeln proletarischer<br />
Frauenorganisation seit 1848 bis zum Fall des Sozialistengesetzes <strong>und</strong> die Einordnung der<br />
„Gleichheit“ in eine Tradition weiblicher Presseöffentlichkeit.<br />
2. Die Darstellung der „Gleichheit“ als Agitations- <strong>und</strong> Bildungsmittel, als Zeitschrift von<br />
85<br />
34<br />
Frauen für Frauen. Bisherige Forschungsarbeiten sind vorrangig zweigeteilte Darstellungen<br />
der „Gleichheit“. Sie unterscheiden zwischen einer „Ära Zetkin“ <strong>und</strong> der Zeit danach oder<br />
vernachlässigen die Jahre nach der Entlassung Zetkins 1917 gänzlich. Da in den ersten 25<br />
Jahren für Gestaltung <strong>und</strong> Redaktion der „Gleichheit“ vornehmlich Clara Zetkin verantwort-<br />
lich war, kann ohne Zweifel von einer „Ära Zetkin“ gesprochen werden. Ihre Entlassung stellt<br />
eine erhebliche Zäsur dar <strong>und</strong> rechtfertigt eine auf sie abgestimmte Gliederung. Hier soll aber<br />
der – gemäß meiner Recherche – erste Versuch unternommen werden, die „Gleichheit“ <strong>und</strong><br />
ihre „Bausteine“ über ihren gesamten Erscheinungszeitraum darzustellen. Da zu einigen der<br />
an ihr beteiligten Personen bereits ausführliche biographische Studien vorliegen, wird diese<br />
Arbeit den Schwerpunkt auf deren Bedeutung für die „Gleichheit“ legen, da gerade dieses<br />
Engagement für die Zeitschrift in manchen Biographien stark vernachlässigt wurde. Zu<br />
„Gleichheit“-MitarbeiterInnen, deren Biographien weniger gut erschlossen sind, werden,<br />
wenn möglich, zusätzliche Informationen gegeben. In dieser Darstellung werden jene Um-<br />
stände analysiert, die zur Gründung der „Gleichheit“ geführt haben. Es werden ihr Auftrag,<br />
ihre Strukturen, ihr Erscheinungsbild, ihre Finanzen <strong>und</strong> ihr Selbstverständnis untersucht,<br />
Ich verweise hier auf die bereits genannten Gr<strong>und</strong>lagenwerke von Thönnessen, Evans, Niggemann, Albrecht/u a.,<br />
Haarmann <strong>und</strong> Richebächer.
EINLEITUNG<br />
wobei insbesondere die im Verlauf ihres Erscheinens sich ergebenden Veränderungen berück-<br />
sichtigt <strong>und</strong> dargestellt werden sollen.<br />
3. Die Verortung von Frauengeschichte, Frauenleitbildern <strong>und</strong> Frauenbiographien in der<br />
„Gleichheit“. Die „Gleichheit“ hob sowohl als sozialistische Zeitschrift wie auch als Frauen-<br />
zeitschrift besondere Geschichtsbereiche hervor, denn die Vermittlung von Geschichte spielte<br />
in ihrer politischen Aufklärungsarbeit eine zentrale Rolle. Es wird ein Überblick über ihre<br />
frauengeschichtlichen Inhalte gegeben <strong>und</strong> anhand ihrer Berufung auf ein bestimmtes Ge-<br />
schichtsbild die daraus resultierende Problematik von Frauenleitbildern <strong>und</strong> ihre Vermittlung<br />
durch Frauenbiographien erörtert.<br />
4. Eine Zusammenstellung der in der „Gleichheit“ veröffentlichten Frauenbiographien,<br />
Jubiläumsartikel <strong>und</strong> Nekrologe, kategorisiert nach den fünf analysierten Frauenleitbildern<br />
„weiblicher Vollmensch“, „sozialistische Mutter“, „sozialistische Ehefrau“ „Klassenkämp-<br />
ferin“ <strong>und</strong> „Republikanerin“. 86 Den biographischen Darstellungen ist jeweils eine Einführung<br />
in das jeweilige Frauenleitbild vorangestellt. Des Weiteren sind in einem besonderen Kapitel<br />
auch die Biographien bürgerlicher Frauen aufgeführt. Innerhalb der Kategorien werden nach<br />
chronologischen <strong>und</strong> thematischen Aspekten Unterkategorien gebildet, in denen wiederum die<br />
rekonstruierten Biographien der Frauen nach Lebensdaten gegliedert sind. Außer den<br />
ermittelbaren Lebensdaten <strong>und</strong> Vornamen mancher Personen geben die rekonstruierten Bei-<br />
träge nur jene Inhalte, Meinungen, Positionen <strong>und</strong> Geschichtsbetrachtungen wieder, die in den<br />
Artikeln zum Ausdruck kommen. Es werden keine ergänzenden Informationen gegeben, son-<br />
dern lediglich die Darstellungen der „Gleichheit“-Autorinnen rekonstruiert <strong>und</strong> interpretiert. 87<br />
5. Die Zusammenfassung <strong>und</strong> quantitative Auswertung der Ergebnisse. Die Umsetzung der<br />
86<br />
einleitend vorgestellten Forschungsaufgabe wird resümiert, Spezifika des sehr umfassend<br />
dargestellten Materials besprochen <strong>und</strong> durch Untersuchungsergebnisse erläutert. Quantitative<br />
<strong>und</strong> qualitative Ergebnisse sowohl zu den Strukturen der „Gleichheit“ als auch zu ihren In-<br />
halten <strong>und</strong> Intentionen schließen die Arbeit ab.<br />
Interessanterweise gibt es eine ältere Forschungsarbeit, die ähnliches mit deutschen Frauenzeitschriften der Nachkriegszeit<br />
unternommen hat: Schwarz, Ingelene: Wesenszüge der modernen deutschen Frauenzeitschrift. Dissertation<br />
der Freien Universität Berlin 1956. In dieser Arbeit wird die publizistische Ansprache der Leserin in die<br />
Kategorien „Die Frau als Gefährtin des Mannes“, „Die Frau als Mutter <strong>und</strong> Hausfrau“, „Die Frau im Beruf“ <strong>und</strong><br />
„Die Frau als Staatsbürgerin“ unterteilt. Schwarz wollte darstellen, „wieweit die Frauenzeitschrift als jeweiliges<br />
Kind ihrer Zeit das Dasein der Frauen charakterisiert <strong>und</strong> ihrerseits formend zu beeinflussen sucht“ (Schwarz,<br />
Ingelene: Wesenszüge der modernen deutschen Frauenzeitschrift, S. 1).<br />
87 Auch Niggemann hat für den umfangreichen biographischen Anhang seines Gr<strong>und</strong>lagenwerks, das die biographischen<br />
Skizzen von mehr als 300 Frauen enthält, die meisten der in der vorliegenden Arbeit rekonstruierten<br />
Artikel nach den objektivierbaren Daten ausgewertet <strong>und</strong> durch Informationen aus weiteren Quellen ergänzt (vgl.<br />
Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus, S. 295-348). Diese Informationen sind z. T. in<br />
die Kurzbiographien der „Gleichheit“-Mitarbeiterinnen eingeflossen.<br />
35
1 „Nicht auf Sand gebaut“<br />
– Politische Frauenorganisation <strong>und</strong> -presse in Deutschland 1848 bis<br />
1891<br />
1.1 Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich<br />
1.1.1 Die Revolution von 1848 – Wurzel der deutschen Frauenbewegung<br />
Um die Bedeutung der „Gleichheit“ als Vernetzungsinstrument der frühen proletarischen<br />
Frauenbewegung <strong>und</strong> als Quelle der Frauengeschichte vollständig ermessen zu können, ist ein<br />
Blick auf das Frauenleben <strong>und</strong> das Frauenvereinswesen im deutschen Kaiserreich unerlässlich.<br />
Aufgezeigt werden soll, wie es Frauen trotz schwieriger gesellschaftlicher Umstände gelang,<br />
spezifisch weibliche Interessen öffentlich zu formulieren <strong>und</strong> zu vertreten. Auffällig ist es, dass<br />
die Entwicklung der deutschen Frauenbewegung sehr stark regional geb<strong>und</strong>en war <strong>und</strong> dass<br />
einzelnen Frauen <strong>und</strong> einzelnen Organisationen eine wichtige Rolle als Initiatorinnen zukam. 1<br />
Sie wurden zu Wegbereiterinnen auch der proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> damit auch zum<br />
Gegenstand der noch zu analysierenden historischen Frauenbiographien der „Gleichheit“.<br />
„Frausein in Deutschland“ – dieses Schlagwort erscheint nicht zeitgeb<strong>und</strong>en. Vor 200 Jahren<br />
jedoch entbehrte es insbesondere einer Voraussetzung: Deutschland.<br />
Das Deutschland des frühen 19. Jahrh<strong>und</strong>erts war nicht mehr als ein „Zusammenschluss“<br />
einzelner Fürstentümer. Zwar basierte dieser Zusammenschluss nicht nur auf Verträgen <strong>und</strong><br />
verwandtschaftlichen Beziehungen einzelner Fürstenhäuser, sondern auch auf einer gemein-<br />
samen kulturellen Tradition, der Alltag der Bevölkerung jedoch war gerade davon stark<br />
beeinflusst, dass je nach Wohn- <strong>und</strong> Aufenthaltsort stets unterschiedliche Gesetze Geltung<br />
hatten. Regierungsform, Verwaltung, Steuerwesen, Währung, Religion, Gesetzgebung <strong>und</strong> Ge-<br />
setzsprechung waren entweder Ausdruck königlicher, großherzoglicher, herzoglicher oder<br />
gräflicher Oberhoheit. Und so lag es auch im Ermessen dieser höher gestellten Minderheit, die<br />
Mehrheit der Bevölkerung oder auch nur bestimmte Personengruppen an politischen Entschei-<br />
dungen teilhaben zu lassen oder sie bewusst von diesen auszuschließen. 2<br />
Deutschland existierte nur als kulturelles <strong>und</strong> nationales Ideal, nicht als einheitlicher Staat. So<br />
1 Für einen Überblick seien hier besonders empfohlen die Arbeiten: Wischermann, Frauenbewegungen <strong>und</strong><br />
Öffentlichkeiten um 1900; Huber-Sperl, Organisiert & engagiert. Darüber hinaus sind es die bereits erwähnten<br />
regionalen Forschungsarbeiten, die einen detaillierteren Blick auf die Besonderheiten <strong>und</strong> weniger bekannten<br />
Persönlichkeiten proletarischer Frauengeschichte geben können.<br />
2 Neben den hier im Mittelpunkt stehenden Aspekten des Geschlechts <strong>und</strong> der politischen Gesinnung war auch<br />
die Religionszugehörigkeit herausragender Gr<strong>und</strong> für gesellschaftliche Ausgrenzung. Zur Geschichte der<br />
Juden in Deutschland siehe: Elbogen/Sterling, Die Geschichte der Juden in Deutschland; Heid/Schoeps, Juden<br />
in Deutschland.<br />
37
„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />
kam es, dass die deutschen Fürstentümer <strong>und</strong> ihre Bevölkerung Anfang des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts die<br />
französische Fremdherrschaft unter Napoleon I. Bonaparte, ihre Beseitigung durch den Sieg der<br />
Allianzmächte im Oktober 1813 in der „Völkerschlacht“ bei Leipzig <strong>und</strong> die nachfolgende<br />
Restauration der ehemals bestehenden staatlichen Verhältnisse jeweils ganz unterschiedlich er-<br />
lebten. Im Rahmen dieser beträchtlichen Umwälzungen entstand eine nationale Bewegung, ja eine<br />
nationale Begeisterung, die teilweise zwar sehr schwärmerisch motiviert war, aber auch ganz<br />
offen die nationale Einheit wie auch die Demokratisierung <strong>und</strong> Liberalisierung staatlicher Ent-<br />
scheidungsinstanzen <strong>und</strong> Entscheidungsprozesse forderte. Getragen wurde diese Bewegung vor<br />
allem von dem liberalen Bürgertum – den Gelehrten, Dichtern, Kaufleuten, Handwerkern <strong>und</strong> vor<br />
allem den Studenten. 3 Bereits hier <strong>und</strong> noch bevor sich im März 1848 in nahezu allen deutschen<br />
Fürstentümern die politischen Spannungen in Form revolutionärer Kämpfe entladen sollten, muss<br />
eine derjenigen Frauen genannt werden, deren persönliches Schicksal eng mit dem Werden der<br />
deutschen Frauenbewegung verknüpft ist. Denn sie trat bereits in der Zeit des so genannten „Vor-<br />
märzes“, in der sich die liberalen Kräfte konsolidierten, mit Wort <strong>und</strong> Tat hervor <strong>und</strong> gilt bis heute<br />
als Vorkämpferin für die Rechte der deutschen Frauen, ja sogar als entscheidende Gründungsfigur<br />
der deutschen Frauenbewegung schlechthin: Louise Otto-Peters (1819-1895). Als Schriftstellerin<br />
sozialkritischer Romane <strong>und</strong> nationalbegeisterte Dichterin bekannte sie sich schon als junges<br />
Mädchen zu ihrer Sehnsucht nach einem geeinten Deutschland <strong>und</strong> stellte sich in die Reihen der<br />
Nationalrevolutionäre. Schon zu Lebzeiten als „Lerche des Völkerfrühlings“ berühmt, wurde<br />
Otto-Peters aber vor allem durch ihr wichtigstes „Unternehmen“, durch die Gründung der ersten<br />
Frauenzeitung Deutschlands, zu einer herausragenden Persönlichkeit, zu einem <strong>weiblichen</strong> Vor-<br />
bild. Die Gründung der „Frauen-Zeitung“ (1849-1852) ist ein Markstein in der Geschichte der<br />
deutschen Frauenbewegung <strong>und</strong> des deutschen Pressewesens, weshalb sie noch an anderer Stelle<br />
näher vorgestellt werden soll.<br />
Voller Hoffnung <strong>und</strong> Tatendrang konstituierte sich 1848 die Nationalversammlung in der<br />
Frankfurter Paulskirche als demokratische Instanz. Ihre auf die Toleranz <strong>und</strong> persönliche Ko-<br />
operation der Monarchen gesetzte Hoffnung wurde jedoch enttäuscht <strong>und</strong> mit massiver militä-<br />
rischer Gewalt vergolten. Die bürgerliche Revolution, die bürgerlichen Revolutionäre scheiterten<br />
<strong>und</strong> ihre Niederlage – in seiner Gänze vor allem festzumachen an der repressiven Gesetzgebung<br />
der nachfolgenden 1850er Jahre – hatte seine massivsten Auswirkungen interessanterweise gerade<br />
3 Als Beispiel seien hier nur die sieben Professoren aus Göttingen, die so genannten „Göttinger Sieben“ (W.E. Albrecht,<br />
F.C. Dahlmann, H. von Ewald, G. Gervinus, J. Grimm, W. Grimm <strong>und</strong> W.E. Weber) genannt, die für ihren<br />
Protest gegen die Aufhebung der hannoveranischen Verfassung mit dem Verlust ihrer Lehrstühle <strong>und</strong> politischer<br />
Verfolgung büßen mussten.<br />
38
1.1.1 DIE REVOLUTION VON 1848 – WURZEL DER DEUTSCHEN FRAUENBEWEGUNG<br />
auf die rechtliche Situation der Frauen. Paradebeispiel dafür ist das 1850 verabschiedete<br />
„Preußische Vereinsgesetz“, welches in § 8 ausdrücklich besagte:<br />
„‘Für Vereine, welche bezwecken, politische Gegenstände in Versammlungen zu<br />
erörtern, gelten […] nachstehende Beschränkungen:<br />
a) sie dürfen keine Frauenspersonen, Schüler <strong>und</strong> Lehrlinge als Mitglieder aufnehmen;<br />
[…]<br />
Frauenspersonen, Schüler <strong>und</strong> Lehrlinge dürfen den Versammlungen <strong>und</strong> Sitzungen<br />
solcher politischen Vereine nicht beiwohnen. Werden dieselben auf die Aufforderung<br />
des anwesenden Abge-ordneten der Obrigkeit nicht entfernt, so ist Gr<strong>und</strong><br />
zur Auflösung der Versammlung oder der Sitzung […] vorhanden.’“ 4<br />
Um die repressive Gewalt dieses Gesetzes in seiner Konsequenz zu erfassen, muss man sich Fol-<br />
gendes vergegenwärtigen: Es waren die Vereine <strong>und</strong> Verbände, die im Deutschland des 19. Jahr-<br />
h<strong>und</strong>erts die entscheidenden Keimzellen politischer Bestrebungen <strong>und</strong> Veränderungen waren –<br />
wo, wenn nicht hier, hätten Frauen am politischen Leben teilnehmen sollen?! 5 Dieses Gesetz wog<br />
umso schwerer als sich mit ihm die staatliche Diskriminierung der Frau, ihr Ausschluss aus der<br />
politischen Öffentlichkeit nicht auf Preußen beschränkte. Preußen war der einflussreichste aller<br />
deutschen Staaten, eine konstitutionelle Monarchie, die sowohl innerhalb Europas als auch inner-<br />
halb des deutschen Reiches nach einer Vormachtstellung strebte. Durch diese preußische Hege-<br />
monie galt der Ausschluss der Frauen <strong>und</strong> Jugendlichen vom politischen Leben nicht nur in<br />
Preußen selbst, sondern auch in preußennahen Staaten wie Bayern, Braunschweig, Anhalt, den<br />
beiden Mecklenburgs, Reuß <strong>und</strong> Lippe. Dagegen genossen „dank“ der Uneinheitlichkeit des<br />
deutschen Reiches die Frauen in Baden, Württemberg, Hessen, den Hansestädten, Sachsen-<br />
Coburg-Gotha <strong>und</strong> Sachsen-Meiningen eine etwas liberalere Vereinsgesetzgebung. 6<br />
Gesetzestexte wie das Preußische Vereinsgesetz von 1850 unterstellten Frauen per se politische<br />
Unreife <strong>und</strong> manifestierten so ihre untergeordnete Stellung in einer patriarchalischen<br />
Gesellschaft. 7 Genau wie Jugendliche galten sie als unmündig <strong>und</strong> nicht geschäftsfähig, weshalb<br />
4<br />
§ 8 der „Verordnung über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit <strong>und</strong> Ordnung gefährdenden Mißbrauchs des<br />
Versammlungs- <strong>und</strong> Vereinigungsrechts“ vom 11. März 1850. In: Preußische Gesetz-Sammlung 1850, S. 277ff.<br />
Zit. nach: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, S. 519-522, S. 520f.<br />
5 Zweifelsohne stellten die schon zu Beginn des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts von Rahel Varnhagen von Ense (d. i. Rahel Levin)<br />
(1771-1833) <strong>und</strong> Henriette Herz (1764-1847) geleiteten Berliner Salons durchaus eine Keimzelle demokratischer<br />
Öffentlichkeit dar, allerdings dürfte deren Ausstrahlung sich auf einige urbane <strong>und</strong> universitäre Kreise beschränkt<br />
haben (vgl. Hertz, Die jüdischen Salons im alten Berlin).<br />
6 Vgl. Honeycutt, Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in Wilhelmian Germany, S. 98. In Bayern<br />
entsprach Artikel 15 der Landesverfassung diesem Standpunkt weiblicher Driskriminierung. Laut Ihrer waren die<br />
liberalen Vereinsgesetze „nicht besser“. Nur Baden <strong>und</strong> seit einem Ministerialerlass 1891 auch Sachsen seien eine<br />
Ausnahme gewesen, da hier das Vereinsgesetz keine Geschlechtsunterschiede seiner Untertanen gekannt habe<br />
(vgl. Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, S. 5).<br />
7 Es war das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794, das durch die Vormachtstellung Preußens die<br />
Rechtsstellung der meisten deutschen Frauen definierte. Erst im Zuge einer gesetzlichen Vereinheitlichung wurde<br />
1896 vom Deutschen Reichstag das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) verabschiedet. Zur rechtlichen Situation der<br />
39
„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />
sie per Gesetz immer der Vorm<strong>und</strong>schaft eines Mannes – Vater, Onkel, Bruder oder Ehegatte – zu<br />
unterstehen hatten, ja diese nach Meinung der Gesetzgeber sogar unbedingt benötigten. Eigene<br />
politische Interessen eigenständig zu vertreten, daran war für die Frauen in Deutschland nicht zu<br />
denken. Ob bekennende Demokraten oder Monarchisten – die Mehrheit der Männer war ohnehin<br />
der Ansicht, dass die Politik ein zu „garstig Lied“ sei <strong>und</strong> damit dem hohen tugendhaften Wesen<br />
einer Frau abträglich. Die Tatsache, dass eine männlich dominierte Gesellschaft Frauen per Gesetz<br />
jedes politische Engagement untersagte, wurde so in das hehre Licht gerückt, dass man(n) sie<br />
doch lediglich vor einem unerträglichen Ehrverlust schützen wolle.<br />
Bemerkenswerterweise gingen die Ordnungshüter bei einem Verstoß gegen dieses Gesetz jedoch<br />
sehr rigoros vor <strong>und</strong> waren dabei wenig auf die weibliche Ehre bedacht. Jeder erfüllungsbeflissene<br />
Polizeibeamte hatte es in der eigenen Hand, die Vereinsversammlung aufzulösen, wenn die in<br />
Anwesenheit von „Frauenspersonen“ behandelten Gegenstände seiner Meinung nach politisch<br />
waren. Oft der genauen Bestimmungen jedoch unk<strong>und</strong>ig, schlossen Polizeibeamte aber auch dann<br />
Frauen von Versammlungen aus, wenn diese öffentlich waren <strong>und</strong> damit Ausnahmen des Gesetzes<br />
darstellten. Angesichts dieser obrigkeitsstaatlichen Willkür sahen sich manche listigen Frauen<br />
gezwungen, die öffentlichen Versammlungen in Männerkleidung zu besuchen 8 oder in möglichst<br />
großen, ihrer Rechte durchaus bewussten Gruppen zu erscheinen. Durch diese Taktik wurde den<br />
Polizeibeamten ein widerrechtliches Eingreifen erschwert <strong>und</strong> die erwachende Frauenbewegung<br />
sammelte ihre ersten Erfolge gegen den Staat.<br />
Derlei Erfolge änderten aber nichts daran, dass der <strong>weiblichen</strong> Bevölkerung der erwähnten Staa-<br />
ten eine Mitgliedschaft in einem politischen Verein verwehrt war. Auch die Vereine selbst dürften<br />
dem Mitgliedsantrag einer Frau niemals stattgegeben haben – zumal aus Sorge um ihre eigene<br />
Existenz, da jedem Verein, der dem Gesetz zuwiderhandelte <strong>und</strong> anwesende Frauen nicht sofort<br />
des Saales verwies, die Auflösung drohte. Das vor allem von Vertreterinnen der sich später her-<br />
ausbildenden proletarischen Frauenbewegung verwendete Bild der Frauen als „Parias“, als „Un-<br />
berührbare“, ist daher in diesem Zusammenhang ungemein zutreffend. Für all diejenigen Frauen,<br />
die sich von diesem Unerwünschtsein <strong>und</strong> dem nicht durchschaubaren Staatsapparat nicht ein-<br />
schüchtern ließen, war es schließlich an der Zeit, eigene Organisationen ins Leben zu rufen. Orga-<br />
nisationen, die sich zum Ziel setzten, aus <strong>weiblichen</strong> Staatsangehörigen Staatsbürgerinnen zu<br />
machen, zu Inhaberinnen gleicher Rechte <strong>und</strong> gleicher Pflichten.<br />
Frauen siehe: Gerhard, Frauen in der Geschichte des Rechts, 1997.<br />
8 Vgl. Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 20.<br />
40
1.1.1 DER BEGINN DES „HÜBEN UND DRÜBEN“ VON PROLETARISCHER UND BÜRGERLICHER FRAUENBEWEGUNG – DIE ANFÄNGE DES FRAUENVEREINSWESENS IN DEN<br />
1860ER JAHREN<br />
1.1.1 Der Beginn des „Hüben <strong>und</strong> Drüben“ von proletarischer <strong>und</strong> bürgerlicher Frauenbewegung<br />
– Die Anfänge des Frauenvereinswesens in den 1860er Jahren<br />
Das erste Jahrzehnt nach der gescheiterten 1848er-Revolution verstrich in den meisten deutschen<br />
Staaten ohne nennenswerte Bestrebungen, die zu einer Politisierung der Gesellschaft oder gar der<br />
Frauen geführt hätten. Die wenigen Frauenvereine, die in diesem Zeitraum gegründet wurden,<br />
hatten fast ausschließlich karitativen Charakter <strong>und</strong> waren in ihrer Wirkung regional begrenzt. 9<br />
Der erste Frauenverein, der sich damit nicht mehr zufrieden geben wollte, sondern im Gegenteil<br />
deutlich politische <strong>und</strong> auch nationale Intentionen besaß, wurde 1865 von einer Frau ins Leben<br />
gerufen, die bereits keine Unbekannte mehr war: Louise Otto-Peters. Damit stellt Otto-Peters, die<br />
in ihrem Leben, Denken <strong>und</strong> Handeln stets auch die größeren Zusammenhänge im Blick behielt,<br />
eine auffällige Konstante dar.<br />
Zusammen mit der Pädagogin Auguste Schmidt (1833-1902) veranstaltete Otto-Peters vom 16.<br />
bis 18. Oktober 1865 in Leipzig den ersten „Deutschen Frauenkongreß“, in dessen Anschluss es<br />
zur Gründung des „Allgemeinen Deutschen Frauenvereins“ (ADF) 10 kam. Wie der Name bereits<br />
anzeigt, waren seine Forderungen gr<strong>und</strong>sätzlicher Art. Er wollte für alle deutschen Frauen<br />
sprechen – unabhängig von Klasse, Beruf oder innerdeutscher Staatsangehörigkeit. Ein Blick auf<br />
seine Statuten <strong>und</strong> in sein ebenfalls neu gegründetes Publikationsorgan „Neue Bahnen“ (1866-<br />
1919) zeigt aber, dass von einem allgemeinen Anspruch nicht die Rede sein konnte. Stand im<br />
Mittelpunkt seiner Bestrebungen stets das Recht auf Bildung <strong>und</strong> Erwerb <strong>und</strong> in direktem<br />
Zusammenhang damit auch das Recht auf politische Mitbestimmung, so war dieses Recht auf Er-<br />
werb zu der damaligen Zeit vornehmlich ein Anliegen bürgerlicher Frauen. Dagegen scheint<br />
weder ein solches Erwerbsrecht noch das eingeforderte Recht auf Bildung im unmittelbaren<br />
Interesse proletarischer Frauen gelegen zu haben. Proletarische Frauen – ob sie wollten oder nicht<br />
– standen ohnehin meist mitten im Erwerbsleben – <strong>und</strong> dies unter sehr schwierigen Bedingungen:<br />
Die Industrialisierung hatte seit den 1850er Jahren Handwerk <strong>und</strong> Handel in sehr großem Maße<br />
9 Für eine tabellarische Übersicht über die ersten Frauenvereine im Deutschen Kaiserreich siehe: Tabelle 1<br />
„Aufstellung früher regionaler proletarischer Frauenorganisationen“ <strong>und</strong> Tabelle 2 „Entstehung <strong>und</strong> Entwicklung<br />
von Frauenorganisationen 1865-1908 in Anzahl der Verbände“.<br />
10 1877 gab Otto-Peters eine Mitgliederzahl des ADF <strong>und</strong> aller angeschlossenen Vereine von 11.000-12.000 Frauen<br />
bekannt (vgl. Twellmann, Die deutsche Frauenbewegung, S. 52). Zu der Entwicklung des Mitgliederstandes<br />
bürgerlicher Frauenvereine (vgl. ebd. <strong>und</strong> Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung <strong>und</strong><br />
Neuer Weiblichkeit, S. 110f.). Kinnebrock bezeichnet die Gründung des ADF als „Geburtsst<strong>und</strong>e der ersten deutschen<br />
Frauenbewegung“, weil sich hier zum ersten Mal „ein nicht nur lokal, sondern deutschlandweit agierender<br />
Frauenverein“ formiert habe. Zu vernachlässigen seien dabei die Vereinsgründungen in der 1848er-Revolution,<br />
weil diese ja im Zuge der Reaktion wieder aufgelöst wurden – also keine langfristigen Gründungen waren (vgl.<br />
Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 139).<br />
41
„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />
verändert. Der technische Fortschritt brachte die maschinelle Arbeitskraft, die nicht nur der<br />
menschlichen direkt Konkurrenz machte, sie nivellierte auch deren Fähigkeiten. Indem nämlich<br />
bei der Bedienung industrieller Maschinen langjährig erworbene handwerkliche Fähigkeiten nur<br />
noch bedingt nötig waren, schwanden die Unterschiede zwischen gelernten <strong>und</strong> ungelernten Ar-<br />
beitskräften. Die Folge war die beliebige Ersetzbarkeit von Arbeitskräften – auch die von<br />
männlichen durch weibliche – <strong>und</strong> ein zunehmender Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt.<br />
Diese Situation versetzte Unternehmer in die Lage, die Arbeitsbedingungen zu diktieren: Nied-<br />
rigere Löhne, längere Arbeitszeiten <strong>und</strong> extrem ges<strong>und</strong>heitsschädliche Arbeitsbedingungen. Nicht<br />
selten waren deshalb Arbeiterfrauen – wollten sie die Versorgung ihrer Familien gewährleisten –<br />
gezwungen, neben ihrer Hausarbeit einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Wenn dies bereits auf<br />
verheiratete Proletarierinnen zutraf, so erst recht auf unverheiratete <strong>und</strong> verwitwete. Manchmal<br />
endete die Erwerbstätigkeit einer proletarischen Frau zwar mit ihrer Heirat, doch nicht selten kam<br />
zu der Erwerbstätigkeit als Arbeiterin nun auch noch die Verantwortung für den familiären Haus-<br />
halt als Arbeiterfrau hinzu – dies bedeutete für viele eine schwere Doppelbelastung.<br />
Die bürgerlichen Frauen forderten das Recht auf Erwerb aber nicht, um sich einigermaßen<br />
sinnvoll zu beschäftigen, sondern es gab auch unter ihnen aus vielerlei Gründen zunehmend<br />
unversorgte Personen, denen, wie den Proletarierinnen, oftmals keine andere Wahl blieb, als ihren<br />
eigenen Unterhalt selbst zu verdienen. Jedoch waren die Art der Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> die Art der<br />
Tätigkeitsbereiche, deren Öffnung sie einforderten, ganz andere als die der Proletarierinnen. Auch<br />
eine längere schulische Ausbildung oder gar ein Hochschulstudium 11 waren für die Masse der<br />
Arbeiterinnen <strong>und</strong>enkbar. Ihre ganze Lebenssituation – vor allem die Notwendigkeit, bereits im<br />
Kindesalter zum Erwerb der Familie beizutragen – ließ dies einfach nicht zu. Doch auch gesetzt<br />
den Fall, dass ihnen die nötige Zeit <strong>und</strong> die finanziellen Mittel zur Verfügung gestanden hätten,<br />
wären ihnen ihre Klassenzugehörigkeit <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen Vorurteile zu einem<br />
unüberwindlichen Hindernis geworden.<br />
So wurde die Gründung des ADF, indem dieser die Frauenbildungsfrage in den Mittelpunkt<br />
rückte, zwar einerseits zum Initial der bürgerlichen Frauenbewegung, andererseits manifestierte<br />
sich in dieser Gründung aber sehr deutlich der auch hinsichtlich weiblicher Interessen existierende<br />
11 Das erste deutsche Mädchengymnasium wurde 1893 in Karlsruhe gegründet. Im Gegensatz zu den Universitäten<br />
in Süddeutschland (Baden 1900) nahmen preußische Universitäten offiziell erst 1908 Studentinnen auf. Einige<br />
deutsche Universitäten – nicht aber unbedingt auch deren Professoren – vergaben bis dahin zumindest den Status<br />
einer Gasthörerin. Frauen, denen das nicht genug war <strong>und</strong> die mittels eines Studiums auch einen Beruf anstrebten,<br />
gingen zum Studium z. B. in die Schweiz. Jedoch wurde vielen Heimkehrenden die Anerkennung ihres Abschlusses<br />
<strong>und</strong> damit die Ausübung ihres Berufes verwehrt. Zur Geschichte des Frauenstudiums in Deutschland siehe:<br />
Schöck-Quinteros/Dickmann, Barrieren <strong>und</strong> Karrieren. Die Anfänge des Frauenstudiums in Deutschland; Schlüter,<br />
Pionierinnen – Feministinnen – Karrierefrauen?.<br />
42
1.1.1 DER BEGINN DES „HÜBEN UND DRÜBEN“ VON PROLETARISCHER UND BÜRGERLICHER FRAUENBEWEGUNG – DIE ANFÄNGE DES FRAUENVEREINSWESENS IN DEN<br />
1860ER JAHREN<br />
Klassenunterschied 12 . Indem bei diesen ersten aufbrechenden Gegensätzen im gemeinsamen<br />
Kampf der Frauen um Gleichberechtigung bereits von einer „Abspaltung“ 13 der proletarischen<br />
Frauenbewegung gesprochen werden kann, bestätigt sich im Rückschluss, dass die Wurzeln jeder<br />
deutschen Frauenbewegung tatsächlich im Bildungsbürgertum zu suchen sind. Angesichts der dar-<br />
gestellten Interessenunterschiede war aber jene Loslösung der proletarischen Frauenbewegung<br />
von der bürgerlichen bzw. bürgerlich dominierten Frauenbewegung unabdingbar. So hatte die<br />
Gründung des ADF auch eine besondere Signalwirkung für die proletarischen Frauen: Vor allem<br />
in denjenigen Staaten, in denen das Preußische Vereinsgesetz nicht wirksam war, gründeten sich<br />
erste Arbeiterinnenvereine – teils in Nachahmung, teils in prinzipieller Auseinandersetzung mit<br />
dem ADF. Interessanterweise wurde jedoch keine nord- oder süddeutsche Stadt, sondern aus-<br />
gerechnet das „urpreußische“ Berlin zum Mittelpunkt der frühen Arbeiterinnenbewegung. 14 Es<br />
wurde Sitz des „Vereins zur Fortbildung <strong>und</strong> geistigen Anregung der Arbeiterfrauen“ (1869-1871)<br />
<strong>und</strong> des „Hausfrauenvereins“ (1873) – beides jedoch noch Organisationen, die nur dem Vereins-<br />
namen nach die Interessen der Arbeiterinnen vertraten. In Wirklichkeit unterstanden auch sie noch<br />
der Leitung bürgerlicher „Damen“ <strong>und</strong> betrieben Arbeiterinnenbildung, die meist karitativ, ethisch<br />
oder religiös intendiert war. Mit politischer Aufklärung oder „dem Ideengange einer Arbeiterfrau<br />
mit ihren Alltagssorgen ums tägliche Brod“ 15 hatte dies noch wenig bis gar nichts zu tun. Für die<br />
Sozialdemokratin <strong>und</strong> Gewerkschafterin Emma Ihrer (1857-1911) 16 war es im Rückblick auf die<br />
Ereignisse deshalb auch nicht verw<strong>und</strong>erlich, dass solcherlei Vereine stets wieder eingingen,<br />
„theils weil die Bürgerlichen es müde waren, Kraft, Zeit <strong>und</strong> Geld aufzuwenden,<br />
ohne Erfolge dafür zu sehen, theils weil Diejenigen, um deren bessere Ausbildung<br />
man sich bemühte, der Sache kein Interesse entgegenbrachten, kurz, weil beide<br />
Theile sich einfach nicht verstanden, da sie gleichsam aus verschiedenen Welten<br />
kamen, ihre Sprache, ihre Gewohnheiten, ihr Denken <strong>und</strong> Fühlen so gr<strong>und</strong>ver-<br />
12 Der öffentlichkeitswirksame Kampf gegen die Rechtlosigkeit der Frau wurde „zunächst von einem Theil der<br />
Frauen der ‘oberen Zehntausend’ […] eingeleitet“ (Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, ihre<br />
Entstehung <strong>und</strong> Entwickelung, S. 3). Auch später zeigte sich, dass viele der Führerinnen der proletarischen<br />
Frauenbewegung zumindest bürgerlicher Herkunft waren – im Falle Zetkins meint Puschnerat sogar von einem<br />
durchgängigen Verhaftetsein in der bürgerlichen Mentalität sprechen zu können (vgl. Puschnerat, Clara Zetkin –<br />
Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus).<br />
13 Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 140.<br />
14 Frühe Publikationen zur Entstehung der Arbeiterinnenbewegung sind: Berger, A.: Die zwanzigjährige Arbeiterinnen-Bewegung<br />
Berlins <strong>und</strong> ihr Ergebnis. Berlin 1889; Ihrer, Emma: Die Organisationen der Arbeiterinnen<br />
Deutschlands, ihre Entstehung <strong>und</strong> Entwicklung. Berlin 1893; Ihrer, Emma: Die Arbeiterinnen im Klassenkampf.<br />
Hamburg 1898; Lüders, Else: Arbeiterinnenorganisation <strong>und</strong> Frauenbewegung. 2. Aufl., Leipzig 1904.<br />
15<br />
Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 7. Dies war ein Kommentar Ihrers zum 1869 von Louise Otto-Peters gegründeten<br />
„Verein zur Fortbildung <strong>und</strong> geistigen Anregung der Arbeiterfrauen“.<br />
16 Da die in der „Gleichheit“ veröffentlichten Nekrologe auf Ihrer in der vorliegenden Arbeit noch detailliert besprochen<br />
werden, wird an dieser Stelle auf eine biographische Information verzichtet.<br />
43
„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />
schieden von einander war, eine natürliche Folge der Klassenunterschiede […].“ 17<br />
Diese Klassenunterschiede konnten <strong>und</strong> durften nicht ohne weiteres ignoriert werden. Arbeiter-<br />
innenvereine unter bürgerlicher Protektion bzw. Bevorm<strong>und</strong>ung waren Ihrers Meinung nach alles<br />
andere als hilfreich für die gedeihliche Entwicklung einer Volksbewegung – <strong>und</strong> eben eine solche<br />
zu werden, war das Ziel der proletarischen Frauenbewegung. Das Wesen einer solchen Frauenbe-<br />
wegung werde dagegen voll entfaltet mittels<br />
„der treibenden inneren Kraft, welche sich gegen äußerliche Hemmnisse stemmt,<br />
im Widerstande erstarkt <strong>und</strong> sich den aufgezwungenen Formen anpaßt, ohne ihren<br />
wahren Kern, ihr eigentliches Wesen zu verlieren“ 18 .<br />
Dieser Wachstumsprozess – so Ihrer im Rückblick auf die Entwicklung – sei zwar langsam, aber<br />
in seiner Selbständigkeit effektiver gewesen als die „künstliche Nachhilfe“ 19 wie sie zu Beginn der<br />
Arbeiterinnenbewegung betrieben worden sei. 20 So gründeten sich in den 80er Jahren des 19. Jahr-<br />
h<strong>und</strong>erts schließlich verstärkt „echte“ Arbeiterinnenvereine, die eben nicht wie der ADF ver-<br />
meintlich allgemeine Fraueninteressen vertreten oder karitative Aufgaben erfüllen wollten,<br />
sondern sich ganz bewusst vorerst einmal branchenspezifisch, d. h. vornehmlich nach Berufs-<br />
gruppen organisierten, um gezielt Arbeiterinnenrechte einzufordern.<br />
Unter diesen Gesichtspunkten war der 1872 in Berlin gegründete „Arbeiterfrauen- <strong>und</strong> Mädchen-<br />
Verein“ etwas wirklich Außergewöhnliches, denn mit seinen Gründerinnen Bertha Hahn (?-?),<br />
Pauline Staegemann (1830-1909), ? Gr<strong>und</strong>emann (?-?) <strong>und</strong> Johanne Schackow (?-1902)<br />
waren es endlich „energische, zielbewußte Arbeiterfrauen“ 21 , die einer Frauenorganisation vor-<br />
standen. Ihre rege Agitationstätigkeit ließ den Verein schnell in ganz Deutschland immer mehr<br />
Nachahmung finden. Weil er durch diesen Erfolg jedoch drohte, zur Keimzelle einer politischen<br />
Bewegung zu werden, wurde er bereits 1877 mit Verweis auf das preußische Vereinsgesetz<br />
aufgelöst. Als eine besondere „Tugend“ der proletarischen Frauenbewegung zeichnete sich jedoch<br />
bereits damals die Beharrlichkeit ab, sodass es bald zu einem neuen Organisationsversuch kam.<br />
Mit Marianne Menzzer (1814-1895) aus Dresden <strong>und</strong> Johanna Friederike Wecker (?-?) aus<br />
Frankfurt am Main waren es 1881 zwei „Demokratinnen vom alten Schlag“ 22 , die die<br />
Arbeiterinnen aufriefen, „sich zu vereinigen <strong>und</strong> gemeinsam zur Wehr zu setzen gegen die krasse<br />
17<br />
Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 7f.<br />
18 Ebd., S. 7.<br />
19 Ebd.<br />
20 Vgl. ebd.<br />
21<br />
Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 8.<br />
22 Ebd., S. 9. Demokratinnen wie Menzzer wurden später von der „Gleichheit“ zwar für ihre Pionierarbeit geehrt,<br />
aber eher der bürgerlichen Frauenbewegung zugerechnet – so auch in der biographischen Zusammenstellung<br />
dieser Arbeit.<br />
44
1.1.1 DER BEGINN DES „HÜBEN UND DRÜBEN“ VON PROLETARISCHER UND BÜRGERLICHER FRAUENBEWEGUNG – DIE ANFÄNGE DES FRAUENVEREINSWESENS IN DEN<br />
1860ER JAHREN<br />
Ausbeutung ihrer Arbeitskraft“ 23 . Daraus resultierte die Gründung des „Frauen-Hilfs-Vereins für<br />
Handarbeiterinnen“ (1883). Sein agitatorischer Erfolg <strong>und</strong> die Anzahl der Mitglieder blieb jedoch<br />
sehr gering. Außerdem habe es, so Ihrer kritisch, „den Führenden noch an der nöthigen Einsicht,<br />
sowie auch an Gemeinsinn <strong>und</strong> dem Selbstständigkeitsgefühl“ 24 gefehlt. 25 Dennoch trug auch<br />
dieser Verein zum Wachsen der proletarischen Frauenbewegung bei, denn<br />
„[v]on diesem Verein war ein Häuflein thatkräftiger Frauen zusammen geblieben,<br />
welche durch diese Erfahrungen gelernt hatten, wie man es nicht anfangen dürfe,<br />
um etwas für die Arbeiterinnen Ersprießliches zu erreichen.“ 26 [Hervorhebungen<br />
von M.S.]<br />
Das „Häuflein thatkräftiger Frauen“ wies zwar keine namhaften Frauen der „Ersten St<strong>und</strong>e“,<br />
keine Otto-Peters oder Schmidt auf, aber doch Frauen, die noch zu bekannten Führerinnen einer<br />
originären proletarischen Frauenbewegung werden sollten. Denn es waren Frauen wie Emma<br />
Ihrer, ? Dräger (?-?) <strong>und</strong> ? Haase (?-?), die zunehmend den Führungsanspruch bürgerlicher<br />
Frauen kritisierten, so z. B. wenn diese wie in einer öffentlichen Versammlung in Berlin 1882 ver-<br />
suchten,<br />
„den Arbeiterinnen nicht etwa die Hand zu bieten zum gemeinsamen Kampfe,<br />
sondern […] Protection zu üben über die Frauen <strong>und</strong> Töchter der Arbeiterklasse,<br />
die anerkennen sollten, wie nöthig es sei, für die Hebung der Sittlichkeitdes[sic]<br />
Arbeiterstandes zu sorgen“ 27 .<br />
Allzu oft glaubten bürgerliche Frauen als Expertinnen im Interesse der Arbeiterinnen zu handeln,<br />
wenn sie Debatten über deren Sittlichkeit <strong>und</strong> über die Abschaffung der Prostitution führten. Tat-<br />
sächlich degradierten sie auf diese Weise die Arbeiterinnen aber auch zu Sozialfällen, zu Objekten<br />
bürgerlicher Mildtätigkeit <strong>und</strong> Bevorm<strong>und</strong>ung. Wenn sich also im konkreten Fall in Berlin nur<br />
einige Monate später 1883 ein Verein für Arbeiterinnen – der „Frauen-Hilfs-Verein für Handarbei-<br />
terinnen“ – gründete, dann ist dies durchaus auch als „Trotzreaktion“ zu beurteilen. 28<br />
Das Selbstbewusstsein der Proletarierinnen wuchs – <strong>und</strong> dies in doppelter Hinsicht: Einerseits als<br />
zunehmende Courage <strong>und</strong> andererseits als Bewusstsein der spezifischen Eigenart proletarischer<br />
23 Ebd.<br />
24 Ebd., S. 10.<br />
25 Gr<strong>und</strong> zu dieser Kritik gab z. B. der sonderbare Umstand, dass Fabrikarbeiterinnen als Mitglieder ausgeschlossen<br />
waren, aber bürgerliche Frauen <strong>und</strong> sogar Männer hingegen Ehrenmitglieder werden konnten (vgl. Ihrer, Arbeiterinnen<br />
im Klassenkampf, S. 9). Laut Gerhard sei der Vorwurf Ihrers nicht gerechtfertigt, da eine Unterscheidung<br />
in Hand- <strong>und</strong> Fabrikarbeit in der Blütezeit der Hausindustrie noch keinen Sinn gemacht habe (vgl. Gerhard, Unerhört,<br />
S. 129).<br />
26<br />
27<br />
Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 10.<br />
Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, S. 4.<br />
28 Vgl. ebd., S. 5.<br />
45
„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />
Probleme. So entstand 1885 der „Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen“. 29 In ihm<br />
engagierte sich erstmalig gemeinsam eine ganze Reihe herausragender Führerinnen wie Gertrud<br />
Guillaume-Schack (1845-1903), Marie Hofmann (?-?), ? Kreutz (?-?), Ida Cantius (?-?), ?<br />
Leuschner (?-?), erneut auch Staegemann, Haase <strong>und</strong> Ihrer. 30 Dieser Verein weist eine besonders<br />
durchdachte Organisation auf, indem er sich in Fachkommissionen <strong>und</strong> Branchen-Versammlungen<br />
gliederte. Er sammelte statistisches Material, legte eine Bibliothek an, formulierte spezifische<br />
Interessen <strong>und</strong> entwickelte Strategien, diese auch durchzusetzen. 31 Zunehmend erhöhten sich nicht<br />
nur die Zahl seiner Mitglieder, sondern auch die Unstimmigkeiten innerhalb der Gruppe, die<br />
schließlich zur Abspaltung <strong>und</strong> Gründung des „Nord-Vereins“ unter Leitung von ? Pötting (?-?),<br />
? Grothman (?-?) <strong>und</strong> Cantius führten. Die Unstimmigkeiten waren aber wohl nicht so<br />
gravierender Art, dass nicht weiterhin beide Vereine einen gemeinsamen Kreis von ReferentInnen,<br />
Rechtsanwälten <strong>und</strong> Ärzten für ihre Arbeit in Anspruch nehmen konnten. 32<br />
<strong>Von</strong> diesen Berliner Arbeiterinnenvereinen ging eine große agitatorische Wirkung aus. Laut Ihrer<br />
waren es gerade die Negativschlagzeilen in der konservativen Presse, die die Arbeiterinnen in<br />
ganz Deutschland dazu bewegten, es den Berlinerinnen gleichzutun. 33 Schließlich erfolgte im Mai<br />
1886 das absehbare Verbot der drei Berliner Arbeiterinnenvereine „Verein zur Vertretung der<br />
Interessen der Arbeiterinnen“, „Verein der Mantel-Näherinnen“ <strong>und</strong> „Nordverein der Arbeiter-<br />
innen“. Willkommener Vorwand dafür war den Behörden eine als politisch bef<strong>und</strong>ene Petition, in<br />
der die Zulassung von Frauen zu Gewerbegerichten gefordert wurde. Den Hausdurchsuchungen<br />
<strong>und</strong> der Beschlagnahme aller schriftlichen Materialien folgten die Anklage der Leiterinnen <strong>und</strong><br />
viele langwierige Voruntersuchungen. 34 Obwohl „alle Kreuz- <strong>und</strong> Querverhöre […] äußerst ge-<br />
ringe Ergebnisse“ 35 zeitigten, wurden die verantwortlichen Frauen mit Haft- <strong>und</strong> Geldstrafen be-<br />
langt. Es folgte eine grenzüberschreitende Verbotswelle, die auch die jeweiligen Vereine in Halle<br />
29 Für eine nähere Beschreibung des „Vereins zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen“ siehe: Hartwig/<br />
30<br />
Wischermann, Staatsbürgerin.<br />
Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 12. Guillaume-Schack war für diesen Verein die Leitung angetragen<br />
worden, da sie aber als schweizerische Staatsangehörige unter dem Sozialistengesetz mit Ausweisung rechnen<br />
musste, lehnte sie diese ab. Stattdessen wurde sie zur Ehrenpräsidentin gewählt, „weil man sie in irgend einer<br />
Form als betheiligt wünschte. Sie legte aber nach Jahresfrist das Ehrenamt nieder, um nicht in einem Verein, der<br />
auf vollkommene Gleichberechtigung gegründet war, eine Ausnahmestellung einzunehmen“ (ebd.).<br />
31 Die von Guillaume-Schack herausgegebene „Staatsbürgerin“ wird noch eigenständig in dieser Arbeit behandelt;<br />
siehe: Kapitel 1.3.<br />
32 Vgl. ebd., S. 16<br />
33 Vgl. ebd., S. 12.<br />
34 Die polizeiliche Beschlagnahmung führte dazu, dass Arbeiterinnenorganisationen häufig keinerlei Organisationsunterlagen<br />
mehr anlegten, was die Dokumentation <strong>und</strong> geschichtswissenschaftliche Erforschung dieser frühen<br />
Arbeiterinnenvereingungen erheblich erschwert.<br />
35 Ebd., S. 17.<br />
46
1.1.1 DER BEGINN DES „HÜBEN UND DRÜBEN“ VON PROLETARISCHER UND BÜRGERLICHER FRAUENBEWEGUNG – DIE ANFÄNGE DES FRAUENVEREINSWESENS IN DEN<br />
1860ER JAHREN<br />
a. d. S., Luckenwalde, Zietz, Gera, Frankfurt a. M. <strong>und</strong> Düsseldorf wegspülte. 36 Die Existenz der<br />
Mehrzahl dieser Arbeiterinnenvereine war demnach nur von kurzer Dauer gewesen – oft be-<br />
standen sie nur ein paar Monate lang. Der katholische Arbeiterfunktionär Joseph Joos 37 be-<br />
zeichnete sie deshalb als „Verlegenheitsgründungen“ 38 <strong>und</strong> auch Ihrer bekannte selbstkritisch, dass<br />
sich mancher Verein auflösen musste, „ohne bleibende Spuren zu hinterlassen“ 39 . Es ist jedoch die<br />
erwähnte Beharrlichkeit, die die Historikerin Klausmann besonders hervorhebt, wenn sie ihre<br />
Ausführungen zur proletarischen Frauenbewegung Frankfurts der 1880er <strong>und</strong> 1890er Jahre mit<br />
der Überschrift „Der permanente Neuanfang“ 40 versieht.<br />
Diese Kurzlebigkeit der Arbeiterinnenvereine steht in signifikantem Gegensatz zu der Lebens-<br />
dauer der bürgerlichen Frauenvereine. Letztere genossen eine relative Sicherheit vor allzu grober<br />
Verfolgung <strong>und</strong> hatten dies nicht nur ihrer scheinbar unpolitischen Haltung zu verdanken, sondern<br />
auch der Klassenzugehörigkeit ihrer Mitglieder. Ordnungshüter <strong>und</strong> Behörden bewiesen ihnen<br />
gegenüber deutlich mehr Rücksichtnahme als gegenüber einfachen Arbeiterinnen. Die von<br />
(geheim)polizeilichen Beamten ihren Vorgesetzten vorgelegten Mitschriften 41 geben Einschät-<br />
zungen zum Charakter sowohl der Veranstaltung als auch der Rednerinnen <strong>und</strong> lieferten letztlich<br />
im Falle der Arbeiterinnen den Vorwand für ein Verbot des ganzen Vereins, die Verhaftung seiner<br />
leitenden Mitglieder <strong>und</strong> deren Bestrafung, Ausweisung oder Inhaftierung. Einzelne bürgerliche<br />
Vereine erfreuten sich dagegen sogar königlich-hoheitlicher Protektion. Der Lette-Verein (gegr.<br />
36 Vgl. Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, S. 5. In diesem Zusammenhang greift Ihrer den<br />
Entwicklungen voraus <strong>und</strong> erwähnt einen in Breslau gegründeten Verein, der verboten wurde, „weil in einer Sitzung<br />
desselben ein Artikel aus der ‘Gleichheit’, dem Organ der Sozialistinnen, vorgelesen wurde, der die Sammlung<br />
<strong>und</strong> Veröffentlichung von Fabrik-Arbeitsordnungen befürwortete“ (ebd).<br />
37 Der aus dem Elsass stammende Modelltischler <strong>und</strong> spätere Redakteur Joseph Joos (1878-1965) engagierte sich<br />
sehr stark innerhalb des katholischen Arbeiterflügels. Er stand in engem Kontakt mit dem „Volksverein für das<br />
katholische Deutschland“. Dieser war nicht nur Herausgeber der hier herangezogenen Schrift Joos‘ „Die sozialdemokratische<br />
Frauenbewegung in Deutschland“ (1912), sondern auch Abonnent der „Gleichheit“ – die von mir<br />
eingesehene Sammlung ist eine Kopie aus dem Bibliotheksbestand dieses Vereins.<br />
38<br />
Joos, Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Deutschland, S. 12.<br />
39<br />
Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, S. 4. Auch Joos verwendete für alle damals<br />
gegründeten Arbeiterinnenvereine eben jene Formulierung – ohne sie jedoch als Zitat kenntlich zu machen (vgl.<br />
Joos, Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Deutschland, S. 13.) Gerade die schriftstellerische Arbeit<br />
Ihrers – vor allem ihre frühen Standardwerke „Die Organisation der Arbeiterinnen Deutschlands, ihre Entstehung<br />
<strong>und</strong> Entwicklung“ (1893) <strong>und</strong> „Die Arbeiterinnen im Klassenkampf. Anfänge der Arbeiterinnen-Bewegung, ihr<br />
Gegensatz zur bürgerlichen Frauenbewegung <strong>und</strong> ihre nächsten Aufgaben“ (1898) – stehen ganz im Zeichen einer<br />
Geschichtstradition <strong>und</strong> Spurensuche. Eine wichtige Quelle ist die von Ihrer angefertigte <strong>und</strong> nach Ortschaften<br />
alphabetisch geordnete Aufstellung der in Deutschland existierenden regionalen Arbeiterinnenorganisationen. Sie<br />
enthält kurze Angaben zum Gründungsjahr, zu jeweiligen Zielsetzungen, zu den Namen <strong>und</strong> Adressen der<br />
Vorsitzenden, zu Mitgliederzahlen <strong>und</strong> Mitgliedsbeiträgen einschließlich ihrer Verwendung (vgl. Ihrer, Die<br />
Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, S. 8-15, siehe: Tabelle 1 „Aufstellung früher regionaler proletarischer<br />
Frauenorganisationen“).<br />
40<br />
Klausmann, Politik <strong>und</strong> Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich, S. 107.<br />
41 Zum Kampf der Frauen gegen die Behörden siehe: Dertinger, Weiber <strong>und</strong> Gendarm.<br />
47
„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />
1866) zum Beispiel – benannt nach dem Pädagogen Wilhelm Adolf Lette – genoss die Schirm-<br />
herrschaft von Kronprinzessin Viktoria von Preußen (1840-1901). Zu Beginn trat er vor allem<br />
für die Bildung <strong>und</strong> adäquate Erwerbsarbeit „Höherer Töchter“ ein <strong>und</strong> definierte dieses Klientel<br />
auch dadurch sehr deutlich, dass er die „‘in Fabriken <strong>und</strong> beim Landbau beschäftigten Hand-<br />
arbeiterinnen, […] Dienstboten, Wäscherinnen <strong>und</strong> dergleichen’“ 42 von einer Mitgliedschaft aus-<br />
schloss. Aus Sicht bürgerlicher Damen durchaus verständlich, denn die Vorstellung, sich mit dem<br />
eigenen Dienstmädchen in dem selben Verein zu engagieren, war den Damen <strong>und</strong> „Höheren<br />
Töchtern“ dann wohl doch zu viel des Guten. 1877 sollten nach einer Satzungsänderung jedoch<br />
auch ausdrücklich vermeintliche Ausbildungsbedürfnisse von Arbeiterinnen berücksichtigt wer-<br />
den. Die gegründeten „Fortbildungsschulen“ sind jedoch hinsichtlich ihrer politischen Zielset-<br />
zung, nämlich die Jugend unbedingt von der Sozialdemokratie fernzuhalten, kritisch zu bewer-<br />
ten. 43<br />
So verschieden wie die Zielgruppe, so verschieden waren auch die Mittel der proletarischen <strong>und</strong><br />
der bürgerlichen Frauenvereine. Hier das Petitionieren der bürgerlichen – meist gemäßigten –<br />
Frauen, dort die bewusst massenwirksam gestaltete Agitation der Arbeiterinnen. Die bürgerlichen<br />
Petitionen – also das politische Engagement in Form von Bittschriften an Parlamente <strong>und</strong> Ersu-<br />
chen um Schirmherrschaften aus monarchischen Herrscherhäusern, das den Gesetzeshütern wohl<br />
nicht selten eher lästig als gefährlich erschienen sein dürfte – <strong>und</strong> die in ihnen aufgestellten<br />
Forderungen nach Bildung <strong>und</strong> freier Berufswahl konnten für die Arbeiterinnen nur beschwich-<br />
tigende Wirkung haben. Denn angesichts der sozialistischen Zielsetzung einer Befreiung aller<br />
Menschen aus der Unterdrückung durch das kapitalistische System, waren Petitionen ein un-<br />
brauchbares Mittel. Es bedurfte vor allem gleicher „Menschenrechte“ 44 , welche zu erlangen – so<br />
hatte das Scheitern der 1848er Revolution gezeigt – nicht ohne Kampf möglich sein würde.<br />
Zusammenfassend muss demnach hervorgehoben werden, dass die Interessen der deutschen<br />
Frauen im damaligen deutschen Reich alles andere als homogen waren – weder was ihre Inhalte,<br />
noch was die Wahl der Mittel zu ihrer Durchsetzung betrifft. War für die Proletarierinnen der erste<br />
wichtige Schritt, sich aus der Bevorm<strong>und</strong>ung bürgerlicher Frauen zu lösen, so musste ihr zweiter<br />
sein, sich prinzipiell von ihnen abzugrenzen. Vorläufiger Höhepunkt dieses Abgrenzungsprozesses<br />
wurde der internationale „Kongreß für Frauenwerke <strong>und</strong> Frauenbestrebungen“, der vom 19.-<br />
42 Satzung des Lette-Vereins. Zit. nach: Obschernitzki, Der Frau ihre Arbeit!, S. 55. Siehe auch: Gerhard, Unerhört,<br />
S. 87. Kinnebrock sieht in der Gründung des Lettevereins den Anfang <strong>und</strong> im Ausschluss proletarischer Frauenvereine<br />
bei der Gründung des Dachverbandes der deutschen Frauenbewegung, des „B<strong>und</strong>es Deutscher Frauenvereine“<br />
(BDF) im Jahre 1894 das Ende dieses Ausschlussprozesses (vgl. Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein<br />
Volk?!, S. 163, Anm. 37).<br />
43 Vgl. Obschernitzki, Der Frau ihre Arbeit!, S. 55ff.<br />
44 Vgl. Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, S. 4 u. S. 7f.<br />
48
1.1.1 DER BEGINN DES „HÜBEN UND DRÜBEN“ VON PROLETARISCHER UND BÜRGERLICHER FRAUENBEWEGUNG – DIE ANFÄNGE DES FRAUENVEREINSWESENS IN DEN<br />
1860ER JAHREN<br />
26. September 1886 in Berlin stattfand <strong>und</strong> an dem auch führende Frauen der proletarischen<br />
Frauenbewegung teilnahmen. 45 Die Anregung zu diesem Kongress kam von Lina Morgenstern<br />
(1831-1909), die eine bedeutende Initiatorin sozialer Projekte <strong>und</strong> Institutionen für Proletarie-<br />
rinnen war, aber nicht zur proletarischen Frauenbewegung zu zählen ist. Deren Vertreterinnen<br />
waren Clara Zetkin <strong>und</strong> Lily Braun (1865-1916) 46 , die jedoch die Absprache getroffen hatten, auf<br />
jenem Kongress nicht das Wort zu ergreifen. Stattdessen veranstalteten sie später auf proleta-<br />
rischer Seite selbst drei öffentliche Versammlungen. 47 Diese Versammlungen gaben verschiedenen<br />
Frauen, wie z. B. Marie Greifenberg (?-?) 48 <strong>und</strong> Martha Rohrlack (?-?) 49 , die bisher nur wenig<br />
bekannt waren <strong>und</strong> über die auch heute nur wenige Informationen vorhanden sind, die Gelegen-<br />
heit für ein öffentliches Debüt als Rednerinnen der proletarischen Frauenbewegung. Auch Ottilie<br />
45 Vgl. Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 30ff. Ihrer beschrieb diesen Kongress zu Beginn des zweiten Teils<br />
ihres Standardwerkes, der der bürgerlichen Frauenbewegung <strong>und</strong> ihren Kongressen gewidmet ist. Sie stützte sich<br />
hierbei auf die dazu verfassten Artikel der „Gleichheit“ <strong>und</strong> auf die Veranstaltungsprotokolle. Erwähnenswert ist<br />
noch die Teilnahme einer der größten Pädagoginnen der damaligen Zeit: Maria Montessori (1870-1952).<br />
46 Lily Amelia Jenny Emilie Klothilde Johanna Braun, geb. von Kretschman, verwitwete von Gizycki, wurde in<br />
Halberstadt geboren <strong>und</strong> war die Tochter eines preußischen Generals <strong>und</strong> Urenkelin Jerôme Bonapartes, eines<br />
Bruders Napoleons. Sie genoss ausschließlich Privatunterricht. 1893 heiratete sie in Berlin den an den Rollstuhl<br />
gefesselten Professor der Nationalökonomie Georg von Gizycki, der sie mit sozialistischem Gedankengut vertraut<br />
machte <strong>und</strong> 1895 verstarb. Neben der Mitarbeit in Gizyckis „Gesellschaft für ethische Kultur” hatte Braun sich<br />
seit 1894 gemeinsam mit Minna Cauer im Vorstand des radikal-bürgerlichen Vereins „Frauenwohl” engagiert <strong>und</strong><br />
wurde Mitherausgeberin der Zeitung „Die Frauenbewegung“. 1895 folgte ihre erste öffentliche Rede, in der sie für<br />
das Frauenstimmrecht eintrat. Im selben Jahr wurde sie Mitglied der SPD <strong>und</strong> heiratete den SPD-Politiker <strong>und</strong><br />
Herausgeber des „Archivs für soziale Gesetzgebung” (1888-1903) Heinrich Braun. 1887 brachte sie einen Sohn<br />
zur Welt. Sie war schriftstellerisch tätig <strong>und</strong> seit 1897 Mitarbeiterin bei der „Gleichheit”. Besonders engagierte<br />
sich Braun für die Themen Wirtschaftsgenossenschaft, Mutterschutz, weibliche Doppelbelastung <strong>und</strong> Dienstbotenfrage.<br />
Sie bezog zunehmend Position auf dem revisionistischen Flügel der sozialdemokratischen Frauenbewegung<br />
<strong>und</strong> suchte die Kooperation mit bürgerlichen Frauen. Nach ihrer Entlassung aus der „Gleichheit“-Redaktion 1901<br />
wurde sie auch immer mehr aus der SPD-Frauenorganisation ausgeschlossen. Nach Beginn des Ersten Weltkrieg<br />
zählte Braun zu den Kriegsbefürworterinnen (ihr Sohn Otto starb 1917 als Kriegsfreiwilliger).<br />
47 Ebd., S. 43. Die zweite Versammlung wurde von dem überwachenden Polizisten unter dem Vorwand großer Hitze<br />
<strong>und</strong> großen Gedränges zeitlich auf eine St<strong>und</strong>e begrenzt, wodurch nur Braun die Möglichkeit bekam, zu<br />
referieren.<br />
48 Marie Greifenberg, geb. Fein, war Kartonarbeiterehefrau (GL, 08/ 06/ 16.03.1898/ 43). Vermutlich handelt es sich<br />
bei ihrem Ehemann um Hermann Greifenberg, mit dem sie gemeinsam im Juli 1902 in Augsburg beim<br />
Monatstreffen des „Bildungsvereins für Frauen <strong>und</strong> Mädchen“ Vorträge hielt (vgl. GL, 12/ 14/ 02.07.1902/ 110).<br />
Bereits 1897 wurde sie von den Berliner Genossinnen zum SPD-Parteitag in Hamburg delegiert (vgl. Wahl von<br />
Genossinnen zum Hamburger Parteitag. In: GL, 07/ 20/ 29.09.1897/ 157). 1905 meldete sie sich gemeinsam mit<br />
anderen Genossinnen „Zur Frage der gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiterinnen“ (GL, 15/ 10/<br />
17.05.1905/ 56) zu Wort. Seit 1905 war sie Vertrauensperson ins Augsburg <strong>und</strong> 1908 wurde sie Landesvertrauensperson<br />
für Bayern.<br />
49 Martha Rohrlack war 1891 Parteitagsdelegierte. Der „Gleichheit“ ist die Information zu entnehmen, dass Rohrlack<br />
schon seit 1892 als Vortragsreisende für die proletarische Frauenbewegung wirkte. Auch Joos ist es aufgefallen,<br />
dass „eine Frau Rohrlack ein ganzes Jahr […] mit einem Vortrag über Volksaberglauben“ (ebd.) herumging. In<br />
diesem betonte sie, „wie nöthig es sei, daß sich die Frauen eine freie, wissenschaftliche Welterkenntnis aneigneten<br />
<strong>und</strong> der heranwachsenden Generation übermittelten“ (Rohrlack, Frl. [Martha]: Aberglauben. In: GL, 02/ 19/<br />
21.09.1892/ 155). Zu Beginn des Jahres 1896 hatte man sie wegen einer „Siebdrat-Beleidigung“ (gemeint ist vermutlich<br />
der sächsische Strafrechtler Theodor Siebdrat) verhaftet <strong>und</strong> zu einer viermonatigen Haftstrafe verurteilt.<br />
Obwohl Rohrlack zum ersten Mal verurteilt worden war, hatte man ihr jede übliche Vergünstigung versagt <strong>und</strong> sie<br />
in der Strafanstalt Voigtsberg inhaftiert (vgl. Der Freiheit wiedergegeben … In: GL, 06/ 11/ 27.05.1896/ 85).<br />
49
„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />
Baader (1847-1925) 50 trat hier erstmals öffentlich auf. Neben Zetkin, Braun <strong>und</strong> Ihrer sollten sie<br />
alle einen festen Platz in der Organisation der proletarischen Frauenbewegung einnehmen <strong>und</strong><br />
nicht zu Unrecht als Vorkämpferinnen derselben gelten.<br />
Mit der Gründung des „B<strong>und</strong>es Deutscher Frauenvereine“ (BDF) am 28./29. März 1894 in Berlin<br />
wurde die Unvereinbarkeit bürgerlicher <strong>und</strong> proletarischer Fraueninteressen schließlich offen-<br />
sichtlich. 51 Dieser Dachverband stellte einen entscheidenden Schritt auf der Organisationsebene<br />
deutscher Frauenvereine dar. Umso bedeutsamer ist daher die Tatsache, dass proletarische Frauen-<br />
vereine diesem Dachverband nicht beitraten bzw. nicht beitreten durften. Sprechen einige Quellen<br />
von ihrem Ausschluss, so lassen andere die Interpretation eines eigenen Verzichts auf<br />
Mitgliedschaft zu. Die Gründung des BDF gab Zetkin ohne Frage den willkommenen Anlass, eine<br />
auf den Prinzipien des Klassenkampfes basierende „reinliche Scheidung“ 52 zwischen proleta-<br />
rischer <strong>und</strong> bürgerlicher Frauenbewegung zu fordern. Das zu diesem Zeitpunkt bereits 3 Jahre<br />
existierende zentrale Organ der proletarischen Frauenbewegung – die im Mittelpunkt dieser Arbeit<br />
stehende „Gleichheit“ – wurde angesichts zunehmender Ressentiments zu einer „Ruferin […] im<br />
50 Ottilie Baader, verh. Baader-Diederichs, wurde in Rackow bei Frankfurt/Oder geboren <strong>und</strong> war Tochter eines in<br />
einer Fabrik arbeitenden Zuckerschneiders. Dieser war selbst der Sozialdemokratie verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> lehrte Baader<br />
das Lesen sozialistischer Literatur. Im Alter von sieben Jahren verlor sie ihre als Heimarbeiterin tätige Mutter <strong>und</strong><br />
musste von da an für ihre jüngeren Geschwister sorgen. Nach dem Besuch der Mittelschule, wurde sie 1860, im<br />
Alter von 13 Jahren, Handnäherin in einer Berliner Nähfabrik <strong>und</strong> später mit einer eigenen Nähmaschine Heimarbeiterin.<br />
1866 beteiligte sich Baader am Streik der Berliner Mantelnäherinnen <strong>und</strong> kam in Kontakt mit der<br />
Gewerkschaft <strong>und</strong> der SPD. Mit 32 Jahren hielt Baader ihre erste öffentliche Rede, wurde Mitglied der Berliner<br />
Frauenagitationskommission <strong>und</strong> 1891 Mitglied im Vorstand der Arbeiterbildungsschule in Berlin. 1894 wurde sie<br />
zur Vertrauensperson des 4. Berliner Wahlkreises gewählt. Sie war mehrfach Delegierte auf internationalen Konferenzen<br />
<strong>und</strong> SPD-Parteitagen. 1900 übernahm sie das ab 1904 besoldete Amt der „Zentralvertrauensperson der<br />
Genossinnen Deutschlands“. 1908 verzichtete Baader zugunsten von Luise Zietz (1865-1922) auf den Sitz im<br />
SPD-Parteivorstand, behielt aber eine leitende Position im Zentralen Frauenbüro. 1911 heiratete sie den Gastwirt<br />
August Dietrichs aus Oranienburg. Nach der Parteispaltung 1917 blieb Baader Mitglied der SPD. Ihre Autobiographie<br />
„Ein steiniger Weg“ (1921) wurde ein in der Arbeiterschaft viel gelesenes Werk.<br />
Baader ist nicht zu verwechseln mit Ottilie Gerndt (?-?), die 1895 zur ersten Vertrauensperson Berlins gewählt <strong>und</strong><br />
deren Amt manchmal als das der „zentralen Vertrauensperson der Genossinnen Berlins“ bezeichnet wurde, was zu<br />
Verwirrungen führen kann (vgl. GL, 05/ 08/ 17.04.1895/ 58 <strong>und</strong> 05/ 24/ 27.11.1895/ 187). In Zusammenarbeit mit<br />
Zetkin veröffentlichte Gerndt in der „Gleichheit“ verschiedene Bekanntmachungen <strong>und</strong> Aufrufe zur Delegiertenwahl<br />
oder für Spenden (vgl. Gerndt, Ottilie: Genossinnen! In: GL, 05/ 16/ 07.08.1895/ 121-122; Gerndt,<br />
Ottilie / Zetkin, Clara: An die Genossinnen. In: GL, 06/ 19/ 16.09.1896/ 145-146 <strong>und</strong> GL, 06/ 01/ 08.01.1896/ 2).<br />
Bereits im November 1896 wurde Gerndt von Margarete Wengels abgelöst, die jenes Amt bis 1899 innehatte. Das<br />
Amt erübrigte sich mit der Wahl Baaders zur „Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands“. Gerndt wurde im<br />
Ersten Weltkrieg USPD-Mitglied <strong>und</strong> war außerdem 1925-1933 Bezirksverordnete von Berlin-Mitte.<br />
51<br />
Im BDF dominierten laut Schenk anfangs „gemeinnützige <strong>und</strong> sozialkaritative Vereine […] später immer stärker<br />
Frauenberufsorganisationen <strong>und</strong> Hausfrauenvereine. Der Charakter einer sozialen Bewegung verliert sich mehr<br />
<strong>und</strong> mehr. Zuletzt ist der BDF nur noch eine Organisation verschiedener, keineswegs kämpferischer Interessengruppen,<br />
die den Ideenstand des gemäßigten Flügels aus der Zeit des ersten Weltkriegs bewahrt“ (Schenk, Die<br />
feministische Herausforderung, S. 22). Am 5. Mai 1933 löste er sich schließlich unter Druck der Nationalsozialisten<br />
selbst auf.<br />
52 Reinliche Scheidung. In: GL, 04/ 08/ 18.04.1894/ 63. Noch einmal „reinliche Scheidung“, I. In: GL, 04/ 13/<br />
27.06.1894/ 102-103; Noch einmal „reinliche Scheidung“, II. In: GL, 04/ 15/ 25.07.1894/ 115-117.<br />
50
1.1.1 DER BEGINN DES „HÜBEN UND DRÜBEN“ VON PROLETARISCHER UND BÜRGERLICHER FRAUENBEWEGUNG – DIE ANFÄNGE DES FRAUENVEREINSWESENS IN DEN<br />
1860ER JAHREN<br />
Streit“ 53 – einem „Streit, wo ‘ein Hüben <strong>und</strong> Drüben nur gilt’“ 54 . Bürgerliche, besitzende <strong>und</strong> nach<br />
Besitz strebende Frauen wurden von Zetkin zu Klassenfeindinnen erklärt <strong>und</strong> eine wie auch<br />
immer geartete Kooperation mit ihnen – sowohl mit dem gemäßigten als auch mit dem radikalen<br />
Flügel – prinzipiell ausgeschlossen. Eine radikale Position, die nicht von allen Führerinnen der<br />
proletarischen Frauenbewegung vertreten wurde <strong>und</strong> noch des Öfteren für interne Querelen sorgen<br />
sollte.<br />
1898 klärte ganz im Sinne der Zetkin‘schen Position zur bürgerlichen Frauenbewegung –<br />
spöttisch als „Frauenrechtelei“ bezeichnet – auch Ihrer die Fronten:<br />
„Und darum gilt auch für Alle, einzutreten für eine zielbewußte Arbeiterinnenbewegung,<br />
die gänzlich frei ist von bürgerlicher Beeinflussung, welche sie nur<br />
verwässern könnte; aber auch nicht in heimlicher <strong>und</strong> ängstlicher Stille darf die Arbeiterinnenbewegung<br />
zwecklos vegetiren. Stark <strong>und</strong> ihrer Kraft bewußt soll sie<br />
vortreten, frei <strong>und</strong> offen soll sie sich am Emanzipationskampf der Arbeiterklasse<br />
betheiligen; auch für die Proletarierin gilt die Parole: hie Arbeit, hie Kapital!“ 55<br />
Die Befreiung aus jeglicher bürgerlichen Bevorm<strong>und</strong>ung – waren die Motive dafür auch noch so<br />
humanitär – war demnach wichtige Voraussetzung für einen ganz bestimmten nächsten Schritt –<br />
denjenigen an die Seite der revolutionären Arbeiterbewegung. Wenn auch, wie beschrieben, viele<br />
Arbeiterinnenvereine Opfer „zahlreiche[r] Fanggruben“ 56 wurden, so sorgte die offensichtliche<br />
Benachteiligung dieser Vereine doch zugleich auch dafür, dass „[d]ie Beziehungen zur Arbeiter-<br />
bewegung <strong>und</strong> der sozialistischen Partei, anfangs unsicher <strong>und</strong> manchmal gespannt“ 57 zunehmend<br />
„geklärt“ 58 wurden.<br />
53 Die Redaktion <strong>und</strong> der Verlag: Einladung zum Abonnement. In: GL, 02/ 26/ 28.12.1892/ 209.<br />
54 Die Redaktion <strong>und</strong> der Verlag: Einladung zum Abonnement. In: GL, 04/ 26/ 24.12.1894/ 201.<br />
55<br />
56<br />
Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 64.<br />
Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, S. 4.<br />
57 Ebd., S. 6.<br />
58 Ebd.<br />
51
„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />
1.1.2 Frauenagitation ist sozialistische Agitation 59 – Die proletarische Frauenbewegung als<br />
Teil der Arbeiterbewegung<br />
Wie bereits festgestellt wurde, kann man nicht allgemein von der deutschen Frauenbewegung<br />
sprechen, da bürgerliche <strong>und</strong> proletarische Fraueninteressen sehr weit auseinander lagen. Jedoch<br />
stellte auch die proletarische Frauenbewegung keine homogene Gruppe dar. Bereits die Frage<br />
nach ihren engagierten Mitgliedern oder nach ihrer Zielgruppe wirft Definitionsprobleme auf. War<br />
eine Frau lediglich dann „Proletarierin“, wenn sie der Gruppe der Industriearbeiterinnen, der Ver-<br />
körperung des Pauperismus schlechthin, angehörte? Waren deshalb die in bürgerlichen Haushalten<br />
lebenden Dienstmädchen keine Proletarierinnen? Und war es nur die erwerbstätige Arbeiterin,<br />
nicht aber die im eigenen Haushalt tätige Arbeiterfrau?<br />
Es sind wiederum branchenspezifische <strong>und</strong> lebensbedingte Interessen, die hier zum Ausdruck<br />
kommen <strong>und</strong> die unterschiedlicher nicht sein konnten. Dennoch war allen proletarischen Frauen<br />
Folgendes gemeinsam: Zum einen unterlagen sie einer diskriminierenden Gesetzgebung, die sie<br />
meist zu Mündel ihrer Männer machte <strong>und</strong> ihnen jegliche politische Urteilsfähigkeit absprach.<br />
Zum anderen verkauften sie ihre Arbeitskraft an profitorientierte Unternehmer, in deren Bilanzen<br />
<strong>und</strong> Konzepten sie nur Variablen waren, ihr Wert abhängig von den Gesetzen des kapitalistischen<br />
Systems. Als Frauen <strong>und</strong> als Angehörige der Arbeiterklasse standen sie also in einer doppelten<br />
Abhängigkeit. Erstere teilten sie mit nahezu allen Frauen der Welt, Letztere mit allen Männern des<br />
Proletariats.<br />
Tatsächlich aber gestaltete sich auch die Lohnabhängigkeit für Frauen ganz anders <strong>und</strong> wesentlich<br />
vertrackter als für Männer. Zwar hatten sowohl Frauen als auch Männer unter teilweise menschen-<br />
unwürdigen Bedingungen, extrem langen Arbeitszeiten <strong>und</strong> niedrigen Löhnen meist harte<br />
körperliche Arbeit zu leisten, aber im Falle des „schwachen Geschlechts“ waren diese Benachtei-<br />
ligungen gesamtgesellschaftlich akzeptiert. In den „Frauenindustrien“ (Textilindustrie, Beklei-<br />
dungs- <strong>und</strong> Reinigungsindustrie, Nahrungs- <strong>und</strong> Genussmittelindustrie 60 ) waren die Arbeitszeiten<br />
in der Regel länger als in anderen Industriezweigen. Männliche Arbeiter erhielten selbst im Falle<br />
schlechterer Leistungen höhere Löhne. Auch das Älterwerden wirkte sich bei männlichen Ar-<br />
beitern weniger auf den Lohn aus als bei Arbeiterinnen. De facto konnte eine Arbeiterin den Lohn<br />
eines Arbeiters nur in denjenigen Bereichen erzielen, in denen aufreibende Akkordarbeit gefordert<br />
war.<br />
Dies waren allesamt Umstände, von denen nicht nur die Unternehmer profitierten. Männer<br />
59 Vgl. Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 165.<br />
60 Vgl. Albrecht/u. a., Frauenfrage <strong>und</strong> deutsche Sozialdemokratie, S. 464ff.<br />
52
1.1.2 FRAUENAGITATION IST SOZIALISTISCHE AGITATION59 – DIE PROLETARISCHE FRAUENBEWEGUNG ALS TEIL DER ARBEITERBEWEGUNG<br />
erhielten schlicht einen geschlechtsspezifischen Lohnvorteil 61 oder mit anderen Worten: Männer<br />
bekamen eine „‘Geschlechtszulage’“ 62 während genau Gegenteiliges für die Frauen galt, die damit<br />
wiederum zu „Lohndrückerinnen“ <strong>und</strong> „Schmutzkonkurrentinnen“ der Männer wurden. Eine Art<br />
Teufelskreis kristallisierte sich heraus – aufzubrechen nur mittels radikaler – aus sozialistischer<br />
Perspektive nur mittels revolutionärer Umwälzungen.<br />
Erste Schritte in diese Richtung waren die von den Arbeiterinnenvereinen gestellten Forderungen<br />
nach Arbeitsschutzgesetzen, Arbeitszeitverkürzungen <strong>und</strong> höheren Löhnen. Arbeiterinnen rebel-<br />
lierten damit ganz offenk<strong>und</strong>ig gegen das kapitalistische Unternehmerinteresse. Noch bedroh-<br />
licher für das gesamte kapitalistische Gesellschaftssystem wurden sie aber vor allem deshalb, weil<br />
sie mit diesen Forderungen in eine Interessengemeinschaft mit den Gewerkschaften eintraten. Die<br />
Organisation aller Arbeiter <strong>und</strong> Arbeiterinnen in entsprechenden Gewerkschaften versprach das<br />
entscheidende Mittel zu sein, durch das gemeinsam Druck auf das kapitalistische System ausgeübt<br />
werden konnte, um es als moderne Sklaverei zu entlarven <strong>und</strong> letztlich durch eine Vergesell-<br />
schaftung der Produktionsmittel zu beseitigen.<br />
Clara Zetkin erklärte in ihrer bedeutsamen Rede zur „Arbeiterinnen- <strong>und</strong> Frauenfrage der Gegen-<br />
wart“ anlässlich des Gründungskongresses der Zweiten Internationale 1889 in Paris:<br />
„der Konflikt zwischen Menschen- <strong>und</strong> Maschinen-, zwischen Frauen- <strong>und</strong> Männerarbeit<br />
hör[e] dann mit einem Schlage auf, […][wenn] der Konflikt zwischen<br />
Produktionsweise <strong>und</strong> Aneignungsform ein Ende gef<strong>und</strong>en ha[be].“ 63<br />
Ein solidarisches Miteinander war also zugleich Voraussetzung <strong>und</strong> Ergebnis einer Umwälzung<br />
der Produktionsverhältnisse. Im Gegensatz zum Empfinden der meisten männlichen Arbeiter, dass<br />
Frauenarbeit zerstörerische Konkurrenz sei, war es das erklärte Ziel der proletarischen Frauen-<br />
bewegung <strong>und</strong> der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, proletarische Frauen zur Er-<br />
werbstätigkeit zu bringen. In dieser sahen sie gemäß der „Sozialistischen Emanzipationstheorie“ 64 ,<br />
wie sie u. a. in der erwähnten Rede Zetkins zum Ausdruck kommt, ein ihr Klassenbewusstsein<br />
prägendes Moment. Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft sollte die lohndrückende Konkur-<br />
rentin zu einer solidarischen Klassenkämpferin erziehen – der Kampf um bessere Arbeitsbedin-<br />
gungen konnte diesbezüglich erstes Betätigungsfeld sein. Erwerbsarbeit – so die zentrale These –<br />
61 Ein Lohnvorteil, der laut Kuczynski eine Ursache hatte, die rational nicht zu begründen war: „die Tradition des<br />
höheren Männerlohnes“ (Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin, Anm. **, S. 172).<br />
62 Max Weber zit. nach: Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin, S. 174.<br />
63 Zetkin, Clara: Die Arbeiterinnen- <strong>und</strong> Frauenfrage der Gegenwart, S. 10.<br />
64 Zur Analyse der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie siehe: Bölke, Die Wandlung der Frauenemanzipa-<br />
tionstheorie von Marx bis zur Rätebewegung.<br />
53
„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />
hat Anteil an der Bewusstseinsbildung <strong>und</strong> der Integration der Frau in die internationale Arbeiter-<br />
bewegung. Ähnlich <strong>und</strong> doch anders als bei den bürgerlichen Frauenrechtlerinnen sollte sie zum<br />
Mittel weiblicher Gleichberechtigung in Staat <strong>und</strong> Gesellschaft werden – einem Staat <strong>und</strong> einer<br />
Gesellschaft, die sich laut Marx auf ein kapitalistisches Wirtschaftssystem stützen <strong>und</strong> dessen<br />
Überwindung unabdingbare Voraussetzung für eine vollständige Emanzipation aller Frauen (<strong>und</strong><br />
Männer) ist.<br />
Wie konnte sich aber die Kooperation zwischen Arbeiterinnenvereinen <strong>und</strong> Gewerkschaften unter<br />
den beschriebenen repressiven Verhältnissen des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts gestalten? Abgesehen von<br />
einigen wenigen Kontakten 65 ist es vor allem eine „echte[…] proletarische[…] Vereinigung[…]“ 66 ,<br />
die Vorbildcharakter sowohl im internationalen Anspruch als auch in der gewerkschaftlichen Inte-<br />
gration der Frauen hatte: Die „Internationale Gewerksgenossenschaft der Manufaktur-, Fabrik-<br />
<strong>und</strong> Handarbeiter“. Die Gründung der ersten gemischtgeschlechtlichen Gewerkschaft Deutsch-<br />
lands fand 1869 nicht in Berlin, sondern in dem kleinen sächsischen Textilindustriestandort Crim-<br />
mitschau statt. Zetkin sah in ihr enthusiastisch sogar den eigentlichen Beginn einer originären,<br />
d. h. von bürgerlich-liberaler Regie sich emanzipierenden, proletarischen Frauenbewegung. 67 Al-<br />
lein die Möglichkeit der Frauen, sich in Gewerkschaften zu organisieren <strong>und</strong> zu integrieren,<br />
gewährleistete jedoch weder eine tatsächliche aktive Mitgestaltung der Frauen, noch deren Ak-<br />
zeptanz durch die männlichen Genossen. 68 Tatsache ist, dass die erste von der Generalkommission<br />
der Gewerkschaften 1891 veröffentlichte Statistik noch keine <strong>weiblichen</strong> Mitglieder auswies <strong>und</strong><br />
der Anteil 1892 erst bei 1,84% lag. 69 Der Beginn einer die Interessen lohnabhängiger Frauen <strong>und</strong><br />
65 Die 1950 von Elisabeth Todt verfasste Arbeit „Die gewerkschaftliche Betätigung in Deutschland von 1850 bis<br />
1859“ beweist laut Kuczynski, dass es Arbeiterinnen erstaunlicherweise sogar in den repressiven 1850er Jahren<br />
gelang, Kontakt zu den Gewerkschaften herzustellen (vgl. Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin,<br />
S. 160). Die Historikerin <strong>und</strong> Mitarbeiterin Kuczynskis Ruth Hoppe stieß in ihren Forschungsarbeiten laut<br />
Kuczynski auf einen Bericht des Regierungspräsidenten von Magdeburg aus dem Jahre 1851, in welchem ein der<br />
„Deutschen Arbeiterverbrüderung“ nahe stehender „Frauen-Unterstützungsverein“ erwähnt wird. Kuczynski erachtet<br />
diesen 150 weibliche Mitglieder umfassenden Verein als „Zwischenglied der Organisation der Jahre<br />
1848/49 <strong>und</strong> der frühen echten proletarischen Vereinigungen“ (ebd.).<br />
66 Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin, S. 160.<br />
67 Zetkin verdeutlichte dies in der Artikelserie „Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland“<br />
(GL, 16/ 20/ 03.10.1906/ 138 bis GL, 16/ 25/ 12.12.1906/ 178). Frevert gibt für das Jahr 1870 6.000 männliche<br />
<strong>und</strong> 1.000 weibliche Gewerkschaftsmitglieder an (vgl. Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung<br />
<strong>und</strong> Neuer Weiblichkeit, S. 97).<br />
68<br />
In ihrer Bedeutung für die Integration der Frauen in die Arbeiterbewegung wird die Crimmitschauer Gewerkschaft<br />
jedoch von Kuczynski relativiert, wenn er allgemein formuliert: „Aber wenn wir auch für die Frauen genau wie<br />
für die Männer eine gewisse Kontinuität der Organisation von 1848/49 bis in unsere Zeit sollten feststellen können,<br />
so ist doch ebenso offenbar, daß der Organisation der Frauen bis an den Anfang der neunziger Jahre immer<br />
nur wenige <strong>und</strong> schwache waren, ganz gleich, ob die Frauen allein oder zusammen mit den Männern organisiert<br />
waren.“ (Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin, S. 160).<br />
69 <strong>Von</strong> 237.094 Mitgliedern waren nicht mehr als 4.355 weiblich (vgl. Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage<br />
der Arbeiterin, S. 160). Zur Organisationsweise dieser Frauen gibt es jedoch kaum Informationen.<br />
54
1.1.2 FRAUENAGITATION IST SOZIALISTISCHE AGITATION59 – DIE PROLETARISCHE FRAUENBEWEGUNG ALS TEIL DER ARBEITERBEWEGUNG<br />
Männer integrierenden Gewerkschaftspolitik ist daher weniger mit der Gewerkschaftsgründung in<br />
Crimmitschau als mit dem vom 14.-18. März 1892 in Halberstadt abgehaltenen ersten Kongress<br />
der deutschen Gewerkschaften gegeben. Dies ist eine These, welche durch die auf diesem<br />
Kongress von Helma Steinbach (1847-1918) – einer der ersten Gewerkschaftsfunktionärinnen –<br />
eingebrachte <strong>und</strong> angenommene Resolution, die prinzipiell die Aufnahme von Frauen in alle be-<br />
ruflichen Gewerkschaften forderte, gestützt wird. 70 Mit Annahme der Resolution wurde es als<br />
notwendig angesehen, die Frauen mangels geeigneter Kräfte vorerst gemeinsam mit den Männern<br />
zu organisieren – „jedoch“, so Steinbach unmissverständlich, „würden die Frauen sich nicht majo-<br />
risieren lassen“ 71 , eine Drohung allerdings, die nicht erkennen lässt, was die Frauen einem solchen<br />
Verhalten der Männer tatsächlich hätten entgegensetzen können. Zahlenmäßig in der Minderheit<br />
<strong>und</strong> politisch absolute Anfängerinnen, war es schließlich absehbar, dass Frauen keinen leichten<br />
Stand in gemischten Gewerkschaften haben würden. Kuczynski sieht trotz aller Kritik in der An-<br />
nahme der Resolution dasjenige Ereignis, mit dem „ernsthaft, wenn auch immer noch zögernd, die<br />
gewerkschaftliche Organisation der Frauen“ 72 begann. Welcher Art war aber der Erfolg dieser ge-<br />
werkschaftlichen Organisation der Frau? Fest steht, dass trotz zunehmender Organisation bis 1913<br />
keine nennenswerten Veränderungen zu Gunsten der Frauenlöhne bewirkt wurden. 73<br />
Wenn Zetkin also der Gründung der Crimmitschauer Gewerkschaft eine sehr hohe Bedeutung bei-<br />
maß, könnte dies eher in dem Bemühen um historische Kontinuität als in der Honorierung der<br />
realen Tragweite dieses Ereignisses begründet gewesen sein. Kuczynski allerdings sieht im<br />
Gegensatz zu vielen anderen Meinungen die realen Möglichkeiten der Frau, sich am Klassen-<br />
kampf zu beteiligen, weniger in der gewerkschaftlichen Organisation als vielmehr im konkreten<br />
Arbeitskampf. Eine amtliche Mitteilung des Deutschen Handelstages von 1873 beschreibe sehr<br />
präzise verschiedene Streiks <strong>und</strong> belege eine starke Beteiligung von Frauen. Diese Mitteilung be-<br />
zeichnete die Frauen sogar als „Haupttriebfeder“ 74 der Arbeitsniederlegungen <strong>und</strong> meinte damit<br />
nicht nur die wenigen Gewerkschaftsmitglieder, sondern vor allem die Frauen <strong>und</strong> Töchter der<br />
70 Siehe: Haake, Helma Steinbach – eine Reformistin in der Hamburger Arbeiterbewegung zur Zeit des Kaiserreichs.<br />
Haake wollte mit ihrer Magisterarbeit „die Geschichte von Frauen in der SPD erforschen helfen, die sich nicht<br />
notwendigerweise mit jener Geschichte der von Clara Zetkin geführten proletarischen Frauenbewegung deckt“<br />
(vgl. ebd., S. 6). Es ist zu hoffen, dass noch viele weitere solcher Arbeiten verfasst werden, um das historische<br />
Bild der proletarischen Frauenbewegung zu vervollständigen.<br />
71 Protokoll der Verhandlungen des ersten Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands. Hamburg 1892, S. 73. Zit.<br />
nach: Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin, S. 161. Auf diesem Kongress waren verschiedene<br />
gemischtgeschlechtliche oder weibliche Organisationen mit Anträgen vertreten.<br />
72 Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin, S. 161.<br />
73 Vgl. ebd., S. 176.<br />
74 Amtliche Mitteilungen des Deutschen Handelstages. Die Arbeitseinstellungen in Deutschland. Bericht auf Gr<strong>und</strong><br />
des dem Handelstage zugegangenen Materials dem bleibenden Ausschusse erstattet vom General-Secretär. Berlin<br />
1873. Zit. nach: Ebd., S. 162.<br />
55
„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />
Arbeiter. Taktischer Schluss musste sein, engagierte Frauen wie diese nicht nur über die gewerk-<br />
schaftliche Organisation, sondern auch außerhalb der Erwerbsarbeit zu erfassen <strong>und</strong> zu organi-<br />
sieren.<br />
Dieser Aufgabe sollten später in höherem Maße als die Gewerkschaften die politischen Vereine<br />
nachkommen. Als politische Vertretungen der Arbeiter sind vor allem der „Allgemeine Deutsche<br />
Arbeiterverein“ <strong>und</strong> die „Sozialdemokratische Arbeiterpartei“ zu nennen. In den 1860er Jahre ge-<br />
gründet, vereinigten sich 1875 Arbeiterverein <strong>und</strong> Arbeiterpartei in Gotha zur „Sozialistischen Ar-<br />
beiterpartei“, die sich ab 1890 schließlich „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (SPD)<br />
nennen sollte. 75 Zwar besaß die SPD zum Zeitpunkt ihrer Gründung ein vielfältiges theoretisches,<br />
programmatisches <strong>und</strong> institutionelles F<strong>und</strong>ament, jedoch weder weibliche Mitglieder noch eine<br />
gr<strong>und</strong>sätzliche Position zur Frauenfrage. Und doch hatten sich in ihrem Umkreis viele weibliche<br />
Sympathisanten <strong>und</strong> tatkräftige Helferinnen gesammelt, Frauen, deren Treue <strong>und</strong> Einsatzbereit-<br />
schaft 1878 auf eine harte Probe gestellt werden sollte.<br />
Am 21. Oktober 1878 erließ der deutsche Reichstag unter der Reichskanzlerschaft Otto von<br />
Bismarcks das so genannte „Sozialistengesetz“. Die Schikanen, mit denen die Behörden die Füh-<br />
rerInnen <strong>und</strong> Mitglieder der SPD daraufhin drangsalierten, die Verfolgungs- <strong>und</strong> Inhaftierungs-<br />
wellen ähnelten sehr den Repressionen nach der 1848er-Revolution. Alle SPD-nahen Arbeiter-<br />
<strong>und</strong> eben auch Arbeiterinnenvereine wie auch ihre Presseorgane wurden auf Gr<strong>und</strong>lage dieses Ge-<br />
setzes verboten bzw. in die Illegalität gezwungen. Bestes Beispiel für die vor allem ab 1886 mas-<br />
siver werdende Verfolgung ist das Schicksal der Arbeiterinnenvereine Berlins. 76 Durch Vereins-<br />
recht – polemisch als „Juwel“ bezeichnet – <strong>und</strong> Sozialistengesetz doppelt verfolgt, wurde es für<br />
die proletarischen Frauenorganisationen schließlich überlebensnotwendig, ähnlich den Kranken-<br />
kassen oder bürgerlichen Frauenvereinen den Deckmantel unpolitischer Frauenbildungsvereine<br />
anzulegen – ihre Bildungsziele waren jedoch alles andere als unpolitisch. 77<br />
Einerseits gelang es mittels des Sozialistengesetzes, die deutsche Arbeiterbewegung zu kriminali-<br />
sieren <strong>und</strong> ihr nahezu jede Möglichkeit zu nehmen, öffentlich zu agieren. Andererseits aber för-<br />
derte diese repressive Maßnahme dadurch, dass sie Männer wie Frauen in die Illegalität zwang,<br />
ungewollt eine besondere Kampfgemeinschaft. Im gemeinsamen Kampf wurden nun die Be-<br />
75 Die im Vorfeld entscheidenden Organisationsgründungen waren: 1863 Gründung des „Allgemeinen Deutschen<br />
Arbeitervereins“ in Leipzig unter Führung Ferdinand Lasalles. 1869 Gründung der „Sozialdemokratischen Arbeiterpartei“<br />
in Eisenach unter Führung August Bebels <strong>und</strong> Wilhelm Liebknechts. 1864 Gründung der Ersten Internationale<br />
in London.<br />
76 Zu den Berliner Arbeiterinnenvereinen werden anhand der Darstellungen von Frauenpresse <strong>und</strong> verschiedener<br />
Frauenbiographien noch weitere Informationen gegeben.<br />
77 Zur Arbeit der proletarischen Frauenbildungsvereine siehe: Ciupke/Derichs-Kunstmann, Zwischen Emanzipation<br />
<strong>und</strong> „besonderer Kulturaufgabe der Frau“; Führenberg/Koch/Redzepi/Wurms, <strong>Von</strong> Frauen für Frauen.<br />
56
1.1.2 FRAUENAGITATION IST SOZIALISTISCHE AGITATION59 – DIE PROLETARISCHE FRAUENBEWEGUNG ALS TEIL DER ARBEITERBEWEGUNG<br />
hörden überlistet, immer wieder aufs Neue kreative Untergr<strong>und</strong>taktiken entwickelt <strong>und</strong> in soli-<br />
darischem Zusammenhalt anfallende Probleme des alltäglichen Überlebens gelöst. Diese schwere<br />
Zeit politischer Verfolgung wurde zu einer einzigartigen Epoche der sozialdemokratischen Partei-<br />
geschichte. Anekdoten <strong>und</strong> Erfahrungsberichte sollten noch Jahrzehnte später von Generation zu<br />
Generation weitergegeben werden <strong>und</strong> so auch Eingang in die Tradierung einer spezifisch weib-<br />
lichen Geschichte finden – was noch an anderer Stelle darzustellen sein wird.<br />
Die Kampfgemeinschaft zwischen proletarischer Frauenbewegung <strong>und</strong> sozialistischer Arbeiterbe-<br />
wegung wies jedoch schon bald geschlechtsbedingte Probleme auf. Nicht nur die allgemeine poli-<br />
tische Lage, sondern – wie sich mit der Zeit herausstellte – vor allem das erziehungsbedingte<br />
Selbstbild der proletarischen Frauen erschwerte die Agitation unter ihnen. Der bereits 1896 von<br />
Zetkin formulierte Gr<strong>und</strong>satz, es sei nicht spezielle Frauenagitation, sondern sozialistische Agi-<br />
tation, die man betreibe 78 , konnte nur prinzipieller Art sein. Tatsächlich musste die proletarische<br />
Frauenbewegung, um indifferente, also der Politik bisher gleichgültig gegenüberstehende Arbei-<br />
terinnen zu agitieren, eigene, eben geschlechtsspezifische Methoden der Agitation entwickeln.<br />
Darüber hinaus sollten sich die viel beschworenen klassenkämpferischen Prinzipien, die Schick-<br />
salsgemeinschaft mit der Arbeiterbewegung, mit den Gewerkschaften <strong>und</strong> der SPD mit<br />
zunehmenden Organisations- <strong>und</strong> Integrationsgrad der proletarischen Frauenorganisation sehr<br />
verändern. So sehr, dass die Frauenorganisationen schließlich für die Bewahrung einer gewissen<br />
Unabhängigkeit gegenüber den Klassengenossen kämpfen mussten. 79 Die orthodox-marxistischen<br />
Sozialistinnen um Zetkin taten sich jedoch sehr schwer mit der Erkenntnis, dass Genossen auch<br />
Männer sind <strong>und</strong> als solche durchaus auch ein frauenfeindliches Dominanzverhalten aufweisen<br />
können. Indem sie auf politische Prinzipien beharrten <strong>und</strong> sogar jeden gedanklichen Austausch<br />
mit bürgerlichen Feministinnen ablehnten, leisteten sie diesem Verhalten einigen Vorschub. 80<br />
Der Verein <strong>und</strong> das Vereinswesen, so das Fazit aus den bisherigen Schilderungen, war im<br />
Deutschland des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts die Zelle jedes politischen <strong>und</strong> öffentlichen Wirkens. Die<br />
Demokratiebestrebungen der Männer unterschieden sich darin nicht von denen der Frauen, die der<br />
bürgerlichen Damen nicht von denen der proletarischen Arbeiterinnen. 81 Das Herzstück jeder<br />
78 Vgl. Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 165.<br />
79 Vgl. Ihrer, Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands, S. 7f.<br />
80 So auch die Meinung Freiers (vgl. Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. 199).<br />
81 Es ist anzunehmen, dass das Vereinsleben im Einzelnen wie z. B. Sitzungsverlauf <strong>und</strong> -reglement unabhängig von<br />
den beschriebenen verschiedenen Lebenssituationen <strong>und</strong> organisatorischen Kooperationen bei bürgerlichen <strong>und</strong><br />
proletarischen Frauenvereinen ähnlich gewesen ist. Selbst zu „Männervereinen“ dürften kaum erhebliche Unterschiede<br />
bestanden haben – auch wenn viele zeitgenössische Karikaturen gerne den Eindruck vermittelten, dass<br />
Diskussionen in Frauenvereinen eher einem „Kaffeeklatsch“ glichen <strong>und</strong> in einem „typisch“ <strong>weiblichen</strong> Gezänk<br />
57
„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />
Öffentlichkeitsarbeit <strong>und</strong> Mitgliederagitation eines Vereins war wiederum sein Presseorgan – zu-<br />
mindest wenn die Gesetzeslage ein solches zuließ. Im folgenden Kapitel sollen deshalb die<br />
herausragenden Momente der proletarischen Frauenpresse Deutschlands dargestellt <strong>und</strong> eine Tra-<br />
ditionslinie zum zentralen Gegenstand dieser Arbeit – zur „Gleichheit“ – aufgezeigt werden.<br />
58<br />
auszuufern pflegten.
1.2 Die erste deutsche Frauenzeitschrift:<br />
Die „Frauen-Zeitung“ (1849-1852)<br />
Das Presse- <strong>und</strong> Vereinswesen der deutschen Frauenbewegung kann auf eine lange <strong>und</strong> doch in<br />
Vergessenheit geratene Geschichte zurückblicken. 82 Damit gerät auch die Tatsache aus dem<br />
Blick, dass sich stets auch Frauen am Kampf um die Ideale der bürgerlichen Emanzipation, für<br />
Demokratie <strong>und</strong> Verfassung mit Wort <strong>und</strong> Tat beteiligt haben. Da die bereits beschriebenen<br />
bürgerlich-revolutionären Ereignisse von 1848 auch die Lebenswelten proletarischer Frauen<br />
nicht unberührt ließen, wurde das Andenken der wagemutigen Revolutionärinnen – selbst wenn<br />
sie meist dem Bürgertum oder gar dem Adel entstammten – auch innerhalb der proletarischen<br />
Frauenbewegung in Ehren gehalten. Es waren Frauen wie Malvida von Meysenbug (1816-<br />
1903), Louise Aston (1815-1871), Mathilde Anneke (1817-1884) <strong>und</strong> die bereits erwähnte<br />
Louise Otto-Peters, die sich gegen die ihnen zugeschriebene Rolle eines unpolitischen Wesens<br />
auflehnten <strong>und</strong> zu den revolutionären Ereignissen eigene Positionen bezogen. Sie taten dies<br />
meist aus weiblicher Sicht <strong>und</strong> in Zeitschriften, die sie selbst gründeten <strong>und</strong> herausgaben. Ihre<br />
enge Beziehung zur bürgerlichen Demokratiebewegung, ihr kühnes Eintreten für eigene<br />
politische Interessen <strong>und</strong> die Einforderung einer öffentlichen Vertretung verweist jedoch auf<br />
das vorhersagbare Schicksal dieser ersten Frauenorgane – keines überlebte die nach-<br />
revolutionäre Repression. Jedoch ist der beschriebene Umstand, dass das Deutsche Reich zu<br />
jener Zeit noch aus zahlreichen Einzelstaaten mit einer jeweils eigenen Rechtssprechung be-<br />
stand, insofern ein glücklicher, als sich dadurch politisch verfolgten Personen immerhin die<br />
Möglichkeit bot, nach einer Ausweisung aus dem einen Staat in einen anderen zu flüchten, um<br />
dort die politische Tätigkeit fortzusetzen. Nicht anders erging es Louise Otto-Peters, nachdem<br />
sie vollkommen selbstverantwortlich am 21. April 1849 erstmals die „Frauen-Zeitung“ heraus-<br />
gebracht hatte.<br />
Die „Frauen-Zeitung“, die jeden Samstag erschien, acht Seiten umfasste <strong>und</strong> im viertel-<br />
jährlichen Abonnement 15 Reichsgroschen kostete, war per Definition der Publizistik zwar<br />
keine „Zeitung“, aber sie war die erste überregionale Frauenzeitschrift Deutschlands. 83 Verlag,<br />
82 Zumindest die ersten Frauenzeitschriften <strong>und</strong> die Frauenliteratur vom Beginn des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts sind<br />
mittlerweile ein gut erforschter Gegenstand der gegenwärtigen Frauengeschichtsforschung. Ich verweise hier<br />
exemplarisch auf die in das Thema einführende Arbeit von Ulla Wischermann „Frauenpublizistik <strong>und</strong> Journalismus.<br />
Vom Vormärz bis zur Revolution von 1848“.<br />
83 Bereits am 1. November 1848 hatte Louise Aston die Zeitung „Der Freischärler. Für Kunst <strong>und</strong> sociales Leben“<br />
herausgegeben. Rollka bezeichnet diese als „Berlins erste ‘Frauenzeitung’“ (Rollka, Die Belletristik in<br />
der Berliner Presse des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, S. 248), doch dieses nach 7 Nummern bereits wieder verbotene Organ<br />
vertrat keine frauenspezifischen Interessen – ihr Charakter als „Frauenzeitung“ ist also sehr unspezifisch.<br />
Auch die „Frauenzeitung“ von Mathilde Franziska Anneke, die erstmals am 27. September 1848 in Köln erschien,<br />
kann trotz ihres Titels nicht als erste deutsche Frauenzeitschrift gelten. Inhaltlich beschäftigte sie sich<br />
hauptsächlich mit den allgemeinen demokratischen Forderungen der Revolutionäre. Der Titel „Frauenzeitung“<br />
wurde wohl bewusst provokativ gewählt, weil Anneke mit ihr die Arbeit ihres als Redakteur arbeitenden, aber<br />
59
„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />
Druck <strong>und</strong> Vertrieb der Zeitschrift lagen in den Händen Theo Haffners, der inhaltlich Louise Otto-<br />
Peters vollkommen freie Hand ließ – sehr privilegierte Bedingungen für ein derartig heikles Pub-<br />
likationsexperiment. Die „Frauen-Zeitung“ war eine Kombination unterschiedlicher publizis-<br />
tischer Formen wie Briefe, Abhandlungen, Skizzen, Erfahrungsberichte, Milieuschilderungen <strong>und</strong><br />
Gedichte mit politischer Tendenz. Die Struktur bestand aus dem Leitartikel <strong>und</strong> einigen wenigen<br />
festen Rubriken. In der Rubrik „Blicke in die R<strong>und</strong>e“, wurden die LeserInnen über „Ereignisse<br />
<strong>und</strong> Aktivitäten von, für oder gegen Frauen“ 84 informiert. Sie stellt laut Geiger/Weigel den ganz<br />
offen politischen Teil der „Frauen-Zeitung“ dar <strong>und</strong> verband „sociale[…], demokratische[…] <strong>und</strong><br />
nationale[…] Elemente[…]“ 85 miteinander. Außerdem gab es die Rubriken „Briefe“, die die<br />
„privat-politische“ Korrespondenz führender Persönlichkeiten enthielt, den „Briefkasten“, die<br />
„Bücherschau“ <strong>und</strong> abschließend meist den „Anzeiger“ bzw. später „Allgemeinen Anzeiger“, in<br />
welchem die Leserinnen zum Kauf ausgewählter Bücher angehalten wurden. Vermutlich waren<br />
darunter auch kostenpflichtige Inserate, die ihren Inserenten 6 Pfennig pro Zeile gekostet hatten.<br />
Otto-Peters hatte ihrer Zeitschrift das Motto „Dem Reich der Freiheit werb’ ich Bürgerinnen“ vor-<br />
angestellt <strong>und</strong> umschrieb damit ihre zentrale Forderung: Die Teilnahme der Frauen am politischen<br />
Leben. In Anerkennung der nicht unerheblichen Leistungen, welche die Frauen dem Staat bereits<br />
durch ihr tägliches Tun erbrachten, sollten sie als gleichberechtigte, aber auch gleichverpflichtete<br />
Bürgerinnen akzeptiert werden. Otto-Peters brachte dies in ihrem programmatischen ersten Leit-<br />
artikel auf den Punkt:<br />
„Wir wollen unser Theil fordern : das Recht, das Rein-Menschliche in<br />
uns in freier Entwickelung aller unserer Kräfte auszubilden, <strong>und</strong> das Recht der<br />
Mündigkeit <strong>und</strong> Selbständigkeit im Staat.<br />
Wir wollen unser Theil verdienen : […] Freiheit <strong>und</strong> Humanität (was im<br />
Gr<strong>und</strong>e zwei gleichbedeutende Worte sind) auszubreiten suchen in allen Kreisen,<br />
welche uns zugänglich sind, in den weiteren des größeren Lebens durch die Presse,<br />
in den engeren der Familie durch Beispiel, Belehrung <strong>und</strong> Erziehung.“ 86<br />
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, distanzierte sich Otto-Peters von den Frauen,<br />
die nach ihrer Meinung ein „emanzipiertes“ Leben darin sahen, „ihr Streben nach geistiger Frei-<br />
heit in der Zügellosigkeit der Leidenschaften zu befriedigen“ 87 . Sie <strong>und</strong> ihre Mitarbeiterinnen<br />
gehörten gewiss nicht zu den „sogenannten ‘Emancipirten’ […], welche das Wort ‘Frauen-Eman-<br />
cipation’ in Mißkredit gebracht haben, indem sie das Weib zur Carricatur des Mannes herab-<br />
verhafteten Ehemannes weiterführte <strong>und</strong> es demnach eine von einer Frau herausgegebene Zeitung war.<br />
84 Vgl. Geiger/Weigel, Sind das noch Damen?, S. 41.<br />
85 „Frauen-Zeitung“ zit. nach: Ebd., S. 42.<br />
86 Programm. In: Frauen-Zeitung, 01/ 01 (Probenummer)/ 21.04.1849/ 1.<br />
87 Ebd.<br />
60
1.2 DIE ERSTE DEUTSCHE FRAUENZEITSCHRIFT: DIE „FRAUEN-ZEITUNG“ (1849-1852)<br />
würdigten“ 88 . Vielmehr sahen sie sich als „Nachfolgerinnen jener edlen Jungfrau aus Bethanien“ 89<br />
– der Jungfrau Maria.<br />
Letzteres kann den moralischen Aspekt der Forderungen Louise Otto-Peters‘ hier nur andeuten.<br />
Entscheidender sind ihre politischen Forderungen, die oft auch bei ihren revolutionären Mitkämp-<br />
fern auf wenig Resonanz stießen – eine Geringschätzung in den eigenen Reihen, die sie mit den<br />
Frauen der Französischen Revolution gemein hatte. Auch diese hatten erkennen müssen, dass die<br />
von den Revolutionären geforderten Menschenrechte im Prinzip nur Männerrechte waren. Otto-<br />
Peters nahm auch Bezug auf diese historischen Vorgängerinnen, wenn sie schreibt:<br />
„Die Geschichte aller Zeiten, <strong>und</strong> die heutige ganz besonders, lehrt: daß diejenigen<br />
auch vergessen wurden, welche an sich selbst zu denken<br />
vergaßen![…]“ 90<br />
Sie appellierte hier sowohl an das Geschichtsbewusstsein ihrer Leserinnen, in gewisser Weise<br />
auch an ihren Egoismus <strong>und</strong> konnte sich bereits an ein durch die Ergebnisse der Revolution ent-<br />
täuschtes, aber auch gewecktes „Frauen-bewußtsein“ 91 richten. Gelesen wurde die „Frauen-Zei-<br />
tung“ überwiegend von Frauen der Handwerker- <strong>und</strong> Bürgerschichten. Dies war zwar nur eine<br />
verhältnismäßig kleine Gruppe – etwa 10% der <strong>weiblichen</strong> Gesamtbevölkerung –, doch es war<br />
nicht die inhaltliche Konzeption, die die „Frauen-Zeitung“ in ihrer Verbreitung so einschränkte,<br />
sondern ihr relativ hoher Preis <strong>und</strong> die mangelnde Möglichkeit für Frauen, auf andere Weise, z. B.<br />
in Leseinstituten, Zugang zu ihr zu erhalten. 92 Otto-Peters bemühte sich jedoch von Anfang an<br />
auch um Leserinnen <strong>und</strong> Mitarbeiterinnen aus der Arbeiterschaft:<br />
„Ich bitte auch diejenigen meiner Schwestern, die nicht Schriftstellerinnen sind,<br />
um Mittheilungen, zunächst die Bedrückten, die armen Arbeiterinnen, auch wenn<br />
sie sich nicht geschickt zum stylisierten Schreiben fühlen; ich werde ihre einfachen<br />
Äußerungen gern, wenn nöthig verdollmetschen – aber es liegt mir daran, daß<br />
gerade ihre Angelegenheiten vor die Oeffentlichkeit kommen, so kann ihnen am<br />
ersten geholfen werden.“ 93<br />
Das Hauptanliegen der Zeitschrift sollte die Bildung der Frauen aller Schichten sein, weshalb sie<br />
sich für eine vermehrte Anstellung von Frauen in den Lehr- <strong>und</strong> Kaufmannsberufen oder für deren<br />
Ausbildung als Erzieherinnen in den Fröbel-Seminaren aussprach. Ideologische Abhandlungen<br />
zur Rolle <strong>und</strong> Bestimmung der Frau waren jedoch genauso wichtig wie Schilderungen aus der Re-<br />
gion – für Beides gab es gleichgroßen Raum – was auch auf die Vernetzungsfunktion der „Frauen-<br />
88 Ebd.<br />
89 Ebd.<br />
90 Ebd.<br />
91 Vgl. Geiger/Weigel, Sind das noch Damen?, S. 40.<br />
92 Vgl. ebd., S. 41.<br />
93 Programm. In: Frauen-Zeitung, 01/ 01 (Probenummer)/ 21.04.1849/ 2.<br />
61
„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />
Zeitung“ hindeutet. 94 Otto-Peters arbeitete zwar selbständig, aber nicht allein – auch andere<br />
couragierte Frauen wirkten mit. Deshalb sei die „Frauen-Zeitung“, so Geiger/Weigel, „als Sprach-<br />
rohr der Zeitbestrebungen […] mehr als die berühmte Ausnahme, das mutige Vorbild als Einzel-<br />
unternehmen“ 95 . Sie lebte vor allem von der Mitarbeit professioneller Publizisten, die anonym<br />
blieben oder nur mit ihren Vornamen zeichneten. Diese offene Konzeption der „Frauen-Zeitung“<br />
veranschauliche, „wie wenig geschlossen der Frauen-Zeitgeist […] in dieser Epoche war“ 96 , denn<br />
die von MitarbeiterInnen verfassten Beiträge vermittelten ein „radikaleres Frauen-Bild“ als die<br />
Gr<strong>und</strong>satzartikel. Jene von Louise Otto-Peters verfassten Gr<strong>und</strong>satzartikel setzten das „Ewig-<br />
Weibliche“, „die Wärme, Hingabe <strong>und</strong> Aufopferung der Frauen gegen den einseitigen ‘Ver-<br />
standes-Despotismus’ der Männer“ 97 . Zwar war auch die volle Entfaltung der Frauen-<br />
Persönlichkeit gesetztes Ziel, doch nicht im Sinne einer „Subjektivität“, die nach Otto-Peters eher<br />
„einer Entfaltungssucht des Individuums“ 98 entspringe. Geiger/Weigel resümieren für das in der<br />
„Frauen-Zeitung“ entwickelte Frauenleitbild:<br />
„Wenn Louise Otto auch Selbständigkeit <strong>und</strong> Mündigkeit für die Frauen forderte,<br />
so schränkte sie doch gleichzeitig das Lebensziel <strong>und</strong> seinen Inhalt für die Frauen<br />
mit der Norm der ‘Hingabe, Aufopferung <strong>und</strong> Liebe’ ein.“ 99<br />
Dieses sind die den Frauen allerdings mehr abverlangten als zugeschriebenen Charakter-<br />
eigenschaften, die auch in der „Gleichheit“ einen wesentlichen Inhalt des Frauenbildes ausmachen<br />
werden.<br />
Wie bereits beschrieben, scheiterte die deutsche Revolution <strong>und</strong> viele Landesfürsten – zumal der<br />
preußische König Friedrich Wilhelm IV., dem 1849 von den bürgerlichen Revolutionären noch die<br />
gesamtdeutsche Kaiserwürde angetragen worden war, die er aber hochmütig zurückgewiesen hatte<br />
– wollten ihre Exempel statuieren, indem sie besonders repressiv gegen Institutionen der<br />
öffentlichen Meinung vorgingen. Auch in der sächsischen Heimat Otto-Peters verebbte die revolu-<br />
tionäre Aufbruchstimmung <strong>und</strong> das sächsische Pressegesetz, welches Frauen nicht gestattete,<br />
selbständig Zeitungen zu redigieren oder herauszugeben 100 , zwang sie 1850, den Druckort der<br />
„Frauen-Zeitung“ in das thüringische Gheda zu verlegen. Aber auch dort konnte die Zeitschrift<br />
94 Geiger/Weigel, Sind das noch Damen?, S. 40.<br />
95 Ebd.<br />
96 Ebd., S. 42.<br />
97 Ebd., S. 41.<br />
98 Ebd.<br />
99 Ebd.<br />
100 Die von Geiger/Weigel herausgegebene Untersuchung „Sind das noch Damen? Vom gelehrten Frauenzimmer-<br />
Journal zum feministischen Journalismus“ bietet nicht nur zur „Frauen-Zeitung“ zahlreiche nützliche Hintergr<strong>und</strong>informationen,<br />
sondern auch zu vielen weiteren politischen Zeitungen, die trotz aller repressiven Gesetze von<br />
Frauen ins Leben gerufen wurden.<br />
62
1.2 DIE ERSTE DEUTSCHE FRAUENZEITSCHRIFT: DIE „FRAUEN-ZEITUNG“ (1849-1852)<br />
nur noch für zwei Jahre der Zensur entgehen. Die Nummer 51 des Jahres 1852 war die letzte<br />
Ausgabe der „Frauen-Zeitung“.<br />
In dem Zeitraum der Jahre 1852 bis 1866 existierte tatsächlich kein einziges politisches Frauen-<br />
organ. 101 Erst mit der bereits beschriebenen Gründung des „Allgemeinen Deutschen Frauen-<br />
vereins“ (ADF) 1865 in Leipzig trat eine deutsche Frauenbewegung hervor, die sich nicht mehr<br />
auf das Wirken einzelner Personen stützte, sondern auf den Statuten <strong>und</strong> publizistischen Medien<br />
selbständiger Organisationen basierte. Auch der ADF gab bereits einige Monate nach seiner Grün-<br />
dung eine neue Frauenzeitschrift mit dem viel sagenden Titel „Neue Bahnen“ heraus. Die „Neue<br />
Bahnen“ war organisatorisch, finanziell <strong>und</strong> personell an den ADF geb<strong>und</strong>en. Dieses Konzept un-<br />
terstützte ein kontinuierliches Erscheinen <strong>und</strong> wurde später von den meisten Frauenzeitschriften,<br />
die von Frauen herausgegeben wurden, übernommen. 102 Was trotz aller Professionalität aber für<br />
Frauenzeitschriften nicht ausgeschlossen werden konnte, war ein Verbot durch die staatlichen Be-<br />
hörden.<br />
101 Aus Tabelle 4 „Die wichtigsten Zeitschriften der deutschen Frauenbewegung“ geht anhand der Erscheinungsdaten<br />
der Frauenzeitschriften sehr klar hervor, wie die repressiven Gesetze die politische Stellungnahme der Frauen<br />
zwar sehr erschwerten, es aber doch nicht vermochten, sie völlig zu unterdrücken.<br />
102 Ab demjenigen Zeitpunkt, da überhaupt von einer organisierten Frauenbewegung die Rede sein konnte, bot die<br />
„Neue Bahnen“ ein deutlich professionelleres F<strong>und</strong>ament als es die „Frauen-Zeitung“ je vermocht hätte – sie besaß<br />
laut Kinnebrock, die in ihrem Artikel mehrere Frauenzeitschriften miteinander vergleicht, „Modellcharakter“<br />
<strong>und</strong> wurde vielfach „kopiert“. Bewegungszeitschriften sicherten zunehmend ihre Existenz durch die Anbindung an<br />
Frauenvereine. Gemeinsame Interessen wurden zu Forderungen formuliert, über ihre Hintergründe aufgeklärt <strong>und</strong><br />
Protest koordiniert. „Kurzum, die bereits bei den ‘Neuen Bahnen’ erkennbare Informations- <strong>und</strong> Organisationsfunktion<br />
der Frauenbewegungszeitschriften wurde auch – besser: gerade – in der Blütezeit der Frauenbewegung<br />
betont, sodass die ‘Neuen Bahnen’ als Ausgangspunkt der deutschen Frauenbewegungspresse überhaupt bezeichnet<br />
werden können.“ (Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 139). Es ist jedoch m. E. anzunehmen<br />
bzw. noch zu untersuchen, inwieweit wiederum von Männern herausgegebene Zeitschriften Modellfunktion für<br />
die „Neue Bahnen“ gehabt haben.<br />
63
1.3 DIE ERSTE PROLETARISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE STAATSBÜRGERIN“ (3. JANUAR 1886-13. JUNI 1886)<br />
1.3 Die erste proletarische Frauenzeitschrift:<br />
„Die Staatsbürgerin“ (3. Januar 1886-13. Juni 1886)<br />
Ebenfalls ausgehend von einem einzelnen Verein schuf sich auch die proletarische Frauen-<br />
bewegung ihr erstes eigenes Organ: Die „Staatsbürgerin“ (1886). Diese ist trotz des wenig<br />
proletarisch anmutenden Titels in der Tat als die erste proletarische Frauenzeitschrift<br />
Deutschlands anzusehen. 103 Ähnlich dem Motto der „Frauen-Zeitung“ drückte der Titel „Staats-<br />
bürgerin“ nicht die Forderung nach bürgerlichen Rechten, sondern vielmehr nach Bürgerrechten<br />
aus. Ihr Untertitel „Organ für die Interessen der Arbeiterinnen <strong>und</strong> der Central-Kranken- <strong>und</strong> Be-<br />
gräbnißkasse für Frauen <strong>und</strong> Mädchen in Deutschland“ 104 steht einerseits für einen allgemein<br />
proletarischen Anspruch, andererseits aber auch für ihren Charakter als Vereinsorgan. 105 Die erste<br />
Nummer der „Staatsbürgerin“, deren Redaktion in den Händen von Gertrud Guillaume-Schack 106<br />
lag, erschien am 3. Januar 1886 <strong>und</strong> bereits Nummer 24 vom 13. Juni des gleichen Jahrgangs<br />
sollte aufgr<strong>und</strong> eines Polizeiverbotes die letzte sein.<br />
Guillaume-Schack sah in den 4.000–5.000 verschiedenen Zeitungen 107 , die zu jener Zeit in<br />
Deutschland existierten, zwar die Interessen der Männer vertreten <strong>und</strong> durch einige von ihnen<br />
auch den „Damen“ die Möglichkeit gegeben, ihre „müßigen St<strong>und</strong>en auszufüllen, aber ein Blatt,<br />
das der Arbeiterin bringt, was dieselbe wissen soll <strong>und</strong> muß, <strong>und</strong> das nicht zu theuer für die<br />
wäre“ 108 , das gab es nicht. In dem Artikel „Unser Zweck“ definierte sie deshalb das Selbstver-<br />
ständnis <strong>und</strong> den Auftrag der „Staatsbürgerin“ wie folgt:<br />
„Wir wollen eine Zeitung für die Frau des Volkes schaffen, die ihre Interessen voll<br />
<strong>und</strong> ganz vertritt.“ 109<br />
103 Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack <strong>und</strong> ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 7.<br />
104 Die „Offenbacher Kranken- <strong>und</strong> Begräbnißkasse für Frauen <strong>und</strong> Mädchen“, deren Entwicklung eng mit der<br />
„Staatsbürgerin“ verknüpft ist, wurde 1883/84 gegründet <strong>und</strong> gilt als die erste überregionale proletarische Frauenorganisation<br />
Deutschlands (vgl. ebd).<br />
105 Vormschlag charakterisiert die „Staatsbürgerin“ als „erste sozialistische Frauenzeitschrift“ [Hervorhebung von<br />
M.S.]. Sie schränkt dann aber diese Charakterisierung hinsichtlich des Umstandes ein, dass sie eher eine spezifische<br />
Stellungnahme zu den Tagesinteressen der Arbeiterinnen als ein ausgeprägtes Klassenkämpfertum umschrieben<br />
habe (vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 59).<br />
106 Zur Biographie Guillaume-Schacks sind in der Literatur sehr unterschiedliche <strong>und</strong> verwirrende Angaben zu finden.<br />
Die wohl prof<strong>und</strong>este Lebensbeschreibung ist ein von ihrer langjährigen Mitkämpferin Marie Hofmann<br />
verfasster, in der „Gleichheit“ veröffentlichter Nachruf, der hier noch an anderer Stelle vorgestellt wird. Vielen<br />
neueren Arbeiten – wie z. B. Thönnessen <strong>und</strong> Eisfeld/Koszyk – sind jedoch erhebliche Defizite hinsichtlich der<br />
biographischen Angaben anzulasten (vgl. Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack <strong>und</strong> ihre Zeitschrift<br />
„Die Staatsbürgerin“, S. 7f.). Als Redakteurin der ersten proletarischen Frauenzeitschrift rückte Guillaume-<br />
Schacks Lebensgeschichte außerdem in den Blickpunkt der DDR-Wissenschaft <strong>und</strong> wurde von dieser einer deutlich<br />
politischen Färbung unterzogen – eine Eigenart, die noch ausgeprägter bei der Person Clara Zetkins auffällt.<br />
107 Vgl. [Guillaume-Schack, Gertrud:] Unser Zweck. In: Staatsbürgerin, 01 / 01 / 03.01.1886 / Reprint S. 1.<br />
108 Ebd.<br />
109 Ebd.<br />
65
„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />
Die Bezeichnung „Frau des Volkes“ bezog sich zu Beginn vor allem auf die Mitglieder der Arbei-<br />
terinnenvereine <strong>und</strong> der Kranken- <strong>und</strong> Begräbniskasse für Frauen <strong>und</strong> Mädchen. Deren „Mit-<br />
theilungen über die Vorfälle <strong>und</strong> Arbeiten an den verschiedenen Orten“ 110 , ihre Probleme <strong>und</strong><br />
Fragen wollte die „Staatsbürgerin“ erörtern <strong>und</strong> beantworten. Deshalb wollte sie für alle Berichte<br />
aus der Feder der Arbeiterinnen offen stehen, dem in diesen Berichten zutage tretenden Unrecht<br />
eine Plattform geben, es anklagen <strong>und</strong> „die öffentliche Meinung [als] Schiedsrichteramt“ 111 an-<br />
rufen.<br />
Neben dieser politischen Aufgabe wollte die „Staatsbürgerin“ auch hilfreich in Bezug auf „Ge-<br />
s<strong>und</strong>heitspflege, Kinder-Erziehung, Wissenschaft, Statistik, wirthschaftliche Fragen, die Lohnver-<br />
hältnisse <strong>und</strong> die Gesetze, soweit dieselben die Frauen betreffen“ 112 sein <strong>und</strong> zudem „ausgewählte<br />
belletristische Lektüre“ 113 bieten. Guillaume-Schack beschreibt daher in bildhaften Worten die<br />
Entwicklung der proletarischen Frau:<br />
„Wie Dornröschen nach tausendjährigem Schlafe, ist die Arbeiterin heute erwacht.<br />
Wie das Morgenroth des jungen Tages, bricht sich das Licht des Gedankens in<br />
ihrem Leben Bahn <strong>und</strong> überfluthet heller <strong>und</strong> heller ihr Schaffen im Hause, am<br />
Herd <strong>und</strong> in der Familie, ihr Schaffen in den Werkstätten <strong>und</strong> Fabriken, in Feld <strong>und</strong><br />
Flur, <strong>und</strong> wird ihr zum hellen Stern, der ihr den Weg zu Wissenschaft <strong>und</strong> Kunst<br />
<strong>und</strong> vor allem den Weg zum Wirken <strong>und</strong> Schaffen für die Allgemeinheit zeigt.“ 114<br />
Diese geistige Entwicklung sei nicht zuletzt dem in den letzten Jahren schnell gewachsenem<br />
„Gefühl der Zusammengehörigkeit“ 115 der Arbeiterinnen zuzuschreiben, aus dem heraus sich die<br />
„einsichtsvollsten“ 116 der Frauen zusammengeschlossen hätten, „um sich durch eigne Kraft gegen<br />
das Elend des Lebens, das beständig vor ihrer Thür lauert, zu schützen“ 117 . Guillaume-Schack sah<br />
das Selbstbewusstsein der Arbeiterinnen verändert. Sie, „die den eigentlichsten Kern <strong>und</strong> Mittel-<br />
punkt des Volkes, als Hüterinnen des häuslichen Herdes, <strong>und</strong> als Mütter <strong>und</strong> Erzieherinnen des<br />
künftigen Geschlechtes bilden“ 118 , hätten „begonnen, ihre staatsbürgerlichen Rechte <strong>und</strong> Pflichten<br />
in ihrer ganzen Tragweite zu begreifen“ 119 . Nun wäre es an der „Staatsbürgerin“, diesem hohen<br />
Anspruch gemäß zwischen den Arbeiterinnen „in der ganzen civilisirten Welt, ein gemeinsames<br />
110 Ebd.<br />
111 Ebd.<br />
112 Ebd.<br />
113 Ebd.<br />
114 Ebd.<br />
115 Ebd.<br />
116 Ebd.<br />
117 Ebd.<br />
118 Ebd.<br />
119 Ebd.<br />
66
1.3 DIE ERSTE PROLETARISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE STAATSBÜRGERIN“ (3. JANUAR 1886-13. JUNI 1886)<br />
Band zu schlingen“ 120 . Es ist nicht nur dieser internationale Aspekt, der die „Staatsbürgerin“, ohne<br />
dass die Arbeiterbewegung als Bezugsgröße genannt wird, in deren Nähe rückt. Rhetorisch<br />
versiert macht die Redakteurin der „Staatsbürgerin“ diese Nähe zudem wie folgt deutlich:<br />
„Die Presse hat sich bisher fast einzig <strong>und</strong> allein darauf beschränkt, den deutschen<br />
Frauen mitzutheilen, was überall ‘Mode’ ist, oder ‘gekocht’ wird, wir wollen aber<br />
ein Blatt gründen, das in die Tiefe des Lebens hineingreift <strong>und</strong> sich vorerst einmal<br />
damit beschäftigt, was geschehen kann, damit alle Menschen etwas anzuziehen <strong>und</strong><br />
zu essen haben“ 121 .<br />
Die „Staatsbürgerin“ beanspruchte eben nicht nur ein Blatt zu sein, „das für die geistigen <strong>und</strong><br />
materiellen Interessen der Arbeiterinnen in allen ihren Zweigen einsteht, in das Leben der Arbei-<br />
terinnen neue Gedanken, Zerstreuung <strong>und</strong> Erheiterung bring[t]“ 122 , sondern auch denjenigen<br />
außerhalb der Arbeiterwelt helfen, „das Sein des Volkes verstehen“ 123 zu lernen. All diese Ziele, da<br />
war sich Guillaume-Schack sicher, waren jedoch nur mit der aktiven Unterstützung der Arbeite-<br />
rinnen erreichbar. Nur mittels ihrer schriftlichen Beiträge konnte die Staatsbürgerin „ein getreues<br />
Abbild ihres Daseins“ 124 werden. Nur die aktive Unterstützung ihrer Sympathisantinnen <strong>und</strong> Lese-<br />
rinnen konnte die Verbreitung <strong>und</strong> damit den Erfolg der „Staatsbürgerin“ gewährleisten. 125 Ein<br />
Erfolg, an dem auch dem Offenbacher Verleger Carl Ulrich gelegen war, der sowohl für Druck als<br />
auch Verlag verantwortlich zeichnete. Ulrich war bekennender Sozialdemokrat <strong>und</strong> zudem Ver-<br />
leger des parteinahen „Offenbacher Tageblatts“ (1874-1933). Im hessischen Offenbach jedoch<br />
bedeutete seine politische Gesinnung nicht zwangsläufig eine Bedrohung seiner wirtschaftlichen<br />
Existenz, denn hier fand das Sozialistengesetz eine weniger rigorose Umsetzung als andernorts.<br />
In erster Linie versuchte man die finanzielle Existenz der „Staatsbürgerin“ dadurch zu sichern,<br />
dass sie zum „Obligatorium“, d. h. zum Pflichtabonnement für die örtlichen Filialen der Offen-<br />
bacher Kasse gemacht wurde. Ein Vierteljahresabonnement kostete 75 Pfennig 126 <strong>und</strong> ein Preis-<br />
vergleich zeigt, dass die „Staatsbürgerin“ damit – gemäß ihrer eigenen Zielsetzung – deutlich<br />
billiger war als eine der unpolitischen Unterhaltungs- <strong>und</strong> Modezeitschriften für Frauen. 127 Unver-<br />
120 Ebd.<br />
121 Ebd.<br />
122 Ebd.<br />
123 Ebd.<br />
124 Ebd.<br />
125 Ebd.<br />
126 Dies war derselbe Preis, den bereits ihr Vorgängerorgan, die „Deutsche Buchbinderzeitung“ (1880-1885), gekostet<br />
hatte. Die Zustellung der „Staatsbürgerin“ per Post kostete die AbonnentInnen zusätzliche 15 Pfennig.<br />
127 Solcherlei Zeitschriften wie z. B. „Der Bazar“ (1855-1937) oder die „Illustrierte Frauenzeitung“ (1874-1911) kosteten<br />
im Vierteljahresabonnement bemerkenswerte 2,50 Mark, enthielten allerdings auch u. a. aufwendig <strong>und</strong><br />
ansprechend gestaltete Illustrationen (vgl. Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack <strong>und</strong> ihre Zeitschrift<br />
„Die Staatsbürgerin“, S. 30). Zur Geschichte der „Gartenlaube“ (1853-1937) <strong>und</strong> der „Illustrirten Zeitung“ (1843-<br />
67
„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />
zichtbar ist an dieser Stelle eine Vorstellung von den Größenordnungen damaliger Einkünfte <strong>und</strong><br />
Ausgaben proletarischer Haushalte. Nur anhand der Relation, in der die Ausgaben für eine<br />
Zeitschrift zu einem durchschnittlichen proletarischen Familien- <strong>und</strong> Haushaltsbudget standen,<br />
lässt sich ermessen, welche Bedeutung das „Halten“ eines Zeitschriftenabonnements für die<br />
Haushaltskasse einer Arbeiterfamilie hatte. Abgesehen von regionalen <strong>und</strong> berufsspezifischen<br />
Eigenarten, die die Lebenshaltungskosten <strong>und</strong> Einkommensverhältnisse einer proletarischen<br />
Familie variieren ließen, betrug das durchschnittliche Einkommen eines Arbeiters damals ca. 20-<br />
30 Mark pro Woche – dasjenige einer Arbeiterin lag aber wie bereits beschrieben um vieles<br />
niedriger. 1880 kostete ein Pf<strong>und</strong> Butter eine Mark <strong>und</strong> ¼ Pf<strong>und</strong> Kaffee 30 Pfennig. 128 Ein Zei-<br />
tungsabonnement war demnach durchaus ein finanzielles Opfer <strong>und</strong> die Preisgestaltung der<br />
„Staatsbürgerin“ nahm Rücksicht auf ein anzunehmendes Durchschnittseinkommen ihrer anvi-<br />
sierten Leserschaft.<br />
Die wöchentliche Auflage der „Staatsbürgerin“ dürfte nur einige H<strong>und</strong>ert Exemplare betragen<br />
haben. 129 Einem Polizeibericht zufolge – allerdings nach dem Verbot der „Staatsbürgerin“ ange-<br />
fertigt – ist von 130 PostabonnentInnen auszugehen. 130 Da diese Abonnements nicht ausgereicht<br />
haben dürften, die Kosten der Herstellung vollständig zu decken, verfügte die „Staatsbürgerin“<br />
über weitere Einnahmen durch Inserate <strong>und</strong> Annoncen. 131 Diese waren allerdings nicht etwa kom-<br />
merzieller Art, sondern hauptsächlich Bekanntmachungen der „Offenbacher Kranken- <strong>und</strong><br />
Begräbnißkasse für Frauen <strong>und</strong> Mädchen“, ihres Zentralvorstandes oder ihrer Zweigstellen. In-<br />
haltlich betrafen sie deshalb vor allem die Ankündigung von Versammlungen oder regelmäßige<br />
Berichte zu den Vereinsfinanzen. Eigenwerbung betrieb die „Staatsbürgerin“ vor allem dadurch,<br />
1944) – zwei der erfolgreichsten Unterhaltungs- <strong>und</strong> Familienblätter Deutschlands siehe: Wischermann, Frauenfrage<br />
<strong>und</strong> Presse.<br />
128 Vgl. Saul/u. a., Arbeiterfamilien im Kaiserreich, S. 92, S. 102 u. S. 106. Eine Untersuchung zu den verschiedenen<br />
Typen proletarischer städtischer Haushalte <strong>und</strong> ihre Hauswirtschaft analysierte die Soziologin Margarete Freudenthal<br />
1934 (vgl. Freudenthal, Gestaltwandel der städtischen, bürgerlichen <strong>und</strong> proletarischen Hauswirtschaft<br />
zwischen 1760 <strong>und</strong> 1910, S. 113ff.).<br />
129 Vgl. Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack <strong>und</strong> ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 30.<br />
130 Vgl. ebd. Ob es tatsächlich, wie Gebhardt/Wischermann interpretieren, Zeichen für einen großen Absatz der Zeitschrift<br />
ist, wenn Guilleaume-Schack am 11. April 1886 ihren LeserInnen mitteilte, dass neue AbonnentInnen die<br />
Nummern 1 bis 3 nicht nachgeliefert bekommen könnten, kann in Zweifel gezogen werden. Dieser Umstand kann<br />
schlicht auch auf eine sehr niedrig gehaltene Auflage zu Beginn des Erscheinens zurückgeführt werden. Was auch<br />
erklären würde, warum schließlich auch die gesamten Nummern der ersten drei Monate „vollständig vergriffen“<br />
(Staatsbürgerin, 01/ 15/ 11.04.1886/ Reprint S. 60; vgl. auch Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack<br />
<strong>und</strong> ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 30.) waren.<br />
131 Inserate wurden mit 20 Pfennig, Annoncen von Vereinen <strong>und</strong> Organisationen mit 5 Pfennig pro Petitzeile berechnet.<br />
Die Schriftgrößen eines Druckerzeugnisses richten sich nach einem seit 1879 existierenden Punktesystems:<br />
1 Punkt = 0,3759 mm. Die „Petit“(„Kleine“)-Zeile entspricht 8 Punkten, die außerdem für Inserate in der<br />
„Gleichheit“ verwendete „Nonpareille“ (die „Unvergleichliche“)-Zeile 6 Punkten. Letztere ist die kleinste für<br />
Durchschnittsleser noch lesbare Schrift. Interessanterweise wird die sehr raumgreifende, 9 Punkte entsprechende<br />
Schriftgröße, in der z. B. Leitartikel gedruckt wurden im Schriftsetzerhandwerk „Bourgeois“ oder „Borgis“ genannt<br />
(vgl. Hagemann, Die Zeitung als Organismus, S. 152-154).<br />
68
1.3 DIE ERSTE PROLETARISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE STAATSBÜRGERIN“ (3. JANUAR 1886-13. JUNI 1886)<br />
dass sie Gratisexemplare an die Mitglieder von Arbeiterinnenvereinen <strong>und</strong> BesucherInnen von Ar-<br />
beiterversammlungen verteilte. Hinzu kam, dass die „Staatsbürgerin“ nicht nur von anderen<br />
Arbeiterorganen als Lektüre empfohlen, sondern ihre Gründung sogar durch die „Neue Bahnen“<br />
begrüßt 132 <strong>und</strong> ein enger Kontakt zu Otto-Peters <strong>und</strong> Schmidt geknüpft wurde. Trotz des Abon-<br />
nentInnenkreises <strong>und</strong> der Anzeigenk<strong>und</strong>schaft musste die „Staatsbürgerin“ jedoch vom Verlag be-<br />
zuschusst werden – zu Beginn mit der hohen Summe von 600 Mark. 133<br />
Die „Staatsbürgerin“ erschien wöchentlich. Eine Nummer umfasste in der Regel vier in einem<br />
dreispaltigen Layout gehaltene Seiten. Der Nummer 15 vom 11. April 1886 war erstmals eine ein-<br />
seitige Beilage beigefügt, bei der es sich allerdings nicht um ein eigenständiges Journal oder gar<br />
ein Schnittmuster handelte, sondern um eine Bekanntmachung des Zentralvorstandes der „Cen-<br />
tral-Kranken- & Begräbnißkasse für Frauen & Mädchen Deutschlands“, ein Verzeichnis der<br />
Ausschuss- <strong>und</strong> Vorstandsmitglieder sowie eine eindrucksvolle Adressenliste der Vorstände der<br />
örtlichen Verwaltungsstellen enthaltend. 134 Wie diese Liste eindeutig belegt, war die Offenbacher<br />
Krankenkasse eine in den deutschen Staaten weitverzweigte Organisation. Es wurde deshalb not-<br />
wendig, den örtlichen Vorständen konkrete Anweisung zu geben, säumige Kassenmitglieder zu<br />
mahnen <strong>und</strong> gegebenenfalls Beiträge einzuklagen. Auch die Vorstände selbst wurden in dieser<br />
Beilage, die nun nahezu jeder Nummer beigefügt wurde, auf die Geschäftsordnung hingewiesen<br />
<strong>und</strong> ermahnt, mindestens ein Exemplar der „Staatsbürgerin“ „bei ihrer Postanstalt zu bestellen,<br />
um sich von den Bekanntmachungen des Central-Vorstandes genügend zu unterrichten.“ 135 . Diese<br />
Aufforderung stand ganz in Übereinstimmung mit dem Selbstverständnis der Zeitschrift, denn es<br />
war nun einmal die zentrale Aufgabe der „Staatsbürgerin“, „genügend zu unterrichten“, denn da-<br />
rin bestand ihr Hauptzweck als Informations- <strong>und</strong> Vernetzungsorgan einer überregionalen Organi-<br />
sation.<br />
Das strukturelle Gr<strong>und</strong>schema der „Staatsbürgerin“ lässt sich an folgenden Bestandteilen <strong>und</strong><br />
Rubriken aufzeigen: Leitartikel, „Umschau“, „Korrespondenzen“, Feuilleton, „Allerlei“, Bekannt-<br />
machungen, „Briefkasten“ <strong>und</strong> Annoncen. 136 Die namentlich nicht gezeichneten Leitartikel<br />
132 „Kann man so das Blatt als Fachblatt für die Mitglieder der erwähnten Kassen betrachten, worin es die Garantie<br />
seines Bestehens findet, so behandelt es doch nicht allein den engen Kreis dieser Special-Interessen, sondern geht<br />
über dieselben hinaus <strong>und</strong> bemüht sich, in den arbeitenden Frauen das Bewußtsein ihrer Zusammengehörigkeit zu<br />
wecken, sie zur Selbsthilfe anzuregen <strong>und</strong> zu Staatsbürgerinnen zu erziehen.“ (Neue Bahnen, 21/ 04/ 1886/ 27).<br />
133 Gebhardt/Wischermann erachten diese von Ulrich gemachte Angabe jedoch für unverhältnismäßig hoch, da das<br />
Vorgängerorgan bei gleichem Preis, gleicher Erscheinungsweise <strong>und</strong> einer Auflage von 750 Exemplaren sogar Gewinn<br />
abgeworfen habe (vgl. Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack <strong>und</strong> ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“,<br />
S. 31, Anm. 161).<br />
134 Vgl. Staatsbürgerin, 01/ 15/ 11.04.1886/ Reprint S. 62.<br />
135 Ebd.<br />
136 Vgl. Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack <strong>und</strong> ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 31.<br />
69
„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />
wurden von Guillaume-Schack 137 verfasst, wobei selbst die wenigen Leitartikel, die offensichtlich<br />
nicht aus ihrer Feder stammen, von ihr vorgenommene Korrekturen aufweisen – meist in der Art<br />
heutiger „political correctness“, indem sie z. B. den Begriff „Arbeiterinnen“ ergänzte.<br />
Die Rubrik „Umschau“ hatte den Charakter einer Zeitungsrevue, für die Guillaume-Schack uner-<br />
müdlich verschiedene aktuelle Zeitungen auszuwerten schien. Tatsächlich bediente sie sich aber<br />
vor allem des in Arbeiterinnenkreisen sehr beliebten „Berliner Volksblatts“ (1884-1890) – dem<br />
Vorgänger des sozialdemokratischen „Vorwärts“ (1891-1958) 138 – oder ihr zugesandter Zeitungs-<br />
ausschnitte bzw. Originalbeiträge. 139 Die Arbeit einer Redakteurin konnte nicht darin bestehen,<br />
allein eine ganze Zeitschrift inhaltlich zu füllen. Deshalb hatte Guillaume-Schack bereits in der<br />
ersten Nummer der „Staatsbürgerin“ vor allem diejenigen ihrer Leserinnen, die Mitglieder oder<br />
Leiterinnen eines Vereins waren, aufgefordert, über die Tätigkeiten ihrer Organisationen zu be-<br />
richten. Indem daraufhin in Nummer 8 vom 21. Februar 1886 ein Bericht über eine Versammlung<br />
des „Berliner Mantelnäherinnen-Vereins“ erschien, ergab sich für das in Offenbach ansässige<br />
Organ eine erste Verbindung nach Berlin. Dies sowohl zum dortigen Verein der Mantelnäherinnen<br />
<strong>und</strong> zu dessen Vorsitzenden Rosa Büge (?-?) als auch zum „Verein zur Vertretung der Interessen<br />
der Arbeiterinnen“ unter Vorsitz von Marie Hofmann. Wie jedoch bereits beschrieben, wurden<br />
beide Vereine <strong>und</strong> auch andere Berliner Frauenorganisationen bereits im selben Monat verboten.<br />
In dem Bericht, den Guillaume-Schack über dieses Verbot in der „Staatsbürgerin“ veröffentlichte<br />
– bevor diese dann auch selbst verboten wurde –, vertrat sie die Meinung, dass sich<br />
„die Vereine selbst niemals mit irgend einer politischen Thätigkeit befaßt [hätten].<br />
Dieselbe wäre auch schon deshalb unmöglich gewesen, weil die darin vorhandenen<br />
Elemente zu verschieden waren. Conservative <strong>und</strong> Freisinnige, Christlich-Soziale<br />
<strong>und</strong> Sozialdemokraten saßen darin alle auf derselben Bank, überwachten einer den<br />
andern, besser als die Polizei es je im Stande gewesen wäre, <strong>und</strong> sorgten dafür, daß<br />
das Gesetz nicht überschritten wurde, welches Frauen von politischem Handeln<br />
ausschließt.“ 140<br />
Demnach hatte laut Guillaume-Schack also niemals, wie von Behördenseite vorgeworfen, eine<br />
Verbindung zwischen den einzelnen Vereinen bestanden. Stattdessen hätten sich lediglich unlieb-<br />
137 Vgl. ebd. Die Untersuchung der Leitartikel nach Stilistik <strong>und</strong> Diktion zur Klärung der Verfasserschaft zeigt, wie<br />
gründlich sich Gebhardt <strong>und</strong> Wischermann mit der „Staatsbürgerin“ <strong>und</strong> vor allem mit Guillaume-Schack<br />
auseinandergesetzt haben.<br />
138 Der „Vorwärts – Berliner Volksblatt“ wurde 1933 wie alle anderen sozialdemokratischen Presseorgane durch die<br />
nationalsozialistische Regierung verboten. Im Exil <strong>und</strong> nach Ende des Zweiten Weltkrieges gründeten sich mehrere<br />
Zeitschriften, die sich namentlich an den „Vorwärts“ anlehnten.<br />
139 Gebhardt/Wischermann stellen an den Schluss ihrer Darstellungen <strong>und</strong> des „Staatsbürgerin“-Reprints eine besonders<br />
aufschlussreiche Sammlung von Annotationen. An ihr wird deutlich, wieviele Artikel Guillaume-Schack<br />
von anderen Presseorganen übernahm <strong>und</strong> geben „Einblick in die damalige journalistische Arbeitstechnik […],<br />
insbesondere in das Arbeiten mit ‘Schere <strong>und</strong> Kleister’“ (ebd., S. 39).<br />
140 Das Verbot der Berliner Arbeiterinnen-Vereine. In: Staatsbürgerin, 01/ 23/ 06.06.1886/ Reprint S. 108.<br />
70
1.3 DIE ERSTE PROLETARISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE STAATSBÜRGERIN“ (3. JANUAR 1886-13. JUNI 1886)<br />
same „öffentliche[…] <strong>und</strong> verborgene[…] Zänkereien“ 141 zwischen den beiden abgespielt. Der<br />
Richterspruch, so Guillaume-Schack weiter, habe deshalb nur verwirrend auf die beschuldigten<br />
Menschen gewirkt, die sich bis dahin keines Unrechtes bewusst gewesen seien.<br />
Dieser Kommentar gibt ein interessantes zeitgenössisches <strong>und</strong> vielleicht auch exemplarisches Ur-<br />
teil über die Zusammensetzung, Arbeit <strong>und</strong> das Abgrenzungsbedürfnis der ersten Arbeiterinnen-<br />
vereine. Gerade das Bedürfnis nach Abgrenzung spiegelt sich dabei immer wieder auch in den<br />
Inseraten der verschiedenen Vereine wider. Neben den Berichten aus ihrem Vereinsleben ver-<br />
öffentlichte die „Staatsbürgerin“ auch Aufrufe zur Sammlung statistischen Materials. Die Leserin-<br />
nen wurden aufgefordert, Angaben zu Lohn- <strong>und</strong> Arbeitsverhältnissen an „Fr. Rohleder’s Bureau<br />
für Arbeiterangelegenheiten <strong>und</strong> Statistik“ in München schicken. 142 Ein anderes Mal veröffent-<br />
lichten die Berliner Mantelnäherinnen in der „Staatsbürgerin“ einen eigenen Fragenkatalog <strong>und</strong><br />
betonten:<br />
„Jede Arbeiterin, die es ehrlich mit der Arbeiterinnenbewegung meint <strong>und</strong> gewillt<br />
ist, zur Aufbesserung ihrer traurigen Lage mitzuwirken, hat die Pflicht, diesen<br />
Fragebogen auszufüllen <strong>und</strong> denselben baldmöglichst an die Unterzeichnete [Rosa<br />
Büge; M.S.] gelangen zu lassen“ 143 [Hervorhebung von M.S.].<br />
Arbeiterinnen trugen auf diese Weise mit relativ wenig Aufwand zum wissenschaftlichen<br />
Sozialismus <strong>und</strong> damit zum Klassenkampf bei. Die Sammlung statistischer Belege war spätestens<br />
mit Bebels Buch „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“ zu einer wirksamen „Waffe“ der proletarischen<br />
Frauenbewegung geworden. Um die Befähigung zur Sammlung von Fakten <strong>und</strong> Beschreibungen<br />
der eigenen Lebenswirklichkeit zu fördern, warb die „Staatsbürgerin“ in einer ihrer seltenen ge-<br />
werblichen Annoncen für das neue orthographische Wörterbuch von Dr. Konrad Duden:<br />
„Allen Arbeiterinnen <strong>und</strong> auch Arbeitern die sich mit schriftlichen Arbeiten<br />
beschäftigen, kann das Buch auf das Wärmste empfohlen werden […] <strong>und</strong> ist die<br />
beste Anleitung die wir zu dem geringen Preise von 1 Mk. haben.“ 144<br />
Dies war eine an das proletarische Lesepublikum gerichtete Literaturempfehlung, um aus seinen<br />
Reihen potentielle Autoren <strong>und</strong> Autorinnen für die „Staatsbürgerin“-Rubrik „Korrespondenzen“<br />
zu gewinnen. In dieser Rubrik sorgten sie mit ihren Berichte über ihre Lebens- <strong>und</strong> Arbeits-<br />
141 Ebd.<br />
142 Dieser Aufruf erschien in der „Staatsbürgerin“ bis einschließlich Nummer 15. Eine Biographie Rohleders konnte<br />
nicht ermittelt werden.<br />
143 Staatsbürgerin, 01/ 14/ 04.04.1886/ Reprint S. 56. Auch der „Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen“<br />
wollte mittels Fragebogen an diese anscheinend sehr begehrten statistischen Angaben gelangen. In Nummer<br />
14 erschienen gleich zwei Inserate – eines davon vom Vorstand, in dem u. a. Agnes Wabnitz (1841-1894) Mitglied<br />
war –, die zur Einsendung des begehrten Materials aufforderten. Empfängerinnen der Daten sollten Staegemann,<br />
Kreutz oder Ihrer sein (vgl. Staatsbürgerin, 01/ 15/ 11.04.1886/ Reprint S. 60).<br />
144 Staatsbürgerin, 01/ 09/ 28.02.1886/ Reprint S. 36.<br />
71
„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />
situation 145 dafür, „daß die Staatsbürgerin ein getreues Abbild ihres Daseins bildet[e]“ 146 . Die<br />
Rubrik „Briefkasten“ enthielt dagegen – anders als es deren Titel vermuten ließe – keine der-<br />
artigen Leserbriefe, sondern umgekehrt Mitteilungen der Redaktion an LeserInnen <strong>und</strong> Korres-<br />
pondentInnen. 147<br />
Der Feuilleton der „Staatsbürgerin“ weist vornehmlich Fortsetzungserzählungen auf. Über an-<br />
sehnliche neun Nummern erstreckte sich z. B. „Aus der Hexenzeit“ von Louise Otto-Peters. 148<br />
Hinzu kommen einige wenige Gedichte <strong>und</strong> die Rubrik „Allerlei“, die tatsächlich ein Sammel-<br />
surium praktischer Hinweise, Gerichtsprozessberichten, tragischer Schicksalsbeschreibungen <strong>und</strong><br />
kleiner Witze bietet.<br />
Vor allem die verschiedenen sozialpolitischen Artikel – sowohl aus der Feder politisch engagierter<br />
AutorInnen als auch einfacher Arbeiterinnen stammend – sind es, die die „Staatsbürgerin“ aus<br />
heutiger geschichtswissenschaftlicher Sicht zu einer „Chronik proletarischen Frauenlebens in den<br />
achtziger Jahren des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“ 149 machten,<br />
„zu einer Chronik politischer Unterdrückung <strong>und</strong> sozialen Elends <strong>und</strong> des Aufbegehrens<br />
<strong>und</strong> Kämpfens der Arbeiterinnen gegen Verhältnisse, die nicht nur von<br />
der Klassenlage bestimmt wurden, sondern auch vom Herrschaftsanspruch der<br />
Männer, auch der eigenen Klasse.“ 150<br />
Die „Staatsbürgerin“ trat zwar für ein gemeinsames Vorgehen mit den Männern der Arbeiter-<br />
bewegung z. B. in der Frage des Lohnkampfes ein, ermutigte aber die Frauen auch, sich selbst<br />
„ihrer Haut zu wehren“ 151 . Denn es seien die von Frauen zusammengehaltenen Arbeiterfamilien,<br />
in denen man<br />
„eine Opferfreudigkeit, eine Ergebenheit <strong>und</strong> einen Heldenmuth [finde], gegen den<br />
der vom Augenblick geschaffene, so hoch gepriesene Heldenmuth auf dem<br />
Schlachtfelde oder bei irgend einer Gefahr weit zurücksteht“ 152 .<br />
145 Gebhardt/Wischermann haben in den 24 Nummern der „Staatsbürgerin“ über einh<strong>und</strong>ert solcher Artikel ausgemacht,<br />
von denen fast die Hälfte aus Berlin kamen. Vgl. Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack<br />
<strong>und</strong> ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 32.<br />
146 Unser Zweck. In: Staatsbürgerin, 01/ 01/ 03.01.1886/ Reprint S. 1<br />
147 Vgl. Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack <strong>und</strong> ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 32; Staatsbürgerin,<br />
01/ 06/ 07.02.1886/ Reprint S. 23 <strong>und</strong> 01/ 15/ 11.04.1886/ Reprint S. 60. Hier gewinnt man auch Aufschluss<br />
darüber, dass die Initialen „E. J., Berlin“ vermutlich Emma Ihrer zuzuordnen sind.<br />
148 Otto, Louise: Aus der Hexenzeit. In: Staatsbürgerin, 01/ 12/ 21.03.1886/ Reprint S. 46 bis 01/ 20/ 16.05.1886/ Reprint<br />
S. 88. Diese Erzählung handelt von dem Mädchen Osanna, deren Mutter im frühneuzeitlichen Thüringen der<br />
Hexerei angeklagt <strong>und</strong> zum Tode verurteilt wurde. Eine weitere Erzählung Otto-Peters – „Die Spitzenklöpplerin.<br />
Eine Erzählung aus dem sächsischen Erzgebirge“ – erschien in den letzten drei Nummern der „Staatsbürgerin“<br />
<strong>und</strong> konnte nicht abgeschlossen werden (vgl. Otto, Louise: Die Spitzenklöpplerin. Eine Erzählung aus dem sächsischen<br />
Erzgebirge. In: Staatsbürgerin, 01/ 22/ 30.05.1886/ Reprint S. 99 bis 01/ 24/ 13.06.1886/ Reprint S. 112).<br />
149 Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack <strong>und</strong> ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 33.<br />
150 Ebd.<br />
151 Unser Zweck. In: Staatsbürgerin, 01/ 01/ 03.01.1886/ Reprint S. 1.<br />
152 Ebd., S. 2.<br />
72
1.3 DIE ERSTE PROLETARISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE STAATSBÜRGERIN“ (3. JANUAR 1886-13. JUNI 1886)<br />
Vielfach mussten sich die proletarischen Frauen ihrer Stärken erst einmal bewusst werden. Und<br />
sie mussten sich auch im Klaren darüber sein, dass sie plötzlich nur auf sich <strong>und</strong> diese Stärken ge-<br />
stellt sein konnten. Die besser gestellten Arbeiterinnen, d. h. diejenigen, die gerade ihre Not noch<br />
gemeinsam mit einem Ehemann meisterten, konnten schließlich nicht wissen, wann auch sie<br />
fremder Hilfe bedurften. Es war daher nahe liegend, mit den schlechter gestellten Arbeiterinnen<br />
ein „Schutz- <strong>und</strong> Trutzbündniß“ 153 zu schließen. Richten sollte sich dieses „Schutz- <strong>und</strong> Trutz-<br />
bündniß“ jedoch nicht gegen die proletarischen Männer, sondern gegen den Kapitalismus. Dieses<br />
spezifische Verhältnis der Frau zum Kapitalismus wurde von Guillaume-Schack jedoch noch nicht<br />
theoretisch f<strong>und</strong>iert. Gr<strong>und</strong>legende Artikel wie „Utopismus <strong>und</strong> wissenschaftlicher Sozialismus“,<br />
den sie der „Neuen Zeit“ entnommen hatte, erfuhren von ihr keinerlei redaktionelle Überarbeitung<br />
in Bezug auf einen frauenspezifischen Ansatz oder auf die sozialistische Frauenemanzipations-<br />
theorie Bebels. 154<br />
Die „Staatsbürgerin“ war, wie bereits gezeigt wurde, trotz ihres auf den Offenbacher Verein be-<br />
zogenen Untertitels mehr als eine regionale Zeitschrift, sie war vielmehr das Organ der<br />
aufstrebenden Frauenorganisationen in ganz Deutschland – mit besonderen Schwerpunkten in<br />
Berlin <strong>und</strong> in Hamburg. Doch zu dem Zeitpunkt, als die Hamburger Arbeiterinnenvereine<br />
erwogen, die „Staatsbürgerin“ zu ihrer obligatorischen Schulungslektüre zu machen 155 , waren<br />
bereits behördliche Maßnahmen für ihr Verbot getroffen worden. Ab dem 12. Juni 1886 wurden<br />
alle verfügbaren Exemplare der letzten Nummer beschlagnahmt. Über die Gründe für dieses Ver-<br />
bot gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Emma Ihrer ging davon aus, dass ein provokativer<br />
Artikel von Johanna Friederike Wecker zur Gleichberechtigung der Frau den Behörden den<br />
willkommenen Anlass für dieses Verbot geboten habe. 156 Wecker, die bis dahin zwar nur ver-<br />
einzelte, aber dafür auffällig umfangreiche Beiträge <strong>und</strong> sogar Leitartikel für die „Staats-<br />
bürgerin“ 157 verfasst hatte, behandelte in jenem Artikel den Fakt, dass Behörden – unter Verweis<br />
auf die weibliche „Dispositionsunfähigkeit“, d. h. ihre mangelnde Geschäftsfähigkeit – verhei-<br />
153 Ebd., S. 1.<br />
154 Utopismus <strong>und</strong> wissenschaftlicher Sozialismus. In: Staatsbürgerin, 01/ 19/ 09.05.1886/ Reprint S. 81.<br />
155 Vgl. Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack <strong>und</strong> ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 33, Anm.<br />
170.<br />
156 „Auch dieses [Organ, die „Staatsbürgerin; M.S.] fiel bald der Polizei zum Opfer, nachdem ein energischer Artikel<br />
aus der Feder von Frl. Johanna Wecker darin veröffentlicht worden war, der die Gleichstellung aller Frauen<br />
forderte, wozu sie für ihre Beispiele auch die Frauen auf den Thronen herangezogen hatte. Man sah darin<br />
‘Aufreizung zum Klassenhaß’.“ (Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 19). Vgl. auch Gebhardt/Wischermann,<br />
Gertrud Guillaume-Schack <strong>und</strong> ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, S. 33.<br />
157 Wecker ist in Nr. 24, in der Beilage von Nr. 23 <strong>und</strong> in Nr. 17 mit Beiträgen vertreten. Außerdem der Leitartikel:<br />
Wecker, Johanna Fr.: Die Frauen im gewerblichen Leben <strong>und</strong> der Abgeordnete Kalle. (Eine Kritik aus<br />
Frauenkreisen). In: Staatsbürgerin, 01/ 15/ 11.04.1886/ Reprint S. 57-58.<br />
73
„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />
rateten Frauen die Mitgliedschaft im „Verein der Arbeiterinnen Dresdens“ verboten hatten. Sie<br />
kam diesbezüglich zu folgender „juristischen Logik“:<br />
„Mit der ‘dispositionsunfähigen Arbeiterin’ bedingt sich die Ausschließung der verheiratheten<br />
Frauen aller öffentlichen Interessen dienenden Verbindungen! Auch<br />
Ihre Majestät, die hochverdiente Königin Carola, Ihre Majestät, die Deutsche Kaiserin,<br />
fallen unter diese herrliche Bestimmung des deutschen ‘Eherecht‘s’! Es<br />
macht auch die ‘Königin’ ‘dispositionsunfähig!’ […] Dann hinaus mit den übrigen<br />
‘Verheiratheten’ aus den Vereinen der ‘reichen’ Frauen, damit sie ihre ‘Dispositionsunfähigkeit’<br />
besser würdigen lernen <strong>und</strong> sodann bietet dem Gesetz eine<br />
veränderte Auslegung: Laßt Euch von Euren Ehemännern ‘Erlaubnißscheine’ ausstellen,<br />
Mitglied eines ‘Frauenvereins’ zu sein <strong>und</strong> hört zu, was die ‘Polizei’ hierzu<br />
sagt!“ 158<br />
Das „Rote Kreuz“ oder „Vaterländische Frauenvereine“ – Organisationen, die im Ersten Weltkrieg<br />
noch eine wichtige Rolle spielen sollten – waren Vereine, in denen Mitglied zu sein für Damen der<br />
höheren Gesellschaft Ausdruck ihrer privilegierten Stellung <strong>und</strong> ihres karitativen Engagements<br />
war. Weder dieser Umstand noch die von Proletarierinnen geäußerte Kritik an der bevorzugten<br />
Behandlung dieser Institutionen war neu. Selbst das dreiste Pochen auf logische Prinzipien – im<br />
Fall der Wecker‘schen Argumentation besonders schlagkräftig – dürfte für die Behörden weder<br />
ungewöhnlich noch sonderlich beunruhigend gewesen sein. Die „Staatsbürgerin“ aufgr<strong>und</strong> dieses<br />
Artikels zu verbieten, war demnach genauso fadenscheinig wie die angebliche „Dispositions-<br />
unfähigkeit“ verheirateter Arbeiterinnen – doch in ihrer Fadenscheinigkeit blieben die Behörden<br />
immerhin konsequent. 159 Ungewöhnlich <strong>und</strong> verw<strong>und</strong>erlich war eher, dass die Offenbacher Be-<br />
hörden sich noch die Mühe machten, das Publikationsverbot zu begründen, folgten sie doch<br />
zunehmend einer „preußischen“ Handhabung des Sozialistengesetzes.<br />
Die Konsequenzen dieser Entwicklung sollten schließlich auch Guillaume-Schack persönlich be-<br />
treffen: Am 17. Juli 1886 erklärte man ihr, dass sie das Großherzogtum Hessen zu verlassen habe.<br />
Hatten viele Ausgewiesene vor ihr bei Nacht <strong>und</strong> Nebel fliehen müssen, um einer Verhaftung zu<br />
entgehen, so gestaltete sich Guillaume-Schacks Abschied dagegen zu einem regelrechten Demon-<br />
strationszug der sozialdemokratischen Partei. Mehr als h<strong>und</strong>ert Männer <strong>und</strong> Frauen hatten sich zur<br />
Abfahrtszeit auf dem Bahnhof eingef<strong>und</strong>en. Nicht nur, dass sie sozialistische Abzeichen trugen,<br />
sie jubelten ihr zu <strong>und</strong> teilweise soll auch der Ruf: „Es lebe die Sozialdemokratie!“ vernommen<br />
worden sein. 160 Guillaume-Schack verließ das Reichsgebiet Richtung Zürich. Sie wollte nicht wie<br />
158 Wecker, Joh. F.: Eingesandt. In: Staatsbürgerin, 01/ 24/ 13.06.1886/ Reprint S. 114.<br />
159 Die Beilage der „Vossischen Zeitung“ Nr. 330 vom 19. Juli 1886 sah als wahren Gr<strong>und</strong> des Verbotes der „Staats -<br />
bürgerin“ ihre allgemeine Eigenart, „die Lage der <strong>weiblichen</strong> Arbeit in greller, aufreizender Weise dargestellt“ zu<br />
haben (zit. nach: Gebhardt/Wischermann, Gertrud Guillaume-Schack <strong>und</strong> ihre Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“,<br />
S. 33, Anm. 175).<br />
160 Vgl. Bericht nach dem „Frankfurter Journal“ (1783-1810, 1814-1903) in der „Vossischen Zeitung“ (1911-1934)<br />
74<br />
Nr. 332/ 20.07.1886. Zit. nach: Ebd., S. 34.
1.3 DIE ERSTE PROLETARISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE STAATSBÜRGERIN“ (3. JANUAR 1886-13. JUNI 1886)<br />
andere sozialistische EmigrantInnen ihre politische Arbeit in einem benachbarten deutschen Staat<br />
wiederaufnehmen. Eine Weiterführung ihrer politischen Agitation innerhalb des Geltungsbe-<br />
reiches des Sozialistengesetzes hätte nicht nur bedeutet, sich der Gefahr einer weiteren Aus-<br />
weisung auszusetzen, Guillaume-Schack hätte auch riskiert, den Kontakt zu ihrer Familie in<br />
Beuthen a. d. Oder (Niederschlesien) zu erschweren. Ihre „Flucht“ endete deshalb im Herbst<br />
desselben Jahres in London. 161 Hier schloss sie sich den Anarchisten an. Durch diese Positio-<br />
nierung <strong>und</strong> durch persönliche Reibereien kam es schließlich zu einem Zerwürfnis mit führenden<br />
Persönlichkeiten der Sozialdemokratie. 162 Eine erneute Tätigkeit innerhalb der deutschen Frauen-<br />
bewegung ergab sich aber für Guillaume-Schack, die vornehmlich den Kontakt zu Emma Ihrer<br />
pflegte, auch nach dem Fall des Sozialistengesetzes nicht mehr <strong>und</strong> bis zu ihrem Tod 1903 nahm<br />
ihr Interesse an der politischen Lage in Deutschland merklich ab. 163 Mit ihrer publizistischen <strong>und</strong><br />
organisatorischen Tätigkeit in Form der „Staatsbürgerin“ hinterließ sie jedoch ein bedeutendes<br />
Erbe, das angetreten werden musste <strong>und</strong> auch angetreten werden sollte.<br />
161 Selbst in London nahm Guillaume-Schack hilfreichen Einfluss auf die Arbeiterinnenorganisationen, indem sie<br />
zusammen mit Marie Hofmann die vor Gericht stehenden Führerinnen der Berliner Arbeiterinnenvereine finanziell<br />
unterstützte, die ja bereits vor der „Staatsbürgerin“ erst vorläufig <strong>und</strong> dann definitiv verboten worden waren.<br />
Hier erwies sich laut Gebhardt/Wischermann der auf ihrer familiären Herkunft basierende finanzielle Wohlstand<br />
Guillaume-Schacks als ausgesprochen vorteilhaft (vgl. ebd. S. 35).<br />
162 Zum Beispiel mit Friedrich Engels, der schon lange in England lebte <strong>und</strong> bis dahin in engem Kontakt mit Guillaume-Schack<br />
gestanden hatte. Engels war empört darüber, dass Guillaume-Schack auch als Anarchistin versuchte,<br />
weiterhin eine tragende Rolle in der sozialistischen Bewegung zu spielen <strong>und</strong> deshalb 1889 als Delegierte<br />
auf dem Internationalen Arbeiterkongress in Paris erschien. Seine Geringschätzung ihrer Person drückte er 1891 in<br />
einem Brief an Bebel sehr anschaulich aus, wenn er schrieb, dass die deutsche Frauenbewegung – wie sie sich nun<br />
vornehmlich um Ihrer sammelte – „stark angeschackt“ (Friedrich Engels in einem Brief an August Bebel,<br />
29.09./01.10.1891. Zit. nach: Ebd., S. 37) sei.<br />
163 Vgl. ebd., S. 36f.<br />
75
1.4 Die erste sozialdemokratische Frauenzeitschrift:<br />
„Die Arbeiterin“ (1890-1891)<br />
Zwei Gründe rechtfertigen es, die Zeitschrift „Die Arbeiterin“ (1890-1891) 164 als erste<br />
sozialdemokratische Frauenzeitschrift Deutschlands zu bezeichnen:<br />
Erstens: Ihr Kontakt zur erstarkenden Sozialdemokratie basierte von Beginn an nicht wie bei<br />
der „Staatsbürgerin“ auf persönlichen Beziehungen, sondern auf theoretisch f<strong>und</strong>ierten Prin-<br />
zipien. Dies fand – so schlicht ihr Titel wirken mag – deutlichen Ausdruck in ihrem Untertitel<br />
„Zeitschrift für die Interessen der Frauen <strong>und</strong> Mädchen des arbeitenden Volkes. Organ aller auf<br />
dem Boden der modernen Arbeiterbewegung stehenden Vereinigungen der Arbeiterinnen.“ Ein<br />
entscheidender Unterschied zur „Staatsbürgerin“ bestand darin, dass die „Arbeiterin“ sich<br />
demonstrativ als Organ derjenigen Arbeiterinnenvereine verstand, die sich der SPD verb<strong>und</strong>en<br />
<strong>und</strong> als Teil einer politischen Bewegung sahen. Ganz in der Tradition der „Staatsbürgerin“<br />
stand sie jedoch insofern, als sie sich mit diesem Selbstverständnis unmissverständlich von<br />
bisher bürgerlich dominierten Bildungseinrichtungen für Arbeiterinnen distanzierte, die eher<br />
einen allgemein emanzipatorischen oder feministischen Ansatz verfolgten <strong>und</strong> dabei jegliche<br />
Kritik am Klassensystem aussparten. 165<br />
Zweitens: Mit der Gründung der „Arbeiterin“ bahnte sich nicht nur eine ideelle Verbindung mit<br />
der SPD an, sondern auch eine institutionelle. Trotzdem sollte die „Arbeiterin“ stets nur partei-<br />
nahes <strong>und</strong> nicht parteieigenes Organ sein.<br />
Auf dem Internationalen Arbeiterkongress in Paris 1889 wurden sieben Frauen mit der<br />
Gründung der ersten deutschen „Agitationskommission“ 166 beauftragt – eine davon war Emma<br />
164 Für die folgenden Darstellungen wurde im Bestand der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung in<br />
Kassel Einsicht in die Ausgaben des ersten <strong>und</strong> einzigen Jahrgangs der „Arbeiterin“ genommen. Die Kopie<br />
eines Titelblattes der Arbeiterin ist im Anhang enthalten.<br />
165 Kinnebrock sieht in dieser Anbindung der proletarischen Frauen an die SPD eher ein Negativum, wenn sie<br />
schreibt, dass sich „das große Heer der Proletarierinnen […] fortan in den Dienst v. a. der Sozialdemokratie“<br />
(Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 140) gestellt habe. Sie verweist damit auf das noch<br />
aufzuzeigende ungleiche Machtverhältnis, leugnet m. E. aber die logische Konsequenz aus der übergeordneten<br />
Zielsetzung der proletarischen Frauenbewegung – die Erringung des Sozialismus –, die unzweifelhaft in dieser<br />
Anbindung ihren Ausdruck fand.<br />
166 Seit dem Internationalen Arbeiterkongress in Paris 1889 hatten in Deutschland so genannte „Frauenagitationskommissionen“<br />
die Aufgabe, die Kontakte zur SPD zu halten, Bildungs–materialien zu verteilen, Aufrufe zu<br />
verfassen <strong>und</strong> öffentliche Versammlungen einzuberufen. Die Bewältigung dieser Aufgaben sollte durch die<br />
„Arbeiterin“ eine große organisatorische Hilfestellung erfahren. Eine Agitationskommission war eine recht<br />
lockere <strong>und</strong> damit nicht per Gesetz aufzulösende Organisationsform, die aber dennoch recht durchsetzungsfähig<br />
war (vgl. Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf, S. 21f.). Für einen Überblick über die Organisationsstrukturen<br />
der proletarischen Frauenbewegung siehe: Thönnessen, Frauenemanzipation – Politik <strong>und</strong> Literatur<br />
der deutschen Sozialdemokratie zur Frauenbewegung 1863-1933; Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus<br />
<strong>und</strong> Feminismus; Evans, Sozialdemokratie <strong>und</strong> Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich <strong>und</strong> Richebächer,<br />
Uns fehlt nur eine Kleinigkeit.<br />
77
„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />
Ihrer. Seit der Veranstaltung in Paris gab es kaum mehr einen Gewerkschaftskongress oder einen<br />
politischen Parteitag, auf dem Frauen nicht zumindest anwesend waren. Dies spricht dafür, dass<br />
die proletarische Frauenbewegung in ihrer Bedeutung für die SPD zunehmend Beachtung fand<br />
<strong>und</strong> beiden an einer engeren Verknüpfung gelegen war. Auch auf dem Parteitag 1890 in Halle war<br />
die proletarische Frauenbewegung durch die <strong>weiblichen</strong> Mitglieder von vier der gegründeten<br />
„Agitationskommissionen“ vertreten – darunter Emma Ihrer. Ähnlich wie Louise Otto-Peters ver-<br />
körpert auch Emma Ihrer durch ihre herausragende Rolle in der Berliner Arbeiterinnenorganisa-<br />
tion <strong>und</strong> in der Gewerkschaftsbewegung eine besondere personelle Kontinuität. Sie selbst war es<br />
schließlich auch, die auf dem Parteitag in Halle zur Initiatorin einer neuen Frauenzeitschrift<br />
werden sollte. 167 Ihrer beschrieb in ihrem Redebeitrag die bisherigen Entwicklungen wie folgt:<br />
„Die Vorbereitungen zur Herausgabe einer Frauenzeitung sind nahezu abgeschlossen;<br />
es bedarf nur noch der Zustimmung meiner Genossinnen. Beilagen in<br />
der Form von Unterhaltungsblättern haben gar kein Resultat erzielt, sie dienen nur<br />
zur Unterhaltung der Frauen, wie viele andere Klatschblättchen auch. Uns thut eine<br />
wirkliche Frauenzeitung noth, <strong>und</strong> nach den mir gewordenen Mittheilungen bin ich<br />
sicher, daß die Frauen diese Zeitung auf der Höhe der Zeit erhalten werden<br />
(Bravo), vorausgesetzt, daß die Genossen uns in der Weise unterstützen, daß sie<br />
ihre eigenen Frauen dafür anregen. (Heiterkeit <strong>und</strong> Beifall.) Wenn der Mann seiner<br />
Frau sagt, wir halten ja schon eine Zeitung, dann ist alle unsere Mühe vergebens.<br />
Auf dem Pariser Congreß sind alle Genossen verpflichtet worden, die<br />
Frauenbewegung in jeder Weise, also geistig <strong>und</strong> materiell, zu unterstützen. Was ist<br />
bisher geschehen? <strong>Von</strong> Seiten der Männer, mit wenigen Ausnahmen, so gut wie<br />
nichts. Wir Frauen haben noch keine Fonds, <strong>und</strong> man hat uns gesagt: Ihr könnt<br />
nicht zum Parteitag entsandt werden, weil Ihr keine materiellen Mittel habt. Ja, da<br />
hättet Ihr Männer die Pflicht, für uns einzutreten. Wir wollen keine Extrabewegung<br />
für die Frau, keinen Sport; wir wollen nur die allgemeine Arbeiterbewegung<br />
unterstützen, rechnen dann aber auch auf Eure Unterstützung. Also behandeln Sie<br />
uns nicht so kühl abweisend, <strong>und</strong> unterstützen sie uns materiell. Wir haben ein<br />
Recht darauf, von Ihnen als vollberechtigte Genossinnen behandelt zu werden.<br />
Unterstützen sie uns materiell <strong>und</strong> geistig, das wird seine Früchte tragen. Es handelt<br />
sich hier nicht um Spielereien, sondern um den vollen Ernst der Zeit!<br />
(Lebhaftes Bravo <strong>und</strong> Händeklatschen.)“ 168 [Hervorhebungen von M.S.]<br />
Ihrers Ausführungen sind sehr bemerkenswert <strong>und</strong> beschreiben die gr<strong>und</strong>legenden Probleme <strong>und</strong><br />
den mangelnden Rückhalt in der Partei. Die enttäuschenden Erfahrungen mit unterhaltenden<br />
Beilagen waren demnach ausschlaggebend für die Pläne, eine „wirkliche Frauenzeitung“ ins<br />
Leben zu rufen. Ausdrücklich sei hier darauf hingewiesen, dass während des Parteitages keinerlei<br />
Antrag auf Gründung einer Frauenzeitschrift gestellt wurde. Das, was Ihrer in Halle präsentierte,<br />
war bereits ein Zwischenstand der vermutlich am Rande des Pariser Kongresses gefassten Be-<br />
167 Auf diesem Parteitag in Halle 1890 wurde tatsächlich erstmals die Funktion der Presse als wichtigstes Instrument<br />
für die politische Agitation der SPD erfasst <strong>und</strong> diskutiert (vgl. Ressmann, Strukturprobleme sozialdemokratischer<br />
Medienunternehmen, S. 61).<br />
168 Protokoll des SPD-Parteitages Halle a. S. 1890, S. 48f.<br />
78
1.4 DIE ERSTE SOZIALDEMOKRATISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE ARBEITERIN“ (1890-1891)<br />
schlüsse 169 , ein Zwischenstand, der aber hinsichtlich der Unterstützung durch die Parteigenossen<br />
negativ ausfiel. 170 Ihrer – die dieser Enttäuschung auch dadurch Nachdruck verlieh, dass sie die<br />
anwesenden Männer an einer Stelle ihres Redebeitrages direkt anspricht – forderte die volle ver-<br />
sprochene Unterstützung der männlichen Genossen ein. Eine proletarische Frauenzeitschrift <strong>und</strong><br />
die Entwicklung einer proletarischen Frauenbewegung war kein „Sport“, keine „Spielerei“ <strong>und</strong><br />
wollte ernst genommen werden. Tatsächlich war die „Arbeiterin“, indem sie vor allem die Tätig-<br />
keit der so genannten „Frauenagitationskommissionen“ unterstützen sollte, Teil eines groß ange-<br />
legten Planes. Die darin enthaltenen vornehmlich kommunikativen Aufgaben machten ein eigenes<br />
Presseorgan schlichtweg notwendig. Inhaltliche Zielsetzung dieser allgemeinen Agitation war es<br />
vor allem, die erwerbstätigen Frauen verstärkt zum gewerkschaftlichen Zusammenschluss zu<br />
motivieren. Dabei vertrat die „Arbeiterin“ im Gegensatz zur „Staatsbürgerin“ nicht die Interessen<br />
einzelner Organisationen, sondern sprach ein wesentlich breiteres Publikum an. Trotz dieses<br />
Unterschiedes sah sich die „Arbeiterin“ jedoch als direkte Nachfolgerin der „Staatsbürgerin“ <strong>und</strong><br />
auch deren Zielen verpflichtet. So schrieb Ihrer in der gratis verteilten „Probenummer“ der „Ar-<br />
beiterin“, die am 20. Dezember 1890 in einer Auflagenhöhe von stattlichen 12.000 Exemplaren<br />
erschien:<br />
„Wir haben lange gewartet bevor wir auf den von allen Seiten laut gewordenen<br />
Wunsch, eine speziell für die Frauen bestimmte Zeitung herauszugeben, eingingen.<br />
Es ist aber nicht das erstemal, daß ein solches Unternehmen versucht wird <strong>und</strong><br />
guten Erfolg hat. Bereits in der ersten Hälfte der 80er Jahre gab Frau Guillaume-<br />
Schack ‘Die Staatsbürgerin’ heraus (Organ für die Frauen <strong>und</strong> Mädchen des<br />
arbeitenden Volkes), <strong>und</strong> seit dieses nach kaum einjährigem Erscheinen ebenfalls<br />
dem Socialistengesetz zum Opfer fiel, verband uns nur der gleiche Gedanke, das<br />
gleiche Streben mit einander, das Streben nach der völligen Selbständigkeit, auch<br />
der Frauen.“ 171<br />
169 Aus dem Protokoll des Internationalen Arbeiterkongresses gehen keine Informationen hinsichtlich der „Arbei-<br />
terin“ hervor.<br />
170 Aus der dem Protokoll des Parteitages in Halle angefügten Präsenzliste geht hervor, dass Ihrer offiziell als Vertreterin<br />
des Wahlkreises Berlin delegiert war. Zusätzlich wird in dieser Liste ihr Wohnsitz bereits mit Velten angegeben<br />
<strong>und</strong> es erscheint die Bezeichnung „Arbeiterin“ (vgl. ebd., S. 308). Diese bezog sich allerdings nicht etwa<br />
auf ihren Berufsstand, sondern belegt vielmehr, dass sie bereits als Redakteurin der neuen Frauenzeitschrift fungierte.<br />
Die Präsenzliste muss demnach wesentlich später erstellt worden sein, denn sonst wäre es sehr verw<strong>und</strong>erlich,<br />
dass während des gesamten Parteitages kein einziges Mal der Name der neuen Frauenzeitschrift erwähnt<br />
wurde. Der Auffassung, dass Ihrer mehr oder weniger „auf eigene Faust“ die Gründung einer Frauenzeitschrift<br />
umsetzte – die auch die Dietz-Biographin Angela Graf vertritt (vgl. Graf, J. H. W. Dietz 1843-1922 – Verleger der<br />
Sozialdemokratie, S. 204), widerspricht allerdings die von Ihrer selbst getroffene Aussage: „Hier [auf dem Parteitag<br />
in Halle; M.S.] wurde dann auf allseitigen Wunsch die Gründung einer Zeitung für Frauen beschlossen,<br />
welche dem erwachenden Verständniß der Frauen angepaßt sein sollte.“ (Ihrer, Arbeiterinnen im Klassenkampf,<br />
S. 22). Auch im Großteil der entsprechenden Sek<strong>und</strong>är–literatur wird von einem Beschluss des Parteitages ausgegangen,<br />
obwohl, wie bereits erwähnt, weder ein Antrag noch ein Beschluss in den entsprechenden Protokollen zu<br />
finden ist.<br />
171 Aufruf! In: Arbeiterin, 01/ 01/ 20.12.1890. Genau wie die „Staatsbürgerin“ besitzt die „Arbeiterin“ keine durchgängige<br />
Seitennummerierung, was die Recherchen in ihr erschwert <strong>und</strong> bedingt, dass in den folgenden Zitat-<br />
79
„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />
Ihrer bestritt also nicht die anfängliche Skepsis, die dieses Unternehmen durchaus begleitete,<br />
wenn diese auch der zwingenden Notwendigkeit <strong>und</strong> dem Vertrauen auf eine starke Gemeinschaft<br />
wich.<br />
Letzteres fand seinen Ausdruck in dem im Titelkopf der „Arbeiterin“ erscheinenden Motto „Ein-<br />
tracht macht stark – Bildung macht frei!“. In ihm sind die zwei wichtigsten Anliegen der<br />
„Arbeiterin“ enthalten: Die Förderung einer intensiven proletarischen Solidarität – sowohl der<br />
Proletarierinnen untereinander wie auch gegenüber der internationalen Arbeiterbewegung – <strong>und</strong><br />
die Vermittlung eines umfassenden Wissens um die gesellschaftspolitischen Bedingungen weib-<br />
licher <strong>und</strong> proletarischer Unfreiheit. Bildung kann jedoch nur dann zu wahrer Freiheit verhelfen,<br />
wenn ihr der Schritt des konsequenten Handelns folgt oder, wie es die „Arbeiterin“ für ihre<br />
Aufgabenstellung formulierte, der „Kampf[…] für die Gleichberechtigung des weib-<br />
lichen Geschlechts auf wirthschaftlichem <strong>und</strong> politischem Gebiete“ 172 .<br />
Politische Tageszeitungen, so Ihrer über den Auftrag der „Arbeiterin“, gäben den Informationen<br />
über „den Stand der Arbeiterinnen-Bewegung <strong>und</strong> die Organisation derselben“ 173 nicht genügend<br />
Raum. Auch wollte die „Arbeiterin“ auf die fehlende „Vorbildung“ vieler Frauen stärker Rück-<br />
sicht nehmen, indem sie ihnen in „verständlichster <strong>und</strong> schlichtester Weise“ die „für das ganze<br />
Volk wichtigen Tagesfragen erläutert“ 174 . Ihrer betonte nochmals den projekthaften Charakter der<br />
„Arbeiterin“, wenn sie wie folgt zur Mitarbeit aufrief:<br />
„Es stehen uns keine anderen Mittel zur Verfügung als unsere Arbeitskraft, zu der<br />
jede einzelne Arbeiterin die eigene hinzufügen möge, damit wir nicht Schiffbruch<br />
leiden mit unserem Zeitungsunternehmen, sondern bald beweisen können, was der<br />
weibliche Theil des Proletariats aus eigener Kraft vermag, wenn es gilt, den ärgsten<br />
Feind Aller, den Unverstand zu bekämpfen <strong>und</strong> mit diesem die moderne Ausbeutung<br />
der Frauen auf allen Gebieten.“ 175<br />
Besonders die Betonung des befreienden Elementes der Bildung <strong>und</strong> das Fehlen einer konkreten<br />
Kapitalismuskritik ist an dieser Stelle auffallend. Ihrer war keine ausgesprochene Agitatorin der<br />
sozialistischen Emanzipationstheorie wie sie von Zetkin für die erwerbstätige Proletarierin formu-<br />
liert worden war. Dies wird auch daran deutlich, dass sie schrieb:<br />
„Wenn wir wollen, daß die Bewegung der Frauen erstarkt, müssen wir darauf<br />
bedacht sein, nicht nur die Industriearbeiterin zu gewinnen, sondern auch die<br />
belegen an entsprechender Stelle keine Angabe erfolgen kann.<br />
172 Aufruf! In: Arbeiterin, 01/ 01/ 20.12.1890. Diesem Leitartikel wurde ein Gedicht vorangestellt, dessen Verfasserin<br />
vermutlich Marie Hofmann war <strong>und</strong> in poetischer Form den Zweck der „Arbeiterin“ formuliert. Es ist im Anhang<br />
enthalten.<br />
173 Ebd.<br />
174 Ebd.<br />
175 Ebd.<br />
80
1.4 DIE ERSTE SOZIALDEMOKRATISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE ARBEITERIN“ (1890-1891)<br />
Hausfrau, denn die Letztere ist theilweise ebenso entmündigt wie die Erstere.“ 176<br />
Ihrer beleuchtete bereits zu diesem Zeitpunkt einen Aspekt, der noch für weitere Diskussionen<br />
innerhalb der Führungsriege der proletarischen Frauenbewegung sorgen würde. Wenn ihrer Mei-<br />
nung nach „nicht nur die materielle, sondern auch die geistige Hebung der Frauen“ 177 herbei-<br />
geführt werden müsse, so beinhaltete dies jedoch weniger eine Kritik an der sozialistischen<br />
Frauenemanzipationstheorie als an den Bemühungen der bürgerlichen Frauenbewegung, sich<br />
selbst <strong>und</strong> den Frauen ihrer eigenen Klasse adäquate Erwerbsmöglichkeiten zu schaffen.<br />
Entsprechend des Wohnortes der verantwortlichen Redakteurin <strong>und</strong> Herausgeberin Emma Ihrer<br />
hatte die Redaktion der „Arbeiterin“ ihren Sitz im havelländischen Velten (nordwestlich von<br />
Berlin). Expedition <strong>und</strong> Verlag der „Arbeiterin“ erfolgten dagegen durch den Verlag E. Jensen &<br />
CO. mit Sitz in der Rosenstraße 35 in Hamburg. Nach dem Tod des Verlegers im April 1891 über-<br />
nahm auch dessen Zuständigkeiten die Druckerei von Fr[iedrich] Meyer. 178 Die Wahl Hamburgs<br />
als Verlags- <strong>und</strong> Expeditionsstandort lag einerseits in den sehr guten Vertriebsmöglichkeiten <strong>und</strong><br />
andererseits in der liberalen Vereins- <strong>und</strong> Pressegesetzgebung des norddeutschen Stadtstaates be-<br />
gründet. Die „Arbeiterin“ erschien wöchentlich. Erscheinungstag war der Samstag, welcher ver-<br />
mutlich ganz bewusst in Rücksichtnahme auf die Lebens- <strong>und</strong> Arbeitsgewohnheiten ihrer prole-<br />
tarischen Leserinnen gewählt wurde.<br />
Eine Einzelnummer der „Arbeiterin“ umfasste vier Seiten <strong>und</strong> erschien im Quartformat. Sie kos-<br />
tete zehn Pfennig, im Vierteljahresabonnement eine Mark bzw. direkt per Kreuzband 179 1,40 Mark.<br />
Den „KolporteurInnen“, d. h. den AusträgerInnen, <strong>und</strong> den Vereinen, die die „Arbeiterin“ obliga-<br />
torisch einführten, wurde das Abonnement nach dem Verlagswechsel im September 1891 für<br />
günstigere 70 Pfennig bzw. 60 Pfennig angeboten. 180 Alle EmpfängerInnen der Probenummer wur-<br />
den durch die Redaktion aufgerufen, „die erhaltenen Nummern sofort in Umlauf zu setzen!“ 181 .<br />
Außerdem sollten alle Fachvereine mit <strong>weiblichen</strong> Mitgliedern die Anzahl ihrer Mitglieder <strong>und</strong><br />
176 Ebd.<br />
177 Ebd.<br />
178 Redaktion <strong>und</strong> Verlag: An unsere Leser! In: Arbeiterin, 01/ 14/ 04.04.1891. Im September 1891 wurde Hintzpeter<br />
Geschäftspartner der Meyerschen Druckerei, die dann spätestens (Nr. 35-37 fehlen im Archivbestand) mit Nr. 38<br />
wieder vom Verlag getrennt geführt wurde (vgl. Arbeiterin, 01/ 38/ 19.09.1891).<br />
179 Das „Kreuzband“ – bestehend aus zwei gekreuzten Papierstreifen – bezeichnet eine im Gegensatz zum verschlossenen<br />
Umschlag offene <strong>und</strong> damit bequem zu lösende Verpackung für großformatige Drucksachen, deren Porto<br />
dann ermäßigt wird.<br />
180 Redaktion <strong>und</strong> Verlag: An unsere Leser! In: Arbeiterin, 01/ 38/ 19.09.1891.<br />
181 Arbeiterin, 01/ 01/ 20.12.1890.<br />
81
„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />
die Adresse ihrer Vorstehenden an die Redaktion leiten. 182 So versuchte die „Arbeiterin“, mittels<br />
einer ersten Vernetzung einen möglichst hohen Grad der eigenen Verbreitung zu erreichen. Ge-<br />
nauso wie die „Staatsbürgerin“ betrieb auch die „Arbeiterin“ kein gewerbliches Anzeigengeschäft,<br />
mit dem durch Werbung für kommerzielle Unternehmen oder Privatanzeigen von LeserInnen zu-<br />
sätzliche Einnahmen hätten erzielt werden können. Wenn Annoncen veröffentlicht wurden, so<br />
waren es meist Inserate kooperierender Druckereien, Buchhandlungen <strong>und</strong> Vereine. 183<br />
Die „Arbeiterin“ erschien in einem damals gebräuchlichen dreispaltigen Layout. Besonders auf-<br />
fällig im Druckbild war eine Variation der Schrift- <strong>und</strong> Druckgrößen. Leitartikel <strong>und</strong> auch der<br />
Fortsetzungsroman wurden – dies machte in Bezug auf die Gestaltung einen wesentlichen Unter-<br />
schied zur „Staatsbürgerin“ aus – stets in einem größeren Schriftgrad gedruckt als die restlichen<br />
Bestandteile einer Nummer. Es waren demnach sowohl die wichtigsten Informationen als auch<br />
der in der Gunst der Leserinnen sehr hoch rangierende Unterhaltungsteil, die als Rubriken auf<br />
diese Art besonders hervorgehoben wurden. Dem Feuilleton wurde zudem ein fester, leicht zu<br />
findender <strong>und</strong> vom Hauptteil separierter Platz zugewiesen: Er erschien „unter dem Strich“. Bei<br />
vielen Zeitschriften war es damals üblich, den Feuilleton stets auf die untere Hälfte der zweiten<br />
Seite zu setzen – getrennt durch einen Strich oder ähnliche Markierungen. Bereits diese wenigen<br />
Beschreibungen belegen nicht nur das besondere Einfühlungsvermögen der Redaktion in die<br />
Lesegewohnheiten proletarischer Leserinnen, sondern auch den geschickten Einsatz von Hervor-<br />
hebungen im Druckbild der Zeitschrift.<br />
Neben Leitartikel <strong>und</strong> Feuilleton verliehen mehr oder weniger kontinuierlich geführte Rubriken<br />
der „Arbeiterin“ ein strukturelles Gr<strong>und</strong>schema. Diese lassen sich in inhaltliche, organisatorische<br />
<strong>und</strong> redaktionelle unterscheiden:<br />
182 Vgl. ebd.<br />
Inhaltlich:<br />
– „Wissenschaft“<br />
– „Zur Ges<strong>und</strong>heitspflege“<br />
– „Literarisches“<br />
– Fortsetzungsromane, -novellen<br />
Organisatorisch:<br />
– „Vereine <strong>und</strong> Versammlungen“<br />
– „Aus dem Parlament“ bzw. „Aus dem Reichstage“<br />
– „Dienstbotenfrage“<br />
– „Arbeiterinnen-Bewegung“<br />
183 Für 20 Pfennig pro Zeile konnten diese ihre Bücher <strong>und</strong> Schriftenreihen bewerben. Entsprechend der organisationsunterstützenden<br />
Zielsetzung der „Arbeiterin“ erhielten Vereine zudem noch Rabatt.<br />
82
– „Arbeiterbewegung“<br />
– „Gewerkschaftliches“<br />
Redaktionell:<br />
– „Aus aller Welt“<br />
– „Wochenübersicht“<br />
– „Briefkasten der Redaktion“<br />
– „Verschiedenes“<br />
1.4 DIE ERSTE SOZIALDEMOKRATISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE ARBEITERIN“ (1890-1891)<br />
Die inhaltlichen Rubriken hatten mehr allgemeinbildenden <strong>und</strong> unterhaltenden Charakter. Die<br />
organisatorischen gaben Auskunft über Veranstaltungen <strong>und</strong> ihren Verlauf, über branchenspezi-<br />
fische Organisationen <strong>und</strong> über regionale <strong>und</strong> überregionale Aktivitäten von SPD <strong>und</strong> Gewerk-<br />
schaften. Im „Briefkasten der Redaktion“ hatten vor allem konspirativ verschlüsselte Nachrichten<br />
der Redaktion an einen für die „mitlesenden“ Behörden nicht zu identifizierenden Adressaten<br />
ihren Platz. 184 Bereits im Briefkasten der Probenummer wendet sich Ihrer hier an „S. in B“ oder<br />
„A.W. in B.“ – vielleicht Agnes Wabnitz (1841-1894) in Berlin – um Anfragen zu beantworten<br />
bzw. Hinweise auf die Beschaffenheit eingesandter Berichte zu geben. 185 Außerdem stellt sie in<br />
Aussicht, dass die Erledigung aller Redaktionsarbeiten zügiger erfolgen würde, wenn sie sich ab<br />
Neujahr auf mehrere Frauen verteilen würde. 186<br />
Wie schon in der „Staatsbürgerin“ wurden auch in der „Arbeiterin“ die Leitartikel meist von der<br />
verantwortlichen Redakteurin verfasst. Die von Ihrer verfassten Leitartikel zeichnen sich durch<br />
eine große thematische Vielfalt aus <strong>und</strong> behandelten vornehmlich tagespolitische Themen, ge-<br />
schlechtsspezifische Fragestellungen oder Analysen des kapitalistischen Gesellschaftssystems.<br />
Indem die „Arbeiterin“ über Streiks, Maifeiern <strong>und</strong> Parteitage berichtete, agitierte sie gleichzeitig<br />
für die aktuellen Kämpfe der Sozialdemokratie. Für die Frauenorganisationen war es von<br />
besonderem praktischen Nutzen, dass mittels der „Arbeiterin“ die Proletarierinnen trotz organisa-<br />
tionshemmender Vereinsgesetze in den geltenden Arbeiterschutzgesetzen <strong>und</strong> im Versammlungs-<br />
<strong>und</strong> Vereinigungsrecht geschult werden konnten. Außerdem nahm sich Ihrer der Lösung prole-<br />
tarischer Alltagsprobleme an: Lebensmittelteuerung, Hygiene, Hauswirtschaftliches, Kinderarbeit,<br />
-erziehung, <strong>und</strong> -sterblichkeit, Kellnerinnenelend, Prostitution, Sittlichkeit <strong>und</strong> Volksernährung<br />
stehen hier nur als kleine Auswahl von Leitartikelthemen, die sich der Lösung originär<br />
184 Vgl. Arbeiterin, 01/ 04/ 24.01.1891. Auch um Ihrer die Korrespondenzarbeit zu erleichtern, wurden hier kurz <strong>und</strong><br />
knapp Anfragen beantwortet, die jedoch für Außenstehende völlig unverständlich bleiben mussten (z. B. „A.T.,<br />
Quedlinburg. Sie erhalten bald Nachricht auf Ihren Wunsch“). Eine solche Transparenz der redaktionellen Arbeit<br />
ist in der „Gleichheit“ nicht mehr zu finden.<br />
185 Vgl. Arbeiterin, 01/ 01/ 20.12.1890.<br />
186 Vgl. ebd.<br />
83
„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />
proletarischer Lebensprobleme widmeten. 187 Argumentierte Ihrer auch stets vom Standpunkt der<br />
revolutionären Arbeiterbewegung aus, so überwogen in ihren Texten doch praktische <strong>und</strong> nicht<br />
etwa theoretische oder gar dogmatisch-sozialistische Ansätze. Ihrer gab ihren Leserinnen sogar<br />
einen regelmäßigen Einblick in die Arbeit der bürgerlichen Frauenbewegung <strong>und</strong> deren Kampf<br />
um gleichberechtigte Bildungs- <strong>und</strong> Erwerbsmöglichkeiten. Aber gerade diese Offenheit für die<br />
Emanzipationsbestrebungen, die von der bürgerlichen Frauenbewegung ausgingen sowie die man-<br />
gelnde Bereitschaft, sich von dieser deutlicher abzugrenzen, sollten letztlich Ihrers Ansehen in ra-<br />
dikalen Kreisen schmälern. 188<br />
Jenseits der gesellschaftspolitischen Themen – so kann man im Überblick zusammenfassend<br />
feststellen – befasste sich die „Arbeiterin“ im Interesse ihrer proletarischen Leserinnen auch mit<br />
deren kultureller <strong>und</strong> hauswirtschaftlicher Weiterbildung. Im Unterschied zu den frühen bürgerlich<br />
initiierten Arbeiterinnenvereinen, die ebenfalls die Hebung des proletarischen Lebenswandels an-<br />
gestrebt hatten, aber die proletarischen Familien lediglich als Objekte einer Erziehung im Sinne<br />
bürgerlicher Normen wahrnahmen <strong>und</strong> so die Entwicklung einer originär proletarischen Kultur<br />
vollkommen ignorierten, wollte die „Arbeiterin“ als Sammelbecken proletarischer Kräfte eine<br />
solche fördern <strong>und</strong> umfassend dafür eintreten. Für Arbeiterinnen geschrieben <strong>und</strong> Sprachrohr ihres<br />
sich entwickelnden Klassenbewusstseins wurde die „Arbeiterin“ nach Meinung Joos‘ zum<br />
„erste[n] geistige[n] Mittelpunkt der sozialistischen Frauenbestrebungen“ 189 . Die Zeitschrift zu<br />
einer solchen Bedeutung zu bringen, vermochte Ihrer jedoch nur durch die Mitarbeit von heraus-<br />
ragenden AutorInnen wie Clara Zetkin, Eleanor Marx-Aveling (1855-1898), Minna Kautsky<br />
(1837-1912) <strong>und</strong> Marie Hofmann.<br />
Angesichts der beschriebenen Rahmenbedingungen gab es für die „Arbeiterin“ nicht viele<br />
Möglichkeiten, kostendeckend zu erscheinen. Immer wieder musste sie in ihren Nummern Wer-<br />
bung für sich selbst machen. Der jeder Nummer vorangestellte fett gedruckte Aufruf „Fre<strong>und</strong>e<br />
<strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>innen! Sorgt für die Verbreitung der ‘Arbeiterin’“ belegt zudem die große Bedeutung,<br />
die damals einer gezielten „M<strong>und</strong>propaganda“ zukam. Die Arbeiter- <strong>und</strong> Arbeiterinnenorgani-<br />
sationen, deren Interessen sich die „Arbeiterin“ auf die Fahnen geschrieben hatte, spielten somit<br />
einerseits eine wichtige Rolle als Multiplikatoren, andererseits waren ihre Mitglieder immer auch<br />
187 Außerdem möchte ich noch auf folgende erwähnenswerte Artikel verweisen: Die Judenfrage. In: Arbeiterin, 01/<br />
22/ 30.05.1891 <strong>und</strong> Zetkin, Klara: Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus von Bebel [I-VI]. In: Arbeiterin, 01/ 13/<br />
28.03.1891 bis Arbeiterin, 01/ 18/ 02.05.1891.<br />
188 Ein besonderes Beispiel für diese Einstellung ist die folgende, vermutlich von Ottilie Baader verfasste Notiz:<br />
„Alle Petitionsbogen für die Zulassung der Frauen zum Studium der Medizin müssen in diesem Monat abgeliefert<br />
werden.“ ([Baader, Ottilie?] O. B.[: Ohne Titel.] In: Arbeiterin, 01/ 34/ 22.08.1891). Es bestand hier also noch eine<br />
klassen- <strong>und</strong> taktikübergreifende Solidarität, im Rahmen derer Proletarierinnen sogar Petitionsunterschriften sammelten.<br />
189 Joos, Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Deutschland, S. 14.<br />
84
1.4 DIE ERSTE SOZIALDEMOKRATISCHE FRAUENZEITSCHRIFT: „DIE ARBEITERIN“ (1890-1891)<br />
potentielle Abonnentinnen. Bereits in der Probenummer forderte Ihrer deshalb die Redaktionen<br />
anderer Arbeiterblätter <strong>und</strong> die Vorstände der Arbeitervereine auf, die „Arbeiterin“ zu verbreiten,<br />
sie den ihnen nahe stehenden Frauenkreisen zur Kenntnis zu bringen <strong>und</strong> die Bildung von Arbei-<br />
terinnenvereinen voranzutreiben. Zudem richtete sie an alle EmpfängerInnen von Probenummern<br />
die Aufforderung, die erhaltenen Nummern sofort in Umlauf zu setzen bzw. zur Lektüre weiter-<br />
zugeben. 190 Wie schon für die Redaktion der „Arbeiterin“ damals, so ist es auch für heutige Histo-<br />
rikerInnen kaum möglich, eine exakte Zahl der „Arbeiterin“-LeserInnen festzustellen. 191<br />
Wie wichtig es Ihrer trotzdem war, zumindest einen ungefähren Überblick über die Zahl der Lese-<br />
rinnen zu erlangen, bezeugt ihre folgende, bereits in der zweiten Nummer der „Arbeiterin“ ver-<br />
öffentlichte Bitte:<br />
“Auf´s Dringendste ersuchen wir um energische Verbreitung der Probenummer<br />
(Mehrbedarf steht gern zu Diensten) <strong>und</strong> um schleunige Angabe der Abonnentenzahl,<br />
um die Auflage des Blattes feststellen zu können. Es haben von ca. 400<br />
Städten, die mit 12000 Probenummern versorgt wurden, erst 10 sich gemeldet.” 192<br />
Allerdings dürfte hinter diesem Aufruf weniger ein statistisches als ein gewerbliches Interesse<br />
gestanden haben, denn aus betriebswirtschaftlicher Sicht war es wichtig, die Auflage dem tatsäch-<br />
lichen Bedarf anzupassen. Ein solcher Aspekt dürfte Ihrer nicht gleichgültig gewesen sein, stand<br />
sie doch persönlich <strong>und</strong> mit privaten Geldmitteln für dieses Unternehmen ein – wenn auch unter-<br />
stützt durch ihren allem Anschein nach vermögenden Ehemann, den Apotheker Emanuel Ihrer,<br />
sowie durch eine anonyme Parteigenossin. 193 Doch auch wenn ein Misserfolg kaum absehbare<br />
Auswirkungen auf das Leben Emma Ihrers gehabt hätte, stand für sie das Eintreten für die Sache<br />
der Proletarierinnen <strong>und</strong> das Moment weiblicher <strong>und</strong> persönlicher Emanzipation im Vordergr<strong>und</strong><br />
190 Arbeiterin, 01/ 01/ 20.12.1890.<br />
191 So aufschlussreich die von Redaktionen oder später vom SPD-Parteivorstand gemachten Angaben zum Abonnementstand<br />
verschiedener Zeitschriften sind, so wenig identisch sind sie doch mit der Zahl derjenigen Personen, die<br />
die Zeitschriften tatsächlich erhielten. Noch problematischer wird eine realistische Einschätzung des Verbreitungs-<br />
<strong>und</strong> Wirkungsgrades der „Arbeiterin“, geht man von der Überlegung aus, dass nicht jede Person, die sie erhalten<br />
hat, sie auch intensiv gelesen haben wird. So bleibt der Rezeptionsgrad all der hier vorgestellten Zeitschriften statistisch<br />
nicht belegbar.<br />
192 Arbeiterin, 01/ 02/ 10.01.1891.<br />
193 Deshalb ist laut Honeycutt Ihrers Redebeitrag in Halle 1890 eine an den Parteitag gerichtete, jedoch erfolglos gebliebene<br />
Bitte um finanzielle Unterstützung (vgl. Honeycutt, Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in<br />
Wilhelmian Germany, S. 112). Honeycutt übersieht dabei allerdings, dass Ihrer in ihrem Redebeitrag sehr<br />
enthusiastisch über die Zeitschriftengründung berichtete <strong>und</strong> es nur die rein ideelle Unterstützung der Parteigenossen<br />
war, die von ihr bemängelt wurde. Warum die Parteiführung die „Arbeiterin“ nicht von vornherein<br />
finanziell unterstützte, bleibt ungeklärt. Ihrers finanzielles Engagement wird von Kinnebrock m. E. zu gering bemessen,<br />
wenn diese lediglich schreibt, dass Ihrer die „Arbeiterin“ „bezuschusste“ (Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht<br />
ein Volk?!, S. 141.). Ein „Gleichheit“-Artikel erwähnt zudem eine „stets hervorragend opferbereite[…] wohlhabende[…]<br />
Parteigenossin“ ([Hanna, Gertrud?] G. H.: Emma Ihrer. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/<br />
01.04.1921/ 61), die Ihrer bei der Finanzierung der „Arbeiterin“ unterstützt, sich dabei aber stets bescheiden im<br />
Hintergr<strong>und</strong> gehalten haben soll.<br />
85
„NICHT AUF SAND GEBAUT“– POLITISCHE FRAUENORGANISATION UND -PRESSE IN DEUTSCHLAND 1848 BIS 1891<br />
<strong>und</strong> überwog das Streben nach finanziellem Gewinn. 194 Hinsichtlich dieses Konfliktes zwischen<br />
ideellen <strong>und</strong> monetären Interessen ist folgende Notiz in der Rubrik „Briefkasten“ sehr<br />
aufschlussreich. Ihrer bezog sich darin auf eine Anfrage von Frau B. aus H. <strong>und</strong> antwortete:<br />
„Daß der Ueberschuß unseres Zeitungsunternehmens nicht einzelnen Personen,<br />
sondern unserer Sache, speziell der Frauenbewegung zu Gute kommen soll,<br />
bedurfte wohl kaum noch der Erwähnung. Vorläufig aber arbeitet[sic] Redaktion<br />
<strong>und</strong> Verlag nur mit Ausgaben <strong>und</strong> nicht mit Einnahmen. Wenn die ersteren<br />
gedeckt sind, kann doch erst die Rede davon sein, Rechnung zu legen <strong>und</strong> an eine<br />
Vertheilung des Ueberschusses zu denken, der auch durchaus nicht nur für einen<br />
Ort verwerthet werden soll.“ 195<br />
Kaum ins Leben gerufen, hatte die „Arbeiterin“ demnach schon enorme finanzielle Probleme.<br />
Trotz aller nachdrücklichen Aufrufe, fett gedruckten Appelle an säumige AbonnentInnen <strong>und</strong> der<br />
Mahnung, dass „[d]ie nächste Nummer […] ohne Ausnahme nur an Diejenigen [versandt werde],<br />
welche ihr Abonnementsgeld bezahlt haben“ 196 , war die „Arbeiterin“ schon vor Ende ihres ersten<br />
Jahres finanziell nicht mehr tragbar. Dieses Ende gestaltete sich im Vergleich zu dem der „Staats-<br />
bürgerin“ jedoch recht unspektakulär: Die „Arbeiterin“ wurde nicht verboten, sondern musste aus<br />
finanziellen Gründen ihr Erscheinen einstellen. 197<br />
So waren trotz ihrer kurzen Lebensdauer die bisher skizzierten Frauenzeitschriften – die „Frauen-<br />
Zeitung“, die „Staatsbürgerin“ <strong>und</strong> die „Arbeiterin“ –, vor allem aber auch die von ihren Redak-<br />
teurinnen gesetzten ersten Impulse für Struktur <strong>und</strong> Selbstverständnis einer politischen Frauen-<br />
zeitschrift – alles andere als ein F<strong>und</strong>ament aus Sand – es war ein Felsen, auf dem noch viel<br />
Außergewöhnlicheres errichtet werden sollte.<br />
194 Auch andere engagierte Frauen gingen damals für ihre politische Überzeugung erhebliche finanzielle Risiken ein.<br />
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass z. B. auch das Hauptorgan der radikalen bürgerlichen Frauen,<br />
„Die Frauenbewegung“, ab 1904 in einem Kommissionsverlag erschien <strong>und</strong> die Herausgeberin Minna Cauer<br />
(1841-1922) damit die volle finanzielle Verantwortung trug.<br />
195 Arbeiterin, 01/ 03/ 17.01.1891.<br />
196 Die Expedition: Zur Beachtung! In: Arbeiterin, 01/ 38/ 19.09.1891.<br />
197 Diese Entwicklung muss bereits einige Monate vor Erscheinen der letzten Nummer am 19. Dezember 1891 absehbar<br />
gewesen sein, denn laut einiger Studien soll es bereits auf dem SPD-Parteitag in Erfurt im Oktober 1891 Ver -<br />
handlungen um ihre Nachfolgerin gegeben haben. Jedoch sind im Protokoll dieses Parteitages ebenso wie damals<br />
in Halle zur Gründung der „Arbeiterin“ keinerlei Angaben zu finden. Wahrscheinlich wurden die Verhandlungen<br />
zwischen Dietz <strong>und</strong> dem SPD-Vorstand in einem inoffiziellen Rahmen geführt.<br />
86
2 Die erste sozialistische Frauenzeitschrift Deutschlands:<br />
„Die Gleichheit“ (1891-1923)<br />
2.1 Zwischen Kontinuität <strong>und</strong> Neubeginn<br />
– Gründung <strong>und</strong> Zielsetzung der „Gleichheit“<br />
Der „Gleichheit“ sollte im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen ein sehr langes „Leben“<br />
beschieden sein, in welchem sie zahlreiche Wandlungen vollzog. Diese Umstände gestalten den<br />
direkten Vergleich mit ihren Vorgängerinnen schwieriger als bisher. Gründung, Selbstver-<br />
ständnis, Redaktion, MitarbeiterInnen, Struktur <strong>und</strong> Inhalte, Finanzen <strong>und</strong> Rezeption der<br />
„Gleichheit“ werden deshalb in eigenständigen Kapiteln skizziert. Dort wird zu gegebenem<br />
Zeitpunkt eingehender auf die Bedeutung des Ersten Weltkrieges, die Entlassung Zetkins aus<br />
der Redaktion der „Gleichheit“ <strong>und</strong> die Einführungen der Beilagen einzugehen sein, da diese<br />
Ereignisse besondere Auswirkungen auf den Charakter <strong>und</strong> das Selbstverständnis der „Gleich-<br />
heit“ <strong>und</strong> damit auch auf die in ihr enthaltenen Frauenleitbilder hatten.<br />
Die Gründung einer politischen Frauenzeitschrift – dies sollte aus dem bisher Dargestellten<br />
ersichtlich geworden sein – bedurfte auch im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert bestimmter gesellschaftlicher <strong>und</strong><br />
historischer Voraussetzungen. In der Regel handelte es sich um ein von einer einzelnen Organi-<br />
sation finanziell getragenes Unternehmen <strong>und</strong> eine von einzelnen Personen bewusst getroffene<br />
Entscheidung. Diese Hintergründe werden in den meisten geschichtswissenschaftlichen<br />
Studien kaum dargestellt.<br />
Im Falle der „Arbeiterin“ war es vor allem der Wechsel der verantwortlichen Personen, der sich<br />
überraschend schnell <strong>und</strong> umfassend vollzog. Die „Arbeiterin“ selbst veröffentlichte in ihrer<br />
letzten Nummer dazu nur eine schlichte <strong>und</strong> kurze Notiz. In dieser gab Ihrer bekannt, dass die<br />
„Arbeiterin“ mit Quartalsschluss in den Verlag von Johann Heinrich Wilhelm Dietz 1 übergehen<br />
<strong>und</strong> die Redaktion des Blattes von Clara Zetkin übernommen werde. 2 Nichts deutete zu diesem<br />
Zeitpunkt aber auf eine Neugründung hin. Einige Tage später, am 20. Dezember 1891, kün-<br />
digte das ebenfalls im Dietz-Verlag erscheinende Humorblatt „Der wahre Jacob“ (1879-1933)<br />
für den Jahresbeginn 1892 schließlich nicht nur die Übernahme, sondern auch die Titelände-<br />
rung der „Arbeiterin“ an. 3<br />
1 Dietz habe die „Arbeiterin“ nur „unter der Bedingung einer völligen Umgestaltung“ (Handbuch des Vereins<br />
der Arbeiterpresse, 3.1914, S. 125) übernommen.<br />
2 Vgl. Arbeiterin, 01/ 51/ 19.12.1891.<br />
3 Vgl. Graf, J. H. W. Dietz 1843-1922 – Verleger der Sozialdemokratie, S. 206. Der „Wahre Jacob“ war die<br />
erfolgreichste Publikation des Dietz-Verlages <strong>und</strong> spielte für die „Querfinanzierung“ der „Gleichheit“ eine entscheidende<br />
Rolle (vgl. ebd., S. 212 <strong>und</strong> Ressmann, Strukturprobleme sozialdemokratischer Medienunternehmen,<br />
S. 64 <strong>und</strong> S. 76f.). Siehe auch: Tabelle 6 „Zuschüsse an zentrale Parteiorgane im Jahre 1921“. Zur<br />
87
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Die Entscheidung, die „Arbeiterin“ durch die „Gleichheit“ <strong>und</strong> Ihrer durch Zetkin zu ersetzen,<br />
dürfte auf dem Erfurter Parteitag gefasst worden sein. Anscheinend geschah dies jedoch ähnlich<br />
wie bei der „Arbeiterin“ eher abseits der offiziellen Verhandlungen, denn das entsprechende Pro-<br />
tokoll weist keine Verhandlung dieser Frage auf. 4 Noch größere Rätsel geben die Umstände auf,<br />
unter denen die Wahl für die Stelle der Redakteurin ausgerechnet auf Zetkin fiel. Denn was kann<br />
Dietz 5 dazu bewogen haben, Zetkin der viel erfahreneren Ihrer vorzuziehen? Die plausibelste<br />
Erklärung ist die, dass Ihrer für die Zusammenarbeit mit dem in Stuttgart ansässigen Verlag ihren<br />
Wohnsitz in Velten hätte aufgeben müssen. Da sie dies jedoch ablehnte 6 , war Dietz genötigt, um-<br />
zudisponieren. 7 In der Art, wie sich die Absage Ihrers gestaltete, erschien es demnach geradezu<br />
ideal, dass Zetkin mit ihren zwei Söhnen bereits in Stuttgart ansässig war. Zetkin, durch ihre bis-<br />
herigen Tätigkeiten als Lehrerin, Schriftstellerin <strong>und</strong> Sozialistin für die Arbeit einer Zeitschriften-<br />
redakteurin scheinbar ausreichend qualifiziert 8 , war zudem bereits seit 1890 für den Dietz-Verlag<br />
tätig. Sie hatte vor allem die sehr erfolgreiche Übersetzung von Edward Bellamys Zukunftsroman<br />
„Looking Backward“ („Ein Rückblick aus dem Jahr 2000“) verfasst. 9 Wenn Zetkin daher für<br />
Dietz zwar nicht die erste Wahl war, so war sie doch eine „logical choice“ 10 . Auch die Tatsache,<br />
Geschichte des „Wahren Jacob“ siehe: Hickethier, Karikatur, Allegorie <strong>und</strong> Bilderfolge, S. 114ff.<br />
4 Weder die „Arbeiterin“ noch die „Gleichheit“ werden im Parteitagsprotokoll erwähnt. Die Delegiertenliste belegt<br />
zwar die Anwesenheit Ihrers als Vertreterin des Wahlkreises Berlin II (Protokoll des SPD-Parteitages Erfurt 1891,<br />
S. 363), jedoch ist weder sie noch Zetkin im Sprech-Register genannt. Auch ein Jahr später wurde Zetkin im<br />
Protokoll des Parteitags in Berlin immer noch nicht als „Gleichheit“-Redakteurin geführt, sondern lediglich als<br />
Vertreterin der organisierten Frauen Württembergs (vgl. Protokoll des SPD-Parteitages Berlin 1892, S. 275).<br />
Dieses war demnach ihre offizielle Parteifunktion, durch die sie zum Parteitag delegiert wurde – nicht jedoch ihre<br />
Position als Redakteurin der „Gleichheit“.<br />
5 Andere Darstellungen behaupten, dass Dietz zwar ohne Zweifel bei der Besetzung der Redaktion eine große Rolle<br />
gespielt habe, es aber Bebel gewesen sei, der Zetkin den Posten als verantwortliche Redakteurin angetragen habe<br />
(vgl. Graf, J. H. W. Dietz 1843-1922 – Verleger der Sozialdemokratie, S. 206 <strong>und</strong> S. 211; Staude, Die Rolle der<br />
„Gleichheit“ im Kampf Clara Zetkins für die Emanzipation der Frau, S. 427). Zusammenfassend ist daher anzunehmen,<br />
dass zumindest Bebel als Vertreter des Parteivorstandes <strong>und</strong> Dietz als zukünftiger Verleger in gemeinsamer<br />
Absprache auf Zetkin zugegangen sind.<br />
6 Vgl. Graf, J. H. W. Dietz 1843-1922 – Verleger der Sozialdemokratie, S. 206 <strong>und</strong> [Hanna, Gertrud?] G. H.: Emma<br />
Ihrer. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 61.<br />
7 Manche Darstellungen widersprechen dem jedoch <strong>und</strong> vermitteln den Eindruck, Dietz habe sich schon von Beginn<br />
an von Ihrer nicht mehr den nötigen Erfolg für das neue Projekt versprochen <strong>und</strong> deshalb Zetkins Anstellung sogar<br />
zur Bedingung seiner eigenen Mitwirkung gemacht (vgl. Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären,<br />
S. 2. Zu Dietz als „Entdecker“ <strong>und</strong> Förderer Zetkins vgl. auch Götze, Clara Zetkin, S. 20f.; Hohendorf, Clara<br />
Zetkin, S. 45; Bauer, Clara Zetkin, S. 10).<br />
8 Es wäre äußerst einseitig Zetkins „Ein- <strong>und</strong> Aufstieg“ in der proletarischen Frauenbewegung lediglich ihren persönlichen<br />
Kontakten zuzuschreiben. Einseitig ist es auch, Zetkin einen Vorwurf daraus zu machen, dass die Bedingungen,<br />
unter denen es ihr gelang, ihre Existenz zu sichern <strong>und</strong> gleichzeitig ihren Interessen nachzugehen, durchaus<br />
günstig waren <strong>und</strong> sie in ihrer politischen Tätigkeit Erleichterung dadurch erfuhr, dass sie sich eine Haushaltshilfe<br />
leisten konnte (vgl. Nickusch/Schröter, Das programmierte Scheitern proletarischer Frauenemanzipation,<br />
S. 669ff.).<br />
9 Bebel hatte damals die finanziell eher schlecht gestellte Zetkin an Dietz „vermittelt“ (Graf, J. H. W. Dietz 1843-<br />
1922 – Verleger der Sozialdemokratie, S. 211).<br />
10 Honeycutt, Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in Wilhelmian Germany, S. 120.<br />
88
2.1 ZWISCHEN KONTINUITÄT UND NEUBEGINN – GRÜNDUNG UND ZIELSETZUNG DER „GLEICHHEIT“<br />
dass sie sich schon unter den Sozialistinnen einen Namen gemacht hatte 11 , unterstützte diese von<br />
Dietz nach rationalen Erwägungen getroffene Entscheidung.<br />
Das von Dietz in die Fähigkeiten <strong>und</strong> die Person Zetkins gesetzte <strong>und</strong> sicher auch begründete Ver-<br />
trauen war jedoch kein Gr<strong>und</strong>, auf Ihrers „guten Namen“ zu verzichten. Fünf Jahre lang nannte<br />
die „Gleichheit“ in ihrem Titelkopf Emma Ihrer als ihre Herausgeberin <strong>und</strong> ein weiteres Jahr als<br />
ihre Begründerin. 12 Ihre Nennung war einerseits ein Tribut an ihre langjährige Tätigkeit <strong>und</strong> an-<br />
dererseits eine sehr geschickte Werbestrategie, denn keine andere Person stand so wie Ihrer für die<br />
Tradition proletarischer Frauenpresse. 13 Sicherlich hatten Arbeiterinnen, die sich bereits mit sozia-<br />
listischen Theorien <strong>und</strong> vor allem mit der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie<br />
auseinandergesetzt hatten, dies auch anhand der Arbeiten Zetkins getan, unter den einfacheren,<br />
weniger aufgeklärten oder auch unter den älteren Arbeiterinnen, die noch sehr an den Gewerk-<br />
schaften orientiert waren, genoss jedoch Ihrer seit langem großes Ansehen. 14 Das Team „Ihrer-<br />
Zetkin“ stand demnach nicht nur für eine Publikationstradition, sondern löste auch das Genera-<br />
tionenproblem innerhalb der heterogenen Leserschaft der „Gleichheit“.<br />
In ihrer Probenummer formulierten Redaktion <strong>und</strong> Verlag der „Gleichheit“ für sich selbst fol-<br />
gende Zielsetzung:<br />
„‘Die G leichheit’ tritt für die volle gesellschaftliche Befreiung der Frau ein,<br />
wie sie einzig <strong>und</strong> allein in einer im Sinne des Sozialismus umgestalteten Gesellschaft<br />
möglich ist, wo mit der ökonomischen Abhängigkeit eines Menschen<br />
von einem anderen Menschen die Gr<strong>und</strong>ursache jeder sozialen Knechtung <strong>und</strong><br />
Aechtung fällt.“ 15<br />
Gemäß des marxistischen Primats der Ökonomie würden die Frauen also nur in einer von allen<br />
kapitalistischen Mechanismen gelösten sozialistischen Gesellschaft völlig frei sein können. Diese<br />
11 „Not only was Zetkin’s name well-known among socialist women, but Dietz felt on the basis of his acquaintance<br />
with Zetkin that she could be relied upon to do a good job.“ (Honeycutt, Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and<br />
Feminist in Wilhelmian Germany, S. 121).<br />
12 Bis GL, 05/ 02/ 23.01.1895/ 9 findet sich direkt unter dem Untertitel die Zeile „Herausgegeben von Emma Ihrer in<br />
Velten (Mark).“ bzw. dann bis GL, 06/ 26/ 23.12.1896/ 201 „Herausgegeben von Emma Ihrer in Pankow bei<br />
Berlin.“. Mit GL, 07/ 01/ 06.01.1897/ 1 wurde der Wortlaut in „Begründet von Emma Ihrer in Pankow bei Berlin”<br />
geändert. Ein Jahr später mit GL, 08/ 01/ 05.01.1898/ 1 entfällt jeglicher Zusatz. Es wäre zu untersuchen, ob es<br />
einen konkreten entzweienden Anlass für diese Entscheidung gegeben hatte. Ihrer dürfte jedenfalls aufgr<strong>und</strong> der<br />
örtlichen Distanz eher als Autorin denn als Herausgeberin gewirkt haben. Ihr sind Artikel schwer zuzuordnen.<br />
Manche zeichnete sie nur mit „i-„. Zu ihren letzten <strong>und</strong> ohnehin selten gewordenen Artikeln für die „Gleichheit“<br />
gehören: Ihrer, Emma: Das Vereinsrecht der Staatsbürgerinnen in Preußen. In: GL, 14/ 11/ 18.05.1904/ 85-87 <strong>und</strong><br />
ein Bericht über den 7. skandinavischen Arbeiterkongress in Christiania (GL, 17/ 19/ 16.09.1907/ 167).<br />
13 Oder wie Honeycutt schreibt: „This was done to emphasize a continuity between the Arbeiterin and Gleichheit,<br />
and probably also because Emma Ihrer’s name was better known among German working women in the early<br />
1890’s than was Clara Zetkin’s.“ (Honeycutt, Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in Wilhelmian<br />
Germany, S. 122).<br />
14<br />
Interessanterweise ist dieses Generationenproblem nicht an einem Altersunterschied der beiden Protagonistinnen<br />
festzumachen, denn beide waren Jahrgang 1857.<br />
15 Die Redaktion <strong>und</strong> der Verlag: An die Leser! In: GL, 02/ Probenummer/ 28.12.1891/ 1.<br />
89
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Gesellschaft der Zukunft war aber innerhalb des Deutschen Reiches der Gegenwart nur durch den<br />
Klassenkampf erreichbar <strong>und</strong> zu diesem wollte die „Gleichheit“ die Massen mobilisieren, indem<br />
sie als „Ruferin […] im Streit“ 16 wirkte. Zetkin gab dieser Zielsetzung regelmäßig Ausdruck in<br />
ihrer „Einladung zum Abonnement“ 17 , die zu einem obligatorischen Bestandteil eines „Gleich-<br />
heit“-Jahrgangs wurde. Die „Gleichheit“ sei eine Interessenvertreterin der Proletarierinnen <strong>und</strong><br />
mache keinen „Unterschied, ob dieselben dem Proletariat der Kopfarbeit oder dem der Handarbeit<br />
angehören“ 18 . Diese so genannten „Kopfproletarierinnen“ seien durch ihre gehobeneren Lebens-<br />
verhältnisse geblendete Frauen <strong>und</strong> täten sich deshalb mit der Bewusstwerdung ihrer tatsächlichen<br />
Klassenlage schwerer als die im Elend lebenden „Handproletarierinnen“. Zetkin war sich jedoch<br />
sicher, dass auch diese meist bürgerlichen Frauen sich bald nicht mehr der „Erkenntniß der Noth-<br />
wendigkeit“ 19 verschließen <strong>und</strong> Mitglieder der sozialdemokratischen Bewegung werden würden.<br />
Eine spezielle, diesen Prozess vielleicht beschleunigende Agitation unter diesen bürgerlichen<br />
Frauen lehnte sie jedoch stets ab, da sie dies als eine Zersplitterung <strong>und</strong> Vergeudung von Kräften<br />
ansah. Nicht den bürgerlichen Frauen die Angst vor der Schädlichkeit des Sozialismus zu nehmen<br />
sei Aufgabe der proletarischen Frauenbewegung, so Zetkin 1894 in ihrem programmatischen Arti-<br />
kel „Reinliche Scheidung“, sondern „die Masse der proletarischen Frauenwelt zum Bewußtsein<br />
ihrer Klassenlage <strong>und</strong> Klassenleiden zu bringen“ 20 .<br />
Es ist vor allem die Auseinandersetzung mit den Zielen der bürgerlichen Frauenbewegung <strong>und</strong><br />
anderer Reformbewegungen, die für Zetkin in der Probenummer der „Gleichheit“ zum Ausgangs-<br />
punkt einer eigenen Ortsbestimmung wird:<br />
„Sie [die „Gleichheit“; M.S.] geht von der Uerberzeugung aus, daß der letzte<br />
Gr<strong>und</strong> der Jahrtausende alten niedrigen gesellschaftlichen Stellung des <strong>weiblichen</strong><br />
Geschlechts nicht in der jeweiligen ‘von Männern gemachten’ Gesetzgebung,<br />
sondern in den durch wirthschaftliche Zustände bedingten Eigenthumsverhältnissen<br />
zu suchen ist.“ 21<br />
Zetkin sah in der gesetzlichen Gleichberechtigung der Frau nur einen Teilerfolg für die Befreiung<br />
der Frau. Ein Teilerfolg, der, wie z. B. das Frauenwahlrecht, vor allem der Minderheit der gebil-<br />
deten <strong>und</strong> besitzenden Frauen zugute käme. Die große Masse der Frauen würde jedoch weiterhin<br />
16 Die Redaktion <strong>und</strong> der Verlag: Einladung zum Abonnement. In: GL, 02/ 26/ 28.12.1892/ 209.<br />
17 Die „Einladung zum Abonnement“ erschien in der ersten <strong>und</strong> letzten Nummer eines Jahrgangs. Dies geschah sehr<br />
regelmäßig von der letzten Nummer des 2. Jahrgangs bis einschließlich derjenigen des 23. Jahrgang (1912/13),<br />
später aber nur sehr unregelmäßig (vgl. Einladung zum Abonnement. In: GL, 25/ 26/ 17.09.1915/ 173).<br />
18 Die Redaktion <strong>und</strong> der Verlag: An die Leser! In: GL, 02/ Probenummer/ 28.12.1891/ 1.<br />
19 Ebd.<br />
20 Reinliche Scheidung. In: GL, 04/ 08/ 18.04.1894/ 63.<br />
21 Die Redaktion <strong>und</strong> der Verlag: An die Leser! In: GL, 02/ Probenummer/ 28.12.1891/ 1.<br />
90
2.1 ZWISCHEN KONTINUITÄT UND NEUBEGINN – GRÜNDUNG UND ZIELSETZUNG DER „GLEICHHEIT“<br />
in „wirthschaftlicher Abhängigkeit von ihren Ausbeutern“ 22 verbleiben müssen. So erblicke die<br />
„Gleichheit“ im Gegensatz zur bürgerlichen Frauenbewegung<br />
„den Feind der Gleichberechtigung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts weder in dem<br />
Egoismus, noch in den Vorurtheilen der Männerwelt, sie predig[e] nicht den Krieg<br />
von Geschlecht zu Geschlecht, sie glaub[e] nicht an die Messiasrolle einer zu<br />
Gunsten der Frauen veränderten Gesetzgebung“ 23 .<br />
Zetkin wollte damit jedoch nicht sagen, dass auf diesen Teilerfolg verzichtet werden könne. Auch<br />
die „Gleichheit“ fordere die gesetzliche Gleichstellung der Frau mit dem Mann, aber sie solle<br />
nicht „letztes Endziel“ 24 , sondern Mittel zum Zweck sein – ein Mittel im Kampf gegen den Kapi-<br />
talismus, den die Arbeiterin gemeinsam mit dem Arbeiter führen müsse.<br />
Erwerbstätige Arbeiterin war die Proletarierin in den Darstellungen der „Gleichheit“ stets nur aus<br />
Zwang. Ein Zwang, von dem sie sich befreien müsse. Die Hausfrauentätigkeit dagegen wird von<br />
Zetkin prinzipiell nicht in Frage gestellt – ein von heutigen Feministinnen häufig kritisierter Punkt<br />
an der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie 25 . Neben der Tätigkeit für Haus <strong>und</strong> Familie<br />
sollte die Proletarierin nun „noch andere Pflichten“ 26 haben. Zetkin konkretisiert diese in ihrem<br />
ersten „Gleichheit“-Artikel zwar noch nicht, aber bald wurde deutlich, dass es sich u. a. um die<br />
Pflicht handelte, aktiv am Klassenkampf teilzunehmen, sich zu organisieren, sich <strong>und</strong> die Kinder<br />
entsprechend zu bilden. Mit der „Gleichheit“ wollte Zetkin „[z]u der gewissenhaften Erfüllung<br />
dieser Pflichten“ 27 erziehen. Ein schwer zu erreichendes Ziel, da wie sie selbst erkannt hatte, die<br />
„Frau bis jetzt mit ihren Interessen <strong>und</strong> Gefühlen ausschließlich im Hause <strong>und</strong><br />
nicht im öffentlichen Leben wurzelte, nur der Familie, nicht der Allgemeinheit ihr<br />
Interesse entgegenbrachte“ 28 .<br />
Zetkin wollte die in ihrem Familienegoismus gefangene proletarische Arbeiterfrau deshalb nicht<br />
nur auf einer sachlichen Ebene ansprechen, sondern auch emotional – auch dieses jedoch mit<br />
einer erziehenden <strong>und</strong> bildenden Intention:<br />
„Hier gilt es nicht blos den Geist aufzuklären, vielmehr auch das Gemüth zu<br />
bilden, im Herzen die rechte Wärme, die flammende Begeisterung für die neuen<br />
Ziele zu erwecken.“ 29<br />
Es ist der so genannte „Gefühlssozialismus“ den Zetkin hier für ihre Zielsetzung nutzen <strong>und</strong><br />
22 Ebd.<br />
23 Ebd.<br />
24 Ebd.<br />
25 Siehe u. a.: Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären.<br />
26 Die Redaktion <strong>und</strong> der Verlag: An die Leser! In: GL, 02/ Probenummer/ 28.12.1891/ 1.<br />
27 Ebd.<br />
28 Ebd.<br />
29 Ebd.<br />
91
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
stärken möchte. Er stellt – dies wird noch anhand der in der „Gleichheit“ veröffentlichten Frauen-<br />
biographien zu zeigen sein – bei vielen Frauen ein auslösendes Moment für ein Engagement<br />
innerhalb der proletarischen Frauenbewegung dar.<br />
Wie alle anderen bisher vorgestellten Redakteurinnen konnte auch Zetkin nicht umhin, ihre<br />
Leserinnen zur Mitarbeit aufzurufen, denn<br />
„wie ein Blatt wird, das hängt nicht allein von der Redaktion <strong>und</strong> dem Verlag,<br />
sondern auch vom Publikum ab. Möge uns daher die Sympathie <strong>und</strong> Mitarbeit<br />
Aller zu Theil werden, die mit uns die gleichen Ziele verfolgen.“ 30<br />
Diese Ziele wurden in der „Gleichheit“ ganz anders präzisiert als in ihrer Vorgängerin. Für die<br />
„Arbeiterin“ hatte Joseph Joos noch lapidar bemerkt, dass sie zwar von der „‘Ausbeutung der<br />
Frau’ <strong>und</strong> vom ‘<strong>weiblichen</strong> Teil des Proletariats’“ 31 gesprochen, aber „[d]as Wort Sozialismus“ 32<br />
nicht erwähnt habe. Bezüglich der Ausrichtung der „Gleichheit“ musste er konstatieren: „Hier<br />
wird nichts mehr verhüllt <strong>und</strong> vertuscht.“ 33 Demnach lagen zwar Kontinuität <strong>und</strong> Neubeginn in<br />
der Gründung der „Gleichheit“ dicht beieinander, doch ist es vor allem das prinzipielle <strong>und</strong> klare<br />
Bekenntnis zum Sozialismus, welches den entscheidenden Unterschied zu ihren Vorgängerinnen<br />
ausmacht <strong>und</strong> das sich sowohl in ihrem Inhalt als auch ihrer Struktur widerspiegelt. Geprägt<br />
wurde dieses klare Bekenntnis <strong>und</strong> damit das Selbstverständnis <strong>und</strong> die Struktur der „Gleichheit“<br />
als die eines Schulungs- <strong>und</strong> Bildungsorgans für Proletarierinnen von einem wissenschaftlichen<br />
Sozialismus, wie ihn Zetkin verstand. Eine Antwort auf die Frage, ob in ihrer Definition des<br />
Sozialismus Momente von Dogmatismus, von Orthodoxie oder Rechthaberei enthalten waren<br />
oder ob es sich um charakterfeste Kompromisslosigkeit <strong>und</strong> unbequeme Dickköpfigkeit handelte,<br />
ist schwer zu finden <strong>und</strong> sicherlich abhängig von der politischen Perspektive, die man selbst ein-<br />
nimmt.<br />
Die Zielsetzung, die Zetkin bereits frühzeitig für die „Gleichheit“ entwickelte, verdeutlicht, dass<br />
sie die besondere Situation der Proletarierinnen erkannt hatte. Je nachdem, ob ihre Interessen als<br />
Arbeiterinnen oder Arbeiterfrauen, Erwerbstätige oder Hausfrauen überwogen – <strong>und</strong> dazu kam,<br />
dass sie oft mehreres in einem waren – musste ihnen mit der „Gleichheit“ ein spezielles Bildungs-<br />
mittel zur Verfügung gestellt werden. Im Verlaufe ihrer Redaktionstätigkeit wich sie jedoch von<br />
dieser Zielsetzung immer mehr ab. In der Probenummer war noch zu lesen:<br />
30 Ebd.<br />
„Die große Masse der Proletarierinnen der Handarbeit ist ja auch noch nicht zum<br />
31 Joos, Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Deutschland, S. 15.<br />
32 Ebd.<br />
33 Ebd.<br />
92
2.1 ZWISCHEN KONTINUITÄT UND NEUBEGINN – GRÜNDUNG UND ZIELSETZUNG DER „GLEICHHEIT“<br />
Bewußtsein ihrer Klassenlage, ihrer Pflichten <strong>und</strong> Rechte erwacht, <strong>und</strong> trotzdem –<br />
oder vielmehr gerade deswegen – ist sie es, an welche sich ‘Die Gleichheit’ in<br />
erster Linie wendet.“ 34<br />
Später leugnete sie diese erste Zielsetzung, die die „Gleichheit“ zu einem Organ der Massen hatte<br />
gestalten wollen. Angesichts der Entwicklung, welche die „Gleichheit“ schließlich genommen<br />
hatte, <strong>und</strong> ihrer sich nur langsam steigernden Anzahl an Abonnements 35 zog sich Zetkin auf die<br />
Position zurück, von Beginn an nur die Schulung einer Elite beabsichtigt zu haben. Auf diese<br />
Weise wollte sie auch jene KritikerInnen zum Schweigen bringen, die stets das zu anspruchsvolle<br />
intellektuelle Niveau <strong>und</strong> die mangelnde Popularität der „Gleichheit“ anklagten. Dieses Niveau<br />
sah sie außerdem im Mangel an geeigneten Artikeln begründet. Wenn Genossinnen auf den<br />
Frauenkonferenzen klagten, die „Gleichheit“ sei nicht populär genug, so forderte sie Zetkin auf,<br />
doch selbst die gewünschten Beiträge zu verfassen. Zetkin wollte sie dann „mit Kußhand ent-<br />
gegennehmen“ 36 . Zetkin betonte immer wieder, dass es kaum eine SPD-Zeitschrift gab, an der so<br />
viele „Laien“ beteiligt seien. Doch wenn diese erfreulicher Weise ihr Können <strong>und</strong> ihren Stil<br />
weiterentwickelten, könne sie als Redakteurin ihre Arbeiten doch schlecht ablehnen. Zetkin war<br />
sich ihrer Position sehr sicher, denn den KritikerInnen rief sie 1911 nur zu: „Paßt es Ihnen nicht, –<br />
ich klebe nicht am Amt. (Bewegung.)“ 37 .<br />
Die Kritik hatte demnach nie nachgelassen, obwohl Zetkin bereits 1904 dadurch eingelenkt hatte,<br />
indem sie der Einführung zweier populär gehaltener Beilagen zustimmte. Diese Beilagen sind als<br />
eine Ergänzung des bisherigen Schulungs- <strong>und</strong> Aufklärungskonzeptes zu sehen, denn das Haupt-<br />
blatt wurde in seinem Umfang nicht vermindert. Aber auch hinsichtlich ihrer Gestaltung wollte<br />
Zetkin keine Kompromisse eingehen <strong>und</strong> sich etwa mittels einer entsprechenden, den Leserinnen<br />
wohlgefälligen Gestaltung den Zutritt in die Arbeiterfamilien „erkaufen“. Sie wollte die Lese-<br />
rinnen eben nicht auf dem Niveau ansprechen, auf dem sie infolge einer ungenügenden Schul-<br />
bildung standen, sondern sie auf ein höheres heben. Auf den Charakter der sehr erfolgreichen<br />
Beilagen 38 wird im Rahmen der Darstellung der einzelnen „Gleichheit“-Rubriken noch näher ein-<br />
gegangen. 39<br />
34 Die Redaktion <strong>und</strong> der Verlag: An die Leser! In: GL, 02/ Probenummer/ 28.12.1891/ 1.<br />
35 Die ersten Angaben für die Abonnements der „Gleichheit“ gibt es erst ab 1902 (1902: 4.000; 1903: 9.500; 1904:<br />
12.000); siehe: Tabelle 7 „Abonnentinnen der ‘Gleichheit’“.<br />
36 Zetkin im Bericht über die 6. sozialdemokratische Frauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1911,<br />
S. 426.<br />
37 Ebd.<br />
38 Die Zahl der Abonnements hatte sich 1905 durch einen Anstieg auf 23.000 nahezu verdoppelt.<br />
39 Siehe: Kapitel 2.4.5.<br />
93
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Zwar sah Zetkin in „dem Ruf nach Popularität ein sehr tief begründetes <strong>und</strong> wichtiges Bedürf-<br />
nis“ 40 , sie verwies aber zugleich auf die großen Qualitätsunterschiede populärer Unterhaltung.<br />
Auf dem SPD-Parteitag in Jena 1913 betonte sie nochmals, dass die „Gleichheit“ zu Beginn<br />
„ausschließlich das Organ der Genossinnen [sein sollte], die von vornherein eine<br />
Elite des <strong>weiblichen</strong> Proletariats darstellten, die zum Teil schon in der allgemeinen<br />
Bewegung eine größere Schulung erhalten hatte. Diese geschulte Elite zusammenzuhalten<br />
<strong>und</strong> noch weiter zu erziehen, [sei] die vornehmste Aufgabe der ‘Gleichheit’.“<br />
41<br />
Diese Aufgabe habe jene Elite so erfolgreich erfüllt, dass die proletarische Frauenbewegung rasch<br />
wuchs. Die Mehrheit der ihr zuströmenden proletarischen Frauen seien jedoch Gefühlssozialis-<br />
tinnen <strong>und</strong> noch nicht mit dem „ABC“ 42 sozialistischer Auffassungen vertraut. Der Vermittlung<br />
dieses ABCs wolle sich die „Gleichheit“ nun verstärkt zuwenden. Sie sollte nun ein gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
„werbendes Organ“ 43 werden. Für die so geworbenen „Nachrückenden, die morgen oder über-<br />
morgen an unserem eigenen Platz stehen werden“ 44 , war Zetkin sogar bereit, Raum in der „Gleich-<br />
heit“ auch auf Kosten anderer Inhalte zu schaffen. Jedoch nur unter der Bedingung, dass „[a]n<br />
dem Gehalt <strong>und</strong> dem Charakter des übrigen Teils […] nichts geändert“ 45 würde. Der Erste Welt-<br />
krieg verhinderte diese konzeptionelle Weiterentwicklung jedoch.<br />
Bevor die Parteitagsdelegierten in Jena angesichts dieser bereitwilligen Annäherung hätten an-<br />
nehmen können, Zetkin habe mit ihrer Ankündigung irgendeine Form von Fehler eingestanden,<br />
rechtfertigte sie ihre bisherigen redaktionellen Ziele wie folgt:<br />
„Uebrigens will ich dieses bemerken: Was Sie an der ‘Gleichheit’ meinen tadeln zu<br />
müssen, die angeblich unpopuläre Schreibweise, unterscheidet sich im allgemeinen<br />
in nichts von der Schreibweise unserer übrigen Parteipresse. Es sind die nämlichen<br />
Mitarbeiter <strong>und</strong> Mitarbeiterinnen, die auch dort das Wort führen, <strong>und</strong> ich kann<br />
hinzufügen, daß wir vielleicht kein Organ in unserer Partei haben, daß daneben in<br />
so großer Zahl Mitarbeiter <strong>und</strong> Mitarbeiterinnen aus den erwachenden Schichten<br />
des Proletariats zählt, wie gerade die ‘Gleichheit’.“ 46<br />
Es ist demnach auffällig, dass anscheinend von einer Frauenzeitschrift weit größere Erfolge<br />
erwartet wurden als von anderen Parteiorganen 47 – <strong>und</strong> dies, obwohl die „Gleichheit“ ein deutlich<br />
40 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1913, S. 254.<br />
41 Ebd.<br />
42 Ebd.<br />
43 Ebd., S. 255.<br />
44 Ebd.<br />
45 Ebd.<br />
46 Ebd.<br />
47 Laut Protokoll eben jenes Parteitages in Jena 1913 betrug die Zahl der Abonnements der „Gleichheit“ 112.000, die<br />
der „Neuen Zeit“ 10.500, des „Vorwärts“ 157.100 <strong>und</strong> des „Wahren Jacob“ 371.000 (vgl. ebd., S. 30-32) – angesichts<br />
diesen direkten Vergleichs erscheint die an Zetkin geübte Kritik vollkommen unbegründet.<br />
94
2.1 ZWISCHEN KONTINUITÄT UND NEUBEGINN – GRÜNDUNG UND ZIELSETZUNG DER „GLEICHHEIT“<br />
schwierigeres Aufgabenfeld besaß <strong>und</strong> oft wenig Unterstützung durch die Parteiorganisation er-<br />
fuhr, denn nicht nur die bürgerliche Gesellschaft verstand es, die proletarische Frauenbewegung<br />
mit zweierlei Maß zu messen. Auf die Zusammensetzung der „Gleichheit“-Mitarbeiterschaft wird<br />
noch an anderer Stelle eingegangen werden. 48<br />
Schließlich wehrte sich Zetkin gegen den in jener Kritik enthaltenen Vorwurf, ihre Redaktions-<br />
arbeit sei ungenügend:<br />
„Meinen Sie, ich würde in ausgesuchter Bosheit <strong>und</strong> Dummheit gute, populäre<br />
Artikel über unsere sozialistischen Ideen nicht annehmen, wenn ich sie bekäme?<br />
Nicht mit einer, nein mit zwei Kußhänden würde ich sie veröffentlichen. (Große<br />
Heiterkeit.) Aber das Pech ist eben, ich warte <strong>und</strong> warte, jedoch solche Artikel<br />
gehen mir äußerst selten einmal zu.“ 49<br />
Diese Bemerkung Zetkins zeigt, dass es ihr schließlich nicht anders erging als ihren Vor-<br />
gängerinnen Guillaume-Schack <strong>und</strong> Ihrer, die ebenfalls vergeblich auf Beiträge aus den Reihen<br />
der Leserinnen gehofft hatten. Das Ausbleiben einer solchen Beteiligung kann der Redakteurin<br />
einer Frauenzeitschrift nicht zum Vorwurf gemacht werden – zumal im Falle der „Gleichheit“<br />
auch ein Redaktionswechsel nichts daran zu ändern vermochte.<br />
48 Siehe: Kapitel 2.3.<br />
49 Ebd., S. 255.<br />
95
2.2 Amt oder Meinung?<br />
– Die Redaktionen der „Gleichheit“<br />
2.2.1 Die „Ära Zetkin“ <strong>und</strong> der Erste Weltkrieg<br />
Im Folgenden werden die Redakteurinnen der „Gleichheit“ vor allem in ihrer Tätigkeit für<br />
diese dargestellt. Besonders die unbekannteren unter ihnen werden mit einer Auswahl ihrer<br />
Artikel <strong>und</strong> behandelten Themen sowie mit einigen biographischen Informationen vorgestellt.<br />
In den ersten 25 Jahren war es vornehmlich Clara Zetkin, die für die Gestaltung <strong>und</strong> Redaktion<br />
der „Gleichheit“ verantwortlich zeichnete. Bezüglich dieser Tätigkeit von einer „Ära Zetkin“<br />
zu sprechen, ist durchaus gerechtfertigt, denn in den ersten Jahren war sie nicht nur Re-<br />
dakteurin der „Gleichheit“, sondern auch Verfasserin nahezu sämtlicher Artikel. Welch großes<br />
Arbeitspensum sie dabei zu bewältigen hatte, wird aus folgender Tätigkeitsbeschreibung für<br />
den Beruf des Redakteurs deutlich:<br />
„Noch spezifischer ist die Aufgabe des Redakteurs, der allein Anspruch darauf<br />
erheben kann, als Schriftleiter bezeichnet zu werden. Er hat vor allem zu<br />
redigieren, d. h. das einlaufende Material nach den besonderen Anforderungen<br />
des Tages, der Umwelt <strong>und</strong> der einzelnen Zeitung auszuwählen, zu formen <strong>und</strong><br />
druckfertig zu machen. Freilich, um formen zu können, muß er selbst zu<br />
schreiben verstehen, <strong>und</strong> manchmal stellt die eigene Formulierung den Hauptteil<br />
seiner Arbeit dar. Daher muß er sich auf den verschiedensten Sachgebieten auskennen,<br />
sich in die verschiedensten Darstellungsformen einfühlen können. Er<br />
muß wissen, was die Tradition <strong>und</strong> Haltung der Zeitung <strong>und</strong> die Erwartungen<br />
der Leser erfordern, er muß ständig Anregungen geben, Ideen haben <strong>und</strong> an<br />
stillen wie an bewegten Tagen immer frisch <strong>und</strong> unermüdlich sein. Alle die<br />
vielfältigen Anforderungen an den Journalisten müssen von ihm als dem<br />
eigentlichen Zeitungsgestalter erfüllt werden.<br />
Die Vielfalt der journalistischen Anforderungen verlangt schon rein körperlich<br />
vom Zeitungsmann ungewöhnliche Belastungen. Man denke an Nachtarbeit,<br />
Sonntagsarbeit, Überst<strong>und</strong>en, an das nervenaufreibende Getriebe der ‘großen’<br />
Tage <strong>und</strong> der ‘letzten’ Minuten, an die Stöße von Manuskripten, Telegrammen<br />
<strong>und</strong> Zeitungen, die nicht gelesen, sondern überflogen werden müssen, an die<br />
sich jagenden Telefonate, Besprechungen, Besuche, Reisen, Kongresse! Um<br />
alledem gewachsen zu sein, bedarf es strenger Selbstzucht <strong>und</strong> Konzentration,<br />
weiter der Fähigkeit, unabhängig von Stimmungen <strong>und</strong> Launen stets arbeitsbereit<br />
zu sein, sobald die Sache es verlangt, ohne auf Inspiration zu warten oder<br />
Gedanken <strong>und</strong> Formulierungen sorgfältig abwägen zu können, ohne an<br />
Zuverlässigkeit, Frische <strong>und</strong> Stilsicherheit einzubüßen. Nur eine scharfe Intelligenz<br />
<strong>und</strong> ein überdurchschnittliches Gedächtnis für Namen, Zahlen, Tatsachen,<br />
setzen den Journalisten in den Stand, ohne langwierige Nachprüfungen <strong>und</strong><br />
Rückfragen sofort eine sichere Antwort zu wissen, wenn Aktualitäten eine<br />
schnelle Entscheidung verlangen. Aber der Journalist wird erst dann über den<br />
Durchschnitt hinausragen <strong>und</strong> im stande sein, die Öffentlichkeit wirksam anzusprechen,<br />
wenn er es nämlich versteht, eine Linie zu halten, Wege zu weisen,<br />
neue Ideen wirksam zu vertreten. Dazu aber gehören ein starker Glaube an seine<br />
Sache, ja ein Sendungsbewußtsein, eine temperamentvolle Vertretung der<br />
97
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
eigenen Ideen, der Mut, gegen den Strom zu schwimmen <strong>und</strong> schließlich eine stilistische<br />
Ausdrucksfähigkeit, die jeder Aufgabe gewachsen ist. Der führende Journalist<br />
muß also eine Persönlichkeit sein, ein gefestigter <strong>und</strong> geläuterter Charakter,<br />
der sich nicht durch Lockungen oder Drohungen von seinem Weg abbringen<br />
läßt. Für die meisten anderen Berufe – man denke an den Pädagogen, den Gelehrten,<br />
den Arzt, den Kaufmann –, genügt die eine oder die andere der genannten<br />
Eigenschaften. Der Journalist wird es ohne diese Qualitäten nie zu einer führenden<br />
Rolle in der Öffentlichkeit bringen.“ 50<br />
Es erfordert für den Beruf des Redakteurs demnach sowohl Können als auch eine besondere<br />
innere Einstellung. Zetkin war sich bereits sehr früh ihrer Stellung <strong>und</strong> ihrer Verantwortung<br />
bewusst, was einer der Gründe gewesen sein dürfte, weshalb sie es als unnötig erachtete, ihre Arti-<br />
kel namentlich zu zeichnen. Vielleicht wollte sie zudem die „Gleichheit“ nicht als das erscheinen<br />
lassen, was sie anfangs ohne Zweifel war: Eine „One-Woman-Show“ 51 . Offiziell jedoch erklärte<br />
Zetkin diese Eigenart – in der für sie sehr typischen selbstbewussten Art – mit folgenden Worten:<br />
„Ich zeichne meine Artikel überhaupt nie. Es gehört nicht zu meinen Gepflogenheiten,<br />
wie das Gegacker der Henne, welche ein Ei legt, unter jede meiner Arbeiten<br />
meinen Namen zu setzen. Ich glaube der Unterschrift in der Gleichheit umso eher<br />
enthoben zu sein, als ich das Blatt als verantwortliche Redakteurin zeichne <strong>und</strong><br />
damit für jeden Fall die volle Verantwortlichkeit für alles übernehme, was in der<br />
Zeitung zur Veröffentlichung gelangt.“ 52<br />
Zetkin sah ihre Verantwortlichkeit als allumfassend an. So trugen selbst nachdem sie einige<br />
AutorInnen für die „Gleichheit“ gewonnen hatte, einige Artikel unverkennbar ihre redigierend-<br />
korrigierende Handschrift. 53 Sie selbst machte auch gar keinen Hehl aus ihren Bearbeitungen <strong>und</strong><br />
erklärte ihr „erweitertes“ Redaktionsstatut wie folgt:<br />
„Wenn die Ansichten (der Autoren) nur unbedeutend von unseren abweichen, dann<br />
beziehe ich nicht einmal Position. Erscheinen sie mir fragwürdiger, dann füge ich<br />
eine Fußnote oder ein Postskript bei, in welchem ich den Standpunkt des Autors<br />
50 Hagemann, Die Zeitung als Organismus, S. 217f. Es ist anzunehmen, dass Zetkin auch die Aufgaben eines<br />
Umbruchredakteurs wahrgenommen <strong>und</strong> damit das charakteristische Äußere der „Gleichheit“ gestaltet hat.<br />
51 „In the early years of Gleichheit’s existence Zetkin not only edited the paper but wrote most of the articles which<br />
appeared in its pages. Few of these articles were signed, however, since neither editor nor publisher were eager to<br />
have Gleichheit appear as what it actually was at this time, namely a one-woman show.” (Honeycutt, Clara Zetkin:<br />
A Left-wing Socialist and Feminist in Wilhelmian Germany, S. 125; vgl. auch Karstedt, Die „Gleichheit“ – eine<br />
one-woman-show). Der Begriff „One-Woman-Show“ hat eine deutlich negative Konnotation. Richebächer vermag<br />
es neutraler auszudrücken: „Clara Zetkin blieb bis zu ihrer Entlassung aus der Redaktion (1917) ihre [der<br />
„Gleichheit“; M.S.] strukturierende <strong>und</strong> inhaltlich gestaltende Kraft, so daß man Die Gleichheit im wesentlichen<br />
(<strong>und</strong> in den ersten Jahren auch wörtlichen) Sinne als ihr Werk bezeichnen kann.“ (Richebächer, Uns fehlt nur ein<br />
Kleinigkeit, S. 120).<br />
52 Zetkin, Clara [: Ohne Titel]. In: GL, 02/ 26/ 28.12.1892/ 216. Der DDR-Historiker Fritz Staude verteidigt in<br />
seinem Aufsatz diese vermeintliche Arroganz Zetkins. Sie resultiere nicht aus „persönlichem Ehrgeiz“, sondern sei<br />
vielmehr Ausdruck ihres „revolutionäre[n] Verantwortungsbewußtsein[s]“. Er schreibt weiter: „Sie wachte mit<br />
äußerster Gewissenhaftigkeit darüber, daß der Inhalt aller Beiträge den Erfordernissen der gegebenen Situation<br />
entsprach <strong>und</strong> daß jeder Beitrag das Seine leistete in der Auseinandersetzung mit jeweils anstehenden Fragen <strong>und</strong><br />
zugleich der Weiterentwicklung der Bewegung diente.“ (Staude, Die Rolle der „Gleichheit“ im Kampf Clara<br />
Zetkins für die Emanzipation, S. 434).<br />
53 Vgl. Honeycutt, Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in Wilhelmian Germany, S. 126.<br />
98
2.2.1 DIE „ÄRA ZETKIN“ UND DER ERSTE WELTKRIEG<br />
charakterisiere. Wenn dagegen nach meiner Meinung die Ansichten ernsthaft<br />
unseren f<strong>und</strong>amentalen Auffassungen widersprechen, dann polemisiere ich gegen<br />
den Autor.“ 54<br />
Das „Polemisieren“ war für Zetkin mehr als nur reine Boshaftigkeit, ihr „Letztes-Wort-<br />
Fetischismus“ mehr als nur Rechthaberei. Es war ihre Art der Auseinandersetzung mit Beiträgen,<br />
die ihrer Meinung nach der sozialistischen Gesinnung der Leserinnen nicht zuträglich waren. Eine<br />
Diskussionskultur, die auf manche Autorinnen <strong>und</strong> Leserinnen sicherlich abschreckend gewirkt<br />
haben dürfte. 55 Doch auch wenn Zetkins Einfluss groß gewesen sein mag, so war er jedoch nicht<br />
unbeschränkt <strong>und</strong> innerhalb der „Gleichheit“-Redaktion, so Riepl-Schmidt, auch nicht „un-<br />
gebrochen akzeptiert“ 56 . Im Gegensatz zu dem, was Zetkins Worte vermuten lassen, konstatiert<br />
Riepl-Schmidt am Beispiel Anna Blos‘ (1866-1933) 57 , dass selbst „Artikel, die nicht ‘linientreu’<br />
waren“ 58 von der „Gleichheit“-Redakteurin nicht „zensiert oder unterdrückt“ 59 worden seien.<br />
Selbstbewusst formulierte die Redakteurin Zetkin ihre Aufgabe wie folgt: „[I]ch habe nicht ein<br />
Amt, sondern eine Meinung, <strong>und</strong> danach gestalte ich die ‘Gleichheit’.“ 60 Diese Selbstcharak-<br />
terisierung richtet das Augenmerk auf Zetkins Verhältnis zur Parteihierarchie, das von ihren<br />
Biographinnen sehr unterschiedlich bewertet wird. Allerdings lässt sie kaum die Interpretation zu,<br />
wonach Zetkin sich selbst als einen „Parteisoldaten“ 61 gesehen hätte. Denn tatsächlich waren es<br />
54 Clara Zetkin in einem Brief an Käte Duncker, 17.11.1906. Zit. nach: Karstedt, Die Gleichheit – eine „one-woman<br />
show“, S. 18.<br />
55 Auch hinsichtlich der Rezeption der „Gleichheit“ wird diese abschreckende Wirkung noch Gegenstand dieser<br />
Untersuchung sein; siehe: Kapitel 2.5.<br />
56 Riepl-Schmidt, Wider das verkochte <strong>und</strong> verbügelte Leben, S. 167.<br />
57 Anna Blos, geb. Tomasczewska, wurde im schlesischen Liegnitz geboren <strong>und</strong> war Tochter eines Oberstabsarzt Sie<br />
besuchte erst die Viktoria-Pension <strong>und</strong> dann das Prinzeß-Wilhelm-Stift in Karlsruhe i.B.. Blos studierte<br />
Geschichte, Literatur <strong>und</strong> Sprachen an der Universität Berlin, wurde Lehrerin <strong>und</strong> schließlich Oberlehrerin. 1905<br />
heiratete sie Wilhelm Blos (1849-1927), der als Redakteur verschiedener sozialistischer Blätter arbeitete <strong>und</strong> hier<br />
noch an anderer Stelle vorgestellt wird. Blos engagierte sich besonders in der Schulpolitik <strong>und</strong> wurde Mitglied des<br />
Ortsschulrats Stuttgart. Obwohl sie dem rechten Flügel der SPD angehörte <strong>und</strong> eng mit der bürgerlichen<br />
Frauenbewegung im “Deutschen Hausfrauenverein” zusammenarbeitete, war sie seit 1905 Autorin für die<br />
„Gleichheit”. Ab 1914 übernahm sie Tätigkeiten in der Kriegsfürsorge, wurde Vorsitzende des Verbandes der<br />
Stuttgarter Hausfrauen, Mitglied des Ernährungsbeirats <strong>und</strong> Mitglied des Landesvorstandes der SPD. 1919 wurde<br />
sie Abgeordnete der Nationalversammlung <strong>und</strong> hatte bis Juni 1920 ein Mandat als Abgeordnete des Reichstags<br />
inne. Sie verfasste u. a. Schriften, die einen frauengeschichtlichen Bezug haben: „Die Frauen der deutschen<br />
Revolution 1848“ (1928), „Die Frauen in Schwaben. Fünfzehn Lebensbilder“ (1929), „Die Frauenfrage im Lichte<br />
des Sozialismus“ (1930). <strong>Von</strong> besonderer Bedeutung für die vorliegende Arbeit ist ihre von September 1919 bis<br />
Juli 1920 erschienene Artikelreihe „Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, in der folgende acht Frauen porträtiert<br />
wurden: Bettina von Arnim, Charlotte Stieglitz, Rahel Levin, Charlotte von Stein, Malvida von Meysenbug,<br />
Karoline Schlegel-Schelling, Luise Aston <strong>und</strong> Karoline von Humboldt.<br />
58 Riepl-Schmidt, Wider das verkochte <strong>und</strong> verbügelte Leben, S. 167.<br />
59 Ebd.<br />
60 Zetkin im Bericht über die 6. sozialdemokratische Frauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1911,<br />
S. 426.<br />
61 Puschnerat spricht dagegen sogar von einer „parteisoldatische[n] Unterwürfigkeit“ (Puschnerat, Clara Zetkin –<br />
Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 44) Zetkins.<br />
99
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
gleich mehrere Ungeheuerlichkeiten, derer sie sich mit ihrer Erklärung schuldig machte: Wenn die<br />
„Gleichheit“-Redaktion ihrer Ansicht nach kein Parteiamt der SPD war, so sah sie sich demnach<br />
von Parteiinstanzen <strong>und</strong> Parteiströmungen vollkommen unabhängig. Obendrein stellte sie die freie<br />
Diskussion <strong>und</strong> das Recht auf eine persönliche Meinung höher als die Interessen der Partei oder<br />
eine Parteidisziplin bzw. ging davon aus, dass es ohnehin zwischen ihrer Position <strong>und</strong> derjenigen<br />
der Partei zu keinem wesentlichen Dissens kommen könne. Zetkins Selbstcharakterisierung stand<br />
zudem in einer interessanten Kongruenz mit der Idealvorstellung, die der „Neue-Zeit“-Redakteur<br />
Karl Kautsky von einem Chefredakteur-Mitarbeiter-Verhältnis zeichnete:<br />
„‘Er ist nicht der Herr seiner Mitredakteure, sondern nur der erste unter gleichen;<br />
er kann seine Autorität nicht aus seinem Amte ziehen, sondern nur aus der<br />
Überlegenheit seines Wissens, seiner Erfahrungen, seiner Fähigkeiten <strong>und</strong> ihrer<br />
freudigen Anerkennung durch seine Kollegen.’“ 62<br />
Die Bilder, die jedoch von Zetkin als Redakteurin gezeichnet wurden <strong>und</strong> werden, sind sehr<br />
gegensätzlich. Einige BiographInnen <strong>und</strong> ZeitgenossInnen betonen Zetkins kompromisslose<br />
Dominanz, die kein anderes Talent neben dem eigenen <strong>und</strong> keine andere Meinung außer der<br />
ihrigen geduldet habe. 63 Andere sprechen dagegen von einer besonderen Fähigkeit, sich als<br />
erfahrene <strong>und</strong> aufgeschlossene Redakteurin stets um neue AutorInnen bemüht, Hilfestellung<br />
geleistet <strong>und</strong> verborgene Talente gefördert zu haben 64 . So zeichnet z. B. Ilberg folgendes Bild von<br />
dem Redaktionsalltag Zetkins:<br />
„Noch ein letzten prüfenden Blick wirft Clara Zetkin in die Spalten des Blattes.<br />
Dann legt sie es beiseite. Ihre Zeit ist, wie immer, auf die Minute eingeteilt. Ein<br />
ganzer Stapel von Briefen aus der Feder von Arbeiterinnen harrt bereits der<br />
Lektüre, der sie stets viel Sorgfalt widmet. Gerade der Inhalt dieser Post bildet<br />
einen der Gr<strong>und</strong>pfeiler der ‘Gleichheit’, ja noch mehr: So manche Arbeiterin, die<br />
Clara in ungelenken Schriftzügen ihre Sorgen anvertraut hat, ist ganz allmählich<br />
zur ständigen Korrespondentin der Zeitung geworden. Clara weiß Talente<br />
aufzuspüren <strong>und</strong> zu entwickeln.[…] Voll Mitgefühl legt die Redakteurin das<br />
Brieflein beiseite. […] Claras Herz wird niemals abgestumpft.“ 65<br />
Ilberg versucht mit ihrer sehr literarischen Beschreibung nicht nur ein positives mitfühlendes Bild<br />
vom Charakter Zetkins zu zeichnen, sondern auch die „Gleichheit“ als basisnahes Organ dar-<br />
zustellen. 66 Auch Anna Blos beschrieb die Arbeit mit Clara Zetkin als „sehr angenehm“ 67 <strong>und</strong><br />
62 Karl Kautsky zit. nach: Koszyk, Zwischen Kaiserreich <strong>und</strong> Diktatur, S. 23.<br />
63 Vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 67 <strong>und</strong> S. 86 <strong>und</strong> Karstedt, Die Gleichheit –<br />
eine „one-woman show“, S. 16ff. Sehr aussagekräftig für die vielschichtige Persönlichkeit Zetkins sind die von<br />
Karstedt gewählten Zwischenüberschriften „Mutter Theresa oder Mutter Courage“; „‘Pf<strong>und</strong>sweib’ <strong>und</strong> ‘Bestie’“<br />
(ebd.).<br />
64 Vgl. Dornemann, Clara Zetkin. Leben <strong>und</strong> Wirken, S. 108.<br />
65<br />
Ilberg, Clara Zetkin, S. 69.<br />
66 Zur Beteiligung von Leserinnen an der „Gleichheit“ siehe: Kapitel 2.5.<br />
67 Blos, Die Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 25.<br />
100
2.2.1 DIE „ÄRA ZETKIN“ UND DER ERSTE WELTKRIEG<br />
Henriette Fürth (1861-1936) 68 , die Zetkins Polemik sehr deutlich zu spüren bekam, empfand<br />
ihren Führungsstil sogar als sehr mütterlich:<br />
„‘[…] wie treulich sie [Zetkin; M.S.] sich jüngerer oder unerfahrener<br />
Parteigenossen in mütterlicher Fürsorge oder als geistige Beraterin <strong>und</strong> Führerin<br />
annahm. Ich bin ihr jedenfalls zu grossem Dank verpflichtet für Rat <strong>und</strong><br />
Förderung, die sie mir über ein Jahrzehnt hindurch zuteil werden ließ.’“ 69<br />
All dies belegt schließlich vor allem, dass Zetkins Redaktionsarbeit nicht losgelöst von ihrem<br />
Charakter <strong>und</strong> ihrer politischen Einstellung beurteilt 70 <strong>und</strong> weder für die Persönlichkeit Zetkins<br />
noch für die „Gleichheit“ ein alleingültiges Urteil getroffen werden kann. 71<br />
Neben Zetkin war es vor allem Käte Duncker (1871-1953) 72 , die 1906-1908 als zweite<br />
68 Henriette Fürth, geb. Katzenstein, wurde in Gießen geboren. Sie war Tochter eines jüdischen Holzfabrikanten,<br />
besuchte eine höhere Mädchenschule <strong>und</strong> heiratete 1880 den Kaufmann Wilhelm Fürth, einen Vetter der Mutter.<br />
In der Zeit von 1881-1899 brachte sie sechs Töchter <strong>und</strong> zwei Söhne zur Welt. 1885 zog die Familie nach<br />
Frankfurt am Main um. Hier wurde Fürth zu einer Vorkämpferin der Mutterschutzbewegung <strong>und</strong> der „Deutschen<br />
Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten”. In der „Frankfurter Zeitung“ (1874-1926[?]) erschienen<br />
1888 ihre ersten Artikel. Sie publizierte nicht nur in SPD-Blättern (so seit 1894 im „Sozialdemokrat“),<br />
sondern auch in bürgerlichen Frauenzeitschriften, z. B. in „Die Frau”. Ihre erste größere Arbeit handelte von der<br />
Frauenarbeit in der Herrenschneiderei <strong>und</strong> erschien 1896. Sie engagierte sich jedoch nicht nur schriftstellerisch<br />
(teilweise unter dem Pseudonym G. Stein) für sozial-pädagogische, sozial-hygienische <strong>und</strong> wirtschaftliche Fragen,<br />
sondern auch vereinspolitisch. Fürth war außerdem Mitglied des „Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen<br />
Glaubens”. Während des Ersten Weltkrieges arbeitete sie im „Nationalen Frauendienst” mit. Fürth wurde erstes<br />
weibliches Mitglied in der „Deutschen Gesellschaft für Soziologie“. 1919-1924 war sie Stadtverordnete in Frankfurt<br />
am Main. Fürth arbeitete während der Weimarer Republik außerdem als Volksschullehrerin <strong>und</strong> als Bezirksleiterin<br />
der AWO.<br />
69 Fürth, Streifzüge, S. 139. Zit. nach: Klausmann, Politik <strong>und</strong> Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich, S. 138.<br />
70 An der von Puschnerat verfassten Biographie fällt jedoch umgekehrt die starke Vernachlässigung der „Gleichheit“<br />
auf <strong>und</strong> dies, obwohl sie Puschnerat „mit Fug <strong>und</strong> Recht als Quelle für eine Analyse der Mentalität Zetkins“<br />
(Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 86) diente. In nur einem einzigen Absatz skizziert<br />
Puschnerat die Entwicklungslinie von der Einrichtung der beiden Beilagen 1905 über die Zensur während des<br />
Ersten Weltkrieges bis zur Entlassung Zetkins 1917 (vgl. ebd., S. 86f.) <strong>und</strong> bleibt damit äußerst oberflächlich.<br />
71 Vgl. Blos, Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 24f.<br />
72 Käte – eigentlich Paula Kathinka – Duncker, geb. Döll, wurde in Lörrach geboren <strong>und</strong> entstammte einer<br />
Kaufmannsfamilie. Sie war erst fünf Jahre alt, als ihr Vater starb. Sie besuchte ab 1880 die Höhere Töchterschule<br />
in Friedrichsroda, die Hauswirtschaftsschule in Gotha <strong>und</strong> schließlich 1888-1890 ein Lehrerinnenseminar in<br />
Eisenach. Duncker arbeitete als Lehrerin in Friedrichsroda, am Steyberschen Institut in Leipzig <strong>und</strong> in Hamburg,<br />
wo sie in Kontakt mit der Arbeiterbewegung kam. Seit 1894 war sie Mitglied in verschiedenen Bildungsvereinen<br />
<strong>und</strong> ihrer Beteiligung an Arbeiterstreiks folgte 1896 die Entlassung aus dem staatlichen Schuldienst. 1896/97<br />
versah Duncker eine Lehrerinnenstelle an der privaten höheren Mädchenschule in Hamburg – in diese Zeit muss<br />
ihre erste Begegnung mit Zetkin fallen. 1898 wurde sie SPD-Mitglied <strong>und</strong> im selben Jahr heiratete sie den<br />
Musikstudenten <strong>und</strong> späteren SPD-Parteifunktionär Hermann Duncker. Sie brachte drei Kinder zur Welt. Duncker<br />
wirkte als Rednerin <strong>und</strong> Delegierte, bekleidete 1899-1905 das Amt der Leiterin von Frauenabenden <strong>und</strong><br />
engagierte sich besonderes in Bildungs- <strong>und</strong> Frauenerwerbsarbeitsfragen. 1899 wurde sie Mitarbeiterin, später<br />
Vorsitzende des „Frauen- <strong>und</strong> Mädchenvereins Leipzig“. Durch ihren Redaktionsposten bei der „Gleichheit“ lebte<br />
sie 1906-1908 von ihrem Ehemann getrennt in Süddeutschland. 1908-1912 war sie Mitglied des zentralen SPD-<br />
Bildungsausschusses. Duncker stand auf dem radikalen Flügel der SPD, war Kriegsgegnerin <strong>und</strong> Teilnehmerin auf<br />
der Berner Frauenfriedenskonferenz 1915. Es folgten Hausdurchsuchungen <strong>und</strong> Redeverbot. 1916 war sie<br />
Mitgründerin des Spartakusb<strong>und</strong>es <strong>und</strong> dann KPD-Mitglied. Eine Welle von Verhaftungen ließ Duncker erst zu<br />
ihrem Sohn nach Dänemark, später nach Schweden reisen, aber schließlich wieder nach Deutschland zurückkehren.<br />
1921-1923 war Duncker KPD-Abgeordnete des thüringischen Landtags in Gotha. 1933-1938 betrieb sie<br />
die in Friedrichsroda gelegene Pension ihrer Mutter <strong>und</strong> verhalf vielen Verfolgten zur Flucht ins Ausland. 1938<br />
emigrierte Duncker in die USA, wo sie als Hausgehilfin <strong>und</strong> Sprachlehrerin arbeitete. 1947 kehrten die Eheleute<br />
101
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Schriftleiterin der „Gleichheit“ eine besondere Stellung innehatte. Duncker selbst beschrieb ihren<br />
Eintritt in die Redaktion der „Gleichheit“ so:<br />
„Auf einer der alle zwei Jahre stattfindenden sozialistischen Frauenkonferenzen<br />
[Mannheim 1906; M.S.] habe ich der Überlasteten [Clara Zetkin; M.S.] eines Tages<br />
aus dem Gefühl, ihr helfen zu müssen, meine Mitarbeit angeboten <strong>und</strong> erhielt kurze<br />
Zeit später die Aufforderung, in die Redaktion der Frauenzeitung ‘Die Gleichheit’<br />
einzutreten. Jahre engster Zusammenarbeit folgten in Stuttgart, dem Sitz der<br />
Redaktion. Während ich hauptsächlich die neuen Frauenbeilagen bearbeitete, behandelte<br />
Clara Zetkin mit ihrem überragenden Wissen die politischen Themen.“ 73<br />
Zetkin muss demnach durch den Auftritt Dunckers in Mannheim <strong>und</strong> ihr Referat zur Fürsorge für<br />
Schwangere <strong>und</strong> Wöchnerinnen sehr beeindruckt gewesen sein. Doch auch schon vor der<br />
Frauenkonferenz <strong>und</strong> vor diesem Angebot hatte Duncker daran gedacht, für die „Gleichheit“ zu<br />
schreiben 74 , <strong>und</strong> hatte Zetkin sich von deren schriftstellerischen Qualitäten überzeugen können.<br />
Nach den vorliegenden Recherchen 75 erschien Dunckers erster größerer Artikel im Hauptblatt der<br />
„Gleichheit“ bereits im April 1901. Er trug den Titel „Kulturbild aus Wesungen“ 76 <strong>und</strong> beschäf-<br />
tigte sich mit den Folgen eines Hamburger Tabakarbeiterstreiks. 77 Außerdem berichtete Duncker<br />
in ihren Artikeln häufig aus der bürgerlichen Frauenbewegung 78 , entwickelte Ideen für eine<br />
bessere Agitation unter den proletarischen Frauen 79 <strong>und</strong> beteiligte sich an aktuellen Diskussionen<br />
der proletarischen Frauenbewegung 80 . Besonders auffällig ist ihre von November 1911 bis März<br />
Duncker gemeinsam nach Berlin zurück. Beide wurden Mitglieder der SED, waren aber nicht mehr parteipolitisch<br />
aktiv.<br />
73 Duncker, Käte: Temperamentvoll, witzig <strong>und</strong> gescheit. Käte Duncker erzählt von Clara Zetkin. In: Clara Zetkin.<br />
Leben <strong>und</strong> Lehren einer Revolutionärin, S. 12-13, S. 13.<br />
74 Bereits in einem Brief an ihren Ehemann am 15.07.1896 kündigte Duncker den Versuch an, „‘etwas für die<br />
‘Gleichheit’ zu schreiben’“ (Käte Duncker in einem Brief an Hermann Duncker am 15.07.1896. Zit. nach:<br />
Deutschland, Heinz: Käte Duncker (1871-1953), o. S.).<br />
75 Die Angaben zu den ersten in der „Gleichheit“ erschienenen Artikel einer Autorin oder eines Autors werden<br />
mangels eines Gesamtregisters <strong>und</strong> in Anbetracht der vielen Artikel, die ungezeichnet oder nicht zuordenbar<br />
gezeichnet sind, unter Vorbehalt gemacht.<br />
76<br />
[Duncker, Käte?] K. D.: Kulturbild aus Wesungen. In: GL, 11/ 08/ 10.04.1901/ 60-61.<br />
77 Die Tabakfabrikanten waren unter dem Druck dieses Streiks dazu übergegangen, ihre Unternehmen in Gegenden<br />
anzusiedeln, in denen es zuvor keine ähnliche Industrie gab <strong>und</strong> in denen die ArbeiterInnen demnach nicht<br />
organisiert waren – so auch in das im Werratal gelegene Wasungen, das Duncker irrtümlicherweise als Wesungen<br />
bezeichnete. Dieses „Paradies für Zigarrenfabrikanten“ (ebd., S. 60) wurde jedoch gestört, nachdem 1899 erstmals<br />
eine Zahlstelle des Tabakarbeiterverbandes in Wasungen gegründet worden war. Duncker berichtete im Weiteren<br />
des Artikels von einer Versammlung, die sie für diese Zahlstelle abhalten wollte, aber laut polizeilichem Verbot<br />
nicht durfte.<br />
78<br />
79<br />
[Duncker, Käte?] K. D.: Die Generalversammlung des katholischen Frauenb<strong>und</strong>es in München. In: GL, 17/ 01/<br />
09.01.1907/ 4; Der neue Vereinsgesetzentwurf <strong>und</strong> die bürgerlichen Frauen. In: GL, 18/ 04/ 17.02.1908/ 35;<br />
Liberalismus <strong>und</strong> Frauenfrage. In: GL, 18/ 10/ 11.05.1908/ 89-90 (dies war ein Bericht von einem Referat der<br />
bürgerlichen Frauenrechtlerin Else Lüders (1872-1948), welches diese auf dem dritten Parteitag der Freisinnigen<br />
Vereinigung gehalten hatte).<br />
[Duncker, Käte?] K. D.: Was lehren uns die Reichstagswahlen? In: GL, 17/ 04/ 20.02.1907/ 26-27.<br />
80 Duncker, Käte: Zur Frauenkonferenz. I. In: GL, 20/ 09/ 31.01.1910/ 129-130 (Leitartikel).<br />
102
2.2.1 DIE „ÄRA ZETKIN“ UND DER ERSTE WELTKRIEG<br />
1912 erscheinende Artikelserie „Die Teuerung“ 81 , mit der sie den Leiterinnen von Lese- <strong>und</strong><br />
Diskussionsabenden geeigenetes Unterrichtsmaterial an die Hand geben wollte. Dunckers Artikel<br />
für die Kinderbeilage erschienen häufig unter dem Pseudonym „Neuland“, aber auch unter ihrem<br />
richtigen Namen 82 . Zudem ist sie die Verfasserin zweier Nachrufe, deren Rekonstruktionen in der<br />
Zusammenstellung dieser Arbeit zu finden sind. 83 Dunckers Mitarbeit an der „Gleichheit“ endete<br />
im Dezember 1908. Zu diesem Zeitpunkt war sie hochschwanger <strong>und</strong> diese veränderten Familien-<br />
verhältnisse ließen eine aufwendige Redaktionstätigkeit nicht mehr zu – ihre agitatorischen <strong>und</strong><br />
schriftstellerischen Tätigkeiten setzte sie jedoch fort. 84<br />
Wertvoll sind Dunckers – wenn auch zum jeweiligen Zeitpunkt unterschiedlich reflektierten –<br />
Erinnerungen an Zetkin als Redakteurin der „Gleichheit“. In den Briefen an ihren Ehemann<br />
beschrieb sie durchaus auch die Probleme, die sie mit dem dominanten Redaktionsstil Zetkins<br />
hatte:<br />
„‘Die Kindernummer scheint mir diesmal recht nett. Die ist das einzige, was mir<br />
Spaß gemacht hat. (…) Frau Zetkin schreibt mir alles, alles vor, sogar die<br />
Reihenfolge der Artikel. Ich kann mich einfach nicht rühren <strong>und</strong> fungiere<br />
eigentlich nur als Schreibmaschine (…) Seit sie wußte, daß ich den Leiter<br />
[Leitartikel] für die Nummer schreiben sollte, schrieb sie mir viermal höchst<br />
aufgeregt, was ich alles nicht schreiben dürfte – meist Dummheiten <strong>und</strong><br />
Taktlosigkeiten.’“ 85<br />
Trotz dieser Reibereien war das Verhältnis der beiden Frauen aber ein sehr gutes. Duncker ließ<br />
sich nicht endlos von Zetkin gängeln, sondern bewies auch Rückgrat gegenüber der Frau, die für<br />
sie Vorbild war:<br />
„‘Die gute Zetkin ist sichtlich verschnupft (…), weil ich ihr gesagt habe, daß ich<br />
keine Endtermine für meine Arbeit von ihr angegeben wünsche […] Ich habe mir<br />
81 Duncker, Käte: Die Teuerung. Für die Lese- <strong>und</strong> Diskussionsabende [I-VI]. In: GL, 22/ 04/ 15.11.1911/ 51-54 bis<br />
GL, 22/ 13/ 18.03.1912/ 195-199.<br />
82 Es seien hier nur zwei Beispiele mit einem besonders hervorzuhebenden geschichtlichen Bezug genannt:<br />
[Duncker, Käte?] K. D.: Die Sklaverei im Altertum. In: GL, 18 (1908)/ „Für unsere Kinder“ 05/ 33-35; Der<br />
Sklavenaufstand in Sizilien. In: GL, 18 (1908)/ „Für unsere Kinder“ 08/ 57-59.<br />
83<br />
[Duncker, Käte?] K. D.: Flora Schulze – Leipzig †. In: GL, 14/ 25/ 30.11.1904/ 199; Klara Wehmann †. In: GL,<br />
25/ 24/ 20.08.1915/ 161. Weitere Artikel von Käte Duncker <strong>und</strong> eine Beschreibung ihrer Inhalte werden in der von<br />
Ruth Kirsch verfassten Biographie angegeben (vgl. Kirsch, Käte Duncker, S. 76ff.). Aktuell wird außerdem von<br />
Dres. Ruth <strong>und</strong> Heinz Deutschland die schriftstellerische Tätigkeit Dunckers untersucht <strong>und</strong> ein umfassendes<br />
Verzeichnis ihrer Schriften erstellt.<br />
84 Vgl. Kirsch, Käte Duncker, S. 92. 1910 brachte Duncker gemeinsam mit Zetkin auf der Konferenz der<br />
Sozialistischen Fraueninternationale in Kopenhagen den Antrag auf Einrichtung des Internationalen Frauentages<br />
ein. Duncker war dem linken Flügel der SPD zuzuordnen <strong>und</strong> wurde während des Ersten Weltkriegs<br />
Mitbegründerin des Spartakusb<strong>und</strong>es <strong>und</strong> schließlich Mitglied der KPD. Besonders ihre Briefe an ihren Ehemann<br />
Hermann Duncker spiegeln ihre antimilitaristische Haltung wider (vgl. Deutschland, Ich kann nicht durch Morden<br />
mein Leben erhalten).<br />
85 Käte Duncker in einem Brief an Hermann Duncker, 15.02.1907. Zit. nach: Deutschland, Käte Duncker (1871-<br />
1953).<br />
103
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
jetzt vorgenommen, ohne viel Worte zu verlieren, alles so zu machen, wie ich es<br />
gut finde <strong>und</strong> ihre ‘Befehle’ einfach zu ignorieren, wenn ich mit ihnen nicht<br />
einverstanden bin. Entweder sie läßt es geschehen, oder es kommt zum Krach. Die<br />
Kinderbeilage freilich gäbe ich nur sehr ungern auf.’“ 86<br />
Es scheint eine vorwiegend professionelle Beziehung gewesen sein, denn Duncker bezeichnete<br />
Zetkin in diesen Briefen nicht als „Clara“.<br />
Die Nachfolge Dunckers als Beilagen-Redakteurin trat Berta Selinger (1880-?) 87 an. Diese hatte<br />
bis dahin bereits für das Hauptblatt einige Artikel verfasst. 88 In den Beilagen lassen sich jedoch<br />
kaum Hinweise für eine Autoreninnentätigkeit Selingers finden. 89 Es stellt sich sich dadurch die<br />
Frage, ob sie ein Pseudonym verwendete oder sich auf eine redaktionelle Tätigkeit beschränkte.<br />
Das einschneidendste Ereignis für die Redaktion der „Gleichheit“ unter Zetkin war der Eintritt des<br />
Deutschen Reiches in den Ersten Weltkrieg im August 1914. Die Bewilligung der Kriegskredite<br />
durch die SPD-Reichstagsfraktion <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>ene Abkehr von den Gr<strong>und</strong>sätzen der<br />
Internationale waren für Zetkin verständlicherweise eine große Enttäuschung. 90 Während sie<br />
daraufhin in der „Gleichheit“ eine Position gegen die nationalistische SPD-Parteilinie vertrat,<br />
warben andere Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung für ein Engagement in den neu<br />
gegründeten Organisationen des bürgerlich dominierten „Nationalen Frauendienstes“ (NFD). 91<br />
So ist es ausgerechnet Luise Zietz (1865-1922) 92 , die als Vertreterin der <strong>weiblichen</strong><br />
86 Käte Duncker in einem Brief an Hermann Duncker, 11.03.1908. Zit nach: Ebd.<br />
87 Berta Selinger wurde im böhmischen Niemes geboren. Ihr Vater war Fabrikarbeiter <strong>und</strong> sie musste bereits als<br />
Kind ihrer heimarbeitenden Mutter beim Flechten von Rohrmöbeln helfen. Später arbeitete sie als Hilfskraft im<br />
Kleingewerbe, Haushaltshilfe, Lehrmädchen in einer Bücherei <strong>und</strong> Druckereiarbeiterin. Sie besuchte die SPD-<br />
Parteischule in Berlin <strong>und</strong> arbeitete dann unter Zietz im SPD-Frauenbüro <strong>und</strong> unter Zetkin in der „Gleichheit“-<br />
Redaktion.<br />
88 Selinger, Berta: Zur Frauenkonferenz. I. In: GL, 20/ 11/ 28.02.1910/ 164-165; Um Wissen <strong>und</strong> Bildung. In: GL,<br />
21/ 12/ 13.03.1911/ 184. Selinger, B[erta]: Kampf-Weihnacht! In: GL, 22/ 07/ 25.12.1911/ 97-98 (dies war ein die<br />
Frauenagitationsarbeit des Jahres 1911 resümierender Leitartikel).<br />
89 Vgl. Schulze, Die proletarische Mutter als sozialistische Erzieherin, S. 43.<br />
90 Eine von Zetkins ersten schriftlichen Reaktionen auf die Kriegskreditbewilligung ging in Form eines Briefes am<br />
5. August 1914 u. a. an den Redakteur <strong>und</strong> württembergischen Landtagsabgeordneten Johann Westmeyer. Sie<br />
mahnte darin zum Zusammenhalt <strong>und</strong> zur Vernunft. Außerdem schloss sie bereits zu diesem Zeitpunkt nicht aus,<br />
nach dem Krieg aus der SPD auszutreten (Clara Zetkin in einem Brief an Johann Westmeyer, 05.08.1914. Zit.<br />
nach: Kuczynski, Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges <strong>und</strong> die deutsche Sozialdemokratie, S. 97f.).<br />
91 Zum „Nationalen Frauendienst“ <strong>und</strong> zur <strong>weiblichen</strong> Erwerbstätigkeit im Ersten Weltkrieg siehe: Eifert, Wann<br />
kommt das „Fressen“, wann die „Moral“?; Planert, Zwischen Partizipation <strong>und</strong> Restriktion; Scholze, Zur<br />
proletarischen Frauenbewegung in den Weltkriegsjahren 1914 bis 1917; Daniel, Arbeiterfrauen in der<br />
Kriegsgesellschaft; Guttmann, Weibliche Heimarmee.<br />
92 Luise Zietz, geb. Körner, wurde im holsteinischen Bartgeheide geboren <strong>und</strong> war die Tochter eines selbständigen<br />
Wollwirkers <strong>und</strong> Webers. Sie besuchte die Volksschule, arbeitete erst im väterlichen Betrieb mit <strong>und</strong> wurde dann<br />
bei Verwandten als Kindermädchen eingestellt. Einige Jahre später begann sie an der Fröbelschule in Hamburg<br />
eine Ausbildung zur Kindergärtnerin. Sie heiratete den Hafenarbeiter Karl Zietz, doch die Ehe scheiterte. Durch<br />
ihn in Kontakt mit der Arbeiterbewegung Hamburgs gekommen, war Zietz seit 1892 selbst agitatorisch, organisatorisch<br />
<strong>und</strong> schriftstellerisch für die SPD tätig. 1896 hielt Zietz bei einem Hamburger Hafenarbeiterstreik ihre<br />
104
2.2.1 DIE „ÄRA ZETKIN“ UND DER ERSTE WELTKRIEG<br />
Parteimitglieder im Parteivorstand am 28. August 1914 in der „Gleichheit“ einen Artikel<br />
veröffentlichte, in welchem sie nicht nur zur Hilfe bei Auskunfterteilung, in der kommunalen<br />
Arbeit, der Kinderfürsorge <strong>und</strong> der Kranken- <strong>und</strong> Wöchnerinnenhilfe aufforderte, sondern auch<br />
zur Zusammenarbeit mit eben jenem NFD. 93 Verw<strong>und</strong>erlich ist nicht nur die inkonsequente<br />
Position Zietz‘, sondern auch die Tatsache, dass ein solcher Artikel überhaupt hatte in der<br />
„Gleichheit“ erscheinen können. War es vielleicht der sich verschlechternde Ges<strong>und</strong>heitszustand<br />
Zetkins gewesen, der eine günstige Gelegenheit dafür gegeben hatte?<br />
Des Öfteren zwangen nun ges<strong>und</strong>heitliche Probleme Zetkin, ihre Redaktionsarbeit zu<br />
vernachlässigen. Die Rolle ihrer „Koredakteure“ wurde während des Krieges immer bedeutsamer,<br />
aber durch die herrschende Zensur für männliche sozialdemokratische Redakteure auch immer<br />
gefährlicher. Am 1. August 1914 sollte Otto Krille (1878-1954) 94 – ohnehin ein rühriger<br />
Mitarbeiter der „Gleichheit“ <strong>und</strong> Verfasser zahlreicher Gedichte 95 – die zweite Schriftleitung, also<br />
vornehmlich die Redaktion der Beilagen, übernehmen. Dazu kam es allerdings nicht, weil er als<br />
Soldat einberufen wurde. Auch Clara Zetkins Sohn Konstantin Zetkin (1885-1980), der Krille<br />
daraufhin kurzfristig ersetzte <strong>und</strong> vermutlich mit dem Kürzel kz. zeichnete, wurde im März 1915<br />
erste öffentliche Rede. 1900-1908 hatte sie das Amt der Vertrauensperson Hamburgs inne <strong>und</strong> war Mitglied im<br />
Parteivorstand der Hamburger SPD. 1908 wurde Zietz das erste weibliche Mitglied im Vorstand einer politischen<br />
Partei, sie wurde „Reichsfrauensekretärin“ der SPD. Zietz war neben Zetkin die erfolgreichste Agitatorin der SPD<br />
<strong>und</strong> besaß ein besonderes rednerisches Talent, so dass man sie auch als den „<strong>weiblichen</strong> Bebel” bezeichnete. Zu<br />
Beginn des Krieges noch auf SPD-Kurs <strong>und</strong> Unterstützerin des NFD, änderte sich ihre Position gr<strong>und</strong>legend. 1917<br />
erfolgte daraufhin ihre Entlassung aus dem Amt der Reichsfrauensekretärin, als welche sie viele Broschüren <strong>und</strong><br />
Flugschriften verfasst hatte. Sie trat in die USPD ein <strong>und</strong> wurde in dessen Parteivorstand ebenfalls<br />
Frauensekretärin. 1919 wurde Zietz in die Nationalversammlung, 1920 in den Reichstag gewählt. 1922 erlitt sie<br />
während einer Rede im Reichstag einen Ohnmachtsanfall <strong>und</strong> starb am nächsten Morgen.<br />
93 Zietz, Luise: Unsere Aufgaben. In: GL, 24/ 24/ 28.08.1914/ 371. <strong>Von</strong> dieser Haltung distanzierte Zietz sich im<br />
Juni 1915 wieder, indem sie einen von Karl Liebknecht verfassten offenen Brief gegen den Krieg unterschrieb. Sie<br />
wurde schließlich ein überzeugtes Mitglied der USPD. Antje Dertinger vermutet jedoch, dass Luise Zietz, hätte sie<br />
die Wiedervereinigung von USPD <strong>und</strong> SPD erlebt, sich wieder der sozialdemokratischen Mehrheit angeschlossen<br />
hätte (vgl. Dertinger, Frauen im Reichstag, S. 4).<br />
94 Otto Moritz Krille, der auch unter dem Pseudonym Eugen Tubandt schrieb, wurde im sächsischen Börnersdorf<br />
geboren <strong>und</strong> entstammte sehr ärmlichen Verhältnissen. <strong>Von</strong> 1891-1893 besuchte er eine Soldatenknaben-<br />
Erziehungs-Anstalt, brach dann aber eine Ausbildung zum Unteroffizier ab. Er lebte bis 1900 als Fabrikarbeiter in<br />
Dresden <strong>und</strong> begann für sozialdemokratische Blätter Gedichte zu schreiben. Dank einer Gönnerin konnte er in<br />
Berlin verschiedene Universitäten besuchen. Er wurde Redakteur verschiedener sozialdemokratischer Zeitschriften<br />
in Harburg <strong>und</strong> Stuttgart <strong>und</strong> Schriftleiter der literarischen Wochenschrift „Die Lese“ (1910-1920). Krille<br />
gehörte schließlich dem revisionistischen Flügel der SPD an. Aus dem Ersten Weltkrieg kehrte er mit einem<br />
Nervenleiden zurück. Krille war Mitbegründer des überparteilichen Bündnisses zum Schutz der Weimarer<br />
Republik „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ <strong>und</strong> wurde, nun in München lebend, dessen Gausekretär für<br />
Oberbayern-Schwaben. 1933 emigrierte er nach Zürich. Besonders in den Jahren 1903 bis 1914 war Krille<br />
schriftstellerisch produktiv: „Aus engen Gassen“ (1904), „Aus Welt <strong>und</strong> Einsamkeit“ (1905), „Neue Fahrt“ (1908)<br />
<strong>und</strong> „Das stille Buch“ (1913). Das autobiographische Werk „Unter dem Joch. Geschichte einer Jugend“ erschien<br />
1941.<br />
95 Eines seiner Gedichte trägt den Titel „Maria Lwowna Berditschewskaja“ <strong>und</strong> ist, weil es den zu dieser russischen<br />
Revolutionärin verfassten biographischen Artikel ergänzte, im Anhang enthalten.<br />
105
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
zum Kriegsdienst verpflichtet. 96 Er übergab den Posten an Edwin Hoernle (1883-1952) 97 . Sehr<br />
plötzlich musste dieser dann sogar „[d]ie Last der ganzen Redaktionsarbeit“ 98 alleine tragen, denn<br />
Zetkin hatte ein von der internationalen Frauenfriedenskonferenz in Bern 99 verfasstes illegales<br />
Flugblatt mit dem Titel „Frauen des arbeitenden Volkes!“ verteilt <strong>und</strong> war dafür von August bis<br />
Oktober 1915 in Untersuchungshaft genommen worden. Auch im September 1916 war es Hoernle<br />
<strong>und</strong> nicht Zetkin, der als „Gleichheit“-Redakteur mit beratender Stimme am Berliner SPD-<br />
Parteitag teilnahm. 100 Während seiner Zeit als „Gleichheit“-Redakteur wurde Hoernle zweimal<br />
wegen antimilitaristischer Aktionen erst in Untersuchungshaft genommen <strong>und</strong> anschließend zum<br />
Kriegsdienst einberufen. 101<br />
Die Inhaftierung Zetkins <strong>und</strong> die Schwierigkeiten, sie zu vetreten, machten es sogar zeitweise<br />
erforderlich, dass die Redaktionssekretärin Johanna Buchheim (?-?) 102 die Aufgabe der ver-<br />
96 Hier die Titel einiger seiner „Gleichheit“-Artikel: [Zetkin, Konstantin?] Kz.: Der Kaiser <strong>und</strong> die Frauen. In: GL,<br />
20/ 25/ 12.09.1910/ 386-387; Der Sohn seines Vaters. In: GL, 22/ 05/ 27.11.1911/ 67; Scherben. In: GL, 22/ 18/<br />
29.05.1912/ 273 (Leitartikel); Süß <strong>und</strong> ehrenvoll ist es, fürs Vaterland zu sterben. In: GL, 24/ 03/ 29.10.1913/ 41-<br />
42. Die Zusammenarbeit mit seiner Mutter scheint sich schwierig gestaltet zu haben. Zetkin war wenig begeistert<br />
von der Tätigkeit für die „Gleichheit“ <strong>und</strong> wäre lieber seiner Leidenschaft für das Bergsteigen nachgegangen. Dies<br />
<strong>und</strong> seine Neigung zum Müßiggang beschreibt Ettinger in ihrer Biographie zu Rosa Luxemburg, die eine<br />
Liebesbeziehung mit Konstantin Zetkin hatte (vgl. Ettinger, Rosa Luxemburg, S. 177).<br />
97 Edwin Hoernle wurde im württembergischen Cannstatt geboren <strong>und</strong> war Sohn eines Pfarrers <strong>und</strong> Missionars,<br />
weshalb er einige Zeit seiner frühen Kindheit in Indien verbrachte. Nach Privatunterricht, Besuch einer<br />
Lateinschule schlug auch er zuerst die Laufbahn eines Theologen ein <strong>und</strong> studierte 1904-1908 in Tübingen <strong>und</strong><br />
Berlin. 1909 aber gab Hoernle den theologischen Beruf auf, brach mit seiner Familie <strong>und</strong> siedelte nach Berlin<br />
über. 1910 trat er in die SPD ein <strong>und</strong> arbeitete seitdem als Redakteur für verschiedene SPD-Blätter. 1912 über -<br />
nahm Hoernle die Redaktion der „Schwäbischen Tagwacht“ (1890-1933) in Stuttgart, die er jedoch wegen seines<br />
Engagements gegen den Burgfrieden 1914 verlassen musste. 1915 wurde er Leiter des Druckschriftenvertriebes<br />
der Gruppe Internationale. Im November 1918 war Hoernle Mitglied im Arbeiter- <strong>und</strong> Soldatenrat Groß-Stuttgart<br />
<strong>und</strong> schließlich Gründungsmitglied der KPD, in deren Zentralkomitee er 1920 Mitglied wurde. Er engagierte sich<br />
besonders in Bildungs- <strong>und</strong> Jugendfragen, aber auch in Fragen der Agrarwirtschaft <strong>und</strong> wurde ein führender kommunistischer<br />
Politiker, bekleidete hohe Ämter <strong>und</strong> wurde zu verschiedenen internationalen Kongressen delegiert.<br />
1933 emigrierte er im Auftrag der KPD erst in die Schweiz <strong>und</strong> dann in die Sowjetunion, wo er wiederum verschiedene<br />
Ämter in der Agrarpolitik übernahm. 1938 wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. 1942<br />
arbeitete Hoernle als Lehrer in der ersten Schule für deutsche Kriegsgefangene im Lager Oranki. 1945 kehrte<br />
Hoernle nach Deutschland zurück <strong>und</strong> war in der SBZ maßgeblich an den Bodenreformen beteiligt. Ab 1949<br />
bekleidete er einen Lehrstuhl für Agrarpolitik.<br />
98 Die Maßregelung der Redaktion der Gleichheit. In: Frauen-Beilage der „Leipziger Volkszeitung“, 01/ 01/<br />
29.06.1917/ 2-3.<br />
99 Zur Friedensbewegung der deutschen Frauen siehe: Hering/Wenzel, Frauen riefen, aber man hörte sie nicht.<br />
100 Vgl. Protokoll des SPD-Parteitages Berlin 1916, S. 183.<br />
101 Hoernle <strong>und</strong> seine Ehefrau Helene (?-?) wurden im August 1916 wegen „Aufruhrs“ verhaftet. Seine Ehefrau<br />
wurde wegen Krankheit wieder entlassen, Hoernle aber wurde im September zwar nicht wegen Aufruhrs, aber<br />
wegen „Auflaufs“ zu vier Wochen Haft verurteilt (vgl. Im Stuttgarter Aufruhrprozeß … In: GL, 26/ 26/<br />
15.09.1916/ 191; Verhaftungen in Stuttgart. In: GL, 26/ 23/ 04.08.1916/ 175.<br />
102 Marie Johanna Buchheim war nicht nur eine Mitarbeiterin Clara Zetkins, sie war durch ihre Heirat mit Maxim<br />
Zetkin im April 1919 auch deren Schwiegertochter. Sie brachte im Februar 1922 in Stuttgart Sohn Wolfgang zur<br />
Welt. Doch die Ehe scheiterte <strong>und</strong> wurde in den 1920er Jahren wieder geschieden. Briefe von ihr sind im Zetkin-<br />
Nachlass des B<strong>und</strong>esarchivs enthalten. In Publikationen zum Leben Clara Zetkins fand sie bisher keinerlei Erwähnung.<br />
Vermutlich war sie die Tochter des Postbeamten <strong>und</strong> späteren Buchhändlers Ewald Buchheim (?-1912),<br />
der außerdem mehr als 20 Jahre als Leiter der Buchhandelsabteilung des Dietz Verlages <strong>und</strong> damit im Versand der<br />
„Gleichheit“ tätig gewesen war <strong>und</strong> in einem Nachruf geehrt wurde (vgl. Ewald Buchheim †. In: GL, 22/ 11/<br />
106
2.2.1 DIE „ÄRA ZETKIN“ UND DER ERSTE WELTKRIEG<br />
antwortlichen Redakteurin übernahm. So wurden Nummer 24, 25 <strong>und</strong> 26 des 25. Jahrgangs,<br />
Nummer 1 <strong>und</strong> 2 des 26. Jahrgangs <strong>und</strong> auch die Nummer 1 <strong>und</strong> 2 der Beilage „Für unsere Mütter<br />
<strong>und</strong> Hausfrauen“ vertretungsweise von Buchheim redigiert. 103 Die Leitartikel dieser Nummern<br />
behandelten u. a. aktuelle Entwicklungen <strong>und</strong> Alltagsprobleme der Bevölkerung <strong>und</strong> ihr Duktus<br />
lässt eher auf Buchheim als Verfasserin schließen. Im Falle, dass sie quasi noch der Schublade<br />
Zetkins entnommen worden wären, hätten sie entsprechend gezeichnet werden müssen. 104<br />
Zetkin bezog zwar in der „Gleichheit“ eine deutliche <strong>und</strong> prinzipielle Position gegen den Krieg –<br />
konsequent antimilitaristisch <strong>und</strong> dem proletarischen Internationalismus verpflichtet – doch sah<br />
auch sie in ähnlicher Weise wie die bürgerlichen <strong>und</strong> später mehrheitssozialdemokratischen<br />
Frauen in ihm einen Prüfstein für die „Pflichterfüllung“ der Frau:<br />
„In allen Ländern hat der Krieg helles Licht darauf geworfen, wie wertvoll, wie<br />
unentbehrlich die Mitarbeit der Frauen auf wirtschaftlichem Gebiet, wie im<br />
öffentlichen Leben ist, wie bedeutungsvoll ihr häusliches Walten. In reichem Maße<br />
<strong>und</strong> mit größter Selbstlosigkeit erfüllen die Frauen in dieser schweren Zeit<br />
Bürgerpflichten . In der Zukunft hat das nicht nur noch mehr zu geschehen,<br />
sondern dem Eifer, der Hingabe muß auch die Einsicht in das gesellschaftliche<br />
Getriebe <strong>und</strong> Geschehen ebenbürtig sein, <strong>und</strong> die Zielklarheit des Wollens<br />
<strong>und</strong> Handelns, die daraus erwächst.“ 105<br />
Zetkin stellte der nationalistischen Prägung des <strong>weiblichen</strong> Eifers, seiner patriotischen Verklärung,<br />
wie sie der NFD betrieb, die sozialistische Weltanschauung, die Überzeugung von der Not-<br />
wendigkeit einer revolutionären Umwälzung der Gesellschaft entgegen. Angesichts des<br />
enttäuschenden Scheiterns internationaler sozialistischer Solidarität konstatierte sie für die<br />
„Gleichheit“:<br />
„Denn weit davon entfernt, eine Abschwächung <strong>und</strong> Abstumpfung der<br />
sozialistischen Auffassung gesellschaftlicher Dinge zu lehren, predigt der Krieg<br />
mit gewaltiger Stimme die Notwendigkeit der klarsten Herausarbeitung, der<br />
größten Vertiefung der sozialistischen Aufassung, als der unerschütterlichen<br />
19.02.1912/ 170).<br />
103 Vgl. GL, 25/ 24/ 20.08.1915/ 164 bis GL, 26/ 02/ 15.10.1915/ 16. Auf der letzten Seite jeder Nummer ist<br />
folgender Vermerk zu finden: „Verantwortlich für die Redaktion: In Vertretung Hanna Buchheim in Stuttgart.“<br />
(ebd., S. 164).<br />
104 [Buchheim, Johanna?:] Die neuen Höchstpreise. In: GL, 25/ 24/ 20.08.1915/ 157-158; Der Reichstag. In: GL, 25/<br />
25/ 03.09.1915/ 165-166 (hierin entlarvte Buchheim anhand der Reichstagsdebatten den Verteidigungskrieg als<br />
Expansionskrieg). In Nummer 26 stand an der Stelle eines Leitartikels lediglich die für die letzte bzw. erste<br />
Nummer eines Jahrgangs obligatorische „Einladung zum Abonnement“ (GL, 25/ 26/ 17.09.1915/ 173);<br />
Frauenarbeit <strong>und</strong> Frauenlöhne während des Kriegs. In: GL, 26/ 01/ 01.10.1915/ 1-3; Eine vorübergehende<br />
Erscheinung? In: GL, 26/ 02/ 15.10.1915/ 9-10 (dieser Leitartikel kritisierte die Aufhebung der Arbeitsschutzbestimmungen<br />
seit Beginn des Krieges <strong>und</strong> zeigte die Schattenseiten der Frauenarbeit auf, zumal die meisten neu<br />
ins Erwerbsleben gestoßenen Frauen unorganisiert waren. Buchheim nahm nicht an, dass sich an deren<br />
Ausbeutung in Friedenszeiten etwas ändern würde).<br />
105 Die Redaktion <strong>und</strong> der Verlag: Einladung zum Abonnement. In: GL, 25/ 26/ 17.09.1915/ 173.<br />
107
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Gr<strong>und</strong>lage für die künftige Einheit des Erkennens, Wollens <strong>und</strong><br />
Handelns.“ 106<br />
Kämpfte die „Gleichheit“ im Interesse der Arbeiterinnen auch für Reformen innerhalb der bürger-<br />
lichen Gesellschaft, so wollte sie doch auch weiterhin für die „Ablösung dieser Ordnung<br />
durch den Sozialismus kämpfen“ 107 . Sie propagierte damit einen Kampf, der dem Interesse<br />
des Burgfriedens zuwiderlief – wie auch so manche andere Position, die Zetkin in der „Gleich-<br />
heit“ vertrat.<br />
Seit der ersten Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale 1907 in Stuttgart war die<br />
„Gleichheit“ deren offizielles Organ, Zetkin ihre Sekretärin. In Erfüllung dieses Amtes versuchte<br />
sie während des Krieges <strong>und</strong> trotz aller Schwierigkeiten, die durch Militärbehörden <strong>und</strong> durch die<br />
Zensur entstanden, den Kontakt zu den internationalen Genossinnen aufrechtzuerhalten. Den<br />
massiven Eingriffen der Zensurbehörden schlug Zetkin sozusagen ein Schnippchen, indem sie die<br />
zensierten Stellen demonstrativ als weiße Lücken stehen ließ. 108 Der Leitartikel der Nr. 12 des<br />
Jahres 1915 wurde sogar derart zusammengestrichen, dass nicht mehr festzustellen ist, welches<br />
gefährliche Thema er behandelt haben mag. 109 Besonders gründlich wurden jene Artikel zensiert,<br />
die Zetkin zur Berner Frauenkonferenz oder zu ihrer Verhaftung veröffentlichte. 110 Bei manchen<br />
Artikeln ist es wiederum verw<strong>und</strong>erlich, dass sie die Zensur überhaupt unbeanstandet passieren<br />
konnten. 111 Die Zensur beeinträchtigte aber nicht nur das Erscheinungsbild, sondern zuweilen auch<br />
den Erscheinungszeitpunkt einer Nummer. 112 In einem Brief an ihre Fre<strong>und</strong>in <strong>und</strong> niederländische<br />
106 Ebd.<br />
107 Ebd.<br />
108 Erstmals bemerkbar wird diese Besonderheit an dem Leitartikel „Unsere Aufgaben in den Organisationen.“ (In:<br />
GL, 25/ 01/ 02.10.1914/ 1-2). Zetkin schreibt darin etwas doppeldeutig: „Wer im voraus im Geiste die Lücken<br />
abzuschätzen pflegte, die scharfe soziale Zusammenstöße den gewerkschaftlichen <strong>und</strong> politischen Organisationen<br />
des Proletariats kosten konnten, der wird jetzt traurig kaum wissen, wo mit Feststellen, Zählen <strong>und</strong> Vergleichen<br />
beginnen.“ (ebd.).<br />
Vormschlag gibt an, dass diese Möglichkeit des Protestes Zetkin schließlich verboten worden sei. Sie macht<br />
jedoch keine Angabe von wem oder wann (vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer<br />
Frauenzeitschriften, S. 99).<br />
109 Vgl. GL, 25/ 12/ 05.03.1915/ 69-70.<br />
110 Vgl. Ausländische Urteile über die Internationale Sozialistische Frauenkonferenz zu Bern. In: GL, 25/ 17/<br />
14.05.1915/ 103-104 (dieser Beitrag enthielt hauptsächlich Artikel aus englischen Arbeiterzeitungen) <strong>und</strong> vgl.<br />
Zetkin, Klara: Dank. In: GL, 26/ 03/ 29.10.1915/ 20 (Zetkin wollte in diesem Artikel verschiedenen Genossen <strong>und</strong><br />
Genossinnen danken, die mit Sympathiebezeugungen auf ihre Verhaftung <strong>und</strong> Freilassung reagiert hatten. Die<br />
genannten Namen wurden jedoch zensiert).<br />
111 Z. B. Libertas: Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Serbien. In: GL, 27/ 04/ 24.11.1916/ 27-28 oder<br />
Zietz, Luise: Märzforderungen <strong>und</strong> Maiwünsche der Frauen. In: GL, 25/ 18/ 28.05.1915/ 110-111 (Zietz berichtete<br />
darin vom Verlauf des Frauentages <strong>und</strong> der Maifeiern, die aufgr<strong>und</strong> der Zensur nicht als Massenagitation, sondern<br />
in Form von Mitgliederversammlungen stattfinden mussten. Ein darin enthaltenes „Maigelöbnis der Frauen“<br />
beschwörte den Internationalismus des sozialistischen Gedanken. Es sei ein Gelöbnis, das „nun auch zu halten,<br />
[…] Ehrenpflicht aller Genossinnen [sei]!“ (ebd., S. 111)).<br />
112 Vgl. Die Redaktion: An unsere Leserinnen! GL, 26/ 13/ 17.03.1916/ 93.<br />
108
2.2.1 DIE „ÄRA ZETKIN“ UND DER ERSTE WELTKRIEG<br />
Kampfgefährtin Heleen Ankersmit (1869-1944) 113 erklärte Zetkin, dass bereits im August 1914<br />
die Nummer 23 der „Gleichheit“, demnach die erste Kriegsnummer, konfisziert worden sei. 114<br />
Doch hatte die Ausgabe von den Behörden nach einigen Wochen wieder freigegeben werden<br />
müssen. So ist tatsächlich im Erscheinungszeitraum der „Gleichheit“ keine Lücke festzustellen.<br />
Die „Gleichheit“ beobachtete während des Krieges außerdem sehr aufmerksam den Umgang der<br />
Zensurbehörden mit anderen linken Presseorganen. So auch die Geschehnisse um die von Franz<br />
Mehring 115 <strong>und</strong> Rosa Luxemburg (1871-1919) 116 herausgegebene Monatsschrift „Die Inter-<br />
nationale. Zeitschrift für Theorie <strong>und</strong> Praxis des Marxismus“ (1915-1939[?]). Über diese war eine<br />
„Präventivzensur“ verhängt worden, weil sie den Burgfrieden gestört habe. 117 Auch von der<br />
zensurähnlichen Einflussnahme der SPD-Parteileitung auf diejenigen SPD-Organe, deren Redak-<br />
tionen in den Händen linksoppositioneller Sozialdemokraten lagen, berichtete die „Gleichheit“.<br />
113 Heleen (Gerharda Johanna Helena) Ankersmit wurde im niederländischen Deventer geboren. Sie war Tochter<br />
eines Textilfabrikanten. 1908 siedelte sie nach Amsterdam über, wo sie erst Mitglied <strong>und</strong> 1909 internationale<br />
Sekretärin des „Bond van Sociaal-Democratische Vrouwenpropagandaclubs“ (BSDVC) wurde. Ankersmit schrieb<br />
außerdem für dessen Vereinsorgan „De Proletarische Vrouw“ (1905-1940) <strong>und</strong> war Rednerin auf dem ersten in der<br />
Niederlande abgehaltenen Internationalen Frauentag am 8. Mai 1912. Sie war Delegierte verschiedener<br />
internationaler Kongresse. Seit der zweiten Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale 1910 in<br />
Kopenhagen war sie mit Zetkin befre<strong>und</strong>et. Während des Krieges teilte sie deren antimilitaristische Position <strong>und</strong><br />
war 1915 maßgeblich an der Verbreitung der Beschlüsse der Zimmerwalder Konferenz beteiligt. Nachdem die<br />
niederländische Sozialdemokratie beschlossen hatte, eine Regierungskoalition mit den bürgerlichen Parteien<br />
einzugehen, legte Ankersmit 1918 ihr Amt als Sekretärin des BSDVC nieder. Sie trat dem „Revolutionair-<br />
Socialistische Vrouwenbond“ (RSVB) bei <strong>und</strong> nahm 1921 an der zweiten internationalen kommunistischen<br />
Frauenkonferenz in Moskau teil.<br />
114 Vgl. Clara Zetkin in einem Brief an Heleen Ankersmit, 03.12.1914. Zit. nach: Clara Zetkin. Ausgewählte Reden<br />
<strong>und</strong> Schriften, S. 639-656, S. 647. Dieser Brief beschrieb weitere Zensurmaßnahmen gegen die „Gleichheit“ <strong>und</strong><br />
Zetkins Selbsteinschätzung als internationale Sozialistin. Weitere wertvolle <strong>und</strong> bis dahin unveröffentlichte Briefe<br />
von Zetkin an Ankersmit erschienen 1967: Eildermann, Unveröffentlichte Briefe Clara Zetkins an Heleen Ankersmit.<br />
115 Der Redakteur, Historiker <strong>und</strong> Politiker Franz Mehring kann vermutlich als guter Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Kampfgefährte<br />
Zetkins charakterisiert werden, nicht jedoch als ein Mitarbeiter der „Gleichheit“. Zumindest diejenigen seiner<br />
geschichtswissenschaftlichen Artikel, die von der vorliegenden Auswertung erfasst wurden, waren alle zuvor in<br />
der „Neuen Zeit“ erschienen (siehe: „Auswahl der geschichtlichen Artikel im Hauptblatt der ‘Gleichheit’“).<br />
116 Rosa Luxemburg wurde im polnischen Zamosz geboren. 1880-1888 besuchte sie das Gymnasium in Warschau<br />
<strong>und</strong> engagierte sich bereits während der Schulzeit in der polnischen Revolutionär-sozialistischen Partei. Nach<br />
bestandenem Abitur emigrierte Luxemburg 1889 in die Schweiz, wo sie ein Studium der Naturwissenschaften,<br />
Mathematik, Staatswissenschaft <strong>und</strong> Nationalökonomie aufnahm. Dieses schloss sie 1899 mit einer Promotion ab.<br />
Sie wurde tätig als Journalistin <strong>und</strong> Schriftstellerin <strong>und</strong> Mitglied der Polnischen Sozialistischen Partei, später der<br />
Sozialdemokratischen Partei Polens. Zeitweise lebte Luxemburg in Frankreich, ging dann aber eine Scheinehe mit<br />
dem Schriftsetzer Gustav Lübeck ein, um auf diese Weise die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen. Sie wurde<br />
Mitarbeiterin der „Sächsischen Arbeiterzeitung“ (1889-1908) in Dresden <strong>und</strong> schrieb auch für die „Neue Zeit. Ab<br />
1902 wurde Luxemburg für kurze Zeit die Chefredakteurin der „Leipziger Volkszeitung“. Ab 1915 gab sie die<br />
„Internationale“ heraus <strong>und</strong> ab 1916 die „Spartakus-Briefe“. Mehrmals wurde sie während des Ersten Weltkrieges<br />
verhaftet, weil sie gegen den Krieg <strong>und</strong> für die Erhebung der Massen agitierte. 1918/19 war Luxemburg<br />
Gründungsmitglied der KPD. Sie wurde am 15.01.1919 von Mitgliedern der Reichswehr brutal ermordet <strong>und</strong> in<br />
den Berliner Landwehrkanal geworfen.<br />
117 Vgl. Die „Internationale“ unter Präventivzensur. In: GL, 25/ 18/ 28.05.1915/ 114. Zetkin rief in diesem Artikel<br />
außerdem dazu auf, notfalls den Friedensschluss „über die Köpfe der verfassungsmäßig berufenen Stellen<br />
hinweg“ (ebd.) herbeizuführen.<br />
109
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Ihre oppositionellen <strong>und</strong> den Burgfrieden hinterfragenden Meinungen wurden dem Parteivorstand<br />
daher zunehmend unbequem. Tatsächlich waren die Entlassungen verschiedener Redaktionen<br />
zentraler Parteiorgane, die die radikale „Parteiminderheit“ vertraten – darunter der „Vorwärts“ <strong>und</strong><br />
die „Neue Zeit“ –, nur ein Vorgeschmack darauf, was mit der „Gleichheit“ geschehen sollte.<br />
Doch noch begnügten sich Parteivorstand <strong>und</strong> Gewerkschaften damit, Zetkin zwar nicht die<br />
Redaktion der „Gleichheit“, dafür aber ihr bzw. ihrem radikalen Einfluss die Leserinnen zu<br />
entziehen. Bereits auf einer vom 5.-7. April 1915 in Berlin stattfindenden Konferenz der Vertreter<br />
der gewerkschaftlichen Verbandsvorstände hatte man angesichts der vermeintlichen Unzuläng-<br />
lichkeiten der „Gleichheit“ die Neugründung einer Frauenzeitschrift beschlossen. 118 Die General-<br />
kommission der Gewerkschaften Deutschlands gründete die „Gewerkschaftliche Frauenzeitung“,<br />
was anlässlich ihres ersten Erscheinens im Januar 1916 von der „Gleichheit“ sehr sachlich<br />
kommentiert wurde:<br />
„Eine gewerkschaftliche Frauenzeitung erscheint seit dem 1. Januar<br />
vierzehntäglich. Ihre Gründung entspricht dem Beschluß der Konferenz von<br />
Gewerkschaftsvorständen, den wir seinerzeit mitgeteilt <strong>und</strong> gewürdigt haben. Das<br />
Blatt erscheint im Verlag von Karl Legien, Berlin. Verantwortliche Redakteurin ist<br />
Genossin Gertrud Hanna, die erfahrene Gewerkschaftssekretärin, die sich eifrig um<br />
die Organisierung der Arbeiterinnen bemüht.“ 119<br />
Falls Zetkin sich Gedanken über die destruktive Rolle dieses Konkurrenzblattes gemacht haben<br />
sollte, so hat sie diese jedenfalls ihren Leserinnen nicht mitgeteilt. Sie würdigte stattdessen die<br />
Kompetenz ihrer Redakteurin Gertrud Hanna (1876-1944) 120 , die zuvor selbst u.a. auch für die<br />
„Gleichheit“ geschrieben hatte. 121<br />
Wie diese gewerkschaftliche Frauenzeitschrift schließlich gegen die „Gleichheit“ ausgespielt<br />
werden sollte, erfuhr Zetkin nicht aus erster Hand, sondern aus einem Artikel der „Leipziger<br />
118 Vgl. Die Gründung eines gewerkschaftlichen Frauenblattes für die organisierten Arbeiterinnen … In: GL, 25 / 23 /<br />
06.08.1915 / 154-155.<br />
119 Eine gewerkschaftliche Frauenzeitung … In: GL, 26/ 10/ 04.02.1916/ 76.<br />
120 Gertrud Hanna wurde in Berlin geboren <strong>und</strong> im Alter von 14 Jahren Buchdruckereihilfsarbeiterin. Sie trat 1893<br />
der Gewerkschaft bei. 1907 wurde sie Gewerkschaftsangestellte <strong>und</strong> arbeitete als Sekretärin des gewerkschaftlichen<br />
Arbeiterinnenkomitees. Sie wurde damit zur Leiterin der gewerkschaftlichen Frauenagitation. 1916<br />
übernahm sie die Redaktion der „Gewerkschaftlichen Frauenzeitung“. Während des Ersten Weltkrieges arbeitete<br />
sie eng mit der bürgerlichen Frauenbewegung zusammen. 1919-1933 war Hanna Abgeordnete des preußischen<br />
Landtages. 1944 nahm sie sich das Leben.<br />
121 Hanna, Gertrud: Maigedanken. In: GL, 21/ 15/ 24.04.1911/ 226-267; Bürgerliche Reformversuche. In: GL, 21/ 18/<br />
05.06.1911/ 276-278; Bürgerliche Reformversuche. (Schluß.) In: GL, 21/ 19/ 19.06.1911/ 291-293. Später schrieb<br />
Hanna für die „neue“ „Gleichheit“: Hanna, Gertrud: Zur Frage des Frauenwahlrechts zu den Gewerbe- <strong>und</strong><br />
Kaufmannsgerichten In: GL, 30/ 48/ 27.11.1920/ 389-390; Die Frauen <strong>und</strong> der 20. Februar. In: GL, 31/ 04/<br />
15.02.1921/ 29; Die dritte Internationale Arbeiterkonferenz. In: GL, 31/ 24/ 15.12.1921/ 235-236; Vom<br />
internationalen Friedenskongreß im Haag. In: GL, 33/ 01/ 01.01.1923/ 2-3; August Bebel <strong>und</strong> die Gewerkschaften.<br />
In: GL, 33/ 15/ 01.08.1923/ 122-123.<br />
110
2.2.1 DIE „ÄRA ZETKIN“ UND DER ERSTE WELTKRIEG<br />
Volkszeitung“ (seit 1894), den sie in der „Gleichheit“ zitierte. Ausgerechnet eine württem-<br />
bergische Frauenkonferenz hatte beschlossen, dass die von der Wahl-Württembergerin Zetkin<br />
geführte „Gleichheit“ durch die „Gewerkschaftliche Frauenzeitung“ zu ersetzen sei, wenn sie ihre<br />
Haltung nicht ändern <strong>und</strong> vor allem der Meinung der Parteimehrheit nicht mehr Raum geben<br />
sollte. Die „Leipziger Volkszeitung“ mutmaßte, dass dieser Konferenzbeschluss „‘bestellte<br />
Arbeit’“ 122 gewesen sei. Die „Leipziger Volkszeitung“ sah hinter diesen Vorgängen bereits den<br />
Parteivorstand arbeiten, der sowohl die „Neue Zeit“ als auch die „Gleichheit“ im Handstreich<br />
übernehmen wolle. Die „Chemnitzer Volksstimme“ (1891-1933) dagegen stützte den Beschluss<br />
der württembergischen Genossinnen, indem sie behauptet, Zetkin sei bereits seit zwei Jahren nicht<br />
mehr der SPD zugehörig.<br />
Zetkins Antwort auf all diese Vorwürfe setzte zuerst an dem letzten Argument <strong>und</strong> dessen<br />
Entkräftigung an:<br />
„Die Ablehnung der Gemeinschaft mit der blauen Sonderorganisation in Stuttgart,<br />
die unseres Dafürhaltens entgegen der Parteisatzung gegründet wurde, ist nicht<br />
gleichbedeutend mit der Nichtzugehörigkeit zur Sozialdemokratie, solange der<br />
Parteitag nicht die Frage entschieden hat, welche der beiden Stuttgarter Gruppen zu<br />
Recht besteht.“ 123<br />
Sie sah es also nicht als notwendig erwiesen an, dass eine Nichtzugehörigkeit zu einer<br />
mehrheitssozialdemokratischen Gruppe sie automatisch aus der gesamten SPD ausschlösse. Der<br />
Vorwurf, Zetkin sei bereits seit längerer Zeit nicht mehr Parteimitglied <strong>und</strong> zahle auch ihre Partei-<br />
beiträge nicht mehr an die SPD, wurde ihr später aber dennoch auch im Parteiausschuss gemacht.<br />
124 Als Rechtfertigung für die Haltung der „Gleichheit“ konstatierte Zetkin:<br />
„Nach uns zugegangenen Korrespondenzen sind wir bis jetzt der Meinung, daß die<br />
gr<strong>und</strong>sätzliche Haltung der „Gleichheit“ im allgemeinen der gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />
Auffassung entspricht, die die übergroße Mehrzahl unserer Genossinnen beseelt.<br />
Ob diese Meinung richtig oder irrig ist, wird die von den Genossinnen ersehnte<br />
Reichskonferenz der sozialdemokratischen Frauen erweisen oder auch der nächste<br />
Parteitag. Fällt die Entscheidung gegen die gr<strong>und</strong>sätzliche Haltung der Zeitschrift<br />
aus, so weiß Genossin Zetkin, was sie zu tun hat. Die Überzeugung geht vor dem<br />
Amte. Die Redaktion der ‘Gleichheit’.“ 125<br />
122 Leipziger Volkszeitung, Nr. 284 (19.12.1916). Zit. nach: Ein Handstreich gegen die „Gleichheit“? In: GL, 27/ 08/<br />
19.01.1917/ 54-55, S. 54. Anna Blos war später nicht nur der Meinung, dass Zetkin sich nicht um die<br />
Beschwerden gekümmert habe – was m.E. falsch ist –, sie schrieb außerdem ihr jenen Ausspruch von der „bestellten<br />
Arbeit“ zu (vgl. Blos, Die Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 90). Tatsächlich<br />
handelte es sich aber wie dargestellt um eine Einschätzung der „Leipziger Volkszeitung“.<br />
123 Ein Handstreich gegen die „Gleichheit“? In: GL, 27/ 08/ 19.01.1917/ 55.<br />
124 Vgl. Protokoll des SPD-Parteiausschusses vom 18. <strong>und</strong> 19. April 1917, S. 21f.<br />
125 Ein Handstreich gegen die „Gleichheit“? In: GL, 27/ 08/ 19.01.1917/ 55.<br />
111
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Zetkin sah nur die Institutionen der Frauenkonferenz oder den Parteitag als berechtigt an, sie in<br />
ihrer Haltung zu bestätigen oder zurechtzuweisen. Da diese jedoch während des Krieges bedingt<br />
durch Zensur <strong>und</strong> Burgfrieden nicht zusammentreten würden, sah sie sich in einem mehr oder<br />
weniger rechtlosen Raum <strong>und</strong> als letztlich entscheidende Instanz anerkannte sie nur ihr Gewissen.<br />
Sie betonte damit auch, dass sie nach dem entsprechend formulierten Willen einer entsprechend<br />
befugten Institution durchaus bereit sei, Konsequenzen zu ziehen <strong>und</strong> die „Gleichheit“ zu<br />
verlassen.<br />
Einen gewissen Rückhalt hatte man Zetkin in einer bereits im September 1916 abgehaltenen<br />
Konferenz der Sozialdemokratinnen Großberlins gegeben. Auf dieser waren die radikalen<br />
Genossinnen eindeutig in der Mehrheit <strong>und</strong> sie lobten die vorbildliche Haltung der „Gleichheit“.<br />
Zwei Monate später jedoch, am 26. November 1916, hatte in Stuttgart jene bereits erwähnte<br />
Versammlung der sozialdemokratischen Frauen Württembergs stattgef<strong>und</strong>en 126 , die eindeutig<br />
durch die Parteimehrheit dominiert wurde <strong>und</strong> die mit der Sabotage der „Gleichheit“ drohte. Die<br />
sozialdemokratischen Frauen waren demnach genauso gespalten wie der Rest der Partei. Diese<br />
Spaltung drückt sich auch in den Briefen an die „Gleichheit“-Redaktion aus. Sie enthalten sowohl<br />
weitere Kritik als auch Unterstützung. Meist veröffentlichte Zetkin beides nebeneinander stehend,<br />
um bei den Leserinnen keinen unerwünschten Eindruck entstehen zu lassen. Auch folgender Brief<br />
mehrheitssozialdemokratischer Frauen aus Darmstadt wurde veröffentlicht <strong>und</strong> wird hier als ein<br />
Beispiel für den Umgang Zetkins mit den von ihrer Position abweichenden Meinungen komplett<br />
<strong>und</strong> auch mit seinen Rechtschreibfehlern wiedergegeben:<br />
„‘An die Leitung der Redaktion der ‘Gleichheit’<br />
in Händen Klara Zetkin, Stuttgart!<br />
Durch die immer, sich dauernder Steigerung, mit der die soz. Minderheit in<br />
dem Frauenorgan ‘Gleichheit’ Platz nimmt, steigert sich der Unmut der Mehrheits-Frauen,<br />
die gerade in Hessen in überwältigender Zahl sind, daß das soz.<br />
Organ für die Frauen im Mehrheits-Sinne keinen Raum zusteht, bzw. dauernd die<br />
Mehrheits-Fraktion in unnatürlicher Weise verlästert, um etwa vorhandene Frauen,<br />
die im Mehrheits-Sinne denken umzubringen <strong>und</strong> als Streiter für die Minderheit<br />
zu ertziehen! Diese Handlungsweise verdient bald öffentlich gebrandmarkt<br />
zu werden, wenn diese Zuschrift Sie nicht eines besseren belehren sollte. Auch<br />
nach dem Kriege werden die soz. Frauen schon bereit sein, um der heutigen, nur<br />
zur Hälfte dienenden Redaktion ein klägliches Ende zu bereiten. Eine evt.<br />
öffentliche Antwort Ihrerseit in der ‘Gleichheit’ würden wir in der nächsten Nummer<br />
gerne erhoffen. Auch werden wir uns im Falle Ablehnung unserer Forderungen<br />
dem Beispiel Württemberg folgen, <strong>und</strong> die ‘Gleichheit’ sofort abbestellen!<br />
Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang! Dies sollten Sie sich auch beherzigen; denn<br />
126 Vgl. Blos, Die Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 90.<br />
112
2.2.1 DIE „ÄRA ZETKIN“ UND DER ERSTE WELTKRIEG<br />
nach dem Kriege wird mit allen Minderheits-Phantasten formell aufgeräumt!<br />
Also Redefreiheit für die Soz. Mehrheits-Frauen! Gleiches Recht für alle!<br />
Mehrere Mehrheits-Frauen aus Darmstadt!<br />
Sollten ihnen dies wegen evt. fehlender Namensunterschrift nicht glaubhaft sein, so<br />
werden wir jederzeit bereit Sie später anzugeben.’“ 127<br />
Es ist auffällig, dass Zetkin im Falle dieses Briefes nur mäßig ihrer redaktionellen Aufgaben<br />
nachgekommen war. Statt Rechtsschreibungs- oder Verständnisfehler zu korrigieren, hob sie sie<br />
teilweise sogar noch hervor, um sie lächerlich zu machen. Dadurch, dass die Verfasserinnen<br />
vorerst anonym bleiben wollten, liegt jedoch auch der Verdacht nahe, dass es sich um einen von<br />
Zetkin absichtlich falsch gelesenen <strong>und</strong> gesetzten Brief handeln könnte. Zetkins Kommentar zu<br />
dieser Einsendung bleibt jedenfalls unerwartet zurückhaltend:<br />
„Wir glauben, dem Wunsch der Einsenderinnen nach Öffentlichkeit durch den<br />
Abdruck des Briefes im weitesten Maße zu erfüllen. Jeder halbwegs anständige<br />
Mensch wird jedoch begreifen, weshalb wir auf eine Beantwortung verzichten. Die<br />
Redaktion der ‘Gleichheit’“ 128<br />
Ihre Antwort gab Zetkin im Prinzip in jeder Nummer der „Gleichheit“, indem sie trotz der immer<br />
bedrohlicher werdenden Situation im Bezug auf ihren Posten als verantwortliche Redakteurin an<br />
ihrer Meinung festhielt. Auf diese reale Bedrohung verwies M.R. in einem Artikel, der nochmals<br />
die Position jener Großberliner Frauenkonferenz wiedergab. Er/sie schreibt dort:<br />
„Wir haben ferner zu wachen, daß uns unser Frauenorgan, die ‘Gleichheit’, nicht<br />
entrissen wird. Die Anzeichen mehren sich, daß etwas im Werk ist. Anregungen<br />
dazu gehen dem Parteivorstand von verschiedenen Seiten zu. […] Die glänzenden<br />
Erfolge mit der Strangulierung von Minderheitsblättern eifern zur Nachahmung<br />
an.“ 129<br />
Die Situation war jedoch auch etwas verfahren, denn der Parteivorstand behauptete stets, die<br />
Mehrheit der Frauen werde durch Mehrheitssozialdemokratinnen gebildet. Zetkin dagegen sah die<br />
Mehrheit der Frauen im Lager der Minderheit stehen, weil sie den Krieg gr<strong>und</strong>sätzlich ab-<br />
lehnten. 130<br />
Laut einer Auflistung des Frauensekretariats von 1915, beteiligten sich in 29 von 39 Berliner<br />
Parteibezirken die sozialdemokratischen Frauen an der Arbeit in der Kriegswohlfahrtspflege, d. h.<br />
127 Gegen die gr<strong>und</strong>sätzliche Haltung der „Gleichheit“. In: GL, 27/ 08/ 19.01.1917/ 55.<br />
128 Ebd.<br />
129 M. R.: <strong>Von</strong> der Konferenz der Parteifunktionärinnen <strong>und</strong> der in der Gemeinde tätigen Genossinnen von Groß-<br />
Berlin… In: GL, 27/ 10/ 16.02.1917/ 67-69, S. 68.<br />
130 Tatsächlich ist zu betonen, dass die Mitarbeit der Mehrheit von Sozialdemokratinnen im NFD nicht mit<br />
Kriegsbegeisterung gleichzusetzen <strong>und</strong> eine prinzipielle Ablehnung des Krieges nicht auszuschließen ist. Letztere<br />
hätte besonders von Sozialdemokratinnen jedoch nicht nur prinzipiell, sondern aktiv erfolgen müssen.<br />
113
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
10 Bezirke betrieben eine eigenständige soziale Arbeit. 131 Zwar stimme ich Eifert zu, wenn sie<br />
schreibt, dass die Mitarbeit in der Wohlfahrtsarbeit nicht unbedingt mit Kriegsbegeisterung<br />
gleichzusetzen ist. 132 Es ging in erster Linie darum, für aus einer Notsituation entstandenen<br />
Bedürfnissen praktische Lösungen zu finden <strong>und</strong> eine Solidarität zu üben, die über Partei-<br />
prinzipien hinausgeht. So gaben diese Frauen auch bei einem späteren Wechsel in die 1917<br />
gegründete „Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (USPD) die Mitarbeit in der<br />
Kriegswohlfahrt nicht unbedingt auf. 133 SPD- <strong>und</strong> USPD-Frauen führten ihre „traditionellen“<br />
Prinzipien bis auf eine weiter: die Parteidisziplin. Frauen die zum Krieg <strong>und</strong> der Bewilligung der<br />
Kriegskredite die sogenannte „Minderheitenposition“ vertraten – <strong>und</strong> das dürfte die „Frauen-<br />
mehrheit“ gewesen sein – beugten sich nicht der Parteimehrheit <strong>und</strong> hielten still. Sie organisierten<br />
Widerstand, gingen auf die Straße <strong>und</strong> arbeiteten in der Kriegswohlfahrt – nicht für, sondern<br />
gegen den Krieg.<br />
Dieses rebellische Verhalten dürfte darauf zurückzuführen zu sein, dass die Frauen erst seit 1908<br />
in der SPD integriert waren, „weder in der Partei noch in der parteieigenen Presse über einen<br />
nennenswerte Anzahl besoldeter <strong>und</strong> einflußreicher Funtionärinnen“ 134 verfügten <strong>und</strong> zuvor unter<br />
Zetkin, Zietz <strong>und</strong> anderen radikalen Frauen eine relativ autarke Organisation gebildet hatten.<br />
Zur Klärung der Frage, ob die Mehrheit aller sozialdemokratischen Frauen nun wirklich eher<br />
radikal oder eher gemäßigt war, kann verschieden verfahren werden. Zieht man die Mitglieder-<br />
statistik heran <strong>und</strong> die verhältnismäßig wenigen Übertritte zur USPD, so war sie wohl gemäßigt.<br />
Aber war es Überzeugung oder Behäbigkeit, welche die Mehrheit SPD-Mitglieder bleiben ließ?<br />
Die maßgeblichen Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung gingen aus Überzeugung zur<br />
USPD. Zieht man die Abonnementzahlen der „Gleichheit“ heran, so war es aus Sicht des<br />
Parteivorstandes allein Zetkins Verschulden, dass sie so rapide gesunken waren. Zugleich war für<br />
den Parteivorstand damit auch der Beweis für die mehrheitssozialdemokratische Gesinnung der<br />
<strong>weiblichen</strong> Parteimitglieder erbracht. Die Auseinandersetzungen mit dem Parteivorstand hatten<br />
aber ohnehin erst ab 1916 begonnen <strong>und</strong> wurden besonders massiv mit der Entlassung Zietz‘. Zu<br />
diesem jedoch Zeitpunkt waren die Zahlen bereits immens gesunken. 135<br />
131 Vgl. Eifert, Wann kommt das „Fressen“, wann die „Moral“?, S. 106.<br />
132 Vgl. ebd, S. 108.<br />
133 Vgl. ebd., S. 110.<br />
134 Ebd., S. 111.<br />
135 Anzahl der „Gleichheit“-Abonnements: 1914: 124.000, 1915: 46.500; 1916: 35.500. Siehe: Tabelle 7<br />
114<br />
„Abonnentinnen der ‘Gleichheit’“.
2.2.2 DER ERSTE WELTKRIEG, DIE ENTLASSUNG ZETKINS IM MAI 1917 UND DER ZIELSETZUNGSWANDEL DER „GLEICHHEIT“<br />
2.2.2 Der Erste Weltkrieg, die Entlassung Zetkins im Mai 1917<br />
<strong>und</strong> der Zielsetzungswandel der „Gleichheit“<br />
Nachdem der SPD-Parteivorstand am 15. Februar 1917 Luise Zietz aus ihrem Amt als<br />
Frauensekretärin entlassen hatte, rief Zetkin in der „Gleichheit“ zu Solidaritätsbek<strong>und</strong>ungen auf.<br />
In ihrer Artikelreihe „Die Auseinandersetzung in der Sozialdemokratie“ 136 stellte Zetkin die Ent-<br />
lassung Zietz‘ als einen Bruch des SPD-Parteistatuts dar. Deshalb erachtete sie es erstens als eine<br />
„Ehrenpflicht“ 137 , dass die Frauen ihr Recht auf eine Vertretung im Parteivorstand einforderten,<br />
zweitens als eine „Dankespflicht“ 138 gegenüber den herausragenden Leistungen Zietz’ <strong>und</strong> drittens<br />
als eine<br />
„Treupflicht gegen den internationalen Sozialismus, dessen Gr<strong>und</strong>sätze den<br />
nationalistischen Auffassungen der Mehrheitspolitiker nicht geopfert zu haben,<br />
Genossin Zietz’ Verbrechen [gewesen sei].“ 139<br />
Es meldeten sich auch viele Frauenvereine <strong>und</strong> Einzelpersonen entrüstet <strong>und</strong> parteikritisch zu<br />
Wort. Sie sprachen sich für die Beibehaltung der kriegsgegnerischen Linie der „Gleichheit“ aus<br />
<strong>und</strong> hoben das Engagement <strong>und</strong> die Stellung der beiden Kämpferinnen Zetkin <strong>und</strong> Zietz hervor. 140<br />
Es gab aber auch hier wieder Gegenmeinungen <strong>und</strong> auch diese wurden von der „Gleichheit“<br />
veröffentlicht. 141<br />
Im April 1917 kündigten die „ihrer Parteirechte beraubten Oppositionellen“ 142 einen selbständigen<br />
organisatorischen Zusammenschluss an, den allein die intolerante Haltung der Mehrheits-<br />
sozialisten zu verantworten hätte. Es entstand die „Unabhängige Sozialdemokratische Partei<br />
Deutschlands“ (USPD). 143 Anlässlich des Gründungskongresses der USPD veröffentlichte<br />
136 Die Auseinandersetzung in der Sozialdemokratie. In: GL, 27/ 11/ 02.03.1917/ 74-75 bis GL, 27/ 14/ 13.04.1917/<br />
91-92.<br />
137 Die Auseinandersetzung in der Sozialdemokratie, 27/ 12/ 16.03.1917/ 79.<br />
138 Ebd.<br />
139 Ebd.<br />
140 Vgl. Gerlinger, Olga: Für die gr<strong>und</strong>sätzliche Haltung der „Gleichheit“. In: GL, 27/ 10/ 16.02.1917/ 69;<br />
GenossInnen in Harzburg, Bündheim <strong>und</strong> Schleweke: Gegen die Maßregelung der Genossin Zietz. In: GL, 27/ 14/<br />
13.04.1917/ 92; Stellungnahme der Königsberger Genossinnen zur Maßregelung der Genossin Zietz <strong>und</strong> zur<br />
Haltung der „Gleichheit“. In: „Die Gleichheit“, 27/ 15/ 27.04.1917/ 101; Hennig, Auguste: Eine<br />
Frauenbezirkskonferenz zu Leipzig gegen die Maßregelung der Genossin Zietz <strong>und</strong> für die gr<strong>und</strong>sätzliche Haltung<br />
der „Gleichheit“. In: GL, 27/ 17/ 25.05.1917/ 115.<br />
141 Vgl. Jensen, Elise: Für die Mehrheitspolitik. In: GL, 27/ 15/ 27.04.1917/ 99; Siloff, Josephine: Gegen die<br />
gr<strong>und</strong>sätzliche Haltung der „Gleichheit“. In: GL, 27/ 14/ 13.04.1917/ 92-93.<br />
142 Die Auseinandersetzung in der Sozialdemokratie. In: GL, 27/ 14/ 13.04.1917/ 91.<br />
143 Als Ursachen für die Parteispaltung können, so Thönnessen, verschiedene zusammenwirkende Faktoren angesehen<br />
werden: Zu aller erst die Politik des 4. August, dann die zunehmende Bürokratisierung der Parteien, die<br />
einhergeht mit der Vorherrschaft der Gewerkschaften. Auf theoretischer Ebene machte die Revision der<br />
sozialistischen Theorie <strong>und</strong> der Zwiespalt zwischen Parteitheorie <strong>und</strong> reformistischer Praxis eine Spaltung unumgänglich.<br />
Die herrschende Unklarheit über die zu treffenden Nachkriegsmaßnahmen tat ihr Übriges (vgl.<br />
115
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Mathilde Wurm (1874-1935) 144 einen Leitartikel „Die Gothaer Tagung“, in welchem auch sie der<br />
SPD vorwarf, sie sei<br />
„eine Partei, die infolge jahrelanger Erziehung zur Disziplin bis zur Übertreibung<br />
in einem Statut das Steuer erblickte, daß sie durch alle Irrungen <strong>und</strong> Wirrungen zu<br />
führen vermöchte, wenn nur der Steuermann sein Amt richtig verstehe“ 145 .<br />
Hatte sich Zetkin bisher immer auf das Statut der SPD <strong>und</strong> ihre auf diesem Statut beruhende<br />
Stellung berufen, so gab ihr die Gründung der USPD nun die Möglichkeit, nicht nur zum<br />
Widerstand, sondern auch indirekt zum Parteiwechsel aufzurufen. 146<br />
Es war die von Zetkin in einem offiziellen SPD-Parteiorgan geübte offene Kritik am SPD-<br />
Vorstand <strong>und</strong> dessen Burgfriedenspolitik, die den Zustand in den Augen des Parteivorstandes<br />
unhaltbar machte. Dennoch scheute dieser eine offene Debatte <strong>und</strong> zog sich vorzugsweise auf das<br />
fadenscheinige Argument der sinkenden Abonnementzahlen zurück. 147 Zetkin scheint sich über die<br />
entsprechenden Verhandlungen im Parteiausschuss vor allem über den „Vorwärts“ informiert zu<br />
haben. In ihrem Artikel „Parteivorstand <strong>und</strong> Parteiausschuß gegen die gr<strong>und</strong>sätzliche Haltung der<br />
‘Gleichheit’“ 148 zitierte sie entsprechende Passagen des Parteiausschuss-Protokolls nach einem<br />
„Vorwärts“-Artikel. So konnte sie besonders auf die Vorwürfe gesunkener AbonnentInnenzahlen<br />
eingehen <strong>und</strong> gab zu bedenken:<br />
„Er [der starke Rückgang des Abonnementsstandes; M.S.] steht nicht nur in<br />
Zusammenhang mit dem erheblichen Verlust der Partei an <strong>weiblichen</strong> Mitgliedern;<br />
er ist nicht nur zum Teil auch eine Folge der drückenden wirtschaftlichen Not, die<br />
zum Sparen mit jedem Pfennig zwingt. Er ist mit darauf zurückzuführen, daß fast<br />
Thönnessen, Frauenemanzipation, S. 95).<br />
144 Mathilde Wurm, geb. Adler, wurde in Frankfurt am Main geboren <strong>und</strong> arbeitete nach Abschluss einer höheren<br />
Mädchenschule ab 1896 als Fürsorgerin in Berlin. Sie war Mitgründerin der ersten Lehrstellenvermittlung <strong>und</strong><br />
Berufsberatung für schulentlassene Mädchen. 1903-1904 leitete sie die weibliche Abteilung des Zentralvereins für<br />
Arbeitsnachweis in Berlin. Zuvor Mitglied der SPD, trat sie 1917 der USPD bei. So auch ihr Ehemann, der<br />
Journalist <strong>und</strong> SPD-Politiker Emanuel Wurm, welcher in jenem Jahr Staatssekretär im Reichsernährungsamt<br />
wurde <strong>und</strong> 1919 Mitglied der Nationalversammlung. 1917-1921 war Mathilde Wurm Bürgerdeputierte in Berlin,<br />
1920-1933 Reichstagsabgeordnete, 1919 Mitglied im Frauenausschuss <strong>und</strong> 1920-1922 Beisitzerin im Zentralkomitee<br />
der USPD. Bis 1922 arbeitete sie als Redakteurin des USPD-Frauenorgans „Die Kämpferin”, kehrte dann<br />
zur SPD zurück. Ab 1928 gab sie die “Sozialdemokratische Pressekonferenz” heraus <strong>und</strong> war Mitarbeiterin bei<br />
„Der Klassenkampf – Marxistische Blätter” (1927-1932). 1933 emigrierte Wurm nach London, wo sie unter<br />
mysteriösen Umständen gemeinsam mit ihrer Fre<strong>und</strong>in <strong>und</strong> politischen Weggefährtin Dora Fabian (1901-1934)<br />
Suizid beging. Die von Scotland Yard angestellten Nachforschungen über einen möglichen Anschlag<br />
nationalsozialistischer Agenten blieben ergebnislos. Es verdichtete sich die Annahme, dass Fabian vor allem unter<br />
einer unerwiderten Liebe litt <strong>und</strong> schließlich die Verzweiflung über die politische Situation in Deutschland den<br />
Suizid der beiden Frauen motivierte.<br />
145 Wurm, Mathilde: Die Gothaer Tagung. In: GL, 27/ 16/ 11.05.1917/ 105-106, S. 105.<br />
146 Einen offenen Aufruf zum Parteiwechsel konnte ich in der „Gleichheit“ nicht finden.<br />
147 Auch Blos war der Meinung, Zetkin habe „ein vom Parteivorstand bezahltes Amt zu verwalten“ gehabt. Deshalb<br />
sei es „nicht angängig [gewesen], ein solches Amt dazu zu benutzen, den Arbeitgeber, in diesem Fall den Parteivorstand,<br />
in aller Öffentlichkeit anzugreifen in dem von ihm geschaffenen <strong>und</strong> bezahlten Organ“ (Blos, Die<br />
Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 88).<br />
148 Parteivorstand <strong>und</strong> Parteiausschuß gegen die gr<strong>und</strong>sätzliche Haltung der „Gleichheit“. In: GL, 27/ 16/ 11.05.1917/<br />
116<br />
110.
2.2.2 DER ERSTE WELTKRIEG, DIE ENTLASSUNG ZETKINS IM MAI 1917 UND DER ZIELSETZUNGSWANDEL DER „GLEICHHEIT“<br />
unmittelbar nach Kriegsausbruch mehrere große Gewerkschaften sich durch ihre<br />
finanziellen Verpflichtungen zu sozialer Fürsorge gezwungen sahen, die Verabfolgung<br />
der ‘Gleichheit’ an ihre <strong>weiblichen</strong> Mitglieder einzustellen.“ 149<br />
Der Krieg <strong>und</strong> die durch ihn bedingte schlechte Finanzlage der Arbeiterfamilien spielte von<br />
Beginn an eine, wenn nicht sogar die entscheidende Rolle bei der Abwärtsentwicklung der<br />
Abonnementzahlen. Jetzt, anlässlich ihrer Verteidigung gegenüber dem Parteiausschuss, betonte<br />
Zetkin aber endlich auch die schädigende Konkurrenz durch die „Gewerkschaftliche Frauen-<br />
zeitung“ <strong>und</strong> schreibt:<br />
„Die Einengung des Leserkreises nahm naturnotwendig zu, als das<br />
‘Gewerkschaftliche Frauenblatt’ gegründet wurde.“ 150<br />
Zum Kernpunkt hinsichtlich der Frage, ob die Mehrheit der Sozialdemokratinnen gemäßigt oder<br />
radikal war, kommt Zetkin jedoch erst, als sie Kritik an den örtlichen Parteispitzen übt:<br />
„In großem Umfang ist der Rückgang des Abonnementsstandes jedoch bewußt,<br />
absichtlich geschaffen worden durch die systematische Hetz- <strong>und</strong> Wühlarbeit einflußreicher<br />
Genossen, die ihrer eigenen Auffassung gemäß von der gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />
Haltung der ‘Gleichheit’ sagten: ‘Die janze Richtung paßt uns nicht.’ […] Das<br />
Obligatorium der ‘Gleichheit’ ist in mehr als einem Bezirk von den Vereinsvorständen<br />
eigenmächtig aufgehoben worden, ohne daß sie die Genossinnen vorher<br />
befragt hätten.“ 151<br />
Der Umstand, dass viele Gewerkschaftsorganisationen (darunter bereits seit Kriegsbeginn der<br />
Fabrikarbeiterverband, dann auch der Holzarbeiterverband <strong>und</strong> der Tabakarbeiterverband 152 ) die<br />
„Gleichheit“ als Obligatorium kündigten bzw. eigene Blätter oder Frauenbeilagen herausgaben<br />
oder die „Gewerkschaftliche Frauenzeitung“ bezogen, drückte demnach nicht unbedingt die<br />
bewusste Entscheidung der <strong>weiblichen</strong> Organisationsmitglieder aus. Die Leitungen ihrer Organi-<br />
sationen hatten die Entscheidung für sie <strong>und</strong> vor allem über ihre Köpfe hinweg getroffen. Einige<br />
der <strong>weiblichen</strong> Mitglieder reagierten tatsächlich mit großer Empörung darauf, dass ihnen die<br />
„Gleichheit“ genommen wurde <strong>und</strong> hätten ein Abonnement auch eigenständig finanziert. Doch<br />
den <strong>weiblichen</strong> Mitgliedern des Fabrikarbeiterverbandes in Braunschweig wurde von Seiten des<br />
Vorstandes sogar verboten, sich die „Gleichheit“ auf eigene Kosten zu abonnieren. 153<br />
Zum Krieg <strong>und</strong> den Aufkündigungen des Obligatoriums kam hinzu, dass die Beilage „Für unsere<br />
Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ ab Mai 1917 eingestellt werden musste. 154 Dadurch hat die „Gleichheit“<br />
149 Ebd.<br />
150 Ebd.<br />
151 Ebd.<br />
152 Vgl. Bieber, Gewerkschaften in Krieg <strong>und</strong> Revolution, S. 269.<br />
153 Vgl. ebd., S. 910, Fußnote 73.<br />
154 Die ZDB-Datenbank gibt an, dass die Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ nur bis 1915/16 nachgewiesen<br />
werden kann. Im Titelkopf der letzten von Zetkin redigierten „Gleichheit“-Nummer ist sie jedoch noch genannt<br />
117
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
unzweifelhaft an Attraktivität verloren. Einmal auf ein anderes unterhaltsameres Blatt abonniert,<br />
konnten ehemalige „Gleichheit“-Abonnentinnen nur schwer zurückgewonnen werden. Insgesamt<br />
<strong>und</strong> allgemein formuliert ist Thönnessen zuzustimmen, wenn er den Auflagenschw<strong>und</strong> zwischen<br />
1913 <strong>und</strong> 1920 als ein Symptom für den Niedergang <strong>und</strong> Verfall der proletarischen Frauen-<br />
bewegung sieht. 155 Doch enger gefasst war dieser Auflagenschw<strong>und</strong> vor allem der Beweis für den<br />
mangelnden Rückhalt der „Gleichheit“ bei ihren obligatorischen Abonnentinnen.<br />
Es waren aber eben nicht nur die gesunkenen Abonnementzahlen, die dem Parteivorstand<br />
ausreichend Anlass gaben, Konsequenzen zu ziehen, sondern vor allem der Umstand, dass Zetkin<br />
sich mittlerweile offiziell der im April 1917 in Gotha konstituierten USPD 156 angeschlossen hatte.<br />
Zetkins Engagement für die USPD <strong>und</strong> vor allem ihr Parteibeitritt ließen eine weitere Schonung<br />
durch den Vorstand der Mehrheitssozialdemokratie nicht mehr zu. Am 18. April 1917 sprach der<br />
Vorsitzende Friedrich Ebert im dortigen Parteiausschuss aus, was viele schon lange dachten: Er<br />
monierte das stetige Abnehmen der „Gleichheit“-Abonnentinnen <strong>und</strong> die Zunahme der Be-<br />
schwerden aus Partei- <strong>und</strong> Leserinnenkreisen. Bisher hätte man aus<br />
„Gründen der Toleranz […] gegen das Blatt <strong>und</strong> seine Haltung nichts unternommen,<br />
nun aber stellt sich die ‘Gleichheit’ ganz offen in den Dienst der neuen<br />
Partei der Unabhängigen. (Lebhafte Zustimmung <strong>und</strong> Rufe: Schon immer!) Damit<br />
wird natürlich der bisherige Zustand unhaltbar, es muß eine Änderung geschaffen<br />
werden.“ 157<br />
Es war folgendes von Ebert im Auftrag des Parteivorstandes verfasstes Schreiben, das Zetkin im<br />
Mai 1917 erreichte <strong>und</strong> mit welchem ihr ihre sofortige Entlassung aus der sozialdemokratischen<br />
Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ 158 mitgeteilt wurde:<br />
„Berlin SW. 68, den 16. Mai 1917.<br />
Lindenstraße 3.<br />
Frau Klara Zetkin-Z<strong>und</strong>el<br />
Wilhelmshöhe bei Degerloch.<br />
„Schon vor längerer Zeit ist uns mitgeteilt worden, daß Sie nicht mehr Mitglied unsrer<br />
Parteiorganisation sind. Nun sind Sie Mitglied der Partei „Unabhängige Sozialisten“[d.i.<br />
USPD; M.S.] <strong>und</strong> bekleiden ein hervorragendes Vertrauensamt in dieser<br />
Partei. Sie stellen außerdem die Ihnen von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands<br />
anvertraute Redaktion der Gleichheit in den Dienst der neuen Partei. Das hat mit<br />
Recht in weiten Kreisen unsrer Partei Widerspruch hervorgerufen, ist auch un-<br />
(vgl. GL, 27/ 17/ 25.05.1917/ 113). Nach Zetkins Entlassung wird dort nur noch „Für unsere Kinder“ als Beilage<br />
genannt (vgl. GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 117).<br />
155 Vgl. Thönnessen, Frauenemanzipation, S. 133.<br />
156 Zur USPD-Frauenbewegung siehe: Wickert, Unsere Erwählten, Bd. 1, S. 80-87.<br />
157 Protokoll des SPD-Parteiausschusses vom 18. <strong>und</strong> 19. April 1917, S. 6. In: Protokolle der Sitzungen des<br />
Parteiausschusses der SPD 1912 bis 1921, Bd. 1, S. 437.<br />
158 Siehe auch: Sachse, Ich erkläre mich schuldig.<br />
118
2.2.2 DER ERSTE WELTKRIEG, DIE ENTLASSUNG ZETKINS IM MAI 1917 UND DER ZIELSETZUNGSWANDEL DER „GLEICHHEIT“<br />
vereinbar mit den Interessen der Sozialdemokratischen Partei, deren Organ die<br />
Gleichheit ist.<br />
Wir sind deshalb gezwungen, auf Ihre weitere Redaktionstätigkeit für die Gleichheit<br />
vom heutigen Tage an zu verzichten, ebenso auf die weitere Tätigkeit Ihres Hilfsredakteurs<br />
<strong>und</strong> Ihrer Redaktionssekretärin.<br />
Das bisher bezogene Gehalt wird Ihnen bis 30. September 1917 von der Firma J.H.W.<br />
Dietz Nachf., Stuttgart, monatlich ausgezahlt werden. Ihrem Hilfspersonal wird das<br />
Gehalt bis zum Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist weiter bezahlt.<br />
Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.<br />
I.A. gez.: Fr. Ebert“ 159<br />
Die „Gleichheit“, so betonte Ebert, war ein Organ der Mehrheitssozialdemokratie. Zetkin, die<br />
ganz unverhohlen deren „burgfriedliche“ Zielsetzungen ablehnte <strong>und</strong> damit das in sie gesetzte<br />
Vertrauen missbraucht hatte, musste mitsamt ihrem engeren MitarbeiterInnenstab – Hoernle <strong>und</strong><br />
Buchheim – gehen.<br />
Zetkins vorläufige Antwort war ebenfalls nüchtern <strong>und</strong> betont knapp gehalten:<br />
„Ihr Brief vom 16. d. ist am 18. d. hier eingetroffen. Ich habe seinen Inhalt zur Kenntnis<br />
genommen <strong>und</strong> verzichte auf eine Auseinandersetzung mit Ihnen, zu der Ihr<br />
Schreiben <strong>und</strong> Vorgehen Anlaß geben könnte. Klara Zetkin.“ 160<br />
Sie nahm damit ihre Entlassung aus der Redaktion der führenden sozialistischen Frauenzeitung,<br />
die ihrer Ausstoßung aus der SPD-Frauenbewegung gleichkam, anscheinend sehr gelassen hin.<br />
Sie nahm anscheinend auch gelassen hin, dass Nummer 17 des 27. Jahrgangs, die am 25. Mai<br />
1917 erschien, die letzte von ihr redigierte Ausgabe der „Gleichheit“ war <strong>und</strong> man ihr noch nicht<br />
einmal die Gelegenheit gegeben hatte, sich von ihren Leserinnen zu verabschieden <strong>und</strong> die Situa-<br />
tion zu erklären.<br />
Doch es scheint nur so, als hätte Zetkin kampflos das Feld geräumt. Was sie zunächst dringend<br />
benötigte, war eine neue Plattform. Sie wurde ständige Mitarbeiterin der von der „Leipziger<br />
Volkszeitung“ eigens für sie eingerichteten „Frauen-Beilage“ 161 <strong>und</strong> verfasste auf Bitten der<br />
Redaktion einen Abschiedsartikel. 162 Fünf Wochen nach ihrer Entlassung, am 29. Juni 1917,<br />
verschriftlichte Zetkin nicht nur ihre Enttäuschung, sondern wehrte sich auch gegen die Vorwürfe<br />
des Parteiausschusses, gegen die vermeintlichen Gründe ihrer Entlassung. Sie zeichnete ein Bild<br />
159 Veröffentlicht in: Frauen-Beilage der Leipziger Volkszeitung, 01/ 01/ 29.06.1917/ 2<br />
160 Ebd.<br />
161 Diese Frauenbeilage erschien von Juni 1917 bis März 1919.<br />
162 Zetkin, Clara: Klara Zetkins Abschied von der „Gleichheit“. In: Frauen-Beilage der Leipziger Volkszeitung, 01/<br />
01/ 29.06.1917/ 1-2. Bereits am 19. Juni hatte Zetkin im Hauptblatt der „Leipziger Volkszeitung“ einen Artikel mit<br />
dem Titel „An die sozialistischen Frauen aller Länder!“ veröffentlicht, in dem sie ihre Entlassung aus der<br />
Redaktion der „Gleichheit“ bekannt gab <strong>und</strong> damit ihren Verlust als Organ der Sozialistischen<br />
Fraueninternationale (vgl. Dokumente <strong>und</strong> Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Reihe II,<br />
Bd. 1: Juli 1914 – Oktober 1917, S. 647-649).<br />
119
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
von den Umständen, unter denen sie bis zuletzt versucht hatte, die „Gleichheit“-Leserinnen zu<br />
Kriegsgegnerinnen zu erziehen:<br />
„Ich erkläre mich schuldig, daß die Gleichheit sich vom ersten Augenblick an, wo<br />
die sozialdemokratische Reichstagsfraktion die Gr<strong>und</strong>sätze des Sozialismus als<br />
hinderlichen Ballast über Bord warf, in bewußtem Gegensatz zu der entsprechenden<br />
‘Neuorientierung’ gestellt hat. Ich erkläre mich schuldig, daß die Gleichheit die<br />
Mehrheitspolitik mit steigender Schärfe kritisiert <strong>und</strong> bekämpft hat.<br />
… Würde ich anders gehandelt haben, so hätte ich meine Gr<strong>und</strong>sätze als internationale<br />
Sozialistin verleugnen, meiner Vergangenheit, meinem Lebenswerk,<br />
meinem Wesen ins Gesicht schlagen müssen. Ich wäre mir unwürdig des Namens<br />
als Sozialistin erschienen, unwürdig des Vertrauens breiter proletarischer Massen<br />
<strong>und</strong> der führenden Stellung, die ich in der sozialistischen Arbeiterbewegung,<br />
namentlich aber in der internationalen sozialistischen Frauenbewegung inne hatte.<br />
Sozialismus verpflichtet!“ 163<br />
Sie zeigte keine Reue für die von ihr betriebene Opposition, sondern war stolz auf die eigene<br />
persönliche Konsequenz, welche sie auch so dringend von der Mehrheit der SPD-Frauen erwartet<br />
hätte.<br />
„Sozialismus verpflichtet!“ 164 , so Zetkin, die sich damit auch stets den proletarischen Frauen an<br />
sich verpflichtet sah:<br />
„… ich habe die Gleichheit nie als das behagliche Traumstübchen meiner Wünsche<br />
betrachtet. Sie war mir ein anvertrautes Pf<strong>und</strong>, mit dem im Dienste meines Herrn<br />
zu wuchern mir Pflicht <strong>und</strong> Glück war. …<br />
Als Hauptaufgabe der Gleichheit dünkte mir jederzeit die Klärung <strong>und</strong> Vertiefung<br />
des sozialistischen Empfindens <strong>und</strong> Denkens der proletarischen Frauen, eine Klärung<br />
<strong>und</strong> Vertiefung, die als Vorstufe eines unbeugsamen, tatbereiten Wollens <strong>und</strong><br />
eines fruchtbaren, opferfreudigen Handelns unerläßlich ist.“ 165<br />
Was sie nie bei dieser Erziehung zur „Opferfreudigkeit“ bedacht hatte, war, dass sich so viele der<br />
geschulten Proletarierinnen „opferfreudig“ <strong>und</strong> bescheiden in den Dienst einer immer revisionis-<br />
tischer werdenden Partei stellen könnten. Die SPD-Frauen erkannten entweder nicht das Ausmaß<br />
des revisionistischen Wandels der Partei oder hießen ihn sogar gut. Für einen großen Teil der<br />
Proletarierinnen war der SPD-Parteivorstand als oberste Parteiinstanz weiterhin der Verkünder des<br />
einzig wahren Sozialismus. Wie hätten sie mit ihrem Theoriedefizit auch wissen können, dass<br />
verschiedene „Spielarten“ des Sozialismus möglich geworden waren. Zetkin hatte sie ja selbst<br />
jahrzehntelang auf die Parteilinie eingeschworen. Nun war es ihr unmöglich, sie alle von dieser<br />
Linie wieder abzubringen.<br />
Im Kreise der radikalen SPD-Minderheit <strong>und</strong> der USPD galt die Übernahme der „Gleichheit“ als<br />
163 Zetkin, Clara: Klara Zetkins Abschied von der „Gleichheit“. In: Frauen-Beilage der Leipziger Volkszeitung, 01/<br />
01/ 29.06.1917/ 1.<br />
164 Ebd.<br />
165 Ebd.<br />
120
2.2.2 DER ERSTE WELTKRIEG, DIE ENTLASSUNG ZETKINS IM MAI 1917 UND DER ZIELSETZUNGSWANDEL DER „GLEICHHEIT“<br />
„Gewaltakt“ oder „Handstreich“. Käte Duncker sprach in einem Brief an ihren Ehemann Hermann<br />
sogar von einem „Gleichheitsmord“ 166 . Im Kreise des Parteiausschusses dagegen war man mit<br />
dem Verlauf der Angelegenheit sehr zufrieden:<br />
„Die Sache hat natürlich Staub aufgewirbelt, aber die Hauptsache für uns war, daß<br />
wir eine brauchbare Redaktion bekamen. Ich glaube, das ist gelungen. Die bisher<br />
erschienenen beiden Nummern zeigen wohl jedem, daß die ‘Gleichheit’ jetzt auf<br />
dem Wege ist, ihren Aufgaben so gerecht zu werden, wie es hier immer gewünscht<br />
worden ist. Natürlich wird nun im Lande auch eine Hetze gegen die ‘Gleichheit’<br />
getrieben werden. Deshalb bitte ich die Mitglieder des Parteiausschusses, sich mit<br />
größter Entschiedenheit für die Agitation für die ‘Gleichheit’ einzusetzen. Wenn<br />
alle Parteiorganisationen mit Nachdruck für ein Abonnement des Blattes sorgen, so<br />
wird es gelingen eine Aufwärtsentwicklung der ‘Gleichheit’ durchzusetzen.“ 167<br />
Zur neuen verantwortlichen Redakteurin der „Gleichheit“ ernannte der SPD-Parteivorstand Marie<br />
Juchacz (1879-1956) 168 , die bis dahin als Hilfssekretärin für die „Gleichheit“ gearbeitet hatte. 169<br />
Indem Juchacz nicht nur die Nachfolge Zetkins als „Gleichheit“-Redakteurin, sondern auch die<br />
Nachfolge Zietz‘ als Frauensekretärin im Parteivorstand der SPD antrat, versah sie in<br />
Personalunion die beiden bedeutendsten Ämter der sozialdemokratischen Frauenbewegung. Allein<br />
166 Käte Duncker in einem Brief an Hermann Duncker, 23./24.05.1917, SAPMO Stiftung Archiv der Parteien <strong>und</strong><br />
Massenorganisationen der DDR im B<strong>und</strong>esarchiv Berlin, NY 4445/138. Diesen Hinweis verdanke ich Dres. Ruth<br />
<strong>und</strong> Heinz Deutschland (Berlin).<br />
167 Protokoll des SPD-Parteiausschusses vom 26. Juni 1917, S. 44. In: Protokolle der Sitzungen des Parteiausschusses<br />
der SPD 1912 bis 1921, Bd. 1, S. 552.<br />
168 Marie Juchacz, geb. Gohlke, wurde in Landsberg an der Warthe, dem heute 80 km nordöstlich von Frankfurt/Oder<br />
gelegenen polnischen Gorzów Wielkopolski, als älteste Tochter eines teilweise selbständigen Zimmerermeisters<br />
geboren. Sie arbeitete nach Besuch der Volksschule erst zwei Jahre als Dienstmädchen, dann ein halbes Jahr als<br />
Arbeiterin in einer Netz-Fabrik <strong>und</strong> zweieinhalb Jahre als Krankenpflegerin in der „Provinzial-Landes-Irrenanstalt<br />
zu Landsberg“. Schließlich absolvierte sie eine Ausbildung zur Schneiderin. 1906 erfolgte erst die Trennung von<br />
ihrem Ehemann, dem Schneidermeister Bernhard Juchacz, 1911 dann die Scheidung. 1906 zog Juchacz mit ihrer<br />
Schwester Elisabeth Röhl <strong>und</strong> ihren Kindern Charlotte <strong>und</strong> Paul nach Berlin (in der „Gleichheit“ finden sich<br />
anlässlich der Novemberrevolution 1918 zwei Briefe der beiden Kinder (vgl. Zwei Kinderbriefe. In: GL, 29/ 07/<br />
03.01.1919/ 52)). Hier begann ihre agitatorische Tätigkeit für die SPD begann. Die Schwestern wurden Mitglieder<br />
im „Verein der Frauen <strong>und</strong> Mädchen der arbeitenden Klasse”. 1907 wurde Juchacz Vorsitzende des „Frauen- <strong>und</strong><br />
Mädchenbildungsvereins” zu Schöneberg <strong>und</strong> 1908 Mitglied der SPD. Sie war Vorstandsmitglied des<br />
sozialdemokratischen Wahlvereins Neukölln <strong>und</strong> 1910 im Zentralvorstand des sozialdemokratischen Wahlvereins<br />
Teltow-Beeskow tätig. 1913-1917 übernahm sie eine Stellung als hauptamtliche <strong>und</strong> damit besoldete Parteisekretärin<br />
in Köln. Während des Ersten Weltkriegs war Juchacz in der „Nationalen Frauengemeinschaft” <strong>und</strong> in<br />
verschiedenen städtischen Körperschaften <strong>und</strong> privaten Wohlfahrtsorganisationen aktiv. 1917 folgte sie Zietz als<br />
Frauensekretärin im Parteivorstand nach. 1917-1919 übernahm sie zusammen mit Heinrich Schulz die Redaktion<br />
der “Gleichheit”. 1919 wurde sie Abgeordnete der Nationalversammlung <strong>und</strong> hielt dort als erste Frau am 19.<br />
Februar 1919 eine Rede an das Parlament. Im Auftrag des Parteivorstandes gründete Juchacz den Hauptausschuss<br />
für Arbeiterwohlfahrt <strong>und</strong> wurde dessen Vorsitzende. 1920-1933 saß sie als Abgeordnete im Reichstag. 1933<br />
emigrierte die SPD-Politikerin mit ihrem Schwager Emil Kirschmann ins Saarland, flüchtete dann weiter nach<br />
Frankreich <strong>und</strong> 1941 schließlich in die USA, wo sie als Mitglied des Exekutivkomitees „German-American<br />
Council for the Liberation of Germany from Nazism” weiterhin gegen den Nationalsozialismus kämpfte. 1949<br />
kehrte Juchacz nach Deutschland zurück <strong>und</strong> wurde wieder in AWO <strong>und</strong> SPD tätig.<br />
169 Die von Juchacz vor ihrer Übernahme der Redaktion verfassten Artikel sind marginal <strong>und</strong> werden im nächsten<br />
Kapitel vorgestellt.<br />
121
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
daraus lässt sich ablesen, dass Juchacz als eine besonders treue Parteianhängerin einzuschätzen ist<br />
<strong>und</strong> die Parteispitze von ihr keinen Missbrauch ihrer Machtfülle befürchtete. Sie machte die<br />
„Gleichheit“ <strong>und</strong> deren Leserinnen – wie es die „Leipziger Volkszeitung“ es formulierte – „zu<br />
kritiklosen Mitläuferinnen der nationalsozialen Mehrheitspolitik“ 170 .<br />
Juchacz zur Seite stand Heinrich Schulz (1872-1932) 171 . Schulz war von Beruf Lehrer <strong>und</strong> ein<br />
sehr ehrgeiziger Parteifunktionär. Bis zum Kriegseintritt <strong>und</strong> seiner Wandlung zum Nationalisten<br />
hatte er in engem Kontakt mit Zetkin gestanden. 172 Der erste von Schulz für die „Gleichheit“<br />
verfasste Artikel, der hier ermittelt wurde, erschien im September 1905. Es war ein Beitrag zu<br />
einer von Zetkin angeregten LeserInnendiskussion 173 , die sich mit der sozialistischen Jugendagi-<br />
tation beschäftigte <strong>und</strong> sehr ausgedehnt war. 174 Einige Monate später kritisierte er einen spöt-<br />
tischen Artikel des revisionistischen Sozialdemokraten Heinrich Peus, der darin eine besonders<br />
bourgeoise Auffassung vom Geschlechterverhältnis offenbart hatte. 175 Den „Gleichheit“-Lese-<br />
rinnen war Schulz aber vor allem durch seine seit 1905 erscheinenden Artikel zum Thema Kinder-<br />
170 Die Maßregelung der Redaktion der Gleichheit. In: Frauen-Beilage der „Leipziger Volkszeitung“, 01/ 01/<br />
29.06.1917/ 3.<br />
171 Heinrich Schulz wurde in Bremen geboren <strong>und</strong> war Sohn eines Werkmeisters. Er besuchte erst die Volksschule<br />
<strong>und</strong> 1881-1889 die Realschule in Bremen. 1889-1892 folgten eine Ausbildung auf einem Volksschullehrerseminar,<br />
ein Universitätsstudium <strong>und</strong> 1893-1894 der Militärdienst. Anfangs Lehrer in Bremen, wurde er 1894 Lehrer an der<br />
Arbeiterbildungsschule in Berlin, 1895 deren Vorsitzender. Ab 1896 wurde Schulz journalistisch tätig. 1896-1897<br />
bekleidete er das Amt des zweiten Vorsitzenden der “Freien Volksbühne” <strong>und</strong> wirkte 1897-1906 als Redakteur<br />
verschiedener sozialdemokratischer Zeitungen in Erfurt, Magdeburg <strong>und</strong> Bremen. 1906-1919 war Schulz Geschäftsführer<br />
des „Zentralen Bildungsausschusses” <strong>und</strong> damit Leiter des sozialdemokratischen Bildungswesens.<br />
1906-1914 war er nicht nur Lehrer, sondern auch Obmann der Parteischule. 1912-1918 hatte er ein Mandat als<br />
Reichstagsabgeordneter <strong>und</strong> saß 1917-1932 im Parteivorstand der SPD. 1919 in die Nationalversammlung<br />
gewählt (Februar-Juni 1919 deren Vizepräsident), hatte er 1920-1932 erneut Mandate als Reichstagsabgeordneter<br />
inne. 1919-1927 war Schulz Staatssekretär für Schul- <strong>und</strong> Bildungsfragen im Reichsinnenministerium <strong>und</strong> 1919-<br />
1932 Vorsitzender im „Reichsausschuß für sozialistische Bildungsarbeit”. Schulz war Begründer <strong>und</strong> Leiter der<br />
„Deutschen Kunstgemeinschaft” <strong>und</strong> der führende Schul- <strong>und</strong> Kulturpolitiker der SPD.<br />
172 Gemeinsam <strong>und</strong> im Auftrag des Parteivorstandes hatten Schulz <strong>und</strong> Zetkin ein Gr<strong>und</strong>satzprogramm zur<br />
sozialdemokratischen Schulpolitik verfasst, welches auf dem Parteitag in Mannheim 1906 vorgestellt wurde (vgl.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages Mannheim 1906, S. 323-360). Der Pädagoge <strong>und</strong> Philosoph Wolfdietrich Schmied-<br />
Kowarzik ist der Meinung, dass diese gemeinsam entwickelten Leitsätze „zu den theoretisch überzeugendsten <strong>und</strong><br />
fortschrittlichsten [gehören], die jemals in der ‘sozialdemokratischen Partei’ zum Erziehungsproblem entwickelt<br />
worden“ (Schmied-Kowarzik, Kritische Theorie <strong>und</strong> revolutionäre Praxis, S. 140) seien, jedoch hätten sie keinen<br />
Eingang in die politische Praxis der SPD gef<strong>und</strong>en (vgl. ebd.). In der „neuen“ „Gleichheit“ bezog Schulz zu<br />
Zetkins Erziehungsidealen jedoch nur noch ablehnend Stellung: Schulz, Heinrich: Schulreform oder „Revolution“?<br />
In: GL, 30/ 41-42/ 09.10.1920/ 332-333.<br />
173 Schulz, Heinrich: Jugend <strong>und</strong> Sozialismus. VI. In: GL, 15/ 18/ 06.09.1905/ 104.<br />
174 Vgl. Krüger, Franz: Jugend <strong>und</strong> Sozialismus. In: GL, 15/ 15/ 26.07.1905/ 87; Jugend <strong>und</strong> Sozialismus I-II. In: GL,<br />
15/ 16/ 09.08.1905/ 92-93; Jugend <strong>und</strong> Sozialismus III-V. In: GL, 15/ 17/ 23.08.1905/ 97-98; Jugend <strong>und</strong><br />
Sozialismus VI-VII. In: GL, 15/ 18/ 06.09.1905/ 103-105; Jugend <strong>und</strong> Sozialismus IX-X. In: GL, 15/ 19/<br />
20.09.1905/ 110-111; Jugend <strong>und</strong> Sozialismus XI-XII. In: GL, 15/ 20/ 04.10.1905/ 115-116; Jugend <strong>und</strong> Sozialismus<br />
XII-XIV. In: GL, 15/ 22/ 01.11.1905/ 127-128; Jugend <strong>und</strong> Sozialismus XV-XVI. In: GL, 15/ 24/ 29.11.1905/<br />
139-140; Jugend <strong>und</strong> Sozialismus XVII. In: GL, 15/ 26/ 27.12.1905/ 153.<br />
175 Schulz, Heinrich: „Zehn Gebote für die Männer.“. In: GL, 15/ 25/ 13.12.1905/ 146-147; Nochmals die „Zehn<br />
Gebote für die Männer“. In: GL, 16/ 01/ 10.01.1906/ 3.<br />
122
2.2.2 DER ERSTE WELTKRIEG, DIE ENTLASSUNG ZETKINS IM MAI 1917 UND DER ZIELSETZUNGSWANDEL DER „GLEICHHEIT“<br />
<strong>und</strong> Jugenderziehung 176 , seinen Erziehungsratgeber „Die Mutter als Erzieherin“ (1907) 177 <strong>und</strong><br />
unter dem Pseudonym „Ernst Almsloh“ 178 bekannt. In der Kinderbeilage „Für unsere Kinder“ ver-<br />
öffentlichte Schulz in den Jahren 1905 bis 1910 26 Beiträge. 179<br />
Juchacz <strong>und</strong> Schulz waren nun die neuen verantwortlichen RedakteurInnen der „Gleichheit“.<br />
Daher waren es vermutlich diese beiden, die sich „[i]n eigener Sache“ 180 an die Leserinnen rich-<br />
teten, um ihnen die neuen inhaltlichen Richtlinien der „Gleichheit“ bekanntzugeben. 181 Doch<br />
bevor sie sich den neuen Aufgaben zuwandten, schien es Juchacz <strong>und</strong> Schulz ein dringendes<br />
Bedürfnis, die Entlassung Zetkins als unvermeidbare Notwendigkeit zu rechtfertigen. Der Partei-<br />
vorstand habe aufgr<strong>und</strong> Zetkins gegnerischer Position <strong>und</strong> Mitgliedschaft in einer gegnerischen<br />
Partei, vor allem aber angesichts deren Weigerung, selbst die Konsequenzen daraus zu ziehen,<br />
nicht anders handeln können. Er habe deshalb notgedrungen „seinerseits die Schlußfolgerungen<br />
aus der unerträglich gewordenen Sachlage ziehen“ 182 müssen. Zwar war die neue Redaktion deut-<br />
lich darum bemüht, sich von Zetkins Position abzugrenzen, man wollte aber dennoch nicht deren<br />
persönlichen Verdienste gänzlich übergehen. Diese Verdienste seien<br />
„groß, außergewöhnlich groß <strong>und</strong> werden ihr unvergessen bleiben. Wenn<br />
Leidenschaftlichkeit der Kampfführung <strong>und</strong> Hingabe an die Überzeugung, gepaart<br />
mit hoher Intelligenz <strong>und</strong> nimmermüder Arbeitsamkeit, die einzigen Tugenden<br />
eines sozialdemokratischen Kämpfers wären, so könnten nicht viele in unserer<br />
Millionenpartei den Vergleich mit ihr aushalten.“ 183<br />
Juchacz <strong>und</strong> Schulz bestritten nicht, dass Zetkin über viele herausragende Fähigkeiten <strong>und</strong><br />
Tugenden verfügte. Ihrer Meinung nach waren es jedoch nicht diejenigen, die für eine loyale<br />
Sozialdemokratin maßgeblich zu sein hatten. Zetkin hatte es besonders an Gehorsam gegenüber<br />
der Partei gemangelt. Dies sollte sich nun zumindest für die „neue“ „Gleichheit“ ändern:<br />
„[d]ie ‘Gleichheit’ wird auf dem neuen Wege, den sie fürderhin ohne Klara Zetkin<br />
gehen muß, die wertvollen <strong>und</strong> dauernden Anregungen <strong>und</strong> Arbeiten ihrer<br />
176 Schulz, Heinrich: Erziehung ohne Prügel. In: GL, 16/ 06/ 21.03.1906/ 33 (eine relativ kritische Rezension zu<br />
Julian Borchardts – ebenfalls ein Mitarbeiter der „Gleichheit“ – im Berliner Vorwärts-Verlag erschienener Broschüre<br />
„Wie sollen wir unsere Kinder ohne Prügel erziehen?“ (1906))<br />
177 Entstanden aus einer gleichnamigen Artikelreihe, die Schulz regelmäßig in der „Gleichheit“ veröffentlichte. Siehe<br />
auch: Krauth, Die Mutter als Erzieherin.<br />
178 Vgl. Drust, Für unsere Kinder, S. 197. Einer der unter diesem Pseudonym verfassten Artikel war: Almsloh, Ernst:<br />
Heinrich Heine <strong>und</strong> die Frau. In: GL, 16/ 05/ 07.03.1906/ 25-26.<br />
179 Vgl. Drust, Für unsere Kinder, S. 197.<br />
180 Vgl. In eigener Sache. In: GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 117-118.<br />
181 Auffälligerweise ist der Artikel weder gezeichnet noch wurden in ihm die Namen der neuen RedakteurInnen<br />
genannt.<br />
182 Ebd., S. 117.<br />
183 Ebd.<br />
123
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
bisherigen Herausgeberin gern <strong>und</strong> freudig weiterpflegen. Sie glaubt aber, daß sie<br />
diese ernste Pflicht durch ein treues Festhalten an der sozialdemokratischen Partei,<br />
durch ihre ehrliche <strong>und</strong> gewissenhafte Unterstützung ihrer Politik <strong>und</strong> durch eine<br />
Einwirkung auf die sozialdemokratischen Frauen im Sinne der demokratischen<br />
Unterordnung unter die Beschlüsse der Mehrheiten besser erfüllt, als es die<br />
‘Gleichheit’ während des Krieges, besonders während des letzten Jahres, durch ihre<br />
entgegengesetzte Haltung getan hat. Das Programm der sozialdemokratischen<br />
Partei bleibt nach wie vor die Marschroute der<br />
‘Gleichheit’.“ 184<br />
Die Parteilinie wurde jetzt stärker als bisher das Maß aller Dinge. Die „Gleichheit“ vollzog eine<br />
180-Grad-Wende <strong>und</strong> ordnete sich fortan der männerdominierten Parteispitze <strong>und</strong> den<br />
Mehrheitsbeschlüssen unter. Genau diese Unterordnung verlangte sie auch von ihren Leserinnen.<br />
Im Mittelpunkt ihrer Aufklärungsarbeit stand nun eine frauenspezifische Erziehung zu Partei-<br />
genossenschaft <strong>und</strong> Parteigehorsam. Damit wollte sich die „Gleichheit“ von den allgemein<br />
gehaltenen Informationen der Tagesblätter absetzen. 185 Gleichzeitig aber bedeutete dies auch, dass<br />
sich die „Gleichheit“ aus der kritischen Diskussion der „großen“ Politik zurückzog. „[E]inigend,<br />
versöhnend[…] [<strong>und</strong>] ausgleichend“ 186 wollte die neue Redaktion wirken – auch zwischen den<br />
Geschlechtern. Denn auch wenn sie eine Vertreterin weiblicher Interessen sei, strebe die „Gleich-<br />
heit“ doch keinesfalls die Gründung einer Art weiblicher „Sonderorganisation innerhalb der<br />
Gesamtpartei“ 187 an. Wie schon unter Zetkin beabsichtigte man mittels der „Gleichheit“,<br />
„die arbeitenden Frauen mit der politischen Bewegung vertraut zu machen, ihre<br />
politischen <strong>und</strong> staatsbürgerlichen Pflichten <strong>und</strong> Rechte zu vertreten <strong>und</strong> zu<br />
vertiefen, sie daneben aber auch in alle kulturellen Angelegenheiten, besonders<br />
vom Standpunkt der Frau aus, einzuführen. So wird sie den erziehlichen Aufgaben<br />
der Frau, ihren hauswirtschaftlichen Sorgen, der Ges<strong>und</strong>heitspflege, im weiteren<br />
der Pflege von Kunst <strong>und</strong> Wissenschaft die gebührende Aufmerksamkeit widmen.<br />
Politische Schulung, leichtverständliche Belehrung <strong>und</strong> wertvolle Unterhaltung,<br />
das werden wie bisher die drei wichtigsten Richtlinien für die ‘Gleichheit’ sein.“ 188<br />
Das nun von Juchacz <strong>und</strong> Schulz neu abgesteckte Aufgabenfeld der „Gleichheit“ schien also auf<br />
den ersten Blick nicht auffällig anders zu sein. Die politische Schulung sollte im Mittelpunkt<br />
stehen. Sie politische Schulung sollte laut Juchacz <strong>und</strong> Schulz sogar die „Daseinsberechtigung“ 189<br />
der „Gleichheit“ „neben den Gewerkschaftsblättern […] <strong>und</strong> neben der ‘Gewerkschaftlichen<br />
Frauenzeitung’“ 190 ausmachen. Eine Äußerung, die vermuten lässt, dass durchaus bereits Stimmen<br />
184 Ebd.<br />
185 Ebd., S. 118.<br />
186 Ebd.<br />
187 Ebd.<br />
188 Ebd.<br />
189 Ebd.<br />
190 Ebd.<br />
124
2.2.2 DER ERSTE WELTKRIEG, DIE ENTLASSUNG ZETKINS IM MAI 1917 UND DER ZIELSETZUNGSWANDEL DER „GLEICHHEIT“<br />
laut geworden waren, die die Einstellung der „Gleichheit“ gefordert hatten. War auch die<br />
politische Schulung die offizielle Legitimation für das Weiterbestehen der „Gleichheit“, so wollte<br />
sich die „Gleichheit“ nun doch auch vermehrt nach den „praktischen Interessen“, dem<br />
vermeintlichen „Standpunkt der Frau“ ausrichten. Ein Standpunkt, der nicht, wie es vielleicht<br />
durch den Begriff erscheinen könnte, einen ausgeprochen feministischen Anspruch gehabt hätte.<br />
Die „Gleichheit“ sollte schlicht ein „Familienblatt“ 191 werden – „gern gelesen[…]“ 192 <strong>und</strong> „von<br />
den Arbeiterfrauen stets mit Ungeduld erwartet[…]“ 193 . Es scheint demnach, als ob der Charakter<br />
der unterhaltenden Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ somit mehr oder weniger auf das<br />
Hauptblatt überging, die „Gleichheit“ sozusagen „feuilletonisierte“ 194 . Die Begriffe „Sozialismus“<br />
oder gar „Klassenkampf“ blieben in diesem Konzept ausgespart. Die neue Zielsetzung wurde<br />
auch in dem neuen Untertitel der „Gleichheit“ „Zeitschrift für Arbeiterinnen <strong>und</strong><br />
Arbeiterfrauen“ 195 [Hervorhebungen von M.S.] deutlich. Es rückten mit ihm jene Leserinnen<br />
stärker in den Fokus, die vermutlich die Mehrheit ausmachten – die Arbeiterfrauen, die als<br />
Ehefrauen <strong>und</strong> Hausfrauen sowohl politischer Aufklärung als auch praktischer Belehrung<br />
bedurften. Juchacz wollte auch hinsichtlich der Zielgruppe <strong>und</strong> deren Ansprache unbedingt klare<br />
Verhältnisse <strong>und</strong> damit einen Neubeginn schaffen. 196 Nach Meinung Vormschlags, die die<br />
Veränderungen der „Gleichheit“ aus publizistischer Sicht untersuchte, kann durch diesen<br />
Neubeginn nicht mehr „von einer kontinuierlichen Ansprache“ 197 der „Gleichheit“-Leserinnen<br />
gesprochen werden. Zu einer solchen gehöre neben einer Kontinuität „der äußeren Form auch die<br />
Beibehaltung der geistigen Richtung <strong>und</strong> des Stils“ 198 . Wie das eine, so änderte sich bei der<br />
„Gleichheit“ jedoch auch das andere.<br />
191 Ebd.<br />
192 Ebd.<br />
193 Ebd.<br />
194 Zum Begriff der „Feuilletonisierung“ siehe: Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer<br />
Frauenzeitschriften, S. 20 u. S. 159f.<br />
195 GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 117. Auch Vormschlag betont die große Bedeutung dieser unscheinbar anmutenden<br />
Untertiteländerungen, die 1917, 1919 <strong>und</strong> 1922 vorgenommen wurden: „Die verschiedenen Untertitel der Zeitschrift<br />
in jenen Jahren erweisen sich als Produkt der Unsicherheit, ein neues erfolgreiches Konzept zu finden. Bis<br />
zur letzten Nummer des Jahres 1923 ändert die ‘Gleichheit’ bezeichnenderweise viermal ihren Untertitel, ohne<br />
daß davon die äußere Form <strong>und</strong> der Inhalt der Zeitschrift entscheidend betroffen war.“ (Vormschlag, Inhalte,<br />
Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 77).<br />
196 Diesen Neubeginn verdeutlicht auch ein Blick in das Jahrgangsverzeichnis des 27. Jahrgangs (1917/18). Es wird<br />
eine vollkommen neue Rubrizierung der „Gleichheit“ deutlich, die laut Vormschlag auch eine „veränderte<br />
Einstellung zu einzelnen Problemen dokumentier[e]“ (ebd., S. 99).<br />
197 Ebd.<br />
198 Ebd., S. 100.<br />
125
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Selbstbewusst verkündete Juchacz im August 1917, dass sich die Sozialdemokratinnen wieder mit<br />
neuem Vertrauen geschlossen um ihr Presseorgan sammeln würden. Die „Gleichheit“, so Juchacz,<br />
sei endlich wieder der „geistige[…] Mittelpunkt der Bewegung“ 199 . Bereits einen Monat später<br />
teilte sie mit, dass viele Frauen in den Leserkreis der „Gleichheit“ zurückgekehrt seien. 200 Vor<br />
allem jene Frauen,<br />
„die in der ‘Gleichheit’ mehr suchten als eine regelmäßige gedrängte Übersicht des<br />
tief bedauerlichen Parteizerwürfnisses, die von ihr schlichte Belehrung über<br />
politische Angelegenheiten, sachliche Aufklärung über die mannigfachen Vorgänge<br />
in der Frauenbewegung, aber auch stimmungsvolle Erholung von der Unrast des<br />
öffentlichen Lebens durch schöngeistige Unterhaltung“ 201<br />
erwarteten. Dennoch musste die „Gleichheit“ ihre Leserinnen um Mithilfe bei ihrer Werbung<br />
bitten:<br />
„Jede unserer Leserinnen hat eine Verwandte, eine Fre<strong>und</strong>in, eine Mitarbeiterin,<br />
eine Nachbarin, die eigentlich ihrer wirtschaftlichen Lage <strong>und</strong> ihrer Denkungsweise<br />
nach schon längst Bezieherin der ‘Gleichheit’ sein müßte. An sie tretet heran,<br />
liebe Leserinnen, <strong>und</strong> überzeugt sie von der Notwendigkeit, unser Blatt regelmäßig<br />
lesen zu müssen.“ 202<br />
Die „Gleichheit“ musste wie zu Beginn ihres Bestehens nun vor allem M<strong>und</strong>propaganda<br />
betreiben. Die alten Strukturen hatten sich teilweise aufgelöst. Geblieben war der „neuen“<br />
„Gleichheit“ die alte Konkurrenz durch die „Gewerkschaftliche Frauenzeitung“. Obwohl nun eine<br />
gänzlich andere Redaktion in der „Gleichheit“ am Werk war, hatte die Generalkommission keinen<br />
Gr<strong>und</strong> gesehen, ihr Konkurrenzunternehmen einzustellen. Stattdessen konnte deren Redaktion<br />
laut eines vermutlich von Juchacz verfassten Artikels der „Gleichheit“ freudig erklären, „daß ihre<br />
Auflage seit einigen Wochen auf über 100 000 Stück gestiegen sei“ 203 . Zum Gründungszeitpunkt<br />
hätten, so Juchacz weiter,<br />
„wohl nur wenige auf eine so erfreuliche Entwicklung gehofft. Leider ist während<br />
der gleichen Zeit die Auflage der ‘Gleichheit’ aus einer Reihe von Gründen<br />
erheblich zurückgegangen. Wir sprechen aber die Hoffnung aus, daß nunmehr,<br />
nachdem die Hauptgründe beseitigt worden sind, auch die Leserschar der<br />
‘Gleichheit’ sich wieder in aufsteigender Linie bewegen wird.“ 204<br />
Juchacz sah die „Gewerkschaftliche Frauenzeitung“ nicht als Konkurrenz, zog keinerlei Ver-<br />
bindung zwischen dem Anstieg ihrer Auflage <strong>und</strong> dem Verfall derjenigen der „Gleichheit“. Nach<br />
Ansicht der neuen Redaktion hatte maßgeblich der Krieg den Verlust an Leserinnen verursacht.<br />
199 Auf dem Vormarsch. In: GL, 27/ 23/ 17.08.1917/ 157.<br />
200 Vgl. Juchacz, Marie: Seit vier Monaten. In: GL, 27/ 26/ 28.09.1917/ 181.<br />
201 Ebd.<br />
202 Ebd.<br />
203 Die Frau als Arbeiterin. In: GL, 27/ 19/ 02.06.1917/ 131.<br />
204 Ebd.<br />
126
2.2.2 DER ERSTE WELTKRIEG, DIE ENTLASSUNG ZETKINS IM MAI 1917 UND DER ZIELSETZUNGSWANDEL DER „GLEICHHEIT“<br />
Auch der Redaktionswechsel sei eine kriegsbedingte Maßnahme – „schmerzlich <strong>und</strong> bitter“ 205 ,<br />
aber auch „notwendig <strong>und</strong> unerläßlich“ 206 – gewesen:<br />
„Der Krieg [sei] auch in diesem Falle die Ursache für eine Entscheidung, die vor<br />
dem Kriege niemand in der deutschen Sozialdemokratie für möglich gehalten<br />
hätte.“ 207<br />
Das Ende einer „mehr als fünf<strong>und</strong>zwanzigjährige[n] Tätigkeit einer hochbegabten <strong>und</strong><br />
aufopferungsvollen Frau <strong>und</strong> Kämpferin für die sozialdemokratische Partei“ 208 wurde demnach<br />
dem Krieg bzw. dem Umstand zugeschrieben, dass er für die einen ein Verbrechen, für die<br />
anderen eine Notwendigkeit war. Die dienstbeflissenen StellvertreterInnen der Parteispitze,<br />
Juchacz <strong>und</strong> Schulz, waren der Meinung,<br />
„ein starkes <strong>und</strong> freies Deutschland […][sei] die erste Vorbedingung für eine starke<br />
<strong>und</strong> freie deutsche Arbeiterbewegung sowie für die Fortentwicklung der deutschen<br />
Kultur, dieses wertvollen <strong>und</strong> wichtigen Stückes der allgemeinen Kultur“ 209 .<br />
Ganz im Sinne der Partei verteidigten sie damit den Krieg als eine für die Arbeiterbewegung<br />
förderliche Notwendigkeit. Sie glaubten, dass<br />
„gerade die deutschen Frauen vollstes Verständnis für die Haltung der<br />
sozialdemokratischen Reichstagsfraktion haben, da jede andere Haltung die<br />
ungeheuerliche Gefahr einer deutschen Niederlage, zunächst des Eindringens<br />
feindlicher Heere in deutsches Gebiet, später der Unterbindung <strong>und</strong> Lähmung des<br />
deutschen Wirtschaftslebens herbeiführen würde“ 210 .<br />
Durchhalteparolen <strong>und</strong> Schreckensbilder von einer möglichen Niederlage sollten die Frauen der<br />
SPD gewogen halten. Denn ein baldiger Frieden könne nur durch das vertrauensvolle Beschreiten<br />
des von der Partei eingeschlagenen Weges erreicht werden. Der Zwiespalt der Partei, verursacht<br />
von Oppositionellen wie Zetkin, sei dagegen leider nur dazu geeignet, „sein Kommen zu ver-<br />
langsamen“ 211 . Juchacz <strong>und</strong> Schulz machten demnach die USPD, die in ihr vertretenen Kriegs-<br />
gegnerInnen zum Sündenbock für das Andauern des Krieges. Die von der USPD betriebene<br />
Quertreiberei schade der deutschen Sozialdemokratie <strong>und</strong> dem deutschen Volk.<br />
Zu diesem Zeitpunkt – so kurz nach ihrer Entlassung – stellten die Mehrheitssozialdemokratinnen<br />
ihre ehemaligen Genossinnen Zetkin <strong>und</strong> Zietz noch nicht direkt als Verräterinnen dar. Sie waren<br />
205 In eigener Sache. In: GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 117-118, S. 117.<br />
206 Ebd.<br />
207 Ebd.<br />
208 Ebd.<br />
209 In eigener Sache. In: GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 117f.<br />
210 In eigener Sache. In: GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 118.<br />
211 Ebd.<br />
127
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
ihnen eher verdienstvolle aber irrgläubige „Lehrmeisterin[nen]“ 212 , denen man die Gefolgschaft<br />
hatte versagen müssen. Je stetiger sich die neue sozialdemokratische Frauenbewegung jedoch<br />
konsolidierte, desto mehr suchte sie die Abgrenzung zu ihrer Vergangenheit <strong>und</strong> beurteilte das<br />
Verhalten Zetkins <strong>und</strong> Zietz’ schließlich wesentlich negativer:<br />
„Drei Jahre lang krankte die proletarische Frauenbewegung an innerer<br />
Zerrissenheit <strong>und</strong> Unklarheit des Wollens. Die Masse der Frauen wollte sich gefühlsmäßig<br />
im gleichen Schritt <strong>und</strong> Tritt mit ihren Männern halten, also der<br />
bewährten Politik der sozialdemokratischen Partei folgen; sie wurde aber irre<br />
gemacht durch das Verhalten langjähriger Führerinnen, die offen <strong>und</strong> im geheimen<br />
den Anschluß der proletarischen Frauenbewegung an eine neugegründete<br />
sozialistische Partei vorbereiteten.“ 213<br />
Zetkin habe demnach eine Art Verschwörung im Sinn gehabt <strong>und</strong> glücklicherweise habe die SPD<br />
diesen Schaden begrenzen können. Die gut besuchten Werbeversammlungen <strong>und</strong> die<br />
zunehmenden Mitglieds- <strong>und</strong> Abonnementszahlen belegten den Erfolg dieser Schadens-<br />
begrenzung.<br />
Deshalb hatte sich die neue Redaktion vorgenommen, Provokationen Zetkins gänzlich zu<br />
ignorieren. 214 Gr<strong>und</strong>satz sollte sein, „die ‘Gleichheit’ nicht zu einem Tummelplatz für Parteistreit,<br />
Rechthaberei <strong>und</strong> Gezänke zu machen“ 215 <strong>und</strong> deshalb sollte z.B. im September 1918 nur<br />
„ausnahmsweise einmal auf einen Angriff der ‘Frauenbeilage der Leipziger Volkszeitung’“ 216<br />
eingegangen werden. Auch von dem „dreimal“ revolutionären Diskussionsstil auf den Ver-<br />
anstaltungen wollte man sich abgrenzen. Freudig stellte Blos für die erste von Juchacz als Frauen-<br />
sekretärin einberufene Frauenkonferenz am 7. Juli 1917 fest, dass dort „weniger schwungvoll <strong>und</strong><br />
weniger häufig vom Klassenkampf <strong>und</strong> vom revolutionären Sozialismus gesprochen“ 217 worden<br />
sei. Dadurch habe nun im Mittelpunkt einer solchen Veranstaltung „[k]eine radikale Phraseologie,<br />
dafür mehr praktische Arbeit im Dienst des Sozialismus“ 218 gestanden. Die kritisierte „Phra-<br />
seologie“ war jedoch tatsächlich weder aus den Diskussionen der proletarischen Frauenbewegung<br />
noch aus der „Gleichheit“ verbannt. Das zeigt bereits dieser von Blos gegen Zetkin <strong>und</strong> ihre<br />
212 Reitze, Johanna: Was nun? In: GL, 27/ 22/ 154/ 03.08.1917/ 154.<br />
213 Auf dem Vormarsch. In: GL, 27/ 23/ 17.08.1917/ 157.<br />
214 Zetkins polemische Bezeichnungen für die Mitglieder der SPD waren vielfältig: „Pseudosozialisten“,<br />
„Rechtssozialisten“, „Reformsozialisten“, „die Ebert-Scheidemänner“ (Zetkin, Rede – gehalten auf dem USP-<br />
Parteitag am 04.03.1919, S. 4ff.), „Umlerner“, „Nationalsoziale“ (Die Auseinandersetzung in der<br />
Sozialdemokratie. In: GL, 27/ 12/ 16.03.1917/ 79) oder „Sozialimperialisten“ (Die Auseinandersetzung in der<br />
Sozialdemokratie. In: GL, 27/ 14/ 13.04.1917/ 91) <strong>und</strong> deren Maßnahmen gegen oppositionelle Parteimitglieder<br />
als “Gewaltakte“ (ebd.), die schließlich den zu erwartenden Klärungsprozess beschleunigt hätten.<br />
215 „Unabhängiger“ Kampf gegen die Gesetzentwürfe. In: GL, 18/ 26/ 27.09.1918/ 201-202, S. 201.<br />
216 Ebd.<br />
217 Blos, Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 91.<br />
218 Ebd.<br />
128
2.2.2 DER ERSTE WELTKRIEG, DIE ENTLASSUNG ZETKINS IM MAI 1917 UND DER ZIELSETZUNGSWANDEL DER „GLEICHHEIT“<br />
Gefolgsfrauen gerichtete Seitenhieb. Die Polemik der „neuen“ „Gleichheit“ machte sich ab jetzt<br />
nur an einem entsprechend veränderten Feindbild fest <strong>und</strong> es mangelte ihr zudem an einer<br />
besonderen agitatorischen Wirksamkeit.<br />
Vormschlag bestätigt in ihrer Untersuchung den von Juchacz <strong>und</strong> Schulz sogar offen für die<br />
sozialdemokratische Frauenbildung angekündigten Rückzug aus der „großen“ Politik. Seit dem<br />
Redaktionswechsel seien keine „parteipolitische Auseinandersetzungen“ 219 mehr dargestellt<br />
worden <strong>und</strong> „der aggressive Ton, der gerade diese Beiträge gekennzeichnet“ 220 habe, sei „den<br />
nüchternen Worten der sozial- <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitspolitischen Berichte“ 221 gewichen. Laut<br />
Vormschlag habe sich die neue Redaktion „[i]n der Angst, die Leserinnen zu verscheuchen, […]<br />
von der Tagespolitik ab[gekapselt] <strong>und</strong> […] ängstlich jede aktuelle Diskussion [vermieden]“ 222 .<br />
Die „Gleichheit“ habe so in Bezug auf aktuelle Themen „Enthaltsamkeit“ 223 <strong>und</strong> damit auch einen<br />
„bewußte[n] Verzicht auf Einflußnahme“ 224 geleistet. Diese Einschätzung ist m. E. jedoch<br />
angesichts des von Juchacz <strong>und</strong> Schulz entworfenen neuen Redaktionsstatuts <strong>und</strong> der dargestellten<br />
Umgangsweise mit ihren Vorgängerinnen zu spezifizieren. Die „neue“ „Gleichheit“ bewies<br />
durchaus noch einen aggressiven Ton <strong>und</strong> Interesse für die parteipolitischen <strong>und</strong> tagesaktuellen<br />
Themen, jedoch war ihr Blickwinkel ein anderer <strong>und</strong> besonders einseitiger. Den agressiven Ton<br />
bewies sie nun vor allem gegenüber der USPD-Konkurrenz <strong>und</strong> nach Kriegsende gegenüber den<br />
Siegermächten. Die sehr wohl innerhalb der „Gleichheit“ geführten Diskussionen, die Angriffe<br />
gegen die USPD <strong>und</strong> die politischen Artikel verfolgten eine ganz bestimmte Intention: Die<br />
„Gleichheit“-Leserinnen zu überzeugten Sozialdemokratinnen <strong>und</strong> nach 1918 zu überzeugten<br />
Republikanerinnen zu erziehen. Diese einseitige parteidisziplinäre Sichtweise war es, die die von<br />
Vormschlag festgestellte „Enthaltsamkeit“ ausmachte. Sie war es, die die politische Passivität der<br />
SPD-Frauen auf fatale Weise begünstigte. In der Auseinandersetzung mit der Konkurrenz von<br />
links versäumte die „Gleichheit“ <strong>und</strong> auch ihre Nachfolgerinnen die Gefahr von rechts<br />
vehementer zu bekämpfen.<br />
219 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 100.<br />
220 Ebd.<br />
221 Ebd.<br />
222 Ebd.<br />
223 Ebd., S. 101.<br />
224 Ebd.<br />
129
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
2.2.3 Die Redakteurinnen der „neuen“ „Gleichheit“<br />
Die Umstände, unter denen die 38-jährige Juchacz die Redaktion der „Gleichheit“ übernahm,<br />
waren ungewöhnlich schwierig. Deutschland stand kurz vor einer verheerenden Kriegsniederlage<br />
<strong>und</strong> die Lebenssituation der meisten Deutschen war miserabel. Die SPD war gespalten <strong>und</strong> viele<br />
ParteigenossInnen standen sich nun als GegnerInnen gegenüber. Nichts davon konnte die<br />
„Gleichheit“ unberührt lassen. Der anfangs bejubelte Krieg schien nicht enden zu wollen <strong>und</strong> die<br />
allgemeine Unzufriedenheit nahm zu. Sie fand schließlich ihren Höhepunkt in der<br />
Novemberrevolution 1918. Als Träger der Revolution sah die „Gleichheit“, die in ihrer<br />
Berichterstattung in diesem Fall jedoch alles andere als aktuell sein konnte 225 , nicht nur die<br />
Arbeiter <strong>und</strong> Soldaten, sondern auch als die „Dritten im B<strong>und</strong>e: die Frauen!“ 226 . Das Ende des<br />
Krieges <strong>und</strong> das Ende der Monarchie, die Gr<strong>und</strong>legung zu einer demokratischen Republik, das<br />
Frauenwahlrecht, die allesamt als Ergebnisse aus dieser Revolution hervorgingen, seien aktiv von<br />
den Frauen herbeigeführt worden – auch wenn sie quasi „[ü]ber Nacht“ 227 gekommen seien. Aus<br />
dieser Situation heraus waren es vor allem Themen, die die Neuorientierung der SPD 228 , die<br />
Konstituierung der Republik <strong>und</strong> das Frauenwahlrecht betrafen, mit denen sich Juchacz kurz nach<br />
Übernahme der „Gleichheit“-Redaktion befasste. Dagegen hatte sie sich zuvor als Mitarbeiterin<br />
unter Zetkin kaum durch größere Artikel hervorgehoben. 229<br />
Juchacz steht für eine Generation jüngerer Sozialdemokratinnen, die die Zeit des<br />
Sozialistengesetzes, das gemeinsame Ringen von <strong>weiblichen</strong> <strong>und</strong> männlichen Sozialdemokraten<br />
um Parteitheorie <strong>und</strong> politische Beteiligung nicht als politisch Aktive miterlebt hatten. Sie hatten<br />
die SPD nicht mehr kennengelernt als eine durch die politische Repression der Sozialistengesetze<br />
225 Die „Gleichheit“-Redaktion gab folgende Erklärung: „Da die Redaktion unserer Zeitschrift der Fertigstellung <strong>und</strong><br />
Beförderung wegen ungefähr 2 Wochen vor dem Erscheinungstermin jeder einzelnen Nummer abschließen muß,<br />
so konnte in der vorigen Nummer die große revolutionäre Umwälzung leider kaum eine Erwähnung finden,<br />
obwohl die Nummer das Datum des 22. November trägt. Wir bitten wegen diesen Schwierigkeiten, die besonders<br />
jetzt infolge der mangelhaften Beförderungsverhältnisse unvermeidlich sind, um Entschuldigung. Redaktion der<br />
Gleichheit.“ (Ohne Titel. In: GL, 29/ 05/ 06.12.1918/ 40).<br />
226 Ohne Titel. In: GL, 29/ 05/ 06.12.1918/ 33.<br />
227 Ebd. Vier Monate zuvor hatte Juchacz noch von einem außerparlamentarischen Gespräch zwischen Führerinnen<br />
der proletarischen <strong>und</strong> bürgerlichen Frauenstimmrechtsbewegung <strong>und</strong> Mitgliedern des Ausschusses für<br />
Bevölkerungspolitik das Frauenwahlrecht betreffend berichtet (vgl. [Juchacz, Marie?] M. J.: Eine wichtige<br />
Sitzung. In: GL, 28/ 22/ 02.08.1918/ 170-171).<br />
228 [Juchacz, Marie?] M. J.: Das Aktionsprogramm der deutschen Sozialdemokratie. In: GL, 28/ 19/ 21.06.1918/ 145-<br />
146.<br />
229 Der früheste Artikel, der Juchacz im Rahmen der vorliegenden Arbeit zugeordnet werden konnte, erschien 1911<br />
<strong>und</strong> war ein Bericht von der sozialdemokratischen Frauenorganisation in Rixdorf (vgl. Juchacz, Marie: Bericht<br />
von der Frauenorganisation in Rixdorf. In: GL, 21/ 18/ 05.06.1911/ 280-281). Diesem Artikel folgten noch einige<br />
weitere Beiträge über regionale Organisationen: Juchacz, M[arie]: Im siebten sächsischen Reichstagswahlkreis …<br />
In: GL, 22/ 20/ 26.06.1912/ 312; Juchacz, Marie: Jahresbericht der Genossinnen des Wahlkreises Teltow-<br />
Beeskow, Storkow-Charlottenburg. … In: GL, 23/ 02/ 16.10.1912/ 26.<br />
130
2.2.3 DIE REDAKTEURINNEN DER „NEUEN“ „GLEICHHEIT“<br />
geschulte <strong>und</strong> in der Illegalität sich konsolidierende revolutionäre Untergr<strong>und</strong>organisation,<br />
sondern als eine demokratische Repräsentantin in einem bürgerlichen Parteiensystem. 230 Eine<br />
solche SPD brauchte keine <strong>Klassenkämpferinnen</strong> mehr, sondern Wählerinnen. Euphorisch be-<br />
grüßte die „Gleichheit“ das Frauenwahlrecht <strong>und</strong> den Sturz der Monarchie:<br />
„Gestern noch sperrten die Gewalthaber einer vergangenen Zeit dem Werdenden<br />
einer neuen Zeit einsichtslos <strong>und</strong> herausfordernd den Weg.<br />
Heute liegen sie überw<strong>und</strong>en, entwurzelt, gebrochen, ohnmächtig irgendwo abseits<br />
vom Wege <strong>und</strong> warten des Straßenfegers, der sie auf den Kehrichthaufen der<br />
Geschichte wirft.<br />
Gestern noch waren die deutschen Frauen unfrei, ein unterdrücktes Geschlecht, das<br />
auch der erwachenden Demokratie nur mühsam kleine Zugeständnisse abringen<br />
konnte.<br />
Heute sind die deutschen Frauen die freiesten der Welt. Sie haben die volle <strong>und</strong><br />
unbedingte Gleichberechtigung mit dem Manne, sie können zu allen Körperschaften<br />
wählen <strong>und</strong> gewählt werden.“ 231<br />
Wenn auch das Erreichte Anlass sowohl zum Jubel als auch zum Spott gegenüber dem<br />
geschlagenen System gab, so sah die „Gleichheit“ doch auch Anlass zur Besinnung. Denn<br />
„Millionen von Männern haben erst in fürchterlichstem Brudermord fallen müssen, ehe die Bahn<br />
für [die Frauen][…] frei“ 232 geworden sei. Obwohl es nicht das Frauenwahlrecht war, dem dieser<br />
Bruderkampf gegolten hatte, sollten sich die deutschen Frauen, so Juchacz, „dieser Opfer würdig<br />
<strong>und</strong> dankbar“ 233 erweisen. Zudem sollten sie nicht vergessen, „daß es die Demokratie <strong>und</strong> der<br />
Sozialismus waren, die [ihnen][…] die Freiheit <strong>und</strong> die Gleichheit gebracht“ 234 hätten. Es<br />
beunruhigte Juchacz in besonderer Weise, dass dieses in Vergessenheit geraten <strong>und</strong> die Frauen<br />
sich gegenüber der Opfer, die dies gekostet hatte, <strong>und</strong>ankbar erweisen könnten. Deshalb ließ sie<br />
der euphorischen Bekanntgabe einen Artikel folgen, in dem sie nochmals die vielen an die Frauen<br />
gestellten Erwartungen formulierte:<br />
„Wo Rechte gegeben werden, werden auch Pflichten verlangt. Die Wahlen zur<br />
gesetzgebenden Nationalversammlung stehen bevor. Bei diesen Wahlen wird das<br />
Verhalten der Frauen von ausschlaggebender Bedeutung für das zukünftige<br />
Geschick der jungen deutschen Republik sein.“<br />
Die geschulten sozialdemokratischen Genossinnen waren nun gefordert. Sie mussten auf das<br />
230 Für eine eingehendere Betrachtung der neuen SPD-Frauengeneration siehe: Wickert, Unsere Erwählten, Bd. 1.<br />
Wickert analysiert vor allem die politischen Werdegänge derjenigen Frauen, die in der Weimarer Republik als<br />
Abgeordnete des Reichstages wirkten. Die Arbeit enthält eine wertvolle Zusammenstellung biographischer<br />
Informationen, auf die teilweise im anhängenden Verzeichnis biographischer Literatur detaillierter verwiesen<br />
wird. Außerdem sind alle <strong>weiblichen</strong> Reichstagsabgeordneten auch in der Online-Datenbank BIOSOP, alle<br />
<strong>weiblichen</strong> Landtagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Online-Datenbank BIOWEIL erfasst.<br />
231 [Ohne Titel] In: GL, 29/ 05/ 06.12.1918/ 33.<br />
232 Ebd.<br />
233 Ebd.<br />
234 Ebd.<br />
131
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Wahlverhalten der Frauen einwirken, mussten es zugunsten der SPD zum Ausschlag bringen.<br />
Daher war es taktisch erforderlich, dass eben jene Genossinnen regelmäßig auf allgemeinen<br />
Versammlungen sprachen <strong>und</strong> dass wieder sowohl besondere Frauenversammlungen als auch die<br />
nach 1908 teilweise aufgelösten Frauenabende stattfanden. Eine massive Agitation unter den<br />
Frauen musste wieder aufgebaut <strong>und</strong> koordiniert werden. Zumindest was die Sozialdemokratinnen<br />
betraf, setzte Juchacz darauf, dass sie schließlich<br />
„durch jahrelanges Lesen der Parteizeitungen <strong>und</strong> unserer Literatur soweit<br />
vorgebildet [seien], daß nicht allzuviel dazu gehör[e], um sie für die planmäßige<br />
Agitation zu verwenden“ 235 .<br />
Die aufklärende Agitation unter allen Frauen sei „jetzt die dringendste Aufgabe“ 236 , hinter<br />
der „alles andere zurückstehen“ 237 müsse, denn die Sozialdemokratinnen wollten sich<br />
„nicht sagen lassen, daß die Republik in ihrer Weiterentwicklung zum<br />
Sozialismus durch die politische Rückständigkeit der Frauen gehemmt<br />
worden“ 238<br />
sei. Deshalb widmete die „Gleichheit“-Redakteurin Juchacz ihre Artikel besonders der<br />
staatsbürgerlichen Schulung der Frauen <strong>und</strong> machte diese mit der Verfassung der neuen Republik<br />
vertraut. 239 Sie bemühte sich außerdem die sozialistische Idee einer internationalen Solidarität zu<br />
reaktivieren 240 . Ein Anliegen, dem auch die Ausrichtung von Frauentagen <strong>und</strong> der gesetzlich<br />
verankerte 1. Mai-Feiertag zuträglich war. 241 Auch die Regierungsbeteiligung der SPD <strong>und</strong> die<br />
schwierige Konkurrenzsituation mit der USPD 242 waren Themen der von Juchacz verfassten<br />
Artikel. 243 Später befasste sie sich auffällig oft mit Besprechungen zu Büchern bürgerlicher<br />
235 Juchacz, Marie: An die Arbeit! In: GL, 29/ 05/ 06.12.1918/ 34.<br />
236 Ebd.<br />
237 Ebd.<br />
238 Ebd. Weitere ihrer Artikel zu den Verdiensten der SPD um das Frauenwahlrecht <strong>und</strong> die Schulung der Agitatorinnen<br />
waren: Juchacz, Marie: Die Sozialdemokratie <strong>und</strong> die Frauen. In: GL, 29/ 07/ 03.01.1919/ 50-51;<br />
[Juchacz, Marie?] M. J.: Ein R<strong>und</strong>blick über unsere Frauenbewegung. In: GL, 29/ 08/ 17.01.1919/ 59-60;<br />
[Juchacz, Marie?] M. J.: Was nun? In, GL 29/ 09/ 31.01.1919/ 67-68; Juchacz, Marie: Was hat der 9. November<br />
den Frauen gebracht? In: GL, 29/ 38/ 08.11.1919/ 298.<br />
239 Juchacz, Marie: Die Verfassung des Deutschen Reiches. In: GL, 29/ 25/ 09.08.1919/ 194-195 bis GL, 29/ 33/<br />
04.10.1919/ 258-259.<br />
240 Juchacz, Marie: An die sozialistischen Frauen <strong>und</strong> Mütter aller Länder. In: GL, 29/ 18/ 06.06.1919/ 142.<br />
241 Juchacz, Marie: Der erste gesetzlich eingeführte Maifeiertag im neuen Deutschland. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/<br />
122; Juchacz, Marie (i.A. des Parteivorstandes): Maiaufruf zum Frauentag. In: GL, 30/ 18/ 01.05.1920/ 129-130<br />
(dieser Artikel berichtete über den Beschluss des Parteivorstandes, vom 9.-16. Mai 1920 einen Frauentag zu<br />
veranstalten).<br />
242 Juchacz, Marie: Leipzig. In: GL, 32/ 03/ 01.02.1922/ 21 (dies war ein Bericht zur zweiten Reichsfrauenkonferenz<br />
<strong>und</strong> den Parteitag der USPD, der vom 8.-12. Januar 1922 in Leipzig stattfand <strong>und</strong> auf dem noch keine Einigung<br />
der beiden Sozialdemokratien abzusehen war).<br />
243 Juchacz, Marie: Der Eintritt der Sozialdemokraten in die Regierung. In: GL, 31/ 11/ 01.06.1921/ 101-102.<br />
132
2.2.3 DIE REDAKTEURINNEN DER „NEUEN“ „GLEICHHEIT“<br />
Frauenrechtlerinnen 244 <strong>und</strong> schließlich mit der von ihr 1919 gegründeten Arbeiterwohlfahrt 245 .<br />
Dieser Bereich der sozialen Arbeit bot den Frauen zwar besondere Möglichkeiten politischer<br />
Anteilnahme, war zugleich aber auch eine Art Abstellgleis.<br />
Das Verhältnis der beiden neuen „Gleichheit“-RedakteurInnen zueinander scheint nicht<br />
unproblematisch gewesen zu sein. Schulz soll Juchacz nachgesagt haben, dass sie „weder<br />
Erfahrung noch Begabung für eine Redakteurstätigkeit“ 246 habe <strong>und</strong> die „Gleichheit“ lediglich<br />
„nominell […] leite“ 247 . Zumindest das Hauptblatt vermittelt jedoch einen genau gegenteiligen<br />
Eindruck. Im Februar 1919 beendeten Juchacz <strong>und</strong> Schulz ihre Tätigkeit in der „Gleichheit“-<br />
Redaktion, denn beide waren als Abgeordnete in die Nationalversammlung gewählt worden,<br />
Schulz zudem auch in den Parteivorstand. Mit Nummer 15 des 29. Jahrgangs wechselte die<br />
Verantwortlichkeit für die Redaktion der „Gleichheit“ in die Hände der bisherigen Mitarbeiterin<br />
Clara Bohm-Schuch (1879-1936) 248 . 249<br />
Bereits 1906 wurde ein von Klara Bohm verfasstes Gedicht in der „Gleichheit“ veröffentlicht 250<br />
<strong>und</strong> in einer Notiz ihre Tätigkeit als Referentin erwähnt. 251 Doch erst für die „neue“ „Gleichheit“<br />
244 [Juchacz, Marie?] mj.: Heuss-Knapp, Elly: Bürgerk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Volkswirtschaftslehre. In: GL, 27/ 24/ 31.08.1917/<br />
171; [Juchacz, Marie?] M. J.: Kirchhoff, Auguste: Frauenrechte – Volksrechte. In: GL, 28/ 06/ 21.12.1917/ 47. Für<br />
die nun weit positivere Einschätzung bürgerlicher Publikationen spricht auch, dass Juchacz die Zeitschrift „Die<br />
Frau“ (1893/94-1943/44) als von Lange <strong>und</strong> Bäumer „vorzüglich geleitet[…]“ (Ein Urteil bürgerlicher Frauen. In:<br />
GL, 28/ 26/ 17.09.1918/ 202-203, S. 202) <strong>und</strong> „bekannt“ (ebd.) bezeichnete.<br />
245 Juchacz, Marie: Arbeiterwohlfahrt. In: GL, 31/ 17/ 01.09.1921/ 161-162.<br />
246 Wachenheim, Vom Großbürgertum zur Sozialdemokratie, S. 84.<br />
247 Ebd. Schulz‘ Überheblichkeit <strong>und</strong> auch sein Hang zum Opportunismus wurde nicht nur von vielen USPD-<br />
Mitgliedern (z. B. Rühle, Illustrierte Kultur- <strong>und</strong> Sittengeschichte des Proletariats, S. 250f.) kritisiert, sondern fiel<br />
auch seinen ParteigenossInnen auf (vgl. Wachenheim, Vom Großbürgertum zur Sozialdemokratie, S. 84f.)<br />
248 Clara Bohm-Schuch, geb. Bohm, entstammte einem kleinbäuerlichen Elternhaus in Stechow <strong>und</strong> hatte fünf<br />
Geschwister. Nach der Dorfschule, arbeitete sie als Dienstmädchen <strong>und</strong> Verkäuferin, besuchte dann eine Handelsschule<br />
in Berlin-Rixdorf. Neun Jahre lang arbeitete sie als kaufmännische Buchhalterin <strong>und</strong> Korrespondentin.<br />
1904 besuchte sie eine Versammlung, auf der Rosa Luxemburg (1871-1919) referierte, <strong>und</strong> trat seitdem selbst als<br />
Rednerin <strong>und</strong> Initiatorin kultureller Veranstaltungen der Arbeiterbewegung <strong>und</strong> der SPD auf. Sie wurde Mitglied<br />
im „Verein für Frauen <strong>und</strong> Mädchen der Arbeiterklasse” <strong>und</strong> schließlich Leiterin der Berlin-Neuköllner<br />
Kinderschutzkommission. Bohm-Schuch war Initiatorin des ersten Berliner „Heims für arbeitende Jugendliche”<br />
<strong>und</strong> verschiedener kommunaler Mütterberatungsstellen. 1905 (oder 1906) heiratete sie den Kaufmann Willy<br />
Schuch <strong>und</strong> brachte Tochter Clara Maria zur Welt. Seit 1907 verrichtete sie ehrenamtliche Arbeit in der<br />
Gemeindefürsorge. 1916 veröffentlichte sie die Broschüre „Die Kinder im Weltkriege“. 1919 wurde sie<br />
Abgeordnete der Nationalversammlung. Als Mitglied im „Ausschuß zur Erforschung der Kriegsschuld”<br />
boykottierte sie die Abstimmung über die Annahme des Versailler Vertrages. 1920-1933 war sie Reichstagsabgeordnete.<br />
Ihr besonderes Engagement galt Fragen des Kinder- <strong>und</strong> Jugendschutzes. Sie war langjährige<br />
Schriftführerin des Reichstagspräsidiums, Mitarbeiterin in der AWO <strong>und</strong> in der Kinderfre<strong>und</strong>ebewegung. 1933<br />
wurde sie kurzzeitig von der Gestapo in Haft genommen, weil sie sich bei Hermann Göring wegen der<br />
Misshandlung der Berliner Stadtabgeordneten Marie Jankowski durch SA-Schläger beschwert hatte. 1936 starb<br />
Bohm-Schuch <strong>und</strong> ihre große Trauerfeier wurde zu einer politischen Demonstration gegen den Nationalsozialismus.<br />
249 Vgl. In eigener Sache. In: GL, 29/ 14/ 11.04.1919/ 112.<br />
250 Bohm, Klara: Rosen. In: GL, 16/ 13/ 27.06.1906/ 90. Dieses <strong>und</strong> weitere Gedichte sind im Anhang enthalten.<br />
251 Vgl. Bohm-Schuch, Klara: Über den sittlichen Wert der sexuellen Aufklärung in der Arbeiterfamilie sprach die<br />
133
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
verfasste Bohm-Schuch vermehrt größere Artikel u. a. zu Themen der Bevölkerungspolitik 252 <strong>und</strong><br />
der Frauenerwerbstätigkeit 253 .<br />
Außerdem übernahm sie die Ausgestaltung der Rubrik „Politische R<strong>und</strong>schau“ 254 . Bohm-Schuch<br />
setzte sich besonders mit der politischen Konkurrenz der SPD von links <strong>und</strong> rechts auseinander 255<br />
<strong>und</strong> votierte vor allem für die Ablehnung des Versailler Vertrages. Die in ihm enthaltenen Be-<br />
dingungen (Reparationen, Kolonieabtritte <strong>und</strong> Kriegsschuldzuweisung) belasteten nach Meinung<br />
Bohm-Schuchs die junge Republik für lange Zeit mit einem Erbe, das sie nicht zu verantworten<br />
habe.<br />
„Die junge Republik Deutschland soll büßen für die Sünden des Imperialismus <strong>und</strong><br />
des Kapitalismus, die die Monarchie Deutschland heraufbeschwor.“ 256<br />
Der Versailler Vertrag sei ein „Friede der Gewalt“ 257 , „nackt <strong>und</strong> brutal“ 258 , der die Deutschen nach<br />
dem endlich abgeschüttelten Monarchismus nun „in die Fessel des Ententekapitalismus <strong>und</strong><br />
Imperialismus“ 259 der Feinde schlage. Unter diesen Bedingungen sah Bohm-Schuch ein Erstarken<br />
des zerstörerischen Bolschewismus voraus. Dieser sei<br />
„wie eine rasende, zehrende Glut, die unter den Händen des Unterdrückers<br />
aufspringt, vernichtet was in ihren Bereich kommt <strong>und</strong> – zusammenfällt, trostlose<br />
ausgebrannte Trümmer zurücklassend. Er ist die Gewalt der Empörung gegen die<br />
Gewalt der Unterdrückung.“ 260<br />
Aber nicht nur, dass der Friedensvertrag die bolschewistischen Tendenzen fördere, er schwäche<br />
außerdem gerade den Sozialismus, der laut Bohm-Schuch “Gleichheit, Brüderlichkeit <strong>und</strong><br />
Unterzeichnete … In: GL, 22/ 16/ 29.04.1912/ 250; In Begesack <strong>und</strong> Blumenthal fanden gut besuchte Versammlungen<br />
mit dem Thema statt: „Die sexuelle Aufklärung in der Arbeiterfamilie“. In: GL, 23/ 14/ 02.04.1913/<br />
217-218.<br />
252 Bohm-Schuch, Klara: Bevölkerungspolitik. In: GL, 28/ 04/ 23.11.1917/ 25-27.<br />
253 Bohm-Schuch, Klara: Die Frauenarbeit in der Übergangswirtschaft. In: GL, 28/ 21/ 19.07.1918/ 163-165 <strong>und</strong> GL,<br />
28/ 22/ 02.08.1918/ 171-172 (dieser zweiteilige Artikel berichtete über eine vom 20.-21. Juni 1918 in Berlin<br />
stattfindende Tagung, die gemeinsam von BDF <strong>und</strong> dem ständigen Ausschuss zur Förderung der<br />
Arbeiterinneninteressen ausgerichtet wurde.<br />
254 Vgl. Bohm-Schuch, Klara: Aus aller Welt <strong>und</strong> dem Reichstag. 28/ 18/ 07.06.1918/ 138-139. Darin berichtete<br />
Bohm-Schuch relativ unspektakulär über den Sturz des Kaisertums <strong>und</strong> der immer realistischer werdenden<br />
Verfassungsänderung zugunsten eines Frauenwahlrechts (vgl. Bohm-Schuch, Klara: Verfassungsänderung zur<br />
Zuständigkeit des Parlaments für Militärangelegenheiten. In: GL, 29/ 04/ 22.11.1918/ 28-29).<br />
255 Vgl. Bohm-Schuch, Klara: Gegen rechts <strong>und</strong> links! In: GL, 29/ 06/ 20.12.1918/ 43-45; Warum müssen die Frauen<br />
sozialdemokratisch wählen? In: GL, 29/ 07/ 03.01.1919/ 49-50 (hierin richtete sich Bohm-Schuch vor allem gegen<br />
die bürgerlichen Parteien, die vor der Revolution nichts vom Frauenwahlrecht hatten wissen wollen); Im Wahlkampf.<br />
In: GL, 29/ 10/ 14.02.1919/ 73f (dieser Artikel enthielt den Vorwurf an die Spartakisten <strong>und</strong> die USPD,<br />
durch ihr Verhalten die Alldeutschen gestärkt zu haben).<br />
256 Warum auch für uns „unannehmbar“. In: GL, 29/ 18/ 06.06.1919/ 138.<br />
257 Bohm-Schuch, Klara: Friede! In: GL, 29/ 20/ 05.07.1919/ 153.<br />
258 Ebd.<br />
259 Ebd.<br />
260 Ebd.<br />
134
Menschenliebe“ 261 symbolisiere.<br />
2.2.3 DIE REDAKTEURINNEN DER „NEUEN“ „GLEICHHEIT“<br />
Unter der Redaktion Bohm-Schuchs änderte die „Gleichheit“ ein zweites Mal ihren Untertitel <strong>und</strong><br />
machte damit noch einmal unmissverständlich deutlich, welchem linkspolitischen Lager sie sich<br />
verpflichtet fühlte. Der Untertitel „Zeitschrift für die Frauen der Sozialdemokratischen Partei<br />
Deutschlands” 262 manifestierte die Verb<strong>und</strong>enheit der „Gleichheit“ mit der SPD <strong>und</strong> legte zum<br />
ersten Mal den Identifikationschwerpunkt auf die Zugehörigkeit zu einer Partei statt zu einer<br />
Klasse. Weitere Ereignisse, mit denen sich Bohm-Schuch als Redakteurin der „Gleichheit“ in den<br />
Wirren der ersten Republik <strong>und</strong> angesichts ihrer politischen Hemmnisse auseinanderzusetzen<br />
hatte, waren die Schuldfrage 263 , das Schicksal der deutschen Kriegsgefangenen 264 <strong>und</strong> der Kapp-<br />
Putsch im März 1920 265 .<br />
Am 31. Januar 1922 trat Bohm-Schuch nach dreijähriger Tätigkeit auf eigenen Wunsch von der<br />
Redaktion der „Gleichheit“ zurück. Der Parteivorstand übertrug die Schriftleitung der bisherigen<br />
ständigen Mitarbeiterin Elli Radtke-Warmuth (?-?) 266 . 267 Zu ihrer Person ist nur wenig bekannt.<br />
Sie scheint aus Köln zu stammen, denn bereits im Juli 1918 erschien ein mit „E.R. (Köln)“<br />
gezeichneter Artikel, mit welchem die Redaktion in der erstmals eingerichteten Rubrik „Freie<br />
Aussprache“ Folgendes bekannt gab:<br />
„Unter dieser Rubrik veröffentlichen wir Einsendungen, für die die Redaktion der<br />
‘Gleichheit’ den Einsenderinnen die sachliche Verantwortung überläßt, die sie aber<br />
als Anregungen zur öffentlichen Erörterung in der ‘Gleichheit’ oder in den<br />
Zusammenkünften der Frauen geeignet hält. Wir fordern unsere Leserinnen zur<br />
regen Mitarbeit auf, wobei wir den Gegenstand völlig der freien Wahl der Frauen<br />
261 Ebd. Die Verantwortlichen für die Friedensannahme wurden von den deutschen Nationalisten als „Erfüllungspolitiker“<br />
beschimpft. Insgesamt stärkte der Versailler Vertrag die erneute nationalistische Hetze <strong>und</strong> war<br />
Hemmnis für den republikanischen Identifikationsprozess. Die „Gleichheit“ bewies Parteitreue, indem sie die<br />
Entscheidung ihrer Partei rechtfertigte, aber auch nach Inkrafttreten des Vertrages am 10. Januar 1920 kritisch<br />
blieb (vgl. Bohm-Schuch, Klara: Friede! In: GL, 29/ 20/ 05.07.1919/ 153; Nicht weiter durch Blut! In: GL, 30/ 04/<br />
24.01.1920/ 25).<br />
262 GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 249.<br />
263 Bohm-Schuch, Clara: Es soll Licht werden. In: GL, 29/ 37/ 01.11.1919/ 289-290 (der Artikel kündigte an, dass die<br />
Nationalversammlung einen Ausschuss zur Ermittlung der Kriegsschuld eingesetzt habe); Wer trägt die Schuld?<br />
In: GL, 29/ 41/ 29.11.1919/ 321-322.<br />
264 Bohm-Schuch, Clara: Klar sein. In: GL, 29/ 31/ 20.09.1919/ 241-242. (Bohm-Schuch verurteilte darin die<br />
Erschwerung des Transports der deutschen Kriegsgefangenen <strong>und</strong> den französischen Chauvinismus, der sich darin<br />
ausdrückte); Weihnachten. In: GL, 29/ 44/ 20.12.1919/ 345-346 (Bohm-Schuch verwies auf das Schicksal<br />
deutscher Kriegsgefangener in Frankreich <strong>und</strong> die schwierigen innerdeutschen Zustände).<br />
265 Bohm-Schuch, Clara: Der monarchistische Putsch. In: GL, 30/ 13-14/ 03.04.1920/ 97-98; Der monarchistische<br />
Putsch II. In: GL, 30/ 15/ 10.04.1920/ 105-106; Feinde ringsum. In: GL, 30/ 17/ 24.04.1920/ 121-122.<br />
266 Trotz ihrer besonderen Position als „Gleichheit“-Redakteurin sind weder in den herangezogenen Nachschlagewerken<br />
<strong>und</strong> Datenbanken noch in den offiziellen Parteidokumenten biographischen Informationen zu Elli Radtke-<br />
Warmuth enthalten. Im Sommer 1922 scheint Radtke-Warmuth geheiratet zu haben, denn bis dahin zeichnete sie<br />
nur als Elli Radtke.<br />
267 An unsere Leserinnen! In: GL, 32/ 03/ 01.02.1922/ 30.<br />
135
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
überlassen.“ 268<br />
Diese Bekanntmachung stellt eine interessante Neuerung innerhalb der redaktionellen Arbeit der<br />
„Gleichheit“ dar. Sie versuchte damit wohl die Leserinnen verstärkt als „gute Fre<strong>und</strong>in“<br />
anzusprechen. Radtke-Warmuth nutzte die Gelegenheit, die Höhe der Parteibeiträge der Frauen zu<br />
diskutieren.<br />
Des Weiteren verfasste sie eine kleine biographische Skizze des Komponisten Ludwig van<br />
Beethoven <strong>und</strong> einen Nachruf auf den Journalist Franz Diederich. 269 Außerdem beschäftigte sie<br />
sich mit Themen der Mädchenerziehung <strong>und</strong> der unehelichen Mutterschaft. 270 Später verfasste sie<br />
Berichte zur internationalen kommunistischen Frauenkonferenz in Moskau 271 , zur ersten<br />
internationalen Tagung für Sexualreform 272 <strong>und</strong> zum SPD-Parteitag in Augsburg <strong>und</strong> dem<br />
Einigungsparteitag in Nürnberg am 24. September 1922 273 . Auf jenem Parteitag hatte sich der<br />
rechte Flügel der USPD mit der Mehrheitssozialdemokratie vereint, während der linke Flügel zur<br />
KPD stieß. Die USPD hatte sich damit aufgelöst, was zu einer erneuten Veränderung in der<br />
„Gleichheit“-Redaktion führte.<br />
Am 1. November 1922 wurden die Frauenorgane der beiden sozialdemokratischen Parteien<br />
vereint – dies auch personell. Mathilde Wurm (1874-1935) – bis dahin Redakteurin der USPD-<br />
Frauenzeitschrift „Die Kämpferin“ (1919-1922) 274 – wurde Koredakteurin der „Gleichheit“. Noch<br />
1907 bis 1917 hatte Wurm zu den fleißigsten MitarbeiterInnen Zetkins gezählt. 275 Sie schrieb<br />
damals vor allem Berichte <strong>und</strong> Kommentare zu den Großveranstaltungen der Partei oder der ver-<br />
schiedenen Frauenorganisationen – auch der bürgerlichen. 276 Auch zum <strong>weiblichen</strong> Berufsleben<br />
268 [Radtke-Warmuth, Elli?] E. R.: Die Parteibeiträge der Frauen! In: GL, 28/ 20/ 05.07.1918/ 160.<br />
269 [Radtke-Warmuth, Elli?] E. R.: Beethoven In: GL, 30/ 51-52/ 18.12.1920/ 416; Franz Diederich † In: GL, 31/ 06/<br />
15.03.1921/ 53.<br />
270 Radtke, Elli: Zur Mädchenerziehung. In: GL, 30/ 35/ 28.08.1920/ 286; Schutz der unehelichen Mutter. In: GL, 31/<br />
09/ 01.05.1921/ 82-83.<br />
271 [Radtke-Warmuth, Elli?] E. R.: Internationale kommunistische Frauenkonferenz in Moskau. In: GL, 31/ 11/<br />
01.06.1921/ 106; Die internationale kommunistische Frauenkonferenz in Moskau. In: GL, 31/ 15/ 01.08.1921/<br />
149.<br />
272 Radtke, Elli: Sexualreform. In: GL, 31/ 21/ 01.11.1921/ 203-204.<br />
273 [Radtke-Warmuth, Elli?] E. Rdt.: Delegiert Frauen zum Parteitag! In: GL, 32/ 13/ 01.07.1922/ 122; Radtke-<br />
Warmuth, Elli: Zum Parteitag in Augsburg. In: GL, 32/ 17-18/ 01.09.1922/ 157-158; Die Einigung. In: GL, 32/ 19-<br />
20/ 01.10.1922/ 173-174.<br />
274 Die „Kämpferin“ erschien im Verlag Louise Zietz <strong>und</strong> war eine „Mischung aus Funtionärinnen- <strong>und</strong><br />
Schulungszeitschrift für die ‘einfache’ Genossin“ (Geiger/Weigel, Sind das noch Damen?, S. 169). Sie war wenig<br />
populär aufgemacht, zeichnete sich durch einen kämpferischen Sprachgebrauch aus <strong>und</strong> stellte neben<br />
Klassenkampfagitation eher traditionelle Frauenbilder in den Mittelpunkt ihrer Darstellungen. Zur „Kämpferin“<br />
<strong>und</strong> zur von Zetkin redigierten „Kommunistin“ siehe: Geiger/Weigel, Sind das noch Damen?, S. 169ff.; Wilhelms,<br />
Frauenzeitschriften in der Weimarer Republik; Wickert, Unsere Erwählten, Bd. 1.<br />
275 Die Recherche ergab als Wurms ersten Artikel für die „Gleichheit“: Wurm, Mathilde: Die Stellenvermittlung. In:<br />
GL, 17/ 02/ 23.01.1907/ 12 <strong>und</strong> GL, 17/ 03/ 06.02.1907/ 19.<br />
276 U. a.: Wurm, Mathilde: Die Gothaer Tagung. In: GL, 27/ 16/ 11.05.1917/ 105-106; Zur Frauenkonferenz. I. In:<br />
136
2.2.3 DIE REDAKTEURINNEN DER „NEUEN“ „GLEICHHEIT“<br />
<strong>und</strong> zur Jugendarbeit verfasste Wurm zahlreiche Artikel. 277 1919 kehrte die ehemalige Redakteurin<br />
der USPD-Frauenzeitschrift „Die Kämpferin“ in den MitarbeiterInnenstab der „Gleichheit“<br />
zurück <strong>und</strong> scheint auch dort weiterhin eine mehr oder weniger radikale Position vertreten zu<br />
haben. Diese Vermutung ergibt sich daraus, dass Wurm u. a. für Artikel zu Leben <strong>und</strong> Werk von<br />
Marx <strong>und</strong> Bebel oder Berichte internationaler Frauenkonferenzen 278 verantwortlich zeichnete.<br />
Nach Wurms Eintritt in die „neue“ „Gleichheit“-Redaktion wurde abermals ein neuer – seit der<br />
Entlassung Zetkins nun bereits der dritte – Untertitel eingeführt. Dieser setzte sich zusammen aus<br />
dem bisherigen Untertitel der „Kämpferin“ „Zeitschrift für die Frauen <strong>und</strong> Mädchen des<br />
werktätigen Volkes“ <strong>und</strong> dem Zusatz „Organ der Vereinigten SPD“. 279 Das Titelblatt bekam eine<br />
vollkommen neue <strong>und</strong> auffällige Gestaltung mit größerem Titel <strong>und</strong> geschwungenem Banner im<br />
Titelkopf – was später jedoch wieder abgeändert wurde. 280<br />
Elli Radtke-Warmuth <strong>und</strong> Mathilde Wurm waren die beiden letzten Redakteurinnen des<br />
„Gleichheit“-Hauptblattes. Die Beilagen „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ <strong>und</strong> „Für unsere<br />
Kinder“, auf deren Entwicklung an anderer Stelle eingegangen wird, wurden redaktionell<br />
unabhängig betreut. Seit 1919 war die Schwester von Marie Juchacz, Elisabeth Röhl (1888-<br />
1930) 281 , dafür zuständig. Röhl redigierte zusammen mit der ebenfalls in Köln ansässigen Else<br />
GL, 20/ 12/ 14.03.1910/ 181-182; GL, 20/ 16/ 09.05.1910/ 247-248; Eine überflüssige Konferenz. In: GL, 20/ 14/<br />
11.04.1910/ 216-217; Der erste Mai <strong>und</strong> die Arbeiterinnen. In: GL, 22/ 16/ 29.04.1912/ 243-245.<br />
277 U. a.: Wurm, Mathilde: Das weibliche Dienstjahr. In: GL, 25/ 25/ 03.09.1915/ 168-169; Das weibliche Dienstjahr.<br />
(Schluß.). In: GL, 25/ 26/ 17.09.1915/ 176; Die bürgerliche Jugendbewegung. In: GL, 22/ 05/ 27.11.1911/ 67-70;<br />
Unsere Jugendarbeit. In: GL, 22/ 26/ 18.09.1912/ 403-406; Die Gewinnung der <strong>weiblichen</strong> Jugend. In: GL, 24/<br />
06/ 10.12.1913/ 84-86; Die Gewinnung der <strong>weiblichen</strong> Jugend. (Schluß.) In: GL, 24/ 07/ 24.12.1913/ 100-102;<br />
Die militärische Jugendvorbereitung. In: GL, 26/ 08/ 07.01.1916/ 56 bis GL, 26/ 10/ 04.02.1916/ 72-73; Die<br />
proletarische Jugendbewegung in der Kriegszeit. In: GL, 26/ 12/ 03.03.1916/ 86-88.<br />
278 [Wurm, Mathilde?] M. W.: Karl Marx <strong>und</strong> die Frauen. In: GL, 33/ 05/ 01.03.1923/ 33-34; Bebel, der<br />
Klassenkämpfer. In: GL, 33/ 15/ 01.08.1923/ 124; Bebel, der Klassenkämpfer (Schluß). In: GL, 33/ 16/<br />
15.08.1923/ 125-126; Die internationale Frauenkonferenz. In: GL, 33/ 12/ 15.06.1923/ 93-94.<br />
279 GL, 32/ 21/ 01.11.1922/ 189.<br />
280 Beispiele für die Titelblattgestaltung der „Gleichheit“ sind im Anhang enthalten.<br />
281 Elisabeth Röhl, bzw. Kirschmann-Röhl, geb. Gohlke, wurde in Landsberg an der Warthe, dem heute 80 km nordöstlich<br />
von Frankfurt/Oder gelegenen polnischen Gorzów Wielkopolski, als jüngste Tochter eines teilweise<br />
selbständigen Zimmerermeisters geboren. Sie besuchte die Volksschule <strong>und</strong> arbeitete später erst als Dienstmädchen,<br />
dann als Näherin. 1905 zog sie nach Berlin. Seit 1906 waren Röhl <strong>und</strong> ihre Schwester Marie Juchacz<br />
Mitglieder des „Frauen- <strong>und</strong> Mädchen-Bildungsvereins“ in Berlin-Schöneberg <strong>und</strong> der Gewerkschaft. 1907<br />
heiratete sie den Bauarbeiter Röhl, die Ehe wurde aber bald wieder aufgelöst. 1908 trat Röhl der SPD bei, wurde<br />
für diese schriftstellerisch tätig <strong>und</strong> war bis zu ihrem Umzug 1913 nach Köln Mitglied im Vorstand der SPD von<br />
Berlin-Neukölln. Seit 1912 war sie zu verschiedenen Parteitagen delegiert. Während des Ersten Weltkrieges war<br />
Röhl Mitglied mehrerer städtischer Kommissionen <strong>und</strong> besonders in der Wohlfahrtspflege aktiv. 1919-1924<br />
Stadtverordnete in Köln <strong>und</strong> Mitglied des Provinziallandtags Rheinprovinz, war sie außerdem 1919-1920<br />
Reichstagsabgeordnete. Weitere Kandidaturen für den Reichstag blieben erfolglos. 1921-1930 saß sie als<br />
Abgeordnete im preußischen Landtag. Röhl lebte vor <strong>und</strong> nach ihrer Scheidung in einer Lebensgemeinschaft mit<br />
ihrer Schwester. 1921 heiratete sie den sozialdemokratischen Redakteur, Ministerialrat <strong>und</strong><br />
Reichstagsabgeordneten Emil Kirschmann. 1922-1930 gab sie die Beilage „Die arbeitende Frau“ (1921-1930)<br />
heraus. 1919-1930 war Röhl Mitglied des Hauptausschusses der von ihrer Schwester gegründeten AWO <strong>und</strong><br />
Leiterin der AWO-Anstaltskommission. Laut Wachenheim hatte Röhl „eine viel fre<strong>und</strong>lichere Natur als die ältere<br />
137
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Wirminghaus (1867-1939) 282 das Nachfolgeblatt der 1917 eingestellten Beilage „Für unsere<br />
Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“. Diese neue Beilage trug den bezeichnenden Titel „Die Frau <strong>und</strong> ihr<br />
Haus“, wurde von der „Werbestelle für deutsche Frauenkultur“ – nicht von der SPD – herausgege-<br />
ben <strong>und</strong> der „Gleichheit“ erstmals im Juni 1919 <strong>und</strong> zuletzt vermutlich im April 1922 beigelegt. 283<br />
Wirminghaus engagierte sich stark für die Entwicklung bequemerer Frauenkleidung, des so<br />
genannten „Reformkleides“ 284 <strong>und</strong> für eine moderne Wahrnehmung des <strong>weiblichen</strong> Körpers. Es<br />
dürfte ihre Tätigkeit während des Ersten Weltkrieges im „Nationalen Frauendienst“ gewesen sein,<br />
welche sie der Sozialdemokratie näherbrachte. 1919 legte Wirminghaus ihr Amt im „Verein zur<br />
Verbesserung der Frauenkleidung“ nieder <strong>und</strong> widmete sich mit der Zeitschrift „Die Frau <strong>und</strong> ihr<br />
Haus“ den praktischen Bedürfnissen der Arbeiterinnen.<br />
Wie Wirminghaus engagierte sich auch Elisabeth Röhl für die Entwicklung des Reformkleides.<br />
Röhl dürfte als gelernte Näherin einen besonderen Blick auf dieses Thema gehabt haben. Im<br />
Gegensatz zu Wirminghaus schrieb Röhl jedoch auch für das Hauptblatt der „Gleichheit“.<br />
Während des Krieges beschäftigte sie sich darin u. a. mit dem Problem der Kleiderbeschaffung. 285<br />
Später thematisierte Röhl die Ehereform <strong>und</strong> den Katholizismus der „modernen“ Frau. 286 1919<br />
wurde sie Abgeordnete.der Nationalversammlung. Dieses Amt gab ihr die Möglichkeit, von<br />
Februar bis August 1919 für die „Gleichheit“ eine besonders interessante Artikelserie zu ver-<br />
fassen. Im Stil privater Aufzeichnungen schrieb sie die „Tagebuchblätter aus Weimar“ 287 . Röhl<br />
beschrieb darin, wie sie als Abgeordnete die turbulenten Ereignisse in der Nationalversammlung<br />
erlebte <strong>und</strong> gab ihren Leserinnen einen Eindruck von den Tätigkeiten einer Berufspolitikerin. Des<br />
[Juchacz gehabt; M.S.] <strong>und</strong> war allgemein sehr beliebt; sie war auch viel wortgewandter als ihre Schwester“<br />
(Wachenheim, Vom Großbürgertum zur Sozialdemokratie, S. 130). Eine erste Erwähnung in der „Gleichheit“<br />
findet Röhl durch eine von ihr in Südbayern unternommene Agitationstour (vgl. GL 23/ 05/ 27.11.1912/ 75).<br />
282 Wirminghaus war Tochter eines Lehrers, in dessen Andenken sie 1905 das Buch „Karl Strackerjahn – Aus dem<br />
Leben <strong>und</strong> Wirken eines deutschen Schulmannes“ verfasste. Sie war examinierte Klavierlehrerin <strong>und</strong> heiratete<br />
1890 den Syndikus der Kölner Handelskammer <strong>und</strong> späteren Universitätsprofessor Alexander Wirminghaus. Ab<br />
1904 engagierte sie sich im „Verein zur Verbesserung der Frauenkleidung“. Wirminghaus verfasste die Werke<br />
„Die Frau <strong>und</strong> die Kultur des Körpers“ (1911), „Das Kleid der arbeitenden Frau“ (1917) <strong>und</strong> gemeinsam mit Luise<br />
Neyber (?-?) „Bleibe jung. Tägliche Körperübungen der Frau“ (1921). Es ist bezeichnenderweise eine regionale<br />
Arbeit zur Kölner Frauenbewegung, die eine biographische Skizze Wirminghaus‘ enthält (vgl. Roecken, Else<br />
Wirminghaus, S. 179-182).<br />
283 Vgl. GL, 29/ 19/ 20.06.1919/ 145 <strong>und</strong> GL, 32/ 07/ 01.04.1922 (diese Nummer ist im eingesehenen Archivbestand<br />
nicht vorhanden, aber bereits die Folgenummer weist „Die Frau <strong>und</strong> ihr Haus“ nicht mehr im Titelkopf auf).<br />
284 Das Reformkleid galt den fortschrittlichen Frauenvereinen als äußeres Zeichen weiblicher Emanzipation, als<br />
Befreiung aus dem beengenden <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitsschädigenden Korsett. Siehe: Ober, Der Frauen neue Kleider.<br />
285 Röhl, Elisabeth: Krieg <strong>und</strong> Frauenkleider. In: GL, 28/ 19/ 21.06.1918/ 148-150.<br />
286 Röhl, Elisabeth: Ehereform. In: GL, 29/ 14/ 11.04.1919/ 109-111; Die moderne Frau. In: GL 30/ 35/ 28.08.1920/<br />
285-286.<br />
287 Röhl, Elisabeth: Tagebuchblätter aus Weimar. In: GL, 29/ 11/ 28.02.1919/ 88 bis GL, 29/ 16/ 01.05.1919/ 127;<br />
Tagebuchblätter aus Berlin In: GL, 29/ 18/ 06.06.1919/ 144; Tagebuchblätter aus Berlin <strong>und</strong> Weimar. In: GL, 29/<br />
20/ 05.07.1919/ 160; Tagebuchblätter aus Weimar. In: GL, 29/ 21/ 12.07.1919/ 168 bis GL, 29/ 28/ 30.08.1919/<br />
224.<br />
138
2.2.3 DIE REDAKTEURINNEN DER „NEUEN“ „GLEICHHEIT“<br />
Weiteren beschäftigte sie sich mit der Situation unehelicher Mütter <strong>und</strong> Kinder <strong>und</strong> ihrer Berück-<br />
sichtigung im Bürgerlichen Gesetzbuch <strong>und</strong> der Weimarer Verfassung. 288<br />
Das Experiment, Frauen politische <strong>und</strong> unterhaltsame Lektüre in einem einzigen Blatt zu bieten –<br />
wenn auch das eine in Form von Beilagen – war gescheitert. Noch 1921 auf der SPD-Frauen-<br />
konferenz in Görlitz konnte verkündet werden, dass selbst bürgerliche Frauen die „Gleichheit“ als<br />
die „höchstqualifizierte Frauenzeitschrift in ganz Deutschland überhaupt“ 289 erachten würden.<br />
Doch Qualität bewahrte nicht vor dem finanziellen Aus. Vor allem der noch zu schildernde<br />
finanzielle Hintergr<strong>und</strong> wurde ausschlaggebend. Die Überlegung, die „Gleichheit“ wieder zum<br />
Obligatorium der <strong>weiblichen</strong> Parteimitglieder zu machen, wurde auf den Frauenkonferenzen<br />
verworfen, weil die damit verb<strong>und</strong>enen Beitragserhöhungen vermutlich zu mehr Parteiaustritten<br />
geführt hätten. 290 Das Konzept des Experiments wurde aufgegeben <strong>und</strong> in den folgenden Jahren<br />
zwei Nachfolgerinnen herausgegeben: „Die Genossin – SPD-Informationsblatt für Funk-<br />
tionärinnen“ (1924-1933) erschien monatlich <strong>und</strong> diente der Schulung <strong>und</strong> Vernetzung der<br />
Organisationen. Die „Frauenwelt – eine Halbmonatsschrift“ (1924-1933) war ein Unterhaltungs-<br />
blatt, mit dessen Hilfe von den Ortsgruppen auch so genannte „Frauenweltabende“ unterhaltsam<br />
gestaltet wurden. 291<br />
288 Röhl, Elisabeth: Das Recht der unehelichen Mutter. Zur Reform des bürgerlichen Gesetzbuches. In: GL, 30/ 41-<br />
42/ 09.10.1920/ 335-336; Das uneheliche Kind in der „Weimarer Verfassung“. In: GL, 30/ 19/ 08.05.1920/ 140-<br />
141.<br />
289 Diese Befürchtungen teilten nicht alle Funktionärinnen der SPD, da in ihren Bezirken ein Obligatorium ohne<br />
Mitgliederverlust möglich gewesen war (vgl. Arning im Bericht über den Reichsfrauentag. In: Protokoll des SPD-<br />
Parteitages in Görlitz 1921, S. 66).<br />
290 Vgl. ebd.<br />
291 Vgl. ebd. Diese „Frauenweltabende“ wurden von Seiten der männlichen Genossen ungerechtfertigter Weise oft<br />
abfällig als „Kaffeeklatsch“ abgetan. (Juchacz im Protokoll des SPD-Parteitages Kiel 1927, S. 59). Hinsichtlich<br />
einer kritischen Betrachtung des unterhaltenden Schwerpunktes der „Frauenwelt“ siehe Kapitel 3.3.3.<br />
139
2.3 „Für die ‘Gleichheit’ mit der Feder tätig“<br />
– Die MitarbeiterInnen der „Gleichheit“<br />
2.3.1 Die MitarbeiterInnen Zetkins<br />
Nachdem bisher diejenigen Personen charakterisiert wurden, die die „Gleichheit“ ins Leben<br />
riefen <strong>und</strong> als verantwortliche RedakteurInnen am Leben erhielten, werden nun einige ihrer<br />
MitarbeiterInnen <strong>und</strong> eine Auswahl ihrer Themen näher vorgestellt. Im Vordergr<strong>und</strong> aller<br />
Darstellungen sollen der Beginn <strong>und</strong> Verlauf ihrer Tätigkeit für die „Gleichheit“ <strong>und</strong> ein kurzer<br />
Einblick in ihre Arbeitsfelder stehen. 292 Dabei wird keine konkrete Unterscheidung in<br />
„ständige“ <strong>und</strong> andere MitarbeiterInnen der „Gleichheit“ getroffen, sondern diese wird viel-<br />
mehr bewusst als ein, wie Lion es ausdrückt, „Gemeinsamkeitswerk“ 293 betrachtet. Das Fehlen<br />
entsprechender Redaktionsunterlagen erschwert zudem die Ermittlung, welche AutorInnen als<br />
„ständige“ MitarbeiterInnen zu betrachten sind <strong>und</strong> welche nicht. Auch an der Anzahl der<br />
erschienenen Artikel lässt sich dieser Status nicht festmachen. Zum Mitarbeiterstamm der<br />
„Gleichheit“ zählen bekannte FunktionärInnen, Redakteure <strong>und</strong> Journalisten der SPD, Per-<br />
sonen, die in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zu diesen standen 294 , Personen aus den<br />
regionalen <strong>und</strong> lokalen Organisationen <strong>und</strong> Personen, von denen lediglich ein Name, ein Pseu-<br />
donym oder die Initialen ermittelbar sind. Bei Personen, deren Biographien gut erforscht sind<br />
oder deren Vorbildfunktion in den nachfolgenden Kapiteln noch näher vorgestellt wird, wird im<br />
Weiteren auf eine ausführliche biographische Darstellung verzichtet.<br />
Zetkin, die in den ersten Jahren gezwungen war, die meisten Artikel selbst zu verfassen, hob<br />
anlässlich ihres 50. Geburtstages stolz die Bedeutung <strong>und</strong> Zusammensetzung ihres Mit-<br />
arbeiterInnenstabes hervor:<br />
„Leserinnen <strong>und</strong> Leser der ‘Gleichheit’ haben mich zu meinem 50. Geburtstag<br />
im reichsten Maße mit Beweisen ihrer Sympathie <strong>und</strong> Anerkennung bedacht.<br />
Sie sind mir ganz besonders wertvoll als Ausdruck der engen, ich bin versucht<br />
zu sagen persönlichen Fühlung, welche zwischen der ‘Gleichheit’ <strong>und</strong> ihrem<br />
Leserkreis besteht. Aber was die ‘Gleichheit’ im Laufe von 16 arbeits- <strong>und</strong><br />
292 Der angegebene Zeitpunkt des Eintritts einer Person in die „Gleichheit“-Mitarbeiterschaft wurde aus der<br />
Durchsicht der „Gleichheit“ ermittelt <strong>und</strong> muss bis zur digitalen Erstellung eines Autorenregisters unbestätigt<br />
bleiben. Auch für die Entschlüsselung vieler Initialen <strong>und</strong> Zeichen ist ein solches Register erforderlich.<br />
In einer Auswertung der in der „Gleichheit“ veröffentlichten Kurzmeldungen betreffs der Themen Stimmrecht<br />
<strong>und</strong> Prostitution <strong>und</strong> ihrer VerfasserInnen weist Wischermann die besonderen Strukturen persönlicher Vernetzung<br />
innerhalb der proletarischen Frauenbewegung auf (vgl. Wischermann, Frauenbewegung <strong>und</strong> Öffentlichkeiten<br />
um 1900, S. 127ff.).<br />
293 Lion, Zur Soziologie der Frauenbewegung, S. 94.<br />
294 Zu der Bedeutung von Verwandtschaft auf der regionalen Ebene der proletarischen Frauenbewegung in<br />
Frankfurt am Main siehe: Klausmann, Politik <strong>und</strong> Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich, S. 346ff.<br />
141
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
erfolgreichen Jahren vielen Zehntausenden geworden ist, das ist nicht allein eine<br />
Frucht meines Wirkens. Es ist auch der treuen Unterstützung geschuldet, welche<br />
die Zeitschrift seitens ihrer Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeiter erfahren hat, das Wort<br />
in seinem weitesten Sinne genommen, so daß es alle begreift, die für die<br />
‘Gleichheit’ mit der Feder tätig sind, wie alle jene, die durch Ratschläge ihre Ausgestaltung,<br />
durch mühevolle Kleinarbeit ihre Verbreitung fördern. Sie alle haben<br />
sich um das Werk der Sammlung <strong>und</strong> theoretischen Schulung der Proletarierinnen<br />
für den Klassenkampf wohlverdient gemacht, das die vornehmste Aufgabe des<br />
Blattes ist. Wie sie sich bei Arbeit <strong>und</strong> Kampf zu mir gesellen, so gehören sie auch<br />
bei der Ehrung solidarisch mir zur Seite. Es ist mir daher ein Herzensbedürfnis,<br />
den innigen Dank für alle, deren Liebe mich erfreute, <strong>und</strong> denen ich nicht<br />
persönlich die Hand drücken kann, mit der wärmsten Anerkennung für alle Genannten<br />
<strong>und</strong> Ungenannten zu verbinden, deren hingebungsvolle Mitarbeit die<br />
‘Gleichheit’ trägt.“ 295<br />
Zetkin formulierte diesen Dank an ihre MitarbeiterInnen zu einem Zeitpunkt, da der Erfolg der<br />
„Gleichheit“ eine besondere – vor allem quantitativ messbare – Form angenommen hatte. <strong>Von</strong><br />
1905 bis 1906 hatte sich die Zahl der Abonnentinnen von 23.000 auf 46.000 verdoppelt. Dies war<br />
sowohl ein Verdienst Zetkins <strong>und</strong> ihrer AutorInnen als auch der wachsenden Parteistrukturen, des<br />
Verlags <strong>und</strong> der ExpediteurInnen. An der Schnittstelle zwischen inhaltlicher <strong>und</strong> expeditierender<br />
Arbeit für die „Gleichheit“ standen die Agitatorinnen. Es sind in den ersten Jahren vor allem deren<br />
Berichte über Vortragsreisen, die auf ihren Agitationsreisen die „Gleichheit“ verteilten <strong>und</strong><br />
Vereinsgründungen anstießen, die neben den Artikeln Zetkins die Seiten der „Gleichheit“ füllen.<br />
Sie sind es, die die Rubrik „Aus der Bewegung“ ausmachen <strong>und</strong> damit beste Rechenschaft über<br />
die fortschreitende Vernetzung der proletarischen Frauenbewegung ablegen. Meist referierten die<br />
Agitatorinnen denselben Vortrag in mehreren Veranstaltungen. Dies lässt sich daran erkennen,<br />
dass sich die Vortragstitel in der nach Ortsnamen geordneten Rubrik „Aus der Bewegung“<br />
wiederholen. 296 Sehr häufig griffen die Agitatorinnen dabei Themen auf, die in ihren theoretischen<br />
Ausführungen auf Zetkin oder Bebel basierten oder die aktuelle politische Diskussion wider-<br />
spiegelten. Als Agitatorinnen waren vor allem Genossinnen tätig, die bereits ein gewisses Maß an<br />
Schulung erfahren <strong>und</strong> innerhalb ihrer regionalen Frauenorganisation eine führende Position inne<br />
hatten. Zu diesen gehörten beispielsweise die bereits erwähnten Helma Steinbach, Martha<br />
Rohrlack <strong>und</strong> Marie Wackwitz (1865-?) 297 . Letztere hatte zu einem ihrer Agitationsauftritte<br />
295 Zetkin, Clara: Ein Wort des Dankes. In: GL, 17/ 15/ 22.07.1907/ 127.<br />
296 Joos belächelte als zeitgenössischer Kritiker der proletarischen Frauenbewegung diese bescheidenen Anfänge<br />
sozialistischer Frauenagitationsreisen. Er hatte jedoch auch nicht ganz Unrecht, wenn er feststellte: „Die wenigen<br />
Frauen, die zur Verfügung standen, hielten allenthalben gleichlautende Vorträge.“ (Joos, Die sozialdemokratische<br />
Frauenbewegung in Deutschland, S. 15).<br />
297 Marie Wackwitz, geb. Zinske, wurde in Dresden geboren <strong>und</strong> besuchte die Volksschule. 1889 trat sie dem<br />
Arbeiterbildungsverein Dresden <strong>und</strong> Löbtau bei. Seit 1901 wirkte sie als reisende Agitatorin der SPD vor allem in<br />
Sachsen <strong>und</strong> wurde 1905 Vertrauensperson für Dresden. 1917 wurde Wackwitz Mitglied der USPD <strong>und</strong> Dezember<br />
1920 der VKPD. Aus der KPD trat sie jedoch 1921 wieder aus <strong>und</strong> blieb parteilos, bis sie sich wieder der USPD<br />
<strong>und</strong> schließlich der SPD anschloss. Nachdem sie 1917 nicht mehr für die „Gleichheit“ arbeitete, wurde sie 1919<br />
142
folgende besondere Begebenheit zu erzählen:<br />
2.3.1 DIE MITARBEITERINNEN ZETKINS<br />
„In Wechselburg konnten es einige Frauen gar nicht begreifen, daß eine Frau in<br />
einer Versammlung reden sollte. ‘Das ist gar keine richtige Frau,’ hatten sie gemeint,<br />
‘der hat man bloß eine Perücke aufgesetzt <strong>und</strong> einen Rock angezogen.’ Aber<br />
als sie sahen, daß tatsächlich eine Frau referierte, war ihre Freude groß, <strong>und</strong> sie<br />
baten die Referentin, recht bald wieder zu kommen.“ 298<br />
Auch Ottilie Baader (1847-1925) war als Agitatorin für die proletarische Frauenbewegung<br />
unterwegs. Sie war anfangs vor allem in der Berliner Frauenorganisation engagiert <strong>und</strong> verfasste<br />
für die „Gleichheit“ Berichte aus dem Berliner „Bildungsverein für Frauen <strong>und</strong> Mädchen“. 1900<br />
wurde sie in Mainz auf der ersten sozialdemokratischen Frauenkonferenz 299 mit nur zwei<br />
Gegenstimmen in das zentrale <strong>und</strong> von der Parteikasse seit 1904 besoldete Amt der „Vertrauens-<br />
person der Genossinnen Deutschlands“ 300 gewählt. Als solche verfasste sie bis 1908 einen<br />
jährlichen Rechenschaftsbericht. Diese Berichte wurden – wenn auch nicht wortgleich – sowohl<br />
in der „Gleichheit“ 301 als auch in den jeweiligen Parteitagsprotokollen 302 veröffentlicht. Sie geben<br />
besonders wertvollen Aufschluss über Entwicklung <strong>und</strong> Finanzen der „Gleichheit“ wie der<br />
gesamten proletarischen Frauenbewegung. 303 Im Parteitagsprotokoll von 1909 war der Bericht zur<br />
Mitarbeiterin der USPD-Frauenzeitschrift „Die Kämpferin“. Wackwitz arbeitete als Schriftstellerin <strong>und</strong> für die<br />
AWO. 1920-1924 war Wackwitz Reichstagsabgeordnete. Nachfolgende Kandidaturen blieben erfolglos – die<br />
letzte im September 1930. Neben ihren Agitationsberichten veröffentlichte Wackwitz in der „Gleichheit“ Artikel,<br />
die meist organisatorische oder agitationsstrategische Inhalte hatten, z. B.: Wackwitz, Marie: Zur Frage der<br />
Agitation. In: GL, 14/ 18/ 24.08.1904/ 138-139; Ein Wort zur Gestaltung unserer Diskussionsabende. In: GL, 20/<br />
26/ 26.09.1910/ 403-404.<br />
298 Wackwitz, Marie: Ohne Titel. In GL, 18/ 14/ 06.07.1908/ 127.<br />
299 Die Frauenkonferenzen fanden jeweils alle zwei Jahre im Vorfeld eines SPD-Parteitages statt (siehe<br />
Literaturverzeichnis).<br />
300 Vgl. Ohne Titel. In: GL, 09/ 25/ 06.12.1899/ 198-199.<br />
301 Baader, Ottilie: Erster Vierteljahresbericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands. In: GL, 11/ 05/<br />
27.02.1901/ 37; Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands. In: GL, 12/ 21/ 08.10.1902/ 165-<br />
166; GL, 13/ 18/ 26.08.1903/ 141-142; GL, 14/ 19/ 07.09.1904/ 146-147; GL, 14/ 20/ 21.09.1904/ 155-156; GL,<br />
15/ 17/ 23.08.1905/ Beilage; GL, 16/ 18/ 05.09.1906/ Beilage; [der Bericht von 1907 fehlt oder erschien vielleicht<br />
nicht]; GL, 18/ 17/ 17.08.1908/ Beilage. Bemerkenswert ist, dass diese Berichte in ihrem Umfang stetig<br />
zunahmen, ab 1905 als Beilage der „Gleichheit“ beigefügt wurden <strong>und</strong> 1908 – im Jahr der Integration der Frauen<br />
in die Parteiorganisation – schließlich der letzte <strong>und</strong> umfangreichste von allen erschien. Der Berichte von 1908<br />
enthält ein Verzeichnis der Namen <strong>und</strong> Adressen aller Vertrauenspersonen. Diese Angaben sind für die aktuelle<br />
regionale Frauengeschichtsforschung sehr aufschlussreich (vgl. weitere Verzeichnisse in: GL, 12/ 16/ 30.07.1902/<br />
128; GL, 12/ 18/ 27.08.1902/ 144; GL, 13/ 01/ 01.01.1913/ 8 <strong>und</strong> verschiedene Nachträge. Das umfangreichste<br />
Verzeichnis erschien mit der Beilage in Jg. 15).<br />
302 Im Protokoll des SPD-Parteitages in Lübeck 1901 fehlte der Bericht noch <strong>und</strong> in München 1902 <strong>und</strong> Dresden<br />
1903 gab Baader keinen Berichtszeitraum an. Doch zunehmend wurde auch die Art <strong>und</strong> Weise ihrer<br />
Berichterstattung professioneller (vgl. Literaturverzeichnis).<br />
303 Die Finanzen der „Gleichheit“ werden noch an anderer Stelle dargelegt. Die Finanzangelegenheiten der<br />
proletarischen Frauenbewegung hatten ihren Schlusspunkt darin, dass Baader den Agitationsfonds 1908 an den<br />
Parteikassierer übergeben musste: 413,24 Mark <strong>und</strong> ein Bankguthaben bei der Deutschen Bank über 5.423,10<br />
Mark (vgl. Baader, Ottilie: Zur Beachtung! In: GL, 19/ 09/ 01.02.1909/ 138).<br />
143
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Frauenorganisation der SPD nur noch eine Rubrik des Parteivorstandsberichtes. 304<br />
1911 heiratete Baader den Gastwirt August Dietrichs aus Oranienburg <strong>und</strong> nahm den<br />
Doppelnamen Baader-Dietrichs an. Unter diesem Namen – bzw. auch unter der Schreibweise<br />
Diederichs-Baader – veröffentlichte sie sogar in der „neuen“ „Gleichheit“ noch einige wenige<br />
Artikel 305 , die zusammenfassend als Rückblenden auf die Anfänge der proletarischen Frauen-<br />
bewegung charakterisiert werden können.<br />
Während Baader als absolute Gefolgsfrau Zetkins gilt, wird Lily Braun (1865-1916) oft als deren<br />
Gegenspielerin charakterisiert. 306 Braun wurde erstmals 1895 in der „Gleichheit“ erwähnt. Sie trug<br />
damals noch den Namen Lily von Gizycki <strong>und</strong> hatte auf einer Agitationsversammlung der<br />
Arbeiter-Bildungsschule in Berlin einen Vortrag mit dem Titel „Die Frau in der Gegenwart“<br />
gehalten. Zetkin kommentierte diesen Vortrag wie folgt:<br />
„Die Referentin, welche der bürgerlichen Frauenbewegung angehört, entwickelte<br />
in ihrem Vortrag das Programm bürgerlicher Frauenrechtelei, deren Endziel die<br />
Forderung der politischen Gleichberechtigung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts ist.<br />
Trefflich, klar <strong>und</strong> scharf präzisierte ihren Ausführungen gegenüber Genossin<br />
Rohrlack den Charakter <strong>und</strong> die Ziele der proletarischen Frauenbewegung, deren A<br />
<strong>und</strong> O nicht der Kampf für Frauenrechte sei, sondern der Kampf gegen das<br />
Kapital.“ 307<br />
Braun war damals augenscheinlich noch keine Anhängerin der Sozialdemokratie, sondern eine der<br />
führenden Persönlichkeiten der radikalen bürgerlichen Frauenbewegung. Doch dies sollte sich<br />
ändern. 1896 trat sie der SPD bei, engagierte sich fortan in der proletarischen Frauenbewegung 308<br />
304 Im Parteivorstandsbericht wurden u. a. die Arbeiten des von Zietz geleiteten zentralen Frauenbüros<br />
zusammengefasst. Man erfährt, dass von diesem Büro aus „fast allwöchentlich Artikel an die gesamte Parteipresse<br />
gegangen [seien], die sich besonders an die Frauen wandten <strong>und</strong> gr<strong>und</strong>sätzlich sowie in agitatorischer Form<br />
Stellung nahmen zu den aktuellen, politischen Tagesfragen“. Inwieweit diese Artikel tatsächlich auch von der<br />
Parteipresse veröffentlicht wurden, geht aus dem Bericht nicht hervor. Jedoch sprach der Bericht des nächsten<br />
Jahres bereits davon, dass sich diese Artikel „gut eingebürgert“ (Protokoll des SPD-Parteitages Magdeburg 1910,<br />
S. 22) hätten. Die Agitation unter den Frauen wurde also von der Parteizentrale fortgesetzt <strong>und</strong> zur<br />
Frauenwahlrechtsagitation 1911 die erstaunliche Anzahl von 2.460.000 Flugblättern ausgegeben (vgl. Protokoll<br />
des SPD-Parteitages Jena 1911, S. 21).<br />
305 Baader-Dietrichs, Ottilie: Vor dreißig Jahren. In: GL, 30/ 18/ 01.05.1920/ 131-132; Dietrichs-Baader, Ottilie:<br />
Unsere Toten. In: GL, 32/ 17-18/ 01.09.1922/ 164 (Nachruf auf den SPD-Mitbegründer Alwin Gerisch);<br />
Diederichs-Baader, Ottilie: Zu Bebels 83. Geburtstag. In: GL, 33/ 03/ 01.02.1923/ 18-19.<br />
306 Die Auseinandersetzung Braun Zetkin wird sowohl auf politischer als auch auf privater Ebene von vielen Studien<br />
behandelt. Meist wird darin eine persönliche Feindseligkeit zwischen den beiden Frauen <strong>und</strong> vor allem der<br />
geradezu totalitäre Anspruch Zetkins konstatiert. Zu der sehr konfliktreichen Beziehung zwischen Braun <strong>und</strong><br />
Zetkin empfiehlt sich neben dem Studium der im Literaturverzeichnis genannten biographischen Studien die<br />
kritische Lektüre der von Braun 1909 <strong>und</strong> 1911 verfassten „Memoiren einer Sozialistin“ <strong>und</strong> der davon beeinflussten<br />
Studie des Zeitgenossen Josef Joos (Joos, Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Deutschland,<br />
S. 21ff.).<br />
307 [Braun, Lily] Gizycki, Frau v.: Die Frau in der Gegenwart. In: GL, 05/ 03/ 06.02.1895/ 19.<br />
308 Parallel zum bereits erwähnten internationalen „Kongreß für Frauenwerke <strong>und</strong> Frauenbestrebungen“, der vom 19.-<br />
26. September 1886 in Berlin stattfand, organisierte die proletarische Frauenbewegung drei große<br />
Volksversammlungen. Braun sprach auf einer zum Thema „Frauenfrage <strong>und</strong> Sozialdemokratie“. Vgl. Die<br />
Massenversammlungen der Berliner Genossinnen. In: GL, 06/ 21/ 14.10.1896/ 163.<br />
144
2.3.1 DIE MITARBEITERINNEN ZETKINS<br />
<strong>und</strong> veröffentlichte in der „Gleichheit“ ihren ersten Artikel. Er trug den Titel „Bürgerliche <strong>und</strong><br />
proletarische Frauenbewegung“ 309 <strong>und</strong> verglich sie das Verhältnis, dass diese beiden Strömungen<br />
in Deutschland <strong>und</strong> in England zueinander hatten. Sie hatte diesen Artikel mit dem Doppelnamen<br />
Braun-Gizycki gezeichnet, welcher anzeigt, dass sie mittlerweile den sozialdemokratischen Publi-<br />
zisten Heinrich Braun geheiratet hatte. Unter diesem Doppelnamen veröffentlichte sie noch einige<br />
weitere Artikel wie z.B. „Karneval“ 310 in welchem sie sich mit der Pauperisierung auseinander-<br />
setzte. Nach einer Reise nach Großbritannien beschäftigte sie sich mit dem Kampf der englischen<br />
Frauenbewegung um das Frauenwahlrecht. 311 Diese Reise zu den englischen Kampfgenossinnen<br />
dürfte auch für den Artikel „Die nächsten Aufgaben der deutschen Arbeiterinnenbewegung“ 312<br />
Anregung gegeben haben, welcher für viel Aufregung in der „Gleichheit“-Redaktion sorgte <strong>und</strong><br />
die Gemüter ihrer Mitarbeiterinnen erregte. Die darin geäußerten Ideen <strong>und</strong> Vorschläge für eine<br />
Institutionalisierung <strong>und</strong> Professionalisierung der proletarischen Frauenbewegung wurden vor<br />
allem, aber nicht nur von Zetkin heftig angegriffen. Sie sollen hier etwas eingehender betrachtet<br />
werden, da sie teilweise den Aufgabenbereich der „Gleichheit“ berühren.<br />
Ausgehend von den Lebensbedingungen der großen Masse der Frauen <strong>und</strong> den rigiden staatlichen<br />
Repressionen sah Braun die nächsten Aufgaben der proletarischen Frauenbewegung so:<br />
„Sie [die nächsten Aufgaben, M.S.] theilen sich ein in die Wirksamkeit nach innen<br />
<strong>und</strong> die Wirksamkeit nach außen. Unter der Wirksamkeit nach innen verstehe ich<br />
diejenige, welche sich auf den Kreis beschränkt, der schon zu uns gehört. Weil er<br />
schon zu uns gehört, wird die Wirksamkeit in seiner Mitte, wie mir scheint,<br />
vielfach vernachlässigt, <strong>und</strong> doch sollte er die Kerntruppe bilden, aus der die<br />
Offiziere hervorgehen. Um das zu ermöglichen, um ein Auseinanderlaufen, ein<br />
Allerleianfangen <strong>und</strong> Wenigvollenden nicht aufkommen zu lassen, muß für ihn,<br />
trotz der Auflösung der Arbeiterinnenvereine, der Agitationskommissionen u.s.w.,<br />
eine feste Organisation geschaffen werden, die sich in verschiedene rein praktische<br />
Arbeitsgebiete eintheilt.“ 313<br />
Brauns Hauptaugenmerk lag demnach – gemäß ihrer besonderen organisatorischen Fähigkeiten<br />
<strong>und</strong> zum Zwecke einer effizienteren Bildungs- <strong>und</strong> Agitationsarbeit – in einer zunehmenden Insti-<br />
tutionalisierung. Die Arbeitsgebiete, die einerseits der Ausbildung einer Kerngruppe von geschul-<br />
ten Kämpferinnen zuträglich sein sollten, aber andererseits auch eines festen Personalstammes<br />
309 [Braun, Lily] Braun-Gizycki, Lily: Bürgerliche <strong>und</strong> proletarische Frauenbewegung. In: GL, 06/ 23/ 11.11.1896/<br />
179-180.<br />
310 [Braun, Lily] Braun-Gizycki, Lily: Karneval. In: GL, 07/ 04/ 17.02.1897/ 26-27.<br />
311 [Braun, Lily] Braun-Gizycki, Lily: Der Sieg der Bewegung für das Frauenwahlrecht im englischen Parlament. In:<br />
GL, 07/ 04/ 17.02.1897/ 32.<br />
312 [Braun, Lily] Braun-Gizycki, Lily: Die nächsten Aufgaben der deutschen Arbeiterinnenbewegung. In: GL, 07/ 06/<br />
17.03.1897/ 41-42.<br />
313 Ebd., S. 41.<br />
145
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
solcher Kämpferinnen bedurften, ordneten sich in vier Arbeitsgruppen: Die erste Gruppe sollte<br />
sich um statistische Erhebungen über die Lage der Arbeiterinnen in Deutschland bemühen. Die<br />
zweite Gruppe sollte sich mit dem bibliographischen Sammeln, Ordnen <strong>und</strong> Veröffentlichen aller<br />
frauenrelevanten Gesetzestexte <strong>und</strong> mit der Schaffung einer Informationsstelle beschäftigen. Die<br />
dritte Gruppe hätte sich der praktischen juristischen Beratung widmen sollen, indem sie eine<br />
Beschwerdestelle für Arbeiterinnen einrichtete. Die vierte <strong>und</strong> letzte Gruppe wäre für<br />
Veröffentlichungen in der Presse <strong>und</strong> die Herausgabe von Flugblättern zuständig gewesen. Die<br />
Einrichtung dieser vier Arbeitsgruppen entspricht im Gr<strong>und</strong>e einer Umgestaltung des bisher von<br />
der proletarischen Frauenbewegung genutzten „Systems der Vertrauenspersonen“ 314 .<br />
Zetkin hielt diese Arbeitsgruppen zwecks „wissenschaftlich-praktischer Hilfsarbeiten“ 315 , wie sie<br />
geringschätzig deren Aufgabengebiete bezeichnete, r<strong>und</strong>weg für überflüssig <strong>und</strong> kräfteverschwen-<br />
dend. Für sie drängten sich zwei Fragen auf:<br />
„[L]iegt – soweit der Plan auf die Schulung unserer Kerntruppen abzweckt – ein<br />
solches Erziehungsprogramm im Interesse einer Bewegung, welche einen<br />
entschiedenen Parteicharakter trägt? Und die andere, haben wir in den sozialistischen<br />
Frauenkreisen – ohne daß unsere Hauptaufgabe der Agitation unter den<br />
Massen leidet – die nöthigen Personen- <strong>und</strong> Geldkräfte, um den Vorschlag als<br />
Arbeitsprogramm durchzuführen?“ 316<br />
Zetkin verneinte diese Fragen <strong>und</strong> sah Brauns Vorschlag entsprechend als Abzug personaler<br />
Kräfte <strong>und</strong> finanzieller Mittel von der eigentlichen Aufgabe der sozialistischen Frauenbewegung,<br />
nämlich der,<br />
„die Proletarierinnen zum Klassenbewußtsein zu wecken, sie aus einer indifferenten<br />
oder hemmenden zu einer treibenden Kraft im wirthschaftlichen <strong>und</strong><br />
politischen Klassenkampfe des Proletariats zu verwandeln, sie zu bewußten Sozialistinnen<br />
zu erziehen.“ 317<br />
Zu diesem Zweck hatte nach Meinung Zetkins ein Erziehungsprogramm zuallererst die Bildung<br />
auf zwei entscheidenden Gebieten zu fördern: „dem Gebiete der Nationalökonomie <strong>und</strong> der<br />
314 Der SPD-Parteitag in Berlin 1892 fasste den Entschluss, für die proletarische Frauenorganisation das System der<br />
Vertrauensmänner zu übernehmen. Im Fall der proletarischen Frauenorganisationen empfahl sich nämlich kein<br />
ortsfestes, starres Organisationskonstrukt, da dieses von den rigiden Polizeimaßnahmen zu schnell zerschlagen<br />
worden wäre. Die Frauen, die diese Vernetzungspositionen einnahmen, wurden „Vertrauenspersonen“ genannt.<br />
Regelmäßig veröffentlichten sie in der „Gleichheit“ Berichte über die Entwicklung der Frauenbewegung ihres<br />
„Bezirks“. Sie waren ab 1905 berechtigt, in den Ländern, in denen Frauen nicht Mitglieder der SPD sein konnten,<br />
freiwillige Beiträge entgegenzunehmen. Diese Möglichkeit der Sympathiebezeugung wurde von vielen Frauen<br />
wahrgenommen. Zu der zahlenmäßigen Entwicklung der Vertrauenspersonen siehe: Tabelle 9 „Zahl der<br />
<strong>weiblichen</strong> Vertrauenspersonen (bis 1907) <strong>und</strong> Vorstandsmitglieder (ab 1909) 1901-1912“. Zum Verhältnis der<br />
Anzahl weiblicher Parteimitglieder zu den freiwilligen Beiträgerinnen siehe: Tabelle 11 „Mitglieder der<br />
sozialdemokratischen Frauenbewegung 1901-1907“.<br />
315 Zetkin, Klara: Kritische Bemerkungen zu Genossin Brauns Vorschlag. In: GL, 07/ 06/ 17.03.1897/ 42.<br />
316 Ebd.<br />
317 Ebd.<br />
146
2.3.1 DIE MITARBEITERINNEN ZETKINS<br />
Geschichte, <strong>und</strong> zwar der sozialistischen Auffassung entsprechend.“ 318 Die Erfassung national-<br />
ökonomischer <strong>und</strong> historischer Hintergründe, d. h. die Arbeit an der Theorie, setzte Zetkin hier<br />
dem praktischen Vorschlag Brauns entgegen.<br />
Die Auseinandersetzung um Brauns Ideen wurde in der „Gleichheit“ in heftigster Form<br />
fortgesetzt. 319 In einem späteren Artikel relativierte Braun daraufhin ihre Ausführungen: Der<br />
Umstand, dass ihre Gegnerinnen sich veranlasst gesehen hätten, „aus der Mücke einen Ele-<br />
phanten“ 320 zu machen, beruhe auf einem leicht zu behebenden Missverständnis:<br />
„Ich gestehe gern zu, an dem Mißverständnis selbst mit die Schuld zu tragen, da<br />
ich meinem, die Diskussion einleitenden Artikel den Titel: ‘Die nächsten Aufgaben<br />
der deutschen Arbeiterinnenbewegung’, statt ‘Eine Aufgabe für die deutsche<br />
Arbeiterinnenbewegung’ gab.“ 321<br />
Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass lediglich Brauns Wortwahl diese massive Kritik<br />
hervorrief. Vielmehr hatte sie ihren Vorschlag zu einer Zeit gemacht, als die „Marschrichtung“<br />
von Zetkin bereits irreversibel vorgegeben war. Deshalb charakterisiert Joos Brauns Bedeutung<br />
für die proletarische Frauenbewegung sehr zutreffend, wenn er schrieb, sie sei<br />
„[e]ine Sozialistin gemäßigter Richtung [gewesen], talentvoll genug, um neue<br />
Wege weisen, gewandt genug, um Einfluß auf Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Feind gewinnen zu<br />
können; eine Überleiterin zu anderer Art proletarischer Frauenbewegung<br />
vielleicht“ 322 .<br />
Eine „andere Art proletarischer Frauenbewegung“, wie sie aber von Zetkin nicht gewollt war.<br />
Dieser Konflikt zwischen Zetkin <strong>und</strong> Braun war jedoch keineswegs das Ende ihrer Zusammen-<br />
arbeit. Im Gegenteil: Er war der Auftakt für ein engagiertes Wirken Brauns in der proletarischen<br />
Frauenbewegung <strong>und</strong> in der „Gleichheit“. 323 Zetkin gab am 7. Juli 1897 stolz Brauns „regelmäßige<br />
<strong>und</strong> umfangreiche Mitarbeiterschaft“ 324 bekannt <strong>und</strong> hob in der Bekanntmachung hervor, dass<br />
diese neue Mitarbeiterin über „treffliche[…], weitreichende[…] Kenntnisse auf dem Gebiete der<br />
318 Ebd. S. 43<br />
319 Zetkins zweiter Artikel zu Brauns Vorschlägen (Zetkin, Klara: Kritische Bemerkungen zu Genossin Brauns<br />
Vorschlag, II. In: GL, 07/ 07/ 31.03.1897/ 50-51) lud schließlich viele andere Führerinnen der proletarischen<br />
Frauenbewegung ein, sich ebenfalls in den nächsten fünf Nummern zur Diskussion zu äußern.<br />
320 Braun, Lily: Zur Debatte über meinen Vorschlag. In: GL, 07/ 14/ 07.07.1897/ 107. Die Erwiderung Brauns hatte<br />
erst verspätet veröffentlicht werden können. Zetkin nannte als Gr<strong>und</strong> dafür den „leidigen Raummangel[…]“ <strong>und</strong><br />
kündigte ihn für die nächste Nummer an (vgl. Die Redaktion der „Gleichheit“: Zur Beachtung. In: GL, 07/ 13/<br />
23.06.1897/ 98).<br />
321 Ebd.<br />
322 Joos, Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Deutschland, S. 61.<br />
323 Braun, Lily: Warum kann die Frauenbewegung nicht unabhängig bleiben? In: GL, 07/ 10/ 12.05.1897/ 76-78<br />
(Braun sprach sich darin dafür aus, dass die Frauenorganisationen politisch Position beziehen müssten); Das<br />
Frauenstimmrecht in England. In: GL, 07/ 13/ 23.06.1897/ 102-103 (da in ihm der Vermerk „Nach Lily Braun“<br />
gemacht wurde, scheint es sich um eine verkürzte Fassung eines ihrer früher verfassten Artikel zu handeln).<br />
324 Die Redaktion: An die Leserinnen <strong>und</strong> Leser. In: GL, 07/ 14/ 07.07.1897/ 106.<br />
147
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Frauenbewegung, der socialen Gesetzgebung ec. ec.“ 325 verfüge. Neben einem großen organisa-<br />
torischen Talent <strong>und</strong> strukturiertem Denken durfte Braun nach Einschätzung Zetkins außerdem<br />
eine „lichtvolle Darstellungsweise“ 326 ihr Eigen nennen. Hohe Erwartungen wurden in sie <strong>und</strong> in<br />
die von ihr initiierte Umgestaltung der Rubrik „Kleine Nachrichten“ in einen gut geordneten<br />
„Notizentheil“ gesetzt. 327 Unter diesen Umständen <strong>und</strong> weil sie quasi Mitglied der Redaktion<br />
wurde, kann Braun tatsächlich als „ständige“ Mitarbeiterin bezeichnet werden.<br />
Braun verfasste nun u. a. Berichte über den Verlauf internationaler Kongresse der bürgerlichen<br />
Frauenbewegung 328, , doch war ihre Position zu Beginn weniger die einer Mittlerin zwischen<br />
beiden Frauenbewegungen, als die einer Insiderin. Auch als Vertreterin der proletarischen Frauen-<br />
bewegung fand sie immer noch Einlass in die bürgerliche Frauenbewegung <strong>und</strong> setzte sich<br />
kritisch mit dieser auseinander. 329<br />
Auch auf literarischem 330 <strong>und</strong> geschichtswissenschaftlichem 331 Gebiet war Braun eine Be-<br />
reicherung der „Gleichheit“-Mitarbeiterschaft. 1897 selbst Mutter geworden, machte sie in einem<br />
325 Ebd.<br />
326 Vgl. ebd.<br />
327 Ebd.<br />
328 Braun, Lily: Der Internationale Frauenkongreß in Brüssel. In: GL, 07/ 18/ 01.09.1897/ 139-141; Der internationale<br />
Frauenkongreß in London. In: GL, 09/ 15/ 19.07.1899/ 115-117; Der internationale Frauenkongreß in London.<br />
(Schluß.) In: GL, 09/ 16/ 02.08.1899/ 122-124. Braun <strong>und</strong> Zetkin hatten eine Einladung zu dem Kongress<br />
abgelehnt (vgl. Zur Theilnahme am Internationalen Frauenkongreß, …. In: GL, 09/ 06/ 15.03.1899/ 48).<br />
329 Braun, Lily: Die Ethik des Kampfes.In: GL, 09/ 20/ 27.09.1899/ 155-156 (Besprechung eines Artikels von Dr. Fr.<br />
Wilh. Förster, dem Sekretär des internationalen Ethischen B<strong>und</strong>es, der im Zentralblatt des BDF erschien <strong>und</strong> das<br />
Verhältnis zwischen bürgerlicher <strong>und</strong> proletarischer Frauenbewegung zum Thema hatte. Braun hatte sich vor<br />
ihrem Eintritt in die SPD im Ethischen B<strong>und</strong> engagiert); Foerster, Fr. W.: Zur „Ethik des Kampfes“. Eine<br />
Entgegnung. In: GL, 09/ 22/ 25.10.1899/ 173-174; Herrn Foerster zur Erwiderung. In: GL, 09/ 22/ 25.10.1899/<br />
174; „Wandlungen.“ In: GL, 10/ 25/ 05.12.1900/ 194-195 (in diesem Artikel bezieht sich Braun auf einen in der<br />
„Frauenbewegung“ veröffentlichten Artikel der bürgerlichen Frauenrechtlerin Maria Lischnewska (?-?)). Zetkin,<br />
Klara: Nachschrift zu Genossin Brauns Artikel. In: GL, 10/ 25/ 05.12.1900/ 195 (Zetkin kritisiert darin Brauns<br />
Argumentation, dass die Agitation unter den bürgerlichen Frauen ebenso wichtig sei wie jene unter den<br />
Arbeiterinnen).<br />
Es war für die „Gleichheit“ aus Agitationszwecken sogar lohnend, von der Untersagung der Vorträge Brauns<br />
durch bürgerliche Institutionen zu berichten (vgl. Als Zunftzopf <strong>und</strong> Möchte-gern-Staatsretter… In: GL, 09/ 23/<br />
08.11.1899/ 184 (Der Rektor der Berliner Universität untersagte einen Vortrag von Braun mit der Begründung,<br />
dass deren literarische Leistungen weniger wissenschaftlicher als agitatorischer Natur seien); Ueber Organisation,<br />
Aufgaben <strong>und</strong> Entwicklung des B<strong>und</strong>es deutscher Frauenvereine … In: GL, 10/ 12/ 06.06.1900/ 96 (Während die<br />
bürgerliche Frauenrechtlerin Marie Stritt (1855-1928) einen Vortrag im „Sozialwissenschaftlichen<br />
Studentenverein“ hatte halten dürfen, war es zuvor Braun untersagt worden)).<br />
330 Braun, Lily: Die Predigt von der Freude. In: GL, 07/ 21/ 13.10.1897/ 161-162 (eine Erzählung, die als Leitartikel<br />
erschien); Ein Weihnachtslied. In: GL, 08/ 26/ 21.12.1898/ 204-205.<br />
331 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. [I-VI]. In: GL, 09/ 01/ 04.01.1899/ 3-6 bis GL, 09/ 12/ 07.06.1899/<br />
92-94 (diese Artikelreihe erschien bereits in der Zeitschrift „Archiv für soziale Gesetzgebung <strong>und</strong> Statistik“<br />
(1888-1903), Bd. 13, Heft 1 <strong>und</strong> 2. Augenfällig ist die Verwendung von Fußnoten, die Brauns wissenschaftliches<br />
Arbeiten belegen). Braun, Lily: Auch eine Goethe-Feier. Zu Goethes 150jährigem Geburtstag am 28. August<br />
1899. In: GL, 09/ 18/ 30.08.1899/ 140-142 (Braun schilderte hier Kindheitserinnerungen <strong>und</strong> ihre erste<br />
Annäherung an die Werke Goethes. Ihre Großmutter Jenny von Gustedt (1811-1890), die eine enge Fre<strong>und</strong>in<br />
Goethes gewesen war, hatte sie zu dieser Lektüre angehalten).<br />
148
2.3.1 DIE MITARBEITERINNEN ZETKINS<br />
Leitartikel anlässlich der Reichstagswahlen im Mai 1898 die Mutterpflichten im Wahlkampf zum<br />
Thema. 332 In demselben Jahr wurde Braun als Delegierte zum Parteitag in Stuttgart gewählt, sie<br />
gab dieses Mandat jedoch zurück. 333<br />
Themen aus der Arbeitswelt der Proletarierinnen waren als Gegenstand ihrer Artikel eher die<br />
Ausnahme. 334 Aber gerade Brauns Überlegungen zum Alltagsleben der Arbeiterinnen, ihr Modell<br />
für die Einrichtung von Haushaltungs- bzw. Wirtschaftsgenossenschaften, brachten sie in einen<br />
neuerlichen prinzipiellen Konflikt mit Zetkin. 335 Zetkin kritisierte in einem mehrteiligen<br />
Leitartikel Brauns Buch „Frauenarbeit <strong>und</strong> Hauswirthschaft“, das 1901 im Vorwärts-Verlag<br />
erschienen war. Wie bereits 1897 kam es erneut zum öffentlichen Schlagabtausch in der<br />
„Gleichheit“. Braun wies die Vorwürfe strikt zurück 336 <strong>und</strong> dieser Konflikt markiert schließlich<br />
den Bruch zwischen ihr <strong>und</strong> Zetkin. Braun wurde schließlich im selben Jahr als „Gleichheit“-<br />
Mitarbeiterin entlassen <strong>und</strong> ihr Name verschwand aus dem Titelkopf der Rubrik „Notizentheil“ 337 .<br />
Sie wurde von Zetkin zunehmend diskriminiert. So dürfte es der „Gleichheit“-Redakteurin sehr<br />
gelegen gewesen sein, dass die durch ges<strong>und</strong>heitliche Probleme beeinträchtigte Agitationstätigkeit<br />
Brauns von Frauenorganisationen offen bemängelt wurde. 338 Zwar erschienen keine von Braun<br />
verfassten Artikel mehr in der „Gleichheit“, doch noch manches Mal wurde sie in<br />
Versammlungsberichten erwähnt. 339 Schließlich zog sie sich auch aus der SPD-Politik immer mehr<br />
zurück.<br />
Brauns Werk „Die Frauenfrage, ihre geschichtliche Entwicklung <strong>und</strong> wirthschaftliche Seite“<br />
(1901) wurde auch von der „Gleichheit“ besprochen. Interessanterweise war der Verfasser der<br />
Rezension der SPD-Politiker <strong>und</strong> Journalist Georg Ledebour (1850-1947) 340 <strong>und</strong> nicht Zetkin,<br />
332 Braun, Lily: Mutterpflichten im Wahlkampf. In: GL, 08/ 11/ 25.05.1898/ 81-83.<br />
333 Vgl. Stellungnahme der Genossinnen zum Stuttgarter Parteitag. In: GL, 08/ 20/ 28.09.1898/ 158-159.<br />
334 Braun, Lily: Die Ziegelei-Verordnung. In: GL, 07/ 26/ 22.12.1897/ 202-204.<br />
335 Zetkin, Klara: Die Wirthschaftsgenossenschaft. I. In: GL, 11/ 13/ 19.06.1901/ 97-99; Die<br />
Wirthschaftsgenossenschaft. II. In: GL, 11/ 14/ 03.07.1901/ 105-106; Die Wirthschaftsgenossenschaft. III. In: GL,<br />
11/ 15/ 17.07.1901/ 113-114; Die Wirthschaftsgenossenschaft. IV. In: GL, 11/ 16/ 31.07.1901/ 121-122.<br />
336 Braun, Lily: Die Wirthschaftsgenossenschaft. Eine Entgegnung. In: GL, 11/ 18/ 28.08.1901/ 140-142.<br />
337 Vgl. GL, 11/ 12/ 05.06.1901/ 94.<br />
338 Vgl. Ueber die Frage der Frauenagitation … In: GL 09/ 21/ 11.10.1899/ 167. Braun ließ schließlich über die<br />
„Gleichheit“ bekanntgeben, dass sie „durch ihre seit längerer Zeit angegriffene Ges<strong>und</strong>heit gezwungen [sei], für<br />
mehrere Monate zur Erholung nach Südtirol zu gehen, <strong>und</strong> deshalb in nächster Zeit keine Referate zu übernehmen<br />
vermag“ (Zur Beachtung. In: GL, 10/ 03/ 31.01.1900/ 24).<br />
339 Vgl. Die Betheiligung der Frauen an der Maifeier … In: GL, 12/ 11/ 21.05.1902/ 87; Braun, Lily: Die Frau <strong>und</strong><br />
der Sozialismus. In: GL, 12/ 13/ 18.06.1902/ 102 (Braun hatte in Frankfurt a. M. <strong>und</strong> Mainz einen Vortrag<br />
gehalten, in dem sie auf die geschichtlichen Entwicklungen des Sozialismus <strong>und</strong> ihre Idee der<br />
Haushaltsgenossenschaften einging).<br />
340 Georg Ledebour wurde in Hannover geboren <strong>und</strong> war Sohn eines Kanzleibeamten. Im Alter von 10 Jahren war er<br />
bereits Vollwaise. Er absolvierte eine Ausbildung zum Handlungsgehilfen <strong>und</strong> war Sanitäter im Deutsch-<br />
149
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
die vielleicht zu sehr darüber pikiert war, dass sie in dem Buch kaum Erwähnung fand. 341<br />
Ledebour äußert sich zu dem Werk sehr wohlwollend. Brauns 1903 erschienene Schrift „Die<br />
Frauen <strong>und</strong> die Politik“ wurde von der „Gleichheit“ ebenfalls sehr positiv aufgenommen. 342<br />
Es ist umstritten, ob Zetkin in Braun schließlich nur eine unliebsame <strong>und</strong> <strong>und</strong>ankbare 343<br />
Konkurrentin oder tatsächlich eine Gefahr für die Klarheit der Bewegung beseitigt wissen wollte.<br />
Stets machte sie Braun jedenfalls zum Vorwurf, dass sie nicht aus proletarischen Verhältnissen<br />
stammte <strong>und</strong> noch zu sehr in der bürgerlichen Frauenbewegung verhaftet sei – ein Vorwurf, der<br />
Zetkin in jüngerer Zeit selbst gemacht wird. 344<br />
Braun erlag 1916 einem Herzanfall. Ihr vermutlich von Zetkin verfasster Nachruf erschien<br />
auffälligerweise nicht im Hauptblatt der „Gleichheit“, sondern in der Beilage „Für unsere Mütter<br />
<strong>und</strong> Hausfrauen“. Es wird Braun darin bescheinigt, ein so genanntes „ewiges Talent“ gewesen zu<br />
sein. 345 Wertschätzung erfuhren Brauns Arbeiten <strong>und</strong> besonders ihre „Frauenfrage“ schließlich erst<br />
wieder nach dem Redaktionswechsel 1917. Nur drei Monate nach der Entlassung Zetkins<br />
verfasste Anna Blos eine Rezension 346 , die Brauns Arbeit als „große[s] Werk“ 347 <strong>und</strong> als<br />
wertvolle „Hinterlassenschaft“ 348 erachtete. Brauns Nachlass war nun, da die sozialdemokratische<br />
Frauenbewegung ihren Radikalismus abgelegt hatte <strong>und</strong> die Annäherung an die bürgerliche<br />
Frauenbewegung suchte, sozusagen wieder „‘Gleichheits’-fähig“. Besonders Blos griff die Werke<br />
Französischen Krieg. 1871-1878 arbeitete Ledebour vor allem als Sprachlehrer. 1878-1882 war er als<br />
Korrespondent verschiedener bürgerlicher Zeitschriften in England tätig. Nachdem er erst Mitglied der<br />
Demokratischen Partei war, trat er 1890 der SPD bei. Seit 1891 schrieb Ledebour für den „Vorwärts“, wurde dort<br />
fester Mitarbeiter <strong>und</strong> außerdem ab 1900 Mitarbeiter der „Neuen Zeit“. 1895 heiratete er Minna Stamfuß.<br />
Während des Ersten Weltkrieges trat Ledebour der USPD bei, wurde Redakteur des „Klassenkampfes“ (1922-<br />
1928[?]) <strong>und</strong> 1918 Mitglied im Berliner Arbeiter- <strong>und</strong> Soldatenrat. 1900-1918 <strong>und</strong> 1920-1924 war Ledebour<br />
Abgeordneter des Reichstages. Nach 1924 blieben seine Kandidaturen erfolglos. 1927 gründete Ledebour die<br />
„Weltliga gegen Imperialismus“ mit. Er trat 1931 der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) bei <strong>und</strong><br />
emigrierte 1933 in die Schweiz.<br />
341 Ledebour, Georg: Die Frauenfrage. I. In: GL, 12/ 15/ 16.07.1902/ 115-118; Die Frauenfrage. II. In: GL, 12/ 16/<br />
30.07.1902/ 122-124.<br />
342 Die Frauen <strong>und</strong> die Politik. In: GL, 13/ 10/ 06.05.1903/ 80.<br />
343 1901 veröffentlichte Braun ihre Schrift „Die Frauenfrage, ihre geschichtliche Entwicklung <strong>und</strong> ihre<br />
wirtschaftliche Seite“, in der Zetkin kaum Beachtung fand, was sie durchaus verärgert haben dürfte.<br />
344 Siehe: Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus.<br />
345 Vgl. Lily Braun †. In: GL, 26 (1916)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 25/ 97. Es wirkt angesichts der<br />
Bedeutung Brauns für die „Gleichheit“ <strong>und</strong> die proletarische Frauenbewegung sehr befremdlich, dass ihr Nachruf<br />
lediglich in der Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ erschien <strong>und</strong> ihm Artikel wie „Vom Würzen der<br />
Speisen II.“ von M.Kt. [Marie Kunert?] folgten.<br />
346 Blos, Anna: „Die Frauenfrage“ von Lily Braun. In: GL, 27/ 26/ 28.09.1917/ 185-187; „Die Frauenfrage“ von Lily<br />
Braun. (Schluß.) In: GL, 28/ 01/ 12.10.1917/ 5-7.<br />
347 Blos, Anna: „Die Frauenfrage“ von Lily Braun. In: GL, 27/ 26/ 28.09.1917/ 186.<br />
348 Ebd. Entscheidender Kritikpunkt war der hohe Preis der Ausgabe, der das Werk der „Allgemeinheit schwer<br />
zugänglich“ (ebd.) machte. Blos votierte für eine Umarbeitung <strong>und</strong> eine „billige Volksausgabe“ (ebd.).<br />
150
2.3.1 DIE MITARBEITERINNEN ZETKINS<br />
Brauns häufig auf. 349 Auf den Vorschlag, deren „Memoiren einer Sozialistin“ in den Frauenlese-<br />
abenden zu behandeln, reagierte die bekennende Bew<strong>und</strong>erin Brauns dann aber doch ablehnend.<br />
Sie seien aufgr<strong>und</strong> ihres Romancharakters für diese Veranstaltungen nicht geeignet. Sie enthielten<br />
„manches, was besser ungeschrieben geblieben wäre <strong>und</strong> was sehr kritisch gelesen werden“ 350<br />
müsse, ja, sie könnten als Stoff für Frauenleseabende sogar „Unheil anrichten“ 351 .<br />
Wie die Karriere Brauns war auch die der Luise Zietz (1865-1922) sehr rasant. So wie Braun<br />
sollte auch sie mit Zetkin manchen Konflikt austragen. Zietz gilt als eine besondere Führerin der<br />
proletarischen Frauenbewegung, weil sie wie Baader aus proletarischen Verhältnissen stammte.<br />
Erwerbstätig als Dienstmädchen, Tabakarbeiterin <strong>und</strong> Kaffeeverleserin, kam sie schließlich durch<br />
ihren Ehemann Karl Zietz in Kontakt mit der Hamburger Arbeiterbewegung. 352 Bereits 1897<br />
wurde Zietz erstmals zu einem Parteitag delegiert. Später gründete sie in Hamburg die erste<br />
Dienstmädchenorganisation. Ihr erster für die „Gleichheit“ verfasster Artikel erschien im Januar<br />
1898. 353 Zetkin blickt in ihrem in der „Kommunistischen Fraueninternationale“ (1921-1925) ver-<br />
öffentlichten Nachruf auch auf diese ersten Jahre zurück:<br />
„Während eines Streiks Hamburger Arbeiter – dafern meine Erinnerung nicht<br />
täuscht, der Bäcker – knüpften sich Beziehungen zu mir, als Redakteurin der<br />
‘Gleichheit’. Luise Zietz schickte einen Bericht ein, der allein eine ganze Nummer<br />
der Zeitschrift gefüllt hätte, <strong>und</strong> indem die Verfasserin in einem ebenso harten<br />
Kampf mit der deutschen Sprache stand, als mit der Bourgeoisie. Jedoch der Bericht<br />
zeigte sinnfällig eine überdurchschnittliche Begabung, scharfen proletarischen<br />
Instinkt <strong>und</strong> das ernste Ringen um Klarheit über die sozialen Erscheinungen. Er<br />
wurde der Ausgangspunkt einer vieljährigen, fruchtbaren Kampfesgemeinschaft für<br />
uns beide <strong>und</strong> einer persönlichen Fre<strong>und</strong>schaft, die vor dieser Kampfesgemeinschaft<br />
zerbrach. Die regelmäßige Mitarbeit Luise Zietz‘ an der ‘Gleichheit’ <strong>und</strong> die<br />
damit verb<strong>und</strong>ene Korrespondenz wurden für die strebsame Genossin zur Schule<br />
349 Blos, Anna: Alt-Weimarer Tage. In: GL, 29/ 14/ 11.04.1919/ 109-111 (darin enthalten waren u. a. Zitate aus der<br />
von Braun herausgegebenen Biographie ihrer Großmutter Jenny v. Gustedt).<br />
350 Blos, Anna[: Ohne Titel.] In: GL, 30/ 07/ 14.02.1920/ 55.<br />
351 Ebd.<br />
352 1896/97 hatte Zietz im Rahmen eines Hafenarbeiterstreiks ihren ersten öffentlichen Auftritt als Rednerin, kurze<br />
Zeit später erfolgte die Ehescheidung. Evans sieht darin einen Zusammenhang (vgl. Evans, Sozialdemokratie <strong>und</strong><br />
Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich S. 161), Notz dagegen vermutet, dass die Ehe von Anfang an nicht<br />
sehr glücklich gewesen sei (vgl. Notz, Alle, die ihr schafft <strong>und</strong> euch mühet im Dienste anderer, seid einig!,<br />
S. 137). Die Ausbildung als Kindergärtnerin an der Hamburger Fröbelschule markierte, so Notz, neben der<br />
Lektüre von Bebels berühmten Buch „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“ „den Beginn ihres Aufstiegs zu einer der bedeutendsten<br />
Politikerinnen ihrer Zeit“ (ebd.).<br />
353 Zietz, Lisa: Die Lohn- <strong>und</strong> Arbeitsbedingungen der Kaffee-Verleserinnen. In: GL, 08/ 02/ 19.01.1898/ 10-11. Der<br />
Druckfehler „Lisa“ statt „Luise“ dürfte dazu geführt haben, dass Zeisler in der seiner Dissertation angehängten<br />
tabellarischen Zusammenstellung jenen ersten Artikel unerwähnt ließ. Laut dieser Zusammenstellung war Zietz‘<br />
erster „wesentlicher“ Artikel „Stellungnahme der Hamburger Genossinnen zum Streik der Bäcker <strong>und</strong> zum<br />
Brotboykott“ (In: GL, 08/ 16/ 03.08.1898) (vgl. Zeisler, Luise Zietz, Anhang S. 22ff.). Übersehen oder nicht als<br />
wesentlich erachtet wurde von Zeisler auch der Artikel: Zietz, Louise: Kaffeeverleserinnen als Heimarbeiterinnen.<br />
In: GL, 08/ 13/ 22.06.1898/ 100-101. Erst ab 1904 zeichnete Zietz ihre Artikel einheitlich als Luise Zietz (vgl.<br />
Zietz, Luise: Der Hamburger Bierboykott. In: GL, 14/ 13/ 15.06.1904/ 98-99).<br />
151
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
theoretischer Klärung <strong>und</strong> Vertiefung, wie ihre rege Betätigung in Versammlungen,<br />
bei Agitations- <strong>und</strong> Organisationsarbeit zur Schule vielseitiger Praxis.“ 354<br />
Zu Beginn ihrer Mitarbeit an der „Gleichheit“ berichtete Zietz vornehmlich aus der aktuellen<br />
Hamburger Arbeiterbewegung <strong>und</strong> schließlich bevorzugt über verschiedene weibliche Lebens-<br />
<strong>und</strong> Arbeitsbedingungen 355 . Dies tat sie jedoch nicht nur für die „Gleichheit“, sondern auch für<br />
andere SPD-Presseorgane. 356 Auffällig ist, dass sich nach 1908 die Gesamtzahl ihrer<br />
Veröffentlichungen halbierte, was wohl ihrer zeitlichen Beanspruchung durch das in diesem Jahr<br />
übernommene Amt im Parteivorstand <strong>und</strong> als Leiterin des „Frauenbüros“ geschuldet sein dürfte.<br />
Ungeklärt ist, wie Zetkin die Wahl Zietz‘ in den Parteivorstand aufgenommen hat. Sah sie sich<br />
von Zietz quasi ausgestochen 357 , oder hatte Zetkin dieses Amt gar nicht gewollt, um nicht der<br />
direkten Kontrolle durch den Parteivorstand zu unterstehen? Nach der Art <strong>und</strong> Weise, wie Zetkin<br />
ihre Position als „Gleichheit“-Redakteurin definierte, ist m. E. eher anzunehmen, dass sie dieses<br />
Amt gr<strong>und</strong>sätzlich nicht angestrebt hatte. 358<br />
Zietz war eine der bekanntesten der durch die verschiedenen Landkreise <strong>und</strong> Städte reisenden<br />
Agitatorinnen, eine hervorragende Rednerin, die große Volksnähe bewies <strong>und</strong> von den Behörden<br />
sicherlich deshalb als sehr gefährlich eingestuft <strong>und</strong> häufig verhaftet wurde. 359 Zietz war aber auch<br />
ein theoretisch geschultes Mitglied der Führungsgruppe der proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong><br />
deren politischer Radikalität verb<strong>und</strong>en. Innerhalb der „Gleichheit“-Mitarbeiterschaft nahm Zietz<br />
keine Position ein, die Zetkins Autorität <strong>und</strong> Führungskraft untergraben hätte. Daher kann Zietz<br />
nicht als Konkurrentin zu Zetkin charakterisiert werden, auch wenn Evans in Bezug auf die<br />
354 Zetkin, Luise Zietz †, Reprint S. 673. Notz führt dagegen Zietz‘ Mitarbeit für die „Gleichheit“ auf einen anlässlich<br />
des Parteitags 1897 in Berlin entstandenen Kontakt mit Clara Zetkin <strong>und</strong> Ottilie Baader zurück (vgl. Notz, Alle,<br />
die ihr schafft <strong>und</strong> euch mühet im Dienste anderer, seid einig!, S. 137).<br />
355 Vgl. Fußnote 58 <strong>und</strong> Zietz, Louise: Frauen als Speicherarbeiter in Hamburg. In: GL, 11/ 22/ 23.10.1901/ 171-172.<br />
356 Insgesamt veröffentlichte Zietz in der „Gleichheit“ bis 1917 28 Leitartikel, 86 Artikel, 66 Berichte <strong>und</strong> 210<br />
Kurzberichte/Notizen (vgl. Zeisler, Luise Zietz, Anhang S. 17). Diese veröffentlichte Zietz nicht allein in der<br />
„Gleichheit“, sondern auch im „Vorwärts“ in der „Neuen Zeit“, in der „Leipziger Volkszeitung“ <strong>und</strong> ihrer<br />
Frauenbeilage, in „Der Proletarier“ (1892-1933), im „Zentralorgan des Verbandes der Hausangestellten“ (1909-<br />
1923), der „Arbeiter-Jugend“ (1909-1933), diversen lokalen SPD-Blättern <strong>und</strong> in den USPD-Organen „Freiheit“<br />
(1918-1922) <strong>und</strong> „Die Kämpferin“ (vgl. ebd., S. 22-27).<br />
357 „Durch die Wahl von Luise Zietz verlor Clara Zetkin, die für die reformistische Parteiführung zu kritisch<br />
geworden war, ihre Vormachtstellung in der proletarischen Frauenbewegung. Die wollte sie natürlich nicht<br />
kampflos aufgeben.“ (Notz, Alle, die ihr schafft <strong>und</strong> euch mühet im Dienste anderer, seid einig!, S. 141.; vgl. auch<br />
Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 133).<br />
358 Die biographische Literatur gibt zur Reaktion Zetkins keinerlei Aufschluss.<br />
359 Zietz verfasste für die „Gleichheit“ einen Artikel, in welchem sie ihre eigenen Erfahrungen als Arrestierte<br />
beschrieb (vgl. Zietz, Louise: Die Untersuchung der <strong>weiblichen</strong> Gefangenen. In: GL, 10/ 03/ 31.01.1900/ 18-19).<br />
1906 wurde Zietz wegen „Verächtlichmachung irgendwelcher Staatseinrichtungen“ angeklagt <strong>und</strong> zeichnete sich<br />
laut Zetkin „bei ihrer Agitation gerade dadurch aus, daß sie die nötige unerbittliche Schärfe <strong>und</strong> Leidenschaft in<br />
der Kritik der fluchbeladenen kapitalistischen Ordnung <strong>und</strong> ihres Staates mit einer klugen Beachtung der<br />
Gesetzestexte verbindet, an der sich recht viele Hüter des Gesetzes ein Beispiel nehmen könnten“ (GL, 16/ 08/<br />
18.04.1906/ 52).<br />
152
Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung der Meinung ist, dass sie<br />
2.3.1 DIE MITARBEITERINNEN ZETKINS<br />
„erst unter Führung von Luise Zietz aufhörte, eine kleine Sekte zu sein, <strong>und</strong> für die<br />
Frauen der Arbeiterklasse in einem allgemeineren Sinn repräsentativ wurde.“ 360<br />
Zetkins Rückblick auf das Leben Luise Zietz‘ – gerade was ihre Bedeutung für die proletarische<br />
Frauenbewegung betrifft – ist dagegen viel kritischer. Zietz sei<br />
„kein schöpferischer Geist [gewesen], der neue, eigene Gedanken gab oder neue<br />
Prägung von Gedanken fand, allein ihr eignete eine hervorragende rezeptive <strong>und</strong><br />
reproduktive Begabung“ 361 .<br />
Dieses Urteil dürfte nicht ganz frei von persönlichen Vorbehalten gewesen sein 362 , doch vor allem<br />
war es beeinflusst von Zietz‘ Positionierung innerhalb der Partei, die Zetkin wie folgt beschreibt:<br />
„Lange focht sie [Zietz; M.S.] auf dem linken Flügel der Partei <strong>und</strong> erreichte in<br />
diesen Zeiten den Höhepunkt ihres Reifens, ihrer Entwicklung. Ein Wandel, ein<br />
Abwärts begann sich zu vollziehen, nachdem sie 1908 als Vertreterin der Frauen in<br />
den Parteivorstand gewählt worden war, ein Amt, das ihr jeder Parteitag der<br />
Vorkriegszeit anvertraute. […] Allein immer augenscheinlicher ward das<br />
Hinübergleiten zu einer ‘vernünftigen, sachlich begründeten’ Opposition, zum<br />
‘Zentrum’ 363 , das opportunistisches Handeln mit gr<strong>und</strong>satztreuen Phrasen verbrämte.<br />
[…] Sie ließ widerstandslos, kampflos den Verrat der Sozialdemokratie,<br />
der Zweiten Internationale geschehen.“ 364<br />
Das „Hin <strong>und</strong> Her ihrer Ueberzeugung“ 365 zeigte sich in ihrem Wechsel zwischen linkem Flügel<br />
der SPD, Reformismus, Burgfrieden <strong>und</strong> erneutem Kampf gegen den Krieg, den sie schließlich als<br />
Mitglied der USPD aufnahm – diese Entwicklung wird noch anhand ihres in der „Gleichheit“<br />
erschienenen Nachrufs näher zu beleuchten sein.<br />
Ein Mitglied der Führungsgruppe der proletarischen Frauenbewegung, das nach dem Ersten<br />
Weltkrieg im Gegensatz zu Zietz nicht als Abgeordnete der USPD, sondern der SPD im Reichstag<br />
wirken sollte, war Marie Kunert (1871-1957) 366 . Kunert hat für diese Dissertation besondere<br />
360 Evans, Sozialdemokratie <strong>und</strong> Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich, S. 169.<br />
361 Zetkin, Luise Zietz †, Reprint S. 673<br />
362 Ein weiterer persönlicher Gr<strong>und</strong> der Abneigung zwischen Zietz <strong>und</strong> Zetkin sieht Notz in einem Ereignis, das mit<br />
der Redaktionsarbeit in der „Gleichheit“ zusammenhängt. 1909 habe Zetkin eine Schwägerin Rosa Luxemburgs<br />
als Sekretärin in der Redaktion der „Gleichheit“ anstellen wollen. Dafür hätte jedoch Zietz ihren Platz als ständige<br />
„Gleichheit“-Mitarbeiterin räumen müssen. Da der Parteivorstand hinter Zietz stand <strong>und</strong> Zetkins Einspruch bei<br />
der Kontrollkommission, der sie selbst angehörte, nicht fruchtete, habe Zetkin daraufhin gedroht, die Herausgeberschaft<br />
der Gleichheit niederzulegen. Dies habe Luxemburg jedoch verhindert. Doch der Streit hatte damit<br />
noch nicht sein Ende gef<strong>und</strong>en. Nun habe Zetkin mit Unterstützung Luxemburgs versucht, die Entlassung Zietz‘<br />
aus dem Frauenbüro zu erreichen, um sie durch die parteilinke Käte Duncker zu ersetzen. Doch auch hier konnte<br />
sich Zetkin nicht durchsetzen (vgl. Notz, Alle, die ihr schafft <strong>und</strong> euch mühet im Dienste anderer, seid einig!,<br />
S. 141).<br />
363 Die „Zentristen“ hatten eine zwischen den Flügeln vermittelnde Position einnehmen wollen. Erst ein<br />
herausragender Vertreter des linken Flügels, wurde später auch Karl Kautsky ein Zentrist.<br />
364 Zetkin, Luise Zietz †, Reprint S. 674.<br />
365 Ebd., S. 675.<br />
366 Marie Kunert, geb. Bombe, absolvierte eine Lehrerinnenausbildung <strong>und</strong> heiratete 1890 den SPD-Politiker,<br />
153
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Bedeutung, da sie für drei biographische Artikel verantwortlich zeichnete. 367 Die ausgebildete<br />
Lehrerin <strong>und</strong> Schriftstellerin begann ihre journalistische Tätigkeit für verschiedene SPD-Organe<br />
1889. Kunerts Arbeiten für die „Gleichheit“ erschienen sowohl im Hauptblatt als auch in der<br />
Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“. Aus einem ihrer ersten „Gleichheit“-Artikel mit<br />
dem Titel „Moderne Sklaverei“ 368 erfuhren die Leserinnen z. B., dass in Deutschland ca. 50<br />
verschiedene Gesindeordnungen existierten, 15 davon allein in Bayern. Kunerts Hauptaugenmerk<br />
aber lag auf Fragen der Reformkleidung <strong>und</strong> der Ernährung. 369<br />
Auch die gebürtige Österreicherin Luise Kautsky (1864-1944) 370 hatte Bedeutung für die ge-<br />
schichtsbewusstseinsbildende Arbeit der „Gleichheit“. Die zweite Ehefrau 371 des Parteitheoretikers<br />
Redakteur des „Vorwärts“ <strong>und</strong> Reichstagsabgeordneten Fritz Kunert. Ab 1899 war sie journalistisch <strong>und</strong><br />
redaktionell für die SPD-Presse <strong>und</strong> als Übersetzerin tätig. 1921-1928 war Kunert Mitglied des Preußischen<br />
Landtages (von 1921-1925 für die USPD bzw. ab 27.09.1922 für die Vereinigte SPD <strong>und</strong> 1925-1928 für die SPD),<br />
1928-1933 Reichstagsabgeordnete <strong>und</strong> vor allem sozialpolitisch tätig. 1933 emigrierte sie nach Zürich <strong>und</strong> ließ<br />
sich später im Tessin nieder.<br />
367 Kunert, Marie: Minna Kautsky. In: GL, 17/ 12/ 10.06.1907/ 100-101; [Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel.<br />
In: GL, 21/ 25/ 11.09.1911/ 391; Elise Schweichel zum Gedächtnis. In: GL, 22/ 11/ 19.02.1912/ 167.<br />
368 Kunert, Marie: Moderne Sklaverei. In: GL, 04/ 11/ 30.05.1894/ 84-86. Außerdem im Hauptblatt erschienen: Die<br />
Lehrerinnen <strong>und</strong> das Frauenwahlrecht. In: GL, 21/ 12/ 13.03.1911/ 183-184; Gegen die Abtreibungsparagraphen.<br />
In: GL, 33/ 13/ 01.07.1923/ 107-108 (es handelte sich dabei um eine von ihr im Preußischen Landtag gehaltene<br />
Rede).<br />
369 Kunert, Marie: Zur Reform der Frauenkleidung. I. In: GL, 20 (1910) / „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 15/<br />
58-59; Zur Reform der Frauenkleidung. II. In: GL, 20 (1910) / „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 17/ 66-67;<br />
Zitronen <strong>und</strong> Apfelsinen. In: GL, 21 (1911) / „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 09/ 35; Reform der Ernährung.<br />
I. In: GL, 23 (1913)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 24/ 94-95; Reform der Ernährung. II. In: GL, 23<br />
(1913)/ 25/ 98-99; Reform der Ernährung. III. In: GL, 23 (1913)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 26/ 103;<br />
Für die Hausfrau – Vegetarische Würstchen … In: GL, 23 (1913)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 26/ 103;<br />
Krieg <strong>und</strong> Geschlechtskrankheiten. In: GL, 26 (1916)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 09/ 33-34.<br />
370 Luise Kautsky, geb. Ronsperger, entstammte einer wohlhabenden jüdischen Konditorenfamilie aus Wien. Sie war<br />
eine Fre<strong>und</strong>in Minna Kautskys <strong>und</strong> heiratete 1890 deren Sohn Karl. 30 Jahre lebte sie mit ihm vor allem in<br />
Deutschland, da der Sitz der von Karl redigierten „Neue Zeit“ der Stuttgarter Dietz-Verlag war. Hier kamen ihre<br />
drei Söhne Karl, Felix <strong>und</strong> Benedikt zur Welt. Kautsky übersetzte viele sozialistische Gr<strong>und</strong>lagenwerke <strong>und</strong><br />
verfasste biographische Skizzen zur Dänin Nina Bang (1866-1928), zur Deutschen Luise Zietz <strong>und</strong> zur Russin<br />
Vera Sassulitsch (1849-1919). Ihre Fre<strong>und</strong>schaft zu Rosa Luxemburg stand über den politischen Differenzen, die<br />
diese später mit Karl Kautsky hatte. 1914-1917 arbeitete Kautsky im Bildungsausschuss der SPD <strong>und</strong> wurde<br />
später Stadtverordnete in Berlin-Charlottenburg. 1923 gab Kautsky die von Luxemburg an sie <strong>und</strong> Karl<br />
gerichteten Briefe heraus („Luxemburg, Rosa: Briefe an Karl <strong>und</strong> Luise Kautsky (1896-1918)“) <strong>und</strong> 1929 erschien<br />
das von Kautsky verfasste Buch „Rosa Luxemburg. Ein Gedenkbuch“. 1924 kehrte das Ehepaar Kautsky nach<br />
Wien zurück. 1938 emigrierte das Ehepaar erst nach Prag <strong>und</strong> schließlich nach Amsterdam, wo Karl im Oktober<br />
1938 starb. Kautsky hatte keine legalen Papiere für den Aufenthalt in Holland. Dennoch lehnte sie ein Visum nach<br />
Großbritannien ab, da sie ansonsten den Briefkontakt zu ihrem im Konzentrationslager Buchenwald inhaftierten<br />
Sohn Benedikt verloren hätte. Nur wenige Tage nach ihrem 80. Geburtstag wurde Kautsky aufgegriffen, erst in<br />
das Lager Oswiecem <strong>und</strong> schließlich nach Auschwitz-Birkenau verschleppt. Dort gelang es mutigen<br />
Mitgefangenen, ihr einen Platz auf der Krankenstation zu verschaffen, wo sie 1944 verstarb.<br />
371 Insoweit es sich um für die „Gleichheit“ verfasste Artikel handelt, ist es eher unwahrscheinlich, dass Kautskys<br />
erste Ehefrau Louise (eigentl. Ludowika Josefa) Kautsky (1860-1959), geb. Strasser, als Verfasserin der mit L.K.<br />
oder L.Ky. gezeichneten Artikel in Frage kommt. Denn Kautsky, 1888 geschieden <strong>und</strong> seit 1890 als Sekretärin<br />
Friedrich Engels' in London lebend, heiratete bereits 1894 den Arzt Ludwig Freyberger. Tatsächlich hatte ihre<br />
schriftstellerische Tätigkeit, u. a. für die „Wiener Arbeiterinnenzeitung“, vor dieser zweiten Heirat für Verwirrung<br />
gesorgt. Deshalb hatte Karl Kautsky ihr nahe legen wollen, ihren Mädchennamen voranzustellen. Auch diese<br />
Überlegung wiederum sorgte für viele Missverständnisse <strong>und</strong> trübte das bisher gute Verhältnis sowohl zu seiner<br />
geschiedenen Frau wie auch zu Engels. Das Kapitel, in welchem der entsprechende Briefwechsel zwischen<br />
154
2.3.1 DIE MITARBEITERINNEN ZETKINS<br />
Karl Kautsky zeichnete verantwortlich für einige biographische Artikel. Während sie unter Zetkin<br />
u. a. eine achtteilige Artikelserie zur „Schulspeisung“ 372 veröffentlichte, waren es in der „neuen“<br />
„Gleichheit“ nur noch einige ihrer Lebenserinnerungen 373 .<br />
Oft als Autorin der „Gleichheit“ angeführt wird die wohl berühmteste Frau auf der Seite der<br />
Linken: Rosa Luxemburg (1871-1919). Luxemburg gilt allerdings, da sie selten frauen-<br />
spezifische Aspekte in den Vordergr<strong>und</strong> ihres politischen Wirkens stellte, nicht als Protagonistin<br />
der proletarischen Frauenbewegung. Sie war eine enge Fre<strong>und</strong>in Zetkins <strong>und</strong> teilte deren radikale<br />
Ansichten, bzw. inspirierte diese sogar. 374 Luxemburgs erster „Gleichheit“-Beitrag war, so das<br />
Ergebnis der Durchsicht der „Gleichheit“, ein 1905 veröffentlichter Leitartikel, der sich mit der<br />
Revolution in Russland beschäftigte. 375 Luxemburgs allgemeinpolitische Arbeit wie auch ihre<br />
Führungsposition innerhalb der Partei erklären, warum nahezu jeder ihrer „Gleichheit“-Beiträge<br />
in Form eines Leitartikels veröffentlicht wurde. Während des Ersten Weltkriegs wurde sie selbst<br />
aufgr<strong>und</strong> ihrer prinzipiellen antimilitaristischen <strong>und</strong> dem Geist des proletarischen<br />
Internationalismus verpflichteten Haltung – wie auch Karl Liebknecht – oft zum Gegenstand<br />
verschiedener „Gleichheit“-Notizen. Die „Gleichheit“ berichtete über ihre Aktionen, ihre Verhaf-<br />
tungen, Gerichtsprozesse, Verurteilungen <strong>und</strong> Freilassungen. 376 Der „neuen“ „Gleichheit“ dagegen<br />
ist sogar Luxemburgs Ermordung im Januar 1919 – zumindest im untersuchten Hauptblatt – keine<br />
einzige Zeile wert. 377<br />
Die „Gleichheit“ war eine politische Frauenzeitschrift von Frauen für Frauen. Das vorhergehende<br />
Kapitel zur „Gleichheit“-Redaktion <strong>und</strong> das große I in dem Begriff „MitarbeiterInnen“ markieren<br />
allerdings bereits, dass durchaus auch Männer für die „Gleichheit“ tätig waren. Während des<br />
Ersten Weltkrieges war – wie am Lebensweg Edwin Hoernles gezeigt – die Einberufung zum<br />
Kriegsdienst den Militärbehörden eine willkommene Strafmaßnahme für prinzipientreue männ-<br />
Kautsky <strong>und</strong> Engels in der Zeit vom 13.05.1892 bis 10.07.1892 veröffentlicht wurde, trägt den treffenden Titel<br />
„Der Krieg um den Kriegsnamen“ (vgl. Friedrich Engels' Briefwechsel mit Karl Kautsky, S. 339-357).<br />
372 Kautsky, Luise: Schulspeisung. [I-VIII]. In: GL, 18/ 10/ 11.05.1908/ 86-87 bis GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 182-183.<br />
373 Kautsky, Luise: Mai-Erinnerungen. In: GL, 33/ 09-10/ 01.05.1923/ 71-79.<br />
374 Zetkin habe ihre Verehrung für Luxemburg <strong>und</strong> Bebel bis hin zum Heiligenkult gesteigert. Vgl. Puschnerat, Clara<br />
Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 92.<br />
375 Luxemburg, Rosa: Die Revolution in Rußland. In: GL, 15/ 03/ 08.02.1905/ 13.<br />
376 Hier eine Auswahl der über Rosa Luxemburg verfassten „Gleichheit“-Artikel, von denen die meisten in der<br />
Notizenteil-Rubrik „Burgfrieden“ erschienen: Genossin Luxemburg verurteilt. In: GL, 24/ 12/ 04.03.1914/ 178-<br />
179; Positive Arbeit. In: GL, 24/ 22/ 22.07.1914/ 337-339; Ein Jahr Gefängnis für Genossin Luxemburg, … In:<br />
GL, 25/ 04/ 13.11.1914/ 24; Ein Aufschub der Strafvollstreckung gegen Genossin Luxemburg. In: GL, 25/ 10/<br />
05.02.1915/ 58; Aus dem preußischen Abgeordnetenhaus. In: GL, 25/ 13/ 19.03.1915/ 78; Die Strafvollstreckung<br />
gegen Genossin Luxemburg … In: GL, 25/ 13/ 19.03.1915/ 78; Genossin Luxemburg verhaftet. In: GL, 26/ 23/<br />
04.08.1916/ 175; Genossin Luxemburg in Leipzig verurteilt. In: GL, 27/ 05/ 08.12.1916/ 36; Genossin Rosa<br />
Luxemburg wieder in Freiheit. In: GL, 26/ 12/ 03.03.1916/ 89.<br />
377 Vgl. GL, 29/ 09/ 31.01.1919/ 65-72.<br />
155
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
liche Sozialdemokraten. Eine Strafmaßnahme, die nicht selten damit endete, dass die zum Krieg<br />
gezwungenen aus diesem nicht mehr zurückkehrten. So erging es auch dem Mitarbeiter der<br />
Kinderbeilage Henry Möhring (?-1916) 378 . Möhring verfasste unter dem Pseudonym „Roland“ 379<br />
vor allem Buchempfehlungen, kulturhistorische Skizzen, Märchen <strong>und</strong> kulturkritische Artikel. Er<br />
wurde 1915 zum Kriegsdienst eingezogen <strong>und</strong> durch einen Kopfschuss getötet. Sein letztes in der<br />
„Gleichheit“ veröffentlichtes Märchen „Unfried <strong>und</strong> seine Gesellen“ habe er direkt von der Front<br />
geschickt. Laut der „Gleichheit“-Redaktion war dieses Märchen der Beweis dafür, dass Möhring<br />
„mitten in der Verrohung <strong>und</strong> den Schrecken des Krieges seinen Idealen der Menschlichkeit <strong>und</strong><br />
des Friedens treu geblieben“ 380 sei.<br />
Zwei weitere männliche Mitarbeiter, die vor allem durch ihre Themengebiete – Nationalökonomie<br />
<strong>und</strong> Geschichte – <strong>und</strong> durch die von der „Gleichheit“-Redaktion gegebenen Informationen zu<br />
ihrer Person auffallen, waren Julian Borchardt (1868-1932) 381 <strong>und</strong> Manfred Wittich (1851-<br />
1902) 382 .<br />
378 Möhring stammte gebürtig aus einer Hamburger Arbeiterfamilie, sein Vater war Zigarrenmacher. Nach dem<br />
Besuch der Volksschule <strong>und</strong> des Hamburger Lehrerseminars arbeitete er seit 1907 als Lehrer an einer Volksschule<br />
im Arbeitervorort Rothenburgsort. Er war Mitglied des Hamburger Jugendschriftenausschusses. Möhring hinterließ<br />
nach seinem Tod eine Frau <strong>und</strong> eine kleine Tochter (vgl. Henry Möhring gefallen. In: GL, 26/ 21/ 07.07.1916/<br />
159).<br />
379 Einige Artikel von Möhring als Roland: <strong>Von</strong> guten <strong>und</strong> schlechten Büchern für unsere Kinder. II. In: GL, 21<br />
(1911)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 05/ 18; Roland: Sedan! In: GL, 21/ 24/ 28.08.1911/ 376; Roland: <strong>Von</strong><br />
guten <strong>und</strong> schlechten Büchern für unsere Kinder. I. In: GL, 21 (1911)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 04/<br />
15; Roland: Gegen die Frauenverblödung im Kino. In: GL, 23/ 08/ 08.01.1913/ 115-116. Drust dagegen gibt an,<br />
dass sich hinter dem Pseudonym „Roland“ der Lehrer Emil Krause (1870-1943) verborgen habe (vgl. Drust, Für<br />
unsere Kinder, S. 202).<br />
380 Vgl. ebd.<br />
381 Julian Borchardt wurde im preußischen Bromberg geboren. Er war Sohn eines jüdischen Kaufmanns <strong>und</strong> nach<br />
Abschluss einer Lehre als Handlungsgehilfe selbst einige Jahre in Berlin als Kaufmann tätig. 1896-1900 arbeitete<br />
er als Bibliothekar <strong>und</strong> Lehrer in Brüssel, ein Studium an der Universität Brüssel schloss er nicht ab. Seit den<br />
1890er Jahren warBorchardt als Redakteur für verschiedene SPD-Blätter tätig (u. a. in Königsberg <strong>und</strong> Harburg).<br />
1906 erschien seine Broschüre „Wie sollen wir unsere Kinder ohne Prügel erziehen?“. 1907-1913 wurde er von<br />
dem zentralen Bildungsausschuss der SPD als Wanderlehrer besonders für die Nationalökonomie angestellt. 1911-<br />
1913 war Borchardt Abgeordneter des preußischen Landtags. Nach einem Konflikt mit der SPD-Führung gründete<br />
er erst eine eigene oppositionelle Zeitschrift – „Lichtstrahlen“ – <strong>und</strong> trat dann aus der SPD aus. Borchardt<br />
plädierte stark für eine Abspaltung der sozialdemokratischen Kriegsgegner von der SPD. Die „Lichtstrahlen“<br />
wurden Organ der 1914 von Borchardt mitgegründeten Gruppe „Internationale Sozialisten Deutschlands“ (ISD)<br />
<strong>und</strong> später der „Internationalen Kommunisten Deutschlands“ (IKD). Borchardt war Teilnehmer an der Zimmerwalder<br />
Konferenz (vgl. Koller, Subversive Ornithologen. Die Internationale Sozialistische Konferenz von<br />
Zimmerwald von 1915; Humbert-Droz, Der Krieg <strong>und</strong> die Internationale. Die Konferenzen von Zimmerwald <strong>und</strong><br />
Kienthal). 1916 wurden die „Lichtstrahlen“ verboten, der „Leuchtturm“ (1918) folgte ihnen nach. 1918 wurde<br />
Borchardt aus der IKD ausgeschlossen <strong>und</strong> war nun parteilos. 1919-1921 gab er erneut die „Lichtstrahlen“ heraus.<br />
1920 erschien Borchardts Volksausgabe des „Kapitals“. Er wurde Mitglied im „Schutzverband Deutscher<br />
Schriftsteller“ <strong>und</strong> Mitbegründer des „B<strong>und</strong>es proletarisch-revolutionärer Schriftsteller“, außerdem Lehrer an der<br />
Marxistischen Arbeiterschule (MASCH). Einem 1931 erfolgten Ruf an das Marx-Engels-Institut in Moskau<br />
konnte er aus Krankheitsgründen nicht nachkommen.<br />
382 Manfred Wittich studierte an der Universität Leipzig Philologie <strong>und</strong> machte während seines Studiums die<br />
Bekanntschaft mit Bebel, Wilhelm Liebknecht <strong>und</strong> Motteler. Er verfasste u. a. Artikel für den sozialdemokratischen<br />
„Volksstaat“ (1869-1879). 1878 ging Wittich nach erfolgreichem Examen für das Lehramt an<br />
Gymnasien nach Dresden <strong>und</strong> unterrichtete an einer Privatschule Latein, Griechisch, Geschichte <strong>und</strong> Deutsch.<br />
156
2.3.1 DIE MITARBEITERINNEN ZETKINS<br />
Borchardt verfasste für die „Gleichheit“ von 1904 bis 1911 vor allem allgemeinverständliche<br />
Erläuterungen zu nationalökonomischen Aspekten der sozialistischen Theorie. Seine Artikel<br />
tragen z. B. leicht fassbare Titel wie „Woher kommt der Wert?“ oder „Woher kommt der<br />
Profit?“. 383 Dieses Bemühen um gr<strong>und</strong>legende Einblicke in die Nationalökonomie dürften der<br />
Tätigkeit Borchardts als Wanderlehrer geschuldet sein. Ab der ersten Nummer des 17. Jahrgangs<br />
erschien regelmäßig eine mit „J.B.“ gezeichnete Artikelserie mit dem Titel „Umsturz <strong>und</strong> Revo-<br />
lution“ 384 . Darin äußerte sich vermutlich Borchardt in sehr ausführlicher Darstellung zur sozialen<br />
Frage <strong>und</strong> übte Kritik an den reformerischen Strömungen. Seiner Meinung nach müssten alle<br />
Entwicklungen auf einen Umsturz hinaus laufen <strong>und</strong> der Träger dieser Revolution, denn nichts<br />
anderes sei ein negativ konnotierte Umsturz, sei das Proletariat. Borchardt verfasste gemeinsam<br />
mit Zetkin <strong>und</strong> Duncker die Schrift „Die Erziehung der Kinder in der proletarischen Familie“, die<br />
allerdings erst 1960 herausgegeben wurden. 385 1913 wurde Borchardt Herausgeber der Zeitschrift<br />
„Lichtstrahlen – Zeitschrift für Internationalen Kommunismus“ (1913/14-1920). Die Mitarbeit an<br />
der „Gleichheit“ scheint er zu diesem Zeitpunkt aufgegeben zu haben. Inwieweit auch sein<br />
Austritt aus der SPD mit der Beendigung seiner Mitarbeit zu tun hatte, geht aus der „Gleichheit“<br />
selbst nicht hervor. Diese blieb Borchardt aber verb<strong>und</strong>en, denn im Februar 1916 berichtete sie,<br />
dass er in Berlin ohne Angabe von Gründen verhaftet <strong>und</strong> erst zwei Monate später wieder ent-<br />
lassen worden sei. 386<br />
Manfred Wittich war bereits in den ersten Jahrgängen der „Gleichheit“ regelmäßig mit Artikeln<br />
<strong>und</strong> Berichten 387 vertreten. Unter diesen auch drei biographische Artikel, die noch eingehender<br />
betrachtet werden. 1901 erkrankte Wittich an einem schweren Blasen- <strong>und</strong> Rückenleiden, das zu<br />
Zuvor – 1884 – hatte er den staatlichen Schuldienst aufgegeben, um für die Sozialdemokratie ausschließlich als<br />
Schriftsteller <strong>und</strong> Agitator tätig zu sein. Gemeinsam mit Emanuel Wurm gab er die Dresdner Jugendzeitschrift<br />
„Der Volksfre<strong>und</strong>“ (?-?) heraus. 1887 heiratete Wittich die Kindergärtnerin Anna Rothe (?-?) (Rothe dürfte die<br />
Verfasserin des Werkes „Manfred Wittich. Ein Lebens- <strong>und</strong> Charakterbild. Dem deutschen Proletariat gewidmet<br />
von A.R.“ (1902) sein) <strong>und</strong> das Ehepaar siedelte 1890 nach Leipzig über. 1890-1894 arbeitete Wittich als<br />
Redakteur des Leipziger SPD-Organs „Der Wähler“ (1887-1894). Er verfasste u. a. biographische Arbeiten zu<br />
Ulrich von Hutten, Hans Sachs <strong>und</strong> J.W. von Goethe.<br />
383 Borchardt, Julian: <strong>Von</strong> der sozialen Frage. In: GL,14/ 20/ 21.09.1904/ 156-158; Vom Wert. I./ 15/ 01/ 11.01.1905/<br />
2; Woher kommt der Profit? In: GL,15/ 19/ 20.09.1905/ 110 <strong>und</strong> GL, 15/ 20/ 04.10.1905/ 116-117; Woher kommt<br />
der Wert? I. In: GL,15/ 06/ 22.03.1905/ 32; Woher kommt der Wert? II. In: GL, 15/ 08/ 19.04.1905/ 44; Der<br />
Mehrwert. I. In: GL, 16/ 03/ 07.02.1906/ 14; Der Mehrwert. II. In: GL, 16/ 04/ 21.02.1906/ 20; „Harmonie der<br />
Interessen.“ Ein Kapitel praktischer Nationalökonomie. In: GL, 21/ 21/ 17.07.1911/ 324-325.<br />
384 [Borchardt, Julian?] J. B.: Umsturz <strong>und</strong> Revolution [I-IV]. In: GL, 17/ 09.01.1907/ 3-4 bis GL, 17/ 11/<br />
27.05.1907/ 91-92.<br />
385 Zetkin/Duncker/Borchardt/Hohendorf: Die Erziehung der Kinder in der proletarischen Familie.<br />
386 Aus der Schutzhaft entlassen … In: GL, 26/ 16/ 28.04.1916/ 120.<br />
387 So erfuhr man aus der Rubrik „Arbeiterinnenbewegung“, dass Wittich z. B. auf einer öffentlichen Volksversammlung<br />
in Altona <strong>und</strong> Ottensen eine Rede mit dem Titel „Bauern <strong>und</strong> arme Leute zur Reformationszeit“<br />
gehalten hatte (Vgl. GL, 05/ 13/ 26.06.1895/ 98).<br />
157
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
einem nervlichen Zusammenbruch führte. Seine letzten Lebensjahre waren laut eines vermutlich<br />
von Zetkin verfassten Nachrufs vor allem eine durch finanzielle Not erschwerte Zeit. 388 Zetkin<br />
hob seine besondere Begabung <strong>und</strong> Bildung hervor, mit denen er leicht in eine „behäbige<br />
bürgerliche Existenz“ 389 hätte gelangen können. Wittich habe diese Fähigkeiten aber stattdessen in<br />
den Dienst des Sozialismus, in die „Erhebung <strong>und</strong> Läuterung des Menschenthums“ 390 gestellt.<br />
Außerdem besaß Wittich laut Zetkin viel Humor <strong>und</strong> beißenden Witz, aber auch eine besondere<br />
berufliche Penibilität – wie man aus einem seiner Briefe an die „Gleichheit“-Redaktion erfährt:<br />
„‘Ich schreibe gr<strong>und</strong>sätzlich nur nach genauer Kenntnißnahme der Werke über<br />
einen Dichter, <strong>und</strong> von der Christen 391 kenne ich Mehreres noch nicht, halte<br />
mich also nach meinem starren Gr<strong>und</strong>sätzen zur Zeit nicht für befugt ,<br />
über sie zu schreiben. Ich weiß wohl, daß diese Arbeitsart unpraktisch ist vom<br />
Erwerbsstandpunkt aus, aber, selbst Feind <strong>und</strong> Bekämpfer aller Redensartenmacherei<br />
in Kunst <strong>und</strong> Wissenschaft, kann <strong>und</strong> darf ich selbst auch nicht anders<br />
arbeiten.’“ 392<br />
Wittich ist einer derjenigen „Gleichheit“-AutorInnen, deren Artikel ein hohes wissenschaftliches<br />
Niveau aufweisen, das wiederum den meisten „Gleichheit“-Leserinnen ein besonderes Lese-<br />
Engagement abverlangt haben dürfte.<br />
388 Manfred Wittich †. In: GL, 12/ 16/ 30.07.1902/ 125-126, S. 125.<br />
389 Ebd., S. 126.<br />
390 Ebd., S. 125.<br />
391 Wittich sollte für die „Gleichheit“ einen Beitrag über das Werk der Dichterin Ada Christen (1839-1901) verfassen.<br />
392 Manfred Wittich in einem Brief an Clara Zetkin. Zit. nach: Ebd., S. 126.<br />
158
2.3.2 Die MitarbeiterInnen der neuen Redaktion<br />
2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION<br />
Eine Zeitschriftenredaktion baut vor allem auf diejenigen MitarbeiterInnen, die ihre eigene<br />
Haltung mittragen. Es ist deshalb interessant zu untersuchen, wie sich die Mitarbeiterschaft der<br />
„Gleichheit“ nach dem im Mai 1917 erzwungenen Redaktionswechsel zusammensetzte. Erstes<br />
auffälliges Ergebnis ist, dass für die „neue“ „Gleichheit“ nun AutorInnen schrieben, die zuvor von<br />
Zetkin anscheinend vergrault worden waren oder zu einer jüngeren Generation gehörten.<br />
<strong>Von</strong> besonderer Bedeutung für die im Mittelpunkt dieser Arbeit stehenden Frauenbiographien ist<br />
die „Gleichheit“-Mitarbeiterin Anna Blos (1866-1933). 1905 lud Zetkin Blos zur Mitarbeit an der<br />
„Gleichheit“ ein. Blos betonte in einer ihrer späteren Schriften „aus persönlicher Erfahrung […],<br />
daß die Arbeit mit Klara Zetkin als Schriftleiterin sehr angenehm“ 393 gewesen sei. Zwar habe<br />
Zetkin ihre ersten eingesandten Artikel noch ohne ihr Einverständnis korrigiert, doch eine<br />
schriftliche Beschwerde ihrerseits <strong>und</strong> ein „sehr fre<strong>und</strong>liche[r] Entschuldigungsbrief“ 394 Zetkins<br />
bereinigten die Angelegenheit. „<strong>Von</strong> da an“, so Blos, „vollzog sich unsere gemeinschaftliche<br />
Arbeit ganz reibungslos.“ 395<br />
Auch Ehemann Wilhelm Blos (1849-1927) 396 schrieb für die „Gleichheit“ – u. a. zwei hier noch<br />
vorzustellende biographische Skizzen 397 . Vor allem das den beiden Eheleuten gemeinsame große<br />
geschichtswissenschaftliche Interesse dürfte eine Erklärung für die ausgesprochen harmonische<br />
393 Blos, Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 25.<br />
394 Ebd.<br />
395 Ebd.<br />
396 Wilhelm Josef Blos wurde im badischen Wertheim geboren <strong>und</strong> war Sohn eines Arztes. 1868-1870 absolvierte er<br />
ein Philologiestudium in Freiburg <strong>und</strong> begann später eine journalistische Tätigkeit in der süddeutschen<br />
bürgerlichen Presse. Er trat 1872 der SPD bei <strong>und</strong> wurde Mitarbeiter u. a. beim sozialdemokratischen<br />
„Braunschweiger Volksfre<strong>und</strong>“ (1871-1906), ab 1873 beim „Volksstaat“. Ab 1875 wirkte Blos als Redakteur beim<br />
„Hamburg-Altonaer Volksblatt“ (1875-1878), später bei der „Gerichtszeitung“ (1878-1881). Aus Hamburg<br />
ausgewiesen, zog Blos nach Bremen, wo er Betreiber eines Korrespondenzbüros, dann Redakteur des<br />
„Norddeutschen Wochenblatts“ (1882-1886[?]) wurde. Schließlich siedelte der sozialdemokratische Historiker<br />
1883 nach Stuttgart über, wo er in die Redaktion der „Neuen Zeit“ <strong>und</strong> des „Wahren Jacob“ eintrat, in denen er bis<br />
1923 mitwirkte. Er wirkte außerdem noch an weiteren sozialdemokratischen Blättern u. a. dem „Vorwärts“ mit.<br />
Mit Unterbrechungen war Blos ab 1877 Reichstagsabgeordneter. 1905 heiratete er die Lehrerin Anna<br />
Tomasczewska. 1914 gehörte er zu den Befürwortern der Kriegskredite <strong>und</strong> übernahm 1918 den Vorsitz der<br />
Provisorischen Regierung. 1919/1920 amtierte Blos als bis dahin erster <strong>und</strong> seitdem einziger sozialdemokratischer<br />
Staatspräsident Württembergs. Als solcher ließ er einen württembergischen Generalstreik gewaltsam niederschlagen<br />
<strong>und</strong> stellte zur Niederschlagung der bayerischen Räterepublik Truppen zur Verfügung. 1922 erschien<br />
eine seiner letzten Veröffentlichung „<strong>Von</strong> der Monarchie zum Volksstaat“. Für die „Gleichheit“ verfasste Blos<br />
mehrere Artikel, u. a.: Aus dem „tollen Jahre“. In: GL, 16/ 08/ 18.04.1906/ 50-51 (beschreibt die Ereignisse des<br />
Jahres 1848); Die Frauen im Bauernkrieg. In: GL, 16/ 04/ 21.02.1906/ 19-20; [Blos, Wilhelm?] W. B.: Die Frau<br />
im Kriege. In: GL, 19 (1909)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 09/ 36.<br />
397 [Blos, Wilhelm?] W. B.: Aus dem Leben einer Revolutionärin. In: GL, 15/ 11/ 31.05.1905/ 63-64 (Louise Aston);<br />
Blos, Wilhelm: Eine deutsche Republikanerin. In: GL, 18/ 02/ 20.01.1908/ 13-14 (Amalie Struve).<br />
159
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Ehe sein, die sie führten. Weniger harmonisch war das Verhältnis zwischen Wilhelm Blos <strong>und</strong><br />
Zetkin. Während des Ersten Weltkriegs wurde er von Zetkin stark wegen seiner burgfriedlichen<br />
Haltung kritisiert – so stark, dass nach eigener Aussage Anna Blos aus diesem Gr<strong>und</strong> ihre Mit-<br />
arbeit an der „Gleichheit“ einstellte. 398<br />
Die von Anna Blos verfassten historischen Frauenbiographien erschienen sowohl in der „alten“<br />
als auch in der „neuen“ „Gleichheit“. Sie war keine umstrittene Persönlichkeit, die wie Braun<br />
durch wagemutige Ideen oder wie Zietz durch eine besonders herausragende Position innerhalb<br />
der proletarischen Frauenbewegung auffiel. Blos nahm kaum Stellung zu aktuellen Diskussionen,<br />
sondern beschränkte sich bevorzugt auf das Themengebiet der Geschichte. 399 Ihre diesbezüglichen<br />
Artikel scheinen in den kritischen Augen Zetkins, die in der Geschichte ja doch immerhin ein sehr<br />
zentrales Bildungsgebiet sah, unbedenklich gewesen zu sein. Wenn Blos jedoch Stellung zu<br />
aktuellen Themen nahm, dann bevorzugt zu Themen der Schulbildung (z. B. Mitwirkung von<br />
Frauen in den Schulbehörden, Schulkommissionen <strong>und</strong> Arbeiterschulen) 400 , zu den<br />
Reichstagswahlen 401 , zum Versailler Vertrag 402 oder der Agitation unter den Ehefrauen der<br />
Genossen 403 . Während 1919 ihr Ehemann Ministerpräsident Baden-Württembergs wurde, wurde<br />
sie Abgeordnete des Reichstages.<br />
Mit ihrem 1930 erschienenen Werk „Die Frauenfrage im Lichte des Sozialismus“ schuf Blos<br />
zudem ein Gr<strong>und</strong>lagenwerk zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung. Die in ihm ent-<br />
haltenen Informationen zur „Gleichheit“ sind sehr kritisch zu bewerten, denn Blos flechtete stark<br />
ihre subjektiven Erlebnisse <strong>und</strong> Meinungen ein. Diese sehr persönliche Perspektive ergibt<br />
allerdings eine sehr wertvolle Wahrnehmung von Zetkin <strong>und</strong> der „Gleichheit“. 404 Man erfährt<br />
außerdem, dass in den ersten Jahren die AutorInnen für ihre Mitarbeit an der „Gleichheit“ kein<br />
398 Vgl. Blos, Geschichte der sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 25.<br />
399 Da eine Vielzahl dieser Artikel in dem gesonderten Verzeichnis biographischer Artikel aufgeführt werden, wird an<br />
dieser Stelle auf ihre Auflistung verzichtet.<br />
400 Blos, Anna: Die Tätigkeit der Frau in der Gemeinde [I- XVI]. In: GL, 23/ 18/ 28.05.1913/ 279-280 bis GL, 24/ 17/<br />
13.05.1914/ 259-260.<br />
401 Blos, Anna: Was wir nicht vergessen dürfen! In: GL, 30/ 22/ 29.05.1920/ 173 (hierin wandte sich Blos gegen die<br />
bürgerlichen Parteien).<br />
402 Blos, Anna: Warum auch für uns „unannehmbar“. In: GL, 29/ 18/ 06.06.1919/ 138-139 (anlässlich der Vorlegung<br />
des Versailler Vertrages am 12. Mai 1919 bezeichnete sie diesen als „ein[en] Schrei des Jammers“ (ebd.))<br />
403 [Blos, Anna?] A. B.: Eine Aufgabe für alle. In: GL, 33/ 01/ 01.01.1923/ 6 (Blos wollte die Ehefrauen der<br />
Parteigenossen verstärkt an die Organisation heranführen).<br />
404 So empfand Blos z. B. Zetkins Lebensstil angesichts ihrer betonten Radikalität als sehr heuchlerisch (vgl. ebd.,<br />
S. 25; zur Kritik an Zetkins „unproletarischem“ Lebensstil siehe vor allem: Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit<br />
<strong>und</strong> Marxismus, S. 78ff.). Trotzdem war Blos davon überzeugt, dass sie „eine der allerbedeutendsten<br />
Frauen nicht nur der Sozialdemokratie, sondern in der gesamten Frauenwelt überhaupt“ (Blos, Geschichte der<br />
sozialdemokratischen Frauen Deutschlands, S. 24) sei <strong>und</strong> die „Gleichheit“ „lange Zeit eine der besten, wenn<br />
nicht die beste Frauenzeitung in Deutschland überhaupt“ (ebd.).<br />
160
2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION<br />
Honorar erhielten. 405 Besonders bemerkenswert ist aber, dass Blos die Position Zetkins, mit der<br />
„Gleichheit“ ein bewusst unpopulär gehaltenes „Gegengewicht“ 406 zu den bürgerlichen Unter-<br />
haltungsblättern schaffen zu wollen, verteidigte.<br />
Solange Zetkin die unbestrittene Führerin <strong>und</strong> Theoretikerin der proletarischen Frauenbewegung<br />
war, nutzte sie die „Gleichheit“ bewusst für die radikale Beeinflussung ihrer LeserInnen – der<br />
Funktionärinnen wie auch der Basis. Ihre Autorität konnte aber nicht verhindern, dass viele Funk-<br />
tionärinnen immer öfter eigene, sehr pragmatische Ansichten entwickelten <strong>und</strong> ihre prinzipiellen<br />
Vorbehalte gegenüber der bürgerlichen Frauenbewegung nicht teilten. Einige Frauen stellten sich<br />
ganz offen auf die Seite der so genannten „Revisionisten“, die eine weniger dogmatische als<br />
pragmatische Auslegung der marxistischen Lehren propagierten. 407 Diese Sozialdemokratinnen<br />
arbeiteten z. B. bevorzugt für die „Sozialistischen Monatshefte“, dem zentralen Organ der<br />
Revisionisten.<br />
Zu diesen RevisionistInnen ist auch Henriette Fürth (1861-1936) zu zählen, die sogar von 1901<br />
bis 1907 die Rubrik „Frauenbewegung“ der „Sozialistischen Monatshefte“ betreute. 408 Bereits im<br />
Dezember 1896 trug Fürth mit Zetkin ein Artikelgefecht in der „Gleichheit“ aus, in welchem sie<br />
sich für die Kooperation mit bürgerlichen Frauen aussprach. Fürth löste das Gefecht mit einem<br />
Artikel aus, in welchem sie das von Zetkin auf dem SPD-Parteitag 1896 in Gotha gehaltene<br />
Gr<strong>und</strong>satzreferat zur Frauenagitation besprach <strong>und</strong> der zudem ihr erster für die „Gleichheit“<br />
verfasster Artikel gewesen sein dürfte. Zetkin hatte in Gotha betont, dass die Emanzipation der<br />
proletarischen Frau nicht ein gemeinsames Werk der Frauen aller Klassen sein könne, sondern nur<br />
Ergebnis des von Männern <strong>und</strong> Frauen des Proletariats geführten Klassenkampfes. Klassen-<br />
solidarität ginge über Geschlechtersolidarität. Dieses Referat Zetkins bezeichnete Fürth ironisch<br />
als „revolutionär zum ersten – revolutionär zum zweiten – <strong>und</strong> revolutionär zum dritten Mal!“ 409<br />
Sie machte Zetkin zum Vorwurf, dass entgegen des revolutionären Ansinnens ihrer Agitations-<br />
strategien „auf dem Gebiet der Erziehung, dem der Selbst- wie der Massenerziehung, nichts ge-<br />
405 Vgl. ebd. Auf dem Parteitag 1905 in Jena erklärte Zetkin, „daß der ganze Mitarbeiterstab der ‘Gleichheit’ mit der<br />
größten Uneigennützigkeit arbeitet. Es gibt vielleicht kein Partei-Organ, dessen Mitarbeiter sich mit so geringem<br />
Honorar begnügen, wie es bei der ‘Gleichheit’ der Fall ist.“ (Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1905,<br />
S. 282).<br />
406 Ebd., S. 25.<br />
407 Zum Revisionismus der SPD siehe Grebing, Der Revisionismus.<br />
408 Zudem arbeitete Fürths Bruder Simon Katzenstein als fester Mitarbeiter für die „Sozialistischen Monatshefte“ <strong>und</strong><br />
auch für die „Gleichheit“. Umso auffälliger ist es, dass die Würdigung, die er zum 70. Geburtstag seiner<br />
Schwester verfasste, ihre Arbeit für die „Gleichheit“ <strong>und</strong> sämtliche MitstreiterInnen vollkommen unerwähnt ließ<br />
(vgl. Katzenstein, Henriette Fürth).<br />
409 Fürth, Henriette: Die Frauenbewegung <strong>und</strong> der sozialdemokratische Parteitag. In: GL, 06 / 25/ 09.12.1896/ 197.<br />
161
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
schehen“ 410 sei. Durch die kompromisslose Haltung der Sozialistinnen verpasse die proletarische<br />
Frauenbewegung Chancen, gemeinsam mit den Bürgerlichen auch endlich Bahnbrechendes auf<br />
dem Gebiet der Frauenbildung zu erreichen. Aber selbst diejenigen bürgerlichen Frauen, die eine<br />
Tendenz zur Sozialdemokratie hätten <strong>und</strong> für sie gewonnen werden könnten, würden durch Ra-<br />
dikale wie Zetkin,<br />
„von dem Terrorismus der Führerinnen […], von der Vergewaltigung, die darin<br />
liegt, daß man unweigerlich, sonder Kritik noch Zweifel zum alleinseligmachenden<br />
revolutionären Prinzip schwören soll“ 411 ,<br />
abgeschreckt. Zetkins Bedenken, dass eine Kooperation oder bloße Duldung bürgerlicher Frauen<br />
in den eigenen Reihen das sozialistische Prinzip „verwässern“ 412 könne, empfand Fürth als<br />
„thöricht“ 413 .<br />
Zetkin musste sich angesichts solcher Vorwürfe nicht nur persönlich, sondern auch als Vertreterin<br />
eines wissenschaftlichen Sozialismus herausgefordert sehen. Sie lehnte den Pragmatismus Fürths<br />
strikt ab <strong>und</strong> pointierte, „daß das gr<strong>und</strong>sätzlich <strong>und</strong> hauptsächlich Trennende über das<br />
praktisch <strong>und</strong> nebensächlich Gemeinsame überwieg[e].“ 414 Sie verteidigte damit ihre<br />
dogmatisch-ablehnende Haltung gegenüber der bürgerlichen „Frauenrechtelei“ <strong>und</strong> bezeichnete<br />
die Kritik Fürths als<br />
„[d]as sittlich entrüstete Jammergetön einer zarten Seele über die bösen<br />
mißtrauischen proletarischen Frauen, welche in zwanzig Jahren nicht genug lernen,<br />
um jede sich Sozialdemokratin nennende Bourgeoisdame mit Cymbeln <strong>und</strong><br />
Posaunen zu em-pfangen“ 415 .<br />
Sozialistinnen wie Fürth, die Zetkin gerne als „Auch-Sozialisten“ betitelte, seien genauso wie die<br />
bürgerlichen Frauen der Vorstellung verfallen, dass Petitionen <strong>und</strong> Bittstellungen wirksamer als<br />
der Klassenkampf sein könnten. Letzteres aber, <strong>und</strong> nicht „das Attentat auf die Thränendrüsen der<br />
Besitzenden“ 416 , so Zetkin, sei der einzige gangbare Weg, die Besitzenden zu entmachten <strong>und</strong><br />
schließlich eine sozialistische Gesellschaft zu gründen. Die Aufgabe der „Auch-Sozialistinnen“<br />
sah Zetkin vornehmlich darin, als unscheinbare „Zersetzungsbazillen […] der kapitalistischen Ge-<br />
sellschaft“ 417 zu wirken. 418<br />
410 Ebd., S 198.<br />
411 Ebd.<br />
412 Ebd.<br />
413 Ebd.<br />
414 Zetkin, Klara: Zur Antwort. In: GL, 06 / 25/ 09.12.1896/ 198.<br />
415 Ebd., S. 199.<br />
416 Ebd.<br />
417 Ebd.<br />
418 Auch hier zeigt sich wieder eine gewisse innere Zerrissenheit Zetkins, die einerseits bürgerliche Frauen verachtete<br />
<strong>und</strong> verpönte, aber andererseits einigen von ihnen, den heimlichen Sympathisantinnen des Sozialismus, innerhalb<br />
162
2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION<br />
Wen hätte es verw<strong>und</strong>ert, wenn sich Fürth, „bissig“ belehrt von der „Chefideologin“ 419 der<br />
proletarischen Frauenbewegung, jeglicher Meinung von nun an enthalten hätte?! Sie nahm jedoch<br />
den Fehdehandschuh auf <strong>und</strong> gab der „Antwort zur Antwort“, dass sie es für „thöricht <strong>und</strong><br />
eitel“ 420 halte, B<strong>und</strong>esgenossinnen aus dem Lager der bürgerlichen Frauen zurückzuweisen. Denn<br />
ihrer Meinung nach habe die bürgerliche Frauenbewegung gar nicht genug Potential, um der<br />
sozialistischen Sache in irgendeiner Weise gefährlich zu werden. Viel eher stünde quasi deren<br />
Vereinnahmung durch den Sozialismus kurz bevor. Sobald dies erfolgt sei, könnten alle weiteren<br />
Ziele durchaus auch auf demokratischem, d. h. den bürgerlichen Frauen genehmeren Wege um-<br />
gesetzt werden. Mit dieser Argumentation wich Fürth vollends vom revolutionären Prinzip ab. 421<br />
Zetkin setzte in dieser Debatte den Schlusspunkt, indem sie Fürth die Ziele <strong>und</strong> den<br />
durchtriebenen Charakter der bürgerlichen „Frauenrechtelei“ noch einmal vor Augen führte. Über<br />
allem stehe das klassensolidarische Prinzip. Auch die bürgerlichen Feministinnen seien trotz ihrer<br />
energischen Männerfeindlichkeit diesem Prinzip verschrieben. Sollte die bürgerliche Frauen-<br />
bewegung – ob mit oder ohne Kooperation der Proletarierinnen – ihre Zielsetzungen erreichen, so<br />
würde sie bald nichts mehr von einer Geschlechtersolidarität mit den Proletarierinnen wissen<br />
wollen. Alle bürgerlichen Frauen würden stattdessen gemeinsam mit ihren Männern, denen sie<br />
dann ja gleichgestellt wären, die konsequente Unterdrückung des Proletariats fortführen. Zetkin<br />
war davon überzeugt, dass<br />
„die K lassenlage <strong>und</strong> nicht die G es chlechtslage für den Gebrauch der<br />
Macht ausschlaggebend ist.“ 422<br />
Sie warnte vor einer Beeinflussung der ungeschulten Massen durch bürgerliche Propaganda.<br />
Wenn aber diese Massen erst einmal voll <strong>und</strong> ganz für den Sozialismus gewonnen seien, könne<br />
Fürth von ihr aus treiben, was sie wolle, <strong>und</strong> „das Eiapopei des Zusammengehens flöten, soviel<br />
ihr beliebt“ 423 .<br />
Die Mainzer Frauenkonferenz 1900 fasste in der Frage der Kooperation mit bürgerlichen Frauen<br />
schließlich den verbindlichen Beschluss, dass „[d]as gelegentliche Hand in Hand wirken einzelner<br />
Genossinnen <strong>und</strong> Frauenrechtlerinnen […] Privatsache [sei], die dem persönlichen Geschmack<br />
<strong>und</strong> Taktgefühl überlassen“ 424 sein sollte. So oblag es der persönlichen Verantwortung einer jeden<br />
der „Gleichheit“ ein Betätigungsfeld bieten wollte.<br />
419 Gerhard, Unerhört, S. 179.<br />
420 Fürth, Henriette: Der Antwort zur Antwort. In: GL, 06/ 26/ 23.12.1896/ 203.<br />
421 Ebd., S. 204.<br />
422 Zetkin, Klara: Ein letztes Wort zur Erwiderung. In: GL, 6/ 26/ 23.12.1896/ 206.<br />
423 Ebd., S. 207.<br />
424 Proletarische <strong>und</strong> bürgerliche Frauenbewegung. In: GL, 10/ 24/ 21.11.1900/ 185.<br />
163
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Genossin, ob es vertretbar war, mit Klassenfeindinnen zu kooperieren. Gr<strong>und</strong>legende <strong>und</strong><br />
wichtige Angelegenheiten sollten aber von dieser ganz im Sinne Fürths getroffenen Regelung<br />
ausgenommen bleiben. Zetkin war sich in ihrem Kommentar zu dieser Entscheidung der Frauen-<br />
konferenz sicher, dass keine „Frauenrechtlerin“ bereit sein würde, um der „‘prinzipiellen<br />
Verständigung’“ 425 mit der proletarischen Frauenbewegung willen, den Gr<strong>und</strong>satz der soziali-<br />
stischen Revolution öffentlich mitzutragen. Und wenn es eine solche Bürgerliche je geben sollte,<br />
so habe sie es ihrer Meinung nach verdient, „als ein Unikum in Spiritus aufbewahrt zu werden “426 .<br />
Zetkin blieb also bei ihrer Einschätzung <strong>und</strong> Geringschätzung der bürgerlichen Frauen <strong>und</strong> harrte<br />
ruhig der weiteren Entwicklung.<br />
Auch nach dieser heftigen Kontroverse schrieb Fürth weiterhin für die „Gleichheit“, ja sie hatte<br />
sogar stets ein sehr gutes Verhältnis zu Zetkin. 427 Sie beschäftigte sich u. a. mit den Propa-<br />
gandataktiken der bürgerlich-konservativen Zentrum-Partei 428 , mit den Ges<strong>und</strong>heitsverhältnissen<br />
von Arbeiterinnen 429 , mit Prostitution <strong>und</strong> Hygiene 430 . 1899 bis 1918 scheint Fürth keine größeren<br />
Artikel für die „Gleichheit“ verfasst zu haben. Für die „neue“ „Gleichheit“ wiederum verfasste sie<br />
u. a. einen historischen Rückblick auf den Kampf um das Frauenwahlrecht 431 , Kommentare zum<br />
Wilson-Programm 432 <strong>und</strong> zur Eherechtsreform. 433 Besonders interessant sind ihre Artikel zur<br />
„Akademie der Arbeit“, einer am 1. April 1921 eröffneten Bildungseinrichtung, in der akademisch<br />
nicht vorgebildeten Personen Hochschulunterricht erteilt werden sollte. Fürth rief auf, möglichst<br />
viele Frauen in diese Einrichtung zu „delegieren“. 434 Dies scheint nicht erfolgt zu sein, denn sie<br />
musste vier Monate später konstatieren, dass Frauen keinen Anteil an dieser Einrichtung hatten:<br />
Weder im Lehrpersonal, noch im Aufsichtsrat waren sie zu finden <strong>und</strong> selbst bei den<br />
„Schülerinnen“ waren nur zwei (eine von einer Postbehörde <strong>und</strong> eine andere von einer christ-<br />
lichen Gewerkschaft) vertreten. 435 Außerdem war Fürth die Verfasserin einiger zum Teil erbau-<br />
425 Ebd., S. 186.<br />
426 Ebd.<br />
427 Vgl. Klausmann, Politik <strong>und</strong> Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich, S. 139.<br />
428 [Fürth, Henriette?] H. F.: Dringende Aufgaben. In: GL, 08/ 15/ 20.07.1898/ 115.<br />
429 Fürth, Henriette: Ges<strong>und</strong>heitsverhältnisse der preußischen Industriearbeiterinnen. In: GL, 08/ 20/ 28.09.1898/<br />
154-156.<br />
430 Fürth, Henriette: Prostitution <strong>und</strong> Frauenkrankheiten. In: GL, 08/ 13/ 22.06.1898/ 99.<br />
431 Fürth, Henriette: Zum Wahlrecht der Frauen. In: GL, 29/ 07/ 03.01.1919/ 54-55; GL, 29/ 08/ 17.01.1919/ 63.<br />
432 Fürth, Henriette: Warum wir hoffen dürfen! In: GL, 29/ 06/ 20.12.1918/ 42-43.<br />
433 Fürth, Henriette: Caveant consules! In: GL, 29/ 26/ 16.08.1919/ 202.<br />
434 Fürth, Henr[iette]: Die Akademie der Arbeit <strong>und</strong> die Frauen. In: GL, 31/ 04/ 15.02.1921/ 34-35.<br />
435 Vgl. Fürth, Henr[iette]: Akademie der Arbeit. In: GL, 31/ 11/ 01.06.1921/ 102.<br />
164
2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION<br />
licher, zum Teil aber auch kämpferischer Gedichte, die in der „Gleichheit“ veröffentlicht<br />
wurden. 436<br />
Auch Wilhelmine Kähler (1864-1941) 437 war eine „Gleichheit“-Mitarbeiterin <strong>und</strong> Agitatorin der<br />
„ersten St<strong>und</strong>e“. Bereits im März 1892 erschien in der Rubrik „Kleine Nachrichten“ eine Notiz zu<br />
einem von ihr in Flensburg gehaltenen Vortrag, in dem sie sich auch auf geschichtliche Themen<br />
bezogen hatte. 438 Bevorzugt in Aufrufen 439 oder in als persönliche Briefe gestalteten Artikeln<br />
wandte sich die Gewerkschafterin Kähler an die „Gleichheit“-Leserinnen <strong>und</strong> gegen die Indif-<br />
ferenz proletarischer Frauen. 440 Ihre Verb<strong>und</strong>enheit zu Führungspersonen der Gewerkschaftsbewe-<br />
gung zeigte sich in den von ihr verfassten Nachrufen auf Paula Thiede (1870-1919) <strong>und</strong> Carl<br />
436 Zwei dieser Gedichte sind im Anhang enthalten.<br />
437 Wilhelmine Kähler, geb. Mohs, verheiratete Reimes-Kähler, wurde im holsteinischen Kellinghusen geboren. Sie<br />
war das dritte von sieben Kindern eines Steinmetz <strong>und</strong> besuchte erst die Volksschule, arbeitete dann 2 ½ Jahre als<br />
Dienstmädchen (dies könnten die Jahre sein, in denen sie als Wirtschafterin für den Dichter Detlev von Liliencron<br />
arbeitete; vgl. Schroeder, Luise: Unsere Frauen in der deutschen Nationalversammlung. In: GL, n: GL, 29/ 11/<br />
28.02.1919/ 84-87, S. 84) <strong>und</strong> schließlich als Arbeiterin einer Buchdruckerei. 1903 verfasste Kähler für die<br />
„Gleichheit“ den Artikel „Lebenserinnerungen einer Arbeiterin“ (GL, 13/ 02/ 14.01.1903/ 12-13), in welchem sie<br />
in sehr literarischer Weise von ihrem Leben <strong>und</strong> der Geburt ihres ersten Kindes, das nur wenige Minuten lebte,<br />
erzählte. 1882 heiratete sie den Zigarrenarbeiter Carl Kähler. Seit Ende der 1880er Jahren stand sie der SPD nahe.<br />
1890 gründete Kähler den „Zentralverein der Fabrik- <strong>und</strong> Hausarbeiterinnen Deutschlands“ <strong>und</strong> wurde<br />
Vorsitzende dieses Verbandes. Außerdem wirkte sie als stellvertretende Vorsitzende im „Verband der Hausangestellten<br />
Deutschlands“ <strong>und</strong> als Redakteurin des Verbandsorgans. 1892-1899 trat sie die Nachfolgerin Ihrers in<br />
der Generalkommission der Gewerkschaften an. 1900 wurde sie Vertrauensperson der Genossinnen Schleswig-<br />
Holsteins. Im selben Jahr zog sie mit ihrem Ehemann, der sich als Zigarrenfabrikant selbstständig machte, nach<br />
Dresden, wo sie erneut zur Vertrauensperson gewählt wurde. 1902 trat sie der SPD bei. Im selben Jahr gab sie<br />
jedoch aufgr<strong>und</strong> der großen Arbeitsbelastung ihr Amt einer Vertrauensperson auf. Als Agitatorin wirkte Kähler vor<br />
allem für den „Verband der Fabrik-, Land-Hilfsarbeiter <strong>und</strong> -Arbeiterinnen“, den „Verband aller in der Textilindustrie<br />
beschäftigten Arbeiter <strong>und</strong> Arbeiterinnen Deutschlands“ <strong>und</strong> den „Deutschen Tabakarbeiter-Verband“.<br />
Nach dem Tod ihres Ehemannes zog sie 1906 nach Düsseldorf um. 1907 war sie Delegierte auf der Konferenz der<br />
Sozialistischen Fraueninternationale in Stuttgart. 1910 zog sie nach Berlin um. Sie gab 1910-1914 die<br />
Korrespondenz „Für unsere Frauen“ (?-?) heraus. Während des Ersten Weltkrieges war Kähler Mitglied im Beirat<br />
des Hamburgischen Kriegsversorgungsamtes, des Speisenauschusses der Kriegsküchen, Pflegerin der Kriegshilfe<br />
<strong>und</strong> der Hinterbliebenenfürsorge. 1916 war sie Herausgeberin der „Sozialdemokratischen Artikel-Korrepondenz“<br />
(?-?). 1919 wurde Kähler zur Abgeordneten der Nationalversammlung gewählt, nahm bis 1921 ein Mandat als<br />
Reichstagsabgeordnete <strong>und</strong> anschließend bis 1924 das einer preußischen Landtagsabgeordneten wahr. 1922-1925<br />
war sie Herausgeberin von „Frauenhausschatz. Jahrbuch für Arbeiterfrauen <strong>und</strong> Töchter“ (1922-1925[?]). 1924<br />
heiratete sie den ehemaligen Sekretär der SPD-Reichstagsfraktion Wilhelm Reimes <strong>und</strong> kehrte mit diesem nach<br />
Kellinghusen in Norddeutschland zurück, wo sie 1927-1932 ein Heim der AWO leitete. Ihren Ruhestand verlebte<br />
sie gemeinsam mit ihrem Ehemann in Bonn.<br />
438 Kähler, Wilhelmine: [Ohne Titel] In: GL, 02/ 06/ 23.03.1892/ 51. Kählers Bezugnahme auf die Geschichte wird<br />
auch in zwei weiteren ihrer Vortragstitel deutlich: „Antike <strong>und</strong> moderne Sklaverei“ (vgl. GL, 13/ 04/ 11.02.1903/<br />
30, Vortrag anlässlich einer Bäckerversammlung in Plauen) <strong>und</strong> „Die bürgerliche Revolution von 1848/49 <strong>und</strong> das<br />
preußische Dreiklassenwahlsystem (vgl. GL, 16/ 08/ 18.04.1906/ 52, Vortrag anlässlich einer Volksversammlung<br />
in Mühlberg a.d.E.,). Zudem verband sie die Geschichte der Arbeiterbewegung mit der der Frauenagitation (vgl.<br />
Kähler, Wilhemine: Einst <strong>und</strong> jetzt. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/ 122-123).<br />
439 Kähler, Wilhelmine: Frauenpflicht in den wirthschaftlichen <strong>und</strong> politischen Kämpfen. In: GL, 11/ 21/ 09.10.1901/<br />
162-163 (gegen den Indifferentismus); Ein ernstes Wort zu ernster Zeit! In: GL, 15/ 13/ 28.06.1905/ 75.<br />
440 Kähler, Wilhemine: Brief von der Agitation in der Provinz Sachsen. In: GL, 14/ 17/ 10.08.1904/ 135; [Kähler,<br />
Wilhelmine] W. K.: Bunte Bilder von der Wahlagitation. In: GL, 13/ 16/ 29.07.1903/ 124-126; Aus Schlesien. In:<br />
GL, 13/ 19/ 09.09.1903/ 150-151; Aus Schlesien. In: GL, 13/ 24/ 18.11.1903/ 190-191.<br />
165
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Legien. 441<br />
Ihren eigenen Worten nach zu urteilen wurde Hedwig Wachenheim (1891-1969) 442 von Zetkin<br />
regelrecht vergrault. Wachenheim war Zetkin durch ihre im Presseorgan der bürgerlich-<br />
gemäßigten Frauenbewegung „Die Frau“ (1893/94-1943/44) erschienenen Artikel aufgefallen. In<br />
ihren Memoiren beschrieb Wachenheim, wie es dann schließlich zu ihrer ersten Veröffentlichung<br />
in der „Gleichheit“ kam <strong>und</strong> welche Verärgerung sie wegen des Redaktionsstils Zetkins<br />
empf<strong>und</strong>en hatte:<br />
„Ich schrieb damals auch eine Studie über die Jugenderlasse der Generalkommandos,<br />
die als oberste Stelle der Armee u. a. das Recht hatten, Polizeiverordnungen zu<br />
erlassen, <strong>und</strong> von diesem Recht – entsprechend ihrer Auffassung von jugendlicher<br />
Tugend – reichlich Gebrauch machten. Sie verboten Jugendlichen, sich abends<br />
nach einer bestimmten Zeit auf der Straße aufzuhalten, auf der Straße zu rauchen,<br />
bestimmte Versammlungen zu besuchen u. a. m., <strong>und</strong> mischten sich auf allen<br />
Gebieten in das Jugendlichen-Leben ein. Klara Zetkin nahm mir den Artikel ab <strong>und</strong><br />
veröffentlichte ihn in drei aufeinanderfolgenden Nummern der Gleichheit, vergaß<br />
aber nie, an verschiedenen Stellen ihre radikalen Schnörkel anzubringen, ohne zu<br />
vermerken, daß diese von ihr stammten. Ich war sehr stolz, daß Artikel von mir in<br />
einem Zentralblatt der Partei erschienen, doch gab ich dann die Mitarbeit auf. Zur<br />
Bloßstellung der Generäle hätten die Artikel viel mehr bewirkt, wenn sie nicht mit<br />
linksradikalen Bemerkungen versehen gewesen wären.“ 443<br />
Fühlte sich Wachenheim einerseits durch die Anerkennung ihres Talents geehrt, wollte sie<br />
andererseits doch auch nicht von Zetkin bevorm<strong>und</strong>et werden. Deshalb gab sie schon bald die<br />
Mitarbeit an der „Gleichheit“ wieder auf. Zwar bescheinigte sie Zetkin an anderer Stelle, die<br />
441 Kähler, Wilhemine: Paula Thiede †. In: GL, 29/ 13/ 28.03.1919/ 100-101; Carl Legien <strong>und</strong> die Arbeiterinnen. In:<br />
GL, 31/ 02/ 15.01.1921/ 10.<br />
442 Hedwig Wachenheim wurde in Mannheim geboren. Die Tochter einer jüdischen Bankiersfamilie besuchte 1897-<br />
1907 die Höhere Töchterschule in Mannheim <strong>und</strong> 1912-1914 die Soziale Frauenschule in Berlin. 1914 trat sie der<br />
SPD bei <strong>und</strong> arbeitete 1914-1915 in Mannheim als Fürsorgerin. 1916-1917 wurde Wachenheim in der Kommission<br />
des NFD in Berlin angestellt <strong>und</strong> 1917-1919 war sie Angestellte bei der Berliner Milchversorgung. 1919-<br />
1921 wirkte sie als Frauenreferentin bei der Reichszentrale für Heimatdienst, im Anschluss 1922-1933 war sie<br />
Abteilungsleiterin bei der Reichsfilmprüfstelle <strong>und</strong> Regierungsrätin. Ab 1919 war Wachenheim Mitglied des<br />
Hauptausschusses der Arbeiterwohlfahrt <strong>und</strong> ab 1926 Chefredakteurin der Zeitschrift „Arbeiterwohlfahrt” (1926-<br />
1933). Ab 1928 arbeitete sie als Lehrerin <strong>und</strong> zuletzt als Leiterin der Berliner Wohlfahrtsschule der AWO. 1933<br />
wurde Wachenheim jedoch aus all diesen Ämtern entlassen. 1928-1933 saß sie als Abgeordnete im preussischen<br />
Landtag <strong>und</strong> als Mitglied im Hauptausschuss des „Deutschen Vereins für öffentliche <strong>und</strong> private Fürsorge”. 1933<br />
emigrierte Wachenheim nach Frankreich <strong>und</strong> 1935 in die USA. 1936-1946 engagierte sie sich in verschiedenen<br />
deutschen Gruppierungen, die sich mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus <strong>und</strong> dem Wiederaufbau<br />
Deutschlands beschäftigten. 1946 kehrte Wachenheim nach Deutschland zurück <strong>und</strong> übernahm die Leitung einer<br />
Kinderwohlfahrtsabteilung. 1949-1951 versah sie das Amt der stellvertretenden Leiterin der Wohlfahrtsabteilung<br />
der US-Hochkommission Frankfurt am Main. 1955 nahm sie einen Forschungsauftrag der University of California<br />
Berkley über das Gebiet der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung wahr. Sie starb während eines<br />
Aufenthaltes in Deutschland. Ihre Forschungsarbeit erschien 1967 unter dem Titel „Die deutsche Arbeiterbewegung<br />
1844 bis 1914“ <strong>und</strong> 1973 ihre Memoiren „Vom Großbürgertum zur Sozialdemokratie. Memoiren einer<br />
Reformistin“.<br />
443 Wachenheim, Vom Großbürgertum zur Sozialdemokratie, S. 60. Wachenheims erster „Gleichheit“-Artikel konnte<br />
von mir bei der Durchsicht leider nicht ausfindig gemacht werden.<br />
166
2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION<br />
„Gleichheit“ mit „viel Eifer <strong>und</strong> Geschick“ 444 geleitet zu haben, dies „allerdings auf der radikalen<br />
Linie“ 445 – <strong>und</strong> diese dürfte Wachenheim letztendlich noch mehr missfallen haben als Zetkins<br />
redaktionellen Eigenarten.<br />
Als Wachenheim nun für die „neue“ „Gleichheit“-Redaktion wieder zur Verfügung stand, war sie<br />
mittlerweile zu einer einflussreichen Parteifunktionärin geworden. Sie hatte sich bewusst auf dem<br />
rechten, d. h. dem reformistischen Flügel der SPD positioniert, pflegte aber auch zu Opposi-<br />
tionellen wie z. B. zu Mathilde Wurm einen engen Kontakt. 446 Nach dem Redaktionswechsel<br />
widmete sie sich nach Absprache mit Bohm-Schuch in regelmäßigen Artikeln der Wohlfahrts- <strong>und</strong><br />
Armenpflege, der Jugendfürsorge 447 , aber auch der republikanischen <strong>und</strong> parteipolitischen<br />
Schulung der Frauen 448 .<br />
Auch Johanna Reitze (1878-1949) 449 hatte bereits ihre ersten Artikel in der „Gleichheit“<br />
veröffentlicht, als diese noch unter der Redaktion Zetkins stand. 450 Doch erst nach dem Re-<br />
daktionswechsel trat sie als Mitarbeiterin deutlicher hervor. Oft hatten ihre Beiträge einen<br />
444 Wachenheim, Vom Großbürgertum zur Sozialdemokratie, S. 58.<br />
445 Ebd.<br />
446 Ebd., S. 63-64. Wachenheims Memoiren sind jedoch nicht nur hinsichtlich ihrer Einschätzungen einzelner<br />
Personen besonders wertvoll, sondern auch hinsichtlich ihrer Beurteilung der Situation, wie sie sich nach der<br />
Parteispaltung darstellte.<br />
447 Vgl. ebd., S. 122. Hier eine Auswahl ihrer Artikel: Wachenheim, Hedwig: Die Sozialbeamtin. In: GL, 28/ 14/<br />
12.04.1918/ 107-108; Soziale Fürsorge <strong>und</strong> Sozialdemokratie. In: GL, 29/ 09/ 31.01.1919/ 70-72; GL, 29/ 10/<br />
14.02.1919/ 79-80; GL, 29/ 11/ 28.02.1919/ 85-86; Beibehaltung der Frauenreferate. In: GL, 29/ 40/ 22.11.1919/<br />
316-318; Der Gesetzentwurf über die Gr<strong>und</strong>schule. In: GL, 30/ 10/ 06.03.1920/ 73-74; Auswärtige Politik der<br />
bürgerlichen Frauenbewegung. In: GL, 30/ 28/ 10.07.1920/ 229; GL, 30/ 29/ 17.07.1920/ 234; Vorschläge zur<br />
Frauenbildungsarbeit. In: GL, 30/ 32/ 07.08.1920/ 258-259; GL, 30/ 33/ 14.08.1920/ 266-267; Vom Außendienst<br />
der Jugendfürsorgerin. In: GL, 31/ 01/ 01.01.1921/ 2-3;<br />
448 Wachenheim, Hedwig: Besprecht das Parteiprogramm! In: GL, 31/ 24/ 15.12.1921/ 236-237; GL, 32/ 01/<br />
01.01.1922/ 7-8.<br />
449 Johanna Reitze, geb. Leopold entstammte einer kinderreichen Hamburger Arbeiterfamilie <strong>und</strong> besuchte bis 1892<br />
die Volksschule. Sie arbeitete zunächst als Schneiderin, dann als Dienstmädchen <strong>und</strong> schließlich als Druckerei-<br />
Hilfsarbeiterin, wodurch sie mit organisierten Genossen <strong>und</strong> der Arbeiterbewegung in Kontakt kam. Ab 1890 war<br />
Reitze agitatorisch für die Arbeiterbewegung tätig, wurde Begründerin <strong>und</strong> von 1890-1893 Zentralvorsitzende des<br />
Verbandes der Fabrik- <strong>und</strong> Handarbeiterinnen. 1892-1898 war sie Mitglied der Generalkommission der<br />
Gewerkschaften Deutschlands. Sie gab die Korrespondenz „Für unsere Frauen” (?-?) <strong>und</strong> eine sozialdemokratische<br />
Artikel-Korrespondenz heraus <strong>und</strong> übernahm die Redaktion des Zentralorgans des Verbandes der<br />
Hausangestellten. 1900 heiratete sie. Seit 1902 SPD-Mitglied, war sie vor allem von Bebels Buch beeindruckt<br />
worden. Nach einem sechsmonatigen Studium an der Parteischule in Berlin 1904 engagierte sie sich aktiv in der<br />
Hamburger Frauenbewegung. 1908-1919 war sie Landesvorstandsmitglied der Hamburger SPD. Während des<br />
Ersten Weltkrieges organisierte Reitze die „Hamburgische Kriegshilfe“, wurde Mitglied des „Hamburger<br />
Versorgungsamtes“ <strong>und</strong> des „Speiseausschusses für Kriegsküchen“. Sie engagierte sich in der Kriegsfolgenhilfe<br />
<strong>und</strong> der Kriegshinterbliebenenfürsorge. 1919-1921 war sie Mitglied der Hamburger Bürgerschaft. 1919 wurde<br />
Reitze zudem in die Nationalversammlung gewählt, wurde Referentin im Reichswirtschaftsministerium<br />
(Notstandsfürsorge für Bergarbeiter) <strong>und</strong> 1919-1933 Mitglied im Parteiausschuss. 1920-1924 hatte sie ein Mandat<br />
als Reichstagsabgeordnete inne. Nach 1933 blieb Reitze in Hamburg <strong>und</strong> wurde 1944 von der Gestapo in<br />
Schutzhaft genommen. 1945 bis zu ihrem Tod engagierte sie sich vor allem in der AWO.<br />
450 U. a.: Reitze, Johanna: Die Stellung der Frau einst <strong>und</strong> jetzt. In: GL, 18/ 06/ 16.03.1908/ 53.<br />
167
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
regionalen Bezug zu ihrer Wirkungsstätte Hamburg 451 . Im März 1919 veröffentlichte Reitze in der<br />
„Gleichheit“ den richtungweisenden Artikel „Die Presse <strong>und</strong> die Frauen“ 452 . Darin forderte sie,<br />
dass die Proletarierinnen angeleitet werden müssten, ihre häuslichen Pflichten mit mehr Effizienz<br />
zu bewältigen, um sich dann in der so erkämpften freien Zeit politisch zu engagieren. Mit diesem<br />
hausfrauenspezifischen Auftrag sollte ihrer Meinung nach auch die Beilage „Für unsere Mütter<br />
<strong>und</strong> Hausfrauen“ wieder erscheinen, die 1917 vermutlich auf Gr<strong>und</strong> von Papierknappheit ein-<br />
gestellt worden war. Vor allem müssten nun die Redaktionen aller Parteiblätter den Frauen-<br />
interessen verstärkt Rechnung tragen. Sie hätten ausnahmslos alle eine Frauenecke einzurichten,<br />
die jedoch mehr zu leisten habe als bisher. Dieser Artikel enthielt außerdem konkrete Ideen für<br />
eine Neugestaltung der „Gleichheit“, die tatsächlich wenig später umgesetzt wurden.<br />
Reitze war eine Befürworterin der Kooperation mit Teilen der bürgerlichen Frauenbewegung. In<br />
einem Artikel zu einer BDF-Generalversammlung, die im September 1919 in Hamburg<br />
stattgef<strong>und</strong>en hatte, äußerte sie die Überzeugung, dass eine partielle Annäherung möglich wäre.<br />
Obwohl noch immer verschiedene Standpunkte vertreten würden, müsste dennoch keine<br />
Gr<strong>und</strong>anschauung aufgegeben werden. 453 In anderen Artikeln kamen Reitzes Tätigkeit als Parla-<br />
mentarierin <strong>und</strong> Anhängerin eines „wieder entdeckten“ Internationalismus der SPD zum Aus-<br />
druck. In ihnen präsentierte sie den Leserinnen der „Gleichheit“ die „Maienwünsche der weib-<br />
lichen Parlamentarier“ 454 oder die „Maienhoffnung auf die Internationale“ 455 .<br />
Anna Mosegaard (1881-1954) 456 war nicht nur eine der wenigen Dienstbotinnen, die sich in der<br />
„Gleichheit“ zu Wort meldeten, sie veröffentlichte zudem die einzige private Suchanzeige. Diese<br />
lautete wie folgt:<br />
„Kann mir eine Genossin für die Sommermonate, in schöner Gegend Deutsch-<br />
451 Reitze, Johanna: Die Tätigkeit der Hamburger Genossinnen während des Krieges. In: GL, 27/ 21/ 20.07.1917/<br />
146-147; Was Bebel uns Hamburgern war. In: GL, 33/ 15/ 01.08.1923/ 123.<br />
452 Reitze, Johanna: Die Presse <strong>und</strong> die Frauen. In: GL, 29/ 13/ 28.03.1919/ 98. Zwei Jahre später verfasste Reitze mit<br />
dem Artikel „Die Frauen <strong>und</strong> die Presse“ (In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 63-64) eine heftige Kritik an der Wirkung<br />
der Klatschpresse auf den Geist der Frau. Die sozialdemokratische Presse müsse die Macht der bürgerlichen<br />
Presse brechen: „Aus einer Wählerin muß eine überzeugte sozialdemokratische Kämpferin werden.“ (ebd.;<br />
Hervorhebungen im Original als Sperrdruck).<br />
453 Reitze, Johanna: Der B<strong>und</strong> Deutscher Frauenvereine … In: GL, 29/ 36/ 25.10.1919/ 287.<br />
454 Reitze, Johanna: Maienwünsche der <strong>weiblichen</strong> Parlamentarier. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/ 123-124; <strong>Von</strong> Weimar<br />
bis Augsburg. In: GL, 32/ 17/ 18/ 01.09.1922/ 158-159.<br />
455 Reitze, Hanna: Maienhoffnung auf die Internationale. In: GL, 33/ 09/ 10/ 01.05.1923/ 66-67.<br />
456 Anna Mosegaard, geb. Sachse, wurde in Nordhausen im Harz geboren <strong>und</strong> wuchs in einem Waisenhaus auf. Nach<br />
dem Besuch der Volksschule arbeitete sie im Alter von 14 Jahren erst als Dienstmädchen <strong>und</strong> ab 1901 als<br />
Tabakarbeiterin. 1901 heiratete sie den Tabakspinner Mosegaard <strong>und</strong> gebar drei Kinder. 1906-1919 wirkte sie in<br />
Hardersleben als Hausfrau, zog 1919 nach Silkeberg um <strong>und</strong> wurde im selben Jahr Abgeordnete des preußischen<br />
Landtages. 1923 kehrte sie nach Hardersleben zurück, wo sie Mitglied des Preisprüfungsausschusses, der Lebensmittelkommission<br />
<strong>und</strong> der Jugendpflege wurde. Bereits in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg war sie<br />
schriftstellerisch (Erzählungen, Theaterstücke, Märchenspiele) <strong>und</strong> für die SPD-Presse tätig gewesen.<br />
168
2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION<br />
lands, ein einfach möbliertes Zimmer mit Küchenbenutzung für mich <strong>und</strong> meinen<br />
achtjährigen Sohn gegen Bezahlung überlassen bzw. anweisen? Gefl. Angebote<br />
sind zu richten an die Redaktion der ‘Gleichheit’.“ 457<br />
Es ist eine absolute Seltenheit, dass die „Gleichheit“ für solcherlei private Problemlösungen<br />
genutzt wurde.<br />
Mosegaard beschäftigte besonders das Problem der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz <strong>und</strong> die<br />
Frage der sexuellen Aufklärung von Kindern. In ihren Beiträgen erzählte sie den „Gleichheit“-<br />
Leserinnen aus ihrem Erfahrungsschatz als Proletarierin <strong>und</strong> Mutter. Sie wollte den „Gleichheit“-<br />
Leserinnen eine praktische Ratgeberin sein <strong>und</strong> beschrieb z. B. ihr eigenes Vorgehen zur sexuellen<br />
Aufklärung ihrer Tochter <strong>und</strong> ihres ältesten Sohnes. Mosegaard war es wichtig, dass Mütter ihren<br />
Kindern die Gefahren von Geschlechtskrankheiten vermittelten, damit diese sich nicht aus purer<br />
Unwissenheit infizierten. 458 Außerdem berichtete sie in ihrem einzigen im Hauptblatt der „alten“<br />
„Gleichheit“ erschienenem Artikel aus ihrem Dienstbotinnenalltag <strong>und</strong> von der Vielzahl sexueller<br />
Belästigungen durch ihre männlichen Arbeitgeber, infolge derer sie schließlich den Entschluss<br />
gefasst habe, Fabrikarbeiterin zu werden. 459 Ein weiterer Artikel Mosegaards im Hauptblatt<br />
erschien nach den Wahlen zur Nationalversammlung 1919 460 <strong>und</strong> in der Form von Tage-<br />
bucheintragungen nach der Reichstagswahl 1920. 461 Laut Drust veröffentlichte Mosegaard von<br />
1908 bis 1914 vor allem regelmäßig Artikel in der Beilage „Für unsere Kinder“. 462<br />
Obwohl sie selbst wahrscheinlich nie als Dienstbotin gearbeitet hatte, befasste sich auch Wally<br />
Zepler (1865[?]-?) 463 sehr engagiert mit der Dienstbotenfrage. Sie tat dies 1898 mit einem an die<br />
„alte“ „Gleichheit“ gerichteten Artikel, der zudem den Charakter eines Leserinnenbriefes hat. 464<br />
457 Mosegaard, Anna: [Ohne Titel.] In: GL, 31/ 09/ 01.05.1921/ 90.<br />
458 Mosegaard, Anna: Ein Wort an unsere Mütter. In: GL, 31/ 01/ 01.01.1921/ 3-5.<br />
459 Mosegaard, Anna: Die „unsittlichen“ Dienstboten? In: GL, 22/ 02/ 23.10.1911/ 31.<br />
460 Mosegaard, Anna: Betrachtungen einer Frau vor dem Wahllokal. In: GL, 29/ 12/ 14.03.1919/ 91-92.<br />
461 Mosegaard, Anna: Und dennoch …! In: GL, 30/ 29/ 17.07.1920/ 238.<br />
462 Vgl. Drust, Für unsere Kinder, S. 201.<br />
463 Wally Zepler war verheiratet mit dem Sozialdemokraten, Arzt <strong>und</strong> Lyriker Georg Zepler (1859-1925). Dieser war<br />
Herausgeber der Zeitschrift „Der Demokrat. Zeitschrift für freiheitliche Politik <strong>und</strong> Literatur“ (1909-1911), später<br />
der Zeitschrift „Der Weg“ (vermutlich „politische Zeitschrift für gottfreies Menschtum“; 3.1911-1920),<br />
Stadtverordneter Berlins <strong>und</strong> 1913 Gründer des „B<strong>und</strong>es Konfessionsloser jüdischer Abstammung“. Wally Zepler<br />
betreute 1908-1916 die Rubrik „Frauenbewegung“ in den „Sozialistischen Monatsheften“, die sie von Henriette<br />
Fürth übernahm. Entsprechend groß ist die Anzahl, der von ihr für diese Zeitschrift verfassten Artikel. Außerdem<br />
war sie Vorstandsmitglied des Berliner Frauenbildungsvereins. Es erschienen u. a. folgende Schriften: „Welchen<br />
Wert hat die Bildung für die Arbeiterin?“ (1899), „Die Frauen <strong>und</strong> der Krieg“ (1916), „Sozialismus <strong>und</strong><br />
Frauenfrage“ (1919), „Akademiker <strong>und</strong> Sozialdemokratie“ (1919). Es ist anzunehmen, dass Wally Zepler ein<br />
Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung wurde. Die Datenbank der Gedenkstätte Yad Vashem führt<br />
folgende Daten an, die aber nicht eindeutig der Sozialdemokratin Zepler zuzuordnen sind: Wally Zepler, geb.<br />
Wygodzinsky, lebte vor dem Zweiten Weltkrieg in Bendorf (Deutschland) <strong>und</strong> starb dort 1940 (vgl. Central<br />
Database of Shoah Victim’s Names: http://www.yadvashem.org).<br />
464 Zepler, Wally: Zur Dienstbotenfrage. Eine Erwiderung. In: GL, 08/ 19/ 14.09.1898/ 147-148.<br />
169
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Jedoch erst für die „neue“ „Gleichheit“ schrieb Zepler regelmäßig. Sie verfasste mehrere Artikel<br />
zum Thema Frauenwahlrecht 465 <strong>und</strong> rezensierte Bebels „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“ 466 .<br />
Außerdem ehrte sie in jeweiligen Nachrufen den Physiker Leo Arons 467 <strong>und</strong> die bürgerliche<br />
Frauenrechtlerin Minna Cauer (1841-1922) 468 . Zepler war in den „Sozialistischen Monatsheften“<br />
für die Betreuung mehrerer Rubriken, u. a. als Nachfolgerin Fürths für die Rubrik „Frauen-<br />
bewegung“, zuständig. Auch aus diesem Gr<strong>und</strong> dürfte sich ihre Mitarbeit in der „Gleichheit“ in<br />
Grenzen gehalten haben.<br />
Eine derjenigen Mitarbeiterinnen, die keinerlei Artikel in der „alten“ „Gleichheit“ veröffentlicht<br />
hatten <strong>und</strong> zu den neuen wie auch jüngeren Genossinnen der SPD gehörten, war Olga Essig<br />
(1884-1965) 469 . Die erst nach der Novemberrevolution 1918 der SPD beigetretene promovierte<br />
Sozialwissenschaftlerin veröffentlichte in der „Gleichheit“ eine Artikelreihe zur Sozialisierung der<br />
Hauswirtschaft, in der sich viele Ideen von Lily Braun wiederfinden. 470 Essig widmete sich<br />
außerdem der politischen Schulung, indem sie u. a. einen Vorschlag für einen Unterrichtsplan in<br />
Staatsbürgerk<strong>und</strong>e zur Diskussion stellte. 471 Vor allem aber engagierte sie sich in der Reform des<br />
Mädchenberufsschulwesens. 472<br />
Betrachtet man eine Auswahl von Erna Büsings (1889-1952) 473 Artikeln für die „Gleichheit“, so<br />
465 Zepler, Wally: Für das Frauenwahlrecht. In: GL, 27/ 25/ 14.09.1917/ 173-174; Preußische Wahlreform <strong>und</strong><br />
Frauenwahlrecht. In: GL, 28/ 07/ 04.01.1918/ 50-52<br />
466 Zepler, Wally: Die Frauen <strong>und</strong> die Zukunft des Sozialismus. In: GL, 29/ 07/ 03.01.1919/ 51-53.<br />
Zepler, Wally: Bebel <strong>und</strong> die Frauen In: GL, 33/ 15/ 01.08.1923/ 119-121.<br />
467 Zepler, Wally: Leo Arons In: GL, 29/ 39/ 15.09.1919/ 306-307.<br />
468 Zepler, Wally: Unsere Toten. In: GL, 32/ 17-18/ 01.09.1922/ 164-165.<br />
469 Olga Essig war Tochter einer westpreußichen Bauernfamilie. Nach einer Berufstätigkeit als Kontoristin <strong>und</strong><br />
Buchhalterin <strong>und</strong> dem Abitur an einer Oberrealschule absolvierte sie 1908-1914 an der staatlichen kaufmännischen<br />
Fortbildungsschule in Bromberg eine Ausbildung als Diplomhandelslehrerin. Während des Ersten<br />
Weltkrieges studierte sie an den Universitäten Breslau <strong>und</strong> Frankfurt am Main Wirtschafts- <strong>und</strong> Sozialwissenschaften<br />
sowie Pädagogik. 1918 in die SPD eingetreten, wurde sie 1919 Mitarbeiterin der Frankfurter<br />
Stadtverwaltung für den Aufbau des Berufschulwesens, 1920 Leiterin der städtischen Frauenarbeitsschule in<br />
Mainz. 1922-1924 arbeitete sie im thüringischen Ministerium für Volksbildung. 1929 wurde Essig Oberschulrätin<br />
für das gesamte Berufsschulwesen Hamburgs <strong>und</strong> außerdem war sie seit 1930 Mitglied des „B<strong>und</strong>es entschiedener<br />
Schulreformer“. In der NS-Zeit folgte ihre Zwangspensionierung. 1948 wurde sie in ihr Amt wiedereingesetzt.<br />
1946 gründete sie den „Deutschen Frauenring“ Hamburgs mit <strong>und</strong> war 1946-1948 <strong>und</strong> 1950-1952 dessen Vorsitzende.<br />
1959 wurde Essig mit dem Großen B<strong>und</strong>esverdienstkreuz ausgezeichnet.<br />
470 Essig, Olga: Die Sozialisierung der Hauswirtschaft. In: GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 241-242.; Die Sozialisierung der<br />
Hauswirtschaft (Schluß). In: GL, 30/ 31/ 31.07.1920/ 250-251.<br />
471 Essig, Olga: Staatsbürgerliche Schulung sozialistischer Frauen. In: GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 249-250. Zur<br />
politischen Schulung der Leserinnen ist auch eine Zusammenstellung von Dokumentenausschnitten zu zählen:<br />
Essig, Olga: Dokumente des Kampfes der Sozialdemokratie um die Befreiung der Frau. In: GL, 30/ 23/<br />
05.06.1920/ 186.<br />
472 Vgl. Hagemann, Sie widmete ihre ganze Kraft dem Aufbau des Mädchenberufsschulwesens.<br />
473 Vielleicht handelt es sich um die Jugendbuchautorin Erna Büsing, die – in Bremerhaven <strong>und</strong> Berlin ansässig –<br />
folgende Werke verfasste: „Mit 20 Zirkuselefanten um die Welt“ (1938), „Sturz ins Notnetz“ (1946), „Die Nacht<br />
der toten Schiffe“ (1947) <strong>und</strong> „Über uns das Zirkuszelt“ (o.J.). Diese Titel lassen auf eine Existenz der Verfasserin<br />
im Schausteller- <strong>und</strong> Artistengewerbe vermuten. Ob es sich tatsächlich um die „Gleichheit“-Autorin handelt, muss<br />
170
2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION<br />
fällt zuerst die plakative Art ihrer Titel auf. Diese sind jedoch bezüglich des Inhaltes nicht<br />
besonders aussagekräftig. Büsing beschrieb anhand ihrer Tagebuchblätter die Ereignisse des<br />
Ersten Weltkriegs 474 , um dann für die Nachkriegssituation die immer noch bestehende Spaltung<br />
der deutschen Bevölkerung zu konstatieren <strong>und</strong> sich gegen die an die Weimarer Republik<br />
gestellten Reparationsforderungen auszusprechen 475 . Büsing sah die SPD als Konkursverwalterin<br />
der von der bürgerlichen Gesellschaft verschuldeten Kriegsmisere. 476 Sie setzte sich außerdem mit<br />
dem Verhalten der Presse während <strong>und</strong> am Ende des Krieges auseinander, besonders mit der<br />
bürgerlichen <strong>und</strong> monarchistischen. 477<br />
Die Mitarbeit Toni Senders (1888-1964) 478 begann in der „Gleichheit“ erst 1922 <strong>und</strong> mündete<br />
darin, dass sie 1928 bis 1933 eines der beiden Nachfolgeblätter der „Gleichheit“, die<br />
„Frauenwelt“ , redigierte. 479 1923 verfasste Sender einen für das Leitbild der „Klassenkämpferin“<br />
sehr interessanten Artikel zum Klassenbewusstein 480 – ein Begriff, der in der „Gleichheit“ nach<br />
1917 nur noch selten Verwendung fand. Senders thematischer Schwerpunkt war die Gewerk-<br />
schaftsbewegung. 481 Dieser Umstand richtete abschließend das Augenmerk auf den Einfluss der<br />
gewerkschaftlich engagierten Frauen in der „Gleichheit“.<br />
Wie nach dem Redaktionswechsel die verstärkte Mitarbeit von Gewerkschafterinnen auffällt, so<br />
an dieser Stelle ungeklärt bleiben.<br />
474 Büsing, Erna: Wie ich als Frau den Krieg sah. In: GL, 30/ 09/ 28.02.1920/ 67-68; Wie ich als Frau den Krieg sah.<br />
In: GL, 30/ 11/ 13.03.1920/ 83-85<br />
475 Büsing, Erna: Hat das Volk gesiegt? In: GL, 30/ 16/ 17.04.1920/ 116-117; Konsequenz. In: GL, 30/ 30/<br />
24.07.1920/ 243-245 (gegen die zu leistenden Reparationsforderungen).<br />
476 Büsing, Erna: Die Zertretenen. In: GL, 32/ 24/ 15.12.1922/ 218 (SPD).<br />
477 Büsing, Erna: Die Meinungsfabrik. In: GL, 30/ 26/ 26.06.1920/ 210; Habt Selbstachtung. In: GL, 32/ 14-15/<br />
15.07.1922/ 131-132.<br />
478 Toni – eigentlich Sidonie Zippora – Sender war Tochter einer Kaufmannsfamilie <strong>und</strong> besuchte Höhere Töchterschulen<br />
in Biebrich a. Rh. <strong>und</strong> Frankfurt am Main. Sie arbeitete als Bürogehilfin <strong>und</strong> bis 1918 als Büroangestellte<br />
in Frankfurt am Main <strong>und</strong> Paris. 1908 trat sie der SPD <strong>und</strong> Gewerkschaft bei. 1917 wurde sie Mitglied der USPD,<br />
1918 Mitglied der Exekutive des Arbeiter- <strong>und</strong> Soldatenrates in Frankfurt am Main, 1919 der USPD-Programmkommission,<br />
war 1920-1922 Mitglied des USPD-Beirats. 1919-1921 übernahm sie die Redaktion des USPD-<br />
Organs „Volksrecht“ (1919-1922). Als Schriftstellerin lebte sie in Frankfurt am Main, Dresden <strong>und</strong> Berlin. 1922<br />
wurde Sender wieder Mitglied der SPD, verschiedener ihrer Kommissionen <strong>und</strong> des zentralen SPD-Parteiausschusses.<br />
Ab 1920 redigierte sie die „Betriebsrätezeitschrift für die Metallindustrie“ (1920-1930; in ZDB nachgewiesen<br />
als „Betriebsräte-Zeitschrift für Funktionäre der Metallindustrie“). 1919-1924 hatte sie das Amt einer<br />
Stadtverordneten in Frankfurt am Main inne <strong>und</strong> 1920-1933 war sie Reichstagsabgeordnete. 1933 emigrierte sie<br />
erst in die Tschechoslowakei <strong>und</strong> dann nach Belgien. Sie arbeitete weiterhin als Korrespondentin für verschiedene<br />
Zeitungen. 1935 reiste sie in die USA, wo sie sich weiterhin in der Gewerkschaftsbewegung engagierte. 1940 erschien<br />
ihre Autobiographie „Toni Sender – the Autobiography of a German Rebel“.<br />
479 Verantwortlicher Redakteur der „Frauenwelt“ war bis einschließlich 1927 Richard Lohmann. Erst nach vielen<br />
Klagen – auch weil ein Mann keine Frauenzeitschrift leiten könne – wurde Sender zur Redakteurin bestimmt.<br />
480 Sender, Tony: Das Klassenbewußtsein als Quelle unserer Kraft. In: GL, 33/ 06/ 15.03.1923/ 41-42.<br />
481 Sender, Tony: Die Frau in den Gewerkschaften. In: GL, 32/ 21/ 01.11.1922/ 194; Die Frau in den Gewerkschaften<br />
(Schluß). In: GL, 32/ 22/ 15.11.1922/ 200-201.<br />
171
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
auch diejenige von Frauen der bürgerlichen Frauenbewegung. Nur ein Register könnte aber<br />
letztlich Aufschluss über die Zusammensetzung der Gruppe von bürgerlichen Frauen geben, die es<br />
nun als vertretbar erachteten, für die ehemals so radikale „Gleichheit“ tätig zu sein. Eine dieser<br />
bürgerlichen Frauen war Alice Salomon (1872-1948) 482 , die vorwiegend in der Wohlfahrtspflege<br />
<strong>und</strong> in der Ausbildung zur Wohlfahrtspflege tätig war. Salomon erachtete besonders die<br />
Wohlfahrtspflege als berufliche Aufstiegschance für Arbeitermädchen. Diesbezüglich sind einige<br />
von ihr verfasste Artikel in der „Gleichheit“ zu finden. 483<br />
Auch über die seit Redaktionswechsel verhältnismäßig intensivere Mitarbeit von Männern könnte<br />
nur ein vollständiges Register samt Entschlüsselung der Initialen ausreichende Auskunft geben.<br />
Eine Veränderung in diese Richtung hatte sich mit Heinrich Schulz als Redakteur bereits<br />
angedeutet <strong>und</strong> setzte sich teilweise unter den MitarbeiterInnen fort.<br />
Im Falle Simon Katzensteins (1868-1945) 484 treffen mehrere Besonderheiten zusammen: Er war<br />
der Bruder Henriette Fürths <strong>und</strong> arbeitete wie diese nicht nur für die „Gleichheit“ – dies sowohl<br />
unter Zetkin als auch nach deren Entlassung –, sondern auch für die „Sozialistischen<br />
482 Alice Salomon wurde in Berlin geboren. Sie war drittes von acht Kindern einer großbürgerlichen jüdischen Familie.<br />
1893 trat sie den „Mädchen- <strong>und</strong> Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit“ <strong>und</strong> 1900 dem „B<strong>und</strong> Deutscher<br />
Frauenvereine“ bei, dessen stellvertretende Vorsitzende sie bis 1920 war. 1902-1906 studierte Salomon trotz<br />
fehlendem Abitur Nationalökonomie in Berlin <strong>und</strong> graduierte 1908 zum Dr. phil.. Ihre Dissertation erschien unter<br />
dem Titel „Die Ursachen der ungleichen Entlohnung von Männer- <strong>und</strong> Frauenarbeit“. 1909 wurde sie<br />
Schriftführerin des „Internationalen Frauenb<strong>und</strong>es“. Salomon konvertierte 1914 zur evangelischen Konfession.<br />
1919 übernahm sie den Vorsitz der von ihr gegründeten „Konferenz sozialer Frauenschulen Deutschlands“. Aus<br />
dem Vorstand des BDF war sie 1920 zurückgetreten, weil man sie aus Angst vor antisemitischer Hetze in der Neubesetzung<br />
des Vorsitzes übergangen hatte. 1925 gründete Salomon die „Deutsche Akademie für soziale <strong>und</strong> pädagogische<br />
Arbeit“, dieser bedeutenden Einrichtung für Weiterbildung <strong>und</strong> Forschung folgte 1929 die Gründung der<br />
„International Association of Schools of Social Work“, deren Vorsitz Salomon lange Jahre innehatte. 1932 erhielt<br />
die engagierte Sozialreformerin die silberne Staatsmedaille Preußens <strong>und</strong> die Ehrendoktorwürde der Universität<br />
Berlin, doch 1933 enthob man sie all ihrer Ämter. 1938 emigrierte Salomon in die USA <strong>und</strong> wurde 1944 USamerikanische<br />
Staatsbürgerin.<br />
483 Salomon, Alice: Zum Eintritt in den sozialen Beruf. In: GL, 29/ 22/ 19.07.1919/ 171-173; Die Ergebnisse der Sonderlehrgänge<br />
für Arbeiterinnen zur Ausbildung in der Wohlfahrtspflege. In: GL, 30/ 44/ 30.10.1920/ 362-363; Die<br />
Ergebnisse der Sonderlehrgänge für Arbeiterinnen zur Ausbildung in der Wohlfahrtspflege (Schluß). In: GL, 30/<br />
45/ 06.11.1920/ 370.<br />
484 Simon Katzenstein, Sohn eines Holzfabrikanten <strong>und</strong> Bruder von Henriette Fürth, studierte 1885-1890 Geschichte,<br />
Philosophie, Jura <strong>und</strong> Volkswirtschaft in Gießen, Leipzig <strong>und</strong> Zürich. 1889 trat der SPD bei, weshalb er 1893 aus<br />
dem hessischen Justizdienst entlassen wurde. 1894-1896 arbeitete Katzenstein als Redakteur in Leipzig, 1897-<br />
1898 in Mainz. 1894-1895 war er als Mitglied der SPD-Agrarkommission tätig. 1903-1906 wirkte er als Herausgeber<br />
<strong>und</strong> als Arbeitersekretär <strong>und</strong> Lehrer in der Arbeiter- <strong>und</strong> Gewerkschaftsschulung. Bis 1913 war Katzenstein<br />
Vorstandsmitglied im Arbeiter-Abstinentenb<strong>und</strong>. 1915-1918 erst Stadtverordneter, ab 1925 schließlich Bezirksverordneter<br />
in Berlin-Charlottenburg, war er außerdem 1917-1919 volkswirtschaftlicher Mitarbeiter der Zentraleinkaufsgesellschaft<br />
deutscher Genossenschaften <strong>und</strong> im Reichswirtschaftsministerium. 1919 wurde Katzenstein<br />
Mitglied der Nationalversammlung, seine Kandidaturen für den Reichstag blieben jedoch meist erfolglos,<br />
lediglich 1919-1920 nahm er ein Reichstagsmandat wahr. 1928-1933 wirkte er als Herausgeber der Zeitschrift<br />
„Arbeiter-Abstinentenb<strong>und</strong>“ (?-?) <strong>und</strong> zog 1933 nach Saarbrücken, wo er Mitarbeiter verschiedener Zeitschriften<br />
wurde. Im Januar 1935 emigrierte Katzenstein über Frankreich, Holland <strong>und</strong> Großbritannien nach Dänemark, im<br />
Mai 1935 nach Stockholm, wo er sich in Konsumgenossenschaften engagierte <strong>und</strong> Arbeiten zum Alkoholimus in<br />
Deutschland verfasste.<br />
172
2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION<br />
Monatshefte“. Bereits 1894 fand in der „Gleichheit“ ein Vortrag Katzensteins Erwähnung, den er<br />
unter dem Titel „Die Bedeutung des 18. März für das Proletariat“ in Homburg auf einer öffent-<br />
lichen Volksversammlung für Männer <strong>und</strong> Frauen gehalten hatte. 485 Neben einigen Artikeln zur<br />
Geschichte der Rechtswissenschaft <strong>und</strong> ihre Position in der Klassengesellschaft 486 <strong>und</strong> weiterer<br />
rechtswissenschaftlicher Erläuterungen 487 verfasste Katzenstein auch den Artikel „Die prole-<br />
tarische Frau <strong>und</strong> der Alkohol“ 488 , in welchem er sich mit den Auswirkungen des Alkoholmiss-<br />
brauchs <strong>und</strong> entsprechendem Zahlenmaterial beschäftigte.<br />
Vor allem der Redakteur Kurt Heilbut (1888-1943) 489 arbeitete seit 1918 regelmäßig für die<br />
„Gleichheit“. Er richtete ein besonderes Augenmerk auf die kulturelle Bildung der Frauen <strong>und</strong><br />
Mädchen, indem er z. B. gegen den Einfluss des „Sch<strong>und</strong>kinos“ anschrieb. 490 Heilbuts Vorstellung<br />
von der „eigentlichen Erfüllung der Frau“ 491 <strong>und</strong> von der Mutterschaft als Teilhabe am<br />
Produktionsprozess wird in der von ihm 1922 angestellten Überlegung deutlich, „ob nicht<br />
vielleicht die Teilung zwischen den beiden Geschlechtern so sei, dass der Mann die geniale Arbeit<br />
schaffe, <strong>und</strong> die Frau den genialen Menschen“ 492 . Auf diese Vorstellung wird noch hinsichtlich des<br />
in den Frauenbiographien enthaltenen Mutterideals näher einzugehen sein. Heilbut beschäftigte<br />
485 Vgl. GL, 04/ 07/ 04.04.1894/ 52.<br />
486 Siehe: Tabelle „Auswahl der geschichtlichen Artikel im Hauptblatt der ‘Gleichheit’“.<br />
487 Katzenstein, Simon: Das Privatrecht – Vertragsfreiheit. In: GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 183-184.<br />
488 Katzenstein, Simon: Die proletarische Frau <strong>und</strong> der Alkohol. In: GL, 17/ 19/ 16.09.1907/ 158-159.<br />
489 Die Datenbank der Gedenkstätte Yad Vashem enthält unterschiedliche Angaben zur Biographie Kurt Heilbuts.<br />
Dort sind unter dem Namen Kurt Heilbut zwei Einträge zu finden. Beide geben diesselben Geburts- <strong>und</strong><br />
Sterbedaten an, beide als Geburtsort Freiburg im Breisgau <strong>und</strong> Sterbeort das Konzentrationslager Auschwitz. Der<br />
Eintrag durch Heilbuts Sohn Hellfried nennt als Heilbuts Eltern Sigm<strong>und</strong> <strong>und</strong> Sophie, der andere Eintrag Samuel<br />
<strong>und</strong> Sara, geb. von der Felde. Dieser zweite Eintrag erwähnt zudem die Ehefrau Heilbuts, Klara (vgl. Central<br />
Database of Shoah Victim’s Names). Weitere Informationen enthält ein Artikel aus der Taz, in welchem der älteste<br />
Sohn Heilbuts, Peter, die Geschichte seiner Flucht während eines Todesmarsches aus dem KZ Sachsenhausen im<br />
Mai 1945 beschreibt (vgl. Haarhoff, Heike: Todesmarsch in die Freiheit). Zu Beginn des nationalsozialistischen<br />
Terrors habe Heilbut, der u. a. als politischer Redakteur für die „Dresdner Volkszeitung“ (1854-1933) arbeitete<br />
<strong>und</strong> 1919 Parteisekretär der Berliner SPD wurde, mit seiner Frau Clara <strong>und</strong> seinen drei Kindern im sächsischen<br />
Freital gewohnt. Dort wurden sie auch erstmals Opfer antisemitischer Übergriffe <strong>und</strong> dort ist heute eine Straße<br />
nach Heilbut benannt. Für die „Gleichheit“ verfasste Heilbut mehrere Artikel <strong>und</strong> er war vermutlich auch<br />
regelmäßig an der Gestaltung der Rubrik „Politische Umschau“ beteiligt.<br />
490 Heilbut, Kurt: Im Kampf gegen den Kinosch<strong>und</strong>. In: GL, 30/ 01/ 03.01.1920/ 4-5. [Heilbut, Kurt?] K. H.:<br />
Kinosch<strong>und</strong>. In: GL, 30/ 06/ 07.02.1920/ 44 (Heilbut konstatiert, dass die Statistik in 250 Filmen 142 Morde <strong>und</strong><br />
Selbstmorde <strong>und</strong> 176 Diebstähle zählte <strong>und</strong> ruft zum Boykott schlechter Filme auf). Eine Auswahl weiterer<br />
Artikel Heilbuts: Heilbut, Kurt: Frauenstimmrecht <strong>und</strong> Gefühlspolitik. In: GL, 28/ 07/ 04.01.1918/ 56; Schweigen<br />
<strong>und</strong> arbeiten? In: GL, 28/ 16/ 10.05.1918/ 122; „Heimatheer deutscher Frauen.“ In: GL, 28/ 24/ 30.08.1918/ 185-<br />
186; Zum ersten Mai. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/ 128; Zur neuen Ehereform. In: GL, 29/ 17/ 23.05.1919/ 132-<br />
133; Die Urform der Ehe. In: GL, 29/ 45-46/ 27.12.1919/ 357-358; Rußland <strong>und</strong> wir. In: GL, 30/ 06/ 07.02.1920/<br />
45-47; Mädchenabende. In: GL, 30/ 08/ 21.02.1920/ 62; Unsere weibliche Jugend. In: GL, 31/ 04/ 15.02.1921/ 33-<br />
34<br />
491 [Heilbut, Kurt?] K. H.: Ist die Frau weniger begabt als der Mann? In: GL, 32/ 12/ 15.06.1922/ 115-117, S. 115.<br />
492 Ebd., S. 116<br />
173
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
sich mit Themen, die unter der Redaktion Zetkins wohl nicht einem Mann übertragen worden<br />
wären. Dies auch dann nicht, wenn dieser wie Heilbut ganz in der Tradition Bebels stand <strong>und</strong><br />
seine Empathie sogar soweit ging, dass er in einem Bebel gewidmeten Gedicht aus Frauen-<br />
perspektive schrieb:<br />
„Wir Frauen – ein minderwertig Geschlecht, / Verhöhnt, verachtet, ohne Recht. /<br />
Man sagte uns stets: die Geschichte lehrt, / Daß dem Mann allein die Herrschaft<br />
gehört. / Daß die Frau nichts versteht von des Lebens Nöten / Als das Haus zu<br />
hüten <strong>und</strong> höchstens – zu beten.“ 493<br />
Diese Strophe ist nicht nur beispielhaft für den für Heilbut typischen Pathos, sondern enthält<br />
zudem eine bemerkenswerte Kritik an der konventionellen Auffassung von Geschichte <strong>und</strong> dem<br />
<strong>weiblichen</strong> Anteil daran. Weniger pathetisch befassten sich Wilhelm Soldes (?-?) 494 mit Themen<br />
des Frauenwahlrechts <strong>und</strong> der Ehe 495 oder Paul Lensch (1873-1926) 496 mit Themen der Ge-<br />
schichte. 497 Lensch erachtete es anscheinend als für eine Frauenzeitschrift besonders angemessen,<br />
die Lebensgeschichte von Männern in den Mittelpunkt zu stellen. 498<br />
493 Heilbut, Kurt: An Bebel. In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210 (dieses Gedicht ist im Anhang enthalten). Weitere<br />
Gedichte Heilbuts: Der Mann von Illinois. In: GL, 28/ 19/ 21.06.1918/ 146 (Gedicht zur Annahme des<br />
Frauenwahlrechts im US-amerikanischen Repräsentantenhaus mit einer Stimme Mehrheit); Draußen. In: GL, 28/<br />
21/ 19.07.1918/ 167; Zwei Mütter. GL, 29/ 17/ 23.05.1919/ 130 (dieses Gedicht ist ebenfalls im Anhang<br />
enthalten). Für weitere Artikel siehe: Tabelle „Auswahl der geschichtlichen Artikel im Hauptblatt der ‘Gleichheit’“.<br />
494 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu<br />
Wilhelm Soldes.<br />
495 Soldes, Wilhem: Frauenwahlrecht <strong>und</strong> Parteiorgansiation. In: GL, 30/ 20/ 15.05.1920/ 151-153; Die bürgerliche<br />
Frauenbewegung <strong>und</strong> das Wahlrecht. In: GL, 30/ 22/ 29.05.1920/ 178-179; Der Siegeslauf des Frauenwahlrechts<br />
in der Welt. In: GL, 30/ 24/ 12.06.1920/ 194-195; Sozialisierung der Frau oder sozialistische Ehe? In: GL, 30/ 41-<br />
42/ 09.10.1920/ 340-341.<br />
496 Paul Lensch wurde in Potsdam geboren. Sein Vater war Oberregierungsrat. Nach einem Studium der Nationalökonomie<br />
in Berlin <strong>und</strong> Straßburg arbeitete er seit 1900 als Schriftsteller <strong>und</strong> Redakteur der „Freien Presse für<br />
Elsaß-Lothringen“ (1898-1964[?]). 1901-1902 hielt er sich zu Studienzwecken in Frankreich <strong>und</strong> England auf.<br />
1902-1913 war Lensch Redakteur der „Leipziger Volkszeitung“. 1912-1918 hatte er ein Mandat als Reichstagsabgeordneter<br />
inne. Zunächst einer der Kriegsgegner, wurde Lensch Mitglied einer Gruppe innerhalb der SPD, die<br />
den Krieg marxistisch zu legitimieren versuchte <strong>und</strong> führendes Mitglied der SPD. 1918 war Lensch Vertreter des<br />
Rats der Volksbeauftragten bei der Obersten Heeresleitung. 1919-1925 bekleidete er eine außerordentliche Professur<br />
für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Berlin. 1921-1922 erst Mitarbeiter, wurde er 1922 Redakteur<br />
<strong>und</strong> 1925 erneut Mitarbeiter der bürgerlichen „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ (1922-1945). 1922 erfolgte ein<br />
Auschluss aus der SPD bzw. Lensch kam durch Austritt dem Ausschluss zuvor. Zu seinen politischen Werken<br />
gehört u. a. „Die Sozialdemokratie <strong>und</strong> der Weltkrieg“ (1915).<br />
497 Paul Lensch fiel bereits 1916 durch eine Einsendung an die noch von Zetkin geleitete „Gleichheit“-Redaktion auf.<br />
In dieser monierte er vermeintlich falsche Informationen zu Lebenslauf <strong>und</strong> Tätigkeit Franz Mehrings wie sie die<br />
„Gleichheit“ anlässlich dessen siebzigsten Geburtstag veröffentlicht habe. Lensch, der gemeinsam mit Mehring an<br />
der Redaktion der „Leipziger Volkszeitung“ beteiligt gewesen war, sah dessen Verdienst als vollkommen überhöht<br />
an <strong>und</strong> kritisierte die „Gleichheit“ für ihre Darstellungsweise. Die Reaktion Zetkins darauf war sehr ironisch <strong>und</strong><br />
trotzig: „Wir warten ab, ob die Tätigkeit des Genossen Lensch für die ‘Leipziger Volkszeitung’ die gleiche Würdigung<br />
finden wird, wenn auch nicht an seinem siebzigsten Geburtstag, so doch vielleicht schon am fünften Jahres -<br />
tag seines ‘Umlernens’ oder seiner Mitgliedschaft in der berühmten ‘Gesellschaft von 1914’“. (Redaktion der<br />
„Gleichheit“[: Ohne Titel ] In: GL, 26/ 14/ 31.03.1916/ 103).<br />
498 Lensch, Paul: Zum Luthertag. In: GL, 28/ 02/ 26.10.1917/ 9-10. (Lensch betont darin die Bedeutung Luthers für<br />
die „Geburt der freien Persönlichkeit“); Karl Marx. In: GL, 28/ 15/ 26.04.1918/ 113-114.<br />
174
2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION<br />
Nicht nur angesichts solcher bekannten Autorinnen wie Baader, Zietz <strong>und</strong> Luxemburg konnte<br />
Zetkin 1905 selbstbewusst betonen<br />
„daß die ‘Gleichheit’ auch für ihre Beilage wie für ihren übrigen Inhalt nur<br />
Parteigenossen <strong>und</strong> Genossinnen als Mitarbeiter“ 499 [Hervorhebung von M.S.]<br />
habe. Das vermehrt kritisierte hohe theoretische Niveau der „Gleichheit“, das nicht zuletzt von<br />
eben dieser Zusammensetzung der AutorInnen herrührte, ließ es Zetkin 1913 aber zweckdienlich<br />
erscheinen,<br />
„hinzu[zu]fügen, daß wir vielleicht kein Organ in unserer Partei haben, daß<br />
daneben in so großer Zahl Mitarbeiter <strong>und</strong> Mitarbeiterinnen aus den erwachenden<br />
Schichten des Proletariats zählt, wie gerade die ‘Gleichheit’.“ 500<br />
Ähnlich sah es Baader in nahezu jedem ihrer Berichte als „Vertrauensperson der Genossinnen<br />
Deutschlands“: Die „Zahl der Proletarierinnen, die für die ‘Gleichheit’ schriftstellerisch thätig“ 501<br />
waren, nahm stetig zu. Dies sei zugleich ein Beweis dafür, dass die Gruppe der agitatorisch tätigen<br />
Genossinnen – auf dem Parteitag in Lübeck noch von Baader selbst als „Häuflein“ 502 bezeichnet –<br />
im stetigen Wachsen begriffen war. Die Mitarbeit an der „Gleichheit“ galt ihr als wichtiges Mittel<br />
zur Ausbildung „manch tüchtiger Kraft“ 503 für die Agitation. Einige Jahre später verkündete<br />
Baader stolz, dass<br />
„[z]u dem bisherigen tüchtigen Stamm bewährter Rednerinnen […] junge<br />
Kräfte hinzugekommen [seien], welche sich bereits als recht wirkungsvolle<br />
Agitatorinnen erwiesen“ 504<br />
hätten. Hinzu komme, dass auch die Zahl derjenigen Genossinnen wachse, „welche durch<br />
Berichte, Artikel, Notizen an der ‘Gleichheit’ mitarbeiten“ 505 <strong>und</strong> was Baader als „begrüßen-<br />
des Anzeichen geistigen Lebens im <strong>weiblichen</strong> Proletariat“ 506 wertete. Baader machte damit ins-<br />
gesamt bedeutsame Aussagen zur Wirksamkeit <strong>und</strong> Rezeption der „Gleichheit“, der noch in einem<br />
eigenen Kapitel nachgegangen wird.<br />
So war nicht nur der Anstieg der „Gleichheit“-Abonnentinnenzahl<br />
499 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1905, S. 281. Vormschlag bestätigt dies in ihrer Studie, wenn sie<br />
schreibt, dass „[m]eistens […] die Beiträge von führenden <strong>und</strong> in der Parteiarbeit stehenden Personen verfaßt“<br />
(Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 99) wurden.<br />
500 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1913, S. 255.<br />
501 Baader, Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands, München 1902, S. 40.<br />
502 Baader im Protokoll des SPD-Parteitages Lübeck 1901, S. 124.<br />
503 Baader, Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands, München 1902, S. 40.<br />
504 Baader, Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands, Mannheim 1906, S. 72.<br />
505 Ebd S. 74.<br />
506 Ebd.<br />
175
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
„der beste Beweis dafür, daß die proletarische Frauenbewegung an äußerer<br />
Ausdehnung wie innerer Reife gewinnt. Als ein besonders begrüßenswertes<br />
Symptom muß bezeichnet werden, daß die Zahl der Mitarbeiterinnen der<br />
‘Gleichheit’ stetig wächst, welche sich aus dem <strong>weiblichen</strong> Proletariat rekrutieren.“<br />
507<br />
Auch eine hier nicht konkret genannte Zahl der einfachen Proletarierinnen unter den „Gleichheit“-<br />
Mitarbeiterinnen, verliert betreffs der Rezeption der „Gleichheit“ jedoch an Aussagekraft, wenn<br />
die Soziologin Hilde Lion (1893-1970) 508 allgemein für die Autorenauswahl der „Gleichheit“<br />
feststellt, dass die Einsendung von Manuskripten „mehr reaktiv als spontan“ 509 erfolgt sei – womit<br />
die Reaktion auf eine Aufforderung durch die Schriftleitung gemeint sein dürfte. War es demnach<br />
nicht wahrheitsgemäß, wenn Zetkin 1913 hervorhob, dass sich an der Gestaltung der „Gleichheit“<br />
viele „Mitarbeiter <strong>und</strong> Mitarbeiterinnen aus den erwachenden Schichten des Proletariats“ 510<br />
beteiligten? Tatsächlich lassen sich Namen in der „Gleichheit“ finden, die nicht nur den<br />
Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> auch nicht nur namhaften VertreterInnen des<br />
orthodoxen Marxismus zuzuordnen sind.<br />
Generell muss die These von Evans <strong>und</strong> Nolan bestätigt werden, dass es auch hier meist die<br />
erwerbstätigen Ehefrauen der führenden Genossen waren, die sich durch ein politisches <strong>und</strong><br />
schriftstellerisches Engagement hervorhoben. 511 Hausangestellte <strong>und</strong> junge, unverheiratete Frauen<br />
beteiligten sich insgesamt weniger aktiv an der Bewegung 512 <strong>und</strong> sind auch als Autorinnen der<br />
„Gleichheit“ selten zu finden. Doch muss zur Verteidigung der „Gleichheit“ eingeworfen werden,<br />
dass es ihren Vorgängerinnen – <strong>und</strong> wie gesehen auch ihrer neuen Redaktion – nicht anders<br />
ergangen war. Auch sie hatten immer wieder ermutigende Aufrufe veröffentlicht, die Resonanz<br />
darauf bleibt jedoch ungewiss.<br />
Generell muss auch festgestellt werden, dass den „Mitarbeitern <strong>und</strong> Mitarbeiterinnen aus den<br />
erwachenden Schichten des Proletariats“ biographisch nur sehr schwer nachgespürt werden kann.<br />
507 Baader, Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deuschlands, Dresden 1903, S. 50.<br />
508 Hilde Lion wurde in Hamburg geboren. Sie begann 1917 am Sozialpädagogischen Institut in Hamburg eine Ausbildung,<br />
die sie als examinierte Sozialarbeiterin <strong>und</strong> Lehrerin abschloss. Dieser folgte ein Studium der Volkswirtschaft<br />
<strong>und</strong> Pädagogik in Freiburg, Hamburg, Berlin <strong>und</strong> Köln <strong>und</strong> 1924 die Promotion. Ab 1925 bekleidete<br />
Lion das Amt der Leiterin des Jugendleiterinnenseminars des Vereins „Jugendheim“ in Berlin. 1929-1933 war sie<br />
Direktorin der „Deutschen Akademie für soziale <strong>und</strong> pädagogische Frauenarbeit“ in Berlin. Außerdem wurde sie<br />
Vorsitzende der „Vereinigung der Dozentinnen an sozialpädagogischen Lehranstalten“. 1933 erfolgte ihre Entlassung<br />
aus ihrem Amt <strong>und</strong> sie emigrierte nach Großbritannien, wo sie ein Forschungsstipendium wahrnahm. 1934<br />
wurde Lion Gründerin <strong>und</strong> Leiterin der „Stoatley Rough School“ in Haslemere/Surrey, wo während des Krieges<br />
viele Flüchtlingskinder Aufnahme fanden.<br />
509 Lion, Zur Soziologie der Frauenbewegung, S. 90.<br />
510 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1913, S. 255.<br />
511 Vgl. Evans, Sozialdemokratie <strong>und</strong> Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich, S. 206 <strong>und</strong> Nolan,<br />
Proletarischer Anti-Feminismus, S. 365.<br />
512 Nolan, Proletarischer Anti-Feminismus, S. 371.<br />
176
2.3.2 DIE MITARBEITERINNEN DER NEUEN REDAKTION<br />
Dies vor allem, wenn sie in der „Gleichheit“ nur einen einzigen – vielleicht noch dazu unge-<br />
zeichneten – Artikel veröffentlicht haben. Einige weibliche Autoren dürften es sogar in den Jahren<br />
vor dem Reichsvereinsgesetz 1908 bewusst vermieden haben, ihre Beiträge namentlich zu zeich-<br />
nen. Initialen <strong>und</strong> Zeichen wie ***, ! oder #, die teilweise auch von den internationalen Korres-<br />
pondentinnen verwendet wurden, finden sich sogar noch in den späteren Jahrgängen der „Gleich-<br />
heit“ <strong>und</strong> sind kaum entsprechenden Personen zuzuordnen. 513 Soweit nicht die Artikel selbst, z. B.<br />
durch die enthaltenen Beschreibungen des persönlichen Alltags Auskunft über ihre Verfasserinnen<br />
geben, können es nur die Forschungen in privaten Nachlässen tun.<br />
Auch wenn hier nur eine kleine Auswahl der MitarbeiterInnen – ProletarierInnen <strong>und</strong> Partei-<br />
genossInnen – <strong>und</strong> wenige ihrer Artikel vorgestellt werden konnten, so dürfte doch deutlich<br />
geworden sein, dass das Bild der „Gleichheit“ als das einer reinen „One-Woman-Show“ nicht zu-<br />
treffend ist.<br />
513 Vgl. von # gezeichnete Artikel in der Politischen <strong>und</strong> Gewerkschaftlichen R<strong>und</strong>schau in Nummer 5 des 23.<br />
Jahrgangs der „Gleichheit“ <strong>und</strong> X.Y.Z.: Aus der holländischen Frauenbewegung. In: GL, 08/ 19/ 14.09.1898/ 148-<br />
149.<br />
177
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
2.3.3 Die „Gleichheit“ als Organ der Sozialistischen Fraueninternationale <strong>und</strong> ihre<br />
internationalen Korrespondentinnen<br />
Der Relativierung des Bildes der „Gleichheit“ als dem einer „One-Woman-Show“ ist auch der<br />
Blick auf die große Zahl internationaler Autorinnen zuträglich. Es ist die Gruppe von Autorinnen,<br />
die von bisherigen Forschungsarbeiten sehr vernachlässigt wurde. Dies ist umso unerklärlicher, da<br />
Zetkins Bemühen um eine internationale Vernetzung von Beginn an eine Priorität der „Gleichheit“<br />
war. 514 Ein Bemühen, das sich nach der Ernennung Zetkins zur Sekretärin der Sozialistischen<br />
Fraueninternationale <strong>und</strong> der „Gleichheit“ zum offiziellen Organ dieser Institution im August<br />
1907 deutlich verstärkte. 515<br />
Auf der in Stuttgart stattfindenden Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale gab Baader<br />
folgenden Bericht für die sozialdemokratische Frauenbewegung Deutschlands ab:<br />
„Die Bewegung ist vor allem zur prinzipiellen Klarheit <strong>und</strong> Festigkeit erzogen<br />
worden durch die ‘Gleichheit’, […]. Die ‘Gleichheit’ hat die Frauenfrage nach<br />
ihren verschiedenen Seiten hin konsequent vom Standpunkt des historischen<br />
Materialismus aus methodisch durchgearbeitet. Sie hat damit die prinzipielle<br />
Gr<strong>und</strong>lage der sozialistischen Frauenbewegung geschaffen <strong>und</strong> ihre taktischen<br />
Richtlinien gezogen Jahrelang hatte die ‘Gleichheit’ eine sehr kleine Verbreitung.<br />
Oft genug verlacht, als unter dem Ausschluß der Öffentlichkeit erscheinend,<br />
verfolgte sie das Ziel, das sie sich gesteckt hatte. Die Redakteurin, Genossin<br />
Zetkin, ließ sich von dem Geschrei, die Zeitschrift sei zu hoch, sie müsse auf ein<br />
niedrigeres Niveau gestellt werden, nicht beirren. Es war schwer, die Frauen an die<br />
ernste Lektüre zu gewöhnen, aber es ist doch gelungen.“ 516<br />
Baader zeichnete hier ein realistisches Bild von der Entwicklung der „Gleichheit“, von ihren<br />
Schwierigkeiten, aber auch ihren Möglichkeiten. Die Schwierigkeit lag vor allem in der Frage der<br />
Übersetzung in andere Sprachen. Die „Gleichheit“ wurde schließlich – <strong>und</strong> laut des in ihr selbst<br />
veröffentlichten Berichts 517 – vorläufig nur bis zur nächsten Konferenz zum zentralen Organ der<br />
Sozialistischen Fraueninternationale ernannt. Dies außerdem nur unter der Bedingung, dass die an<br />
sie eingehenden Berichte internationaler Korrespondentinnen gesammelt, in die drei Kongress-<br />
sprachen übersetzt <strong>und</strong> an die entsprechenden Stellen gesendet würden. Zetkin sagte dies zu. Ob<br />
514 Eines von vielen Dokumenten, die den internationalen Kontakt Zetkins hervorheben wurde vor Kurzem veröffentlicht.<br />
Es handelt sich um einen am 20.11.1911 verfassten Brief Zetkins an Kata Dalström (1858-1923), die<br />
Führerin der schwedischen Frauenbewegung. Zetkin bat darin Dalström um einen Artikel für eine Publikation zum<br />
ersten Internationalen Frauentag (vgl. Sachse, Clara Zetkins Märzentag).<br />
515 Der Vorschlag, die Redaktion der „Gleichheit“ zur „Zentralstelle“ der „Schaffung regelmäßiger Beziehungen<br />
zwischen den organisierten Genossinnen der einzelnen Länder“ zu machen, stammte von Ihrer, die entsprechende<br />
einstimmig angenommene Resolution von Zietz (vgl. Victor Adler – Briefwechsel mit August Bebel <strong>und</strong> Karl<br />
Kautsky, S. 62, Fußnote 13a). Diese detaillierten Informationen gehen nicht aus dem Bericht für die Erste<br />
Internationale Konferenz sozialistischer Frauen hervor. Jedoch wurde der Verlauf der Diskussionen <strong>und</strong> die<br />
maßgebliche Beteiligung Ihrers <strong>und</strong> Zietz‘ in dem Artikel „Die erste Internationale Konferenz sozialistischer<br />
Frauen“ (In: GL, 17/ 18/ 02.09.1907/ 150-151) beschrieben.<br />
516 Berichte für die Erste Internationale Konferenz sozialistischer Frauen Stuttgart 1907, S. 16.<br />
517 Die erste Internationale Konferenz sozialistischer Frauen. In: GL, 17/ 18/ 02.09.1907/ 150-151, S. 150.<br />
178
2.3.3 DIE „GLEICHHEIT“ ALS ORGAN DER SOZIALISTISCHEN FRAUENINTERNATIONALE UND IHRE INTERNATIONALEN KORRESPONDENTINNEN<br />
<strong>und</strong> wie diese Übersetzungen tatsächlich erfolgten, konnte im Rahmen der Untersuchungen für<br />
die vorliegende Arbeit nicht ermittelt werden.<br />
Auf dem darauf folgenden Parteitag in Nürnberg verkündete Baader als Vertrauensperson der<br />
Genossinnen Deutschlands stolz, dass die Wahl für das Organ der Sozialistischen Frauen-<br />
internationale auf die „Gleichheit“ gefallen sei. Die „Gleichheit“-Redaktion unter Zetkin hatte nun<br />
einmal „bereits die meiste internationale Fühlung“ 518 . Die „Gleichheit“ sei<br />
„die geeignetste Stelle für die Veröffentlichung der internationalen Korrespondenzen<br />
[…], weil sie das sozialistische Frauenblatt [sei], das in den meisten<br />
Ländern von Genossinnen gelesen“ 519 [Hervorhebung von M.S.]<br />
würde. Ihre Inhalte, vor allem die „aus den verschiedenen Ländern einlaufenden Korres-<br />
pondenzen“ 520 , spiegelten<br />
„eine mehr oder minder regelmäßige Verbindung mit sozialistischen Frauenorganisationen<br />
[…] in Oesterreich, Böhmen, Schweiz, Holland, Belgien, England,<br />
Finnland, Dänemark, Vereinigte Staaten von Nordamerika (Organisationen deutsch<br />
<strong>und</strong> englisch sprechender Genossinnen)“ 521<br />
wider. Es zeigt sich jedoch auch hier das generelle Problem, festzustellen, inwieweit die „Gleich-<br />
heit“ tatsächlich im Ausland rezipiert wurde. Waren es nur Frauenorganisationen, die sie abonniert<br />
hatten oder gab es auch EinzelabonnentInnen? Die Tatsache, dass es Zetkin während des Ersten<br />
Weltkrieges trotz Zensur gelang, einzelne Exemplare an die internationalen Genossinnen zu ver-<br />
senden, geht aus ihrer Korrespondenz hervor. So schrieb sie 1915 an Heleen Ankersmit im<br />
neutralen Holland, dass sie ihr drei Nummern der „Gleichheit“ in je zwei Exemplaren zugeschickt<br />
habe – jeweils ein Exemplar war für den Versand nach England bestimmt. 522 Die „Gleichheit“<br />
erschien komplett in deutscher Sprache <strong>und</strong> von Übersetzungen oder einem Druck übersetzter Ex-<br />
emplare ist nichts bekannt. Es ist demnach nicht feststellbar, ob <strong>und</strong> wie ausländischen Leserinnen<br />
die Inhalte der „Gleichheit“ vermittelt wurden. Auch der Bericht des Vereins Arbeiterpresse kann<br />
nur feststellen, dass die „Gleichheit“ in<br />
„[g]anz Deutschland <strong>und</strong> vielfach auch unter den deutschlesenden Genossinnen im<br />
Ausland, besonders in Oesterreich, der Schweiz, Holland <strong>und</strong> den Vereinigten<br />
Staaten“ 523 [Hervorhebung von M.S.]<br />
verbreitet war. Auch über die Höhe der ins Ausland expedierten Exemplare geben die heran-<br />
518 Baader, Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands, Nürnberg 1908, S. 100.<br />
519 Ebd.<br />
520 Ebd. S. 101.<br />
521 Ebd. S. 100.<br />
522 Clara Zetkin in einem Brief an Heleen Ankersmit am 16.01.1915. In: Eildermann, Ünveröffentlichte Briefe Clara<br />
Zetkins an Heleen Ankersmit, S, 670-671, S. 670.<br />
523 Handbuch des Vereins Arbeiterpresse, Jg. 3 (1914), S. 125.<br />
179
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
gezogenen Quellen keinerlei Auskunft.<br />
Nachdem Zetkin das Amt einer internationalen Sekretärin übertragen worden war, wandelte sich<br />
ihr Selbstverständnis als Führerin der deutschen proletarischen Frauenbewegung entscheidend.<br />
Sie war nun einem internationalen Gremium <strong>und</strong> dessen Prinzipien verpflichtet <strong>und</strong> verstand sich<br />
nun noch stärker als bisher als Verfechterin unbedingter internationaler Solidarität. Ihre Loyalität<br />
gegenüber der Fraueninternationale hatte eine besondere Bedeutung für die Berichterstattung in<br />
der „Gleichheit“, für die Einrichtung des internationalen Frauentages <strong>und</strong> für die Haltung der<br />
„Gleichheit“ während des Ersten Weltkrieges, der in seiner internationalen wie zerstörerischen<br />
Dimension bisher einzigartig war. Bereits in den Jahren vor Kriegsbeginn wurde die<br />
Durchführung des Internationalen Frauentages von Seiten des Parteivorstandes zunehmend<br />
hintertrieben. Dies spiegelt die revisionistische Tendenz der SPD wider <strong>und</strong> erklärt die Ver-<br />
änderung in Zetkins Parteiloyalität. Die Befürwortung des deutschen Kriegseintritts bedeutete<br />
schließlich das abrupte Ende des Sozialdemokratismus Zetkins. Sie gab nun alles daran, dass die<br />
„Gleichheit“ ihrem internationalen Auftrag unbedingt treu blieb <strong>und</strong> betrieb in ihr eine gegen die<br />
Linie der SPD-Führung gerichtete Anti-Kriegs-Propaganda. Es lag in der Art der Umstände, dass<br />
jeder Anti-Kriegs-Artikel der „Gleichheit“ zugleich ein Anti-SPD-Artikel sein musste. Zetkin<br />
bemühte sich weiterhin <strong>und</strong> trotz aller durch die Zensur verursachten Schwierigkeiten um eine<br />
internationalistische <strong>und</strong> damit antimilitaristische Gesinnung ihrer Leserinnen. Enttäuscht musste<br />
sie aber feststellen, dass deren Loyalität nicht denselben Prinzipien galt wie die ihre. Inwieweit<br />
diese unkritische Haltung <strong>und</strong> Parteidisziplin der „Gleichheit“-Leserinnen als Rezeptionsergebnis<br />
der „Gleichheit“ <strong>und</strong> damit sogar quasi als „Arbeitserfolg“ Zetkins betrachtet werden kann, wird<br />
in Kapitel 2.5 besprochen werden.<br />
Durch ihre bewegte Biographie besaß Zetkin viele persönliche Kontakte ins Ausland. Ihre<br />
Ausbildung als Fachlehrerin für moderne Sprachen <strong>und</strong> ihre außergewöhnlichen Sprachkenntnisse<br />
(u. a. Russisch, Englisch, Italienisch <strong>und</strong> Französisch) ermöglichten es ihr, sich einen<br />
umfassenden Überblick über die internationale sozialistische Presse zu verschaffen. So konnte die<br />
„Gleichheit“ einen Blick über die Grenzen der eigenen Nation hinaus werfen. Sie berichtete, wie<br />
Ilberg in ihrer Zetkin-Biographie schreibt, über<br />
„das Leben <strong>und</strong> die Mühsal der Frauen in anderen Ländern […] – der Näherinnen<br />
in Paris, der Baumwollpflückerinnen im Süden Amerikas <strong>und</strong> der Bäuerinnen auf<br />
Rußlands weiten Steppen. So würden die deutschen Arbeiterinnen Sympathie<br />
empfinden für die Proletarierinnen in aller Welt, Gefühle tiefer Verb<strong>und</strong>enheit.“ 524<br />
Deutsche Proletarierinnen sollten demnach nicht nur nüchtern über die Entwicklungen anderer<br />
Arbeiterinnenbewegungen informiert werden. Es ging um mehr. Sie sollten Empathie für die<br />
524 Ilberg, Clara Zetkin, S. 59-60.<br />
180
2.3.3 DIE „GLEICHHEIT“ ALS ORGAN DER SOZIALISTISCHEN FRAUENINTERNATIONALE UND IHRE INTERNATIONALEN KORRESPONDENTINNEN<br />
Probleme ihrer Klassengenossinnen empfinden <strong>und</strong> mindestens zu ebenbürtigen Opferleistungen<br />
wie diese motiviert werden. Die proletarische Frauenbewegung Deutschlands sah sich stets in<br />
einem internationalen Vergleich – um nicht zu sagen – einer internationalen Konkurrenz. So teilte<br />
Baader bereits 1902 ganz im Zetkin‘schen Sinne – vielleicht sogar mit einiger Formulierungshilfe<br />
von ihr – dem Parteitag von München mit:<br />
„Die ‘Gleichheit’, der unsere proletarische Frauenbewegung an erster Stelle die<br />
gr<strong>und</strong>sätzliche Klarheit <strong>und</strong> Reife verdankt, die sie von der Bewegung der meisten<br />
Länder auszeichnet, ist den thätigen Genossinnen unentbehrlich als geistiges Band,<br />
als Mittel des Zusammenhalts, der Belehrung <strong>und</strong> politischen Schulung.“ 525 [Hervorhebungen<br />
von M.S.]<br />
Die proletarische Frauenbewegung hatte demnach nicht nur auf nationaler Ebene erhebliche Fort-<br />
schritte vorzuzeigen, sondern auch im internationalen Vergleich eine Führungsposition inne.<br />
Entsprechend berichtete die „Gleichheit“ auch über Neugründungen ausländischer Frauen-<br />
zeitschriften. So z. B. über die „Zenský List“ (1892-1900[?]) 526 in Tschechien, „La Fronde“ (1897-<br />
1903) 527 in Frankreich, „The Woman Worker“ (1916-1921[?]) 528 in England oder Frauen-<br />
zeitschriften in Russland 529 <strong>und</strong> Indien. 530 Die Berichte über Jubiläen befre<strong>und</strong>eter Arbeiterinnen-<br />
organe feierten die stabile Entwicklung einer internationalen proletarischen Frauenbewegung. 531<br />
Die „Gleichheit“ unter neuer Redaktion berichtete dagegen bevorzugt von Neugründungen oder<br />
525 Baader, Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands, München 1902, S. 40.<br />
526 Seit 1. Juli 1892 erschien in Brünn das tschechische Frauenblatt für Arbeiterinnen „ZenskýList“ (vgl. GL, 02/ 14/<br />
13.07.1892/ 118). Bereits im nächsten Jahr musste die „Gleichheit“ in zwei Nummern darüber berichten, dass<br />
zwei Mitarbeiterinnen dieser Zeitschrift wegen „Vagabondage“ verhaftet, aber auch wieder entlassen worden<br />
waren (vgl. GL, 03/ 02/ 25.01.1893/ 13 u. GL, 03/ 05/ 08.03.1893/ 37).<br />
Die ZDB weist nur den 7. Jahrgang von 1898 nach, die Österreichische Nationalbibliothek jedoch auch den<br />
8. Jahrgang von 1900.<br />
527 Die „La Fronde“ erschien in Paris <strong>und</strong> war eine Zeitschrift von Frauen für Frauen. Sie wird allerdings von Zetkin<br />
für ihre Darstellung der deutschen Frauenbewegung kritisiert (vgl. Eine Tageszeitung von <strong>und</strong> für Frauen… In:<br />
GL, 08/ 01/ 05.01.1898/ 8; Die französische Tageszeitung „La Fronde“… In: GL, 08/ 07/ 30.03.1898/ 55). Die<br />
„Gleichheit“ entlieh sich der „La Fronde“ auch einen Feuilleton-Artikel zu einem völkerk<strong>und</strong>lichen Thema:<br />
Jacobi, Eugenie: Howa-Frauen. In: GL, 10/ 25/ 05.12.1900/ 196. Jacobi (?-?) war bereits im selben Jahrgang als<br />
Übersetzerin für die „Gleichheit“ tätig gewesen (vgl. Lipinska, Melanie: Medizinerinnen des Mittelalters [I-IV].<br />
In: GL, 10/ 11/ 23.05.1900/ 84-85 bis GL, 10/ 14/ 04.07.1900/ 108-109).<br />
528 Eine neue Arbeiterinnenzeitung in London… In: GL, 26/ 10/ 04.02.1916/ 75. Herausgeberinnen dieser Zeitschrift,<br />
die bereits eine Vorgängerin gleichen Namens hatte, waren Susan Lawrence (1871-1947) <strong>und</strong> Mary MacArthur<br />
(1880-1921), Mitarbeiterinnen u. a. Beatrice Webb (1858-1943).<br />
529 Eine russische Frauenzeitung… In: GL, 08/ 24/ 23.11.1898/ 191. Diese Zeitung besaß einen ähnlichen Aufbau wie<br />
die „Gleichheit“ <strong>und</strong> legte einen Schwerpunkt auf die Geschichte der Entwicklung der Frau <strong>und</strong> die Biographien<br />
hervorragender Frauen.<br />
530 Eine Monatszeitschrift für die indischen Frauen … In: GL, 11/ 20/ 25.09.1901/ 159. Außerdem: Eine Frauenzeitschrift<br />
in böhmischer Sprache… In: GL, 10/ 12/ 06.06.1900/ 96 (diese Zeitschrift erschien jedoch interessanterweise<br />
in Chicago <strong>und</strong> hatte wie die „La Fronde“ einen <strong>weiblichen</strong> Mitarbeiterstab).<br />
531 Vgl. Eine bereichernde <strong>und</strong> erfreuende Lektüre für die Proletarierinnen… In: GL, 22/ 19/ 12.06.1912/ 304 (zum<br />
zwanzigjährigen Bestehen der österreichischen, von Adelheid Popp redigierten „Arbeiterinnenzeitung“ erschien<br />
das „Gedenkbuch, Zwanzig Jahre österreichische Arbeiterinnenbewegung“ (1912)).<br />
181
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Neuerscheinungen bürgerlicher Frauenzeitschriften – ohne jedoch damit eine klassenkämpferische<br />
Zielsetzung zu verfolgen. 532 Die deutlichste Kritik daran kam von Mathilde Wurm, die von der<br />
USPD wieder zur SPD gestoßen war, aber damit keine Wandlung zur Mehrheitssozialdemokratin<br />
durchgemacht hatte. Sie forderte immer wieder die Berichterstattung aus der Frauenbewegung im<br />
Ausland ein <strong>und</strong> wollte diese nach Einstellung der „Gleichheit“ auch in den Redaktionen der<br />
„Gleichheit“-Nachfolgerin „Die Genossin“ nicht nur wiedergegeben, sondern auch kommentiert<br />
sehen. 533<br />
Die „Gleichheit“ verfügte als offizielles Organ der Sozialistischen Fraueninternationale über eine<br />
große Zahl internationaler KorrespondentInnen. Diese AutorInnen informierten die deutschen<br />
Proletarierinnen über die politischen Entwicklungen, proletarischen Arbeitsbedingungen <strong>und</strong><br />
Arbeitskämpfe ihres Landes, über deren Niederlagen <strong>und</strong> Erfolge. Diese internationale Ver-<br />
netzung war ein zentrales Element des „Gleichheit“-Selbstverständnisses als Vertreterin eines<br />
umfassenden Klassenkampfes, getreu des marxistischen Mottos: Proletarierinnen aller Länder<br />
vereinigt Euch! So wurden nicht nur der Militarismus <strong>und</strong> der Expansionsdrang der deutschen<br />
Regierung, das Ausbeutungssystem deutscher Kapitalisten aufgedeckt <strong>und</strong> angeprangert, sondern<br />
vielmehr zum Kapitalismus als einem weltumspannenden Unterdrückungssystem Stellung<br />
bezogen.<br />
Bevor an dieser Stelle die ausländischen KorrespondentInnen vorgestellt werden, muss vor allem<br />
eine deutsche Mitarbeiterin erwähnt werden, die in den ersten Jahrgängen häufig aus Groß-<br />
britannien berichtete: Helene Simon (1862-1947) 534 . Simon unternahm im April 1895 eine<br />
532 Wohlwollend stellte die „neue“ „Gleichheit“ die von den radikalen Frauenrechtlerinnen Lida Gustava Heymann<br />
(1868-1943) <strong>und</strong> Anita Augspurg (1857-1943) herausgegebene „Die Frau im Staat“ (1919-1933) <strong>und</strong> deren<br />
Zielsetzung vor: „Ohne Rücksicht auf herrschende Vorurteile, unabhängig von politischen Parteien oder<br />
bestehenden Frauen- <strong>und</strong> Männervereinen […], das politische Leben vom Standpunkt der Forderungen <strong>und</strong> der<br />
Mitwirkung der Frau <strong>und</strong> unter dem Gesichtspunkt der Völkerverständigung zu betrachten.“ (Die Frau im Staate<br />
… In: GL, 29/ 10/ 14.02.1919/ 79). Auch über ein Verzeichnis aller in Deutschland erscheinenden Frauenzeitschriften,<br />
das der Allgemeine Deutsche Frauenverein 1917 herausgab <strong>und</strong> in dem auch dem BDF nicht<br />
angeschlossene Organisationen <strong>und</strong> ihre Organe vertreten waren, wurde sehr wohlwollend <strong>und</strong> keineswegs<br />
kritisch berichtet (vgl. Der allgemeine deutsche Frauenverein… In: GL, 27/ 25/ 14.09.1917/ 177).<br />
533 Vgl. Wurm im Bericht über die Reichsfrauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages Kiel 1927, S. 317; dies.<br />
im Bericht über die Reichsfrauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages Heidelberg 1925, S. 352.<br />
534 Helene Simon war Tochter einer jüdischen Bankiersfamilie. 1895-1897 studierte sie Nationalökonomie <strong>und</strong><br />
Sozialwissenschaften in London (besuchte dort die Slums <strong>und</strong> Fabriken des East End). Sie beschäftigte sich mit<br />
den sozialpolitischen Schriften der linksintellektuellen Fabier, wurde 1896 Mitglied der „Fabian Society“ <strong>und</strong><br />
stand in Kontakt mit Beatrice <strong>und</strong> Sidney Webb. Simon beschäftigte sich mit sozialen Fragen, mit dem Frauen-<br />
<strong>und</strong> Kinderschutz. 1897 nahm sie ein Studium an der Universität Berlin bei Professor Gustav Schmoller auf.<br />
1900-1914 erschienen von ihr einige biographische Studien zu Robert Owen, William Godwin <strong>und</strong> Mary<br />
Wollstonecraft (1759-1797). Simon engagierte sich dann für den Arbeitsschutz, die Jugendhilfe <strong>und</strong> die Schulspeisung<br />
<strong>und</strong> wurde Mitglied überparteilicher Wohlfahrtsausschüsse. 1907 war sie Mitglied im Ständigen<br />
Ausschuss zur Förderung der Arbeiterinnen-Interessen. Während des Ersten Weltkrieges war sie im NFD aktiv. Ab<br />
1917 war sie Mitherausgeberin der Zeitschrift „Soziale Kriegshinterbliebenenfürsorge“ (1916-1920) <strong>und</strong><br />
engagierte sich ab 1919 in der AWO <strong>und</strong> in der SPD. 1933 zog sie sich aus der Öffentlichkeit zurück, bot in ihrer<br />
182
2.3.3 DIE „GLEICHHEIT“ ALS ORGAN DER SOZIALISTISCHEN FRAUENINTERNATIONALE UND IHRE INTERNATIONALEN KORRESPONDENTINNEN<br />
Studienreise nach London <strong>und</strong> beschrieb in einigen Artikeln die Situation der englischen Arbei-<br />
terinnenbewegung. 535 1922 schließlich berichtete die „neue“ „Gleichheit“ von einer besonderen<br />
Ehre, die Simon zuteil geworden war. Die Universität Heidelberg hatte ihr die Ehrendoktorwürde<br />
der Philosophischen Fakultät (Fachgebiet Nationalökonomie) verliehen. 536 Simon war die erste<br />
Sozialdemokratin, der eine solche Würde zuerkannt wurde <strong>und</strong> verdankte sie laut der „Gleichheit“<br />
letztendlich ihrer jahrelangen „äußerst tüchtige[n] <strong>und</strong> erfolgreiche[n] Arbeit in der Wohl-<br />
fahrtspflege“ 537 . Während des Krieges leitete Simon den „Arbeitsausschuss der Kriegerwitwen-<br />
<strong>und</strong> -waisenfürsorge“, schrieb als ständige Mitarbeiterin für die Zeitschrift „Soziale Praxis“ (seit<br />
1890) <strong>und</strong> veröffentlichte die Broschüre „Aufgaben <strong>und</strong> Ziele der neuzeitlichen Wohlfahrtspflege“<br />
(1922). Ihre Tätigkeit für die „alte“ „Gleichheit“ oder die „Neue Zeit“ blieb in jenem Bericht<br />
jedoch gänzlich unerwähnt. 538<br />
Aus der Schweiz erreichten die „Gleichheit“-Redaktion vor allem mit d. z. gezeichnete Artikel. 539<br />
Hinter diesen Initialen ist Dionys Zinner (?-?) 540 aus Winterthur zu vermuten, denn dieser<br />
zeichnete später für ähnliche Artikel namentlich verantwortlich. Zinner beschrieb vor allem die<br />
Zustände in der Schweiz <strong>und</strong> ihrer Arbeiterinnenbewegung. 541 Hinsichtlich der Zuordnung von<br />
Artikeln können auch Fehler der Redaktion oder der Drucksetzung nicht ausgeschlossen werden.<br />
Zum Beispiel dürfte der mit D. Z. gezeichnete Artikel „Zur Lage der Fabrikarbeiterinnen in Ham-<br />
burg“ 542 , der einen 1898 erschienenen Amtsbericht des Hamburger Fabrikinspektors untersucht,<br />
Wohnung Verfolgten Zuflucht <strong>und</strong> emigrierte schließlich 1939 nach London. Simon hatte seit 1899 in engem<br />
Kontakt zu Elisabeth Gnauck-Kühne (1850-1917), einer Vertreterin der bürgerlichen Frauenbewegung <strong>und</strong><br />
Sozialwissenschaftlerin, gestanden <strong>und</strong> veröffentlichte 1928/29 deren autobiographische Aufzeichnungen.<br />
535 Die „Gleichheit“ veröffentlichte u. a.: Simon, Helene: Die gewerkschaftliche Organisation der Arbeiterinnen in<br />
England. In: GL, 06/ 07/ 01.04.1896/ 55-56; Aus dem Norden Englands. In: GL, 06/ 15/ 22.07.1896/ 119-120.<br />
536 Helene Simons Ernennung zum Ehrendoktor … In: GL, 32/ 17/ 18/ 01.09.1922/ 170.<br />
537 Ebd.<br />
538 Laut Klöhn veröffentlichte Simon in der Zeit zwischen 1896 <strong>und</strong> 1899 sechs Artikel in der „Gleichheit“ (vgl.<br />
Klöhn, Helene Simon (1862-1947), S. 149).<br />
539 So z. B. die Notizen: Fort- <strong>und</strong> Berufsbildung für das weibliche Geschlecht in der Schweiz; Gleiche Arbeit,<br />
gleicher Lohn für Mann <strong>und</strong> Frau; Die Würde eines Doktors der Staatswissenschaften … (dies war eine Notiz zur<br />
Promotion Rosa Luxemburgs an der Universität Zürich); Studentinnen an Schweizer Universitäten (alle in: GL,<br />
08/ 17/ 17.08.1898/ 136).<br />
540 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine eindeutigen biographischen<br />
Informationen zu Dionys Zinner. Unter diesem Namen erschienen u. a. folgende Werke: „Fest-Schrift zur<br />
Halbjahrh<strong>und</strong>ert-Feier des Allgemeinen Arbeiterbildungs-Vereins Winterthur. 1850-1900“ (1900) <strong>und</strong> „Geschichte<br />
der deutschen Schuhmacherbewegung“ (1904). Es dürfte sich bei Zinner auch um einen der Herausgeber des<br />
„Schuhmacher-Fachblattes“ (1878-1883) handeln.<br />
541 Zinner, D[ionys]: Der gesetzliche Schutz der Fabrikarbeiterinnen in der Schweiz. In: GL, 09/ 05/ 01.03.1899/ 37-<br />
38; Die Durchführung der Arbeiterinnenschutzgesetze in der Schweiz. In: GL, 09/ 13/ 21.06.1899/ 101-103;<br />
Volksabstimmung über ein Arbeiterinnenschutzgesetz in der Schweiz. In: GL, 13/ 02/ 13.01.1904/ 14-15; Z[inner,<br />
Dionys]: Die Durchführung des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes im Kanton Zürich. In: GL, 18/ 14/<br />
06.07.1908/ 126-127.<br />
542 D. Z.: Zur Lage der Fabrikarbeiterinnen in Hamburg. In: GL, 10/ 01/ 03.01.1900/ 3-4.<br />
183
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
nicht von Zinner, sondern von Zietz stammen.<br />
Aus der sozialistischen Frauenbewegung der USA berichtete für die „Gleichheit“ vor allem Meta<br />
Lilienthal Stern (1876-1948) 543 , die Mitglied des US-amerikanischen Frauenkomitees der<br />
„Socialist Party“ war. Sterns regelmäßig seit 1909 erschienenen Artikel beschrieben meist übliche<br />
Agitationsarbeit. 544 1910 berichtete sie sehr ausführlich über eine Konferenz der sozialistischen<br />
Frauen von New York. 545 Außerdem verfasste sie Nachrufe auf zwei Vorkämpfer der sozia-<br />
listischen Bewegung in den USA 546 sowie Berichte von Großdemonstrationen zum Frauen-<br />
wahlrecht 547 . Spätere Artikel besprachen die Einrichtung eines Büros, das die Naturalisation<br />
eingewanderter Frauen fördern sollte 548 oder kritisierten den Militarismus der US-amerikanischen<br />
Regierung, die für ihren Eintritt in den Ersten Weltkrieg aufrüstete 549 .<br />
Aus Österreich kamen Artikel von einer der bekanntesten internationalen Sozialdemokratinnen:<br />
Adelheid Popp (1869-1939) 550 . Popp veröffentlichte erstmals 1892 in der „Gleichheit“-Rubrik<br />
543 Meta Lilienthal Stern, geb. Lilienthal, war älteste Tochter deutscher Immigranten. Ihre Eltern Frederick W. <strong>und</strong><br />
Augusta Lilienthal emigrierten 1861 in die USA. Ihr Vater ließ sich als Arzt in New York nieder. Er wurde<br />
Mitgründer der „New Yorker Volkszeitung“ (1878-1932) <strong>und</strong> der Freidenker-Gesellschaft sowie Mitglied der<br />
Socialist Labour Party <strong>und</strong> der Sozialistischen Internationale. Er starb 1910 77jährig. Auch die Mutter war<br />
führendes Mitglied der Socialist Labour Party <strong>und</strong> außerdem Redakteurin der Frauenseite der „New Yorker<br />
Volkszeitung“. Stern schrieb ebenfalls für die „New Yorker Volkszeitung“ sowie für den „New York Call“ (1908-<br />
1923). Sie wurde 1908 Mitglied des „Woman‘s National Comitee (WNC) <strong>und</strong> später der „Womens‘s Trade Union<br />
League“ (WTUL). Die Journalistin verfasste 1910 eine autorisierte englische Übersetzung von Bebels „Die Frau<br />
<strong>und</strong> der Sozialismus“ <strong>und</strong> schrieb außerdem unter dem literarischen Pseudonym „Hebe“ (d.i. Die griechische<br />
Göttin der Jugend). 1947 erschien ihre Autobiographie „Dear Remembered World: Childhood Memories of an Old<br />
New Yorker“.<br />
544 Stern, Meta L[ilienthal]: <strong>Von</strong> der sozialistischen Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten. In: GL, 19/ 21/<br />
19.07.1909/ 335-336; <strong>Von</strong> der sozialistischen Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten. In: GL, 19/ 24/<br />
30.08.1909/ 384; <strong>Von</strong> der sozialistischen Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten. In: GL, 19/ 25/ 13.09.1909/<br />
400; <strong>Von</strong> der sozialistischen Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten. In: GL, 20/ 06/ 20.12.1909/ 94-95;<br />
Fortschritt der sozialistischen Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten. In: GL, 22/ 23/ 07.08.1912/ 366-367;<br />
Aus der sozialistischen Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten. … In: GL, 22/ 24/ 21.08.1912/ 383-384.<br />
545 Stern, Meta L[ilienthal]: Konferenz der sozialistischen Frauen von New York. In: GL, 20/ 07/ 03.01.1910/ 111-<br />
112; Konferenz der sozialistischen Frauen von New York, … In: GL, 20/ 08/ 17.01.1910/ 127; Die sozialistische<br />
Frauenkonferenz in New York, … In: GL, 20/ 09/ 31.01.1910/ 143.<br />
546 Stern, Meta L[ilienthal]: Ein Pionier. In: GL, 22/ 12/ 04.03.1912/ 183-184 (Nachruf auf Alexander Jonas, einen<br />
us-amerikanischen Sozialisten deutscher Abstammung); William Mailly, ein sozialistischer Vorkämpfer. In: GL,<br />
23/ 02/ 16.10.1912/ 23-24.<br />
547 Stern, Meta L[ilienthal]: Eine riesige Demonstration für das Frauenstimmrecht. … In: GL, 23/ 06/ 11.12.1912/ 94-<br />
95 (in New York City hatte am 9. November 1912 ein Fackelzug anlässlich einer von der „Männerliga für<br />
Frauenstimmrecht“ organisierten Demonstration stattgef<strong>und</strong>en); Einführung des Frauenstimmrechts in vier<br />
weiteren Staaten der nordamerikanischen Union. In: GL, 23/ 06/ 11.12.1912/ 94-95; Nationaler Kongreß der<br />
amerikanischen Frauenrechtlerinnen. In: GL, 23/ 09/ 22.01.1913/ 143-144 (Stern berichtete darin vom 24. Jahreskongreß<br />
der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen vom 20.-25. November in Philadelphia. In einer Nachschrift<br />
kritisiert die „Gleichheit“-Redaktion – vermutlich Zetkin – eine Kooperation zwischen amerikanischen Sozialistinnen<br />
<strong>und</strong> bürgerlichen Frauenrechtlerinnen auf das Heftigste).<br />
548 Stern, Meta L[ilienthal]: Die Erwerbung des Bürgerrechts der Vereinigten Staaten durch eingewanderte Frauen …<br />
In: GL, 23/ 18/ 28.05.1913/ 287.<br />
549 Stern-Lilienthal, Meta: Der amerikanische Militarismus <strong>und</strong> die Frauen. In: GL, 26/ 16/ 28.04.1916/ 117-118.<br />
550 Adelheid Popp, geb. Dworschak, war Tochter eines Webers. 1876-1879 besuchte sie die Volksschule <strong>und</strong> arbeitete<br />
ab 1893 in einer Fabrik für Bronzeerzeugnisse, anschließend in einer Korkfabrik. Schon damals war Popp<br />
184
2.3.3 DIE „GLEICHHEIT“ ALS ORGAN DER SOZIALISTISCHEN FRAUENINTERNATIONALE UND IHRE INTERNATIONALEN KORRESPONDENTINNEN<br />
„Aus der Bewegung“ einen kurzen Kommentar zu einem österreichischen Frauentag. 551 Ein erster<br />
größerer Artikel trug den Titel „Die Wiener Arbeiterinnen im Wahlkampf“ 552 . Auch später<br />
behandelte Popp bevorzugt aktuelle Wahlkämpfe in Wien oder Österreich 553 oder berichtete über<br />
die bürgerliche Frauenbewegung ihres Landes 554 . In einer für Zetkin schwierigen Zeit, in der diese<br />
gegen die eigene Partei anschreiben musste, bewies Popp solidarisches Mitgefühl <strong>und</strong><br />
internationales Bewusstsein:<br />
„Inmitten der schweren Sorgen <strong>und</strong> Lasten des Tages haben wir nicht vergessen,<br />
was wir der Fraueninternationale 1910 gelobt haben: An einem Tage im Jahre für<br />
die politische Gleichberechtigung der Frauen unsere Stimme zu erheben.“ 555<br />
Popp stand demnach auf der prinzipientreuen Seite Zetkins. Deshalb war auch nach Kriegsende<br />
<strong>und</strong> Redaktionswechsel lange Zeit kein Artikel mehr von ihr zu finden. Erst wieder 1922 erschien<br />
von ihr ein Artikel, in welchem sie die Bedeutung der Genfer Konvention für den Wiederaufbau<br />
Österreichs thematisierte. 556<br />
Eine besondere Bedeutung für die proletarische Frauenbewegung aller deutschsprachigen Länder<br />
hatte die Veröffentlichung von Popps Jugenderinnerungen. Sie erschienen 1909 unter dem Titel<br />
„Die Jugendgeschichte einer Arbeiterin“ <strong>und</strong> wurden mehrfach in der „Gleichheit“ beworben oder<br />
rezensiert. 557 Nachdem einige Leserinnen an die „Gleichheit“-Redaktion die Anfrage gerichtet<br />
hatten, wo das Buch käuflich zu erwerben sei, musste Zetkin mitteilen, dass es aufgr<strong>und</strong> einer Ab-<br />
lehnung durch den Vorwärts-Verlag im bürgerlichen Verlag Ernst Reinhardt in München<br />
politisch aktiv. 1889 wurde sie Mitglied des Wiener Arbeiterinnen-Bildungsvereins <strong>und</strong> ab 1890 redete sie auf<br />
öffentlichen Versammlungen. 1893-1934 war Popp verantwortliche Redakteurin der Wiener „Arbeiterinnen-<br />
Zeitung“ (1892-1924) <strong>und</strong> gehörte seit 1893 außerdem zu den Gründerinnen verschiedener Lese- <strong>und</strong><br />
Bildungsvereine. 1894 heiratete sie den sozialdemokratischen Politiker Julius Popp (siehe: Julius Popp in Wien †.<br />
In: GL, 13/ 02/ 14.01.1903/ 16). 1898 wurde Popp Mitglied des sozialdemokratischen Frauenreichskomitees<br />
Österreichs, 1903 Mitglied des Parteivorstand der österreichischen Sozialdemokratie. 1918-1923 war sie Mitglied<br />
des Wiener Gemeinderates, 1919-1934 Abgeordnete des Nationalrates, in welchem sie besonders engagiert für<br />
Dienstbotenrechte wirkte. Nach dem Ersten Weltkrieg trat Popp für die Wiederbelebung der Sozialistischen<br />
Fraueninternationale ein. 1926 wurde sie Vertreterin der Frauen in der Exekutive der sozialistischen<br />
Arbeiterinternationale. 1933 schied Popp aus ges<strong>und</strong>heitlichen Gründen aus der aktiven Politik aus.<br />
551 [Popp, Adelheid] Dworschak, Frl.: Ohne Titel. In: GL, 02/ 11/ 01.06.1892/ 94.<br />
552 Popp, Adelheid: Die Wiener Arbeiterinnen im Wahlkampf. In: GL, 07/ 07/ 31.03.1897/ 53-54.<br />
553 Popp, Adelheid: Der Wahlrechtskampf in Wien. In: GL, 09/ 16/ 02.08.1899/ 124-126; Der Wahlrechtskampf in<br />
Österreich. In: GL, 16/ 21/ 17.10.1906/ 144-145 (Popp formulierte darin einen Vorwurf an Zetkin, die die<br />
Stimmrechtsbewegung in Österreich falsch beurteile; Zetkin gab in einer Nachschrift eine vorläufige Antwort zu<br />
diesem Vorwurf (vgl. ebd. S. 145) <strong>und</strong> ließ eine ausführliche Replik folgen: Zetkin, Klara: Frauenstimmrecht <strong>und</strong><br />
Wahlrechtskampf in Österreich. In: GL, 16/ 22/ 31.10.1906/ 151-153)<br />
554 Popp-Dworschak, Adelheid: Die christlichsoziale Frauenbewegung in Wien. In: GL, 08/ 05/ 02.03.1898/ 37-38.<br />
555 Popp, Adelheid: Gruß aus Oesterreich. In: GL, 26/ 13/ 17.03.1916/ 93.<br />
556 Popp, Adelheid: Die Bedeutung der Genfer Konvention für die Arbeiterinnen. In: GL, 32/ 24/ 15.12.1922/ 214-<br />
215.<br />
557 Die Jugendgeschichte einer Arbeiterin. In: GL, 19/ 15/ 26.04.1909/ 228-231.<br />
185
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
erscheinen müsse. 558 Zwei Nummern später musste die „Gleichheit“ diese Kritik berichtigen. Der<br />
Vorwärts-Verlag hatte eingewandt, dass er durchaus das Buch hätte veröffentlichen wollen. Es sei<br />
ihm aber kein Manuskript zur vorhergehenden Prüfung zugegangen. Des Weiteren konnte die<br />
„Gleichheit“ aber ergänzen, dass der Reinhardt-Verlag immerhin bereit sei, GenossInnen beim<br />
Kauf des Buches einen Rabatt zu gewähren. 559<br />
Eine weitere für die „Gleichheit“ arbeitende Sozialistin von internationalem Ruf war die Russin<br />
Alexandra Kollontay (1872-1952) 560 . Erstmals findet sich ihr Name in der „Gleichheit“<br />
anlässlich einer Wahlrechtsdemonstration in London am 26. April 1909. 561 Auch Zetkin hatte an<br />
dieser zeitgleich mit dem bürgerlichen Internationalen Frauenstimmrechtskongress stattfindenden<br />
Veranstaltung teilgenommen. Bereits im folgenden Jahr erschien in der „Gleichheit“ ein mehr-<br />
teiliger Artikel Kollontays zur wirtschaftlichen Lage der Arbeiterinnen in Russland. 562 Im<br />
Weiteren waren es vornehmlich Berichte zu Maifeiern <strong>und</strong> zum internationalen Frauentag, die die<br />
„Gleichheit“ aus Russland erreichten <strong>und</strong> in denen Kollontay die Unterdrückung der Arbeiter-<br />
bewegung im Zarenreich beschrieb. 563 Kollontay kritisierte 1912 das gerichtliche Vorgehen gegen<br />
sozialdemokratische Duma-Abgeordnete 564 , berichtete in demselben Jahr über die Frauenstimm-<br />
558 Vgl. Zur Antwort. In: GL, 19/ 17/ 24.05.1909/ 272.<br />
559 Vgl. „Die Jugendgeschichte einer Arbeiterin“ … In: GL, 19/ 19/ 21.07.1909/ 304.<br />
560 Alexandra Kollontay (die heute gängigere Schreibweise ist Kollontai), geb. Domontowitsch, entstammte einer<br />
adeligen Familie. Der Privatunterricht, den sie erhielt, umfasste vor allem Sprachkenntnisse – diese sollten ihr für<br />
ihre diplomatische Karriere sehr hilfreich sein.1893 heiratete sie „unter Stand“ den Ingenieur Wladimir Kollontay<br />
<strong>und</strong> gebar einen Sohn. Nach fünf Jahren verließ sie ihren Ehemann <strong>und</strong> nahm in Zürich ein Studium auf. Sie<br />
arbeitete vor allem zu den Themen der Arbeiterinnen, des Mutterschutzes, der Sexualmoral <strong>und</strong> Prostitution. Sie<br />
trat auf verschiedenen internationalen Konferenzen als Rednerin auf. Den Beginn des Ersten Weltkriegs erlebt sie<br />
in Deutschland, <strong>und</strong> reiste dann nach Norwegen. Zu Beginn eine Gegnerin, wurde sie schließlich eine Anhängerin<br />
Lenins <strong>und</strong> begab sich auf eine Agitationsreise durch die USA. 1917 kehrte Kollontay in ihre Heimatstadt St.<br />
Petersburg zurück, wo sie verhaftet, nach einem Putsch der Bolschewisten jedoch wieder frei gelassen wurde. Sie<br />
erhielt einen Sitz im Zentralkomitee <strong>und</strong> wurde Volkskommissarin für Soziales. 1918 ging sie mit dem<br />
Marinekommissar Pawel Dybenko eine Zivilehe ein, die sie 1922 wieder lösten. In diesem Jahr ging Kollontay als<br />
Leiterin der sowjetischen Handelsvertretung nach Oslo, wo sie schließlich auch als politische Vertreterin der<br />
UdSSR eingesetzt wurde. Nach einer kurzen Versetzung nach Mexiko (1926-27), kehrte sie nach Oslo zurück <strong>und</strong><br />
wurde schließlich Gesandte in Schweden. 1942 erlitt sie einen Schlaganfall, dessen Folgen in Form von<br />
Lähmungserscheinungen sie zunehmend beeinträchtigten. 1945 ging Kollontay, mit verschiedenen internationalen<br />
Ehrungen gewürdigt, in den Ruhestand nach Moskau. U. a. verfasste sie die Werke „Soziale Gr<strong>und</strong>lagen der<br />
Frauenfrage“ (1909) <strong>und</strong> „Gesellschaft <strong>und</strong> Mutterschaft“ (1913).<br />
561 Ein Demonstrationsmeeting für das Wahlrecht aller Großjährigen ohne Unterschied des Geschlechts … In: GL,<br />
19/ 17/ 24.05.1909/ 269-270.<br />
562 Kollontay, Alexandra: Die ökonomische Lage der russischen Arbeiterinnen [I-III]. In: GL, 20/ 24/ 29.08.1910/<br />
371-372 bis GL, 20/ 26/ 26.09.1910/ 402-403.<br />
563 Kollontay, Alexandra: Der erste Mai im Zarenreich. In: GL, 21/ 15/ 24.04.1911/ 228-229; Der<br />
sozialdemokratische Frauentag. In Rußland. In: GL, 23/ 14/ 02.04.1913/ 215-216; Auch Rußland wird einen<br />
Frauentag haben. In: GL, 24/ 12/ 04.03.1914/ 180-181; Die Bedeutung des sozialdemokratischen Frauentags in<br />
Rußland. In: GL, 24/ 16/ 29.04.1914/ 247-248.<br />
564 Für Opfer der Klassenjustiz im Zarenreich … In: GL, 22/ 13/ 18.03.1912/ 194-195.<br />
186
2.3.3 DIE „GLEICHHEIT“ ALS ORGAN DER SOZIALISTISCHEN FRAUENINTERNATIONALE UND IHRE INTERNATIONALEN KORRESPONDENTINNEN<br />
rechtsfrage in Schweden 565 <strong>und</strong> gab 1914 einen aktuellen Überblick über die in Russland exis-<br />
tierenden Blätter für Arbeiterinnen 566 . In jenem Jahr wurde Kollontay selbst zum Gegenstand der<br />
„Gleichheit“-Berichterstattung. Im Dezember 1914 wurde sie aus Schweden ausgewiesen, weil sie<br />
gegen den Krieg agitiert hatte. 567 Auch Kollontays Mitarbeit endete mit dem Redaktionswechsel.<br />
In ihrem Bericht zur zweiten Konferenz der Kommunistischen Fraueninternationale, die am 15.<br />
Juni 1921 in Moskau tagte, erwähnte Radtke-Warmuth jedoch die Wahl Kollontays zur Sekretärin<br />
der Kommunistischen Fraueninternationale. 568<br />
Die an dieser Stelle hervorgehobenen Frauen sind nicht die einzigen, die von Zetkin motiviert<br />
wurden, aus der sozialistischen Frauenbewegung ihres Landes zu berichten, jedoch ist deren<br />
Tätigkeit von einer auffälligen Kontinuität. Ihre oft mit dem Kürzel „I.K.“ – vermutlich für „Inter-<br />
nationale Korrespondenz“ – versehenen Artikel stehen für den Anspruch der „Gleichheit“, das<br />
Organ der Sozialistischen Fraueninternationale zu sein. Es ist eine im Februar 1910 heraus-<br />
gegebene sehr spezielle Nummer der „Gleichheit“, die einerseits eben diesen Anspruch <strong>und</strong><br />
andererseits die große Bedeutung Bebels für die Frauenbewegung der ganzen Welt veran-<br />
schaulicht. Diese Nummer erschien anlässlich Bebels 70. Geburtstag <strong>und</strong> enthält Glückwünsche<br />
<strong>und</strong> Danksagungen, die in ihrem pathetischen Ausdruck die Bedeutung seines Wirkens, besonders<br />
die Bedeutung seines Werkes „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“ hervorheben. Es sind darin Beiträge<br />
namhafter <strong>und</strong> bereits vorgestellter „Gleichheit“-Mitarbeiterinnen wie Zetkin 569 , Luxemburg 570 ,<br />
Zietz, Baader, Kähler, 571 Wurm 572 , Popp 573 <strong>und</strong> Kollontay 574 enthalten. „<strong>Von</strong> jenseits des Ozeans“<br />
aus den USA schrieben sowohl das nationale Komitee der „Socialist Party“ 575 als auch Stern 576<br />
565 Kollontay, Alexandra: Die Frauenstimmrechtsfrage in Schweden. In: GL, 22/ 21/ 10.07.1912/ 324-326.<br />
566 Kollontay, Alexandra: Arbeiterinnenblätter in Rußland. In: GL, 24/ 19/ 10.06.1914/ 303-304.<br />
567 Die Ausweisung unserer russischen Genossin Kollontay aus Schweden … In: GL, 25/ 06/ 11.12.1914/ 32.<br />
568 Vgl. [Radtke-Warmuth, Elli?] E. R.: Internationale kommunistische Frauenkonferenz in Moskau. In: GL, 31/ 11/<br />
01.06.1921/ 106.<br />
569 Zetkin, Klara: August Bebel. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 145-146.<br />
570 Luxemburg, Rosa: Der politische Führer der deutschen Arbeiterklasse. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 146-149.<br />
571 Zietz, Luise/ Baader, Ottilie/ Kähler, Wilhelmine: Was Bebel den Proletarierinnen gab. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/<br />
150-151.<br />
572 Wurm, Mathilde: Bebels Einfluß auf die bürgerliche Frau. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 151-152.<br />
573 Popp, Adelheid: Oesterreichs Proletarierinnen zu Bebels Geburtstag. In: GL 20/ 10/ 14.02.1910/ 153-154.<br />
574 Kollontay, Alexandra: Das ist auch unser Festtag. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 155.<br />
575 Nationales Frauenkomitee der „Socialist Party“ USA: <strong>Von</strong> jenseits des Ozeans. In: GL 20/ 10/ 14.02.1910/ 157.<br />
576 Stern, Meta L[ilienthal]/ u. a.: <strong>Von</strong> jenseits des Ozeans. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 157.<br />
187
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
einen Beitrag. Bebel wurden außerdem durch Helene Grünberg (1874-1928) 577 Glückwünsche<br />
der deutschen Gewerkschaften vermittelt 578 <strong>und</strong> Luise Kautsky war es wichtig, den „Gleichheit“-<br />
Leserinnen Persönliches aus dem Leben Bebels mitzuteilen 579 . Aus Italien schrieb Anna<br />
Kulischoff (1857-1925) 580 , im Auftrag des Sozialdemokratischen Frauenvereins Kopenhagen Eli-<br />
sabeth Jörgensen (?-?) 581 <strong>und</strong> als schweizerische Arbeiterinnensekretärin Marie Walter (1872-<br />
1949) 582 . Hilja Pärssinen (1876-1935) 583 vertrat mit ihrem Gruß die sozialdemokratischen Frauen<br />
Finnlands <strong>und</strong> Dora Montefiore (1851-1933) 584 die sozialistischen Frauen Englands. Auch der<br />
577 Helene Grünberg war Tochter eines Berliner Gastwirts <strong>und</strong> absolvierte nach der Volksschule eine Ausbildung zur<br />
Schneiderin. Im Alter von 22 Jahren trat sie dem „Verband der Schneider <strong>und</strong> Schneiderinnen“ bei <strong>und</strong> wurde<br />
schließlich sogar Vorstandsmitglied. 1905 wurde sie in Nürnberg die erste hauptamtliche Arbeiterinnensekretärin<br />
Deutschlands. 1906 gründete sie den „Verein der Nürnberger Dienstmädchen, Waschfrauen <strong>und</strong> Putzfrauen“ <strong>und</strong><br />
war eine wichtige Initiatorin der Dienstbotenbewegung. Außerdem war sie sehr in der Jugendbewegung aktiv.<br />
1907 nahm sie an der Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale <strong>und</strong> 1908-1922 regelmäßig an den SPD-<br />
Parteitagen teil. 1919 wurde Grünberg für die SPD Mitglied der Nationalversammlung <strong>und</strong> 1920 bekam sie ein<br />
Mandat als Reichstagsabgeordnete. Seit 1923/24 litt sie jedoch zunehmend an einem Nervenleiden <strong>und</strong> an<br />
Depressionen. 1928 nahm sie sich das Leben.<br />
578 Grünberg, Helene: Bebel als Mitbegründer <strong>und</strong> Förderer der freien Gewerkschaften. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/<br />
149-150.<br />
579 Kautsky, Luise: Persönliches über Bebel. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 152-153.<br />
580 Kulischoff, Anna: Grüße aus Italien. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 155-156.<br />
581 Jörgensen, Elisabeth: Herzlicher Glückwunsch aus Dänemark. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 156. Die<br />
herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu Elisabeth<br />
Jörgensen.<br />
582 Walter, Marie: Dem Kampfeshelden der arbeitenden Frauen, unserem Bebel, ein Huldigungsgruß von den<br />
Schweizer Genossinnen. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 156.<br />
Marie Walter-Hüni hatte 1909-1917 das Amt der Präsidentin des schweizerischen Arbeiterinnenverbandes inne,<br />
nachdem sie Margarethe Faas-Hardegger (1882-1963) 1909 als Arbeiterinnensekretärin des Schweizerischen Gewerkschaftsb<strong>und</strong>es<br />
nachgefolgt war. Ihr folgte Rosa Bloch(-Bollag) (1880-1922).<br />
583<br />
Pärssinen, Hilja: Die sozialdemokratischen Frauen Finnlands dem verehrten Vorkämpfer August Bebel. In: GL,<br />
20/ 10/ 14.02.1910/ 156-157.<br />
Hilja Pärssinen, geb. Lindgren, war Tochter eines Pfarrers <strong>und</strong> wandte sich nach einer Lehrerinnenausbildung der<br />
Arbeiterbewegung Finnlands zu. Sie war maßgeblich am Kampf für das 1906 gewährte Frauenwahlrecht beteiligt<br />
<strong>und</strong> engagierte sich außerdem in der Abstinenzbewegung <strong>und</strong> für alleinerziehende Mütter. 1907 war sie als<br />
Delegierte auf der Gründungskonferenz der Sozialistischen Fraueninternationale in Stuttgart anwesend. 1907-<br />
1914, 1917 <strong>und</strong> 1929-1935 war sie sozialdemokratische Abgeordnete im finnischen Parlament. Nach dem<br />
Bürgerkrieg 1918, einer Flucht nach Russland <strong>und</strong> der Rückkehr nach Finnland, wurden Pärssinen <strong>und</strong> ihr<br />
Ehemann inhaftiert. 1923 wurde sie begnadigt. Pärssinen, die mehrere Gedichtbände verfasste, erlag einer<br />
Brustkrebserkrankung <strong>und</strong> hatte sich ein Jahr vor ihrem Tod von ihrem Ehemann scheiden lassen. Die kurz<br />
gefasste Übersetzung aus der leider nur auf finnisch veröffentlichten biographischen Literatur verdanke ich Pirkko<br />
Isohanni (Kassel).<br />
584 Montefiore, Dora M.: Der sozialistischen Frauen Englands Gruß an August Bebel. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/<br />
188<br />
154-155.<br />
Dora Montefiore, geb. Dorothy Frances Fuller, war Britin <strong>und</strong> lernte in den 1870er Jahren den australischen<br />
Händler George Barrow Montefiore kennen. Sie heiratete ihn <strong>und</strong> brachte zwei Kinder zur Welt. 1889 verscholl<br />
ihr Ehemann auf See <strong>und</strong> Montefiore musste ihre Rechtlosigkeit als Mutter ihrer Kinder erkennen. Daraufhin<br />
engagierte sich Montefiore in der Frauenbewegung New South Wales‘ <strong>und</strong> wurde Sozialistin. 1911 übernahm sie<br />
die Redaktion der „International Socialist Review of Australasia“ (1907-1920). Sie engagierte sich in der Social<br />
Democratic Federation, Social Democratic Party, British Socialist Party <strong>und</strong> in der „Women’s Social and Political<br />
Union“. Sie war Delegierte auf verschiedenen internationalen Kongressen. Während des Ersten Weltkrieges wurde<br />
Montefiore Mitglied der Kommunistischen Partei Großbritanniens <strong>und</strong> 1920 in deren Exekutive gewählt. 1923
2.3.3 DIE „GLEICHHEIT“ ALS ORGAN DER SOZIALISTISCHEN FRAUENINTERNATIONALE UND IHRE INTERNATIONALEN KORRESPONDENTINNEN<br />
Vorstand des Verbandes des sozialdemokratischen Frauenklubs der Niederlande 585 ließ es sich<br />
nicht nehmen, dem Jubilar zu gratulieren. Mit dieser Nummer schuf Zetkin ein besonderes Abbild<br />
sozialistischer Frauensolidarität <strong>und</strong> als Redakteurin der „Gleichheit“ war sie selbst der Mittel-<br />
punkt dieses internationalen Zusammenhalts.<br />
Tatsächlich war Zetkin nicht die einzige Sozialistin, die während des Krieges mutig an dem<br />
Prinzip der internationalen Solidarität festhielt. Auch die österreichischen Sozialistinnen blieben<br />
prinzipientreu <strong>und</strong> führten sogar im Kriegsjahr 1917 einen Internationalen Frauentag durch. Auch<br />
wenn dieser von seinem ursprünglichen Termin am 25. März auf den 15. April verschoben werden<br />
musste, schrieb Zetkin doch voll des Lobes für die Standfestigkeit der Österreicherinnen, wobei<br />
die Resignation über die Haltung der deutschen Genossinnen zwischen den Zeilen durchaus<br />
erkennbar wird:<br />
„Bis jetzt ist Österreich das einzige kriegführende Land, dessen Genossinnen sich<br />
rühmen dürfen, auch im dritten Jahre des greuelvollen Völkerringens einen Frauentag<br />
zu begehen, der den gemeinsamen Forderungen der Sozialistinnen aller Länder,<br />
der internationalen Solidarität der Proletarierinnen Ausdruck verleiht. Die sozialdemokratischen<br />
Frauen Deutschlands gehen in unserer Fraueninternationale nicht<br />
mehr führend voran. Möchten sie wenigstens nachfolgen.“ 586<br />
Auch diese Hoffnung Zetkins wurde zumindest von den Sozialdemokratinnen enttäuscht. Nach<br />
Kriegsende begann die „neue“ „Gleichheit“ nur zaghaft damit, sich jener gr<strong>und</strong>sätzlichen inter-<br />
nationalen Solidarität wieder zu erinnern. Es fiel ihr umso schwerer, da sie den Versailler Vertrag<br />
<strong>und</strong> die Antwort auf die Schuldfrage als eine schwere Belastung jeder Völkerverständigung inter-<br />
pretierte. 587 Die Berichte internationaler Korrespondentinnen blieben selten, die Sozialistische<br />
Fraueninternationale hatte ihr Organ verloren.<br />
kehrte sie nach Australien zurück <strong>und</strong> war 1924 Repräsentantin der Kommunistischen Partei Australiens auf dem<br />
5. Weltkongress der KomIntern in Moskau. 1927 erschien ihre Autobiographie „From a Victorian to a Modern“.<br />
585 Vorstand des Verbandes des sozialdem. Frauenklubs der Niederlande: Dankbarer Gruß der sozialdemokratischen<br />
Frauen der Niederlande zu Bebels 70. Geburtstag. In: GL, 20/ 10/ 14.02.1910/ 156.<br />
586 Der Frauentag der österreichen Genossinnen … In: GL, 27/ 12/ 16.03.1917/ 84.<br />
587 Der neue Geist. In: GL, 29/ 18/ 06.06.1919/ 137-138.<br />
189
2.4 In Fraktur <strong>und</strong> Quartformat<br />
– Preis, Umfang, Erscheinungsweise, Erscheinungsbild, Verlag, Struktur <strong>und</strong><br />
Inhalte der „Gleichheit“<br />
2.4.1 Erscheinungsweise, Seitenumfang <strong>und</strong> Preis<br />
Während der 32 Jahre ihres Erscheinens erlebte die „Gleichheit“ zahlreiche Veränderungen. 588<br />
Einige davon waren krisenbedingte Notwendigkeiten, andere Ausdruck ihres sich im Wandel<br />
befindlichen Selbstverständnisses. Preis, Seitenumfang <strong>und</strong> Erscheinungsweise änderten sich,<br />
Rubriken kamen hinzu oder verschwanden. Kann der folgende Überblick über diese Ver-<br />
änderungen <strong>und</strong> die jeweils neuen Strukturen der „Gleichheit“ auch nicht vollständig sein, so<br />
vergegenwärtigt er doch die Probleme <strong>und</strong> Problemlösungen der jeweiligen verantwortlichen<br />
RedakteurInnen <strong>und</strong> Verleger. 589<br />
Da die „Gleichheit“ sich nicht nur im übertragenen Sinne als Nachfolgerin der „Arbeiterin“<br />
verstand, erachtete sie deren ersten <strong>und</strong> einzigen Jahrgang als ihren eigenen. 590 Dieses<br />
traditionelle Selbstverständnis hinderte die neue Redaktion jedoch nicht, einige bedeutungs-<br />
volle Neuerungen vorzunehmen. Erschien die Probenummer der „Gleichheit“ entsprechend der<br />
Tradition der „Arbeiterin“ noch an einem Samstag, so kam ihre erste reguläre Nummer ganz<br />
pragmatisch am 1. Januar des Jahres 1893 heraus, an einem Montag. 591 Ab Nummer 6 war es<br />
bis auf wenige Ausnahmen schließlich stets ein Mittwoch, an dem die „Gleichheit“ druckfrisch<br />
in die Hände ihrer Leserinnen gelangte. 592<br />
Im Gegensatz zur „Arbeiterin“ war die „Gleichheit“ keine wöchentlich, sondern eine vierzehn-<br />
täglich erscheinende Zeitschrift – eine so genannte „Halbmonatsschrift“. Lediglich für den<br />
Zeitraum von Juli 1919 bis Ende 1920 versuchte die neue Redaktion durch ein wöchentliches<br />
588 Kinnebrocks kommunikationswissenschaftlicher Artikel kann zwar wegen des geringen Umfangs eines<br />
Artikels nicht auf die späteren strukturellen Veränderungen der „Gleichheit“ eingehen, ist aber trotzdem eine<br />
der seltenen Arbeiten, die über die Struktur, das Layout <strong>und</strong> den Preis der „Gleichheit“ informiert (vgl.<br />
Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 142). Andere Arbeiten – vor allem jene, die sich auf die Zeit<br />
vor 1917 beschränken – machen nur knappe Angaben zur Struktur der „Gleichheit“.<br />
589 Erst ein Gesamtregister bzw. eine digitale Überarbeitung wird die „Gleichheit“ als eine wertvolle historische<br />
Quelle der Geschichts- <strong>und</strong> Kommunikationswissenschaft erschließen.<br />
590 Bauer gibt in ihrer Zetkin-Biographie an, dass der Jahrgang der „Arbeiterin“ nicht mehr erhalten <strong>und</strong> der erste<br />
Jahrgang der „Gleichheit“ ihr in einer Leipziger Bibliothek nicht einsehbar gewesen sei (vgl. Bauer, Clara<br />
Zetkin, S. 185 Anm. 2). Ich vermute, dass Bauer nicht bekannt war, dass die „Gleichheit“ die Jahrgangszählung<br />
der „Arbeiterin“ weiterführte <strong>und</strong> somit keinen eigenen ersten Jahrgang besitzt.<br />
591 Vgl. GL, 02/ Probenummer/ 28.12.1891; GL, 02/ 01/ 11.01.1892/ 1.<br />
592 Vgl. GL, 02/ 06/ 23.03.1892/ 49. Diese Angabe ist bis zu einer 1905 vorgenommenen Umgestaltung des<br />
Layouts dem Titelkopf zu entnehmen, danach fiel die Angabe des Wochentags gänzlich weg (vgl. GL, 15/ 01/<br />
11.01.1905/ 1).<br />
191
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Erscheinen die Aktualität <strong>und</strong> damit die Attraktivität der „Gleichheit“ zu steigern. 593 Aber aus<br />
finanziellen Gründen konnte sie diese Erscheinungsweise nicht beibehalten.<br />
Die erste Nummer eines „Gleichheit“-Jahrgangs erschien jeweils im Januar. „Technische Ver-<br />
änderungen“ 594 machten es jedoch 1908 erforderlich, den 18. Jahrgang vorzeitig zu schließen.<br />
Welcher Art diese technischen Veränderungen waren, die es erforderlich machten, die erste<br />
Nummer des 19. Jahrgangs nun bereits am 12. Oktober 1908 herauszugeben, wurde nicht<br />
erläutert. 595 Sie wurden von Veränderungen in Spaltenlayout <strong>und</strong> Seitenumfang begleitet, die es<br />
ermöglichen sollten, dem Hauptblatt die beiden 1905 eingeführten Beilagen nun nicht mehr nur<br />
im Wechsel, sondern gemeinsam beizulegen. Zwar gedachte die Redaktion, damit „dringenden<br />
Wünschen“ 596 der Leserinnen nachzukommen, aber „[e]s versteht sich von selbst“, so Redaktion<br />
<strong>und</strong> Verlag,<br />
„daß die ‘Gleichheit’ in der neuen Gestalt in betreff ihres Charakters, des Zieles,<br />
das sie verfolgt, die alte bleibt, daß sie aber danach trachten wird, unter den gewandelten<br />
äußeren Bedingungen immer Besseres zu leisten“ 597 .<br />
Es scheint, dass die „Gleichheit“ offen geäußerten Bedürfnissen ihrer Leserinnen Rechnung<br />
tragen wollte, ohne den Eindruck zu erwecken, der Popularität nun doch größere Bedeutung bei-<br />
zumessen.<br />
Wie die „Arbeiterin“ erschien auch die „Gleichheit“ im Quartformat 598 . Jedoch betrug ihr Seiten-<br />
umfang von Beginn an nicht vier, sondern acht Seiten. Im Zuge der Einführung der beiden<br />
Beilagen im Januar 1905 wechselte die „Gleichheit“ jedoch nicht nur zu einem dreispaltigen Lay-<br />
out, ihr Hauptblatt fasste nun außerdem meist nur noch sechs Seiten. 599 1907 waren es in der<br />
Regel wieder acht Seiten, 1908 aber teilweise sogar zehn oder zwölf Seiten <strong>und</strong> schließlich wurde<br />
im Rahmen jener im Oktober 1908 vorgenommenen „technischen“ Umstellung der Umfang auf<br />
16 Seiten verdoppelt. Auch an der Seitenzahl der „Gleichheit“ lassen sich die Auswirkungen des<br />
Ersten Weltkriegs auf die SPD-Presse aufzeigen. Bereits die dritte „Kriegsnummer“ umfasste nur<br />
593 Vgl. GL, 29/ 20/ 05.07.1919/ 153 <strong>und</strong> GL, 31/ 01/ 01.01.1921/ 1.<br />
594 Redaktion <strong>und</strong> Verlag: Zur Beachtung! In: GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 181.<br />
595 Vgl. GL, 19/ 01/ 12.10.1908/ 1. Ab dem 30. Jahrgang (1920) – unter der neuen Redaktion – erschien die erste<br />
Nummer eines „Gleichheit“-Jahrgangs wieder im Januar. Für diese Umstellung musste der 29. Jahrgang früher<br />
geschlossen werden <strong>und</strong> umfasste deshalb nur 46 statt der während ihres wöchentlichen Erscheinens üblichen 52<br />
Nummern.<br />
596 Redaktion <strong>und</strong> Verlag: Zur Beachtung! In: GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 181.<br />
597 Ebd.<br />
598 Das Quartformat (°4) steht für ein Format von 4 Blättern bzw. 8 Seiten <strong>und</strong> eine Buchrückenhöhe von 30-35 cm.<br />
Die in der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung vorhandenen Originale der „Gleichheit“ haben die<br />
Maße 32 cm Höhe x 23,5 cm Breite.<br />
599 Vgl. GL, 15/ 01/ 11.01.1905/ 1-6. Ausnahme war z. B eine „Märznummer“, die zehn Seiten umfasste (vgl. GL,<br />
192<br />
16/ 06/ 21.03.1906/ 31-40).
2.4.1 ERSCHEINUNGSWEISE, SEITENUMFANG UND PREIS<br />
noch vier Seiten 600 <strong>und</strong> im Oktober 1914 erschien erstmals eine erste Nummer der „Gleichheit“<br />
ohne obligatorische „Einladung zum Abonnement“. Was die Leserin auf der letzten Seite dieser<br />
Nummer fand, war nur folgende nüchterne Information:<br />
„Mit dieser Nummer beginnt der 25. Jahrgang der Gleichheit. Probenummern<br />
stehen zur Verfügung. Wir ersuchen um umgehende Bestellung. Expedition der<br />
Gleichheit, Stuttgart, Furtbachstraße 12.“ 601<br />
Die von Zetkin ansonsten eher kämpferisch gehaltene „Einladung zum Abonnement“ dürfte<br />
entweder der Zensur oder der Papierknappheit zum Opfer gefallen sein. Beides wiederum war<br />
auch verantwortlich dafür, dass der Seitenumfang der „Gleichheit“ in dieser Zeit sehr unregel-<br />
mäßig entweder vier, sechs oder acht Seiten betrug. Die Zensur behinderte zudem die<br />
„Gleichheit“-Redaktion so stark, dass größere zeitliche Unregelmäßigkeiten auftraten, die es u. a.<br />
erforderlich machten, den 25. Jahrgang mit 27 statt 26 Nummern abzuschließen. Auch die<br />
Tatsache, dass nach dem Redaktionswechsel betreffs des achtseitigen Umfangs <strong>und</strong> des Er-<br />
scheinungszeitpunktes der „Gleichheit“ wieder eine gewisse Regelmäßigkeit einkehrte, spricht für<br />
deren Angepasstheit.<br />
Doppelter Seitenumfang, halbierte Erscheinungsweise, selber Preis. Genauso wie ihre Vorgänge-<br />
rin kostete die „Gleichheit“ zehn Pfennig. 602 Dieser Preis wurde unglaubliche 27 Jahre beibehalten<br />
– unbeeinflusst von der Einführung der Beilagen oder der Rohstoffknappheit während des<br />
Krieges. Im Abonnement jedoch war die „Gleichheit“ auffällig günstiger als die „Arbeiterin“: Ein<br />
Postabonnement betrug vierteljährlich 55 Pfennig (statt einer Mark), im Kreuzband 85 Pfennig<br />
(statt 1,40 Mark). Diese günstigen Konditionen trugen dazu bei, die „Gleichheit“ als Obligatorium<br />
für Frauenorganisationen interessant zu machen <strong>und</strong> Leserinnen dauerhaft zu binden. 603<br />
600 Vgl. GL, 24/ 24/ 28.08.1914/ 369-372. Auch die nächste Nummer umfasste nur vier Seiten.<br />
601 GL, 25/ 01/ 02.10.1914/ 8.<br />
602 Mit 10 Pfennig pro Nummer waren die „Arbeiterin“ <strong>und</strong> die „Gleichheit“ für damalige Verhältnisse relativ günstig<br />
(vgl. auch Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 142). 1903 veröffentlichte die „Gleichheit“ die von<br />
einer Berliner Arbeiterfrau verfasste Aufstellung über Einnahmen (1.666,56 Mark/Jahr) <strong>und</strong> Ausgaben (1575,56<br />
Mark/Jahr) ihrer Familie. Diese weist u. a. jährliche Ausgabeposten wie Zeitungen (darunter die „Modenwelt“<br />
(1865/66-1942[?])) (13,20 Mark) <strong>und</strong> Bier, Tabak, Versammlungsbesuch (123,84 Mark) auf. Ein Brot kostete laut<br />
dieser Aufstellung 50 Pfennig, ½ Pf<strong>und</strong> Fleisch 35 Pfennig, ½ Pf<strong>und</strong> Butter 60 Pfennig <strong>und</strong> 10 Pf<strong>und</strong> Kartoffeln<br />
19 Pfennig (vgl. Jeetze, M.: Einnahmen <strong>und</strong> Ausgaben einer Berliner Arbeiterfamilie. In: GL, 13/ 20/ 28.09.1903/<br />
157-158).<br />
603 Jedoch kam es bereits vor dem Ersten Weltkrieg <strong>und</strong> den Auseinandersetzungen in der SPD zu Kündigungen des<br />
obligatorischen Abonnements durch viele gewerkschaftliche Verbände. So heisst es in einem Bericht des Parteivorstandes<br />
1909, dass die Propaganda für die „Gleichheit“ sehr erfolgreich gewesen sei, „[t]rotzdem die Schneider<br />
die ‘Gleichheit’ für ihre <strong>weiblichen</strong> Mitglieder abbestellten <strong>und</strong> dafür das ‘Fachblatt’ ausgestalteten, die Hausangestellten<br />
sich ein eigenes Organ schufen, <strong>und</strong> trotz der schweren Krise, die mit bleiernem Druck auf der<br />
gesamten Arbeiterschaft lastete“ (Bericht des Parteivorstand im Protokoll des SPD-Parteitages Leipzig 1909,<br />
S. 23).<br />
193
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
So stieg die Abonnentinnenzahl bis zum Ersten Weltkrieg stetig an <strong>und</strong> sogar während der Stag-<br />
nationsphase zwischen März <strong>und</strong> Juli 1914 hatte die „Gleichheit“ 13.000 von insgesamt 23.000<br />
neuen Abonnements auf die Parteipresse vorzuweisen. Doch dann hatte auch die „Gleichheit“, wie<br />
jede andere der 91 Tageszeitungen <strong>und</strong> 65 Parteidruckereien, über die die SPD zu diesem<br />
Zeitpunkt verfügte, mit immer größer werdenden Problemen zu kämpfen. Nicht nur, dass die SPD<br />
bereits in den ersten Kriegsjahren 63 Prozent ihrer Mitglieder <strong>und</strong> damit ihre Presse auch eine<br />
große Zahl ihrer Leser verloren hatte. Auch gestaltete sich die praktische Pressearbeit immer<br />
schwieriger, weil viele der männlichen Pressemitarbeiter zur Front einberufen <strong>und</strong> Artikel fast so<br />
knapp wie Treibstoff <strong>und</strong> Papier wurden. Benzinsperre, Beschlagnahmung von Lastwagen <strong>und</strong><br />
Gummireifen, Preisexplosion bei Rohstoffen wie Papier <strong>und</strong> Druckerschwärze, Kosten für die<br />
Gratisexemplare, die für die Agitation in Lazaretten <strong>und</strong> an der Front verwendet wurden, <strong>und</strong><br />
sinkende Einnahmen bei der Werbung 604 betrafen alle Parteiblätter gleichermaßen. Doch diese<br />
Zusammenhänge ignorierte der SPD-Parteivorstand geflissentlich, als er den „Gleichheit“- Abon-<br />
nementverlust der letzten Jahre zum Vorwand nahm, um Zetkin zu entlassen.<br />
Der günstige Preis der „Gleichheit“ konnte von der neuen Redaktion nicht gehalten werden.<br />
Kostete die „Gleichheit“-Einzelnummer im Oktober 1918 15 Pfennig, das Abonnement 95 Pfen-<br />
nig, im Kreuzband 1,45 Mark, so markierte knapp ein Jahr später die Nummer des 5. Juli 1919<br />
eine auffällige Wende: Nicht nur, dass sich mit einer Verdopplung der Erscheinungsweise auch der<br />
Einzelnummerpreis verdoppelte, bedingt durch die beigefügten Beilagen vervielfachten sich auch<br />
die Abonnementpreise. 605 Obwohl ab Januar 1921 die „Gleichheit“ wieder nur vierzehntäglich er-<br />
schien, wurde die Preiserhöhung dennoch nur im Abonnement wieder etwas zurückgenommen. 606<br />
Schließlich war es zudem die allgemeine Inflation, die ab Oktober 1922 den Preis der „Gleich-<br />
heit“ rasant ansteigen ließ. Im November 1922 kostete eine Einzelnummer sechs Mark, im<br />
Abonnement 24 Mark. 607 <strong>Von</strong> nun an verdoppelte sich der Einzelpreis der „Gleichheit“ fast im<br />
monatlichen Rhythmus, bis er am 1. September 1923 mit Nummer 17 des 33. Jahrgangs seinen<br />
endgültigen Höhepunkt erreichte: 40.000 Mark. Ein endgültiger Höhepunkt deshalb, weil dies der<br />
Preis der letzten nachweisbaren „Gleichheit“-Nummer war. Es ist merkwürdig, dass in dieser<br />
letzten vorhandenen Ausgabe keinerlei Hinweis auf das Ende der „Gleichheit“ gegeben wurde.<br />
Bezeichnend für das baldige Ende ist es aber, dass alle Postabonnentinnen aufgefordert wurden,<br />
604 Vgl. Koszyk, Zwischen Kaiserreich <strong>und</strong> Diktatur, S. 32.<br />
605 Vgl. GL, 29/ 20/ 05.07.1919/ 153. Siehe: Tabelle 8 „Preisentwicklung der ‘Gleichheit’“.<br />
606 Vgl. GL, 31/ 01/ 01.01.1921/ 1.<br />
607 Der Abonnementpreis wurde später nicht mehr im Titelblatt der „Gleichheit“ angegeben. Ob damit auch der<br />
Verkauf im Abonnement nicht mehr stattfand, konnte nicht geklärt werden.<br />
194
2.4.1 ERSCHEINUNGSWEISE, SEITENUMFANG UND PREIS<br />
zusätzlich zu den von ihnen gezahlten Geldern das Doppelte nachzuzahlen. 608 Es seien die zu-<br />
nehmenden wirtschaftlichen Notstände, „die Teuerung für Papier <strong>und</strong> Druckkosten, Fahrgelder<br />
<strong>und</strong> ähnliches“ 609 , aber auch die finanzielle Situation in den Arbeiterfamilien, die jede Form der<br />
schriftlichen Agitation immens erschwert habe. Deshalb konstatierte Juchacz bereits im Mai 1923,<br />
dass „nur das gesprochene Wort […] noch umsonst“ 610 sei <strong>und</strong> dass daher „mehr als je […] die<br />
Frauen auf die Werbearbeit von M<strong>und</strong> zu M<strong>und</strong> angewiesen“ 611 wären. So hatte die „fortdauernde<br />
Erhöhung der Herstellungskosten“ 612 erst den Preis <strong>und</strong> dann die „Gleichheit“ selbst „unhaltbar“ 613<br />
gemacht. Wie das Ende der „Arbeiterin“ war auch das Ende der „Gleichheit“ vor allem durch<br />
finanzielle Probleme verursacht.<br />
608 An unsere Postabonnenten. In: GL, 33/ 17/ 01.09.1923/ 133.<br />
609 Juchacz, Marie: Die Frauen in der deutschen Partei. In: GL, 33/ 9-10/ 01./15.05.1923/ 68.<br />
610 Ebd.<br />
611 Ebd.<br />
612 An unsere Postabonnenten. In: GL, 33/ 17/ 01.09.1923/ 133.<br />
613 Ebd.<br />
195
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
2.4.2 Verlag <strong>und</strong> Finanzierung<br />
Zum finanziellen Hintergr<strong>und</strong> der „Gleichheit“ gehört jedoch nicht nur der Preis, den die<br />
Leserinnen <strong>und</strong> Abonnentinnen für sie zu zahlen hatten, sondern auch der Preis für ihre Herstel-<br />
lung als Publikationsorgan des Verlagsunternehmens Dietz. Es muss im Interesse eines Verlegers<br />
liegen, mit einer Zeitschrift baldmöglichst schwarze Zahlen zu schreiben. 614 Johann Heinrich<br />
Wilhelm Dietz scheint jedoch in diesem Fall seine unternehmerischen Interessen hinter die der<br />
Partei gestellt zu haben. In einem 1913 von Zetkin zu Dietz‘ 70. Geburtstag veröffentlichten Arti-<br />
kel wertete diese es als dessen großen<br />
„Verdienst […], daß die ‘Gleichheit’ sich frei entfalten konnte, daß sie ungehindert<br />
durch Rücksichten auf die Geschäftslage nur ihre Aufgabe im Auge zu halten<br />
vermochte: die Proletarierinnen zum Klassenkampf zu rufen <strong>und</strong> durch die sozialistische<br />
Erkenntnis für den Klassenkampf zu schulen“ 615 .<br />
Weder der Spott über den mäßigen Erfolg der „Gleichheit“, noch die Meinungsverschiedenheiten,<br />
die durchaus zwischen Redakteurin <strong>und</strong> Verleger aufgekommen seien, hätten Dietz jemals dazu<br />
verleitet, in die Redaktion, in deren „geistige Bewegungsfreiheit, […] Unabhängigkeit <strong>und</strong> Selb-<br />
ständigkeit“ 616 eingreifen zu wollen. Seine Tätigkeit als Verleger habe Dietz, so Zetkin, „in erster<br />
Linie als einen Beruf <strong>und</strong> nicht als ein Geschäft aufgefaßt“ 617 . Glücklicherweise verfügte Dietz<br />
aber neben allem Idealismus tatsächlich auch über ein gutes Stück Geschäftssinn. Sein größter<br />
Erfolg als Verleger <strong>und</strong> Geschäftsmann war die Herausgabe des „Wahren Jacob“. Mit den Ge-<br />
winnen aus dem Verkauf dieses überaus erfolgreichen Humorblattes, war es problemlos möglich,<br />
die „Gleichheit“ <strong>und</strong> andere finanziell weniger abgesicherte Publikationsprojekte querzufinan-<br />
zieren. Ohne den „Wahren Jacob“ hätte es die „Gleichheit“ vielleicht nie gegeben.<br />
1904 war es dann soweit: Die „Gleichheit“ schrieb mit bescheidenen 74,70 Mark ihre ersten<br />
schwarzen Zahlen. 618 Dies aber nicht mehr als Eigentum des Dietz-Verlages, sondern als<br />
Zeitschrift in Besitz der SPD. Bereits am 1. April 1901 waren die im Dietz-Verlag erscheinenden<br />
Blätter „Neue Zeit“, „Gleichheit“ <strong>und</strong> der „Wahre Jacob“ in das Eigentum der Sozialdemokra-<br />
tischen Partei Deutschlands übergegangen. 619 Offiziell war die „Gleichheit“ damit Zeitschrift des<br />
614 „Jahrzehntelang“, so Bohm-Schuch, sei die „Gleichheit“ Dietz‘ „Sorgenkind, aber gerade darum eines seiner<br />
liebsten“ (Bohm-Schuch, Clara: Unsere Toten. Heinrich Dietz zum Gedächtnis. In: GL, 32/ 17/ 18/ 01.09.1922/<br />
163-164, S. 163) <strong>und</strong> der Umzug von Verlag, Druck <strong>und</strong> Redaktion 1919 nach Berlin für ihn „ein harter Schlag“<br />
(ebd.) gewesen.<br />
615 Zetkin, Clara: Heinrich Dietz zum 70. Geburtstag. In: GL, 24/ 01/ 01.10.1913/ 4-5, S. 4.<br />
616 Ebd., S. 5.<br />
617 Ebd.<br />
618 Siehe: Tabelle 5 „Geschäftsjahresabrechnungen der ‘Gleichheit’“.<br />
619 Protokoll des SPD-Parteitages Lübeck 1901, S. 32.<br />
196
2.4.2 VERLAG UND FINANZIERUNG<br />
„Vorwärts-Verlages“ 620 , wesentliche Veränderungen in ihrer praktischen Arbeit ergaben sich<br />
dadurch jedoch nicht. Stuttgart blieb sogar dann noch Sitz von Verlag, Druckerei, Redaktion <strong>und</strong><br />
auch Expedition 621 nachdem der SPD-Parteifunktionär <strong>und</strong> Publizist Paul Singer (1844-1911) 622<br />
Druck <strong>und</strong> Verlag übernommen hatte 623 . Der Status als offizielles Parteiorgan brachte es jedoch<br />
mit sich, dass nun den entsprechenden Parteiinstanzen die Finanzierung der „Gleichheit“ offen<br />
gelegt werden musste. Der Parteivorstand veröffentlichte deshalb auf dem Parteitag 1904 in<br />
Bremen einen Vorjahresbericht, in welchem erstmals nicht nur für den „Vorwärts“, sondern auch<br />
für die „Gleichheit“, die „Neue Zeit“ <strong>und</strong> den „Wahren Jacob“ eine detaillierte Kostenaufstellung<br />
enthalten war. 624 Sowohl aus einer dieser Kostenaufstellungen als auch aus dem entsprechenden<br />
„Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands“ geht 1904 jener erwähnte<br />
Überschuss der „Gleichheit“ von 74,70 Mark hervor. So mäßig dieses Ergebnis auch erschien, der<br />
Parteivorstand sah darin den Vorboten weiterer Erfolge <strong>und</strong> gab bekannt, dass im folgenden<br />
Geschäftsjahr 1905 erneut mit einem Überschuss zu rechnen sei. Diese Prognose brachte nicht nur<br />
Optimismus zum Ausdruck, sondern resultierte aus dem Umstand, dass der Überschuss viel<br />
größer hätte ausfallen können, wären nicht 15.000 „Gleichheit“-Exemplare zur Agitation ver-<br />
wandt, also kostenlos verteilt worden. 625 Die Prognose des Parteivorstandes bestätigend, verbuchte<br />
die „Gleichheit“ 1905 daher einen stattlichen Gewinn von 3.996,15 Mark <strong>und</strong> 1906 sogar von<br />
620 Inhaber der Vorwärts-Buchdruckerei <strong>und</strong> Verlagsanstalt waren Paul Singer, August Bebel <strong>und</strong> Eugen Ernst (1864-<br />
1954) (vgl. Ressmann, Strukturprobleme sozialdemokratischer Medienunternehmen, S. 64, Anm. 183).<br />
621 <strong>Von</strong> der Furthbach-Straße 12 in Stuttgart gelangte die „Gleichheit“ in alle Teile des deutschen Reiches <strong>und</strong> da-<br />
rüber hinaus.<br />
622 Paul Singer wurde in Berlin geboren <strong>und</strong> war Sohn eines jüdischen Kaufmannes. Bis 1869 arbeitete er als Handlungsgehilfe.<br />
Als Mitinhaber einer Damenmäntelfabrik konnte er sich ab 1887 als wohlhabender Privatier aus dem<br />
Erwerbsleben zurückziehen. Er wurde einer der einflussreichsten Geldgeber der SPD. Bereits ab 1868 gründete<br />
Singer verschiedene Vereine <strong>und</strong> Presseorgane mit. Er war von 1885 bis zu seinem Tode 1911 Mitglied des SPD-<br />
Parteivorstandes, außerdem seit 1890 nahezu auf jedem Parteitag Mitglied des Präsidiums. 1884-1911 war Singer<br />
Reichstagsabgeordneter.<br />
623 Vgl. GL, 15/ 01/ 11.01.1905/ 6.<br />
624 Bis 1914 waren diese Aufstellungen in Form übersichtlicher Tabellen ein fester Bestandteil der<br />
Parteitagsprotokolle. Umso auffälliger ist es, dass diese Verfahrensweise seit Beginn der Weimarer Republik<br />
weder für den „Vorwärts“ noch für andere Parteiblätter fortgesetzt wurde.<br />
625 Vgl. Protokoll des SPD-Parteitages Bremen 1904, S. 27. Diese erstaunlich hohe Zahl kostenloser Exemplare ist<br />
umso verw<strong>und</strong>erlicher, wenn man Zetkins ablehnende Haltung gegenüber solcher Werbemaßnahmen kennt. Sie<br />
nahm an, dass kostenlose Exemplare von den Proletarierinnen weder materiell noch inhaltlich wirklich als<br />
wertvoll wahrgenommen werden würden (vgl. Zetkin im Protokoll des Parteitages Gotha 1896, S. 166f.).<br />
Interessant ist diesbezüglich die Meinung von Koszyk/Eisenfeld, dass die „Gleichheit“ nur durch diese Gratisabgaben<br />
überhaupt größere Verbreitung finden konnte, da sie sich ansonsten durch ihre Theorielastigkeit <strong>und</strong> ihr<br />
hohes Niveau selbst im Wege gestanden habe (vgl. Koszyk / Eisenfeld, Die Presse der deutschen Sozialdemokratie,<br />
S. 19). Laut Vormschlag jedoch beruhte die Gewinnung neuer AbonnentInnen „[w]ährend der ersten Jahre<br />
des Erscheinens […] allein auf der Hausagitation“ (Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer<br />
Frauenzeitschriften, S. 73). In der Tat ist beides nicht von der Hand zu weisen <strong>und</strong> widerspricht sich auch nicht,<br />
denn die persönliche Ansprache, der Besuch in einem Proletarierhaushalt, politische Gespräche <strong>und</strong> das<br />
Überlassen eines Gratisexemplars der „Gleichheit“ waren die besten Möglichkeiten einer Mitgliederwerbung<br />
außerhalb der bestehenden Vereinsstrukturen.<br />
197
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
12.583,79 Mark 626 . Innerhalb eines Jahres hatte die „Gleichheit“ ihren Gewinn somit verdreifacht.<br />
Dieses sogar im fünfstelligen Bereich liegende Ergebnis blieb jedoch im Bericht des Partei-<br />
vorstandes völlig unkommentiert, obwohl nun endlich, 14 Jahre nach ihrem ersten Erscheinen, die<br />
„Gleichheit“ auch auf einem finanziellen Erfolgskurs war – einem Erfolgskurs, von dem erst<br />
Krieg <strong>und</strong> Inflation sie wieder abbringen <strong>und</strong> damit auch ihr Ende vorbereiten sollten.<br />
Ab 1. Juli 1919 wurde die „Gleichheit“ dann schließlich doch nicht mehr in Stuttgart, sondern<br />
vom Vorwärts-Verlag in Berlin gedruckt <strong>und</strong> vertrieben. Der Wechsel des Druckortes sollte<br />
gewährleisten, „daß Redaktion <strong>und</strong> Druckerei in engerer Verbindung“ 627 standen. Die neue<br />
Redaktion hatte nämlich schon bald nach der Entlassung Zetkins Quartier in der Lindenstraße 3<br />
genommen <strong>und</strong> sich damit auch räumlich in die Nähe zum SPD-Parteivorstand begeben. Die<br />
engere Verbindung zwischen Redaktion <strong>und</strong> Druckerei <strong>und</strong> ein wöchentliches statt vierzehn-<br />
tägliches Erscheinen sollten die Aktualität <strong>und</strong> damit die Attraktivität der „Gleichheit“ steigern.<br />
Der Erfolg dieser Strategie war jedoch nur ein sehr kurzfristiger. Im Juni 1920 gemahnte die<br />
„Gleichheit“-Redaktion ihre Leserinnen anlässlich des bevorstehenden Quartalswechsel „zur<br />
Pflicht, für ihre Zeitschrift „Die Gleichheit“ zu werben“ 628 . Sie eröffnete ihnen zu diesem<br />
Zweck eine sehr einfache Rechnung:<br />
„Bedenkt, daß sich die Zahl der bisherigen Bezieher mit einem Schlage verdoppelt,<br />
wenn jede Leserin, jede Fre<strong>und</strong>in unseres Blattes nur einen Abonnenten zuführt.<br />
Wie leicht ist das!“ 629<br />
Die Qualitäten der „Gleichheit“ sprachen nach Meinung ihrer Redaktion für sich selbst. Sie gebe<br />
„nicht nur Anregung, Belehrung nach allen Richtungen hin, sondern sie stärk[e] das notwendige<br />
Selbstbewußtsein <strong>und</strong> Verantwortungsgefühl der Frau“ 630 , sie helfe „ihr bei der Erringung<br />
innerlicher Freiheit <strong>und</strong> äußerer politischer <strong>und</strong> sozialer Rechte“ 631 . Deutlich formulierte die Re-<br />
daktion damit einen ungewohnt individuell-emanzipatorischen Anspruch, welcher den Bruch mit<br />
der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie <strong>und</strong> der mit ihr verb<strong>und</strong>enen Strategie des Klas-<br />
senkampfes vollzog. Dieser Bruch manifestierte sich noch an anderer Stelle desselben Artikels. So<br />
wurden die noch lieferbaren „Gleichheit“-Exemplare der Jahrgänge 20 bis 26 – Jahrgänge, die<br />
noch unter der Redaktion Zetkins veröffentlicht worden waren – lediglich als „Sammlungen von<br />
626 Vgl. Protokoll des SPD-Parteitages Essen 1907, S. 50. In diesem Berichtsjahr wies auch die „Neue Zeit“ erstmalig<br />
einen Gewinn auf.<br />
627 Redaktion <strong>und</strong> Verlag der „Gleichheit“: An die Leserinnen der „Gleichheit“. In: GL, 29/ 18/ 06.06.1919/ 137.<br />
Diese Änderungen gehen zurück auf den erwähnten Artikel von Johanna Reitze „Die Presse <strong>und</strong> die Frauen“ (In:<br />
GL, 29/ 13/ 28.03.1919/ 98).<br />
628 Ebd.<br />
629 Ebd.<br />
630 Ebd.<br />
631 Ebd.<br />
198
2.4.2 VERLAG UND FINANZIERUNG<br />
historischem Werte, aus Kämpfen <strong>und</strong> Siegen “632 feilgeboten. Klassenkampf, so die neue Bot-<br />
schaft der neuen „Gleichheit“, war gestern.<br />
632 GL, 30/ 26/ 26.06.1920/ 215. Jeder dieser Jahrgänge konnte – solange der Vorrat reichte – für 3,50 Mark beim<br />
Dietz-Verlag in Stuttgart bestellt werden.<br />
199
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
2.4.3 Erscheinungsbild<br />
Auch das Erscheinungs- <strong>und</strong> Druckbild der „Gleichheit“ war zu Beginn mit dem der „Arbeiterin“<br />
nahezu identisch. Beide verwendeten einen gängigen Titelkopfentwurf <strong>und</strong> den althergebrachten<br />
Schrifttyp „Fraktur“ – auch „deutsche Schrift“ genannt. Es ist in Anbetracht des Bemühens der<br />
neuen Redaktion um Veränderung <strong>und</strong> Abgrenzung sehr verw<strong>und</strong>erlich, dass sie nicht auch eine<br />
Modernisierung des Schriftbildes durchführte. Lediglich die von der neuen „Gleichheit“-Re-<br />
daktion vermehrt aufgenommenen kommerziellen Anzeigen waren meistens in dem modernen<br />
Schrifttyp „Antiqua“ 633 – („lateinische Schrift“) – gehalten. 634<br />
Einer der auffälligsten Unterschiede zwischen „Arbeiterin“ <strong>und</strong> „Gleichheit“ war die Gestaltung<br />
der Seiten, genauer gesagt, der Spalten. Im Gegensatz zur dreispaltigen „Arbeiterin“ erschien die<br />
„Gleichheit“ meist in einem deutlich lesefre<strong>und</strong>licheren zweispaltigen Layout. Dieses wurde<br />
jedoch im Januar 1905 im Rahmen der Einführung der beiden Beilagen durch ein dreispaltiges<br />
Layout ersetzt. Die gleichzeitig vorgenommene Reduzierung des Seitenumfangs hätte eine Redu-<br />
zierung des Inhalts bedeutet, was jedoch durch die Wahl einer kleineren Schriftgröße kompensiert<br />
wurde. 635 Infolge dieser Veränderungen ging die 1897 optimierte Übersichtlichkeit verloren. Wie<br />
bereits beschrieben, wurde im Oktober 1908 im Rahmen weiterer Änderungen das zweispaltige<br />
Layout wieder eingerichtet. 636<br />
Nach dem Redaktionswechsel 1917 folgten die Veränderungen an der „Gleichheit“ einer Tendenz,<br />
die sich auch an fast allen anderen Frauenzeitschriften der Weimarer Republik aufzeigen lässt. 637<br />
So fand man nun auch in der „Gleichheit“ zunehmend mehr Illustrationen (optische Hervor-<br />
hebungen <strong>und</strong> Rahmen im Jugendstil, Werbung, Schnittmuster, Stiche, idyllische Szenenbilder).<br />
Aber das sozialdemokratische Frauenblatt war dennoch weit davon entfernt, eine Illustrierte zu<br />
sein. Im Gegensatz zu bürgerlichen Frauenzeitungen wie „Die Welt der Frau“ (1904-1920) 638 gab<br />
633 Eine der sozialdemokratischen Zeitschriften, die sich besonders um einen moderneren Anschein bemühten <strong>und</strong><br />
deshalb in „Antiqua“ gedruckt wurden, waren die „Sozialistischen Monatshefte“.<br />
634 In diesem Zusammenhang ist schließlich auch zu erwähnen, dass zu Beginn des Jahres 1903 die Orthographie der<br />
„Gleichheit“ modernisiert wurde (vgl. GL, 13/ 01/ 01.01.1903). Die für die ältere Orthographie markanteste<br />
Stelle, nämlich die Überschrift für den „Notizentheil“ bzw. Notizenteil“ wurde anscheinend bei der Umstellung<br />
übersehen. Sie wird erst zwei Nummern später angepasst (vgl. GL, 13/ 03/ 28.02.1903/ 23).<br />
635 Vgl. Die Redaktion <strong>und</strong> der Verlag: Einladung zum Abonnement. In: GL, 14/ 26/ 14.12.1904/ 201.<br />
636 Vgl. Redaktion <strong>und</strong> Verlag: Zur Beachtung! In: GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 181.<br />
637 Vgl. Wilhelms, Frauenzeitschriften in der Weimarer Republik, S. 65. Wilhelms analysiert innerhalb eines sehr anschaulichen<br />
Aufsatzes „Die Kämpferin“, „Die Frau im Staat“, „Die schaffende Frau“, „Frauenwelt“ <strong>und</strong> die<br />
„Blätter des Jüdischen Frauenb<strong>und</strong>es“. Sie konstatiert in ihrer Analyse eine Anpassung „der Publikationsorgane<br />
der linken Frauenöffentlichkeit an die Inhalte der traditionellen Frauenpresse“ (ebd., S. 65f.) <strong>und</strong> zugleich eine<br />
Modernisierung (vgl. ebd., S. 66).<br />
638 „Die Welt der Frau“ war zeitweise die Beilage der „Gartenlaube“ (1853-1937), einem sehr populären illustrierten<br />
200<br />
Familienblatt.
2.4.3 ERSCHEINUNGSBILD<br />
es in der „Gleichheit“ bis zuletzt keine Fotos – wenn es Abbildungen gab, dann meist<br />
Zeichnungen <strong>und</strong> Stiche. Die ersten Illustrationen dieser Art erschienen im März 1893. Es waren<br />
Porträts Louise Michels – diese „Gleichheit“-Ausgabe sollte anlässlich des vermeintlichen Todes<br />
der bedeutenden französischen Sozialistin als besondere Agitationsnummer verteilt werden. 639 Seit<br />
dem Redaktionswechsel erschienen anlässlich kirchlicher Feiertage wie Weihnachten 640 , Ostern<br />
oder Pfingsten auf den Titelseiten großformatige Szenenbilder, die besonders kitschig anmuteten.<br />
641 Anlass <strong>und</strong> Umsetzung der Bilder sprechen für die neue Richtung der „Gleichheit“-Redaktion,<br />
ihre Leserinnen über ihr Verhaftetsein in Religion <strong>und</strong> bürgerlichem Familienideal anzusprechen.<br />
Neben diesen althergebrachten Klischees zog aber auch moderne Technik ins Titelblatt der<br />
„neuen“ „Gleichheit“ ein: Seit Nr. 19 des 27. Jahrgangs teilte man dort der Leserin mit, dass die<br />
Redaktion nun auch per „Fernsprecher: Amt Moritzplatz 14 838“ 642 zu erreichen war.<br />
Im April 1923 änderte sich das Layout der „Gleichheit“ nochmals auf sehr markante Weise. Nicht<br />
nur ein kompletter Neuentwurf des Titelblattes war vorgenommen worden, nun wurden die Titel<br />
der Artikel über zwei Spalten hinweg ungewöhnlich fett gedruckt <strong>und</strong> ihnen außerdem die Namen<br />
der AutorInnen in demselben fetten Druck direkt vor- oder nachgestellt. Im bisherigen Erschei-<br />
nungsbild der „Gleichheit“ war eine derartige Hervorhebung der AutorInnennamen vollkommen<br />
unüblich gewesen. Sie könnte durchaus als Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins der „Gleich-<br />
heit“-Mitarbeiterinnen als Berufs-Journalistinnen gedeutet werden.<br />
Doch alle ausgefeilten Modernisierungs- <strong>und</strong> Popularisierungsmaßnahmen konnten den Abon-<br />
nentinnenverlust der „Gleichheit“ nicht aufhalten. Trotz eines gefälligeren Äußeren blieb der<br />
Abonnement-Höchststand aus dem Jahr 1914 mit 124.000 Exemplaren für die neue Redaktion<br />
unerreichbar. 643<br />
Im Gegensatz zur „Arbeiterin“ verfügte die „Gleichheit“ über eine wesentliche Neuerung: Die<br />
Seiten eines jeden Jahrgangs waren durchgängig nummeriert. In Ergänzung mit einem von 1909<br />
bis 1919 jährlich herausgegebenen Inhaltsverzeichnis 644 , machte diese Seitennummerierung aus<br />
639 Vgl. die Porträtbilder „Louise Michel als Kommune-Kämpferin“ (GL, 03/ 06/ 22.03.1893/ 44) <strong>und</strong> „Louise<br />
Michel 1892“ (GL, 03/ 06/ 22.03.1893/ 45), die außerdem im Anhang enthalten sind.<br />
640 Welch unterschiedliche Beachtung das Weihnachtsfest in der „Gleichheit“ erfuhr, beschrieb auch Lion (vgl. Lion,<br />
Zur Soziologie der Frauenbewegung, S. 91-92).<br />
641 Beispiele für diese Illustrationen <strong>und</strong> die Titelblattgestaltung sind im Anhang enthalten.<br />
642 Vgl. GL, 27/ 19/ 22.06.1917/ 125 (Titelblatt).<br />
643 Zur Entwicklung der „Gleichheit“-Abonnements siehe: Tabelle 7 „Abonnentinnen der ‘Gleichheit’“.<br />
644 Da die ZDB keinerlei Hinweis auf die Verzeichnisse gibt <strong>und</strong> auch Vormschlag lediglich in einer Fußnote auf sie<br />
verweist (vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 86, Fußnote 1),<br />
ist die Existenz dieser Jahrgangsverzeichnisse nahezu unbekannt.<br />
201
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
der „Gleichheit“ ein leicht handhabbares <strong>und</strong> zugängliches Bildungs- <strong>und</strong> Schulungsorgan –<br />
zumindest in struktureller Hinsicht. Die Jahrgangsverzeichnisse wiederum bauten auf einem<br />
Inhaltsverzeichnis auf, welches seit Februar 1897 zwischen Titelkopf <strong>und</strong> Leitartikel einer jeden<br />
Nummer zu finden war. All diese vermeintlich unauffälligen Zusätze in Titelblatt <strong>und</strong> Seiten-<br />
gestaltung unterstützten die auf Wissenschaftlichkeit <strong>und</strong> Schulung angelegte Ausrichtung der<br />
„Gleichheit“. Umso erstaunlicher ist es, dass die Einführung jenes Verzeichnisses – von einem<br />
richtigen Register kann leider keine Rede sein 645 – nicht auf eine Initiative Zetkins zurückgeht. Es<br />
war stattdessen Zietz, die auf der Frauenkonferenz 1908 in Nürnberg Zetkin offiziell bat, dies-<br />
bezüglich beim Verlag vorzusprechen, weil „[f]ür viele Genossinnen, die sich die ‘Gleichheit’<br />
einbinden lassen, […] ein solches Verzeichnis sehr wertvoll“ 646 sein würde. Denn<br />
„[g]erade der Umstand, daß die ‘Gleichheit’ eine so unendliche Fülle von Material<br />
bringt, über Lohn- <strong>und</strong> Arbeitsbedingungen, über gesetzliche Bestimmungen, das<br />
wir als Agitationsmaterial immer verwenden können, macht es sehr wünschenswert,<br />
daß die ‘Gleichheit’ als Nachschlagewerk benutzt werden kann“ 647 .<br />
Demnach sollte ein Verzeichnis vor allem den wissenschaftlichen <strong>und</strong> gesellschaftsanalytischen<br />
Charakter der „Gleichheit“ – weniger ihre Tagesaktualität – unterstreichen. Nicht verw<strong>und</strong>erlich<br />
ist es daher, dass auch Zetkin an der Einführung eines solchen Verzeichnisses interessiert war <strong>und</strong><br />
eine solche zumindest erwogen hatte. Deshalb antwortete sie auf Zietz‘ Bitte:<br />
„Niemand vermißt ein solches Inhaltsverzeichnis häufig schmerzlicher, als ich<br />
selbst. Die ‘Gleichheit’ ist jetzt 17 Jahre alt <strong>und</strong> man findet sich manchmal wirklich<br />
nur schwer zurecht. Ich wollte auch schon einmal ein General-Nachschlageregister<br />
schaffen, aber immer war die Zeit zu knapp. Für die Zukunft gelobe ich jedoch<br />
Besserung. (Beifall.)“ 648<br />
Mit dieser Entscheidung, die Zetkin auch deshalb am Herzen gelegen haben dürfte, weil ihr<br />
redaktionelles Vorbild „Die Neue Zeit“ ebenfalls ein General-Register besaß, wurde der praktische<br />
Wert der „Gleichheit“ für die proletarische Frauenbewegung enorm gesteigert. Sowohl die durch-<br />
schnittliche LeserIn als auch die LeiterIn eines Frauenbildungsvereins, konnte nun auf die<br />
Informationen <strong>und</strong> Artikel in der von ihr möglichst jahrgangsweise gesammelten „Gleichheit“<br />
schnell <strong>und</strong> zielgerichtet zugreifen. 649 Diese Neuerung bedeutete aber auch eine Arbeitser-<br />
645 Die Strukturierung ist sehr einfach <strong>und</strong> obwohl sogar unter den kleinen Rubriken einzelne Titel aufgeführt<br />
werden, gibt es doch im Gegensatz zum Generalregister der „Neuen Zeit“ weder eine Verschlagwortung noch eine<br />
alphabetische Namensliste der Autorinnen.<br />
646 Zietz im Bericht über die 5. sozialdemokratische Frauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages Nürnberg<br />
1908, S. 482.<br />
647 Ebd.<br />
648 Zetkin ebd., S. 484.<br />
649 Trotz aller Kritik an der Ausdrucksform der „Gleichheit“ (z. B. Übertreibungen, Zynismen, Schlagwortkultur <strong>und</strong><br />
Phrasen (vgl. Lion, Zur Soziologie der Frauenbewegung, S. 92)) sah auch Lion eben in jener „unbestreitbaren<br />
Bedeutung für die Proletarierin als Lese- <strong>und</strong> Lehrbuch, als Nachschlagewerk, als Sammlung von<br />
Agitationsmaterial, als Chronik ihrer Bewegung“ (ebd., S. 95) „eine Lebensleistung großen Wurfs“ (ebd., S. 96).<br />
202
2.4.3 ERSCHEINUNGSBILD<br />
leichterung für die MitarbeiterInnen von Presse, Archivwesen <strong>und</strong> Wissenschaft – damals wie<br />
heute. 650<br />
650 Daher ist es umso bedauerlicher, dass nur wenige dieser Verzeichnisse erhalten geblieben <strong>und</strong> auch diese wenigen<br />
Exemplare selbst in wissenschaftlichen Bibliotheken <strong>und</strong> Archiven kaum aufzufinden <strong>und</strong> schwer zugänglich sind.<br />
Schwer zugänglich deshalb, weil die ohnehin unvollständig vorhandenen Exemplare entgegen des Ansinnens ihrer<br />
Herausgeberinnen bisher nirgends als Nachschlagewerk, das diesen Namen verdient, zur Verfügung gestellt<br />
werden.<br />
203
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
2.4.4 Werbung<br />
Zusätzlich zu den Revenuen aus den Abonnements erzielte die „Gleichheit“ von Beginn an auch<br />
Einnahmen aus Anzeigengeschäften. Prinzipiell nahm Zetkin jedoch trotz der bescheidenen<br />
finanziellen Ausgangssituation ausschließlich Inserate parteieigener oder parteinaher Organisa-<br />
tionen <strong>und</strong> Verlage an. 651 Dies sollte sich aufgr<strong>und</strong> der wirtschaftlichen Notlage während <strong>und</strong> nach<br />
dem Ersten Weltkrieg unter der Redaktion Juchacz‘ gänzlich ändern.<br />
Die erste rein kommerzielle Werbung erschien in der „Gleichheit“-Nummer des 20. September<br />
1919. Die untere Hälfte der letzten Seite enthielt – durch einen schwarzen Rahmen optisch einer-<br />
seits hervorgehoben <strong>und</strong> andererseits vom übrigen Teil des Blattes getrennt – mehrere Anzeigen.<br />
Darin beworben wurden u. a. Pelze, Waschmittel, Faltencreme, Bücher des „Vorwärts“-Verlags,<br />
Diabetesmittel, Caramel-Bier <strong>und</strong> die Dienstleistungen einer chemischen Wäscherei. 652 Erstaun-<br />
licherweise handelte es sich also zum Großteil um Produkte, die kaum zu den alltäglichen<br />
Gebrauchsgütern einer durchschnittlichen Proletarierfamilie gehört haben dürften. Konnten sich<br />
die werbenden Unternehmen so in dem Adressatenkreis der „Gleichheit“ geirrt haben? Wahr-<br />
scheinlicher ist, dass diese befremdliche Produktpalette bedeutsame Rückschlüsse auf<br />
entsprechende Veränderungen innerhalb der Gruppe der „Gleichheit“-Leserinnen zulässt. Die<br />
Vermutung liegt nahe, dass es nun noch stärker als zuvor vor allem Arbeiter- <strong>und</strong> Parteifunktio-<br />
närsfrauen oder auch die materiell etwas besser gestellten Vertreterinnen des Typus der „Neuen<br />
Frau“ 653 waren, die ein „Gleichheit“-Abonnement hielten. Eine Vermutung, die jedoch kaum durch<br />
statistisches Material oder Erhebungen zur Rezeption gestützt werden kann. Das Bild der eitlen,<br />
einen Pelz tragenden Proletarierin wird jedoch dadurch wieder zurechtgerückt, dass der mit<br />
Abstand größte <strong>und</strong> regelmäßigste Inserent das Butter <strong>und</strong> Schmalz produzierende Unternehmen<br />
„Reichelt“ mit seinen allein in Groß-Berlin 145 existierenden Filialen war. 654 Allgemein muss<br />
berücksichtigt werden, dass bedingt durch die politischen Ereignisse <strong>und</strong> gesellschaftlichen<br />
Rahmenbedingungen die weibliche Leserschaft vermehrt als eigenverantwortliche Konsumen-<br />
651 Am Inseratspreis der „Arbeiterin“ von 20 Pfennig pro Zeile hielt auch die „Gleichheit“ fest. Vereine erhielten<br />
besondere Rabattbedingungen. Zu den Anzeigenpreisen siehe: Tabelle 8 „Preisentwicklung der ‘Gleichheit’“. Die<br />
Werbung für Parteiliteratur war eine gr<strong>und</strong>sätzliche Aufgabe der „Gleichheit“ – so die auf dem Parteitag 1913<br />
vertretene Meinung –, die sie nicht hinreichend erfüllt habe. Nicht eine einzige Broschüre aus der seit dem Jahr<br />
1912 im „Vorwärts“-Verlag herausgegebenen Reihe „Sozialdemokratische Frauenbibliothek“ sei in ihr empfohlen<br />
oder besprochen worden (vgl. Ryneck im Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1913, S. 262). Zur Gründung dieser<br />
Reihe siehe: Protokoll des SPD-Parteitages Chemnitz 1912, S. 17.<br />
652 Vgl. GL, 29/ 31/ 20.09.1919/ 248.<br />
653 Zur „Neuen Frau“ siehe: Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung <strong>und</strong> Neuer Weiblichkeit;<br />
Soden/Schmidt, Neue Frauen: die zwanziger Jahre; Frauenalltag <strong>und</strong> Frauenbewegung im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />
Bd. 2: Frauenbewegung <strong>und</strong> die „Neue Frau“ 1890-1933.<br />
654 Auch Unternehmen, die heute noch existent sind, warben in der „Gleichheit“. Z. B. warb „Messmer’s Thee“ für<br />
sich mit den Worten: „Das beste Frühstück – Billigstes Volksgetränk“ (GL, 31/ 06/ 15.03.1921/ 55).<br />
204
2.4.4 WERBUNG<br />
tinnen <strong>und</strong> Familienernährerinnen in den Fokus werbender Unternehmen gerückt wurden. In den<br />
Familien der Weimarer Republik nahmen stärker als zuvor die Frauen den Platz <strong>und</strong> die Rolle des<br />
Familienvorstandes ein.<br />
Der relative Anteil kommerzieller Werbung an einer Ausgabe der „Gleichheit“ stieg frappierend<br />
schnell an: Bereits zwei Nummern nach Einführung kommerzieller Werbung nahm diese bereits<br />
die komplette letzte Seite ein. 655 <strong>Von</strong> Nummer 5 des 31. Jahrgangs hatte man fast 2 ½ der<br />
insgesamt 12 Seiten an werbende Unternehmen verkauft. 656 Zwar gab es weiterhin einzelne Agi-<br />
tationsnummern wie z. B. die Mai-Doppelnummer vom 1. Mai 1923, die gr<strong>und</strong>sätzlich keinerlei<br />
Werbung enthielten, doch insgesamt verlief die Entwicklung merkbar auf Kosten des Platzes für<br />
„partei- <strong>und</strong> berufsbezogene[…] Artikel“ 657 . Die neue Redaktion vernachlässigte ihre vorrangige<br />
Zielsetzung, politisch zu agitieren, zugunsten der gebotenen Räson, konsumistisch zu animieren.<br />
Es ist nicht ersichtlich, ob es dieser inhaltliche Mangel war, der von einigen Leserinnen kritisiert<br />
wurde, doch Ende 1920 an die „Gleichheit“-Redaktion „ergangene Anfragen <strong>und</strong> Beanstan-<br />
dungen“ nötigten diese,<br />
„die Leserinnen darauf aufmerksam [zu machen], daß die Redaktion mit der Inseratenannahme<br />
nichts zu tun hat. Inseratenteil <strong>und</strong> redaktioneller Teil werden völlig<br />
getrennt geführt, <strong>und</strong> letzterer hat auf Annahme <strong>und</strong> Ablehnung der Inserate keinen<br />
Einfluß, ist also für den Inhalt des Inseratenteils unseres Blattes nicht verantwortlich“<br />
658 .<br />
Doch blieb auch die Werbebranche wie auch die werbenden Unternehmen von den Folgen der<br />
Inflation nicht verschont. Neben ihrem eigenen Preis musste die „Gleichheit“ auch die Preise für<br />
Inserate stetig erhöhen <strong>und</strong> verlor zugleich doch immer mehr Leserinnen <strong>und</strong> Inserenten. 659 So<br />
hatte man für Nummer 2 des 33. Jahrgangs schließlich nur noch für eine halbe Seite Anzeigen<br />
akquirieren können <strong>und</strong> sechs Nummern später füllte sich bereits nur noch ein Drittel einer<br />
„Gleichheit“-Seite mit Werbung. 660<br />
655 Vgl. GL, 29/ 33/ 04.10.1919/ 264. Für die weitere Zunahme von Werbung in der „Gleichheit“ vgl. GL, 30/ 07/<br />
14.02.1920/ 55 (Anzeigenanteil von 1 1/3 Seite); GL, 30/ 11/ 13.03.1910/ 87 (Anzeigenanteil von 1 ½ Seiten);<br />
GL, 30/ 12/ 20.03.1920/ 95 (Anzeigenanteil von 1 ¾ Seiten); GL, 30/ 16/ 17.04.1920/ 119-120 (Anzeigenanteil<br />
von 2 Seiten).<br />
656 Vgl. GL, 31/ 05/ 01.03.1921/ 46-48 (Anzeigenanteil von 2 ¼ Seiten).<br />
657 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 102.<br />
658 Die Redaktion. In: GL, 30/ 50/ 11.12.1920/ 410.<br />
659 Siehe: Tabelle 7 „Abonnentinnen der ‘Gleichheit’“ <strong>und</strong> Tabelle 8 „Preisentwicklung der ‘Gleichheit’“.<br />
660 Vgl. GL, 33/ 02/ 15.01.1923/ 16 <strong>und</strong> GL, 33/ 08/ 15.04.1923/ 64.<br />
205
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
2.4.5 Leitartikel, Artikel <strong>und</strong> Rubriken<br />
Vormschlag definiert als die drei großen Themenkomplexe der „Gleichheit“:<br />
„1. Die historische Entwicklung <strong>und</strong> die gegenwärtige Arbeit der Frauenbewegung.<br />
2. Die historische Entwicklung <strong>und</strong> die gegenwärtige Arbeit der Sozialdemokratie <strong>und</strong><br />
der Gewerkschaften.<br />
3. Aktuelle soziale Forderungen <strong>und</strong> Darstellungen von Mißständen.“ 661<br />
Tatsächlich lassen sich diese drei Themenbereiche in allen Bausteinen der „Gleichheit“-Struktur<br />
wiederfinden: Sowohl in den Leitartikeln, Artikeln als auch kleineren Rubriken wurden ent-<br />
sprechende Inhalte transportiert. Auch die eher kulturellen Inhalten gewidmeten Beilagen <strong>und</strong> das<br />
Feuilleton wiesen eine Schwerpunktsetzung auf, durch die sie zur politischen Aufklärungsarbeit<br />
der „Gleichheit“ beitrugen.<br />
Der Leitartikel als das klassische Mittel der Meinungsführung an sich 662 hatte auch in der<br />
„Gleichheit“ eine f<strong>und</strong>ierende, informierende oder auch agitierende Intention. Die Leitartikel the-<br />
matisierten den Kampf der proletarischen Frauenbewegung um die Emanzipation der Frau, indem<br />
in ihnen vor allem ihre Haltung zur bürgerlichen Frauenbewegung zum Ausdruck kam <strong>und</strong> die<br />
Diskriminierungen durch Gesetzgebung <strong>und</strong> Polizei angeprangert wurden. Durch sie wurde der<br />
Kampf des Proletariats gegen den Kapitalismus <strong>und</strong> dessen Stützwerk aus Gesetzgebung <strong>und</strong><br />
Militarismus dokumentiert. Durch sie wurden aber auch die Leserinnen zur Mithilfe am<br />
Wahlkampf aufgerufen, die Berichte der Großveranstaltungen, von Parteitagen, Internationalen<br />
Frauentagen <strong>und</strong> Frauenkonferenzen veröffentlicht. Während des Krieges machte Zetkin in ihren<br />
prägnanten Leitartikeln schließlich Front gegen den Krieg <strong>und</strong> gegen die eigene Partei. Nach dem<br />
Redaktionswechsel war es vor allem der „Bruderzwist“ <strong>und</strong> der Kampf gegen den Versailler<br />
Vertrag, die Ton <strong>und</strong> Inhalt der Leitartikel bestimmten. Diejenigen Leitartikel, die sich schließlich<br />
mit der Wiedervereinigung der beiden Sozialdemokratien auf dem Nürnberger Gesamtparteitag<br />
befassten, sprachen von den Hoffnungen der zerstrittenen Sozialistinnen, gemeinsam große Er-<br />
folge in der politischen Bildung der Frauen zu erzielen. Das nächste beherrschende Leitartikel-<br />
Thema waren schließlich die aus den Wiedergutmachungsansprüchen der Besatzungsmächte,<br />
insbesondere Frankreichs, resultierenden Zustände im Ruhrgebiet. 663 Nachdem sich die Weimarer<br />
Republik <strong>und</strong> ihr demokratisches Parteiensystem konsolidiert hatte, befasste sich die „Gleichheit“<br />
auch in ihren Leitartikeln mit religiösen Fragen. Es galt, das religionsfeindliche Bild vom<br />
661 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 86.<br />
662 Vgl. Hagemann, Die Zeitung als Organismus, S. 57.<br />
663 Vgl. Radtke-Warmuth, Elli: Weihnachten 1922. In: GL, 32/ 24/ 15.12.1922/ 213; Wurm, Mathilde: Neue<br />
Gefahren. In: GL, 33/ 03/ 01.02.1923/ 17; Nemitz, Anna: Noch immer Krieg. In: GL, 33/ 9-10/ 01./15.05.1923/<br />
82.<br />
206
2.4.5 LEITARTIKEL, ARTIKEL UND RUBRIKEN<br />
Sozialismus zu entkräften, um den Einfluss des Zentrums auf die weibliche SPD-Wählerschaft zu<br />
mindern. Auf den „Gleichheit“-Titelblättern feierte man nun die hohen kirchlichen Feiertage <strong>und</strong><br />
immer mehr Schöngeistiges fand Platz auf der bisher politischen Fragen vorbehaltenen ersten<br />
Seite. Die neue Redaktion ließ fast jedem Leitartikel ein Gedicht folgen 664 <strong>und</strong> im 30. Jahrgang<br />
finden sich verstreut zwischen den Artikeln sogenannte „Splitter“ (Zitate, Sprüche Verse).<br />
Artikel – vor allem Leitartikel – namentlich zu zeichnen, hatte Zetkin für sich selbst, wie bereits<br />
erwähnt, als unnötig angesehen <strong>und</strong> dies mit ihrer für alle offensichtlichen redaktionellen Ver-<br />
antwortung begründet. Auch ihre Nachfolgerinnen blieben meist dabei, insbesondere Leitartikel<br />
nicht zu zeichnen, denn der ungezeichnete Leitartikel, so der Kommunikationswissenschaftler<br />
Walter Hagemann, deutet eben nicht auf ein „Verdecken der Verantwortlichkeiten“ 665 hin, sondern<br />
verfolgt den Zweck der „Entpersönlichung“ 666 :<br />
„[I]n diesem Falle fühlt sich der Verfasser als Glied einer gleichgestimmten Gesinnungsgemeinschaft.<br />
Indem er von ‘wir’ <strong>und</strong> ‘uns’ spricht, tritt er als Träger einer<br />
Gemeinschaftsidee in Erscheinung, die nicht sein individuelles Geistesgut, sondern<br />
eine ihm aufgetragene Aufgabe darstellt.“ 667<br />
Die Leitartikel der „Gleichheit“ sollten eine Gemeinschaft proletarischer Frauen schaffen. Die<br />
Namen der AutorInnen – so machen es auch die Initialen <strong>und</strong> Symbole der nicht zu identi-<br />
fizierenden MitarbeiterInnen deutlich – wurden bewusst entweder eingesetzt oder ausgelassen.<br />
Die Artikel der „Gleichheit“ fußten anfangs vor allem auf der von Zetkin <strong>und</strong> Bebel entwickelten<br />
sozialistischen Frauenemanzipationstheorie. Laut dieser war die soziale Frage sowie die Frage der<br />
Emanzipation der Frau im Gr<strong>und</strong>e nur von der ökonomischen Verfassung der gegenwärtigen<br />
Gesellschaft <strong>und</strong> deren Kritik her zu beantworten. In den Artikeln <strong>und</strong> Abhandlungen der „Gleich-<br />
heit“ wurde deshalb die Erwerbstätigkeit der Frau sowohl gr<strong>und</strong>sätzlich – vom Standpunkt der<br />
Parteipolitik, der Agitation <strong>und</strong> Organisation – als auch exemplarisch – z. B. in der Beschreibung<br />
der Arbeitsbedingungen verschiedener Berufszweige – zum zentralen Thema gemacht. Vorm-<br />
schlag bemerkt, dass ab 1905 die Artikel <strong>und</strong> Abhandlungen deutlich umfangreicher wurden.<br />
„Bereits aus Raumgründen mußten längere Abhandlungen bis 1905 ausgespart<br />
werden. Während die ‘fortgeschrittenen Proletarierinnen’ der Information <strong>und</strong> des<br />
Datenmaterials über den neuesten Stand der Bewegung bedurften, mußten für ein<br />
breiteres Publikum theoretische Abhandlungen über Sozialismus <strong>und</strong> Frauenbewegung<br />
eingeführt werden. Die Auseinandersetzungen innerhalb der Sozialdemokratie<br />
tragen das Ihre dazu bei, daß theoretische Probleme auf breiterem Raum<br />
664 Welche inhaltlichen Bezüge das jeweilige Gedicht zum Leitartikel hatte, müsste an anderer Stelle noch dezidiert<br />
untersucht werden.<br />
665 Hagemann, Die Zeitung als Organismus, S. 61.<br />
666 Ebd.<br />
667 Ebd.<br />
207
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
diskutiert werden als in den ersten Jahrgängen.“ 668<br />
Der größere Umfang einzelner Artikel erklärt sich demnach nicht nur aus der Umgestaltung der<br />
„Gleichheit“ <strong>und</strong> der Reduzierung des Feuilletonanteils im Hauptblatt, sondern auch aus<br />
inhaltlich-konzeptionellen Veränderungen. Vormschlag stellt darüber hinaus eine gewisse Weit-<br />
schweifigkeit <strong>und</strong> auch Wiederholung der in den Artikeln der„Gleichheit“ behandelten Themen<br />
fest. Es sollte<br />
„die bedauernswerte Lage der Arbeiterinnen <strong>und</strong> Arbeiterfrauen immer von neuem<br />
angeprangert werden, um so die Mängel des kapitalistischen Systems <strong>und</strong> der<br />
monarchistischen Verfassung bloßzulegen“ 669 .<br />
Wenig plausibel erscheint es, wenn Vormschlag diese Vorgehensweise nicht als einen „direkten“<br />
Angriff gegen Regierung <strong>und</strong> Regierungssystem interpretiert 670 , gingen doch aus den Be-<br />
schreibungen proletarischer Arbeitsbedingungen oft sehr konkrete Forderungen zur Verbesserung<br />
der Arbeitsbedingungen hervor. Zum Beispiel wurde für die Forderung des Achtst<strong>und</strong>entages auf<br />
diese Weise sowohl in den Gewerkschafts- als auch in den Parteiorganisationen erfolgreich<br />
agitiert.<br />
Nicht nur die Leitartikel, sondern auch Artikel <strong>und</strong> Abhandlungen wurden von der neuen Re-<br />
daktion dem vorrangigen Ziel unterstellt, den Versailler Vertrag als ungerecht <strong>und</strong> unrechtmäßig<br />
anzuprangern. Zu den überragenden Themen gehörten weiterhin die Nationalversammlung , die<br />
neue Verfassung, das Wahlverhalten der Frauen <strong>und</strong> die Wohlfahrtspflege. Man wandte sich vor-<br />
nehmlich der Rolle der Frau als einer inner- aber auch außerfamiliären Sozialarbeiterin zu. Die<br />
proletarische Frauenbewegung regredierte, so Thönnessen, zur „Schulungsorganisation sozialer<br />
Nothelferinnen“ 671 . Die „Gleichheit“ berichtete – wie an den Tätigkeitsfeldern einzelner Mit-<br />
arbeiterInnen bereits beschrieben – verstärkt u. a. über die rechtliche Gleichstellung des unehe-<br />
lichen Kindes, die Arbeiterwohlfahrt, den Geburtenrückgang, die gesetzliche Bekämpfung von<br />
Geschlechtskrankheiten <strong>und</strong> den Kampf gegen den Abtreibungsparagraphen.<br />
Entwicklung <strong>und</strong> Aufgaben einer politischen Zeitschrift spiegeln sich aber nicht nur in<br />
Leitartikeln, Artikeln <strong>und</strong> Abhandlungen wider, sondern auch in der Entwicklung <strong>und</strong> den<br />
Aufgaben einzelner Rubriken <strong>und</strong> Beilagen. Sie sind wichtige strukturelle Bestandteile einer Zeit-<br />
schrift <strong>und</strong> stehen im besonderen Maße für die erstrebte Vernetzung der Organisationen <strong>und</strong> für<br />
die Vielfalt der Informationen, die die Leserinnen erreichen sollten. Die eingangs von Vormschlag<br />
668 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 97.<br />
669 Ebd., S. 97-98.<br />
670 Vgl. ebd.<br />
671 Thönnessen, Frauenemanzipation, S. 7.<br />
208
2.4.5 LEITARTIKEL, ARTIKEL UND RUBRIKEN<br />
definierten Themenbereiche lassen sich auch in diesen Bestandteilen der „Gleichheit“<br />
wiedererkennen. Zudem stehen aber manche der ersten Rubriken auch für den Charakter der<br />
„Gleichheit“ als Ratgeber <strong>und</strong> Kulturzeitschrift, der sich schließlich in der Einführung der<br />
Beilagen besonders ausprägte. Für die Hauptblatt-Rubriken gilt die von Vormschlag formulierte<br />
Charakterisierung:<br />
„Minutiös sind die Einzelheiten des Kampfes der Sozialdemokratie <strong>und</strong> der<br />
Gewerkschaften um politische <strong>und</strong> soziale Gleichstellung verzeichnet, sowie die<br />
Ereignisse der Frauenbewegung des In- <strong>und</strong> Auslandes. Ein Durchblättern der<br />
einzelnen Jahrgänge verschafft einen Einblick in die Lage der Arbeiterschaft in den<br />
verschiedenen Gebieten Deutschlands <strong>und</strong> in den einzelnen Industriezweigen.<br />
Strategische Überlegungen <strong>und</strong> taktische Kniffe kennzeichnen die<br />
Auseinandersetzungen mit dem wirtschaftlichen <strong>und</strong> politischen Gegner wie auch<br />
die Angriffe auf Passivität <strong>und</strong> Indifferenz gegenüber sozialistischen Zielen in den<br />
eigenen Reihen.“ 672<br />
Die vornehmliche Aufgabe der verschiedenen Rubriken war es, diese vielfältigen Inhalte<br />
möglichst übersichtlich zu vermitteln. Bezüglich der dafür notwendigen Strukturierung konnte<br />
sich die „Gleichheit“ zwar erneut an ihrer Vorgängerin, der „Arbeiterin“, orientieren, doch wahrte<br />
sie nicht nur eine gewisse Kontinuität, sie setzte auch auf eine Optimierung.<br />
Wie zuvor in der „Arbeiterin“ folgten den obligatorischen Leitartikeln <strong>und</strong> Artikeln die Rubriken<br />
„Arbeiterinnen-Bewegung“ <strong>und</strong> „Kleine Nachrichten“. Diese zwei in einem sehr engen <strong>und</strong><br />
kleinen Druck gehaltenen Rubriken wirken auf den ersten Blick relativ unübersichtlich. Umso<br />
mehr stechen jedoch die größer <strong>und</strong> fett gedruckten Ortsnamen, Schlagworte <strong>und</strong> „Halbsatz“-<br />
Überschriften aus ihnen hervor. Dieses redaktionelle Kalkül gab den Leserinnen nicht nur einen<br />
schnelleren Überblick über die gesamte proletarische Frauenbewegung, sondern vor allem<br />
gezielte Informationen zu ihrer eigenen jeweiligen lokalen <strong>und</strong> regionalen Organisation. Es waren<br />
vor allem jene beiden Rubriken, die die große Bedeutung der „Gleichheit“ als<br />
Vernetzungsinstrument der proletarischen Frauenbewegung ausmachten.<br />
Über eine erste Veränderung der Rubrik „Arbeiterinnen-Bewegung“ wurden die „Gleichheit“-<br />
Leserinnen bereits im Dezember 1892 in Kenntnis gesetzt. Obwohl der Umfang der Rubrik sich<br />
zukünftig verringern sollte, wurden die Leserinnen aufgefordert, besonders für diese Rubrik<br />
eigenständig entsprechende Berichte zu verfassen <strong>und</strong> an die Redaktion zu schicken. 673 Die in der<br />
Rubrik skizzierten Veranstaltungen wurden in öffentliche Versammlungen <strong>und</strong> in Vereins-<br />
versammlungen unterschieden. Unter den jeweiligen Städtenamen – die zudem größer <strong>und</strong> in<br />
alphabetischer Reihenfolge gedruckt waren – fanden die Leserinnen Angaben zu der aus-<br />
672 Ebd., S. 86<br />
673 Vgl. Zur Kenntnißnahme unserer Leserinnen. In: GL, 02/ 25/ 14.12.1892/ 203.<br />
209
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
richtenden Organisation, zum Vortragsthema <strong>und</strong> den Namen der/des Vortragenden. In der Rubrik<br />
„Kleine Nachrichten“ hob man dagegen jeweils den ersten Satz oder Halbsatz eines Artikels her-<br />
vor. Besonders häufig enthielt sie detaillierte Schilderungen proletarischer Arbeitsbedingungen,<br />
von Lohnkämpfen <strong>und</strong> von Misshandlungen der Arbeiterinnen – auch die Namen der jeweiligen<br />
Betriebe <strong>und</strong> Verantwortlichen blieben nicht ungenannt.<br />
Im Oktober 1895 wurde die Rubrik „Arbeiterinnen-Bewegung“ in „Aus der Bewegung“<br />
umbenannt. 674 Immer noch wurden Ortsnamen, Institutionen, Vortragende, Schlagwörter <strong>und</strong>/oder<br />
Vortragstitel optisch hervorgehoben. Zusätzlich erfolgte aber schließlich eine Unterteilung in die<br />
zwei Unterrubriken „<strong>Von</strong> der Agitation“ 675 <strong>und</strong> „<strong>Von</strong> den Organisationen“ 676 . 1905 wurden unter<br />
der Rubrik „Aus der Bewegung“ auch eine „Genossenschaftliche R<strong>und</strong>schau“ 677 , eine „Politische<br />
R<strong>und</strong>schau“ 678 <strong>und</strong> eine „Gewerkschaftliche R<strong>und</strong>schau“ 679 eingeführt. Vermutlich geschah dies in<br />
Anlehnung an andere sozialdemokratische Presseorgane wie die „Neue Zeit“ <strong>und</strong> die „Sozialis-<br />
tischen Monatshefte“. In der Gewerkschaftlichen R<strong>und</strong>schau wurden 1908 die „Gleichheit“-<br />
Leserinnen unter anderem zum Boykott der Musik-Schallplatten der Firma „Favorite“ aufgerufen,<br />
weil diese ihren Arbeitern das Koalitionsrecht verweigerte. 680 1913 berichtete eine Person mit dem<br />
Kürzel # , dass es „[i]n der elektronischen Weltfirma von Robert Bosch in Stuttgart“ 681 zu einer<br />
Aussperrung gekommen sei. Obwohl Bosch im „Rufe sozialen Verständnisses“ 682 stand, weil er<br />
u. a. den Achtst<strong>und</strong>entag eingeführt hatte, <strong>und</strong> obwohl er in einem fre<strong>und</strong>schaftlichen Verhältnis<br />
zu Zetkin stand, vertrat die „Gleichheit“ in Fragen der Arbeiterinnenrechte selbst gegenüber be-<br />
674 Vgl. GL, 05/ 21/ 16.10.1895/ 162.<br />
675 Seit GL, 07/ 07/ 31.03.1897/ 52.<br />
676 Seit GL, 09/ 06/ 15.03.1899/ 45 (diese Rubrik erschien deutlich seltener als die Rubrik „<strong>Von</strong> der Agitation“).<br />
677 Vgl. GL, 15/ 02/ 25.01.1905/ 11 (hier noch als Rubrik des Notizenteils). Anfangs von Katzenstein betreut, wurde<br />
diese Rubrik ab Nummer 24 des 16. Jahrgangs vornehmlich von H. Fl. geschrieben. Im 23. Jahrgang sind es vor<br />
allem Artikel von H. F. (vermutlich Henriette Fürth), im 29. Jahrgang von Adolf Rupprecht, die diese Rubrik<br />
prägen.<br />
678 Vgl. GL, 15/ 03/ 08.02.1905/ 16. Die politische R<strong>und</strong>schau des 15. Jahrgangs wurde vornehmlich von G.L. (eventuell<br />
Georg Ledebour), ab Nummer 2 des 17. Jahrgangs von H.B. <strong>und</strong> ab Nummer 13 des 24. Jahrgangs vor allem<br />
von A.Th. gestaltet – all diese Initialen wie auch die später verwendeten Symbole wie □ konnten nicht zugeordnet<br />
werden. Im 16. Jahrgang beschäftigte sich die politische R<strong>und</strong>schau hauptsächlich mit der Berichterstattung über<br />
die revolutionäre Bewegung in Russland. Der 17. Jahrgang enthielt an dieser Stelle vor allem Berichterstattungen<br />
aus dem Reichstag <strong>und</strong> zu den Wahlen. Schließlich übernahm K. H. – hinter diesem Kürzel verbarg sich<br />
vermutlich Kurt Heilbut – die Gestaltung dieser Rubrik, die letztmalig im 29. Jahrgang (vgl. GL, 29/ 17/<br />
23.05.1919/ 136) erschien <strong>und</strong> dann durch die ähnliche, nur noch selten erscheinende Rubrik „Umschau“ ersetzt<br />
wurde.<br />
679 Vgl. ebd. Diese Rubrik wurde wie bereits erwähnt im 15. Jahrgang vornehmlich von Katzenstein, aber auch von<br />
einer Person, die mit # zeichnete gestaltet. (vgl. z. B. Bericht vom Kölner Gewerkschaftskongreß. In: GL, 15/ 12/<br />
14.06.1905/ 71).<br />
680 Vgl. GL, 19/ 05/ 07.12.1908/ 79.<br />
681 GL, 23/ 20/ 25.06.1913/ 317.<br />
682 Ebd.<br />
210
2.4.5 LEITARTIKEL, ARTIKEL UND RUBRIKEN<br />
fre<strong>und</strong>eten Unternehmen eine klare Position. Die „Gewerkschaftliche“ <strong>und</strong> „Genossenschaftliche<br />
R<strong>und</strong>schau“ der „Gleichheit“ war aber auch Schauplatz nationaler Ressentiments – dies sogar<br />
unter der Redaktion Zetkins. Die Vereinsvertreterinnen betonten in ihren Berichten die Tüchtigkeit<br />
ihrer Organisationen <strong>und</strong> deren gutes Funktionieren im Bestreben, das deutsche Wirtschaftsleben<br />
aufrechtzuerhalten. Nicht nur, dass sie sich ihrer tragenden Rolle an der Heimatfront brüsteten <strong>und</strong><br />
so zur Kriegsunterstützung beitrugen, zudem traten sie bereits vor Kriegsbeginn u. a. in Gestalt<br />
der Konsumvereine in eine direkte Konkurrenz mit anderen Nationen. Stolz verkündete die<br />
„Gleichheit“ im Januar 1914, dass „das erste <strong>und</strong> klassische Land der Konsumvereine!“ 683 – Eng-<br />
land – in seiner Leistungsfähigkeit wohl bald eingeholt sei.<br />
Die Rubrik „<strong>Von</strong> der Agitation“ bot überwiegend Berichte über Ort <strong>und</strong> Verlauf einer Demonstra-<br />
tion, den Inhalt eines Vortrages, die Anzahl der Teilnehmenden <strong>und</strong> die Anzahl neu geworbener<br />
Mitglieder. An ihnen wird auffällig, dass die „Gleichheit“ lokale öffentliche Veranstaltungen<br />
selten im Vorfeld ankündigte oder bewarb. Solcherlei Werbung erfolgte lediglich für die jährlichen<br />
Maidemonstrationen, Parteitage <strong>und</strong> internationalen Frauentage. Lokal begrenzte Veranstaltungen<br />
müssen demnach weiterhin vornehmlich persönlich, per Handzettel oder Plakat angekündigt<br />
worden sein. Unverständlicherweise ließ die „Gleichheit“ ein ihr gegebenes agitatorisches <strong>und</strong> or-<br />
ganisatorisches Potential ungenutzt. Waren die Veranstaltungen zu spontan oder zu geheim, um in<br />
einem vierzehntäglich erscheinendem Blatt vorab beworben zu werden? Wenn ja, dann hätte<br />
dieses Manko mit der zunehmenden Organisation der Frauen <strong>und</strong> mit dem Reichsvereinsgesetz<br />
1908 behoben werden können, was aber nicht geschah.<br />
Die Rubrik „Aus der Bewegung“ <strong>und</strong> ihre beiden ersten Unterrubriken waren der Beitrag der<br />
„Gleichheit“ zur Organisation der proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> somit ein wichtiges<br />
Element des Selbstverständnisses <strong>und</strong> der Aufgabenstellung der „Gleichheit“. Als zentrales Organ<br />
der proletarischen Frauenbewegung vermittelte sie nicht nur allgemeine Inhalte politischer Bil-<br />
dung <strong>und</strong> Agitation, sondern informierte über Vereinsgründungen, Mitgliederentwicklungen <strong>und</strong><br />
die Verläufe lokaler Arbeitskämpfe – kurzum: Sie berichtete wirklich „aus der Bewegung“ <strong>und</strong><br />
vernetzte deren Trägerinnen. Indem Agitatorinnen <strong>und</strong> Bezirke namentlich genannt wurden,<br />
wurde unzweifelhaft auch eine „gegenseitige Verb<strong>und</strong>enheit“ 684 gefördert – eine Verb<strong>und</strong>enheit<br />
sowohl unterhalb den Agitatorinnen, den interessierten Leserinnen als auch zwischen diesen bei-<br />
683 GL, 25/ 09/ 22.01.1914/ 50.<br />
684 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 95.<br />
211
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
den Gruppen. Die Agitatorinnen wünschten sich, dadurch nicht nur ein Gruppenbewusstsein, ein<br />
„Wir-Gefühl“ 685 zu fördern, sondern möglichst auch ein Klassenbewusstsein. Die Arbeit für<br />
Bewegung <strong>und</strong> „Gleichheit“ bot aber auch die Möglichkeit, sich persönlich zu profilieren <strong>und</strong> gab<br />
damit Gr<strong>und</strong> für Konkurrenzstreitigkeiten innerhalb der proletarischen Frauenbewegung. Grup-<br />
penbewusstsein <strong>und</strong> persönliche Ebene schufen nach Meinung Vormschlags für die „Gleichheit“<br />
zusätzlich die Möglichkeit, „eine gewisse Kontrolle über die Agitationsarbeit in den einzelnen<br />
Bezirken aus[zuüben]“ 686 . Dort konnte das „Wir-Gefühl“ jedoch auch schnell in die Ablehnung<br />
„alles Außerhalbstehende[n]“ 687 umschlagen. Auch dies ist ein Phänomen, welches sich in den<br />
Rubriken wiederfindet. Besonders auffälliges Beispiel für einen solchen Ausschluss ist die der<br />
Entlassung Zetkins auf dem Fuße folgende Umbenennung der Rubrik „Aus der Bewegung“ in<br />
„Aus unserer Bewegung“. 688 Die neue Redaktion bestätigte damit bereits in ihrer ersten Nummer –<br />
<strong>und</strong> später umso deutlicher mit den Änderungen der „Gleichheit“-Untertitel – die auch für die<br />
Frauenbewegung der SPD geltende These, dass Ausgrenzung eine Form der Identitätsstiftung ist.<br />
Zu Erscheinungsbeginn besaß die „Gleichheit“ genau wie die „Arbeiterin“ die Rubrik „Kleine<br />
Nachrichten“, die ihrem Namen entsprechend eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Mitteilungen<br />
enthielt. Seit Februar 1896 erschien in den „Kleinen Nachrichten“ eine Unterrubrik mit dem Titel<br />
„Ausländische Frauenbewegung“, in der vornehmlich Braun über die Fortschritte anderer<br />
nationaler Frauenbewegungen <strong>und</strong> über die steigende Zahl von Frauen in akademischen Berufen<br />
berichtete. 689 Schließlich war es auch Braun, die gemeinsam mit Zetkin den die „Kleinen Nach-<br />
richten“ ersetzenden „Notizentheil“ 690 einrichtete. Bis zu Brauns Entlassung war dieser sehr gut<br />
strukturierte Teil der „Gleichheit“ stets mit der Bemerkung versehen, dass er aus der Feder „von<br />
Lily Braun <strong>und</strong> Klara Zetkin“ stammte. Die Redaktion maß ihm große Bedeutung bei <strong>und</strong> wollte<br />
zu seinen Gunsten sogar den für die Artikel zur Verfügung stehenden Raum kürzen. Im „voll-<br />
ständig, reichhaltig <strong>und</strong> vor Allem so übersichtlich als möglich“ 691 gestalteten Notizenteil sollte<br />
685 Vgl. ebd.<br />
686 Ebd.<br />
687 Ebd.<br />
„Thatsachenmaterial […] über die Arbeits- <strong>und</strong> Lebensbedingungen<br />
der proletarischen Frauen , über den Stand <strong>und</strong> die Entwicklung<br />
der Arbeiterinnenorganisationen im In- <strong>und</strong> Ausland, über den Stand <strong>und</strong><br />
688 Vgl. GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 122.<br />
689 Vgl. Die Redaktion: An die Leserinnen <strong>und</strong> Leser. In: GL, 06/ 04/ 19.02.1896/ 32.<br />
690 Vgl. GL, 07/ 14/ 07.07.1897/ 111-112.<br />
691 Die Redaktion: An die Leserinnen <strong>und</strong> Leser. In: GL, 07/ 14/ 07.07.1897/ 106.<br />
212
2.4.5 LEITARTIKEL, ARTIKEL UND RUBRIKEN<br />
die Entwicklung der Frauenbewegung allerwärts, über die Fabrikinspektion<br />
ec. ec.“ 692<br />
erscheinen, wobei der „sozialen Gesetzgebung “ 693 besondere Aufmerksamkeit gewidmet<br />
werden sollte. Der erste erschienene Notizenteil gliederte sich in folgende Unterrubriken: „Ge-<br />
werkschaftliche Arbeiterinnen-Organisation“, „Soziale Gesetzgebung“, „Frauenarbeit auf dem<br />
Gebiete der Industrie, des Handels <strong>und</strong> Verkehrswesens“, „Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen“<br />
<strong>und</strong> „Frauenbewegung“. 694 Manche der Unterrubriken des Notizenteils entstanden aus einmaligen<br />
konkreten Anlässen, andere erschienen relativ regelmäßig. Ersteren zuzurechnen sind vor allem<br />
die Rubriken mit dem Titel „Die Polizei im Kampf gegen die proletarische Frauenbewegung“<br />
oder „Die Staatsanwaltschaft […]“ bzw. „Die Behörden im Kampfe gegen die proletarischen<br />
Frauen“ 695 , in denen über die Auflösungen von Versammlungen, Verhaftungen <strong>und</strong> Gerichts-<br />
verhandlungen berichtet wurde. Weitere Rubrikentitel offenbaren die Vielfalt der Thematik:<br />
„Weibliche Fabrikinspektoren“, „Sozialistische Frauenbewegung im Auslande“ 696 , „Ges<strong>und</strong>heits-<br />
schädliche Folgen industrieller Frauenarbeit“ 697 , „Publikationen zur Frauenfrage“, „Kinder-<br />
arbeit“ 698 , „Schul- <strong>und</strong> Erziehungswesen“ 699 , „Sittlichkeitsfrage“ 700 , „Frauenstimmrecht“ 701 ,<br />
„Statistisches zur Frauenfrage“ 702 , „Soziale Fürsorge für Kinder <strong>und</strong> Mütter“ 703 , „Frauengenossen-<br />
schaften“, „Soziale Reformen“ 704 , „Dienstbotenfrage“ 705 .<br />
Braun <strong>und</strong> Zetkin legten mit dem Notizenteil den Gr<strong>und</strong>stein für eine übersichtliche Gliederung<br />
der Rubriken. Dass am 5. Juni 1901 der Notizenteil erstmals ohne den erwähnten Hinweis auf die<br />
für ihn Verantwortlichen erschien, markierte den Zeitpunkt von Brauns Entlassung aus der<br />
„Gleichheit“-Redaktion. 706<br />
692 Ebd.<br />
693 Ebd.<br />
694 Vgl. GL, 07/ 14/ 07.07.1897/ 111-112.<br />
695 Vgl. GL, 07/ 08/ 17.04.1907/ 65-66.<br />
696 Vgl. für die Einführung beider Rubriken GL, 07/ 15/ 21.07.1897/ 119-120.<br />
697 Vgl. GL, 07/ 17/ 18.08.1897/ 134.<br />
698 Vgl. für die Einführung beider Rubriken GL, 07/ 21/ 13.10.1897/ 167-168.<br />
699 Vgl. GL, 07/ 25/ 08.12.1897/ 199.<br />
700 Vgl. GL, 07/ 26/ 22.12.1897/ 208.<br />
701 Vgl. GL, 08/ 02/ 19.01.1898/ 15.<br />
702 Vgl. GL, 08/ 03/ 02.02.1898/ 24.<br />
703 Vgl. GL, 08/ 17/ 17.08.1898/ 135.<br />
704 Vgl. für die Einführung beider Rubriken GL, 08/ 21/ 12.10.1898/ 167.<br />
705 Vgl. GL, 08/ 26/ 21.12.1898/ 207.<br />
706 Braun hatte, wie bereits erwähnt, mehrere Vorschläge für die vernetzende <strong>und</strong> agitierende Aufgabenstellung der<br />
proletarischen Frauenbewegung zur Diskussion gestellt. Ihr waren jedoch statt Anerkennung nur Kritik <strong>und</strong><br />
213
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Der Notizenteil wurde auch ohne Braun weitergeführt <strong>und</strong> entwickelte sich fort. Wenn auch<br />
auffällig seltener, wurden doch auch weiterhin neue Rubriken wie „Vereinsrecht der Frauen“ 707 ,<br />
„Frauen in öffentlichen Ämtern“ 708 <strong>und</strong> „Bürgerliches Recht der Frau“ 709 eingerichtet. Angesichts<br />
der Fülle von Rubriken ist es nicht verw<strong>und</strong>erlich, dass der Notizenteil neben der Rubrik „Aus der<br />
Bewegung“ einen großen Teil einer „Gleichheit“-Nummer ausmachen konnte. 710<br />
Während des Ersten Weltkriegs nutzte Zetkin einzelne Rubriken, um der kriegsbefürwortenden<br />
Politik des Parteivorstandes ihr eigenes Verständnis von proletarischem Internationalismus <strong>und</strong><br />
ihre Sicht der neuen Lage entgegenzusetzen: Am 16. Oktober 1914 erschien zum ersten Mal die<br />
Rubrik „Für den Frieden“ 711 . Die „Gleichheit“ berichtete darin u. a. von Friedensk<strong>und</strong>gebungen in<br />
den USA, vom Frauenb<strong>und</strong> der Deutschen Friedensgesellschaft <strong>und</strong> Friedensk<strong>und</strong>gebungen des<br />
Internationalen Frauenstimmrechtsverbandes. 712 Später waren es vor allem Berichte zu den<br />
revolutionären Ereignissen in Russland, die in dieser Rubrik veröffentlicht wurden. Direkte Kritik<br />
an der Politik der eigenen Partei aber übte die „Gleichheit“ besonders in der Rubrik „Burgfrieden“<br />
713 . Sie enthielt vor allem Berichte über die Maßnahmen der Behörden gegen Rosa Luxemburg<br />
<strong>und</strong> Karl Liebknecht. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wurde die Rubrik Opfer der Zensur <strong>und</strong> von der<br />
Redaktion mit dem unauffälligeren Namen „Aus dem öffentlichen Leben“ versehen. 714 Über die<br />
anhaltenden Querelen innerhalb der Partei – so z. B. über die Spaltung der sozialdemokratischen<br />
Fraktion des Preußischen Abgeordnetenhauses – informierte Zetkin seit Februar 1916 in der Rub-<br />
rik „Aus der Partei“ 715 .<br />
Ablehnung entgegengebracht worden. Nach ihrer Entlassung verschwand ihr Name aus der „Gleichheit“. So, wie<br />
anlässlich der Einrichtung des Frauenbüros 1908 nichts <strong>und</strong> niemand daran erinnerte, dass diese Initiative hierfür<br />
von Braun ausgegangen war, so wurde auch ihr Verdienst um die Redaktion des Notizenteils nahezu vergessen.<br />
707 Vgl. GL, 11/ 15/ 17.07.1901/ 117.<br />
708 Vgl. GL, 13/ 10/ 06.05.1903/ 80.<br />
709 Vgl. GL, 13/ 13/ 17.06.1903/ 104.<br />
710 Laut Vormschlag füllten beide Rubriken in den ersten Jahren fast 50% des achtseitigen Umfangs einer Nummer<br />
(vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 94; Vormschlag verweist<br />
hier auf GL, 07/ 14/ 07.07.1897).<br />
711 Vgl. GL, 25/ 02/ 16.10.1914/ 11-12.<br />
712 Vgl. ebd.<br />
713 Vgl. GL, 25/ 09/ 22.01.1915/ 51.<br />
714 Vgl. GL, 26/ 22/ 21.07.1916/ 168.<br />
715 Die Spaltung der sozialdemokratischen Fraktion des Preußischen Abgeordnetenhauses. In: GL, 27/ 10/<br />
16.02.1917/ 69-70. Interessanterweise sprach Zetkin in ihrem ersten in dieser Rubrik erscheinenden Artikel von<br />
einer „reinlichen Scheidung“. Hatte sie mit diesem Begriff bisher vor allem das Verhältnis zur bürgerlichen<br />
Frauenbewegung definiert, so warf sie nun den Mehrheitspolitikern vor, eine solche innerhalb der Partei provoziert<br />
zu haben (vgl. ebd.).<br />
214
2.4.5 LEITARTIKEL, ARTIKEL UND RUBRIKEN<br />
Die neue „Gleichheit“-Redaktion hatte für den Notizenteil in seiner bisherigen Gestalt keinerlei<br />
Verwendung. Direkt in der ersten Nummer der „neuen“ „Gleichheit“ vom 8. Juni 1917 erschienen<br />
viele neue Rubriken, deren Überschriften in einen auffälligen schwarzen Rahmen gesetzt waren.<br />
<strong>Von</strong> diesen ersten neuen Rubriken erschienen in besonderer Regelmäßigkeit: „Politische Um-<br />
schau“, „Gewerkschaftliche Monatsschau“, „Vom Fortgang des Frauenrechts“, „Die Frau in der<br />
Gemeinde“, „Die Mutter als Erzieherin“ <strong>und</strong> „Bücherschau“. 716 Die Rubrik „Die Frau als<br />
Arbeiterin“ 717 erschien dagegen sehr unregelmäßig. Wenig später kamen weitere Rubriken wie<br />
„Aus der bürgerlichen Frauenbewegung“ 718 <strong>und</strong> „Volkserziehung“ 719 hinzu. Es wurde kaum eine<br />
der letzten Rubriken der „alten“ „Gleichheit“ von der neuen Redaktion übernommen. So auch<br />
nicht die Rubrik „Sozialistische Frauenbewegung im Ausland“. Statt ihrer erschien auffällig spät<br />
– am 14. September 1917 – die Rubrik „Aus der Frauenbewegung des Auslandes“ 720 . Der Titel<br />
zeigt, wie klassenkämpferische Begrifflichkeiten zunehmend aus der „Gleichheit“ verschwanden<br />
<strong>und</strong> wie sehr der Kontakt zu den ausländischen Frauenorganisationen geschwächt war. Zwar<br />
enthielt jene Rubrik stets mehrere kleine Artikel, doch größere Beiträge ausländischer<br />
Aktivistinnen wie sie unter der Redaktion Zetkins üblich waren, blieben aus. Ein Gr<strong>und</strong> dafür<br />
könnte u. a. gewesen sein, dass die verbindende internationale Forderung nach dem<br />
Frauenwahlrecht mittlerweile durch die Einführung desselben in einigen Staaten nicht mehr den<br />
gemeinsamen Minimalkonsens darstellte. Ein weiterer Gr<strong>und</strong> war jedoch sicherlich der Umstand,<br />
dass durch die Entlassung Zetkins nun die für die internationalen Kontakte <strong>und</strong> die internationale<br />
Berichterstattung entscheidende Person fehlte.<br />
Schließlich machten im Verlauf der Jahrgänge noch folgende Rubriken Gesicht <strong>und</strong> Inhalt der<br />
„Gleichheit“ aus: „Die Frau im Beruf“ 721 , „Bevölkerungspolitik“ 722 , „Kriegerfrauen <strong>und</strong> Krieger-<br />
witwen“ 723 <strong>und</strong> die Rubrik „Wohlfahrtspflege“, die als Auftakt über die Gründung der Arbeiter-<br />
716 Vgl. GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 119-124.<br />
717 Vgl. ebd.<br />
718 Vgl. GL, 27/ 19/ 22.06.1917/ 132. Diese Rubrik stehe für die, so Vormschlag, „Annäherung, welche das Aufgeben<br />
des Postulats des Klassenkampfes ermöglicht“ (Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer<br />
Frauenzeitschriften, S. 100) habe.<br />
719 Vgl. ebd.<br />
720 Vgl. GL, 27/ 25/ 14.09.1917/ 177. Die Rubrik enthielt bei ihrem ersten Erscheinen einen Bericht aus Bulgarien<br />
<strong>und</strong> einen über eine im russischen Kasan abgehaltene Konferenz muslimischer Frauen.<br />
721 Vgl. ebd., S. 179.<br />
722 Vgl. GL, 28/ 12/ 15.03.1918/ 96.<br />
723 Vgl. GL, 28/ 24/ 30.08.1918/ 191.<br />
215
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
wohlfahrt berichtete. 724 Die bereits erwähnte Rubrik „Freie Aussprache“ 725 , die die „sachliche<br />
Verantwortung“ 726 <strong>und</strong> den „Gegenstand der Einsendung“ 727 völlig frei bei den Einsenderinnen<br />
beließ, besaß zwar einen interessanten Projektcharakter, weist jedoch kaum Artikel auf. 728<br />
724 Vgl. Juchacz, Marie: Arbeiterwohlfahrt. In: GL, 30/ 25/ 19.06.1920/ 206. Bereits am 13. November des Vorjahres,<br />
so erfährt man aus dem Artikel, hatte der Parteiausschuss auf Anregung des Parteivorstandes beschlossen, einen<br />
Haupstausschuss für Arbeiterwohlfahrt zu gründen (vgl. ebd.). Juchacz setzte diesen Artikel fort: Juchacz, Marie:<br />
Arbeiterwohlfahrt. II. In: GL, 30/ 26/ 26.06.1920/ 214-215; Arbeiterwohlfahrt. III. In: 30/ 27/ 03.07.1920/ 223.<br />
725 Vgl. GL, 28/ 19/ 21.06.1918/ 152. Wie häufig diese Rubrik erschien konnte nicht zuverlässig recherchiert werden.<br />
Ein weiteres Mal erschien sie in GL, 28/ 20/ 05.07.1918/ 160.<br />
726 [Ohne Titel:] In: GL, 28/ 19/ 21.06.1918/ 152.<br />
727 Ebd.<br />
728 Einer der in dieser Rubrik erschienenen Artikel gibt hinsichtlich der Rezeption der „Gleichheit“ einigen<br />
Aufschluss <strong>und</strong> soll an gegebener Stelle noch herangezogen werden.<br />
216
2.4.6 Feuilleton <strong>und</strong> Beilagen<br />
2.4.6 FEUILLETON UND BEILAGEN<br />
Das Feuilleton ist derjenige Teil der „Gleichheit“, der sowohl in den damaligen Diskussionen wie<br />
auch in den neueren Studien am häufigsten bemängelt wird. Während die „Zeit-GenossInnen“ vor<br />
allem die Theorielastigkeit der „Gleichheit“ kritisierten <strong>und</strong> sich für eine Erweiterung des unter-<br />
haltsamen Teils aussprachen 729 , bemängeln heutige WissenschaftlerInnen dagegen eine „Feuil-<br />
letonisierung“ der „Gleichheit“. Das Niveau des „Gleichheit“-Feuilletons in Gestalt der Beilagen<br />
„Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ <strong>und</strong> „Für unsere Kinder“ sowie später „Die Frau <strong>und</strong> ihr<br />
Haus“ habe zunehmend einen ungünstigen Einfluss auf den Inhalt des Hauptblattes genommen.<br />
Es ist besonders Vormschlag, die sich in ihrer Studie der Analyse dieses Prozesses der Feuille-<br />
tonisierung widmet. 730 Wirklich setzte dieser Prozess erst mit der Einführung der Beilagen ein,<br />
wogegen in den Jahren zuvor „unter dem Strich“ ein besonderes Wechselspiel zwischen Feuilleton<br />
<strong>und</strong> Berichtteil zu beobachten war. Dieses Wechselspiel charakterisiert Vormschlag als eine „Agi-<br />
tation in Erzählform“ 731 :<br />
„Das Mitgefühl der Leserin mit den Ausgebeuteten <strong>und</strong> vom Leben Benachteiligten,<br />
welches wiederum ein Klassengefühl weckt, wird durch die Simplizität<br />
der Erzählung kaum geschmälert. Die rührend-sentimentale Beschreibung des<br />
Schicksals der ausgenutzten, zur Prostitution verführten <strong>und</strong> zum Selbstmord getriebenen<br />
Dienstboten, Näherinnen <strong>und</strong> Fabrikarbeiterinnen besitzt den Vorzug<br />
jeder Trivialliteratur, durch Verwendung bekannter Klischees besonders eingänglich<br />
zu sein.“ 732<br />
Vormschlag bescheinigt damit der „Gleichheit“-Redaktion eine ausgeklügelte Form der<br />
Leserinnenansprache. Ebensolches konstatiert auch Gomard, bezieht diesen besonderen Brücken-<br />
schlag jedoch weniger auf den Schreibstil als auf die Struktur der „Gleichheit“:<br />
„Die Texte im Feuilleton waren weitgehend Paralleltexte zu den Artikeln.“ 733<br />
Erschien z. B. ein Artikel über Heimarbeit, so folgte oft in derselben oder in der nächsten<br />
729 Rückblickend schrieb Lion bereits 1926: „Durch die Geschichte der ‘Gleichheit’ zieht sich die Beanstandung ihrer<br />
Unpopularität.“ (Lion, Zur Soziologie der Frauenbewegung, S. 93). Die Zetkin‘sche „Gleichheit“ war nicht nur<br />
auf den von 1900 bis 1911 ungefähr alle zwei Jahre stattfindenden sozialdemokratischen Frauenkonferenzen,<br />
sondern auch auf den Parteitagen Gegenstand längerer Diskussionen (vgl. die Protokolle der SPD-Parteitage<br />
Stuttgart 1898 (S. 131f.); Bremen 1904 (S. 373f.); Jena 1905 (S. 279ff.); Magdeburg 1910 (S. 216ff.); Jena 1911<br />
(S. 254ff.); Chemnitz 1912 (S. 257f.); Jena 1913 (S. 254ff.); Würzburg 1917 (S. 284ff., S. 247ff., S. 254, S. 267,<br />
S. 307f.)). Auf dem Parteitag 1916 in Berlin war bemerkenswerterweise zwar die Haltung der parteiinternen<br />
Opposition, aber nicht die Haltung der„Gleichheit“ Diskussionsthema.<br />
730 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 20.<br />
731 Ebd., S. 107.<br />
732 Ebd., S. 107f. Vormschlag verweist hier auf: Goebeler, Dorothee: Aus Hunger. In: GL, 06/ 08/ 15.04.1896/ 59-62;<br />
GL, 06/ 09/ 29.04.1896/ 68-70; Lüders, C.: Eine alltägliche Geschichte. In: GL, 05/ 11/ 29.05.1895/ 84-85;<br />
Schulz, Carl Th.: Aristokratische Frauen. In: GL, 05/ 15/ 24.07.1895/ 118 <strong>und</strong> andere Erzählungen <strong>und</strong> Gedichte<br />
der ersten Jahrgänge, die teilweise anonym veröffentlicht wurden.<br />
733 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 27.<br />
217
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Nummer eine Erzählung oder ein Gedicht 734 ähnlichen Inhalts. Die „Gleichheit“ betrieb auf diese<br />
Weise, so Gomard, eine geschickte „Agitation für Kopf <strong>und</strong> Herz“ 735 – dies sowohl in Artikeln als<br />
auch im Feuilleton. Die „Gleichheit“-Leserinnen wurden somit auf einer Ebene angesprochen, auf<br />
der ihre Gruppen- <strong>und</strong> Berufsheterogenität zweitrangig war. Der Appell an ihre Gefühle deckte<br />
sich mit ihrem Bedürfnis nach Ablenkung von ihren Alltagsproblemen. Dieses Bedürfnis war<br />
allen gemeinsam <strong>und</strong> schuf Identität. Während sich viele bürgerliche Frauen- <strong>und</strong> Unterhaltungs-<br />
zeitschriften allein diesen oberflächlichen Wünschen ihrer Leserinnen widmeten, war jedoch das<br />
Feuilleton der „Gleichheit“ vor allem als Ergänzung ihres politischen Bildungsprogramms<br />
konzipiert. Geiger/Weigel sprechen gar von einer „wirkungsästhetischen Doppelstrategie“ 736 der<br />
Beilagen. Friedrich dagegen ist im Sinne des sozialistischen Agitationsprogramms der Meinung,<br />
dass „[e]s […] nie eine besondere ‘sozialistische Frauendichtung’ gegeben [habe], <strong>und</strong> es [werde]<br />
sie auch nie geben“. 737<br />
In der ersten Nummer der „Gleichheit“ wurde das Feuilleton, wie zu jener Zeit üblich, in größeren<br />
Druck <strong>und</strong> „unter den Strich“ gesetzt. Hervorgehoben durch den größeren Druck <strong>und</strong> an diese<br />
markante Stelle gesetzt, waren die Texte für die Leserinnen besonders leicht zu finden. Sie fanden<br />
dort Werke unterschiedlichster literarischer Gattungen wie z. B. Erzählungen, Novellen, Gedichte<br />
<strong>und</strong> auch einige der für die vorliegende Dissertation zentralen biographischen Skizzen. Teilweise<br />
als Artikelserien konzipiert, war es nicht nur die Unterhaltsamkeit der Texte, die die Leserinnen<br />
auf diese Weise an die „Gleichheit“ band – wer wissen wollte, wie es weiterging, musste in die<br />
nächste Nummer schauen.<br />
Nur ein kleiner Teil der neueren Forschungsarbeiten zur „Gleichheit“ beschäftigt sich dezidiert<br />
mit deren Feuilleton <strong>und</strong> seinen Inhalten. 738 Der von Vormschlag angelegten quantitativen<br />
Auswertung des Hauptblattfeuilletons zufolge, stammten die meisten Erzählungen aus den Federn<br />
von Guy de Maupassant, Emile Zola, Björnstjerne Björnson, August Strindberg, Alexander<br />
Kielland, Henrik Ibsen, Wladimir Korolenko, Iwan Turgenjew <strong>und</strong> Maxim Gorki. Die<br />
humorvollen <strong>und</strong> volkstümlichen Beiträge entlieh sich die „Gleichheit“-Redaktion, so Vorm-<br />
schlag, den Werken Mark Twains, Charles Dickens‘, Ludwig Anzensgrubers <strong>und</strong> Ludwig<br />
Thomas‘. Novellen stammten von Theodor Storm, Wilhelm Raabe <strong>und</strong> Gottfried Keller, weitere<br />
734 Eine Auswahl verschiedener Gedichte – darunter vor allem solche mit politischer Intention – ist im Anhang<br />
enthalten.<br />
735 Ebd.<br />
736 Geiger/Weigel, Sind das noch Damen?, S. 83.<br />
737 Friedrich, Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen, S. XI. Es ist jedoch unleugbar, dass die<br />
Leserinnen der „Gleichheit“ mit einer besonderen Literatur angesprochen werden sollten. Der Frage, ob diese die<br />
Gr<strong>und</strong>lage eines besonderen Genres war, kann an dieser Stelle nicht nachgegangen werden.<br />
738 Besonders hervorzuheben sind hier die Studien von Vormschlag, Gomard, Reutershan <strong>und</strong> Puschnerat.<br />
218
2.4.6 FEUILLETON UND BEILAGEN<br />
populäre Beiträge von Max Eyth <strong>und</strong> Ernst Zahn. Es erschienen bevorzugt Gedichte von Friedrich<br />
Schiller, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Hölderlin, Percy B. Shelley, George Gordon<br />
Byron, Eduard Mörike, Ludwig Uhland, Joseph von Eichendorff, C. F. Meyer, Peter Hebel, Detlef<br />
von Liliencron, Ferdinand Freiligrath, Cäsar Flaischlen, O. E. Hartleben <strong>und</strong> Heinrich Heine. 739 In<br />
einer vergleichenden Analyse der Jahrgänge 1895, 1905 <strong>und</strong> 1906 stellt Vormschlag des Weiteren<br />
fest, dass, während 1895 noch der Großteil der Prosabeiträge <strong>und</strong> Gedichte aus der Feder<br />
sozialistischer – <strong>und</strong> vermutlich parteinaher – SchriftstellerInnen stammte, deren Anteil 1906 nur<br />
noch 15 von 32 bei den Prosabeiträgen <strong>und</strong> nur noch 23 von 46 bei den Gedichten betrug. Werke<br />
sozialistischer SchriftstellerInnen wie Otto Krille, Lu Märten (1879-1970) 740 <strong>und</strong> Ada Christen<br />
(1839-1901) <strong>und</strong> die Gedichte Robert Seidels (1850-1933) 741 , Klara Müller-Jahnkes (1861-<br />
1905), Ada Negris (1870-1945) oder Emma Döltz‘ (1866-1950) 742 machten bald nur noch die<br />
Hälfte des „Gleichheit“-Feuilletons aus. 743 Mit dieser quantitativen Reduktion ideologisch<br />
geprägter Werke sieht Vormschlag sogar einen „Qualitätsanstieg“ 744 einhergehen. Zwar sei die<br />
sozialistische Tendenz als Auswahlkriterium nie vollkommen außer Acht gelassen worden, aber<br />
zusätzlich habe die künstlerische Form an Bedeutung gewonnen. Insgesamt attestiert Vormschlag<br />
der „Gleichheit“-Redaktion eine sehr „qualitätsorientierte[…] Auswahl“ 745 der Literatur.<br />
Dagegen kommt Richebächer jedoch zu einer ganz anderen Zusammenstellung der von der<br />
„Gleichheit“-Redaktion bevorzugten Literatur. Sie stützt sich dabei auf die den Leserinnen<br />
dargebotenen Leseempfehlungen. <strong>Von</strong> den deutschsprachigen AutorInnen seien dort den<br />
„Gleichheit“-Leserinnen vor allem Wilhelm Hauff, Emil Ludwig, Adelbert von Chamisso,<br />
739 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 110.<br />
740 Lu – eigentlich Luise Charlotte – Märten wuchs in Armut auf <strong>und</strong> wurde 1898 SPD-Mitglied. Sie trat später der<br />
USPD <strong>und</strong> schließlich der KPD bei. Ihre Werke wurden in über 80 Presseorganen veröffenlicht. 1933 wurde<br />
Märten aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen. Ab 1945 arbeitete sie als Lektorin für den DDR-Verlag<br />
„Volk <strong>und</strong> Wissen“.<br />
741 Robert Seidel war habilitierter Pädagoge <strong>und</strong> Publizist. Er stammte zwar aus Sachsen, emigrierte aber 1870 in die<br />
Schweiz.<br />
742 Emma Döltz, geb. Lehmann, verlor im Kindesalter ihren Vater, wuchs im Steglitzer Armenhaus auf <strong>und</strong> half ihrer<br />
heimarbeitenden Mutter beim Nähen von Pantoffeln. Sie arbeitete erst in einer Stahlfederfabrik, dann als Posamentiererin,<br />
d.h. als Näherin für Applikationen, Borten oder Bänder. Nach ihrer Heirat mit dem Schlosser Döltz<br />
im Alter von 20 Jahren arbeitete sie gemeinsam mit ihren drei Kindern selbst als Näherin in Heimarbeit. Ein<br />
Vortrag Paul Singers begeisterte sie in den 1890er Jahren für die Sozialdemokratie. Seit 1903 engagierte sie sich in<br />
der Kinderschutzkommission von Berlin. Sie wurde Bezirksvorstandsmitglied der Berliner SPD <strong>und</strong> beteiligte<br />
sich an der Leitung der Berliner AWO. Während des Ersten Weltkrieges wurde Döltz Mitglied der USPD <strong>und</strong><br />
später wieder der SPD. Seit 1894 erschienen ihre Arbeiten in der „Gleichheit“ <strong>und</strong> anderen SPD-Blättern. Laut<br />
Drust hatte Döltz 1908-1914 in der Kinderbeilage der „Gleichheit“ 60 Beiträge veröffentlicht (vgl. Drust, Für<br />
unsere Kinder, S. 198).<br />
743 <strong>Von</strong> einigen dieser Vertreterinnen sozialistischer Literatur sind einzelne Gedichte im Anhang enthalten.<br />
744 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 111.<br />
745 Ebd., S. 110.<br />
219
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Adalbert Stifter, Peter Rosegger, Marie von Ebner-Eschenbach (1830-1916) 746 <strong>und</strong> Heinrich von<br />
Kleist empfohlen worden. Als „lesenswerte Ausländer“ 747 habe die Redaktion z. B. Miguel de<br />
Cervantes, Alphonse Daudet, Guy de Maupassant <strong>und</strong> Daniel Defoe erachtet. 748 Angesichts dieser<br />
Vielzahl renommierter LiteratInnen bleibt die Behauptung Freiers, in der „Gleichheit“ seien<br />
„Erzählungen, Märchen <strong>und</strong> Gedichte[…] von meist unbekannten deutschen, englischen <strong>und</strong><br />
russischen Schriftstellern“ 749 [Hervorhebung von M.S.] erschienen, vollkommen unerklärlich.<br />
Ebenso markant wie pikant ist jedoch die unbestreitbare Tatsache, dass im Feuilleton der ersten<br />
sozialistischen Frauenzeitschrift überwiegend männliche Schriftsteller vertreten waren.<br />
Zetkin hatte unverkennbar ein literarisches Konzept für das Feuilleton der „Gleichheit“. In ihrer<br />
1911 verfassten Schrift „Kunst <strong>und</strong> Proletariat“ verdeutlichte sie ihre gr<strong>und</strong>sätzlichen Erwar-<br />
tungen an eine Kunst, die „Geist vom Geiste des Sozialismus ist“ 750 . Diese musste der Zielsetzung<br />
für eine zukünftige Gesellschaft entsprechen, in der „die allseitige, harmonische Entwicklung der<br />
proletarischen Männer <strong>und</strong> Frauen“ 751 gefördert werden sollte, um mit der „geläuterten, veredelten<br />
Genußfähigkeit ihre Kampfesfähigkeit“ 752 zu erhöhen. 753 In dieser Hinsicht waren besonders die<br />
Elendsschilderungen – ob in literarischer oder berichtender Form – ein entscheidender, besonders<br />
anschaulicher <strong>und</strong> emotionaler Teil antikapitalistischer Aufklärung. Denn es war der Kapitalismus,<br />
in dem jenes Elend der ProletarierInnen, ihre miserablen Lebensbedingungen <strong>und</strong> ihre<br />
Rechtlosigkeit wurzelten. Diese Erkenntnis, dieses Bewusstsein galt es, zu vermitteln. Vormschlag<br />
sieht aber gerade dieses Konzept als gescheitert an, denn die „Skizzen aus dem trostlosen Arbei-<br />
teralltag [seien] von den Leserinnen nicht als unterhaltend <strong>und</strong> entspannend empf<strong>und</strong>en“ 754<br />
worden. Solche „Empfindungen“ der Leserinnen – so nachvollziehbar sie auch wären – können<br />
von Vormschlag jedoch nicht belegt werden, denn eine aussagekräftige Untersuchung der „Gleich-<br />
heit“-Rezeption ist unmöglich.<br />
Zumindest fand in den Elendsschilderungen jedoch ein entscheidender Hoffnungsschimmer<br />
746 Zu Ebner-Eschenbach in der „Gleichheit“ siehe: Der erste weibliche Ehrendoktor an einer deutschen Universität.<br />
In: GL, 10/ 21/ 10.10.1900/ 167.<br />
747 Vgl. Richebächer, Uns fehlt nur eine Kleinigkeit, S. 117.<br />
748 Vgl. ebd. Zum Leseverhalten von ArbeiterInnen siehe: Klucsarits/Kürbisch, Arbeiterinnen kämpfen um ihr Recht;<br />
Bertlein, Jugendleben <strong>und</strong> soziales Bildungsschicksal; Steinberg, Lesegewohnheiten deutscher Arbeiter.<br />
749 Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. 25.<br />
750 Zetkin, Kunst <strong>und</strong> Proletariat, S. 194.<br />
751 Der Parteitag zu Gotha-Siebleben. In: GL, 06/ 22/ 28.10.1896/ 169-170, S. 169.<br />
752 Ebd.<br />
753 Für eine detaillierte Untersuchung der künstlerischen Qualität sozialistischer Literatur, wie sie auch im „Gleichheit“-Feuilleton<br />
veröffentlicht wurde, siehe: Reutershan, Clara Zetkin <strong>und</strong> Brot <strong>und</strong> Rosen. Literaturpolitische<br />
Konflikte zwischen Partei <strong>und</strong> Frauenbewegung in der deutschen Vorkriegssozialdemokratie.<br />
754 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 160.<br />
220
2.4.6 FEUILLETON UND BEILAGEN<br />
Ausdruck: Proletarisches Elend hat nicht nur eine konkrete Ursache, es ist auch weder schicksal-<br />
haft noch unveränderlich. Um das Unrechtssystem im notwendigen gemeinsamen Klassenkampf<br />
zu überwinden, fehlt es lediglich an einem die proletarischen Kräfte mobilisierenden <strong>und</strong> weg-<br />
weisenden Kampfziel – an einer Utopie. 755 War die Intention des „Gleichheit“-Feuilletons<br />
einerseits, die Leserinnen von der in Groschenromanen innewohnenden „Wirklichkeitsflucht zu<br />
einer Auseinandersetzung mit den eigenen Erfahrungen“ 756 zu bewegen, so ergab sich jedoch<br />
andererseits aus seinem Gehalt an utopischer Literatur ein deutlicher Widerspruch. Tatsächlich bot<br />
auch die „Gleichheit“ Möglichkeiten der Wirklichkeitsflucht, denn in ihr wurden auch die drei<br />
bekanntesten utopischen Werke sozialistischer Intention besprochen: Nahezu allgegenwärtig das<br />
Werk Bebels „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“, Edward Bellamys „Ein Rückblick aus dem Jahr<br />
2000“ – von Zetkin persönlich zu Beginn ihrer Karriere ins Deutsche übersetzt – <strong>und</strong> schließlich<br />
„K<strong>und</strong>e von Nirgendwo“ (1890) von William Morris. 757<br />
Gerade die Anlehnung der „Gleichheit“ an Bebels sehr abstrakte Beschreibungen der ver-<br />
schiedenen Fähigkeiten <strong>und</strong> Tätigkeiten der Frauen im Sozialismus, so die Kritik Gomards, habe<br />
dazu geführt, dass auch die utopischen Anteile der „Gleichheit“ abstrakt geblieben seien. Doch<br />
nicht nur dies. Die von der „Gleichheit“ im Feuilleton angebotenen „direkten Utopien“ 758 seien<br />
noch dazu sehr langweilig gewesen. 759 Das „Gleichheit“-Feuilleton <strong>und</strong> die gesamte proletarische<br />
Literatur hätten es nicht vermocht, utopische Leitgedanken genauso konkret <strong>und</strong> vermittelbar zu<br />
gestalten wie die im Stile von Naturalismus <strong>und</strong> Realismus verfassten sozialkritischen<br />
Darstellungen der Wirklichkeit. Noch ein weiteres vermeintliches Unvermögen der „Gleichheit“<br />
lässt sich laut Vormschlag anhand ihres Feuilletons feststellen: Die „Gleichheit“ habe versucht,<br />
sich mit ihren literarischen Beiträgen „von den bürgerlich traditionellen Regeln“ 760 abzusetzen.<br />
Während Vormschlag diesen Versuch der „Gleichheit“ als gelungen erachtet <strong>und</strong> der Meinung ist,<br />
dass damit die Intention einer sozialistischen <strong>und</strong> klassenkämpferischen Zeitschrift sinnvoll<br />
755 Vgl. Gomard, Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität <strong>und</strong> Utopie, S. 40.<br />
756 Ebd., S. 40.<br />
757 Zu den utopischen Romanen in der „Gleichheit“ siehe: Nirgendwo? In: GL, 25/ 06/ 11.12.1914/ 24-29. Dieser<br />
Artikel gab eine inhaltliche Skizze des Romans <strong>und</strong> bewarb die für den günstigen Preis von 1 Mark von Wilhelm<br />
Liebknecht im Verlag J. H. W. Dietz Nachf. herausgegebene Neuausgabe. Außerdem: Bellamy, Eduard: Was die<br />
Revolution für die Frauen that. In: GL, 08/ 01/ 05.01.1898/ 4-6. Es handelte sich dabei um ein Kapitel aus<br />
Bellamys Roman „Gleichheit“ (1897), der eine Fortsetzung seines ersten Zukunftsromans darstellt. Weiterführend<br />
verweise ich auf: Behrend/Neubert-Köpsel/Lieske, Rückblick aus dem Jahr 2000 – Was haben<br />
Gesellschaftsutopien uns gebracht?.<br />
758 Gomard, Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität <strong>und</strong> Utopie, S. 41.<br />
759 vgl. ebd.<br />
760 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 109.<br />
221
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
ergänzt wurde 761 , sieht es Puschnerat als erwiesen an, dass die „Gleichheit“ mit der starken<br />
Rezeption bürgerlich klassischer Literatur sich selbst im Wege gestanden <strong>und</strong> lediglich bürger-<br />
liche Erziehungsziele <strong>und</strong> Bildungsinhalte reproduziert habe. 762 Wenn jedoch auch die obige<br />
Aufstellung literarischer AutorInnen dieses formale <strong>und</strong> inhaltliche Verhaftetsein in der bürger-<br />
lichen Literaturtradition hinreichend belegt, so braucht dies keineswegs als Einschränkung des<br />
agitatorischen Anspruchs der „Gleichheit“ interpretiert werden. Dass die „Gleichheit“ in weiten<br />
Teilen durchaus an ein bürgerliches Kulturideal anknüpfte, ist nicht zu leugnen, wird aber von<br />
kritischen WissenschaftlerInnen m. E. unzureichend reflektiert. Wenn Gomards Kritik zutrifft,<br />
dass der Literaturkanon der „Gleichheit“ tatsächlich keinerlei „alternative proletarische Ästhetik“<br />
763 bot, so stellt sich die Frage, worin die Ursachen dafür zu suchen sind? Eine originär<br />
proletarische Bildung – zumal Frauenbildung – war erst im Entstehen. Allemal galt dies auch für<br />
eine originär proletarische Kunst <strong>und</strong> Kultur. Nach Zetkins Meinung war das Proletariat vorerst<br />
gezwungen, auf den bürgerlichen Literatur- <strong>und</strong> Bildungskanon zurückzugreifen. 764 Doch auch<br />
ohne den Mangel an proletarischer Literatur hätte Zetkin ihre Definition von „Kulturfortschritt“<br />
wahrscheinlich an der Rezeption klassischer Literatur festgemacht. Dies, so stimme ich<br />
Puschnerat zu, war nun einmal ihr sicherlich durch ihre Lehrerinnenausbildung „inhaltlich <strong>und</strong><br />
ästhetisch konventionell“ 765 geprägtes Kulturverständnis, welches sie auch von der „Gleichheit“-<br />
Mitarbeiterschaft vertreten sehen wollte. War sich Zetkin der Wirkung dieses auf bürgerlichen<br />
Werten basierenden Kulturverständnisses nicht bewusst? Erkannte sie nicht, dass damit<br />
bürgerliche Erziehungsziele <strong>und</strong> Bildungsinhalte reproduziert wurden, die zu einem mächtigen<br />
Stützpfeiler des kapitalistischen Systems wurden? Der Einfluss durch die Verinnerlichung<br />
bürgerlicher Wertvorstellungen musste in seiner Wirkung auf die Proletarierinnen doch deutlich<br />
gefährlicher sein als eine offene Kooperation mit der bürgerlichen Frauenbewegung wie sie immer<br />
von ihr bekämpft wurde. 766 Zetkin strebte mit der „Gleichheit“ die kulturelle Hebung des weib-<br />
lichen Proletariats an. Darunter verstand sie die Hebung auf ein zumindest bürgerliches Niveau –<br />
auch deshalb, weil sie das Proletariat als legitimen Erben <strong>und</strong> Überwinder der marode<br />
761 Ebd.<br />
762 Vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 190.<br />
763 Gomard, Die Agitation der „Gleichheit“ als proletarische Frauenöffentlichkeit, S. 67.<br />
764 Vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 186 ff.<br />
765 Ebd., S. 193. Wie sich später noch an den in der „Gleichheit“ veröffentlichten Frauenbiographien erweisen wird,<br />
blieb Zetkin auch hinsichtlich einer Charakterisierung der kulturschaffenden Massen eher konventionell: Hier der<br />
geniale Einzelne – dort die rezipierende Masse. Ein Gedanke wie ihn der Künstler Joseph Beuys in den 80er<br />
Jahren des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts formuliert hatte – jeder Mensch ist ein Künstler – wäre Zetkin wohl sehr fremd gewesen.<br />
766 Vgl. Richebächer, Uns fehlt nur eine Kleinigkeit, S. 117 <strong>und</strong> Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong><br />
222<br />
Marxismus, S. 190.
2.4.6 FEUILLETON UND BEILAGEN<br />
gewordenen bürgerlichen Kultur betrachtete. Es musste ihr also auch legitim <strong>und</strong> förderlich<br />
erscheinen, eine originär proletarische Bildung sowohl mittels proletarischer Kunst <strong>und</strong> Literatur<br />
als auch mittels der Bezugnahme auf historische Vorgänger zu initieren. Entscheidend ist, dass die<br />
„Gleichheit“-Redakteurin hierbei keineswegs willkürlich oder wahllos vorging. Auch die Werke<br />
Schillers <strong>und</strong> Goethes, so muss selbst Puschnerat eingestehen, wurden einer Auswahl unterzogen.<br />
767 Diese Auswahl belegt, dass auch klassische Literatur durchaus in einem sozialistischen Kontext<br />
gesehen werden kann. Viele bürgerliche Literaten, wenn sie auch in ihren Werken nicht explizit<br />
sozialistische Ideale vertraten, waren Kritiker ihrer zeitgenössischen Gesellschaft. Es oblag der<br />
Redaktion der „Gleichheit“, auch in Texten, die vor jeder Industrialisierung <strong>und</strong> vor der<br />
Entwicklung der sozialistischen Theorie entstanden waren, Inhalte zu entdecken, die ihrem<br />
Bildungsauftrag förderlich sein konnten. Gomard verweist hier auf Goethes „Prometheus“ (1789),<br />
auf Texte aus den Freiheitskriegen oder aus dem Vormärz, die von der „Gleichheit“ aufgegriffen<br />
wurden. 768 Viele dieser Texte handelten von Auflehnung <strong>und</strong> Freiheitsdrang <strong>und</strong> waren unter ganz<br />
anderen materiellen <strong>und</strong> geistigen Voraussetzungen entstanden als die, welche für die pro-<br />
letarische Frauenbewegung bestimmend wurden. Sie hatten aber dennoch Aussagekraft. Mehr<br />
Aussagekraft als diejenige bürgerliche Literatur, die trotz aller enthaltener Sozialkritik meist nur<br />
„bürgerliche Mitleidsliteratur über kleine Leute“ war. Selbst wenn in der „Gleichheit“ u. a. auch<br />
solche Literatur <strong>und</strong> das „ohne die Perspektive des Klassenkampfes“ 769 vermittelt worden sei,<br />
bleibt es m. E. eine unbestreitbar große Leistung der „Gleichheit“, die für die sozialistische<br />
Bewegung relevanten Inhalte klassischer Literatur <strong>und</strong> deren Bezug zu den Fragen der Gegenwart<br />
herausgearbeitet <strong>und</strong> so eine Verbindung zur Tradition des humanistischen Erbes geschaffen zu<br />
haben.<br />
In jenem traditionsbezogenen Zusammenhang stehen auch die Biographien einzelner<br />
Persönlichkeiten, die ein besonderer Bestandteil des Feuilletons sind. Sie vermitteln historische<br />
Rückblicke, die sowohl eine gefühlsmäßige Motivation 770 der LeserInnen als auch die Ausbildung<br />
eines spezifischen Geschichtsbewusstseins intendierten. Die Analyse der geschichtlichen Ent-<br />
wicklungen – so die Botschaft des Bebel‘schen Werkes „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“ <strong>und</strong> des<br />
historischen Materialismus 771 – gab die Erklärung für ihre eigene gegenwärtige Lebenssituation.<br />
Den Einfluss dieser wiederum recht abstrakten Entwicklungsverläufe auf das alltägliche Leben<br />
767 Vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 188f.<br />
768 Gomard, Die Agitation der „Gleichheit“ als proletarische Frauenöffentlichkeit, S. 67.<br />
769 Ebd.<br />
770 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 108.<br />
771 Als aktuellste einführende Literatur zum historischen Materialismus siehe: Brosius, Strukturen der Geschichte.<br />
223
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
konnten die Lebensläufe einzelner Personen konkret aufzeigen. Die geschickte Art <strong>und</strong> Weise, wie<br />
in diese Biographien scharfe Kritik an Kapitalismus <strong>und</strong> Monarchie eingeflochten wurde, macht<br />
Vormschlag z. B. an einer Artikelserie fest, die die „Gleichheit“ 1895 zum Leben Maria Stuarts<br />
veröffentlichte. 772 Auch der führende Parteihistoriker <strong>und</strong> „Neue Zeit“-Mitarbeiter Franz Mehring<br />
habe in seinem Artikel zu Friedrich II. von Preußen 773 „die Darstellung historischer Ereignisse mit<br />
polemischen Seitenhieben gegen das Kaiserhaus“ 774 verb<strong>und</strong>en. Der Feuilletonteil der „Gleich-<br />
heit“ war damit in seiner Kombination emotionaler <strong>und</strong> wissenschaftlicher Inhalte ein nicht zu<br />
„unterschätzende[r] Faktor der Agitation <strong>und</strong> der <strong>weiblichen</strong> sozialistischen Erziehung“ 775 . Wie<br />
sehr er damit nicht nur Einfluss auf das politische Verständnis der proletarischen Frauen, sondern<br />
auch auf ihr Selbstbewusstsein nahm bzw. nehmen wollte, wird anhand der biographischen<br />
Skizzen noch ausführlicher zu behandeln sein.<br />
Mit Einführung der Beilagen 1905 hätte ein Feuilleton im Hauptblatt überflüssig erscheinen<br />
können. Die „Gleichheit“ führte es jedoch bis September 1908 auf der jeweils letzten Seite einer<br />
Nummer fort. 776 In diesem Jahr nutzte die Redaktion die Umstellung des Jahrgangsbeginns <strong>und</strong><br />
die Änderung in ein zweispaltiges Layout, um auch inhaltliche Veränderungen vorzunehmen. Das<br />
Hauptblatt enthielt von Oktober 1908 bis Juni 1917 keinerlei Feuilleton – dieses war nun komplett<br />
in die Beilagen verbannt worden. Im Juni 1917 machte die neue Redaktion diese Verbannung<br />
nicht nur sofort wieder rückgängig, sie gab dem Feuilleton sogar eine eigene Rubrikenüberschrift<br />
<strong>und</strong> setzte es wieder wie althergebracht „unter den Strich“. Wie die entsprechenden<br />
Jahrgangsverzeichnisse deutlich machen, nahm nun im Hauptblatt der „Gleichheit“ das Feuilleton<br />
einen besonders großen Raum <strong>und</strong> Stellenwert ein. 777 Die „Feuilletonisierung“ des Hauptblattes<br />
begann. Zwar ist ein gutes Feuilleton in seiner politisierenden Wirkung nicht zu unterschätzen<br />
doch in der „neuen“ „Gleichheit“ war auch diese politisierende Intention von einer besonderen<br />
Fragwürdigkeit, zielte sie doch auf eine Festigung des traditionellen Frauenbildes.<br />
Seit Juni 1917 erschienen im Feuilleton der „neuen „Gleichheit“ auch die Rubriken „Bücher-<br />
schau“, „Ges<strong>und</strong>heitswesen <strong>und</strong> „Hauswirtschaftliches“. Vor allem die „Bücherschau“ ist eine<br />
772 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 108 <strong>und</strong> Wittich, Manfred:<br />
Maria Stuart. Eine historische Skizze. In: GL, 05/ 07/ 03.04.1895/ 52-54; GL, 05/ 08/ 17.04.1895/ 60-62; GL, 05/<br />
09/ 01.05.1895/ 68-70.<br />
773 Mehring, Franz: Ein aufgeklärter Despot? In: GL, 22/ 10/ 05.02.1912/ 150-152.<br />
774 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 108.<br />
775 Ebd., S. 109.<br />
776 Vgl. GL, 15/ 01/ 11.01.1905; GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 188 <strong>und</strong> GL, 19/ 01/ 12.10.1908/ 16 (in dieser Nummer gab<br />
es erstmals keinerlei Feuilleton).<br />
777 Das Jahrgangsverzeichnis von 1919 weist sowohl für den Hauptteil als auch für das Feuilleton eine Rubrik<br />
„Gedichte“ bzw. „Gedichte <strong>und</strong> Sprüche“ auf. Allein die Artikelliste für das Feuilleton macht eine ganze Seite aus<br />
(vgl. Jahrgangsverzeichnis der „Gleichheit“, 02/ 1919/ 7).<br />
224
2.4.6 FEUILLETON UND BEILAGEN<br />
auffällige Neuerung, denn Bücherrezensionen – ob für Unterhaltungs- oder Schulungsliteratur –<br />
hatten während des Krieges nur eine geringe Rolle gespielt. Nun aber sah man, dass die neue<br />
Redaktion auch in ihrem Bücherangebot auf Unterhaltung <strong>und</strong> praktische Ratschläge für den<br />
Alltag setzte. Begriffe wie „Klassenkampf“ <strong>und</strong> „Sozialismus“ wurden seltener, verschwanden<br />
aber nicht völlig. 778<br />
Komplexität <strong>und</strong> wissenschaftliche Analyse – wie sie durchaus auch in anderen SPD-<br />
Presseorganen zu finden waren – prägten das hohe Niveau des Hauptblattes der „Gleichheit“ <strong>und</strong><br />
gaben damit Anlass zu massiver Kritik an Zetkin <strong>und</strong> ihrer Redaktion. Es standen sich zwei<br />
Interessen gegenüber: Zetkins Interesse, geschulte Funktionärinnen auszubilden, <strong>und</strong> das Interesse<br />
der Partei, möglichst viele Frauen, als „Masse“ zu organisieren. Lange zögerte Zetkin, die<br />
„Gleichheit“ nach dem Geschmack der Masse auszurichten. Doch 1904 gab sie auf der in Bremen<br />
stattfindenden sozialdemokratischen Frauenkonferenz kurz vor Schluss der Veranstaltung bekannt,<br />
der „Gleichheit“ zukünftig zwei populär gestaltete Beilagen beizugeben. 779 Ab Januar 1905 wurde<br />
der unterhaltende Anteil der „Gleichheit“ durch eine Frauenbeilage <strong>und</strong> die Beilage „Für unsere<br />
Kinder“ vergrößert. Beide Beilagen umfassten zu Beginn vier Seiten. 780 Ihre Funktion für die<br />
geschlechtsspezifische Bildung der „Gleichheit“-Leserinnen – vor allem der Frauenbeilage – wird<br />
in der Forschungsliteratur sehr unterschiedlich beurteilt. 781 Zetkin sah in ihnen eine Ergänzung im<br />
Sinne der allgemeinen Interessen der Proletarierin. Diese sollte in der „Gleichheit“ nun nicht mehr<br />
„bloß die treue Beraterin für ihre Beteiligung a m Befreiungskampf<br />
ihrer K lasse finden, sondern auch für ihre allseitige S elbstbildung<br />
<strong>und</strong> besseren Erfüllung der P flichten als H ausfrau <strong>und</strong> M ut -<br />
ter.“ 782<br />
Es galt das „allgemeine Bildungsniveau der proletarischen Frau <strong>und</strong> ihre Leistungsfähigkeit im<br />
häuslichen Kreise [zu] heben.“ 783 Zetkin betonte zwar außerdem, dass sich dadurch der Charakter<br />
778 Um dieses veränderte Selbstverständnis einer SPD-Frauenzeitschrift <strong>und</strong> ihre Auffassung von einem neuen<br />
Sozialismus zu ergründen, müsste die „neue“ „Gleichheit“ einer umfangreicheren Inhaltsanalyse unterzogen<br />
werden, was in der vorliegenden Dissertation aus Platzgründen nicht der Fall sein kann.<br />
779 Vgl. Zetkin im Bericht über die 3. sozialdemokratische Frauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages<br />
Bremen 1904, S. 373.<br />
780 Ab 1907 wurde der Umfang der Beilage „Für unsere Kinder“, ohne dass eine Preissteigerung damit einher ging,<br />
verdoppelt. Dies sollte den Genossinnen „ein Ansporn sein, noch reger als bisher für die ‘Gleichheit’ zu agitieren“<br />
(Zur Beachtung. In: GL, 17/ 02/ 23.01.1907/ 9).<br />
781 Beispiele einer positiven Wertung sind vor allem die Arbeiten aus der DDR (Schulze, Die proletarische Mutter als<br />
sozialistische Erzieherin; Koch, Die Verwirklichung sozialistischer Kindererziehung mit Hilfe der ersten<br />
deutschen proletarischen Kinderzeitschrift „Für unsere Kinder“ (1905-1917)), die, unabhängig ihrer einseitigen<br />
Wertung, besonders detaillierte Auswertungen der Beilagen bieten.<br />
782 Was wir wollen. An unsere Leser, an unsere Mitarbeiter. In: GL, 14/ 25/ 30.11.1904/ 194.<br />
783 Ebd.<br />
225
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
der „Gleichheit“ nicht verändern werde, aber die tief gehende Veränderung im Selbstverständnis<br />
der „Gleichheit“ war unübersehbar. Zetkin bot mit den Beilagen außerdem heimlichen Sym-<br />
pathisantinnen der proletarischen Frauenbewegung eine redaktionelle „Nische“ <strong>und</strong> forderte<br />
öffentlich zur Mitarbeit auf. 784 Dies legt die Vermutung nahe, dass Zetkin die Gefahr der „Ver-<br />
wässerung“, die von der Mitarbeit theoretisch ungebildeter, d.h. bürgerlicher Personen ausging,<br />
für den unterhaltenden Teil als sehr gering erachtete. Die neue Zielsetzung war aber auch ein<br />
Zugeständnis an die Furcht der Männer, die Frauen könnten ihren Familien <strong>und</strong> ihren geschlechts-<br />
spezifischen Rollen entfremdet werden. In diesem Sinne begrüßte zumindest Bebel die neue<br />
Marschroute der „Gleichheit“:<br />
„Indem sie sich der Aufgabe widmet, die proletarische Frau zu unterrichten, wie sie<br />
am besten mit ihren schwachen materiellen Mitteln ihre Häuslichkeit sich, dem<br />
Manne <strong>und</strong> ihren Kindern nach Möglichkeit angenehm, behaglich <strong>und</strong> nützlich<br />
gestalten <strong>und</strong> ein Heim schaffen kann, in dem Mann <strong>und</strong> Frau gemeinsam arbeiten<br />
für das eigene <strong>und</strong> das allgemeine Wohl, will sie im weiteren der Erziehung der<br />
Kinder ihre besondere Aufmerksamkeit zuwenden <strong>und</strong> hier ebenfalls die Proletarierin<br />
lehren, wie sie diese am besten zu tüchtigen Menschen, zu tapferen,<br />
charakterfesten Kämpfern der Zukunft heranbilden kann.“ 785<br />
Bebel sah, indem die „Gleichheit“ sich nun auch der Proletarierin als Hausfrau <strong>und</strong> Mutter<br />
annahm, endlich eine Wissenslücke geschlossen. Zwar betonte er den partnerschaftlichen Charak-<br />
ter einer Ehe, aber in seiner Äußerung spiegelte sich auch die althergebrachte Meinung wider,<br />
dass es immer noch vornehmlich die Frau zu sein habe, die ihr individuelles Wohl mit dem der<br />
Familie <strong>und</strong> der Allgemeinheit identifiziert. Noch im ersten Erscheinungsjahr der Beilagen re-<br />
sümierte Baader, dass durch sie die „Gleichheit“ für die Leserinnen „geradezu unentbehrlich<br />
geworden“ 786 sei, da hier die Klassenkämpferin wie auch die Hausfrau <strong>und</strong> Mutter Beratung <strong>und</strong><br />
„allseitige Selbstbildung“ 787 finden könne. Heute geht Puschnerat sogar so weit, ihnen – da sie<br />
neben Unterhaltung auch Ratgeberliteratur für Familienleben <strong>und</strong> Haushaltsführung boten – einen<br />
„zivilisatorisch-modernisierenden Anspruch” 788 zuzuschreiben.<br />
784 Vgl. Was wir wollen. An unsere Leser, an unsere Mitarbeiter. In: GL, 14/ 25/ 194/ 30.11.1904. Zetkin hatte<br />
Verständnis für die Probleme bürgerlicher „‘Überläufer’“. Sie erlitten „ein Verzichten auf liebe Gewohnheiten,<br />
eine Hinopferung der teuersten Neigungen, den Bruch alter Fre<strong>und</strong>schaften, vielleicht das Verlassen von Vater <strong>und</strong><br />
Mutter, die Entzweiung mit Brüdern <strong>und</strong> Schwestern. Ein Einsamer <strong>und</strong> Unbegriffener steht der ‘Überläufer’ aus<br />
bürgerlicher Welt vielfach inmitten der Kampfesgenossen; fremd <strong>und</strong> daheim zugleich im Tal der besitzenden<br />
Welt, mit der ihn Erziehung <strong>und</strong> Lebensgewohnheiten verknüpfen; fremd <strong>und</strong> daheim zugleich auf den Höhen des<br />
Proletariats, dem ihn die Überzeugung in fester Gemeinschaft zugesellt.“ (Zetkin, Der Student <strong>und</strong> das Weib,<br />
S. 29).<br />
785 Bebel, August: Das Banner hoch! In: GL, 15/ 01/ 11.01.1905/ 1.<br />
786 Baader, Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands, Jena 1905, S. 68.<br />
787 Ebd.<br />
788 Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 171. Indem Puschnerat die „Gleichheit“-Beilagen<br />
betont als „familien- <strong>und</strong> frauenbezogenen“ charakterisiert, scheint sie das Hauptblatt nicht als „frauenbezogen“<br />
zu sehen.<br />
226
2.4.6 FEUILLETON UND BEILAGEN<br />
Im Titelkopf der „Gleichheit“ wurden die Beilagen interessanterweise erst im Mai 1906 angeführt.<br />
Es hieß dort schlicht: „Mit den Beilagen: Für unsere Kinder <strong>und</strong> Frauen-Beilage“ 789 . Für Ida Alt-<br />
mann (1862-1935) 790 war dies ein unzulässiger Zustand. Sie stellte auf dem Parteitag 1906 in<br />
Mannheim den Antrag, den „für die Beilage der Arbeiterinnenzeitung der Partei unpassende[n], ja<br />
unsinnige[n] Titel ‘Frauenbeilage’“ 791 abzuändern. Es sollte stattdessen ein Titel gewählt<br />
werden, der den „hauswirtschaftliche[n] Inhalt oder die Hausfrauentätigkeit beton[e]“ 792 . Laut<br />
Protokoll wurde dieser Antrag zwar nicht unterstützt 793 , ab 1907 erschien die Beilage aber unter<br />
dem neuen Titel „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“. 794<br />
Ab Oktober 1908 wurden die Beilagen nicht mehr im Wechsel, sondern – wie bereits an anderer<br />
Stelle beschrieben – beide gemeinsam der „Gleichheit“ beigelegt.<br />
Vormschlag unterscheidet unter besonderer Berücksichtigung der „Gleichheit“-Beilagen vier<br />
Spielarten ideologisch geb<strong>und</strong>ener Frauenzeitschriften:<br />
„I. Politisch-agitatorische Zeitschriften, die sich zwar an die Frau wenden, aber nur<br />
eine bestimmte Funktionärsschicht im Auge haben <strong>und</strong> insofern auf eine<br />
spezielle Aufbereitung des Stoffes für die ungeschulte Frau verzichten (Die<br />
‘Gleichheit’ bis 1905 <strong>und</strong> ‘Kommunistin’).<br />
II. Politisch-agitatorische Zeitschriften, welche auch die Schulung eines noch<br />
weitgehend unpolitischen Publikums beabsichtigen <strong>und</strong> in der Hoffnung auf<br />
größeren Erfolg spezielle Frauenthemen mit einflechten, meist in Form einer<br />
Beilage <strong>und</strong> eines Unterhaltungsteils (‘Gleichheit’ von 1905 bis 1917).<br />
III. Mitteilungsblätter einer Organisation für die <strong>weiblichen</strong> Mitglieder (‘Gewerkschaftliche<br />
Frauenzeitung’).<br />
IV. Frauenzeitschriften, in denen die politische Schulung an Hand des speziellen<br />
789 Vgl. GL, 16/ 10/ 16.05.1906/ 63 (Titelblatt).<br />
790 Ida Altmann wurde im ostpreußischen Obscherninken geboren. Ihre Eltern waren jüdischen Glaubens, sie selbst<br />
wurde in den 1890er Jahren Jugendlehrerin in einer freireligiösen Gemeinde in Berlin. Nach Besuch der<br />
städtischen Höheren Töchterschule in Elbing bestand sie 1881 in Königsberg das Examen für Lehrerinnen für<br />
Volks- <strong>und</strong> Höhere Mädchenschulen. Sie arbeitete als Hauslehrerin in St. Petersburg, reiste viel, schrieb Gedichte<br />
<strong>und</strong> Erzählungen. 1890 siedelte Altmann nach Berlin um <strong>und</strong> engagierte sich in der SPD, womit ihr eine staatliche<br />
Anstellung als Lehrerin verwehrt war. 1895 wurde sie, weil sie ein Vortragsverbot ignoriert hatte, zu einer<br />
Haftstrafe verurteilt. Sie wurde die erste besoldetet Sekretärin des Gewerkschaftlichen Arbeiterinnensekretariats<br />
<strong>und</strong> eine bekannte SPD-Agitatorin. 1900-1912 arbeitete Altmann als Sekretärin für Deutschland im<br />
Internationalen Freidenkerb<strong>und</strong> <strong>und</strong> gleichzeitig als Schriftführerin im Vorstand der Freireligiösen Gemeinde<br />
Berlin. Ihre Heirat 1912 mit dem russischen Ingenieur-Chemiker Iegor Bronn <strong>und</strong> ihr Umzug ins Elsass beendeten<br />
ihre politische, aber nicht ihre schriftstellerische Tätigkeit. Auch ihre Rückkehr 1919 nach Berlin führte zu keinem<br />
neuerlichen politischen Engagement. Unter dem Doppelnamen Altmann-Bronn veröffentlichte sie in der<br />
„Gleichheit“ u. a. die Artikelserie „Erlöser Sozialismus“ (GL, 30/ 19/ 08.05.1920/ 146-148 bis GL, 30/ 30/<br />
24.07.1920/246-247) <strong>und</strong> mehrere Agitationsberichte (vgl. GL, 11/ 08/ 10.04.1901 <strong>und</strong> GL, 12/ 04/ 12.02.1902/<br />
29 – letzterer mit ††† gezeichnet).<br />
791 Antrag Nr. 44 im Protokoll des SPD-Parteitages Mannheim 1906, S. 113.<br />
792 Ebd.<br />
793 Protokoll des SPD-Parteitages Mannheim 1906, S. 381.<br />
794 Vgl. GL, 17/ 01/ 09.01.1907/ 1 (Titelblatt).<br />
227
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Katalogs von Frauenthemen entwickelt werden soll (die ‘Schaffende Frau’ <strong>und</strong><br />
die ‘Frauenwelt’).“ 795<br />
Die ersten drei Typen sind nach Vormschlag keine Frauenzeitschriften im eigentlichen traditio-<br />
nellen Sinne, weil sie als quasi „Politische Blätter für die Frau“ versuchen, deren Interesse für den<br />
außerhäuslichen Bereich zu wecken. Der vierte Typ sei „vom Inhalt her als Frauenzeitschrift zu<br />
bezeichnen, während die anderen Organe nur im Hinblick auf den intendierten Leserkreis dazu<br />
rechnen“ 796 .<br />
Auffällig sei, dass für die Finanzierung der ersten drei Typen in der Regel weniger Aufwand be-<br />
trieben wurde:<br />
„Sobald die Tradition einer Frauenzeitschrift übernommen wird, verbessert sich die<br />
Ausstattung des Organs. An die Stelle der Zeitungsform tritt das geb<strong>und</strong>ene Heft<br />
mit festem Einband <strong>und</strong> wechselndem Titelbild, Umfang <strong>und</strong> Bildanteil wachsen.“<br />
797<br />
Inwieweit dies auch für die frühen wie die späteren Beilagen der „Gleichheit“ gilt, konnte für<br />
diese Dissertation nicht untersucht werden. Zumindest spricht die Entscheidung, ab Oktober 1908<br />
die beiden Beilagen „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ <strong>und</strong> „Für unsere Kinder“ der<br />
„Gleichheit“ nicht mehr im Wechsel, sondern gemeinsam beizufügen, für einen nicht<br />
unerheblichen finanziellen Aufwand – <strong>und</strong> damit für Vormschlags These.<br />
Im Juni 1917 stellte die neue Redaktion das Erscheinen der Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong><br />
Hausfrauen“ ein. 798 Die Beilage „Für unsere Kinder“ erschien zwar weiter, wurde jedoch im<br />
Februar 1922 durch die Beilage „Kinderland“ ersetzt. 799 Ab Juni 1919 erhielten die „Gleichheit“-<br />
Leserinnen vierzehntäglich die neue Frauenzeitschrift „Die Frau <strong>und</strong> ihr Haus“. 800 Juchacz<br />
bezeichnete diese Beilage als „Frauenkulturzeitschrift“ 801 . Sie sollte den Frauen „in ihrer Häus-<br />
lichkeit praktisch zur Hand“ 802 gehen. Dies beinhaltete Ratschläge zur „Anfertigung praktisch-<br />
künstlerischer Frauenkleidung“ <strong>und</strong> die Beschäftigung „mit allen Fragen des Haushaltes <strong>und</strong> der<br />
Kinderpflege“ 803 . Die von Elisabeth Röhl <strong>und</strong> Else Wirminghaus redigierte „Die Frau <strong>und</strong> ihr<br />
795 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 167.<br />
796 Ebd.<br />
797 Ebd., S. 168.<br />
798 Vgl. GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 117. Im Titelkopf wird die Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ nicht mehr<br />
aufgeführt.<br />
799 Vgl. GL, 32/ 03/ 01.02.1922/ 21.<br />
800 Vgl. GL, 29/ 19/ 20.06.1919/ 145 (Titelkopf).<br />
801 Juchacz im Protokoll des SPD-Parteitages Weimar 1919, S. 309.<br />
802 An die Leserinnen der „Gleichheit“. In: GL, 29/ 18/ 06.06.1919/ 137.<br />
803 Ebd.<br />
228
2.4.6 FEUILLETON UND BEILAGEN<br />
Haus“ trug den bezeichnenden Untertitel „Zeitschrift für Kleidung, Ges<strong>und</strong>heit, Körperpflege <strong>und</strong><br />
Wohnungsfragen“ <strong>und</strong> war angefüllt mit idyllischen Skizzen eines proletarischen Familienalltags,<br />
Ges<strong>und</strong>heitstipps, Liedern mit Notenbild, Gedichten, kurzen politischen Statements bekannter<br />
Frauen wie Selma Lagerlöf oder Ricarda Huch, Bücherschauen, Werbung, Kinderspielen, Tipps<br />
zur Wohnungseinrichtung <strong>und</strong> Beschreibungen ländlicher Traditionen <strong>und</strong> Trachten. Auffällig ist<br />
die Vielzahl von Schnittmustern für Arbeits- <strong>und</strong> Freizeitkleidung, Aussteuer <strong>und</strong> Umstandsmode.<br />
Der Unterschied zur Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ lag demnach in der noch<br />
stärkeren Hervorhebung des <strong>weiblichen</strong> Stereotyps. Damit verb<strong>und</strong>en war die unwillkürliche<br />
Zuordnung von Haushalt <strong>und</strong> Erziehung zum Tätigkeitsbereich der Frau.<br />
Bereits im April 1922 wurde „Die Frau <strong>und</strong> ihr Haus“ der „Gleichheit“ nicht mehr beigelegt. 804<br />
Sie war allerdings nicht eingestellt worden, sondern konnte unabhängig von einem „Gleichheit“-<br />
Abonnement auch weiterhin „zu dem Vorzugspreis von 6 Mk. vierteljährlich direkt“ 805 vom<br />
Verlag G. Braun in Karlsruhe oder für 7,50 Mark per Post <strong>und</strong> Buchhandlung bezogen werden.<br />
Hinter der von Helene Grünberg auf der 6. sozialdemokratischen Frauenkonferenz 1911 in Jena<br />
aufgestellten These, dass nur die Kinderbeilage die „Gleichheit“ beliebt gemacht habe 806 , verbarg<br />
sich eine Kritik an dem hohen theoretischen Niveau des Hauptblattes unter der Redaktion Zetkins.<br />
Unabhängig von dem quantitativen Erfolg, den die „Gleichheit“ unbestreitbar dadurch hatte, dass<br />
sie mittels populär gestalteter Beilagen Einlass in die proletarischen Haushalte fand, war ihr<br />
Konzept insgesamt ein sehr erfolgreiches. Alles in allem sind die Beilagen als eine gelungene<br />
Lösung für jenes Problem zu betrachten, sowohl anspruchsvolle politische Bildung als auch<br />
massenwirksame Agitation <strong>und</strong> Aufklärung betreiben zu können. Vormschlags Meinung nach<br />
setzte die „Gleichheit“ neue Prioritäten, indem sie „mittels guter Lektüre“ 807 nicht mehr nur eine<br />
große Verbreitung unter den Arbeiterinnen erreichen wollte, sondern auch deren schöngeistige<br />
Bildung. 808 Dieser Charakter einer Konzeptergänzung erlaubt es, die „Gleichheit“-Beilagen<br />
durchaus differenzierter zu betrachten als es so manche wissenschaftliche Analyse bisher tat.<br />
Hinzu kommt, dass ihr unterhaltender Inhalt nicht ohne weiteres als unpolitisch abgetan werden<br />
sollte. Auch hier galt wie für das Feuilleton, dass die Redaktion der Beilagen – Zetkin, Duncker<br />
804 Vgl. GL, 32/ 08/ 15.04.1922. Nr. 7 des 32. Jahrgangs ist im eingesehenen Archivbestand nicht vorhanden, so das<br />
nur festgestellt werden konnte, dass die Beilage in Nr. 8 nicht mehr beigefügt war.<br />
805 Röhl, Elisabeth: Den Leserinnen der „Gleichheit“. In: GL, 32/ 11/ 01.06.1922/ 107. Die „Frau <strong>und</strong> ihr Haus“<br />
erschien zumindest bis 1936 (vgl. Roecken, Else Wirminghaus, S. 181). Die ZDB gibt als Erscheinungszeitraum<br />
1918/19-1938[?] an.<br />
806 Vgl. die gesamte Debatte in verkürzter Form in Handbuch der sozialdemokratischen Parteitage von 1910 bis 1913,<br />
S. 181-183.<br />
807 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 109.<br />
808 Vgl. ebd.<br />
229
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
<strong>und</strong> Selinger – großen Wert auf das Niveau legten <strong>und</strong> Unterhaltung nie der Unterhaltung willen<br />
geboten wurde. Genauso wie die Erzählungen, Rätsel <strong>und</strong> Gedichte vermittelten auch die<br />
Ratschläge für Haushalt <strong>und</strong> Familie eine Orientierung an sozialistischen Idealen. Selbst die Kin-<br />
derbeilage „Für unsere Kinder“ kann durchaus unter dem Aspekt politischer Bewusstseinsbildung<br />
gesehen werden, denn die Erziehung proletarischer Kinder entschied über die Klassen-<br />
kämpfergenerationen der Zukunft.<br />
Deshalb ist m. E. Freier in zweierlei Hinsicht zu widersprechen: Die Beilagen stellten keine<br />
Verlagerung des Schwerpunktes von politischen Fragen zur Unterhaltung dar 809 <strong>und</strong> auch der<br />
Bruch zwischen Hauptblatt <strong>und</strong> Beilage erscheint mir nicht so „eklatant“ 810 wie von ihr beschrie-<br />
ben. Die Beilagen waren ein Kompromiss. Sie waren keine reinen „Unterhaltungsbeilagen“ 811 <strong>und</strong><br />
auch nur bedingt eine Annäherung an die Konzepte bürgerlicher Frauenzeitschriften. Sie<br />
bemühten sich vielmehr immer noch um die Vertretung originär proletarischer Interessen – in<br />
theoretischer <strong>und</strong> praktischer Form.<br />
Anders ist das von Vormschlag nach dem Redaktionswechsel 1917 diagnostizierte „verhängnis-<br />
voll“ 812 überhöhte Bild des Mütterlichen <strong>und</strong> Fraulichen zu beurteilen. Dieses bestimmte nun statt<br />
politischer Bildung den Inhalt des Feuilletons in Hauptteil <strong>und</strong> Beilagen. Die damit einhergehende<br />
„Entpolitisierung“ habe der SPD-Parteivorstand Bohm-Schuch sogar offen zum Vorwurf gemacht.<br />
813 Ausschlaggebend für einen solchen Vorwurf dürften die schlechten Ergebnisse der Reichstags-<br />
wahl gewesen sein. 814<br />
Der Medienhistoriker Wilmont Haacke konstatiert in seinem Gr<strong>und</strong>lagenwerk zur politischen<br />
Zeitschrift, dass, je feuilletonistischer eine Frauenzeitschrift redigiert würde, desto höher steige<br />
ihre Auflage, desto unpolitischer jedoch seien auch die in ihr enthaltenen Botschaften. Ersteres<br />
traf im Falle der neuen „Gleichheit“ absolut nicht zu. Die Zahlen sanken fast unaufhörlich, weil<br />
auch das Parteiblatt „Die Gleichheit“ nicht von der allgemein schlechten Wirtschaftslage ver-<br />
schont blieb. Letzteres erläutert Haacke etwas näher: Durch das Übergewicht an kulturellen<br />
Inhalten impliziere „die Feuilletonisierung eines Blattes gleichzeitig den Mangel an direkter<br />
politischer <strong>und</strong> wirtschaftlicher Unterrichtung der Frau“ 815 . Mit dem Begriff „Feuilletonisierung“<br />
809 Vgl. Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. 26.<br />
810 Ebd., S. 22.<br />
811 Graf, J. H. W. Dietz 1843-1922 – Verleger der Sozialdemokratie, S. 212.<br />
812 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 112.<br />
813 Vgl., ebd., S. 77.<br />
814 Zum Wahlverhalten weiblicher Wählerinnen bzw. zum Leitbild der Republikanerin siehe: Kapitel 4.5.<br />
815 Haacke, Die politische Zeitschrift, Bd. 1, S. 19f.<br />
230
2.4.6 FEUILLETON UND BEILAGEN<br />
wird also die „Gefahr“ umschrieben, dass die Form den Inhalt dominiert. Im Falle der meisten<br />
Frauenzeitschriften war dies das Sentimentale oder Triviale. „Feuilletonisierung“ nach Haacke<br />
beschreibt demnach genau das Gegenteil von dem, was dem Feuilleton des „Gleichheit“-<br />
Hauptblattes vorgeworfen wurde. Hier habe der tendenziöse Inhalt immer die Form bestimmt <strong>und</strong><br />
damit auch das Niveau einer ästhetischen Bildung beeinträchtigt. Es ist dagegen die bereits<br />
erwähnte These Vormschlags zu unterstützen, dass durchaus politische Bildung in einem<br />
Feuilleton gegeben ist – dass sie jedoch in einer anderen, sublimeren Form geboten wird. Es ist<br />
sogar anzunehmen, dass dieses Format auf Dauer erfolgreicher ist, da die politische Meinungs-<br />
bildung, die an die unmittelbaren Alltagsfragen <strong>und</strong> Lebenserfahrungen der Frauen anknüpft, mit<br />
weniger Vorbehalten wird rechnen müssen als eine bloße Agitation über Fragen der Theorie. Gab<br />
Zetkin noch „ein Beispiel dafür, wie Unterhaltung <strong>und</strong> Schulung in einem sozialistischen<br />
Frauenorgan verb<strong>und</strong>en werden können“ 816 , so nahm diese besondere Qualität unter den Nach-<br />
folgeredaktionen merklich ab.<br />
816 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 111.<br />
231
2.5 Kein Blatt der Massen?!<br />
– Zur Frage der Rezeption der „Gleichheit“<br />
Es sind vor allem konkrete Meinungsäußerungen von Leserinnen oder aber die Zahl der<br />
Abonnements, die für eine Rezeptionsanalyse einer Zeitschrift herangezogen werden können.<br />
Beide sind in ihrer Aussagekraft aber sehr fragwürdig.<br />
Können Leserinnenbriefe als konkrete Meinungsäußerungen zur Klärung der Rezeptionsfrage<br />
beitragen? Im Falle der „Gleichheit“ stellt sich als erstes Problem, dass nur wenige solcher<br />
Briefe veröffentlicht wurden. Eine eigene Rubrik, ein „Briefkasten“ oder „Eingesandtes“ wie in<br />
anderen Zeitschriften gab es nicht. Kritikerinnen sind der Meinung, dass das Fehlen solcher<br />
Briefe gr<strong>und</strong>sätzlich auf Zetkins Redaktionsstil – autoritär <strong>und</strong> arrogant – zurückzuführen sei.<br />
Er habe den Leserinnen die Lust genommen, die „Gleichheit“ als Forum für ihre Diskussionen<br />
zu nutzen. 817 Ganz „gewöhnliche“ 818 Leserinnen, so Gomard, seien „nur vereinzelt zu Wort“ 819<br />
gekommen. Anders dagegen die Information, die die Arbeitsgemeinschaft „Geschichte des<br />
Klassenkampfes der deutschen Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“ am Pädagogischen<br />
Institut Leipzig gibt <strong>und</strong> durch die Berichte Baaders Bestätigung findet:<br />
„Die Arbeiterinnen billigten nicht nur die Schreibweise der ‘Gleichheit’, sie<br />
arbeiteten selbst mit, die ‘Gleichheit’ zu einem kollektiven revolutionären<br />
Frauenorgan zu entwickeln.“ 820<br />
Zudem habe Zetkin „in einer einfachen, ansprechenden Sprache“ 821 geschrieben. Dass sie<br />
„dabei wie selbstverständlich ein gewisses Maß an Wissen <strong>und</strong> Bildung voraus[setzte]“ 822 , so<br />
die Einschätzung der Arbeitsgemeinschaft, habe ihre Leserinnen sogar angespornt, sich selbst<br />
fortzubilden. So habe sich die Wirksamkeit der „Gleichheit“ ständig erweitert. 823<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich ist aber in Frage zu stellen, ob sich an Leserinnenbriefen tatsächlich auch<br />
Leserinnenmeinungen, -reaktionen <strong>und</strong> -emotionen festmachen lassen – gingen doch auch sie<br />
erst durch die Hände der Redaktion. Reagierte die Redaktion wirklich auf reale Wünsche der<br />
Leserinnen – wie es z. B. in der „Gleichheit“ <strong>und</strong> auf dem Parteitag 1904 in Bremen für die<br />
Einrichtung der Beilagen behauptet wurde? Oder waren auch solche geschickt als<br />
817 Vgl. Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 42. Diese Einschätzung ist zu überprüfen.<br />
Diejenige Puschnerats, dass Zetkins sehr autoritärer Redaktionsstil dafür verantwortlich zu machen sei,<br />
dass die „Gleichheit“ verhältnismäßig wenige Leserinnen gehabt habe, ist jedoch angesichts des Zahlenmaterials<br />
vollkommen haltlos (vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 86.).<br />
818 Gomard, Die Agitation der „Gleichheit“ als proletarische Frauenöffentlichkeit, S. 71.<br />
819 Ebd.<br />
820 Um eine ganze Epoche voraus, S. 33.<br />
821 Ebd.<br />
822 Ebd.<br />
823 Ebd.<br />
233
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Leserinnenmeinungen formulierte Veränderungen lediglich Ausdruck einer von offizieller Seite<br />
produzierten „Idealdefinition proletarischer Frauenöffentlichkeit“ 824 ? Ohne authentische Belege ist<br />
zwar die Intention sozialistischer Frauenagitation analysierbar, jedoch nicht ihre Wirkung.<br />
Auch Gomard schreibt den Mangel an Zeugnissen zur Leserinnenmeinung der „Gleichheit“ selbst<br />
zu:<br />
„Ob die Leserinnen […] vielleicht […] einige Vorbehalte gegen ‘Die Gleichheit’<br />
entwickelten oder ob sie mit der Art <strong>und</strong> Weise, wie ‘Die Gleichheit’ ihre<br />
Interessen vertrat, zufrieden waren, das können wir nicht wissen, denn eins fehlte<br />
in den sehr inhaltsreichen Spalten der ‘Gleichheit’: die freie, offene Debatte.“ 825<br />
In ähnlicher Weise wie die meisten Forschungsarbeiten die „Artikelduelle“ mit Fürth <strong>und</strong> Braun<br />
hervorheben, um Zetkins Streitsucht zu belegen, kritisiert Gomard, dass durch dieses Verhalten<br />
Zetkins innerhalb der „Gleichheit“ keine ordentliche Diskussion über ihre eigenen Ziele <strong>und</strong> Me-<br />
thoden möglich gewesen sei. 826 Stattdessen sei die „Gleichheit“ insgesamt als „proletarische<br />
Frauenöffentlichkeit ‘von oben’“ 827 anzusehen. Kinnebrock ist ganz anderer Meinung, denn sie<br />
schreibt, dass in der „Gleichheit“ lebhaft über die Ziele <strong>und</strong> Vorgehensweisen der Frauenbewe-<br />
gung gestritten wurde <strong>und</strong> auch die inhaltlichen Differenzen ihren Teil dazu beitrugen. Allerdings<br />
bemerkt auch sie, dass die „Gleichheit“<br />
„in der Freiheit, Diskussionen zuzulassen <strong>und</strong> dabei tatsächlich neue Ideen zu<br />
entwickeln, insofern eingeschränkt [war], als ihre Herausgeberin penibel darauf<br />
achtete, jegliches Zeitgeschehen im Rahmen des orthodoxen Marxismus zu interpretieren“.<br />
828<br />
Damit sieht Kinnebrock noch keine Einschränkung der thematischen Vielfalt gegeben, jedoch sei<br />
„der Rahmen für divergierende Deutungen <strong>und</strong> Meinungen […] eng gesteckt“ 829 gewesen.<br />
Tatsächlich war Zetkin in diesem Punkt gewiss keineswegs demokratisch im heutigen Sinne. Je-<br />
doch hatte sie gute Gründe, so zu verfahren. Sie hielt die indifferenten Leserinnen für leicht<br />
beeinflussbar <strong>und</strong> wollte deshalb schon aus Prinzip den Meinungen anderer nicht zu viel Raum<br />
geben. Dieses Redaktionsgebaren erscheint allen demokratisch gesinnten Menschen als ungeheu-<br />
erliche Bevorm<strong>und</strong>ung – anscheinend jedoch nur im Falle Zetkins. Tatsache aber ist, dass jede<br />
Redaktion – damals wie heute – sich das Recht herausnimmt, Artikel, Zuschriften <strong>und</strong> LeserIn-<br />
nenbriefe abzulehnen oder zu redigieren. Welches Statut verfügt darüber, dass Zetkin jeden<br />
824 Vgl. Gomard, Die Agitation der „Gleichheit“ als proletarische Frauenöffentlichkeit, S. 65.<br />
825 Gomard, Die Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität <strong>und</strong> Utopie, S. 45.<br />
826 Vgl. Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 42.<br />
827 Gomard, Die Agitation der „Gleichheit“ als proletarische Frauenöffentlichkeit, S. 71 (vgl. auch: Gomard, Die<br />
sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 42).<br />
828 Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 158.<br />
829 Ebd.<br />
234
2.5 KEIN BLATT DER MASSEN?! – ZUR FRAGE DER REZEPTION DER „GLEICHHEIT“<br />
kontroversen Artikel hätte veröffentlichen müssen? Keines. Unleugbar ist jedoch, dass sie viele<br />
Artikel, deren Meinung sie nicht vertrat, trotzdem publizierte, um sie im Kreise der Leserinnen<br />
diskutieren zu lassen. Unleugbar ist auch, das Zetkin in diesen Diskussionen kein Blatt vor den<br />
M<strong>und</strong> nahm <strong>und</strong> ihren Vorteil nutzte, in jedem Falle das letzte Wort zu haben. Gerade hinsichtlich<br />
der heftigen Auseinandersetzung mit den Vorschlägen Brauns wird jedoch selten erwähnt, dass es<br />
nicht allein Zetkin war, die Kritik übte. Mehrere Frauen waren an der Diskussion beteiligt <strong>und</strong><br />
äußerten sich zu den Vorschlägen ähnlich kritisch wie Zetkin. Auch jene Briefe anders denkender<br />
SPD-Frauenvereine, die Zetkins gr<strong>und</strong>sätzliche Haltung gegen den Krieg <strong>und</strong> gegen den kriegs-<br />
befürwortenden Parteivorstand kritisierten, sind Zeugnis dafür, dass Zetkin die „Gleichheit“ nicht<br />
so einseitig redigierte, wie von ihren KritikerInnen stets behauptet.<br />
Die Kritik an Zetkins Umgang mit anderen Meinungen macht sich m. E. vornehmlich an ihrer Po-<br />
lemik fest. Über diese wird vergessen, dass auch die nachfolgenden „Gleichheit“-Redakteurinnen<br />
eine Redaktionspolitik betrieben, die auf ihre Leserinnen vor allem eine einigende Wirkung haben<br />
sollte. Daher war es nicht zu erwarten, dass die „neue“ „Gleichheit“ aus einer demokratischen<br />
Gesinnung heraus Artikel von USPD-Anhängerinnen veröffentlichte. Ihre innere Demokratie<br />
jedoch wollte die Redaktion der „Gleichheit“ unter Juchacz bewusst fördern, indem eine neue<br />
Rubrik „Freie Aussprache“ eingeführt wurde. Da jedoch kaum entsprechende Artikel eingesandt<br />
wurden, lief dieser Versuch ins Leere. Ein in dieser Rubrik veröffentlichter Artikel gibt eine<br />
hinsichtlich der Rezeption <strong>und</strong> der Bedeutung der „Gleichheit“ für ihre Leserinnen sehr<br />
interessante Einschätzung wider. Berta Marckwald (?-?) 830 machte darin angesichts der finan-<br />
ziellen Misere der „neuen“ „Gleichheit“ den Vorschlag, dass diese „künftig nicht mehr gratis an<br />
die Genossinnen abgegeben werden soll[e]“ 831 . Ihrer Meinung nach könnte dieses Opfer den<br />
Genossinnen durchaus zugemutet werden:<br />
„Wer die ‘Gleichheit’ liest, ist gern bereit, sein Scherflein dafür zu entrichten. […]<br />
Auf Gr<strong>und</strong> meiner langjährigen praktischen Erfahrung in der Kleinarbeit im Osten<br />
weiß ich, daß dort alle Genossinnen auch stets Abonnentinnen der ‘Gleichheit’<br />
waren. Manche Frauen, die sich noch nicht gleich entschließen konnten, Mitglied<br />
der Partei zu werden, abonnierten jedoch die ‘Gleichheit’ <strong>und</strong> wurden durch das<br />
830 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu Berta<br />
Marckwald. Vermutlich stand sie in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zu dem sozialdemokratischen<br />
Redakteur <strong>und</strong> preußischen Landtagsabgeordneten Hans Marckwald (1874-1933). Für die „Gleichheit“ verfasste<br />
sie die Artikelserie „Über die Fre<strong>und</strong>schaft“ (GL, 28/ 20/ 05.07.1918/ 158-159 <strong>und</strong> GL, 28/ 21/ 19.07.1918/ 165-<br />
166), in der sie sich mit den durch die Parteispaltung zerbrochenen Fre<strong>und</strong>schaften <strong>und</strong> der Frage beschäftigte,<br />
warum es so wenige Fre<strong>und</strong>schaften unter Frauen gebe. Des Öfteren erschienen von Marckwald Beiträge in der<br />
Rubrik „Hauswirtschaftliches“, in denen sie Ratschläge für Kochen <strong>und</strong> Haushaltsführung während der<br />
Mangelwirtschaft gibt (vgl. Marckwald, Berta: Rote-Rüben-Suppe. In: GL, 29/ 12/ 14.03.1919/ 92; Pferdefleisch.<br />
In: GL, 29/ 12/ 14.03.1919/ 92-93; [Marckwald, Berta?] B. M.: Dampfnudeln. In: GL, 29/ 13/ 28.03.1919/ 102).<br />
831 Marckwald, Berta: Die Gratisverteilung der „Gleichheit“. In: GL, 28/ 19/ 21.06.1918/ 152.<br />
235
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Lesen derselben später gewöhnlich auch überzeugte Parteigenossinnen.“ 832<br />
Diese positive Beurteilung der Werbewirksamkeit der „Gleichheit“, dürfte Marckwald aufgr<strong>und</strong><br />
ihrer erwähnten langjährigen Erfahrung nicht nur für die „neue“, sondern auch für die „alte<br />
„Gleichheit“ getroffen haben.<br />
Die offiziellen Quellen – die „Gleichheit“ selbst, die Parteitagsprotokolle <strong>und</strong> Fragebogenaktionen<br />
der „Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands“ 833 – sagen nur wenig darüber aus, wie <strong>und</strong><br />
von wem die „Gleichheit“ wirklich gelesen wurde. 834 Zwar werden in den vielen sich am hohen<br />
Niveau der „Gleichheit“ entzündenden Parteitagsdiskussionen 835 Leserinnenmeinungen angeführt,<br />
letztlich handelt es sich dabei aber nur um Informationen aus zweiter Hand. Die Delegierte Klara<br />
Heinrich (?-1908/ 33-jährig) 836 erklärte auf einem Parteitag, sie habe zehn Abonnentinnen für die<br />
„Gleichheit“ gewonnen, welche aber bei näherer Ansicht einiger Nummern ausgerufen hätten:<br />
„‘Ach, gehen Sie mit Ihrer ‘Gleichheit’; ich verstehe nichts davon!’ (Heiterkeit.)“ 837 Solche<br />
Reaktionen dürfte es öfter gegeben haben, waren aber für die „Gleichheit“ kein Gr<strong>und</strong> von ihrem<br />
hohen Niveau abzulassen – sie wollte die Proletarierinnen in ihrem Nachdenken fordern, nicht<br />
unterhalten. Ein Selbstverständnis, mit dem sie ihren Leserinnen manchmal sehr viel abverlangte,<br />
abverlangen musste. 838<br />
832 Ebd.<br />
833 Baader führte diese Befragungen per Fragebogen unter den Vertrauenspersonen durch. Diese Form der Eigenevaluation<br />
ist für die Geschichtsforschung unschätzbar wertvoll. Aus diesen Fragebögen resultieren die Angaben<br />
zu allen nicht die offizielle Parteiorganisation berührenden zahlenmäßigen Entwicklungen. So die Mitgliederzahlen<br />
der unpolitischen Frauenbildungsvereine <strong>und</strong> der Lese- <strong>und</strong> Diskussionabende. Die „nur“ 183 an Baader<br />
zurückgesandten Fragebögen ergaben, dass die Mitgliederzahl der unpolitischen Frauenbildungsvereine von 3000<br />
(1905) auf 8890 (1906) gestiegen waren. Monatliche Lese- <strong>und</strong> Diskussionsabende wurden in 45 Orten, vierzehntägliche<br />
in 32 Orten durchgeführt. Selbst die dort behandelten Inhalte wurden per Fragebogen ermittelt (vgl.<br />
Baader, Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands, Mannheim 1906, S. 72f.). Eine Verzögerung<br />
der 1908 durchgeführten Fragebogenauswertung erklärte sich Baader mit der Übergangsphase der Reorganisation<br />
der proletarischen Frauenbewegung im Rahmen der Integration in die Partei (vgl. Baader, Bericht der Vertrauensperson<br />
der Genossinnen Deutschlands, Nürnberg 1908, S. 113).<br />
834 Aussagen wie die Bojarskajas, dass die „Gleichheit“ „selbst in weite Kreise der Arbeiterinnen <strong>und</strong> Arbeiterfrauen<br />
[drang] […], aber nicht weniger eifrig auch von den Genossen gelesen“ (Bojarskaja, Clara Zetkin, S. 20) worden<br />
sei, bleiben nicht ohne Gr<strong>und</strong> unbelegt.<br />
835 Das Niveau der „Gleichheit“ war häufig Thema der Frauenkonferenzen, Parteitage <strong>und</strong> Sitzungen des Parteiausschusses.<br />
Diese Diskussionen haben stets denselben Tenor, nehmen aber während des Ersten Weltkriegs <strong>und</strong><br />
angesichts der Haltung der „Gleichheit“ <strong>und</strong> der rapide sinkenden Abonnementzahlen einen schärferen Ton an.<br />
Leider ist im Rahmen dieser Dissertation nicht die Möglichkeit gegeben, näher auf die durchaus interessanten<br />
Argumentationen einzugehen.<br />
836 Diese Altersangabe erklärt sich durch die in ihrem Nachruf enthaltene Information, dass Heinrich 21 Jahre alt<br />
gewesen sei, als sie an diesem Parteitag teilnahm (vgl. Genossin Klara Heinrich †. In: GL, 13/ 22/ 21.10.1903/<br />
175).<br />
837 Heinrich im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 171.<br />
838 Sogar die subjektiven Meinungen der HistorikerInnen sind sehr unterschiedlich – manche finden sie wie z. B.<br />
Gomard aus ästhetischer Sicht „ziemlich ungenießbar“ (Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“,<br />
S. 30) für andere ist sie schlicht die „beste[…] politische[…] Zeitschrift für Frauen“ (Kuczynski, Studien<br />
zur Geschichte der Lage der Arbeiterin, S. 164) gewesen.<br />
236
2.5 KEIN BLATT DER MASSEN?! – ZUR FRAGE DER REZEPTION DER „GLEICHHEIT“<br />
Negative wie positive Urteile, die Parteitagsdelegierte oder „Gleichheit“-Mitarbeiterinnen zum<br />
Charakter <strong>und</strong> zur Rezeption der „Gleichheit“ abgaben, spiegeln nicht unbedingt die Meinung der<br />
Leserinnen wider. Die positiven Urteile waren oft agitatorisch, aus dem Engagement für die<br />
proletarische Sache heraus getroffen <strong>und</strong> bezogen bereits die Erkenntnisse des historischen Mate-<br />
rialismus <strong>und</strong> der sozialistischen Emanzipationstheorie mit ein. Viele Beurteilungen zielten auf<br />
die Intention – das Bildungsziel – der „Gleichheit“ ab. Als proletarisches Frauenbildungsorgan<br />
sollte sie<br />
„[d]ie Arbeiterinnen […] in die Lage versetz[en][…], Einsicht in die historischen,<br />
politischen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Bedingungen zu gewinnen, die ihre spezifische<br />
gesellschaftliche Lage, ihre besondere Unterprivilegiertheit bestimmten, <strong>und</strong><br />
gleichzeitig im Prozeß des Begreifens selbständige Wege finden, die gemeinsam<br />
mit den männlichen Arbeitern aus der Situation herausführten“ 839 .<br />
Da die „Gleichheit“ ein solches Ziel nicht auf dem Niveau eines Unterhaltungsblattes hätte er-<br />
reichen können, wurde das hohe Niveau von vielen als unverzichtbar erachtet.<br />
In ihrer 1926 erschienen Studie „Zur Soziologie der Frauenbewegung“, in welcher sie einen<br />
Vergleich zwischen sozialistischer <strong>und</strong> katholischer Frauenbewegung anstellt, gibt Lion folgende<br />
Charakterisierung der „Gleichheit“-Leserinnen:<br />
„Anfangs waren: die Volksschullehrerin, die nach Verständnis rang <strong>und</strong> nach Bewältigung<br />
gegensätzlicher sozialer Lebensverhältnisse, die Buchhalterin, die sich<br />
heraufgearbeitet hatte, <strong>und</strong> die nun keine Aufstiegsmöglichkeit weiter sah, die<br />
Schriftstellerin, der geistige Kraft nichts einbrachte, die junge Agitatorin aus dem<br />
Volk, die Ehefrau des überzeugten Parteigenossen Hauptvertreterinnen des Publikums,<br />
das Clara Zetkin im Auge hatte. Hinzu kommt die gewerkschaftlich organisierte<br />
Plätterin, die Botenfrau auf dem Lande, das durch eine Agitationsrede<br />
gepackte Mädchen aus dem Jungfrauenverein, das aufgeklärte Dienstmädchen, die<br />
Tochter des Subalternbeamten im Zeitalter des Frauenüberschusses, schließlich das<br />
Heer der Munitionsarbeiterinnen <strong>und</strong> Kriegerwitwen.“ 840<br />
Jedoch: Lion macht keinerlei Angaben über die Art ihrer herangezogenen Quellen oder gar eine<br />
von ihr selbst durchgeführte Umfrage, auf denen ihre Charakterisierung des „Gleichheit“-Publi-<br />
kums basieren könnte. 841 Noch weniger verständlich, aber ein deutlicher Hinweis auf Lions<br />
revisionistische Position, ist ihre Einschätzung zur Situation der „Gleichheit“ zu Beginn des<br />
Ersten Weltkrieges. Erst im Jahre 1915 sei der von Zetkin anvisierte Leserinnenkreis „in Wirk-<br />
lichkeit da“ 842 gewesen:<br />
839 Gieschler, Konzeptionelle Ansätze proletarischer Frauenbildung als besondere Form der Arbeiterbildung, S. 287.<br />
840 Lion, Zur Soziologie der Frauenbewegung, S. 94-95.<br />
841 Interessanterweise tragen die in der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung in Mikrofilm <strong>und</strong> Fotokopie<br />
vorhandenen Exemplare der „Gleichheit“ den Stempel der „Zentralstelle des Volksvereins für das kath. Deutschland<br />
M. Gladbach“. Die „Gleichheit“ hatte demnach auch Leserinnen im katholischen Milieu.<br />
842 Ebd., S. 95.<br />
237
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
„Geführt von bewußten Gewerkschaftlerinnen, Konsumgenossenschaftlerinnen<br />
<strong>und</strong> von Frauen, die in der ‘Gleichheit’ ihre ersten Schreibversuche haben machen<br />
dürfen, kontrolliert sie [die Leserinnenschaft; M.S.] ihr Blatt, <strong>und</strong> lehnt sich<br />
schließlich auf wie eine empörte Gemeinde gegen ihren fanatisierten Hirten.“ 843<br />
Lions Einschätzung einer Kontrolle der „Gleichheit“ durch ihre Leserinnen ist nur erklärlich,<br />
wenn sie damit die stetig wachsende Zahl der Mitarbeiterinnen verbindet – Mitarbeiterinnen, die<br />
vermutlich zuerst zu den Leserinnen der „Gleichheit“ gehört haben dürften. Tatsächlich konnte zu<br />
Beginn des Ersten Weltkriegs die proletarische Frauenbewegung insgesamt – nicht zuletzt dank<br />
der Agitations- <strong>und</strong> Aufklärungsarbeit der „Gleichheit“ <strong>und</strong> des Vereinsgesetzes von 1908 – auf<br />
eine erfolgreiche Entwicklung zurückblicken. Die Spaltung der SPD bleibt von Lion nur<br />
ungenügend reflektiert. Sie verortet die Spaltung vornehmlich zwischen Zetkin <strong>und</strong> den<br />
„Gleichheit“-Leserinnen <strong>und</strong> geht nicht darauf ein, dass ein großer Teil der Leserinnen hinter<br />
Zetkin stand. Das „Gemeinsamkeitswerk“ 844 „Gleichheit“, das laut Lion von Anfang an von einer<br />
„proletarisch-aristokratisch“ 845 Beziehung zwischen Schriftleitung <strong>und</strong> Leserinnen geprägt<br />
gewesen sei, sei bruchstückhaft geblieben. Zetkin, die von Lion als Person im Gegensatz zu ihrem<br />
Schreib- <strong>und</strong> Redaktionsstil eher positiv beurteilt wird 846 , sei Opfer der von ihr selbst voran-<br />
getriebenen Emanzipation ihrer Leserinnen geworden. Nach ihrer Einschätzung muss Zetkin aber<br />
diese<br />
„Revolte weniger als schmerzendes Versagen dem Führer gegenüber empf<strong>und</strong>en<br />
haben, denn als begrenzten Arbeitserfolg“ 847 .<br />
Lion scheint die immense Tragik, die für Zetkin in der nationalistischen Orientierung ihrer<br />
Leserinnen <strong>und</strong> Genossinnen lag, nicht im Mindesten erkannt zu haben. Sie sieht das Tragische<br />
vielmehr darin,<br />
„daß die erste verwirklichte Mobilisation des Leserinnenkreises gleichzeitig eine<br />
Zerstörung der sozialen Beziehung zwischen ihm <strong>und</strong> der Schriftleitung<br />
bedeutete“ 848 .<br />
Diese von Lion konstatierte Mobilisation <strong>und</strong> die bewusste Auseinandersetzung der Sozial-<br />
demokratinnen mit der Linie der „Gleichheit“ sprechen insgesamt für eine rege Rezeption der<br />
„Gleichheit“. Sie sprechen, folgt man der Argumentation Lions, sogar für die aktive Umsetzung<br />
der von der „Gleichheit“ vermittelten politischen Bildungsintentionen. Die Antwort auf die Frage,<br />
wie die „Gleichheit“ rezipiert wurde, wird von Lion folglich aus den Ereignissen hergeleitet. Die<br />
843 Ebd.<br />
844 Ebd., S. 94.<br />
845 Ebd.<br />
846 Vgl. ebd., S. 92f.<br />
847 Ebd., S. 95.<br />
848 Ebd.<br />
238
2.5 KEIN BLATT DER MASSEN?! – ZUR FRAGE DER REZEPTION DER „GLEICHHEIT“<br />
Wirkung der Frauenvereine <strong>und</strong> der Parteiorganisationen, die dazu beigetragen haben dürfte, dass<br />
der Einfluss Zetkins schwächer wurde, bleibt unreflektiert. Mangels konkreter Meinungs-<br />
äußerungen bleiben auch die Rückschlüsse Lions fragwürdig.<br />
Einige der für diese Arbeit herangezogenen Studien machen den Erfolg der „Gleichheit“ an ihrer<br />
Massenwirksamkeit fest. 849 Diese ist zusammengesetzt aus zwei Aspekten: Aus den Impulsen, die<br />
– wie bei Lion gesehen – scheinbar direkt von der „Gleichheit“ ausgingen <strong>und</strong> in bewusstem<br />
Handeln resultierten, <strong>und</strong> aus der Größe des erreichten Lesepublikums. Beides ist schwerlich<br />
exakt auszumachen. Weder ist mit Sicherheit zu sagen, dass die am Internationalen Frauentag oder<br />
an einem Streik teilnehmenden Frauen ausgerechnet durch die „Gleichheit“ dazu agitiert worden<br />
waren, noch sind die Abonnentinnenzahlen mit denen der Leserinnen identisch. 850 Der direkte<br />
Einfluss <strong>und</strong> die Rezeption der „Gleichheit“ ist nicht quantifizierbar, denn selbst wenn eine<br />
Arbeiterfamilie sich finanziell in der Lage sah, eine Zeitschrift zu abonnieren <strong>und</strong> Versammlungen<br />
zu besuchen, so konnten Analphabetentum, Zeitmangel <strong>und</strong> Arbeitsbelastung jegliche Lektüre un-<br />
möglich machen – besonders jene, die nicht der Entspannung diente.<br />
Zetkin selbst hatte anfangs nicht den Ehrgeiz gehabt, ein Massenblatt oder gar ein die Massen<br />
mobiliserendes Blatt herauszugeben:<br />
„Der Ansicht bin ich niemals gewesen, daß die ‘Gleichheit’ eine große Arbeiterinnenbewegung<br />
hervorrufen könne, denn das ist Sache der Agitation <strong>und</strong> der Organisation.<br />
Eine Zeitung wie die ‘Gleichheit’ kann keine Bewegung ins Leben rufen,<br />
sie kann nur eins thun, sie kann innerhalb der Bewegung schulend <strong>und</strong> fördernd<br />
wirken, <strong>und</strong> das hat die ‘Gleichheit’ gethan. Die ‘Gleichheit’ hat als Hauptziel verfolgt,<br />
die Genossinnen, die im Vordertreffen des Kampfes stehen prinzipiell klar<br />
auf den Boden der Sozialdemokratie zu stellen <strong>und</strong> sie nicht von der bürgerlichen<br />
Frauenrechtlerei durchseuchen zu lassen <strong>und</strong> diese Aufgabe hat die ‘Gleichheit’ erfüllt.<br />
851<br />
Auch drei Jahre später musste Zetkin – mit Unterstützung Zietz‘ 852 – gegenüber dem Antrag von<br />
849 Kuczynski ist eine Ausnahme, da er die Bedeutung der „Gleichheit“ nicht von ihrer Massenwirksamkeit abhängig<br />
macht, sondern von ihrem theoretischen Gehalt <strong>und</strong> einer konsequent marxistischen Haltung. Den Blickwinkel der<br />
überforderten Leserinnen nimmt Kuczynski nicht ein (vgl. Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der<br />
Arbeiterin, S. 164).<br />
850 Es ist davon auszugehen, dass ein Exemplar der „Gleichheit“ durch viele Hände ging. Es gibt Schätzungen, die<br />
besagen, dass hinter der offiziellen Zahl von 85.000 Abonnentinnen (1908) tatsächlich 170.000 Leserinnen<br />
standen (vgl. Albrecht/u. a., Frauenfrage <strong>und</strong> deutsche Sozialdemokratie, S. 488.)<br />
851 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Stuttgart 1898, S. 131. Mit der Argumentation, dass die „Gleichheit“<br />
keinen Massenerfolg hätte, wollten ihr bereits Parteigenossen die Kritik an anderen Parteiblättern verbieten. Doch<br />
Zetkin sagte nur: „Außerdem: wenn die ‘Gleichheit’ das allermiserabelste Blatt der Partei wäre, so könnte man<br />
mir in der Folge doch weder die Fähigkeit noch das Recht absprechen, Kritik zu üben an der Beschaffenheit des<br />
‘Vorwärts’.“ (ebd. S. 131-132).<br />
852 Zietz schrieb zum Auftrag <strong>und</strong> zur durchdachten Gestaltung der „Gleichheit“: „Die ‘Gleichheit’ soll ein führendes<br />
Organ für die fortgeschritteneren Genossinnen sein. (Sehr richtig!) In ihrem ersten Theil muß sie zu allen<br />
239
DIE ERSTE SOZIALISTISCHE FRAUENZEITSCHRIFT DEUTSCHLANDS: „DIE GLEICHHEIT“ (1891-1923)<br />
Görlitzer Genossinnen auf eine verständlichere Schreibweise in der „Gleichheit“ betonen, dass<br />
„[d]ie ‘Gleichheit’ in erster Linie ein Organ zur Schulung der im Kampfe stehender<br />
Genossinnen [sei]; sie soll sie theoretisch schulen, ihnen eine Richtschnur für die<br />
Praxis der Theorie geben. Aber in jeder Nummer ist ein einfacher, schlichter Artikel<br />
enthalten, der zur Agitation unter den Arbeiterinnen bestimmt ist. Gewiß<br />
könnte in dieser Hinsicht noch mehr geschehen. Aber dies ist in erster Linie eine<br />
Frage Ihrer Mitarbeit. Arbeiten Sie Alle, so viel wie nur möglich, an der ‘Gleichheit’<br />
mit, die Genossinnen werden arbeitend lernen.“ 853<br />
Der Antrag wurde gegen nur zwei Gegenstimmen mehrheitlich abgelehnt. Später wich Zetkin –<br />
besonders mit der Einführung der Beilagen - von diesem Konzept ab. Deshalb wird der Erfolg der<br />
„Gleichheit“ <strong>und</strong> ihres Konzeptes in den meisten Studien scheinbar berechtigt an ihren Finanzen<br />
<strong>und</strong> ihrer AbonnentInnenzahl gemessen. Und da sich hier vor allem in den ersten Jahren eine<br />
schleppende Entwicklung zeigte, wird dies mit einem Misserfolg gleichgesetzt <strong>und</strong> die Ursache<br />
für diesen Misserfolg in der theoretischen Ausrichtung der „Gleichheit“ gesehen. So stellt<br />
Kinnebrock fest, die „Gleichheit“ sei unter „engagierten Frauen recht gefragt“ 854 gewesen, doch<br />
wegen ihren „dezidiert politischen Inhalten kein Massenblatt“ 855 . Ersteres kann mangels Abon-<br />
nentInnenlisten nur eine Mutmaßung sein, die sich u. a. aus der Funktion der „Gleichheit“ als<br />
Schulungsorgan fortgeschrittener Sozialdemokratinnen ergibt. Für Letzteres zieht Kinnebrock<br />
jene quantifizierbaren Aspekte heran, verweist auf die Schwierigkeiten, die die „Gleichheit“ bis<br />
1900 in Absatz <strong>und</strong> Finanzierung hatte <strong>und</strong> unter denen sie ihrem Verleger nur Verluste beschert<br />
habe. 856 Notgedrungen habe Zetkin die „Gleichheit“ popularisieren müssen, indem sie sie<br />
feuilletonisierte <strong>und</strong> zwei Beilagen einführte. Ist jedoch die „drastische Steigerung der Auflage“ 857<br />
auf 46.000 (1906) <strong>und</strong> auf 124.000 (1914), wie Kinnebrock meint, ein direkter Erfolg dieser Bei-<br />
lagen. 858 Weder verweist Kinnebrock hier auf den Einfluss organisatorischer Änderungen<br />
innerhalb der Partei – wie z. B. das obligatorische Abonnement – noch scheinen die schwarzen<br />
Zahlen <strong>und</strong> die drastische Auflagensteigerung der „Gleichheit“ sie in ihren Augen nun doch noch<br />
zum Massenblatt gemacht zu haben. Um zu beurteilen, ob die „Gleichheit“ ein Massenblatt war<br />
oder nicht, bedarf es entweder Kriterien dafür, was ein Massenblatt ausmacht, oder eines<br />
Tagesfragen Stellung nehmen. Im zweiten Theil ist die Sprache so populär, so verständlich, daß sie auch von den<br />
einfachsten Frauen verstanden werden kann. Zu einem Familienblatt aber kann die ‘Gleichheit’ nicht ausgestaltet<br />
werden. (Bravo!)“ (Zietz im Bericht über die 2. sozialdemokratische Frauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages<br />
München 1902, S. 307).<br />
853 Zetkin ebd., S. 307.<br />
854 Kinnebrock, Gerechtigkeit erhöht ein Volk?!, S. 142.<br />
855 Ebd.<br />
856 Ebd.<br />
857 Ebd.<br />
858 Ebd., S. 143.<br />
240
Vergleichsobjekts.<br />
2.5 KEIN BLATT DER MASSEN?! – ZUR FRAGE DER REZEPTION DER „GLEICHHEIT“<br />
Selbst wenn der Erfolg bei den Massen – zumal dieser anfangs noch nicht einmal von Zetkin ge-<br />
wollt war – über den Abonnentenstand ermittelbar wäre, kann dieser doch nur für die Verbreitung<br />
<strong>und</strong> ihren finanziellen Erfolg stehen. Er sagt dagegen nichts über die Rezeption bei Leserinnen<br />
<strong>und</strong> Vereinsorganisationen oder gar über die Verinnerlichung der „Gleichheit“ aus, diese bleiben<br />
methodisch nicht messbar. 859<br />
859 Ebd., S. 136.<br />
241
3 Zwischen Feuilleton <strong>und</strong> Wissenschaft – Frauengeschichte,<br />
Frauenleitbilder <strong>und</strong> Frauenbiographien in der „Gleichheit“<br />
3.1 Geschichte in der „Gleichheit“<br />
Das von der sozialdemokratischen Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ definierte Ziel ihrer<br />
politischen Frauenbildung war es,<br />
„die Proletarierinnen zum Klassenbewußtsein zu wecken, sie aus einer indifferenten<br />
oder hemmenden zu einer treibenden Kraft im wirthschaftlichen <strong>und</strong><br />
politischen Klassenkampfe des Proletariats zu verwandeln, sie zu bewußten<br />
Sozialistinnen zu erziehen“ 1 .<br />
Um dieses Ziel zu erreichen, war auch in der „Gleichheit“ die Wissensvermittlung auf zwei<br />
Gebieten elementar: „dem Gebiete der Nationalökonomie <strong>und</strong> der Geschichte, <strong>und</strong> zwar“ – wie<br />
Zetkin nicht vergaß zu betonen – „der sozialistischen Auffassung entsprechend“ 2 .<br />
Geschichte um der Geschichte willen, quasi als allgemeines Bildungsgut zu vermitteln, machte<br />
für Zetkin wenig Sinn. Die zentralen Erkenntnisgewinne aus Geschichte <strong>und</strong><br />
Nationalökonomie sollten dagegen – so die sozialistische Perspektive – der Entlarvung des<br />
kapitalistischen Unterdrückungssystems dienen. Aus Erkenntnis, Aufklärung <strong>und</strong> Agitation<br />
wiederum resultiere bewusstes Handeln <strong>und</strong> damit die revolutionäre Umwälzung der kapitalis-<br />
tischen Gesellschaft.<br />
Das herrschende Unterdrückungssystem bediente sich jedoch selbst auch der Geschichte. Es<br />
verfügte über eine etablierte <strong>und</strong> institutionalisierte Geschichtswissenschaft, mittels derer eine<br />
einseitige Erinnerungskultur <strong>und</strong> Darstellungsweise von historischen Ereignissen im öffent-<br />
lichen Bewusstsein verankert werden konnte. Götze hebt deshalb hervor, dass die „Gleichheit“<br />
in Artikeln anlässlich sozialistischer Gedenktage <strong>und</strong> Jubiläen stets auch die Gelegenheit wahr-<br />
genommen habe, „historische Zwecklügen“ 3 zu entlarven. Auf eine ihrer Sicht nach ver-<br />
fälschende oder einseitige Darstellung historischer Fakten <strong>und</strong> Persönlichkeiten reagierte<br />
Zetkin stets mit Empörung. So kritisierte sie z. B., dass die von ihr verehrten russischen Frei-<br />
heitskämpferInnen in dem Blatt „Die Zukunft“ (1892-1922) 4 in einer geradezu „bubenhafte[n]<br />
1 Zetkin, Clara: Kritische Bemerkungen zu Genossin Brauns Vorschlag. In: GL, 07/ 06/ 17.03.1897/ 42. Auch<br />
die die Inhalte der „Gleichheit“ kritisch beurteilende Soziologin Hilde Lion beschrieb die Geschichte als<br />
„Wissensgr<strong>und</strong>lage“ für die „charakteristische[…] Stählung <strong>und</strong> Erziehung der Leserinnen, um sie aus Abonnentinnen<br />
zu klassenbewußten Anhängerinnen der sozialistischen Idee zu machen“ (Lion, Zur Soziologie der<br />
Frauenbewegung, S. 90).<br />
2 Zetkin, Clara: Kritische Bemerkungen zu Genossin Brauns Vorschlag. In: GL, 07/ 06/ 17.03.1897/ 43.<br />
3 Götze, Der Beitrag der „Gleichheit“ zur Entwicklung des Geschichtsbewußtseins ihrer Leserinnen, S. 60 u.<br />
S. 62. Der Aufsatz Götzes setzt sich in diesem Punkt sehr kritisch mit der Dissertation Vormschlags<br />
auseinander.<br />
4 Die kulturpolitische Wochenschrift „Die Zukunft“ wurde dem Publizisten, Journalisten <strong>und</strong> Schauspieler<br />
Maximilian Harden herausgegeben. Es gab viele SozialdemokratInnen, die für „Die Zukunft“ schrieben, obwohl<br />
sie nicht nur gegen die preußische Obrigkeit, sondern auch gegen die SPD polemisierte. Auf dem Partei<br />
243
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Weise“ 5 charakterisiert worden seien, was in den Augen Zetkins ein unentschuldbarer Frevel war,<br />
denn<br />
„[w]enn es je in der Geschichte der Befreiungskämpfe aller Länder Männer <strong>und</strong><br />
Frauen gegeben hat, die es verstanden haben, die Größe des antiken Helden mit der<br />
Selbstlosigkeit des christlichen Märtyrers zu vereinigen, dann s[eien] es die<br />
russischen Revolutionäre gewesen“ 6 .<br />
Zetkin verwies mit diesem Kommentar bereits auf die zentralen Charaktereigenschaften, die eine<br />
Persönlichkeit aufzeigen musste, um von der „Gleichheit“ besonders gewürdigt zu werden: Opfer-<br />
bereitschaft <strong>und</strong> Selbstlosigkeit. 7<br />
Zehn Jahre später legte Zetkin auf dem Parteitag in Jena sehr konkret dar, wie sie als<br />
„Gleichheit“-Redakteurin gedachte, mit geschichtlichen Themen umzugehen. Wie eingangs be-<br />
schrieben, war Geschichte für Zetkin keine zweckfreie Ansammlung pseudoobjektiver Tatsachen.<br />
Ihr Zweck lag vor allem darin, die Inhalte der Parteitheorie zu veranschaulichen:<br />
„Wenn wir den Genossinnen, die erst anfangen, sich für unsere Theorien zu<br />
begeistern <strong>und</strong> zu interessieren, unsere Ideen nahebringen wollen, so darf das<br />
meines Erachtens zunächst gar nicht in Artikeln über die sozialistischen Theorien<br />
selbst geschehen. Nach langer Ueberlegung scheint es mir weit zweckmäßiger, mit<br />
einer Artikelserie über die Geschichte der Sozialdemokratie zu beginnen. Ich habe<br />
mich nämlich überzeugt – <strong>und</strong> gerade das 40jährige Jubiläum der Partei vor<br />
einigen Monaten hat es mir bestätigt –, daß breitesten Schichten der jüngeren Genossen<br />
unsere Parteigeschichte noch ziemlich fremd ist <strong>und</strong> den Genossinnen erst<br />
recht. Ich habe mir gesagt, wenn ich in einzelnen Artikeln die Parteigeschichte<br />
behandele – selbstverständlich in einfacher Weise –, so gibt das Gelegenheit, in<br />
konkreter, leicht faßlicher Art gerade die lernbedürftigen Anfänger auch in wichtige<br />
Gr<strong>und</strong>fragen unserer Ideenwelt einzuführen. Ich meine, durch eine Einführung<br />
in die Geschichte der Sozialdemokratie wird auch das Interesse an dem geistigen<br />
Leben, an dem Handeln unserer Partei gerade in den Kreisen von neuen Bekennerinnen<br />
erweckt werden. Das, was letzten Endes jenen einfachen proletarischen<br />
Frauen fremd ist, ist viel weniger die Schreibweise unserer Presse als die Dinge,<br />
um die es geht. Und ich glaube, daß sie durch eine geschichtliche Darstellung in<br />
in Dresden 1903 übte neben Zetkin auch Bebel heftige Kritik an diesen GenossInnen, an Harden <strong>und</strong> an der<br />
„Zukunft“ (vgl. Bebel im Protokoll des Parteitags Dresden 1903, S. 213ff.).<br />
5 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Dresden 1903, S. 179.<br />
6 Ebd.<br />
7 Zetkin sah sich durch das ihrer Meinung nach niedrige <strong>und</strong> parteiliche Niveau der „Zukunft“-Artikel erneut<br />
berechtigt, alle wahrhaft sozialistischen AutorInnen zu mahnen, solcherlei Blätter nicht auch noch durch ihre Mitarbeit<br />
zu unterstützen: „In einem Organ, das diese Männer <strong>und</strong> Frauen, die zu den Edelsten <strong>und</strong> Besten aller<br />
Länder <strong>und</strong> Zeiten gehören, deren Wirken gegenüber wir alle das Gefühl haben müssen: Zieh‘ deine Schuhe aus,<br />
der Boden, wo du stehst, ist heilig – in einem Organ, wo diese Leute so beschimpft werden, muß es nicht nur für<br />
einen Sozialisten, sondern für jeden anständigen Menschen unmöglich sein, zu schreiben.“ (ebd.). Angesichts<br />
ihrer immer wieder ergangenen <strong>und</strong> oft vergeblichen Aufrufe an die GenossInnen, geeignete Artikel für die<br />
„Gleichheit“ zu verfassen, dürfte Zetkin die Mitarbeit sozialdemokratischer AutorInnen an anderen als sozialdemokratischen,<br />
vielleicht sogar ausgesprochen bürgerlichen Organen, ein besonderer Dorn im Auge gewesen<br />
sein. Inwieweit diesem Verhalten mancher sozialdemokratischer AutorInnen jedoch schlicht finanzielle Zwänge zu<br />
Gr<strong>und</strong>e lagen, müsste noch besonders untersucht werden.<br />
244
konkreter Form ihnen zuerst nahegebracht werden können.“ 8<br />
3.1 GESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Es zeigt sich hier die ausgeklügelte Bildungsstrategie Zetkins, gerade neu gewonnenen Genos-<br />
sinnen die abstrakte Parteitheorie mittels der etwas konkreteren Parteigeschichte zu vermitteln. 9<br />
Geschichtliche Themen schienen ihr sogar für die Werbung neuer Mitglieder so erfolg-<br />
versprechend, dass sie es als vertretbar sowie notwendig erachtete, zugunsten von Artikeln zur<br />
Parteigeschichte den Raum für „landläufige[…] Agitationsberichte“ 10 zu verringern. 11<br />
Diese von Zetkin dargelegte Bildungsstrategie war wie die zuvor eingeführten Beilagen ein<br />
Zugeständnis an die Lesegewohnheiten der „Gleichheit“-Leserinnen, zugleich aber auch eine<br />
Konsequenz ihrer Kritik am revisionistischen Lager der Partei, welches die Masse der Proletarier<br />
nicht theoretisch schulen wolle, sondern einige<br />
„Brocken allgemeiner ‘Bildung’: Geschichte, namentlich Lebensgeschichte ‘großer<br />
Männer’ <strong>und</strong> dergleichen, <strong>und</strong> möglichst viel ‘Stoff’ aus dem täglichen Leben“ 12<br />
als ausreichend erachtete. Gerade hinsichtlich der politischen Bildung proletarischer Frauen, die<br />
Zetkin anvertraut worden war, konnte <strong>und</strong> durfte dies jedoch nicht der Wahrheit letzter Schluss<br />
sein. Nur die Konfrontation <strong>und</strong> Auseinandersetzung mit wissenschaftlich f<strong>und</strong>ierten Erkennt-<br />
nissen konnten die Gr<strong>und</strong>lagen schaffen, den Proletarierinnen die Möglichkeiten ihrer Selbstbe-<br />
freiung zu eröffnen. Deshalb bedurften sie der „volle[n] Einsicht in die historischen Bedingungen<br />
der eigenen Klassenbefreiung“ 13 , <strong>und</strong> dies auf dem Niveau eines wissenschaftlichen Sozialismus.<br />
Diese kompromisslose Haltung Zetkins hinsichtlich geschichtlicher Bildungsinhalte warf jedoch<br />
zwei gravierende Probleme auf: Das hohe Niveau, auf dem diese den „Gleichheit“-Leserinnen<br />
vermittelt werden sollten <strong>und</strong> mussten <strong>und</strong> die Auswahl geeigneter geschichtlicher Themen.<br />
Zetkin musste hinsichtlich des auf vielen Parteitagen <strong>und</strong> Frauenkongressen kritisierten Niveaus<br />
der „Gleichheit“ ihre Argumentation den Organisationserfolgen der proletarischen Frauenbe-<br />
wegung anpassen. Sah sie die „Gleichheit“ anfangs in erster Linie als Fortbildungsorgan bereits<br />
8 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1913, S. 255.<br />
9 An anderer Stelle hat Zetkin jedoch genau gegensätzlich argumentiert: „‘Wir sollten nicht mit der Vergangenheit<br />
beginnen, die weitab von der Gedankenwelt der meisten Proletarierinnen liegt <strong>und</strong> auch oft von den Lehrenden<br />
nur recht unvollkommen beherrscht wird, wir müßten zunächst auf dem Boden der Gegenwart bleiben. Damit<br />
werden wir aber auch die ungeschulten Proletarierinnen fesseln …’“ (Clara Zetkin zit. nach: Um eine ganze<br />
Epoche voraus, S. 35). Mangels eines entsprechenden Beleges konnte diese Aussage weder verifiziert noch<br />
zeitlich eingeordnet werden. Die Linie der „Gleichheit“ war demnach hinsichtlich ihres Bildungskonzeptes <strong>und</strong><br />
ihrer Inhalte nicht immer stringent <strong>und</strong> somit offen für andere Ansätze.<br />
10 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1913, S. 256.<br />
11 <strong>Von</strong> dieser Kürzung unberührt sollten laut Zetkin die Berichte der Genossinnen aus den Kinderschutzkommissionen<br />
<strong>und</strong> Gemeindeinstitutionen bleiben, denn sie gäben wertvolle Einblicke in die „ganze[…]<br />
große[…] praktische[…] Betätigung unserer Genossinnen“ (ebd.).<br />
12 Der Parteitag in Nürnberg. In: GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 181.<br />
13 Ebd.<br />
245
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
geschulter Genossinnen, so hielt sie schließlich für manche Belange dieser Zielgruppe die Tages-<br />
presse für ausreichend. 14 Dies bedeutete jedoch nicht, dass Artikel im Hauptblatt weniger<br />
anspruchsvoll wurden. Für eine leichter zu erfassende Literatur standen noch die Beilagen zur<br />
Verfügung. Sie waren die beste Lösung für den Interessenkonflikt, sowohl politische Bildung als<br />
auch Mitgliederwerbung zu betreiben. Sie unterstützten auch die Intention Zetkins, geschicht-<br />
liches Wissen zu vermitteln, indem sie der Geschichte <strong>und</strong> vor allem der Kulturgeschichte viel<br />
Raum gaben. Als Brücke <strong>und</strong> Ergänzung des Hauptblattes waren auch sie Teil der politischen Bil-<br />
dungsstrategie der „Gleichheit“.<br />
Mit dem zweiten Problem, eine geeignete Auswahl historischer Stoffe zu treffen, stellt sich nun<br />
die Frage nach den konkreten Inhalten der „Gleichheit“. Die zu geschichtlichen Themen er-<br />
schienenen Artikel lassen sich in die drei Bereiche Kulturgeschichte, Revolutionsgeschichte <strong>und</strong><br />
die Geschichte der SPD gliedern. Da in der vorliegenden Arbeit der Schwerpunkt auf frauen-<br />
geschichtliche Inhalte gelegt wird, werden die entsprechenden Artikel aus Platzgründen nicht<br />
näher dargelegt. Ihre Themenbereiche finden sich aber, mit Schwerpunkt auf die weibliche Per-<br />
spektive, im folgenden Kapitel wieder. 15<br />
Aus dem Bereich der Kulturgeschichte wurden nur wenige Artikel im Hauptblatt veröffentlicht,<br />
sie machten – abhängig von den beteiligten Personen 16 – teilweise einen Schwerpunkt der Bei-<br />
lagen aus. Die Artikel, die im Hauptblatt veröffentlicht wurden, griffen meist Themen aus dem<br />
Erfahrungsbereich der Frauen auf 17 <strong>und</strong> hatten seltener einen allgemeinen kulturhistorischen In-<br />
halt 18 .<br />
Die Inhalte revolutionsgeschichtlicher Artikel basieren auf der sozialistischen Geschichts-<br />
auffassung <strong>und</strong> der von Marx <strong>und</strong> Engels entwickelten Theorie des historischen Materialismus.<br />
14<br />
Im Rahmen dieser Strategie <strong>und</strong> ihrer redaktionellen Umsetzung erklärte Zetkin auf dem Parteitag in Jena 1913,<br />
dass es zudem notwendig werden würde, „gelegentlich den einen oder anderen Artikel ausfallen“ (Zetkin im<br />
Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1913, S. 256) zu lassen. Sie ging davon aus, dass gerade sozialpolitische<br />
Artikel in einer für die Agitatorinnen ausreichenden Art <strong>und</strong> Weise in der Tagespresse erscheinen würden <strong>und</strong> so<br />
die Agitation nicht zu leiden hätte (vgl. ebd.). Ungewohnt bescheiden hoffte Zetkin, dass die Delegierten des<br />
Jenaer Parteitages „mit dieser Art <strong>und</strong> Weise, dem Bedürfnis entgegenzukommen, wohl einverstanden sein<br />
werden“ (ebd.).<br />
15 Siehe auch: „Auswahl der geschichtlichen Artikel im Hauptblatt der ‘Gleichheit’“.<br />
16 An dieser Stelle ist besonders die Mitarbeit Hanna Lewin-Dorschs (?-1911) hervorzuheben, die ein Studium der<br />
Naturwissenschaften, Gesellschaftswissenschaften <strong>und</strong> Geschichte absolviert hatte <strong>und</strong> in den Beilagen regelmäßig<br />
kulturhistorische Artikel (Mutterrecht, Entdeckung der Metalle, Entwicklung von Haushaltsgegenständen,<br />
Ehe <strong>und</strong> Erwerbsarbeit) veröffentlichte. Lewin-Dorsch wird anhand eines in der „Gleichheit“ veröffentlichten<br />
Nachrufes noch näher vorgestellt werden.<br />
17 Siehe: Jäckel, H[ermann?]: Vom Spinnen <strong>und</strong> Weben in alter Zeit [I-IV]. In: GL, 20/ 19/ 20.06.1910/ 295-296. bis<br />
GL, 20/ 24/ 29.08.1910/ 375-376.<br />
18 Siehe: Dorsch, Hanna: Weihnachten – Sonnenwendfest! In: GL, 16/ 26/ 26.12.1906/ 186; Weh, O.: Die<br />
Gleichstellung von Mensch <strong>und</strong> Thier in der Gesetzgebung des Mittelalters. In: GL, 08/ 16/ 03.08.1898/ 124-126;<br />
GL, 08/ 17/ 17.08.1898/ 132-133; GL, 08/ 18/ 31.08.1898/ 140-141.<br />
246
3.1 GESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Nach dieser ist die Geschichte eine wesentlich durch ökonomische Prozesse bestimmte Ent-<br />
wicklung. Erst die Veränderung in den Austausch- <strong>und</strong> Produktionsprozessen, die die Entstehung<br />
verschiedener, sich bekämpfender Klassen beeinflussen, führen zu einer Weiterentwicklung der<br />
Gesellschaft. Geschichte ist demnach eine Geschichte der Klassenkämpfe auf dem Weg zum<br />
Kommunismus. 19 Es ist daher vor allem die Geschichte revolutionärer Volksbewegungen, die von<br />
der „Gleichheit“ wie von der gesamten deutschen Arbeiterpresse rezipiert wurde. 20 Aus dieser<br />
Geschichte wollte man Kraft <strong>und</strong> Gewissheit für die Zukunft schöpfen, eigene Werte <strong>und</strong> Ziel-<br />
vorstellungen stabilisieren, um diese dem kollektiven Gedächtnis der Arbeiterklasse zu vermitteln<br />
<strong>und</strong> einzuprägen. 21 Revolutionen bieten dafür erstaunlich zweckgemäß, so der Historiker Peter<br />
Friedemann, ein „einfache[s], einprägsame[s], dichotomische[s] Bild“ 22 . Ein Umstand, der sie<br />
zum idealen Themenstoff für Zeitschriften macht, da diese sich in ihrer Wirksamkeit ebenfalls auf<br />
Vereinfachung <strong>und</strong> Verinnerlichung stützen. Die von Friedemann untersuchten Zeitschriften be-<br />
ließen es daher jedoch oft bei einer oberflächlichen Betrachtungsweise ihrer historischen Themen.<br />
So stellt Friedemann hinsichtlich der Rezeption der Französischen Revolution für verschiedene<br />
sozialdemokratische Blätter fest, dass diese ihren LeserInnen weniger eine historische Analyse<br />
dieser Revolution als vielmehr nur eine eingeschränkte Auswahl spezifischer Schlagwörter, Bilder<br />
<strong>und</strong> Topoi boten. 23 Auf diese Weise war sie weniger historisches Forschungsobjekt als vielmehr<br />
besonders bildhaftes Aufklärungsmittel. Die Bastille symbolisierte die kapitalistische Gesellschaft<br />
<strong>und</strong> die Ereignisse des Jahres 1789 standen für die Prophezeiung, dass der „14. Juli des Proleta-<br />
riats“, die sozialistische Gesellschaft, bereits zum Greifen nahe sei.<br />
Ein besonders hervorzuhebender Rückgriff auf die Revolutionsgeschichte ist die Artikelserie „Ein<br />
19 Folgende Werke wurden den „Gleichheit“-Leserinnen zur tiefergehenden Beschäftigung mit der sozialistischen<br />
Geschichtstheorie empfohlen: Ferdinand Lassalle „Arbeiterprogramm“(1862), „Kapital <strong>und</strong> Arbeit“ (1864) <strong>und</strong><br />
„Ziele <strong>und</strong> Wege“ (?); Karl Kautsky „ Das Erfurter Programm“ (1892); Marx <strong>und</strong> Engels „Das Kommunistische<br />
Manifest“ (1848); Peter Kropotkin „Die französische Revolution“ (1909); Wilhelm Blos „Die deutsche<br />
Revolution von 1848“ (1893); Prosper Lissagaray „Geschichte der Kommune“ (1876); Arnold Dodel „Moses oder<br />
Darwin“ (1889); M. Wilhelm Meyer „Weltschöpfung“ (1904) <strong>und</strong> „Weltuntergang“ (1887); Konrad Günther „Der<br />
Darwinismus <strong>und</strong> die Probleme des Lebens“ (1904) (vgl. Pritschkow, Fr.: Der Drang nach Wissen. In: GL, 19/ 26/<br />
27.09.1909/ 406 <strong>und</strong> Literarisches. In: GL, 21/ 06/ 19.12.1910/ 96).<br />
20 Zu diesen Volksbewegungen gehören die Bauernkriege, die englische Glorious Revolution, die Französische Revolution,<br />
der Vormärz, die 1848er-Revolution, der Tiroler Aufstand im Jahre 1809 <strong>und</strong> die russische Revolution.<br />
21 Vgl. Friedemann, Französische Revolution <strong>und</strong> deutsche sozialistische Arbeiterpresse, S. 235.<br />
22 Ebd., S. 236.<br />
23 Vgl. ebd., S. 238. Laut Puschnerat zeigte Zetkin eine ablehnende Haltung gegenüber der revolutionären Tradition<br />
Frankreichs (vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 60). Die „Gleichheit“ veröffentlichte<br />
tatsächlich weit weniger Artikel zur Französischen Revolution als zur 1848er-Revolution. Dies ist einerseits<br />
auf die Zetkin‘sche Geschichtsinterpretation (siehe die Biographie Jeanne-Marie Rolands) zurückzuführen als<br />
auch auf den Umstand, dass es im Laufe der Jahre andere „Gleichheit“-MitarbeiterInnen waren, die sich der historischen<br />
Themen annahmen.<br />
247
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Blatt Geschichte“ 24 , in welcher Zetkin während des Krieges die Ereignisse im England des<br />
17. Jahrh<strong>und</strong>erts, einen Machtkampf zwischen Parlament <strong>und</strong> König erläuterte. 25 Bereits ihre<br />
Äußerung, dass die „politische Freiheit Englands“ – die politische Freiheit des Kriegsgegners –<br />
„so groß […]wie kaum in einem Lande“ 26 sei, musste provozieren. Diese Freiheit sei Resultat der<br />
englischen Revolution im 17. Jahrh<strong>und</strong>ert, die mit der Thronbesteigung Karls I. im Jahre 1623<br />
ihren Anfang nahm. Mehrmals hatte der englische König seit seiner Thronbesteigung das<br />
Parlament aufgelöst, weil es nicht seiner Forderung nach „Bewilligung von Kriegskrediten“<br />
nachkam – die Parallele zum Juli 1914 ist unverkennbar. Das englische Parlament weigerte sich<br />
jedoch, die Mittel freizugeben bevor „das ganze reaktionäre System“ 27 reformiert, die Minister „in<br />
Anklagezustand versetzt“ 28 <strong>und</strong> dem Volk politische Freiheiten zuerkannt worden seien. Indem<br />
Karl I. das Parlament stets auflöste, wenn es seinem Willen nicht nachkam, war er elf Jahre lang<br />
ein nahezu absolutistischer Herrscher. Doch im Volk gärte es. Es verweigerte nicht nur die<br />
Steuerzahlungen, sondern verbreitete sogar „massenhaft revolutionäre Flugschriften“ 29 <strong>und</strong> es gab<br />
„Straßenaufläufe <strong>und</strong> Demonstrationen“ 30 . Die Regierung wusste keine andere Lösung als das<br />
Parlament 1640 wieder einzuberufen. Dieses jedoch wich kein Jota von seiner Forderung ab:<br />
„[E]he nicht die politische Freiheit gesichert ist, keinen Pfennig zur Kriegsführung.“ 31 Genau dies<br />
war auch einmal die Haltung der Vorkriegs-SPD gewesen. Karl I. reagierte kurzentschlossen <strong>und</strong><br />
wollte „[f]ünf der angesehensten Führer der Opposition“ 32 unter Verletzung ihrer Immunität als<br />
Parlamentsabgeordnete in Haft setzen <strong>und</strong> unter die Anklage des Hochverrats stellen. Hier nun<br />
endete Zetkins fulminante Einleitung <strong>und</strong> der Artikel setzte mit aus François Guizots 1828<br />
erschienenen Werk „Geschichte der englischen Revolution“ entnommenen Darstellungen fort. In<br />
ihrer Einleitung hatte Zetkin geschickt Analogien gezogen <strong>und</strong> einen Ausblick auf die kom-<br />
menden Ereignisse gegeben. Dieser Übergriff auf die Abgeordneten des Parlaments sollte den<br />
König „den Kopf kosten“ 33 . Denn nun würde sich, so Zetkin, auch das „englische Bürgertum<br />
auf[raffen], um die Macht des Königtums einzuschränken <strong>und</strong> das Parlament zum eigentlichen<br />
24 Ein Blatt Geschichte [I-III]. In: GL, 26/ 22/ 21.07.1916/ 165-166 bis GL, 26/ 25/ 18.08.1916/ 177-178.<br />
25 Ein Blatt Geschichte I. In: GL, 26/ 22/ 21.07.1916/ 165.<br />
26 Ebd.<br />
27 Ebd.<br />
28 Ebd.<br />
29 Ebd.<br />
30 Ebd.<br />
31 Ebd.<br />
32 Ebd.<br />
33 Ebd.<br />
248
3.1 GESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Machtfaktor des politischen Lebens zu erheben“ 34 . Nun würden Bürgerliche „[ge]stützt[…] auf<br />
die revolutionären Schichten des arbeitenden Volkes“ 35 , nicht mehr nur „Petitionieren“, sondern<br />
sich an die Spitze einer „offenen großen Volksrevolution“ stellen. Guizot beschrieb den Kampf<br />
des Parlamentes, aber vor allem des Volkes um seine Vertreter. „‘Immunität! Immunität!’“ 36 hätten<br />
die Massen dem König drohend auf der Straße zugerufen <strong>und</strong> die fünf Abgeordneten nie ohne<br />
Schutz gelassen. Der Gewaltstreich des Königs war abgewehrt <strong>und</strong> er verließ London. Sein<br />
späterer Tod 1649 auf dem Schafott markierte den Beginn einer elf Jahre währenden englischen<br />
Republik. Zetkins Artikel war ein offener Aufruf zur Revoltution <strong>und</strong> es verw<strong>und</strong>ert sehr, dass er<br />
die Zensur unbeschadet umgehen konnte.<br />
Nach der Entlassung Zetkins <strong>und</strong> nach der russischen Revolution änderte sich der Blick der<br />
„Gleichheit“ auf den historischen Materialismus, wenn sie sich auch weiterhin auf ihn berief. So<br />
schrieb Kurt Heilbut in seinem Artikel „Kommunismus oder Sozialismus“ 37 , mit welchem er vor<br />
allem gegen die linksradikale Konkurrenz <strong>und</strong> ihre Vorstellung vom Kommunismus angehen<br />
wollte:<br />
„Eine scharfe Trennung [von Sozialismus <strong>und</strong> Kommunismus; M.S.] besteht nur in<br />
dem Wege. Und hier verleugnet der Kommunismus auf einmal alle die wissenschaftlichen<br />
Gr<strong>und</strong>sätze, die die marxistische-materialistische Geschichtsforschung<br />
aufgestellt hat. Mit einem kühnen Saltomortale verläßt er hier den Boden der<br />
Wirklichkeit <strong>und</strong> fliegt <strong>und</strong> schwebt in einen gewiß sehr schönen <strong>und</strong> wünschenswerten<br />
Traumzustand hinein.“ 38<br />
Heilbut lehnte den Kommunismus nicht ab, weil er ihn nicht wollte, sondern weil er überzeugt<br />
war, „ihn unter den heutigen Wirtschaftsverhältnissen <strong>und</strong> mit dem gegenwärtigen Menschen-<br />
material“ 39 [sic!, M.S.] nicht verwirklichen zu können. Die Gesellschaft sei noch nicht reif für den<br />
Kommunismus. Dieser müsse sich organisch entwickeln <strong>und</strong> könne nicht mit „D-Zuggeschwin-<br />
digkeit“ 40 erzwungen werden. Lenin <strong>und</strong> die russischen Kommunisten hätten mit ihrer Politik<br />
bewiesen,<br />
34 Ebd.<br />
35 Ebd.<br />
„daß die sofortige Durchführung des Kommunismus ein Unding, eine Unmöglichkeit<br />
ist. Wir müssen ihnen ferner dankbar sein, daß sie die Fehler, die sie gemacht<br />
haben, offen <strong>und</strong> freimütig eingestanden, ja sogar selbst aufgedeckt haben <strong>und</strong> so<br />
36 Ein Blatt Geschichte III. In: GL, 26/ 25/ 18.08.1916/ 178.<br />
37 Heilbut, Kurt: Kommunismus oder Sozialismus. In: GL, 29/ 24/ 02.08.1919/ 187-190.<br />
38 Ebd., S. 188.<br />
39 Ebd.<br />
40 Ebd., S. 189.<br />
249
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
den Arbeitern ihres Landes, <strong>und</strong> darüber hinaus den Proletariern der ganzen Welt<br />
gezeigt haben, wie man es n i c h t machen soll.“ 41<br />
Trotz dieser Kritik blieb auch für Heilbut entscheidend, dass während die konservative Gesell-<br />
schaft aus Geschichte <strong>und</strong> Tradition Argumente schöpft, die den Status quo legitimieren, die<br />
sozialistische Kritik an der bestehenden Gesellschaft – ob nun sozialdemokratisch oder kommu-<br />
nistisch – vor allem auf dem Geschichtsverlauf fußt. In diesem Sinne hatte wiederum Zetkin<br />
bereits 1915 anlässlich des Internationalen Frauentages geschrieben:<br />
“Hat es da nicht den Anschein, als ob der Weltkrieg einer Erdbebenkatastrophe<br />
gleich mit anderen Menschheitsidealen auch die gärende Sehnsucht der Frauen<br />
nach Recht, nach Freiheit, das eigene Maß des Wachsens <strong>und</strong> Werdens zu erreichen<br />
unter Trümmerhaufen begraben habe? So mögen die Kleinmütigen <strong>und</strong> Kurzsichtigen<br />
wähnen, die das Wirken <strong>und</strong> Weben der geschichtlichen Kräfte nur an der<br />
Oberfläche erfassen <strong>und</strong> für deren Sinn daher das ewig Gestrige auch das ewig<br />
Heutige ist. Anders sieht die Dinge, wer aus der Geschichte gelernt hat, daß wohl<br />
für kürzere oder längere Zeit verschüttet, aber nicht getötet werden kann, was<br />
gesellschaftliche Notwendigkeit vom Menschengeist geboren werden läßt <strong>und</strong><br />
menschlichem Wollen als Ziel gesetzt. Es kann nicht sterben, bis es nicht vollendet<br />
worden <strong>und</strong> in seiner Vollendung höherem gesellschaftlichen Sein den Weg geebnet<br />
hat.“ 42<br />
Diese von Zetkin wortgewandt ausgedrückte Hoffnung auf die Erfüllung eines menschheits-<br />
geschichtlichen Ziels barg eine besondere Emotionalität. Allen sozialdemokratischen Organen –<br />
einschließlich der „Gleichheit“ – waren Revolutionen als „Sonn- <strong>und</strong> Festtage der Weltge-<br />
schichte“ 43 – nicht nur markante Wendepunkte, sondern immer auch „‘emotional-romantische[…]<br />
Symbol[e]’“ 44 .<br />
Auch Toni Sender bediente sich für ihren Artikel „Das Klassenbewusstsein als Quelle unserer<br />
Kraft“ 45 dieser Emotionalität. Senders Artikel erschien im März 1923. Auch dieses Mal ging es<br />
der „neuen“ „Gleichheit“ nicht nur um ein schlichtes Erinnern an die Märzgefallenen der 1848er-<br />
Revolution, sondern um eine Beziehung zum Jetzt – umso mehr, da das Berliner Bezirksparlament<br />
den Antrag der Sozialdemokratie, den Friedhof der Märzgefallenen vor dem Verfall zu bewahren,<br />
nur mit Unverständnis begegnet war. Dieses Verhalten nahm Sender zum Anlass,<br />
41 Ebd.<br />
„[j]ener Zeit“ zu erinnern, „da ihr [der deutschen Bourgeoisie; M.S.] die Hilfe des<br />
in ihrem Schoße entstehenden vierten Standes sehr willkommen war, um sich von<br />
ihm im Kampfe gegen den Feudalismus die Kastanien aus dem Feuer holen zu<br />
lassen“ 46 .<br />
42 Der internationale sozialistische Frauentag. In: GL, 25/ 13/ 19.03.1915/ 73-74, S. 73.<br />
43 Kossok, In Tyrannos: Revolutionen der Weltgeschichte, S. 15.<br />
44 Friedemann, Französische Revolution <strong>und</strong> deutsche sozialistische Arbeiterpresse, S. 236.<br />
45 Sender, Toni: Das Klassenbewusstsein als Quelle unserer Kraft. In: GL, 33/ 06/ 15.03.1923/ 41-42.<br />
46 Ebd., S. 41.<br />
250
3.1 GESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Während die Bourgeoisie des Jahres 1923 jede revolutionäre Entwicklung moralisch entrüstet<br />
ablehne, 47 lebe das Proletariat – Sender verwendete nicht den Begriff der Sozialdemokratie – in<br />
eben dieser revolutionären Tradition. Sender schlug einen darstellenden Bogen von der<br />
Französischen Revolution über die Weberaufstände bis zur Entwicklung eines „nackt[en] <strong>und</strong><br />
unverschleiert[en], Menschenwürde <strong>und</strong> Persönlichkeitsbewusstsein zerstörend[en] […] jungen<br />
deutschen Kapitalismus“ 48 in der Zeit des Vormärz. Das Proletariat habe den „aktivsten Teil“ 49 der<br />
1848er-Revolution gebildet, aber sei dann doch von der Bourgeoisie, die im Gegensatz zu ihm<br />
bereits über ein klares Klassenbewusstsein verfügt habe, „überrumpel[t]“ 50 worden. Ohne dieses<br />
Klassenbewusstsein <strong>und</strong> von der Bourgeoisie, die ein mächtiges Proletariat verhindern wollte, auf<br />
dem Kampfplatz im Stich gelassen, habe auch das Proletariat letztlich der Soldateska erliegen<br />
müssen. Sender, die hier kaum die weibliche Perspektive betonte, ließ ihren Leserinnen trotzdem<br />
die 1848er-Revolution als Markstein des Aufstiegs der proletarischen Klasse erscheinen:<br />
„Aber dennoch bleibt die 1848er-Revolution auch für das deutsche Proletariat<br />
wertvoll. Denn je mehr sie versandete, desto revolutionärer wurde das Proletariat.<br />
Je feiger das Bürgertum, aus Angst vor dem Proletariat, die eigene Fahne sinken<br />
ließ, um so radikaler räumte dieser Erfahrung im Proletariat mit den alten<br />
Illusionen auf. So wurde die Märzrevolution zum mächtigsten Kraftquell für das<br />
deutsche Proletariat – zur Quelle der Erkenntnis in seine eigene starke Kraft als<br />
Klasse.“ 51<br />
Es ist zum Schluss vor allem ein Aufruf zu Einigkeit des Proletariats, denn in der Stärke seiner<br />
Einigkeit <strong>und</strong> Selbständigkeit liege seine Kraft. 52 Mit dieser wolle es nun seine historische<br />
Mission erfüllen <strong>und</strong> „die Menschheit auf eine höhere Stufe der Wirtschaft <strong>und</strong> Kultur empor-<br />
[…]führen“. 53 Der Burgfrieden war 1923 vorbei, die SPD wiedervereinigt <strong>und</strong> scheinbar bereit für<br />
den politischen Kampf um eine neue Gesellschaft.<br />
Der politische Kampf war der SPD vor gar nicht langer Zeit noch sehr erschwert worden. Ihre<br />
eigene Geschichte barg wie die der Revolutionen eine besondere Emotionalität, denn sie berührte<br />
viele der „Gleichheit“-Leserinnen, die zu den „Frauen der ersten St<strong>und</strong>e“ gehörten. Es konnte<br />
daher nicht ausreichend sein, ihnen die Parteigeschichte nur aus einer allgemeinen Perspektive<br />
47 Ebd.<br />
48 Ebd., S. 42.<br />
49 Ebd.<br />
50 Ebd.<br />
51 Ebd.<br />
52 Ebd.<br />
53 Ebd.<br />
251
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
oder in Form von männerbiographischen Artikeln näher zu bringen. 54 Auch sie hatten der durch<br />
Sozialisten- <strong>und</strong> Vereinsgesetz drohenden gesellschaftlichen Diskriminierung <strong>und</strong> Haftstrafen<br />
getrotzt, eine von bürgerlicher Mildtätigkeit unabhängige Organisation begründet <strong>und</strong> sich offen<br />
zur sozialistischen Arbeiterbewegung bekannt. Die „Gleichheit“ wurde nie müde, die besonderen<br />
Verdienste der Frauen um das Überleben <strong>und</strong> den Aufstieg der männerdominierten SPD zu<br />
benennen. Deshalb werden im folgenden Kapitel die frauengeschichtlichen Akzente von Kultur-,<br />
Revolutions- <strong>und</strong> SPD-Geschichte näher vorgestellt.<br />
54 Die umfassendste Darstellung der SPD-Geschichte erschien mit einer Artikelserie von Franz Klühs (1877-1923)<br />
1922: Klühs, Franz: Vom Werden der Partei [I-VIII]. In: GL, 32/ 07/ 01.04.1922/ ? bis GL, 32/ 19-20/ 01.10.1922/<br />
178-179; siehe: „Auswahl der geschichtlichen Artikel im Hauptblatt der ‘Gleichheit’“. Klühs hatte bereits 23jährig<br />
seine erste Position als Redakteur einer Zeitschrift inne. Zweimal wurde er wegen Verstoßes gegen das preußische<br />
Pressegesetz zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Er engagierte sich in der Magdeburger SPD. 1921-1933 war<br />
Klühs stellvertretender Chefredakteur des „Vorwärts“. 1921 erschien außerdem sein Werk „Der Aufstieg. Führer<br />
durch die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ (vgl. Radtke, Elli: [Rezension zu: Klühs, Franz: Der<br />
Aufstieg]. In: GL, 31/ 02/ 15.01.1921/ 13). 1934 wurde er wegen seiner Kontakte zum Exil-Parteivorstand vom<br />
Reichsgericht in Leipzig zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. In Verhören immer wieder misshandelt,<br />
war Klühs‘ Ges<strong>und</strong>heitszustand so schlecht, dass er kurz nach der Entlassung an den Folgen der Haft verstarb.<br />
252
3.2 Frauengeschichte in der „Gleichheit“<br />
Die Behandlung historischer Inhalte in der „Gleichheit“ ist geprägt durch das Geschichtsbild<br />
August Bebels. Sowohl sein 1875 abgefasster, aber erst 1878 erschienener Aufsatz „Über die<br />
gegenwärtige <strong>und</strong> künftige Stellung der Frau“ als auch sein 1879 veröffentlichtes Hauptwerk<br />
„Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“ 55 – das von deutschen ProletarierInnen meistgelesene Buch 56 –<br />
basieren auf Marx‘ Theorie des historischen Materialismus. Bebel analysierte ausgehend von<br />
den kulturkritischen Studien utopischer Frühsozialisten wie Charles Fourier <strong>und</strong><br />
naturwissenschaftlich-ethnologischen Studien von Charles Darwin, Lewis Henry Morgan <strong>und</strong><br />
Johann Jakob Bachofen die vielfältigen historischen Ursachen für die gesellschaftliche Unter-<br />
drückung der Frau. Er stellte anhand dieser Studien die kulturgeschichtliche Entwicklung<br />
menschlicher Gesellschaften seit der Urzeit bis zur kapitalistischen Gegenwart dar <strong>und</strong> ver-<br />
wertete sowohl geschichtswissenschaftliche Erkenntnisse als auch große Mengen statistischen<br />
Materials. 57 Für besondere Aufregung in konservativen Kreisen sorgten seine Darstellungen der<br />
Frauen als Geschlechtswesen, die einen natürlichen Geschlechtstrieb ausleben wollen, sowie<br />
seine an die bürgerliche Doppelmoral gerichteten Anklagen hinsichtlich Prostitution, Ge-<br />
schlechtskrankheiten <strong>und</strong> der historischen Entwicklung der vermeintlich göttlichen Institution<br />
der Ehe. Bebel analysierte die geschlechtsspezifischen Momente weiblicher Arbeit, weiblicher<br />
Bildung <strong>und</strong> damit weiblicher Rechtlosigkeit. Er pointierte schließlich: „Frau <strong>und</strong> Arbeiter<br />
haben gemein, Unterdrückte zu sein.“ 58 <strong>und</strong> stellte die zentrale These auf, dass die Frauenfrage<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich Teil der sozialen Frage sei <strong>und</strong> beide nur durch die Etablierung einer<br />
sozialistischen Gesellschaftsordnung gelöst werden könnten. Der Kampf um die Gleich-<br />
berechtigung der Frau war Kampf um den sozialistischen Zukunftsstaat <strong>und</strong> damit Teil des<br />
Kampfes der Arbeiterbewegung. Mit einem Ausblick auf eben diese zukünftige sozialistische<br />
55 Bebel veröffentlichte die Ergebnisse seiner Studien 1879 vorerst unter dem Titel „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“.<br />
Der unter den oppressiven Gegebenheiten des „Sozialistengesetzes“ äußerst brisante Inhalt erschwerte<br />
den Vertrieb des Werkes jedoch in solchem Maße, dass der Titel „Die Frau in Vergangenheit, Gegenwart <strong>und</strong><br />
Zukunft“ über den wahren Charakter des Buches hinwegtäuschen sollte. Erst die überarbeitete neunte Auflage<br />
von 1891 konnte wieder unter dem ursprünglichen Titel erscheinen. Die Leserschaft hatte das Werk Bebels<br />
unter einer anderen Bezeichnung populär gemacht: Schlicht wie auch herzlich bezeichnete sie das Werk als<br />
Bebels „Frau“.<br />
56 Für die Popularität von Bebels „Frau“ stehen die hohe Zahl der Auflagen (1910 erschien bereits die 50. Auflage),<br />
die Übersetzung in mehr als 20 Sprachen <strong>und</strong> die Nutzungsstatistiken der Arbeiterbibliotheken (vgl.<br />
Steinberg, Lesegewohnheiten deutscher Arbeiter).<br />
57 Bebel, Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus, S. 43. Es muss aus Platzgründen <strong>und</strong> um Wiederholungen zu vermeiden,<br />
darauf verzichtet werden, spezifischer auf Bebels Werk „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“ einzugehen. Die<br />
frauengeschichtlichen Artikel der „Gleichheit“ spiegeln seine Inhalte teilweise präzise wider, teilweise gehen<br />
sie aber auch über Bebels Darstellungen hinaus.<br />
58 Bebel, Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus, S. 45.<br />
253
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Gesellschaft schließt „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“. Bebel musste seinen Kritikern 59 gegenüber<br />
später jedoch einräumen, dass dieser Ausblick sehr subjektiv ausfallen musste <strong>und</strong> keine absolute<br />
Geltung beanspruche. 60 Dennoch entwarf sein Werk allen Frauen – nicht nur den proletarischen –<br />
ein Ziel, das sich anzustreben lohnt.<br />
Bebel beschrieb einen historischen Kulturauftrag der Frau :<br />
„Mit dem den Frauen innewohnenden feinen Gefühl, welches sie als selbst<br />
Unterdrückte für die Unterdrückten stets empfanden <strong>und</strong> das ihnen instinktiv die<br />
Hoffnung gab, durch die Befreiung eines Unterdrückten ihre eigene Unterdrückung<br />
zu beendigen oder zu erleichtern, haben sie noch in jeder großen Bewegung ihre<br />
Rolle gespielt <strong>und</strong> sich mit Eifer der Verwirklichung ihrer Ziele hingegeben. Es<br />
zeigte sich dies bei der Gründung <strong>und</strong> Ausbreitung des Christentums, bei allen religiös-sozialen<br />
Bewegungen des Mittelalters, im Bauernkrieg, in der französischen<br />
Revolution, in der Junischlacht, in der Communebewegung.“ 61<br />
Mit diesen Ausführungen umriss Bebel quasi das frauengeschichtliche Inhaltstableau der<br />
„Gleichheit“.<br />
Wie nun aber war es möglich gewesen, dass Frauen diesen Einfluss hatten verlieren können?<br />
Wieso fand man sie zur Enttäuschung Bebels weniger in der sozialistischen Bewegung als<br />
ausgerechnet im „ultramontanen Lager“ 62 d. h. im Lager der Katholizisten <strong>und</strong> Antiliberalen, die<br />
in der Zentrumspartei ihre politische Vertretung hatten. Bebel sah den Gr<strong>und</strong> dafür in der Taktik<br />
der Herrschenden, „bei den Frauen in noch höherem Grade wie bei den Proletariern die Aus-<br />
bildung des Verstandes absichtlich [zu] vernachlässig[en]“ 63 . Wo aber, so Bebel,<br />
„der Verstand wegen Mangel an Entwickelung <strong>und</strong> Uebung schwach ist, ist<br />
das Gefühl stark. Dieses starke Ueberwuchern des Gefühls auf Kosten des<br />
Verstandes hat insbesondere die Kirche, die nur auf das Gefühl berechnet ist, auszubeuten<br />
gewußt.“ 64<br />
Die von Bebel zuvor also noch hoch geschätzte, vermeintlich weibliche Eigenart des Mitfühlens<br />
<strong>und</strong> Hingebens kam nicht nur der sozialistischen Bewegung zu Gute, sondern auch ihren Gegnern.<br />
Wollte die SPD das Mitgefühl der Frauen für die Unterdrückten dieser Welt wachrufen, durfte sie<br />
59 Für kritische zeitgenössische Rezensionen zu Bebels Werk siehe: Schöler, Die Irrthümer der Sozialdemokratie<br />
(1895); Ley, A. Bebel <strong>und</strong> sein Evangelium (1885); Jardon, Die Frau <strong>und</strong> Bebels Utopien (1892); Katzenstein,<br />
Kritische Bemerkungen zu Bebels Buch: „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“ (1896/97); Ziegler, Die Naturwissenschaft<br />
<strong>und</strong> die sozialdemokratische Theorie (1894) (siehe als Rezension dazu: G.L.: Die Gleichstellung der<br />
Frau mit dem Manne. In: GL, 04/ 07/ 04.04.1894/ 94). Für moderne – positive wie negative – Beurteilungen siehe:<br />
Literaturverzeichnis; Luckhardt, Die Frau als Fremde; Schwendter, Zur Geschichte der Zukunft: Zukunftsforschung<br />
<strong>und</strong> Sozialismus, Bd. 1, S. 248-255.<br />
60 Vgl. Bebel, Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus, S. 43.<br />
61 Bebel, Über die gegenwärtige <strong>und</strong> künftige Stellung der Frau, S. 701-702.<br />
62 Ebd., S. 702<br />
63 Ebd. Hervorhebungen aus dem Original wurden im Neudruck kursiv übernommen. Da angenommen werden<br />
kann, dass sie im Original in der damals üblicheren Form des Sperrdrucks erschienen, wird diesem hier der Vorzug<br />
gegeben.<br />
64 Ebd.<br />
254
3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />
es nicht durch eine übermäßige Verstandesausbildung der Frau gefährden. Zudem war das<br />
„gelehrte Frauenzimmer“ ein oft karikiertes Frauenbild, dem bestimmt keine Proletarierin nach-<br />
streben sollte <strong>und</strong> wollte. Bebel sah quasi einen diametralen Zusammenhang zwischen Verstand<br />
<strong>und</strong> Gefühl – je stärker das eine ausgebildet ist, desto schwächer das andere. Gr<strong>und</strong>legend für<br />
einen gesellschaftlichen Wandel war damit die rational-wissenschaftliche Schulung der Frau. In<br />
welcher Weise aber letztendlich das richtige Verhältnis zwischen Verstand <strong>und</strong> Emotion her-<br />
zustellen sein könnte, beschrieb Bebel allerdings nicht. Er forderte die sozialistische Bewegung<br />
zum konkreten Handeln, zur verstärkten Agitation auf, um den Frauen die entscheidende<br />
Alternative zur Kirche sein. Die wahre Emanzipation der Frau –eine Notwendigkeit, die er auch<br />
für die bürgerlichen <strong>und</strong> adeligen Frauen sah – sei nicht allein in der Gleichberechtigung mit dem<br />
Ehemann gegeben, sondern auch in ihrer „Stellung als Staatsbürgerin <strong>und</strong> Arbeiterin, als<br />
Gesellschaftswesen überhaupt“ 65 .<br />
Schnell wurde Bebels „Frau“ von den verschiedenen proletarischen Frauenorganisationen für ihre<br />
Agitations- <strong>und</strong> Bildungsarbeit aufgegriffen. Schon 1891 fasste Zetkin für die „Arbeiterin“ seine<br />
wesentlichen Punkte in der Artikelserie „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus von Bebel“ 66 zusammen.<br />
Zwar äußert sie Kritik daran, dass es „vielfach skizzenhaft gehalten war, hier <strong>und</strong> da Vollständig-<br />
keit <strong>und</strong> leichte Uebersichtlichkeit des Gedankenganges vermissen ließ“ 67 , aber letztendlich sei es<br />
in Anbetracht seines Anliegens „eine That“ 68 gewesen. Diese Tat sei umso bew<strong>und</strong>ernswerter,<br />
wenn man neben den schwierigen Umständen der Niederschrift, der Veröffentlichung <strong>und</strong> Verbrei-<br />
tung außerdem bedenke, dass Bebels These<br />
„ein Schwimmen gegen den Strom nicht nur der bürgerlichen Welt – das war<br />
selbstverständlich – sondern auch der überwiegenden Mehrheit der sozialistischen<br />
Arbeiterwelt bedeutete“ 69 .<br />
Auf Parteiebene sei man nämlich immer noch der Meinung gewesen, dass sich die Frauenfrage als<br />
Teil der sozialen Frage mit der Umgestaltung der Gesellschaft von selbst erledigend würde. Sie<br />
war damit in ihren Augen eine „quantité negligeable“ 70 , eine zu vernachlässigende Größe. Dazu<br />
kam, dass immer noch viele Männer auf privater Ebene dem Bild, welches Bebel von der Frau als<br />
gleichwertiger Genossin im Kampf gegen gesellschaftlichen Verhältnisse entwarf, skeptisch, ja<br />
65 Ebd.<br />
66 Zetkin, Klara: Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus von Bebel. In: Arbeiterin, 01/ 13/ 28.03.1891- Arbeiterin, 01/ 18/<br />
02.05.1891). In der „Gleichheit“ wurde eine Besprechung des Bebel‘schen Werkes in dieser Art nicht wiederholt.<br />
67 Zetkin, Klara: Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus von Bebel. In: Arbeiterin, 01/ 13/ 28.03.1891.<br />
68 Ebd.<br />
69 Ebd.<br />
70 Ebd.<br />
255
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
ablehnend gegenüber standen. Zetkin schreibt es drei Dingen zu, dass sich in dieser Auffassung<br />
ein „kolossaler Umschwung“ vollzogen habe: 1. der „Logik der Thatsachen“, dass es nämlich im<br />
eigenen Interesse des Arbeiters lag, wenn er die Frau als Kampfgenossin werbe <strong>und</strong> erziehe, 2. der<br />
aufklärenden sozialistischen Agitation <strong>und</strong> eben 3. der „geradezu epochemachende[n] Bedeu-<br />
tung“ 71 des Bebel‘schen Werkes.<br />
Noch viel stärker als Bebel betonte Zetkin den Zusammenhang zwischen Erwerbstätigkeit <strong>und</strong><br />
Emanzipation der Frau. Wo es diese gleichberechtigte Erwerbstätigkeit noch nicht gab – z. B. in<br />
der Zeit der Renaissance –, dort konnte es individuelle Emanzipation, dort konnte es sogar<br />
„Frauen als Mittelpunkt des gesellschaftlichen, des künstlerischen, des politischen Lebens“ geben<br />
„[u]nd trotzdem nicht die Spur einer Frauenbewegung“ 72 . Da die Stellung der Frau gemäß der<br />
sozialistischen Frauenemanzipationstheorie Ergebnis eines historischen, auf der Entwicklung der<br />
Produktivkräfte basierenden Prozesses war, musste die Emanzipation der Frau in erster Linie eine<br />
ökonomische Emanzipation sein. Diese war nur durch die Frau selbst <strong>und</strong> durch ihre Integration<br />
in die Arbeiterbewegung möglich. Die Frauenemanzipation <strong>und</strong> die sozialistische Arbeiter-<br />
bewegung bedingten sich damit nicht nur gegenseitig im Fortgang ihrer Entwicklung, sie waren<br />
damit auch in ihren aktuellen Kämpfen, ihren Traditionen <strong>und</strong> Utopien – ihrer Vergangenheit,<br />
Gegenwart <strong>und</strong> Zukunft – miteinander verknüpft.<br />
Bebels Vermächtnis wurde zwar auch in der „neuen“ „Gleichheit“ geehrt, dies jedoch weit<br />
weniger ehrfürchtig als unter Zetkin. 73 So schrieb Zepler, dass in Bebels Tun „nicht Zufall <strong>und</strong><br />
nicht einmal Ausdruck eines bloßen persönlichen Weitblicks, sondern innere Notwendigkeit“ 74<br />
71 Ebd.<br />
72 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 160. Dieser letzten Behauptung Zetkins, dass es zwar<br />
eine Frauengeschichte, aber keine Frauenbewegung in der Zeit in <strong>und</strong> vor der Renaissance gegeben habe,<br />
widersprach Johanna Löwenherz (1857-1937) jedoch. Die Werke von Platon <strong>und</strong> Aristophanes würden bereits für<br />
die Zeit der Antike das Gegenteil beweisen <strong>und</strong> auch im Mittelalter <strong>und</strong> Ende des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts habe es eine<br />
Frauenbewegung gegeben (vgl. Löwenherz im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 168).<br />
Johanna Löwenherz wurde in Rheinbrol geboren. Sie war Tochter einer wohlhabenden jüdischen Familie <strong>und</strong><br />
siedelte 1887 nach Neuwied um. Dort engagierte sie sich politisch <strong>und</strong> publizistisch für die proletarische Frauenbewegung,<br />
war Mitgründerin eines sozialdemokratischen Volksbildungsvereins <strong>und</strong> 1894-1897 Delegierte auf<br />
mehreren Parteitagen. 1895 erschien ihre Schrift „Wird die Sozialdemokratie den Frauen Wort halten?“. Seit 1986<br />
vergibt eine nach Löwenherz benannte <strong>und</strong> aus ihrem nachgelassenen Vermögen finanzierte Stiftung einen Preis<br />
für engagierte Frauen aus Wissenschaft <strong>und</strong> Kunst.<br />
73 Es wurden in der „Gleichheit“ viele Artikel zu Ehren Bebels als auch zu seinen Werken veröffentlicht (u. a.<br />
erschien anlässlich seines 70. Geburtstages <strong>und</strong> seines 10. Todestages jeweils eine ihm gewidmete „Gleichheit“-<br />
Nummer (GL, 20/10/14.02.1910/ 145-158 <strong>und</strong> GL, 33/ 15/ 01.08.1923/ 120-124; außerdem: Dies Buch gehört den<br />
Massen. In: GL, 20/ 06/ 20.12.1909/ 81-83). Die Berichte von öffentlichen Vorträgen belegen wie stark Bebel<br />
rezipiert wurde. In der „Gleichheit“ wurden 1911 seine Memoiren „Aus meinem Leben“ besprochen <strong>und</strong> in die<br />
Beilagen wurden Bebel-Zitate gleich Goethe-Zitaten eingestreut. Ein besonderes Zeugnis der Bew<strong>und</strong>erung ist ein<br />
Glückwunschschreiben von Zetkin, Zietz <strong>und</strong> Baader vom 22. Februar 1910 (In: Schmidt/Richter: „Dir als dem<br />
Vorkämpfer für die volle menschliche Emanzipation des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts“ – Brief Clara Zetkins an August<br />
Bebel).<br />
74 Zepler, Wally: Bebel <strong>und</strong> die Frauen. In: Die Gleichheit, 33/ 15/ 10.08.1923/ S. 119-121, S. 120.<br />
256
3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />
gelegen habe. Sie betonte, dass es auch Frauen wie „Auguste Schmidt, Louise Otto-Peters <strong>und</strong><br />
etwas später die geist- <strong>und</strong> seelenvolle Hedwig Dohm“ 75 gab, die die zwingenden Zusammen-<br />
hänge zwischen sozialer Frage – als deren Teil die Frauenfrage erachtet wurde –, <strong>und</strong> geistiger<br />
<strong>und</strong> wirtschaftlicher Emanzipation erkannt <strong>und</strong> diese Erkenntnis ihr Leben lang vertreten hätten. 76<br />
Bebel kommt jedoch unstreitig das Verdienst zu, die Theorie des historischen Materialismus durch<br />
eine weibliche Perspektive ergänzt <strong>und</strong> für diese Perspektive – in Konsequenz für das Frauen-<br />
wahlrecht – in allen Parteiinstanzen gekämpft zu haben. Für Juchacz war es daher unbegreiflich,<br />
dass dieses Werk trotz seiner Popularität <strong>und</strong> wissenschaftlichen F<strong>und</strong>ierung „doch nicht so<br />
gewirkt [habe], dass der Augenblick des Frauenwahlrechts ein anderes Frauengeschlecht vorge-<br />
f<strong>und</strong>en hat (Sehr richtig!)“. 77<br />
Mit seinen Ausführungen zur historischen Entwicklung der gesellschaftlichen Stellung der Frau<br />
schuf Bebel nicht nur die Gr<strong>und</strong>lage für die später von Zetkin präzisierte sozialistische Frauen-<br />
emanzipationstheorie, er schuf überhaupt eine der ersten frauengeschichtlichen Studien. Obwohl<br />
Bebel kein Historiker war, findet sich der inspirierende <strong>und</strong> wissenschaftliche Wert seines Werkes<br />
in vielen historischen Artikeln der „Gleichheit“ wieder. Auf dieser Gr<strong>und</strong>lage entwickelte Zetkin<br />
ein auf die Lebensverhältnisse <strong>und</strong> das weibliche Selbstverständnis ausgerichtetes Agitations-<br />
programm. Dessen Inhalte ergaben sich sowohl aus aktuellen Tagesforderungen der proletarischen<br />
Frauenbewegung wie auch aus dem Bemühen um ein weibliches Geschichtsbewusstsein – ein<br />
weibliches Geschichtsbewusstsein, das jedoch nicht ein feministisches, sondern ein sozialistisches<br />
sein musste. Zetkin sah die Aufgabe einer „Geschichte der proletarischen Frauenbewegung“ darin,<br />
sowohl die vielgestaltigen Verbindungen zwischen proletarischer Frauenbewegung <strong>und</strong> sozialis-<br />
tischer Arbeiterbewegung als auch ihre vielfältigen Gegensätze zur bürgerlichen Frauenbewegung<br />
aufzuzeigen. Diese bedurfte einer anderen inhaltlichen Gewichtung als die, die dem 1901 von Lily<br />
Braun veröffentlichten Werk „Die Frauenfrage. Ihre geschichtliche Entwicklung <strong>und</strong> ihre wirt-<br />
schaftliche Seite“ 78 zugr<strong>und</strong>e lag <strong>und</strong> sie musste sich gegenüber der von Emma Ihrer erarbeiteten<br />
Dokumentationen „Die Organisation der Arbeiterinnen Deutschlands“ <strong>und</strong> „Die Arbeiterinnen im<br />
Klassenkampf“ hinsichtlich wertender Bezüge zur Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, zur<br />
Arbeiterbewegung <strong>und</strong> zur allgemeinen historischen Entwicklung deutlich abheben.<br />
75 Ebd.<br />
76 Vgl. ebd.<br />
77 Juchacz im Bericht über den Reichsfrauentag. In: Protokoll des SPD-Parteitages Berlin 1924, S. 225.<br />
78 Auch Frederiksen ist der Meinung, dass Brauns Darstellungen der Geschichte der proletarischen Frauenbewegung<br />
im Vergleich zu derjenigen der bürgerlichen Frauenbewegung spärlich sind, <strong>und</strong> schreibt dies dem Umstand zu,<br />
dass Braun kaum eigenen Anteil an dieser Geschichte gehabt habe (vgl. Frederiksen, Women Writers, S. 34).<br />
257
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Den Auftakt zu einer solchen „Geschichte der proletarischen Frauenbewegung“ markierte Zetkin<br />
in ihrer 1906 veröffentlichten Artikelserie „Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in<br />
Deutschland“ 79 . Sie leitete diese mit den Worten ein:<br />
„Wir haben noch keine Geschichte der proletarischen Frauenbewegung unseres<br />
Landes. Insbesondere dürftig <strong>und</strong> unvollständig ist, was wir über die ersten Ansätze<br />
der Bestrebungen wissen, den Klasseninstinkt der Proletarierin zum klaren<br />
Klassenbewußtsein zu läutern <strong>und</strong> sie als gleichverpflichtete <strong>und</strong> gleichberechtigte<br />
Mitstreiterin dem allgemeinen proletarischen Emanzipationskampf zuzuführen.“ 80<br />
Zetkins Interpretation des Bildungsauftrags der „Gleichheit“ umfasste das Schließen geschichts-<br />
wissenschaftlicher Lücken, die Bilanzierung des Erreichten <strong>und</strong>, nicht zuletzt, auch die<br />
Ausarbeitung effektiven Agitationsmaterials. Sie suchte die eigene Geschichte <strong>und</strong> zugleich eine<br />
erfolgreiche Strategie, den Arbeiterinnen die sozialistische Idee näher zu bringen. Doch das<br />
Fehlen einer eigenen Geschichtsschreibung <strong>und</strong> die schwierigen Bedingungen, unter denen die<br />
proletarische Frauenbewegung ihren Anfang genommen hatte, gestalteten diese Aufgabe alles<br />
andere als günstig:<br />
„<strong>Von</strong> manchen der Frauen, die vor langen Jahren die mühselige <strong>und</strong> opferreiche<br />
Arbeit der ersten Aufklärungs- <strong>und</strong> Organisationsarbeit unter dem <strong>weiblichen</strong><br />
Proletariat geleistet haben, gelten die Worte: ‘gestorben, verdorben, zerstreut’. Die<br />
wichtigen Aufschlüsse, die sie über die Kindheitsgeschichte der proletarischen<br />
Frauenbewegung geben könnten, haben sie mit ins Grab oder in die Weite<br />
genommen.“ 81<br />
In dieser prekären Situation erkannte Zetkin den unschätzbaren Wert der Zeitzeuginnen <strong>und</strong> die<br />
Notwendigkeit gezielter wissenschaftlicher Forschung, denn<br />
„[a]ndere frühere Trägerinnen unserer Bewegung stehen noch heute mitten im<br />
Kampfe <strong>und</strong> ermangeln der Ruhe, die Schätze von Material zu sammeln <strong>und</strong> zu<br />
sichten, die ihre Kästen <strong>und</strong> ihre Erinnerungen bergen“ 82 .<br />
Sicherlich hätte gerade hier die von Braun 1897 angeregte <strong>und</strong> von Zetkin so vehement<br />
abgelehnte zentrale Forschungsstelle viel Wertvolles leisten können. 83 Dies sicherlich nicht nur<br />
79 Zetkin veröffentlichte diese gr<strong>und</strong>legende Artikelserie 1906 zuerst im „Ilustrirten Neue-Welt-Kalender“ (1883-<br />
1952), weil ihr dadurch seine Massenverbreitung eher gesichert schien als durch andere Parteiliteratur <strong>und</strong> -presse<br />
(vgl. Zetkin, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands, S. 8). Anschließend veröffentlichte<br />
sie sie auch in der „Gleichheit“: Zetkin , Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in<br />
Deutschland [I-VI]. In: GL, 16/ 20/ 03.10.1906/ 138 bis GL, 16/ 25/ 12.12.1906/ 178. Schließlich wurde sie ein<br />
eigenständiges Kapitel in Zetkins 1928 in Moskau veröffentlichten „Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung<br />
Deutschlands“ (Zetkin, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands, S. 119-148).<br />
Bedingt durch die Ereignisse des Ersten Weltkrieges, das Auseinanderfallen der Internationale <strong>und</strong> die<br />
Parteispaltung musste Zetkin besonders im Schlussteil einige Ergänzungen <strong>und</strong> Veränderungen einfügen (vgl.<br />
Zetkin, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands, S. 145ff.).<br />
80 Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 20/ 03.10.1906/ 138.<br />
81 Ebd.<br />
82 Ebd.<br />
83 Vgl. [Braun, Lily] Braun-Gizycki, Lily: Die nächsten Aufgaben der deutschen Arbeiterinnenbewegung. In: GL,<br />
258<br />
07/ 06/ 17.03.1897/ 42.
3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />
hinsichtlich des Sammelns von Quellen, sondern auch hinsichtlich eines wissenschaftlichen Um-<br />
gangs mit diesen. Ohne eine solche Einrichtung blieb Zetkin jedoch nur zu monieren, dass bisher<br />
„[a]lle […], die einen zusammenfassenden geschichtlichen Überblick über die Entwicklung<br />
der proletarischen Frauenbewegung geben wollten, […] darauf verzichtet<br />
[hätten], ihren ersten Anfängen auf Gr<strong>und</strong> eines selbständigen weitfassenden<br />
Quellenstudiums nachzugehen“ 84 .<br />
Man habe sich, so Zetkin, ohne allerdings konkrete Namen oder Werke zu nennen, damit begnügt,<br />
„bereits aufbereitetes Material zu verarbeiten oder auch wohl es einfach zu übernehmen“ 85 . Ein<br />
Vorwurf, dessen sich jedoch auch die „Gleichheit“-Redaktion nicht entziehen konnte. Denn wie<br />
für ihre Vorgängerinnen war es auch für die „Gleichheit“ selbstverständlich <strong>und</strong> notwendig<br />
gewesen, Artikel anderer – meist sozialistischer Zeitschriften – aufzunehmen. Die dadurch un-<br />
weigerlich übernommenen Fehler wurden demnach auch von der „Gleichheit“ entsprechend<br />
multipliziert. 86<br />
Zetkin wandte sich schließlich in den Worten Julius Mottelers mit einem Auftrag der Bewahrung<br />
von Geschichte <strong>und</strong> Erinnerung an alle engagierten Frauen der proletarischen Frauenbewegung:<br />
„‘Sammelt die Bausteine zu einer proletarischen Frauenbewegung, solange die Dokumente<br />
nicht zerfallen <strong>und</strong> verweht sind, die von ihren ersten Ansätzen erzählen,<br />
solange die Persönlichkeiten noch leben, die ihre ersten Pioniere gewesen.’“ 87<br />
Ihre eigene Motivation für den Kampf gegen den <strong>weiblichen</strong> Geschichtsverlust formulierte Zetkin<br />
im Vorwort ihrer 1928 erschienenen Aufsatzsammlung „Geschichte der proletarischen Frauenbe-<br />
wegung“, in welche auch jene Artikelserie einfloss, wie folgt:<br />
„Nach meinem Dafürhalten konnten gerade die in ihrer Einstellung zu den sozialen<br />
Dingen Unsicheren <strong>und</strong> Ängstlichen, die Ungeschulten, Scheuen <strong>und</strong> Schüchternen,<br />
die ‘Kleinen’ der Bewegung – <strong>und</strong> unter ihnen besonders die Frauen – aus<br />
dem Bilde hingebungsvollen, ausdauernden Ringens <strong>und</strong> Aufbauens in der Vergangenheit<br />
Belehrung gewinnen, ebenso auch Ansporn, Ermutigung, Begeisterung<br />
<strong>und</strong> Beispiel. Ich hoffte des weiteren, die Arbeit werde die Veröffentlichung von<br />
Erinnerungen <strong>und</strong> Schriftstücken aus jener Zeit anregen, denn damals lebten noch<br />
Genossinnen <strong>und</strong> Genossen, die die erste organisierte Zusammenfassung von proletarischen<br />
Frauen <strong>und</strong> Männern zum Klassenkampf mitgeschaffen <strong>und</strong> getragen<br />
hatten.“ 88<br />
84 Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 20/ 03.10.1906/ 138.<br />
Zetkin bemängelte, dass bisher solche Quellenmaterialien nur für die Berliner Arbeiterinnenorganisationen erstellt<br />
worden seien.<br />
85 Ebd. Zetkin selbst schloss ihre Artikelserie mit einer Liste der von ihr verwendeten Quellen (vgl. Zetkin , Klara:<br />
Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 25/ 12.12.1906/ 178).<br />
86 Zwar wurden die noch folgenden biographischen Darstellungen der „Gleichheit“ nicht auf ihren Wahrheitsgehalt<br />
überprüft, doch wurden bei ihrer Rekonstruktion einige Fehler offenbar. Z. B. zog die „Gleichheit“ für zwei<br />
Artikel zum Leben Helen Kellers <strong>und</strong> Tode Louise Michels offensichtlich Falschmeldungen anderer Blätter heran<br />
(siehe: Kapitel 4.1 <strong>und</strong> 4.4).<br />
87 Zetkin, Clara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 170.<br />
259
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Viele Frauen sind ihrem Aufruf gefolgt, ihre Autobiographien sind heute wichtige Zeugnisse jener<br />
Zeit <strong>und</strong> des gesellschaftlichen Wandels. Doch sind es immer noch vorwiegend die Biographien<br />
<strong>und</strong> Perspektiven hochgestellter männlicher Persönlichkeiten, die Eingang in das öffentliche Be-<br />
wusstsein finden.<br />
Doch Frauengeschichte ist nicht gleich Frauengeschichte. Wie sich an ihr prinzipielle Klassen-<br />
gegensätze festmachen lassen, so auch Gegensätze zwischen den beiden Frauenbewegungen,<br />
welche natürlich auch als Ausdruck von Klassengegensätzen gedeutet werden können. Bemerkbar<br />
werden diese z. B. an der Bewertung der für die historische Frauenforschung äußerst relevanten<br />
Frage des Frauenstudiums. In ihrer Rubrik „Frauenbewegung“ hatte sich die „Gleichheit“ anfangs<br />
noch stark für die Zulassung von Frauen zu höheren Schulen <strong>und</strong> Universitäten eingesetzt. Sie<br />
veröffentlichte dort die aktuellsten Zahlen der Hörerinnen an deutschen <strong>und</strong> der Studentinnen an<br />
ausländischen Universitäten, um damit die gezeitigten Erfolge höherer Frauenbildung hervor-<br />
zuheben. So erschien unter anderem im August 1899 folgende Notiz:<br />
„Für die Gründung einer Frauenuniversität mit Lehrstühlen für Mathematik,<br />
Naturwissenschaften <strong>und</strong> Medizin hat der Moskauer Bürger Ostrakow eine Million<br />
Rubel testamentarisch vermacht. Ob wohl je ein deutscher Bürger das Beispiel des<br />
‘Halbasiaten‘ nachahmen wird?“ 89<br />
Zetkin genoss es augenscheinlich, sowohl von einer solchen Einrichtung zu berichten als auch bei<br />
dieser Gelegenheit den Antifeminismus <strong>und</strong> Rassismus der bürgerlichen Gesellschaft bloßzustel-<br />
len. Ab 1901 nahm eine solche Parteinahme für das Frauenstudium auffällig ab. In diesem Jahr<br />
hatten sich viele deutsche Universitäten <strong>weiblichen</strong> Studentinnen geöffnet <strong>und</strong> die Organisation<br />
bürgerlicher Frauen war hinsichtlich dieser Forderung zunehmend erfolgreich. Die „Gleichheit“<br />
erachtete ihr Engagement aber auch aus einem anderen Gr<strong>und</strong> als überflüssig: Trotz ihres Eintre-<br />
tens für das Frauenstudium hatte Zetkin in ihm nie mehr als „eine Damenfrage“ 90 gesehen. Denn<br />
„für die Frauen des arbeitenden Volkes“ sei<br />
„der Ausgang des Kampfes um die Möglichkeit der Universitätsbildung ohne praktische<br />
Bedeutung, ohne thatsächlichen Nutzen“ 91 .<br />
Wenn auch diese Aussage nicht ganz zutreffend war – denn gerade viele der geschichtlichen<br />
Artikel der „Gleichheit“ wurden von studierten Historikerinnen verfasst 92 –, so war die Forderung<br />
nach höherer Bildung doch wirklich eine sehr klassenspezifische. Dem proletarischen Kampf um<br />
88 Zetkin, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands, S. 8-9.<br />
89 Für die Gründung einer Frauenuniversität … In: GL, 09/ 18/ 30.08.1899/ 144.<br />
90 Zur „Frauenfrage”. In: GL, 02/ 05/ 07.03.1892/ 41.<br />
91 Ebd.<br />
92 Zu nennen sind hier vor allem Hanna Lewin-Dorsch <strong>und</strong> Anna Blos.<br />
260
den Achtst<strong>und</strong>entag, so Zetkin weiter,<br />
3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />
„wohn[e] eine weit höhere kulturelle Tragweite inne, als der gesammten Bewegung<br />
der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen“ 93 .<br />
Sich auf die sozialistische Gesellschaftstheorie stützend ging Zetkin davon aus, dass auch die<br />
gebildeten bürgerlichen Kräfte in absehbarer Zeit unausweichlich in den Dienst des Kapitals<br />
gepresst werden <strong>und</strong> sich die bürgerlichen Akademikerinnen dann als sogenannte „Kopf-<br />
proletarierInnen“ der Arbeiterbewegung anschließen würden. 94<br />
Zu den sozialistischen Prinzipien, deren Überlegenheit die „Gleichheit“ stets betonte <strong>und</strong> die<br />
einen wesentlichen Gegensatz dieser beiden Frauenbewegungen ausmachte, zählte auch die<br />
harmonische Einheit von männlichen <strong>und</strong> <strong>weiblichen</strong> Mitgliedern der Arbeiterklasse. Die prole-<br />
tarische Frauenbewegung hatte sich nicht den Kampf gegen die Männer auf die Fahnen<br />
geschrieben, denn<br />
„[d]em klassenbewußten Proletarier ist die auf irgend einem Gebiet mit ihm<br />
konkurrirende Frau nicht die Gegnerin, vielmehr eine willkommene Mitstreiterin in<br />
dem Kampfe für jenes Ideal, in dessen Verwirklichung allein das Heil der Zukunft<br />
liegt“ 95 .<br />
Dieser Harmonie kam nicht nur bezüglich des Entwurfs eines sozialistischen Eheideals <strong>und</strong> des<br />
Leitbildes der idealen sozialistischen Ehefrau große Bedeutung zu, sondern auch im Hinblick auf<br />
die Geschichtsauffassung der „Gleichheit“. Feministische Aspekte <strong>und</strong> so auch eine bewusst<br />
feministische Geschichtsauffassung lehnte Zetkin strikt ab. Die proletarische Frauenbewegung<br />
<strong>und</strong> die „Gleichheit“ „predigt[en] nicht den Krieg von Geschlecht zu Geschlecht, sie glaubt[en]<br />
nicht an die Messiasrolle einer zu Gunsten der Frauen veränderten Gesetzgebung“ 96 . Nicht einer<br />
Begründung der rechtlichen Gleichstellung der Frau oder einer Widerlegung gängiger Minder-<br />
wertigkeits-Klischees wegen betrieb die „Gleichheit“ Frauengeschichtsforschung. 97 Sie wollte<br />
ihren Leserinnen das Bewusstsein vermitteln, sowohl als Frau als auch als Arbeiterin <strong>und</strong> Mitglied<br />
der revolutionären Arbeiterklasse Teil der Geschichte zu sein. So wie es auch keine Frauen-<br />
agitation, sondern sozialistische Agitation war, die Zetkin betreiben wollte, so sah sie auch die<br />
Förderung eines <strong>weiblichen</strong> Geschichtsbewusstseins stets als einen Teil sozialistischer Bewusst-<br />
seinsbildung. 98<br />
93 Ebd. S. 42.<br />
94 Vgl. ebd.<br />
95 Löwenhaut <strong>und</strong> Eselsohr. In: GL, 02/ 12/ 15.06.1892/ 99. Diese proletarische Geschlechterharmonie muss jedoch<br />
nach Betrachtung der antifeministischen Tendenzen innerhalb der SPD als Übertreibung erachtet werden.<br />
96 Die Redaktion <strong>und</strong> der Verlag: An die Leser! In: GL, 02/ Probenummer/ 28.12.1891/ 1.<br />
97 Zu der Vielzahl gängiger Klischees <strong>und</strong> vermeintlicher Beweisführungen zur geistigen Minderwertigkeit der Frau<br />
siehe: Ob die Weiber Menschen sind. Geschlechterdebatten um 1800.<br />
98 Mahaim ist sogar der Meinung, dass „das Klassenbewußtsein, so wie es sich im Verlauf des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
261
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Mangels eigener Institute <strong>und</strong> WissenschaftlerInnen waren es die Mitglieder der proletarischen<br />
Frauenbewegung selbst – oft unterstützt von studierten Genossen –, die die unleugbar vorhandene<br />
Geschichte von Frauen sichtbar machen <strong>und</strong> bewahren mussten. Diese Geschichte findet sich in<br />
allen Seiten, Nummern <strong>und</strong> Jahrgängen der „Gleichheit“. Eine Allgegenwart, die erklärt, warum<br />
die „Gleichheit“ keine eigenständige Rubrik „Geschichte“ einrichtete. Lediglich einmal erschien<br />
eine Rubrik „Geschichtliches zur Frauenfrage“ 99 . Der in ihr enthaltene Artikel „Große Königinnen<br />
in Aegypten“ berichtete von der Entdeckung des britischen Ägyptologen Flinders Patrin 100 , dass<br />
„während der glänzendsten Periode des Landes, ungefähr zwischen 1600 <strong>und</strong> 1050 vor Christi<br />
Geburt“ 101 , es Frauen waren, die in Ägypten herrschten. Damit gab Patrin allen Frauen einen<br />
schlagenden Beweis für die herausragenden Leistungen ihres Geschlechts. Eben diese Zielsetzung<br />
verfolgte auch die Gründung eines Frauenmuseums 1900 in St. Petersburg, die die „Gleichheit“ in<br />
einer kleinen Notiz bekannt gab. Die örtlichen – vermutlich bürgerlichen – Frauenvereine<br />
St. Petersburgs wollten mit dem Museum, so die „Gleichheit“,<br />
„zeigen, welchen Einfluß die Frau auf die Entwicklung der Industrie, Kunst <strong>und</strong><br />
Wissenschaft ausgeübt <strong>und</strong> was sie auf diesen Gebieten geschaffen hat“ 102 .<br />
In diese Reihe der von der „Gleichheit“ hervorgehobenen <strong>weiblichen</strong> Kulturleistungen gehört<br />
auch die Notiz, dass die in Honolulu verstorbene Journalistin Kate Field (1838-1896) mit der<br />
„Washington“ (1890-1895) die „älteste[…] <strong>und</strong> lange Zeit einzige[…] von einer Frau ge-<br />
leitete[…] Zeitschrift“ 103 herausgegeben habe. 104<br />
Unzweifelhaft waren all diese Informationen geeignet, das weibliche Selbst- <strong>und</strong> zugleich das<br />
weibliche Geschichtsbewusstsein zu heben, doch lassen sie in ihrer Kürze die sozialistische<br />
Geschichtsauffassung völlig unberücksichtigt. Während solcherlei Artikel über parteipolitisch<br />
unabhängige Fraueninitiativen dementsprechend selten im Hauptblatt der „Gleichheit“ zu finden<br />
sind, kann davon ausgegangen werden, dass bürgerliche Frauenzeitschriften häufiger darüber be-<br />
richtet haben.<br />
bildete, nicht automatisch ein feministisches Bewußtsein beinhaltete, ebensowenig wie ein politisch sozialistisches<br />
Bewußtsein“ (Mahaim, Die Frauen <strong>und</strong> die deutsche Sozialdemokratie, S. 82). Eine Unterscheidung von<br />
Klassenbewusstsein <strong>und</strong> politisch sozialistischen Bewusstsein konnte ich jedoch an der politischen Bildungsarbeit<br />
der „Gleichheit“ nicht festmachen.<br />
99 Vgl. GL, 08/ 04/ 16.02.1898/ 32.<br />
100 Es handelte sich hier um einen Fehler in der Schreibweise des Namens – gemeint war William Matthew Flinders<br />
Petrie.<br />
101 Ebd. Ägyptische Herrscherinnen dieser Zeit seien u. a. die Nubierin Nefertari (ca. 1290 v. u. Z.-ca. 1255 v. u. Z.)<br />
<strong>und</strong> Aahhotep (ca. 1590 v. u. Z.-1530 v. u. Z.) gewesen.<br />
102 Die Gründung eines Frauenmuseums in Petersburg… In: GL, 10/ 15/ 18.07.1900/ 120.<br />
103 Eine der ersten <strong>weiblichen</strong> Journalisten … In: GL, 06/ 16/ 05.08.1896/ 128.<br />
104 Zum Erscheinungszeitraum dieses Presseorgans waren nur sehr unzureichende <strong>und</strong> zum Teil widersprüchliche<br />
Angaben zu finden. Sollte das Erscheinungsjahr der „Washington“ zutreffen, so überging die „Gleichheit“ mit<br />
ihrer Aussage ihre eigenen Vorgängerinnen, die sich bereits deutlich vor 1890 gegründet hatten.<br />
262
3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Wie für die Geschichte im Allgemeinen, so bildet auch für die frauengeschichtlichen Inhalte der<br />
„Gleichheit“ die Dreiteilung in Kultur-, Revolutions- <strong>und</strong> SPD-Geschichte ein Gr<strong>und</strong>muster.<br />
Für die frühe Menschheitsgeschichte <strong>und</strong> vor allem für die ersten kulturellen Errungenschaften<br />
trifft die Feststellung zu, die der österreichische Journalist Gustav Eckstein (1875-1916) 105 in<br />
seinem Artikel „Das Weib als Kulturträgerin“ aus dem Jahre 1910 äußerte:<br />
„Wir kennen nicht die Namen einzelner Frauen, denen wir diese großen Fortschritte<br />
<strong>und</strong> Errungenschaften zuschreiben könnten. Wir wissen nur, daß zu den<br />
größten <strong>und</strong> bedeutungsvollsten Pionieren der Menschheit Frauen gehört haben,<br />
<strong>und</strong> unsere Dankbarkeit muß sich daher nicht an einzelne Personen richten,<br />
sondern an das Geschlecht.“ 106<br />
Die Erkenntnis, Teil dieses <strong>weiblichen</strong> Geschlechts zu sein, sollte das Selbstbewusstsein der<br />
Leserinnen stärken. Dem war auch zuträglich, dass laut Eckstein die Frau angesichts der frühen<br />
Arbeitsteilung als Erfinderin des Ackerbaus zu gelten habe. Diese Errungenschaft sei dazu noch<br />
viel höher zu bewerten als die vom Mann entwickelte Viehzucht, denn „[a]uf dem Ackerbau […]<br />
ruh[e] jede höhere Kultur“ 107 . Die Einrichtung einer festen Wohnung, die Korbflechterei, die<br />
Weberei <strong>und</strong> die Töpferei seien allesamt als Erfindungen der Frau anzusehen. Auch das Feuer – in<br />
Mythen als eine Entdeckung des Mannes gepriesen – sei dem Aufgabenbereich der Frau zu-<br />
zuordnen. Sie habe es am besten zu hüten <strong>und</strong> zu nutzen gewusst. Dieser große Anteil der Frau an<br />
der frühen Geschichte der Menschheit kann jedoch nur mühsam sichtbar gemacht werden <strong>und</strong><br />
findet entsprechend schwer Eingang in das weibliche Selbst- <strong>und</strong> Geschichtsbewusstsein.<br />
Ebenfalls mit der Frühgeschichte <strong>und</strong> darüber hinaus mit der Geschichte der Antike aus<br />
weiblicher Perspektive beschäftigte sich eine Artikelreihe von Lily Braun. Unter dem Titel „Die<br />
Frauenfrage im Alterthum“ 108 schlug Braun ganz ähnlich dem Werke Bebels einen großen<br />
historischen Bogen <strong>und</strong> monierte:<br />
„Die Entwicklungsgeschichte der Frau nimmt in der allgemeinen Menschheitsgeschichte,<br />
wie sie uns von Kindheit an überliefert wird, einen verschwindend<br />
kleinen Raum ein. Es ist vor Allem eine Geschichte der Kriege <strong>und</strong> daher eine der<br />
Männer, die wir unserem Gedächtniß haben einprägen müssen. Erst in neuester<br />
105 Gustav Eckstein wurde in Wien geboren. Er promovierte in Rechtswissenschaften <strong>und</strong> war bereits als Student<br />
bekennender Sozialdemokrat. Ab 1902 war Eckstein u. a. für den „Vorwärts“ <strong>und</strong> die „Neue Zeit“ journalistisch<br />
tätig. 1903 wurde er Dozent an der SPD-Parteischule in Berlin <strong>und</strong> 1912 an der SPÖ-Parteischule in Klagenfurt.<br />
Er veröffentlichte u. a. die Werke „Die Deutsche Sozialdemokratie während des ersten Weltkrieges“ (1917) <strong>und</strong><br />
„Der Marxismus in der Praxis“ (1918). Eckstein gehörte zu den geistigen Wegbereitern des Austromarxismus <strong>und</strong><br />
war der Bruder der Frauenrechtsaktivistin Emma Eckstein (1865-1924).<br />
106 Eckstein, Gustav: Das Weib als Kulturträgerin. In: GL, 21/ 01/ 10.10.1910/ 3-4, S. 3.<br />
107 Eckstein, Gustav: Das Weib als Kulturträgerin. In: GL, 21/ 02/ 24.10.1910/ 19-21, S. 19.<br />
108 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum [I-VI]. In: GL, 09/ 01/ 04.01.1899/ 3-6 bis GL, 09/ 12/ 07.06.1899/<br />
92-94 [Vorab erschienen in: „Archiv für soziale Gesetzgebung <strong>und</strong> Statistik“, Bd. 13, Heft 1 <strong>und</strong> 2].<br />
263
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Zeit scheint sich fast unmerklich ein Umschwung vorzubereiten.“ 109<br />
Braun beklagte einen „Klassencharakter“ der bisherigen Geschichtsschreibung, sah aber mit dem<br />
Umschwung vermehrt die Kulturgeschichte <strong>und</strong> eine Geschichte des Volkes Beachtung finden.<br />
Dieses hatte auch Auswirkungen auf die Betrachtung der „Entwicklungsgeschichte des <strong>weiblichen</strong><br />
Geschlechts“, die sich bisher „als eine lange, im Dunkeln sich abspielende Leidensgeschichte“ 110<br />
dargestellt habe. Während die frühe Mythologie in Form von Göttinnen „das weibliche Prinzip in<br />
der Natur“ 111 verehrte <strong>und</strong> das Mutterrecht galt, entstand mit den neuen Ehe- <strong>und</strong> Familienformen<br />
auch ein neuer Blick auf die Frau. Zwar sei die Einzelehe, die die Polygamie ablöste, ein „für die<br />
Entwicklung der Menschheit […] bedeutungsvolle[r] Fortschritt“ 112 gewesen, für die Frau be-<br />
deutete sie aber:<br />
„[E]he noch der erste Sklave sich unter der Knute des Herrn beugen mußte, war<br />
das Weib, die Mutter seiner Kinder, zur ersten Sklavin geworden.“ 113<br />
Braun führte die „Gleichheit“-Leserinnen weiter in die Hochkulturen des Orient <strong>und</strong> in das antike<br />
Griechenland. Dort hätten lediglich Hetären Möglichkeiten freier Bildung gehabt:<br />
„Und diejenigen Frauen, deren reger Geist sich durch das abgeschlossene Leben<br />
nicht ertöten ließ, in deren Gemach ein Schimmer vom Glanz griechischer Bildung<br />
verlockend eindrang, betraten häufig genug den einzigen Weg, der ihnen offen<br />
stand, denn nur die Buhlerin war in Griechenland eine freie Frau, die ihrer Liebe<br />
folgen, die an der hohen Geisteskultur ihres Vaterlandes persönlichen Antheil<br />
nehmen konnte.“ 114<br />
Braun erzählte von den Schicksalen einzelner dieser sogar namentlich bekannten Hetären. Im<br />
Folgenden hob sie die Bedeutung der Philosophie Platos für die Stellung der Mutter hervor,<br />
konstatierte aber für ihn <strong>und</strong> Aristoteles, dass doch auch die<br />
„bedeutendsten Denker der Hellenen sich nicht von dem Einfluß ihrer Zeit <strong>und</strong><br />
ihres Volkes befreien [konnten]. Auch für sie war die Frau ein minderwerthiger<br />
Mensch“ 115 .<br />
In der Kulturgeschichte der Römer betonte Braun besonders den Verfall ihrer Sitten. Während die<br />
römische Bürgerin durch Reichtum <strong>und</strong> Langeweile der Sittenlosigkeit verfallen sei, wurde die<br />
Sklavin durch ihr untragbares Elend zur Prostituierten. 116 Zwar gab es römische Bürgerinnen mit<br />
Einfluss <strong>und</strong> Anteil am öffentlichen Leben, doch dies habe keinerlei Ähnlichkeit mit den Emanzi-<br />
109 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. In: GL, 09/ 01/ 04.01.1899/ 3.<br />
110 Ebd., S. 4<br />
111 Ebd.<br />
112 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. II. In: GL, 09/ 02/ 18.01.1899/ 12.<br />
113 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. In: GL, 09/ 01/ 04.01.1899/ 6.<br />
114 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. III. In: GL, 09/ 04/ 15.02.1899/ 30.<br />
115 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. IV. In: GL, 09/ 06/ 15.03.1899/ 45.<br />
116 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. V. In: GL, 09/ 09/ 26.04.1899/ 68.<br />
264
pationsbestrebungen des 18. <strong>und</strong> 19. Jahrh<strong>und</strong>erts gehabt:<br />
3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />
„Sie entsprangen weder der Noth, noch dem Bildungsdrang, noch dem Pflichtgefühl<br />
gegenüber Staat <strong>und</strong> Gesellschaft; sie beschränkten sich auf den kleinen<br />
Kreis der herrschenden, bürgerlichen Klasse, die niemals Trägerin großer Reformen<br />
<strong>und</strong> einschneidender Umwälzungen gewesen ist <strong>und</strong> sein kann. Eine<br />
Frauenbewegung im modernen Sinne konnte es nicht geben. Dazu waren die<br />
römischen Bürgerinnen moralisch zu schwach <strong>und</strong> zu verweichlicht, <strong>und</strong> die<br />
Schaaren der Sklavinnen durch die furchtbare Noth <strong>und</strong> harte Arbeit zu stumpf <strong>und</strong><br />
verthiert geworden. Wir finden in der römischen Geschichte nirgends eine Spur<br />
von dem Kampfe der Frauen um höhere Bildung oder politische Rechte, sie<br />
verlangten nur über ihr Vermögen frei verfügen zu können, um in ihrem Genußleben<br />
unbeschränkt zu sein.“ 117<br />
Braun proklamierte hier den Anspruch der Massenbewegung des Proletariats, einzig wahre Ver-<br />
treterin einer Emanzipationsbewegung der Frau sein zu können <strong>und</strong> führte damit – <strong>und</strong> mit der<br />
bildlichen Beschreibung weiblicher Dekadenz – einen Seitenhieb gegen die bürgerliche Frauen-<br />
bewegung.<br />
Der in seinen hehren Darstellungen des germanischen Volksstammes viel zitierte Tacitus machte<br />
auf Braun scheinbar wenig Eindruck. Nach Lektüre seiner Berichte sah Braun auch in der ger-<br />
manischen Frau „nur des Mannes willenloses Eigenthum“ 118 . So habe „alle Arbeit, auch die des<br />
Feldes, […] allein in ihren Händen [gelegen], während der Mann im Frieden auf der Bärenhaut<br />
lag“ 119 .<br />
Braun schlussfolgerte aus ihren Studien, dass „[i]n der ganzen heidnischen Welt […] in Bezug auf<br />
die Stellung der Frau nur Gradunterschiede“ 120 zu finden seien. Sie schrieb dies – ganz in Be-<br />
bel‘scher Manier – dem Umstand zu, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse noch nicht in der Art<br />
entwickelt waren, dass die Frau zur Konkurrentin des Mannes geworden war. Die Frauenfrage<br />
hatte sich noch nicht gestellt:<br />
„[S]elbst die Sklavin war nicht die Konkurrentin, sondern die Leidensgenossin des<br />
Sklaven, <strong>und</strong> es gab daher wohl Sklavenkriege, aber keine Frauenbewegungen.<br />
Erst mußte die Frauenfrage in ihrer ganzen Schärfe formulirt werden, ehe eine<br />
Bewegung sich ihre Lösung zum Ziel setzen konnte. Nur leise Spuren von ihr<br />
haben wir in Griechenland <strong>und</strong> Rom verfolgen können.“ 121<br />
Die Kulturgeschichte der Antike bot demnach der „Gleichheit“ nur frauengeschichtliche Inhalte,<br />
um die Frau als Objekt der gesellschaftlichen Entwicklungen darzustellen. Ein sozialistisches<br />
weibliches Geschichtsbewusstsein war daraus nur schwerlich zu gewinnen. Die Anregungen, die<br />
117 Ebd., S. 69.<br />
118 Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. VI. In: GL, 09/ 12/ 07.06.1899/ 94.<br />
119 Ebd.<br />
120 Ebd.<br />
121 Ebd.<br />
265
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
von Platos prinzipieller Gleichstellung der Frauen in der Politeia ausgingen, fanden m. E. nur eine<br />
ungenügende Berücksichtigung.<br />
Anders steht es bei der wissenschaftlichen Erforschung vermeintlich bürgerlicher Frauenberufe<br />
wie z. B. der Medizinerin 122 <strong>und</strong> Frauenärztin 123 . Diese konnte auch den Proletarierinnen<br />
aufzeigen, dass eine lange Phase des Mittelalters hindurch die Frauen weit gebildeter waren als<br />
die Männer. Ein Umstand, der auf die damalige Befürchtung zurückgeführt wurde, ein allgemein-<br />
bildender Unterricht könne sich verweichlichend auf Krieger auswirken. 124 Dem <strong>weiblichen</strong><br />
Selbstwertgefühl – ob nun proletarisch oder bürgerlich – konnten solche Erkenntnisse nur förder-<br />
lich sein.<br />
Eng mit den medizinischen Fähigkeiten <strong>und</strong> dem Wissen der Frauen um Fortpflanzung <strong>und</strong><br />
Verhinderung derselbigen sind die Hexenverfolgungen des Mittelalters <strong>und</strong> der Frühen Neuzeit<br />
verb<strong>und</strong>en. So erklärte Blos den „Gleichheit“-Leserinnen in ihrer Artikelreihe „Hexenglauben <strong>und</strong><br />
Hexenprozesse“ 125 :<br />
„Bekanntlich wurden in den frühen Zeiten gerade die Frauen häufig der<br />
Verbindung mit überirdischen Gewalten, mit dem Teufel <strong>und</strong> der Kenntnis<br />
besonderer Zauberkünste beschuldigt. Es erklärt sich das aus mancherlei Ursachen,<br />
denen die Stellung der Frau als Priesterin, Weissagerin <strong>und</strong> Ärztin bei manchen<br />
Völkern, denen die Unkenntnis des natürlichen, geheimnisvoll erscheinenden Entwicklungsprozesses<br />
der Leibesfrucht, die Macht des erotischen Gefühls <strong>und</strong><br />
anderes noch zugr<strong>und</strong>e liegt. Das Wort Hexe stammt von Hag gleich Hain, Wald<br />
<strong>und</strong> bedeutet ursprünglich die weise, das heißt die weissagende Frau, die im<br />
heiligen Hain wohnte.“ 126<br />
Blos beschrieb das System der Inquisition, die gezielt Denunziantentum belohnte, mehrere<br />
Hexenprozesse <strong>und</strong> nannte auch namentlich bekannte, weil akribisch verwaltete Opfer. 127 Eben<br />
diese Akribie belege auch die merkwürdige<br />
„Übereinstimmung der Aussagen, welche die der Hexerei <strong>und</strong> Zauberei Angeklagten<br />
in allen Ländern machten. Man ersieht daraus, daß die Inqisitoren <strong>und</strong><br />
Richter bei ihren Fragen <strong>und</strong> Beschuldigungen nach einem bestimmten System<br />
verfuhren.“ 128<br />
Dieses System, einmal ins Rollen gebracht, verließ demnach die Ebene reinen Aberglaubens <strong>und</strong><br />
122 Lipinska, Melanie: Medizinerinnen des Mittelalters [I-IV]. In: GL, 10/ 11/ 23.05.1900/ 84-85 bis GL, 10/ 14/<br />
04.07.1900/ 108-109 (aus dem Französischen übersetzt von Eugenie Jacobi). Die Artikelreihe wies eine<br />
beeindruckende Zahl von Namen mittelalterlicher Medizinerinnen in Frankreich <strong>und</strong> Deutschland auf.<br />
123 Vgl. Frauenärzte im Alterthum. In: GL, 08/ 22/ 26.10.1898/ 176.<br />
124 Vgl. Lipinska, Melanie: Medizinerinnen des Mittelalters. In: GL, 10/ 12/ 06.06.1900/ 93.<br />
125 Blos, Anna: Hexenglauben <strong>und</strong> Hexenprozesse [I-V]. In: GL, 19/ 02/ 26.10.1908/ 24-25 bis GL, 19/ 06/<br />
21.12.1908/ 86-88.<br />
126 Blos, Anna: Hexenglauben <strong>und</strong> Hexenprozesse. In: GL, 19/ 02/ 26.10.1908/ 25.<br />
127 Blos, Anna: Hexenglauben <strong>und</strong> Hexenprozesse (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 03/ 09.11.1908/ 42.<br />
128 Blos, Anna: Hexenglauben <strong>und</strong> Hexenprozesse (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 04/ 23.11.1908/ 56.<br />
266
3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />
seine NutznießerInnen suchten nur noch größtmöglichen Gewinn aus der Verleumdung zu ziehen.<br />
„Kinder von acht <strong>und</strong> Greise von achtzig Jahren, Arme <strong>und</strong> Reiche, Bürgermeister<br />
<strong>und</strong> Rechtsgelehrte, Ärzte <strong>und</strong> Naturforscher, Domherren <strong>und</strong> Minister, vor allem<br />
aber Frauen <strong>und</strong> Mädchen aller Stände <strong>und</strong> jeden Alters haben als Hexenmeister<br />
<strong>und</strong> Hexen den Scheiterhaufen bestiegen.“ 129<br />
Doch auch wenn Blos darauf hinwies, dass es vor allem die Frauen <strong>und</strong> Mädchen traf, ist es kein<br />
feministischer Ansatz, den sie im Weiteren verfolgte. Ein Schwerpunkt war es vielmehr, den<br />
Hexenglauben, entstanden aus Ängsten, Unwissenheit <strong>und</strong> wirtschaftlicher Notlage, zu erklären<br />
<strong>und</strong> „Aufklärung [als] Erziehung zur geistigen Freiheit“ 130 einzufordern. Denn die Gegenwart<br />
zeige:<br />
„Und doch liegt jene Zeit nicht gar so weit hinter uns, <strong>und</strong> so ganz befreit von<br />
Furcht vor überirdischen Mächten <strong>und</strong> Zauberglauben, wie wir gern annehmen<br />
möchten, sind leider auch viele Menschen im zwanzigsten Jahrh<strong>und</strong>ert noch nicht.“<br />
131<br />
Unter dem wissenschaftlichen Begriff des Spiritismus finde der Aberglaube immer noch „Eingang<br />
in die höchsten <strong>und</strong> mächtigsten Kreise“ 132 .<br />
Ein weiterer Schwerpunkt war es, die Rolle der Kirche bei der Verfolgung der Opfer zu ver-<br />
deutlichen. Aberglauben <strong>und</strong> den Glauben an Hexen <strong>und</strong> Zauberei habe es laut Blos „zu allen<br />
Zeiten <strong>und</strong> bei allen Völkern“ 133 gegeben. Die Ohnmacht der christlichen Kirche, die sich darin<br />
spiegelnden Kulte zu überwinden, sei umgeschlagen in die Zielsetzung, den Hexenglauben „ihren<br />
eigensüchtigsten Zwecken als einer geistig-weltlichen Herrschaftsinstitution dienstbar zu<br />
machen“ 134 . Die Hexenprozesse stünden in direktem Zusammenhang mit den Prozessen gegen<br />
Ketzer <strong>und</strong> Häretiker. 135<br />
Mit dem Thema der Hexenverfolgung <strong>und</strong> der Beteiligung der christlichen Kirche daran, säte die<br />
„Gleichheit“ demnach unter ihren Anhängerinnen zugleich den Zweifel an der Heilsbotschaft des<br />
Christentums. Diesen Zweifel schürte Blos dann nochmals in einer eigenen Artikelreihe unter dem<br />
Titel „Die Stellung der Frauen im Zeitalter der Reformation“ 136 . Angesichts der grausamen, durch<br />
die christliche Lehre legitimierten Verfolgung der Frauen als sogenannte „Hexen“ müssten die<br />
129 Ebd., S. 57.<br />
130 Blos, Anna: Hexenglauben <strong>und</strong> Hexenprozesse. In: GL, 19/ 02/ 26.10.1908/ 24-25, S. 24.<br />
131 Ebd.<br />
132 Vgl. ebd., S. 24.<br />
133 Ebd., S. 25.<br />
134 Blos, Anna: Hexenglauben <strong>und</strong> Hexenprozesse (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 03/ 09.11.1908/ 40.<br />
135 Vgl. ebd., S. 40.<br />
136 Blos, Anna: Die Stellung der Frauen im Zeitalter der Reformation. In: GL, 28/ 03/ 09.11.1917/ 21-22; GL, 28/ 04/<br />
23.11.1917/ 29-30.<br />
267
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
„Gleichheit“-Leserinnen doch in Frage stellen, ob<br />
„durch das Christentum die Stellung der Frau innerhalb der menschlichen<br />
Gesellschaft gehoben worden sei“ 137 .<br />
Das Christentum sei anfangs zwar eine vor allem von Frauen getragene religiöse Bewegung,<br />
“eine[…] heimliche[…], verfolgte[…] Religion der Armen <strong>und</strong> Unterdrückten“ gewesen, doch<br />
sobald es zur Staatsreligion erhoben worden war, sei die Frau „auch vor Gott […] nicht mehr dem<br />
Manne gleich“ 138 gewesen <strong>und</strong> der christliche Madonnenkult lediglich eine Konzession an das<br />
mütterliche Prinzip der germanischen Kultur. Auch Martin Luther <strong>und</strong> die von ihm angeführte<br />
Reformation als eine religiöse Bewegung habe nichts für die Hebung der Stellung der Frau getan.<br />
139 Wenn es einen Umschwung seit jener Zeit gegeben habe, so sei dieser nicht der Reformation,<br />
sondern, so Blos in sozialistisch aufgeklärter Manier, den veränderten Produktionsbedingungen<br />
geschuldet. Nur diesem Umschwung sei<br />
„die veränderte Stellung <strong>und</strong> die sich umbildende Wertung der Frau zu danken.<br />
Hier liegt die große Reformation für die Frauenwelt, die ihr ein Ansporn sein muß,<br />
nicht nachzulassen im Kampfe gegen alles, was ihr entgegentritt, aufzuräumen mit<br />
allen Vorurteilen <strong>und</strong> frei zu werden, innerlich <strong>und</strong> äußerlich.“ 140<br />
Die Reformation war keine Revolution <strong>und</strong> Luther, selbst noch tief im Hexenglauben gefangen,<br />
kein Anwalt der unterdrückten Frau. Noch erschütternder <strong>und</strong> aufrüttelnder als die Einsicht in die<br />
Beschränktheit des großen Reformators musste jedoch Blos‘ Behauptung wirken, dass die Welt<br />
von keiner einzigen Frau wisse, die<br />
„es gewagt hat, [sich] gegen das ihrem Geschlecht zugefügte furchtbare Unrecht<br />
[die Hexenverfolgung; M.S.] […] aufzulehnen“ 141 .<br />
Dieser schwerwiegende Beleg weiblicher Unterordnung wurde von Blos jedoch sogleich<br />
relativiert. Frauen, besonders „Frauen aus dem Volke“ 142 seien nicht stets so duldsam gewesen.<br />
Davon zeuge ihre Teilnahme an den Freiheitskämpfen <strong>und</strong> Bauernkriegen, in welchen auch sie<br />
revolutionären Geist <strong>und</strong> Tatendrang bewiesen.<br />
Die sozialistische Geschichtsinterpretation <strong>und</strong> sozialistische Geschichtswissenschaft – wenn auch<br />
als solche zu jener Zeit noch nicht institutionalisiert – stellten die Geschichte revolutionärer<br />
Bewegungen in ihren Forschungsmittelpunkt, <strong>und</strong> diese wurden daher auch, wie im voran-<br />
gegangenen Kapitel beschrieben, ein inhaltlicher Schwerpunkt der „Gleichheit“. Wenn sie nun<br />
137 Blos, Anna: Die Stellung der Frauen im Zeitalter der Reformation. In: GL, 28/ 03/ 09.11.1917/ 21.<br />
138 Ebd.<br />
139 Ebd., S. 22.<br />
140 Blos, Anna: Die Stellung der Frauen im Zeitalter der Reformation (Schluß.). In: GL, 28/ 04/ 23.11.1917/ 30.<br />
141 Ebd.<br />
142 Ebd.<br />
268
3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />
den Anteil der Frauen an diesen Revolutionen aufzeigte, dann um ihre Leserinnen zu gleichem<br />
mutigen Tun zu agitieren. Revolution war <strong>und</strong> ist nie nur eine „reine Männerangelegenheit“ 143 <strong>und</strong><br />
so weisen die AutorInnen der „Gleichheit“ in ihren Artikeln nach, dass die Bauernkriege, die<br />
Französische Revolution, die 1848er Revolution <strong>und</strong> die revolutionären Umtriebe im Zarenreich<br />
immer auch weibliche Protagonistinnen hatten.<br />
Der Bauernkrieg war das besondere Forschungsgebiet Wilhelm Blos‘, der mit seinem Artikel „Die<br />
Frauen im Bauernkrieg“ den Mangel beheben wollte, dass<br />
„[d]ie Beteiligung des <strong>weiblichen</strong> Elementes im großen deutschen Bauernkrieg von<br />
1525 […] bisher nur wenig hervorgehoben worden“ 144<br />
sei. Sowohl Bäuerinnen als auch Patrizierinnen kämpften in den Bauernkriegen für „die Befreiung<br />
des Volkes vom Feudaljoch“ 145 . Jedoch seien außer der in Schwaben führend beteiligten<br />
„Schwarzen Hofmännin“ (d.i. Margarete Renner (um 1475-1535)) 146 , die „bei dem Volke […]<br />
als Wahrsagerin <strong>und</strong> Zauberin [galt <strong>und</strong>] einen furchtbaren Haß gegen den Adel <strong>und</strong> die vor-<br />
nehmen Städter in sich“ 147 trug, kaum weitere Frauen aus dieser Zeit namentlich bekannt. Doch<br />
diejenigen die bekannt sind, waren Blos Beweis genug, „daß der Freiheitsdrang jener bewegten<br />
Zeit auch die Frauen ergriffen hatte“ 148 .<br />
Die nächste durch Artikel der „Gleichheit“ dargestellte Epoche ist das 18. Jahrh<strong>und</strong>ert – vor allem<br />
hinsichtlich des Entwicklungsweges des besonderen revolutionären Ereignisses in Frank-<br />
reich. Hermann Wendel (1884-1936) 149 beschrieb daher in seiner Artikelreihe „Die Frau im<br />
18. Jahrh<strong>und</strong>ert“ 150 wie es das einzige Interesse großbourgeoiser Damen war „[i]n der äußeren<br />
143 Schaser, Frauenbewegung in Deutschland 1848-1933, S. 21.<br />
144 Blos, Wilhelm: Die Frauen im Bauernkrieg. In: GL, 16/ 04/ 21.02.1906/ 19-20, S. 19.<br />
145 Ebd., S. 20.<br />
146 Als ‚schwarze Anna‘ setzte Käthe Kollwitz ihr in ihrem Bauernkriegszyklus ein künstlerisches Denkmal.<br />
147 Ebd., S. 19.<br />
148 Ebd., S. 20.<br />
149 Hermann Wendel stammte aus dem lothringischen Metz <strong>und</strong> wirkte als Politiker, Historiker, Balkanforscher, Journalist,<br />
Redakteur <strong>und</strong> Schriftsteller (Pseudonym: Leo Parth). 1905 war Wendel Mitarbeiter der „Sächsischen<br />
Arbeiterzeitung“ in Dresden, 1906 der „Chemnitzer Volksstimme“ <strong>und</strong> 1906-1908 Redakteur der „Leipziger<br />
Volkszeitung“. Er war 1910 Stadtverordneter <strong>und</strong> 1908-1913 Redakteur der „Volksstimme“ (1908-1933; 1946-<br />
1956) in Frankfurt am Main. 1912-1918 saß er als Abgeordneter im Reichstag. Während des Balkankrieges hielt<br />
sich Wendel als Korrespondent in Serbien auf. 1918 wurde er Chef des Frankfurter Presse-, Nachrichten- <strong>und</strong><br />
Zensurwesens <strong>und</strong> im Januar 1919 Polizeipräsident in Frankfurt am Main. 1933 emigrierte Wendel nach Frankreich<br />
<strong>und</strong> arbeitete am sozialdemokratischen Exilorgan „Neuer Vorwärts“ (1933-1940) mit. Seine Forschungen<br />
beschäftigten sich mit Südosteuropa <strong>und</strong> den Südslawen, wofür er 1929 den Ehrendoktor der Universität Belgrad<br />
erhielt. Außerdem beschäftigte er sich mit der Biographie <strong>und</strong> dem Werk Heinrich Heines <strong>und</strong> der französischen<br />
Marseillaise. Für die „Gleichheit“ verfasste u.a.: Wendel, Hermann: Militza Stojadinowitsch. In: GL, 28/ 22/<br />
02.08.1918/ 173-175; Das gefährliche Alter. In: GL, 21 (1911)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 09/ 33-35<br />
(eine kritische Besprechung zu „Das gefährliche Alter“ (1910) der dänischen Schriftstellerin Karin Michaëlis<br />
(1872-1950).<br />
150 Wendel, Hermann: Die Frau im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert. I-II. In: GL, 19/ 01/ 12.10.1908/ 5-6; GL, 19/ 02/ 26.10.1908/ 18-<br />
269
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Haltung […] sklavisch die Dame der feudalen Gesellschaft nach[zuahmen]“ 151 , während<br />
„[a]bseits <strong>und</strong> unterhalb von den sauberen <strong>und</strong> molligen Frauen des honetten<br />
Bürgertums […] noch eine ganze Welt von Frauen in Stumpfheit <strong>und</strong> einem Dunkel<br />
dahin[vegetierten], daß sie von der Zeit kaum bemerkt werden <strong>und</strong> auch das für<br />
die Menschenrechte schwärmende Schrifttum leicht über sie hinwegsieht“ 152 .<br />
Es war Wendels Anliegen, das Leben <strong>und</strong> Schicksal gerade dieser Frauen zu beleuchten, denn sie<br />
sollten später die Trägerinnen derjenigen Revolution werden, die sich die Menschenrechte auf ihre<br />
Fahnen schrieb. Es waren dies weniger die „Frauen der bis aufs Blut ausgesaugten bäuerlichen<br />
Bevölkerung“ 153 als vielmehr die „Frauen jener gesellschaftlichen Schicht, die zwischen Klein-<br />
bürgertum <strong>und</strong> Proletariat“ 154 stand. Die „soziale Not […] [habe] diese weibliche Schicht zum<br />
Sammelbecken der Prostitution“ 155 gemacht, so dass vor Ausbruch der Revolution die Zahl der<br />
Prostituierten in Paris 60 000 bis 70 000 betragen habe. 156<br />
Als es dann vor dem Hintergr<strong>und</strong> auch dieser Verhältnisse zur Revolution kam, sprang ihr Funke<br />
insbesondere in diese unterste Schicht der Pariser Frauen.<br />
„Diese Schicht, die immer im Dunkel geblieben, tritt mit einem Schlage an jenem<br />
6. Oktober 1789 an das blendende Licht des öffentlichen Lebens, als, von eines<br />
jungen Mädchens Händen gerührt, eine Trommel durch die Straßen geht <strong>und</strong> sich<br />
Tausende von kleinbürgerlichen Frauen, Weibern der Markthallen <strong>und</strong> Arbeiterinnen<br />
der Vorstädte, von Verzweiflung <strong>und</strong> Hunger gespornt, unter dem Schrei nach<br />
Brot nach Versailles wälzen, um den König wie einen Gefangenen in die Hauptstadt,<br />
unter die Augen der Massen, zu führen. So setzt gerade die verachtetste<br />
Schicht der <strong>weiblichen</strong> Bevölkerung Frankreichs der Geschichte der Frau im<br />
18. Jahrh<strong>und</strong>ert ihren heldenhaftesten Akzent auf.“ 157<br />
Ein ähnliches Bild zeichnete Zetkin, die seit ihrer Pariser Exilzeit die Französische Revolution zu<br />
einem ihrer Forschungsschwerpunkte gewählt hatte. Auch sie hob aus den vielen Darstellungen<br />
der Ereignisse des Jahres 1789 eben jenen Zug der Pariserinnen nach Versailles hervor. Hunger<br />
<strong>und</strong> Elend hätten diese „Aktion der nach Versailles gezogenen Pariserinnen“ 158 bestimmt. Selbst<br />
Frauen aber, die diese Not nicht empf<strong>und</strong>en hätten, hätten die Aktion unterstützt, weil „[d]as<br />
Mitleid […] zu allen Zeiten Frauen zu edlen <strong>und</strong> kühnen Thaten angespornt“ 159 habe. So sei es<br />
20.<br />
151 Wendel, Hermann: Die Frau im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert. II. In: GL, 19/ 02/ 26.10.1908/ 18.<br />
152 Ebd., S. 19.<br />
153 Ebd.<br />
154 Ebd.<br />
155 Ebd.<br />
156 Vgl. ebd.<br />
157 Ebd., S. 20.<br />
158 Die Pariser Frauen des 5. <strong>und</strong> 6. Oktober 1789. In: GL, 02/ 20/ 05.10.1892/ 167.<br />
159 Die Pariser Frauen des 5. <strong>und</strong> 6. Oktober 1789. In: GL, 02/ 19/ 21.09.1892/ 160.<br />
270
3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />
eine durchaus „wohlhabende, wohlangesehene Bürgersfrau“ 160 gewesen, die am 4. Oktober 1789<br />
im Palais Royal die Devise ausgab „‘Auf, Pariserinnen nach Versailles, den König <strong>und</strong> die<br />
Königin holen!’“ 161 Daraufhin bildeten Tausende Frauen aus dem Volke, Kleinkrämerinnen, wohl-<br />
habende, hoch angesehene Bürgerfrauen neben Prostituierten eine Einheit. Und sogar die<br />
Marktfrauen, die als erklärte Anhängerinnen des Königs galten, konnten nicht umhin, sich ihr<br />
anzuschließen.<br />
Nachdem die Nationalgarden erfolgreich davon abgehalten werden konnten, auf das Volk zu<br />
schießen, sei der große Zug schließlich in Versailles angekommen. Eine Deputation von zwölf<br />
Frauen, die zum Teil sogar namentlich bekannt sind, wurde zum König vorgelassen, um Brot für<br />
die Massen zu fordern. Um sich aber nicht nur mit Versprechungen zufrieden geben zu müssen,<br />
wurde die Königsfamilie schließlich gezwungen, sich von den Frauen nach Paris geleiten zu<br />
lassen. Das enthusiastische Urteil Zetkins lautete deshalb: „Der Zug des Königs nach Paris<br />
bedeutete, daß Volkswille stärker war als Königswille.“ 162 Dem entgegen wertete Zetkin die<br />
Wirkung der Französischen Revolution jedoch insgesamt negativ. 163 Es habe nicht „die Aus-<br />
beutung des Volkes ein Ende“ 164 gehabt, sondern es sei „nur in den Personen der Herrschenden<br />
<strong>und</strong> Ausbeutenden […] ein Wechsel ein[getreten]“ 165 . Zetkin war deshalb der Meinung, dass<br />
„[d]ie in materieller <strong>und</strong> geistiger Noth Darbenden unserer Zeit […] sehr wohl<br />
[wüssten], daß keine Kopie des Zuges nach Versailles, keine gute Absicht, kein<br />
starker Wille eines Mächtigen ihr Elend zu wenden vermag. Nur eine<br />
Umgestaltung der Gesellschaft aus einer kapitalistischen in eine sozialistische kann<br />
ihnen die Erlösung aus Elend <strong>und</strong> Knechtschaft bringen, nur das klassenbewußte,<br />
organisirte, kämpfende Proletariat kann die Umgestaltung vollziehen. Auf Ihr proletarischen<br />
Frauen!“ 166 [Hervorhebungen von M.S.]<br />
Die Frauen der Französischen Revolution – auch die, wie anhand einiger Biographien noch zu<br />
sehen sein wird, gemäßigten Revolutionärinnen – waren Zetkin dennoch Vorbild. Sie waren es<br />
aufgr<strong>und</strong> ihres aktiven politischen Handelns, ein Handeln, dem jedoch „nur“ ein politisches Be-<br />
wusstsein zugr<strong>und</strong>e lag, wie es die damalige Zeit <strong>und</strong> die damalige soziale Not hervorgebracht<br />
hatte.<br />
Auch die 1848er-Revolution hielt nicht, was sie versprach, besonders nicht den Frauen gegenüber.<br />
160 Ebd.<br />
161 Ebd.<br />
162 Die Pariser Frauen des 5. <strong>und</strong> 6. Oktober 1789. In: GL, 02/ 20/ 05.10.1892/ 168.<br />
163 Zu Zetkins Beurteilung der Französischen Revolution vgl. auch Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong><br />
Marxismus, S. 60.<br />
164 Die Pariser Frauen des 5. <strong>und</strong> 6. Oktober 1789. In: GL, 02/ 20/ 05.10.1892/ 168.<br />
165 Ebd.<br />
166 Ebd.<br />
271
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Gerade diesen hatte die bürgerliche Demokratie nichts zu bieten, obwohl sie sie doch mit erstritten<br />
hatten:<br />
„Die Toten reiten schnell! Die bürgerliche Demokratie Deutschlands, die ihrer<br />
spottend, sie weiß nicht wie, darauf verzichtet hat, eine Vorkämpferin für die volle<br />
Gleichberechtigung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts zu sein: deren Führer die Sozialdemokratie<br />
wegen ihrer Forderung des Frauenwahlrechtes mit billigen Bierbankwitzen<br />
bekämpfen: deren Presse politische Kämpferinnen gelegentlich mit faulen<br />
Papieräpfeln bewirft <strong>und</strong> feige schweigt, wenn ein reaktionärer <strong>und</strong> roher Patron<br />
unter dem Schutze seines Amtes die russischen Revolutionärinnen beschimpft:<br />
diese bürgerliche Demokratie hat einst selbst politisch, revolutionär kämpfende<br />
Frauen in ihren Reihen gezählt. Nicht lange ist es her, wenig mehr als ein halbes<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert, als das deutsche Bürgertum seinen schnell verwehten Maientraum<br />
träumte.“ 167<br />
So sehr Zetkin jene „politisch, revolutionär kämpfenden Frauen“ auch bew<strong>und</strong>erte, war es ihrer<br />
Meinung nach trotzdem „eine Legende, daß die klassenbewußte proletarische Frauenbewegung<br />
organisatorisch aus der bürgerlichen Frauenbewegung hervorgewachsen sei“ 168 . [Hervorhebung<br />
von M.S.]. Diesbezüglich hätten sie nicht mehr getan, als der proletarischen Frauenbewegung den<br />
Boden zu lockern. Endgültig erwachsen sei die proletarische Frauenbewegung aber<br />
„als Teil der allgemeinen klassenbewußten Arbeiterbewegung Deutschlands,<br />
gemäß der geschichtlichen Wahrheit, daß die Befreiung der Arbeiterklasse <strong>und</strong> all<br />
ihrer Teile das Werk der Arbeiterklasse <strong>und</strong> all ihrer Teile selbst sein muß“ 169 .<br />
Andere, weniger theoretisch f<strong>und</strong>ierte <strong>und</strong> wesentlich feministischere Töne schlug dagegen Anna<br />
Blos an, die vorwiegend biographische Arbeiten zur 1848er Revolution veröffentlichte. 170 Ihrer<br />
Meinung nach war das 19. Jahrh<strong>und</strong>ert „das Jahrh<strong>und</strong>ert der Frau“ 171 . Diese Bezeichnung sei ihm<br />
zu verleihen, weil eine Reihe von Frauen damals nicht nur<br />
„direkt oder indirekt […] an dem Kämpfen <strong>und</strong> Ringen der Freiheitskämpfer teilnahmen,<br />
sondern mit eigenen neuen Gedanken bahnbrechend wirkten“ 172 .<br />
Diese Frauen waren für Blos<br />
„Pfadfinderinnen auf dem Weg zur Befreiung der Frauen. Sie haben sich die Füße<br />
w<strong>und</strong> getreten an all den Steinen, die sie uns mühevoll aus dem Weg räumen<br />
mußten. Sie haben sich blutig geritzt an all den Dornen, die ihnen den Weg ver-<br />
167 Eine Freiheitskämpferin. In: GL, 14/ 09/ 20.04.1904/ 71. Zetkin nannte als Beispiele für die revolutionären Frauen<br />
des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts Louise Otto-Peters, Malvida von Meysenbug, Bettina von Arnim, Amalie Struve, Emma<br />
Herwegh, Marie Heindermann (?-?), Emilie Wüstenfeld (1817-1874), Lucilie Lenz (?-?) <strong>und</strong> Mathilde Hitzfeldt<br />
(1826-1905) (die ohne Lebensdaten versehenen Frauen werden noch in Kapitel 4 anhand der in der „Gleichheit“<br />
erschienenen biographischen Artikel vorgestellt).<br />
168 Zetkin, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands, S. 57.<br />
169 Ebd., S. 58.<br />
170 Siehe Kapitel 4.<br />
171 Blos, Anna: Der Einfluß der Frauen auf die Entwicklungsgeschichte der Menschheit, S. 125.<br />
172 Ebd.<br />
272
sperrten“ 173 .<br />
3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert waren es viele <strong>und</strong> große Steine, die einer Frau in den Weg gelegt wurden,<br />
„die durch sich selbst etwas war oder sein wollte“ 174 . Als „Persönlichkeit […] nicht anerkannt“ 175 ,<br />
musste sie für diese Anerkennung kämpfen, musste sie sich „emanzipier[…]en“ 176 – ein Begriff,<br />
der wahrscheinlich wegen seiner Nähe zur bürgerlichen Frauenbewegung unter der Redaktion<br />
Zetkins kaum gebraucht wurde. Blos war davon überzeugt, dass, wenn die Frau ihrer eigenen<br />
Generation, „als Persönlichkeit etwas gilt, wenn sie als Mensch, nicht nur als Weib bewertet wird“<br />
177 , sie dies auch jenen Frauen zu verdanken habe,<br />
„die als Kinder ihrer Zeit vielfach mißverstanden wurden, <strong>und</strong> deren Sturm- <strong>und</strong><br />
Drangperiode doch so notwendig war im Morgenrot des Jahrh<strong>und</strong>erts der Frauen“<br />
178 .<br />
Abgesehen von dieser letzten Entlehnung aus dem Vokabular sozialistischer Agitation hatte diese<br />
Sichtweise Blos‘ mit derjenigen Zetkins nichts gemein. Die von Blos vor 1917 veröffentlichten<br />
biographischen Artikel beschränkten sich eher auf die Skizzierung persönlicher Eigenschaften der<br />
von ihr dargestellten Frauen <strong>und</strong> gaben keine direkte Wertung des geschichtlichen Rahmens ab.<br />
Nun – 1919 – bezog sie jedoch Stellung zu der historischen Einordnung der Frauenbewegung.<br />
Dies weist darauf hin, dass entweder die von Zetkin beanspruchte Oberhoheit über die geschichts-<br />
theoretische Deutung auch bei Blos Früchte getragen hatte oder dass Zetkins Abwesenheit sie in<br />
ihren Aussagen entschiedener werden ließ. Blos betonte in ihrer Artikelserie schließlich doch den<br />
lediglich vorbereitenden Charakter der demokratischen Frauenbewegung <strong>und</strong> erklärte vollkom-<br />
men klassenbewusst:<br />
„Als die Frauen des Bürgertums wie das Bürgertum selbst nicht imstande waren,<br />
die Freiheitsideale zu erkämpfen, da waren es die Frauen der Arbeiterklasse, die<br />
diese Kämpfe aufnahmen <strong>und</strong> fortführten.“ 179<br />
Einerseits war es für Blos eine „Pflicht der Dankbarkeit, derer zu gedenken, die alles Neue, was<br />
unsere Zeit uns bringt, mit vorbereitet haben“ 180 – dazu gehörten die 1848er-Frauen –, andererseits<br />
aber war es ihr wichtig, Persönlichkeiten zu skizzieren, „die für die Entwicklung der heutigen<br />
173 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts I: Bettina von Arnim. In: GL, 29/ 31/ 20.09.1919/ 243.<br />
174 Ebd.<br />
175 Ebd.<br />
176 Ebd.<br />
177 Ebd.<br />
178 Ebd.<br />
179 Ebd., S. 244.<br />
180 Blos, Anna: Die Frauen des Jahres 1848. In: „Die Gleichheit“, 33/ 06/ 15.03.1923/ 45.<br />
273
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Frauenbewegung im sozialistischen Sinne von Bedeutung sind“ 181 . Hinsichtlich der Geschichte<br />
der 1848er-Revolution ist besonders bemerkenswert, wie sie mit aktuellen Ereignissen der<br />
Arbeiterbewegung <strong>und</strong> der proletarischen Frauenbewegung verknüpft wurden.<br />
Stets ein guter Anlass, an die Verdienste der frühen Demokratinnen zu erinnern, war der 18. März<br />
– der Tag der Berliner Märzgefallenen von 1848. Zetkin verfasste 1898 – einem besonderen<br />
Jubiläumsjahr – einen harschen Leitartikel „Zum 18. März“ 182 , in welchem sie erklärte, dass die<br />
proletarischen Frauen nicht nur als Proletarierinnen „der eigensüchtigen Bourgeoisie zu Haß <strong>und</strong><br />
Verachtung verpflichtet“ seien, sondern auch als Frauen. Denn in die Bourgeoisie habe in ihrer<br />
nun fünfzig Jahre währenden<br />
„Klassenherrschaft […] so gut wie nichts für die soziale Gleichberechtigung des<br />
<strong>weiblichen</strong> Geschlechts gethan. Und doch haben für ihren Sieg 1848 auch Frauen<br />
gelitten <strong>und</strong> gestritten.“ 183<br />
Die Revolution von 1848 war demnach für die Emanzipationsbestrebungen der Frauen wenig<br />
ergiebig. Zwar hatte auch die Französische Revolution hinsichtlich der Rechte der Frau wenig<br />
bewegt, doch verehrte Zetkin deren Protagonistinnen in besonderer Weise <strong>und</strong> sah Frauen dieses<br />
Formats in der deutschen Revolution nicht vertreten. Die Bewegung von 1848<br />
„hatte nicht ihre glänzenden Heroinen, nicht ihre Roland, Théroigne de Méricourt,<br />
Olympes Gonges x. Aber das Ideal der zu erringenden bürgerlichen Freiheit<br />
entflammte im ‘tollen Jahr’ gar manches edle Frauenherz, gar mancher kühne<br />
Frauengeist hing leidenschaftlich der Sache der Revolution an“ 184 .<br />
Und doch war Zetkin sich bewusst, dass die Geschichte der Frauen selten die Geschichte großer<br />
Namen ist. So beschrieb sie den „Gleichheit“-Leserinnen, auf welche schlichte <strong>und</strong> doch mutige<br />
Weise Frauen ihren Anteil an der Revolution hatten:<br />
„Es mangelte nicht an Müttern, Gattinnen, Bräuten, Schwestern <strong>und</strong> Töchtern,<br />
welche überzeugungstreu die theuersten Angehörigen zum Kampfe rüsteten, für<br />
den Kampf begeisterten. Frauen halfen beim Kugelgießen, versahen die Freiheitskämpen<br />
mit Munition <strong>und</strong> Nahrung <strong>und</strong> trugen ihnen Nachrichten zu. Nach der<br />
Niederkatätschung der revolutionären Erhebungen waren vielfach Frauen den von<br />
Standrecht <strong>und</strong> Kerkerhaft bedrohten Rebellen zum Entkommen behilflich. Ohne<br />
Murren <strong>und</strong> opferstark trugen etliche der Besten unseres Geschlechts mit dem<br />
Gatten das Elend des Flüchtlingslebens, die Bitterniß des Exils.“ 185<br />
Zetkin sah für diese Opfer jedoch von der bürgerlichen Gesellschaft keine Gegenleistung erbracht,<br />
den bürgerlichen Frauen nicht <strong>und</strong> den proletarischen Frauen – in dieser Gesellschaft als Frauen<br />
<strong>und</strong> Arbeiterinnen benachteiligt – gleich doppelt nicht. Als<br />
181 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts I: Bettina von Arnim. In: GL, 29/ 31/ 20.09.1919/ 244.<br />
182 Zum 18. März. In: GL, 08/ 06/ 16.03.1898/ 41-43.<br />
183 Ebd., S. 42.<br />
184 Ebd.<br />
185 Ebd.<br />
274
3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />
„[e]ine von der Bourgeoisie zweifach Verrathene <strong>und</strong> Entrechtete grüßt die<br />
deutsche Proletarierin das fünfzigjährige Jubiläum der revolutionären Märztage.<br />
Aber ohne weichliches Klagen <strong>und</strong> feiges Verzagen, vielmehr in muthvoller<br />
Kampfesstimmung <strong>und</strong> stolzer Siegeszuversicht.“ 186<br />
Die Kampfesstimmung zu heben <strong>und</strong> den Frauen vor Augen zu führen, wie lange sie als<br />
Staatsbürgerinnen bereits vertröstet wurden, beabsichtigte Zetkin auch mit der Berichterstattung<br />
zum ersten Internationalen Frauentag. 187 Er fand in ganz Deutschland, Österreich, in der Schweiz<br />
<strong>und</strong> den USA am 19. März 1911 statt – ein Datum, das ihn in Zetkins Augen in idealer Weise mit<br />
den Ereignissen desselben Tages im Jahre 1848 verknüpfte. An diesem Tag, so Zetkin in ihrem<br />
Artikel „Unser Märzentag“ 188 , habe der preußische Absolutismus in Person Friedrich Wilhelm IV.<br />
vor der Macht des Volkes kapitulieren müssen. Im Gegensatz zu vielen anderen in der<br />
„Gleichheit“ regelmäßig zum 18. März erschienenen historischen Artikel 189 fand der Anteil der<br />
Frauen hier eine entsprechende Erwähnung. Anlässlich der ersten internationalen Massen-<br />
demonstration für das Frauenwahlrecht schlug Zetkin einen geschichtlichen Bogen von der<br />
Französischen Revolution über den utopischen Sozialismus bis zu den ersten demokratischen<br />
Strömungen des Vormärzes. Die bürgerlichen Frauen, die sich damals für die Gleichstellung der<br />
Frau zu Wort meldeten, taten dies meist „nur im stillen Kämmerlein“ 190 . Doch der Vormärz<br />
brachte Frauen hervor, die für ihre Rechte nicht nur mit Worten oder literarisch fochten. Frauen,<br />
so Zetkin,<br />
186 Ebd.<br />
„fehlen auch dort nicht, wo es zu revolutionärem Kampfe zwischen den absolutistischen<br />
Staatsgewalten <strong>und</strong> den politisch entrechteten Volksmassen kommt, <strong>und</strong><br />
wie zu Heldinnen, so werden sie zu Märtyrerinnen ihrer demokratischen Überzeugung.<br />
Die bürgerliche Revolutionszeit ruft die erste politische Frauenzeitung<br />
Deutschlands ins Leben, […] die 1852 als ein Opfer der Reaktion fällt, die dem<br />
Verrat des Bürgertums an der Revolution auf dem Fuße folgte.“ 191<br />
187 Anlässlich des ersten sozialdemokratischen Frauentages erschien, so die Ankündigung in der „Gleichheit“, „Anfang<br />
März eine Agitationszeitung für das Frauenwahlrecht herausgegeben von Klara Zetkin, 16 Seiten im Format<br />
der Gleichheit. Die Zeitung bringt die Porträts der verstorbenen sozialdemokratischen Vorkämpferinnen für das<br />
Frauenwahlrecht in Deutschland, sie wird einen reichhaltigen Inhalt haben <strong>und</strong> schön ausgestattet sein. Das Blatt<br />
soll der Agitation für das Frauenwahlrecht unter den breitesten Massen dienen. Preis der Nummer: Für<br />
Organisationen <strong>und</strong> Wiederverkäufer 5 Pf., die Einzelnummer 10 Pf. […]“ (GL, 21/ 11/ 27.02.1911/ 176).<br />
188 Unser Märzentag. In: GL, 21/ 12/ 13.03.1911/ 177-179.<br />
189 Ebenso wie jährlich zum 18. März ein besonders agitatorischer Artikel in der „Gleichheit“ erschien, so auch zum<br />
1. Mai (vgl. „Auswahl der geschichtlichen Artikel im Hauptblatt der ‘Gleichheit’“).<br />
190 Unser Märzentag. In: GL, 21/ 12/ 13.03.1911/ 178.<br />
191 Ebd. Hinsichtlich dieses Verrats, dieser unerfüllten Hoffnungen hob Zetkin nach der blutigen Niederschlagung des<br />
Aufstandes im Januar 1905 in St. Petersburg die historische Rolle der russischen revolutionären Volksmassen<br />
hervor: „Das Proletariat Rußlands hat die geschichtliche Mission übernommen, vor deren Erfüllung die Bourgeoisie<br />
Westeuropas sogar in den Tagen revolutionären Jugenddranges kurzsichtig <strong>und</strong> feige zurückgeschreckt ist,<br />
<strong>und</strong> die sie später bewußt verraten hat. Es vollstreckt an dem zarischen Despotismus das Todesurteil.“ (Für Preisfechter<br />
des revolutionären Proletariats. In: GL, 15/ 15/ 26.07.1905/ 85).<br />
275
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
In der Weimarer Zeit warf Zetkin einen deutlich kritischeren Blick auf die deutschen Vorkämp-<br />
ferinnen <strong>und</strong> sah ihre Bedeutung für die proletarische Frau von der Sozialdemokratie absichtlich<br />
überhöht, um den Burgfrieden zu rechtfertigen:<br />
„Jedoch alles in allem scheint es, daß das revolutionäre Auftreten der genannten<br />
Frauen [Struve, Anneke, Herwegh] mehr die Zielscheibe sittlicher Entrüstung <strong>und</strong><br />
billiger Witzeleien des wohlanständigen deutschen Philistertums gewesen ist als<br />
ein Gegenstand ernster Beachtung oder gar von Befürchtungen der Gegenrevolutionäre.<br />
Im Gegensatz zu den Kämpferinnen der Französischen Revolution sind<br />
ihre deutschen Nachfolgerinnen bei wichtigen Episoden des Ringens für das neue,<br />
freiheitliche Deutschland nicht als selbständig Handelnde, ja Entscheidende hervorgetreten,<br />
haben sie sich nicht als Bewegerinnen <strong>und</strong> Führerinnen Recht <strong>und</strong><br />
Freiheit heischender Frauenmassen, Volksmassen betätigt, die ein gemeinsamer politischer<br />
Zielwille im Sturmschritt vorwärts trieb. Nebenbei: Sozialdemokratische<br />
Geschichtsklitterung versucht es, die Regierungskoalition der Reformisten mit der<br />
Bourgeoisie zu rechtfertigen <strong>und</strong> insbesondere die Proletarierinnen für sie zu begeistern,<br />
indem sie in sentimentaler Seichtbeutelei die Schatten der Frauengestalten<br />
aus der acht<strong>und</strong>vierziger Revolution heraufbeschwört, denen als besonderes Verdienst<br />
angerechnet wird, daß sie zu den Besitzenden <strong>und</strong> Gebildeten gehörten <strong>und</strong><br />
nur durch ihr Mitgefühl für die Leiden des Volkes, nicht aber durch Klassensolidarität<br />
mit diesem verb<strong>und</strong>en waren.“ 192<br />
Dieser Geschichtsklitterung stellte Zetkin die Beispiele der französischen <strong>und</strong> russischen<br />
Revolutionärinnen als viel wertvoller gegenüber. Dies seien jedoch Frauen, denen die Geschichts-<br />
schreibung der bürgerlichen Frauenbewegung verständlicherweise „keine Lorbeerkränze ge-<br />
w<strong>und</strong>en“ 193 habe. Und bezeichnenderweise waren es doch die 1848er-Revolutionärinnen bzw.<br />
auch einige ihrer weniger revolutionären, dafür aber gebildeten Zeitgenossinnen, die zu Beginn<br />
der Weimarer Republik Vorbildfunktion haben sollten. 194<br />
Der gescheiterten Revolution von 1848 folgten, so Zetkin, „Jahre der schwärzesten Reaktion“ 195 –<br />
Jahre, in denen der deutsche Kapitalismus – „[s]ich an billigem Frauen- <strong>und</strong> Kinderfleisch<br />
mästend[…] [<strong>und</strong>] ungestört durch ‘Meutereien unbescheidener Arbeiter’“ 196 – einen großen<br />
Aufschwung nahm. Förderer <strong>und</strong> Profiteure dieses Aufschwungs waren jedoch nicht nur die<br />
herrschende Klasse des Adels, sondern auch die in der Revolution gescheiterte Bourgeoisie. Sie<br />
nutzte die Gunst der St<strong>und</strong>e eines leistungs- <strong>und</strong> besitzbezogenen Wertewandels <strong>und</strong> büßte, so<br />
Zetkin polemisch, „die kurze Maienblüte ihrer politischen Sünde“ 197 mit „betriebsamer <strong>und</strong><br />
192 Zetkin, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands, S. 19.<br />
193 Ebd. S. 20.<br />
194 Siehe Kapitel 4.5.<br />
195 Ebd., S. 63.<br />
196 Ebd.<br />
197 Ebd.<br />
276
3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />
erfolgreicher Geschäftstüchtigkeit“ 198 . Verlierer dieser wirtschaftlichen Blüte, der so genannten<br />
„Gründerzeit“, waren die unteren Klassen der Bauern <strong>und</strong> Handwerker, die billigen Arbeitskräfte,<br />
die nun der sich entwickelnden Industrie zuströmten <strong>und</strong> verelendeten – ihr „Fordern <strong>und</strong> Ringen<br />
schien erstorben“ 199 . Umso mehr bew<strong>und</strong>erte Zetkin die „Begeisterung <strong>und</strong> Opferfreudigkeit“ 200 ,<br />
mit der die proletarischen Frauen gegen die Tatenlosigkeit der Reaktionszeit <strong>und</strong> die bürgerliche<br />
Gängelung angingen. 201<br />
Die Bedeutung der Gründung der gemischtgeschlechtlichen „Internationalen Gewerksgenossen-<br />
schaft der Manufaktur-, Fabrik- <strong>und</strong> Handarbeiter“ 1869 im sächsischen Textilindustriestandort<br />
Crimmitschau wurde an vorhergehender Stelle bereits geschildert. Zetkin sah in ihr nicht nur den<br />
Beginn der gewerkschaftlichen Integration der Frauen, sondern den Beginn der proletarischen<br />
Frauenbewegung überhaupt:<br />
„Die gesamte proletarische Frauenbewegung Deutschlands ist die Erbin <strong>und</strong> Testamentsvollstreckerin<br />
der Internationalen Genossenschaft.“ 202<br />
Der Umgang mit diesem Erbe zeigte sich im Engagement der proletarischen Frauen innerhalb von<br />
SPD <strong>und</strong> Gewerkschaften <strong>und</strong> wird anhand der rekonstruierten Biographien der Klassenkämp-<br />
ferinnen noch deutlich werden.<br />
Es ist wieder ein besonderes Forschungsfeld Zetkins, das sich nun chronologisch anschließt: Am<br />
21. Jahrestag der Pariser Kommune von 1871 wollte Zetkin vor allem der Kommunardinnen ge-<br />
denken. 203 Sie konstatierte, dass „[w]ie an allen großen Tagen der Geschichte des französischen<br />
Volks“ 204 , so auch in den Tagen der Pariser Kommune die Frauen „eine hervorragende, glänzende<br />
Rolle“ 205 gespielt hätten. Aus der Kenntnis der französischen Mentalität heraus schrieb Zetkin,<br />
dass<br />
198 Ebd.<br />
199 Ebd.<br />
„[d]ie Französinnen […] von jeher viel Instinkt für den engen Zusammenhang<br />
zwischen dem öffentlichen Leben <strong>und</strong> dem Leben des Einzelnen besessen“ 206<br />
200 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 166. Besonders der „Opferfreudigkeit“ wird als weiblichster<br />
Tugend – als einer Tugend derjenigen, die ohnehin wenig verlieren können – noch eine große Bedeutung<br />
in den Darstellungen weiblicher Leitbilder zukommen.<br />
201 Auf Zetkins Darstellungen bezüglich der Gründung der ersten großen Arbeitervereine <strong>und</strong> des Wirkens von Marx,<br />
Engels, Lassalle <strong>und</strong> Bebel kann hier nicht eingegangen werden. Hinsichtlich der Gründung der ersten Arbeiterinnenvereine<br />
siehe Kapitel 1.<br />
202 Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 25/ 12.12.1906/ 178.<br />
203 Die Frauen der Kommune. Zum 21. Jahrestag der Kommune von Paris. In: GL, 02/ 06/ 23.03.1892/ 53-54.<br />
204 Ebd., S. 53.<br />
205 Ebd.<br />
206 Ebd.<br />
277
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
hätten, dass sie aber auch – so Zetkin unerwartet kritisch –<br />
„von jeher mehr aus Temperament als aus klarer Ueberzeugung Schulter an Schulter<br />
mit den Männern für gesellschaftliche Neuerungen in den Kampf gegangen“ 207<br />
seien. Diesen Mangel erklärte Zetkin allerdings nicht weiter. Ihr war es vor allem wichtig, das<br />
Bild, das die Gegner von den Kommunardinnen zu verfestigen suchten, als bewusste Lügen zu<br />
entlarven. Man hätte die<br />
„Gestalten der heldenkühnen, todesmuthigen Kommunarden in die der megärenhaften<br />
‘Petroleusen’ umgelogen, sie mit unsäglichem Schmutz beworfen, für den<br />
Abschaum, die Hefe der Pariser Frauenwelt erklärt“ 208 .<br />
Die bürgerliche Meinung könne nicht damit umgehen, dass es Frauen gewesen waren, die am<br />
Morgen des 18. März 1871 auf dem Montmartre den Abtransport der Kanonen durch die National-<br />
garde verhindert hatten, indem sie die hierfür abkommandierten Soldaten zum Fraternisieren<br />
bewegten. Es habe Frauen gegeben, die nicht aktiv an diesem <strong>und</strong> späteren Einsätzen beteiligt<br />
waren <strong>und</strong> doch die Sache unterstützten, indem sie die Männer nicht zurückhielten, sondern<br />
anfeuerten <strong>und</strong> derweil den Haushalt weiterführten. Zetkin fand auch für diese unscheinbare Form<br />
des Kampfes beeindruckende Worte:<br />
„Ueberall, wo für die Kommune gearbeitet <strong>und</strong> gekämpft ward, wo es eines anfeuernden<br />
Wortes, einer kühnen That, aufopfernder Selbstverleugnung bedurfte,<br />
waren die Frauen zu finden.“ 209<br />
Und es gab die Frauen, die konkret an den Kämpfen beteiligt waren: Sie<br />
„nähten Tag <strong>und</strong> Nacht Säcke, die mit Erde gefüllt wurden <strong>und</strong> zum Verstopfen der<br />
Breschen dienen sollten. Frauen <strong>und</strong> junge, zarte Mädchen schleppten schwere<br />
Karren voll Steine <strong>und</strong> Erde zum Aufbau der Barrikaden herbei; auf dem Place<br />
Blanche erhob sich eine Barrikade, welche nur von Frauen aufgethürmt <strong>und</strong> ebenso<br />
heldenmüthig als klug vertheidigt wurde; Frauen schulterten das Gewehr, standen<br />
Wache auf den gefährlichsten Posten, vertheidigten bis zuletzt unhaltbar gewordene<br />
Punkte.“ 210<br />
Und wenn nicht als Kämpferinnen, so waren sie als Krankenpflegerinnen im Einsatz, was sie<br />
ebenfalls zu Strafverfolgten der Regierung machte. H<strong>und</strong>erte wurden gefangen genommen <strong>und</strong><br />
verschleppt, waren tagelang<br />
207 Ebd.<br />
208 Ebd.<br />
209 Ebd.<br />
210 Ebd., S. 54.<br />
211 Ebd.<br />
278<br />
„ohne Nahrung, ohne Trinkwasser, ohne die Möglichkeit, sich reinigen zu können.<br />
Wie Schlachtvieh wurden sie zusammengepfercht in dumpfigen Kellerhöhlen auf<br />
faulendem Stroh, in offenen Höfen, wo sie dem glühenden Sonnenbrande preisgegeben<br />
waren.“ 211
3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Der erschreckenden Schilderung nicht genug, teilte Zetkin ihren Leserinnen mit, dass manche<br />
dieser Kämpferinnen zusammen mit Männern eingesperrt <strong>und</strong> gezwungen wurden, sich in deren<br />
<strong>und</strong> in Gegenwart der Wächter umzuziehen. Wie Tiere habe man sie schließlich auch in einem<br />
Gerichtsprozess zur Schau gestellt. Dieser „‘Prozeß der Petroleusen’“ 212 endete mit den Urteilen,<br />
dass von 157 Frauen acht sterben mussten <strong>und</strong> 86 für den Rest ihres Lebens in eine Strafkolonie<br />
deportiert wurden. 213 Alle diese als Furien verschrieenen Frauen hätten ihr Urteil, so Zetkin, ruhig,<br />
ja mit „antike[r] Heldengröße“ 214 entgegengenommen. Obwohl sich Zetkin mit ihren Darstel-<br />
lungen gegen das Bild von der französischen Petroleuse richtete, zitierte sie genüsslich einen<br />
entsetzten englischen Journalisten mit den Worten:<br />
„‘Wenn das französische Volk nur aus Frauen bestände, welch‘ ein furchtbares<br />
Volk wäre das.’“ 215<br />
Zwei dieser besonderen Frauen Frankreichs wurden von Zetkin ausführlicher für die „Gleichheit“-<br />
Leserinnen porträtiert. Indem die „Gleichheit“ sowohl Herkunft, Beweggründe <strong>und</strong> Handlung-<br />
sbereich der Gruppe revolutionärer Frauen als auch ihre einzelnen Mitglieder beschrieb, bot sie<br />
ihren Leserinnen in besonders gelungener Weise Identifikationsmöglichkeiten an.<br />
Einen in dieser Hinsicht herausragenden Stellenwert hatten auch die russischen Revolutionärinnen<br />
bzw. Terroristinnen, die meist aus dem Bildungsbürgertum stammten. Indem sie ihr Leben in<br />
Sicherheit <strong>und</strong> Wohlstand aufgaben, um „für Volkswohl <strong>und</strong> Volksfreiheit“ 216 zu kämpfen, be-<br />
wiesen sie eine „Opferfreudigkeit ohne Gleichen“ 217 . „H<strong>und</strong>erte[…] <strong>und</strong> H<strong>und</strong>erte[…] von jungen<br />
Mädchen <strong>und</strong> Frauen“ 218 setzten laut Zetkin ihr Leben aufs Spiel für ein Ideal, für „eine bessere,<br />
schönere Zukunft für Alle“ 219 . Ebenso viele waren es, die<br />
„mit vorzeitig aufgeriebenen Kräften ins Grab sanken, nach Sibiriens Eiswüsten<br />
verschickt wurden, hinter Kerkermauern im Wahnsinn oder durch Selbstmord<br />
endeten, am Galgen ihr Leben aushauchten oder als Flüchtlinge, fern von der<br />
Heimath ein freudloses, entbehrungsreiches Leben führen“ 220<br />
mussten. Für Zetkin waren diese Frauen jedoch nicht nur Vorbilder für die deutschen Prole-<br />
212 Ebd.<br />
213 Vgl. ebd.<br />
214 Ebd.<br />
215 Ebd.<br />
216 Die russischen Revolutionärinnen. In: GL, 02/ 01/ 11.01.1892/ 14-15, S. 14.<br />
217 Ebd.<br />
218 Ebd.<br />
219 Ebd.<br />
220 Ebd.<br />
279
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
tarierinnen, sondern auch für die deutschen „Frauenrechtlerinnen“, denn die ersten russischen<br />
Revolutionärinnen<br />
„hatten meist schon einen Kampf geführt, den Kampf für die Emanzipation der<br />
Frau, den Kampf zumal für die gleiche Ausbildung, die gleiche Berufsthätigkeit<br />
des <strong>weiblichen</strong> <strong>und</strong> männlichen Geschlechts“ 221 .<br />
Die Erkenntnisse aus diesem Kampf hatten sie jedoch weitergeführt <strong>und</strong> einen bedingungslosen<br />
Kampf gegen den Zarismus aufnehmen lassen. Statt ihrer naturwissenschaftlichen <strong>und</strong> medizini-<br />
schen Bücher studierten sie nun – meist im „sozialistische[n] Mekka“ 222 Zürich – die einschlägige<br />
sozialistische Literatur <strong>und</strong> wurden Agitatorinnen. Durch diese Konsequenz, so Zetkin, „standen<br />
sie schon damals hoch über dem Durchschnitt unserer bürgerlichen Frauenrechtlerinnen West-<br />
europas“ 223 . Die deutschen Proletarierinnen würden es dagegen wohl nie erleben, dass H<strong>und</strong>erte<br />
<strong>und</strong> Tausende von Frauen der Oberen Zehntausend „freudig auf alle Vortheile ihrer Geburt <strong>und</strong><br />
Stellung“ 224 verzichten <strong>und</strong> einer revolutionären Bewegung beitreten. 225<br />
Doch die Entscheidung für die Sache des Volkes brachte den Revolutionärinnen nicht nur dessen<br />
Anerkennung:<br />
„Die Propagandistinnen lernten die Bitterniß vergeblichen Mühens <strong>und</strong> Ringens,<br />
des Verkanntwerdens der edelsten Absichten kennen, sie wurden von denen, die sie<br />
retten wollten, oft mit Feindschaft, mit Denunziation gelohnt.“ 226<br />
Auf diese Weise in die Fänge der brutalen Handlanger des despotischen Zarenreiches geraten <strong>und</strong><br />
immer von seinen Spitzeln bedroht, wurden die RevolutionärInnen, so die Begründung Zetkins für<br />
den Terrorismus, „von ihrem übermächtigen Gegener gezwungen, auf den Druck durch Gegen-<br />
druck zu antworten“ 227 . Die revolutionären Gruppierungen planten <strong>und</strong> begingen Attentate auf die<br />
Stellvertreter des Zaren in Behörden <strong>und</strong> Gefängnissen <strong>und</strong> schließlich auf Zar Alexander II.<br />
selbst. „Auf den weißen Schrecken seitens der Regierung“, so Zetkin scheinbar unkritisch, „folgte<br />
der rothe Schrecken seitens der Revolutionäre“ 228 <strong>und</strong> „trat unter dem Gebot der Nothwehr der<br />
Terrorismus an Stelle der Propaganda“ 229 .<br />
Auch die <strong>weiblichen</strong> Revolutionärinnen trugen die Radikalisierung mit <strong>und</strong> bewiesen dabei be-<br />
sondere Charaktereigenschaften:<br />
221 Ebd.<br />
222 Ebd.<br />
223 Ebd.<br />
224 Ebd.<br />
225 Ebd., S. 15.<br />
226 Ebd.<br />
227 Ebd.<br />
228 Ebd.<br />
229 Ebd.<br />
280
3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />
„Was sie auch thaten, sie thaten es einfach <strong>und</strong> schlicht, ohne Aufhebens, ohne<br />
Rühmens, wie etwas Alltägliches <strong>und</strong> Selbstverständliches, wie eine Pflicht, deren<br />
Erfüllung Herzenssache ist.“ 230<br />
Auf diese besonders heroische Weise hätten sie auch ihre Todesurteile entgegengenommen <strong>und</strong><br />
starben als „Märtyrerinnen“ für die „Volksfreiheit in Rußland“ 231 . 232 Zetkin bezog sich auf den<br />
russischen Schriftsteller <strong>und</strong> Publizisten Stepnjak 233 , der als „guter Kenner der russischen revolu-<br />
tionären Bewegung“ 234 treffend bemerkt habe,<br />
„daß diese ihren fast religiösen Charakter den Frauen verdankt, die an ihr Antheil<br />
nahmen, die heilige, läuternde Flamme der Begeisterung in sie hineintrugen“ 235 .<br />
Die Darstellungsweise all dieser Artikel wirkt sehr gefühlsbetont <strong>und</strong> mystifizierend. Diese Emo-<br />
tionalität wird auch auffällig, wenn die „Gleichheit“ die Geschichte der Arbeiterbewegung aus<br />
dem Blickwinkel ihrer <strong>weiblichen</strong> Mitglieder betrachtete. Das Sozialistengesetz, so Zetkin 1896<br />
auf dem Parteitag in Gotha belustigt, habe<br />
„eine Arbeit geleistet, die h<strong>und</strong>erte von Agitatorinnen nicht zu leisten im Stande<br />
gewesen wären, <strong>und</strong> wir sind dem Vater des Sozialistengesetzes sowie allen Staatsorganen,<br />
die an seiner Durchführung betheiligt waren, vom Minister bis zum<br />
Schutzmann herab, aufrichtig dankbar für ihre unfreiwillige agitatorische Thätigkeit.<br />
Und da wirft man uns Sozialdemokraten Undankbarkeit vor! (Heiterkeit.)“ 236<br />
Auch das diskriminierende Vereinsrecht hatte seinen Zweck nicht erfüllen können. Die Arbeiterin-<br />
nen sind die wahren Sieger geblieben. Alle Verbote konnten die Organisationen der proletarischen<br />
Frauen nicht zerschlagen, sondern hätten „nur darauf hingewirkt, ihr Klassenbewußtsein immer<br />
mehr zu wecken“ 237 . Besonders das Sozialistengesetz bot sowohl in geschlechter- als auch partei-<br />
geschichtlicher Hinsicht Aspekte, die Gemeinsamkeit stiften konnten. Seine Geschichte sprach die<br />
Leserinnen sowohl als Frauen als auch als Parteimitglieder an. Ein emotionaler Aspekt war zudem<br />
unweigerlich gegeben, weil viele Frauen – darunter z. B. Zetkin <strong>und</strong> Ihrer – noch aktiven Anteil<br />
230 Ebd. Zetkin nannte in diesem Artikel Sophie Perowskaja, Jessa Helfmann, Vera Figner, Sophie Bardina, Vera<br />
Sassulitsch, Jewgenia Subotina (1853- nach 1930) bzw. Maria Subotina (1854-1878) (die kursiv hervorgehobenen<br />
Frauen werden noch in Kapitel 4 vorgestellt).<br />
231 Die russischen Revolutionärinnen. In: GL, 02/ 01/ 11.01.1892/ 15.<br />
232 Märtyrerinnentum ist ein wichtiges Moment des Frauenleitbildes der „Klassenkämpferin“, wie es sich in den<br />
„Gleichheit“-Biographien widerspiegelt. Mit ihm einher geht die pseudoreligiöse Definition des revolutionären<br />
Kampfes.<br />
233 Gemeint war hier das Pseudonym Sergei Stepniak, hinter dem sich der Schriftsteller Sergei Michajlovic Kravcinskij<br />
verbarg, der sich in den 1870er Jahren als Narodnik an den revolutionären Kämpfen beteiligte <strong>und</strong> später<br />
nach England emigrierte.<br />
234 Ebd.<br />
235 Ebd.<br />
236 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 164.<br />
237 Ebd., S. 166.<br />
281
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
an der damaligen Bewegungsarbeit in Untergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Exil gehabt hatten <strong>und</strong> sehr lebendig davon<br />
zu erzählen verstanden. Sie verknüpften mit dieser Epoche unermüdlichen Kampfes nicht nur ihre<br />
eigene Persönlichkeitsentwicklung 238 , sondern auch den <strong>weiblichen</strong> Anteil am Werdegang der<br />
gesamten Arbeiterbewegung <strong>und</strong> der Sozialdemokratie.<br />
Bereits 1892 verfasste Zetkin den Artikel „Ungenannte Heldinnen“, 239 den sie, leicht abgeändert,<br />
nochmals 1894 unter dem Titel „Die Frauen <strong>und</strong> das Ausnahmegesetz“ 240 <strong>und</strong> schließlich 1903<br />
unter dem Titel „Die Frauen unter dem Ausnahmegesetz“ 241 in der „Gleichheit“ veröffentlichte.<br />
Anlass für das letztmalige Erscheinen war der 25. Jahrestag des am 21. Oktober 1878 erlassenen<br />
Sozialistengesetzes, das in der SPD auch „Ausnahmegesetz“ oder „Schmachgesetz“ genannt<br />
wurde. In diesem Artikel sprach Zetkin gezielt die Vernachlässigung an, die die Frauen auch in der<br />
SPD-Geschichte bisher erfahren mussten – <strong>und</strong> immer noch erfahren:<br />
„Aber eins haben wir in all den Artikeln vermißt, welche des Unsterblichen<br />
gedachten, das deutsche Proletarier in den Jahren des Ausnahmegesetzes geleistet<br />
haben. Auch nicht ein einziger hat gerecht rühmend den Anteil erwähnt, den die<br />
proletarischen Frauen an dem Kampfe zur Unschädlichmachung <strong>und</strong> Zerschmetterung<br />
des Sozialistengesetzes genommen haben, an den Arbeiten <strong>und</strong> Mühsalen<br />
zum Aufbau einer klassenbewußten proletarischen Bewegung, […]. Und doch<br />
wäre ohne die Mitarbeit, den Mitkampf der Proletarierinnen die Überwindung des<br />
Schmachgesetzes unmöglich gewesen […].“ 242<br />
Erstaunlicherweise war es ausgerechnet die das Sozialistengesetz betreffende Erinnerungskultur<br />
der Parteipresse, die Zetkin gezwungenermaßen kritisieren musste. Trotz dieser den Anteil der<br />
Frauen am Kampf gegen das Sozialistengesetz nicht ausreichend würdigenden Darstellungsweise<br />
blieb Zetkin in ihrem Ton ungewohnt zaghaft – vermutlich wollte sie nicht auch nur den Hauch<br />
eines Verdachtes auf sich ziehen, feministische oder frauenrechtlerische Positionen einzunehmen.<br />
Und so schrieb sie weiter:<br />
Wir entrüsten uns keineswegs darüber, daß Dutzende von Gedenkartikeln schweigend<br />
an den Leistungen der Frauen vorübergegangen sind; wir vermerken es nur.<br />
Es ist der unbewußte, ungewollte, aber sehr bezeichnende Ausdruck einer Tatsache.<br />
Die Herrenstellung des männlichen Geschlechts in der Familie, in Gesellschaft <strong>und</strong><br />
Staat hat beim Manne das Gefühl für die Wertung des stillen Heroismus der Frau<br />
abgestumpft, hat letzterem selbst den Charakter des Selbstverständlichen aufgeprägt,<br />
das im Dunkel der Anonymität bleibt. Was Jahrh<strong>und</strong>ert nach Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
in dieser Hinsicht geschaffen, das kann unmöglich von heute auf morgen verschwinden.<br />
Kein W<strong>und</strong>er deshalb, wenn auch beim Sozialisten der Frau gegenüber<br />
hier <strong>und</strong> da die theoretische, die geschichtliche Einsicht von der Macht des un-<br />
238 Siehe besonders die im Verzeichnis biographischer Literatur genannten autobiographischen Artikel <strong>und</strong> Werke.<br />
239 Ungenannte Heldinnen. In: GL, 02/ 10/ 18.05.1892/ 87-88.<br />
240 Die Frauen <strong>und</strong> das Ausnahmegesetz. In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 164-165.<br />
241 Die Frauen unter dem Ausnahmegesetz. In: GL, 13/ 23/ 04.11.1903/ 178-180.<br />
242 Ebd., S. 178-179.<br />
282
3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />
bewußten Empfindens zurückgedrängt wird: Kurz nachzuholen, was in der<br />
aufgezeigten Beziehung verabsäumt worden ist, dünkt uns eine Pflicht der Gerechtigkeit.“<br />
243<br />
Auch hier zeigt sich die oft an Zetkin <strong>und</strong> an der gesamten proletarischen Frauenbewegung kriti-<br />
sierte „Selbstbescheidung“ 244 bzw. „Selbstzensur“ 245 , die eine die „Klassenharmonie“ gefährdende<br />
Kritik an den männlichen Genossen nicht zulassen wollte.<br />
Doch zurück zum frauengeschichtlichen Inhalt des Artikels. Die Proletarierinnen, deren Männer<br />
sich in der Zeit des Sozialistengesetzes zum Sozialismus bekannten, konnten nach Ansicht Zetkins<br />
in zwei Gruppen eingeteilt werden. Es gab diejenigen Frauen, die aus Sorge um die Existenz ihrer<br />
Familie<br />
„im schleichenden Kleinkrieg mit Bitten <strong>und</strong> Tränen, mit Verwünschungen <strong>und</strong><br />
Vorwürfen, mit Liebkosung <strong>und</strong> Lächeln manche trotzige Männerkraft zermürbt[en]<br />
<strong>und</strong> aufr[ieben]“ 246 .<br />
Und es gab die anderen – die, „die tapfer ihre Tränen hinunterschluckten“ 247 <strong>und</strong> die Versorgung<br />
der Familie selbst in die Hand nahmen, während ihre Ehemänner verhaftet oder ausgewiesen<br />
waren, <strong>und</strong> die, die sogar in einer „Fülle von täglicher geheimer Kleinarbeit“ 248 unentbehrlich für<br />
die Bewegung wurden. 249 Sie waren es, die die Verbindung zwischen den Gesinnungsgenossen<br />
aufrechterhielten, Unterstützungsgelder sammelten, die Polizei in die Irre führten, geheime<br />
Zusammenkünfte vorbereiteten, die verbotene sozialistische Literatur z. B. im Kinderwagen trans-<br />
portierten <strong>und</strong> verteilten. Einige von ihnen (Gertrud Guilleaume-Schack, Emma Ihrer, Pauline<br />
Stägemann, Bertha Hahn, Agnes Wabnitz, Johanne Schackow, Marie Hofmann), die schließlich zu<br />
bedeutenden Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung werden sollten, leisteten erste<br />
Organisationsarbeit unter den Proletarierinnen, vor allem in Form von Vereinen, die jedoch bald<br />
Opfer eines anderen Gesetzes, des Preußischen Vereinsgesetzes, wurden. Auf die vielen<br />
„Ungenannten <strong>und</strong> Unbekannten“ 250 , träfe, so Zetkin weiter, das Wort der altskandinavischen Edda<br />
zu: „‘Viele sind kühn, deren Schwert nicht rot vom Blut aus Feindesbrust.’“ 251<br />
Zetkin war es ein wichtiges Anliegen, ihren Leserinnen zu zeigen, dass Mut <strong>und</strong> Kühnheit nicht<br />
243 Ebd., S. 179.<br />
244 Freier, Dimensionen <strong>weiblichen</strong> Erlebens <strong>und</strong> Handelns, S. 210.<br />
245 Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. IX.<br />
246 Die Frauen unter dem Ausnahmegesetz. In: GL, 13/ 23/ 04.11.1903, S. 179.<br />
247 Ebd.<br />
248 Ebd.<br />
249 Siehe zum Frauenleitbild der sozialistischen Ehefrau Kapitel 4.3.<br />
250 Die Frauen unter dem Ausnahmegesetz. In: GL, 13/ 23/ 04.11.1903, S. 180.<br />
251 Ebd.<br />
283
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
nur auf einem Schlachtfeld oder einer Barrikade bewiesen werden konnten, dass Frauen immer<br />
schon<br />
„instinktiv oder bewußt um der Erlösung ihrer Klasse, ihres Geschlechtes willen<br />
duldeten <strong>und</strong> handelten, den Kampf mit Sorge <strong>und</strong> Entbehrung, mit den Rücken<br />
<strong>und</strong> Tücken der feindseligen Gewalten aufnahmen, im Dienste der Idee der<br />
Menschheitsbefreiung einfach Alltagsarbeit verrichteten“ 252 .<br />
Das, was diese vielen Frauen geleistet haben, hatte seinen Wert für die sozialdemokratische<br />
Bewegung, auch wenn diese Leistungen<br />
„nicht vom Glorienschein des Großartigen <strong>und</strong> Ungewöhnlichen umstrahlt in die<br />
Augen fallen, […] nicht von Dichtern besungen, von Geschichtschreibern gepriesen<br />
werden“ 253 .<br />
So versuchte Zetkin, die wahrlich keine „unbekannte Heldin“ geblieben ist, den „Gleichheit“-<br />
Leserinnen sowohl historisches Wissen zu vermitteln, historische Vorbilder für ein bewusstes poli-<br />
tisches Handeln näher zu bringen als auch gegen den <strong>weiblichen</strong> Geschichtsverlust anzugehen.<br />
Außerdem nutzte sie die Gelegenheit, an die „reinliche Scheidung“ zwischen proletarischer <strong>und</strong><br />
bürgerlicher Frauenbewegung zu erinnern. Ihrer Meinung nach stünden gerade die Frauen<br />
Deutschlands in dem<br />
„sehr zweifelhaften Ruhm, in dem Haus ihre Welt zu finden, in kleinlichen Kochtopfinteressen,<br />
im plattesten Alltagsleben, in den Tücken des fre<strong>und</strong>nachbarlichen<br />
Klatsches aufzugehen, den Pulsschlag der Zeit nicht zu vernehmen“ 254 .<br />
Ein Vorurteil, das sich mittlerweile jedoch nicht mehr auf die durch „ihre Klassenlage […] zum<br />
Interesse an der Allgemeinheit <strong>und</strong> an den großen die Zeit bewegenden Fragen“ 255 erzogene Masse<br />
der werktätigen Frauen beziehen könne. Während die Bildung der höheren Töchter des Bürger-<br />
tums ohnehin oft nur „Talmibildung“ 256 sei, nehme die proletarische Frau immer mehr immer<br />
stärkeren <strong>und</strong> aktiven Anteil an ihrer Umwelt:<br />
„Allein was ihr Verständniß für die großen, Freiheit <strong>und</strong> Kultur für Alle in ihrem<br />
Schooße bergenden Fragen <strong>und</strong> Kämpfe anbelangt, was ihr unbezähmbares Bildungsbedürfniß<br />
anbetrifft, ihre Fähigkeit, zu Gunsten einer Idee Opfer zu bringen,<br />
den persönlichen Vortheil dem Wohl der Allgemeinheit unterzuordnen, so sind die<br />
‘liederlichen Fabriklerinnen’ <strong>und</strong> die ‘rohen Arbeiterweiber’ ihren Schwestern aus<br />
der Bourgeoisie bedeutend überlegen.“ 257<br />
Zetkin konnte jedoch – wie in ihren obigen Ausführungen zu sehen – nicht leugnen, dass diese<br />
Überlegenheit gegenüber den bürgerlichen Frauen durchaus noch nicht allen Proletarierinnen zu-<br />
252 Ebd.<br />
253 Die Frauen <strong>und</strong> das Ausnahmegesetz. In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 164-165, S. 165.<br />
254 Ungenannte Heldinnen. In: GL, 02/ 10/ 18.05.1892/ 87.<br />
255 Ebd.<br />
256 Ebd.<br />
257 Ebd.<br />
284
geschrieben werden konnte. Das, was zumindest<br />
3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />
„viele deutsche Proletarierinnen durch ihr Thun, aber auch durch Dulden <strong>und</strong><br />
Entsagen für die Sache der Arbeiterklasse geleistet haben, mu[sste] Das verzeihen<br />
machen, was leider viele ihrer Schwestern durch Unverstand <strong>und</strong> Engherzigkeit,<br />
durch Gleichgültigkeit oder Feindseligkeit der Arbeiterbewegung gegenüber<br />
gesündigt“ 258 .<br />
Angesichts dieser Frauen, die noch immer nicht für die Sache gewonnen waren, durfte die Agita-<br />
tionsarbeit der proletarischen Frauenbewegung nicht nachlassen. Auch weiterhin musste sie „die<br />
revolutionierenden Ideen bis in den Schoß der Familie“ 259 bringen <strong>und</strong> es mussten<br />
„[w]eibliche Vertrauenspersonen <strong>und</strong> Agitatoren […] mit wahrhaft apostolischer<br />
Begeisterung, den Verfolgungen der Behörden, der Verachtung von seiten der bürgerlichen<br />
Gesellschaft trotzend, die Gedanken des Sozialismus in die fernsten <strong>und</strong><br />
kleinsten Winkel des Reiches“ 260<br />
tragen. Die „Gleichheit“ veröffentlichte neben den Artikeln, die einen größeren Überblick gaben<br />
auch Artikel, die autobiographisch angelegt, einen detaillierteren Einblick in z. B. regionale Par-<br />
teigeschichte <strong>und</strong> Frauenorganisationsgeschichte gewährten. Der von Louise Müller (?-?) 261<br />
verfasste Artikel „Vor 25 Jahren. Erinnerungen einer Genossin“ 262 ist eine autobiographisch unter-<br />
malte Beschreibung der frühen Frauenorganisationsarbeit in Nürnberg, der Gründung eines<br />
Frauenvereins, seines Arbeitsalltags, seiner Überwachung, der Überlisten der Polizei, der mutigen<br />
Beteiligten, der Gerichtsverfahren <strong>und</strong> der Strafen.<br />
Darüber hinaus gab es eine sehr große Zahl von Artikeln, die die gegenwärtige Situation der<br />
Arbeiterinnen unter politischen <strong>und</strong> rechtlichen Gesichtspunkten kritisierten <strong>und</strong> sich dafür<br />
historischer Bilder <strong>und</strong> Vergleiche bedienten. Es wurden die Missstände der Gegenwart mit sol-<br />
chen der Vergangenheit verglichen. So wies Zetkin zum Beispiel in ihrem 1895 veröffentlichten<br />
Artikel „Jus primae noctis im letzten Viertel des XIX. Jahrh<strong>und</strong>erts in Preußen“, auf das Schicksal<br />
vieler Dienstmädchen hin, die von ihren Arbeitgebern vergewaltigt worden waren. Zetkin verglich<br />
258 Ebd.<br />
259 Blos, Anna: Der Einfluß der Frauen auf die Entwicklungsgeschichte der Menschheit. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/<br />
124-125, S. 125.<br />
260 Ebd.<br />
261 Louise Müller, geb. Fischer, wurde in Nürnberg geboren. Ihr Vater war bekennender Sozialdemokrat <strong>und</strong> brachte<br />
ihr die politischen Ideen näher. Sie arbeitete in einer Steindruckerei <strong>und</strong> engagierte sich in der Gewerkschaft, auch<br />
als Rednerin. 1892 gründete Müller den Frauen- <strong>und</strong> Mädchenbildungsverein mit. Dieser wurde 1895 verboten<br />
<strong>und</strong> Müller gemeinsam mit den anderen Vorstandsmitgliedern zu Geld- <strong>und</strong> Haftstrafen verurteilt, die jedoch<br />
durch eine Amnestie aufgehoben wurden. 1893 siedelte sie nach Stuttgart über. Dort war sie oft neben Zetkin die<br />
einzige weibliche Teilnehmerin in den Mitgliederversammlungen der Partei, obwohl das württembergische<br />
Vereinsrecht die Teilnahme von Frauen nicht verbot (diese detaillierten biographischen Informationen gehen aus<br />
keinem der herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken hervor, sondern vgl. Müller, Louise: Vor 25<br />
Jahren. Erinnerungen einer Genossin. In: GL, 30/ 22/ 29.05.1920/ 176-178).<br />
262 Müller, Louise: Vor 25 Jahren. Erinnerungen einer Genossin. In: GL, 30/ 22/ 29.05.1920/ 176-178.<br />
285
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
die Gesindeordnung, die solche Verbrechen möglich machte, mit dem mittelalterlichen Recht,<br />
welches dem Feudalherren das „ius primae noctis“ – „das Recht der ersten Nacht“ – einräumte. 263<br />
Der Unterschied zur Situation der <strong>weiblichen</strong> Leibeigenen im Mittelalter bestand aber vor allem<br />
darin, dass die aus den Vergewaltigungen der Dienstmädchen entstandenen Kinder unehelich<br />
waren, was in der Regel ihre schlechte Versorgung <strong>und</strong> häufig sogar ihren frühen Tod bedeutete.<br />
Für die Zeit des Ersten Weltkrieges lässt sich ein deutlicher Rückgang der in der „Gleichheit“<br />
abgedruckten Artikel geschichtlichen <strong>und</strong> frauengeschichtlichen Inhalts feststellen. Die „Gleich-<br />
heit“-Redaktion kritisierte den Krieg auf mehreren Ebenen <strong>und</strong> musste stets Vorsicht walten<br />
lassen, damit die jeweilige Nummer nicht beschlagnahmt wurde. Sie ging der Frage nach „[w]ie<br />
es zu Kriegen kommt“ 264 <strong>und</strong> befasste sich mit der „Soziologie des Krieges“ 265 . Artikel, die in<br />
Anlehnung an revolutionäre Geschichte die Leserinnen zum Handeln aufforderten, konnten selten<br />
erscheinen. Nach dem Krieg gestaltete sich ein Bezug auf die Geschichte der eigenen Bewegung<br />
<strong>und</strong> dem <strong>weiblichen</strong> Anteil daran in der Form, wie er oben von Zetkin dargestellt wurde, deutlich<br />
unkritischer. Den Leserinnen wurden außerdem deutlich mehr kulturgeschichtliche Inhalte – sich<br />
zum Teil deutlich am Werke Bebels orientierend – geboten. 266 Jetzt war es vor allem die Arbeit der<br />
Frauen an der Heimatfront, die von ihnen geleistete „Friedensarbeit“, die von den AutorInnen der<br />
„Gleichheit“ hervorgehoben wurde. Und es war vor allem das aktive <strong>und</strong> passive Wahlrecht, dem<br />
man sogar in zweierlei Hinsicht historische Bedeutung zumaß:<br />
„In dem Augenblick ist nun auch der Einfluß der Frauen auf die Geschichte<br />
gesichert. Sie sitzen in den Parlamenten <strong>und</strong> helfen Gesetze schaffen, die dem<br />
Wohle der ganzen Menschheit dienen sollen. […] Daß uns Frauen die Möglichkeit<br />
eines solchen Wirkens gegeben ist, das danken wir dem Einfluß der vielen unbekannten<br />
Geschlechtsgenossinnen, die seit Jahrh<strong>und</strong>erten all die Fäden gesponnen<br />
<strong>und</strong> geschürzt haben zu dem Gewebe, das wir die Entwicklungsgeschichte der<br />
Menschheit nennen.“ 267<br />
Blos gehörte zur Mehrheitssozialdemokratie. Ihre Schlussfolgerung verdeutlicht diese politische<br />
Position <strong>und</strong> spiegelt eine gewisse Naivität wieder, in der sie die Bedeutung des Frauenwahlrechts<br />
stark überhöhte. Frauen hatten Historisches geleistet – aus Sicht der Mehrheitssozialdemokratie<br />
263 Jus primae noctis im letzten Viertel des XIX. Jahrh<strong>und</strong>erts in Preußen. In: GL 05/ 11/ 29.05.1895/ 87-88.<br />
264 l. ch.: Wie es zu Kriegen kommt. In: GL, 25/ 07/ 21.12.1914/ 33-35.<br />
265 Röttcher, Fritz: Zur Soziologie des Krieges. In GL, 25/ 23/ 06.08.1915/ 150-152; GL, 25/ 24/ 20.08.1915/ 160-<br />
161; GL, 25/ 25/ 03.09.1915/ 167.<br />
266 Sommer, Br.: Die Anfänge der Töpferei. In: GL, 29/ 03/ 08.11.1918/ 21-23; Blos, Anna: Alt-Weimarer Tage. In:<br />
GL, 29/ 14/ 11.04.1919/ 109-111; Heilbut, Kurt: Die Urform der Ehe. In: GL, 29/ 45/ 46/ 27.12.1919/ 357-358;<br />
ders.: Mutterrecht. In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 342-343.<br />
267 Blos, Anna: Der Einfluß der Frauen auf die Entwicklungsgeschichte der Menschheit. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/<br />
286<br />
125.
3.2 FRAUENGESCHICHTE IN DER „GLEICHHEIT“<br />
vor allem als Stützen der „Burgfriedenpolitik“ – <strong>und</strong> die gesetzliche Gleichberechtigung stand<br />
ihnen zu. Als Wählerinnen <strong>und</strong> Politikerinnen der Weimarer Republik passten sie sich einem<br />
System an, dasjenige nicht das war, wofür die sozialistische Frauenbewegung bisher gekämpft<br />
hatte. Die Entwicklung, die die Frage der Emanzipation der Frauen damit genommen hatte, wurde<br />
aber von ihren klassenbewussteren Verfechterinnen durchaus skeptisch beurteilt. Rückblickend<br />
klagte Zetkin 1928 verbittert:<br />
„Die deutsche proletarische Frauenbewegung hat ihr gerüttelt Maß Anteil an dem<br />
Verfall, dem Niedergang der Sozialdemokratischen Partei. Sie ist von einer<br />
tapferen, zielklaren Kämpferin für den revolutionären Marxismus in der II. Internationale<br />
zu einer gehorsam dienstbaren, fleißigen Magd des Reformismus<br />
geworden, die auf selbständiges Prüfen, Urteilen <strong>und</strong> Handeln verzichtet.“ 268<br />
Zwar bot die „Gleichheit“ ihren Leserinnen nun nicht mehr in der früheren Art die Geschichte<br />
revolutionärer Kämpfe als vorbildlich dar, aber die SPD-Frauenbewegung behandelte sie weiter-<br />
hin in ihren Veranstaltungen <strong>und</strong> Organisationen. Die Vielfalt der Vortragsthemen – jedoch nicht<br />
die genaue Relation ihrer Häufigkeit – ergibt sich aus einer Zusammenstellung, die Juchacz 1922<br />
aus Berichten der Ortsgruppen anfertigte <strong>und</strong> in der „Gleichheit“ veröffentlichte. Sie gab ihrem<br />
Artikel den Titel „Das geistige Leben unserer Frauenbewegung 1921/22“ 269 <strong>und</strong> die darin im<br />
weitesten Sinne historischen Themen waren:<br />
Das Kommunistische Manifest; Die Frauen der französischen Revolution; Ihr sollt nicht ver-<br />
gessen; Die Frau in der Urgesellschaft; Die Frau in früheren Zeiten; Geschichtlicher Ueberblick<br />
über die Stellung der Frau in der menschlichen Gesellschaft; Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus; Das<br />
Frauenrecht im Wandel der Zeiten; Die Götterwelt der Griechen <strong>und</strong> Römer; Urchristentum<br />
Frauenschicksale. 270<br />
Biographisch hatten sich die Ortsgruppen mit folgenden „Vorkämpfern des Sozialismus“ 271<br />
beschäftigt: Ignaz Auer, August Bebel, Wilhelm Liebknecht, Ferdinand Lassalle, Rosa<br />
Luxemburg, Ottilie Baader, Mary Wollstonecraft <strong>und</strong> Luise Otto-Peters. Diese Zusammensetzung<br />
wirkt erstaunlich ausgeglichen – sowohl hinsichtlich des Geschlechts als auch der politischen<br />
Position der Personen. Der größere Teil der Zusammenstellung, der hier nicht dargestellt werden<br />
kann, betraf, so Juchacz, diejenigen Interessen der Frauen, die ihnen aus ihren gegenwärtigen<br />
Nöten erwuchsen. Aus der gegenwärtigen Situation komme „das Bestreben, einzudringen in die<br />
Zusammenhänge des Wirtschaftslebens <strong>und</strong> der sozialen Gemeinschaft der Menschen im Staat“.<br />
268 Zetkin, Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands, S. 13.<br />
269 Juchacz, Marie: Das geistige Leben in unserer Frauenbewegung 1921/22. In: GL, 32/ 17-18/ 01.09.1922/ 159-160.<br />
270 Entnommen: Ebd.<br />
271 Ebd., S. 160.<br />
287
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Und Juchacz betonte, dass wiederum „[z]um Verstehen der Gegenwart […] man die Kenntnis der<br />
Vergangenheit“ 272 brauche. Was demnach die „Gleichheit“ vernachlässigte, wurde in den örtlichen<br />
Veranstaltungen, im „Willen der Selbstbildung zum Sozialismus“ 273 , stärker betrieben: Der<br />
Rückgriff auf revolutionäre <strong>und</strong> biographische Frauengeschichte – der Themenzusammenstellung<br />
nach sogar ohne direkten Rückgriff auf die 1848er-Revolution.<br />
Vorrangig blieb die staatsbürgerliche Schulung der Frau. Das Wahlrecht sollte es Arbeitern <strong>und</strong><br />
Arbeiterinnen nun ermöglichen, den Geschichtsverlauf auch ohne weitere Revolutionen zu be-<br />
stimmen. Dass sich die Frauen zugleich mit ihrem Wahlrecht den Einfluss auf die Geschichte oder<br />
gar auf die Geschichtsschreibung gesichert hätten, wie oben von Blos prophezeit, muss an dieser<br />
Stelle jedoch bezweifelt werden.<br />
272 Ebd., S. 159.<br />
273 Ebd., S. 160.<br />
288
3.3 Frauenleitbilder in der „Gleichheit“<br />
3.3.1 Was ist ein Leitbild – wie wird es konstruiert <strong>und</strong> welche Funktion erfüllt es?<br />
Wie der im Oktober 2000 öffentlich <strong>und</strong> vehement diskutierte Begriff der „Leitkultur“ ist auch<br />
der Begriff des „Leitbildes“ <strong>und</strong> seine Bedeutung für Bildung <strong>und</strong> Erziehung sehr umstritten.<br />
BefürworterInnen sprechen von ihm im Sinne einer Orientierungshilfe <strong>und</strong> heben seinen<br />
Beitrag für die Harmonisierung der Gesellschaft hervor. Seine KritikerInnen warnen vor<br />
Anpassungszwang, Indoktrination <strong>und</strong> einer Bedrohung der Menschenwürde.<br />
Bereits 1967 stellte Theodor W. Adorno den doktrinären Charakter eines Leitbildes in den<br />
Mittelpunkt eines bezeichnender Weise den Titel „Ohne Leitbild“ tragenden Werkes. Er ist der<br />
Meinung, dass allein dem Wort „Leitbild“ ein „leise[r] militärische[r] Klang“ 274 innewohne <strong>und</strong><br />
bezeichnet die Suche nach Leitbildern polemisch als „Leitbildnerei“ 275 . Adorno, dessen Aus-<br />
führungen sich auf die bildenden Künste beziehen, urteilt über das, „was es mit dem Ruf nach<br />
Leitbildern auf sich hat“ 276 , wie folgt:<br />
„Schreit man nach ihnen, so sind sie bereits nicht mehr möglich; verkündigt<br />
man sie aus dem verzweifelten Wunsch, so werden sie zu blinden <strong>und</strong> heteronomen<br />
Mächten verhext, welche die Ohnmacht nur noch verstärken <strong>und</strong><br />
insofern mit der totalitären Sinnesart übereinstimmen. In den Normen <strong>und</strong> Leitbildern,<br />
die fix <strong>und</strong> unverrückbar den Menschen zur Orientierung einer<br />
geistigen Produktion, deren innerstes Prinzip doch Freiheit ist, verhelfen sollen,<br />
spiegelt sich bloß die Schwäche ihres Ichs gegenüber Verhältnissen, über die sie<br />
nichts zu vermögen meinen, <strong>und</strong> die blinde Macht des nun einmal so Seienden.“<br />
277 [Hervorhebungen von M.S.]<br />
Indem sie ihnen geeignete Leitbilder <strong>und</strong> die Theorie des historischen Materialismus näher<br />
brachte, wollte die „Gleichheit“ ihren Anhängerinnen jedoch gerade die Wandelbarkeit der<br />
Verhältnisse aufzeigen.<br />
Vormschlag zeigt in ihrer publizistischen Studie „Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer<br />
Frauenzeitschriften der SPD, der USPD, der KPD in den Jahren 1890-1933 <strong>und</strong> der NSDAP in<br />
den Jahren 1932-1945“ diejenigen Mechanismen auf, die der Konstruktion eines Leitbildes zu<br />
Gr<strong>und</strong>e liegen. Der Begriff „Leitbild“ sei in seiner Bedeutung prinzipiell mit „Stereotyp“,<br />
„Vorurteil“ <strong>und</strong> „Image“ identisch <strong>und</strong> sie alle, so Vormschlag,<br />
„umschreiben letztlich denselben Prozeß, ein Überschaubarmachen der Umwelt<br />
<strong>und</strong> ein Verschließen von Informationslücken, dadurch daß einzelne Strukturen<br />
274 Adorno, Ohne Leitbild, S. 7.<br />
275 Ebd., S. 15.<br />
276 Ebd., S. 13.<br />
277 Ebd., S. 13-14.<br />
289
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
der Realität hervorgehoben, andere verkürzt <strong>und</strong> vernachlässigt werden“ 278 .<br />
Im Gr<strong>und</strong>e genommen, so die Konsequenz aus jener Definition, ist sogar „jegliches menschliche<br />
Tun leitbildhaft gesteuert“ 279 . Damit die für die Konstruktion eines Leitbildes notwendigen<br />
Informationen nicht ins Leere laufen, sondern als Orientierung funktionieren können, bedarf es<br />
eines „hohen Grad[es] von Verständlichkeit“ 280 . Laut Vormschlag tragen die Simplifizierungen<br />
<strong>und</strong> Generalisierungen, die z. B. in Form von Vorurteilen, Leitbildern, Stereotypen <strong>und</strong> Images<br />
auftreten, im Rahmen jeder Erziehung 281 – vor allem aber wenn es sich um propagandistische<br />
Erziehung handele – zur Uniformität der Individuen in einer Kultur bei. 282<br />
In diesem Zusammenhang sind Sprache <strong>und</strong> Kommunikation von zentraler Bedeutung. So birgt<br />
die Nutzung moderner Medien für die Konstruktion, Popularisierung <strong>und</strong> Verankerung eines<br />
Leitbildes enorme Möglichkeiten. Medien, bereits existierende <strong>und</strong> neu zu konstruierende Leit-<br />
bilder <strong>und</strong> die Erwartungshaltung des Publikums greifen ineinander <strong>und</strong> verstärken sich gegen-<br />
seitig. 283 Gerade für die Zeitschriften der Frauenbewegung – der bürgerlichen wie auch der<br />
sozialistischen – stellt Vormschlag jedoch fest, dass sie<br />
„neue Verhaltensmuster lediglich in dem Ausmaß durchsetzen können, als sie mit<br />
den in einer Zeit bestehenden Maßstäben nicht in Konflikt geraten. Als Initiator<br />
wird eine Zeitschrift fungieren können, wenn bereits Erwartungsmaßstäbe<br />
existieren, die eine Neuerung begünstigen.“ 284<br />
Besonders hinsichtlich der Formulierung von Leitbildern stehen das Neue <strong>und</strong> das Bestehende in<br />
einem markantem Wechselverhältnis. Nipperdey stellt z. B. einen für das 19. Jahrh<strong>und</strong>ert ty-<br />
pischen Prozess der „Feminisierung der Frau“ 285 fest <strong>und</strong> im Zuge dieser Überfeinerung<br />
verstärkten sich gegenseitig die vermeintlich geschlechtsspezifischen Eigenschaften <strong>und</strong> das dazu-<br />
gehörige Frauenleitbild:<br />
„[D]ie Frauen sind zart, schwach, delikat, nervös, leicht kränklich, leiden zumal an<br />
Kopfschmerzen – <strong>und</strong> weil sie so gesehen werden, werden manche oder viele auch<br />
wirklich so.“ 286<br />
Das Bild der ohnmächtig dahinsinkenden Frau ist demnach zu einem großen Teil Auswirkung<br />
278 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 24.<br />
279 Ebd.<br />
280 Ebd., S. 23.<br />
281 Vormschlag hebt zur Verdeutlichung ihrer Thesen den Unterschied zwischen „Erziehung“ als einer Form der<br />
Einwirkung, Übung <strong>und</strong> Gewöhnung <strong>und</strong> „Bildung“ als durch theoretische Einsicht geleitetes Lernen hervor (vgl.<br />
ebd, S. 84).<br />
282 Ebd.<br />
283 Vgl. ebd., S. 27f.<br />
284 Ebd., S. 250.<br />
285 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866, S. 120.<br />
286 Ebd.<br />
290
3.3.1 WAS IST EIN LEITBILD – WIE WIRD ES KONSTRUIERT UND WELCHE FUNKTION ERFÜLLT ES?<br />
eines Frauenleitbildes. Zudem entwickelte sich aus dieser Überfeinerung die Vorstellung, dass für<br />
Frauen nicht alles gut <strong>und</strong> damit auch nicht alles erlaubt sei. Die Konsequenz daraus war, dass der<br />
Mann darüber befinden konnte, mit welchen Dingen sich die Frau beschäftigen durfte <strong>und</strong> mit<br />
welchen nicht – <strong>und</strong> dies alles im sicheren Gefühl, die Frau lediglich zu beschützen.<br />
So wie die Sprache <strong>und</strong> ihre Medien – wie z. B. eine Zeitschrift – bedient sich auch die<br />
Konstruktion eines Leitbildes der Vereinfachung, der Wiederholung, verschiedener Standardi-<br />
sierungen <strong>und</strong> damit auch einer gewissen Konformität. 287 Während Sprache verschiedenartige<br />
Informationen impliziert, impliziert ein Leitbild jedoch weit mehr. Es zielt darauf ab, heterogene<br />
Gruppen zu homogenisieren. Zu diesem Zweck muss es „individueller Projektion <strong>und</strong> gruppen-<br />
spezifischer Identifikation“ 288 [Hervorhebung von M.S.] Raum bieten. Ein Leitbild ist<br />
„‘ein komplexes, auf Mit- <strong>und</strong> Umwelt wirkendes dynamisches System, das aus<br />
der wechselseitigen Integration von individuellen <strong>und</strong> gruppenspezifischen Erwartungen,<br />
Normen, Einstellungen, Vorstellungen, bewußten <strong>und</strong> unbewußten<br />
Motivationslagen <strong>und</strong> den diesen adäquaten objektiven <strong>und</strong> psychologischen Angeboten<br />
entspringt‘“ 289 .<br />
Jedoch bot allein die Tatsache, dass alle Frauen des deutschen Kaiserreichs aufgr<strong>und</strong> ihres<br />
Geschlechtes unterdrückt wurden, keine gemeinsame Motivationslage <strong>und</strong> keine Homogenität.<br />
Auch wenn Frauen gr<strong>und</strong>sätzliche gemeinsame Interessen <strong>und</strong> Bedürfnisse hatten, musste die<br />
proletarische Frauenbewegung als Voraussetzung für ein Gelingen des Loslösungsprozesses von<br />
den bürgerlichen Frauen- <strong>und</strong> Wohltätigkeitsorganisationen ein prägnantes Leitbild konstruieren.<br />
Ein Leitbild, das nicht nur kommuniziert, sondern auch verinnerlicht werden sollte. Mit Kritik an<br />
den bürgerlichen Frauenidealen allein war der Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung<br />
nicht gedient. 290 Die proletarische Frauenbewegung musste Alternativen bzw. Weiterentwick-<br />
lungen aufzeigen. Methodisch bediente sie sich dabei genauso wie die bürgerliche Gesellschaft<br />
der Strategie der Idealisierung, die sowohl „eine Strategie der Ausgrenzung“ 291 wie auch eine Stra-<br />
tegie der Identitätsstiftung ist.<br />
287 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 22.<br />
288 Ebd., S. 24.<br />
289 Bergler, Reinhold: Psychologie stereotyper Systeme. Ein Beitrag zur Sozial- <strong>und</strong> Entwicklungspsychologie. Bern,<br />
Stuttgart: Huber, 1966, S. 57. Zit. nach: Ebd., S. 25-26.<br />
290 Beispiel für das geltende bürgerlich-konservative Frauenideal ist eine 1899 von einer Berliner Illustrierten<br />
durchgeführte Umfrage, welches die wichtigste Frau des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts sei. Die Mehrheit der Stimmen fiel auf<br />
Königin Luise von Preußen (1776-1810) (vgl. Luckhardt, Die Frau als Fremde, S. 103). Eine zwölf Jahre später<br />
von Wilhelm II. gehaltene Rede, in welcher dieser ebenfalls hervorhob, dass seine Urgroßmutter Luise Vorbild für<br />
jede Frau sein müsse, gab der „Gleichheit“ Gelegenheit für starke Kritik an dessen Frauenleitbild (vgl. <strong>Von</strong> der<br />
stillen Arbeit der Frau im Hause. … In: GL, 21/ 24/ 28.08.1911/ 314).<br />
291 Luckhardt, Die Frau als Fremde, S. 99.<br />
291
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
3.3.2 Die sozialistische Frauenemanzipationstheorie, proletarische Frauenleitbilder <strong>und</strong> die<br />
moderne Kritik daran<br />
Es waren vorwiegend bürgerliche Frauenleitbilder <strong>und</strong> bürgerliche Werte, die die überwiegende<br />
Zahl der Frauen des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts verinnerlicht hatte. Ob heimarbeitende Kleinbürgerin oder<br />
erwerbstätige Arbeiterfrau – die meisten Frauen strebten, ohne es zu hinterfragen, solchen Ideal-<br />
bildern wie z. B. dem der gut wirtschaftenden Hausfrau nach. Sparsamkeit, Ordnung <strong>und</strong> Fleiß<br />
wurden als Tugenden verinnerlicht <strong>und</strong> wo dies noch nicht oder nur ungenügend der Fall war,<br />
richteten VertreterInnen der bürgerlichen Gesellschaft Haushaltungskurse ein, die sich an die<br />
Frauen des Proletariats richteten. Vordergründig taten sie dies, um das Lebensniveau ärmerer<br />
Bevölkerungsteile zu heben, aber damit einhergehend wurden bürgerliche Leitbilder auf die<br />
proletarische Lebenshaltung übertragen. 292 Diese individualisierende Sichtweise des Bürgertums<br />
auf die Versorgungsprobleme einzelner proletarischer Familien reflektierte jedoch weder die<br />
stereotype Rolle der Frau als „Hüterin von Heim <strong>und</strong> Herd“ noch die Ursachen der kaum noch zu<br />
ignorierenden Unterversorgung <strong>und</strong> Verelendung weiter Teile der Bevölkerung. Eine wirkliche<br />
Erkenntnis der Ursachen der zunehmenden Verelendung war vom Bürgertum allerdings auch<br />
kaum zu erwarten, lagen diese letztlich doch in dem von ihm gestützten kapitalistischen System<br />
<strong>und</strong> konnten daher auch nur durch eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft behoben<br />
werden.<br />
Auch die Frauen, die – egal welcher Klasse oder Schicht sie angehörten – in „eingeübten <strong>und</strong><br />
tradierten Beziehungssystemen zu Eltern, Ehemann, Familie <strong>und</strong> Kindern“ 293 lebten, hinterfragten<br />
diese Systeme kaum. Weber-Kellermann konstatiert in ihren Darstellungen zum Frauenleben im<br />
19. Jahrh<strong>und</strong>ert sogar, dass es viele Frauen gab, „die in ihrer Lebensbegrenzung durchaus<br />
glücklich waren <strong>und</strong> Abhängigkeit <strong>und</strong> Unterwerfung liebten“ 294 . Sie waren nach geltenden Wert-<br />
<strong>und</strong> Moralvorstellungen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft sozialisiert, hatten geltende<br />
Ideale verinnerlicht <strong>und</strong> „kannten“ es demnach nicht anders. Jedoch taten sich in allen Epochen<br />
neue Perspektiven auf, waren die Strukturen nicht fest gefügt, sondern im Wandel. Der „Rhyth-<br />
mus“ 295 dieses Wandels, so Weber-Kellermann, wurde neben den wirtschaftlichen Bedingungen<br />
auch von der „Kraft der Vorbilder“ 296 bestimmt.<br />
292 Vgl. Tornieporth, Proletarische Frauenleben <strong>und</strong> bürgerlicher Weiblichkeitsmythos, S. 324ff.<br />
293 Weber-Kellermann, Frauenleben im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert, S. 230.<br />
294 Ebd.<br />
295 Ebd.<br />
296 Ebd.<br />
292
3.3.2 DIE SOZIALISTISCHE FRAUENEMANZIPATIONSTHEORIE, PROLETARISCHE FRAUENLEITBILDER UND DIE MODERNE KRITIK DARAN<br />
Ein solches die Gesellschaft verwandelndes Vorbild entwarf die sozialistische Frauenemanzi-<br />
pationstheorie – vor allem in Form alternativer Leitbilder. Für die gegenwärtige Lebenssituation<br />
der Proletarierinnen konnte von Bebel <strong>und</strong> Zetkin in verschiedener Hinsicht keine positive Bilanz<br />
gezogen werden. Proletarische Frauen waren nicht nur deshalb „ideale“ Opfer kapitalistischer<br />
Unterdrückung, weil sie über eine geringe Bildung verfügten, sie besaßen laut Bebel <strong>und</strong> Zetkin<br />
zudem auch besonders hemmende Charaktereigenschaften – da sie zu sehr sie im Familien-<br />
egoismus verhaftet seien <strong>und</strong> „im Allgemeinen kein Solidaritätsgefühl“ 297 besäßen. Laut Luckardt<br />
setzten Bebel <strong>und</strong> Zetkin damit aber Stereotypen, „naturgegebene[…], wesensimmanente[…]<br />
Konstanten des Weiblichen“ 298 , voraus. Während Puschnerat der Meinung ist, es sei Zetkins Über-<br />
zeugung gewesen, dass die proletarische Frau gegenüber dem proletarischen Mann von Natur aus<br />
immer ein Mängelwesen ist 299 , betont Luckardt im Gegensatz zu Puschnerat, aber auch zu ihrer<br />
obigen eigenen Feststellung, dass „die sozialistische Theorie nicht von einem naturgegebenen <strong>und</strong><br />
damit unveränderbaren Wesen der Frau ausgeht, sondern von einem durch Kultur sozialisier-<br />
ten“ 300 . <strong>Von</strong> diesem Standpunkt aus, so Luckhardt weiter, sei die Frau in der proletarischen<br />
Frauenbewegung vorwiegend als „ein Objekt der Aufklärung <strong>und</strong> Erziehung“ 301 gesehen worden.<br />
Widersprüche zeigen sich demnach auch innerhalb der neueren Interpretationen der sozialis-<br />
tischen Emanzipationstheorie. Beide Einstellungen erklären außerdem nicht, warum die Frau ihrer<br />
eigenen Ausbeutung <strong>und</strong> der ihrer Geschlechtsgenossinnen keinen aktiven Widerstand entgegen-<br />
setzte, sondern „gehorsam <strong>und</strong> fügsam“ 302 in einem passiven Zustand der Erduldung verharrte.<br />
Luckhardts Feststellung der sozialisationsbedingten Eigenschaften der Frau, verweist m. E. jedoch<br />
weniger auf eine Reduzierung der Frau als Belehrungsobjekt als vielmehr auf deren Möglich-<br />
keiten, durch individuelle Weiterentwicklung vorgegebene Grenzen zu durchbrechen. Ein aus-<br />
schließlich naturgegebenes Wesen würde dagegen jede Möglichkeit der Weiterentwicklung<br />
obsolet machen. Das sozialistische Bildungsideal ging davon aus, dass es die Proletarierin bei<br />
ausreichender Zeit <strong>und</strong> entsprechenden Lebensbedingungen selbst in der Hand hatte, sich, ihrer<br />
Familie <strong>und</strong> letztlich ihrer Klasse den Weg zum Sozialismus zu ebnen. Sie musste sich dafür „nur“<br />
der politischen Aufklärung öffnen. Politische Aufklärung war der proletarischen Frauenbewegung<br />
Bildungsmittel sowie Bildungsziel. Einerseits mussten Proletarierinnen erst ihrer eigenen<br />
297 Zetkin, Klara: Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus von Bebel. In: Arbeiterin, 01/ 16/ 18.04.1891.<br />
298 Luckhardt, Die Frau als Fremde, S. 110.<br />
299 Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 139.<br />
300 Luckhardt, Die Frau als Fremde, S. 110.<br />
301 Ebd.<br />
302 Zetkin, Klara: Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus von Bebel. In: Arbeiterin, 01/ 16/ 18.04.1891.<br />
293
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Lebenslage bewusst geworden sein, um ein erstes Interesse für Politik zu entwickeln. Andererseits<br />
mussten sie ein gewisses Interesse für Politik entwickelt haben, um über den eigenen „Tellerrand“<br />
hinaus schauen zu können. Im Mittelpunkt proletarischer Frauenbildung stand immer eine poli-<br />
tische Zielsetzung. Nicht die Lebensqualität einzelner galt es zu heben, sondern die Lebensqualität<br />
aller.<br />
Die für eine politische Aufklärung nicht unwesentliche Eigenschaft der Gelehrigkeit <strong>und</strong> Auf-<br />
merksamkeit sah Zetkin durch die Erwerbstätigkeit gefördert. 303 Bebel, Zetkin <strong>und</strong> die SPD sahen<br />
in der <strong>weiblichen</strong> Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> der daraus resultierenden Organisation ihrer Interessen <strong>und</strong><br />
ihrer politischen Bildung die geeignetsten Mittel zur Emanzipation der Frau. Doch durfte keines-<br />
falls der Eindruck entstehen, es sei<br />
„Aufgabe der sozialistischen Frauenagitation […], die proletarische Frau ihren<br />
Pflichten als Mutter <strong>und</strong> Gattin zu entfremden; im Gegenteil, sie muß darauf wirken,<br />
daß sie diese Aufgabe besser erfüllt als bisher“ 304 [Hervorhebung von M.S.].<br />
So weist auch hier der Begriff der „Entfremdung“ wieder auf die gr<strong>und</strong>sätzliche Annahme hin,<br />
dass die Pflichten als Mutter <strong>und</strong> Gattin naturgegeben seien. 305 Zudem vermochten es die Ver-<br />
treterinnen der proletarischen Frauenbewegung, den männlichen Genossen hinsichtlich ihres<br />
gewohnten Frauen- <strong>und</strong> Familienbildes ihre Bedenken zu nehmen. Ihrem Ehemann sollte die<br />
Proletarierin „Genossin seiner Ideale“ 306 sein <strong>und</strong> ihren Kindern „Erzieherin <strong>und</strong> Bildnerin“ 307 . Die<br />
proletarische Frau musste damit vielen an sie gestellten Erwartungen gerecht werden. Nach<br />
Meinung Puschnerats habe Zetkin damit lediglich „herkömmliche Rollenzuschreibungen unter<br />
sozialistischer Etikettierung“ 308 präsentiert. Tatsächlich war die sozialistische Frauenemanzipa-<br />
tionstheorie nicht Gr<strong>und</strong>lage für die Loslösung der Frau von all ihren bisherigen Aufgaben. Sie<br />
sollte Gr<strong>und</strong>lage sein für eine sozialistische Gesellschaft, in der<br />
„die Frau als gleichberechtigte, gleich schaffende <strong>und</strong> gleich strebende, mit dem<br />
Manne vorwärtsschreitende Gefährtin ihre Individualität als Mensch zusammen<br />
ausleben, gleichzeitig aber auch ihre Aufgabe als Gattin <strong>und</strong> Mutter im höchsten<br />
Maße erfüllen“ 309<br />
könne. Zetkin zog zur Verdeutlichung dieser zukünftigen Form der Vergesellschaftung durchaus<br />
303 Vgl. ebd.<br />
304 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 166.<br />
305 Siehe: Nicolaides, Der Entfremdungsbegriff in der Marxschen Theorie auf kleinbürgerliche <strong>und</strong> proletarische<br />
Frauenbewegungen um 1900.<br />
306 Julie Bebel †. In: GL, 21/ 05/ 21.11.1910/ 68.<br />
307 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 166.<br />
308 Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 146.<br />
309 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 167.<br />
294
3.3.2 DIE SOZIALISTISCHE FRAUENEMANZIPATIONSTHEORIE, PROLETARISCHE FRAUENLEITBILDER UND DIE MODERNE KRITIK DARAN<br />
Parallelen zur Antike <strong>und</strong> deren Menschenideal. 310 Auch darin unterschied sich ihre Vorstellung<br />
nicht von den bürgerlich-humanistischen Vorstellungen ihrer Zeit, für die die Antike stets das<br />
Gegenbild zur Zerrissenheit <strong>und</strong> Entfremdung in der modernen bürgerlichen Gesellschaft<br />
darstellte, in dem Kunst <strong>und</strong> Leben wieder zusammen fanden, in der die Gestaltung des Lebens<br />
selbst zur höchsten Kunst wurde. Entsprechend dem sozialistischen Ideal sollte dies aber weder<br />
Privileg einer bestimmten Klasse, eines bestimmten Geschlechts noch einer bestimmten Nation<br />
sein, sondern auf der Gr<strong>und</strong>lage der entfalteten Produktivkräfte zum Menschenrecht schlechthin<br />
werden. An die Stelle der Ausbeutung menschlicher Arbeitskräfte sollte „die Sklaverei von Stahl<br />
<strong>und</strong> Eisen, die Leistungen der von der menschlichen Erkenntniß gebändigten Naturkraft“ 311 treten.<br />
Auch für die Proletarierinnen galt daher, dass das „Reich der Freiheit“ nur auf dem „Reich der<br />
Notwendigkeit“ 312 aufgebaut sein konnte, <strong>und</strong> von der von Marx vorgeschlagenen rationalen Ge-<br />
staltung dieses „Reichs der Notwendigkeit“ sollten auch die Frauen nicht ausgeschlossen sein. Im<br />
Gegenteil:<br />
„Und die Sozialdemokraten schreiten vorwärts; aber erst, wenn die Masse der<br />
Frauen zu Ihnen hält, können Sie sagen: Mit uns das Volk, mit uns der Sieg! (Stürmischer<br />
Beifall <strong>und</strong> Händeklatschen.)“ 313<br />
Diese von Zetkin entworfene prospektive Aussicht auf eine Befreiung der Frauen im Rahmen der<br />
allgemein-menschlichen Emanzipation war allerdings angesichts der Alltagserfahrungen der meis-<br />
ten Frauen schwer zu vermitteln.<br />
Widersprüche taten sich nicht nur hinsichtlich der Beurteilung des <strong>weiblichen</strong> Wesens auf,<br />
sondern auch hinsichtlich der Übertragbarkeit der Frauenleitbilder auf den proletarischen Frauen-<br />
alltag. Während die ökonomischen Veränderungen des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts die Frauen in die Er-<br />
werbstätigkeit trieben, trieben sie die bürgerlichen Vorstellungen von der Rolle einer Frau in den<br />
familiären Haushalt. Auch viele Arbeiterinnen hätten sich nach einer Heirat gerne „nur“ ihren<br />
hausfraulichen Pflichten gewidmet, doch für die Arbeiterinnen war, weil sie gezwungen waren,<br />
weiterhin zum Familieneinkommen beizutragen, die Konsequenz aus einer Familiengründung<br />
meistens eine drückende Doppelbelastung. Tornieporth sieht hier daher auch zu Recht einen der<br />
blinden Flecken der proletarischen Frauenbewegung:<br />
310 Vgl. ebd.<br />
311 Ebd.<br />
„Das stärkste Hindernis für die Realisierung eines proletarischen Familienlebens<br />
im Stile des bürgerlichen Sozialmodells war <strong>und</strong> blieb aber bis heute die Ehe-<br />
312 Marx, Das Kapital, Bd. 3, S. 828.<br />
313 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 167-168.<br />
295
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
frauenerwerbstätigkeit. Der Widerspruch zwischen Wunschbild <strong>und</strong> Realität wurde<br />
durch eine einfache Addition scheinbar aufgehoben. Man vereinte das Rollenbild<br />
der lohnarbeitenden Proletarierin mit demjenigen der bürgerlichen ‘Hausfrau,<br />
Gattin <strong>und</strong> Mutter’ – auf diese Weise entstand das bis heute gültige Geschlechtsstereotyp<br />
der ‘<strong>weiblichen</strong> Doppelrolle’.“ 314<br />
Innerhalb der bestehenden kapitalistischen Gesellschaft war demnach die Tatsache, dass die<br />
proletarischen Frauen sich neben den klassischen Reproduktionsaufgaben jetzt auch an der<br />
„Lohnsklaverei“ beteiligen durften, keinesfalls schon an sich ein Schritt zu ihrer Befreiung. Zwar<br />
sah die proletarische Frauenbewegung diese aus dem bürgerlichen Stereotyp der Hausfrau resul-<br />
tierenden Probleme aus nächster Nähe, setzte ihm auch z. B in Form der Idee von Gemeinschafts-<br />
küchen etwas entgegen, reflektierte das Problem aber vorrangig nur hinsichtlich seiner ökono-<br />
mischen Aspekte <strong>und</strong> einer ungenügenden politischen Aufklärung der Frau. Der der sozialistischen<br />
Emanzipationstheorie innewohnende Emanzipationsgedanke war viel weit greifender als der der<br />
bürgerlichen Frauenbewegung, weil in der Erwerbstätigkeit der Frau nicht nur die Chance für eine<br />
individuelle finanzielle Unabhängigkeit oder Persönlichkeitsentwicklung gesehen wurde, sondern<br />
eine Chance der Politisierung der Frau <strong>und</strong> damit der Umwälzung der Gesellschaft.<br />
Die sozialistische Frauenemanzipationstheorie setzte dem Emanzipationsprozess der prole-<br />
tarischen Frauen mit dem Primat der Ökonomie allerdings ungewollt zu enge Grenzen. Sie hätte<br />
stärker berücksichtigen müssen, dass die Einbindung der Proletarierinnen in den Produktions-<br />
prozess <strong>und</strong> damit ihre Rolle als politischer Faktor stark von ihrer Rolle in Bildung <strong>und</strong><br />
Ausbildung, Beruf, Recht, Politik <strong>und</strong> Kultur“ 315 <strong>und</strong> ihrer rollenspezifischen Sozialisation abhing.<br />
Und so kann Freier der proletarischen Frauenbewegung zu Recht vorwerfen, dass sie den „soziali-<br />
sationstheoretisch-psychologischen Standpunkt“ 316 , welcher sich besonders in den Rollen als Frau,<br />
Ehegattin <strong>und</strong> Mutter festmachte, sehr vernachlässigt habe. Ist es auch das große Verdienst der<br />
sozialistischen Emanzipationstheorie, dass sie – basierend auf dem historischen Materialismus –<br />
die ökonomischen Abhängigkeiten <strong>und</strong> Unterdrückungszusammenhänge, wie sie sich im Laufe<br />
der Jahrh<strong>und</strong>erte entwickelten <strong>und</strong> das Leben der Frauen auf allen Ebenen beeinflussten<br />
aufgezeigt zu haben, so reichte für die Erfassung der Komplexität des geschlechtsspezifischen<br />
<strong>weiblichen</strong> Unterdrückungszusammenhangs die „Entstehung des Privateigentums als einziges<br />
Erklärungsmuster“ 317 jedoch nicht aus. Die Unterdrückung der Frau ließ sich eben nicht nur aus<br />
den ökonomischen Verhältnissen <strong>und</strong> bürgerlichen Rollenklischees erklären, sondern hatte auch<br />
314 Tornieporth, Proletarische Frauenleben <strong>und</strong> bürgerlicher Weiblichkeitsmythos, S. 329.<br />
315 Albrecht/u. a., Frauenfrage <strong>und</strong> deutsche Sozialdemokratie, S. 459.<br />
316 Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. 17.<br />
317 Beavan/Faber, Wir wollen unser Teil fordern, S. 201.<br />
296
3.3.2 DIE SOZIALISTISCHE FRAUENEMANZIPATIONSTHEORIE, PROLETARISCHE FRAUENLEITBILDER UND DIE MODERNE KRITIK DARAN<br />
ihre Ursachen im Verhältnis der Geschlechter – auch innerhalb der proletarischen Klasse. Die<br />
tendenziell frauendiskriminierende Haltung der meisten Genossen wurde jedoch von den Frauen<br />
der proletarischen Frauenbewegung toleriert <strong>und</strong> als ein Symptom des Kapitalismus entschuldigt.<br />
Feministische Tendenzen lehnte die proletarische Frauenbewegung vehement ab, da für sie nur<br />
aus dem gemeinsamen Kampf mit den Männern ihrer Klasse die gesellschaftliche Umwälzung<br />
<strong>und</strong> damit die Befreiung der Frau resultieren konnte.<br />
Die Schlussfolgerung, dass im Sozialismus, die Frauenfrage als Teil der sozialen Frage – als<br />
sogenannter „Nebenwiderspruch“ – gelöst sein werde, ruft jedoch stets die größte Kritik an der<br />
sozialistischen Frauenemanzipationstheorie hervor. Feministische Studien sehen damit alle<br />
sozialisationsbedingten Geschlechtsspezifika vernachlässigt bzw. nur solche berücksichtigt <strong>und</strong><br />
der Theorie nutzbar gemacht, die den konservativen Stereotypen von Weiblichkeit entsprechen.<br />
Luckhardt kritisiert, dass die Frau sich selbst <strong>und</strong> ihre Belange „unter das zu erreichende Ziel<br />
einer sozialistischen Gesellschaft, in der sich das ‘Frauenproblem’ von selbst löse“ 318 , habe<br />
unterordnen müssen. Aber ist es nicht diese Unterordnung, diese „Opferbereitschaft“, die dem<br />
Prinzip der „Solidarität“ innewohnt? Daher ist anzufügen, dass die sozialistische Frauen-<br />
emanzipationstheorie – so unzulänglich sie sich im Laufe sozialdemokratischer Politikpraxis auch<br />
herausstellte – die einzige Theorie war, die proletarischen Frauen überhaupt den Weg zur<br />
politischen <strong>und</strong> sozialen Gleichberechtigung aufzeigte. Ohne Frage hätte jedoch die Aus-<br />
einandersetzung darüber, ob die Geschlechterdifferenz ein im Sozialismus sich von selbst lösender<br />
Nebenwiderspruch oder doch viel eher „natürlich, damit unhintergehbar <strong>und</strong> insofern auch in<br />
einer sozialistischen Gesellschaft nicht aufzuheben“ 319 ist, unter deutlicher psychologischen <strong>und</strong><br />
sozialisationstheoretischen Aspekten geführt werden müssen. 320<br />
Das Postulat der Geschlechterharmonie, d. h. der „Interessenidentität proletarischer Männer <strong>und</strong><br />
Frauen“ 321 , das Primat der Ökonomie <strong>und</strong> der Verweis auf den sozialistischen Zukunftsstaat 322<br />
machten die proletarische Frauenbewegung zwar nicht blind für die spezifisch <strong>weiblichen</strong><br />
Probleme, beließen aber ihre Lösungsansätze relativ abstrakt <strong>und</strong> konnten in der der Lebenswirk-<br />
lichkeit der Proletarierinnen keine Umsetzung finden.<br />
318 Luckhardt, Die Frau als Fremde, S. 102.<br />
319 Ebd., S. 112.<br />
320 Siehe: Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären; dies., Dimensionen <strong>weiblichen</strong> Erlebens <strong>und</strong> Han-<br />
delns.<br />
321 Beavan/Faber, Wir wollen unser Teil fordern, S. 241.<br />
322 Nach Puschnerats Meinung reichten Zetkins Zukunftsvision von einer quasi radikal-bürgerliche Gesellschaft mit<br />
sozialistischem Etikett bis zur totalen, aus ges<strong>und</strong>en, kultivierten <strong>und</strong> schönen „(Über)menschen en masse“<br />
(Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 100) gebildeten Gemeinschaft.<br />
297
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Vormschlags Gesamturteil zur Beschaffenheit politischer Frauenleitbilder insgesamt ist daher<br />
vernichtend:<br />
„Es ist weder der sozialistischen <strong>und</strong> noch weniger der bürgerlichen Frauenbewegung<br />
gelungen, Leitbilder zu entwickeln, die den Zwiespalt öffentlich-privat<br />
überbrücken konnten. Sie versagten vor der Aufgabe, dem Bildungsideal des<br />
18. Jahrh<strong>und</strong>erts ein populäres Leitbild der berufstätigen, politisch aktiven Frau<br />
gegenüberzustellen.“ 323<br />
Mit diesem Urteil gesteht Vormschlag den Frauenbewegungen des 19. <strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
jedoch zu, das Aufzeigen von Alternativen zum traditionellen Frauenbild zumindest bewusst be-<br />
trieben zu haben. Diese Alternativen waren nicht frei von Widersprüchen <strong>und</strong> teils sehr utopisch,<br />
so dass sich die Frauen zwischen den „Erwartungen,[…] hin <strong>und</strong> her gerissen“ 324 sahen. Das Mit-<br />
<strong>und</strong> Nebeneinander von alten, an bürgerlichen Wert- <strong>und</strong> Moralvorstellungen orientierten Frauen-<br />
leitbildern <strong>und</strong> neuen Entwürfen weiblicher Identität dürfte sich oft in ein <strong>und</strong> derselben Person<br />
recht unvermittelt gegenüber gestanden haben.<br />
Das Dilemma scheint unlösbar: Während einerseits die Vermischung der beiden Leitbilder – das<br />
eine die Häuslichkeit <strong>und</strong> das andere die Öffentlichkeit betreffend – teilweise konkurrierende An-<br />
forderungen an die Frau stellt <strong>und</strong> das einzelne Leitbild dadurch seine orientierunggebende<br />
Eindeutigkeit verlor, wirkt die Eindeutigkeit eines Leitbildes wiederum einengend, wenn nicht<br />
sogar hemmend. 325 Noch fataler wirkt es sich aus, wenn die Einengung auf den häuslichen Bereich<br />
fixiert wird <strong>und</strong> „die Passivität der Frau im politischen Bereich <strong>und</strong> in anderen Bereichen be-<br />
gründet“ 326 . Selbst der unaufhaltsame gesellschaftliche Wandel könne dieses Dilemma nicht lösen,<br />
denn er würde, so Vormschlag,<br />
„in seinen Auswirkungen durch Leitbilder kompensiert, indem neue Formen der<br />
Diskriminierung, z. B. von sich den Frauen öffnenden Berufen <strong>und</strong> politischen<br />
Bereichen als typisch weiblich diskreditiert werden <strong>und</strong> so erneut Brücken zum<br />
traditionellen Frauenleitbild geschlagen werden“ 327 .<br />
In diesem Fall ist es umso wichtiger, dass an einer Bewusstwerdung dieser vor allem bürgerlich-<br />
kapitalistischen Diskriminierungsmechanismen <strong>und</strong> einer Bewusstseinsumbildung gearbeitet wird<br />
– dieser Aufgabe hatten sich die Sozialistinnen <strong>und</strong> Kommunistinnen verschrieben.<br />
323 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 245.<br />
324 Ebd., S. 246.<br />
325 Vormschlag sieht hier einen Kreislauf gegeben, da das Leitbild das Verhalten in der Öffentlichkeit bestimme <strong>und</strong><br />
eingrenze <strong>und</strong> dieser Umstand sich wiederum festigend auf das Leitbild auswirke (vgl. ebd., S. 246f.).<br />
326 Ebd., S. 248<br />
327 Vgl. ebd., S. 249.<br />
298
3.3.3 Frauenleitbilder in der „Gleichheit“<br />
3.3.3 FRAUENLEITBILDER IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Sowohl Bebel, Zetkin, der proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> der sozialistischen<br />
Frauenemanzipationstheorie wird der Vorwurf gemacht, sie hätten in ihren Frauenleitbildern<br />
lediglich weibliche Rollenklischees reproduziert. Ein Vorwurf, der zwar nicht immer von der<br />
Hand zu weisen ist, der aber gegebene Bedingungen <strong>und</strong> Zielsetzungen nicht hinreichend<br />
berücksichtigt. Die „Gleichheit“ war das Organ der proletarischen Frauenbewegung. Sie galt<br />
zumindest bis zum Ersten Weltkrieg <strong>und</strong> nach dem Redaktionswechsel 1917 als das Sprachrohr<br />
der SPD-Führung <strong>und</strong> vertrat deren Auffassung der Frauenfrage. Die „Gleichheit“ war aber auch<br />
ein Gemeinschaftswerk verschiedener Autorinnen. Auch wenn die Redaktion geflissentlich auf die<br />
Deckungsgleichheit mit ihren jeweiligen Prinzipien achtete, kamen in ihren Artikeln sowohl<br />
f<strong>und</strong>ierte wie auch recht eigenwillige Interpretationen der sozialistischen Frauenemanzipations-<br />
theorie zum Tragen.<br />
Die in ihr aufgezeigten Identifikationsmöglichkeiten <strong>und</strong> Frauenleitbilder weisen sowohl eine<br />
bloße Reproduktion weiblicher Stereotype auf als auch über sie hinaus. So finden sich auf ihren<br />
Seiten Identifikationsangebote zu eher typisch <strong>weiblichen</strong> Eigenschaften wie Güte, Mitleid,<br />
Selbstverleugnung <strong>und</strong> Opferfreudigkeit, daneben aber auch solche männlichen Tugenden wie<br />
Unerschrockenheit, Ausdauer, Charakterstärke, Mut <strong>und</strong> „wahrhaft antike Heldengröße“ 328 . Daher<br />
ist der Schlussfolgerung Gomards zuzustimmen, dass sich in der „Gleichheit“ eine Synthese aus<br />
männlichen <strong>und</strong> <strong>weiblichen</strong> Idealen widerspiegelte. 329 Allein durch den Umstand, dass die<br />
proletarische Frau mittels ihrer Erwerbstätigkeit ein gewisses Maß an individueller <strong>und</strong><br />
wirtschaftlicher Autonomie wahrnahm, „durchbr[a]ch[…] [sie] die Weiblichkeitsvorstellungen der<br />
bürgerlichen Gesellschaft“ 330 . Sie ihrer Stärken bewusst zu machen <strong>und</strong> sie in ihrer Autonomie zu<br />
bestärken, war Ziel sozialistischer Frauenbildung <strong>und</strong> sozialistischer Frauenleitbilder. Die<br />
„Gleichheit“ strebte einen Prozess der Bewusstseinsumbildung an 331 , indem sie die proletarischen<br />
Frauen für das öffentliche Leben interessierte <strong>und</strong> auf eine tragende Rolle darin vorbereitete.<br />
Gomard resümiert jedoch:<br />
„‘Die Gleichheit’ konnte zwar helfen, Vorstellungen über eine alternative Frauenidentität<br />
zu entwickeln, aber in Hinsicht auf die Lebensstrategien, die eine Brücke<br />
zwischen den Alltagserfahrungen der Leserinnen <strong>und</strong> den utopischen Vorstellungen<br />
hätten bilden sollen, wurden die Leserinnen teilweise im Stich gelassen.“ 332<br />
328 Die Frauen der Kommune. Zum 21. Jahrestag der Kommune von Paris. In: GL, 02/ 06/ 23.03.1892/ 54.<br />
329 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 33.<br />
330 Gomard, Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität <strong>und</strong> Utopie, S. 41.<br />
331 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 81.<br />
332 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 42.<br />
299
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Diese Kritik bürdet jedoch der „Gleichheit“ auf, was doch nur die „revolutionäre Praxis“ selbst<br />
erreichen konnte: die Überwindung dieser Kluft. Diese revolutionäre Praxis, jenseits aller<br />
Mystifikationen, zielt auf nichts anderes als die „Neugestaltung des menschlichen Lebenszusam-<br />
menhangs, der zugleich eine Neuformierung der Individuen in ihren menschlichen Beziehungen<br />
impliziert“ 333 . Allenfalls wäre, wie im obigen Kapitel, zu fragen, ob die „Gleichheit“ nicht ent-<br />
schieden genug auf den Bruch mit der bestehenden Gesellschaft hingewirkt habe, ob sie nicht<br />
selbst noch zu sehr bürgerlichen Wert- <strong>und</strong> Moralvorstellungen verhaftet war, denn es schien in<br />
der Tat eine Unmöglichkeit zu sein, die bürgerliche Gesellschaft mit bürgerlichem Wissen,<br />
Verhaltensstandards <strong>und</strong> Wertorientierungen bekämpfen zu wollen. 334 In Form von alternativen<br />
Leitbildern versuchte die proletarische Frauenbewegung, der Proletarierin ihre Klassenlage be-<br />
wusst zu machen <strong>und</strong> sie erkennen zulassen, dass ihr als individuell wahrgenommenes Schicksal<br />
in Wirklichkeit das Schicksal vieler Frauen ihrer Klasse war. Indem die proletarische Frau darüber<br />
aufgeklärt wurde, welche Bedeutung sie als „Proletarierin […] in ihrem Kampf für den<br />
Sozialismus, Gattin für den Proletarier, Mutter für die Kinder“ 335 innerhalb der sozialistischen<br />
Bewegung haben konnte, war dies zwar noch keine Antwort auf die Frage „Doch was ist sie<br />
selbst?“ 336 , aber es war doch auch weit mehr als die kapitalistische Gesellschaft ihr bisher über-<br />
haupt zugestehen wollte.<br />
Wohl boten sich den Frauen nach 1914 aus den Notwendigkeiten, die sich aus dem hoch<br />
industrialisierten Ersten Weltkrieg ergaben, neue Erfahrungsbereiche <strong>und</strong> neue Berufsfelder, doch<br />
bereits direkt nach Kriegsende begann ihre staatlich gesteuerte Verdrängung bzw. Rückdrängung<br />
ins Haus. Im Rahmen dieser Entwicklung rückten auch die linken Frauenzeitschriften, allen voran<br />
die „neue „Gleichheit“ „die bekannten fraulichen Probleme“ 337 in den Vordergr<strong>und</strong>. Sie machten<br />
Zugeständnisse an ein kleinbürgerliches Frauenleitbild, welches ihrem ursprünglichen politischen<br />
Anliegen, dem Werben für den Sozialismus, nicht mehr entsprach, nicht entsprechen konnte, eine<br />
333 Schmied-Kowarzik, Die Dialektik der gesellschaftlichen Praxis, S. 174.<br />
334 Vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 193.<br />
335 Luckhardt, Die Frau als Fremde, S. 109.<br />
336 Ebd. Einen ähnlichen Mangel an Selbstfindungsmöglichkeiten für Frauen in der Arbeiterbewegung kritisiert<br />
Mahaim: „Aufgr<strong>und</strong> der Tatsache, daß die besonderen Aspekte der Frauenunterdrückung wenig herausgestellt<br />
wurden, wurden die Frauen von den Sozialisten nie als Frauen gesehen, die eine handelnde soziale Kraft, die<br />
historische Subjekte darstellten. Sie wurden gemäß der marxistischen Theorie vor allem als Angehörige der<br />
revolutionären Klasse, des Proletariats, betrachtet. Es war gut, daß sie sich für die Sache des Proletariats<br />
aufopferten, unter anderem, indem sie viele zukünftige Sozialisten auf die Welt brachten <strong>und</strong> erzogen…, aber eher<br />
negativ war es, daß sie versuchten, ihre eigene soziale Identität <strong>und</strong> ihre eigenen Kampfformen in Gestalt eines<br />
gewissen ‘Separatismus’, ob permanent oder nur sporadisch, zu finden (Mahaim, Die Frauen <strong>und</strong> die deutsche<br />
Sozialdemokratie, S. 82).<br />
337 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 166.<br />
300
3.3.3 FRAUENLEITBILDER IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Entwicklung, deren „Konsequenzen für das parteiliche Engagement der Frau“ 338 die jeweiligen<br />
Zeitschriftredaktionen fatal unterschätzten.<br />
Das Umschwenken von einem klassenkämpferischen Frauenleitbild zum traditionellen, un-<br />
politischen Frauenbild drückte sich besonders deutlich in Inhalt <strong>und</strong> Umfang des Feuilletons aus.<br />
Die Redaktionen nahmen stärker Rücksicht auf ein vermeintliches Verhaftetsein der Frau in der<br />
Religion <strong>und</strong> ihren Wunsch nach unbeschwerter Unterhaltung. Auch die „Gleichheit“-Redaktion<br />
gab unter Juchacz die bisherige polemische Haltung gegen die Kirche als einer Stütze der<br />
bürgerlichen Gesellschaft auf. Einerseits dürfte sie das in Hinblick auf eine größere Popularität 339<br />
getan haben, andererseits hatten die Schrecken des Ersten Weltkrieges ein wirkliches Bedürfnis<br />
nach Besinnung <strong>und</strong> Besinnlichkeit erzeugt. Die Wandlung der „Gleichheit“ war außerdem<br />
Ausdruck <strong>und</strong> Ergebnis der Wandlung der Sozialdemokratie zu einer „‘reformistischen Emanzipa-<br />
tionspartei’“ 340 <strong>und</strong> deren Abwendung von der revolutionären Klassenkampftheorie.<br />
Auf die Methoden der Konstruktion von Leitbildern <strong>und</strong> den Umstand, dass die Konstruktion von<br />
Leitbildern an <strong>und</strong> für sich Methode ist, wurde bereits eingegangen. Die „Gleichheit“ bediente<br />
sich der Frauenleitbilder – z. T. auch ohne ihre bürgerliche Tendenz zu reflektieren –, um Leserin-<br />
nen leichter anzusprechen. 341 Es kann daher auch von einer „Funktionalisierung“ weiblicher<br />
Eigenschaften, von einer Funktion weiblicher Leitbilder gesprochen, aber wohl schwerlich zu-<br />
gleich eine widerspruchsfreie Alternative aufgezeigt werden. Bürgerliche <strong>und</strong> proletarische<br />
Frauenbewegung hatten in ihren klassischen Frauenleitbildern Elemente, die unter diesem<br />
Gesichtspunkt zwar nicht in der Zielsetzung, wohl aber in der Methode <strong>und</strong> in der Form der<br />
Ansprache als ähnlich betrachtet werden können. Diese Möglichkeiten der Ansprache konnten<br />
schließlich auch in der Propaganda der Nationalsozialisten Verwendung finden. Es folgt ein<br />
Beispiel für einen propagandistischen Artikel wie er – mit einigen Veränderungen – auch in der<br />
338 Ebd.<br />
339 Vgl. ebd., S. 102. Ein gewisser Mutterkult <strong>und</strong> die Anlehnung an ein kirchliches Vokabular, wie sie Vormschlag<br />
für die „neue“ „Gleichheit“ feststellt, waren jedoch auch unter der Redaktion Zetkins bereits vorhanden.<br />
340 Ebd., S. 168.<br />
341 Nicht nur um politisch zu bilden, sondern auch um ihre Popularität zu steigern, griff die „Gleichheit“ gezielt auf<br />
entsprechende Frauenleitbilder zurück. Vormschlag ist sogar der Meinung, dass neben „Mitleid <strong>und</strong> Haß“<br />
(Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 176) auch „das sexuelle<br />
Element“ (ebd.). auf eine popularitätsfördernde Wirkung abgezielt habe. Im Gegensatz zu Vormschlag, die hinter<br />
dem regelmäßigen Anprangern der Sittenlosigkeit des Bürgertums, der Vergewaltigungen junger Arbeiterinnen<br />
durch ihre Dienstherren sowie der Auseinandersetzung mit den Problemen der Prostitution den Gr<strong>und</strong>satz „Sex<br />
sells“ vermutet (ebd.), handelte es sich m. E. um kaum zu leugnende Missstände des proletarischen Alltags. Diese<br />
Missstände anzuklagen <strong>und</strong> zu beseitigen war das Mandat der „Gleichheit“. Aber bereits Bebel wurde für seine<br />
freimütigen Schilderungen derselben in „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“ mit dem Vorwurf der Effekthascherei<br />
konfrontiert.<br />
301
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
„NS-Frauenwarte“ (1932-1945) hätte erscheinen können. Tatsächlich aber erschien er 1913 in der<br />
„Gleichheit“.<br />
Emil Unger (1867-?) 342 , dessen Person im Rückblick sehr kritisch beurteilt werden muss, verband<br />
in seinem Artikel „Sie war eine Kämpferin!“ sozialistische Frauenleitbilder <strong>und</strong> rührselige Emo-<br />
tionalität zu einem Bravourstück anspruchsloser Leitbild-Propaganda. Der hier in ganzer Länge<br />
wiedergegebene Artikel enthielt jedoch einige zentrale Elemente sozialistischer Frauenleitbilder<br />
wie sie durchaus auch im Weiteren anhand der veröffentlichen Frauenbiographien aufgezeigt <strong>und</strong><br />
kritisch hinterfragt werden müssen. Zudem darf Ungers Artikel als eine seltene, wenn auch nur<br />
beschreibende Aussage zur Frage der Rezeption der „Gleichheit“ durch ihre Leserinnen nicht un-<br />
berücksichtigt bleiben:<br />
„An einem Frühlingstage war es, als wir sie durch das rasselnde, brausende, ewig<br />
flutende Weltstadtgetriebe hinaus nach dem Friedhof geleiteten. Es war ihr letzter<br />
Weg. Ein langer Zug von Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Bekannten – alles Gesinnungsgenossen –<br />
folgte dem schlichten Sarge, auf den die milden Strahlen der Lenzsonne fielen. Der<br />
Tod war mit tückischem Griff in unsere Reihen gefahren <strong>und</strong> hatte gerade sie<br />
gepackt, die kaum auf der Mittagshöhe des Lebens stand. So treu <strong>und</strong> warm hatte<br />
ihr Herz für ihre Nächsten geschlagen, im heiligen Feuer der Menschheitsliebe<br />
hatte es geglüht. Nun lag sie kalt <strong>und</strong> starr im Bretterschrein, frühe geknickt.<br />
Schwer hatte sie zu Lebzeiten ums kärgliche Brot ringen müssen.<br />
Sie war eine Proletarierin!<br />
Vom Morgengrauen bis in die sinkende Nacht hinein hatten ihre müden Füße die<br />
Maschine getreten. Die Schwindsucht hatte ihr den Mann schon vor Jahren hinweggemäht,<br />
so war sie auf sich selbst gestellt gewesen im Kampf ums Dasein. Mit<br />
stählerner Kraft hatte sie ihr Tagewerk getan <strong>und</strong> tapfer <strong>und</strong> stolz gesorgt <strong>und</strong><br />
geschafft. Ja, stolz! ‘Nie habe ich mich vor jemanden geduckt, nie jemanden um<br />
Unterstützung angegangen,’ sagte sie oft. Dabei leuchteten ihre hellen, guten Augen<br />
so freudig <strong>und</strong> zufrieden. Und sie hatte nicht nur für sich zu sorgen. O nein!<br />
Sie war eine Mutter!<br />
Ihrem Sarge folgten mit rotgeweinten Augen vier Kinder, zwei Jungen von sechs<br />
<strong>und</strong> fünfzehn <strong>und</strong> zwei Mädchen von acht <strong>und</strong> sechzehn Jahren. Liebe blond-<br />
342 Emil Unger bzw. Unger-Winkelried wurde im elsässischen Weißenburg geboren <strong>und</strong> absolvierte eine handwerkliche<br />
Ausbildung. Er wanderte durch die Schweiz, Österreich <strong>und</strong> Deutschland. Nach dem Besuch der<br />
Arbeiterbildungsschule (u. a. Kontakt zu Rudolf Steiner <strong>und</strong> Max Maurenbrecher) in Berlin arbeitete er ab 1902<br />
für die sozialdemokratische <strong>und</strong> freigewerkschaftliche Presse. Er wurde ständiger Mitarbeiter des „Vorwärts“. Bis<br />
1914 gab er eine Feuilletonkorrespondenz heraus, die von über 100 Blättern bezogen wurde. Nach dem Ersten<br />
Weltkrieg wurde Unger Herausgeber der Zeitschriften „Der Scheinwerfer“ (1918-?) <strong>und</strong> „Der B<strong>und</strong>schuh“ (1918-<br />
1920[?]) <strong>und</strong> 1920 Chefredakteur der „Westlichen Volkszeitung“ (1918-1920). Er trat im selben Jahr aus der SPD<br />
aus <strong>und</strong> rief zur Gründung der „Reformsozialistischen Partei“ auf. 1921-24 war er Redakteur der „Bremer<br />
Zeitung“ (1921-1929), 1924 zudem Gründer der „Vereinigung nationalgesinnter Arbeiter“ <strong>und</strong> des Blattes „Der<br />
deutsche Vorwärts“ (1924-1934). Schließlich gab Unger ab 1930 das Wochenblatt „Das neue Dritte Reich“ heraus,<br />
wurde NSDAP-Mitglied <strong>und</strong> ab 1932 Archivar der preußischen NSDAP-Landtagsfraktion. 1920 hatte er die<br />
Biographiensammlung „Politische Köpfe des sozialistischen Deutschlands“ veröffentlicht. 1934 erschien sein<br />
Werk „<strong>Von</strong> Bebel zu Hitler. Vom Zukunftsstaat zum Dritten Reich“, das 1936 den neuen Titel „Ich bekenne.<br />
Lebenserinnerungen eines Sozialdemokraten“ erhielt. In der „Gleichheit“ beteiligte er sich u. a. an einer LeserIn -<br />
nendiskussion zum Thema „Jugend <strong>und</strong> Sozialismus“ (Unger, Emil: Jugend <strong>und</strong> Sozialismus V. In: GL, 15/ 17/<br />
23.08.1905/ 98).<br />
302
3.3.3 FRAUENLEITBILDER IN DER „GLEICHHEIT“<br />
köpfige Kinder, denen man es ansah, daß eine treusorgende Mutter sie bis dahin<br />
gepflegt hatte. Nie sah ich die Kleinen zerrissen oder schmutzig, sauber <strong>und</strong> nett,<br />
so, wie sie jetzt hinter dem Sarge einherschritten, traf ich sie stets in der Behausung<br />
oder auf der Straße. Die beiden Ältesten gehörten bereits seit ihrer Entlassung aus<br />
der Schule der freien Jugendbewegung an. Denn nicht nur für das körperliche<br />
Wohlergehen ihrer Kinder hatte diese tatkräftige Frau gesorgt. Nein, soweit es ihre<br />
mangelhafte Schulbildung <strong>und</strong> ihre ärmlichen Verhältnisse zuließen, hatte sie an<br />
den jungen Menschen geformt <strong>und</strong> gebildet, hatte sie im Sinne ihrer eigenen Weltanschauung<br />
erzogen.<br />
Sie war eine Sozialistin!<br />
Mit rührender Liebe <strong>und</strong> heißem Bemühen hatte sie versucht, sich in ihrer wenigen<br />
freien Zeit in die sozialistische Literatur zu versenken, sich mit den Gedanken<br />
unserer Besten vertraut zu machen. Oft klagte sie, daß ihr das nicht restlos gelinge<br />
<strong>und</strong> daß sie zuweilen wie vor einer hohen Mauer stehe, über die sie nicht hinwegkomme.<br />
Die ‘Gleichheit’ las sie von Anfang bis zu Ende. An den Tagen, wo eine<br />
neue Nummer eintraf, stand sie schon eine St<strong>und</strong>e früher auf, um nachzusehen,<br />
was ‘unser Blatt’ brachte. Zehn Jahrgänge standen lückenlos gesammelt auf dem<br />
Kleiderspind. ‘Es ist meine Bibel’, meinte sie einmal gelegentlich <strong>und</strong> lächelte, wie<br />
um sich zu entschuldigen, daß sie so viel Zeitungen anhäufe. Selbstverständlich las<br />
sie das Parteiorgan unserer Stadt mit demselben Eifer. Aus beiden Blättern holte sie<br />
sich das Rüstzeug, um aufklärend unter ihren Klassen- <strong>und</strong> Leidensgenossinnen zu<br />
wirken.<br />
Sie war eine Kämpferin!<br />
Nach schwerem Tagewerk trug sie Flugblätter aus, opferte sie Nachtst<strong>und</strong>en der<br />
Werbearbeit. In vielen Versammlungen tauchte ihr blasses, energisches Gesicht mit<br />
dem blonden Scheitel auf, <strong>und</strong> im Leseabend fehlte sie nie. ‘Wenn wir auch nicht<br />
mehr viel haben werden von den Errungenschaften des Kampfes, so kommt es<br />
dermaleinst doch unseren Kindern zugute,’ pflegte sie zu sagen. – So haben wir sie<br />
gekannt <strong>und</strong> so wird sie in unserer Erinnerung weiterleben, als leuchtendes<br />
Beispiel von Hingebung <strong>und</strong> Opferwilligkeit – eine stolze, starke, prächtige Proletarierin!<br />
Wie sie hieß? Fragt mich nicht nach ihrem Namen. Sie wollte ungenannt <strong>und</strong> ungekannt<br />
bleiben, wollte nicht mehr sein als eine von den vielen, die ihr Herzblut<br />
hingeben für das große Werk der Befreiung ihrer Klasse, der Menschheitserlösung!<br />
Das Bewußtsein treuer Pflichterfüllung war ihr Lohn <strong>und</strong> Befriedigung. Sie hat gelitten<br />
<strong>und</strong> gestritten als Proletarierin <strong>und</strong> Mutter, als Sozialistin <strong>und</strong> Kämpferin!“ 343<br />
Betrachtet man den Artikel als den eines bekennenden Sozialisten – <strong>und</strong> das war Unger im Jahr<br />
der Veröffentlichung noch –, so muss man ihn als gelungenes Beispiel sozialistischer Frauen-<br />
agitation werten. Unger gab mit seinem Porträt einer Unbekannten ein Beispiel dafür, wie die<br />
Agitation der proletarischen Frauenbewegung die Frauen idealerweise erreichen <strong>und</strong> zum tatsäch-<br />
lichen Handeln bewegen sollte. Die Verstorbene hatte sich die Möglichkeiten, die ihr angesichts<br />
ihres Alltags zur Selbstbildung <strong>und</strong> zum politischen Engagement zur Verfügung standen, selbst<br />
geschaffen <strong>und</strong> ausgeschöpft: <strong>Von</strong> der regelmäßigen Lektüre der „Gleichheit“ über die ent-<br />
343 Unger, Emil: Sie war eine Kämpferin! In: GL, 23/ 18/ 28.05.1913/ 280.<br />
303
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
sprechende Erziehung ihrer – wohlgemerkt „blondköpfigen“ – Kinder bis zum Austragen von<br />
Flugblättern <strong>und</strong> der Teilnahme an Versammlungen. Respektive politischer Inhalte blieb Unger<br />
jedoch auffällig vage. Das Elend, das er als Alltag seiner Protagonistin beschrieb, wurde von ihr<br />
anscheinend nicht hinterfragt, <strong>und</strong> damit nicht als Auswuchs des Kapitalismus verurteilt. Vielmehr<br />
zeichnete Unger übertrieben <strong>und</strong> widersprüchlich das Bild einer „Kämpferin“, wie sie sich mit<br />
den gegebenen Verhältnissen arrangierte, angesichts ihres Elends weiterhin schlicht <strong>und</strong><br />
pflichtbewusst blieb, sich aber gleichzeitig für den Sozialismus engagierte. Auch hinsichtlich des<br />
„Rüstzeugs“, das sich die Proletarierin aus der „Gleichheit“ erwarb, wurde Unger nicht konkret.<br />
Hätte er die Werke „unserer Besten“ spezifiziert, wäre sicherlich das internationalistische Prinzip<br />
des Sozialismus deutlich geworden. Ein Prinzip von vielen, von denen Unger sich später abkehren<br />
sollte.<br />
Die Person Ungers steht für das Phänomen, dass sich bekennende SozialistInnen später scheinbar<br />
ohne Gewissenskonflikt dem Nationalsozialismus zuwenden konnten. Der „Fall Unger“ <strong>und</strong> sein<br />
Artikel bestätigen scheinbar in besonderer Weise Vormschlags These, dass ein Vergleich zwischen<br />
sozialistischen, kommunistischen <strong>und</strong> nationalsozialistischen Frauenzeitschriften gezogen werden<br />
kann <strong>und</strong> eine Kongruenz zwischen den in ihnen enthaltenen Frauenleitbildern gegeben war. 344<br />
Noch stärker als für die „Gleichheit“ trifft dies für eine ihrer Nachfolgerinnen, die „Frauenwelt“ 345<br />
zu. Die in ihr zu Tage tretende feuilletonistische Tendenz richtete sich nach „einem neuen<br />
Pressekonzept des Parteivorstandes“ 346 , welches auf Unterhaltung setzte <strong>und</strong> die Wunsch-<br />
vorstellungen der Arbeiterinnen <strong>und</strong> Arbeiterfrauen bediente, indem sie sich vollkommen am<br />
kleinbürgerlichen Familienideal orientierte. Sie war nur Mittel zum Zweck, um in die<br />
indifferenten proletarischen Haushalte zu gelangen <strong>und</strong> durfte deshalb nicht einmal den äußeren<br />
Anschein einer sozialistischen Zeitschrift haben. 347 Ein Viertel bis ein Drittel eines Heftes der<br />
„Frauenwelt“ bestand aus einem Mode- <strong>und</strong> Haushaltsteil 348 , was vollständig auf Kosten des<br />
344 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 177. Während der DDR-<br />
Historiker Jürgen Arendt den von Vormschlag angestellten Vergleich kommunistischer mit nationalsozialistischen<br />
Frauenleitbildern vollkommen ablehnt (vgl. Arendt, Frauenpolitik <strong>und</strong> Frauenbewegung in Deutschland, S. 50)<br />
<strong>und</strong> darin den „enge[n] Zusammenhang von Neofeminismus <strong>und</strong> Antikommunismus […] auch auf historischem<br />
Gebiet unverkennbar“ (Arendt, Frauenpolitik <strong>und</strong> Frauenbewegung in Deutschland, S. 49) gegeben sieht, ist m. E.<br />
die Argumentation Vormschlags, soweit es die Funktionalisierung der klassischen Frauenleitbilder betrifft, schlüssig.<br />
345 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 154-165; Sachse, Ent-<br />
wicklung <strong>und</strong> Wandel linker Frauenleitbilder, S. 200ff.<br />
346 Wilhelms, Frauenzeitschriften in der Weimarer Republik S. 65.<br />
347 Vgl. Juchacz im Bericht über den Reichsfrauentag. In: Protokoll des SPD-Parteitages Heidelberg 1925, S. 334-<br />
335.<br />
348 Die Redaktion der „Frauenwelt“ lag bis 1928 in der Verantwortung eines Mannes, Richard Lohmann. Wurde die<br />
„Frauenwelt“ als zu unpolitisch kritisiert, so rechtfertigte er deren Linie als den Bedürfnissen der Leserinnen angepasst<br />
<strong>und</strong> sah es z. B. als bedauerlich an, dass man eben „Strümpfe nicht sozialistisch stopfen“ (Lohmann im<br />
304
3.3.3 FRAUENLEITBILDER IN DER „GLEICHHEIT“<br />
politischen Inhalts ging. 349 Dies wurde auf verschiedenen Parteitagen moniert <strong>und</strong> eine Wieder-<br />
einführung der für die unentbehrliche politische Aufklärung viel geeigneteren „Gleichheit“<br />
gefordert. 350 Anträge dieser Art wurden aber abgelehnt oder zurückgezogen, weil die Mehrheit<br />
schließlich doch glaubte, den bürgerlichen Zeitschriften in ihrer Popularität nicht nachstehen <strong>und</strong><br />
die Leserinnen mit einem zu hohen Niveau nicht verschrecken zu dürfen. 351 Juchacz konnte die<br />
Forderungen nach einer Wiedereinrichtung der „Gleichheit“ ohnehin nicht verstehen. Sie fürchtete<br />
einen erneuten „Dualismus“ 352 zwischen wissenschaftlichem Anspruch <strong>und</strong> Popularität. Deshalb<br />
w<strong>und</strong>erte sie sich, dass manche Genossinnen die „Gleichheit“ unbedingt zurück wollten:<br />
„Einigermaßen erstaunt bin ich darüber, daß hier so viele ein Loblied auf die<br />
‘Gleichheit’ gesungen haben. (Sehr richtig!) Ich habe niemals etwas gegen die<br />
‘Gleichheit’ gesagt, aber ich kann mich an Frauenkonferenzen früherer Jahre<br />
erinnern, in denen die ‘Gleichheit’ st<strong>und</strong>enlang der Kritik unterzogen wurde, ganz<br />
besonders unter der Redaktion der Genossin Zetkin. (Lebhafte Zustimmung)<br />
Damals hat man scharfe Kritik an einem Blatt geübt, das man jetzt über das<br />
Bohnenlied lobt. (Sehr richtig!) Wir sollen uns doch vor Uebertreibungen nach<br />
jeder Richtung hin hüten.“ 353<br />
Für diese Übertreibung in die unpolitische Richtung, für eine ungenügend politisierende<br />
Ausrichtung steht jedoch die „Frauenwelt“. Am treffendsten formulierte das Problem Mathilde<br />
Wurm mit ihrer Kritik, dass die „Frauenwelt“ durch ihre praktischen Tipps in der Rubrik<br />
„Schmalhans mit Geschmack“ die Bevölkerung irreführe. Diese Tipps zeigten den proletarischen<br />
Familien, wie man aus dem Notdürftigsten das Beste machen konnte – für Wurm war dies jedoch<br />
„der Triumph der Täuschung des proletarischen Magens, wenn statt ausreichender <strong>und</strong> beköm-<br />
mlicher Ernährung nur Sättigung empfohlen wird“ 354 . So notwendig solche Hilfestellungen für<br />
den Alltag auch sein mochten, als politische <strong>und</strong> politisierende Strategie taugten sie wenig. Auch<br />
hatte sich die SPD bisher doch nie mit solchen Aufforderungen zur Askese zufrieden gegeben <strong>und</strong><br />
stets ein Mehr an Rechten <strong>und</strong> Lebensqualität eingefordert.<br />
Bericht über den Reichsfrauentag. In: Protokoll des SPD-Parteitages Berlin 1924, S. 238) könne. Sogar der Modeteil<br />
blieb von Kritik nicht verschont, denn er orientiere sich, so der Vorwurf, zu sehr nach der herrschenden<br />
aktuellen Mode. Lohmann verteidigte sich, indem er Toni Sender als „Beispiel dafür“ (ebd.) heranzog, „daß man<br />
Klassenkämpferin sein kann <strong>und</strong> sich doch geschmackvoll der herrschenden Mode entsprechend kleiden“ (ebd.)<br />
könne. 1928 trat eben jene geschmackvoll gekleidete Klassenkämpferin in der Redaktion der „Frauenwelt“ an<br />
seine Stelle.<br />
349 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 162.<br />
350 Vgl. Bericht über den Reichsfrauentag. In: Protokoll des SPD-Parteitages Berlin 1924, S. 230, S. 232 u. S. 243.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages Heidelberg 1925, S. 109-110; Antrag 22 Abs. 1 im Protokoll des SPD-Parteitages<br />
Kiel 1927, S. 47 u. S. 305f.<br />
351 Vgl. Lohmann im Bericht über die Reichsfrauenkonferenz. In Protokoll des SPD-Parteitages Kiel 1927, S. 319.<br />
352 Juchacz im Bericht über den Reichsfrauentag. In: Protokoll des SPD-Parteitages Berlin 1924, S. 244.<br />
353 Ebd. S. 244-245.<br />
354 Wurm im Bericht über die Reichsfrauenkonferenz. In Protokoll des SPD-Parteitages Kiel 1927, S. 317.<br />
305
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Diese unpolitische Selbstbescheidung hatte zumal angesichts der politischen Entwicklungen <strong>und</strong><br />
der nationalsozialistischen Bedrohung verheerende Auswirkungen. Die endlich 1932 in den Seiten<br />
der „Frauenwelt“ erfolgenden scharfen Angriffe gegen die Nationalsozialisten konnten die bei<br />
ihren Leserinnen „versäumte Erziehung eines politischen Bewußtseins“ 355 nicht mehr nachholen.<br />
Zudem wies das in der „Frauenwelt“ vertretene <strong>und</strong> für die Ansprache genutzte Frauen- <strong>und</strong> Fami-<br />
lienideal mit dem der Nationalsozialisten sogar viele Berührungspunkte auf. Tatsächlich muss<br />
davon ausgegangen werden, dass sozialistische <strong>und</strong> nationalsozialistische Frauenleitbilder, weil<br />
sie zum Teil auf denselben bürgerlich-konservativen Frauenleitbildern basierten, dadurch in ihren<br />
Gr<strong>und</strong>zügen auch austauschbar waren. Frauen wurden von ihnen als Mütter, Haus- <strong>und</strong> Ehefrauen<br />
angesprochen. Selbst dann, wenn sie in ihrer Rolle als Arbeiterinnen für den Kampf gegen das<br />
bestehende für ein zukünftiges, neues System motiviert wurden, gab es Gemeinsamkeiten. Diese<br />
Gemeinsamkeiten relativieren sich nur, wenn man ihre Zielsetzungen kritisch hinterfragt. Die<br />
„Gleichheit“ stand für Klassensolidarität, internationale Solidarität <strong>und</strong> Menschenrechte; sie stand<br />
nicht für „Rassenwahn“, „Deutschtum“ <strong>und</strong> Völkermord. Aussagekräftig ist in diesem<br />
Zusammenhang auch die Feststellung Vormschlags, dass in den von ihr untersuchten linken<br />
Frauenzeitschriften der Begriff „Agitation“, in der nationalsozialistischen „NS-Frauenwarte“<br />
jedoch der Begriff „Propaganda“ gebräuchlich war. Letzterer weist deutlich auf die unreflektierte<br />
Übernahme von Meinungen <strong>und</strong> Inhalten hin, während Agitation eine erklärende <strong>und</strong> aufklärende<br />
Bedeutung <strong>und</strong> Funktion hat. Agitation war im Sprachgebrauch der „Gleichheit“ Befähigung zur<br />
Kritik.<br />
In einem weiteren Gegensatz zu Ungers obiger unbekannter Proletarierin, steht es, dass sich die<br />
„Gleichheit“ meist bemühte, ihren Vorbildern Namen <strong>und</strong> Gesicht – unabhängig von ihrer<br />
Haarfarbe – zu geben. Die von ihr vorgestellten Frauen waren Teil der Geschichte bzw. sollten<br />
Teil des Geschichtsbewusstseins werden. Es galt anhand dieser Schicksale, den <strong>weiblichen</strong> Anteil<br />
an Geschichte ins Licht zu rücken, greifbar <strong>und</strong> identifizierbar zu machen. Die in der „Gleichheit“<br />
veröffentlichten biographischen Skizzen zielten darauf ab, das Selbstbewusstsein der Leserinnen<br />
zu stärken <strong>und</strong> ihre Aufmerksamkeit auf ihr eigenes Potential zu lenken. Es wurde versucht,<br />
Möglichkeiten der politischen Teilhabe aufzuzeigen, die die einfache proletarische Frau als<br />
„weiblicher Vollmensch“, Ehefrau, Mutter, Klassenkämpferin <strong>und</strong> republikanische Staatsbürgerin<br />
bereits hatte <strong>und</strong> nutzen konnte. Diesen Frauenleitbildern wurden im Rahmen der vorliegenden<br />
Arbeit die in der „Gleichheit“ veröffentlichten Frauenbiographien – je nach Schwerpunkt<br />
innerhalb der Darstellung <strong>und</strong> je nach Duktus – zugeordnet.<br />
355 Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 164.<br />
306
3.4 Frauenbiographien in der „Gleichheit“<br />
Sämtliche Medien sozialistischer Agitation – Zeitschriften, Bücher <strong>und</strong> Vorträge – widmen sich<br />
auch den Biographien einzelner historischer Persönlichkeiten, 356 <strong>und</strong> dies, obwohl die ent-<br />
scheidende Kampfkraft vom proletarischen Klassenkollektiv ausgehen sollte <strong>und</strong> der Heraus-<br />
stellung individueller Einzelner eher eine schwächende Wirkung beigemessen wurde.<br />
Bebels „Frau“ jedoch präsentierte nur wenige Namen einzelner historischer Frauen. Oft<br />
handelte es sich dann auch nicht um Vorbilder, denen seine Leserinnen nachstreben sollten,<br />
sondern um Exempel weiblicher Sittenlosigkeit. 357 Die proletarische Frauenbewegung suchte<br />
dagegen schon sehr früh in bestimmten Frauen bew<strong>und</strong>erungswürdige ZeugInnen, Vorbilder<br />
<strong>und</strong> Vermittler revolutionärer Geschichte. 358 So sind es besonders Frauenbiographien, die neben<br />
der von den Leserinnen zum Teil noch selbst erlebten Geschichte der sozialdemokratischen<br />
Bewegung der „Gleichheit“ die Möglichkeit boten, ihren Leserinnen Geschichte in Form leicht<br />
verständlicher Geschichten zu vermitteln <strong>und</strong> sie damit auch emotional zu berühren. 359 Diese<br />
Kombination von Geschichtsvermittlung <strong>und</strong> Emotionalität besaß in der „Gleichheit“ im<br />
Hinblick auf die sonstigen Lesegewohnheiten proletarischer Frauen einen ganz besonderen<br />
Stellenwert. Ohne sie hätte sich die „Gleichheit“ angesichts des vornehmlich bei Frauen<br />
verbreiteten „Gefühlssozialismus“ – also einer politischen Positionierung auf der Gr<strong>und</strong>lage<br />
von Sympathie <strong>und</strong> Gerechtigkeitsgefühl – zwecks Vermittlung sozialistischer Theorie weiter-<br />
hin auf Elendsschilderungen <strong>und</strong> anrührende Gedichte konzentrieren müssen. 360 Waren diese<br />
jedoch vor allem im Feuilleton abgedruckt, so ist es eine weitere Besonderheit der historisch-<br />
biographischen Artikel, dass sie sowohl im Feuilleton der Beilagen <strong>und</strong> des Hauptblattes als<br />
356 Gerne hätten die Parteigenossen des 19. Sächsischen Wahlkreises durch ihren auf dem Parteitag gestellten<br />
Antrag noch mehr wegweisende Biographien in den Parteizeitschriften gesehen: „Es möge in Zukunft die<br />
Parteipresse in ihrem Feuilleton nicht mehr, wie bisher, mit Kriminal- <strong>und</strong> Liebesromanen den Leserkreis zu<br />
unterhalten suchen, sondern sich mehr damit zu befassen, durch Biographien berühmter, edler Menschen,<br />
welche sich um die Wohlfahrt des Volkes verdient gemacht haben, auf den Charakter des Volkes einzuwirken<br />
<strong>und</strong> die Gefühle für alles Gute <strong>und</strong> Erhabene zu wecken <strong>und</strong> zu pflegen.“ (Antrag Nr. 60 im Protokoll des<br />
SPD-Parteitages Berlin 1893, S. 381). Der Antrag wurde jedoch abgelehnt (vgl. ebd., S. 151).<br />
357 Bebel, Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus, S. 108.<br />
358 Diese Bedeutung historischer Vorbilder kann man auch negativ ausdrücken: Geschichte, so Lion, stelle sich in<br />
der „Gleichheit“ meist dar „in der Schilderung vom Leben, Tun <strong>und</strong> Leiden der proletarischen<br />
Vorkämpferinnen […][,] Nachrufe in Form von Biographien[…] schaffen bewußt an der Legendenbildung <strong>und</strong><br />
der Martyriologie des vierten Standes“ (Lion, Zur Soziologie der Frauenbewegung, S. 90).<br />
359 Auch autobiographische Zeugnisse erfüllten diese Funktionen <strong>und</strong> geben Aufschluss über Alltag <strong>und</strong> Politisierung<br />
der Arbeiterinnen. Besonders hervorzuheben sind hier die Lebenserinnerungen von Ottilie Baader <strong>und</strong><br />
Adelheid Popp, auf die bereits verwiesen wurde. Sie werden in der vorliegenden Arbeit nicht näher vorgestellt,<br />
weil ihre Perspektive eine andere ist als die der biographischen „Gleichheit“- Artikel.<br />
360 Zetkin habe in allen von ihr „redigierten Frauenorganen das gefühlsmäßige Element, das Emotionale im<br />
Dienste der Agitation“ (Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 176)<br />
gepflegt. Vormschlag sieht in dem Umstand, dass „die ganze Tonleiter von Haß <strong>und</strong> Mitleid […] durchgespielt“<br />
(ebd.) wurde, eine Parallele zu den Publikationen der Nationalsozialisten, besonders der „NS-<br />
Frauenwarte“.<br />
307
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
auch oberhalb „des Strichs“ zu finden waren. Es zeigt sich daran noch deutlicher als an den<br />
Erzählungen <strong>und</strong> Gedichten, dass der Feuilleton eine Brücke zum Hauptteil war. Die Nekrologe<br />
<strong>und</strong> Jubiläumsartikel fanden meistens ihren Platz in den Rubriken „Aus der Bewegung“ bzw.<br />
„Aus unserer Bewegung“ oder „Sozialistische Frauenbewegung im Ausland“. Auffällig ist, dass es<br />
während des Ersten Weltkrieges ausschließlich Nekrologe <strong>und</strong> einige Jubiläumsartikel sind, die<br />
den frauenbiographischen Inhalt der „Gleichheit“ ausmachen. In Zeiten der Zensur <strong>und</strong> Papier-<br />
knappheit mussten die Würdigungen der <strong>weiblichen</strong> Mitglieder der sozialistischen Bewegung <strong>und</strong><br />
die Darstellungen ihres Lebens <strong>und</strong> Werdeganges für eine geschichtliche Aufklärung ausreichen.<br />
Frauenbiographien sind wie geschaffen für eine Vermittlung von Frauengeschichte <strong>und</strong><br />
Frauenleitbildern. Sie geben beiden einen Namen, ein Gesicht oder einen Charakter. Umgekehrt<br />
kann ein gelebtes Leben Orientierung für nachfolgende Generationen geben. Durch Frauen-<br />
biographien werden konkrete Brücken von der Erfahrung zur Utopie angeboten. 361 Ihre Ver-<br />
öffentlichung in Frauenzeitschriften erfolgt demnach aber auch nie ganz zweckfrei. 362<br />
Auch die Zeitschriften der bürgerlichen Frauenbewegung veröffentlichten biographische Artikel.<br />
Ihre Beweggründe beschrieb Hilde Lion jedoch wie folgt:<br />
„Persönlichkeiten, die man zu irgend einem Anlaß ehren will, schildert man aus<br />
langem Verkehr – aus dem Gedächtnis. Da, wo die Idee im Werden ist, braucht sie<br />
überall die persönliche Gestalt; man scheut sich oft auch nicht, Vorbilder zu zeigen<br />
unter den Lebenden, solche Menschen, die unmittelbar zu den noch Unerweckten<br />
oder Schwankenden sprechen sollen; von deren Bild <strong>und</strong> Wesen man allerhand<br />
W<strong>und</strong>erkräfte erhofft.“ 363<br />
Lion scheint den Kult um Personen, vor allem um solche, die noch leben, abgelehnt zu haben. Sie<br />
sah den mittels biographischer Skizzen erzeugten emotionalen Effekt von den bürgerlichen<br />
Frauenzeitschriften insbesondere für die Werbung neuer Abonnentinnen strategisch eingesetzt:<br />
„Solchen Frauen, die allmählich vom Familienblatt <strong>und</strong> von der Modezeitschrift<br />
als einziger Lektüre weggewöhnt werden müssen, gibt man durch Jahre hindurch<br />
noch Gedichte ethischen Inhalts <strong>und</strong> Geschichte braver Frauen, die ihren<br />
Berufsweg unter schweren Kämpfen schließlich doch noch sicher gef<strong>und</strong>en<br />
361 Vgl. Gomard, Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität <strong>und</strong> Utopie, S. 44.<br />
362 Als eine der „Gleichheit“ ähnliche linke Frauenöffentlichkeit sei hier die von spanischen Anarchistinnen<br />
begründete Frauenzeitschrift „Mujeres Libres“ (1936-1938) erwähnt. Auch sie veröffentlichte historische Frauenporträts,<br />
um „den Spanierinnen […] das Wissen um eine Frauengeschichte“ (Kröger, Nachwort, S. 94) zu<br />
vermitteln <strong>und</strong> „mögliche Orientierungsvorbilder“ (ebd.) anzubieten. Dabei verfolgte die Redaktion kein konkretes<br />
Frauenleitbild, denn „[o]b die Frauen von adliger oder von proletarischer Herkunft waren, ob sie in<br />
wohlsituierten Verhältnissen oder in Armut lebten, welchem politischen Lager sie auch angehörten, dies spielt<br />
alles eine eher unbedeutende Rolle: Der Geist der Rebellion <strong>und</strong> der gesellschaftlichen Innovation, ein umfassendes<br />
sozialrevolutionäres Denken im weitesten Sinne sowie genügend persönliche Stärke <strong>und</strong> Mut, um den<br />
Gegnern zu trotzen, zeichneten sie alle aus.“ (ebd.)<br />
363 Lion, Die allgemeinen Frauenzeitschriften in Deutschland, S. 109.<br />
308
haben.“ 364<br />
3.4 FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Gerade „jungen Anfängerinnen der Bewegung“ 365 floss laut Lion aus der biographischen Literatur,<br />
aus dem „heißen“ 366 oder „sachlichen“ 367 Leben der Vorbilder eine „lebendige Kraft“ 368 zu.<br />
Darüber hinaus bot gerade diese Literaturgattung ein Sammelbecken für „gutes weibliches<br />
Schriftstellertum“ 369 .<br />
Wenn auch bisher die von Lion zum Teil sehr kritisch beurteilten Motivationen der bürgerlichen<br />
Frauenzeitschriften denjenigen von Zetkin in der „Gleichheit“ wie auch in ihrer „Geschichte der<br />
proletarischen Frauenbewegung“ sehr ähnlich zu sein schienen, so wird nun jedoch ein wesent-<br />
licher Unterschied bemerkbar: Es waren weniger „brave“ als vielmehr revolutionäre Frauen, die<br />
die „Gleichheit“ ihren Leserinnen vorstellte. Bürgerliche Frauenzeitschriften, so die Meinung der<br />
DDR-Historikerin Ruth Götze in ihrem Aufsatz „Der Beitrag der „Gleichheit“ zur Entwicklung<br />
des Geschichtsbewußtseins ihrer Leserinnen“, hätten eine übermäßige Schönfärberei betrieben –<br />
gemäß des Leitsatzes „‘de mortuis nihil nisi bene’“ 370 . Im Gegensatz zur „Gleichheit“ hätten bür-<br />
gerliche Publikationen nicht „die konkreten historischen Verhältnisse, die den Menschen prägen<br />
<strong>und</strong> sein Verhalten mitbestimmen“ 371 , dargestellt. Die „Gleichheit“ dagegen, so Götze weiter, habe<br />
sich lediglich „falscher Bescheidenheit“ 372 enthalten, wenn sie „hervorragende[…] Kämpferinnen<br />
<strong>und</strong> Kämpfer für den gesellschaftlichen Fortschritt“ 373 ehrte. Doch auch in den in der „Gleichheit“<br />
veröffentlichten Nachrufen ging es darum,<br />
„Rückschau zu halten auf kampferfüllte Jahre, Impulse zu geben, im Sinne der<br />
verstorbenen oder ermordeten Kämpfer weiter für die Emanzipation des Proletariats<br />
alle Kraft einzusetzen“ 374 .<br />
Nachrufe auf die Frauen der proletarischen Frauenbewegung, in denen Kritik an ihrem Lebens-<br />
werk geäußert wurde, waren zwar selten, aber es gab sie. Wenn auch für die „Gleichheit“<br />
vorrangig galt, dass „über Tote nicht anders als gut gesprochen“ werde, so finden sich doch auch<br />
Ausnahmen. Dazu gehören nicht nur die „Ausnahmeerscheinungen der bürgerlichen Frauen-<br />
364 Ebd., S. 109f.<br />
365 Ebd., S. 115.<br />
366 Ebd.<br />
367 Ebd.<br />
368 Ebd.<br />
369 Ebd.<br />
370 Götze, Der Beitrag der „Gleichheit“ zur Entwicklung des Geschichtsbewußtseins ihrer Leserinnen, S. 63.<br />
371 Ebd.<br />
372 Ebd.<br />
373 Ebd.<br />
374 Ebd.<br />
309
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
rechtelei“ wie sie hier in einem eigenen Kapitel vorgestellt werden, sondern auch diejenigen<br />
<strong>Klassenkämpferinnen</strong>, die sich nicht den wissenschaftlichen Sozialismus aneignen konnten <strong>und</strong><br />
dadurch in den Augen Zetkins von der Bahn abkamen. Ihre Nachrufe ehrten ihre Verdienste <strong>und</strong><br />
waren zugleich dafür prädestiniert, ihre Leserinnen auf die Fehler einer schwankenden sozialis-<br />
tischen Gesinnung aufmerksam zu machen. Die für ihre Dogmatik oft gescholtene Redakteurin<br />
der „Gleichheit“ gedachte demnach auch Personen, so ist Götze zuzustimmen,<br />
„die in ihrem Leben nicht mit aller Konsequenz, nicht immer von marxistischen<br />
Positionen oder nur zeitweilig an der Seite des revolutionären Proletariats kämpften“<br />
375 .<br />
Sie ließ aber auch diese Nachrufe nicht ungenutzt, um „die Einsicht [zu] förder[n] <strong>und</strong> die Tatkraft<br />
des Proletariats [zu] stärk[en]“ 376 . Dies sieht Götze für „alle[…] Beiträge[…] der ‘Gleichheit’, die<br />
auf die Entwicklung des proletarischen Geschichtsbewußtseins gerichtet sind“ 377 als gegeben an. 378<br />
Auch die dänische Sprachwissenschaftlerin Gomard versuchte, die Inhalte der von ihr unter-<br />
suchten 67 Biographien auf gemeinsame Nenner zu bringen <strong>und</strong> fragt nach den Motiven der<br />
Zetkin‘schen „Gleichheit“ für ihre Auswahl biographisch dargestellter Frauen. Der Feststellung<br />
Gomards, dass frauenbiographische Artikel in den ersten Jahrgängen der Gleichheit am zahl-<br />
reichsten, in späteren jedoch nur noch sporadisch eingestreut sind 379 , lässt sich nur teilweise <strong>und</strong><br />
vornehmlich in Hinblick auf die von Zetkin selbst verfassten historischen Biographien der franzö-<br />
sischen <strong>und</strong> russischen Revolutionärinnen zustimmen. 380 Ab 1907 sind es dann wieder besonders<br />
die Artikel von Anna Blos, die auffällig viele Biographien zu Frauen des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
375 Ebd.<br />
376 Ebd., S. 64. Auch aus diesem Gr<strong>und</strong> wurde Zetkin selbst später als „Leitbild für […] pädagogisches Handeln“<br />
(Hohendorf, Clara Zetkin, S. 6) idealisiert.<br />
377 Götze, Der Beitrag der „Gleichheit“ zur Entwicklung des Geschichtsbewußtseins ihrer Leserinnen, S. 64.<br />
378 Dieses die Wirkung der „Gleichheit“ betreffende Urteil muss jedoch reine Mutmaßung bleiben, die, wie in dem<br />
Kapitel zur Rezeption der „Gleichheit“ gezeigt, entsprechender Gr<strong>und</strong>lagen entbehrt. Götzes Untersuchung<br />
bezieht sich auf ein allgemein sozialistisches Geschichtsbewusstsein, der geschlechtsspezifische – trotz des Standpunktes<br />
einer geschlechterindifferenten Agitation – von der „Gleichheit“ bewusst gewählte Ansatz eines <strong>weiblichen</strong><br />
Geschichtsbewusstseins bleibt von Götze unberücksichtigt.<br />
379 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 28.<br />
380 Noch zu Lebzeiten Zetkins, 1927, erachtete es Paul Frölich als ein „Geschenk“ an Viele, wenn Zetkin ihre „zahlreiche[n]<br />
literarische[n] Porträts von Kämpferinnen aus den Klassenkämpfen der Vergangenheit“ (Frölich, Clara<br />
Zetkin, S. 5) als Sammlung herausgeben würde, dies ist aber nicht geschehen. Ihr 1928 erschienenes Werk „Zur<br />
Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands“ enthielt aber zumindest Biographien von Louise<br />
Otto-Peters, der frühen französischen Sozialistin <strong>und</strong> Schriftstellerin Flora Tristan (1803-1844) <strong>und</strong> Julius<br />
Motteler. Bereits 1911 hatte Zetkin jedoch anlässlich des ersten sozialdemokratischen Frauentages eine Agitationszeitung<br />
für das Frauenwahlrecht herausgegeben, 16 Seiten im Format der Gleichheit umfassend (vgl. GL, 21/ 11/<br />
27.02.1911/ 176): „Die Zeitung bringt die Porträts der verstorbenen sozialdemokratischen Vorkämpferinnen für<br />
das Frauenwahlrecht in Deutschland, sie wird einen reichhaltigen Inhalt haben <strong>und</strong> schön ausgestattet sein. Das<br />
Blatt soll der Agitation für das Frauenwahlrecht unter den breitesten Massen dienen.“ (ebd.) Der Preis dieser<br />
besonderen Nummer betrug für Organisationen <strong>und</strong> Wiederverkäufer 5 Pf., die Einzelnummer 10 Pf..<br />
310
3.4 FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
veröffentlichte. 381 Ohne die Notwendigkeit, eine eigenständige Rubrik „Geschichte“ füllen zu<br />
müssen, scheint dieser Aspekt demnach sehr von den Forschungsschwerpunkten der jeweiligen<br />
MitarbeiterInnen abhängig gewesen zu sein. Jubiläumsartikel, Nekrologe <strong>und</strong> auch die damit<br />
verb<strong>und</strong>enen größeren Artikel hatten jedoch eine gewisse Zwangsläufigkeit. Während die Dar-<br />
stellung von bunteren Lebensläufen <strong>und</strong> monumentaleren Leistungen keines äußeren Anlasses<br />
bedurfte, so Gomard, hätten die „[d]ie ‘Stilleren im Lande’ […] erst eine Rolle [gespielt], wenn<br />
ein Nekrolog fällig“ 382 gewesen sei. Ehefrauen wie Julie Bebel (1843-1910) hätten für die<br />
„Gleichheit“ unter Zetkin „[q]ualitativ wie quantitativ“ 383 am Rande gestanden, seien lediglich<br />
Vorbild gewesen für “diejenigen, die nichts Besseres“ 384 konnten. Gomard vermutet sogar, dass sie<br />
überhaupt nicht erwähnt worden wäre, „wenn die Position ihres Mannes nicht einen Nekrolog<br />
erforderlich gemacht hätte“ 385 . In dieser Ansicht drückt sich m. E. eine besondere Zweischneidig-<br />
keit aus. Sicherlich war es der große Name ihres Ehemannes, der den Nekrolog für eine Ehefrau<br />
in der „Gleichheit“ anstieß, doch war die vorrangige Motivation nicht, den Ehemann zu ehren,<br />
sondern die Leistung der Ehefrau, die hinter dessen Erfolg stand, die sich, wie Gormard selbst<br />
schreibt, „dem Lebenswerk ihres Mannes ganz geopfert“ 386 hatte. Dennoch ist Gomard insofern<br />
zuzustimmen, dass für die „Gleichheit“ vor allem öffentlich aktive Frauen interessant waren.<br />
Ähnlich zwangsläufig wie den Tod der „Parteiführerehefrauen“ habe die „Gleichheit“ den Tod<br />
führender Frauen der bürgerlichen Frauenbewegung nicht einfach ignorieren können, weil, so<br />
Gomard, diese Bewegung „um diese Zeit so bedeutend“ 387 gewesen sei. Die „Gleichheit“ hat<br />
m. E. weniger auf diese Bedeutung als vielmehr auf die Lebensleistung der porträtierten<br />
bürgerlichen Frauen Rücksicht genommen <strong>und</strong> der Frage Vorrang gegeben, inwieweit diese ihren<br />
Leserinnen Vorbild sein konnten – oder auch nicht.<br />
Wenn auch Gomard dieses Element der Lebensleistung nicht für die bürgerlichen Frauen als<br />
maßgeblich erachtet, so sieht sie die Lebensleistung jedoch generell als entscheidendes Element<br />
für eine biographische Erwähnung von Frauen in der „Gleichheit“ an. Deshalb erstellte sie nach<br />
dieser Leistung eine Kategorisierung <strong>und</strong> unterscheidet diesbezüglich in drei Gruppen weiblicher<br />
381 Besonders hervorzuheben ist ihre von September 1919 bis Juli 1920 erschienene Artikelreihe „Frauengestalten des<br />
19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, in der Bettina von Arnim, Charlotte Stieglitz, Rahel Levin, Charlotte von Stein, Malvida von<br />
Meysenbug, Karoline Schlegel-Schelling, Luise Aston <strong>und</strong> Karoline von Humboldt porträtiert wurden.<br />
382 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 32.<br />
383 Ebd., S. 33.<br />
384 Ebd.<br />
385 Ebd.<br />
386 Ebd., S. 32.<br />
387 Ebd., S. 28.<br />
311
ZWISCHEN FEUILLETON UND WISSENSCHAFT – FRAUENGESCHICHTE, FRAUENLEITBILDER UND FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
Vorbilder: Terroristinnen, die zusammen mit Männern auf Barrikaden kämpften, aber auch an der<br />
Versorgung Verw<strong>und</strong>eter <strong>und</strong> der Untergr<strong>und</strong>arbeit beteiligt waren <strong>und</strong> dabei die gleichen Re-<br />
pressalien wie Männer erleiden mussten (Beispiele finden sich dafür u. a. in der Pariser Kommune<br />
<strong>und</strong> unter den russischen RevolutionärInnen); Frauen, die unter friedlichen Bedingungen<br />
organisatorische <strong>und</strong> alltägliche Agitationsarbeit leisteten <strong>und</strong> schließlich Frauen, „die gar nicht<br />
öffentlich hervortreten, sondern gute sozialistische Hausfrauen <strong>und</strong> Mütter sind, die durch ihre<br />
Leistung in der Familie es dem Ehemann ermöglichen, sich ganz der Parteiarbeit zu widmen“ 388 .<br />
Gemeinsam sei allen dargestellten Frauen, so Gomard weiter, dass sie auf mehr oder weniger<br />
spektakuläre Weise die Schranken der bürgerlichen Gesellschaft durchbrachen <strong>und</strong> dies teilweise<br />
auf ihre Familien <strong>und</strong> Beziehungen zurückgewirkt hätte. 389 Umgekehrt wird an manchen Bio-<br />
graphien jedoch auch deutlich, wie Frauen von ihren Beziehungen <strong>und</strong> Familien unterstützt<br />
wurden <strong>und</strong> davon für ihre Selbstbefreiung zu profitieren wussten. Beispiel dafür ist die Histori-<br />
kerin Anna Blos selbst. Sie hatte durch ihren Ehemann Wilhelm nicht nur zur Sozialdemokratie<br />
gef<strong>und</strong>en. Genauso wie er hatte auch sie „ein starkes Interesse daran, Geschichtszusammenhänge<br />
akribisch dokumentarisch darzustellen“ 390 <strong>und</strong> beschrieb das Wecken dieses Interesses in ihrem<br />
1929 erschienenen Werk „Die Frauen in Schwaben“ wie folgt:<br />
„Immer wieder hat er mir die Tapferkeit der schwäbischen Frauen als vorbildlich<br />
hingestellt. Ihm verdankte ich die Anregung, von diesen Frauen zu erzählen, zu<br />
zeigen, wie auch in früheren Zeiten schon Frauen mitgewirkt haben an der<br />
Entwicklungsgeschichte des Volkes. Nicht Frauen, die durch Geburt <strong>und</strong> Herkunft<br />
an hervorragender Stelle standen, sondern Frauen, die sich ihre Stellung im Leben<br />
erkämpft haben gegen Vorurteile <strong>und</strong> Widerstände. So ist auch dieses Buch ein<br />
Dank an den, der mich ins Schwabenland geführt hat <strong>und</strong> der mich das Schwabenvolk<br />
verstehen <strong>und</strong> lieben lehrte. […] Es soll ein Buch des Gedenkens sein, aber<br />
auch ein Buch, das die Vergangenheit lebendig macht zu Nutz <strong>und</strong> Frommen der<br />
neuen Zeit, in der den Frauen alle Entwicklungsmöglichkeiten gegeben sind. Die<br />
Wege dazu haben auch tapfere schwäbische Frauen bereiten helfen.“ 391<br />
Es ist also verständlich, wenn Blos in ihren Biographien nicht nur wie Zetkin elende Lebenszu-<br />
stände, sondern auch die förderlichen Umstände eines Frauenlebens hervorhob – so z.B. in ihrem<br />
Artikel „Glückliche Ehen“ 392 . In den Frauenbiographien der „Gleichheit“ finden sich sowohl<br />
verständige Eltern <strong>und</strong> politisch engagierte Ehemänner als auch despotische Väter, strenge Mütter<br />
<strong>und</strong> hemmende Ehemänner. Das Bemühen der „Gleichheit“ lag darin, die individuellen Ent-<br />
388 Ebd., S. 32.<br />
389 Ebd., S. 38.<br />
390 Riepl-Schmidt, Wider das verkochte <strong>und</strong> verbügelte Leben, S. 173. Die biographischen Artikel Blos‘ in der<br />
„Gleichheit“ weisen jedoch trotz dieser Akribie das Manko auf, die Angabe von Jahreszahlen zu vernachlässigen.<br />
Die zeitliche Einordnung trat hinter die Charakterisierung der Person zurück.<br />
391 Blos, Die Frauen in Schwaben, S. 10-11.<br />
392 Blos, Glückliche Ehen. In: GL, 28/ 17/ 24.05.1918/ 133-135.<br />
312
3.4 FRAUENBIOGRAPHIEN IN DER „GLEICHHEIT“<br />
wicklungen der Frauen unter bestimmten Vorzeichen zu deuten. Unter Zetkin war dieses Vor-<br />
zeichen der Sozialismus, unter der „neuen“ Redaktion eine demokratische Republik. Die<br />
Entwicklung selbst ließ jedoch viel Spielraum, der Vorbildcharakter war nicht zu eng gefasst.<br />
Die frauenbiographischen Artikel der „Gleichheit“, zumal von verschiedenen AutorInnen verfasst,<br />
weisen unterschiedlichste Strategien der Emanzipation auf. Es wurden Frauen vorgestellt, die<br />
ihren großen „Bildungshunger“ stillen wollten <strong>und</strong> sich deshalb über familiäre <strong>und</strong> gesel-<br />
lschaftliche Normen hinwegsetzten oder Frauen, die ihr Leben auf den Barrikaden riskierten, um<br />
der politischen Sache zum Sieg zu verhelfen. Doch auch indem Frauen politische Kleinarbeit<br />
leisteten oder ihren politisch engagierten Ehemännern zur Seite standen, fanden sie ein Stück<br />
Selbstverwirklichung zum Ziele der Selbstbefreiung ihrer Klasse <strong>und</strong> damit ihres Geschlechtes.<br />
Weder war das Leben dieser Frauen noch die Darstellung desselben vollkommen widerspruchs-<br />
frei, aber laut Gomard gibt es „doch bestimmte Züge, die immer entweder einzeln oder in<br />
Kombinationen wiederkehren <strong>und</strong> eine Alternative zum bürgerlichen Frauenideal darstellen“ 393 .<br />
Besonderes Moment ist, dass die vorgestellten Frauen wirklich gelebt haben <strong>und</strong> innerhalb ihrer<br />
Zeit <strong>und</strong> ihres Handelns mit einschränkenden Normen brachen, ja sogar „Utopisches vor-<br />
weg[nahmen]“ 394 , also Möglichkeiten alternativen Lebens <strong>und</strong> Handelns aufzeigten.<br />
Möglichkeiten aufzuzeigen, dabei auch nicht vollkommen wahllos zu sein, das war Ziel der<br />
„Gleichheit“ <strong>und</strong> auch 1989 noch Ziel des Autors Eugen Jacoby mit seinem „Lexikon linker Leit-<br />
figuren“. Im Vorwort fragt er nicht zu Unrecht entsprechend:<br />
„Kann […], wer frei sein will, in seinem Handeln sich an Vorbildern, Leitfiguren,<br />
orientieren?“ 395<br />
Er kommt zu dem Urteil, dass „wer […] meint, feste Maßstäbe für die Auswahl von Leitfiguren<br />
könne es geben, […] sich fragen [muss], ob er nicht doktrinären Sehnsüchten aufsitzt“ 396 . Wenn<br />
nichtsdestotrotz auch die positive Funktion von Leitbildern unterstrichen wird, so bleibt als klein-<br />
ster gemeinsamer Nenner, dass sich in den vorgestellten Biographien „zu Recht die Hoffnung auf<br />
eine bessere menschliche Gesellschaft verkörpert“ 397 . Gleiches lässt sich auch für die Leitbilder<br />
der „Gleichheit“ formulieren, mit dem besonderen Schwerpunkt auf die Belange der Frauen in<br />
dieser prospektierten besseren menschlichen Gesellschaft.<br />
393 Gomard, Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität <strong>und</strong> Utopie, S. 41.<br />
394 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 28.<br />
395 Jacoby, Lexikon linker Leitfiguren, S. 7.<br />
396 Ebd., S. 8.<br />
397 Ebd.<br />
313
4 Zusammenstellung der in der „Gleichheit“ enthaltenen Frauenbiographien,<br />
Jubiläumsartikel <strong>und</strong> Nekrologe – Interpretative Analyse<br />
ihrer Leitbildfunktionen<br />
4.1 „[…] mit warmem Herzen, klarem Geist <strong>und</strong> starkem Wollen“ 1<br />
– Der „weibliche Vollmensch“ als elementares Leitbild sozialistischer<br />
Frauenbildung<br />
4.1.1 Zum Frauenleitbild des „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“<br />
Die schwedische Pädagogin <strong>und</strong> Kämpferin für Frauenrechte Ellen Key (1849-1926) stellte in<br />
ihrem 1909 in Deutschland erschienenen Werk „Die Frauenbewegung“ die der Kunst <strong>und</strong> der<br />
Wissenschaft angelegene Entwicklung einer „vollmenschliche[n] Persönlichkeit“ 2 dar. Die Ent-<br />
wicklung dieser Persönlichkeit müsse gesellschaftsübergreifend geschehen <strong>und</strong> könne für die<br />
Frauen nicht nur als Aufgabengebiet der „Frauenbewegung“ erachtet werden 3 :<br />
„Aber nichts ist sicherer, als daß die weibliche Persönlichkeit, mag ihr innerster<br />
Wille der geistige Schaffensdrang, das erotische Glück, die mütterliche Seligkeit<br />
oder die allgemeinmenschliche Güte sein, immer mehr n e u e Ausdrucksformen<br />
annehmen wird, Ausdrucksformen, die die einst liberalen, jetzt mehr<br />
konservativen Feministinnen <strong>und</strong> die modernen sozialistischen Feministen teils<br />
nicht ahnen teils – ahnend – beklagen! Denn a l l e sozialwirkenden Bewegungen<br />
der Gegenwart – vor allem die Frauenbewegung <strong>und</strong> der Sozialismus<br />
– sind nur Wegbahnungsarbeiten für die männlichen <strong>und</strong> <strong>weiblichen</strong> Vo l l -<br />
m e n s c h e n .“ 4<br />
Key sah demnach vor allem im Sozialismus sowohl ein besonderes Potential, diese<br />
Entwicklung voranzutreiben, als auch eine Ungenügsamkeit, diese zu vollenden. Sie betonte<br />
die prinzipielle Gleichwertigkeit aller Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht <strong>und</strong> sprach<br />
sich für die „vollständige“, <strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>en, harmonische Entwicklung ihrer Fähigkeiten<br />
aus. Diese Fähigkeiten in besonderer Qualität <strong>und</strong> ungehindert ausbilden zu können, ist kein<br />
individueller Egoismus, sondern im Sinne des sozialen Ganzen. Key betonte jedoch, dass sie<br />
eine Gleichwertigkeit, jedoch keine Gleichartigkeit anstrebe:<br />
1<br />
„‘Ein Vollmensch ist nur die Frau oder der Mann, die die Kräfte, die er oder sie<br />
als Mensch besitzt, ausgebildet hat <strong>und</strong> betätigt, ohne daß die Geschlechts-<br />
“Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch”. In: GL, 08/ 02/ 19.11.1898/ 9-10, S. 10.<br />
2 Key, Die Frauenbewegung, S. 55.<br />
3 Ähnlich sah dies auch Margarete Schneider (?-?), die ihren 1926 veröffentlichten biographischen Sammelband<br />
„Deutscher Frauen Leben <strong>und</strong> Streben“ mit den Worten einleitete: „Wenn wir die jungen Mädchen mit der<br />
Frauenbewegung bekannt machen, wollen wir sie nicht zu ‘Frauenrechtlerinnen’ machen in dem Sinn mit dem<br />
unangenehmen Beigeschmack, mit dem das Wort zuweilen von den Gegnern gebraucht wird; sondern wir<br />
wollen sie erwecken, daß sie sich bewußt entwickeln sollen zu <strong>weiblichen</strong> Vollmenschen.“ (Schneider,<br />
Deutscher Frauen Leben <strong>und</strong> Streben, S. 7). Es verw<strong>und</strong>ert angesichts dieser sehr differenzierten Meinung<br />
nicht, dass in diesem Sammelband sogar Sozialistinnen wie Baader, Popp <strong>und</strong> Zetkin porträtiert wurden.<br />
4 Key, Die Frauenbewegung, S. 59.<br />
315
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
besonderheit dadurch neutralisiert wird’“ 5 .<br />
Diesen Gedanken hatte Zetkin bereits 1898 6 in plakativere Worte gefasst, indem sie einem ihrer<br />
gr<strong>und</strong>legenden Artikel den Titel „Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch” 7<br />
gab. 8 Zetkins gr<strong>und</strong>sätzliche Überzeugung war, dass<br />
„[n]ur die Frau, die ein weiblicher Vollmensch in des Wortes bester Bedeutung ist,<br />
[…] als Mutter, Gattin, Bürgerin das Höchste zu leisten [vermag]“ 9 .<br />
Der „weibliche Vollmensch“ konnte diesen Aufgaben nur gerecht werden, wenn er seinen<br />
geistigen Horizont mit gr<strong>und</strong>legenden Bildungsinhalten aus Wissenschaft, Politik, Technik, Kunst<br />
<strong>und</strong> Literatur 10 erweiterte. Dies sollte sowohl einem „allgemein proletarische[n] Bildungsideal“ 11<br />
entsprechen als auch Rücksicht auf einen spezifisch <strong>weiblichen</strong> Charakter nehmen. Angesichts<br />
dieser gr<strong>und</strong>legenden Bedeutung, die der Entwicklung der Proletarierin zu einem „<strong>weiblichen</strong><br />
Vollmenschen“ zukam, verw<strong>und</strong>ert es allerdings, dass Zetkin keine konkreten Bildungsinhalte<br />
vorgab, sondern es bei allgemeinen <strong>und</strong> sehr abstrakten Beschreibungen dieses Frauenleitbildes<br />
beließ. Bei genauerer Lektüre des Artikels wird sogar erkennbar, dass sie vorrangig versuchte,<br />
vermeintlich bürgerliche Frauenleitbilder zu negieren. Zetkin warf der bürgerlichen Frauen-<br />
bewegung vor, dass sie einseitig<br />
„das Menschentum der Frau hervorhob, ihr Geschlecht dagegen quasi ableugnete<br />
<strong>und</strong> keine Rücksicht auf die Sondernatur <strong>und</strong> die Sonderaufgaben des Weibes<br />
anerkannte“ 12 .<br />
Die Gegenreaktion der patriarchalen Gesellschaft darauf sei die Reduzierung der Frau auf ein<br />
gefühlsbetontes „Nur-Geschlechtswesen“ gewesen. Zetkin machte der bürgerlichen – vornehmlich<br />
wohl radikalen – Frauenbewegung den Vorwurf, als Ausgangspunkt ihrer Beweisführungen <strong>und</strong><br />
Forderungen<br />
5 Ebd., S. 120.<br />
„[e]in groteskes, erlogenes Geschöpf, die Frau als abstrakte[n], ungeschlecht-<br />
6 Bereits 1896 hatte Zetkin in Gotha ein Ideal des „proletarischen Vollmenschen“ postuliert <strong>und</strong> seine Verwirklichung<br />
nicht erst im Sozialismus gesehen: „Wir aber wollen, daß in der St<strong>und</strong>e, wo am Ende der<br />
kapitalistischen Entwickelung die bürgerliche Gesellschaft in sich selbst zusammenbricht, der Proletarier nicht<br />
dasteht, wie der Sklave, der die Kette bricht, sondern als eine körperlich, geistig <strong>und</strong> sittlich vollkommene Persönlichkeit.“<br />
(Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 173).<br />
7<br />
“Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch”. In: GL, 08/ 02/ 19.11.1898/ 9-10.<br />
8 Es ist nicht mehr nachvollziehbar, ob sich Zetkin mit diesem Artikel konkret auf Key bezog. Dass sie sich mit<br />
Keys Werken beschäftigt hatte, geht später aus ihrer Schrift „Der Student <strong>und</strong> das Weib“ klar hervor (vgl. Zetkin,<br />
Der Student <strong>und</strong> das Weib, S. 17). Dafür, dass Zetkin die Arbeiten Keys sehr schätzte, spricht außerdem, dass im<br />
April 1914 die „Gleichheit“ einen Zeitungsartikel Keys zum politischen Frauenwahlrecht sehr positiv hervorhob<br />
(vgl. Ellen Key über das politische Frauenwahlrecht … In: GL, 24/ 15/ 15.04.1914/ 240).<br />
9<br />
„Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch”. In: GL, 08/ 02/ 19.11.1898/ 9.<br />
10 Vgl. Lerch, Kulturelle Sozialisation von Arbeitern im Kaiserreich. S. 254.<br />
11 Friese, Bildungskonzepte der Arbeiterinnenbewegung, S. 239.<br />
12 „Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch”. In: GL, 08/ 02/ 19.11.1898/ 9.<br />
316
4.1.1 ZUM FRAUENLEITBILD DES „WEIBLICHEN VOLLMENSCHEN“<br />
liche[n] Nur-Mensch[en], losgelöst von allen Bedingungen <strong>und</strong> Aufgaben ihres<br />
Geschlechts“ 13<br />
geschaffen zu haben – eine Frau, die das Männliche als Maßstab nimmt – ein sogenanntes „Mann-<br />
weib 14 . Wenn Zetkin schrieb, dass der Wert einer <strong>weiblichen</strong> Persönlichkeit für die Allgemeinheit<br />
sich<br />
„nicht blos nach der Zahl der von ihr geschriebenen guten <strong>und</strong> schlechten Romane<br />
oder Abhandlungen, nach den Noten der bestandenen Examina, der eifrigen<br />
Antheilnahme am öffentlichen Leben“ 15<br />
bemesse, dann wurde der bildungsbürgerliche Adressat ihrer Schmähung besonders deutlich.<br />
Aber auch das andere Extrem, die „Haussklavin“ oder „Nichts-als-Hausfrau“, wurde von Zetkin<br />
als Ideal zurückgewiesen. Denn der Wert einer Frau für ihre Familie könne nicht lediglich „nach<br />
dem geräuschlosen <strong>und</strong> gleichmäßigen Gang des häuslichen Räderwerks, der Güte des<br />
eigenhändig bereiteten Mahles, der Beschränkung des Empfindens, Denkens <strong>und</strong> Handelns auf<br />
den engen Bannkreis des Hauses“ 16 abgeschätzt werden.<br />
Kurzum könne „[w]eder die Nichts-als-Hausfrau, noch das Mannweib […] das Ideal der Frau<br />
sein“ 17 . Vielmehr hätten sich die proletarischen Frauen harmonisch nach beiden Seiten – Weib <strong>und</strong><br />
Mensch – zu entfalten. Diese Vorstellung harmonischer Selbstentfaltung schloss demnach<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich die Zuständigkeit der Frau für Haus <strong>und</strong> Familie nicht aus, reduzierte sie aber auch<br />
nicht auf diese Rolle. Indem sie beiden Seiten gerecht werde, solle die Frau als „Sandkörnchen<br />
zum vollendeten Aufbau des gesellschaftlichen Lebens“ 18 beitragen <strong>und</strong> das „Menschliche“, das<br />
hier doch wohl eher dem männlichen Maßstab entspricht 19 , „tödte[…] nicht das Weibliche,<br />
sondern dräng[e] nur das Weibische zurück“ 20 [Hervorhebungen von M.S.].<br />
Ein Jahr nach Erscheinen dieses programmatischen Artikels in der „Gleichheit“ veröffentlichte<br />
Zetkin die Broschüre „Der Student <strong>und</strong> das Weib“, die sich deutlich an dem Artikel anlehnte.<br />
13 Ebd.<br />
14 Unter einem „Mannweib“ verstand Zetkin eine Frau, die männliches Verhalten kopierte, die „zum Affen des Mannes<br />
w[u]rde, ihm abguckt[e], ‘wie er sich räuspert, <strong>und</strong> wie er spuckt’“ (Zetkin, Der Student <strong>und</strong> das Weib, S. 18).<br />
15 „Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch”. In: GL, 08/ 02/ 19.11.1898/ 9.<br />
16 Ebd.<br />
17 Ebd., S. 10.<br />
18 Ebd.<br />
19 Zwar war auch Gomard der Meinung, dass Zetkin genau wie Bebel ihre Formulierungen sehr abstrakt abfasste,<br />
aber nicht bei ihr, sondern bei Bebel sei der Mann Maßstab gewesen (vgl. Gomard, Propaganda der „Gleichheit“<br />
zwischen Realität <strong>und</strong> Utopie, S. 43). Nach Puschnerats Ansicht dagegen war der Maßstab des Zetkin‘schen<br />
Erziehungsziels immer der SPD- bzw. KPD-Mann (vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus,<br />
S. 135). Überhaupt sei es Zetkins Überzeugung gewesen, dass die proletarische Frau gegenüber dem<br />
proletarischen Mann von Natur aus immer ein Mängelwesen sei (ebd., S. 139).<br />
20 „Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch”. In: GL, 08/ 02/ 19.11.1898/ 10.<br />
317
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Zetkin versuchte sich darin auch verstärkt an sozialpsychologischen Deutungen. Die Frau sei<br />
später als der Mann zum Bewusstsein ihrer Persönlichkeit „erwacht“ 21 <strong>und</strong> habe sich bisher „in<br />
erster Linie nur als Mitglied einer Gemeinschaft [z. B. Familie; M.S.] fühlen“ 22 können, aber<br />
„nicht als Persönlichkeit“ 23 . So habe sie sich „[i]n schweren Konflikten des Geistes, des Herzens,<br />
der Pflichten [ge]fragt […]: Wer bin ich? Was vermag ich? Was soll ich?“ 24 Aus dieser Sicht stellte<br />
die moderne Frauenbewegung – nach ihrer ethisch-psychologischen Seite hin – für Zetkin den<br />
„Ausdruck für das Ringen der Frau nach der Entfaltung <strong>und</strong> dem Ausleben der Persönlichkeit“ 25<br />
dar. Wie sie es aber bereits in ihrem Artikel erläutert hatte, entwickelte die Frauenbewegung,<br />
indem sie dem Ideal des „Nur-Weibes“ das Ideal des „Nur-Menschen“ entgegenstellte, gar nur<br />
Karikaturen:<br />
„In vielen frauenrechtlerischen Erzeugnissen spukt als verherrlichter Typus der<br />
‘neuen Frau’ ein groteskes, geschlechtsloses Geschöpf, eine auf zwei Beine gestellte<br />
unwahre Abstraktion ungeschlechtlicher Menschlichkeit, die ‘neue Eva’, die<br />
alles Weibliche als menschlich minderwertig <strong>und</strong> unwert verachtet, alle <strong>weiblichen</strong><br />
Sonderaufgaben als erniedrigend zurückweist <strong>und</strong> einzig nach einem Ausleben als<br />
Nur-Mensch strebt.“ 26<br />
Mangels weiblicher Vollmenschen im realen Leben hatte Zetkin hinsichtlich geeigneter Vorbilder<br />
sogar die Literatur untersucht, war aber nicht fündig geworden. Dem Typus dieser „neuen Frau“<br />
am nächsten kamen ihrer Meinung nach nur die Frauendarstellungen in der russischen Literatur. 27<br />
Der „weibliche Vollmensch“ stellt wie kein anderes hier noch zu analysierendes Frauenleitbild die<br />
Synthese einer Vielzahl verschiedener Persönlichkeitsideale dar. Wie Zetkin bereits in ihrem<br />
Artikel postulierte, seien pflichtbewusste Mütter, Gattinnen <strong>und</strong> Bürgerinnen die Ergebnisse eines<br />
solchen Vollmenschentums. Sie beschrieb die Zusammenhänge <strong>und</strong> die der Gesellschaft erwachs-<br />
enden Vorteile, wenn aus diesen Frauen weibliche Vollmenschen würden:<br />
„Als Mensch wird sicherlich im allgemeinen mit voller, reifer Kraft, die Frau<br />
geben, die Liebesglück genossen hat, das Beste ihres Seins <strong>und</strong> Strebens, des Seins<br />
<strong>und</strong> Strebens eines geliebten Gatten in ges<strong>und</strong>en Kindern heranwachsen <strong>und</strong> über<br />
sich selbst hunauswachsen[sic] sieht. Als Weib wird die Frau das Höchste leisten,<br />
21 Vgl. Zetkin, Der Student <strong>und</strong> das Weib, S. 17.<br />
22 Ebd.<br />
23 Ebd.<br />
24 Ebd.<br />
25 Ebd. Dennoch kommt Freier für die von Zetkin entwickelte <strong>und</strong> auf ähnlichen Argumenten gestützte „sozialistische<br />
Frauenemanzipationstheorie“ zu dem Ergebnis, sie entbehre den Gedanken der individuellen Emanzipation<br />
der Frau, womit Freier die Emanzipation der Frau als „selbständige Persönlichkeit“ meint (Freier, Dimensionen<br />
<strong>weiblichen</strong> Erlebens <strong>und</strong> Handelns, S. 155).<br />
26 Zetkin, Der Student <strong>und</strong> das Weib, S. 17.<br />
27 Ebd., S. 18.<br />
318
4.1.1 ZUM FRAUENLEITBILD DES „WEIBLICHEN VOLLMENSCHEN“<br />
die als voll erblühter Mensch auch im Leben außerhalb des Hauses daheim ist,<br />
kraftvoll entfaltetes Menschentum ihren Kindern als kostbarstes Erbteil zubringt,<br />
Familienkreise als belebende, vorwärts drängende Macht betätigt.“ 28<br />
Der „weibliche Vollmensch“ zeichnet sich u. a. darin aus, dass er eine vorbildliche Gattin <strong>und</strong><br />
Mutter ist <strong>und</strong> umgekehrt zeichnen sich vorbildliche Gattinnen <strong>und</strong> Mütter darin aus, dass sie das<br />
Vollmenschentum anstreben.<br />
Größtes Problem für diese Entwicklung <strong>und</strong> das Ausleben der Persönlichkeit eines <strong>weiblichen</strong><br />
Vollmenschen waren die gegebenen sozialen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Gesellschaftsverhältnisse. Noch<br />
waren diese weit davon entfernt, ideale Vorbedingungen dieser ersehnten Entwicklungen zu sein.<br />
Und doch mussten noch innerhalb der gegebenen Schranken der kapitalistischen Gesellschaft der<br />
Verwahrlosung des Proletariats entgegengearbeitet werden. Auch wenn Parteiführung <strong>und</strong> Partei-<br />
literatur dem Proletariat eine höhere Moral <strong>und</strong> Sittlichkeit, eine historische Mission gegen die<br />
Dekadenz der Bourgeoisie zuschrieb, konnten sie ihre Augen nicht vor der „Sklaverei, Unwissen-<br />
heit, Brutalisierung <strong>und</strong> moralische[n] Degradation auf seiten der Arbeiterklasse“ 29 verschließen.<br />
Die proletarische Frauenbewegung umso weniger, da<br />
„die Sklaverei, die Unwissenheit <strong>und</strong> die moralische Degradation, zu der die<br />
Frauen vom Kapital verdammt w[u]rden, […] geradezu ungeheuerlich <strong>und</strong> weit,<br />
weit furchtbarer noch als im Falle der männlichen Arbeiter“ 30<br />
war. Die Bildung der Proletarierinnen war demnach ein besonders dringliches Problem. Dies zu<br />
lösen, war jedoch umso schwieriger, da ihre alltäglichen Pflichten neben der Arbeit im Haushalt,<br />
auch die Versorgung <strong>und</strong> Erziehung der Kinder umfassten. Nicht selten wurde darüber hinaus eine<br />
zusätzliche Erwerbstätigkeit notwendig, um das Familienauskommen zu sichern. Um diese<br />
Doppel- <strong>und</strong> Dreifachbelastung in ihrem Umfang richtig einschätzen zu können, muss man sich<br />
immer wieder vor Augen führen, dass der Hausfrau des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts wenig „Haushalts-<br />
technik“ zur Verfügung stand <strong>und</strong> Kinderbetreuung nicht dem Rollenbild des Familienvaters<br />
entsprach. Und so war es die proletarische Frau, die noch weit mehr als der Mann unter dem<br />
gr<strong>und</strong>sätzlichsten aller Probleme litt: Dem Mangel an Zeit.<br />
Ohne die notwendige Zeit blieb es dem gesamten Proletariat unmöglich, den „Geist zu bilden <strong>und</strong><br />
teilzunehmen an allem, was Natur, Wissenschaft <strong>und</strong> Kunst Schönes <strong>und</strong> Großes bieten“ 31 , sich<br />
also zur erwähnten „vollkommenen Persönlichkeit“ zu entwickeln. Zentrale Forderung von SPD<br />
<strong>und</strong> „Gleichheit“ musste deshalb die Arbeitszeitverkürzung, musste der „Achtst<strong>und</strong>entag“ sein:<br />
28 Ebd.<br />
29 Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin in Deutschland, S. 170.<br />
30 Ebd., S. 170-171.<br />
31 Baader, Ottilie: Acht St<strong>und</strong>en! In: GL, 16/ 09/ 02.05.1906/ 58. Die jährlichen Aufrufe zum 1. Mai ähneln sich<br />
inhaltlich sehr stark <strong>und</strong> wurden ebenfalls des Öfteren von Baader verfasst.<br />
319
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
„Gebt uns Zeit, uns zu bilden! Gebt uns Zeit, unseren Kindern zu leben! Gebt uns<br />
Zeit, mit zu genießen, was Natur <strong>und</strong> Kunst Herrliches bieten!“ 32<br />
Wie enttäuschend jedoch für die Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung, wenn die<br />
Proletarierinnen anstatt die gewonnene Freizeit für Selbstbildung <strong>und</strong> der Erziehung ihrer Kinder<br />
zu nutzen, diese mit der Lektüre von sogenannter „Sch<strong>und</strong>literatur“ vergeudeten. Sie müssen es<br />
ähnlich schmerzhaft wie der Parteiführer Wilhelm Liebknecht empf<strong>und</strong>en haben, „daß die<br />
Fähigkeit, lesen <strong>und</strong> schreiben zu können, noch lange nicht gleichbedeutend mit Bildung ist“ 33 .<br />
Der Konflikt um die Doppelbelastung wurde von Zetkin nicht ignoriert. Jedoch sah sie den der<br />
proletarischen Frau durch die kapitalistische Gesellschaftsordnung aufgezwungenen „Konflikt<br />
zwischen Berufspflichten <strong>und</strong> Familienpflichten [als] unvermeidlich“ 34 an. „[S]tarke Frauen-<br />
individualitäten“ 35 , die beidem gerecht werden könnten, seien die Ausnahme <strong>und</strong> bezahlten dies<br />
meist mit „einer vorzeitigen Hinopferung ihrer Kraft“ 36 .<br />
Die Erwerbstätigkeit der Frau – idealerweise nicht nur als reiner Broterwerb, sondern auch als<br />
Berufung – sollte sie nicht zu einer „Nichts-als-Berufsarbeiterin“ 37 machen, sondern der Frau die<br />
„Welt erschließen“. Die Tätigkeit für die Familie, sollte sie nicht zur „Nichts-als-Hausfrau“<br />
machen, sondern ebenfalls die Möglichkeiten bieten, sich auszuleben. 38 Ein ausgeglichener <strong>und</strong><br />
ausgleichender Aufgabenbereich der Frau würde, so die Meinung Zetkins, auch dem Mann den<br />
notwendigen Freiraum bieten, „als Mitarbeitender beim Ausbau des Heims <strong>und</strong> der Erziehung der<br />
Kinder neben der Frau zuwirken[sic]“ 39 . Zetkin gestand sowohl ein, dass unter den gegebenen<br />
Umständen „ein harmonisches Ausleben als Vollmensch [für die] Mehrzahl der Frauen zur Un-<br />
möglichkeit“ 40 wurde, als auch, dass es selbst noch in der sozialistischen Gesellschaft ein „heißes<br />
Ringen <strong>und</strong> Kämpfen der Frau um Klarheit über die Grenze ihrer Betätigung in Heim <strong>und</strong> Welt“ 41<br />
geben müsse. Vor allem aber galt es jetzt der Frau die Entwicklungs- <strong>und</strong> Bewegungsfreiheit zu<br />
32 Wulff, Frida: Nur Zeit! In: GL, 18/ 09/ 27.04.1908/ 82.<br />
33 Liebknecht, Wilhelm: Wissen ist Macht – Macht ist Wissen; Festrede, gehalten zum Stiftungsfest des Dresdener<br />
Arbeiterbildungsvereins am 5. Februar 1872. Zit. nach: Feidel-Mertz, Zur Geschichte der Arbeiterbildung, S. 61.<br />
34 Zetkin, Der Student <strong>und</strong> das Weib, S. 22.<br />
35 Ebd.<br />
36 Ebd.<br />
37 Ebd.<br />
38 Ebd.<br />
39 Zetkin, Der Student <strong>und</strong> das Weib, S. 24. Beispiel für einen männlichen Vollmenschen war laut der Charakterisierung<br />
H. Schröters (?-?) der SPD-Politiker <strong>und</strong> „Gleichheit“-Autor Wilhelm Blos. Anlässlich seines 70. Geburtstages<br />
würdigte Schröter ihn als „Vollmenschen“, dessen „reiche[s], unermüdliche[s] Schaffen“ (Schröter, H.:<br />
Wilhelm Blos. In: GL, 29/ 33/ 04.10.1919/ 259-260, 260) jedoch gleichermaßen als ein Verdienst seiner Ehefrau<br />
Anna anzusehen sei.<br />
40 Zetkin, Der Student <strong>und</strong> das Weib, S. 22.<br />
41 Ebd., S. 25.<br />
320
4.1.1 ZUM FRAUENLEITBILD DES „WEIBLICHEN VOLLMENSCHEN“<br />
geben, die sie für ihr Vollmenschtum brauchte. Soziale Schranken galt es „zu schleifen“ 42 , denn<br />
für Zetkin stand fest: „Jede ernste Frauenbewegung, muß […] soziale Kampfesbewegung sein.“ 43<br />
Für die proletarischen Frauen konnte dies nur bedeuten, gemeinsam mit den Männern ihrer Klasse<br />
die Umwälzung der Gesellschaft anzustreben – ähnlich einer idealen proletarischen Ehe als<br />
„Lebens- <strong>und</strong> Strebensgemeinschaft“ 44 . Nach Zetkins Meinung konnte davon ausgegangen<br />
werden, dass „[s]oweit die Arbeiterwelt klassenbewußt, geschichtlich denkt“ 45 , sie die Frau nicht<br />
als Konkurrentin, sondern als „gleichwertige, gleichberechtigte Mitarbeiterin <strong>und</strong> Mitkämpferin<br />
auf allen Gebieten des sozialen Lebens“ 46 begrüße. Anders dagegen die Studenten <strong>und</strong><br />
Akademiker, die „die bildungssehnsüchtige, nach tieferem, reicherem Lebensinhalt verlangende<br />
Frau“ 47 ausschließen würden <strong>und</strong> „sie als Verschrobene, wohl gar als moralisch Schiffbrüchige, als<br />
Pflichtvergessene“ 48 verachteten <strong>und</strong> verspotteten. Die vermeintlich studierten Männer konnten in<br />
der Entwicklung der Frau zum Vollmenschen keinen kulturellen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Gewinn<br />
erkennen. Viel eher betonten sie das Fehlen historischer Belege für die These, dass Frauen zu den<br />
gewünschten Leistungen fähig sind. Zetkin zeigte die Kurzsichtigkeit dieses auch heute stets aufs<br />
Neue vorgebrachten Arguments auf:<br />
„Wie aber steht es mit der Kraft des ‘geschichtlichen Beweises’, daß das weibliche<br />
Geschlecht bis jetzt auf künstlerischem <strong>und</strong> wissenschaftlichem Gebiete nicht<br />
bahnbrechende Leistungen aufzeigen kann? Wer im Glashause sitzt, sollte nicht<br />
mit Steinen werfen! Wie winzig ist nicht die Zahl der Männer, die im Reiche der<br />
Wissenschaft <strong>und</strong> Kunst Pfadfinder, Bahnbrecher, Präger neuer Werte gewesen<br />
sind! H<strong>und</strong>erttausende, denen alle Kultur ihrer Zeit zugänglich war, sind nichts als<br />
Kärrner geblieben, die zu tun hatten, wo die Könige bauten. […] Die wenigsten der<br />
vielen Tausenden von jungen Männern, die alljährlich Universitäten, Kunstschulen<br />
etc. verlassen, bereichern durch ihr Wirken Kunst <strong>und</strong> Wissenschaft <strong>und</strong> dürfen<br />
dafür historische Bedeutung beanspruchen.“ 49<br />
Wenn die Männerwelt von den ihnen zugestandenen Rechten nur den minimalsten Gebrauch<br />
machte, wie konnte man dann den Frauen, denen diese Rechte verweigert wurden, aus ihrer<br />
mangelnden Präsenz unter den vermeintlich Großen der Geschichte einen Vorwurf konstruieren. 50<br />
42 Ebd., S. 18.<br />
43 Ebd.<br />
44 Ebd., S. 27.<br />
45 Ebd., S. 19.<br />
46 Ebd.<br />
47 Ebd.<br />
48 Ebd.<br />
49 Ebd., S. 20.<br />
50 <strong>Von</strong> Zetkin unberücksichtigt blieb das Argument, dass die historische Forschung <strong>und</strong> ihre Erkenntnisse sowohl<br />
von einer bürgerlichen als auch von einer männlichen Perspektive dominiert wurden. Es sind nicht die Frauen, die<br />
keine Geschichte machen, es sind die Männer, die deren Anteil daran kaum dokumentieren.<br />
321
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Zetkin verwies des Weiteren vor allem auf das noch unterdrückte Potential der proletarischen<br />
Frauen, wenn sie schrieb:<br />
„Ein historischer Schluß auf die geistige Befähigung der Frau kann erst gezogen<br />
werden, wenn unbeschränkte Bildungsmöglichkeiten für die Gesamtheit des<br />
<strong>weiblichen</strong> Geschlechts <strong>und</strong> nicht bloß für ‘höhere Töchter’ vorhanden ist; wenn in<br />
der Frauenwelt jede Begabung sich frei zu entfalten vermag <strong>und</strong> zwar entsprechend<br />
der <strong>weiblichen</strong> Eigenart <strong>und</strong> nicht als Abklatsch männlicher Art <strong>und</strong> Unart.“ 51<br />
„Der Student <strong>und</strong> das Weib“ war kein feministisches Plädoyer, sondern eine sozialistische<br />
Streitschrift. Zetkin hatte Verständnis für die Belange der bürgerlichen Frauen, sah aber deren<br />
Interessen nicht als kongruent an mit denen der Proletarierinnen. Ohne Frage hatte Zetkin aber<br />
bereits eine besondere Entwicklung durchlaufen. Sie näherte sich in ihrer Diskussion um den<br />
<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen der Position der bürgerliche Frauenbewegung wenigstens insoweit an,<br />
dass die Geschlechtsunterschiede nicht geleugnet werden könnten <strong>und</strong> dürften <strong>und</strong> dass es darum<br />
gehen müsse, „spezifisch weibliche Fähigkeiten im Interesse der Frau <strong>und</strong> der Gesellschaft“ 52 zu<br />
nutzen. Es waren aber dennoch sozialistische Interessen, die sie an den auch von der bürgerlichen<br />
Frauenbewegung benutzten Begriff des Vollmenschentums geknüpft sah:<br />
„Vollmenschentum für alle ist das Allerheiligste, das das kämpfende Proletariat in<br />
seinen politischen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Schlachten in einfacher B<strong>und</strong>eslade mit<br />
sich führt, <strong>und</strong> dem es erst nach den 40 Jahren seines Marsches durch die Wüste<br />
des Kapitalismus in der sozialistischen Gesellschaft einen würdigen Tempel zu<br />
erbauen vermag.“ 53<br />
Das Proletariat war für Zetkin in Anlehnung an die Bibel auserwählt für eine historische kulturelle<br />
Mission. Es war die einzige quasi „kulturbewahrende“ Klasse, deren Mission sich gegen die<br />
kulturhemmende, „kunstfeindliche, ja kunstmörderische“ 54 Wirkung der proletarischen Lebens-<br />
bedingungen richtete. Es ging eben nicht nur um die Befriedigung materieller Bedürfnisse,<br />
sondern auch um die Entfaltung zum „Vollmenschen“:<br />
51 Ebd.<br />
„Sie irren, die im proletarischen Klassenkampf nur das Begehren nach Füllung des<br />
Magens sehen. Dieses weltgeschichtliche Ringen geht um das ganze Kulturerbe<br />
der Menschheit, es geht um die Möglichkeit der Entfaltung <strong>und</strong> Betätigung vollen<br />
Menschentums für alle.“ 55<br />
52 Hoeppel, Clara Zetkin: Erziehung zwischen Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialismus, S. 84.<br />
53 Zetkin, Der Student <strong>und</strong> das Weib, S. 29.<br />
54 Zetkin, Klara: Kunst <strong>und</strong> Proletariat. In: GL, 21 (1911)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 07/ 25.<br />
55 Ebd. Die bürgerliche Klasse fürchtete, so Lerch, im Proletariat schlummernde kulturzerstörerische Kräfte: „Eine<br />
politische Rebellion dieser unreifen Masse, so befürchtete man, würde die Kultur aus Unkenntnis zerstören.<br />
Darum sei es notwendig, die Arbeiter frühzeitig an Bildung <strong>und</strong> Kultur teilhaben zu lassen.“ (Lerch, Kulturelle<br />
Sozialisation von Arbeitern im Kaiserreich, S. 259). Aus diesem zerstörerischen Potential hatte der Sozialismus<br />
nie einen Hehl gemacht, wollte man doch den bürgerlichen Staat nicht umwandeln, sondern vernichten. Die<br />
bürgerlichen Pädagogen, die Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts Arbeitervereine gründeten, taten dies wohl auch, um<br />
bürgerliches Kulturgut vor einer Zerstörung zu bewahren, indem sie es den Proletariern näher brachten.<br />
322
4.1.1 ZUM FRAUENLEITBILD DES „WEIBLICHEN VOLLMENSCHEN“<br />
Es drückt sich hier schließlich der schwerwiegende <strong>und</strong> in modernen Forschungsarbeiten oft<br />
kritisierte Gegensatz von Anspruch <strong>und</strong> Realität sozialistischer Agitation aus.<br />
Der proletarischen Frau sollte besonders am Beispiel historischer Leitfiguren die Bedeutung der<br />
Frau für die Entwicklung menschlicher Kultur vermittelt werden <strong>und</strong> damit zugleich ein eigenes<br />
geschlechtsspezifisches Geschichtsbewusstsein. Welche in der „Gleichheit“ porträtierten histo-<br />
rischen Persönlichkeiten können aber nun im Sinne des Zetkin‘schen Artikels zu den Vorbildern<br />
für einen „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ gezählt werden? Abhängig von Duktus <strong>und</strong> inhaltlichen<br />
Schwerpunkten der biographischen Artikel wurde im Rahmen dieser Arbeit eine Gliederung<br />
vorgenommen. In den Biographien einiger Persönlichkeiten tritt eines der im „<strong>weiblichen</strong> Voll-<br />
menschen“ enthaltenen Leitbilder so stark hervor, dass sie einem der weiteren Kapitel zugeordnet<br />
wurden. In den folgenden Rekonstruktionen der „Gleichheit“-Artikel handelt es sich um Frauen,<br />
die den Proletarierinnen des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts Leitbilder sein konnten, trotzdem sie nicht über ein<br />
ausgeprägtes Klassenbewusstsein verfügten oder aufopfernde Gattinnen <strong>und</strong> Mütter waren. Was<br />
sie alle jedoch auszeichnete, war ein warmes Herz, ein klarer Geist <strong>und</strong> ein starkes Wollen.<br />
Die Reihenfolge der folgenden biographischen Skizzen orientierte sich an der chronologischen<br />
Reihenfolge der jeweiligen Lebensdaten. Die Rekonstruktionen stützen sich in Schwerpunkt-<br />
setzung <strong>und</strong> Inhalt auf die im „Gleichheit“-Hauptblatt erschienenen Artikel <strong>und</strong> enthalten nur<br />
vereinzelt ergänzende Hintergr<strong>und</strong>informationen.<br />
323
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
4.1.2 Gelehrte <strong>und</strong> kulturschaffende Frauen<br />
Biographische Skizzen zu Frauen der Antike, des Mittelalters oder der Frühen Neuzeit sind in der<br />
„Gleichheit“ selten. Ob diese Lücke dem Stand der zeitgenössischen Geschichtsforschung oder<br />
dem Mangel an geeigneten Leitfiguren in diesen Epochen zuzuschreiben ist, kann nicht endgültig<br />
beurteilt werden.<br />
Als eine frühe „Vorkämpferin der Frauenbewegung“ 56 wurde den „Gleichheit“-Leserinnen in einer<br />
kurzen Notiz u. a. Christine de Pisan (um 1364-um 1430) vorgestellt. Sie erfahren dort, dass<br />
Pisan früh heiratete <strong>und</strong> Mutter mehrerer Kinder war. Nach dem Tod ihres Ehemannes sei es ihr<br />
allein dank einer umfassenden Bildung möglich gewesen, sich <strong>und</strong> ihre Kinder mit ihrer Tätigkeit<br />
als Schriftstellerin zu ernähren. Darüber hinaus setzte sich Pisan in ihrem Hauptwerk „Die Stadt<br />
<strong>und</strong> die Frauen“ (1404/05) für die gleiche Bildung von Mädchen <strong>und</strong> Jungen ein. Sie war dem-<br />
nach eine vorbildliche Persönlichkeit, weil sie ihr Wissen einsetzte, um auch für ihre Geschlechts-<br />
genossinnen eine adäquate Bildung einzufordern.<br />
Eine der wenigen in der „Gleichheit“ enthaltenen Biographien von Frauen der Frühen Neuzeit<br />
stellt die schottische Königin Maria Stuart (1542-1587) vor. Sie ist die einzige Königin, die im<br />
Hauptblatt der „Gleichheit“ porträtiert wurde. Es wird nun herauszustellen sein, welche Charak-<br />
tereigenschaften einer Königin der „Gleichheit“ für Arbeiterinnen als erstrebenswert galten.<br />
Wittich zog für seinen Artikel eine „‘auf dem Boden der neuesten Forschung stehende,<br />
vollkommen objektive, dabei populäre Biographie Mariens’“ 57 heran. In dieser wird die Tochter<br />
König Jakobs V. von Schottland <strong>und</strong> Enkelin Heinrichs VII. als die einzig rechtmäßige Anwärterin<br />
auf den englischen Thron erachtet. Aus reiner „Staatsklugheit“ 58 habe ihre Rivalin <strong>und</strong> Cousine,<br />
Königin Elisabeth I. (1533-1603), Stuart köpfen lassen. Eine Beurteilung <strong>und</strong> Vorwegnahme der<br />
Ereignisse, die bereits eine erste moralische Bewertung der Protagonistinnen impliziert. Es sei<br />
eine „protestantische ‘Geschichtsklitterung’“ 59 , so Wittich weiter, die Stuart bisher als „verlorenes,<br />
verbuhltes Weib“ 60 dargestellt habe. Nach dieser Geschichtsverfälschung sei Stuart am Mord ihres<br />
zweiten Gatten Henry Stuart Darnley beteiligt gewesen <strong>und</strong> habe dann dessen Mörder James<br />
56 Vgl. Eine Vorkämpferin der Frauenbewegung … In: GL, 08/ 03/ 02.02.1898/ 24.<br />
57 Wittich, Manfred: Maria Stuart. Eine historische Skizze. In: GL, 05/ 07/ 03.04.1895/ 52. Diese Biographie wurde<br />
1890 von dem norwegischen Historiker Gustav Storm veröffentlicht.<br />
58 Ebd.<br />
59 Ebd.<br />
60 Ebd. Schiller habe die Rollen in seinem Stück umgedreht <strong>und</strong> sei dafür „von lutherischen Eiferern als geheimer<br />
Katholik denunzirt“ (ebd.) worden. Storm zeichnete auf Basis zeitgenössischer Quellen ein ähnliches Bild von<br />
Stuart wie Schiller es tat, ging aber weniger streng mit Elisabeth ins Gericht.<br />
324
4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN<br />
Hepburn Bothwell geheiratet. In dieser Beurteilung sei sie eine Verschwörerin gewesen, die mit<br />
den katholischen Mächten paktierend der „jungfräulichen“ Elisabeth nach dem Leben getrachtet<br />
habe <strong>und</strong> somit rechtens geköpft worden sei. 61 Diese konfessionell motivierte Geschichtsversion<br />
unterschlage jedoch die Intrigen des schottischen Adels <strong>und</strong> dessen tatsächliche Beweggründe für<br />
den Übertritt zum Protestantismus. Wittich ist der Auffassung, dass nicht Stuart, sondern der in-<br />
trigante illoyale schottische Adel eine Art „Kollektivmörder“ 62 gewesen sei. Stets habe noch jeder<br />
Adel, dessen Interessen durch einen König gefährdet waren, „rebellirt, frondirt[…] [<strong>und</strong>]<br />
opponirt“ 63 . So sei es nicht verw<strong>und</strong>erlich, dass von den 107 Vorgängern Maria Stuarts auf dem<br />
schottischen Thron 56 eines gewaltsamen, teils heimtückischen Todes starben – Morde, die vom<br />
Adel initiiert gewesen seien.<br />
Wittich beschäftigte sich lange mit der Beschreibung der politischen <strong>und</strong> religiösen Situation im<br />
Schottland des 16. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>und</strong> des Verhältnisses von Katholiken <strong>und</strong> Protestanten. Ein<br />
besonderes Augenmerk richtete er dabei auf die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zur<br />
Echtheit der Beweise, die zu Stuarts Verurteilung geführt hatten. Das Niveau, auf dem er dies tut,<br />
ist m. E. für die durchschnittliche „Gleichheit“-Leserin viel zu hoch. Im Zusammenhang mit dem<br />
Frauenleitbild des „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ wird nun zu untersuchen sein, ob es sich mit seinen<br />
Beschreibungen zum Charakter Stuarts anders verhält.<br />
Die 1558 mit dem französischen Kronprinzen Franz II. vermählte Stuart, sei eine „kindlich-<br />
gläubige, begeistert fromme Katholikin“ 64 gewesen. Als Zwölfjährige habe sie „im besten<br />
ciceronischen Latein“ 65 eine Rede zum Thema „Die Begabung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts für<br />
Wissenschaft <strong>und</strong> Kunst“ verfasst. Nach Wittichs Meinung war Stuart selbst ein „lebender Beweis<br />
für diese These“ 66 . Ihre Begabung für Sprachen umfasste neben Latein auch Schottisch, Englisch,<br />
Französisch <strong>und</strong> Italienisch. Als Regentin sei sie „gerecht <strong>und</strong> billig“ 67 gewesen, „leicht geneigt,<br />
erfahrene Unbill zu verzeihen“ 68 , <strong>und</strong> anderen Religionen gegenüber sehr tolerant. Auch ihr<br />
Äußeres blieb nicht unerwähnt, denn ihre Schönheit sei „allgemein unbestritten […] <strong>und</strong> bekannt“<br />
69 . Ihr Vetter Darnley, den sie nach dem Tode Franz II. 1560 heiratete, sei dagegen ein „Toffel <strong>und</strong><br />
61 Ebd.<br />
62 Ebd.<br />
63 Ebd., S. 53.<br />
64 Ebd., S. 54.<br />
65 Ebd.<br />
66 Ebd.<br />
67 Ebd.<br />
68 Ebd.<br />
69 Ebd.<br />
325
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Egoist[…] in Folio“ 70 gewesen.<br />
Stuarts von ihren Feinden vorgeworfenes „Haupt- <strong>und</strong> wohl einzige[s] Verbrechen“ 71 war, so<br />
Wittich, „ihr Glaubensbekenntniß <strong>und</strong> ihr persönlicher Eifer für ihre Religion“ 72 . Diese Aussage<br />
dürfte die Empathie all jener bekennenden Sozialistinnen gef<strong>und</strong>en haben, die selbst einmal ihres<br />
politischen Bekenntnisses wegen verfolgt wurden, <strong>und</strong> sie ist auch bemerkenswert hinsichtlich der<br />
propagandistischen Analogie von Sozialismus <strong>und</strong> Religion. Das mütterliche Mitgefühl der<br />
Leserinnen sprach Wittich nicht nur an, indem er die Gefahr erklärt, in der Stuarts Sohn <strong>und</strong><br />
Thronerbe schwebte, weil Elisabeth ihn als Bedrohung ihres Anspruches erachtete. Dieses<br />
Mitgefühl wird noch dadurch gesteigert, dass im Laufe der Auseinandersetzung Stuart nicht nur<br />
sowohl von ihrem zweiten <strong>und</strong> auch dritten Ehemann verraten werden sollte, sondern schließlich<br />
auch von ihrem eigenen Sohn.<br />
In seiner manchmal auffällig überschwänglichen Verehrung für die schottische Königin wurde<br />
Wittich schließlich doch der antimonarchistischen Tendenz eines Sozialdemokraten gerecht <strong>und</strong><br />
schrieb:<br />
„Wenn ein Volk monarchisch hypnotisiert ist, dann steht <strong>und</strong> fällt seine Sache mit<br />
der des Monarchen. Diese Hypnose ist der Menschheit schon recht theuer zu<br />
stehen gekommen, denn beim Streit der Großen müssen die Kleinen immer die<br />
Zeche zahlen. […] Und bei allem Edelsinn reichten die Fäden von der Königin<br />
Maria doch nicht bis zum Volke, zum wahren <strong>und</strong> eigentlichen Volke herab: ein<br />
sehr altes Unglück der Könige.“ 73<br />
Die Tatsache, dass Wittichs Darstellung monarchistischer Herrschaft selbst an dieser Stelle noch<br />
eher Verständnis als Tyrannenverachtung aufwies, könnte vielleicht damit zusammenhängen, dass<br />
es das Leben einer Frau ist, welches er beschrieb.<br />
Obwohl Stuart schließlich zu Gunsten ihres Sohnes auf den schottischen Thron verzichtete, wurde<br />
sie von ihren Gegnern als zu gefährlich erachtet. Nach der Ermordung Darnleys wurde sie als Mit-<br />
schuldige in strenge Haft genommen. Statt ins katholische Frankreich zu fliehen, bat Stuart ihre<br />
Cousine Elisabeth um Schutz. Da Maria dieser aber als Spielball ihrer Feinde zu gefährlich<br />
erschien, war es kein Schutz, den sie ihr gewährte, sondern 18 Jahre Gefangenschaft. Aufgr<strong>und</strong><br />
dieser Maßnahme gegen Stuart musste Elisabeth stets mit Attentaten <strong>und</strong> Komplotten rechnen.<br />
Erbarmungslos ging sie deshalb gegen die katholischen Adeligen Schottlands vor, um schließlich<br />
mittels erzwungener Geständnisse einen Vorwand für Stuarts Hinrichtung zu bekommen. So<br />
wurde nach Meinung Wittichs „[a]m 8. Februar 1587 […] der politisch-religiöse Justizmord an<br />
70 Wittich, Manfred: Maria Stuart. Eine historische Skizze. (Fortsetzung.). In: GL, 05/ 08/ 17.04.1895/ 60.<br />
71 Ebd., S. 61.<br />
72 Ebd.<br />
73 Vgl. Ebd., S. 62.<br />
326
einer der muthigsten, edelsten <strong>und</strong> schwerstgeprüften Frauen vollzogen“ 74 .<br />
4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN<br />
Maria Stuart repräsentiert hier einen Typus Frau, der trotz höherer Bildung <strong>und</strong> enormer<br />
Machtbefugnisse zum Opfer wird. Da es vor allem ihre allzu große Vertrauensseligkeit war, die<br />
ihrem Schicksal zum Verhängnis wurde, legte Wittich anhand ihres Beispiels den „Gleichheit“-<br />
Leserinnen nahe, noch vehementer als bisher ihre Interessen zu verfolgen <strong>und</strong> durchzusetzen.<br />
Es ist eine große Zahl hochgebildeter Frauen unter denjenigen, die in der „Gleichheit“ porträtiert<br />
wurden. Eine davon ist Maria Gaёtana d‘Agnesi (1718-1799). Sie war eine italienische Gelehrte,<br />
Tochter eines Mathematikprofessors der Universität Bologna, die das Glück hatte, in ihrem Vater<br />
einen engagierten Privatlehrer zu haben. Agnesi wurde nicht nur die beste Schülerin ihres Vaters,<br />
sondern nach dem frühen Tod ihrer Mutter auch dessen Forschungsgenossin <strong>und</strong> Kameradin.<br />
Bereits 18-jährig beherrschte sie verschiedene Sprachen <strong>und</strong> besaß große Kenntnisse in Philo-<br />
sophie <strong>und</strong> Mathematik. Jedoch erachtete Zetkin, die hier als Autorin zu vermuten ist, nicht nur<br />
die außergewöhnliche Bildung Agnesis als erwähnenswert, sondern auch ihre Schönheit <strong>und</strong><br />
Liebenswürdigkeit. 75<br />
Nach einer Erkrankung des Vaters wurde Agnesi überraschend Anwärterin auf dessen Lehrstuhl.<br />
Nachdem Papst Benedikt XIV. seine Erlaubnis erteilt hatte, begann sie mit der Ausbildung ihrer<br />
ersten Studenten. Einer von diesen verliebte sich in seine Lehrerin, verlangte aber von ihr, die<br />
wissenschaftliche Tätigkeit aufzugeben. Agnesi wies dieses Verlangen <strong>und</strong> zugleich auch seine<br />
Liebe zurück. Sie veröffentlichte ihr Werk „Analytische Institutionen“ (1748) <strong>und</strong> wurde ganz<br />
offiziell Professor der Mathematik an der Universität Bologna. Zetkin vermutete, dass ein<br />
verletzender Abschiedsbrief ihres Verehrers nicht unerheblichen Anteil daran hatte, dass Agnesi<br />
die Professur lediglich zwei Jahre bekleidete, um dann als Armen- <strong>und</strong> Krankenpflegerin in einem<br />
Hospiz zu arbeiten. Sie starb schließlich in dem Hospiz Trivulzio in Mailand.<br />
Maria Gaёtana d‘Agnesi galt Zetkin als Beweis für die „Höhen des Geistes, [die] das weibliche<br />
Geschlecht erklimmen“ 76 kann, wenn die Bedingungen entsprechend günstig sind. In diesem<br />
Sinne schloss Zetkin ihre biographische Darstellung mit der Anmerkung, dass ein richtiger<br />
Maßstab für Agnesis Charakterisierung erst gegeben sei, „wenn diese günstigen Entwicklungs-<br />
bedingungen nicht nur vereinzelten glücklichen Existenzen, vielmehr der gesammelten<br />
Frauenwelt geboten“ 77 würden.<br />
74 Wittich, Manfred: Maria Stuart. Eine historische Skizze. (Schluß.). In: GL, 05/ 09/ 01.05.1895/ 70.<br />
75 Vgl. Maria Gaëtana d‘Agnesi. In: GL, 02/ 09/ 04.05.1892/ 80.<br />
76 Ebd.<br />
77 Ebd.<br />
327
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Gr<strong>und</strong>legend für jede höhere Bildung <strong>und</strong> damit für die Entwicklung zum „<strong>weiblichen</strong><br />
Vollmenschen“ ist ein gewisses Maß an Bildungsdrang. Eine „lebendige Verkörperung des in den<br />
breiten Volksmassen schlummernden unbezwinglichen Bildungsdranges“ 78 war laut der mit L. W.-<br />
K. zeichnenden Verfasserin 79 des Artikels die Dichterin Anna Louisa Karschin (1722-1791). Es<br />
war ihr Bildungsdrang, der trotz aller Hindernisse aus einer armen Magd, einer Hirtin <strong>und</strong><br />
Proletarierfrau eine anerkannte Dichterin werden ließ. Karschin verlor früh ihren Vater <strong>und</strong> da ihre<br />
Mutter ihre künstlerischen Ambitionen missbilligte, sei es ein Onkel – ein Justizamtmann –<br />
gewesen, der sie in Lesen, Schreiben, Geographie <strong>und</strong> Geschichte unterrichtet habe. Ihre Mutter<br />
habe jedoch nicht gewollt, dass ihr Onkel sie „statt zu einer tüchtigen Hausfrau zu einer<br />
‘nichtsnutzigen Gelehrtin’“ 80 mache. Auch wenn Karschin daraufhin als Hirtin arbeiten musste,<br />
bot sich ihr damit doch zugleich die Gelegenheit für ein intensives Naturerleben <strong>und</strong> das Lesen<br />
von Büchern. Im Alter von 15 Jahren arbeitete sie als Kinderwärterin <strong>und</strong> Magd, bevor sie 17-<br />
jährig schließlich den Tuchweber Hirsekorn heiratete. Dieser sei jedoch nicht nur geizig gewesen,<br />
sondern habe ihr zudem das Lesen <strong>und</strong> Schreiben verboten. Nach zwei Jahren wurde diese sehr<br />
unglückliche Ehe auf seinen Wunsch hin – damals wäre es anders ohnehin nicht möglich gewesen<br />
– geschieden. Als Gelegenheitsdichterin zog die Mutter von drei Kindern umher. Ein viertes Kind<br />
gebar sie nach der Heirat mit dem Schneider Karschin, einem Müßiggänger <strong>und</strong> Trinker, den sie<br />
weder aus Liebe noch des „Versorgtseins“ wegen geheiratet haben dürfte, denn sie schrieb<br />
folgenden kleinen Vers:<br />
“‘Vier Kinder um mich her <strong>und</strong> neben mir ein Gatte,<br />
Der keine Gram um Brot <strong>und</strong> keine Pflichten hatte,<br />
Als über mich ein Herr zu sein!<br />
Die Sorgen blieben alle mein.’“ 81<br />
Es ist der Alltag <strong>und</strong> die Sorge vieler Proletarierinnen, die Karschin hier in Reime zu fassen<br />
verstand. Diese Leidensgenossenschaft, „das Mitgefühl für fremde Leiden, das aus manchen ihrer<br />
Gedichte[…] spricht“, so L. W.-K., kennzeichne Karschin als „echte Proletarierin“ 82 .<br />
Karschins Aufstieg zur „deutschen Sappho“ 83 begann mit ihrem Umzug in den Kasernenstütz-<br />
78 L. W.-K.: Anna Louisa Karschin. In: GL, 02/ 05/ 07.03.1892/ 48.<br />
79 Es gelang leider nicht, die Initialen L. W.-K. zu entschlüsseln. Der Doppelname deutet jedoch auf einen weib-<br />
lichen Autor hin.<br />
80 L. W.-K.: Anna Louisa Karschin. In: GL, 02/ 04/ 22.02.1892/ 39.<br />
81 L. W.-K.: Anna Louisa Karschin. In: GL, 02/ 05/ 07.03.1892/ 48.<br />
82 Ebd.<br />
83 Ebd. Sappho (um 600 v. u.Z.) war eine Lyrikerin der griechischen Antike, die großen Einfluss auf die Dichtkunst<br />
328<br />
ihrer Zeit hatte.
4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN<br />
punkt Glogau 1755. Hier fand sie einen Gönner, den sie 1761 nach Berlin begleitete. Ihr erster<br />
Gedichtband wurde veröffentlicht, <strong>und</strong> 1763 kam es in Sanssouci sogar zu einer persönlichen<br />
Begegnung mit Friedrich II., den sie sehr bew<strong>und</strong>erte. Der preußische König sagte ihr sogar<br />
finanzielle Hilfe zu, sandte dann allerdings lediglich zwei Taler, die Karschin mit einem gewagten<br />
Spottvers zurückgeschickt haben soll. 1783 abermals in große finanzielle Not geraten, wandte sie<br />
sich erneut an Friedrich II. <strong>und</strong> nahm die ihr dieses Mal angebotenen drei Taler dankbar an. Der<br />
Nachfolger Friedrichs II. war später sogar so großzügig, der Dichterin ein Haus zu bauen.<br />
Im Mittelpunkt der Biographie der Anna Louisa Karschin stand neben dem großen „Bildungs-<br />
drang“ die Bescheidenheit, Einfachheit <strong>und</strong> Wahrhaftigkeit ihres Charakters. Trotz Ruhm <strong>und</strong><br />
Ansehen habe sie diese genauso bewahrt wie auch ihre große Menschenliebe <strong>und</strong> ihren großen<br />
Mut. War sie auch keine Vorkämpferin für die Rechte der Frau, so stehe ihre Person laut L. W.-K.<br />
doch für eine weibliche Kultur. Dies umso mehr, da sich ihre Werke mit denen männlicher<br />
Zeitgenossen messen könnten. 84 Nicht wenige Frauen der SPD eiferten dem poetischen Beispiel<br />
Karschins nach <strong>und</strong> warben auch als Dichterinnen für den Sozialismus. 85<br />
L. W.-K., die im ersten Erscheinungsjahr der „Gleichheit“ eine rege Mitarbeiterin war, stellte<br />
erneut das Leben einer kulturschaffenden Frau in den Mittelpunkt eines Artikels <strong>und</strong> porträtierte<br />
Dorothea Schlözer (1770-1825). „Doktor Dorothea Schlözer“ 86 – so der Titel des Artikels <strong>und</strong> der<br />
akademische Grad Schlözers – hatte wie Agnesi das Glück, die Tochter eines Gelehrten zu sein.<br />
Ihr Vater August Ludwig von Schlözer war Universitätsprofessor für Philosophie in Göttingen.<br />
Die Tatsache, dass bereits Dorothea Schlözers Mutter eine ehemalige Schülerin des Professors<br />
gewesen war, lässt vermuten, dass diesem sehr an einer höheren Bildung auch seiner <strong>weiblichen</strong><br />
Familienmitglieder gelegen war. Wie ein Junge erzogen <strong>und</strong> aufgewachsen, konnte Schlözer im<br />
Alter von vier Jahren bereits lesen <strong>und</strong> schreiben <strong>und</strong> studierte später neben verschiedenen<br />
Sprachen auch Mathematik, Physik <strong>und</strong> Geschichte. Obwohl von vielen wegen ihrer Natürlich-<br />
keit, Liebenswürdigkeit, Lebhaftigkeit <strong>und</strong> ihres Witzes bew<strong>und</strong>ert, habe sie keinerlei „Gefall-<br />
sucht“ 87 gezeigt, sondern sei natürlich <strong>und</strong> bescheiden geblieben. 1787 bewog der befre<strong>und</strong>ete<br />
Professor Johann David Michaelis die erst 17 Jahre alte Schlözer, die Doktorprüfung für Philoso-<br />
phie abzulegen. L. W.-K. erklärte den „Gleichheit“-Leserinnen, die über diese rasche <strong>und</strong><br />
84 Vgl. L. W.-K.: Anna Louisa Karschin. In: GL, 02/ 04/ 22.02.1892/ 39.<br />
85 Zum Beispiel Henriette Fürth (1861-1936), Clara Bohm-Schuch (1879-1936) <strong>und</strong> vor allem Klara Müller-Jahnke<br />
(1861-1904), die noch näher vorgestellt werden. Beispiele ihrer Dichtkunst sind im Anhang enthalten.<br />
86 L. W.-K.: Doktor Dorothea Schlözer. In: GL, 02/ 03/ 16.11.1892/ 191-192.<br />
87 Ebd., S. 191.<br />
329
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
scheinbar problemlose Karriere einer Frau sehr erstaunt gewesen sein dürften, dass die Kon-<br />
kurrenzfurcht gelehrter Männer damals noch nicht so ausgeprägt gewesen sei. Gleichzeitig kon-<br />
statierte sie aber, dass auch zu jener Zeit eine wissenschaftliche Qualifikation oder auch andere<br />
Beweise für die gleichwertigen Leistungen einer Frau gr<strong>und</strong>sätzlich nichts an den Vorurteilen<br />
gegenüber Frauen geändert hätten:<br />
„Der deutsche Durchschnittsbürger ist nicht aus Fortschrittshausen“ 88 .<br />
1790 lernte die 20-jährige Schlözer auf einer Reise nach Hamburg <strong>und</strong> Lübeck Senator Matthäus<br />
Rodde – 36 Jahre alt, Witwer <strong>und</strong> Vater dreier Kinder – kennen. Sie heiratete ihn <strong>und</strong> sie bekamen<br />
noch drei gemeinsame Kinder. Trotz eines beträchtlichen Vermögens sei Schlözer „anspruchslos<br />
<strong>und</strong> einfach“ 89 geblieben <strong>und</strong> habe sich stets wohltätig gezeigt. Schlözer sei ihrem Gatten eine<br />
unentbehrliche Stütze gewesen, besonders nachdem die Familie selbst in finanzielle Not geriet.<br />
„Ganz besondere Sorgfalt“, so L. W.-K., „verwendete sie auf die Erziehung ihrer Kinder <strong>und</strong> fand<br />
volle Befriedigung in dieser Thätigkeit“ 90 . Dies ist m. E. eine geschickte Umschreibung dafür,<br />
dass Schlözer seit ihrer Heirat anscheinend keinerlei wissenschaftliche Studien mehr betrieb.<br />
Zudem erklärte L. W.-K. mit Schlözers besonderer Hingabe an die Mutterrolle die besondere<br />
Schwere, mit der sie vom Tod zweier ihrer Kinder getroffen wurde. Doktor Dorothea Schlözer<br />
starb 1825 auf dem Rückweg von einer Reise nach Südfrankreich.<br />
Abschließend <strong>und</strong> in großer Übereinstimmung mit dem Leitbild des „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“<br />
ist L. W.-K. der Meinung, dass Schlözer<br />
„sich nicht durch Werke der Wissenschaft unsterblich gemacht [hat], allein das<br />
Vermächtnis ihres Lebens ist vielleicht ebenso werthvoll, wenn nicht werthvoller,<br />
wie mancher dickleibige Band voll zopfiger, todter Gelehrsamkeit“ 91 .<br />
So konnte die Person Schlözers den „Gleichheit“-Leserinnen ein Beispiel für einen „Charakter<br />
stiller Größe, edler Lebensführung <strong>und</strong> treuer Pflichterfüllung“ 92 geben <strong>und</strong> widerlegte zugleich<br />
die Behauptung, dass „Verstandesthätigkeit […] das Herz der Frau arm“ 93 , sie also weniger weib-<br />
lich werden lasse.<br />
Ähnlich wie Dorothea Schlözer war auch Karoline Schlegel-Schelling (1763-1809) 94 sowohl<br />
88 Ebd.<br />
89 Ebd.<br />
90 Ebd., S. 191-192.<br />
91 Ebd., S. 192.<br />
92 Ebd.<br />
93 Ebd.<br />
94 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. V. Karoline. In: GL, 30/ 28/ 10.07.1920/ 227-229; GL, 30/ 29/<br />
17.07.1920/ 235-237; GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 243-245. Anna Blos war zu diesem Zeitpunkt bereits<br />
330
4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN<br />
Kulturschaffende als auch aufopfernde Mutter <strong>und</strong> Ehefrau. Geboren als Karoline Dorothee<br />
Albertine Michaelis hatte auch sie das Glück als Tochter eines Universitätsprofessors eine<br />
besondere Bildung genießen zu können. Ihr Vater war Johann David Michaelis – eben jener Pro-<br />
fessor, der Dorothea Schlözer zur Doktorprüfung geraten hatte. Schlegel-Schellings weiterer<br />
Lebensweg fiel jedoch, so die Meinung Blos‘, vollkommen „aus dem Rahmen der Alltäglich-<br />
keit“ 95 , denn sie entwickelte sich zu einer<br />
„Individualität, die es wagte, ihr eigenes Leben leben zu wollen, ihrer Natur <strong>und</strong><br />
Veranlagung zu folgen“ 96 .<br />
Diese ihre Natur sei vor allem geprägt von der Romantik als deren „echtes Kind“ 97 sie aufwuchs.<br />
Bereits im Alter von fünfzehn Jahren korrespondierte die in der Universitätsstadt Göttingen ge-<br />
borene Schlegel-Schelling mit ihren Fre<strong>und</strong>innen 98 in gutem Französisch über bevorzugt geistige<br />
Themen. Die sprachbegabte, schöne <strong>und</strong> temperamentvolle Schlegel-Schelling habe sich von ihrer<br />
Familie allerdings weder geliebt noch verstanden gefühlt <strong>und</strong> schließlich in der Heirat mit Dr. Jo-<br />
hann Franz Wilhelm Böhmer – einem Fre<strong>und</strong> ihres Bruders – die Gelegenheit gesehen, aus der<br />
Enge Göttingens zu entfliehen. Aber auch die vielen Bücher, die man ihr nach ihren bittenden<br />
Briefen schickte, konnten ihr das Leben in dem ebenfalls überschaubaren Klaustal (dem heutigen<br />
Clausthal-Zellerfeld) im Harz nicht erträglicher gestalten. Dennoch sei sie in jener Zeit ihrer<br />
Familie eine „pflichtgetreue Hausfrau“ <strong>und</strong> vor allem ihren Kindern eine „vorzügliche Mutter“ 99<br />
gewesen.<br />
Böhmer starb bereits nach vier gemeinsamen Jahren, <strong>und</strong> Schlegel-Schelling kehrte nach<br />
Göttingen zurück. Hier machte sie zwar die Bekanntschaft mit ihrem späteren Ehemann Wilhelm<br />
Schlegel, jedoch entschloss sie sich 1792 – nach dem Tod ihrer jüngeren Tochter Therese – zu<br />
einer Übersiedlung in das französisch besetzte Mainz, um der<br />
Reichstagsabgeordnete, was die „Gleichheit“ mit dem Kürzel „M.d.R.“ hinter ihrem Namen k<strong>und</strong> tat. Bereits 1916<br />
hatte Blos eine Artikelserie zum Leben Schlegel-Schellings für die Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“<br />
verfasst (Blos, Anna: Karoline Schlegel-Schelling. Ein Lebensbild aus Deutschlands klassischer Zeit. In: GL, 26<br />
(1916)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 02/ 5-7; 03/ 9-10; 04/ 13-14). Aus dem Vergleich beider Artikelserien<br />
ergeben sich mehrere auffällige Unterschiede. So beginnt der in der Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“<br />
veröffentlichte Artikel mit der anrührenden Grabinschrift, die Friedrich W. J. Schelling – der letzte einer Reihe<br />
Ehemänner – für Karoline abgefasst hatte, <strong>und</strong> hält sich dann auch lange daran auf, dessen Person <strong>und</strong> Werk zu<br />
beschreiben.<br />
95 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. V. Karoline. In: GL, 30/ 28/ 10.07.1920/ 227.<br />
96 Blos, Anna: Karoline Schlegel-Schelling. Ein Lebensbild aus Deutschlands klassischer Zeit. In: GL, 26 (1916)/<br />
„Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 02/ 5.<br />
97 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. V. Karoline. In: GL, 30/ 28/ 10.07.1920/ 227.<br />
98 Eine ihrer besten Fre<strong>und</strong>innen, aber auch Rivalinnen sei Therese Heyne (1764-1829) gewesen. Diese später als<br />
Therese Huber bekannt gewordene Schriftstellerin <strong>und</strong> Redakteurin habe den Klatsch über Schlegel-Schelling<br />
sehr gefördert.<br />
99 Ebd., S. 228.<br />
331
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
„Bewegung der französischen Revolution näher zu sein, deren erste K<strong>und</strong>e sie im<br />
Gegensatz zu vielen Frauen nicht mit Entsetzen erfüllt[…]“ 100<br />
habe. <strong>Von</strong> Entsetzen konnte laut Blos keine Rede sein, wenn Schlegel-Schelling „sich keck das<br />
Jakobinermützchen auf die Locken“ 101 setzte <strong>und</strong> „in schwärmerischer Begeisterung um den<br />
Freiheitsbaum“ 102 tanzte. Ein Verhalten, das ihr viel Spott eintrug – u. a. auch von großen Denkern<br />
wie Goethe <strong>und</strong> Schiller. In ein besonders schlechtes Licht setzte Schlegel-Schelling der Klatsch<br />
über ihren vermeintlich schlechten Einfluss auf eine Fre<strong>und</strong>in, welche ihren Ehemann wegen<br />
eines anderen Mannes verlassen hatte.<br />
Nachdem 1793 preußische Truppen Mainz zurückerobert hatten, wurde Schlegel-Schelling als<br />
Geisel in der Festung Königstein inhaftiert. Sie selbst habe dort große Entbehrungen hinnehmen<br />
müssen <strong>und</strong> sei zudem Zeugin der Misshandlungen anderer Gefangener geworden. Endlich<br />
freigelassen, widmete sie sich umso mehr der Erziehung ihrer Tochter, „suchte ihren wie den<br />
eigenen Geist zu bilden“ 103 <strong>und</strong> hielt an ihrer „Schwärmerei für die Republikaner […][<strong>und</strong>] ihrer<br />
Neigung für die Freiheitskämpfe“ 104 trotz aller Anfeindungen fest.<br />
Schlegel, der sich als einer der wenigen Fre<strong>und</strong>e nie von ihr abgewandt hatte <strong>und</strong> bereits seit<br />
Längerem in sie verliebt war, machte ihr einen Heiratsantrag. Diesen nahm Schlegel-Schelling an,<br />
obwohl, so Blos, Schlegel nicht „[d]er wahre Gefährte ihres Herzens <strong>und</strong> Geistes“ 105 gewesen sei.<br />
Nach Blos‘ Meinung waren es ihre „Heimat- <strong>und</strong> Schutzlosigkeit“ 106 , die „Furcht vor dem<br />
Alleinsein <strong>und</strong> vor dem Kampfe des Lebens“ 107 , die Schlegel-Schelling zu diesem Entschluss<br />
getrieben hätten. Mit dieser Heirat sei sie „zum ersten <strong>und</strong> einzigen Male ihrer Natur untreu“ 108<br />
geworden <strong>und</strong> habe unbewusst ihr „ganzes Selbst auf das Spiel“ 109 gesetzt.<br />
Das Haus Schlegels wurde zum Mittelpunkt eines literarischen Kreises. Die Literaten, die sich um<br />
die Brüder Wilhelm <strong>und</strong> Friedrich Schlegel als den Herausgebern der Zeitschrift „Athenäum“<br />
(1798-1800) gruppierten, verehrten Karoline Schlegel-Schelling, so Blos, als ihre „Hohe-<br />
100 Ebd.<br />
101 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. V. Karoline. In: GL, 30/ 29/ 17.07.1920/ 235.<br />
102 Ebd.<br />
103 Ebd., S. 236.<br />
104 Ebd.<br />
105 Ebd.<br />
106 Ebd.<br />
107 Ebd., S. 237.<br />
108 Ebd., S. 236.<br />
109 Ebd., S. 237.<br />
332
4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN<br />
priesterin“ 110 . Es sei ihr „lebhafter Geist“ 111 gewesen, der „aus jedem das Beste herauszuholen,<br />
anzuregen, zu kritisieren <strong>und</strong> die richtige Form zu finden“ 112 , aber auch zu tadeln vermochte. Auch<br />
Schlegel-Schelling selbst war literarisch tätig. Einerseits unterstützte sie ihren Ehemann bei der<br />
Übersetzung der Shakespeareschen Dramen, andererseits verfasste sie eigene Schriften, die sie je-<br />
doch unter dem Namen ihres Mannes veröffentlichen ließ. Außerdem habe sie mit „scharfem, oft<br />
rücksichtslos beobachtendem Geist“ 113 Kritiken über Theateraufführungen verfasst. Diese<br />
Arbeiten waren es, über die sie die Bekanntschaft mit Friedrich Wilhelm Joseph Schelling machte,<br />
der sich fortan um ihre Tochter Auguste bemühte. Bereits damals fühlte sich aber auch Schlegel-<br />
Schelling selbst zu diesem Mann hingezogen. Als dann Auguste im August 1800 starb, <strong>und</strong> mit ihr<br />
das letzte „Verbindungsglied zwischen Schlegel <strong>und</strong> Karoline“ 114 verloren gegangen war,<br />
entfernten sich die Eheleute immer mehr voneinander <strong>und</strong> beschlossen schließlich gemeinsam die<br />
Scheidung ihrer Ehe. Schlegel-Schelling sollte aber weiterhin ein sehr fre<strong>und</strong>schaftliches<br />
Verhältnis zu ihrem geschiedenen Partner haben.<br />
1803 heiratete sie Schelling <strong>und</strong> eine sehr glückliche Ehezeit begann, in der Schlegel-Schelling<br />
die „Entfaltung ihrer ganzen anmuthreichen Persönlichkeit“ 115 erlebt habe. Das Paar zog erst nach<br />
Würzburg <strong>und</strong> dann nach München, da Schelling von den ansässigen Universitäten jeweils einen<br />
Ruf erhalten hatte. Auf einer Reise zu Schellings Eltern ins württembergische Maulbronn<br />
erkrankte 1809 Schlegel-Schelling an einem mit Ruhr verb<strong>und</strong>enen Nervenfieber. „Mitten im<br />
höchsten Glück, umgeben von Menschen, die sie auf Händen trugen“ 116 , so Blos, sei sie in den<br />
Armen ihres Mannes gestorben.<br />
Blos bezeichnete am Ende ihres Artikels Schlegel-Schelling als eine Frau,<br />
„die sich durchzusetzen <strong>und</strong> hinwegzusetzen verstand gegen alle Vorurteile <strong>und</strong><br />
Kleinlichkeit. Ihr ganzes Leben war ein Kampf, eine Tat, deren Saat nicht verlorenging.<br />
Sie gehörte zu den Menschen, die immer nur strebend sich bemühen, selbst<br />
etwas zu sein <strong>und</strong> durch ihr Leben der Gesamtheit zu nützen. In diesem Sinne<br />
sollte ihre Art in uns allen weiterleben.“ 117<br />
Schlegel-Schelling war ein „weiblicher Vollmensch“ <strong>und</strong> den Proletarierinnen vor allem deshalb<br />
ein Vorbild, weil sie den Kampf um persönliche Bildung mit dem Kampf für eine Sache verbun-<br />
110 Ebd., S. 236.<br />
111 Ebd., S. 237.<br />
112 Ebd.<br />
113 Ebd.<br />
114 Ebd.<br />
115 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. V. Karoline. In: GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 244.<br />
116 Ebd., S. 245.<br />
117 Ebd.<br />
333
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
den hatte. Zwar kämpfte sie „nicht mit Wort <strong>und</strong> Schrift“ 118 , aber sie habe den „Kampf um Recht<br />
<strong>und</strong> Geltung des Weibes als Persönlichkeit“ 119 gekämpft, indem sie ihr unangepasstes Leben lebte:<br />
„Karoline, die vielfach Reizende, die vielfach Geschmähte, fiel aus dem Rahmen<br />
der Alltäglichkeit. Sie lebte in einer Zeit <strong>und</strong> einem Kreis, in dem das Ideal die<br />
Durchschnittsform war. Sie ragte aber weit über den Durchschnitt hinaus, darum<br />
gab sie Aergernis.“ 120<br />
Schlegel-Schelling war ein „weiblicher Vollmensch“, weil sie „den hohen Mut, den Mut zur<br />
Freiheit der Persönlichkeit“ 121 besaß. Blos forderte die „Gleichheit“-Leserinnen auf, diesem Vor-<br />
bild nachzueifern, „wohin auch das Schicksal“ 122 sie stellen würde. Diesem Vorbild zur Ehre<br />
trugen Blos <strong>und</strong> andere württembergische Sozialdemokratinnen Sorge dafür, dass der Grabstein<br />
Schlegel-Schellings, der bereits arg verwitterte, wiederhergestellt wurde. 123<br />
Karoline von Humboldt (1766-1829) war eine von jenen Frauen, die als besondere<br />
Persönlichkeiten, so Blos, „von den bedeutendsten Männern ihrer Zeit“ 124 „hoch geschätzt“ 125<br />
wurden. Diese Verehrung habe aber in diesen Frauen nie den Ehrgeiz geweckt, „den Männern<br />
gleich zu sein“ 126 , vielmehr hätten sie „ihre spezifische weibliche Note zum Ausdruck […]<br />
bringen“ 127 wollen. So auch Humboldt, die man die „klassische deutsche Frau“ 128 genannt habe –<br />
„klassisch“, weil sie ihr „Wesen, Wollen <strong>und</strong> Wirken in seltener Harmonie“ 129 vereinte –<br />
„deutsch“, weil ihre Ideale ohne jeden radikalen Nationalismus im Deutschtum wurzelten. 130<br />
Humboldt verlor sehr früh ihre Mutter. Die Kindheit des „temperamentvolle[n] wissensdurstige[n]<br />
Mädchen[s]“ 131 , so Blos, verlief hauptsächlich in der Abgeschiedenheit des väterlichen Gutes.<br />
Bücher wurden ihre besten Fre<strong>und</strong>e – vor allem die Werke Rousseaus. Dieses literarische Inter-<br />
esse ergab in Form eines regen Briefwechsels den ersten Kontakt zu ihrem späteren Ehemann<br />
118 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. V. Karoline. In: GL, 30/ 28/ 10.07.1920/ 227.<br />
119 Ebd.<br />
120 Ebd.<br />
121 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. V. Karoline. In: GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 245.<br />
122 Ebd.<br />
123 Vgl. ebd.<br />
124 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. Karoline v. Humboldt, geb. v. Dachröden. In: GL, 31/ 12/<br />
15.06.1921/ 116.<br />
125 Ebd.<br />
126 Ebd.<br />
127 Ebd.<br />
128 Ebd.<br />
129 Ebd.<br />
130 Vgl. ebd.<br />
131 Ebd.<br />
334
4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN<br />
Wilhelm von Humboldt. Es folgte ein persönliches Treffen <strong>und</strong> nach der Verlobung schließlich die<br />
Heirat. Das Paar habe ein – auch von materiellen Sorgen verschontes – sehr glückliches Eheleben<br />
geführt. Humboldt begleitete ihren Ehemann auf seinen Reisen durch Spanien, Frankreich <strong>und</strong><br />
Italien, <strong>und</strong> bald sei zu diesem „reichen inneren <strong>und</strong> äußeren Erleben […] das größte Erleben im<br />
Dasein der Frau, die Mutterschaft“ 132 hinzugekommen. Laut Blos verfolgte Humboldt die<br />
interessante Erziehungsmaxime, dass „niemand […] ihr Haus betreten [dürfe], von dem die<br />
Kinder nichts Gutes lernen könn[t]en“ 133 . Ausgefallene Gr<strong>und</strong>sätze hatte Humboldt auch hin-<br />
sichtlich ihrer Ehe. Sie, die selbst über den Geist eines Gelehrten verb<strong>und</strong>en mit einer besonderen<br />
Herzensgüte verfügt habe, war die Ehefrau eines Gelehrten, aber auch eine starke Persönlichkeit.<br />
Sie sei eine zu<br />
„starke Persönlichkeit [gewesen], als daß sie ohne schwere Konflikte sich ohne<br />
weiteres in die Beschränkungen, die jede, auch die glücklichste Ehe mit sich<br />
bringt, gef<strong>und</strong>en hätte“ 134 .<br />
So erfuhren die „Gleichheit“-Leserinnen, dass Karoline Humboldt „zwei große Leidenschaften<br />
erlebte“ 135 , demnach also Liebhaber hatte. Nie aber habe ihr Ehemann „kleinliche[…] Eifersucht“<br />
gezeigt oder den Gekränkten gespielt, 136 denn er habe gewusst, dass er sie verlieren würde, wenn<br />
er Zwang ausübe, um sie zu halten. Dies gab Blos die Gelegenheit, allgemein zum Charakter der<br />
Ehe zu konstatieren:<br />
„Jeder Mensch, der heiratet, muß ein Stück von sich selbst aufgeben <strong>und</strong> es kommt<br />
dann wohl ganz darauf an, was er dafür eintauscht, ob er für dieses Verzichten,<br />
dieses Aufgeben etwas, das liebevolle Verständnis, die Achtung vor dem Persönlichkeitswert,<br />
der Persönlichkeitsfreiheit findet, die beide Gatten, Mann wie Frau,<br />
fordern müssen, wenn die Ehe glücklich werden soll.“ 137<br />
Blos plädierte hiermit für eine sehr tolerante Auffassung von Ehe, die nichts mit der<br />
althergebrachten Unterordnung der Frau zu tun hat, sondern deren individuelle Persönlichkeit <strong>und</strong><br />
Bedürfnisse berücksichtigt wissen will. Die Ehe der Humboldts erschien auch ihrer Umgebung als<br />
vorbildlich <strong>und</strong> der Publizist Karl August Varnhagen von Ense war laut Blos der Meinung, dass<br />
niemand „‘mit größerer Grazie […] verheiratet’“ 138 gewesen sei – „‘völlige gegenseitige Freiheit<br />
gebend <strong>und</strong> nehmend’“ 139 .<br />
132 Ebd., S. 117.<br />
133 Ebd.<br />
134 Ebd.<br />
135 Ebd.<br />
136 Ebd., S. 126.<br />
137 Ebd., S. 125-126.<br />
138 Karl August Varnhagen von Ense zit. nach: Ebd., S. 126<br />
139 Ebd.<br />
335
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Humboldt verlor zwei ihrer Kinder, <strong>und</strong> als dann ihr 16-jähriger Sohn in den Krieg gegen die<br />
napoleonischen Truppen zog, habe sie sich „mehr <strong>und</strong> mehr zur Staatsbürgerin [entwickelt], deren<br />
Ideale sich in den Begriffen Volk, Heimat, Staat zusammenfassen“ 140 ließen. Gerne hätte sie Anteil<br />
am Kriegsgeschehen gehabt, doch habe es „die Natur […] w<strong>und</strong>erbar im Weibe gemacht, so be-<br />
schränkte Kräfte <strong>und</strong> so unbeschränkte Wünsche“ 141 . Zu diesem Zeitpunkt – 1814 – hielt sich<br />
Humboldt, die Blos als „Seele des Hauses, die alles belebende <strong>und</strong> beglückende Sonne“ 142<br />
bezeichnete, in Wien auf.<br />
Während die Familie ein Haus in Rom bezogen hatte, erfreuten sich viele Künstler der Gast-<br />
fre<strong>und</strong>schaft Humboldts. Ihre Gestalt wie auch die ihrer Töchter waren Anregung vieler<br />
plastischer Werke.<br />
Schließlich zog sich Humboldt „aus der Welt des Scheins in die Welt des Seins“ 143 zurück, indem<br />
sie mit ihrer Familie in das Schloss Tegel umzog. Dort konnte sie sich dem „innigsten Familien-<br />
leben widmen“ 144 . Hier starb Humboldt 1829, „heiter <strong>und</strong> gefaßt“ 145 . Ihr Vorbild war Blos „gerade<br />
in diesen Tagen, da Deutschland seine schwersten St<strong>und</strong>en durchkämpft“ 146 , in den Jahren nach<br />
dem Ersten Weltkrieg besonders wertvoll. Es stand ihr für die Zuversicht,<br />
„‘daß nur das Gute siegt <strong>und</strong> daß kein reines schönes Gefühl in dem Menschen, der<br />
es ernst mit sich meint <strong>und</strong> Eitelkeit <strong>und</strong> Selbstsucht in sich niederkämpft, verloren<br />
geht’“ 147 .<br />
Es wirkt zuerst wenig charmant, wenn Freiherr Karl Gustav von Brinkmann in einem Kondolenz-<br />
schreiben an den Witwer Karl August Varnhagen von Ense die herausragenden Eigenschaften der<br />
Verstorbenen Rahel Levin (1771-1833) wie folgt umschrieb:<br />
„Ihr dem anspruchslosen Bürgermädchen ohne glänzende Verbindungen, ohne den<br />
allgültigen Freibrief der Schönheit <strong>und</strong> ohne bedeutendes Vermögen, gelang<br />
es allmählich einen Gesellschaftskreis um sich zu versammeln, der ohne allen<br />
Vergleich der anziehendste <strong>und</strong> geistreichste war in ganz Berlin.“ 148<br />
Brinkmann verdeutlichte die eigentlichen Voraussetzungen, die eine Frau mitbringen musste, um<br />
140 Ebd.<br />
141 Ebd.<br />
142 Ebd.<br />
143 Ebd., S. 127.<br />
144 Ebd.<br />
145 Ebd.<br />
146 Ebd.<br />
147 Ebd.<br />
148 Karl Gustav von Brinkmann in einem Brief an Karl August Varnhagen von Ense. Zit. nach: Blos, Anna: Frauengestalten<br />
des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts III: Rahel Levin. In: GL, 29/ 36/ 25.10.1919/ 283.<br />
336
4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN<br />
Erfolg in der besseren Gesellschaft des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts zu haben: Entsprechende familiäre<br />
Herkunft, gutes Aussehen <strong>und</strong> Vermögen. Levin besaß nahezu nichts davon. Doch nicht nur<br />
deshalb war sie eine bemerkenswerte Ausnahme. Sie war die Tochter eines reichen jüdischen<br />
Kaufmannes. Angesichts des vorherrschenden Antisemitismus konnte es ihr demnach keineswegs<br />
vorbestimmt gewesen sein, die „Fre<strong>und</strong>in aller großen Geister jener Zeit“ 149 zu werden. Auch ihr<br />
Übertritt zum Christentum <strong>und</strong> ihr neuer offizieller Name Friederike Robert konnten ihr die<br />
deprimierende Erfahrung nicht ersparen, dass sie nicht nur für ihre Fre<strong>und</strong>e weiterhin „Rahel“<br />
blieb. Auch für die „vornehmen Herren, die ihr huldigten“,so Blos, war sie „doch nur die ‘Jüdin’<br />
[…], mit der man sich wohl amüsierte, die man aber als unebenbürtig nicht ernst nahm“ 150 . Weiter<br />
ging Blos jedoch nicht auf die Benachteiligung jüdischer Menschen im Deutschland des<br />
19. Jahrh<strong>und</strong>ert ein.<br />
Da Levins Mutter oft leidend war, übernahm sie schon früh die Rolle der Hausherrin, die die<br />
Gäste mit ihrem Klavierspiel <strong>und</strong> interessanten Gesprächen unterhielt. In diesen Gesprächen habe<br />
sie „ein tiefes Verständnis für die Leiden der ganzen Menschheit“ 151 gezeigt. Levin habe die große<br />
empathische Gabe besessen, mitzuleiden <strong>und</strong> sich mitzufreuen. Aus dieser lasse sich der „große<br />
Zauber“ 152 erklären, den ihre „magische Gestalt“ 153 ausübte. Auch habe sie gewusst, wann es<br />
ratsam war, zu schweigen <strong>und</strong> „Wahrheit erschien ihr die höchste Tugend“ 154 .<br />
Levin war im Gegensatz zu den erwähnten „vornehmen Herren“ mit keinem Standesdünkel be-<br />
haftet. „Ihr brennender Durst nach Kenntnis der Menschheit durch die Menschen“, so Blos, habe<br />
es ihr unmöglich gemacht, eine „Grenzlinie zwischen Adel <strong>und</strong> Bürgerlichkeit im geistigen Sinne“<br />
155 zu ziehen. Stattdessen habe Levin „als höchstes Ideal die bürgerliche Gleichberechtigung aller<br />
Stände <strong>und</strong> Konfessionen, edle Geisterfreiheit <strong>und</strong> wahre Herzensbildung vor[geschwebt]“ 156 . Im<br />
Kampf für diese Ideale fand sie einen Gefährten in Varnhagen von Ense <strong>und</strong> heiratete ihn 1814. In<br />
Briefen an ihn erörterte Levin die Institution Ehe <strong>und</strong> die Situation des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts.<br />
Selbst glücklich verheiratet, forderte sie die „völlige Freiheit der Persönlichkeit für die Frau, auch<br />
in der Ehe“ 157 . Angesichts der geächteten Situation unehelicher Mütter forderte sie sogar, dass<br />
149 Ebd.<br />
150 Ebd.<br />
151 Ebd.<br />
152 Ebd., S. 284.<br />
153 Ebd.<br />
154 Ebd.<br />
155 Ebd.<br />
156 Ebd., S. 285.<br />
157 Ebd.<br />
337
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Kinder nur Mütter haben <strong>und</strong> deren Namen tragen sollten. Die Mütter wiederum sollten in der<br />
Familie das Vermögen <strong>und</strong> die Macht innehaben. 158 Levin scheint sich demnach in ähnlicher<br />
Weise wie August Bebel mit dem Naturrecht <strong>und</strong> dem Matriarchat auseinander gesetzt zu haben.<br />
Auch diese Briefe Levins wurden innerhalb einer Sammlung des gesamten ehelichen Brief-<br />
wechsels veröffentlicht <strong>und</strong> erzielten, so Blos, eine „sensationelle Wirkung“ 159 . Jedoch sei Levin<br />
weit davon entfernt gewesen, aus diesem Erfolg eine schriftstellerische Karriere zu entwickeln.<br />
Sie habe<br />
„sich lieber mit Menschen ab[gegeben] als mit Büchern, die freilich leichter <strong>und</strong><br />
bequemer zu lesen sind <strong>und</strong> deshalb den Geist nachlässig <strong>und</strong> träge machen“ 160 .<br />
Levin sei zwar so konsequent gewesen, die von ihr verfasste Philosophie auch zu leben <strong>und</strong><br />
entsprechend zu wirken, aber sie habe dies nur in dem vermeintlichen „‘Kreise ihrer Pflichten’“ 161 ,<br />
im ehelichen Haushalt getan. So das Urteil Jenny von Gustedts (1811-1890), der Großmutter<br />
Lily Brauns. Obwohl zum „‘richtigen Blick in die großen Verhältnisse’“ 162 befähigt, habe sie nie<br />
„‘die schwache Frauenhand in die großen Räderwerke’“ 163 geführt. Levin beschied sich trotz ihrer<br />
herausragenden Fähigkeiten auf typische Frauentätigkeiten <strong>und</strong> strebte nicht nach größerem<br />
öffentlichen Einfluss. Entsprechend wirkte sie während des Krieges als ermunternde <strong>und</strong> auf-<br />
opfernde Pflegerin <strong>und</strong> tat „‘Gutes um des Guten willen’“ 164 . Gustedt charakterisierte sie als „‘die<br />
echte, wahre, reine deutsche Frau’“ 165 . Eine Charakterisierung, die 1919 in der „Gleichheit“ ver-<br />
öffentlicht auch deren nationalistischen Wandel nach dem Ersten Weltkrieg kennzeichnet. Es ist<br />
anzunehmen, dass Levin als ein „weiblicher Vollmensch“, der um die Benachteiligung der Frau<br />
weiß, aber nicht für deren Gleichberechtigung kämpft, unter der Redaktion Zetkins anders dar-<br />
gestellt worden wäre. In diesem Falle hätte Blos vermutlich nicht resümieren können, dass Levin<br />
„den Gr<strong>und</strong> […] für die heutige Frauenbewegung“ 166 gelegt habe. Und wenn sie schreibt:<br />
158 Vgl. Ebd.<br />
159 Ebd., S. 285.<br />
160 Ebd., S. 284.<br />
„Alles wofür wir kämpfen, was wir erstreben, war von ihr [Levin; M.S.]<br />
vorgezeichnet“ 167 ,<br />
161 Jenny von Gustedt zit. nach: Ebd., S. 286.<br />
162 Ebd.<br />
163 Ebd.<br />
164 Ebd.<br />
165 Ebd.<br />
166 Ebd.<br />
167 Ebd.<br />
338
4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN<br />
dann wäre dieses „Alles“ für Zetkin nur ein Feminismus bürgerlicher Prägung <strong>und</strong> noch viel zu<br />
wenig gewesen.<br />
Noch weit weniger als Levin besaß Charlotte von Stein (1742-1827) 168 den Charakter einer<br />
Kämpferin für die Frauenrechte. Doch genau wie Levin besaß auch sie Qualitäten eines<br />
„<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“. Steins Bedeutung für die Geschichte, ihre Unsterblichkeit, resultierte<br />
nicht unmittelbar aus ihrem eigenen Verdienst, sondern wurde ihr verliehen von den „Strahlen der<br />
Dichtersonne“ 169 . Anders ausgedrückt: Es war die Liebe, die Johann Wolfgang von Goethe für sie<br />
empfand, die sie in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses rückte. Ein Umstand, der von Blos<br />
jedoch keineswegs kritisch hinterfragt wurde.<br />
Stein war Tochter eines Bediensteten am Weimarer Fürstenhof <strong>und</strong> einer streng katholischen, aus<br />
Schottland stammenden Mutter. 16-jährig wurde Stein Hofdame der Herzogin Anna Amalie<br />
(1739-1807). Schließlich schloss sie mit dem Stallmeister <strong>und</strong> Rittergutsbesitzer Josias von Stein<br />
eine Ehe, die weder glücklich noch unglücklich zu nennen gewesen sei. 170 Aus dieser Beziehung<br />
gingen sieben Kinder hervor, von denen jedoch vier früh verstarben.<br />
Stein habe, so Blos, „[e]in herber keuscher Reiz“ 171 umgeben. Ungeachtet ihrer Mutterschaft sei<br />
zudem davon auszugehen, dass sie in ihrer Ehe keine wahre Sinnlichkeit erlebt habe. Erst die<br />
Liebe Goethes habe in ihr Jugend <strong>und</strong> Sinnlichkeit erwachen lassen. 172 Über die Art dieser Liebe<br />
macht sich Blos folgende gr<strong>und</strong>sätzliche Gedanken:<br />
„Wir hatten in Deutschland eine Zeit, <strong>und</strong> sie ist heute noch nicht ganz überw<strong>und</strong>en,<br />
wo Natürliches als Sünde angesehen, wo der unnatürliche, platonische<br />
Verkehr der Geschlechter als Verdienst gepriesen wurde. Wieviel ist darüber<br />
gestritten <strong>und</strong> geschrieben worden, ob die Liebe Goethes zu Charlotten eine rein<br />
geistige war. Als ob der Vollmensch Goethe imstande gewesen wäre, dreizehn Jahre<br />
lang sein Leben einer Frau zu widmen, die sich ihm nicht ganz zu eigen gab.“ 173<br />
„Vollmenschen“ – ob weiblich oder männlich – scheinen sich demnach auch dadurch auszuzeich-<br />
nen, dass sie ihre Sexualität ohne allzu große Rücksicht auf gesellschaftliche Konventionen aus-<br />
leben. Interessanterweise blieben die gesellschaftlichen Konventionen im Fall der verheirateten<br />
168 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. Charlotte von Stein. In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 338. Für<br />
die biographische Skizze Charlotte von Steins bezieht sich Blos auf die 1916 erschienene Schrift „Das Martyrium<br />
der Charlotte von Stein. Versuch ihrer Rechtfertigung“ von der Schriftstellerin Ida Boy-Ed (1852-1928).<br />
169 Ebd.<br />
170 Vgl. ebd.<br />
171 Ebd., S. 339.<br />
172 Belegt wird diese Liebe durch die von Stein an Goethe gerichteten Briefe, die entgegen ihrer Verfügung nicht nach<br />
ihrem Tode vernichtet worden waren.<br />
173 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. Charlotte von Stein. In: GL, 30/ 41-42/ 09.10.1920/ 338.<br />
339
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Stein sogar gänzlich aus. Weder das kleine, für seine Klatschsucht bekannte Weimar noch der<br />
Ehemann Steins empörten sich über das Verhältnis zu dem „geistig <strong>und</strong> körperlich so hinreißen-<br />
den Fre<strong>und</strong>“ 174 . Auch Stein selbst kokettierte nicht mit ihrer Affäre, sondern wahrte den Schein des<br />
Anstands. Ohnehin sei ihr durch Erziehung <strong>und</strong> Abstammung eine eher „kühle, vornehm zurück-<br />
haltende Art“ 175 eigen gewesen, „Produkt einer alten Kultur“ 176 <strong>und</strong> letztendlich der Gr<strong>und</strong>, so<br />
Blos, weshalb die Verbindung mit Goethe zerbrach, zerbrechen musste. 177<br />
Goethe wandte sich einer anderen, einer jüngeren Frau zu – Christiane Vulpius (1765-1816). Im<br />
Gegensatz zu Stein wurde die aus einfachen Verhältnissen stammende Vulpius mit Klatsch jeder<br />
Art verhöhnt. Klatsch, zu dem besonders Stein beitrug, weil sie über den Verlust ihres namhaften<br />
Verehrers nicht hinwegkam. Dies, so Blos, sei der – wenn auch verständliche, weil menschliche –<br />
Schatten, der über der ansonsten untadeligen Person Steins liege. 178 In dieser Eifersucht, in diesem<br />
Hass auf Vulpius sieht Blos die Bestätigung ihrer Annahme, dass das Verhältnis zwischen Stein<br />
<strong>und</strong> Goethe ein sexuelles war. Doch Stein habe noch weit mehr an die „geistig minderwertige<br />
Rivalin“ 179 Vulpius verloren als die sexuelle Zuneigung Goethes. Seine Liebe <strong>und</strong> Verehrung hatte<br />
aus Stein „die gesegnetste der Frauen, die ‘Göttin’“ 180 schlechthin gemacht. Diesen Status hatte sie<br />
nun verloren <strong>und</strong> die Beliebigkeit ihrer Person wurde somit überdeutlich. Die Überhöhung der<br />
Person Goethes, die Tatsache, dass Stein von ihm auserwählt worden war, erklärt, warum ihr<br />
innerhalb dieses Artikels kein weibliches Selbstbewusstsein zugesprochen wurde. Sie erscheint<br />
nicht als eigenständiger Charakter. Ähnliches wird sich im Rahmen dieser Arbeit auch bei dem<br />
Leitbild der sozialistischen Ehefrau wieder finden lassen.<br />
Stein <strong>und</strong> Goethe gingen im heftigen Streit auseinander <strong>und</strong> fünfzehn Jahre lang wechselten sie<br />
kaum ein Wort miteinander. Schließlich waren es auch nicht die einst Geliebten, die den ersten<br />
Schritt aufeinander zugingen, sondern ihre Kinder. Steins Sohn Friedrich (Fritz) war Goethes Zög-<br />
ling <strong>und</strong> schloss zudem Fre<strong>und</strong>schaft mit Goethes Sohn August. Auch Stein selbst war angetan<br />
von dem Kind ihres ehemaligen Liebhabers <strong>und</strong> so wurden „die geistigen Beziehungen wieder<br />
aufgenommen“ 181 . Diese erfreuliche Entwicklung sei besonders durch die, so Blos, „Heiterkeit des<br />
Alters, die Abgeklärtheit <strong>und</strong> innere Freiheit“ 182 , die Stein in all den Jahren erworben hatte,<br />
174 Ebd., S. 339.<br />
175 Ebd.<br />
176 Ebd.<br />
177 Vgl. ebd.<br />
178 Vgl. ebd.<br />
179 Ebd, S. 340.<br />
180 Ebd.<br />
181 Ebd.<br />
182 Ebd.<br />
340
egünstigt worden.<br />
Blos charakterisierte ihren biographischen Artikel als einen Abgesang auf die Zeit,<br />
4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN<br />
„wo man aus den Menschen Idealgebilde zu machen suchte. Heute sucht <strong>und</strong> ehrt<br />
man das Menschliche in ihnen <strong>und</strong> lernt sie verstehen.“ 183<br />
In ihrer Menschlichkeit, die sich in ihrer Liebesbeziehung zu Goethe, ihrer Eifersucht <strong>und</strong> ihrer<br />
Persönlichkeitsentwicklung widerspiegelt, liegt demnach die Besonderheit Steins. Diese machte<br />
auch sie zu einem „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“, zu einem Vorbild proletarischer Frauen.<br />
Charlotte Stieglitz (1806-1834) war dagegen eine „Frau, die mit ihrer eigenen Persönlichkeit weit<br />
über ihre Zeit <strong>und</strong> ihre Umgebung hinausragte“ 184 [Hervorhebung von M.S.]. Diese Persönlichkeit<br />
zeichnete sich laut Blos allerdings durch einen „Zwiespalt zwischen Ideal <strong>und</strong> Wirklichkeit“ 185<br />
aus. Diese Charakterisierung lässt gleich zu Anfang des Artikels ein tragisches Ende vermuten.<br />
Blos vermochte die Neugierde der Leserinnen noch zu steigern, wenn sie vorwegnehmend<br />
resümierte:<br />
„Sie [Stieglitz; M.S.] war im Gr<strong>und</strong>e ein Mensch mit selbständigen Ansichten,<br />
befand sich häufig im Widerstreit mit traditionellen Begriffen, aber ihre Erziehung<br />
war der damaligen Zeit entsprechend nicht darauf gerichtet, ihre Persönlichkeit zu<br />
entwickeln, ihre großen geistigen Anlagen auszubilden. Deshalb hatte sie nicht den<br />
Mut, sich selbst zu folgen, sondern suchte die Erfüllung ihrer Sehnsucht in der<br />
Liebe zu dem Manne, dem sie all ihre reichen Gaben zu Füßen legte, in der<br />
Hoffnung, dadurch ihre Ideale verwirklicht zu sehen. Als sie diese Hoffnung<br />
vernichtet sah, da folgte sie zum erstenmal sich selbst, indem sie in den Tod ging.“<br />
186<br />
So spielte im Rahmen ihrer Persönlichkeitsentwicklung wie auch für ihre spätere Bedeutung als<br />
historisches Vorbild die Beziehung Stieglitz‘ zu einer anderen Person, zu einem Mann, die aus-<br />
schlaggebende Rolle.<br />
Stieglitz war die Tochter des Hamburger Kaufmanns Willhöft <strong>und</strong> zog nach dem frühen Tod des<br />
Vaters nach Leipzig. Ihre Leidenschaft waren das Lesen <strong>und</strong> Schreiben, wofür ihre Mutter wenig<br />
Verständnis aufbrachte. Schon früh habe das „seltsame Kind“ 187 ein „selbständiges, reiches <strong>und</strong><br />
poetisch erregtes Innenleben“ 188 entwickelt. Stieglitz besaß eine, so Blos, „freie Natur, die sich<br />
nicht leicht vor Autoritäten beugt[e]“ 189 . So war es vorhersehbar, dass Stieglitz, die offen für die<br />
183 Ebd.<br />
184 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. II. Charlotte Stieglitz. In: GL, 29/ 33/ 04.10.1919/ 259.<br />
185 Ebd.<br />
186 Ebd.<br />
187 Ebd.<br />
188 Ebd.<br />
189 Ebd.<br />
341
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Freiheit schwärmte <strong>und</strong> sich selbst als eine „Republikanerin <strong>und</strong> Demagogin“ 190 bezeichnete,<br />
einem Konflikt mit Autoritäten nicht aus dem Wege gehen würde. Es scheint, als habe Stieglitz<br />
schon als junge Frau über ein sehr ausgeprägtes politisches Bewusstsein verfügt. Tatsächlich aber<br />
seien ihre „außerordentlichen Geistesgaben“ 191 , so Blos, ohne Förderung <strong>und</strong> ohne „nutzbrin-<br />
gende[…] Tätigkeit“ 192 geblieben. Dieser Mangel an geeigneter Ausbildung <strong>und</strong> Förderung ließ,<br />
so Blos weiter,<br />
„ihre Teilnahme für alle höheren Interessen, ihr Hingebungsbedürfnis an alles<br />
Schöne sich nur auf eine einzige Leidenschaft konzentrier[en], auf die Liebe“ 193 .<br />
Im Alter von 16 Jahren heiratete sie den Studenten Hinrich Stieglitz. Laut Blos glaubte die junge<br />
Frau „in ihm das Ideal ihres Lebens gef<strong>und</strong>en zu haben“ 194 . In ihrer grenzenlosen Schwärmerei<br />
stellte sie ihn auf ein Podest, „dessen Höhe der Wirklichkeit absolut nicht entsprach“ 195 . Stieglitz<br />
sei allerdings ein realistischer Blick auf ihren Ehemann erschwert worden, weil das Paar in seiner<br />
sechsjährigen Verlobungszeit kaum Gelegenheit gehabt habe, sich näher kennenzulernen. Hinrich<br />
Stieglitz hatte damals die meiste Zeit in Berlin <strong>und</strong> nur selten in Leipzig verbracht. Besonders der<br />
deshalb verstärkt gehaltene Briefkontakt habe auf Stieglitz geistig sehr anregend gewirkt <strong>und</strong> sei<br />
für sie letztlich eine besondere „Quelle des Glücks“ 196 gewesen. In dieser Situation habe sich<br />
Stieglitz wie viele andere Frauen nicht darüber bewusst werden können,<br />
„daß auch die Frau die Berechtigung hat, für sich selbst <strong>und</strong> durch sich selbst etwas<br />
zu sein“ 197 .<br />
Stattdessen habe sie die Aufgabe ihres Lebens darin gesehen, „ihren Doktor zu fördern; seine<br />
Vollkommenheit anzuspornen“ 198 [Hervorhebung von M.S.].<br />
Den zu hohen Erwartungen <strong>und</strong> „hochgespannten Idealen“ 199 , die Stieglitz an ihren Ehemann <strong>und</strong><br />
ihr gemeinsames Eheleben setzte, musste zwangsläufig die Ernüchterung folgen. Stieglitz, die<br />
ihren Ehemann „für einen bedeutenden Menschen, einen großen Dichter“ 200 gehalten habe, die<br />
ihm „eine treu teilnehmende Kameradin sein woll[te], helfend, fördernd, beratend, nach Maßstab<br />
190 Ebd.<br />
191 Ebd.<br />
192 Ebd.<br />
193 Ebd.<br />
194 Ebd.<br />
195 Ebd.<br />
196 Ebd., S. 260.<br />
197 Ebd.<br />
198 Ebd.<br />
199 Ebd.<br />
200 Ebd.<br />
342
4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN<br />
der eigenen Begabung“ 201 , habe laut Blos ihren Irrtum schließlich erkannt. Endlich, nachdem sie<br />
„ihren eigenen Maßstab“ 202 an ihn anlegte, habe sie entdeckt, dass ihr Ehemann diesem nicht<br />
entsprechen konnte. Allerdings habe sie noch immer gehofft, ihn ändern zu können. Stieglitz<br />
wollte sich ihm „vollständig opfer[n]“ 203 <strong>und</strong> entwarf zu diesem Zweck einen verheerenden Plan.<br />
Durch einen schweren Schicksalsschlag, „durch den Eindruck des Unerwarteten, Grausigen“ 204<br />
wollte sie ihren „[h]altlosen, [s]chwächlichen“ 205 Dichtergatten „zu einer großen Tat anregen“ 206 .<br />
Diesen Gedanken eröffnete Stieglitz ihrem Ehemann in einem Abschiedsbrief, bevor sie sich am<br />
29. Dezember 1834 erdolchte. Sie hatte geglaubt, ihrem Ideal nur noch auf diese Weise dienen zu<br />
können, doch Ihr Ehemann erwies sich dieses großen Opfers „unwert“ 207 . Die Begeisterung <strong>und</strong><br />
Bew<strong>und</strong>erung, mit der die gesamte romantische Jugend Deutschlands auf die Tat des „junge[n]<br />
begabte[n] Weib[es]“ 208 reagierte, schmeichelte der Eitelkeit des Ehemannes gar zu sehr. Statt nun<br />
große dichterische Werke zu verfassen, wie es Stieglitz bezweckt hatte, stellte er seine durch ihr<br />
Opfer überhöhte Person in den Mittelpunkt des Interesses – wodurch er die selbstlose Tat seiner<br />
Ehefrau jedoch nach Meinung Blos‘ vollkommen entwürdigte. Aus deren „eigenster innerster<br />
Natur“ 209 sei die Tat, sei der Suizid hervorgegangen. Sie sei eine Schwärmerin gewesen, die „ihre<br />
poetischen Ideale nicht mit der Wirklichkeit in Harmonie bringen“ 210 <strong>und</strong> damit „nicht sich selbst<br />
treu bleiben“ 211 konnte. Stieglitz war laut Blos „ein echtes Kind ihrer Zeit“ 212 <strong>und</strong> im Gegensatz<br />
zur Frau des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts suchte sie die Lösung ihres inneren Konfliktes in der Zerstörung<br />
ihres Selbst <strong>und</strong> nicht in einem „lebensvolle[n] Wirken“ 213 für die Verwirklichung desselben.<br />
Zum Leben der Schriftstellerin <strong>und</strong> Lyrikerin Ricarda Huch (1864-1947) veröffentlichte die<br />
„Gleichheit“ – der Aufforderung zum Nachdruck folgend – im September 1918 einen Artikel von<br />
Lida Gustava Heymann (1868-1943) – einer Führerin der bürgerlich-radikalen<br />
201 Ebd.<br />
202 Ebd.<br />
203 Ebd.<br />
204 Ebd., S. 261.<br />
205 Ebd.<br />
206 Ebd.<br />
207 Ebd.<br />
208 Ebd.<br />
209 Ebd.<br />
210 Ebd.<br />
211 Ebd.<br />
212 Ebd.<br />
213 Ebd.<br />
343
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Frauenbewegung. Dieser Artikel ist zwar keine biographische Skizze im engeren Sinne, maß der<br />
Persönlichkeit Huchs aber eine große Bedeutung für die Frauenbewegung bei.<br />
Heymann stellt an den Anfang ihres Artikels einen empörten Vorwurf an die männlich dominierte<br />
deutsche Gesellschaft:<br />
„In keinem anderen Lande wird Frauenarbeit, Frauenkönnen, Frauengeist, Frauengenie<br />
so minderwertig eingeschätzt wie in Deutschland.“ 214<br />
Heymann bezog sich damit nicht auf die Demobilmachungsverordnungen 215 , auch wenn diese sich<br />
zu diesem Zeitpunkt bereits angekündigt haben dürften. Ihr ging es vielmehr um die kulturschöp-<br />
ferische Leistung von Frauen <strong>und</strong> ihre sehr unterschiedliche Bewertung in den einzelnen Ländern.<br />
Für diese unterschiedliche Bewertung seien besonders Huch <strong>und</strong> die schwedische Schriftstellerin<br />
Selma Lagerlöf (1858-1940) ein Paradebeispiel. Während Lagerlöf in Schweden mit Ehrungen<br />
nur so überhäuft würde, bliebe „Deutschlands größte Schriftstellerin“ 216 trotz ihres „gottbegna-<br />
dete[n] Genie[s]“ 217 unbekannt <strong>und</strong> ungerühmt. Heymann kritisierte die patriarchalische Struktur<br />
der deutschen Kulturlandschaft <strong>und</strong> schrieb:<br />
„Würde ein Mann Werke von der Eigenart, dem Geist <strong>und</strong> der Größe einer Ricarda<br />
Huch schaffen, man würde sich seiner in Deutschland rühmen […] wie man es in<br />
Deutschland bei Schriftstellern, die nichts von dem Genie einer Ricarda Huch<br />
spüren ließen, zum Beispiel Felix Dahn, Georg Ebers <strong>und</strong> anderen, zu tun pflegte.“<br />
218<br />
Ein in der „Gleichheit“ selten zu findender feministischer Ton, in welchem hier das männer-<br />
dominierte deutsche Verlagswesen angeklagt wurde. Der Artikel wäre unter der Redaktion Zetkins<br />
vermutlich nicht zur Veröffentlichung gelangt, denn Zetkin hätte die Ursache für Huchs Benach-<br />
teiligung im kapitalistischen Charakter des Verlagswesens gesehen, nicht im Konkurrenzkampf<br />
mit den Männern.<br />
Heymann war davon überzeugt, dass Huch allein wegen ihres Geschlechts diskriminiert werde.<br />
Ihre Werke seien über jede Kritik erhaben <strong>und</strong> ihre Lektüre<br />
„St<strong>und</strong>en weihevollen Genießens, in denen die Seele sich rein badet vom Schmutze<br />
des Weltgeschehens, in denen der Mensch weit über sich selbst hinauswächst, sein<br />
Denken bereichert, sein Wissen <strong>und</strong> Fühlen vertieft, sein Können reift <strong>und</strong> sein<br />
wahres Menschentum erwacht“ 219 .<br />
Es ist bemerkenswert, in welcher Weise die beschriebene Wirkung von Literatur der sozialis-<br />
tischen Vorstellung einer Persönlichkeitsentwicklung zum „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ entspricht.<br />
214 Heymann, Lida Gustava: Ricarda Huch. In: GL, 28/ 26/ 27.09.1918/ 204.<br />
215 Siehe: Kapitel 4.5.<br />
216 Heymann, Lida Gustava: Ricarda Huch. In: GL, 28/ 26/ 27.09.1918/ 204.<br />
217 Ebd.<br />
218 Ebd., S. 205. Dahn war Jurist, Schriftsteller <strong>und</strong> Historiker, Ebers Schriftsteller <strong>und</strong> Ägyptologe.<br />
219 Ebd.<br />
344
Und auch Huch selbst sei eine<br />
4.1.2 GELEHRTE UND KULTURSCHAFFENDE FRAUEN<br />
„große[…] vorurteilslose[…] Frau, ein[…] intelligente[r] Mensch[…], der trotz<br />
einer Überfülle von Phantasie, Leidenschaft <strong>und</strong> Temperament Meister seines<br />
Stoffes bl[iebe]“ 220 .<br />
Heymann – selbst im Literaturvertrieb tätig – wollte mit ihrem Artikel eine große Werbeaktion für<br />
die Werke Huchs starten. Vor allem legte sie den Leserinnen deren geschichtliche Romane „Der<br />
große Krieg in Deutschland“(1912-14), „Das Leben des Grafen Federigo Consalonieri“ (1910)<br />
<strong>und</strong> „Wallenstein“ (1915) ans Herz. Huchs „Art der Geschichtsschreibung“ 221 , lasse „Geschichte<br />
durchleben“ 222 <strong>und</strong> bedeute „das Herannahen einer neuen Epoche“ 223 . Diese neue Epoche sehnte<br />
Heymann herbei, da im Moment „quantitativ sehr viel <strong>und</strong> qualitativ sehr, sehr wenig auf schrift-<br />
stellerischen Gebiet geleistet w[erde]“ <strong>und</strong> sie gerade „die gesamte Kriegsliteratur […] mit Ekel<br />
erfüll[e]“ 224 . Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> seien Huchs Werke von umso größerer künstlerischer <strong>und</strong><br />
gesellschaftlicher Bedeutung. Heymann wünschte sich, dass ihr Artikel der Start einer großen<br />
Kampagne sei, denn ihrer Meinung nach seien vereinzelte Artikel in der Tagespresse für die<br />
richtige Würdigung Huchs unzureichend. Sie wollte stattdessen „eine sich immer wiederholende<br />
Propaganda in der gesamten Presse“ 225 – auch in der sozialdemokratischen Presse. Besonders die<br />
Massenwirkung der sozialdemokratischen Presse war Heymann sehr wichtig. Wenn Huchs Werke<br />
„Eigentum der Masse“ 226 würden, so die Überzeugung Heymanns, könnten sie „das moralische<br />
<strong>und</strong> künstlerische Niveau eines Volkes […] heben“ 227 . Nach den verheerenden Kriegsjahren sollte<br />
eine solche Hebung jeder Leserin in ihrem eigenen Interesse unerlässlich sein. Demnach erachtete<br />
Heymann in den Werken Huchs das besondere Potential, einen <strong>weiblichen</strong> Einfluss auf die<br />
deutsche Kultur <strong>und</strong> eine weibliche Sicht auf Krieg <strong>und</strong> Geschichte geltend zu machen.<br />
220 Ebd.<br />
221 Ebd., S. 206.<br />
222 Ebd.<br />
223 Ebd.<br />
224 Ebd., S. 205.<br />
225 Ebd.<br />
226 Ebd., S. 206.<br />
227 Ebd.<br />
345
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
4.1.3 Frauen der Französischen Revolution<br />
Obwohl sie Zeitzeuginnen des wohl geschichtsträchtigsten Ereignisses des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
waren, scheinen Agnesi <strong>und</strong> Karschin in ihrem Wirken keinerlei Bezug auf die Französische<br />
Revolution genommen zu haben. Sie haben daher vermutlich nie etwas von der „schöne[n],<br />
unglückliche[n] Lütticher Amazone“ 228 Théroigne de Méricourt (1762-1817) gehört - wie auch so<br />
manche „Gleichheit“-Leserin.<br />
Mit Méricourt wollte Zetkin ihren Leserinnen eine „typische Vertreterin“ 229 für die<br />
„vielen französischen Frauen [vorstellen], welche in der großen Revolution <strong>und</strong> in<br />
den späteren revolutionären Gewitterstürmen mit bewaffneter Hand <strong>und</strong> thatenkühn<br />
für die allgemeine Freiheit, Gleichheit <strong>und</strong> Brüderlichkeit kämpften“ 230 .<br />
Vor allem dieser oft von der Geschichtsschreibung unterschlagene Anteil der Frauen an der<br />
Französischen Revolution ist es, den Zetkin in ihrem Artikel betont. Sie sieht in Méricourt „[d]ie<br />
Verkörperung des streitbaren heroischen Weibes im Dienste einer begeisternden Idee“ 231 . Die Geg-<br />
ner der Revolution hätten sie <strong>und</strong> viele andere beteiligte Frauen als „‘Abschaum’ der Frauenwelt,<br />
‘sittenlose, verkommene Geschöpfe’“ 232 verhöhnt. Ganz anders jedoch „das Volk“ 233 . Dies habe<br />
Méricourts bewegten Lebensweg<br />
„in Wahrheit <strong>und</strong> Dichtung zu einem Schleier zusammen[gewoben], welcher mit<br />
seinem Romantismus die dunklen Flecken eines unglücklichen Lebens mild zu<br />
verhüllen sucht“ 234 .<br />
Die „Gleichheit“-Leserinnen durften demnach auf eine ergreifende Lebensgeschichte gespannt<br />
sein. Zetkin verstand es, diese Spannung noch zu erhöhen. Mit jeder neuen Forschungserkenntnis<br />
zur Person Méricourts, so Zetkin, behalte<br />
„auch ihr gegenüber das ‘Alles verstehen heißt Alles verzeihen’ sein volles Recht“<br />
235 .<br />
Zum einen betonte Zetkin hiermit die Notwendigkeit historischer Frauenforschung, um einer<br />
historischen Persönlichkeit gerecht zu werden. Zum anderen hält sie außerdem die Leserinnen an,<br />
bei ihrer Beurteilung Méricourts besondere Toleranz <strong>und</strong> Verständnis zu zeigen. Schnell zeigte<br />
sich warum.<br />
228 Théroigne de Méricourt. In: GL, 03/ 01/ 11.01.1893/ 7.<br />
229 Ebd.<br />
230 Ebd.<br />
231 Ebd.<br />
232 Ebd.<br />
233 Ebd.<br />
234 Ebd.<br />
235 Ebd.<br />
346
4.1.3 FRAUEN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION<br />
Die sich nach ihrem Geburtsort in der Nähe Lüttichs nennende Méricourt war die Tochter eines<br />
wohlhabenden Pächters. Sie habe nicht nur eine „anmuthige, zarte Schönheit“ 236 <strong>und</strong> ein „leben-<br />
sprühende[s] Antlitz mit […] funkelnden, schwarzen Augen“ 237 besessen, sondern auch eine<br />
„unbeugsame Energie“ 238 , „einen ungewöhnlich lebhaften Geist, eine feurige Phantasie <strong>und</strong> hin-<br />
reißende natürliche Beredtsamkeit“ 239 . Noch in jungem Alter von einem Adeligen verführt, wurde<br />
sie von ihrem Vater verstoßen. Sie verließ ihre Heimat <strong>und</strong> wurde in England die Geliebte<br />
verschiedener wohlhabender Männer. Zusammen mit einem ihrer Geliebten kehrte Méricourt<br />
zurück <strong>und</strong> ließ sich in Paris nieder. Hier empfing sie in ihrem Salon revolutionäre Vorkämpfer<br />
wie Abbé Emmanuel Joseph Sièyes, Maximilien de Robespierre <strong>und</strong> Camille Desmoulins, mit<br />
deren literarischen <strong>und</strong> philosophischen Werken sie sich bereits in England beschäftigt hatte. Sie<br />
wurde eine „schön[e] <strong>und</strong> geistig bedeutend[e] Kurtisane“ 240 , die jedoch die Fähigkeit der Liebe<br />
für einen Mann verloren <strong>und</strong> sich ein ganz anderes Lebensziel gesetzt habe:<br />
„All das Feuer ihres leidenschaftlich klopfenden Herzens, die ganze Begeisterung<br />
ihres hochfliegenden Geistes weihte sie der Sache der Revolution. […] Ihr Leben<br />
war <strong>und</strong> blieb ein geopfertes, aber sie wollte mit Drangabe ihres ganzen Wesens,<br />
mit Anspannung all ihrer Willenskraft für neue gesellschaftliche Zustände wirken,<br />
in der es ihrer Ueberzeugung nach keinen Platz mehr geben konnte für Gefallene<br />
<strong>und</strong> Verführer, für den Schacher von Mensch zu Mensch. Ihre eigene Achtung<br />
wollte sie zurückgewinnen, durch Thaten ihre Person von dem ihr anhaftenden<br />
Makel erlösen. Aber Théroigne de Méricourt war keine sentimentale, in rührseligen<br />
Thränen der Reue zerfließende Natur, der Gr<strong>und</strong>ton ihres Wesens war der leidenschaftliche<br />
Thatendrang; so ward sie nicht zur Bürgerin, vielmehr zur Heldin.“ 241<br />
Méricourt sah die Notwendigkeit, die Gesellschaft, von der sie diskriminiert wurde, zu verändern.<br />
Ihr revolutionärer Kampf war aber auch davon getrieben, so Zetkin, „Rache […] an der Kaste“ 242<br />
zu nehmen, aus der der Verführer stammte, „der ihr Leben vergiftet“ 243 habe.<br />
In einem „weithin leuchtenden rothseidenen Jacket“ 244 , mit breitkrämpigem Federhut, großem Sä-<br />
bel <strong>und</strong> zwei Pistolen nahm Méricourt an den Kämpfen teil. Sie sei es gewesen, die während des<br />
Marsches der Pariser Frauen am 5. Oktober 1789 nach Versailles das königliche Flandern-Regi-<br />
ment überzeugte, sich der Sache des Volkes anzuschließen statt auf es zu schießen. 1791 wurde sie<br />
236 Ebd.<br />
237 Ebd.<br />
238 Ebd.<br />
239 Vgl. ebd.<br />
240 Ebd.<br />
241 Ebd.<br />
242 Ebd.<br />
243 Ebd.<br />
244 Ebd.<br />
347
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
auf dem Weg nach Lüttich, wo sie gegen den dortigen Bischof agitieren wollte, denunziert, ver-<br />
haftet <strong>und</strong> nach Wien ausgeliefert. Dort wurde sie angeklagt, im Oktober 1789 gegen die aus<br />
Österreich stammende Königin Marie Antoinette (1755-1793) ein Attentat versucht zu haben.<br />
Weil diese Anklage jedoch haltlos war, wurde Méricourt bald wieder freigelassen.<br />
Auch bei dem Sturm auf die Tuilerien am 10. August 1792 kämpfte sie in der ersten Reihe <strong>und</strong><br />
wurde dafür später mit einer Ehrenkrone geehrt. Eine eher zweifelhafte Geschichte besage, so<br />
Zetkin, dass Méricourt bei diesen Kämpfen auf ihren Verführer getroffen sei <strong>und</strong> ihn eigenhändig<br />
getötet habe. Für Zetkin war diese Geschichte jedoch nur eine Erfindung der Volksmassen,<br />
entstanden aus deren „Bedürfnis[…] nach einer ausgleichenden Gerechtigkeit“ 245 . In dieser Beur-<br />
teilung zeigten sich Zetkins massenpsychologische Kenntnisse.<br />
In der errungenen Republik besuchte Méricourt regelmäßig die Nationalversammlung <strong>und</strong> betei-<br />
ligte sich an deren politischen Debatten. Sie habe dort nicht nur beweisen können, dass sie „kühn,<br />
tapfer <strong>und</strong> klug“ 246 war, sondern auch „Muth <strong>und</strong> die Treue der Ueberzeugung“ 247 besaß. Aus<br />
Letzterem heraus habe sie sich auf die Seite der Girondisten <strong>und</strong> gegen die Schreckensherrschaft<br />
Robespierres gestellt. 248 Der Gironde anzugehören, war für Méricourt nicht ungefährlich: Bei<br />
einem Spaziergang in den Tuilerien sei sie „von einer Gruppe von Männern umringt, ergriffen, zu<br />
Boden geworfen <strong>und</strong> unter dem Gelächter der Umstehenden wie ein unartiges Kind auf den<br />
nackten Körper gezüchtigt“ 249 worden. Diese Demütigung habe sie so tief verletzt, dass sie wahn-<br />
sinnig wurde <strong>und</strong> von Wahnvorstellungen verfolgt, habe sie nur noch „[ge]schrie[en], [ge]tobt[…]<br />
<strong>und</strong> […] sich mit den Nägeln“ 250 zerfleischt. So sei Méricourts bewegtes Leben „in düsterer<br />
Tragik“ 251 zu Ende gegangen <strong>und</strong><br />
„[n]ur die wenigen Jahre des Kampfes, der schrankenlosen Hingabe an die Sache<br />
der Revolution hatten Sonnenstrahlen der inneren Befriedigung <strong>und</strong> des Glücks in<br />
ihre Existenz geworfen“ 252 .<br />
Zetkin zog das Resümee, dass es der Kampf für die Revolution gewesen sei, der dem Leben<br />
Méricourts im Gr<strong>und</strong>e Sinn <strong>und</strong> Freude gegeben habe. Méricourt, die „Galeerensklavin fremder<br />
245 Ebd., S. 8.<br />
246 Ebd.<br />
247 Ebd.<br />
248 Im Falle Méricourts erkannte Zetkin diese eher gemäßigte politische Einstellung noch kritiklos an. Im Falle der<br />
folgenden biographischen Skizze von Jeanne-Marie Roland setzte sie sich noch etwas dezidierter mit der Gironde<br />
auseinander.<br />
249 Ebd.<br />
250 Ebd.<br />
251 Ebd.<br />
252 Ebd.<br />
348
4.1.3 FRAUEN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION<br />
Lust“ 253 , habe in ihrer Hingabe an die Revolution Erlösung gesucht. Anders als die biblische<br />
Gestalt der Maria Magdalena, so Zetkin, habe sie ihr Heil nicht in „Gebet <strong>und</strong> Kasteiungen“ 254 ,<br />
„sondern als eine für die Allgemeinheit wirkende, muthige Kämpferin“ 255 gef<strong>und</strong>en. Und schließ-<br />
lich erklärte Zetkin ihren Leserinnen, dass man „Magdalenengestalten“ wie Méricourt „in jeder<br />
geschichtlichen Bewegung [begegne], welche allen Müseligen <strong>und</strong> Beladenen Erquickung ver-<br />
heißt“ 256 . Meist seien sie „[u]nschuldig Schuldige […], unglückseliger Verhältnisse unglückselige<br />
Opfer“ 257 . Und in Bezugnahme auf ihre einleitenden Worte war Zetkin der Meinung, dass das<br />
Wirken Méricourts <strong>und</strong> das anderer unbekannter Schicksalsgenossinnen „rückhaltlose Aner-<br />
kennung <strong>und</strong> Bew<strong>und</strong>erung“ 258 verdiene. Für „die dunklen Flecken“ 259 ihres Lebensweges solle, so<br />
die bibelfeste Zetkin, „das Wort milder Weisheit des großen Nazarener’s“ 260 gelten: „‘Wer unter<br />
Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.’“ 261<br />
Während Zetkin für Méricourt lediglich ein betont mitleidiges Verständnis aufbrachte, zeigte sie<br />
für Jeanne-Marie Roland (1754-1793) eine auffällige <strong>und</strong> aufrichtige Bew<strong>und</strong>erung. Sie ließ sich<br />
sogar zu folgendem Superlativ hinreißen:<br />
„<strong>Von</strong> all den glänzenden Frauengestalten, welche im Laufe der großen französischen<br />
Revolution an die Oberfläche des öffentlichen Lebens emportauchten <strong>und</strong><br />
dann zum großen Theil von dem Strudel des gewaltigen Stroms der Ereignisse<br />
verschlungen wurden, kann sich wohl keine an Bedeutung auch nur im Entferntesten<br />
mit Madame Roland messen.“ 262<br />
Nicht nur, dass sie Roland eine besondere historische Bedeutung beimisst, Zetkin ließ es sich auch<br />
hier nicht nehmen, die gr<strong>und</strong>sätzlichen Probleme der Geschichtsüberlieferung hinsichtlich des<br />
<strong>weiblichen</strong> Anteils an der Französischen Revolution anzusprechen.<br />
Als Tochter des Graveurs <strong>und</strong> Bijouteriewarenhändlers Phlipon <strong>und</strong> seiner „herzensgute[n], ein-<br />
fache[n], etwas beschränkte[n] Frau“ 263 sei Roland sich als Kind oft selbst überlassen gewesen.<br />
Ihre Eltern konnten zu ihrer Bildung wenig beitragen, weshalb sie sich – dank ihres lebhaften <strong>und</strong><br />
253 Ebd.<br />
254 Ebd.<br />
255 Ebd.<br />
256 Ebd.<br />
257 Ebd.<br />
258 Ebd.<br />
259 Ebd.<br />
260 Ebd.<br />
261 Ebd.<br />
262 Madame Roland. In: GL, 04/ 01/ 10.01.1894/ 3.<br />
263 Ebd., S. 4.<br />
349
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
regsamen Geistes <strong>und</strong> festen Willens – mit Lesen, Schreiben, Rechnen, Geographie, Geschichte,<br />
Latein, Astronomie, Physik <strong>und</strong> Philosophie im Selbststudium beschäftigt habe. Da in Rolands<br />
Kinder- <strong>und</strong> Jugendjahren nichts auf ihre spätere Entwicklung hindeutete, war sie für Zetkin noch<br />
weit mehr als Méricourt ein Beispiel für die Bedeutung bewusst getroffener Entscheidungen:<br />
„Das Schicksal war Madame Roland nicht an der Wiege gesungen worden; sie hat<br />
es sich selbst geschmiedet, soweit die Gestaltung eines Lebens von dem Willen<br />
einer Person abhängen kann.“ 264<br />
Es ist die Frage gegenseitiger Beeinflussung von Mensch <strong>und</strong> Umwelt, die Zetkin hier aufwarf<br />
<strong>und</strong> auf die sie in diesem Artikel immer wieder zurückkam.<br />
Die größte Leidenschaft Rolands – von Zetkin meist vertraulich mit ihrem Rufnamen „Manon“<br />
bezeichnet – galt dem Lesen: Reisebeschreibungen, Geschichtsbücher, die Bibel, Gedichte <strong>und</strong><br />
Romane waren ihre bevorzugte Lektüre. Ihre Begeisterung für die Sache der Republik entfachten<br />
Plutarchs „Lebensbeschreibungen berühmter Männer“ (begonnen 96), die sie bereits im Alter von<br />
neun Jahren gelesen habe. Trotzdem sei Roland eben kein „trockener Bücherwurm oder ein<br />
einseitiger, linkischer <strong>und</strong> weltfremder Blaustrumpf“ 265 gewesen, sondern habe es wie wohl jedes<br />
Mädchen der Bourgeoisie genossen, Komplimente für ihren Tanz, für ihre Haltung oder Kleidung<br />
zu bekommen. Nachdem sie ein Jahr in einem Kloster erzogen worden war, reiste sie zu ihrer<br />
Großmutter, um von dieser in die „gute Gesellschaft“ eingeführt zu werden. Dies sei die erste<br />
Entwicklungsetappe „ihres Hasses gegen die soziale Ungleichheit“ 266 , ihrer starken Ablehnung der<br />
adeligen Geburtsrechte gewesen. Jedoch betonte Zetkin, dass „das Gefühl, die Auffassung einer<br />
ganzen unterdrückten Klasse“ 267 , die in Rolands Memoiren zum Ausdruck kämen, das Gefühl <strong>und</strong><br />
die Auffassung der zeitgenössischen Bourgeoisie gewesen seien. Roland, so Zetkin, habe den<br />
Hass des so genannten „‘dritten Standes’ gegen die soziale Ungleichheit nach oben“ 268 verkörpert.<br />
Sie wurde zur „Heldin der Revolution“ 269 , welche aber, so erneut Zetkins einschränkender Hin-<br />
weis, eine bürgerliche Revolution war.<br />
Mit der Weiterentwicklung ihrer „Geistes- <strong>und</strong> Charakterrichtung“ 270 wurde die kritische Aus-<br />
einandersetzung mit ihrem „Kirchenglauben[…]“ 271 für Roland unumgänglich. Sie distanzierte<br />
sich von ihm <strong>und</strong> stellte „sich entschieden auf den materialistischen Standpunkt der Enzyklo-<br />
264 Ebd.<br />
265 Ebd.<br />
266 Ebd.<br />
267 Ebd.<br />
268 Ebd.<br />
269 Ebd.<br />
270 Ebd., S. 5.<br />
271 Ebd.<br />
350
4.1.3 FRAUEN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION<br />
pädisten“ 272 . Und so seien an die Stelle religiösen Gehorsams „ihre ungemein hohen <strong>und</strong> strengen<br />
Begriffe von Tugend <strong>und</strong> Pflicht“ 273 getreten. Nicht in der Religion, sondern in ihrer politischen<br />
Überzeugung fand sie demnach den nötigen Halt 274 – nur eine von vielen Ähnlichkeiten mit den<br />
persönlichen Prinzipien Zetkins.<br />
Immer mehr verschrieb sich Roland den Idealen der Republik. Dies tat sie jedoch nicht mehr nur<br />
aus „schwärmerischer Gefühlsseligkeit“ 275 , sondern aus „bewußter Ueberzeugung“ 276 – ein ent-<br />
scheidendes Moment des Frauenleitbildes des „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“. Weil ihr Vater nach<br />
dem Tod der Mutter einem sehr ausschweifenden Lebensstil verfiel, sah sich Roland veranlasst, in<br />
das Kloster ihrer Jugendzeit zurückkehren, wo sie sich weiteren Studien widmete.<br />
Zu einer schönen Frau mit „fesselnde[r], sympathische[r] äußere[r] Erscheinung“ 277<br />
herangewachsen, wurde sie von vielen Männern umworben. Jedoch seien ihre Ansprüche an<br />
„Geist <strong>und</strong> Charakter“ 278 eines potentiellen Partners so hoch gewesen, dass keiner ihrer Verehrer<br />
ihnen gerecht werden konnte. Schließlich lernte sie 21-jährig den 20 Jahre älteren Jean Marie<br />
Roland de la Platière, einen Manufaktur-Inspektor des Finanzwesens, kennen <strong>und</strong> lieben. Ihre<br />
Partnerwahl sei umso bemerkenswerter gewesen, als dieser weder vom Äußeren noch vom Wesen<br />
her anziehend <strong>und</strong> sie ihm an Energie <strong>und</strong> Intelligenz weit überlegen gewesen sei. 279 Ihre<br />
gemeinsamen Berührungspunkte waren vor allem die Schwärmerei für die antiken Republiken,<br />
für die Philosophie <strong>und</strong> eine „puritanische Einfachheit <strong>und</strong> Strenge der Sitten“ 280 . 1780 – nach<br />
fünf Jahren fre<strong>und</strong>schaftlichen Umgangs miteinander – heirateten sie. Roland habe sich von dieser<br />
Verbindung vor allem den Kontakt mit politisch Gleichgesinnten <strong>und</strong> eine Ausweitung ihres<br />
Wirkungs- <strong>und</strong> Erfahrungskreises erhofft. Außerdem habe sie aber auch ihrem Ehemann „eine<br />
treue, hingebende Gefährtin <strong>und</strong> Mitarbeiterin“ 281 sein wollen – ein Vorsatz, den sie „ihrem<br />
strengen Pflichtgefühl entsprechend“ 282 auch gehalten habe. Ebenso erfüllte Roland an ihrer<br />
Tochter, die „leider keine der Geistesgaben der Mutter geerbt“ 283 habe, „ihre Mutterpflichten in<br />
272 Ebd.<br />
273 Ebd.<br />
274 Vgl. ebd. <strong>und</strong> Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 92.<br />
275 Madame Roland. In: GL, 04/ 01/ 10.01.1894/ 5.<br />
276 Ebd.<br />
277 Ebd.<br />
278 Ebd.<br />
279 Vgl. ebd. <strong>und</strong> Soll, Karl: Politische Frauen. In: GL, 29/ 26/ 16.08.1919/ 204.<br />
280 Madame Roland. In: GL, 04/ 01/ 10.01.1894/ 5.<br />
281 Ebd.<br />
282 Ebd.<br />
283 Madame Roland. (Fortsetzung statt Schluß.). In: GL, 04/ 02/ 24.01.1894/ 11.<br />
351
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
ausgezeichneter Weise“ 284 <strong>und</strong> sei ihr eine „vernünftige <strong>und</strong> liebevolle Erzieherin“ 285 gewesen.<br />
Auch wenn ihre Schwärmerei für die ideale Republik sie mit vielen jungen Männern verband, so<br />
Zetkin, beließ sie es stets bei fre<strong>und</strong>schaftlichen Verhältnissen <strong>und</strong> blieb ihrem alternden Ehemann<br />
treue Gehilfin <strong>und</strong> Pflegerin.<br />
Der Fall der Bastille am 14. Juli 1789 wurde mit großer Begeisterung <strong>und</strong> Hoffnung im Hause<br />
Roland aufgenommen. Roland agitierte sogar unter den BewohnerInnen des nahegelegenen<br />
Dorfes, denen sie oft medizinische Hilfe geleistet hatte. Ein Jahr später verfasste sie anonym einen<br />
begeisterten <strong>und</strong> begeisternden Bericht zur Nationalfeier, der in 60.090 Exemplaren verbreitet<br />
wurde. 286 Mit der Revolution kam für Roland de la Platière die politische Karriere: Er wurde 1791<br />
als Abgeordneter der Stadt Lyon in die Nationalversammlung gewählt, weshalb die Familie nach<br />
Paris übersiedelte. An dieser Stelle gab Zetkin den „Gleichheit“-Leserinnen einen Ausblick auf<br />
die weiteren Ereignisse im Leben Jeanne-Marie Rolands:<br />
„binnen 18 Monaten ward sie nacheinander die Beherrscherin des Ministeriums<br />
des Innern, die Beratherin <strong>und</strong> Wortführerin einer politischen Partei, die<br />
Gefangene, welche im Angesicht des Todes mit ruhig-klarem Geist ihre Memoiren<br />
schreibt, das Opfer ihrer Ueberzeugung <strong>und</strong> der unvermeidlichen, erbitterten<br />
Parteikämpfe.“ 287<br />
Bis sich dieses Schicksal erfüllte, stürzte sich Roland in den Strudel der Revolution. Besonders<br />
wichtig war es Zetkin, hervorzuheben, dass Roland sich nicht „willenlos“ 288 habe treiben lassen,<br />
sondern „ihr Schifflein auch gegen den Strom“ 289 steuerte <strong>und</strong> „in eine ihr zusagende Bahn […]<br />
lenk[te]“ 290 . Wie Méricourt besuchte auch Roland regelmäßig die Nationalversammlung <strong>und</strong><br />
politische Klubs <strong>und</strong> habe im Gegensatz zu vielen Männern, deren Kampfesgeist bereits ermüdet<br />
war, vor scheinbar unerschöpflicher Energie gestrotzt. Sie habe nicht zu jenen gehört, die über die<br />
„Tagesereignisse[…]“ oder „Augenblicks- <strong>und</strong> Sonderinteressen“ 291 das Endziel – die Beseitigung<br />
der Monarchie als Beginn einer neuen Ordnung – oder das Klasseninteresse der Bourgeoisie<br />
vergessen hatten. Rolands Bewusstsein <strong>und</strong> Instinkt für die Interessen ihrer Klasse seien sehr stark<br />
gewesen. Zetkin warnte deshalb auch die „Gleichheit“-Leserinnen davor, sich Roland als „Typus<br />
einer Revolutionärin aus dem Volke“ 292 vorzustellen. Sie sei eben nicht „durch den Druck<br />
284 Ebd.<br />
285 Ebd.<br />
286 Ebd.<br />
287 Ebd.<br />
288 Ebd.<br />
289 Ebd.<br />
290 Ebd.<br />
291 Ebd.<br />
292 Ebd., S. 12.<br />
352
4.1.3 FRAUEN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION<br />
unerträglicher Leiden zur Empörerin geschmiedet, in den Kampf getrieben“ 293 worden, sondern<br />
habe sich als „Angehörige des ‘honetten Bürgerthums’“ 294 gefühlt. An dessen wirtschaftlicher <strong>und</strong><br />
sozialer Gleichberechtigung sei sie interessiert <strong>und</strong> von dessen geistiger <strong>und</strong> sittlicher Über-<br />
legenheit sei sie überzeugt gewesen. Das „Volk“ dagegen war für sie ein abstrakter Begriff, der<br />
am ehesten noch für „das durch Besitz <strong>und</strong> Bildung einflußreiche Bürgerthum“ 295 stand. Die<br />
ArbeiterInnen, die Roland anfangs wegen ihres Kampfes gegen den Absolutismus bew<strong>und</strong>ert<br />
hatte, waren später in ihren Augen nur noch ein „‘mordlüsterne[r] Pöbel’“ 296 . Und auch wenn sie<br />
Mitleid für die Massen empfand, so erkannte sie jedoch nicht die wahren Ursachen für deren<br />
Elend <strong>und</strong> suchte stattdessen in Verfassungsgebung <strong>und</strong> bourgeoiser Wohltätigkeit die Lösung der<br />
sozialen Probleme. „[D]ie Ungleichheit zwischen Besitzenden <strong>und</strong> Besitzlosen nach unten“, so<br />
Zetkin, sei „ihr gar nicht recht zum Bewußtsein“ 297 gekommen – jedenfalls nicht so zu Bewusst-<br />
sein wie es sich Zetkin für eine sozialistische Klassenkämpferin <strong>und</strong> idealtypische Leserin der<br />
„Gleichheit“ gewünscht haben dürfte.<br />
Ihre bürgerliche Einstellung habe Roland die radikalen Forderungen der „Bergpartei“ – laut<br />
Zetkin die Partei des Kleinbürgertums <strong>und</strong> der Arbeiter – ablehnen lassen, habe „naturnoth-<br />
wendig“ 298 dazu geführt, dass sie sich schließlich der gemäßigten „Gironde“ anschloss. Eine – wie<br />
Zetkin bereits zu Beginn ihres Artikels betont hatte – vollkommen bewusste Entscheidung <strong>und</strong><br />
nicht etwa beeinflusst durch persönliche Beziehungen oder ihren Ehemann. Dieser war zwar<br />
offizielles Mitglied der Nationalversammlung, doch habe nicht er das Haus Roland zum Sammel-<br />
punkt der Girondisten gemacht – es war seine Ehefrau. Ihre Haltung war richtungweisend für die<br />
gesamte Gruppe, sie war die „Seele der Partei“ 299 <strong>und</strong> sie „flößte den Gesinnungsgenossen ihre<br />
Energie ein, ihren felsenfesten Glauben an das erträumte Ideal“ 300 . Auch hier sind Ähnlichkeiten<br />
zu Zetkins eigenem Anspruch auf die Rolle der prinzipientreuen Führerin der SPD unverkennbar.<br />
Nicht seine Fachkenntnisse seien für die Ernennung Jean Marie Roland de la Platières zum Innen-<br />
minister ausschlaggebend gewesen, sondern die „scharfblickende, energische, als Geist <strong>und</strong> Cha-<br />
rakter gleich bedeutende Frau“ 301 an seiner Seite. Roland habe jedoch nicht nur als Frau im<br />
293 Ebd.<br />
294 Ebd.<br />
295 Ebd.<br />
296 Ebd.<br />
297 Ebd.<br />
298 Ebd.<br />
299 Ebd., S. 13.<br />
300 Ebd.<br />
301 Ebd.<br />
353
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Hintergr<strong>und</strong> Politik gemacht. Ein von ihr zur Vetopolitik Ludwigs XVI. veröffentlichter Brief<br />
habe sogar letztendlich den Sturz des Königs vorbereitet. 302 Zetkin hob jedoch hervor, dass das,<br />
was danach folgte – die Erstürmung der Tuilerien <strong>und</strong> die Gefangennahme des Königs – „das<br />
Werk der energischen Agitation der Bergpartei“ 303 gewesen sei – auch wenn die Girondisten nur<br />
zu gerne „die Früchte der geschaffenen Situation“ 304 für sich in Anspruch genommen hätten.<br />
Kaum war das gemeinsame Ziel – die Absetzung des Königs – erreicht, brachen die Gegensätze<br />
der beiden Parteien noch stärker hervor. Die Gironde glaubte die Konterrevolution des Adels<br />
„durch glänzende Parlamentsreden, durch theoretische Erörterungen <strong>und</strong> Erklärungen über<br />
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Republik, Tugend, Bürgerpflicht ec.“ 305 verhindern zu<br />
können. Doch selbst diese theoretischen Ideale gab sie angesichts der radikaler werdenden Berg-<br />
partei <strong>und</strong> vor allem in Wahrung des eigenen Klasseninteresses nach <strong>und</strong> nach preis. 306 So<br />
energisch Roland das Königtum bekämpft hatte, so energisch kämpfte sie nun, so Zetkin, gegen<br />
jede Annäherung von Gironde <strong>und</strong> Bergpartei. Als „entschiedenste <strong>und</strong> konsequenteste Vertreterin<br />
der girondistischen Gr<strong>und</strong>sätze <strong>und</strong> an Thatkraft <strong>und</strong> Charakter in manchen Lagen der einzige<br />
‘Mann’ der Partei“ 307 habe Roland jeden Annäherungsversuch zwischen den Parteien verhindern<br />
wollen. Sie blieb der prinzipienfeste Mittelpunkt der Gironde. Laut Zetkin war sie es sogar, die<br />
„das Signal zu der Entfesselung der Parteikämpfe“ 308 gab, indem sie ihren Ehemann im Konvent<br />
einen von ihr verfassten Brief vorlegen ließ, in welchem die Bergpartei wegen der so genannten<br />
„Septembermorde“ heftig angegriffen wurde. Als im Dezember 1792 sich die Lage zuspitzte <strong>und</strong><br />
Fre<strong>und</strong>e ihr zur Flucht rieten, lehnte sie dies rigoros ab. Zwar musste die Familie, nachdem<br />
Roland de la Platières 1793 gezwungenermaßen den Ministerposten hatte aufgeben müssen,<br />
wieder in sehr einfachen Verhältnissen leben, doch sei dies für Roland kein wirkliches Problem<br />
gewesen, denn stets habe sie „die Einfachheit <strong>und</strong> puritanische Strenge ihrer Sitten bewahrt“ 309 .<br />
Schließlich hätten „Halbheit, Unentschlossenheit <strong>und</strong> blinde Interessenpolitik“ 310 der Gironde –<br />
Schwächen, die Zetkin gelegentlich auch der bürgerlichen Frauenbewegung vorwarf – die<br />
Errungenschaften der Revolution enorm gefährdet: Ihr Sturz wurde zur Notwendigkeit. Mittels<br />
302 Madame Roland. (Schluß.). In: GL, 04/ 03/ 07.02.1894/ 19.<br />
303 Ebd.<br />
304 Ebd.<br />
305 Ebd.<br />
306 Ebd.<br />
307 Ebd.<br />
308 Ebd.<br />
309 Ebd.<br />
310 Ebd., S. 20.<br />
354
4.1.3 FRAUEN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION<br />
Konventsbeschluss wurden die hervorragendsten Girondisten erst unter Hausarrest gestellt <strong>und</strong><br />
später doch ins Gefängnis gebracht. Auch Jeanne-Marie Roland erging es so, <strong>und</strong> bei allen<br />
Erniedrigungen habe „sie einen außerordentlichen Grad von Charakterstärke“ 311 bewiesen – selbst<br />
angesichts des drohenden Todes. Jedoch, so Zetkin, habe auch ein innerer Konflikt dazu<br />
beigetragen, dass sie ihr Ende so erstaunlich ruhig erwartete. Roland habe sich in einen jüngeren<br />
Parteigenossen verliebt, aber für diese Liebe keinerlei Zukunft gesehen. Und obwohl in der letzten<br />
Zeit ihre Ehe eher einem Vater-Tochter-Verhältnis glich 312 , wollte sie ihrem Ehemann, der sich auf<br />
der Flucht befand <strong>und</strong> später bei Nachricht ihrer Hinrichtung Suizid begehen sollte, nicht die<br />
Treue brechen.<br />
Während ihrer Haftzeit arbeitete sie fünf Monate mit „Liebe, Sorgfalt <strong>und</strong> Gemüthsruhe“ 313 an<br />
ihren Memoiren. Der Verschwörung für schuldig bef<strong>und</strong>en, wurde Roland jede Verteidigungsrede<br />
untersagt <strong>und</strong> sie zum Tode verurteilt. Ihr Urteil soll sie mit den Worten erwidert haben:<br />
„‘Ihr erachtet mich für würdig, das Schicksal der großen Männer zu theilen, die Ihr<br />
ermordet habt, <strong>und</strong> ich werde mich bemühen, auf das Schafott den nämlichen Muth<br />
mitzubringen, den sie gezeigt haben.’“ 314<br />
Diese Position nahm auch Zetkin ein, als sie das Todesurteil zu verteidigen versuchte. Roland sei<br />
schließlich „die eigentlich treibende Energie der Partei“ 315 gewesen, habe die Parteikämpfe<br />
entfesselt <strong>und</strong> geschürt. In letzter Konsequenz habe ihre herausragende Position unabhängig von<br />
ihrem Geschlecht kein anderes Urteil zugelassen. Zetkin fordert:<br />
„Im Krieg gilt Kriegsgebrauch. Madame Roland hatte als Gleiche unter Gleichen<br />
gekämpft, sie fiel als Gleiche unter Gleichen auf dem Schlachtfelde. Sie selbst<br />
wäre die Erste gewesen, die als Beleidigung zurückgewiesen hätte, daß ihrem<br />
Geschlechte eine Schonung zu Theil geworden wäre, die sie als Parteigängerin<br />
nicht beanspruchen konnte.“ 316<br />
Zetkins Forderung klingt einerseits sehr lapidar, ist aber andererseits die Konsequenz einer<br />
Gleichberechtigung der Frau in Form ihrer Gleichbehandlung. Unabhängig von Politik, Auffas-<br />
sung <strong>und</strong> Klassenstandpunkt könne man Rolands Persönlichkeit insbesondere angesichts dieses<br />
konsequenten Verhaltens „die höchste Achtung <strong>und</strong> Sympathie nicht versagen“ 317 . Sie gebe Bei-<br />
spiel dafür,<br />
311 Ebd.<br />
312 Vgl. ebd.<br />
313 Ebd.<br />
314 Ebd., S. 21.<br />
315 Ebd.<br />
316 Ebd.<br />
317 Ebd., S. 22.<br />
„daß die Frau mitten im öffentlichen Leben <strong>und</strong> seinen Kämpfen stehen kann, ohne<br />
355
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
dabei aufzuhören, Weib zu sein. Sie zeigt, daß das Wirken für die Allgemeinheit<br />
wohl vereinbar ist mit der Erfüllung der Aufgaben als Gattin <strong>und</strong> Mutter. Sie legt<br />
Zeugniß dafür ab, daß die Frau für ihre politischen Ueberzeugungen voll Opferfreudigkeit<br />
zu leben vermag <strong>und</strong> daß sie voll Muth für sie sterben kann“ 318 .<br />
Den Männern der Revolution mindestens ebenbürtig in ihrer Begeisterung für die Sache, „an<br />
Schärfe <strong>und</strong> Logik des Urtheils“ 319 , in ihrem „gefestigten, selbständigen, mannhaften Charakter“ 320<br />
sei Roland nicht nur Parteigängerin, sondern eine Führerin, eine der „Besten aller Zeiten <strong>und</strong> aller<br />
Völker“ 321 gewesen.<br />
Einen etwas anderen Tenor hat der von Karl Soll (1881-1945) 322 nach dem Ersten Weltkrieg<br />
verfasste Artikel. Er würdigt zu Beginn die Pflichten, die die Frauen „mit bew<strong>und</strong>erungswertem<br />
Opfermut <strong>und</strong> unendlicher Entsagung“ 323 während des Krieges erfüllt hätten. Soll sprach sich<br />
darin klar für das Frauenwahlrecht aus. Wenn die Entwicklung von Politik, Recht <strong>und</strong> Kultur –<br />
mit Ausnahmen des Mutterrechts – <strong>und</strong> damit die Basis jeder demokratischen Bewegung den<br />
Männern <strong>und</strong> vor allem ihrer „Fähigkeit zur Abstraktion“ 324 zu verdanken sei, so sei die<br />
„Konsequenz der demokratischen Denkart“ der „Eintritt der Frau ins politische Leben“ 325 . Nur in<br />
Erfüllung ihrer demokratischen Rechte könne die Frau schließlich zur „politische[n] Individuali-<br />
tät“ 326 reifen. Als Vorbild für diese politische Reife wollte Soll jedoch keine der zeitgenössischen<br />
Frauen porträtieren, denn deren „Namen zu nennen, erübrigt sich“ 327 , seien sie doch „den Lesern<br />
durch ihre agitatorische <strong>und</strong> schriftstellerische Tätigkeit, wie auch als Trägerinnen politischer<br />
Aufgaben bekannt“ 328 . Er wollte stattdessen einige historische Frauen vorstellen, die ihre Fesseln<br />
gesprengt hätten, „um mit der Stimme der Leidenschaft das soziale Gewissen ihrer Zeit zu we-<br />
cken“ 329 . Und in diesem Sinne sei auch Jeanne-Marie Roland „eine Zierde ihres Geschlechts“ 330<br />
318 Ebd.<br />
319 Madame Roland. In: GL, 04/ 01/ 10.01.1894/ 3.<br />
320 Ebd.<br />
321 Madame Roland. (Schluß.). In: GL, 04/ 03/ 07.02.1894/ 22.<br />
322 Karl Soll war ausgebildeter Volksschullehrer. Er studierte Geschichte in Göttingen, München <strong>und</strong> Leipzig. Er<br />
arbeitete als Übersetzer <strong>und</strong> später erst als Redakteur <strong>und</strong> dann als Leiter beim Verlag August Scherl in Berlin. Als<br />
solcher gab Soll 1921-1926 „Scherls Jungdeutschland Buch“ heraus. Weitere Publikationen waren: Der Wiener<br />
Kongreß. In Schilderungen von Zeitgenossen“ (1918) <strong>und</strong> „Der junge Schiller“ (1921).<br />
323 Soll, Karl: Politische Frauen. In: GL, 29/ 26/ 16.08.1919/ 203.<br />
324 Ebd.<br />
325 Ebd.<br />
326 Ebd.<br />
327 Ebd.<br />
328 Soll, Karl: Politische Frauen. In: GL, 29/ 26/ 16.08.1919/ 203. Soll vertrat hier eine Einstellung, die für die<br />
aktuelle Erforschung der organisierten proletarischen Frauenbewegung sehr unzuträglich war.<br />
329 Ebd.<br />
330 Ebd.<br />
356
4.1.3 FRAUEN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION<br />
gewesen. Mit den sittlichen Idealen habe sie auch die politischen Ideale des Altertums angenom-<br />
men <strong>und</strong> sei so zur Befürworterin der Republik geworden. Inspiriert durch ihr Studium antiker<br />
Geschichte habe Roland dem „Ideal der Harmonie menschlicher Persönlichkeit“ 331 nachgestrebt.<br />
Sowohl von Soll als auch von Zetkin wurde Roland als ein ebensolches Ideal betrachtet. Soll<br />
charakterisierte das dramatische Ende Rolands jedoch deutlich kritischer als Zetkin, wenn er<br />
schrieb, Roland sei „das Opfer der Revolution [geworden], der sie ihr ganzes Sein gewidmet<br />
hatte“ 332 . Zetkin dagegen erachtete ihr Schicksal schlicht als Konsequenz ihrer politischen Über-<br />
zeugung, der Überzeugung eines „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“.<br />
Eine weitere herausragende Persönlichkeit, die mit der Französischen Revolution die Befreiung<br />
der Frau herannahen sah, war die Engländerin Mary Wollstonecraft (1759-1797). Doch – so<br />
nimmt es Blos in ihrem Artikel vorweg – sollte Wollstonecraft von den Ergebnissen der Revo-<br />
lution genauso enttäuscht werden wie Olympe de Gouges (1748-1793) 333 <strong>und</strong> Theodor von<br />
Hippel, die ebenfalls zu den WegbereiterInnen der Emanzipation der Frau gehören. 334<br />
Wollstonecrafts Vater, so Blos, sei ein Familiendespot, ihre Mutter dessen „‘erste <strong>und</strong> unter-<br />
tänigste Untertanin’“ 335 gewesen. Wollstonecraft habe nur einen sehr mangelhaften Unterricht<br />
genossen, weshalb in ihr sehr früh der Wunsch nach persönlicher Freiheit <strong>und</strong> geistiger Arbeit<br />
erwacht sei. Da sie ihr später ergriffener Beruf als Erzieherin <strong>und</strong> Gesellschafterin nicht ausfüllte,<br />
habe sie sich der Schriftstellerei gewidmet. Um sich von der unerfüllbaren Liebe zu einem<br />
verheirateten Mann zu befreien, ging sie 1792 nach Paris. Hier im revolutionären Trubel lernte sie<br />
den amerikanischen Schriftsteller Gilbert Imlay kennen. Zwar lebte Wollstonecraft mit ihm zu-<br />
sammen <strong>und</strong> nannte sich zudem auch „Mrs. Imlay“, ihre Beziehung blieb jedoch eine freie – vor<br />
allem damit Imlay nicht gezwungen war, Geldschulden ihrer Familie mitzutragen. Als sich Woll-<br />
stonecraft, wie Blos sich ausdrückte, „Mutter fühlte“ 336 , zeigte sich schließlich die ganze<br />
Unverbindlichkeit dieser Beziehung, denn Imlay verließ sie. Erst nach zwei Suizidversuchen fand<br />
Wollstonecraft wieder genug Lebensmut. Sie kehrte nach London zurück <strong>und</strong> lernte den Schrift-<br />
steller William Godwin kennen – <strong>und</strong> mit der Zeit auch lieben. In seinem Werk „Politische Ge-<br />
331 Ebd.<br />
332 Ebd., S. 204.<br />
333 Nicht nur, dass der Name der französischen Kämpferin für Frauenrechte Olympe de Gouges in diesem Artikel<br />
einen Druckfehler aufwies, ihrem Leben wurde – zumindest im Hauptblatt der „Gleichheit“ – zudem niemals ein<br />
eigenständiger biographischer Artikel gewidmet.<br />
334 Vgl. Blos, Anna: Mary Wollstonecraft. In: GL, 32/ 12/ 15.06.1922/ 114.<br />
335 Ebd.<br />
336 Ebd.<br />
357
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
rechtigkeit“ (1793) vertrat Godwin, so Blos, die Meinung, „daß das ununterbrochene Zusammen-<br />
leben zweier Menschen der geistigen Entwicklung der einzelnen Persönlichkeit hinderlich sei“ 337 .<br />
Entgegen jeder Vermutung, die eine solche Einstellung nahe legt, erwies er sich jedoch als zuver-<br />
lässiger Lebenspartner. Er habe Wollstonecraft, als diese erneut schwanger wurde, geheiratet, um<br />
diesem Kind „die Stellung [zu] […]geben […], die das erste entbehrte“ 338 . Bei der Geburt dieses<br />
Kindes starb Wollstonecraft jedoch <strong>und</strong> ein, so Blos, „reiches, vielversprechendes Frauenleben“ 339<br />
fand damit ein tragisches, aber für die damalige Zeit nicht ungewöhnliches Ende.<br />
Nach diesem biographischen Überblick widmete sich Blos dem schriftstellerischen Werk Woll-<br />
stonecrafts, mit dem diese in die Geschichte der Frauenemanzipation einging. Wollstonecraft<br />
verfasste 1792 in nur sechs Wochen ihre Schrift „Eine Verteidigung des Rechts der Frau“. Diese<br />
auffallend schnelle Anfertigung könnte die von Blos festgestellten „Ungleichmäßigkeiten <strong>und</strong><br />
Mängel“ 340 an jenem Werk begründen. Dieser Mängel ungeachtet bezeichnete Blos die Schrift als<br />
den „Ausfluß einer sehr starken Leidenschaft“ 341 . Das, was Wollstonecraft verlangt habe, sei „ge-<br />
recht, was sie anstrebt[e], […] ideal menschlich“ 342 <strong>und</strong> sie selber eine der „Pfadfinderinnen“ 343 ,<br />
denen alle Frauen viel zu verdanken hätten. Wollstonecraft habe gegen die gängigen Vorurteile<br />
ihrer Zeit gekämpft <strong>und</strong> die tatsächlichen Ursachen für „die Fehler im Verhalten der Frauen in<br />
dem falschen Erziehungssystem“ 344 gef<strong>und</strong>en, welches „in den Frauen nur das Geschlecht, nicht<br />
aber den Menschen“ 345 sehe. Mit der Forderung eines neuen Erziehungssystems habe sie nicht nur<br />
den bürgerlichen Frauen zu einer adäquaten Bildung verhelfen wollen, sondern der gesamten<br />
Frauenwelt. Zu einer Bildung, deren Inhalte sich nicht nur auf das reduzierten, was Ehemänner<br />
bereit waren, ihren Ehefrauen zuzugestehen, denn viel zu häufig seien jene nur daran interessiert,<br />
ihre „Frauen unaufgeklärt im Dunkel der Unwissenheit [zu] lassen, denn sie brauchen Sklaven<br />
<strong>und</strong> Spielzeuge für ihre Sinne“ 346 . Wollstonecraft habe deshalb eine umfassende Bildung für<br />
Frauen gefordert – nicht nur eine solche, die sie ihre Pflichten als Töchter, Ehefrauen <strong>und</strong> Mütter<br />
erfüllen ließen. Ihre Bildung sollte dazu beitragen, „ihre eigensten Eigenschaften zu entwickeln<br />
337 Ebd.<br />
338 Ebd.<br />
339 Ebd.<br />
340 Ebd., S. 114-115.<br />
341 Ebd., S. 115.<br />
342 Ebd.<br />
343 Ebd.<br />
344 Ebd.<br />
345 Ebd.<br />
346 Ebd.<br />
358
4.1.3 FRAUEN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION<br />
<strong>und</strong> die Würde eigener Kraft zu erlangen“ 347 . Die Frau sollte die Gefährtin ihres Gatten sein, nicht<br />
seine Untergebene. Völlig verkehrt sei es nach Wollstonecrafts Auffassung, unverheirateten<br />
Frauen anzuraten, sich nicht zu bilden, weil es eventuell ihrem zukünftigen Ehemann „unlieb“ 348<br />
sein könnte. Wollstonecraft habe stark bezweifelt, dass „duldend-indolente Frauen ihre Gatten<br />
glücklich machen können, […][dass] sie die Charakterstärke haben, einen Haushalt recht zu<br />
führen <strong>und</strong> Kinder zu erziehen“ 349 . Auch „den ehelosen Stand“ 350 ließe „ein mit reichen<br />
Kenntnissen ausgestatteter Geist […] mit Würde ertragen“ 351 .<br />
Obwohl, oder besser, gerade weil Wollstonecraft eine überzeugte Republikanerin war, erkannte sie<br />
schnell den prinzipiellen Fehler der Französischen Revolution:<br />
„‘Gleichheit […] kann nicht Wurzel fassen, so lange die eine Hälfte der<br />
Menschheit in Abhängigkeit gehalten wird <strong>und</strong> durch Unwissenheit <strong>und</strong><br />
Einbildung die Gleichheit untergräbt.’“ 352<br />
Ein Problem, gegen das auch die proletarische Frauenbewegung des deutschen Kaiserreichs<br />
immer wieder zu kämpfen <strong>und</strong> zu agitieren hatte. Der Forderung, Frauen zu allen Berufen<br />
zuzulassen, ließ Wollstonecraft aber die Mahnung an alle Mütter folgen, zugleich ihre Mutter-<br />
pflichten sorgsam zu erfüllen. Denn, so laut Blos die Argumentation Wollstonecrafts,<br />
„‘[e]ine Mutter, die ihr Kind der Amme, bezahlten Pflegerinnen <strong>und</strong> dann der<br />
Schule anvertraut, kann kein tieferes Verwandtschaftsgefühl von ihm erwarten“ 353 .<br />
Nach ihrer Auffassung sei es die Elternliebe, die die Kindespflicht <strong>und</strong> damit letztlich den Eltern<br />
eine Altersversorgung entstehen lasse 354 . Wollstonecraft forderte, dass alle Knaben <strong>und</strong> Mädchen<br />
im Alter von fünf bis neun Jahren – unabhängig von ihrer Standeszugehörigkeit <strong>und</strong> deshalb auch<br />
einheitlich gekleidet – in einer öffentlichen Schule unterrichtet werden sollten. Eine gute Aus-<br />
bildung sollte auch einer früheren Heirat der Mädchen zugute kommen. Vorausgesetzt, dass auch<br />
die Männer ihren Pflichten als Gatten <strong>und</strong> Väter nachkämen, würden aus den zu „vernünftigen<br />
freien Bürgern“ 355 erzogenen Frauen auch gute Ehefrauen <strong>und</strong> Mütter werden. Mit den Rechten,<br />
die die Frauen erhielten, hätten sie aber auch gewisse Pflichten zu erfüllen. 356 Und aus diesem<br />
347 Ebd.<br />
348 Ebd.<br />
349 Ebd.<br />
350 Ebd.<br />
351 Ebd.<br />
352 Ebd.<br />
353 Ebd.<br />
354 Vgl. ebd.<br />
355 Ebd., S. 115-116.<br />
356 Vgl. ebd., S. 115. Wohl angesichts des gerade beendeten Ersten Weltkrieges war es Blos wichtig, zu erwähnen,<br />
dass Wollstonecraft leidenschaftliche Kriegsgegnerin war, „denn das heutige System der Kriegführung habe mit<br />
359
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Prinzip heraus, so Blos, wollte Wollstonecraft selbst die vermeintlichen „Vorrechte“ der Frauen –<br />
das Aufheben ihrer Taschentücher, das Aufhalten von Türen – beendet sehen.<br />
Wenn auch Blos ihrem Artikel voranstellte, die Französische Revolution habe die von Frauen in<br />
sie gesetzten Hoffnungen enttäuscht, bewiesen doch die durch sie beeinflussten Werke zur Frauen-<br />
emanzipation eine ungebrochene Aktualität:<br />
„Alle Gedanken, die sie enthalten, sind die Samenkörner, die während des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
Wurzeln faßten. Die wirtschaftliche, die rechtliche, die sittliche Seite der<br />
Frauenfrage sind aus diesen Wurzeln gewachsen, <strong>und</strong> Aufgabe der heutigen<br />
Frauenwelt ist es, zu helfen, daß eine ges<strong>und</strong>e Politik, welche auf der Freiheit aller<br />
begründet ist, die Menschheit dahin führt, daß sie im Sinne Mary Wollstonecraft’s<br />
‘weiser <strong>und</strong> tugendhafter’ wird.“ 357<br />
Zwar waren die Visionen Wollstonecrafts von einer gleichberechtigten Gesellschaft auch nach 130<br />
Jahren noch nicht erfüllt, für die Leserinnen der „Gleichheit“ blieben sie aber erstrebenswerter<br />
<strong>und</strong> greifbarer denn je.<br />
Andere Frauen der Französischen Revolution hinterließen der Nachwelt kein Schriftwerk, keine<br />
politische Theorie, sondern ihr lebendiges Beispiel. Beispiel für ihren den Männern ebenbürtigen<br />
Mut im Kampf gegen die feudale Tyrannei, Beispiel für ihren Gerechtigkeitssinn. Wenn auch bald<br />
von der Geschichtsschreibung vergessen, ragten diese Frauen zu ihren Lebzeiten deutlich aus der<br />
Masse heraus – so auch Françoise Legros (1749-1788) 358 . Sie gehörte nicht zu den kämpfenden<br />
Revolutionärinnen, nicht zu den Stürmerinnen der Bastille <strong>und</strong> zählt dennoch zu den Heldinnen<br />
der Französischen Revolution. Denn sie war, so Zetkin, eine<br />
„Heldin des Mitleids <strong>und</strong> selbstloser Aufopferung, eine Heldin an<br />
Unerschrockenheit, willensstarker Thatkraft <strong>und</strong> zäher Ausdauer“ 359 .<br />
Welche Heldentat war es also, mit der Françoise Legros sich auch in den kritischen Augen Zetkins<br />
„ein Plätzchen in der Geschichte der großen Revolution“ 360 erworben hatte? Es war der scheinbar<br />
schlichte Umstand, dass sich diese Pariser Weißwarenhändlerin – obwohl in keinerlei<br />
verwandtschaftlicher oder fre<strong>und</strong>schaftlicher Beziehung stehend – für die Freilassung des Schrift-<br />
stellers Jean-Henry Masers de Latude (1723-1805) eingesetzt hatte. Latude war 1749 aus nie<br />
irgendeiner persönlichen Tugend wenig mehr gemein“ (ebd.).<br />
357 Blos, Anna: Mary Wollstonecraft. In: GL, 32/ 12/ 15.06.1922/ 116.<br />
358 Madame Legros. In: GL, 02/ 02/ 25.01.1892/ 22-24. Der Vorname Legros‘ blieb im Artikel ungenannt. Außerdem<br />
ging aus dem Artikel nicht hervor: Françoise Le Gros, geb. Gellain, war Tochter des Pariser Händlers Balthazar<br />
Gellain <strong>und</strong> gelernte Weisswirkerin. 1773 heiratete sie den Händler Claude-François Le Gros <strong>und</strong> wird Mutter<br />
zweier Kinder – das erstgeborene stirbt. Heinrich Mann verfasste 1913 das Theaterstück „Madame Legros“, das<br />
1916 uraufgeführt wurde, jedoch die Ereignisse in das spätere Revolutionsjahr 1789 versetzte.<br />
359 Madame Legros. In: GL, 02/ 02/ 25.01.1892/ 22.<br />
360 Ebd.<br />
360
4.1.3 FRAUEN DER FRANZÖSISCHEN REVOLUTION<br />
geklärten Gründen inhaftiert <strong>und</strong> in die Bastille gebracht worden. Dort schmachtete er bereits 30<br />
Jahre, als schließlich Legros zufällig von seinem Schicksal erfuhr. Drei lange Jahre versuchte<br />
Legros, die Freilassung Latudes zu erreichen. Drei Jahre, in denen sie viel persönliches Leid<br />
erfuhr, ihren Laden verlor, von den Leuten verspottet <strong>und</strong> der heimlichen Liebschaft mit Latude<br />
verdächtigt wurde. Indem Legros das Unrecht an Latude öffentlich machte, habe sie, so die<br />
Meinung Zetkins, das absolutistische Staatssystem <strong>und</strong> seine Vollstrecker angegriffen. Deshalb<br />
war auch sie bald behördlicher Beobachtung <strong>und</strong> Schikane ausgesetzt – eine Erfahrung, die jede<br />
deutsche Sozialistin des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts nachempfinden konnte. Doch die vielen Enttäuschungen<br />
<strong>und</strong> Fehlschläge hätten es nicht vermocht, so Zetkin, Legros „einen Augenblick aufzuhalten oder<br />
schwankend zu machen“ 361 . Unerschrocken habe Legros versucht, jeden Kontakt zum königlichen<br />
Hofe oder auch zu dessen Opposition zu nutzen. Sie sei in ihrem Einsatz für den Gefangenen<br />
unermüdlich gewesen. 1783 362 erhielt Legros für ihre selbstlose Tat, die zwar nur einem einzelnen<br />
Menschen galt, aber enorme Symbolkraft besaß, den Tugendpreis der Academie Française. Die<br />
Behörden konnten zwar durchsetzen, dass die Verleihung ohne offiziell verlautbarte Begründung<br />
erfolgen musste, aber auch ohne diese sei die Verleihung, so Zetkin, „eine Ohrfeige in das Gesicht<br />
des unumschränkten Königthums“ 363 gewesen. Ein Jahr später fügte sich alles zum Besten <strong>und</strong><br />
Latude wurde freigelassen, was Zetkin wie folgt kommentierte:<br />
„Madame Legros hatte Ludwig XVI., sie hatte der selbstherrlichen Monarchie<br />
einen glänzenden Sieg abgerungen.“ 364<br />
Legros hatte demnach einen Sieg errungen, dem keine Schlacht, sondern ein unbeirrbares Gerech-<br />
tigkeitsgefühl vorausgegangen war. Latude veröffentlichte schließlich ein Buch über seine<br />
Lebensgeschichte <strong>und</strong> machte damit Legros zu einem Beispiel für Beharrlichkeit. Diese war es<br />
auch, die sich Zetkin als ein Minimum proletarischen Engagements wünschte, denn „anklagend<br />
<strong>und</strong> fordernd ihre Stimme erhebend“ 365 , so sollten auch die deutschen Proletarierinnen die<br />
„Bastille des Kapitalismus ins Wanken“ 366 bringen. Jede Art von sozialkritischem Engagement –<br />
so zeigt es das Beispiel Legros‘ – konnte ein Beitrag zum Sozialismus sein, jede mutige Frau <strong>und</strong><br />
jeder „weiblicher Vollmensch“ ein Sandkorn im Getriebe des ungerechten willkürlichen Systems.<br />
361 Ebd., S. 23.<br />
362 Die Preisverleihung könnte auch 1784 – im Jahr der Freilassung Latudes stattgef<strong>und</strong>en haben. Vgl. Süßenberger,<br />
Die Klaviere des Henkers.<br />
363 Madame Legros. In: GL, 02/ 02/ 25.01.1892/ 23.<br />
364 Ebd.<br />
365 Ebd., S. 24.<br />
366 Ebd.<br />
361
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
4.1.4 Deutsche Freiheitskämpferinnen <strong>und</strong> Demokratinnen<br />
Den Revolutionärinnen Frankreichs folgen chronologisch die Freiheitskämpferinnen der<br />
napoleonischen Zeit. Zwar sei die Französische Revolution der „gewaltigste[…] aller Freiheits-<br />
kämpfe“ 367 gewesen, aber auch der deutsche Freiheitskrieg von 1813 lege „glänzendes Zeugnis ab<br />
von der Begeisterung, Selbstleugnung, dem Opfermuth der Volksmassen“ 368 . Überhaupt – so<br />
L. W.-K. die Emotionalität ihres Artikels noch steigernd – sei das „Studium der Geschichte […]<br />
nie reicher an erhebenden <strong>und</strong> ergreifenden Eindrücken, als wenn es uns von den Freiheitskämp-<br />
fen der Völker berichtet“ 369 . Dabei handelte es sich besonders um Berichte von den deutschen<br />
FreiheitskämpferInnen, die verhindern wollten, dass „deutsches Wesen, deutsche Art, die doch in<br />
jahrh<strong>und</strong>ertelanger Kultur ihre Berechtigung erwiesen [hätten,] nicht auf lange hinaus vernichtet<br />
werden“ 370 . Patriotismus also, die Liebe zur Heimat <strong>und</strong> zur eigenen Kultur war es, die das<br />
deutsche Volk dazu trieb, treiben musste, die Fremdherrschaft der napoleonischen Truppen<br />
abzuschütteln. Nur ein Verteidigungskrieg konnte vor den Augen der Leserinnen einer sozialis-<br />
tischen Zeitschrift gerechtfertigt sein <strong>und</strong> patriotische Gefühle erzeugen. Später sollten viele<br />
dieser Leserinnen jedoch auch den Ersten Weltkrieg als einen Verteidigungskrieg einschätzen <strong>und</strong><br />
sich ihm entsprechend dienstbar machen.<br />
Die einzige in der „Gleichheit“ erschienene Biographie einer Kämpferin jener Freiheitskriege ist<br />
die Eleonore Prohaskas (1785-1813). Die biographische Skizze stützt sich auf zwei ihrer Briefe<br />
an ihren Bruder <strong>und</strong> auf die Aufzeichnungen Dr. Friedrich Försters, der ihr vorgesetzter Offizier<br />
gewesen war. Laut diesen Quellen verließ Prohaska im Alter von 18 Jahren ihre in Potsdam<br />
lebende Familie – ihr Vater war ein invalider Unteroffizier. In Männerkleidung – wie auch<br />
Charlotte Krüger, Dorothea Sawosch 371 <strong>und</strong> viele andere junge Frauen – schloss sich Prohaska als<br />
Jäger „August Renz“ dem Lützowschen Freikorps an. Obwohl man demnach annehmen kann,<br />
dass sie im Umgang mit Schusswaffen geübt war, waren es interessanterweise ihre Tätigkeiten<br />
wie Schneidern, Waschen <strong>und</strong> Kochen, die Erwähnung finden. L. W.-K. betonte außerdem, dass<br />
Prohaska „den ganzen Tag lustig <strong>und</strong> guter Dinge <strong>und</strong> darum der Liebling aller Kameraden“ 372<br />
gewesen sei. Es scheint demnach der Autorin <strong>und</strong> den Quellen, auf die sie sich stützte, wichtig zu<br />
367 L. W.-K.: Eleonore Prohaska. In: GL, 02/ 07/ 06.04.1892/ 63. Dem Artikel wurde ein Gedicht Friedrich Rückerts<br />
beigefügt, das im Anhang enthalten ist.<br />
368 Ebd.<br />
369 Ebd.<br />
370 Ebd.<br />
371 Weitere Informationen zu den beiden Frauen wurden in dem Artikel nicht gegeben.<br />
372 Ebd.<br />
362
4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN<br />
sein, nicht den Eindruck zu erwecken, Prohaska habe mit den Kleidern auch ihre Weiblichkeit ab-<br />
gelegt.<br />
Im Folgenden sind es die Aufzeichnungen Försters, auf die sich L. W.-K. bezog, aber im<br />
einzelnen nicht als Zitate kenntlich machte. Sie beschrieb die Ereignisse, als das Freikorps im<br />
Göhrde Wald nahe Dannenberg auf eine französische Übermacht traf. Die Lage der Deutschen<br />
entwickelte sich schlecht: Die meisten der Offiziere wurden verw<strong>und</strong>et oder starben <strong>und</strong> die<br />
Gruppe der Jäger war damit ohne Führung. Gerade wollte Förster selbst versuchen, mit seinem<br />
verw<strong>und</strong>eten Arm die Trommel zur Sammlung der orientierungslosen Soldaten zu schlagen, als<br />
Jäger „Renz“ sie ergriff. 50 bis 70 andere Jäger scharte „er“ um sich, um mit diesen den ent-<br />
scheidenden Hügel zu stürmen. „Renz“ wurde dabei verw<strong>und</strong>et <strong>und</strong> habe Förster gerade noch<br />
zurufen können: „‘Herr Lieutenant, ich bin ein Mädchen.’“ 373 Der Offizier fand Prohaska später in<br />
einem Lazarett in Dannenberg, wo sie ihren W<strong>und</strong>en erlag <strong>und</strong> begraben wurde. Jedoch so<br />
L. W.-K. weiter:<br />
„Kein Denkmal von Stein oder Erz bezeichnet die Stätte, wo die tapfere Streiterin<br />
den letzten Schlaf schläft, aber vergessen ist diese selbst trotz alledem nicht. – “ 374<br />
Gemäß der materialistischen Geschichtsauffassung resümierte L. W.-K. den Freiheitskrieg von<br />
1813 als einen Betrug am deutschen Volke, das „um die Früchte des Freiheitskrieges geprellt“ 375<br />
worden sei. Denn an der Herrschaft der deutschen Fürsten habe sich später nur insoweit etwas<br />
geändert, dass diese durch „moderne Fabrikherren <strong>und</strong> Finanzfürsten“ 376 ersetzt worden wären.<br />
Diese Umstände seien es, die nun den breiten Massen einen neuerlichen Kampf für ihre Befreiung<br />
aufzwingen würden: Es galt nicht gegen einzelne Tyrannen, sondern gegen ein ganzes tyran-<br />
nisches System, den Kapitalismus, zu kämpfen. Ein Kampf, der den Proletarierinnen<br />
„täglich Gelegenheit [biete], alle die Eigenschaften zu bethätigen, welche Eleonore<br />
Prohaska, die Tochter des Volks im Kampfe für die nationale Freiheit bewiesen“ 377<br />
habe.<br />
Ein Kampf, der die Proletarierinnen „zum Verständniß der Sache der Allgemeinheit, zur Hingabe<br />
an das Ganze, zu Muth, Charakterfestigkeit, Opferfreudigkeit“ 378 erziehe, zu „Bürgertugenden,<br />
welche bisher nur einzelne Gestalten der Frauenwelt auszeichneten“ 379 <strong>und</strong> diese „vor keiner Be-<br />
373 L. W.-K.: Eleonore Prohaska. (Schluß.). In: GL, 02/ 08/ 20.04.1892/ 71<br />
374 Ebd.<br />
375 Ebd.<br />
376 Ebd.<br />
377 Ebd., S. 72.<br />
378 Ebd.<br />
379 Ebd.<br />
363
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
schwerde, keiner Entbehrung, keiner Aufgabe zurückschrecken“ 380 ließen. Tugenden, die sich<br />
„sehr wohl mit echt weiblicher Wärme der Empfindung, treuem Festhalten an dem als wahr Er-<br />
kannten <strong>und</strong> hilfsbereiter Liebe für die Mitmenschen paaren können“ 381 <strong>und</strong> somit dem von Zetkin<br />
charakterisierten Leitbild des „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ harmonisch entsprechen.<br />
Die Befreiung Deutschlands von der französischen Fremdherrschaft 1813 hatte viele Hoffnungen<br />
auf eine nationale Einheit <strong>und</strong> demokratische Umgestaltung des Deutschen Reiches geweckt.<br />
Hoffnungen, die durch die reaktionären Fürstenhäuser enttäuscht wurden, aber nicht ganz ver-<br />
schwanden. Wieder ist es L. W.-K., die als Verfasserin eines Artikels zuerst in dessen Fußnoten<br />
die „Gleichheit“-Leserinnen über die Vorgänge im so genannten „Vormärz“ informiert, um dann<br />
in sie die persönliche Geschichte „[e]ine[r] muthige[n] Frankfurterin“ 382 einzubetten.<br />
Im April 1833 kam es in Frankfurt am Main zu einer von Studenten geführten Revolte. Sie begann<br />
mit einem Überfall auf die Hauptwache <strong>und</strong> scheiterte bereits nach einigen Tagen, da die<br />
Studenten durch die Bevölkerung nicht die erhoffte Unterstützung erhielten. Die beteiligten<br />
Personen versuchten, ins Ausland zu fliehen, um nicht wegen Hochverrats verurteilt zu werden.<br />
Die Frauen, die den Flüchtigen halfen, „bewiesen nicht allein Klugheit <strong>und</strong> Erfindungsgabe,<br />
sondern auch große Verschwiegenheit“ 383 . Entscheidender für die Leitbildfunktion dieser Frauen<br />
ist jedoch folgende Charakterisierung:<br />
„Mit treuer Hingebung <strong>und</strong> Selbstlosigkeit dienten sie der Sache der Freiheit <strong>und</strong><br />
ließen ihre Persönlichkeiten so vollständig in den Hintergr<strong>und</strong> treten, daß wir nur<br />
geringe K<strong>und</strong>e von ihrem aufopfernden Thun besitzen.“ 384<br />
Es ist also nicht allein der männlich dominierten Geschichtsschreibung anzulasten, die Namen<br />
<strong>und</strong> die Geschichte der Frauen vernachlässigt <strong>und</strong> damit nach <strong>und</strong> nach dem Vergessen<br />
preisgegeben zu haben. Vielmehr war es die gänzliche „Selbstaufopferung“, quasi „Selbst-<br />
auflösung“ der Frau hinter einer „Sache“ – einer Revolution, einer Kultur –, die dazu führte, dass<br />
ihre Person, ihr Beitrag <strong>und</strong> damit ihre historische Bedeutung unbekannt <strong>und</strong> ungenannt blieb.<br />
So auch geschehen mit dem Namen <strong>und</strong> der Person von Frau B. (?-?), eben jener mutigen Frank-<br />
380 Ebd.<br />
381 Ebd.<br />
382 L. W.-K.: Eine muthige Frankfurterin. In: GL, 02/ 13/ 29.06.1892/ 111. In zwei Fußnoten wurden die Leserinnen<br />
über die vor allem von Studenten getragenen Unruhen im Vorfeld der Frankfurter Revolte aufgeklärt (Wartburgfest<br />
1817 <strong>und</strong> Hambacher Fest 1832). Aber wenn auch die Studenten „damals auf höherer Stufe standen als<br />
der Durchschnitt derselben von heute“, so ermangelte auch ihnen „die Fühlung mit den Interessen des Volkes“.<br />
Dass damals „das Tragen harmloser schwarz roth goldener Bänder […] – wie unter dem Sozialistengesetz das<br />
Tragen der verpönten rothen Abzeichen – wie ein Verbrechen bestraft“ (ebd.) wurde, wies die „Gleichheit“-Leserinnen<br />
auf eine zusätzliche geschichtliche Parallele hin.<br />
383 Ebd.<br />
384 Ebd.<br />
364
4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN<br />
furterin, die dem 20-jährigen Studenten Feddersen zur Flucht verhalf. Eine zentrale Rolle spielte<br />
dabei ihr am Main günstig gelegenes Gartenhäuschen. In die Fluchtpläne eingeweiht, musste sie<br />
unter großen Schwierigkeiten <strong>und</strong> „sogar dem Gatten gegenüber“ 385 absolutes Stillschweigen<br />
bewahren. Das erste Treffen mit Feddersen, von welchem Frau B. nur den Decknamen „Brutus“<br />
erfuhr, <strong>und</strong> die Flucht wurden von L. W.-K. ganz im Stile eines Spionageromans beschrieben:<br />
Verabredete Geheimzeichen <strong>und</strong> eine Probe, der ein trickreicher Mittelsmann Frau B.s Ver-<br />
schwiegenheit ein letztes Mal unterzog - dies sorgte bei der „Gleichheit“-Leserin für Spannung.<br />
Die Flucht gelang <strong>und</strong> L. W.-K. beschrieb Frau B.s Anteil daran als – im wahrsten Sinne des<br />
Wortes –<br />
„stille That warmer Menschenliebe, die unter den damals obwaltenden Umständen<br />
zugleich eine That großen Muthes <strong>und</strong> edler Selbstverleugnung war, […] ein<br />
schöner Beweis des hohen Sinns, den Frauen stets bethätigt haben, wo <strong>und</strong> wann<br />
im Namen der Freiheit <strong>und</strong> Gerechtigkeit gekämpft worden ist“ 386 .<br />
Frauen brachten sich demnach auch selbst um ihre historische Relevanz <strong>und</strong> um die Überlieferung<br />
ihrer Heldentaten, weil sie diese in einer vermeintlich „typisch <strong>weiblichen</strong>“ Weise vollbrachten.<br />
Chronologisch bereits bei den Frauen des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts angelangt, werden im Folgenden vor<br />
allem die Frauenbiographien der „Gleichheit“-Mitarbeiterin Anna Blos <strong>und</strong> des Historikers<br />
Manfred Wittich, der hinter den Initialen M.W. zu vermuten ist, vorgestellt werden. Die Reihen-<br />
folge der Frauenbiographien aus der Zeit der Romantik, Befreiungskriege <strong>und</strong> 1848-Revolution<br />
orientiert sich weiterhin chronologisch an deren Lebensdaten. Je näher diese Lebensdaten an die<br />
Zeit der Industrialisierung heranrücken, desto stärker rückt auch die Entscheidung einer Frau für<br />
oder wider die Arbeiterbewegung in den Blickpunkt der Artikel.<br />
Bevor nun die Anhängerinnen der demokratischen 1848er-Bewegung Deutschlands <strong>und</strong> damit die<br />
Begründerinnen der deutschen Frauenbewegung porträtiert werden, folgt zuvor noch das von<br />
Hermann Wendel (1884-1936) verfasste Porträt der serbischen Dichterin <strong>und</strong> Demokratin<br />
Militza Stojadinowitsch (1830-1878). Es ist sehr bemerkenswert, dass die „Gleichheit“ im August<br />
1918 – direkt nach dem Ende des Ersten Weltkriegs – die biographische Skizze einer Serbin ver-<br />
öffentlichte. Man begann sich augenscheinlich wieder auf eine sozialistische Verb<strong>und</strong>enheit aller<br />
Länder <strong>und</strong> Nationen, auf eine Völkerverständigung zu besinnen.<br />
Stojadinowitsch wurde in dem kleinen Dorf Bukowatsch geboren <strong>und</strong> wuchs dann in Wrdnik auf.<br />
In Erzählungen <strong>und</strong> Heldensagen vermittelten ihr ihre Eltern – ihr Vater war Pope – die Ge-<br />
385 Ebd.<br />
386 Ebd., S. 112.<br />
365
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
schichte des Südslawenstammes der Serben gerade in einer Zeit, in der die nationale Einigung der<br />
verschiedenen Südslawen angestrebt wurde. Die Eltern legten damit den Gr<strong>und</strong> für Stojadino-<br />
witschs „Liebe zum eigenen Volkstum“ 387 . Andererseits ermöglichten sie ihr im Alter von 12 Jah-<br />
ren, in einem Pensionat in Peterwardein auch eine „abendländische“ Bildung <strong>und</strong> das Erlernen der<br />
deutschen Sprache <strong>und</strong> des Gitarrespiels. Bereits im Kindesalter verfasste sie erste dichterische<br />
Werke.<br />
1848 brach der Freiheitskampf der ungarischen Serben gegen die Magyaren los, den die Serben<br />
anderer Nationen unterstützten. Voller Begeisterung für die Sache hätte sich Stojadinowitsch am<br />
liebsten den Rebellen als Kämpferin angeschlossen, sie beließ es dann jedoch dabei, begeisternde<br />
Gedichte auf die Freiheit aller Südslawen zu verfassen. Nach dem Scheitern der Aufstände zog sie<br />
sich zurück, um ihre Gedanken <strong>und</strong> Erlebnisse in die Form eines Tagebuches zu bringen.<br />
Laut Wendel war Stojadinowitsch jedoch alles andere als ein sogenannter „Blaustrumpf“. Sie sei<br />
im Gegenteil<br />
„stolz darauf [gewesen], in bäuerlicher Einfachheit Hemden zu nähen, Strümpfe zu<br />
stricken, Brot zu backen, am Webstuhl zu sitzen, am Waschtrog zu stehen <strong>und</strong> sich<br />
um Obstgarten <strong>und</strong> Weinberg zu kümmern“ 388 .<br />
Diesen gängigen Rollenbildern entspricht auch das Wirken Stojadinowitschs in ihrer näheren<br />
Umgebung. Sie „unterwies die Bauernmädchen in Handarbeiten, setzte den Vätern Gesuche an<br />
Amt <strong>und</strong> Gericht auf [<strong>und</strong>] verfaßte den Müttern Briefe an den Sohn in der Kaserne“ 389 . Sie stellte<br />
ihre Bildung in den Dienst ihres Dorfes, bildete sich stets weiter, las Rousseau, Byron <strong>und</strong> Balzac<br />
<strong>und</strong> sammelte die Volkslieder ihrer Region. 390<br />
Nein, Stojadinowitsch war kein „Blaustrumpf“, denn auch sie lebte in dem von der Fraueneman-<br />
zipationsbewegung unberührten Serbien das Leben einer Frau in Abhängigkeit. Auch sie strebte<br />
dem Vorbild der<br />
„Serbenjungfrau [nach], die, fromm, bescheiden <strong>und</strong> arbeitsam, den Glauben hochhält,<br />
die Heimat liebt, die Muttersprache ehrt <strong>und</strong> im sonntäglichen Reigen der<br />
Gefährtinnen züchtig die Augen zu Boden schlägt“ 391 .<br />
Eine Vorbildfunktion als „weiblicher Vollmensch“ kommt ihr aber trotzdem zu, da sie ihr dichte-<br />
risches Können nicht nur auslebte, sondern es vorrangig in den Dienst ihres Volkes stellte. Sie sei,<br />
so Wendel, das „erste weibliche Wesen [gewesen], das in serbischern Versen dem Serbentum<br />
387 Wendel, Hermann: Militza Stojadinowitsch. In: GL, 28/ 22/ 02.08.1918/ 173.<br />
388 Ebd., S. 174.<br />
389 Ebd.<br />
390 Ebd.<br />
391 Ebd.<br />
366
4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN<br />
gehuldigt“ 392 habe. Namhafte Dichter <strong>und</strong> Fürsten verehrten ihr Talent, aber auch ihre Schönheit.<br />
Interessanterweise war es jedoch nie die Liebe, die sie zum Thema ihrer in den 1850er <strong>und</strong> 1860er<br />
Jahren erschienenen Werke machte, sondern stets der Patriotismus. Auch dieser Umstand mag<br />
dazu beigetragen haben, dass ihr Stern sank, denn Wendel resümierte, dass „ihre Dichtung […]<br />
unpersönlich <strong>und</strong> frostig [blieb] <strong>und</strong> […] über gereimte Prosa kaum hinaus[kam]“ 393 . Insgesamt<br />
sei Stojadinowitsch ein „schwaches Talent, wenn überhaupt ein Talent“ 394 gewesen. In den 1860er<br />
Jahren waren es „Dichter mit stärkeren Tönen <strong>und</strong> wuchtigerem Gang“ 395 , die die Anhängerin<br />
eines „wolkenhaften <strong>und</strong> blutleeren Idealismus“ 396 ausstachen. Doch nicht nur dichterisch, auch<br />
menschlich sei Stojadinowitsch zu jener Zeit, so Wendel, „unter den Schlitten“ 397 gekommen.<br />
War Stojadinowitsch bisher wohlbehütet von ihren Eltern ihrer Schwärmerei nachgegangen, warf<br />
der Tod der Mutter <strong>und</strong> eine Erkrankung des Vaters sie plötzlich in die harte Realität des Daseins,<br />
an dessen Kanten <strong>und</strong> Ecken sich ihre romantische Seele schließlich w<strong>und</strong> gestoßen habe. 398 Der<br />
Vater starb, ihre Brüder zogen weg, ihre Schwester heiratete. Abgesehen von einer kurzen Liebes-<br />
beziehung mit dem Dichter Rajkowitsch (vermutlich Djordje Rajković), war sie nun vollkommen<br />
allein. Sie war nun, so Wendel, nur noch ein „elendes, verlassenes, bettelhaft armes Weib“ 399 <strong>und</strong><br />
die „Tage des Glanzes, da sie das Entzücken eines ganzen Volkes gewesen war“ 400 längst<br />
vergangen. Aus Teilnahmslosigkeit wurde Trunksucht, wurde „Kapitulation eines haltlosen <strong>und</strong><br />
verstiegenen Idealismus vor der niedrigsten Realität, der Gosse!“ 401 So sah Wendel ihren Tod am<br />
5. August 1878 als eine Erlösung für sie <strong>und</strong> ihre wenigen Fre<strong>und</strong>e. 402 Wenn jedoch auch das Ende<br />
nicht dem eines „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ zu entsprechen scheint, so war Stojadinowitsch doch<br />
nach Meinung des serbischen Literaten Johan Skerlitsch 403 „‘eine von den seltenen serbischen<br />
Frauen, die sich selbst ein höheres Lebensideal schufen <strong>und</strong> darin lebten’“ 404 . Das ist nicht wenig<br />
<strong>und</strong> Gr<strong>und</strong> genug, dass Stojadinowitsch, so Wendel, ein „Plätzchen in der geistigen Entwicklungs-<br />
392 Ebd., S. 173.<br />
393 Ebd., S. 174.<br />
394 Ebd.<br />
395 Ebd.<br />
396 Ebd., S. 175.<br />
397 Ebd.<br />
398 Ebd.<br />
399 Ebd.<br />
400 Ebd.<br />
401 Ebd.<br />
402 Ebd.<br />
403 Gemeint war Jovan Skerlic.<br />
367
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
geschichte der Frau überhaupt“ 405 gebühre – <strong>und</strong> damit wohl auch ein Platz in dieser Reihe<br />
„weiblicher Vollmenschen“.<br />
Die geistige Entwicklungsgeschichte der Frau nimmt in Deutschland vor allem mit der 1848er-<br />
Revolution einen enormen Aufschwung. Ähnlich schwärmerisch veranlagt wie Stojadinowitsch<br />
<strong>und</strong> für die revolutionären Bestrebungen begeistert <strong>und</strong> begeisternd tätig war Bettina von Arnim<br />
(1785-1859).<br />
Katharina Elisabeth (daher „Bettina“) Ludovika Magdalena Brentano entstammte einer berühmten<br />
Familie. Sie war Enkelin der berühmten Erzieherin Sophie von Laroche, Tochter Maximiliane<br />
Brentanos, die vor ihrer Heirat mit Brentano von Johann Wolfgang von Goethe umschwärmt<br />
wurde, <strong>und</strong> Schwester des Dichters Klemens Brentano. Zusammen mit zwei ihrer Schwestern<br />
verbrachte sie als Kind vier Jahre in einer Klosterpension in Fritzlar, bevor sie dann überwiegend<br />
in Frankfurt am Main <strong>und</strong> Offenbach – bei ihrer Großmutter Sophie – lebte.<br />
Bewegt durch den tragischen Suizid ihrer Fre<strong>und</strong>in Karoline von Günderode (1780-1806), die<br />
sich 1806 aus Liebeskummer erdolchte, suchte Arnim den fre<strong>und</strong>schaftlichen Kontakt zu<br />
Katharina Elisabeth Goethe (1731-1808). Dieser Kontakt ergab sich auch, weil deren berühmter<br />
Sohn zum Fre<strong>und</strong>eskreis Sophie von Laroches zählte. Arnim sollte später in ihren Schriften der<br />
Persönlichkeit dieser lebenserfahrenen Frau ein besonderes Denkmal setzen.<br />
1811 heiratet Bettina den Fre<strong>und</strong> ihres Bruders, Achim von Arnim, mit dem sie 20 Jahre eine<br />
glückliche Ehe führte <strong>und</strong> sieben Kinder bekam. 1831 starb ihr Ehemann <strong>und</strong> ein Jahr darauf<br />
Johann Wolfgang von Goethe. Dieser war besonders wichtig für die schriftstellerische Tätigkeit<br />
Arnims, denn sie hatte ihn bei der Abfassung seiner Autobiographie „Dichtung <strong>und</strong> Wahrheit“<br />
unterstützt, indem sie die Erzählungen seiner Mutter einbrachte. Aus ihrem regen Briefwechsel<br />
mit Goethe erstellte Arnim schließlich ein Buch, das unter dem Titel „Goethes Briefwechsel mit<br />
einem Kinde“ erschien <strong>und</strong> das Arnim 1835 zur „berühmteste[n] Frau Deutschlands“ 406 machte.<br />
Diesem Werk folgten viele weitere Schriften <strong>und</strong> Ausgaben verschiedener Briefwechsel. Arnim<br />
betrieb mit ihnen einen „Kultus ihrer geliebten Todten“ 407 , reflektierte aber auch allgemein über<br />
Kunst, Literatur <strong>und</strong> Musik oder den Kontakt zu berühmten Persönlichkeiten.<br />
Diese außergewöhnlichen Umstände lassen bisher nicht vermuten, dass Arnims schriftstellerisches<br />
404 Johan Skerlitsch zit. nach: Ebd.<br />
405 Ebd.<br />
406 [Wittich, Manfred?] M.W.: Bettina von Arnim. In: GL, 10/ 15/ 18.07.1900/ 117.<br />
407 Ebd.<br />
368
4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN<br />
Engagement den „Armen <strong>und</strong> Elenden des Volkes“ 408 gegolten haben könnte. Auch der Titel ihres<br />
herausragendsten Werkes „Dies Buch gehört dem König“, scheint nicht der geeignete Beweis für<br />
eine solche Behauptung zu sein. Tatsächlich verbergen sich aber hinter diesem Titel Arnims mit<br />
Katharina Elisabeth Goethe geführten „staatssozialistischen Gespräche“ 409 . Das Werk ist adressiert<br />
an den Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV., der damit von einem „‘sozialen Königthum’“ 410 über-<br />
zeugt werden sollte. Vorangestellt ist den Ausführungen ein Zitat der weisen Katharina Elisabeth<br />
Goethe: „‘Freiheit allein bringt Geist, Geist allein bringt Freiheit.’“ 411 Nach Meinung Wittichs sei<br />
es „die glühende Sehnsucht, allen Armen, Mühseligen <strong>und</strong> Beladenen zu helfen, sie zu befreien,<br />
aufzuklären <strong>und</strong> zu beglücken“, die dieses Buch wie ein „feuriger Odem“ 412 durchwehe.<br />
Tatsächlich finden sich darin konkrete Forderungen wie z. B. die Sonntagsruhe, damit „an einem<br />
Tage doch auch der Dienende das Gefühl der Menschenwürde habe“ 413 . Arnim, die den Armen<br />
selbst praktische Hilfe leistete, indem sie z. B. während einer 1831 in Berlin ausgebrochenen<br />
Cholera-Epidemie half, plädierte für Denkfreiheit <strong>und</strong> Gemeinsinn bis hin zur „Völkerverbrü-<br />
derung, der Interessengemeinschaft <strong>und</strong> gemeinschaftlicher Interessenwahrung aller die Erde<br />
bewohnenden Menschen“ 414 . Diese romantischen Vorstellungen fanden in Wittich einen ehrlichen<br />
Bew<strong>und</strong>erer. Ihm fiel es dann auch umso schwerer – ja, es ist „entsetzlich“ 415 für ihn –, auch von<br />
Arnims abstruser Vorstellung zu berichten, der König solle sich mit Demagogen umgeben, um im<br />
gemeinsamen Ratschlag mit ihnen das Land zu regieren. Abgesehen von diesem einzelnen Kritik-<br />
punkt, so die Meinung Wittichs, müsse Arnims Werk jedoch den passenderen Titel „Dies Buch<br />
gehört dem Volke“ 416 tragen.<br />
Auch Anna Blos beschäftigte sich mit dem Leben <strong>und</strong> Wirken Bettina von Anirms. Weniger als<br />
Wittich bezog sie sich auf deren literarisches Werk <strong>und</strong> stellte vielmehr deren Eigenschaften als<br />
„weiblicher Vollmensch“ heraus. Doch auch Blos sah in Arnim ein „seltsames Gemisch von<br />
Romantik <strong>und</strong> Realismus“ 417 verkörpert, welches in ihrer wenig sorgsamen Erziehung begründet<br />
liege. Durch diese – verstärkt durch ihre Umwelt, den frühen Verlust der Eltern <strong>und</strong> die Kloster-<br />
408 Ebd.<br />
409 Ebd.<br />
410 Arnim, Bettina von: Armenbuch. (1845). Zit. nach: [Wittich, Manfred?] M.W.: Bettina von Arnim. (Schluß.). In:<br />
GL, 10/ 16/ 01.08.1900/ 124.<br />
411<br />
Arnim, Bettina von: Armenbuch. Zit. nach: Ebd.<br />
412<br />
[Wittich, Manfred?] M.W.: Bettina von Arnim. In: GL, 10/ 15/ 18.07.1900/ 117.<br />
413<br />
[Wittich, Manfred?] M.W.: Bettina von Arnim. (Schluß.). In: GL, 10/ 16/ 01.08.1900/ 124.<br />
414<br />
Ebd., S. 125.<br />
415<br />
Ebd., S. 124.<br />
416<br />
Ebd., S. 125.<br />
417<br />
Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts I: Bettina von Arnim. In: GL, 29/ 31/ 20.09.1919/ 244.<br />
369
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
schule – sei die Phantasie oft mit ihr durchgegangen. So erscheine Arnims „Wesen […] zersplittert<br />
<strong>und</strong> fahrig“ 418 <strong>und</strong> erfahre „häufig eine Beurteilung, die ihr nicht gerecht wird, weil sie ihr<br />
innerstes Wesen nicht erkenn[e]“ 419 . Eine andere Erziehung hätte dagegen die inneren Wider-<br />
sprüche „ausgleichen“ 420 <strong>und</strong> Arnims Talente besser fördern können. Der von Blos festgestellte<br />
Erziehungsfehler, habe sich z. B. auch in „Launenblitzen“ 421 gezeigt. Den schlimmen Ausgang,<br />
den das übermäßige Nachhängen an Phantasien haben könne, zeige der Suizid ihrer Fre<strong>und</strong>in<br />
Karoline von Günderode. Diese habe das Leben nicht länger ertragen, weil es „dem Trugbild ihrer<br />
Phantasie nicht entsprach“ 422 – dem Fall Stieglitz sehr ähnlich, war also auch hier eine Art Des-<br />
illusionierung Motiv eines Suizids.<br />
Während Wittich die Persönlichkeit der Mutter Arnims – Maximiliane Brentano – <strong>und</strong> ihre<br />
Beziehung zu Goethe unerwähnt ließ, schilderte Blos diese sehr ausführlich. Seiner Liebe zu<br />
Maximiliane sei sich Goethe jedoch erst bewusst geworden, als sich diese auf Wunsch ihrer<br />
Mutter vermählen musste. So weist die innige Bekanntschaft Goethes mit Tochter Bettina noch<br />
einen weiteren interessanten Aspekt auf. Allerdings war es Bettina, die Goethe aufsuchte <strong>und</strong> ihn<br />
mit ihrer Natürlichkeit <strong>und</strong> Beharrlichkeit beeindruckte. Der daraus entstandene „Briefwechsel<br />
mit einem Kinde“ entspreche in seiner Art ganz dem Wesens Arnims – ein Gemisch von Dichtung<br />
<strong>und</strong> Wahrheit. Echt <strong>und</strong> „übersinnlich-sinnlich“ 423 zugleich sei auch die Liebe gewesen, die sie für<br />
Goethe empf<strong>und</strong>en <strong>und</strong> die vielen zeitgenössischen Dichtern „eine hohe Auffassung der Frauen-<br />
liebe“ 424 vermittelt habe. Arnim habe damit deren „Begriffe von Freiheit im Lieben“<br />
„[ge]adelt[…]“ 425 – noch dazu sie selbst in einer harmonischen Ehe lebte. Ihre schwärmerische<br />
Liebe für Goethe ließ sie seiner Person <strong>und</strong> seiner Stellung als Minister gegenüber jedoch nicht<br />
unkritisch werden. So führte ihr Spötteln über Christiane Vulpius schließlich zum Bruch mit<br />
Goethe. Und obwohl dieser auf keinen ihrer Versöhnungsversuche reagierte, hielt Arnim an ihrer<br />
Verehrung für ihn fest <strong>und</strong> entwarf nach seinem Tod sogar ein Denkmal für ihn – dies zudem ein<br />
Zeugnis ihres vielseitigen künstlerischen Talents.<br />
Bemerkenswerterweise brachte Blos das Interesse Arnims für soziale <strong>und</strong> nationalökonomische<br />
Fragen in Zusammenhang mit ihrer Witwenzeit. 426 Demnach suchte sie in dieser Beschäftigung<br />
418 Ebd.<br />
419 Ebd.<br />
420<br />
Ebd.<br />
421<br />
Ebd., S. 245.<br />
422<br />
Ebd.<br />
423<br />
Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts I: Bettina von Arnim. (Schluß). In: GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 251.<br />
424 Ebd.<br />
425 Ebd.<br />
426 Vgl. ebd.<br />
370
4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN<br />
vermutlich auch einen neuen Lebensinhalt. In ihrem erwähnten Werk „Dies Buch gehört dem<br />
König“ – ähnlich ihrem Wesen „häufig verworren, der Stil bizarr“ 427 – forderte sie, dass ein<br />
modernes Königtum notwendige Sozialreformen selbst initiieren müsse, um nicht obsolet zu sein.<br />
Arnim setzte sich für die politisch Verfolgten der Revolution <strong>und</strong> für die staatsbürgerliche<br />
Gleichberechtigung der Juden ein. Im Kern ihrer Erkenntnisse sei Arnim damit ihrer Zeit deutlich<br />
voraus gewesen. Das zeitgenössische Urteil Karoline Schlegel-Schellings zu der Person Arnims<br />
war dagegen vernichtend:<br />
„Bettina sieht aus wie eine kleine Berliner Jüdin <strong>und</strong> stellt sich auf den Kopf, um<br />
witzig zu sein, nicht ohne Geist, tout au contraire, aber es ist ein Jammer, daß sie<br />
sich so verkehrt <strong>und</strong> verreckt <strong>und</strong> gespannt damit hat; alle die Brentanos sind<br />
höchst unnatürliche Naturen.“ 428<br />
Die lebenserfahrene Schlegel-Schelling konnte demnach der Schwärmerei Arnims gar nichts<br />
abgewinnen – zudem scheint sie antisemitische Vorbehalte gehabt zu haben. Nach Meinung Blos‘<br />
habe Arnim sich schließlich selbst am besten charakterisiert, als sie von sich schrieb: „Meine<br />
große Veranlagung ist Lieben.“ 429<br />
Bereits 1907 veröffentlichte Blos in der „Gleichheit“ eine Artikelserie zu einer Frau, die sich zwar<br />
selbst auch als „Idealistin“ bezeichnete, die jedoch in ihrem Idealismus weit realistischer war als<br />
Arnim: Malvida von Meysenbug (1816-1903). 1919 wurde diese Artikelserie – nahezu<br />
unverändert – nochmals im Feuilletonteil des Hauptblattes veröffentlicht. Jene Fassung ist im<br />
Folgenden Gr<strong>und</strong>lage der Rekonstruktion. Zuvor ist jedoch auf einige auffällige inhaltliche Ände-<br />
rungen hinzuweisen, die von Blos bzw. der neuen „Gleichheit“-Redaktion vorgenommen wurden.<br />
1907 – unter der Redaktion Zetkins <strong>und</strong> vor dem deutschen Burgfrieden – griff Blos die<br />
bürgerliche Frauenbewegung an, indem sie einen Vergleich zwischen deren Vertreterinnen <strong>und</strong><br />
Meysenbug anstellte. Zwar habe auch Meysenbug der modernen Arbeiterbewegung <strong>und</strong> dem<br />
wissenschaftlichen Sozialismus fremd gegenüber gestanden, aber trotzdem erhebe sich ihre<br />
„Gestalt über den Durchschnittshorizont der heutigen bürgerlichen Frauenwelt“ 430 . Während es<br />
zur Zeit Meysenbugs viele Frauen wie sie gegeben habe, schiene 1907 „diese Art so ziemlich<br />
ausgestorben zu sein“ 431 . Mit diesem Vergleich, so Blos sehr kritisch, sei der „Niedergang des<br />
427 Ebd., S. 252.<br />
428 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts V: Karoline. In: GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 244-245.<br />
429 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts I: Bettina von Arnim. (Schluß). In: GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 252.<br />
430 Blos, Anna: Das Leben einer Idealistin. In: GL, 17/ 05/ 06.03.1907/ 34.<br />
431 Ebd.<br />
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LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Bürgertums auch in seinem <strong>weiblichen</strong> Teil“ 432 belegt.<br />
1919 wies der ansonsten wortwörtlich übernommene Artikel jenen Angriff gegen die bürgerliche<br />
Frauenbewegung nicht mehr auf. Er war auch in allgemein klassenkämpferischer Hinsicht<br />
auffällig „entschärft“ worden. Es war 1919 nicht mehr<br />
„nötig, nochmals zu betonen, daß sie [Meysenbug; M.S.] nicht zu den Unsrigen gehört<br />
hat. Aber die Gestalt dieser Idealistin wird immer eine neue lebendige Anklage<br />
gegen die beherrschenden Klassen bilden, die sich zwar für ihre Persönlichkeit<br />
schließlich interessierten, die aber ihre Bestrebungen nicht verstanden <strong>und</strong><br />
demgemäß auch nicht zu würdigen wußten.“ 433<br />
Eine solche politische Einordnung Meysenbugs <strong>und</strong> ihrer Bedeutung für den Kampf der prole-<br />
tarischen Klasse stand aber 1919 nicht mehr im Vordergr<strong>und</strong> eines biographischen „Gleichheit“-<br />
Artikels. Stattdessen wurden die Leserinnen in eine gespannte Erwartung versetzt, indem sie<br />
vorab erfuhren, dass Meysenbug – „wie alle, die dem Neuen einen Weg bahnen wollen“ 434 –<br />
„[v]erachtet <strong>und</strong> verraten“ 435 wurde. War England, wo Meysenbug später aufgr<strong>und</strong> eben jener Ver-<br />
achtung im Exil leben sollte, für Blos 1907 noch das „freie stolze Land der Briten“ 436 , so war es<br />
1919 vermutlich nur noch eine unerträgliche <strong>und</strong> deshalb nicht mehr erwähnenswerte Besatzungs-<br />
macht.<br />
Unverändert blieben die Beschreibungen Blos‘ zum Leben der deutschen Republikanerin, an<br />
denen sehr auffällig wird, dass Blos nur wenige Jahresangaben einfügte. Meysenbug machte eine<br />
erstaunliche Entwicklung von einer „Geburtsaristokratin“, die „tapfer ihre anerzogenen Vorurteile<br />
beiseite [warf]“ 437 , zur Anhängerin der bürgerlichen Demokratie durch. Sie wurde in Kassel als<br />
Tochter einer aristokratischen Hugenottenfamilie geboren. Ihre künstlerischen Neigungen wurden<br />
schon früh von der Mutter gefördert. Wie Karoline von Humboldt war auch diese der Meinung,<br />
dass „die Berührung mit ausgezeichneten Menschen“ 438 einen guten Einfluss auf die Entwicklung<br />
von Kindern habe. Sobald des Lesens mächtig, zeigte Meysenbug eine große Leidenschaft für<br />
Bücher <strong>und</strong> das Theater. Das Theaterspielen erachtete die Erzieherin Meysenbug später als<br />
besonders förderlich für Kinder, denn<br />
432 Ebd.<br />
„auch würden beim Unterricht, namentlich beim Geschichtsunterricht, lebhaftere<br />
Eindrücke von allem, was sich auf hervorragende Gestalten bezieht, durch<br />
433 Blos, Anna: Das Leben einer Idealistin. In: GL, 17/ 08/ 17.04.1907/ 61.<br />
434 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von Meysenbug. In: GL, 29/ 42/ 06.12.1919/ 331.<br />
435 Ebd.<br />
436 Blos, Anna: Das Leben einer Idealistin. In: GL, 17/ 07/ 03.04.1907/ 50.<br />
437 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von Meysenbug. In: GL, 29/ 42/ 06.12.1919/ 331.<br />
438 Ebd., S. 332.<br />
372
Darstellung durch die Kinder selbst erzielt werden“ 439 .<br />
4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN<br />
Die Tradierung historischer Vorbilder hatte also auch Einfluss auf die Kindererziehung. Dem<br />
Theaterspielen zum Vorteil gereichte die große Phantasie Meysenbugs, die sich nach Meinung<br />
Blos‘ jedoch als übermäßig groß erweisen sollte.<br />
Als schließlich auch in Kassel wie in anderen Teilen des Deutschen Reiches erste vormärzliche<br />
Revolten stattfanden, beschloss der Vater Meysenbugs, der ein Ministeramt innehatte, mit der<br />
Familie die Stadt zu verlassen – ein „wahres Nomadenleben“ 440 begann.<br />
Die erste Liebe Meysenbugs – zu ihrem Religionslehrer – blieb eine unerfüllte. Umso stärker<br />
wandte sie sich der Kunst, der Malerei zu. Sehr gelegen musste es in diesem Zusammenhang auch<br />
gewesen sein, dass Meysenbug in Begleitung einer Verwandten die Schweiz <strong>und</strong> Frankreich<br />
bereisen durfte. Auf dieser Reise versuchte sie trotz ihrer sehr geschwächten Sehkraft zu malen,<br />
musste dies dann aber für immer aufgeben.<br />
„Doch bald fand sie ein mächtigeres Mittel, ihrem Leben ein Ziel zu geben, als<br />
Religion <strong>und</strong> Kunst es gewesen wären, nämlich die Arbeit am Fortschritt der<br />
Menschheit durch den Gedanken <strong>und</strong> durch die Tat.“ 441<br />
Die ersten Berührungen mit aktuellen politischen Themen hatte sie wiederum in Gesprächen mit<br />
einem jungen Theologen. In der Diskussion mit ihm „arbeitete sich [Meysenbug] zu einer demo-<br />
kratischen Weltanschauung durch“ 442 . Das gemeinsame politische Interesse führte zu mehr, zu<br />
einer Liebesbeziehung. Nachdem Meysenbug jedoch von einer längeren Reise, u. a. in das revo-<br />
lutionäre Frankfurt am Main <strong>und</strong> der dort ansässigen Nationalversammlung, zurückkehrte, musste<br />
sie erfahren, dass er sich in eine andere Frau verliebt hatte. Meysenbug war verzweifelt. Jedoch<br />
entschied sie sich anders als Stieglitz oder Günderode für das Weiterleben:<br />
„‘Sterben wollen, um nicht mehr zu leiden, ist Schwäche. Leben für seine Ideale,<br />
um Gutes in Dir <strong>und</strong> um Dich zu vollbringen, das ist wahre Stärke.’“ 443<br />
Sie suchte die geistige Beschäftigung <strong>und</strong> studierte vornehmlich philosophische Werke. Bei einem<br />
Kuraufenthalt in Ostende fasste sie den Entschluss, ihre Familie, die sie wegen ihrer Ideen immer<br />
mehr als Abtrünnige behandelte, zu verlassen. In den USA wollte sie „ihre Individualität, ihre<br />
Gedanken- <strong>und</strong> Gewissensfreiheit“ 444 leben. Sie befand sich bereits auf dem Weg in das selbst-<br />
439 Ebd.<br />
440 Ebd.<br />
441 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 29/ 43/<br />
13.12.1919/ 339.<br />
442 Ebd.<br />
443 Malvida von Meysenbug zit. nach: Ebd., S. 340.<br />
444 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 29/ 45/ 46/<br />
27.12.1919/ 357.<br />
373
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
gewählte Exil, als sie den Entschluss fasste, aus Rücksichtnahme auf ihre Mutter Deutschland<br />
doch nicht zu verlassen. Stattdessen wurde sie die zweite Vorsteherin der in Hamburg neu gegrün-<br />
deten Hochschule für Frauen. 445 Zudem wurde sie Mitglied im Vorstand einer konfessionslosen<br />
Schule, an der pikanterweise auch jener Theologe unterrichtete, der sie so schwer enttäuscht hatte.<br />
Allerdings hegte sie keinerlei Hass gegen ihn, was sich erwies als dieser schwer erkrankte:<br />
„Den Antrag eines Fre<strong>und</strong>es, ihr Gatte <strong>und</strong> Beschützer zu sein, wies sie zurück, um<br />
dem sterbenden Geliebten die Treue zu bewahren, ihn mit einer Liebe zu umgeben,<br />
die nichts fordert, aber gibt, hilft, tröstet <strong>und</strong> versöhnt.“ 446<br />
Es ist schwer zu entscheiden, ob dieses Verhalten mehr für eine altruistische Hörigkeit oder für<br />
eine selbstbewusste Menschenliebe steht.<br />
Die Frauenhochschule musste auf behördliche Verfügung hin geschlossen werden. Meysenbug<br />
ging nach Berlin. Dort jedoch sorgte ihr Engagement für die demokratische Bewegung dafür, dass<br />
sie ins Visier der Ordnungshüter geriet <strong>und</strong> fliehen musste:<br />
„Die Zeit des freiwilligen Märtyrertums war vorüber. Nun galt es, sich gehässigen<br />
Verfolgungen zu entziehen <strong>und</strong> seine Kräfte für eine bessere Zukunft zu retten. So<br />
ging sie, die schwache Frau, ins Exil, fast ohne Existenzmittel, aber aufrechterhalten<br />
von der Kraft, welche reine Ueberzeugungen <strong>und</strong> das Bewußtsein, ihnen<br />
treu geblieben zu sein, geben.“ 447<br />
Als „weiblicher Vollmensch“ schöpfte Meysenbug Kraft aus ihrer Überzeugung <strong>und</strong> aus ihrem<br />
Engagement für eine Sache: Die Bildung der Frau. Meysenbug wollte „die Frauen würdiger […]<br />
machen, Frauen <strong>und</strong> Mütter zu sein“ 448 .<br />
Meysenbug ging nach London <strong>und</strong> fand erste Aufnahme im Hause von Johanna Kinkel (1810-<br />
1858), der sie bis dahin nur durch einen Briefwechsel bekannt gewesen war. Die Hilfe Kinkels<br />
konnte Meysenbug ohne Reue annehmen, „denn bei ihrer vornehmen Gesinnung meinte sie, nur<br />
von denen dürfe man materielle Opfer empfangen, mit denen man sich in vollständiger Ueberein-<br />
stimmung des Denkens <strong>und</strong> Handelns befinde“ 449 . Aus diesem Gr<strong>und</strong>e lehnte sie jede finanzielle<br />
Unterstützung ihrer Familie ab <strong>und</strong> verdiente sich ihren Lebensunterhalt als Privatlehrerin. Sie<br />
war ein Beispiel dafür, „daß man, von den Menschen verlassen, in Not <strong>und</strong> Entbehrung lebend,<br />
445 Die Hamburger Frauenhochschule existierte von 1850 bis 1852. Siehe auch: Blos, Anna: Eine freie Schule vor<br />
fünfzig Jahren. In: GL, 16/ 22/ 31.10.1906/ 153-154.<br />
446 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 29/ 45/ 46/<br />
27.12.1919/ 358.<br />
447 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 30/ 01/<br />
03.01.1920/ 5.<br />
448 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von Meysenbug. In: GL, 29/ 42/ 06.12.1919/ 331.<br />
449 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 30/ 01/<br />
374<br />
03.01.1920/ 6.
doch unendlich glücklicher als die Alltagsmenschen sein kann“ 450 .<br />
4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN<br />
Im Hause der Kinkels lernte Meysenbug viele andere politisch Verfolgte kennen, die ebenfalls<br />
London zu ihrem Exil erwählt hatten. Mit ihrem „<strong>weiblichen</strong> Takt, ihre[r] umfassende[n] Bildung<br />
<strong>und</strong> ihre[r] Herzensgüte“ erwarb sie sich schnell deren Fre<strong>und</strong>schaft. Darunter die der ita-<br />
lienischen Freiheitskämpfer Giuseppe Mazzini <strong>und</strong> Giuseppe Garibaldi. Auch den russischen<br />
Exilanten Alexander Herzen lernte sie hier kennen <strong>und</strong> fand in ihm eine „verwandte[…]<br />
Seele[…]“. 451<br />
Herzen – Witwer <strong>und</strong> Vater mehrerer Kinder – machte Meysenbug schließlich das Angebot, als<br />
Erzieherin seiner beiden Töchter zu arbeiten. Dies gab Meysenbug außerdem die Gelegenheit, ihr<br />
Studium der <strong>weiblichen</strong> Erziehung fort- <strong>und</strong> in die Praxis umzusetzen. Sie strebte nach dem Ideal<br />
„ein weibliches Geschlecht zu erziehen, ‘in dem alle sittliche Feigheit verschwände,<br />
das sich nur der sittlichen Freiheit unterwirft, indem es die<br />
Notwendigkeit einer sittlichen Weltordnung anerkennt.’“ 452<br />
Dieses Ideal weiblicher Sittlichkeit, das nicht gleichzusetzen ist mit althergebrachten moralischen<br />
Vorstellungen weiblicher Tugenden, war stets auch Thema in der Korrespondenz mit Herzen.<br />
Dieser nahm Meysenbug in sein Haus auf, um nicht mehr nur seine Kinder zu erziehen, sondern<br />
auch seinen Haushalt zu leiten. Dem Mann war sie eine Gefährtin, den Kindern eine Mutter.<br />
Meysenbug wollte die Kinder zu „Persönlichkeiten“ 453 erziehen. Sie selbst lebte nach dem<br />
„höchste[n] Ideal der Mutterliebe“ 454 , ging ganz in ihrer Aufgabe auf <strong>und</strong> trug „Sorge um den<br />
Charakter, die volle Entwicklung aller Fähigkeiten, die Sehnsucht, in den jungen Leben die eigene<br />
Unsterblichkeit zu erleben, das, was in uns als Ideal gelebt, in ihnen hervorzurufen“ 455 . Indem sie<br />
in ihnen die „Erkenntnis eigenen Bewußtseins“ weckte, erzog sie sie quasi zu „Vollmenschen“.<br />
Auch sie selbst suchte stets die Weiterbildung, den Kontakt zu den „Großen“ ihrer Zeit. Persönlich<br />
sehr beeindruckt war sie vor allem von Richard Wagner <strong>und</strong> ihre philosophischen Studien<br />
beschäftigten sich besonders mit den Schriften Arthur Schopenhauers.<br />
Ihr Verhältnis zu Herzen blieb von ihr selbst – in ihren Memoiren – <strong>und</strong>efiniert, die Liebe zu ihm<br />
unausgesprochen. Doch Blos vermutete, dass Meysenbug „ihr reiches großes Herz“ 456 an den von<br />
ihr so bew<strong>und</strong>erten Alexander Herzen verloren hatte. Jedoch wurde ihre Stellung im Hause von<br />
450 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von Meysenbug. In: GL, 29/ 42/ 06.12.1919/ 331.<br />
451 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 30/ 02/<br />
10.01.1920/ 11.<br />
452 Malvida von Meysenbug zit. nach: Ebd.<br />
453 Ebd., S. 12.<br />
454 Ebd.<br />
455 Ebd.<br />
456 Ebd., S. 13.<br />
375
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
manchen Fre<strong>und</strong>en Herzens missbilligt <strong>und</strong> da Herzen keinerlei Anstalten machte, diese bösen<br />
Stimmen zum Schweigen zu bringen, verließ sie ihn – ohne ihm Vorhaltungen zu machen. Blos<br />
war der Meinung, dass Meysenbug den Charakter Herzens weit überschätzt habe. 457<br />
Meysenbug arbeitete nun für ein von Mazzini herausgegebenes revolutionäres Journal <strong>und</strong><br />
versuchte sich als Agitatorin in der englischen Arbeiterschaft. Weil es ihr jedoch an Kenntnissen<br />
zum modernen Sozialismus <strong>und</strong> seinen Theorien gemangelt habe, habe Meysenbug nach Meinung<br />
Blos‘ wohl daran getan, diese Tätigkeit bald wieder aufzugeben. 458<br />
Nach einem vergeblichen Versuch, im Herzen‘schen Haushalt ihre alte Stellung wieder einzu-<br />
nehmen, verließ sie London, um in Paris die Kinder einer Fre<strong>und</strong>in zu erziehen. Ein weiteres Mal<br />
war es Herzen, der den ersten Schritt wagte <strong>und</strong> ihr dauerhaft diejenige Position anbot, in der nach<br />
der Meinung Blos‘<br />
„sie beweisen [konnte], daß auch die unverheiratete Frau den ausschließlich<br />
<strong>weiblichen</strong> Beruf ausüben, daß sie die Walterin des häuslichen Lebens, die Mutter<br />
aufblühender Jugend sein kann“ 459 .<br />
Ein Angebot also, das ihr die Möglichkeiten eröffnete, sich im Sinne des Frauenleitbildes eines<br />
„<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ zu einer harmonischen Persönlichkeit zu entwickeln. Sie nahm das<br />
Angebot an, aber wie sich nun das Verhältnis zu Herzen gestaltete, wurde von Blos nicht weiter<br />
geschildert.<br />
Befriedigend dürfte für Meysenbug gewesen sein, dass auch ihre eigene Familie mittlerweile von<br />
der Großartigkeit ihrer Ideale überzeugt war <strong>und</strong> den Kontakt zu ihr wieder aufnahm. Ihre letzten<br />
Lebensjahre verbrachte Meysenbug in Rom, wo sie 1903 starb.<br />
„‘Du hast nicht umsonst gelebt; nicht nur, daß Du Dir selbst Treue gehalten hast.<br />
Du bist auch andern etwas gewesen, <strong>und</strong> besseres kann ja der Mensch nicht<br />
verlangen, als mit diesem Doppelzeugnis an der Schwelle der Ewigkeit stehen <strong>und</strong><br />
warten, bis sich ihm die Pforte öffnet, aus der es keine Wiederkehr gibt.’“ 460<br />
Diese aus ihren „Memoiren einer Idealistin“ entnommenen Worte umschreiben sowohl das<br />
Lebensideal Meysenbugs als auch das Ideal eines „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“, in dem Selbst-<br />
bewusstsein <strong>und</strong> Gemeinsinn in besonderer Harmonie miteinander verb<strong>und</strong>en sind.<br />
Immer mehr Frauen setzten sich im Rahmen nationaler Revolutionen klar für eine politische<br />
Gleichberechtigung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts ein. Sie argumentierten, dass diese die letzte Kon-<br />
457 Vgl. ebd.<br />
458 Ebd., S. 14.<br />
459 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von Meysenbug. (Schluß). In: GL, 30/ 03/<br />
17.01.1920/ 19.<br />
460 Malvida von Meysenbug zit. nach: Ebd., S. 20.<br />
376
4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN<br />
sequenz einer wahrhaft demokratischen Gesellschaft sein müsse. Mit ihren Artikeln ließ Blos<br />
diese Frauen, ihr Leben <strong>und</strong> ihren Kampf um Frauenrechte lebendig werden <strong>und</strong> setzt ihnen damit<br />
ein Denkmal:<br />
„Die Deutsche Revolution von 1848 hatte, wie ja auch die große Französische<br />
Revolution von 1789, nicht nur ihre Helden, sondern auch ihre Heldinnen. Die<br />
Namen dieser Frauen verdienen festgehalten zu werden, denn sie alle haben<br />
geholfen, die Wege zu bahnen, auf denen das weibliche Geschlecht von heute seine<br />
Forderungen <strong>und</strong> Rechte selbständig vertreten kann, ohne durch Gesetze <strong>und</strong> Schikane<br />
aller Art daran gehindert zu werden.“ 461<br />
Selbst für ihr Engagement „mit den Waffen des Geistes <strong>und</strong> der Feder“ 462 noch von Behörden<br />
verfolgt <strong>und</strong> schikaniert, hatte auch Mathilde Franziska Anneke (1817-1884) in ihrem Leben<br />
viele „Wandlungen <strong>und</strong> Kämpfe durchmachen müssen“ 463 . Aufgewachsen in einer streng<br />
katholischen Familie, schon jung zur Heirat mit einem ungeliebten Mann gezwungen, dem sie<br />
schließlich die Scheidung <strong>und</strong> das Sorgerecht für ihre Tochter hatte abtrotzen können, entwickelte<br />
sie sich zu einer Freidenkerin. Die Begeisterung für die Ideen der Demokraten konnte sie<br />
schließlich mit ihrem zweiten Ehemann, dem Artillerieoffizier Friedrich Anneke, teilen – mit ihm<br />
erlebte sie „eine[…] wahre[…] Gemeinschaft der Herzen <strong>und</strong> der Geister“ 464 .<br />
Zusammen mit ihrem Ehemann <strong>und</strong> dessen Fre<strong>und</strong> Fritz Beust gab Anneke die „Neue Kölnische<br />
Zeitung“ (1848-1849) heraus. Nachdem die beiden Männer verhaftet <strong>und</strong> zu Gefängnisstrafen<br />
verurteilt worden waren, führte Anneke die Zeitung allein <strong>und</strong> unter dem provokativen Namen<br />
„Frauenzeitung“ weiter. Der Namenswechsel stand vor allem für die Tatsache, dass es nun an<br />
einer Frau war, den Verpflichtungen gegenüber den Abonnenten nachzukommen – zumindest bis<br />
zum neuerlichen Erscheinen der „Neuen Kölnischen Zeitung“. Der Titel „Frauenzeitung“ stand<br />
jedoch nicht dafür, eine sich nur an Frauen richtende <strong>und</strong> Frauenthemen behandelnde Zeitschrift<br />
zu sein. 465<br />
Annekes Ehemann wurde entlassen <strong>und</strong> ging in die Pfalz, um dort die Revolutionstruppen zu<br />
organisieren, Anneke folgte ihm. Nach dem Scheitern der Revolution flüchtete das Ehepaar in die<br />
USA. Hier widmete sich Anneke „der sozialen <strong>und</strong> politischen Gerechtigkeit der Geschlechter“ 466 ,<br />
dies vor allem in einer von ihr gegründeten Schule, in der sie die Schülerinnen nach dem<br />
461 Blos, Anna: Mathilde Anneke. Die Gründerin einer Frauenzeitung aus dem Jahre 1848. In: GL, 32/ 21/<br />
01.11.1922/ 192.<br />
462 Ebd.<br />
463 Ebd.<br />
464 Ebd., S. 193<br />
465 Vgl. ebd.<br />
466 Ebd.<br />
377
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Gr<strong>und</strong>satz erzog, dass die „Vernunft […] höchster <strong>und</strong> einziger Gesetzgeber“ 467 sei. Ihren Schüle-<br />
rinnen war sie Vorbild, indem sie prinzipientreu nach ihren Idealen lebte.<br />
<strong>Von</strong> vielen ihrer Zeitgenossen als „Blaustrumpf“ <strong>und</strong> „Frauenrechtlerin“ verhöhnt, könnten, so<br />
Blos, jedoch „viele Forderungen der mutigen Frau“ 468 als erfüllt erachtet werden. Ein Umstand,<br />
der allerdings für die Frauen des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts nicht bedeute, von den Kämpfen für Gerech-<br />
tigkeit ausruhen zu können. Ihren nachfolgenden Geschlechtsgenossinnen habe Anneke folgende<br />
Verheißung hinterlassen:<br />
„Die gegenwärtige Agitation für die Gleichberechtigung aller Menschen ist ein<br />
Produkt der Wissenschaft, aber auch der Gerechtigkeit <strong>und</strong> der Liebe – ein Werk<br />
der Versöhnung!“ 469<br />
Eine Hinterlassenschaft, die für die Leserinnen angesichts des Zeitpunktes des Erscheinens des<br />
Artikels – vier Jahre nach Ende des Ersten Weltkrieges <strong>und</strong> mitten im Prozess einer neuen Völker-<br />
verständigung – besondere Bedeutung gehabt haben dürfte.<br />
Eine ebenfalls kämpferische <strong>und</strong> emanzipierte Frau der 1848er-Revolution war Luise Aston<br />
(1815-1871). Laut Wilhelm Blos, der dieses Mal als Autor zu vermuten ist, war Aston eine Frau,<br />
die „einstmals einen mächtigen Einfluß […] auf die geistige Entwicklung der deutschen<br />
Frauenwelt“ 470 ausgeübt habe.<br />
Aston war die Tochter des Pfarrers Johann Gottfried Hoche in Groningen, einem Dorf bei Halber-<br />
stadt. Die Eltern waren arm <strong>und</strong> daher umso glücklicher als der englische Großindustrielle Samuel<br />
Aston um die Hand der 17-jährigen Tochter, die nach einem 1848 in der Leipziger „Illustrirten<br />
Zeitung“ (1843-1944) veröffentlichten Porträt „ein schöngeschnittenes Gesicht mit großen<br />
Augen“ 471 , eine große <strong>und</strong> stattliche, aber nicht übermäßig zarte Gestalt besaß, anhielt. Aston<br />
schien damit schließlich außergewöhnlich gut versorgt. Während ihr Ehemann jedoch seine<br />
Reichtümer verprasste, wurde Aston des erbärmlichen Elends der Industriearbeiter gewahr. Sie<br />
wollte daraufhin nicht mehr ihr altes Leben führen <strong>und</strong> „rührte ihre kostbaren Toiletten <strong>und</strong> ihr<br />
Geschmeide nicht mehr an“ 472 . An diesem Punkt hätte sie den Weg gehen können, den andere<br />
bürgerliche Frauen vor <strong>und</strong> nach ihr gegangen sind, sie hätte sich „wohltätig“ engagieren können.<br />
Wohltätigkeit erachtete Aston aber als „die Menschenrechte der Armen beeinträchtige[nd] <strong>und</strong><br />
467 Ebd.<br />
468 Ebd.<br />
469 Ebd.<br />
470 [Blos, Wilhelm?] W. B.: Aus dem Leben einer Revolutionärin. In: GL, 15/ 11/ 31.05.1905/ 63.<br />
471 Ebd., S. 64.<br />
472 Ebd., S. 63.<br />
378
4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN<br />
diese selbst erniedrige[nd]“ 473 . Auf diese Weise sei sie, so Blos, „von selbst zu einer sozialis-<br />
tischen Auffassung – freilich nicht im heutigen Sinne – gekommen“ 474 .<br />
Eine Scheidung der Eheleute wurde unvermeidlich: „[D]er im Alltagsschlamm wandelnde Par-<br />
venu <strong>und</strong> die hochfliegende Idealistin konnten nicht beisammen bleiben“ 475 . Die unglückliche<br />
Ehezeit verarbeitete Aston in einem schriftstellerischen Werk unter dem Titel „Aus dem Leben<br />
einer Frau“ (1847) – ihr neues Leben <strong>und</strong> eine neue Beziehung ließ sie über die Freiheit der Liebe<br />
schreiben <strong>und</strong> inspirierte sie 1846 zu dem Gedichtband „Wilde Rosen“. Es begann etwas gänzlich<br />
Neues: Als ein „schöne[s], kühne[s] <strong>und</strong> geniale[s] Weib“ 476 forderte sie die Gleichstellung der<br />
Geschlechter <strong>und</strong> bezauberte viele Männer, „[i]hr Leben ward zu einer Kette von politischen <strong>und</strong><br />
Liebesabenteuern“ 477 . Zudem verkehrte sie unter Anarchisten <strong>und</strong> ging in Männerkleidung aus.<br />
Mit all dem stieß sie so manchen Spießbürger vor den Kopf <strong>und</strong> wurde in den Augen der<br />
Behörden zur Störenfriedin der Ordnung. Es folgten die Ausweisungen sowohl aus Hamburg als<br />
auch aus Berlin, wo sie einen literarisch-politischen Salon unterhalten hatte.<br />
1848 sah sie in dem freiwilligen Dienst als Krankenpflegerin in Schleswig-Holstein eine<br />
Gelegenheit, an der revolutionären Bewegung teilzunehmen. Sogar verw<strong>und</strong>et bewies sie dabei<br />
besonderen „Mut <strong>und</strong> Selbstverleugnung“ 478 – Tugenden, die in der „Gleichheit“ besonders dem<br />
„<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ <strong>und</strong> dem Proletariat insgesamt zugeschrieben werden. Nach der<br />
Niederlage der Revolutionäre ging Aston nach Bremen, wo sie den Arzt Daniel Eduard Meier<br />
kennenlernte <strong>und</strong> – zu Unrecht als prinzipielle Gegnerin der Ehe verschrien – diesen auch 1850<br />
heiratete. Das Ehepaar lebte zeitweilig in Russland <strong>und</strong> in Österreich. 1871 kehrte es nach<br />
Deutschland zurück, um schließlich seine letzte Zeit in Wangen am Bodensee zu verbringen.<br />
Vermutlich auch in Hinblick auf den romantischen Charakter einer Bettina von Arnim,<br />
konstatierte Anna Blos in einem weiteren Artikel allgemein, dass mit dem Annähern an die<br />
Ereignisse von 1848 auch die Stellung der Frau <strong>und</strong> ihr Streben sich wandelten. 479 Frauen – wenn<br />
auch nur wenige – wurden sogar kühn genug, für die Befreiung des Geschlechts bewaffnet <strong>und</strong><br />
unter Einsatz ihres Lebens zu kämpfen.<br />
Anna Blos beschrieb den Charakter Astons <strong>und</strong> vor allem ihre Vorstellungen von Ehe <strong>und</strong> Liebe<br />
473 Ebd.<br />
474 Ebd.<br />
475 Ebd.<br />
476 Ebd.<br />
477 Ebd.<br />
478 Ebd.<br />
479 Vgl. Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts [VII]: Luise Aston. In: GL, 31/ 03/ 01.02.1921/ 21.<br />
379
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
wesentlich detaillierter als es der Artikel ihres Ehemannes Wilhelm tat. Sie hob folgende ihrer<br />
Ansichten hervor:<br />
„‘Prostitution ist die Hingabe der Liebe in <strong>und</strong> außer der Ehe, ist das Wegwerfen<br />
der eigenen Persönlichkeit. Diese hochzuhalten, diese nur gegen den Preis der<br />
Liebe hinzugeben, dies schöne Maß zu bewahren, das ist des Weibes einzige Unschuld<br />
<strong>und</strong> Sittlichkeit.’“ 480<br />
In ihrer Scheidung sah Aston den einzigen Weg, die Heiligkeit der Ehe zu wahren – alles andere<br />
wäre in ihren Augen Prostitution gewesen. In ihrer jetzigen Form <strong>und</strong> im jetzigen Verständnis sei<br />
die Ehe ein großer Widerspruch. Einerseits stehe sie für höchste Sittlichkeit, andererseits öffne sie<br />
jeder Unsittlichkeit Tür <strong>und</strong> Tor. Die Institution der Ehe – meist in Kombination mit dem Segen<br />
der Kirche – sanktioniere eben nicht einen „Seelenb<strong>und</strong>“, sondern meist einen „Seelen-<br />
handel“. 481 Aston steht der Ehe kritisch gegenüber, „weil sie zum Eigentum macht, was nimmer<br />
Eigentum sein kann, ‘die freie Persönlichkeit’, weil sie ein Recht gibt auf Liebe, auf die es kein<br />
Recht geben kann“ 482 . Auch für sie ist Bildung die Voraussetzung für jede Entfaltung der<br />
Persönlichkeit <strong>und</strong> erst sie gebe auch der Liebe „die höhere Weihe“ 483 . Wie umfassend ihre eigene<br />
Bildung war, erweist sich in ihren Gedichten, den Romanen „Lydia“ (1848), „Revolution <strong>und</strong><br />
Konterrevolution“ (1849), den „Freischärlerreminiszenzen“ (1851) <strong>und</strong> ihrer nur ein Jahr lang<br />
existierenden Zeitschrift „Der Freischärler“ (1848). Ihre Bildung offenbarte sich aber nicht nur in<br />
jener schriftstellerischen Arbeit, sondern auch in ihrem Urteilsvermögen die soziale Frage be-<br />
treffend. Aston hatte ausgelöst durch die Verschwendungssucht ihres ersten Ehemannes begonnen,<br />
über die Bedingungen ihres eigenen Reichtums zu reflektieren. Sie sah vor allem in der Weiter-<br />
entwicklung der Technik <strong>und</strong> der modernen Industrie den richtigen Weg zu „höheren sozialen<br />
Stufen“ 484 für alle. Die moderne Industrie sei „die Mutter des Proletariats […], die zugleich den<br />
Reichtum <strong>und</strong> die Armut bringt“ 485 – ein Widerspruch, für den sie allerdings auch keine konkrete<br />
Lösung zu haben schien. Groß war deshalb ihre Begeisterung für die revolutionäre 1848er-<br />
Bewegung. Auf ihre schriftstellerische Tätigkeit habe sich vor allem ihre Mitgliedschaft in der<br />
Gesellschaft der „Freien“ ausgewirkt. 486 Auch Anna Blos hielt eine Beschreibung von Astons<br />
Äußerem für erwähnenswert: Blondes lockiges Haar, blaue Augen, ein zartes Gesicht, eine eher<br />
große als kleine Statur hätten nicht ihre Wirkung verfehlt – eine Wirkung, der sie sich selbst sehr<br />
480 Ebd., S. 22.<br />
481 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts [VII]: Luise Aston. (Schluß). In: GL, 31/ 04/ 15.02.1921/ 32.<br />
482 Ebd.<br />
483 Ebd.<br />
484 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts [VII]: Luise Aston. In: GL, 31/ 03/ 01.02.1921/ 22.<br />
485 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts [VII]: Luise Aston. (Schluß). In: GL, 31/ 04/ 15.02.1921/ 31.<br />
486 Vgl. ebd.<br />
380
ewusst gewesen sei. 487<br />
4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN<br />
Blos bezeichnete Aston als „die entschiedenste <strong>und</strong> bedeutendste Vorkämpferin für die völlige<br />
Gleichberechtigung der Geschlechter“ 488 . Und als höchstes Recht galt ihr das Recht der „freien<br />
Persönlichkeit“ 489 . Diesem Lebens- <strong>und</strong> Liebesideal lebend starb Aston als freie Persönlichkeit.<br />
Zu den ersten Frauen Deutschlands, die den Mut hatten sich für die politische Gleichberechtigung<br />
des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts einzusetzen gehörte auch Louise Otto-Peters (1819-1895). <strong>Von</strong><br />
entscheidender Bedeutung für ihr Engagement war die 1848er-Revolution, während der sie ganz<br />
offen im Lager der „Rebellen“ 490 stand. In ihrem Nachruf auf diese Vorkämpferin musste Zetkin<br />
den „Gleichheit“-Leserinnen aber erklären, dass Otto-Peters trotzdem “keine der Unseren“ 491 war<br />
– auch wenn ihr „die proletarische Frauenwelt Anerkennung“ 492 schulde. In ihrem Artikel<br />
beschränkte sich Zetkin auf den politischen Werdegang <strong>und</strong> die politische Überzeugung Otto-<br />
Peters‘, nach welcher sie „eine ehrliche bürgerliche Demokratin“ 493 gewesen sei. Sie habe ge-<br />
legentlich Artikel im sozialdemokratischen „Volksstaat“ (1869-1879) veröffentlicht,<br />
„[a]ber je reinlicher sich allmälig die Scheidung zwischen bürgerlicher Demokratie<br />
<strong>und</strong> Sozialdemokratie vollzog, um so mehr ging ihr die Fühlung mit der letzteren<br />
verloren, <strong>und</strong> um so ausschließlicher widmete sie ihre bedeutende Kraft den Zielen<br />
der bürgerlichen Frauenbewegung“ 494 .<br />
Anders als andere bürgerliche Frauenrechtlerinnen blendete sie die Interessen der Proletarierinnen<br />
jedoch nicht vollkommen aus:<br />
„Der sozialdemokratischen Bewegung stand sie vorurtheilslos gegenüber, dem<br />
Leiden der Arbeiterklasse brachte sie warmes Mitgefühl, ihrem Ringen nach Befreiung<br />
Sympathie entgegen.“ 495<br />
Auch sie ist als ein „weiblicher Vollmensch“, als ein Vorbild proletarischer Frauen zu sehen, denn<br />
auch sie bewies einen „edle[n] Charakter“ <strong>und</strong> ein „selbstloses, aufopferndes Wirken“ 496 für die<br />
Sache der Frauenemanzipation.<br />
487 Vgl. Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts [VII]: Luise Aston. In: GL, 31/ 03/ 01.02.1921/ 22. Anna<br />
Blos verwies wie ihr Ehemann auf das vorteilhafte Porträt Astons in der „Leipziger Illustrierten Zeitung“.<br />
488 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts [VII]: Luise Aston. (Schluß). In: GL, 31/ 04/ 15.02.1921/ 32.<br />
489 Ebd.<br />
490 Luise Otto-Peters †. In: GL, 05/ 07/ 03.04.1895/ 56.<br />
491 Ebd.<br />
492 Ebd.<br />
493 Ebd.<br />
494 Ebd.<br />
495 Ebd.<br />
496 Ebd.<br />
381
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Im Gegensatz zu dem Zetkin‘schen Nachruf befasste sich Anna Blos‘ Artikel „Aus den Anfängen<br />
der Frauenbewegung“ auch mit dem Privatleben Otto-Peters‘. Außerdem ging Blos in der poli-<br />
tischen Einordnung Otto-Peters‘ wesentlich weiter als Zetkin. Sie war der Meinung, dass Otto-<br />
Peters die Gleichberechtigung der deutschen Frauen „im sozialistischen Sinne“ 497 gefordert habe,<br />
weil ihr die damit verb<strong>und</strong>ene Gleichverpflichtung selbstverständlich war. Otto-Peters sei<br />
„es zu danken, daß der soziale Gedanke an der Wiege der Frauenbewegung stand,<br />
<strong>und</strong> wenn die Frauenbewegung auch später in ein anderes Fahrwasser geriet <strong>und</strong><br />
geraten mußte, so waren doch die Ziele, die sie in den ersten Jahren ihrer Lebensäußerung<br />
verfolgte, vom sozialistischen Geiste erfüllt“ 498 .<br />
Zetkin schien dieser Einschätzung Blos‘ nicht widersprochen zu haben. Tatsächlich waren zu<br />
Anfang der organisierten Frauenbewegung viele Positionen noch nicht definiert. Neben dem Arti-<br />
kel von Blos ist es vor allem ein aus der Feder Mathilde Wurms stammender Beitrag, der die<br />
Gr<strong>und</strong>lage der folgenden biographischen Skizze Otto-Peters‘ darstellt.<br />
Louise Otto-Peters entstammte einer wohlhabenden bürgerlichen Familie, die im sächsischen<br />
Meißen lebte. Ihr Vater Fürchtegott Wilhelm Otto – Sohn eines Arztes <strong>und</strong> selbst Gerichtsdirektor<br />
– <strong>und</strong> ihre Mutter Charlotte – Tochter eines armen Porzellanmalers – führten eine liebevolle <strong>und</strong><br />
glückliche Ehe. Otto-Peters war die jüngste von vier Töchtern, ein „zartes <strong>und</strong> schwächliches<br />
Kind“ 499 . Auch dank eines guten <strong>und</strong> festen Einkommens des Vaters verlief ihre Jugend „voll un-<br />
getrübten Glücks“ 500 . Der Vater, den sie oft auf seinen Dienstreisen begleitete, sei für seine Zeit<br />
ein „‘moderner’ Mann“ 501 gewesen. Es war ihm eine Selbstverständlichkeit, dass sich seine Ehe-<br />
frau <strong>und</strong> seine Töchter durch Zeitungslektüre politisch bildeten, weil „auch die Frauen wissen<br />
müßten, was in der Welt vorging“ 502 . Die Mutter habe Otto-Peters die Liebe für die Poesie<br />
vermittelt <strong>und</strong> überhaupt genossen die Töchter eine Bildung, wie sie damals selbst in bürgerlichen<br />
Familien nicht üblich war. 503<br />
Die Julirevolution in Frankreich 1830 ließ auch in Sachsen auf ein liberaleres Regierungssystem<br />
hoffen. Auch die elfjährige Louise, die noch bevor sie lesen gelernt hatte, einmal gehörte Dramen<br />
<strong>und</strong> Gedichte aus dem Gedächtnis zu rezitieren vermochte, wurde mitgerissen <strong>und</strong> verfasste nun<br />
ihre ersten politischen Gedichte. In diese Zeit fiel zudem die Aufhebung der Geschlechts-<br />
vorm<strong>und</strong>schaft in Sachsen. Der Vater Otto-Peters‘ begrüßte die Aufhebung sehr <strong>und</strong> erklärte<br />
497 Blos, Anna: Aus den Anfängen der Frauenbewegung. In: GL, 17/ 23/ 11.11.1907/ 197.<br />
498 Ebd.<br />
499 Wurm, Mathilde: Luise Otto-Peters. In: GL, 23/ 12/ 05.03.1913/ 179.<br />
500 Ebd.<br />
501 Ebd.<br />
502 Ebd.<br />
503 Vgl. Blos, Anna: Aus den Anfängen der Frauenbewegung. In: GL, 17/ 23/ 11.11.1907/ 197.<br />
382
4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN<br />
seinen Töchtern deren enorme Tragweite in Bezug auf die Emanzipation der Frau – eine<br />
wesentliche Anregung für Otto-Peters, sich zunehmend für die Gleichberechtigung der Frau zu<br />
interessieren <strong>und</strong> einzusetzen.<br />
Das Familienglück wendete sich dramatisch, als 1835 erst eine Schwester <strong>und</strong> auch die Mutter an<br />
Schwindsucht starben. Nur vier Monate später starb auch der Vater. Diese harten Schicksals-<br />
schläge steigerten die „Weltabgewandtheit“ 504 , das Insichgekehrtsein <strong>und</strong> die Schwärmerei der 17-<br />
jährigen Otto-Peters. Mit einer Tante zogen die drei Schwestern für einen Sommer in das<br />
Familienlandhaus in Spaar, wo sich Otto-Peters vor allem der Naturbetrachtung <strong>und</strong> dem Verfas-<br />
sen von Gedichten widmete, welche 1847 als „Lieder eines deutschen Mädchens“ veröffentlicht<br />
werden sollten. Hier in Spaar „erwachte aber auch […] die denkende <strong>und</strong> kämp -<br />
fende Frau“ 505 in ihr. Sie wurde zur „überzeugten Demokratin“ 506 <strong>und</strong> Gegnerin von<br />
„Pfaffen- <strong>und</strong> Muckertum“ 507 . Ihr politisches Interesse <strong>und</strong> ihr dichterisches Talent waren für ein<br />
so junges Mädchen sehr ungewöhnlich. Ihre Verwandtschaft zeigte keinerlei Verständnis für ihr<br />
Verhalten. Besonders ihr Schwager – beide Schwestern hatten in der Zwischenzeit geheiratet –,<br />
ein Textilfabrikant aus Öderan im Erzgebirge, sah sich von ihr angegriffen. Tatsächlich war es<br />
Otto-Peters‘ erster Besuch in Öderan 1840 gewesen, der ihr die Augen für das Elend der<br />
Arbeiterfamilien öffnete. Ohne besondere Vorkenntnisse von politischer Theorie, von Kommu-<br />
nismus oder Sozialismus – ähnlich einer von jeder Bildung ausgeschlossenen Arbeiterin – stellte<br />
auch sie sich die alles entscheidende Frage, warum die einen in Wohlstand leben, während die<br />
anderen Not leiden. Allerdings sei, so Wurm, „[d]ie richtige Antwort, die der Sozialismus gibt,<br />
[…] nie bis zu ihrer Seele gedrungen“ 508 [Hervorhebung von M.S.].<br />
Eben noch eine schwärmerische Dichterin, sei in Öderan aus Otto-Peters „eine scharfblickende<br />
Kämpferin gegen die Leiden der Arbeiter geworden“ 509 .<br />
1841 verlobte sie sich mit dem Literaten Gustav Müller, der jedoch an Lungenschwindsucht er-<br />
krankte <strong>und</strong> in ihren Armen starb. 510 Sie stürzte sich in Arbeit <strong>und</strong> Studium <strong>und</strong> erlangte durch<br />
einen Verwandten die Gelegenheit, ihren ersten Roman „Ludwig der Kellner“ zu veröffentlichen.<br />
Dies war ein sozialer Roman <strong>und</strong> wenn Anfang des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts „schon längst vergessen“ 511 ,<br />
504 Wurm, Mathilde: Luise Otto-Peters. In: GL, 23/ 12/ 05.03.1913/ 179.<br />
505 Ebd., S. 180.<br />
506 Ebd.<br />
507 Ebd. Otto-Peters sei zwar gläubig, aber nicht „kirchengläubig“ (ebd.) geblieben.<br />
508 Wurm, Mathilde: Luise Otto-Peters (Fortsetzung.). In: GL, 23/ 13/ 19.03.1913/ 195.<br />
509 Ebd.<br />
510 Vgl. Blos, Anna: Aus den Anfängen der Frauenbewegung. In: GL, 17/ 23/ 11.11.1907/ 198.<br />
511 Wurm, Mathilde: Luise Otto-Peters (Fortsetzung.). In: GL, 23/ 13/ 19.03.1913/ 195.<br />
383
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
so war er damals jedoch „eine Tat“ <strong>und</strong> brachte seiner Verfasserin viel Lob <strong>und</strong> viel Tadel ein. Sie<br />
wurde Mitarbeiterin in Robert Blums „Vaterlandsblättern“, in denen sie unter dem Pseudonym<br />
„Otto Stern“ politische Artikel veröffentlichte <strong>und</strong> durch die sie in fre<strong>und</strong>schaftlichen Kontakt zu<br />
vielen demokratischen Kämpfern kam. 1843 veröffentlichte sie – unter ihrem richtigen Namen –<br />
ein Gedicht, das angesichts der demokratischen Aufbruchsstimmung der 1840er Jahre besonders<br />
gut aufgenommen wurde. Einer ihrer Romane war auch finanziell so erfolgreich, dass sie eine<br />
Deutschlandreise finanzieren konnte. Ergebnis dieser sehr aufschlussreichen Reise, die sie u. a.<br />
durch Thüringen <strong>und</strong> Sachsen führte <strong>und</strong> ein deutliches Zeichen ihrer Emanzipation war, wurde<br />
der Band „Frauenleben im Deutschen Reiche“ – ein Sitten- <strong>und</strong> Alltagsgemälde. 1847 vollendete<br />
Otto-Peters den Roman „Schloß <strong>und</strong> Fabrik“ – erneut ein sozialer Roman, in dem sie die<br />
Eindrücke von Öderan verarbeitet hatte – durfte ihn aber nicht im Original veröffentlichen. Es<br />
bedurfte ihres ganzen Engagements, um von den Behörden die Genehmigung für eine geänderte –<br />
d. h. zensierte – Fassung zu bekommen.<br />
Auch wenn Otto-Peters bereits in ihren Romanen Stellung für die ArbeiterInnen bezogen hatte, so<br />
war es doch vor allem ihre im Revolutionsjahr 1848 verfasste „Adresse eines deutschen<br />
Mädchens“, die für ihre Gesinnung sprach. Sie wandte sich darin an die neu gegründete<br />
Arbeiterkommission mit der Forderung, auch Arbeiterinnen aufzunehmen. Immer mehr Arbeiter<br />
<strong>und</strong> Arbeiterinnen – besonders aus Dresden – wandten sich daraufhin an Otto-Peters, wenn z. B.<br />
Versammlungen organisiert oder Petitionen abgefasst werden mussten. Otto-Peters „war die<br />
einzige Frau, die öffentlich in der politischen Bewegung stand <strong>und</strong> für das Recht der<br />
Arbeiter <strong>und</strong> Arbeiterinnen eintrat“ 512 . Ihr organisatorisches <strong>und</strong> rednerisches Talent<br />
bewies sie während des demokratischen Aufbruchs u. a. bei der Durchführung der Wahlen,<br />
bei der Gründung neuer Zeitschriften <strong>und</strong> der ersten Frauenvereine.<br />
Lange schon plante Otto-Peters die Herausgabe einer Frauenzeitschrift. Nachdem sie endlich<br />
einen Verleger für dieses Experiment gef<strong>und</strong>en hatte, wurde sie Herausgeberin der ersten<br />
politischen Frauenzeitschrift „Die Frauenzeitung“. Die vielen Schikanen der Behörden, Verhöre,<br />
Haussuchungen <strong>und</strong> auch Ausweisungen, die Otto-Peters zu erdulden hatte, belegen, dass diese<br />
Zeitschrift alles andere als belächelt wurde.<br />
Ihr privates Glück fand Otto-Peters in der Beziehung zu dem Lehrer <strong>und</strong> Schriftsteller August<br />
Peters (Schriftstellerpseudonym Elfried von Taura), den sie bereits bei ihrem Aufenthalt in Öderan<br />
kennengelernt hatte. Lange hatte dann nur ein schriftlicher Kontakt <strong>und</strong> das gegenseitige Interesse<br />
für die jeweiligen Veröffentlichungen des anderen bestanden. Bei den Aufständen in Süddeutsch-<br />
land wurde Peters 1848 als Major der badischen Revolutionsarmee gefangen genommen <strong>und</strong> in<br />
512 Ebd.<br />
384
4.1.4 DEUTSCHE FREIHEITSKÄMPFERINNEN UND DEMOKRATINNEN<br />
die Rastatter Festung gebracht, wo Otto-Peters ihn besuchte. Seitdem betrachteten sie sich als<br />
verlobt. Glücklicherweise wurde Peters nicht wie befürchtet zum Tode verurteilt. Bis er 1856<br />
endlich entlassen wurde, gab Otto-Peters ihrer Sehnsucht nach dem Verlobten in ihren „Liedern an<br />
einen Gefangenen“ Ausdruck. 1858 heiratete das Paar. Peters gründete erst in Meißen das Ge-<br />
werbeblatt „Glück auf“ (?-?), dann in Leipzig die „Mitteldeutsche Volkszeitung“ (?-?). 513<br />
Schließlich erlag er 1864 den körperlichen Leiden, die ihm die lange Haftzeit zugefügt hatte.<br />
Otto-Peters, die ihren Ehemann bis zum Tode liebevoll gepflegt hatte, hatte sich in der Zeit der<br />
Verfolgung innerlich resignierend dem historischen Roman zugewandt. 514 Erst „[d]er Einfluß<br />
verschiedener Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>innen bewirkte, daß sich Luise Otto-Peters der bürgerlichen<br />
Frauenbewegung anschloß, für die in Leipzig damals der Boden vorbereitet worden war“ 515 .<br />
Wurm hielt es demnach nicht für abwegig, dass sich Otto-Peters durchaus auch für die Arbeit in<br />
der proletarischen Frauenbewegung hätte entscheiden können. Zumindest teilten sie den Gr<strong>und</strong>-<br />
satz, dass „in der Frauenbewegung von heute nicht de[r] Kampf gegen den Mann“ 516 zu sehen sei.<br />
Wurm beschrieb in ihrem Artikel im Gegensatz zu Blos nun auch die Arbeit Otto-Peters als<br />
Begründerin der deutschen Frauenbewegung <strong>und</strong> betrachtete kritisch ihr Verhältnis zu Arbeiter-<br />
bewegung. Trotz ihrer früheren Nähe zu den Arbeitern habe sie kein Verständnis für deren<br />
geschichtliche Klassenlage gehabt. Gebrauchte sie in ihren Schriften den Begriff des Sozialismus<br />
– z. B. in „Das Recht der Frauen auf Erwerb“ (1866) – so sei es in ihrem Wortsinn<br />
„nichts gewesen als ein verschwommener Nachklang des bürgerlichen schöngeistigen<br />
Gefühlssozialismus aus den vierziger Jahren, der mit dem Endziel der<br />
kämpfenden Arbeiterklasse nichts gemein hatte“ 517 .<br />
Den Schritt von einer demokratischen Gesinnung weiter zur Sozialdemokratie ging Otto-Peters<br />
nicht. Wurm warf ihr vor, nicht mit einem einzigen Wort dagegen protestiert zu haben, dass der<br />
1894 gegründete BDF Arbeiterinnenvereine von der Mitgliedschaft ausschloss. Sie schrieb dieses<br />
Verhalten jedoch nicht einer „Wankelmütigkeit der Überzeugung“ 518 zu, sondern der immer größer<br />
werdenden Kluft der Klassen <strong>und</strong> so habe „[a]uch eine Frau von der Vergangenheit <strong>und</strong> der demo-<br />
kratischen Gesinnung Luise Otto-Peters […] sich dem Einfluß ihrer Klassenlage nicht entziehen“<br />
519 können. <strong>Von</strong> einer Greisin habe man nicht mehr erwarten können, dass sie diesen durch ein<br />
wissenschaftliches Studium überwinde. Otto-Peters „hatte in ihrer Weise der Allgemeinheit das<br />
513 Zu diesen Zeitschriften <strong>und</strong> ihren Verlauf konnten in der ZDB keine eindeutigen Hinweise gef<strong>und</strong>en werden.<br />
514 Vgl. Blos, Anna: Aus den Anfängen der Frauenbewegung. (Schluß.). In: GL, 17/ 24/ 25.11.1907/ 208.<br />
515 Ebd.<br />
516 Ebd.<br />
517 Wurm, Mathilde: Luise Otto-Peters (Schluß.). In: GL, 23/ 14/ 02.04.1913/ 213.<br />
518 Ebd.<br />
519 Ebd.<br />
385
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Beste von dem gegeben, was sie zu geben vermochte“ 520 <strong>und</strong> so würdigte die „Gleichheit“ sie als<br />
„eine der tapfersten Vorkämpferinnen für die Rechte des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts“ 521 .<br />
Dieses tat die „Gleichheit“ ein weiteres Mal anlässlich Otto-Peters‘ 100. Geburtstag. In ihrer<br />
Würdigung schrieb Blos, dass für die Sozialistinnen sowohl Otto-Peters‘ Leben <strong>und</strong> Wirken für<br />
die Gleichberechtigung der Frau als auch ihre „Adresse eines deutschen Mädchens“ „besonders<br />
bedeutungsvoll“ 522 sei. Schließlich rühmte Otto-Peters darin die richtige Wahrnehmung der Ar-<br />
beiter, die die „Männer des Staates, der Wissenschaft usw. beschämt hätten, weil diese nie daran<br />
gedacht hätten, in der Frau etwas anderes zu sehen als eine Sklavin, eine Puppe, niemals aber ein<br />
gleichberechtigtes Wesen“ 523 .<br />
Ein besonderes Augenmerk richtete Blos auf die Liebesbeziehung mit Peters:<br />
„Der Sohn des Volkes <strong>und</strong> die Beamtentochter fanden sich in der Liebe zur Freiheit<br />
des Volkes, <strong>und</strong> diese Liebe führte zu einem Bündnis ihrer Herzen.“ 524<br />
Ihre gemeinsame politische Weltanschauung war ein wichtiges F<strong>und</strong>ament ihrer Beziehung. Und<br />
so ist auch Blos‘ Aussage, dass nach dem Tod des Ehemannes Otto-Peters‘ „Weg mehr <strong>und</strong> mehr<br />
zur bürgerlichen Frauenbewegung“ 525 geführt habe vieldeutig. Sprach dies <strong>und</strong> auch der Einfluss<br />
ihrer Fre<strong>und</strong>e für eine wenig „vollmenschliche“ Persönlichkeit?<br />
Blos sah das wahre Problem darin liegen, dass es zu jener Zeit keine „eigentlich sozialistische<br />
Frauenbewegung“ gegeben habe, der sich Otto-Peters hätte anschließen können. Sie ist aber<br />
davon überzeugt, Otto-Peters habe „in ihren letzten Lebensjahren […] wohl erkannt, daß der Sozi-<br />
alismus allein ihr die Möglichkeit zur Erfüllung ihrer Forderungen gegeben hätte“ 526 , so wie sie<br />
„als erste deutsche Frau erkannt[…][habe], daß die Arbeiterschaft als erste <strong>und</strong><br />
einzige Partei den heute verwirklichten Beschluß faßt, den Frauen die Fesseln abzunehmen,<br />
ihnen die Gleichberechtigung einzuräumen“ 527 .<br />
Das Beispiel Otto-Peters‘ steht demnach für einen „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“, der gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
herausragende geistige Fähigkeiten <strong>und</strong> Charaktereigenschaften besaß, diese aber in letzter Kon-<br />
sequenz für eine falsche Sache einsetzte.<br />
520 Ebd.<br />
521 Ebd.<br />
522 Blos, Anna: Zum h<strong>und</strong>ertsten Geburtstag von Luise Otto-Peters. In: GL, 29/ 13/ 28.03.1919/ 101.<br />
523 Ebd.<br />
524 Ebd.<br />
525 Ebd., S. 102.<br />
526 Ebd., S. 101.<br />
527 Ebd.<br />
386
4.1.5 Frauen „von sozialistischer Gesinnung“<br />
4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“<br />
Die biographische Skizze der Romanschriftstellerin George Sand (1804-1876) rückt erneut<br />
Frankreich in den Mittelpunkt der Betrachtungen. Für den Schriftsteller Hermann Thurow<br />
(?-?) 528 , der diesen Artikel anlässlich des 100. Geburtstages der Französin verfasste, war Sand<br />
„[u]nter den Frauen, die im letzten Jahrh<strong>und</strong>ert zugleich für die Befreiung ihres<br />
Geschlechts <strong>und</strong> die der Proletarierklasse auf dem Boden des Sozialismus<br />
kämpften […] eine der tapfersten <strong>und</strong> die genialste“ 529 .<br />
Sie habe auf besondere Weise die französische Dichtung beeinflusst. Ähnlich wie Honoré de<br />
Balzac habe sie in ihre Werke stets soziale <strong>und</strong> moderne Inhalte einbezogen. Sands Werk zeichne<br />
sich vor allem dadurch aus, dass sie zwar wie Balzac von dem ausgehe, was ist,<br />
„aber die Gegenwart immer im Sinne der Zukunft deute[…] <strong>und</strong> nie versäum[e],<br />
die Gesellschaft, in der sie lebt, in Gegensatz zu setzen mit einer anderen, die sie<br />
ersehnt, <strong>und</strong> für die sie kämpft“ 530 .<br />
Sei demnach Balzac der Bahnbrecher des Naturalismus, so gelte Sand als herausragende<br />
Vertreterin des idealistischen Romans.<br />
George Sand wurde als Aurore Dupin in Paris geboren. <strong>Von</strong> 1817 bis 1820 lebte sie in einem<br />
Kloster, dessen Erziehung sie, so Thurow, „dem religiösen Wahnsinn“ 531 nahegebracht habe. Unter<br />
dem Einfluss eines Erziehers beschäftigte sie sich jedoch mit den Lehren Voltaires, welche ihrer<br />
Entwicklung eine andere Richtung gaben – wenn auch „[e]ine leise religiöse Schwärmerei“ 532<br />
geblieben sei. 1822 lernte Sand Baron Casimir Dudevant kennen – von Thurow verächtlich als<br />
„Landjunker“ 533 bezeichnet – <strong>und</strong> heiratete ihn noch im gleichen Jahr. Ihre Ehe wurde jedoch die<br />
„denkbar unglücklichste“ 534 , denn Dudevant war ein Despot <strong>und</strong> Ehebrecher. Sand – mittlerweile<br />
Mutter zweier Kinder – wurde von ihm misshandelt, weshalb sie nach Paris floh. Hier begann sie<br />
zu schreiben <strong>und</strong> veröffentlichte Artikel in der Zeitung „Le Figaro“ (seit 1826) <strong>und</strong> in oppositio-<br />
528 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine eindeutigen biographischen Informationen<br />
zu Hermann Thurow. Ein Schriftsteller gleichen Namens stammte gebürtig aus Rumohr in Schleswig-<br />
Holstein <strong>und</strong> wirkte später in der schweizerischen Genossenschaftsbewegung. Er verfasste u. a.: „Die praktischen<br />
Erfolge der Achtst<strong>und</strong>en-Agitation“ (1898), „Kinder-Idyllen“ (1908), „Jochen Bünz. Ein Jugendroman“ (1918),<br />
„Flug in die Welt“ (Gedichte 1928). Aus seiner Feder stammt außerdem das sozialistische Theaterstück „Dämon<br />
Alkohol“ (Dialog in einem Aufzug nach Maurice Bouchors „Die Muse <strong>und</strong> der Arbeiter“, 1902) <strong>und</strong> die Einleitung<br />
zur 1925 erschienenen deutschen Übersetzung von Charles Fouriers „Der sozietäre Reformplan“. Für die<br />
„Gleichheit“ verfasste er u. a.: Die Proletarierfrau in der neueren französischen Lyrik. In: GL, 08/ 23/ 09.11.1898/<br />
180-183; GL, 08/ 24/ 23.11.1898/ 188-190.<br />
529 Thurow, H[ermann]: George Sand. In: GL, 14/ 15/ 13.07.1904/ 116.<br />
530 Ebd.<br />
531 Ebd.<br />
532 Ebd.<br />
533 Ebd.<br />
534 Ebd.<br />
387
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
nellen Blättern. Es entstand eine Fre<strong>und</strong>schaft zu dem Schriftsteller Jules Sandeau, dessen Name<br />
sie zu ihrem eigenen Pseudonym inspirierte. 1832 veröffentlichte Sand ihren ersten Roman<br />
„Indiana“, dem schon bald darauf der zweite, „Valentine“ (1832), folgte. Hauptthema dieser auto-<br />
biographischen Romane sind Probleme der Geschlechterbeziehungen, die Sand, so Thurow, „[i]n<br />
einfacher, edler Sprache, ohne weichliche Sentimentalität, aber auch ohne Prüderie erörter[e]“ 535 .<br />
Sands eigenes Liebesleben gestaltete sich sehr unkonventionell. Bereits vor ihrer Scheidung, in<br />
die ihr Ehemann erst 1838 einwilligte, hatte sie mehrere Beziehungen gehabt – wurde jedoch<br />
immer enttäuscht. Durch die Lektüre frühsozialistischer Schriften gelangte Sand zu der<br />
Erkenntnis, dass nicht in vermeintlich naturgegebenen unterschiedlichen Wesensarten der<br />
Geschlechter die Ursache ihrer Konflikte zu suchen seien, sondern in der Institution der Ehe.<br />
Diese Erkenntnis habe Sand laut Thurow dazu geführt, „ihren Kampf gegen die Männerwelt“ 536<br />
<strong>und</strong> deren vermeintliche Vorrechte wie „Treulosigkeit <strong>und</strong> Tyrannei“ 537<br />
„auf die Gesellschaft zu übertragen, die Ehe <strong>und</strong> alle sie stützenden Einrichtungen<br />
<strong>und</strong> Faktoren zu bekämpfen, Sozialistin zu werden“ 538 .<br />
Ein recht ungewöhnlicher Weg zum Sozialismus, der interessanterweise seinen Ausgangspunkt in<br />
einem feministischen Bewusstsein hatte.<br />
Sands Roman „Jacques“ (1834) weist eine erste Einwirkung ihrer sozialistischen Überzeugung<br />
auf <strong>und</strong> zugleich legte Sand ihrer männlichen Titelfigur ihre Kritik an der Ehe in den M<strong>und</strong>.<br />
Jacques erklärt seiner Geliebten, warum er den gesellschaftlich von ihr erwarteten Treueschwur<br />
ablehnt:<br />
„‘Die Gesellschaft […] wird Ihnen eine Schwurformel diktieren. Sie werden<br />
schwören, mir treu <strong>und</strong> gehorsam zu sein, das heißt, niemals jemanden anders zu<br />
lieben als mich <strong>und</strong> mir in allem zu gehorchen. Der eine dieser Schwüre ist eine<br />
Dummheit, der andere eine Erniedrigung. Sie können sich für Ihr Herz nicht<br />
verbürgen, selbst wenn ich der größte <strong>und</strong> vollkommenste aller Männer wäre. Sie<br />
dürfen nicht versprechen, mir zu gehorchen, weil das uns beide erniedrigen<br />
hieße.’“ 539<br />
Es ist ein Plädoyer für die freie Liebe, für den freien Willen <strong>und</strong> die freie Entscheidung einer<br />
Trennung, wenn die Liebe erloschen ist. Dieser in ihren Romanen zu Tage tretende Idealismus<br />
Sands stehe laut Thurow jedoch nicht im Widerspruch zu ihrer Erkenntnis, dass die Fragen um<br />
Ehe <strong>und</strong> „freie Liebe“ 540 ihrer Lösung erst dann näher kommen werden, wenn sich eine höhere<br />
535 Ebd.<br />
536 Ebd., S. 117.<br />
537 Ebd.<br />
538 Ebd.<br />
539 George Sand zit. nach: Thurow, H[ermann]: George Sand. In: GL, 14/ 16/ 27.07.1904/ 125.<br />
540 Zum Begriff der „freien Liebe“ siehe: Schenk, Freie Liebe – wilde Ehe.<br />
388
4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“<br />
„moralische <strong>und</strong> geistige Entwicklung der Gesellschaft“ 541 vollzogen habe. Einen Beitrag zur<br />
Geschichte der geheimen Arbeiterverbindungen <strong>und</strong> zum Einfluss der Utopisten stellt ihr Roman<br />
„Le Compagnon du Tour de France“ (1840) dar. 542 Thurow war jedoch der Meinung, dass „am<br />
reinsten <strong>und</strong> schlackenfreiesten“ 543 der Roman „Horace“ (1841) Sands sozialistische Überzeugung<br />
widerspiegele.<br />
Mit der Niederlage der Pariser Kommune 1871 sei allerdings Sands Glauben an die proletarische<br />
Mission sehr erschüttert worden <strong>und</strong> sie habe Abstand zu den radikalen politischen Strömungen<br />
genommen. Eine konkrete Reaktion Sands auf das Scheitern der Pariser Kommune führte Thurow<br />
nicht an. Jedoch scheint es, dass ihr Rückzug aus dem politischen Leben davon begleitet wurde,<br />
dass sich Sand laut Thurow nun bevorzugt geschichtlichen Stoffen widmete.<br />
Thurow schloss seine Ausführungen mit der Einschätzung, dass „keine der anderen großen Frauen<br />
des Jahrh<strong>und</strong>erts eine gleich optimistische, kampfbegeisterte Verfechterin neuer Ideale<br />
gewesen“ 544 sei. Sands Ideale, so Thurow, waren die Ideale der „kämpfenden Frauen <strong>und</strong> Männer<br />
des Proletariats“ 545 <strong>und</strong> demnach auch die Ideale der Leserinnen <strong>und</strong> Leser der „Gleichheit“.<br />
Thurows biographische Darstellung lässt es zu, Sand sowohl dem Leitbild eines „<strong>weiblichen</strong><br />
Vollmenschen“ als auch dem einer „Klassenkämpferin“ zuordnen – Letzteres allerdings dadurch<br />
eingeschränkt, dass die Form des Sozialismus, dem sie anhing eines wissenschaftlichen<br />
F<strong>und</strong>aments entbehrte.<br />
Wie Sand war auch Barbara Nikitin-Gendre (1842-1884) eine Persönlichkeit von internationalem<br />
Ruf. Zeugnis dafür war die Zusammensetzung der Trauergesellschaft, die 1884 in Paris am Grabe<br />
der an einer Lungenentzündung gestorbenen „Bürgerin der sozialistischen Zukunft“ 546 zusam-<br />
menkam.<br />
Nikitin-Gendre wurde 1842 im russischen Kronstadt geboren, entstammte aber einer fran-<br />
zösischen Emigrantenfamilie. Als ihre hervorragendsten Charaktereigenschaften <strong>und</strong> geistigen<br />
Fähigkeiten nannte Zetkin, die hier als Verfasserin des ungezeichneten Artikels 547 zu vermuten ist,<br />
541 Thurow, H[ermann]: George Sand. In: GL, 14/ 16/ 27.07.1904/ 125.<br />
542 Ebd. Thurow schrieb zu der Begeisterung für die Ideen der Utopisten <strong>und</strong> damit im übertragenen Sinne auch für<br />
utopische Romane: „Je weiter das Bild der Ideen hinausgeht über die dunkle Umgebung, desto mächtiger<br />
stimuliert es in schwärmerischen Seelen den Drang, mit dem Alten zu brechen.“ (ebd.).<br />
543 Ebd.<br />
544 Ebd., S. 126.<br />
545 Ebd.<br />
546 Barbara Nikitin-Gendre. In: GL, 02/ 12/ 15.06.1892/ 103.<br />
547 Zetkin nannte keinen konkreten Anlass für die Publikation des biographischen Artikels. Vermutlich wollte Zetkin<br />
den 50. Geburtstag Nikitin-Gendres ehren.<br />
389
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
„ein schnelles Erfassen <strong>und</strong> leidenschaftliches Festhalten von Ideen, schwärmerische<br />
Liebe für Ideale <strong>und</strong> einen nicht zu stillenden Wissensdurst“ 548 .<br />
Nachdem die Mutter früh verstorben war, willigte der Vater ein, dass Nikitin-Gendre ein Institut<br />
für höhere Töchter in Kiew besuchte. Wie manche andere Tochter aus Großbürgertum <strong>und</strong> Adel<br />
kam auch sie in den Genuss finanzieller Unterstützung durch die Zarenfamilie. Im Institut wurde<br />
sie in Sprachen, Literatur <strong>und</strong> Naturwissenschaften unterrichtet, doch besondere Begeisterung<br />
entwickelte sie für das Studium der Geschichte der Französischen Revolution. Deren Ideale von<br />
Freiheit, Gleichheit <strong>und</strong> Brüderlichkeit hätten Nikitin-Gendre, so Zetkin, in „eine überzeugte Re-<br />
publikanerin“ 549 verwandelt <strong>und</strong> aus dem Studium der Naturwissenschaften <strong>und</strong> der Philosophie<br />
habe ihr Bruch mit der Religion resultiert. Schließlich nahm Nikitin-Gendre entschieden den<br />
Standpunkt des wissenschaftlichen Materialismus ein. 550 Diese bemerkenswert radikale geistige<br />
Entwicklung entsprang nach Meinung Zetkins keinem Gefühlssozialismus, sondern echter<br />
wissenschaftlicher Erkenntnis – sie gibt damit ein Beispiel für den idealen Verlauf politischer bzw.<br />
sozialistischer Frauenbildung, wie ihn die proletarische Frauenbewegung anstrebte.<br />
„‘[D]en eigentlichen Fehler ihres Lebens beging’“ 551 Nikitin-Gendre nach Meinung Zetkins<br />
jedoch, indem sie einen Mann heiratete, der sie zwar sehr geliebt, der aber ihre Erkenntnisse <strong>und</strong><br />
ihre politische Überzeugung nicht geteilt habe. Zwar hinderte ihr Ehemann sie nicht daran, sich<br />
auch weiterhin durch Lektüre der Werke von Charles Darwin, dem Kulturhistoriker Henry<br />
Thomas Buckle oder John Stuart Mill weiterzubilden, jedoch waren Nikitin-Gendres Ansprüche<br />
an eine Ehe so hoch, dass eine – wenn auch fre<strong>und</strong>schaftliche – Trennung unumgänglich wurde.<br />
Nikitin-Gendre ging nach Italien. In den elf Jahren, die sie dort verlebte, beschäftigte sie sich mit<br />
verschiedenen wissenschaftlichen Studien. 1878 siedelte sie nach Paris über, wo sie laut Zetkin<br />
Mitarbeiterin verschiedener Zeitungen <strong>und</strong> Zeitschriften wurde. Während der revolutionären<br />
Vorgänge in ihrer russischen Heimat bemühte sie sich, in ihrer Umgebung Verständnis <strong>und</strong> Sym-<br />
pathie für deren „heroische[…] <strong>und</strong> opferfreudige[…] Träger“ 552 zu wecken. Auch für das weib-<br />
liche Recht auf Bildung habe sie „ihre Feder zum Schwert“ 553 werden lassen. Nikitin-Gendres<br />
Leben <strong>und</strong> Wirken, so Zetkin resümierend, sei<br />
548 Ebd., S. 104.<br />
549 Ebd.<br />
550 Vgl. ebd.<br />
551 Ebd.<br />
552 Ebd.<br />
553 Ebd.<br />
390<br />
„ein leuchtendes Beispiel dafür, was ein starker Geist <strong>und</strong> ein warmes Herz über<br />
einen gebrechlichen Körper vermögen“ 554 .
4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“<br />
Nikitin-Gendres Funktion als Leitfigur ist im Rahmen dieser Arbeit <strong>und</strong> anhand der Ausführungen<br />
Zetkins nicht eindeutig zu charakterisieren. Zwar hatte sie nicht wie andere Russinnen den<br />
revolutionären Weg gewählt <strong>und</strong> sich den Kämpfen in ihrer Heimat angeschlossen, doch verfügte<br />
sie über eine wissenschaftlich f<strong>und</strong>ierte sozialistische Einstellung. Sie war demnach keine<br />
„klassische“ Klassenkämpferin, aber ein sozialistisch gesinnter „weiblicher Vollmensch“, der all<br />
seine Fähigkeiten <strong>und</strong> Kenntnisse in den Dienst der Sache stellte.<br />
Lediglich in einer kurzen Notiz wird der Tod Eugénie Potonié-Pierres (1844-1898) 555 in der<br />
„Gleichheit“ bekannt gegeben. Laut deren Urteil war die Französin „eine der rührigsten“ 556<br />
Frauenrechtlerinnen ihres Landes <strong>und</strong> gehörte der „sozialistisch angehauchten Richtung der<br />
französischen Frauenrechtelei“ 557 an. Wenn auch nur vom Sozialismus „angehaucht“, unterschied<br />
sich Potonié-Pierre demnach doch zu deutschen bürgerlichen Frauenrechtlerinnen. Sie habe, so<br />
Zetkin weiter, zwar mit „größter Selbstlosigkeit, Aufopferung <strong>und</strong> nie rastender Energie für die<br />
soziale Gleichstellung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts gekämpft“ 558 , aber dabei eine „unklare <strong>und</strong><br />
verworrene Auffassung der Frauenfrage“ 559 vertreten. Die „Gleichheit“ ehrte die „Lauterkeit <strong>und</strong><br />
de[n] Idealismus ihres Charakters <strong>und</strong> Strebens“ 560 – Eigenschaften, die es rechtfertigen ihr als<br />
Beispiel eines „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ zu gedenken.<br />
Die Chronologie der biographischen Skizzen hat sich nun der Erscheinungszeit der „Gleichheit“<br />
<strong>und</strong> der Gründungsphase der deutschen proletarischen Frauenbewegung genähert. Auch in deren<br />
Organisationen sind Frauen zu finden, die weniger dem Leitbild der „Klassenkämpferin“ als dem<br />
des „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ zuzuordnen sind. Hierzu gehört ? Luther (?-1898), die sehr<br />
bescheidenen Verhältnissen entstammte. Ihr Alltag erlaubte ihr kaum irgendeine Ablenkung, aber<br />
sie habe, so der vermutlich von Zetkin verfasste Nachruf,<br />
„durch geschickte Eintheilung der Arbeiten, oft durch Ueberanstrengung […] die<br />
Muße erkaufen [können], zu lesen, zu lernen, für ihre Ideale zu wirken“ 561 .<br />
Luther war die Ehefrau, tüchtige Hausfrau <strong>und</strong> Mitarbeiterin eines, wie Zetkin es definierte, an<br />
554 Ebd.<br />
555 Potonié-Pierre gründete 1892 den „Verband der französischen Frauenvereine“ <strong>und</strong> war vermutlich verwandt oder<br />
verheiratet mit dem Pazifisten <strong>und</strong> Schriftsteller Edmond Potonié-Pierre.<br />
556 Frau Potonié-Pierre, eine der rührigsten französischen Frauenrechtlerinnen, ist kürzlich in Paris verstorben. In:<br />
GL, 08/ 17/ 17.08.1898/ 136.<br />
557 Ebd.<br />
558 Ebd.<br />
559 Ebd.<br />
560 Ebd.<br />
391
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
der „Schwelle des Proletariats“ 562 stehenden Dresdner Kleinindustriellen <strong>und</strong> außerdem Adoptiv-<br />
mutter eines Kindes. Sie teilte die politische Überzeugung ihres Ehemannes <strong>und</strong> wurde 1894<br />
Mitglied des Dresdner Arbeiterinnenbildungsvereins. Sie engagierte sich innerhalb der Arbeiter-<br />
bewegung vor allem in der mündlichen Agitation unter ihren Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Bekannten <strong>und</strong> in der<br />
Verbreitung von Flugblättern. „Aemter <strong>und</strong> größere Aufgaben in der Dresdener proletarischen<br />
Frauenbewegung“ 563 , so Zetkin, habe Luther „bescheiden mit der Begründung ab[gelehnt], daß sie<br />
noch lernen müsse, um mehr leisten zu können“ 564 . Wahrscheinlich sah sie sich wegen ihrer<br />
mangelnden Kenntnisse des wissenschaftlichen Sozialismus als nicht geeignet, eine leitende<br />
Position einzunehmen. Ihr Wirkungskreis blieb sehr überschaubar <strong>und</strong> sie hatte keinerlei Ambi-<br />
tionen, darüber hinauszugehen. Aufgr<strong>und</strong> des Eindruckes, den Zetkin von den Eigenschaften <strong>und</strong><br />
dem Engagement Luthers vermittelte, ist es fraglich, ob ihre Überzeugung über die einer Gefühls-<br />
sozialistin hinausging. Ihr erklärter Wille zu lernen, ihr Bildungsdrang, zeichnen sie zumindest als<br />
„<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ aus. Insgesamt sei sie eine Vorkämpferin sozialistischer Ideale ge-<br />
wesen, eine der Frauen,<br />
„deren Name[sic] zwar nicht in weitere Kreise dringt[sic], die aber ein leuchtendes<br />
Beispiel sind für Tausende <strong>und</strong> Tausende, die dem Werden der neuen, besseren Zeit<br />
stumpfsinnig <strong>und</strong> thatenlos gegenüberstehen“ 565 .<br />
Eine resümierende Aussage, die nochmals die Ausgangsthese dieser Arbeit bekräftigt: Dem Leben<br />
historischer Persönlichkeiten oder – wie in diesem Fall – verstorbener Genossinnen wurde inner-<br />
halb der proletarischen Frauenbewegung eine besondere Vorbildfunktion zugeschrieben.<br />
Die Informationen, die die „Gleichheit“ in ihrem Nachruf auf Barbara Alexandrowna<br />
Kaschewarowa-Rudnewa (1842-1899) gibt, lassen keine konkreten Aussagen zu deren politischer<br />
Gesinnung treffen. Doch verschiedene Eigenschaften machen sie zum „<strong>weiblichen</strong> Voll-<br />
menschen“. Sie war eine Pionierin des Frauenstudiums <strong>und</strong> die erste Frau, die zu einem medizi-<br />
nischen Studium an der medico-chirurgischen Akademie in Sankt Petersburg 566 zugelassen wurde.<br />
Ihr Weg dorthin begann in den 1860er Jahren mit einem selbstbewussten Auftritt beim damaligen<br />
Kriegsminister. Kaschewarowa-Rudnewa sprach bei ihm als eine Vertreterin der <strong>weiblichen</strong><br />
Bevölkerung des Uralgebietes vor <strong>und</strong> überbrachte ihm die Forderung dieser Frauen, auf keinen<br />
561 Eine treue Parteigenossin… In: GL, 09/ 02/ 18.01.1899/ 13.<br />
562 Ebd.<br />
563 Ebd., S. 14.<br />
564 Ebd.<br />
565 Ebd., S. 13.<br />
566 Die medico-chirurgische Akademie in Sankt Petersburg wurde 1798 gegründet.<br />
392
4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“<br />
Fall von männlichen Ärzten, sondern von einer medizinisch ausgebildeten Frau behandelt zu<br />
werden. 567 Daraufhin erhielt Kaschewarowa-Rudnewa ein Stipendium der uralischen Kosaken <strong>und</strong><br />
beendete 1868 ihr mutig erstrittenes Medizinstudium als erste russische Ärztin.<br />
So wie sie ihre Studienzulassung im Rahmen einer sozialpolitischen Forderung erkämpft hatte, so<br />
sei ihre Arbeit als Ärztin,<br />
„dadurch besonders bedeutsam, daß sie mit der ärztlichen Sachkenntniß <strong>und</strong><br />
Pflichttreue ernste sozialpolitische Kenntnisse <strong>und</strong> tiefes Verständniß für die<br />
Bedürfnisse der Volksmassen“ 568<br />
verknüpft habe. Es war ihr allgemein aufklärerisches Engagement für die untere Gesellschafts-<br />
schicht, welches sie als einen „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ auszeichnete.<br />
Um das Leben <strong>und</strong> Wirken Beatrice Webbs (1858-1943) zu würdigen, griff die „Gleichheit“ auf<br />
einen 1897 erschienenen Artikel der Wiener „Arbeiterinnen-Zeitung“ zurück. Nicht ersichtlich ist<br />
allerdings, ob Zetkin redaktionelle Änderungen daran vorgenommen hatte.<br />
Webb wurde als jüngstes Kind des englischen „Eisenbahnkönigs“ Richard Potter geboren. Potter<br />
ließ seinen Kindern eine sehr gute Erziehung angedeihen <strong>und</strong> bereits im Alter von zehn Jahren<br />
begleitete Webb ihren Vater auf seinen Reisen in die USA. Sie übernahm später für ihn die<br />
Aufgaben einer Sekretärin <strong>und</strong> genoss sein vollstes Vertrauen. Webb war 20 Jahre alt, als ihre<br />
hochgebildete <strong>und</strong> für moderne Ideen sehr zugängliche Mutter starb. Da ihre Schwestern bereits<br />
verheiratet waren, übernahm Webb die Haushaltsführung auf den väterlichen Besitzungen <strong>und</strong><br />
sammelte bei dieser Gelegenheit viele praktische Erfahrungen. Schließlich begann Webb ein<br />
Studium der Nationalökonomie <strong>und</strong> der Statistik bei dem Philosophen <strong>und</strong> Soziologen Herbert<br />
Spencer. Dieser habe seine „Lieblingsschülerin“ 569 wie einen männlichen Studenten behandelt <strong>und</strong><br />
besonders deren „Anlage zur kritischen Zergliederung <strong>und</strong> zur wissenschaftlichen Genauigkeit“ 570<br />
ausgebildet.<br />
Ein Onkel Webbs hatte aus Liebe zu einer Müllerin auf allen ererbten Besitz verzichtet <strong>und</strong> das<br />
Müllerhandwerk erlernt. Webb hatte zu diesem Teil ihrer Verwandtschaft keinerlei Kontakt, wollte<br />
sich aber ein Bild von dessen Lebensverhältnissen machen. Webb plante ihren ersten Feldversuch.<br />
Inkognito <strong>und</strong> in ärmlicher Kleidung habe sie Einlass in die Familie gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong>, so die „Gleich-<br />
heit“, festgestellt,<br />
„daß diese einfachen Menschen aus dem Volke der Wahrheit aller Dinge näher<br />
567 Tod der ersten russischen Aerztin. In: GL, 09/ 13/ 21.06.1899/ 104<br />
568 Vgl. ebd.<br />
569 Beatrice Webb. In: GL, 07/ 14/ 07.07.1897/ 108.<br />
570 Ebd.<br />
393
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
standen, als die künstliche Gesellschaft, der sie in den Londoner Salons begegnete“<br />
571 .<br />
Jener „künstlichen Gesellschaft“ stand Webb prinzipiell ablehnend gegenüber. Diese Ablehnung<br />
habe sich u. a. daran gezeigt, dass sie weiterhin für ihren Vater als dessen Krankenpflegerin, Ver-<br />
walterin <strong>und</strong> Sekretärin arbeitete.<br />
Webbs schriftstellerische Begabung offenbarte sich in einem unter Pseudonym verfassten offenen<br />
Brief zur Arbeitslosenfrage, den sie an die „Pall Mall Gazette“ (1865-1921) schickte. 1886 zog sie<br />
nach London, wo sie finanziell unabhängig, „gleich einem jungen Studenten“ 572 gelebt habe. Ihr<br />
besonderes Interesse galt dem Sammeln statistischer Daten in den Armenvierteln <strong>und</strong> Vororten<br />
Londons. Um dabei nicht aufzufallen, bediente sie sich stets unterschiedlicher Verkleidungen.<br />
Diese dürften umso notwendiger gewesen sein, da ihr natürliches Äußeres gemäß folgender Be-<br />
schreibung ein sehr beeindruckendes gewesen sein musste:<br />
„Aeußerlich verräth nichts die Engländerin in ihr, dunkle Augen, dunkle Haare <strong>und</strong><br />
ein wie von südlicher Sonne durchwärmter, goldigbrauner Teint, das ganze Gesicht<br />
feurig <strong>und</strong> lebendig wie das einer Südländerin, sehr rasche Bewegungen, lange,<br />
feine, nervöse Hände, die keinen Augenblick unbeweglich bleiben können, eine<br />
sehr biegsame Gestalt, dazu ein angenehmes, modulationsfähiges Organ, mit einem<br />
Worte eine entzückende Erscheinung.“ 573<br />
Webb kaschierte nicht nur ihr äußeres Erscheinungsbild, sondern stellte sich auch in ihrem<br />
Benehmen auf ihre „Untersuchungsobjekte“ ein. Oft habe sie sich nach Tisch bewusst eine<br />
Zigarette angezündet, „um ihren Gästen zu beweisen, daß der Tabakrauch sie nicht genire, worauf<br />
rasch eine Menge großer Pfeifen“ 574 hervorgeholt worden wären. Webb bewies damit im direkten<br />
Umgang mit den ArbeiterInnen ein großes Einfühlungsvermögen. Doch auch dieses „Einfühlen“<br />
war Webb noch nicht genug. Während ihrer monatelangen Recherchen im Arbeitermilieu wollte<br />
sie schließlich als Schneiderin den realen Alltag einer solchen <strong>und</strong> das damit verb<strong>und</strong>ene Elend<br />
erleben. Umherirrend, immer nach Arbeit suchend, irgendwann die vielen Zurückweisungen leid,<br />
habe sie schließlich „wirkliche Thränen über ihre gewollte Drangsal [ge]weint[…]“ 575 – ihre selbst<br />
gesetzte sechswöchige „Lehrzeit“ hielt sie jedoch durch.<br />
Webb sammelte statistisches Material u. a. auch für ihren Cousin Charles Booth, der dieses für<br />
sein Werk „Life and Labour of the People in London“ (1889) benötigte. Webb verfasste für dieses<br />
Buch zwei Kapitel zum Leben der jüdischen Bevölkerung <strong>und</strong> veröffentlichte in der Londoner<br />
571 Ebd.<br />
572 Ebd.<br />
573 Ebd.<br />
574 Ebd., S. 110.<br />
575 Beatrice Webb. (Schluß.). In: GL, 07/ 15/ 21.07.1897/ 116.<br />
394
4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“<br />
Revue „Nineteenth Century“ (1877-1950) eine Reihe von Artikeln, basierend auf ihren<br />
Erfahrungen als Schneiderin. Darin habe sie „für die Verkommensten <strong>und</strong> Verachtetsten das Recht<br />
auf Arbeit <strong>und</strong> ein menschenwürdiges Dasein“ 576 gefordert. Sie, die aus reichem Hause stammte,<br />
klärte als Journalistin die Welt über, so die „Gleichheit“,<br />
„die rührende Brüderlichkeit [auf], die zwischen den Enterbten so häufig zu finden<br />
ist, sie wies auf die von jedem Egoismus freien Hilfeleistungen hin, die der Arme<br />
dem Armen gewährt, auf den angeborenen Respekt des Arbeiters für Aufrichtigkeit<br />
<strong>und</strong> Ehrlichkeit“ 577 .<br />
Auf diese Weise bereits zu einem gewissen Bekanntheitsgrad gelangt, verheimlichte Webb für ihre<br />
Untersuchungen nun nicht mehr ihren wahren Namen. Es öffneten sich ihr plötzlich viele Türen,<br />
vor allem die der Fabrikbesitzer <strong>und</strong> Unternehmer. Ihr Interesse galt jedoch weiterhin den Arbei-<br />
terInnen, deren Vertrauen <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>schaft sie immer mehr gewann. 578 18 Monate arbeitete sie an<br />
dem Material für das Buch „The Cooperative movement in Great Britain“ („Genossenschafts-Be-<br />
wegung in England“), das 1891 erschien.<br />
Schließlich begegnete sie Sydney Webb, dessen „ideale Gefährtin“ 579 , „seine Ergänzung […]<br />
sowohl in seinen Werken als in seinen Gedanken“ 580 sie wurde. Ihre Verbindung stieß auf keinerlei<br />
Hindernisse, da Beatrice Webb frei in ihren Entscheidungen <strong>und</strong> finanziell unabhängig war.<br />
Solange sie jedoch gemeinsam an einer Geschichte der englischen Gewerkvereine arbeiteten,<br />
hielten sie ihre Verlobung trotzdem geheim. Oft sei für ihre Zusammenarbeit Webbs „Eigenschaft<br />
als Frau […] höchst zweckdienlich“ 581 gewesen, denn als Frau keiner Beachtung wert, habe „sie<br />
Vieles [erfahren], was man vor ihrem Bräutigam verheimlichte“ 582 – in diesem diskriminierenden<br />
Verhalten gegenüber einer Frau hätte es kaum Unterschiede zwischen Arbeitern <strong>und</strong> Unter-<br />
nehmern gegeben. 583<br />
Ihre eigenen Erfahrungen geschlechtsspezifischer Diskriminierung machte aus Webb zwar kein<br />
Mitglied der Frauenrechtsbewegung, aber sie bezog Stellung zu Fragen der Gleichberechtigung<br />
der Frau, Geschlechtsunterschieden <strong>und</strong> Erziehungsprinzipien:<br />
576 Ebd.<br />
577 Ebd., S. 117.<br />
578 Vgl. ebd.<br />
579 Ebd.<br />
580 Ebd.<br />
581 Ebd., S. 118.<br />
582 Ebd.<br />
583 Vgl. ebd.<br />
„‘Sicherlich bekämpfe ich jeden Versuch, aus der Frau einen Mann zu machen oder<br />
in ihr einen männlichen Charakter auszubilden. […] Ich glaube, die Frau ist von<br />
395
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Natur aus keuscher <strong>und</strong> besser als der Mann, weniger ausgesetzt, durch Beispiel<br />
<strong>und</strong> Vorstellung verführt zu werden. Kurz gesagt: ich würde jungen Knaben nicht<br />
erlauben, schlechte Bücher zu lesen, noch schlechte Sachen zu sehen. Aber ich<br />
würde jungen Mädchen <strong>und</strong> Frauen alle Bücher zugänglich machen <strong>und</strong> alles<br />
unverhüllt im Leben zeigen, sicher, daß sie nie von ihrer Kenntniß schlechten<br />
Gebrauch machen werden.’“ 584<br />
Obwohl selbst Opfer stereotyper Zuschreibungen, das „Wesen“ der Frau betreffend, vertrat Webb<br />
hier das Klischee der „keuschen Frau“. Zwar wandte sie es in scharfsinniger Art <strong>und</strong> Weise gegen<br />
diejenigen Meinungen, die den Frauen keine umfassende Bildung zugestehen möchten, doch es<br />
bleibt ein Klischee.<br />
Webb ist Beispiel einer bürgerlichen Frau aus wohlhabenden Verhältnissen, deren<br />
wissenschaftliches <strong>und</strong> politisches Interesse sie zwangsläufig Stellung für die Sache der Arbeiter<br />
beziehen ließ. Ihr politisches Engagement, wie es in diesem Artikel beschrieben wird, scheint sich<br />
jedoch auf die journalistische <strong>und</strong> wissenschaftliche Ebene beschränkt zu haben. Es geht aus dem<br />
Artikel nicht hervor, dass sie Mitglied der Labour Party oder einer anderen sozialistischen Partei<br />
wurde. Der Duktus des Artikels lässt sie weniger als Klassenkämpferin denn als „weiblicher<br />
Vollmensch“ erscheinen, der jedoch seine Fähigkeiten in den Dienst der sozialistischen Sache<br />
stellte.<br />
Sie war nicht nur eine Kämpferin der 1848er-Revolution, sondern auch bekennendes Mitglied der<br />
SPD: Elise Schweichel (1831-1912). Trotzdem soll sie hier nicht als Klassenkämpferin, sondern<br />
als ein Beispiel für einen „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ vorgestellt werden. Denn laut Kunert 585 , die<br />
sowohl einen Nachruf als auch einen weiteren Artikel zu Ehren Schweichels verfasste, hatte deren<br />
Name zwar „in der deutschen Arbeiterbewegung einen guten Klang“ 586 , doch ist Schweichel in der<br />
Öffentlichkeit nie als Funktionärin oder Agitatorin aufgetreten.<br />
Der „gute Klang“ ihres Namens erklärt sich vor allem daraus, dass Schweichel erheblichen Anteil<br />
„an dem geistigen Ringen <strong>und</strong> Schaffen ihres Mannes“ 587 – des 1848er Revolutionärs <strong>und</strong> Dichters<br />
Robert Schweichel – hatte. Die politische Situation nach der gescheiterten 1848er-Revolution<br />
zwang das Ehepaar ins schweizerische Exil. 1861 konnten beide dank einer Amnestie nach<br />
584 Beatrice Webb zit. nach: Ebd.<br />
585 Ich vermute Marie Kunert hinter den Initialen M.Kt. weil sie auch die Verfasserin eines namentlich gezeichneten<br />
Nachrufs auf Robert Schweichel war (vgl. Kunert, Marie: Robert Schweichel. In: GL, 17/ 10/ 13.05.1907/ 82-83).<br />
586 [Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel zum Gedächtnis. In: GL, 22/ 11/ 19.02.1912/ 167. Einen weiteren<br />
Nachruf auf Schweichel, dessen Duktus sie eher der Gruppe der Ehefrauen-Leitbilder zuordnen ließe, verfasste<br />
der Dichter <strong>und</strong> Schriftsteller Ernst Kreowski (1859-1920[?]) für die Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“<br />
(vgl. Kreowski, Ernst: Elise Schweichel. In: GL, 23 (1913)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 26/ 101-103).<br />
587 [Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel zum Gedächtnis. In: GL, 22/ 11/ 19.02.1912/ 167.<br />
396
4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“<br />
Deutschland zurückkehren. Die „absolut unabhängige, kraftvoll herbe Natur“ 588 Elise Schweichels<br />
habe sich, so Kunert, mit „dem milderen Wesen des Dichters <strong>und</strong> Träumers“ 589 in idealer Weise<br />
ergänzt. Schweichel sei stets bemüht gewesen, alles, was das dichterische Schaffen ihres Ehe-<br />
mannes hätte hemmen können, „aus dem Wege zu räumen“ 590 . Obwohl es sie schmerzte, dass den<br />
Werken ihres Ehemannes nur wenig Aufmerksamkeit <strong>und</strong> Ehrung widerfuhr – „während so<br />
manches Talmitalent mit Lorbeeren bekränzt wurde“ 591 – hätte Schweichel jedoch nie von ihm<br />
verlangt, sich nach dem „launenhaften wechselnden Geschmack der literarischen Mode“ 592 zu<br />
richten. Für ein solches Verhalten sei Schweichel – nach Meinung Kunerts selbst eine „feine <strong>und</strong><br />
stolze Natur“ 593 – „zu innig mit den politischen <strong>und</strong> künstlerischen Idealen ihres Mannes<br />
verwachsen“ 594 gewesen.<br />
Schweichel, die, so betonte es Kunert, ihrem Ehemann geistig ebenbürtig gewesen sei, besaß<br />
selbst schriftstellerisches Talent <strong>und</strong> hatte bereits unter ihrem Mädchennamen Elise Lange<br />
kleinere volkstümliche Erzählungen veröffentlicht. 595 In der „Neuen Zeit“ erschien ihr Roman<br />
„Dunkle Mächte“ (1892/93), <strong>und</strong> ihr von Kunert als Hauptwerk bezeichneter Roman „Vom<br />
Stamme gerissen“ (1886) erschien u. a. im „Vorwärts“. Sie habe dieses Werk, so Kunert „aus der<br />
ganzen Fülle ihrer eigenartigen Individualität“ 596 geschrieben <strong>und</strong> es zeuge von „einer ganz<br />
ungewöhnlichen Seelengröße der Verfasserin“ 597 . Dieses enthusiastische Urteil gründet auf der<br />
Tatsache, dass Schweichel in ihrem Werk nicht nur ihrem Ehemann als jungem „revolutionären<br />
Feuerkopf“ 598 , sondern auch dessen Jugendliebe, die früh verstarb, ein Denkmal setzte. Kunert<br />
beurteilte Schweichels Werke als die „von freiheitlicher Gesinnung durchglühte[n] Schöpfungen<br />
einer reifen Erzählungskunst“ 599 .<br />
Nachdem ihr Ehemann 1907 gestorben war, vereinsamte Schweichel zunehmend. Denn selbst<br />
kinderlos geblieben, bestand ihre Familie nun nur noch aus ihrer Schwester. Ausgerechnet beim<br />
Abstauben des Bildnisses ihres Mannes stürzte Schweichel 1911 so schwer, dass sie sich beide<br />
588 [Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel. In: GL, 21/ 25/ 11.09.1911/ 391.<br />
589 Ebd.<br />
590 Ebd.<br />
591<br />
[Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel zum Gedächtnis. In: GL, 22/ 11/ 19.02.1912/ 167.<br />
592<br />
[Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel. In: GL, 21/ 25/ 11.09.1911/ 391.<br />
593<br />
[Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel zum Gedächtnis. In: GL, 22/ 11/ 19.02.1912/ 167.<br />
594 Ebd.<br />
595 Ebd.<br />
596 [Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel. In: GL, 21/ 25/ 11.09.1911/ 391.<br />
597 Ebd.<br />
598 Ebd.<br />
599 [Kunert, Marie?] M. Kt.: Elise Schweichel zum Gedächtnis. In: GL, 22/ 11/ 19.02.1912/ 167.<br />
397
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Arme brach. Fast habe sie ihren Lebensmut aufgegeben, doch laut Kunert sei ihr feuriges<br />
Interesse an den politischen Ereignissen wieder aufgeflammt <strong>und</strong> habe ihr Leben noch bis zu<br />
seinem Ende erfüllt. 600 Ein Leben, das, so Kunert, „vorbildlich für viele Tausende Frauen“ 601 sei.<br />
Vor allem denjenigen,<br />
„denen es nicht gegeben ist, selbst im dichtesten Getümmel der politischen Kämpfe<br />
des befreiungssehnsüchtigen Proletariats zu stehen“ 602 .<br />
Denn obwohl Schweichel im politischen Kampf nicht in der ersten Reihe der Arbeiterklasse<br />
gestanden habe, „verdank[e] diese doch viel dem stillen selbstlosen Wirken der unbeugsamen<br />
Energie dieser Frau“ 603 . Die einzige in den beiden Nachrufen geäußerte Kritik war die, so Kunert,<br />
dass es Schweichel „[t]rotz ihrer großen Geistesgaben […] nicht gelungen [sei,] sich […] zu<br />
voller innerer Harmonie durchzuringen“ 604 . Diese Kritik bezog sich auf das Urteil Kunerts, dass<br />
Schweichel ein sehr verschlossener Charakter gewesen sei <strong>und</strong> man<br />
„das fein empfindende Herz dieser Frau sehr gut kennen [musste], um sich von<br />
ihrem zuweilen herben unzugänglichen Wesen nicht beirren zu lassen“ 605 .<br />
Schweichel war in ihrem Tun <strong>und</strong> ihrem Charakter Vorbild, aber die „Gleichheit“-Leserinnen<br />
erfuhren, dass auch Vorbilder menschliche Eigenheiten haben können.<br />
Eine Person, die Schweichel gut gekannt haben dürfte <strong>und</strong> wie sie einen hohen Bekanntheitsgrad<br />
unter den „Gleichheit“-Leserinnen hatte, war Minna Kautsky (1837-1912). Kautsky war nicht nur<br />
als Mutter des SPD-Parteitheoretikers Karl Kautsky 606 bekannt, sondern, wie Kunert in einem<br />
Artikel zum 70. Geburtstag Kautskys schrieb, auch als „[e]ine der markantesten Persönlichkeiten<br />
unter den Volksschriftstellerinnen der Gegenwart“ 607 .<br />
Minna Kautsky war bereits eine reife Frau, als sie, so Kunert, die ihr „anerzogenen bürgerlichen<br />
Vorurteile wie ein zerschlissenes Gewand abgestreift“ 608 habe <strong>und</strong> sich der Arbeiterbewegung<br />
zuwandte. Sie habe sich, so vermutlich Zetkin später in einem Nachruf auf Kautsky, „dem hohen<br />
600 Vgl. ebd.<br />
601 [Kunert, Marie?] M. Kt.: Elise Schweichel. In: GL, 21/ 25/ 11.09.1911/ 391.<br />
602 Ebd.<br />
603 Ebd.<br />
604 [Kunert, Marie?] M. Kt.: Elise Schweichel zum Gedächtnis. In: GL, 22/ 11/ 19.02.1912/ 167.<br />
605 Ebd.<br />
606 Interessanterweise wird in beiden Artikeln Kautskys berühmter Sohn nur insoweit erwähnt, als das<br />
gemeinschaftliche Studium mit ihm für die Selbstbildung der Mutter <strong>und</strong> ihren Weg zum Sozialismus Bedeutung<br />
hatte (vgl. Kunert, Marie: Minna Kautsky. In: GL, 17/ 12/ 10.06.1907/ 100-101; Minna Kautsky †. In: GL, 23/ 08/<br />
08.01.1913/ 121).<br />
607 Kunert, Marie: Minna Kautsky. In: GL, 17/ 12/ 10.06.1907/ 100.<br />
608 Ebd.<br />
398
4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“<br />
Ideal ganz hin[ge]geben“ 609 . Ursprünglich entstammte sie engen <strong>und</strong> kleinen Verhältnissen, war<br />
zwar das älteste <strong>und</strong> begabteste von sieben Kindern, verfügte aber nur über eine dürftige Schul-<br />
bildung. Über ihren Vater, der in Graz Theatermaler war, hatte Kautsky schon früh einen Bezug<br />
zur Schauspielkunst. Bevor sie jedoch ihr Talent durch öffentliche Auftritte richtig zur Geltung<br />
bringen konnte, heiratete sie in Prag den Landschaftsmaler Johann Kautsky.<br />
Ihr jugendliches Temperament half ihr, Schauspieltätigkeit <strong>und</strong> Mutterpflichten für drei Kinder<br />
miteinander zu vereinbaren. Als Schauspielerin, so Zetkin, habe Kautsky<br />
„nachschaffen [wollen], was höchste Kunst gestaltet hat, wollte sie ganz selbst<br />
werden <strong>und</strong> sich von der geistigen <strong>und</strong> sozialen Geb<strong>und</strong>enheit ihrer<br />
kleinbürgerlichen Umwelt befreien“ 610 .<br />
Doch gerade als sie sich einen guten Ruf als Künstlerin erarbeitet hatte, kam es zu einem<br />
körperlichen Zusammenbruch aufgr<strong>und</strong> eines Lungenleidens. Noch nicht 20-jährig hätte sie aus<br />
ges<strong>und</strong>heitlichen Gründen ihre Berufstätigkeit aufgeben müssen, doch die finanzielle Situation<br />
ließ dies nicht zu. Die Triumphe, die sie nun nicht mehr in der Rolle der jungen Liebhaberin,<br />
sondern als Tragödin feierte, habe sich Kautsky „mit fast 15-jährigem Siechtum“ 611 erkauft. Ihre<br />
körperlichen Leiden, erhöht durch die Geburt eines vierten Kindes, machten schließlich ihrer<br />
Karriere doch ein Ende. Einen Ersatz für ihre Tätigkeit auf der Bühne suchte sie laut Kunert in<br />
literarischen <strong>und</strong> wissenschaftlichen Studien. Möglich wurde ihr diese geistige Arbeit nur, weil ihr<br />
mittlerweile als Dekorationsmaler am Wiener Burgtheater engagierter Ehemann nun genug Lohn<br />
erhielt.<br />
Zusammen mit dem ältesten Sohn Karl las sie die sozialistischen Klassiker. Angeregt durch dieses<br />
gemeinsame Studium habe sie, so Zetkin, „das kämpfende Proletariat verstehen, achten, lieben“ 612<br />
gelernt. Zetkin bezeichnete es als einen „neue[n] Frühling der Schaffensfreudigkeit“ 613 , in<br />
welchem sich Kautsky zu einer Schriftstellerin von Romanen, Novellen <strong>und</strong> Skizzen entwickelte.<br />
Ihr künstlerisches Schaffen war beeinflusst von den Ideen des modernen Sozialismus. Vor allem<br />
das soziale Leben ihrer Zeit, „zumal de[r] geschichtlich wertvollste[…] Teil dieses Lebens: das<br />
Emporsteigen des Proletariats zur Freiheit“ 614 , so betonte Zetkin, spiegele sich in ihren Werken<br />
wider.<br />
Laut Kunert begegneten den LeserInnen in Werken wie „Herrschen oder dienen“ (1882), „Die<br />
609 Minna Kautsky †. In: GL, 23/ 08/ 08.01.1913/ 121.<br />
610 Ebd.<br />
611 Kunert, Marie: Minna Kautsky. In: GL, 17/ 12/ 10.06.1907/ 101.<br />
612 Minna Kautsky †. In: GL, 23/ 08/ 08.01.1913/ 121.<br />
613 Ebd.<br />
614 Ebd.<br />
399
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Alten <strong>und</strong> die Neuen“ (1884), „Victoria“ (1889), „Helene“ (1894) „Im Vaterhause“ (1904) oder<br />
„Stefan vom Grillenhof“ (1879) „trefflich gezeichnete[…] Arbeitertypen“ 615 <strong>und</strong> „lebensvoll wir-<br />
kende[…] Frauen- <strong>und</strong> Mädchengestalten der alten <strong>und</strong> neuen Generation“ 616 , „Schilderung[en]<br />
komischer Situationen <strong>und</strong> drolliger Sonderlinge“ 617 , aber auch erschütternde Schilderungen der<br />
Gräuel des Krieges. Kunert interpretierte die Bedeutung des Kautsky‘schen Gesamtwerks – ganz<br />
im Sinne sozialistischer Bildungsideale – so:<br />
„Minna Kautskys schöner Glaube an die Macht der Entwicklung gründet sich auf<br />
die ungebrochene <strong>und</strong> unverbrauchte Kraft <strong>und</strong> Ursprünglichkeit in den unteren<br />
Klassen, denen Unnatur <strong>und</strong> Heuchelei noch fremd sind, wie sie die Schichten von<br />
Besitz <strong>und</strong> Bildung durchsetzen. Auf dieser Basis von seelischer Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong><br />
Güte im Volke sieht sie die modernen Ideen der Humanität etwas völlig Selbständiges<br />
<strong>und</strong> Originelles zeitigen, das die Menschheit aufs neue befruchtet <strong>und</strong><br />
auch für den Künstler von höchster Bedeutung werden muß.“ 618<br />
Kautsky stellte demnach die moralische <strong>und</strong> historische Mission des Sozialismus <strong>und</strong> dessen<br />
Menschenbild in den Mittelpunkt ihrer Werke. Sie gab ihm in Form ihrer literarischen Figuren ein<br />
Gesicht. Kautsky zählte zu den ersten unter den zeitgenössischen SchriftstellerInnen, deren Werke<br />
besonders stark von der sozialistischen Weltanschauung beeinflusst waren <strong>und</strong> sie auf diese Weise<br />
wortwörtlich „populär“ machten. Mögen ihre Arbeiten auch qualitativ über die eines „Volks-<br />
schriftstellers“ nicht hinausgegangen sein, so haben sie nach Meinung Zetkins – in den Dienst des<br />
Sozialismus gestellt – doch Tausende erreicht. Aus diesem Gr<strong>und</strong> würde Kautsky auch dann „dem<br />
Herzen der Enterbten noch teuer sein, wenn der Klang vieler Namen verschollen ist, der heute die<br />
literarische Welt erfüllt“ 619 . Anders als manche anderen „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“, die der<br />
Arbeiterbewegung nahe standen, hatte sich Kautsky in ihren literarischen Werken für die Nach-<br />
welt verewigen können.<br />
Ebenfalls eine bekannte Erzählerin, jedoch Vertreterin eines anderen literarischen Niveaus als<br />
Minna Kautsky, war Clara Viebig (1860-1952). Viebig war Tochter eines hohen Beamten, der<br />
1848 Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung gewesen war. Ihre Mutter war eine<br />
Pastorentochter <strong>und</strong> habe viel Erzähltalent besessen. Weitere Informationen zur Herkunft Viebigs<br />
gab der Schriftsteller Josef Kliche (?-?) 620 in dem Artikel, den er zu ihrem 60. Geburtstag<br />
615 Kunert, Marie: Minna Kautsky. In: GL, 17/ 12/ 10.06.1907/ 101.<br />
616 Ebd.<br />
617 Ebd.<br />
618 Ebd.<br />
619 Minna Kautsky †. In: GL, 23/ 08/ 08.01.1913/ 121.<br />
620 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu Josef<br />
Kliche. Er veröffentlichte u. a.: „Vier Monate Revolution in Wilhelmshaven“ (1919) <strong>und</strong> „Ein Jahr in Flandern.<br />
400
4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“<br />
verfasste 621 , nicht. Er mochte vielmehr diesen Tag, der seiner Meinung nach „in allen kulturell <strong>und</strong><br />
literarisch stärker interessierten Kreisen fre<strong>und</strong>liche Beachtung“ 622 finden müsse, würdigen, indem<br />
er die Werke der Jubilarin vorstellte.<br />
Der Geburtstag Viebigs habe große Bedeutung für die „um geistige Befreiung <strong>und</strong> materiellen<br />
Fortschritt kämpfende[…] Arbeiterschaft“ 623 <strong>und</strong> besonders für die Frauen, denen, so Kliche, „das<br />
Schaffen der beliebten Autorin besonders nahegeh[e]“ 624 . Diese Bedeutung habe sie für die Frauen<br />
aber nicht, weil sie in Schönfärberei <strong>und</strong> falscher Sentimentalität pure Unterhaltungsliteratur<br />
geschrieben hätte. Im Gegenteil: Zu der vollendeten Form, in der sie „proletarisches Milieu,<br />
Weibesherzeleid <strong>und</strong> Muttersehnen“ 625 beschreibe, komme der Umstand, dass sie als erste<br />
deutsche Erzählerin „aller Prüderie, allem althergebrachten Vorurteil zum Trotz“ 626 , das<br />
proletarische Leben so gezeichnet habe, wie es ist. Ihre Werke verkörperten laut Kliche Viebigs<br />
„unerbittliche[n] Wahrheitsmut in der Zustandschilderung“ 627 <strong>und</strong> seien demnach Werke einer<br />
Naturalistin. Zwar sei sie zunächst vor allem von Heinrich Heines „Buch der Lieder“ (1827)<br />
beeinflusst worden, doch wegweisende „Offenbarung“ 628 wurde ihr Emile Zolas „Germinal“<br />
(1885). Jenes Werk habe den Anstoß gegeben, dass Viebig binnen zwei Tagen ihre erste Erzählung<br />
verfasste. Eine Erzählung der überzeugten „Zolaschülerin“ 629 , „so kraß <strong>und</strong> eigenwillig“ 630 , dass<br />
laut Kliche sie keine Zeitung habe veröffentlichen wollen. 631<br />
Viebig veröffentlichte innerhalb von 25 Jahren 24 Bücher. Einzelne davon bedeuteten nach<br />
Meinung Kliches geradezu „eine literarische Tat“ 632 . Darunter zählte er ihren Dienstbotenroman<br />
„Das tägliche Brot“ (1900). Der Roman schildert das Schicksal einer vom Lande kommenden<br />
jungen Frau, die ihr unehelich geborenes Kind erst aussetzt, dann aber als Dienstmädchen arbeitet,<br />
um sich <strong>und</strong> das Kind zu versorgen. Den Kindern ihrer Herrschaft muss die junge Mutter <strong>und</strong><br />
Ein Kriegsbuch“ (1916). In der „Gleichheit“ erschien außerdem bereits im Januar 1920 ein Artikel, in welchem er<br />
auf Viebig <strong>und</strong> andere LiteratInnen verwies (vgl. Kliche, Josef: Das Magdalenenmotiv in der deutschen Dichtung.<br />
In: GL, 30/ 04/ 24.01.1920/ 27-29).<br />
621 Kliche, Josef: Eine Meisterin deutscher Erzählkunst. In: GL, 30/ 29/ 17.07.1920/ 236-238.<br />
622 Ebd., S. 236.<br />
623 Ebd.<br />
624 Ebd.<br />
625 Ebd.<br />
626 Ebd.<br />
627 Ebd.<br />
628 Ebd.<br />
629 Ebd., S. 237.<br />
630 Ebd., S. 236.<br />
631 Vgl. ebd., S. 236f.<br />
632 Ebd., S. 237.<br />
401
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Lohnabhängige, so Kliche, „all die Liebe <strong>und</strong> Hätschelei geben […], die eigentlich ihrem eigenen<br />
Kinde gehörten“ 633 . Auch eine Heirat besserte ihr Leben nicht. 15 Jahre später veröffentlichte<br />
Viebig mit „Eine Handvoll Erde“ (1915) eine Fortsetzung dieser Geschichte. „Einer Mutter Sohn“<br />
(1906) spielt dagegen in einer noblen Grunewaldvilla <strong>und</strong> erzählt die Geschichte eines reichen,<br />
aber kinderlos gebliebenen Ehepaares, das das Kind einer armen Witwe adoptiert. Das Elternpaar<br />
müsse jedoch erkennen, dass ihr Adoptivsohn negative Charaktereigenschaften „geerbt“ hat. 634<br />
„[V]olle Meisterschaft“ 635 , so Kliche, habe Viebig in ihrem Roman „Das Weiberdorf“ (1900)<br />
erlangt. Das „Weiberdorf“ liegt in der Eifel <strong>und</strong> trägt seine Bezeichnung, weil die Männer des<br />
Dorfes regelmäßig für den Erwerb in die Stadt ziehen <strong>und</strong> ihre Frauen allein zurücklassen müssen.<br />
Diese Situation ergebe u. a. solch „starke leidenschaftliche Konflikte“ 636 , dass sowohl erotische als<br />
auch humoristische Szenen nicht ausblieben. Viebig habe sich „[g]eschichtliche[r], soziale[r] <strong>und</strong><br />
seelische[r] Stoffe“ 637 gewidmet. Auch den Ersten Weltkrieg thematisierte Viebig in einigen ihrer<br />
Bücher. So z. B. in „Töchter der Hekuba“ (1917) <strong>und</strong> „Das rote Meer“ (1920). Darin, so Kliche,<br />
gebe sie der „Seelennot deutscher Mütter, Frauen <strong>und</strong> Bräute“ Gestalt <strong>und</strong> singe ein „Hohelied auf<br />
das Duldertum schmerzdurchbohrter Frauenherzen“ 638 . Viebigs technisches <strong>und</strong> sprachliches<br />
Können zeige sich in noch vielen weiteren Werken („Eisen <strong>und</strong> Feuer“ (1913) 639 , „Absolvote“<br />
(1907)), in welchen sie verstehe, die Wirklichkeit in all ihrer Dramatik darzustellen.<br />
Viele der Werke Viebigs beschreiben Frauengestalten <strong>und</strong> Frauenschicksale. Diese basieren, so<br />
das Urteil Kliches, keineswegs nur auf reiner Fiktion. Denn<br />
„wenn wir uns über die Buchseiten beugen <strong>und</strong> uns in die einzelnen Charaktere<br />
vertiefen, so fühlen wir, daß diese Personen uns allen schon einmal irgendwo im<br />
Leben begegnet sind“ 640 .<br />
In einer ähnlichen Art <strong>und</strong> Weise machte es die „Gleichheit“, die ihren Leserinnen verschiedene<br />
Frauentypen <strong>und</strong> deren herausragende Charaktereigenschaften präsentierte. Diese Frauentypen<br />
sind häufig Vorbilder aus den eigenen Reihen <strong>und</strong> ihre Schicksale erwecken bei den Leserinnen in<br />
besonderem Maße Mitgefühl.<br />
Ein ungewöhnliches Beispiel für großen Durchhaltewillen <strong>und</strong> Bildungsdrang – den typischen<br />
Tugenden des „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ – ist Helen Keller (1880-1968). Im zweiten Lebensjahr<br />
633 Ebd.<br />
634 Ebd.<br />
635 Ebd.<br />
636 Ebd.<br />
637 Ebd.<br />
638 Ebd.<br />
639 Gemeint ist wohl Viebigs Werk „Das Eisen im Feuer“.<br />
640 Ebd.<br />
402
4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“<br />
erkrankte die US-Amerikanerin Keller an einem hohen Fieber <strong>und</strong> verlor Sehkraft <strong>und</strong> Gehör,<br />
wodurch auch ihr Sprachvermögen gemindert war.<br />
Den „Gleichheit“-Leserinnen begegnete Keller zum ersten Mal nur im Rahmen einer kleinen<br />
Notiz. Meta Lilienthal Stern berichtete darin aus den USA dass „[e]ine der interessantesten Frauen<br />
der Welt […] jetzt eine der Unseren“ 641 geworden sei. Keller hatte sich demnach öffentlich zum<br />
Sozialismus bekannt. Dieses offene Bekenntnis hatte laut Stern eine interessante Vorgeschichte.<br />
Nachdem 1911 die „Industriestadt Shnektady[sic]“ 642 einen sozialistischen Bürgermeister <strong>und</strong><br />
einen sozialistischen Stadtrat gewählt hatte, sei Keller mit einer befre<strong>und</strong>eten Familie dorthin<br />
gezogen <strong>und</strong> zudem der Sozialistischen Partei beigetreten. Jener sozialistische Bürgermeister<br />
Lunn habe Keller daraufhin zum Mitglied einer städtischen Wohlfahrtsbehörde ernannt. Mit<br />
diesem Amt sei, so Stern, dieser „treffliche[n] Frau“ 643 , die „trotz ihrer schweren körperlichen<br />
Hemmungen zur Höhe einer modernen Geisteskultur emporringen konnte“ 644 , die Gelegenheit<br />
gegeben, „teilzunehmen an den sozialen Kämpfen ihrer Zeit“ 645 . Die amerikanische Journalistin<br />
Anita Cahn Block (1882-1967) 646 setzte laut Sterns Artikel die außergewöhnlichen Lebens-<br />
umstände Kellers mit viel Pathos in eine Wechselbeziehung mit ihrem politischen Engagement:<br />
„‘Diese Blinde sieht besser als wir Sehenden das Elend dieser Welt. Deutlicher als<br />
wir, die hören können, vernimmt diese Taube den Schrei der Not, <strong>und</strong> die<br />
Handlungen dieser Stummen sind beredter als unsere Worte.’“ 647<br />
Lange schon habe Keller mit den Sozialisten sympathisiert <strong>und</strong> nun ausnehmend konsequent<br />
gehandelt.<br />
In den begleitenden Recherchen zu dieser Arbeit musste nun aber festgestellt werden, dass Stern<br />
<strong>und</strong> auch die „Gleichheit“ mit dieser Notiz einer „Zeitungsente“ aufgesessen waren. Nicht nur,<br />
dass laut einer neueren biographischen Quelle Keller bereits 1909 der Socialist Party beigetreten<br />
war 648 , sie dementierte in ihrem Aufsatz „Wie ich Sozialistin wurde“ (1912) ganz vehement die<br />
beschriebenen Umstände. Sie sei nie in Shenectady gewesen <strong>und</strong> habe nie Bürgermeister Lunn<br />
persönlich kennengelernt. Wohl habe sie Pläne gehabt, dorthin zu reisen <strong>und</strong> Lunn habe ihr einen<br />
Sitz in jener Gesellschaft für öffentliche Wohlfahrtspflege anbieten wollen, aber soweit ist es nicht<br />
641 Stern, Meta L[ilienthal]: Helen Keller eine Genossin. In: GL, 22/ 24/ 21.08.1912/ 384.<br />
642 Es handelt sich vermutlich um die im Staate New York gelegene Stadt Shenectady.<br />
643 Ebd.<br />
644 Ebd.<br />
645 Ebd.<br />
646 Anita C. Block war Mitbegründerin der Zeitschrift „New York Call“ (1908-1923).<br />
647 Anita E. Block im „New York Call“. Zit. nach: Stern, Meta L[ilienthal]: Helen Keller eine Genossin. In: GL, 22/<br />
24/ 21.08.1912/ 384.<br />
648 Vgl. Jaedicke, Helen Keller, S. 113.<br />
403
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
gekommen. Die kapitalistische Presse habe diese Überlegungen jedoch als Tatsachen verbreitet,<br />
um die sozialistische Bewegung zu diffamieren, sich der Person Kellers propagandistisch zu<br />
bedienen. 649 Diese eindeutige Falschmeldung der „Gleichheit“ verwies nochmals darauf, dass es<br />
sich bei den hier zusammengestellten Artikeln keineswegs um wissenschaftlich f<strong>und</strong>ierte<br />
Biographien, sondern um journalistische Erzeugnisse handelt.<br />
Ursprünglich mag es nur Mitleid gewesen sein, welches die „Gleichheit“-Leserinnen für Keller<br />
empf<strong>und</strong>en haben. Die „Gleichheit“ jedoch wollte ihnen ein anderes Bild Kellers vorstellen, nicht<br />
das einer bemitleidenswerten Behinderten, sondern das einer Frau von besonders starker sozialis-<br />
tischer Gesinnung. 1920 ließ Keller durch ihren in Stuttgart ansässigen deutschen Verleger Robert<br />
Lutz veröffentlichen, dass sie<br />
„‘für alle Zeiten’ auf alle ihre Einkünfte aus der deutschen Ausgabe ihrer Schriften<br />
zugunsten der deutschen Kriegsblinden, -tauben, <strong>und</strong> -stummen verzichtet“ 650 .<br />
Keller bewies damit eine über alle Grenzen <strong>und</strong> nationale Ressentiments hinweggehende<br />
Solidarität mit den Opfern des Ersten Weltkrieges – besonders solchen, die dieselben Beein-<br />
trächtigungen erlitten hatten wie sie selbst <strong>und</strong> die nur allzu oft von der staatlichen Kriegsfürsorge<br />
vernachlässigt wurden.<br />
1922 veröffentlichte das Hauptblatt der „Gleichheit“ erstmals einen Artikel zum Leben dieser<br />
bemerkenswerten Frau. Es ist jedoch vornehmlich die entwicklungs- bzw. verhaltenpsycho-<br />
logische Sicht auf die Persönlichkeit Kellers, die in Wilhelm Lennemanns (1875-1963) 651 Aus-<br />
führungen überwog. Lennemann wandte sich darin gegen den aufgekommenen Verdacht, in<br />
Wirklichkeit würde Keller die gesamte Öffentlichkeit in nicht durchschaubarer Weise über ihre<br />
Behinderung täuschen – so unglaublich war für alle die positive Entwicklung, die diese Frau<br />
durchgemacht hatte <strong>und</strong> an deren Ende schließlich ein, so Lennemann, „W<strong>und</strong>er an Intelligenz<br />
<strong>und</strong> Kapazität“ 652 stand.<br />
Keller wurde als normal entwickeltes Kind in Tuscumbia (Alabama/USA) geboren. Im<br />
20. Lebensmonat erkrankte sie an hohem Fieber. Nach ihrer Genesung stellte man den dauer-<br />
haften Verlust ihres Augenlichtes <strong>und</strong> Gehörs fest, was auch ihre Sprachentwicklung<br />
649 Vgl. Keller, Helen: Wie ich Sozialistin wurde. In: Diess.: Wie ich Sozialistin wurde, S. 5-39, S. 6ff.<br />
650 Helen Keller … In: GL, 30/ 12/ 20.03.1920/ 94.<br />
651 Wilhelm Lennemann wurde in Annen (heute Witten-Annen) als Sohn eines Lehrers geboren. Nach dem Besuch<br />
der Volksschule <strong>und</strong> des Gymnasiums folgte eine Lehrerausbildung. 1896-1911 arbeitete Lennemann als Lehrer<br />
<strong>und</strong> freier Schriftsteller in Iserlohn, zudem bis 1914 als Generalsekretär eines freireligiösen Verbandes. Als freier<br />
Schriftsteller lebte er aber auch in Köln <strong>und</strong> Königsberg. Lennemann veröffentlichte zahlreiche Erzählungen, u. a.<br />
die Gedichtbände „Aus Bauernlanden“ (1904), „Saat <strong>und</strong> Sonne“ (1906) <strong>und</strong> „Meine Ernte“ (1910), in denen<br />
Lennemann den Bauernstand <strong>und</strong> Mutterschaft stark idealisierte. Er war Herausgeber von „Helene Voigt-<br />
Diederichs, Lulu von Strauß <strong>und</strong> Torney. Novellen“ (o. J.) <strong>und</strong> „Helen Keller. Eine Auswahl aus ihren Werken“<br />
(1912).<br />
652 Lennemann, Wilhelm: Helen Keller. In: GL, 32/ 04/ 15.02.1922/ 35.<br />
404
4.1.5 FRAUEN „VON SOZIALISTISCHER GESINNUNG“<br />
beeinträchtigte. Im Alter von acht Jahren erhielt sie mit Annie Sullivan (1866-1936) eine Lehre-<br />
rin, die ihr erst das Fingeralphabet, die Braille‘sche Blindenschrift <strong>und</strong> schließlich die Lautsprache<br />
vermittelte. Keller lernte dies alles in einem erstaunlich kurzen Zeitraum <strong>und</strong> konnte sich<br />
schließlich zusammenhängend sprachlich artikulieren. Ein großes Privileg wurde ihr zuteil, als ihr<br />
anlässlich der Chicagoer Weltausstellung gestattet wurde, die dort ausgestellten Objekte zu<br />
ertasten.<br />
Im Alter von 14 Jahren besuchte Keller die Wright-Humason-Schule 653 , an der sie u. a. auch<br />
Deutsch lernte. Nach einer weiteren höheren Schule besuchte sie das Radcliffe College 654 <strong>und</strong><br />
legte 1897 ihre Prüfungen in Deutsch, Französisch, Englisch, Griechisch <strong>und</strong> römischer<br />
Geschichte ab. 655 Auch die Zugangsprüfungen für die Universität bestand sie mühelos. Wie zuvor<br />
war Annie Sullivan auch während des vierjährigen Universitätsstudiums, in denen Keller<br />
besonders Philosophie <strong>und</strong> Shakespeare studierte, ihre Begleiterin, die ihr, so Lennemann, „alles<br />
zufingerte“ 656 . Aus dieser Beschreibung <strong>und</strong> sogar namentlichen Benennung der Schulen, die<br />
Keller besuchte, wird den „Gleichheit“-Leserinnen die Effizienz des höheren Bildungswesens der<br />
USA vor Augen geführt. Dieses bot folglich bereits im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert Möglichkeiten zur<br />
Integration Behinderter. 1903 veröffentlichte Keller „Die Geschichte meines Lebens“, wenig<br />
später das Werk „Optimismus“ (1903), das Lennemann als ihr persönliches Glaubensbekenntnis<br />
betrachtete. 657 Es folgten „Meine Welt“ (1908) <strong>und</strong> als letztes Werk vor dem Erscheinen des<br />
„Gleichheit“-Artikels wurde „Dunkelheiten“ (1913) veröffentlicht.<br />
Lennemann erläuterte die Bedingungen, unter denen sich Keller nur mittels Tast- <strong>und</strong> Geruchssinn<br />
die Welt erschloss. Immerhin habe sie die ersten 19 Monate ihres Lebens ihre Umwelt noch mit<br />
allen Sinnen erfassen können – diese frühe Phase sei nach Meinung Lennemanns nicht zu<br />
unterschätzen. Zum größten Teil verdanke Keller, so Lennemann weiter, das,<br />
„[w]as sie geworden, […] ihrem bis aufs feinste ausgebildeten Gefühl, das wir in<br />
Tastsinn <strong>und</strong> Gemeingefühl spalten wollen, <strong>und</strong> ihrem Geruch“ 658 .<br />
Mit ihrem feinen Tastsinn habe sie manche Dinge wie z. B. Kunst anders, vielleicht sogar tiefer<br />
gehender, erfassen können als so manche Sehenden. Mit dem Begriff „Gemeingefühl“ wurde von<br />
Lennemann quasi ihre Kombinationsgabe beschrieben, mit der Keller z. B. Personen an der Art<br />
653 Die „Wright-Humason-School for the Deaf“ war eine Schule für Gehörlose in New York.<br />
654 Das Radcliffe College in Cambridge (Massachusetts) ermöglichte vor allem Frauen den Zugang zum Studium an<br />
der Universität Harvard.<br />
655 Vgl. ebd., S. 36.<br />
656 Ebd.<br />
657 Vgl. ebd.<br />
658 Lennemann, Wilhelm: Helen Keller (Schluß). In: GL, 32/ 05/ 01.03.1922/ 46.<br />
405
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
ihres Ganges erkennen <strong>und</strong> sogar deren Alter oder gegenwärtige Gemütsstimmung schlussfolgern<br />
konnte. Gefühl <strong>und</strong> Geruchssinn halfen ihr, „Naturschönheiten zu empfinden <strong>und</strong> geordnet in sich<br />
aufzunehmen“ 659 . Vor allem mit ihrem Geruchssinn erschloss sich Keller nicht nur eine<br />
Landschaft, sondern auch die Möblierung eines Raumes <strong>und</strong> die darin anwesenden Personen.<br />
Lennemann schließt seinen Beitrag mit einem sehr anmaßendem Resümee:<br />
„Viel war Helen geraubt, viel hat sie wiedergewonnen, ja, man darf wohl sagen,<br />
daß sie mehr gewonnen als verloren hat, <strong>und</strong> zu verstehen ist jedenfalls, wenn sie<br />
ihr Gefühl eventuell nicht gegen ein Gesicht eintauschen möchte.“ 660<br />
Er versuchte damit wohl, die von den deutschen Frauen im Krieg erlebten vielfältigen Verluste zu<br />
relativieren. Zumindest ließ er in eben diesem Sinne Keller persönlich zu den „Gleichheit“-<br />
Leserinnen sprechen:<br />
„‘Der Optimismus ist der Glaube, der zur Vollendung führt, nichts kann getan<br />
werden, ohne die Hoffnung.’“ 661<br />
Die blinde, taube <strong>und</strong> stumme Helen Keller war ein außergewöhnlicher „weiblicher Vollmensch“<br />
sozialistischer Gesinnung <strong>und</strong> damit ein ganz besonderes Vorbild sozialistischer Frauenbildung.<br />
659 Ebd., S. 47.<br />
660 Ebd., S. 48.<br />
661 Helen Keller zit. nach: Ebd.<br />
406
4.2 „[…] wie Mutterdenken, Mutterempfinden, Mutterhandeln […] der ganzen<br />
Menschheit […] zum Segen werden kann“<br />
– Die Mutter der sozialistischen Zukunft 662<br />
4.2.1 Zum Frauenleitbild der sozialistischen Mutter <strong>und</strong> der „Mütterlichkeit“<br />
Der Proletarierin als Mensch mit individuellen Kulturbedürfnissen <strong>und</strong> individuellen Bildungs-<br />
fähigkeiten, welche sie zum Wohle einer politischen Bewegung einsetzen sollte, folgt nun die<br />
Proletarierin, die in Verantwortung für die kommenden Generationen politisch aktiv wurde. Es<br />
war nicht nur Verantwortung für sich selbst <strong>und</strong> für die eigenen Kinder, die eine solche<br />
Proletarierin übernehmen musste, sondern es war gesellschaftliche Verantwortung:<br />
„Die denkende Proletarierin will aus einer sozial Unmündigen zur gleichberechtigten<br />
Gesellschaftsbürgerin werden, aus einer ausgesaugten <strong>und</strong> geknechteten<br />
Lohnsklavin zur freien Arbeiterin in einem Gemeinwesen, von freien, gleichberechtigten<br />
Arbeitern. Sie weiß, daß sie Bildung <strong>und</strong> Freiheit bedarf, um in der<br />
einen <strong>und</strong> anderen Beziehung ihre Gleichberechtigung zu erkämpfen. Und<br />
fordert nicht das Mutterherz stürmisch, daß den Kindern an Bildung, Freiheit,<br />
Gleichberechtigung zu Theil werden soll, was der Frau heute versagt bleibt!” 663<br />
Die ProletarierInnen der kommenden Generation sollten nicht mehr als „sozial Enterbte“<br />
unterdrückt werden. Keine Mutter sollte ihre Kinder freiwillig einem Schicksal überlassen, das<br />
schon sie selbst unwillig ertragen musste. 664<br />
Reflektierten die proletarischen Frauen ihre eigene Klassenlage, so müsste ihnen ihr<br />
Erziehungsauftrag als proletarische Mütter klar auf der Hand liegen: „KlassenkämpferInnen“<br />
sollten sie erziehen. Ein Auftrag, für dessen Erfüllung sie jedoch erst einmal selbst erzogen<br />
werden mussten. Denn nur die “starke, klare, in sich gefestigte mütterliche Individualität<br />
[könne] starke Individualitäten zeugen <strong>und</strong> erziehen“ 665 . Den Müttern fehlte es dafür jedoch<br />
meist an gr<strong>und</strong>legendem Wissen. Die „Gleichheit“ wusste um die nicht wenigen<br />
662 Kipfmüller, Bertha: Kants Mutter. In: GL, 30/ 04/ 24.01.1920/ 28.<br />
663 Für Brot, Bildung <strong>und</strong> Freiheit! In: GL, 11/ 17/ 14.08.1901/ 129.<br />
664 Nipperdey stellt Folgendes für das sich im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert verändernde Eltern-Kind-Verhältnis fest: „Die neue<br />
Haltung zu den Kindern hat sich von der – stärker entlasteten – Bildungsschicht auch auf die Mittelschichten<br />
<strong>und</strong> die respektable Arbeiterschaft ausgedehnt. Verantwortung, mehr mütterliche Zuwendung, Priorität des<br />
Kindes vor der Behauptung im Lebenskampf, mehr Erziehungsinteresse – das ist doch in dem strengeren, distanzierteren,<br />
autoritären <strong>und</strong> zum Teil auch brutalen, not- <strong>und</strong> arbeitsgeprägten Erziehungsstil dieser Schichten<br />
in durchweg steigendem Maße zu beobachten.“ (Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866, S. 122).<br />
665 „Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch“. In: GL, 08/ 02/ 19.01.1898/ 9. Genau gegenteiliger<br />
Meinung waren bürgerliche Wissenschaftler wie der Nervenarzt Paul Julius Möbius. Dieser hatte 1894<br />
ein Buch mit dem Titel „Vom physiologischen Schwachsinn des Weibes“ veröffentlicht. Nach Gertrud Davids<br />
(1872-1936) Interpretation in der „Gleichheit“ besagte das Möbius’sche Werk, „daß jede auch die nicht übertriebene<br />
geistige Arbeit <strong>und</strong> Entwicklung der Frau diese für ihren Mutterberuf untauglicher mache, <strong>und</strong> daß<br />
daher das Weib im Interesse der Nachkommenschaft in Stumpfsinn <strong>und</strong> Dummheit erhalten bleiben müsse.“<br />
(David, Gertrud: Das Weib <strong>und</strong> der Intellektualismus. In: GL, 12/ 11/ 21.05.1902/ 83 (Rezension zu: Olberg,<br />
Oda: Das Weib <strong>und</strong> der Intellektualismus. Akademischer Verlag für soziale Wissenschaften, Berlin, Bern<br />
1902).<br />
407
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Erziehungsprobleme, die daraus alltäglich resultierten:<br />
“Mit h<strong>und</strong>ert Fragen drängen sich die wißbegierigen Kleinen an die Mutter heran.<br />
Ihr Interesse an allem, was wächst <strong>und</strong> blüht, was kriecht <strong>und</strong> fliegt, ist noch nicht<br />
in tagtäglichem Sorgen <strong>und</strong> Mühen erstickt. Aber verständnislos blickt die Mutter<br />
meist auf sie herab. ‘Das weiß ich nicht, laßt mich in Ruh!’ so lautet ihre ständige<br />
Antwort. Wie sollte denn auch sie, die in der Regel selber keine Linde von einer<br />
Buche unterscheiden kann, selber nicht das geringste von der Lebensweise der<br />
Tiere, von dem Lauf der Gestirne weiß, die Fragen ihrer Kinder befriedigen<br />
können? Die elende Volksschule hat ihr kaum die elementarsten Kenntnisse beigebracht.<br />
[…] Das ist traurig für die Proletarierfrau selbst, trauriger noch für das<br />
heranwachsende Geschlecht … .“ 666<br />
Gewiss, die junge Generation war „bildsam“, das änderte aber nichts daran, dass ihre Mütter<br />
geplagt vom Proletarierinnenalltag kaum Zeit <strong>und</strong> nur ein spärliches Wissen weiterzugeben hatten.<br />
Dies zu ändern, dafür traten die Sozialistinnen z. B. mit ihrer Forderung für den Achtst<strong>und</strong>entag<br />
ein, die bereits für die Bildung zum „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ <strong>und</strong> die Hebung des Familien-<br />
lebens so zentrale Bedeutung hatte. Die von bürgerlichen ZeitgenossInnen geübte Kritik an der<br />
Sozialdemokratie, sie wolle die Familie zerstören, oder die Befürchtungen männlicher Genossen,<br />
die proletarische Frauenbewegung erziehe ihre Frauen zu „Mannweibern“ war gänzlich unbe-<br />
gründet, denn Zetkin konstatierte bereits 1896 in Gotha:<br />
„[E]s darf auch unmöglich die Aufgabe der sozialistischen Frauenagitation sein,<br />
die proletarische Frau ihren Pflichten als Mutter <strong>und</strong> Gattin zu entfremden; im<br />
Gegenteil, sie muß darauf wirken, daß sie diese Aufgabe besser erfüllt als bisher;<br />
<strong>und</strong> das im Interesse der Befreiung des Proletariats. Je besser die Verhältnisse in<br />
der Familie, die Wirksamkeit in ihrem Heim, um so kampffähiger wird sie. Je mehr<br />
sie die Erzieherin <strong>und</strong> Bildnerin ihrer Kinder sein kann, um so mehr kann sie sie<br />
aufklären, kann sie dafür sorgen, daß sie mit der gleichen Begeisterung <strong>und</strong> Opferfreudigkeit<br />
wie wir in Reih <strong>und</strong> Glied weiter kämpfen für die Befreiung des<br />
Proletariats“ 667<br />
Zetkin entwarf hier ein Idealbild sozialistischer Frauenbildung <strong>und</strong> Erziehung wie sie sie sich für<br />
die proletarischen Familien wünschte <strong>und</strong> wie sie auch die Familie zum idealen Ort sozialistischer<br />
Bildung machen würde. Sie wollte einen Gesellschaftszustand schaffen, der es der Proletarierin<br />
erlauben würde, allen alltäglichen <strong>und</strong> besonderen Erwartungen gerecht zu werden. Wenn man<br />
Zetkin auch vorwerfen mag, dass ihre Utopie von der Realität weit entfernt war, so hatte sie eben<br />
diese doch als Hintergr<strong>und</strong>. Die bürgerlich-radikalen feministischen Vorstellungen von „Müt-<br />
terlichkeit“ jedoch blendeten die alltäglichen Sorgen <strong>und</strong> Nöte, die das Muttersein für<br />
Proletarierinnen tatsächlich mit sich brachte, oft gänzlich aus. 668<br />
666 Wulff, Frida: Nur Zeit! In: GL, 18/ 09/ 27.04.1908/ 81-82.<br />
667 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 166.<br />
668 Tornieporth beschäftigte sich mit dem Leitbild der „geistigen Mütterlichkeit“, wie es in der bürgerlichen<br />
Frauenbewegung im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert entstand, musste jedoch offen lassen, ob es sich bei ihm um eine bewusste<br />
Konstruktion oder einen Reflex bzw. eine Spiegelung der Lebensumstände bürgerlicher Frauen handelte. Dem<br />
408
4.2.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER SOZIALISTISCHEN MUTTER UND DER „MÜTTERLICHKEIT“<br />
Trotzdem fand das von der bürgerlichen Frauenbewegung im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert entwickelte „Prinzip<br />
der Mütterlichkeit“ 669 , welches weit mehr umfasste als „Mutterschaft“ oder „Muttersein“, auch<br />
immer mehr Anklang in der proletarischen Frauenbewegung. „Mütterlichkeit“, so die Pädagogin<br />
<strong>und</strong> Schulreformerin Else Sander (1896-1988), sei<br />
„[d]er feine Spürsinn für andrer leibliche <strong>und</strong> seelische Bedürfnisse, für Verwirrung<br />
<strong>und</strong> Not, ist die kluge Güte, die rechte Wege zum Helfen findet, <strong>und</strong> die unbekümmerte<br />
herzhafte Art zu helfen, die auch das Opferbringen nicht scheut.“ 670<br />
Mütterlichkeit kann nicht anerzogen werden <strong>und</strong> muss auch nicht notwendigerweise von<br />
natürlichen Müttern gefühlt werden. Allerdings gab es vor allem in den Reihen der bürgerlichen<br />
Frauenbewegung die Vorstellung, Mütterlichkeit sei die „höchste Form des <strong>weiblichen</strong> Seins“ 671 .<br />
Für Ellen Key war Mütterlichkeit sogar schlicht ein Gr<strong>und</strong>gesetz in der Natur, das jedoch als<br />
solches keine Kultur verändern, sondern nur veredeln könne. 672 Trotzdem schrieb sie der „Gesell-<br />
schaftsmütterlichkeit“ 673 gerade in Verbindung mit dem Frauenwahlrecht eine besondere Bedeu-<br />
tung zu:<br />
„Die gesellschaftsmütterlichen Sorgen der Frau umfassen jetzt zunächst die Kinder,<br />
die Schwachen, die Leidenden. Daß die Frau die Möglichkeit erlangt, die Gesellschaftsmütterlichkeit<br />
in ihrem vollen – auch volksrepräsentativen – Umfang zu<br />
betätigen, kann nur eine Zeitfrage sein. In einem Jahrh<strong>und</strong>ert wird man über unsere<br />
Zeit lächeln, in der man noch über so selbstverständliche Dinge debattiert hat. Und<br />
die heute noch die Frauenbewegung belächeln, werden dann am allermeisten<br />
belächelt werden!“ 674<br />
Es kann also festgestellt werden, dass sich die Vorstellungen von Mütterlichkeit nicht unähnlich<br />
waren. Die proletarische Frauenbewegung versuchte jedoch, einen ihrer Situation <strong>und</strong> ihrer Partei-<br />
theorie angemesseneren Weg zu gehen.<br />
In der „Gleichheit“ spiegelte sich das u. a. in einem Artikel von Gertrud David (1872-1936) 675<br />
Zusammenhang zwischen „geistiger Mütterlichkeit“ <strong>und</strong> proletarischem Frauenleben geht Tornieporth durch die<br />
Analyse der Autobiographien Ottilie Baaders „Ein steiniger Weg“ (1921) <strong>und</strong> Adelheid Popps „Jugendgeschichte<br />
einer Arbeiterin“ (1909) nach (vgl. Tornieporth, Proletarische Frauenleben <strong>und</strong> bürgerlicher Weiblichkeitsmythos,<br />
S. 309).<br />
669 Peters, Dietlinde: Mütterlichkeit im Kaiserreich.<br />
670 Sander, Else: Mädchenfortbildungsschule <strong>und</strong> Volkskultur. Leipzig: Klinkhardt, 1919. Zit. nach: Schneider,<br />
Deutscher Frauen Leben <strong>und</strong> Streben, S. 8.<br />
671 Schneider, Deutscher Frauen Leben <strong>und</strong> Streben, S. 8.<br />
672 Vgl. Key, Die Frauenbewegung, S. 203.<br />
673 Ebd., S. 198.<br />
674 Ebd.<br />
675 Gertrud David, geb. Swiderski, wurde in Leipzig geboren <strong>und</strong> war ältestes von den vier Kindern eines wohlhabenden<br />
Maschinenbaufabrikanten. Nach dem Besuch der Höheren Töchterschule in Leipzig widmete sie sich<br />
volkswirtschaftlichen Studien. 1896 heiratete sie den sozialdemokratischen Redakteur <strong>und</strong> späteren Reichstagsabgeordneten<br />
Eduard David. Beide waren in der Genossenschaftsbewegung engagiert, gründeten 1899 die<br />
409
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
wider. Sie entwarf darin das Bild einer mütterlichen lebenserhaltenden „Kulturmission“ 676 . Die<br />
Mutter dürfe keinesfalls auf ihre Rolle als Gebärende reduziert werden, sondern müsse, wie<br />
bereits betont, als Erzieherin der Kinder selbst ein gewisses Maß an Erziehung genossen haben.<br />
Indem angenommen wurde, dass in der Frau ein „Bewußtsein von dem Werthe des Menschen-<br />
lebens am stärksten, am unmittelbarsten vorhanden“ 677 sei, wurde ihr auch ein natürliches pazi-<br />
fistisches Wesen zugeschrieben. Eine Mutter mit dem dargestellten Bewusstsein würde bestimmt<br />
nicht zulassen, dass ihre eigenen Söhne ihr Blut für den kapitalistischen Imperialismus lassen. Sie<br />
würde sie im sozialistischen Geist erziehen <strong>und</strong> bilden, damit auch sie gegen den Militarismus<br />
kämpfen. In diesem Sinne schrieb Wilhelm Liebknecht 1872:<br />
„Eine gebildete Jugend läßt sich nicht zu Kanonenfutter verarbeiten.“ 678<br />
Manche dieser „kulturmissionarischen“ Züge führten aber auch in einen übertriebenen<br />
„pseudoreligiösen Mutterkult“ 679 <strong>und</strong> stilisierten die Mutter zur „schmerzgeheiligte[n] Trägerin<br />
der Zukunft“ 680 . Eine Ausdrucksweise dieser Art dürfte die „Gefühlssozialistinnen“ unter den<br />
„Gleichheit“-Leserinnen sehr angesprochen haben.<br />
Die nächste Generation würde alles anders <strong>und</strong> vor allem besser machen – so auch die nächste<br />
Generation sozialistischer Mütter. In vollem sozialistischen Bewusstsein erzogen, würde sie nicht<br />
nur in vollem sozialistischen Bewusstsein handeln, sondern dieses auch weitergeben. Das, was die<br />
ältere Generation mit Mühe erkennen <strong>und</strong> verinnerlichen musste, würde dann der jungen<br />
Generation quasi „in die Wiege gelegt“. Den Kindern sollten moralische <strong>und</strong> klassenkämpferische<br />
Bildungsinhalte vermittelt werden, was stark von einem guten elterlichen Vorbild abhing. So<br />
wurden sowohl in die Eltern als auch in die Kinder hohe Erwartungen gesetzt <strong>und</strong> die Referentin<br />
<strong>und</strong> spätere preußische Landtagsabgeordnete Minna Bollmann (1876-1935) 681 betonte 1909 auf<br />
Mainzer Spar-, Konsum- <strong>und</strong> Produktionsgenossenschaft <strong>und</strong> Gertrud David veröffentlichte 1910 die Broschüre<br />
„Sozialismus <strong>und</strong> Genossenschaftsbewegung“. 1900-1917 betreute David die Rubrik „Genossenschaftswesen“ in<br />
den „Sozialistischen Monatsheften“. 1908 trennte sich das Ehepaar David gütlich, die Scheidung erfolgte 1911.<br />
David wirkte an der Herstellung von Propagandafilmen mit. 1917 verfasste sie ihr erstes Drehbuch. 1924 gründete<br />
sie ihre eigene Produktionsfirma „Gervid-Film“.<br />
676 David, Gertrud: Das Weib <strong>und</strong> der Intellektualismus. In: GL, 12/ 11/ 21.05.1902/ 84.<br />
677 Ebd.<br />
678 Liebknecht, Wilhelm: Wissen ist Macht – Macht ist Wissen; Festrede, gehalten zum Stiftungsfest des Dresdener<br />
Arbeiterbildungsvereins am 5. Februar 1872. Zit. nach: Feidel-Mertz, Zur Geschichte der Arbeiterbildung, S. 63.<br />
679 Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus, S. 210.<br />
680 Selinger, Berta: Um Wissen <strong>und</strong> Bildung. In: GL, 21/ 12/ 13.03.1911/ 184.<br />
681 Minna Bollmann, geb. Zacharias, wurde in Halberstadt geboren <strong>und</strong> war Tochter eines Schneidermeisters. Dieser<br />
war genauso bekennender Sozialdemokrat wie der Gastwirt Max Bollmann (?-1925), der 1896 sein Schwiegersohn<br />
wurde. Seit 1907 wirkte die gelernte Schneiderin Bollmann als Agitatorin für die proletarische Frauenbewegung.<br />
Während des Ersten Weltkrieges war sie als Bezirkspflegerin in der Kriegsfürsorge tätig. Sie wurde<br />
1919 in die Nationalversammlung gewählt <strong>und</strong> bekleidete 1919-1933 in Halberstadt das Amt einer Stadtverordneten.<br />
1921-1933 war Bollmann zudem Abgeordnete des preußischen Landtags. Da ihre Gastwirtschaft<br />
auch nach 1933 zentraler Treffpunkt der Sozialdemokratie war, geriet Bollmann unter Bewachung durch die<br />
410
4.2.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER SOZIALISTISCHEN MUTTER UND DER „MÜTTERLICHKEIT“<br />
der Sozialdemokratischen Frauenkonferenz des Regierungsbezirks Magdeburg,<br />
„daß schon im zartesten Kindesalter die Charakterbildung des Kindes begonnen<br />
werden müsse. Am besten wirken gute Beispiele. Der Widerspruch zwischen<br />
Reden <strong>und</strong> Tun bei den Eltern ist verderblich. Den Kindern muß frühzeitig klar<br />
gemacht werden, daß sie stolz darauf sein müssen, Arbeiterkinder zu sein, da der<br />
Fortschritt der Kultur von der Arbeit abhängt <strong>und</strong> die Befreiung der Menschheit<br />
von der Arbeiterklasse.“ 682<br />
Sie sprach sich zudem gegen jede unbedachte Bestrafung der Kinder 683 <strong>und</strong> für ihre verstärkte Zu-<br />
führung zu den Jugendorganisationen aus. Gerade Letzteres werde viel zu häufig, vor allem wenn<br />
es sich um Mädchen handele, von den Eltern unterlassen. Eine Unterlassung, die<br />
“sehr bedauerlich [sei], da die jungen Mädchen Mütter werden, die später die hohe<br />
Aufgabe haben, das heranwachsende Geschlecht zu einem Klassenbewußtsein zu<br />
erziehen” 684 .<br />
Die Identifikation mit der eigenen Klasse – ohne Frage ein Bildungsziel jener Jugendorgani-<br />
sationen – <strong>und</strong> die Teilnahme an deren gesellschaftlichem Leben mussten auch den Mädchen<br />
ermöglicht werden. So gibt dieser Artikel ein gutes Beispiel dafür, dass die ungleiche, ge-<br />
schlechtsspezifische Erziehung der Kinder <strong>und</strong> die den Mädchen in den eigenen Reihen verwehrte<br />
Weiterbildung durchaus von den Sozialistinnen kritisiert wurde.<br />
Dass sich viele Frauen ihrer gesellschaftsgestaltenden Macht als Mütter bewusst waren <strong>und</strong> sie für<br />
den Frieden <strong>und</strong> ihre Rechte einzusetzen versuchten, beweist die kurz vor Kriegsbeginn<br />
einsetzende „Gebärstreikdebatte“ 685 . Sie wurde ausgelöst durch die Eingabe eines Gesetzes in den<br />
Reichstag, welches vorsah, dem allgemeinen Geburtenrückgang mittels des generellen Verbotes<br />
Nationalsozialisten. Wegen eines 1935 gegen sie eingeleiteten Verfahrens <strong>und</strong> der Angst vor Folter beging<br />
Bollmann Suizid. Die Stadt Halberstadt verleiht heute an engagierte Sozialdemokratinnen den „Minna-Bollman-<br />
Preis“.<br />
682 Sozialdemokratische Frauenkonferenz für den Regierungsbezirk Magdeburg. In: GL, 20/ 03/ 08.11.1909/ 41.<br />
683 Körperliche Züchtigung war innerhalb der Proletarierfamilien nicht selten, wurde aber von den sozialistischen<br />
Pädagogen wie Otto Rühle oder Heinrich Schulz immer abgelehnt.<br />
684 Ebd.<br />
685 Die „Gleichheit“-Redaktion <strong>und</strong> Zietz waren gegen den Gebärstreik. Zum Gebärstreik erschien in den „Gleichheit“-Jahrgängen<br />
23 <strong>und</strong> 24 eine längere Artikelserie zum Geburtenrückgang in Berlin. Außerdem: x.:<br />
Sozialistische Frauenkonferenz für Groß-Berlin. In: GL, 24/ 05/ 26.11.1913/ 72-73 (Themen u. a. Gebärstreikdebatte,<br />
Jugendagitation; beteiligte Genossinnen u. a. Duncker, Wurm, Bohm-Schuch); Ein Gesetz gegen den<br />
Verkehr mit Mitteln zur Verhinderung von Geburten … In: GL, 24/ 12/ 04.03.1914/ 192 (GL lehnt zwar Gebärstreik<br />
ab, aber auch diesen gesetzlichen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte); Gebärzwang <strong>und</strong> Gebärstreik. I. In:<br />
GL, 24/ 14/ 01.04.1914/ 209-211; Gebärzwang <strong>und</strong> Gebärstreik. II. In: GL, 24/ 17/ 13.05.1914/ 257-259;<br />
Gebärzwang <strong>und</strong> Gebärstreik. III. In: GL, 24/ 19/ 10.06.1914/ 289-291. Zietz, Luise: Gegen den staatlichen<br />
Gebärzwang. In: GL, 24/ 15/ 15.04.1914/ 227-228 (Rede auf der Berliner Protestversammlung am 03.03.1914<br />
gegen das von den bürgerlichen Parteien geforderte gesetzliche Verbot des Verkaufs antikonzeptioneller Mittel);<br />
Zietz, Luise: Gegen den staatlichen Gebärzwang (Fortsetzung). In: GL, 24/ 16/ 29.04.1914/ 242-243. Zum Gebärstreik<br />
siehe: Haas, Gebärstreik im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert; Haas, Gebärstreik. Frauen gegen den staatlich verordneten<br />
Muttermythos; Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus.<br />
411
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
empfängnisverhütender Mittel entgegenzuwirken. 686 Aus einer bevölkerungspolitischen Debatte<br />
wurde eine Debatte über die Rechte der Frau auf eine freie Sexualität <strong>und</strong> die Rechte der Frau an<br />
ihrem eigenen Körper. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges kam noch zusätzlich der Aspekt hinzu,<br />
ob Sozialistinnen durch einen „Gebärstreik“ Einfluss auf den Krieg nehmen, ihn auf diese Weise<br />
gar beenden könnten. Dieser Aspekt wurde von Zetkin <strong>und</strong> anderen als zugleich dem Sozialismus<br />
<strong>und</strong> seiner Entfaltung schadend abgelehnt. In einem Unterkapitel mit dem bezeichnenden Titel<br />
„Die proletarische Gebärerin“ behauptet Puschnerat, Zetkin habe mittels einer<br />
sozialdarwinistisch-moralisierenden Argumentation die Arbeiterfrauen quasi unter einen „regel-<br />
rechten Gebärdruck“ 687 gesetzt. Sie habe Geburtenkontrolle <strong>und</strong> Abtreibung besonders für<br />
proletarische Frauen abgelehnt, weil dies in ihren Augen Ausdruck eines egoistischen Individua-<br />
lismus sei. 688 Jedoch geht Puschnerat dann doch nicht weiterführend darauf ein, dass Zetkin<br />
wiederum einer Resolution gegen den § 218 ihre Zustimmung gegeben hatte. 689 Zetkin war näm-<br />
lich durchaus nicht der Meinung, dass jeder Mutter eines Kind auch dessen adäquate Erziehung<br />
im Sinne des Sozialismus zuzutrauen bzw. zuzumuten sei:<br />
„Also die erste beste Gans – man verzeihe mir den Ausdruck – welche Mutter<br />
wird, erhält durch die bloße Geburt die magische Gabe, alle Aufgaben dieses<br />
schweren <strong>und</strong> folgereichen Berufs zu erledigen! Diese Auffassung ist ihren<br />
Ergebnissen nach geradezu verbrecherisch!“ 690<br />
Zetkin wollte vielmehr die Gesellschaft – <strong>und</strong> damit auch den Mann – in die erzieherische Verant-<br />
wortung nehmen <strong>und</strong> sah dies als indirekten Zusammenhang mit der besonderen Verantwortung<br />
der Mutter:<br />
„Wenn wir die öffentliche Erziehung brauchen, um Bürger zu erziehen, so bedürfen<br />
wir der häuslichen Erziehung, um starke Persönlichkeiten zu erziehen.“ 691<br />
Im Oktober 1914 veröffentlichte Zetkin einen Leitartikel mit dem Titel „Wir Mütter“ 692 . Bereits<br />
686 Vgl. Beavan/Faber, Wir wollen unser Teil fordern, S. 237.<br />
687 Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 145.<br />
688 Vgl. ebd., S. 143.<br />
689 Vgl. ebd., S. 140. Zetkins Haltung scheint hier keine gr<strong>und</strong>sätzliche gewesen zu sein. Ihre Argumentation, dass<br />
das Recht auf Abtreibung <strong>und</strong> Verhütung nicht die soziale Frage lösen können (vgl. ebd. S. 141) ist genauso<br />
zutreffend wie der Gedanke, dass gerade Müttern sehr kinderreicher Familien durch Geburtenplanung ein Stück<br />
Lebensqualität <strong>und</strong> eine bessere Chance zur politischen Teilhabe gegeben worden wäre.<br />
690 Zetkin, Die Arbeiterinnen- <strong>und</strong> Frauenfrage der Gegenwart, S. 32. Ähnliches formulierte Zetkin auch in ihrer<br />
Schrift „Der Student <strong>und</strong> das Weib“ (Zetkin, Der Student <strong>und</strong> das Weib, S. 25).<br />
691 Zetkin, Clara: Die „neue Familie“. (1906). Zit. nach: Hervé, Frauenbewegung <strong>und</strong> revolutionäre Arbeiterbewegung,<br />
S. 43. Puschnerat ist dagegen der Meinung, Zetkin habe die Erzieherinnenrolle für die proletarischen<br />
Mütter abgelehnt, weil diese selbst noch erzogen werden müssten (vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit<br />
<strong>und</strong> Marxismus, S. 137). M. E. kann von Ablehnung keine Rede sein, sondern lediglich von der Verdeutlichung<br />
der Notwendigkeit einer solchen Erziehung der Mütter.<br />
692 Wir Mütter. In: GL, 25/ 02/ 16.10.1914/ 9-10.<br />
412
4.2.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER SOZIALISTISCHEN MUTTER UND DER „MÜTTERLICHKEIT“<br />
die vielen weißen Zensurlücken weisen darauf hin, dass der Inhalt keine harmlosen Erziehungs-<br />
tipps betraf. Vielmehr hob Zetkin angesichts des „Ernst[es] dieser geschichtlichen St<strong>und</strong>e“ 693 die<br />
Bedeutung der Mütter, besonders der „Mütter des arbeitenden Volkes“ 694 , hervor. Zetkin wollte<br />
durch die Ansprache „Wir Mütter“ ihr Mitverstehen ausdrücken <strong>und</strong> den Identifikationsgrad<br />
erhöhen. Dies drückt sich auch darin aus, dass sie sowohl diejenigen Mütter ansprach, die sich<br />
„den Anforderungen einer auferzwungenen oder frei gewählten Berufstätigkeit beugen“ 695 müs-<br />
sen, als auch diejenigen, die „still <strong>und</strong> emsig am häuslichen Herde inmitten der Kinder schalten<br />
<strong>und</strong> walten“ 696 .<br />
Ihnen allen gemeinsam sei, dass sie als Mütter stets ihren Blick auf die Zukunft richteten <strong>und</strong><br />
diese Zukunft sich in ihren Kindern verkörpere. Wie Mütter „in dem jungen Leben den reifen<br />
Menschen von morgen […] hegen <strong>und</strong> […] pflegen“ 697 , so müssten sie<br />
„ebenso eifrig darauf bedacht sein, die gesellschaftliche Umwelt zu gestalten, die<br />
Verhältnisse zu beeinflussen, unter denen das Kind seine körperlichen <strong>und</strong> seelischen<br />
Kräfte entfaltet“ 698 .<br />
Zetkin sah darin eine Notwendigkeit, ja sogar eine Naturnotwendigkeit, denn „[w]ir Mütter<br />
können gar nicht anders, wir müssen Dienerinnen der Zukunft sein“ 699 . Der Krieg belastete jedoch<br />
diesen Dienst an der Zukunft. Das Kommen des Krieges 700 habe<br />
„die Erkenntnis getrübt für das, was die Völker einigt, wie für das, was innerhalb<br />
der einzelnen kapitalistischen Staaten die verschiedenen Gesellschaftsschichten<br />
trennt“ 701 .<br />
Zetkin wollte deshalb den Blick ihrer Leserinnen wieder auf die wesentlichen Konflikte des Klas-<br />
senkampfes lenken. Sie wollte sie aus ihrer nationalen Kriegsbegeisterung 702 reißen, die<br />
„noch wenigstens vorübergehend einen Teil der jahrzehntelangen Erziehungsarbeit<br />
ausgelöscht [hat], die die Mühseligen <strong>und</strong> Beladenen befähigen sollte, sicheren<br />
Schrittes ihren Weg nach dem Kanaan der sozialistischen Gesellschaftsordnung zu<br />
wandern.“ 703<br />
Die Enttäuschung über die verlorene Arbeit, über das augenscheinliche Zeugnis ihrer<br />
693 Ebd., S. 9.<br />
694 Ebd.<br />
695 Ebd.<br />
696 Ebd.<br />
697 Ebd.<br />
698 Ebd.<br />
699 Ebd.<br />
700 Das originale Bezugswort des Zitats stand im vorherigen Absatz, wurde aber zensiert.<br />
701 Ebd.<br />
702 Das originale Bezugswort des Zitats stand im vorherigen Absatz, wurde aber zensiert.<br />
703 Ebd. - ein Beispiel für Zetkins Anlehnungen an biblische Bilder.<br />
413
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Ungenügsamkeit ist unverkennbar. Und doch setzte sie noch immer großes Vertrauen in die sozia-<br />
listischen Frauen <strong>und</strong> besonders in die Mütter. Denn Frauen, so Zetkin, wären<br />
„nur Weibchen, keine Mütter, wollten […] [sie ihre] Aufgabe darin erschöpft<br />
sehen, daß […] [ihr] Leib die Gußform des Kindes ist“ 704 .<br />
Mütter waren für Zetkin weder „Gebärmaschinen“ 705 noch waren sie schwächliche Opfer der Um-<br />
stände:<br />
„Muttermacht geht über die Nücken <strong>und</strong> Tücken äußerer Gewalt, geht auch über<br />
Kriegsrecht. Muttermacht kann <strong>und</strong> darf nur eines vorbereiten: die künftigen Siege<br />
des Sozialismus. Ihnen leben wir, für sie erziehen wir die Kinder, wir Mütter.“ 706<br />
Zetkin blieb sehr abstrakt darin, worin sich diese gegen das Kriegsrecht angehende Muttermacht<br />
ausdrücken könne – im anderen Falle wäre ein solche Aussage jedoch sicherlich nicht unzensiert<br />
geblieben. 707<br />
Nach Ende des Krieges <strong>und</strong> vor dem Hintergr<strong>und</strong> der vielen Millionen Kriegsopfer wurde die be-<br />
völkerungspolitische Debatte wieder aufgenommen. Die „neue“ „Gleichheit“-Redaktion wollte in<br />
Kooperation mit bürgerlichen Frauenorganisationen <strong>und</strong> durch eine besondere Agitation unter den<br />
katholischen Arbeiterfrauen gegen die Illegalisierung von Verhütungsmitteln <strong>und</strong> Abtreibung pro-<br />
testieren. 708 Diesen Eingriff in die Selbstbestimmung der Frau, sah die „neue“ „Gleichheit“ in<br />
einer Linie mit dem immer noch ausstehenden Frauenwahlrecht. Hatten die Frauen im Krieg noch<br />
allen bewiesen, dass sie Verantwortung übernehmen konnten <strong>und</strong> „in erfreulichem Maße an<br />
Selbstgefühl <strong>und</strong> Persönlichkeitsbewußtsein gewonnen“ 709 , so sah manche Partei sie jedoch immer<br />
noch nicht reif genug für eine volle politische Gleichberechtigung.<br />
704 Ebd. S. 10.<br />
„Statt dessen will man euch auf kleinliche Weise zwingen, möglichst viel Kinder in<br />
die Welt zu setzen, man will euch selbst die ungefährlichsten Mittel nehmen, durch<br />
die ihr selber bestimmen könnt, wann <strong>und</strong> wie oft ihr Kinder gebären wollt. Ginge<br />
es nach dem Willen der Regierung <strong>und</strong> der bürgerlichen Parteien, so bliebe euch<br />
bei den ständigen Schwangerschaften <strong>und</strong> Wochenbetten keine Zeit mehr für die<br />
Beteiligung am Kulturleben, an der politischen Tätigkeit, an der Frauenbewegung.“<br />
710<br />
705 Vgl. dazu Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 140ff.<br />
706 Wir Mütter. In: GL, 25/ 02/ 16.10.1914/ 10.<br />
707 Zetkin suchte die Kriegsschuld im imperialistischen Machtstreben des Deutschen Reiches, doch noch unter ihrer<br />
Redaktion regten sich auch feministische Anklagen gegen eine Lust am Krieg der Männer (vgl. Eine Bek<strong>und</strong>ung<br />
der internationalen Solidarität <strong>und</strong> des Friedenswillens deutscher Frauenstimmrechtsorganisationen … In: GL, 25/<br />
11/ 19.02.1915/ 67-68).<br />
708 Gegen die bevölkerungspolitischen Ausnahmegesetze! In: GL, 18/ 26/ 27.09.1918/ 201.<br />
709 Ebd.<br />
710 Ebd.<br />
414
4.2.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER SOZIALISTISCHEN MUTTER UND DER „MÜTTERLICHKEIT“<br />
Hinsichtlich der prinzipiellen Ablehnung des § 218 <strong>und</strong> hinsichtlich der Vehemenz, mit welcher<br />
dieser Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Frau verurteilt wurde, waren sich SPD <strong>und</strong><br />
USPD ausnahmsweise einig. 711<br />
Mit Kriegsende erreichte in der „Gleichheit“ die bereits erwähnte „Pseudoreligiösität“ betreffs des<br />
„heilbringenden“ Charakters der „Mütterlichkeit“ eine neue Qualität. Nach den traumatisierenden<br />
Erlebnissen des Krieges setzte man nun umso größere Hoffnung in das mütterliche Wesen. Fürth<br />
war der Meinung, dass der „intellektuellen Manneskultur <strong>und</strong> der Gefahr, die darin für die<br />
Menschheitsentwicklung“ 712 lag, etwas entgegengesetzt werden müsste. Dies sei – noch stärker als<br />
zuvor – die Kulturaufgabe der Frau. Ihre Stärken lägen glücklicherweise nicht im intellektuellen<br />
Bereich, der in seiner Dominanz so verheerende Auswirkungen hatte, sondern „vorwiegend auf<br />
dem Gebiet des Fühlens, der Intuition im Schauen, Denken, Urteilen <strong>und</strong> Handeln“ 713 - in den<br />
psychischen Fähigkeiten also, die noch heute dem Weiblichen zugeschrieben werden.<br />
Fürth erwartete von der Frau nicht eine<br />
„quantitative Mehrung bereits vorhandener Kulturwerte […], sondern jenen<br />
qualitativen Kultureinsatz, den in dieser Form sie <strong>und</strong> nur sie zu geben vermag.<br />
Sie, deren intuitives Schauen <strong>und</strong> Gestalten aus dem Tiefsten quellend ins Tiefe<br />
trifft. Sie, deren verstehende Güte den abstrakten Gerechtigkeitsbegriff des Mannes<br />
in das Höhere, in Menschlichkeit wandelt. Und über alles das hinaus eines. Das<br />
Weib hat die unbestrittene Herrschaft im Reiche des Liebeslebens, das seine<br />
Gipfelung im Muttertum findet.“ 714<br />
Die Frau hat demzufolge als Mutter eine Machtposition inne, die Fürth nicht unterschätzt wissen<br />
wollte. Da ihrer Vorstellung nach eine Mutter diese Machtposition niemals zum Verderben einer<br />
Gesellschaft missbrauchen würde, konnte Fürth folgendes Bild mütterlicher Idylle zeichnen:<br />
„Unsere überintellektuelle Welt bedarf der Sonnenwärme der Mütterlichkeit. Hier<br />
liegt die Kulturaufgabe der Frau, <strong>und</strong> in diesem Zeichen wird sie siegen. Im<br />
Zeichen jener Mütterlichkeit, die aller Erkenntnisse <strong>und</strong> Reichtümer modernen<br />
Lebens voll ist <strong>und</strong> bereit, sie zum Besten aller auszunützen <strong>und</strong> dahinzugeben.“ 715<br />
Diese Art der Mütterlichkeit würde sich nicht nur zum repressiven Patriarchat, sondern auch zu<br />
dem „vegetativen Muttertum vergangener Zeiten, das Liebe hatte, aber kein Verstehen“ 716 , unter-<br />
scheiden.<br />
Mit der Annahme des Versailler Vertrages war es die Kulturmission des sozialdemokratischen,<br />
711 Vgl. „Unabhängiger“ Kampf gegen die Gesetzentwürfe. In: GL, 18/ 26/ 27.09.1918/ 201-202.<br />
712 Fürth, Henriette: Zum Wahlrecht der Frauen (Schluß.). In: GL, 29/ 08/ 17.01.1919/ 63.<br />
713 Ebd.<br />
714 Ebd.<br />
715 Ebd.<br />
716 Ebd.<br />
415
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
mütterlichen Wesens, die nächste Generation im Zeichen der Völkerversöhnung zu erziehen:<br />
„Sehet im Menschen den Menschen, auch wenn er nicht Eure Sprache spricht. Legt<br />
in die Seelen Eurer Kinder die Liebe zum Menschen <strong>und</strong> nähret nicht den Haß<br />
gegen andere Völker. Kurz, lernet sozialistisch fühlen, denken <strong>und</strong> handeln.“ 717<br />
Ottilie Kobacsobics (?-?) 718 sah hier demnach nur allein den Frauen die Fähigkeit gegeben, trotz<br />
der als Unrecht empf<strong>und</strong>enen Repressionen der Siegermächte ihre Kinder zu einer völker-<br />
versöhnenden Menschlichkeit zu erziehen. Und auch Kobacsobics stellte dieser Aufgabe wieder<br />
die gr<strong>und</strong>legende Bedingung voraus: „Wer aber erziehen will, der muß erzogen sein“ 719 .<br />
Die Bedeutung des Mutterseins <strong>und</strong> der Mütterlichkeit wurde z. B. in Form des Säuglingspflege-<br />
Unterrichts sogar in Mädchenabende <strong>und</strong> in die Schule hineingetragen. Dieses Vorgehen be-<br />
fürwortete auch Kurt Heilbut <strong>und</strong> sah darin eine gute Gelegenheit, um die Mädchen auf „die<br />
Mutterschaft als die eigentliche Erfüllung der Frau hinzuweisen“ 720 . Heilbuts Argumentation für<br />
einen allgemein größeren Einfluss von Müttern <strong>und</strong> Frauen war äußerst feministisch <strong>und</strong> von den<br />
Kriegsereignissen geprägt:<br />
„Groß ist die Schuld des Mannes gegenüber der Frau. Und diese Schuld ist ihm<br />
nicht vergeben worden. Bitter hat sich die jahrtausendelange Unterdrückung der<br />
Frau gerächt. Die ‘Reinhaltung’ unserer Politik von allem Weiblichen, allem<br />
Gefühlsmäßigem, das stete Betonen der ‘reinen Vernunft’, die, ach so oft, die reine<br />
Unvernunft war, sie haben uns dahin geführt, wo wir heute stehen: an den Rand<br />
eines Abgr<strong>und</strong>s.“ 721<br />
Heilbut hob damit vehementer als Fürth oder andere weibliche „Gleichheit“-Kolleginnen die<br />
Vorzüge vermeintlich weiblicher Charaktereigenschaften hervor. Er konstatierte den Gegensatz<br />
von weiblich <strong>und</strong> männlich, von Gefühl <strong>und</strong> Verstand, <strong>und</strong> schrieb allein der <strong>weiblichen</strong> Natur<br />
<strong>und</strong> Empfindsamkeit die Kraft zu, die durch den Krieg geschlagenen W<strong>und</strong>en zu heilen:<br />
„Zwar fehlt den meisten Frauen dieser Zeit die nötige Vorbildung, das angelernte<br />
Wissen. Dafür bringen sie viele gute Dinge mit, die der Mann meist nicht hat: ein<br />
angeborenes Gefühl für das Richtige, viel Frische <strong>und</strong> Natürlichkeit, viel Idealismus<br />
<strong>und</strong> guten Willen. Und dann etwas, das gar nicht hoch genug eingeschätzt<br />
werden kann: das Wohl, das Interesse der Frau deckt sich stets mit dem Wohl <strong>und</strong><br />
Interesse der Gesamtheit.“ 722<br />
Genauso wie für Fürth stand es auch für Heilbut außer Frage, dass eine Beteiligung der Frauen an<br />
Politik <strong>und</strong> Kultur der Allgemeinheit zuträglich sein würde – nicht aus einem emanzipatorischen<br />
717 Kobacsobics, Ottilie: Erziehung zum Sozialismus. In: GL, 30/ 03/ 17.01.1920/ 22.<br />
718 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu<br />
Ottilie Kobacsobics.<br />
719 Ebd.<br />
720 Heilbut, Kurt: Mädchenabende. In: GL, 30/ 08/ 21.02.1920/ 62.<br />
721 Heilbut, Kurt: Zur Wiederkehr des Revolutionstages. In: GL, 29/ 38/ 08.11.1919/ 303.<br />
722 Ebd.<br />
416
Prinzip heraus, sondern ihrer Wesensart gemäß:<br />
4.2.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER SOZIALISTISCHEN MUTTER UND DER „MÜTTERLICHKEIT“<br />
„Wie der Egoismus, die Selbstsucht des Mannes, den Fortschritt gehemmt <strong>und</strong><br />
verzögert hat, wird die Selbstsucht der Frau, die Selbstsucht der Mutter antreibend,<br />
beschleunigend auf die Entwicklung der Menschheit wirken.“ 723<br />
Jeder Frau sah Heilbut – der hier besonders harsche Kritik an seinen selbstsüchtigen Geschlechts-<br />
genossen übte – ein mütterliches Wesen gegeben, das in seinen Interessen zugleich die Interessen<br />
der Menschheit verfolgt. Heilbut sah diese Bedeutung des Mütterlichen, des Weiblichen nicht nur<br />
für eine kulturelle Erneuerung. Es sollte auch Gr<strong>und</strong>stein für einen neuen Staat sein.<br />
„Wie lange noch, dann wird nicht mehr der waffenstarrende, menschenmordende<br />
Krieger, sondern die liebeerfüllte, lebenzeugende Mutter das wichtigste Glied im<br />
Staat <strong>und</strong> menschlicher Gesellschaft sein.“ 724<br />
Diese Überhöhung der Frau <strong>und</strong> Mutter ebbte schließlich in den Artikeln Heilbuts ab. Der Mann<br />
wurde wieder zum Maßstab großer Leistungen. In einem späteren Artikel stellte Heilbut sich <strong>und</strong><br />
den „Gleichheit“-Leserinnen die Frage, ob nicht „der Mann die geniale Arbeite schaffe, <strong>und</strong> die<br />
Frau den genialen Menschen“ 725 . Seiner Meinung nach sei das eine Art der „‘Arbeitsteilung’, bei<br />
der die Frau keineswegs hinter dem Mann zurücksteh[e]“ 726 . Wie großartig hatte sich nicht die<br />
Frau im Ersten Weltkrieg bewährt? Ein Beweis dafür,<br />
„daß die Frau genau die gleiche Lern- <strong>und</strong> geistige Aufnahmefähigkeit besitzt wie<br />
der Mann, sobald ihr die gleichen Ausbildungsmöglichkeiten gegeben werden“ 727 .<br />
Und doch sprach sich Heilbut gegen eine entsprechende Agitation aus. Er war vielmehr der<br />
Meinung, man müsse mit dem<br />
„seitherigen Gr<strong>und</strong>satz brechen, die Frauen auf die gleiche Art wie den Mann für<br />
den Sozialismus gewinnen zu wollen. Es führen viele Wege zum Sozialismus. Und<br />
der Weg der Frau ist ein anderer als der des Mannes. Er muß notgedrungen ein<br />
anderer sein infolge ihrer anderen Veranlagung, Vorbildung <strong>und</strong> bisherigen Erziehung.<br />
Wenn auch nicht für alle, so doch für den größten Teil der Frauen führt<br />
der Weg zum Sozialismus, zum Gemeinschaftsleben über die Mutterschaft. Hier ist<br />
das Reich, wo die Frau Herrscherin ist. Ueber die Fragen der Mutterschaft <strong>und</strong> des<br />
Kindes führt die große Linie, auf der die Frau über die Interessen des einzelnen<br />
hinaus für die Gesamtheit zu bewegen <strong>und</strong> zu gewinnen ist.“ 728<br />
Der Frau wurde ein anderer Weg zugebilligt, aber das „Ergebnis“ sollte das Gleiche sein. Wenn<br />
kritisiert wird, dass die „Gleichheit“ die Frau in ihrer Rolle als Mutter zu funktionalisieren<br />
723 Ebd.<br />
724 Ebd.<br />
725 [Heilbut, Kurt] K.H.: Ist die Frau weniger begabt als der Mann? In: GL, 32/ 12/ 15.06.1922/ 115-117, S. 116.<br />
726 Ebd.<br />
727 Ebd.<br />
728 Ebd., S. 117.<br />
417
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
versuchte, ist dies nur teilweise richtig. Die „Gleichheit“ hätte niemals vollkommen ausblenden<br />
können, dass die Sozialisation der Frau auch an der Schwelle zum 20. Jahrh<strong>und</strong>ert besonders auf<br />
ihre Rolle als zukünftige Mutter abzielte 729 . Heilbuts obige Überlegung, dass Frauen über ihre<br />
Mutterschaft „bewegt <strong>und</strong> gewonnen“ werden können, war nicht von der Hand zu weisen.<br />
Außerdem eröffnete sich der proletarischen Frauenbewegung hier auch eine neue<br />
Bildungsstrategie, eine weitere Ebene der Ansprache, die Gefühl <strong>und</strong> Zweckdienlichkeit verband,<br />
um den Frauen durchaus auch den wissenschaftlichen Sozialismus näher zu bringen. Sollte sie<br />
diese einfach ungenutzt lassen? Auf diese Weise wäre sie den Interessen ihrer Anhängerinnen<br />
nicht vollständig gerecht geworden. Und so wurde die Frau einerseits erneut in ihren individuellen<br />
Interessen angesprochen, um sie für den Sozialismus zu gewinnen, andererseits verlangte man von<br />
ihr aber die Opferung dieses Egoismus im Interesse der proletarischen Klassengemeinschaft. Dies<br />
erforderte einerseits ein Erkennen der eigenen Lage <strong>und</strong> andererseits ein Verstehen der gesell-<br />
schaftlichen Zusammenhänge. Nun zielte aber der Aspekt der Mütterlichkeit nicht auf einen<br />
ausgesprochen kognitiven Prozess ab, sondern in erster Linie doch auf die Gefühlsebene der Frau.<br />
Friese entlarvt diese Taktik so:<br />
„Die Proletarierin wurde als Mutter angesprochen, wenn es sich um die Forderungen<br />
nach Verkürzung der Arbeitszeit handelte, als Mutter während der Friedensk<strong>und</strong>gebungen<br />
der Frauen im Ersten Weltkrieg. Nur als Mutter ihres Sohnes im<br />
Felde <strong>und</strong> als Ehefrau sollte sie ein Interesse an der baldigen Beendigung des<br />
Krieges haben. In ihrer Eigenschaft als ‘Mutter für viele’ arbeitete die Frau in der<br />
Kinderschutzkommission. Ihren Beitrag für die Zukunft leistete sie als Gebärerin<br />
des proletarischen Heldengeschlechts, als Bildnerin der Kinder im Geiste des<br />
Sozialismus, damit der Kampf des Proletariats siegreich zu Ende geführt werden<br />
konnte.“ 730<br />
Die Angst um ihre Kinder, der Stolz auf ihre „produktive“ Leistung, ihre zukunftsweisende,<br />
heilbringende, naturgegebene Macht – all das appellierte in erster Linie an ihre Gefühlswelt, erst<br />
in zweiter Linie an ihr übergeordnetes Verantwortungsbewusstsein. Ist dies schlicht als<br />
„Propagandamasche“ der Sozialistinnen zu beurteilen, ja vielleicht sogar zu verurteilen? Oder<br />
wird hier doch nur der Versuch unternommen, die Frauen über „generative“ 731 , erkenntnis-<br />
zeugende Themen zu existenzsichernder politischer Aktivität zu motivieren? Festzuhalten ist:<br />
Diese fließende Grenze zwischen Manipulation <strong>und</strong> Motivation ist bei der Beurteilung der schein-<br />
bar „banalen“ <strong>und</strong> „gefühlsduseligen“ Bildungsentwürfe der proletarischen Frauenbewegung stets<br />
729 Vgl. Vormschlag, Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften, S. 248.<br />
730 Freier, Dimensionen <strong>weiblichen</strong> Erlebens <strong>und</strong> Handelns, S. 213.<br />
731 Der Begriff der „generativen Themen“ wurde von dem „Volkspädagogen“ Paulo Freire in seinem Werk<br />
„Pädagogik der Unterdrückten“ 1970 geprägt. Er besagt, dass „Themen im Menschen, in seinen Beziehungen mit<br />
der Welt, im Hinblick auf konkrete Tatsachen“ (Freire, Pädagogik der Unterdrückten, S. 89) existieren. Um die<br />
Menschen zu verstehen, muss man ihre Themen verstehen.<br />
418
im Auge zu behalten.<br />
4.2.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER SOZIALISTISCHEN MUTTER UND DER „MÜTTERLICHKEIT“<br />
Vernachlässigt man die pseudoreligiösen Floskeln, die das in der „Gleichheit“ dargestellte Mutter-<br />
bild prägten, so bleibt – in Anbetracht der proletarischen Familienverhältnisse – die angestrebte<br />
Entwicklung <strong>und</strong> „Betonung der politischen Bedeutung einer richtig verstandenen Mutter-<br />
schaft“ 732 .<br />
„Richtig“ verstanden wurde Mutterschaft im Sinne des Sozialismus wohl dann, wenn eine sozia-<br />
listische Mutter, ausgestattet mit pädagogischen <strong>und</strong> psychologischen Kenntnissen, sozialistische<br />
Kinder erzog. Die Möglichkeiten, dies angesichts des Proletarierinnenalltags umzusetzen, waren<br />
jedoch begrenzt.<br />
Einige der hier bereits als weibliche Vollmenschen charakterisierten Frauen waren Mütter <strong>und</strong><br />
hatten zum Teil eigene Vorstellungen von der Bedeutung der Mutterrolle. Oft hatte die Mutterrolle<br />
einen ganz besonderen Einfluss auf ihre „Menschwerdung“, auf die Vervollständigung ihrer Per-<br />
sönlichkeit <strong>und</strong> es erging ihnen wie Karoline von Humboldt (1766-1829):<br />
„Alles noch Unausgeglichene, Suchende, Schwärmende ihres Wesens [wurde]<br />
durch die Mutterschaft zur höchsten Harmonie.“ 733<br />
Mit der Mutterschaft konnte sich also ein Persönlichkeitswandel vollziehen. Blos steigert die<br />
mitschwingende Wertschätzung noch, indem sie herausstellte, dass Humboldt ihre Kinder selbst<br />
gestillt habe <strong>und</strong> „dadurch vom ersten Tage an das festeste innigste Band her[stellte], das Mutter<br />
<strong>und</strong> Kind vereinen kann“ 734 . Zetkin war es ebenfalls wichtig, in ihrer Skizze zum Leben Jeanne-<br />
Marie Rolands (1754-1793) zu erwähnen, dass sie ihre Tochter selbst genährt habe. 735 Eine<br />
„vorzügliche Mutter“ 736 war auch Karoline Schlegel-Schelling, deren „Hauptinteresse […] der<br />
Erziehung ihrer Kinder“ 737 galt, Blos hob in ihrem Fall besonders hervor, dass<br />
„[i]m Gegensatz zu so vielen Eltern, die die Erziehung als eine Art Abrichtung<br />
nach ihrem Willen betrachteten, […] Karoline die Aufgaben der Erziehung in weit<br />
höherem Sinne auf[gefasst]“ 738<br />
732 Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung <strong>und</strong> Neuer Weiblichkeit, S. 142. Wobbe sieht im<br />
mütterlichen Konzept der bürgerlichen Frauenbewegung, das sich lediglich durch den fehlenden sozialistischen<br />
Aspekt von dem der proletarischen unterschied, sehr wohl eine rationale Überlegung: „die Überwindung des politischen<br />
Ausschlusses“ <strong>und</strong> stärker noch die „Ausweitung des sozialen Einflusses“ (Wobbe, Die Frauenbewegung<br />
ist keine Parteiensache, S. 54).<br />
733 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts [VIII]: Karoline v. Humboldt, geb. v. Dachröden. In: GL, 31/ 12/<br />
15.06.1921/ 117.<br />
734 Ebd.<br />
735 Vgl. Madame Roland. (Fortsetzung statt Schluß.). In: GL, 04/ 02/ 24.01.1894/ 11.<br />
736 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts V: Karoline. In: GL, 30/ 28/ 10.07.1920/ 228.<br />
737 Ebd., S. 229.<br />
738 Ebd.<br />
419
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
habe. Ähnlich sah es Malvida von Meysenbug, die zwar nicht selbst Mutterschaft erfahren, aber in<br />
ihrer Rolle als Erzieherin Mutterpflichten wahrgenommen hatte. Zukünftige Mütter hatten ihrer<br />
Meinung nach geistige Fähigkeiten zu entwickeln,<br />
„durch die sie nicht nur die liebenden Mütter, sondern auch die wahren<br />
Erzieherinnen <strong>und</strong> Bildnerinnen der Jugend werden könnten“ 739 .<br />
Wahre Mutterschaft durfte sich also ihrer Meinung nach nicht nur auf das Versorgen der Kinder<br />
beschränken, die Frauen mussten<br />
„als bewußte freie Wesen im Verein mit dem Manne an der Vervollkommnung des<br />
Lebens in der Familie, in der Gesellschaft, dem Staate, den Wissenschaften <strong>und</strong><br />
Künsten, kurz, an der Verwirklichung der Ideale im Leben der Menschheit […]<br />
arbeiten“ 740 .<br />
Diese Zusammenarbeit war gr<strong>und</strong>sätzlich nur möglich, wenn die Gleichberechtigung der Frau<br />
durchgesetzt würde <strong>und</strong> diese „aufhöre, ein Götzenbild, eine Puppe oder eine Sklavin zu sein“ 741 –<br />
ein deutliches Plädoyer für den „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“.<br />
Ihre Forderungen zur Gleichberechtigung der Frau wollte auch Beatrice Webb (1858-1943) nicht<br />
missverstanden wissen. Sie wollte, dass die Frau<br />
„weiblich, mütterlich bleibe, für ihre Kinder, für ihren Gatten, für ihre Geschwister<br />
<strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e, <strong>und</strong> für alle Mitmenschen. Die physische <strong>und</strong> geistige Mütterlichkeit<br />
scheint mir die außerordentlichste Thätigkeit, zu der die Frau berufen ist.“ 742<br />
Das „Prinzip der Mütterlichkeit“, wie es über „Muttersein“ weit hinausging <strong>und</strong> sich auf die ge-<br />
samte Gesellschaft erstrecken sollte, hatte demnach auch solche Sozialistinnen überzeugt, die der<br />
„Gleichheit“ vor allem wegen ihres besonderen Intellekts Vorbild waren.<br />
Gebildete, politisch aufgeklärte Mütter, die ebensolche Kinder erziehen, fasste Zetkin in fol-<br />
gendes, der antiken Mythologie entlehntes Bild:<br />
„Die Pfade frei, auf denen das weibliche Geschlecht zu den Bildungsquellen<br />
wandern kann! Die Frau will ihr Vollmenschentum erringen, denn sie will als<br />
Mutter vom prometheus’schem Geist erfüllt, stolz der Welt entgegenschleudern<br />
können: ‘Hier sitze ich <strong>und</strong> forme Menschen nach meinem Bilde, ein Geschlecht,<br />
das mir gleich sei.’“ 743<br />
Mutterschaft birgt den Widerspruch einerseits eine Position der Stärke <strong>und</strong> Macht zu vermitteln –<br />
wie hier in der Rolle der Schöpferin – , aber andererseits eine gesellschaftliche Fessel zu sein.<br />
Letzteres sowohl dadurch, dass Mutterschaft verschiedene Einschränkungen mit sich bringt als<br />
auch dadurch, dass die Rollenerwartungen an eine „gute“ Mutter sowohl für innere als auch<br />
739 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von Meysenbug. In: GL, 29/ 42/ 06.12.1919/ 331.<br />
740 Ebd., S. 332.<br />
741 Ebd., S. 331.<br />
742 Beatrice Webb. (Schluß.). In: GL, 07/ 15/ 21.07.1897/ 118.<br />
743 Zetkin, Der Student <strong>und</strong> das Weib, S. 25.<br />
420
4.2.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER SOZIALISTISCHEN MUTTER UND DER „MÜTTERLICHKEIT“<br />
äußere Konflikte sorgt. Gomard stellt fest, dass diese Konflikte in den biographischen<br />
Darstellungen der „Gleichheit“ ignoriert worden seien. Es gebe nur zwei Fälle, in denen die<br />
Mutterrolle von den biographierten Frauen nicht auf das Beste ausgefüllt wurde. Allgemein, so<br />
Gomard weiter, würden die „Gleichheit“-Biographien die Mutterrolle stets als „konfliktfrei“ 744<br />
beschreiben. Die „Gleichheit“ beschrieb zwar Frauen, die ihrem politischen Engagement eine<br />
eindeutig größere Bedeutung beimaßen als ihrer Rolle als Mutter. 745 Aber die meisten ihrer Vor-<br />
bilder waren auch vorbildliche Mütter. Sie hätte sich selbst einen Bärendienst erwiesen, hätte sie<br />
ihren Leserinnen vermeintliche „Rabenmütter“ als Vorbild präsentiert. Indem die „Gleichheit“ das<br />
gesellschaftliche Gefüge für viele der Probleme einer Mutter <strong>und</strong> ihrer Familie verantwortlich<br />
machte, waren ihre Interpretationen der Mutterrolle aber auch alles andere als „konfliktfrei“ – der<br />
Konflikt zeigte sich nur auf einer anderen Ebene. Frauen, die jenem Ideal entsprachen, Mutter <strong>und</strong><br />
Klassenkämpferin zu sein, wurden dem Leitbild der „Klassenkämpferin“ zugeordnet.<br />
Die drei Mütter, die im folgenden Kapitel porträtiert werden, waren keine sozialistischen Mütter<br />
<strong>und</strong> mussten jenen Konflikt zwischen Mutterschaft <strong>und</strong> politischen Engagement nicht<br />
thematisieren, da sie entweder nicht politisch aktiv waren oder über entsprechende<br />
Rahmenbedingungen verfügten. Ihre Mutterrolle war weniger ein Faktor der <strong>weiblichen</strong><br />
Persönlichkeitsentwicklung, sondern erscheint für sich allein genommen als eine Form politischen<br />
Engagements, denn die Mütter hatten eine wesentliche Bedeutung für die geniale Entwicklung<br />
ihrer Kinder. Die Geschichte, die „Lehrmeisterin des Lebens“, ist im Falle der folgenden drei<br />
biographischen Skizzen Zeugin von „Erziehungsergebnissen“ geworden, denn sie präsentieren<br />
den Leserinnen die Mütter berühmter Männer. Die Kinder – in den vorliegenden Fällen<br />
ausnahmslos Söhne – mussten jedoch erst erwachsen werden <strong>und</strong> eine hervorragende Wesensart<br />
entwickeln, um das Verdienst ihrer Mütter zu „beweisen“.<br />
744 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 35. Gomard nennt Katharina Breschko-<br />
Breschkowskaja <strong>und</strong> Minna Kautsky.<br />
745 Zusätzlich zu den von Gomard genannten Frauen (siehe obige Fußnote) kann hier noch Anita Garibaldi angeführt<br />
werden, die ihre Kinder der Schwiegermutter anvertraute, um an der Seite ihres Ehemannes für die Freiheit zu<br />
kämpfen (vgl. Blos, Anna: Anita Garibaldi. (Schluß.). In: GL, 17/ 14/ 08.07.1907/ 117).<br />
421
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
4.2.2 Die erzogene Erzieherin<br />
In ihrer unnachahmlichen Art ironisiert Zetkin in der Einleitung ihres Artikels die<br />
gesellschaftlichen Anforderungen, die an die Frau gestellt würden:<br />
„Die Frau muß einfachen, kindlichen Geistes sein, sie darf sich nicht um öffentliche<br />
Angelegenheiten bekümmern, die ††† Politik zumal muß ihr ein Rührmichnichtan<br />
bleiben, sie soll sich mit ihrem Interesse nicht außerhalb der Häuslichkeit<br />
<strong>und</strong> des fraubasigen Kirchthurmsgeklatsch wagen, ihr Denken muß in einem Kochtopf<br />
<strong>und</strong> in einem Fingerhut Platz finden, denn sie hat zunächst den Pflichten ihres<br />
‘Naturberufs’ als Mutter nachzukommen.“ 746<br />
Soweit, so Zetkin, der „landläufige Köhlerglaube“ 747 über die Bestimmung der Frau <strong>und</strong> das<br />
Vorurteil, eine gute Mutter könne sich nicht um ihre Kinder kümmern <strong>und</strong> gleichzeitig politisch<br />
interessiert sein. Zetkin setzt argumentativ sehr schlüssig dagegen, dass eine Frau, die sich nicht<br />
mit Politik, nicht mit Dingen des allgemeinen Interesses beschäftigen dürfe, dies im Rahmen ihres<br />
vermeintlichen „Naturberufes“ auch nicht ihren Kindern näherbringen könne. Sie stellt den<br />
„Gleichheit“-Leserinnen schließlich die rhetorische Frage:<br />
„Kann die Unvernunft die Vernunft entwickeln, die Bornirtheit zur Weite des<br />
Blickes, die Engherzigkeit zur Größe der Gesinnung erziehen?“ 748<br />
Wie wichtig das eigene geistige Sein – wie es bereits an dem Leitbild des „<strong>weiblichen</strong> Voll-<br />
menschen“ entwickelt wurde – für die Erziehung von Kindern ist, dafür sei die antike Römerin<br />
Cornelia (um 190 v.u.Z.- um 100 v.u.Z.) ein besonderes Beispiel. Zwar sei Cornelia, so der ver-<br />
mutlich von Zetkin verfasste Artikel, vor allem anderen ein „Muster häuslichen Sinns <strong>und</strong><br />
mütterlicher Pflichttreue“ 749 gewesen, jedoch könne man sie deshalb nicht als „simples Nichts-als-<br />
Hausmütterchen“ 750 charakterisieren. Sie habe als Mutter „Höchstes leisten“ 751 können, gerade<br />
weil sie über einen „hochgebildeten Geist“ 752 verfügte <strong>und</strong> stets über wissenschaftliche wie auch<br />
„Zeit- <strong>und</strong> Streitfragen“ 753 informiert war <strong>und</strong> Anteil daran nahm.<br />
Als Tochter des Scipio Africanus, eines gefeierten <strong>und</strong> verehrten Heerführers <strong>und</strong> Bezwinger<br />
746 Cornelia, die Mutter der Gracchen. In: GL, 03/ 04/ 22.02.1893/ 31.<br />
747 Ebd. VertreterInnen dieses „Köhlerglaubens“ bemühten sich, so Zetkin, um eine wissenschaftliche F<strong>und</strong>ierung,<br />
indem sie auf den Philosophen Arthur Schopenhauer verwiesen. Nach Meinung Zetkins allerdings war Schopenhauer<br />
„sicher mindestens ein ebenso großer Spießer als großer Philosoph“ (ebd.) <strong>und</strong> es würde nicht richtiger, was<br />
er sagte, wenn es nur mehr Menschen kritiklos „nachschwätzt[en]“ (ebd.).<br />
748 Ebd.<br />
749 Ebd.<br />
750 Ebd.<br />
751 Ebd.<br />
752 Ebd.<br />
753 Ebd.<br />
422
4.2.2 DIE ERZOGENE ERZIEHERIN<br />
Hannibals, habe sie schon früh ein „schwungvolles Gemüth <strong>und</strong> einen edlen Stolz“ 754 gezeigt.<br />
Dieser habe dazu geführt, dass sie sich, für damalige Bräuche, recht spät verheiratete. Kein<br />
Verehrer sei ihr genehm gewesen bis sie sich schließlich für Tiberius Sempronius Gracchus<br />
entschied – einen für seine Bildung, seine diplomatischen <strong>und</strong> militärischen Fähigkeiten <strong>und</strong> seine<br />
Ehrlichkeit angesehenen Mann. Es sei eine glückliche Ehe gewesen, weil sie, so Zetkin, „auf die<br />
gegenseitige Achtung der Gatten gründete“ 755 . Jedoch starb Gracchus sehr früh <strong>und</strong> Cornelia<br />
musste fortan allein die Verantwortung für die Erziehung zweier Söhne <strong>und</strong> einer Tochter tragen.<br />
Sie habe dabei besonders auf die gleichwertige Schulung von „Geist, Gemüth <strong>und</strong> Charakter“ 756<br />
der Kinder geachtet <strong>und</strong><br />
„ihre Lebensaufgabe darin [erblickt], ihre Söhne zu Männern zu machen, denen<br />
das Wohl der Allgemeinheit das höchste Gesetz sei“ 757 .<br />
Eine Lebensaufgabe, die sie nur erfüllen konnte, da sie selbst im „Vollbesitz der damals höchsten<br />
Bildung“ 758 [Hervorhebung von M.S.] war. Ihre Kenntnisse <strong>und</strong> Fähigkeiten in Griechisch, Latein,<br />
Literatur <strong>und</strong> Kulturgeschichte gab sie durch entsprechenden Unterricht an ihre Kinder weiter.<br />
Weit größeren Einfluss auf die Erziehung ihrer Kinder habe jedoch „ihr Beispiel“ 759 gehabt.<br />
Cornelias „strenge[r] Gerechtigkeitssinn“ 760 , die „warme Menschenliebe“ 761 , das „selbstlose<br />
Interesse für die Allgemeinheit“ 762 seien zu einem „Ideal sozialer Gerechtigkeit“ 763 verschmolzen,<br />
dem schließlich auch ihre Kinder nachstrebten.<br />
Eine neuerliche Heirat lehnte Cornelia ab, um sich ganz der Erziehung ihrer Kinder widmen zu<br />
können. Außerdem nutzte sie ihre so gewahrte Freiheit, um aus ihrem Haus einen Treffpunkt für<br />
andere, meist alleinstehende Frauen zu machen – ähnlich der Art „Salon“, wie er im 18. <strong>und</strong><br />
19. Jahrh<strong>und</strong>ert existierte <strong>und</strong> meist von gebildeten Frauen inspiriert <strong>und</strong> organisiert wurde.<br />
Cornelias Erziehung machte aus ihrer Tochter Sempronia eine „unerschrockene, selbständige<br />
Frau“ 764 . Mit ihrer Wahl des angesehenen Heerführers Scipio Aemilianus zum Ehemann war<br />
Cornelia sehr zufrieden. Die Erfolge ihres Schwiegersohns waren ihr jedoch nicht so wichtig wie<br />
754 Ebd.<br />
755 Ebd.<br />
756 Ebd.<br />
757 Ebd.<br />
758 Ebd.<br />
759 Ebd.<br />
760 Ebd.<br />
761 Ebd.<br />
762 Ebd.<br />
763 Ebd.<br />
764 Ebd.<br />
423
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
die ihrer Söhne. Deshalb soll sie gesagt haben:<br />
„Wann werde ich vom Volk nicht nur genannt werden als die Schwiegermutter des<br />
Scipio […], sondern als die Mutter der Gracchen?“ 765<br />
Hohe Erwartungen setzte sie demnach in die noch zu vollbringenden Taten ihrer beiden Söhne.<br />
Taten, die ihren Ruhm als Mutter <strong>und</strong> Erzieherin begründen sollten.<br />
Das Leben in der römischen Republik gestaltete sich zunehmend schwieriger. Der Gegensatz<br />
zwischen Reich <strong>und</strong> Arm verschärfte sich. Neben einer exzessiven Verschwendungssucht<br />
existierte eine große Armut, <strong>und</strong> es war absehbar, dass der soziale Frieden bald nicht mehr mit<br />
einzelnen notlindernden Kornverteilungen oder anderen „Palliativmitteln“ 766 zu gewährleisten sein<br />
würde.<br />
Die Darstellung der gesellschaftlichen Situation im antiken Rom nutzte Zetkin nun für eine<br />
Stellungnahme aus der Perspektive der materialistischen Geschichtsauffassung. Sie war der<br />
Auffassung, dass soziale Ungleichheit auch damals nur hätte beseitigt werden können<br />
„durch eine revolutionäre, gerechte Umgestaltung der Eigenthumsverhältnisse <strong>und</strong><br />
durch Verleihung des vollen römischen Bürgerrechts an alle italischen Völkerschaften,<br />
welche ein Gegengewicht gegen den käuflichen Anhang der Geschlechter<br />
gebildet hätten“ 767 .<br />
Eigentum, Cliquenwirtschaft <strong>und</strong> Korruption waren in der römischen Republik demnach gr<strong>und</strong>-<br />
legende Probleme <strong>und</strong> auch damals schon, so Zetkin, blieb „[d]ie Ursache […] aller sozialen<br />
Schäden – die Ungleichheit des Besitzes – […] unangetastet“ 768 .<br />
Cornelias Söhne Tiberius <strong>und</strong> Gajus fassten – den Gerechtigkeitssinn ihrer Mutter ehrend – den<br />
Plan, mit entsprechenden Gesetzeseingaben mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Sowohl ein<br />
Gesetz über die Verteilung der Staatsländereien als auch ein weiteres für die Gewährung des<br />
römischen Bürgerrechts an die italischen B<strong>und</strong>esgenossen sollten dies leisten. Jedoch machten sie<br />
sich mit diesen Gesetzesentwürfen so manchen reichen Bürger zum Feind: Tiberius wurde<br />
ermordet <strong>und</strong> Gajus einige Jahre später im Straßenkampf getötet. In der Öffentlichkeit sei, so<br />
Zetkin,<br />
„[d]as lautere, aufopfernde Wirken der Gracchen für die Masse […] als Volksaufhetzung,<br />
Volksverführung, als Ausfluß schlimmsten Ehrgeizes, eitler Ruhmsucht<br />
verketzert“ 769<br />
worden. Auch Cornelias Schwiegersohn Scipio Aemilianus sah die Ermordung seines Schwagers<br />
765 Ebd.<br />
766 Ebd., S. 32. Dies ist nur ein Beispiel von vielen dafür, welche Fremdwortkenntnisse Zetkin manchmal ihren<br />
Leserinnen scheinbar unbedacht abverlangte.<br />
767 Ebd.<br />
768 Ebd.<br />
769 Ebd.<br />
424
4.2.2 DIE ERZOGENE ERZIEHERIN<br />
Tiberius als gerechtfertigt an <strong>und</strong> versuchte alles, um das volksfre<strong>und</strong>liche Ackergesetz wieder<br />
aufheben zu lassen. Jedoch fand man ihn am Morgen des Tages, an dem die Entscheidung darüber<br />
fallen sollte, tot auf seinem Bett liegend. Hauptverdächtige war seine Schwiegermutter Cornelia,<br />
doch das Volk forderte die Einstellung aller Nachforschungen, die der hochverehrten Frau schaden<br />
könnten. Wenn wirklich Cornelia den Tod ihres Schwiegersohnes herbeigeführt habe, so habe ihre<br />
Tat nicht nur dem Feind ihres Sohnes, sondern auch dem Feind der Sache des Volkes gegolten 770 –<br />
<strong>und</strong> war damit nach Meinung Zetkins gerechtfertigt.<br />
Groß war der persönliche Schmerz einer Mutter über den Tod ihrer Söhne, ihrer „zärtlich<br />
geliebten <strong>und</strong> liebenden genialen Kinder“ 771 . Groß war aber auch der Schmerz einer<br />
„leidenschaftliche[n] Parteigängerin der Sache des Volkes, der sie mit ganzer Seele anhing“ 772 . Mit<br />
ihren Söhnen, die dieselben Ideale teilten <strong>und</strong> „in selbstlosem Ringen für Volksglück“ 773 gewirkt<br />
hatten, „sank die Hoffnung <strong>und</strong> das Werk ihres ganzen Lebens ins Grab“ 774 . Cornelias Schmerz<br />
habe in gleicher Weise dem Tod ihrer Söhne gegolten als auch dem „Scheitern der Bestrebungen<br />
für eine ges<strong>und</strong>e Wiedergeburt des römischen Staatslebens“ 775 . Ihr persönliches Schicksal ließ<br />
Cornelia die Bedeutung, die die Geschehnisse für das Volk haben würde, nicht vergessen.<br />
Die Mutter der Gracchen zog sich auf ein Landgut bei Misenum zurück, wo sie gastfre<strong>und</strong>lich<br />
Gelehrte <strong>und</strong> Dichter empfing. Ihr zu Ehren wurde eine Bildsäule errichtet, auf der auf ihren<br />
Wunsche hin jedoch nur zu lesen war „Cornelia, die Mutter der Gracchen“. Nicht als Frau, nicht<br />
als Römerin, sondern, so Zetkin, „als Mutter ihrer Söhne wollte sie in der Geschichte fort-<br />
leben“ 776 .<br />
Zetkin resümierte schließlich die besonderen Charaktereigenschaften <strong>und</strong> das Wirken Cornelias.<br />
Sie habe allen Gr<strong>und</strong> gehabt, stolz auf das zu sein, „was sie aus ihren Kindern gemacht“ 777 hatte,<br />
„was sie ihnen gewesen“ 778 sei. Sie sei<br />
770 Vgl. ebd.<br />
771 Ebd.<br />
772 Ebd.<br />
773 Ebd.<br />
774 Ebd.<br />
775 Ebd.<br />
776 Ebd.<br />
777 Ebd.<br />
778 Ebd.<br />
„ein leuchtendes Beispiel, was eine Frau als Mutter zu leisten vermag, wenn sie<br />
selbst eine voll- <strong>und</strong> allseitig entwickelte Individualität ist, wenn sie hohen Geistes<br />
<strong>und</strong> großen Herzens dem Leben ihrer Zeit Verständniß entgegenbringt <strong>und</strong> sich mit<br />
425
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
ihrem Interesse nicht auf den engen Kreis der Häuslichkeit beschränkt“ 779 .<br />
Für Zetkin war es nur ein logischer Rückschluss, dass wenn<br />
„wir Gracchen haben [wollen], ein heranwachsendes Geschlecht, das seine Zeit<br />
<strong>und</strong> ihre Aufgaben begreift, so müssen wir uns angelegen sein lassen, Frauen zu<br />
erziehen, welche der Cornelia gleichen“ 780 .<br />
Für die Erziehung der Jugend, einer sozialistischen Jugend, die einer sozialistischen Zukunft<br />
entgegenstrebt, die bereit ist, diese Zukunft auch zu erkämpfen – für die Erziehung einer solchen<br />
Jugend war die Erziehung einer besonderen Müttergeneration notwendig. Nur „[a]ufgeklärte, frei-<br />
denkende, edel empfindende, energisch handelnde Frauen, welche die Gegenwart wohl erfassen“<br />
781 , konnten eine solche Entwicklung der Jugend, konnten den Sozialismus gewährleisten. Mutter-<br />
leitbilder, wie das Cornelias, waren für die politische <strong>und</strong> charakterliche Bildung proletarischer<br />
Frauen unabdingbar.<br />
Welch enge Bindung zwischen Mutter <strong>und</strong> Kind nicht nur hinsichtlich einer liebenden Beziehung,<br />
sondern auch der Entwicklung beider Persönlichkeiten besteht, belegt auch das Beispiel von<br />
Katharina Elisabeth Goethe (1731-1808) <strong>und</strong> ihrem Sohn Johann Wolfgang. Wittich setzte in<br />
seiner Artikelserie „dieser herrlichen Frau, die uns unseren größten Dichter geschenkt“ 782 hat, ein<br />
Denkmal <strong>und</strong> hob ihren Einfluss auf das Genie ihres Sohnes hervor. Es sei das Naturell der<br />
Mutter, dem der Sohn „so viele Eigenschaften verdank[e], auf denen seine menschliche <strong>und</strong><br />
künstlerische Größe beruht“ 783 .<br />
Goethe – im Folgenden ist damit stets die Mutter gemeint – beschrieb in einem Brief ihr Äußeres<br />
selbst als „‘ziemlich groß <strong>und</strong> ziemlich korpulent’“ 784 , hatte braune Augen <strong>und</strong> braunes Haar. Die<br />
eindeutige Ähnlichkeit, die viele ihrer Fre<strong>und</strong>Innen zwischen ihr <strong>und</strong> ihrem berühmten Sohn<br />
feststellten, sah sie selbst nicht gegeben. Als ihre wichtigsten Charaktereigenschaften definierte<br />
sie „‘Ordnung <strong>und</strong> Ruhe’“ 785 – zwei Tugenden, die in Deutschland schon immer sehr wichtig<br />
waren.<br />
Katharina Elisabeth Goethe war die älteste Tochter des kaiserlichen Rathes <strong>und</strong> Stadtschultheißen<br />
von Frankfurt am Main Johann Wolfgang Textor. Ihre Eltern erzogen sie <strong>und</strong> ihre Geschwister, so<br />
779 Ebd.<br />
780 Ebd.<br />
781 Ebd.<br />
782 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. In: GL, 12/ 06/ 12.03.1902/ 44.<br />
783 Ebd.<br />
784 Katharina Elisabeth Goethe zit. nach: Ebd. Wittich scheint diese Zitate dem in der Reclamschen Sammlung<br />
erschienenen Werk „Briefe von Goethes Mutter“ (ca. 1920) entnommen zu haben.<br />
785 Ebd.<br />
426
4.2.2 DIE ERZOGENE ERZIEHERIN<br />
Wittich, „natürlich <strong>und</strong> schlicht“ 786 . „[K]einerlei Pedanterie“ 787 habe die „angeborenen Anlagen<br />
des Mädchens, Heiterkeit, Witz <strong>und</strong> Lebendigkeit des Geistes […] verkümmer[n]“ 788 lassen <strong>und</strong><br />
Goethe genoss viele Freiheiten. Nicht nur, dass sie Lesen <strong>und</strong> Schreiben lernte, sie durfte laut<br />
eigenen Angaben auch Umgang „‘mit Kindern von geringem Stande’“ 789 haben. Im Gegensatz zu<br />
ihren Altersgenossinnen habe sie „‘wild sein’“ 790 dürfen <strong>und</strong> doch sei ihre Jugend außerdem von<br />
einer, so Wittich, „schlichte[n], tiefwurzelnden, aber keineswegs kopfhängerische[n] oder mucke-<br />
rische[n] Hausfrömmigkeit“ 791 geprägt gewesen.<br />
Rückblickend kam Goethe zu der Erkenntnis, dass die besten Menschen, die sie kennengelernt<br />
hatte, „‘eben die [gewesen seien], auf deren Erziehung man am wenigsten gewendet hatte’“ 792 .<br />
Man sollte jetzt aber nicht den Trugschluss ziehen, dass Goethe nichts von einer allgemeinen<br />
Mädchenbildung gehalten habe – ganz im Gegenteil. Was sie in dieser Richtung ablehnte, war<br />
jedoch die Erziehung der Mädchen höherer Stände zu einem prätentiösen Verhalten. Laut Wittich<br />
trat darin ihre Bevorzugung der „schlichten Natürlichkeit“ 793 zutage <strong>und</strong> auch ihr genialer Sohn<br />
habe nichts von einem „Formalismus <strong>und</strong> gezierten gekünstelten Wesen“ 794 gehalten.<br />
1748 heiratete sie den 17 Jahre älteren kaiserlichen Rath <strong>und</strong> Doktor beider Rechte Johann Kaspar<br />
Goethe. Dieser war laut Wittich „im Charakter <strong>und</strong> Temperament wesentlich anders geartet, als<br />
sein junges Weibchen“ 795 – eine übrigens bemerkenswerte Wortwahl innerhalb eines Artikels der<br />
„Gleichheit“. Goethes Ehemann stammte aus sehr einfachen Verhältnissen. Der von ihm<br />
schließlich vollbrachte gesellschaftliche Aufstieg habe in einem besonders „starken Bürgerstolz<br />
<strong>und</strong> Bürgertrotz“ 796 gewurzelt. Außerdem habe er einen „tüchtige[n] Kern in seiner rauhen<br />
Schale“ 797 besessen. Wenn es auch keine Liebesheirat war, so habe Katharina Elisabeth Goethe<br />
ihrem Ehemann gegenüber stets „Achtung <strong>und</strong> treue Ergebenheit [bewiesen], indem sie ihn nahm<br />
786 Ebd.<br />
787 Ebd.<br />
788 Ebd.<br />
789 Katharina Elisabeth Goethe zit. nach: Ebd.<br />
790 Katharina Elisabeth Goethe zit. nach: Ebd.<br />
791 Ebd.<br />
792 Katharina Elisabeth Goethe zit. nach: Ebd.<br />
793 Ebd.<br />
794 Ebd.<br />
795 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 07/ 26.03.1902/ 52.<br />
796 Ebd. Hinsichtlich einer Charakterisierung Johann Kaspar Goethes verwies Wittich auf die Studie „Goethes Vater“<br />
(1899) von Felicie Ewart [d.i. Emilie Exner (1850-1909)], aus der deutlich würde, dass der Dichter die<br />
„glückliche Mischung der väterlichen <strong>und</strong> mütterlichen Elemente“ (ebd.) aufzeige.<br />
797 Ebd.<br />
427
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
wie er war <strong>und</strong> wohl auch geschickt <strong>und</strong> taktvoll zu behandeln wußte“ 798 .<br />
1749 gebar Katharina Elisabeth Goethe ihr erstes Kind, „unseren großen Johann Wolfgang<br />
Goethe“ 799 . <strong>Von</strong> den weiteren Kindern (zwei Söhne <strong>und</strong> drei Töchter) sollte nur die Tochter<br />
Kornelia erwachsen werden. Goethe habe den Sohn der Tochter eindeutig vorgezogen, weshalb es<br />
nicht verw<strong>und</strong>erlich ist, dass diese eher zum Bruder als zur Mutter ein inniges Verhältnis pflegte.<br />
Mit <strong>und</strong> durch ihren Sohn sei im Leben Goethes „ein glänzender Stern“ 800 aufgegangen. Wittich<br />
charakterisierte diese übergroße Mutterliebe wie folgt:<br />
„[I]n ihrem ‘Hätschelhans’, später dem ‘Doktor’, schien sie allzeit fast ohne Rest<br />
aufzugehen.“ 801<br />
Es ist jene vollständige Hingabe an eine Person, die das sozialistische Mutterideal ausmacht <strong>und</strong><br />
die sich auf das Ideal der „Klassenkämpferin“ als Hingabe an den Sozialismus übertragen lässt.<br />
Große aufregende Abenteuer, so Wittich weiter, weise Goethes Leben nicht auf, denn es sei vor<br />
allem von ihrem Sohn <strong>und</strong> der Sorge für ihn ausgefüllt gewesen. Deshalb, so Wittich scherzhaft<br />
<strong>und</strong> zugleich sehr bedeutungsvoll, müsste man im Folgenden gewissermaßen nicht Goethes,<br />
sondern „Wolfgangs Leben erzählen <strong>und</strong> notiren“ 802 . Nicht ihr Leben war es deshalb, sondern ihr<br />
Charakter, den Wittich<br />
„in seiner prächtigen, einzigen Eigenart so viel als möglich mit ihren eigenen<br />
Worten <strong>und</strong> in Zeugnissen der Zeitgenossen […] vor den geistigen Augen der<br />
Leser“ 803<br />
lebendig machen wollte. Wittich zitierte zu diesem Zweck aus Goethes im Reclam-Verlag<br />
veröffentlichten Briefen, die seiner Meinung nach „als Lebens- <strong>und</strong> Hausbuch in der Hand aller<br />
deutschlesenden Frauen sein“ 804 sollten. Er extrahierte daraus eine Darstellung ihres „Gemüths-<br />
reichtums, Humors <strong>und</strong> ihrer ‘allr<strong>und</strong>en’ Tüchtigkeit“ 805 .<br />
Indem er in den Zügen des Dichters ganz deutlich die „mütterliche Mitgift“ 806 zu erkennen glaubte<br />
– „wie das ja so oft bei bedeutenden <strong>und</strong> berühmten Menschen zu bemerken“ 807 sei – ließ Wittich<br />
sich zu der gewagten These hinreißen, dass es<br />
798 Ebd.<br />
799 Ebd.<br />
800 Ebd.<br />
801 Ebd.<br />
802 Ebd. Allerdings dürfte nach den Beschreibungen Bettina von Arnims das Leben Goethes nicht so langweilig<br />
gewesen sein, wie es hier von Wittich dargestellt wurde (vgl. Kapitel 4.1.3).<br />
803 Ebd.<br />
804 Ebd., S. 53.<br />
805 Ebd., S. 52.<br />
806 Ebd., S. 53.<br />
807 Ebd.<br />
428
4.2.2 DIE ERZOGENE ERZIEHERIN<br />
„überhaupt viel mehr darauf an[komme], was einer für eine Mutter gehabt hat, als<br />
darauf, wie sein Vater war“ 808 .<br />
Er relativierte diese Meinung jedoch schnell, indem er die Klärung dieser Frage „den Natur-<br />
forschern, Aerzten <strong>und</strong> Psychologen“ 809 überließ, „die ja heutzutage das Gras wachsen hören,<br />
wenn man ihnen glauben will“ 810 .<br />
Goethe selbst habe nie jemanden „bemoralisire[n]“ 811 <strong>und</strong> stets die guten Seiten eines Menschen<br />
sehen wollen. Dies habe ihrem Wesen etwas „unsäglich Wohlthuende[s]“ 812 verliehen, so dass<br />
viele ZeitgenossInnen in ihr eine „Trösterin, Beratherin <strong>und</strong> Helferin“ 813 suchten. Auch die<br />
Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Dichterkollegen des Sohnes, die ihr den Beinamen „Frau Aja“ 814 gaben <strong>und</strong> ihre<br />
„Mitsöhne“ 815 wurden, baten sie oft um Rat <strong>und</strong> Tat. Wittich war sich sicher, dass des Dichters<br />
berühmter Ausspruch, der Mensch möge „‘edel, hilfreich <strong>und</strong> gut’“ 816 sein, das hervorragende<br />
Beispiel seiner Mutter reflektiere. Stets habe sie ihre Umwelt zur Selbstkritik, zur Erkenntnis der<br />
eigenen Fehler ermahnt.<br />
Mutter <strong>und</strong> Sohn Goethe waren sich in ihrem politischen Denken sehr ähnlich – so z. B. in ihrer<br />
kritischen Einstellung zum Krieg. Außerdem teilten sie die Vorliebe für eine deftige<br />
Ausdrucksweise, die für ihren resoluten Charakter spricht. Trotz dieser innigen Beziehung stattete<br />
Katharina Elisabeth Goethe ihrem Sohn nie einen Besuch in Weimar ab. Sie war eine ein-<br />
gefleischte Frankfurterin <strong>und</strong> liebte ihre Heimatstadt, in der sie ihrem besonderen Interesse für<br />
Musik, Literatur <strong>und</strong> Theater 817 nachgehen konnte, sehr.<br />
1772 verstarb Goethes Ehemann <strong>und</strong> sie versuchte, ihre Einsamkeit <strong>und</strong> ihren Kummer mit<br />
Humor zu bewältigen, das „Unangenehme[…] <strong>und</strong> Traurige[…]“ 818 abzuschütteln.<br />
Gemäß all ihrer charakterlichen Vorzüge war es für Wittich selbstverständlich, dass Goethe<br />
„allerinnigste Theilnahme“ 819 <strong>und</strong> nicht ähnlich den spießbürgerlichen EinwohnerInnen Weimars<br />
808 Ebd.<br />
809 Ebd.<br />
810 Ebd.<br />
811 Ebd.<br />
812 Ebd.<br />
813 Ebd.<br />
814 Vgl. Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 08/ 09.04.1902/ 61. Wittich erklärte, “Aja”<br />
komme aus dem Spanischen „Aya” <strong>und</strong> heiße so viel wie „Hofmeisterin” (ebd.).<br />
815 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 10/ 07.05.1902/ 76.<br />
816 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 08/ 09.04.1902/ 60.<br />
817 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 09/ 23.04.1902/ 68.<br />
818 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 10/ 07.05.1902/ 76.<br />
819 Ebd.<br />
429
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LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Ablehnung zeigte, als ihr Sohn sich mit Christiane Vulpius verband. Schon nach dem ersten<br />
Kennenlernen Vulpius‘ hatte sie keinerlei Einwände gegen die „‘Gewissensehe’“ 820 ihres Sohnes,<br />
die später auch legitimiert wurde. Auch verstehe es sich von selbst, so Wittich,<br />
„[d]aß die Frau Rath, die beste Mutter von der Welt, auch den Kindern Wolfgangs<br />
die zärtlichste <strong>und</strong> vortrefflichste Großmutter war“ 821 .<br />
Demnach war Goethe eine in sich ruhende <strong>und</strong> harmonische Persönlichkeit – ein „weiblicher<br />
Vollmensch“, der das Familienleben genoss. Ihr berühmt gewordener Sinn für Humor gipfelt in<br />
der gelungenen Anekdote, sie habe kurz vor ihrem Lebensende eine Einladung mit den Worten<br />
ausgeschlagen: „‘Die Frau Rath hat alleweile keine Zeit, sie muß ganz nothwendig sterben!’“ 822<br />
Katharina Elisabeth Goethe, eine „herrliche w<strong>und</strong>erbare Frau“ 823 , starb 1808, aber Wittich sah für<br />
alle Zeiten ihren Namen „mit goldenen Lettern in die Ehrenannalen des ganzen <strong>weiblichen</strong><br />
Geschlechts eingetragen“ 824 . Johann Wolfgang von Goethe habe seine Mutter stets als „tüch-<br />
tige[…], brave[…] Hausfrau, […] sorgsame[…] treuliebende[…] Gattin, […] zärtlich um ihrer<br />
Kinder Glück besorgte[…] Mutter“ 825 erlebt <strong>und</strong> setzte ihr in Form dreier seiner literarischer Fi-<br />
guren ein besonderes Denkmal. 826<br />
Diese für alle Frauen geltende Leitbildfunktion Goethes blieb von den Proletarierinnen jedoch<br />
nicht unwidersprochen. Wittich erhielt nach einem seiner Vorträge zur Biographie Goethes<br />
folgenden Kommentar:<br />
„‘Ja, lieber Genosse, der Frau Goethe hat es materiell an nichts gefehlt, sie kannte<br />
keine Nahrungssorgen, lebte in guten reichlich bürgerlichen Verhältnissen, hatte<br />
einen berühmten Mann zum Sohne <strong>und</strong> viele gute, ja vornehme Verbindungen;<br />
kurz, sie war, wie wir Sachsen zu sagen pflegen: schöne‘ raus! Sie hatte es leicht,<br />
allezeit guten Humors zu sein!’“ 827<br />
Diesen Einwand konnte <strong>und</strong> wollte Wittich nicht für völlig unzutreffend erklären, denn dies hätte<br />
bedeutet, die tatsächlichen Lebensverhältnisse seines Klientels zu ignorieren. Stattdessen betonte<br />
er die Relativität der gesellschaftlichen Verhältnisse. Die politischen <strong>und</strong> sozialen Verhältnisse des<br />
Jahres 1902 seien zur Zeit Goethes genauso unleugbar andere gewesen wie auch die „Art des<br />
820 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 11/ 21.05.1902/ 84.<br />
821 Ebd.<br />
822 Katharina Elisabeth Goethe zit. nach: Ebd.<br />
823 Ebd.<br />
824 Ebd.<br />
825 Ebd.<br />
826 Diese drei Figuren sind laut Wittich: Elisabeth, die Gattin Götz von Berlichingens (1771), die Mutter Hermanns in<br />
„Hermann <strong>und</strong> Dorothea“ (1797) <strong>und</strong> die Mutter Wilhelm Meisters (1796).<br />
827 Unbekannt zit. nach: Ebd.<br />
430
4.2.2 DIE ERZOGENE ERZIEHERIN<br />
Fühlens <strong>und</strong> Denkens“ 828 eine andere gewesen sei. Unverändert sei jedoch das „allgemein<br />
Menschliche“ 829 ,<br />
„<strong>und</strong> das allgemein Menschliche war auch der Frau Rath auferlegt zu tragen“ 830 .<br />
Im Tragen dieses „allgemein Menschlichen“ habe Goethe schließlich Bestes geleistet. Sie habe<br />
„auf ihrem Schlachtfeld mit ihren Waffen <strong>und</strong> der Taktik der Besten ihrer Zeit<br />
<strong>und</strong> ihrer Klasse einen guten Kampf gekämpft, tapfer <strong>und</strong> treu <strong>und</strong> nach ihrem<br />
besten Wissen <strong>und</strong> Können für das höchste Ziel der Menschheit“ 831 .<br />
Wittich wandte sich damit gegen jede resignierende Entschuldigung, die eine Proletarierin für den<br />
Umstand vorbringen könnte, dass sie nicht entsprechend ihrer Möglichkeiten Gleiches tat. Auch<br />
Goethe seien nicht alle Vorzüge ihres Lebens geschenkt worden, „das Beste <strong>und</strong> Schönste von<br />
allem Glück, das ihr vom Schicksal beschieden war, ha[be] sie ehrlich <strong>und</strong> tapfer selbst erkämpft<br />
<strong>und</strong> erstritten, also reichlich verdient“ 832 . Wittich sah in ihr „ein leuchtendes Vorbild echter, edler<br />
Humanität“ 833 .<br />
Der von der Germanistin Bertha Kipfmüller (1861-1948) 834 im Januar 1920 verfasste Artikel<br />
„Kants Mutter“ 835 atmet zu Beginn ganz offenk<strong>und</strong>ig den Geist seiner Zeit. Der Erste Weltkrieg<br />
warf seine langen Schatten in die Zeit des Friedens <strong>und</strong> der jungen Weimarer Republik. Viele<br />
Menschen, so Kipfmüller, nahmen die schwierige nationale <strong>und</strong> internationale Lage zum Anlass,<br />
Halt in Immanuel Kants 1793 verfasstem Werk „Zum ewigen Frieden“ zu suchen. Die darin<br />
behandelten Möglichkeiten der Völkerversöhnung <strong>und</strong> die „Charakterstärke der inneren<br />
Geistesgröße“ 836 eines Kant hätten jedoch leider durch den US-amerikanischen Präsidenten<br />
Wilson <strong>und</strong> seine Politik keine Nachahmung gef<strong>und</strong>en. Insgesamt, so bemängelte Kipfmüller, sei<br />
828 Ebd.<br />
829 Ebd.<br />
830 Ebd.<br />
831 Ebd.<br />
832 Ebd.<br />
833 Ebd.<br />
834 Bertha Kipfmüller wurde in Pappenheim geboren <strong>und</strong> war Tochter eines Goldschmiedes. In München absolvierte<br />
sie eine Ausbildung zur Lehrerin. Sie wurde eine der ersten Lehrerinnen in Mittelfranken <strong>und</strong> gründete 1886 den<br />
ersten bayerischen selbständigen Berufsverein, den „Mittelfränkischen Lehrerinnen-Verein“. 1896 absolvierte sie<br />
das Abitur <strong>und</strong> wurde von der philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg zum Studium der Fächer<br />
Germanistik, Sanskrit <strong>und</strong> vergleichenden Sprachwissenschaften zugelassen, dass sie mit der Promotion 1899<br />
abschloss. Im selben Jahr nahm sie eine Stellung als Lehrerin an der höheren Mädchenschule „Frauentorgraben“<br />
in Nürnberg an, die sie 27 Jahre ausfüllte. Nachdem sie aufgr<strong>und</strong> des Erreichens der Altersgrenze den Schuldienst<br />
verließ, promovierte sie 1926-1928 in Erlangen als Juristin. Sie war die erste promovierte Frau in Bayern <strong>und</strong> eine<br />
zentrale Person für die Entwicklung der bürgerlichen Frauenbewegung Nürnbergs.<br />
835 Kipfmüller, Bertha: Kants Mutter. In: GL, 30/ 04/ 24.01.1920/ 27-29. Dieser Artikel erschien bereits 1905 in der<br />
Zeitschrift „Frauenbildung“ (1902-1923) (vgl. Frauenbildung, 04/ 1905/ 49-59).<br />
836 Ebd., S. 27.<br />
431
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
der Bekanntheitsgrad Kants <strong>und</strong> seiner Philosophie ein sehr geringer <strong>und</strong> dies obwohl gerade das<br />
einfache Volk wissen müsste, „was es dem Größten zu danken hat“ 837 . Es sei wichtig, dass auch<br />
das einfache „Volk[…]“ 838 – Kipfmüller verwandte weder den Begriff des „Proletariats“ noch der<br />
„Arbeiterklasse“ – „erfahre[…], aus welchem Gedanken- <strong>und</strong> welchem Wirtschaftskreise die<br />
bedeutendsten Geister hervorgegangen sind“ 839 . In der Auseinandersetzung mit dem eigenen Kul-<br />
turgut <strong>und</strong> der eigenen Geschichte – denn diese gab es ja trotz des verlorenen Krieges noch –<br />
sollte „Hoffnung […] für die eigene Zukunft“ 840 geschöpft werden.<br />
Eine Zukunft, die vor allem in den Händen der Frauen, der Mütter lag. Deshalb sollten sich gerade<br />
diese mit deutscher Geistesgeschichte beschäftigen, welche sie sicherlich zu der Frage anregen<br />
würde:<br />
„Wie, sollte es mir nicht auch möglich sein, der Welt einen Sohn, eine Tochter<br />
zu schenken, die der Menschheit Erlöser werden könnten?“ 841<br />
Die Menschheit, so Kipfmüller, ersehne sich schon immer einen Erlöser. Ein Erlöser oder eine<br />
Erlöserin kann jedoch nur aus der Menschheit selbst kommen. Deshalb habe auch bereits Johann<br />
Wolfgang von Goethe im zweiten Teil seines „Faust“ (1832) klar die Mütter als „Urschöpfer der<br />
Menschheit“ 842 definiert.<br />
Wenn auch nicht den Erlöser, so doch „den größten Philosophen des Erdballs“ 843 , so Kipfmüller<br />
begeistert, habe der Menschheit Anna Regina Kant (1697-1737) geschenkt. Deren Persönlichkeit<br />
sei eine ganz andere gewesen als die der berühmten Johanna Schopenhauer (1766-1838) oder<br />
die der Katharina Elisabeth Goethe, „die aus vornehmen Patriziergeschlecht stammte <strong>und</strong> ob ihres<br />
berühmten Sohnes Größe Fürstinnen zu Besuch“ 844 gehabt habe. Kant war laut Kipfmüller eine<br />
„einfache, schlichte Bürgersfrau“ 845 , Ehefrau des Riemers 846 Johann Georg Kant <strong>und</strong> lebte im<br />
ostpreußischen Königsberg. Ihre Charaktereigenschaften wie „Fleiß, Sparsamkeit, Ausdauer bis<br />
ins kleinste“ 847 waren für das finanzielle Auskommen der Familie unerlässlich. Besondere Kraft<br />
<strong>und</strong> Hilfe schöpfte sie aus ihrer Frömmigkeit. Das Ehepaar Kant gehörte dem „strengen<br />
837 Ebd.<br />
838 Ebd.<br />
839 Ebd.<br />
840 Ebd.<br />
841 Ebd.<br />
842 Ebd.<br />
843 Ebd., S. 28.<br />
844 Ebd., S. 27.<br />
845 Ebd.<br />
846 Riemer gehörten zu den lederverarbeitenden Handwerkern.<br />
847 Ebd.<br />
432
4.2.2 DIE ERZOGENE ERZIEHERIN<br />
Pietistenkurs“ an, dem die Frömmigkeit nicht äußerer Schein, sondern wirkliche Tu-<br />
gend“ 848 gewesen sei. Während ihr Ehemann, ein redlicher <strong>und</strong> fleißiger Mensch, vor allem<br />
Wahrheitsliebe verlangte, so ging Anna Regina Kant noch weiter: „[s]ie verlangte Heilig-<br />
keit“ 849 . Diese Hinwendung zum Überirdischen habe jedoch nicht die „scharfe[…] Klarheit ihres<br />
Geistes“ 850 beeinträchtigt. Kipfmüller bew<strong>und</strong>erte die „volle[…] <strong>und</strong> reine[…] Tiefe ihres Ge-<br />
müts“, die sich in der „Tiefe <strong>und</strong> Weite“, in der „Höhe <strong>und</strong> Erhabenheit“ der Philosophie ihres<br />
Sohnes widerspiegele – einer „Weisheitslehre […] wie sie nicht vor <strong>und</strong> nicht nachher ein zweiter<br />
Denker [habe] schenken k[önnen]“ 851 . Aus seinen Werken spreche ein Mensch, „dessen Reich<br />
gleich Christi Reich nicht von dieser Welt “ 852 sei. Immanuel Kant war für Kipfmüller der<br />
Begründer einer neuen Moral <strong>und</strong> seine Mutter wiederum deren „Urquell“ 853 .<br />
Zwar würden bisherige Erläuterungen der Kantschen Philosophie nicht den „Zusammenhang des<br />
seelischen Einflusses der Mutter auf das Kind“ 854 berücksichtigen, aber gerade in ihm sei der<br />
Beweis gebracht,<br />
„wie Mutterdenken, Mutterempfinden, Mutterhandeln einem Kinde, ja oft der<br />
ganzen Menschheit […] zum Segen werden kann“ 855 .<br />
Immanuel Kant, seine Persönlichkeit, sein Wirken – „eine Erscheinung deren die Welt nur alle<br />
Jahrtausende eine geschenkt erhält“ – ist nicht unabhängig von seinen Eltern zu beurteilen. Auch<br />
sie wurden für Kipfmüller zum „Vorbild, gleich ehrwürdig wie der Sohn“ 856 . Über die ihm<br />
zugute gekommene Erziehung berichtete der Sohn, dass er von seinen Eltern kein einziges Mal<br />
etwas Unanständiges gehört <strong>und</strong> nie etwas Unwürdiges gesehen habe. 857 Und tatsächlich waren es<br />
laut Kipfmüller u. a. seine guten Manieren, sein<br />
„Feingefühl für den inneren <strong>und</strong> äußeren Anstand, ohne dessen Beachtung der<br />
Verkehr von Mensch zu Mensch so unangenehm werden kann, dessen Vorhandensein<br />
uns ein Beweis guter Kindheitserziehung“ 858<br />
sei <strong>und</strong> die ihn später bei jedermann beliebt gemacht hätten. Seine Eltern seien Immanuel Kant<br />
Vorbilder in Fleiß, Ordnung, Menschen- <strong>und</strong> Wahrheitsliebe gewesen. Und dennoch habe im Haus<br />
848 Ebd.<br />
849 Ebd.<br />
850 Ebd.<br />
851 Ebd.<br />
852 Ebd., S. 28.<br />
853 Ebd.<br />
854 Ebd.<br />
855 Ebd.<br />
856 Ebd.<br />
857 Vgl. ebd.<br />
858 Ebd.<br />
433
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
kein „finsterer, weltabgewandter Geist“ 859 geherrscht, sondern „Natürlichkeit <strong>und</strong> Heiterkeit, in<br />
deren Sonne sich alle guten Eigenschaften entwickeln können“ 860 . War die Erziehung der sieben<br />
Kinder auch eine streng christliche, so war sie doch „frei von Mucker- <strong>und</strong> Zelotentum <strong>und</strong><br />
<strong>und</strong>uldsamer Orthodoxie“ 861 .<br />
Es waren nicht nur gr<strong>und</strong>sätzliche Charaktereigenschaften, die Kant ihrem Sohn vermittelte,<br />
sondern auch Gr<strong>und</strong>kenntnisse der Astronomie. Abends habe sie ihm das sternenbedeckte Uni-<br />
versum so weit erschlossen, wie sie dies selbst vermochte. 862 Und auch Anna Regina Kant habe<br />
von ihrem „Manelchen“, das erst 13 Jahre alt war, als sie starb, viel gelernt.<br />
Die Umstände, unter denen Anna Regina Kant schließlich starb, waren sehr kurios. Kipfmüller<br />
gab an dieser Stelle die Darstellung Ehregott Andreas Christoph Wasianskis 863 wieder, nach<br />
welcher eine Fre<strong>und</strong>in den Tod Kants verursachte. Der Verlobte dieser Fre<strong>und</strong>in hatte sein<br />
Eheversprechen gebrochen <strong>und</strong> sie verlassen. Der Trennungsschmerz gipfelte in einem schweren<br />
Fieber, aber die Kranke weigerte sich vehement, die ihr verordneten Medikamente zu nehmen.<br />
Kant, die ihre auf dem Sterbebett liegende Fre<strong>und</strong>in aufopfernd pflegte, versuchte stetig, sie zur<br />
Einnahme eines Medikaments zu bewegen. Da die Kranke vorschob, das Medikament habe einen<br />
unerträglich widerlichen Geschmack, wollte Kant sie mit ihrem eigenen Beispiel vom Gegenteil<br />
überzeugen. Mit demselben Löffel, von welchem bereits die Kranke gekostet hatte, nahm sie das<br />
Medikament ein. Kaum getan, hätten „‘Ekel <strong>und</strong> kalter Schauer’“ 864 Kant überkommen. Da sie<br />
dann später außerdem am Körper ihrer Fre<strong>und</strong>in seltsame Flecken entdeckte, führte ihre Ein-<br />
bildungskraft sie zu der Überzeugung, nun sterben zu müssen. Sie habe „‘sich noch an demselben<br />
Tage hin[gelegt] <strong>und</strong> [sei] bald danach als ein Opfer der Fre<strong>und</strong>schaft ’“ 865 gestorben.<br />
Kipfmüller machte aus Kant im Gegensatz zu Wasianski jedoch in ihren folgenden Ausführungen<br />
ein „Opfer aus Fre<strong>und</strong>schaft“. Kants Opfertod sei aus dem „Gefühl der Hingabe <strong>und</strong> Aufopferung<br />
für ein anderes Wesen“ 866 , oder, wie Immanuel Kant Fre<strong>und</strong>schaft definierte, aus dem „‘Gefühl<br />
von der Schönheit <strong>und</strong> der Würde der menschlichen Natur ’ “ 867 dargebracht<br />
worden. Diese Deutung vermittelt einen würdevolleren Eindruck als den, dass Kant schlicht das<br />
859 Ebd.<br />
860 Ebd.<br />
861 Ebd.<br />
862 Vgl. ebd.<br />
863 Es dürfte sich dabei um die Schrift „Immanuel Kant in seinen letzten Lebensjahren. Ein Beytrag zur Kenntniß<br />
seines Charakters <strong>und</strong> häuslichen Lebens aus dem täglichen Umgang mit ihm“ (1804) handeln.<br />
864 Ehregott Andreas Christoph Wasianski zit. nach: Ebd., S. 29.<br />
865 Ehregott Andreas Christoph Wasianski zit. nach: Ebd.<br />
866 Ebd.<br />
867 Immanuel Kant zit. nach: Ebd.<br />
434
Opfer ihrer eigenen Hypochondrie geworden ist.<br />
4.2.2 DIE ERZOGENE ERZIEHERIN<br />
Wichtig für die ihre Mutterrolle ergänzende Leitbildfunktion als „weiblicher Vollmensch“ ist die<br />
Charakterisierung Kants als „[e]in großer, starker Geist, eine reine Persönlichkeit“ 868 . Nicht<br />
weniger bedeutsam ist auch der Umstand, dass sie – eine „einfache, schlichte Frau des Hand-<br />
werkerstandes“ 869 – in der Lage gewesen sei, mittels eines „unverfälschten, ‘ges<strong>und</strong>en Menschen-<br />
verstand[es]’“ 870 einen Menschen von der Genialität eines Immanuel Kant zu erziehen. „Ihr sei die<br />
Ehre“ 871 <strong>und</strong> jeder anderen Frau – aus Proletariat <strong>und</strong> Bürgertum – die Möglichkeit, es ihr<br />
nachzutun.<br />
868 Ebd., S. 28.<br />
869 Ebd.<br />
870 Ebd. Dieser Eigenschaft widmete Immanuel Kant in seinem Hauptwerk „Kritik der reinen Vernunft“ (1781)<br />
besondere Beachtung.<br />
871 Ebd.<br />
435
4.3 „Genossin seiner Ideale“<br />
– Die Ehefrau als Lebens-, Arbeits- <strong>und</strong> Kampfgefährtin 872<br />
4.3.1 Zum Leitbild der sozialistischen Ehefrau<br />
Wie die Frauenfrage insgesamt, so wurden von der proletarischen Frauenbewegung auch die<br />
sich aus Paarbeziehung <strong>und</strong> Geschlechterspezifität ergebenden Probleme im Sinne der sozialis-<br />
tischen Frauenemanzipationstheorie beurteilt. Sie sind genau wie die gegenwärtige Form der<br />
bürgerlichen Ehe Ergebnisse einer historischen Entwicklung. Deshalb sind diese Probleme<br />
auch nie unabhängig von der Entwicklung von Privatbesitz, Christentum <strong>und</strong> Kapitalismus zu<br />
sehen.<br />
Indem die Frau jedoch nach einer adäquaten Erwerbstätigkeit strebte, strebte sie nach einem<br />
Bruch mit dem traditionellen Rollenbild. Das Ideal war eine sozialistische Ehegemein- <strong>und</strong><br />
Genossenschaft, in welcher die Frau dem Manne gleichgestellt war – entweder auch erwerbs-<br />
tätig oder als Hausfrau für den Haushalt verantwortlich. Im Falle ihrer Erwerbstätigkeit, so das<br />
Ideal, sei die Frau dann auch gewerkschaftlich organisiert <strong>und</strong> in den politischen <strong>und</strong><br />
kulturellen Zusammenhängen der Partei aktiv. Am zuträglichsten für eine solche ideale sozia-<br />
listische Ehe <strong>und</strong> damit für den Klassenkampf war es, das der Frau eigene politische Potential<br />
auszubilden <strong>und</strong> zu nutzen. Deshalb wandte sich Anna Blos in ihrem Artikel „Glückliche<br />
Ehen“ 873 gegen das althergebrachte Rezept für eine vermeintlich harmonische Ehe, welches<br />
vorsah, dass der Ehemann alles Politische „vor der Türe seines Hauses“ 874 ablege <strong>und</strong> die<br />
Ehefrau sich nicht dafür interessieren dürfe. Dieses Desinteresse aber sei eben bisher durch das<br />
Christentum <strong>und</strong> die Reduzierung der Frauen auf die „vier K“ 875 (Kinder, Kirche, Küche,<br />
Kleider) stets noch gefördert worden.<br />
Besonders angesichts der Integration der Frauenorganisationen in die Partei <strong>und</strong> damit der<br />
Zusammenlegung der getrenntgeschlechtlichen Organisationen wurde 1908 das Geschlechter-<br />
verhältnis dringendes Thema. Auch wenn sich im Vorfeld einige Genossinnen <strong>und</strong> Genossen<br />
für die völlige Aufhebung jeglicher weiblicher „Sonderorganisationen“, ja sogar für die Auf-<br />
lösung der Frauenzeitungen ausgesprochen hatten 876 , beschloss die vom 11.-12. September<br />
1908 in Nürnberg stattfindende Frauenkonferenz die Beibehaltung spezieller Einrichtungen,<br />
z. B. die der Frauenbildungsvereine <strong>und</strong> Leseabende. Diesen Einrichtungen wurde jedoch<br />
872 Julie Bebel †. In: GL, 21/ 05/ 21.11.1910/ 68.<br />
873 Blos, Anna: Glückliche Ehen. In: GL, 28/ 17/ 24.05.1918/ 133-135.<br />
874 Ebd., S. 133.<br />
875 Ebd.<br />
876 Vgl. Der Gewerkschaftskongreß zu Hamburg. In: GL, 18/ 14/ 06.07.1908/ 123.<br />
437
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
gegenüber den Parteiorganisationen ein niedrigerer Stellenwert zugeschrieben: Frauenkonferenz<br />
<strong>und</strong> Parteitag beschlossen, dass jede Genossin verpflichtet sei, der sozialdemokratischen<br />
Parteiorganisation ihres Ortes beizutreten. Politische Sonderorganisationen der Frauen waren nicht<br />
mehr gestattet. Das Weiterbestehen unpolitischer Frauenorganisationen oblag einer gemeinsam<br />
gefassten Entscheidung der Genossinnen <strong>und</strong> Genossen der einzelnen Ortschaften. 877 Auch Baader<br />
<strong>und</strong> Zietz – als Beauftragte des Zentralen Frauenbüros – erachteten es als „selbstverständliche<br />
Pflicht“ 878 der Frauen, in die Parteiorganisationen einzutreten. Drei Jahre später betonte Zietz<br />
erneut, dass die existierenden Frauenleseabende lediglich einen die Parteiarbeit unterstützenden<br />
Charakter hätten. Sie sollten die Frauen „schulen <strong>und</strong> ihre K raft der P artei nutzbar<br />
[…] machen.“ 879<br />
Parteipolitische Frauenbildung lag laut Zietz<br />
„sowohl im Interesse der F rauen , ihrer geistigen Weiterbildung, der Hebung<br />
ihres Intellektes, der Festigung ihres Charakters, also der Entwicklung ihrer Persönlichkeit<br />
<strong>und</strong> damit der Kräfte, die sie für ihre Befreiung einsetzen müssen, als<br />
auch im Interesse der P artei , die mutige, willensstarke, aber auch kluge,<br />
zielklare K lassenkämpferinnen <strong>und</strong> – s ozialistische Jugenderzieher<br />
braucht.“ 880<br />
Frauen sollten befähigt werden, ihr Können <strong>und</strong> Wissen im Interesse der Partei einzusetzen.<br />
Paradoxerweise sollte sich gerade in diesem Bereich die bis 1908 aufgezwungene Autonomie als<br />
sehr konstruktiv erweisen, denn in den eigenständigen Frauenorganisationen hatten die Frauen<br />
gelernt, ihre geschlechtsspezifischen Probleme zu erkennen <strong>und</strong> ein Selbstbewusstsein zu<br />
entwickeln, das sie auch <strong>und</strong> gerade in den Männerorganisationen brauchten, um diese Probleme<br />
anzusprechen <strong>und</strong> Lösungsvorschläge zu machen. 881<br />
Die sozialistischen Frauen kämpften ja nicht gegen die Männer, sondern für ihre Befreiung als<br />
Arbeiterinnen gegen den Kapitalismus <strong>und</strong> der Sieg hierin hätte ersteres wie von selbst mit sich<br />
gebracht bzw. erübrigt, da alle nun frei wären. Das selbst von Parteimännern gezeigte frauen-<br />
erniedrigende Verhalten übersahen sie dabei geflissentlich, um die Harmonie mit den Genossen<br />
nicht zu gefährden. 882<br />
877 Vgl. Bericht über die 5. sozialdemokratische Frauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages Nürnberg 1908,<br />
S. 485 ff. <strong>und</strong> ebd., S. 547.<br />
878 Baader, Ottilie / Zietz, Luise: An die Genossinnen Deutschlands! In: GL, 19/ 01/ 12.10.1909/ 1.<br />
879 Zietz, Luise: Die proletarischen Frauen als politisch Organisierte. In: GL, 21/ 09/ 30.01.1911/ 129.<br />
880 Ebd.<br />
881 Vgl. Wurms, <strong>Von</strong> heute an gibt’s mein Programm, S. 20f.<br />
882 Der Umstand, dass die Klassensolidarität in erster Linie von den Frauen geübt wurde, zeigte sich nach Freier besonders<br />
nach 1908, während die proletarische Frauenbewegung immer mehr in die SPD-Strukturen integriert <strong>und</strong><br />
auf die Parteilinie eingeschworen wurde (ebd., S. 213). Freier schreibt dabei die antifeministischen Verhaltens-<br />
438
4.3.1 ZUM LEITBILD DER SOZIALISTISCHEN EHEFRAU<br />
Es war nach Freier die „spezifische Tragik einer Bewegung, die sich als Frauenbewegung<br />
verstand, aber den Geschlechterkampf aus politischen Gründen ablehnte“ 883 . Freier entlarvt damit<br />
auch das Festhalten am klassensolidarischen Prinzip als Illusion <strong>und</strong> taktischen Fehler der sozia-<br />
listischen Frauen. Diese hätten nicht erkannt, dass wenn<br />
„das Klassenverhältnis die Bedingung der Unterdrückung der Frau [ist], […] allein<br />
der Kampf mit den Männern derselben Klasse erfolgversprechend [sei]. Wird<br />
hingegen in der Unterdrückung als Geschlechtswesen eine Eigendynamik gesehen,<br />
[müsse][…] in eine Befreiungsstrategie auch der geschlechtliche Unterdrückungszusammenhang<br />
Eingang finden, als Kampf, der dann u. a. gegen die Männer der<br />
eigenen Partei hätte geführt werden müssen, […].“ 884<br />
Freier unterstellt damit der proletarischen Frauenbewegung, zu sehr auf die Verwirklichung des<br />
sozialistischen Gleichheitsgr<strong>und</strong>satzes gepocht <strong>und</strong> damit Chancen einer geschlechtssolidarischen<br />
Zusammenarbeit vertan zu haben. Aus ihren Forschungsergebnissen heraus erklärt sie konsequent<br />
die sozialistische Frauenemanzipationsbewegung für gescheitert <strong>und</strong> wirft auch der aktuellen<br />
Forschung vor, die individual-psychologische Betrachtungsweise innerhalb der Analyse der<br />
gesellschaftlichen Strukturen zu vernachlässigen, obwohl dies für die Erklärung von gescheiterten<br />
Emanzipationsversuchen in der Geschichte notwendig sei. 885<br />
Auch SPD, Gewerkschaften <strong>und</strong> proletarische Frauenbewegung konnten – in betonter<br />
Abgrenzung zur bürgerlichen Frauenbewegung – nicht gänzlich vor den aus den Geschlechterbe-<br />
ziehungen resultierenden Problemen die Augen verschließen. So wurde auch innerhalb der<br />
proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> der „Gleichheit“ Kritik am häuslichen Benehmen der<br />
männlichen Genossen geübt.<br />
So wie Bebel im November 1901 auf einer Frauenversammlung in Hamburg forderte, dass die<br />
Männer ihre Frauen mehr unterstützen sollten 886 , so formulierte Zietz die konkrete Forderung an<br />
weisen nicht einem der beiden Parteiflügel – dem revisionistischen oder dem marxistisch-orthodoxen – zu, sondern<br />
vertritt die These, „daß der ‘proletarische Antifeminismus’ keineswegs ein Phänomen der revisionistischen<br />
Linie innerhalb der Partei war, sondern dass er durchgängig sowohl bei Revisionisten <strong>und</strong> Antirevisionisten<br />
verbucht werden konnte, entgegen der in der Literatur zur proletarischen Frauenbewegung weit verbreiteten<br />
Meinung“ (ebd., S. 198). In Fußnote Nr. 13, S. 217 nennt sie als VertreterInnen dieser Forschungsmeinung Neef<br />
<strong>und</strong> Thönnessen.<br />
883 Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. 1.<br />
884 Freier, Dimensionen <strong>weiblichen</strong> Erlebens <strong>und</strong> Handelns, S. 196.<br />
885 Ebd., S. 199. Tatsächlich bin ich bei meinen Recherchen aber auf andere AutorInnen gestoßen, die den individualpsychologischen<br />
Aspekt berücksichtigen. Bornemann zum Beispiel führt allgemein an, dass es „leider eines der<br />
unerschütterlichen Gesetze der menschlichen Geschichte [sei], daß man innerhalb einer gegebenen Gesellschaftsordnung<br />
keine Verhaltensmodelle vorwegnehmen kann, die sich erst in der nächsten Gesellschaftsordnung<br />
realisieren lassen“ (Bornemann, Vorwort des Herausgebers, S. 39). Dies kann man auch als eine gr<strong>und</strong>sätzlich zutreffende<br />
Erklärung des antifeministischen Verhaltens der Parteimänner anführen.<br />
886 Zwei stark besuchte Frauenversammlungen tagten am 20. November in Hamburg. In: GL, 11/ 25/ 04.12.1901/<br />
196-197; vgl auch: Maurenbrecher, Hulda: Die Arbeiterfrau daheim. In: GL, 14/ 12/ 01.06.1904/ 90-91.<br />
439
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
die proletarischen Massen, dass<br />
„Vereinbarungen zwischen Mann <strong>und</strong> Frau […] der letzteren die Möglichkeit<br />
sichern [sollten], von Zeit zu Zeit an den Versammlungen teilnehmen zu können,<br />
indem der Mann sie bei der Beaufsichtigung der Kinder ablöst.“ 887<br />
Diese Art der Forderungen nahmen nach dem Ersten Weltkrieg <strong>und</strong> dem Redaktionswechsel zu.<br />
So wurde u. a. gefordert, dass auch Männern Hauswirtschaftsunterricht erteilt werden müsse. 888<br />
Der sozialistische Blick auf Geschlechterverhältnis, Ehe <strong>und</strong> Sexualität war dennoch kein feminis-<br />
tischer Blick. Der Mann war nicht – wie besonders von der radikalen bürgerlichen Frauenbe-<br />
wegung definiert – ein egoistischer Unterdrücker. Er sollte der Proletarierin vielmehr Schicksals-<br />
<strong>und</strong> Klassengenosse sein. Im Dienste dieser „Klassenharmonie“ war es Auftrag der proletarischen<br />
Frauenbewegung, auch für eine „Geschlechterharmonie“ zu agitieren.<br />
Zwar thematisierte die proletarische Frauenbewegung das innerhalb einer ehelichen Beziehung<br />
bestehende Unterdrückungsverhältnis, die sozialpsychologischen <strong>und</strong> ökonomischen Abhängig-<br />
keiten, gab diesen Diskussionen aber nicht den ihnen zukommenden Stellenwert. Ein Haupt-<br />
interesse lag darin, die beeinträchtigende Wirkung politisch nicht aufgeklärter Ehefrauen auf das<br />
politische Engagement ihrer Ehemänner zu analysieren. Die in ihren Rollen <strong>und</strong> ihrer Unwissen-<br />
heit gefangenen Frauen galten allgemein als politischer Hemmschuh. In ihrer unnachahmlichen<br />
Art fasste Zetkin dieses Problem in ein anschauliches Bild <strong>und</strong> sprach ihre LeserInnen zudem<br />
direkt an:<br />
„Wer von uns hat nicht einen lieben Fre<strong>und</strong>, der sonnensehnsüchtig, mit Adlerflug<br />
sich zu den höchsten Höhen emporschwingen wollte. Doch siehe, er paarte sich mit<br />
einer Gans, <strong>und</strong> nach kurzer Mauserung stand der stolze Vogel als simpler<br />
Gänserich da, der nicht über den heimischen Hof hinausstrebte <strong>und</strong> sich an der<br />
stillen Stoppelweise genügen ließ. Aus dem Vorwärtsdränger wird ein Stillstehender,<br />
bald ein Rückwärtsschreitender.“ 889<br />
Es sei ein Gr<strong>und</strong>satz, dass<br />
„[w]o der Frau die Kraft mangelt, mit dem Manne emporzusteigen, da gleitet in der<br />
Regel der Mann zur Frau in die Niedrigkeit <strong>und</strong> Alltäglichkeit hinab“ 890 .<br />
Wesentliches Bildungs- <strong>und</strong> Leitbildelement für die proletarische Frauenbewegung war es<br />
887 Zietz, Luise: Die proletarischen Frauen als politisch Organisierte. In: GL, 21/ 09/ 30.01.1911/ 129-130.<br />
888 Seifert, Elise: Ohne Titel. In: GL, 29/ 35/ 18.10.1919/ 278-279. (eine in der Rubrik „Gedankenaustausch“ erschienene<br />
Reaktion auf einen Artikel von Anna Blos in Nr. 28 zur notwendigen hauswirtschaftlichen Ausbildung<br />
der Mädchen); Bannwarth, Gertrud: Zum Thema Frauenbewegung … In: GL, 32/ 01/ 01.01.1922/ 9; Heilbut,<br />
Kurt: Männergedanken zur Frauenkonferenz. In: GL, 30/ 46/ 13.11.1920/ 378; [Wachenheim, Hedwig?] H. W.:<br />
Frauengedanken zu den Männergedanken. In: GL, 30/ 48/ 27.11.1920/ 395 (eine kritische Erwiderung auf einen<br />
Artikel Heilbuts); Müller, H.: Was soll die Frau dem Manne sein? [I-III]. In: GL, 30/ 47/ 20.11.1920/ 383-384 bis<br />
GL, 30/ 49/ 04.12.1920/ 398-400.<br />
889 Zetkin, Der Student <strong>und</strong> das Weib, S. 26.<br />
890 Ebd.<br />
440
4.3.1 ZUM LEITBILD DER SOZIALISTISCHEN EHEFRAU<br />
deshalb, die Frau zu demselben politischen Verständnis zu erziehen, über welches ihr Ehemann<br />
verfügte. 891 Ein noch besseres Ergebnis war es, wenn „[s]o manche Mutter, so manche Gattin, […]<br />
Mann <strong>und</strong> Kinder mit Klassenbewußtsein erfüllt[e]“ 892 . Diese familiäre Bildungsarbeit war in<br />
Augen Zetkins den Leistungen politisch Aktiver durchaus gleichwertig. So war es angestrebtes<br />
Ziel, die Frau zu einem höheren politischen Verständnis zu führen, mit welchem sie sowohl<br />
innerhalb ihrer Familie als auch innerhalb der politischen Bewegung wertvolle Bildungsarbeit<br />
vollbringen konnte. Solche Frauen gehörten dann nicht zu denjenigen, die ihrem Ehemann den<br />
Besuch der Parteiversammlung <strong>und</strong> das Abonnement der Parteizeitung als Zeit- <strong>und</strong> Geld-<br />
verschwendung vorwarfen oder allzu „familienegoistisch“ dachten. Solche Frauen wagten es aber<br />
wohl auch selten, von ihrem Mann die Betreuung der Kinder zu verlangen, um selbst einmal eine<br />
Versammlung zu besuchen.<br />
Blos, sammelte ihre Kenntnisse um die Beschaffenheit einer glücklichen Ehe aus der Erforschung<br />
von historischer Paare. Sie vertrat daher die Auffassung, dass gerade solche Ehen als glücklich<br />
bekannt seien,<br />
„in denen die Frauen die geistigen, sehr oft auch die politischen Interessen ihrer<br />
Männer nicht nur geteilt, sondern häufig sogar gefördert“ 893<br />
hätten. So plädierte Blos dafür, dass man sich freimachen müsse von der<br />
„Auffassung, daß die Politik den Charakter verdirbt. Sie kann große Geister<br />
zusammenführen trotz verschiedener Rasse, Konfession, Herkunft, wenn sie die<br />
ideale Seite der Politik begreifen <strong>und</strong> ihr leben.“ 894<br />
Diesem alle Grenzen <strong>und</strong> Hindernisse überwindenden gemeinsamen politischen Interesse haftete<br />
sogar ein Hauch von Romantik an. Es gab also auch innerhalb der Arbeiterbewegung das von<br />
Nipperdey allgemein für das 19. Jahrh<strong>und</strong>ert formulierte Idealbild von Liebe <strong>und</strong> Ehe:<br />
„Die Begegnung des Paares hat, so meint man, etwas Schicksalhaftes, Unausweichliches,<br />
Einmaliges; die Liebe auf den ersten Blick, das Füreinander-Be-<br />
891 Puschnerat formuliert das Erziehungsziel Zetkins <strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>ene Probleme richtig, aber mit einer deutlich<br />
negativen Konnotation: „Die sozialistische Didaktik, die Zetkin für die Arbeiterin entwarf, war kompensatorisches<br />
Erziehungswerk an der unfertigen, ja unmündigen Persönlichkeit, orientiert am Ideal des klassenbewussten organisierten<br />
<strong>und</strong> gebildeten Arbeiters. Dieses Erziehungswerk zielte auf Leistungsmaximierung <strong>und</strong> es war nie<br />
abgeschlossen.“ (Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 140).<br />
892 Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 166.<br />
893 Blos, Anna: Glückliche Ehen. In: GL, 28/ 17/ 24.05.1918/ 133. Zu diesen Frauen zählte Blos Jeanne-Marie<br />
Roland <strong>und</strong> Lucile Desmoulins (1770-1794). Die Begeisterung für die Sache der Freiheit sei es überhaupt, die<br />
viele Menschen zu einer glücklichen Ehe zusammengeführt habe. Folgende Paare, die dieser These Blos‘ entsprachen,<br />
wurden bereits in den vorhergehenden Kapiteln porträtiert: Luise Otto-Peters <strong>und</strong> August Peters,<br />
Mathilde <strong>und</strong> Fritz Anneke, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling <strong>und</strong> Karoline Schlegel-Schelling, Rahel Levin<br />
<strong>und</strong> Karl August Varnhagen von Ense, Karoline <strong>und</strong> Wilhelm von Humboldt. Weitere werden – teilweise maßgeblich<br />
auf entsprechende Artikel von Blos gestützt – im Folgenden noch beschrieben.<br />
894 Blos, Anna: Glückliche Ehen. In: GL, 28/ 17/ 24.05.1918/ 135.<br />
441
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
stimmtsein, die absolute Wichtigkeit dieser Liebe, ja die Fehlerlosigkeit des geliebten<br />
Wesens, das gehört dazu oder auch die Idee der großen Leidenschaft, die erotische<br />
Attraktion. Das waren ursprünglich Romanideen, nicht die Wirklichkeit, aber<br />
diese Ideen beflügelten die Phantasie, änderten die Wirklichkeit. Die allgemeine<br />
Meinung hielt freilich das Bewußtsein fest, daß solche Liebe <strong>und</strong> Leidenschaft vergänglich<br />
seien; die Ehe müsse auch oder stattdessen auf Sympathie, auf gefühlsbestimmte<br />
Gefährtenschaft gegründet werden. Aber das war eben auch neu. Der Sinn<br />
der Ehe war nicht mehr Amt, Hilfe, die Erfüllung gesellschaftlicher Rollen, sondern<br />
– schrecklich neu – ‘Selbsterfüllung’, persönliches, individuelles Glück.“ 895<br />
War die Gefühlswelt proletarischer <strong>und</strong> bürgerlicher Frauen auch sehr ähnlich – ihr Ehealltag<br />
jedoch unterschied sich in vielerlei Hinsicht. Bereits die Anbahnung einer Ehe oder die<br />
vorehelichen Beziehungen zwischen Mann <strong>und</strong> Frau verliefen sehr verschieden. In proletarischen<br />
Familien erfolgte die Partnerwahl meist nach persönlichen Neigungen. So konnten laut Mühlberg,<br />
eventuell „ethnische <strong>und</strong> religiöse Bindungen“ 896 für eine Partnerwahl ausschlaggebend sein,<br />
Besitz jedoch habe für ProletarierInnen – im Gegensatz zur bürgerlichen so genannten Kon-<br />
venienzehe – eine sehr geringe Rolle gespielt. 897 . Während es durchaus zu Eheschließungen<br />
zwischen Angehörigen verschiedener bürgerlicher Schichten sowie zwischen Großbürgertum <strong>und</strong><br />
Adel kam, blieben laut Mühlberg ProletarierInnen eher „unter sich“ 898 . In ihrem Kreis war auch<br />
der Umgang mit Sexualität – vor allem vorehelicher Sexualität – weniger scheinheilig.<br />
Schwangere Frauen wurden nicht sitzen gelassen, uneheliche Mutterschaft war innerhalb der<br />
Arbeiterklasse kein Stigma, sondern ein schlichtes, wenn auch wesentliches Versorgungsproblem.<br />
899<br />
Innerhalb der öffentlichen Diskussionen wurde das Thema Sexualität jedoch trotzdem nicht so<br />
behandelt wie man es annehmen könnte. Wurden Ehen als „glücklich“ bezeichnet, so galten sie<br />
unausgesprochen auch als sexuell erfüllt. Während Sexualität innerhalb der modernen bürger-<br />
lichen Frauenbewegung ein zentrales Thema war 900 , war der Umgang der proletarischen<br />
Frauenbewegung mit ihm jedoch sehr allgemein gehalten. 901 Die persönliche Ebene gelebter weib-<br />
895 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866, S. 118.<br />
896 Mühlberg, Proletariat, S. 69.<br />
897 Nipperdey, der in diesem Punkt jedoch keine Gesellschaftsschichten unterscheidet, konstatiert dagegen, dass die<br />
Ehe im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert zwar „gr<strong>und</strong>sätzlich auf eigenen Entschluß“ (Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866,<br />
S. 118) <strong>und</strong> „auf personalisierter Liebe“ (ebd.) begründet, Letzteres jedoch „natürlich nur in einer materiell<br />
weniger belasteten ‘Ober’-klasse möglich“ (ebd.) gewesen sei. Bezeichnenderweise wird die Frauenfrage in<br />
Nipperdeys Gr<strong>und</strong>lagenwerk „Deutsche Geschichte 1800-1866: Bürgerwelt <strong>und</strong> starker Staat“ unter das Kapitel<br />
„Familie, Geschlechter, Generationen“ gefasst (vgl. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866).<br />
898 Vgl. Mühlberg, Proletariat, S. 69; siehe auch: Gedicht „Die Spinnerin“ von Gottfried Keller im Anhang.<br />
899 Siehe: Gedicht „An die heilige Jungfrau“ von Karla Herr im Anhang.<br />
900 Siehe: Frauen <strong>und</strong> Sexualmoral; Stein, Femme fatale – Vamp – Blaustrumpf; Weber-Kellermann, Die deutsche<br />
Familie; Flemming, „Sexuelle Krise“ <strong>und</strong> „Neue Ethik“.<br />
901 Bajohr, Sexualaufklärung im proletarischen Milieu; Usborne, Representation of Abortion in Popular Culture in<br />
442<br />
Weimar Germany; Lipp, Sexualität <strong>und</strong> Heirat.
4.3.1 ZUM LEITBILD DER SOZIALISTISCHEN EHEFRAU<br />
licher Sexualität fand keinen Eingang in die Abhandlungen der proletarischen Frauenbewegung<br />
oder in die „Gleichheit“. Jedoch waren viele Standpunkte Bebels in „Die Frau <strong>und</strong> der Sozia-<br />
lismus“ <strong>und</strong> Zetkins in ihrem 1896 erschienen Artikel „Arbeiterinnen pflegen keine Vestalinnen<br />
zu sein“ 902 ganz gr<strong>und</strong>sätzlicher <strong>und</strong> äußerst progressiver Art. 903 In beiden Werken wurden den<br />
Frauen sexuelle Bedürfnisse zugestanden <strong>und</strong> die Institution der Ehe kritisch hinterfragt. 904 Die<br />
bürgerliche Ehe, besonders die Konvenienzehe, komme lediglich einer Versorgungsinstitution<br />
gleich, innerhalb derer die Produktion legitimer Erben garantiert werden solle. Eine solche Form<br />
der Ehe sei legale Prostitution ohne echte Gefühle. Zetkin verteidigte das Recht proletarischer<br />
Mädchen <strong>und</strong> Frauen, ihre Gefühle <strong>und</strong> ihre sexuellen Bedürfnisse frei auszuleben – selbst ohne<br />
Trauschein, dafür aber mit „dem Manne […] ihre[r] Neigung“ 905 , in „gegenseitiger Achtung <strong>und</strong><br />
Sympathie“ 906 . In diesem Artikel prangerte Zetkin zudem den sexuellen Missbrauch von<br />
Arbeiterinnen durch ihre Vorgesetzten an <strong>und</strong> kritisierte die Doppelmoral des bürgerlichen Mono-<br />
gamie-Begriffs. Prostitution <strong>und</strong> einhergehende Geschlechtskrankheiten wurden als Auswüchse der<br />
kapitalistischen Gesellschaft <strong>und</strong> ihrer Doppel- bzw. Unmoral erachtet. 907 Der proletarischen Klasse<br />
<strong>und</strong> der proletarischen Frau dagegen wurden eine höhere Moral zugeschrieben. Bebel <strong>und</strong> Zetkin<br />
idealisierten sie, doch sie entsexualisierten sie nicht. 908<br />
Jedoch änderte sich die Betrachtung proletarischer Sexualität in der „Gleichheit“ nach dem<br />
Ausscheiden Zetkins gr<strong>und</strong>legend. Die Thematik büßte ihre systemkritische Qualität weitgehend ein<br />
<strong>und</strong> wurde auch von MitarbeiterInnen wie Anna Mosegaard, die als junges Dienstmädchen selbst<br />
eine Vielzahl sexueller Belästigungen durch ihre männlichen Arbeitgeber hatte ertragen müssen 909 ,<br />
902 Arbeiterinnen pflegen keine Vestalinnen zu sein. In: GL, 06/ 06/ 18.03.1896/ 41-42.<br />
903 Laut Puschnerat ist es jedoch problematisch, „Zetkin aus heutiger Perspektive als ‘Feministin’ […] zu verstehen<br />
[…], wenn man zum Gr<strong>und</strong>bestand feministischer Theorie das Recht der Frau auf autonome Selbstbestimmung<br />
zählt“ (Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 157). Denn nach Puschnerat schloss „Zetkins<br />
Kollektivismus […] eine eigenständige Entwicklung weiblicher Lebensentwürfe von vornherein aus“ (ebd.,<br />
S. 158). Sexualität als individuelles Interesse der Frau hätte eventuell gegensätzlich zum Klasseninteresse stehen<br />
können.<br />
904 Der Einfluss nietzeanischen Gedankenguts, so Puschnerat, mache sich in Zetkins Vorstellung über Sexualität<br />
deutlich. Sie forderte eine sittliche <strong>und</strong> geistige Zügelung der Sexualität <strong>und</strong> war gegen die „freie“ Ehe – damit de<br />
facto auch gegen die von den ProletarierInnen praktizierte Sexualmoral. Zetkins Eheideal sei strikt monogam,<br />
voller Selbstdisziplin <strong>und</strong> erotische Askese mit einem gemeinsamen Ideal als Gr<strong>und</strong>lage (vgl. Puschnerat, Clara<br />
Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 152). Auf Zetkins Artikel „Arbeiterinnen pflegen keine Vestalinnen zu<br />
sein“ nimmt Puschnerat keinen Bezug.<br />
905 Arbeiterinnen pflegen keine Vestalinnen zu sein. In: GL, 06/ 06/ 18.03.1896/ 41.<br />
906 Ebd.<br />
907 Vgl. Beavan/Faber, Wir wollen unser Teil fordern, S. 238.<br />
908 Siehe: Bebel, Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus, Arbeiterinnen pflegen keine Vestalinnen zu sein. In: GL, 06/ 06/<br />
18.03.1896/ 41 <strong>und</strong> vgl. Luckhardt, Die Frau als Fremde, S. 109.<br />
909 Mosegaard, Anna: Die „unsittlichen“ Dienstboten? In: GL, 22/ 02/ 23.10.1911/ 31.<br />
443
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
mit Stereotypen damaliger Moralvorstellungen vom „anständigen Mädchen“ 910 gespickt. 911 In ihrem<br />
1921 erschienenen Artikel beschrieb sie, wie sie selbst ihre Tochter <strong>und</strong> ihren ältesten Sohn<br />
sexuell aufklärte. Ihr Anliegen dabei war es aber, sie vor allem vor den Gefahren von<br />
Geschlechtskrankheiten zu schützen, nicht ihre Vorbereitung auf ein erfülltes Sexualleben. In den<br />
Mutter-Kind-Gesprächen wurde nicht auf Probleme wie „Das erste Mal“ oder den eigenen, noch<br />
unbekannten Körper eingegangen, sondern auf die Übertragungsweisen von Geschlechts-<br />
krankheiten – <strong>und</strong> das so „körperlos“ wie möglich. Da war von dem „Teufel Alkohol“ 912 die Rede<br />
<strong>und</strong> seinem Beitrag zur Verbreitung der heimtückischen Geschlechtskrankheiten. Die ohnehin<br />
durch den Krieg dezimierte Bevölkerung galt als in ihrem ges<strong>und</strong>en Bestand gefährdet, deshalb<br />
hatte sexuelle Aufklärung im Allgemeinen eine bevölkerungspolitische Intention.<br />
Auch wenn Mosegaard betonte, wie wichtig es sei „‘über solche Sachen mit den jungen Leuten<br />
[zu] reden’“ 913 [Hervorhebung von M.S.], so sah sie doch für Jungen <strong>und</strong> Mädchen einen sehr<br />
unterschiedlichen Aufklärungsbedarf. Mädchen hätten eine wesentlich größere Reife <strong>und</strong> Selb-<br />
ständigkeit. Und selbst wenn sie diese nicht hätten, so hielten sich die anständigen Mädchen doch<br />
bereits aus „Angst vor dem ‘Mutterwerden’ […] rein“ 914 <strong>und</strong> entsprachen so zwangsläufig den<br />
gesellschaftlichen Kodizes. Mütter wie Mosegaard gaben ihren Töchtern Folgendes mit auf den<br />
Weg: „Ein Mädchen ist wie eine weiße Schürze, ist erst ein Fleck daran, ist die ganze Schürze<br />
verdorben.“ 915<br />
Wenn Sexualität demnach auch nicht zu den Tabuthemen sozialdemokratischer Diskussionen<br />
gehörte, so doch bestimmte Teilbereiche. Nicht nur in der traditionellen Öffentlichkeit der SPD, in<br />
Presse, Agitationsschriften <strong>und</strong> Versammlungen wurden die Frage der Empfängnisverhütung, die<br />
rollenstereotype Arbeitsteilung im Haushalt <strong>und</strong> die Gewalt gegen Frauen tabuisiert 916 , auch die<br />
proletarische Frauenbewegung maß diesen sich aus Paarbeziehungen ergebenden Problemen<br />
kaum Bedeutung zu. Im Vordergr<strong>und</strong> stand vielmehr, dass sich mit dem Wunsch der meisten<br />
Proletarier nach einer anderen, besseren Gesellschaft auch Vorstellungen eines ganz privaten<br />
910 Mosegaard, Anna: Ein Wort an unsere Mütter. In: GL, 31/ 01/ 01.01.1921/ 3-5.<br />
911 „Mit der endgültigen Konversion der SPD zur ‘Ordnungspartei’ verkümmerte die sozialdemokratische Frauenbewegung<br />
weitgehend zu einer Organisation für Wohlfahrtspflege. Hatte die sozialdemokratische Frauenbewegung<br />
seit je nur zögernd sexuelle Tabus der bürgerlichen Gesellschaft angegriffen, so identifizierte sie sich nun fast<br />
völlig mit deren repressiven Moralvorschriften.“ (Merfeld, Die Emanzipation der Frau in der sozialistischen<br />
Theorie <strong>und</strong> Praxis, S. 78).<br />
912 Mosegaard, Anna: Ein Wort an unsere Mütter. In: GL, 31/ 01/ 01.01.1921/ 3.<br />
913 Ebd.<br />
914 Ebd., S. 4.<br />
915 Ebd.<br />
916 Soder, Hausarbeit <strong>und</strong> Stammtischsozialismus, S. 70.<br />
444
4.3.1 ZUM LEITBILD DER SOZIALISTISCHEN EHEFRAU<br />
Glückes verbanden, die kleinbürgerlich geprägt waren. „Vor der Zeit verblüht <strong>und</strong> gealtert,<br />
überflutet von Arbeit, Kindersorgen <strong>und</strong> Krankheit, mit einem schlecht verdienenden Mann, den<br />
oft das Elend im eigenen Hause in die Kneipe trieb“ 917 , so Weber-Kellermann, „konnte es für diese<br />
Frauen nur eine Wunschvorstellung geben: das bürgerliche Familienidyll mit der nicht arbeitenden<br />
sorglosen Hausfrau.“ 918 Indem sich die „Gleichheit“ anfangs vornehmlich an die erwerbstätigen<br />
Proletarierinnen gewandt hatte, hatte sie diesem Rollenbild bewusst nicht entsprechen wollen. Die<br />
proletarische Familie sollte weniger Ort eines „persönlichen Glücks“ oder eines Familien-<br />
egoismus sein, sondern Ort des gemeinsamen Klassenkampfes von Mann <strong>und</strong> Frau <strong>und</strong> Erziehung<br />
der Kinder zum Sozialismus. Die proletarische Familie hatte Bollwerk zu sein gegen „die bürger-<br />
liche Indoktrination durch Kirche <strong>und</strong> Schule“ 919 . Doch auch die „Gleichheit“ konnte nicht umhin,<br />
den Wunschvorstellungen ihrer Leserinnen zu entsprechen – z. B. durch die Einführung der<br />
Beilagen. Nach dem Redaktionswechsel kam hinzu, dass man sich angesichts der veränderten<br />
Position als systemtragende Partei von gar zu radikalen sozialistischen Positionen distanzieren<br />
musste. So war „Gleichheit“-Autor Wilhelm Soldes der Meinung, dass<br />
„[g]egen die Bestrebungen törichter Menschen, die aus Unkenntnis der<br />
Entwicklungsgeschichte des Menschengeschlechtes <strong>und</strong> der Formen seines<br />
geschlechtlichen Lebens die Frau als eine Sache zum Gemeineigentum machen<br />
wollen, […] nicht energisch genug Stellung genommen werde[…].“ 920<br />
Soldes lehnte sich jedoch in seinen Ausführungen deutlich an das auch unter Zetkin vertretene<br />
Eheideal an:<br />
„Die n e u e Ehe, wie wir sie erstreben, soll nicht nur dem einen Zweck der<br />
Befriedigung des physischen Bedürfnisses dienen, sondern sie soll mehr sein: die<br />
innige seelische Gemeinschaft zweier sich gleichberechtigt gegen -<br />
überstehender Menschen.“ 921<br />
Sogar die Kritik an einer „kapitalistisch-orientierten Ehe, der ‘Zwangsehe’“ sah Soldes als<br />
notwendig an <strong>und</strong> sah die „Ablösung […] durch die innige seelische <strong>und</strong> physische Ehegemein-<br />
schaft, die f r e i e s o z i a l i s t i s c h e E i n e h e , in der Mann <strong>und</strong> Frau als ganze Menschen<br />
gleichberechtigt zusammenstehen“ 922 voraus.<br />
917 Weber-Kellermann, Die deutsche Familie, S. 140f.<br />
918 Ebd. Soder beschreibt dieses Idyll ironisch: „Familienleben meinte – für Sozialdemokraten <strong>und</strong> Bürger gleichermaßen<br />
– ein trautes warmes Heim, möglichst mit pfeiferauchendem Vater, dem die strickende Mutter die<br />
Pantoffeln reicht, artig angestrahlt von rotbackigen Kindern, […]“ (Soder, Martin: Hausarbeit <strong>und</strong> Stammtischsozialismus,<br />
S. 25).<br />
919 Gomard, Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität <strong>und</strong> Utopie, S. 41.<br />
920 Soldes, Wilhelm: Sozialisierung der Frau oder sozialistische Ehe? In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 340-341,<br />
S. 341.<br />
921 Ebd.<br />
922 Ebd.<br />
445
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Einen weniger sozialistischen, sondern beinahe esoterischen Tenor hat folgendes, in der<br />
„Gleichheit“ von Max Dortu [d.i. Karl Neumann] (1878-1935) 923 publiziertes Gedicht:<br />
„Gleichheit / Der Mann ist nicht größer als die Frau. / Der Mann steht nicht über<br />
der Frau: der Mann steht neben der Frau! / Mann <strong>und</strong> Frau sind ergänzende Hälften<br />
der Einheit Mensch. / Nur diese zweigeteilte Einheit zeugt das Kind. / Die Seele<br />
der Frau ist Sonnenflug. Die Seele des Mannes ist mehr Erdtrieb. Frauenseele <strong>und</strong><br />
Mannesseele zusammen sind der Maßstab am kosmischen Gedanken. / Wessen<br />
Dünkel die Frau überfliegen will: dessen Sturz in den Abgr<strong>und</strong> des Nichterkennens<br />
ist sicher. / Gleichheit zwischen Mann <strong>und</strong> Frau – nicht im Charakter – aber im<br />
Seelenwert: das ist das sternhintragende Schwingenpaar erkannten Menschentums!“<br />
924<br />
Die nun folgenden biographischen Skizzen heben wie auch einige zuvor dargestellte<br />
Frauenbiographien „weiblicher Vollmenschen“ das Ideal der Genossenschaft von Mann <strong>und</strong> Frau<br />
hervor. Sie geben einen Eindruck von dem „Zweisamkeitsideal“, wie es in der „Gleichheit“ de-<br />
finiert wird. Meist handelt es sich dabei um die legitimierte Form der Lebensgemeinschaft, die<br />
Ehe, <strong>und</strong> nicht um eheähnliche Gemeinschaften bzw. „wilde Ehen“ wie die von Clara <strong>und</strong> Ossip<br />
Zetkin oder von Mary Wollstonecraft (1759-1797) <strong>und</strong> Imlay. Diese Form des Zusammenlebens<br />
war, wenn auch in der Arbeiterklasse akzeptiert, eher ungewöhnlich. Auch eine tolerante Ehe wie<br />
die von Wilhelm <strong>und</strong> Karoline von Humboldt findet sich in den biographischen Skizzen kein<br />
zweites Mal. Dies spricht einerseits für die große Bedeutung des Treuebegriffs innerhalb sozialis-<br />
tischer Partnerschaftsvorstellungen, doch haftete andererseits einer Scheidung im Proletarier-<br />
milieu nichts Verwerfliches an. So vollzog die „Gleichheit“, wie es Gomard sehr zutreffend<br />
ausdrückt, „eine Gratwanderung zwischen überkommener bürgerlicher Moral <strong>und</strong> Ansätzen zu<br />
einer alternativen Moral auf sozialistischer Gr<strong>und</strong>lage“ 925 .<br />
Diejenigen Frauen, die hier dem Frauenleitbild der sozialistischen Ehefrau zugeordnet wurden,<br />
sind keine Ehefrauen der Art einer Jeanne-Marie Roland, die ihren Ehemann an gesellschaft-<br />
lichem Einfluss deutlich überragte. Es sind meist Ehefrauen, die sich auszeichneten, weil sie an<br />
der Seite ihres Ehemannes standen – auch wenn sie selbst nicht öffentlich wirksam wurden. Es<br />
verkörperte diejenige Frau das sozialistische Ideal einer Ehefrau <strong>und</strong> Mutter, die es schaffte, keine<br />
ihrer „naturgegebenen“ Aufgaben zu vernachlässigen, während sie sich außerdem politisch bildete<br />
<strong>und</strong> engagierte. Ein Ideal, das unter den gegebenen Arbeits- <strong>und</strong> Lebensbedingungen nahezu<br />
923 Max Dortu war das Pseudonym des Arbeiterdichters Karl Neumann <strong>und</strong> bezog sich auf den im Alter von 22<br />
Jahren in Freiburg i. Br. hingerichteten 1848er Revolutionär Johann Maximilian Dortu (1826-1849).<br />
924 Dortu, Max: Gleichheit. In: GL, 32/ 16/ 15.08.1922/ 151.<br />
925 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 37. So wie die Frauenfrage Anhängsel der politischen<br />
Theoriebildung geblieben sei, sei das sozialistische Eheideal durch <strong>und</strong> durch bürgerlich geprägt gewesen<br />
(vgl. Geiger/Weigel, Sind das noch Damen?, S. 85).<br />
446
4.3.1 ZUM LEITBILD DER SOZIALISTISCHEN EHEFRAU<br />
unmöglich erschien. Zwar findet sich, wie Gomard treffend feststellt, „[a]n keiner Stelle […] ein<br />
Hinweis darauf, daß die Ehemänner etwa im Haushalt mitgeholfen hätten“ 926 , doch gibt es viele<br />
Beispiele für Ehemänner, die der Hemmschuh für das politische Engagement ihrer Frauen waren.<br />
Diese Beispiele lassen sich sowohl in den Biographien der „Gleichheit“- MitarbeiterInnen als<br />
auch in den Biographien „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ <strong>und</strong> „<strong>Klassenkämpferinnen</strong>“ finden. Die nun<br />
folgenden biographischen Artikel konnten den „Gleichheit“-Leserinnen kaum Wege aus dem<br />
dargestellten Dilemma der Doppelbelastung aufzeigen, aber den Stellenwert gemeinsamer<br />
politischer Ideale untermauern. Das Leben vieler historischer Frauenpersönlichkeiten wäre in<br />
Vergessenheit geraten, hätten es die idealen Ehemänner nicht zumindest in ihren Memoiren<br />
gewürdigt.<br />
926 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 35.<br />
447
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
4.3.2 Die Genossin seiner geistigen Ideale<br />
Einige der bereits portraitierten Frauen hatten ihren Lebensweg gekreuzt: Christiane Goethe-<br />
Vulpius (1765-1816). Auffälligerweise wird die Ehefrau des berühmten Dichters Johann Wolf-<br />
gang von Goethe nur in wenigen biographischen Beschreibungen mit eben jenem Doppelnamen<br />
bezeichnet. 927 In dem bereits vorgestellten „Gleichheit“-Artikel zum Leben Katharina Elisabeth<br />
Goethes stellte Wittich fest, dass Geschichte <strong>und</strong> Literaturgeschichte von ihr als „Christiane von<br />
Goethe“ spreche. Diesen Namen sah er nicht nur deshalb als gerechtfertigt an, weil „der Weimarer<br />
Olympier […][sie] sich kirchlich antrauen ließ“ 928 , sondern weil er für das besondere Verhältnis<br />
der beiden Menschen zueinander stehe. Nicht nur, weil ich mich im Folgenden vornehmlich auf<br />
den Artikel „Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung“ 929 von Anna Blos beziehe <strong>und</strong> um<br />
Verwechslungen vorzubeugen, sondern auch in Hinblick auf die vielen Jahre, die das Paar in<br />
einem freien Liebesverhältnis lebte, werde ich in dieser Arbeit den weniger gebräuchlichen<br />
Doppelnamen verwenden.<br />
Blos gab ihrem Artikel den bezeichnenden Untertitel „Eine Rechtfertigung“, weil sie denjenigen<br />
Lästerzungen entgegenwirken wollte, die von Goethe-Vulpius wie von so manchen anderen<br />
Persönlichkeiten nur ein „verzerrtes Bild“ 930 in die Welt gesetzt hätten. 931 Dennoch bezog sich<br />
Blos auf den Weimarer Klatsch der damaligen Zeit <strong>und</strong> teilte den „Gleichheit“-Leserinnen mit,<br />
Goethe-Vulpius‘ Vater sei „an Trunksucht zugr<strong>und</strong>e gegangen“ 932 . Während er seinem Sohn<br />
Christian eine gute Bildung zukommen ließ, war die seiner Tochter Christiane eine sehr mangel-<br />
hafte. Goethe-Vulpius wurde Arbeiterin in einer Blumenfabrik. Es konnte also kaum eine<br />
umfassende Bildung sein, die Goethe später an ihr schätzen würde. Vielmehr sei es, so Blos, der<br />
„tiefweibliche[…] Gehalt ihres Wesens“ 933 gewesen, der den Dichter faszinierte. Dies wohl schon<br />
an dem Tag, an dem dieses Fabrikmädchen eine die Anstellung des Bruders betreffende Bittschrift<br />
927 So z. B. in: Weissensteiner, Die Frauen der Genies.<br />
928 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 10/ 07.05.1902/ 76.<br />
929 Blos, Anna: Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung. In: GL, 29/ 01/ 11.10.1918/ 6-7; GL, 29/ 02/<br />
25.10.1918/ 13-14.<br />
930 Blos, Anna: Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung. In: GL, 29/ 01/ 11.10.1918/ 6.<br />
931 Auch das von Etta Federn (1883-1951) verfasste Werk „Christiane von Goethe. Ein Beitrag zur Psychologie<br />
Goethes“ (1916), welches bereits im selben Jahr in zweiter Auflage erschien, sei, so Blos, „ein dankenswertes<br />
Unternehmen, […] solchen Persönlichkeiten zu ihrem Recht zu verhelfen <strong>und</strong> klarzulegen, daß sie besser waren<br />
als ihr Ruf“ (ebd.). Es wäre daher sehr aufschlussreich, die Werke anderer BiographInnen mit den Artikeln <strong>und</strong><br />
Werken Blos‘ direkt zu vergleichen. So würden die Gegensätze von sozialistischer <strong>und</strong> bürgerlicher Geschichtsschreibung<br />
noch deutlicher aufgezeigt.<br />
932 Ebd.<br />
933 Blos, Anna: Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung. In: GL, 29/ 01/ 11.10.1918/ 6.<br />
448
4.3.2 DIE GENOSSIN SEINER GEISTIGEN IDEALE<br />
an den „mächtigen Minister“ Goethe überbrachte <strong>und</strong> ihm so zum ersten Mal begegnete. 934<br />
Zu Beginn war Goethe-Vulpius „nur“ Goethes „Bettschatz“ 935 <strong>und</strong> die Mutter einiger früh<br />
verstorbener gemeinsamer Kinder sowie schließlich der Söhne August <strong>und</strong> Wolfgang. Dennoch<br />
wurde sie, wie man aus entsprechenden Briefen erfahre, auch von Beginn an von Goethes Mutter<br />
Katharina Elisabeth vollauf akzeptiert <strong>und</strong> gemocht. 936<br />
1801 erkrankte Goethe lebensgefährlich. Nur die, so Blos, „aufopfernde Pflege“ 937 seiner Ehefrau<br />
habe ihn gerettet. Fünf Jahre später rettete sie ihm erneut das Leben, indem sie sich tapfer<br />
zwischen ihn <strong>und</strong> französische Marodeure warf. 938 Im selben Jahr – dem Jahr der Schlacht von<br />
Jena, dem Geburtsjahr des gemeinsamen Sohnes Wolfgang – erfolgte die kirchliche Trauung <strong>und</strong><br />
damit die Legitimierung ihrer Liebesbeziehung. Die Trauung war ein rein formaler Akt. Er habe,<br />
so hier die Meinung Wittichs, weder der Beziehung „einen Deut tiefere Bedeutung <strong>und</strong> höhere<br />
Weihe“ 939 verleihen können als sie ohnehin bereits hatte, noch habe er Goethe-Vulpius in den<br />
Augen der Weimarer Öffentlichkeit rehabilitiert. Die eingangs erwähnten Lästerzungen schwiegen<br />
nicht still <strong>und</strong> hätten dies wohl auch nicht, selbst wenn das freie Liebesverhältnis bereits früher<br />
legitimiert worden wäre. 940 Zu diesen gehörte vor allem Goethes ehemalige Geliebte Charlotte von<br />
Stein, „die mit dem feinen <strong>weiblichen</strong> Empfinden früher als Goethe selbst erkannt[…] [habe], daß<br />
seine Liebe zu Christiane mehr bedeutete als nur sinnliches Hinneigen“ 941 <strong>und</strong> deshalb große<br />
Eifersucht empfand.<br />
In seinem Artikel zum Leben der Mutter Goethes bemühte sich Wittich, das Bild Goethe-Vulpius‘<br />
als das einer dem Genie untergeordneten Persönlichkeit zu widerlegen. Aus den Briefen Goethes<br />
ginge klar hervor, dass sie „die ihm ‘Bestimmte’“ 942 gewesen sei. Blos war ähnlicher Meinung, als<br />
sie schrieb, dass sich Goethe-Vulpius mit dem ihr eigenen „einfachen natürlichen Scharfblick“ 943<br />
934 Vgl. ebd.<br />
935 Ebd.<br />
936 Vgl. ebd.<br />
937 Ebd.<br />
938 Vgl. Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 10/ 07.05.1902/ 76.<br />
939 Ebd.<br />
940 Vgl. ebd.<br />
941 Blos, Anna: Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung. In: GL, 29/ 01/ 11.10.1918/ 6.<br />
Blos erachtete es als sehr auffällig, dass Goethe-Vulpius im Briefwechsel der beiden Fre<strong>und</strong>e Goethe <strong>und</strong> Schiller<br />
keinerlei Rolle gespielt habe <strong>und</strong> dass selbst nachdem Schiller ihr seinen Sohn manches Mal zur Obhut gegebenen<br />
hatte, sich kein Dank oder Gruß an sie finden lasse. Dieses kühle Verhalten Schillers sei auf den Einfluss<br />
zurückzuführen, den Stein auf Schillers Ehefrau Charlotte (1766-1826) gehabt habe (vgl. ebd., S. 13). Tatsächlich<br />
war Stein die Patin Charlotte Schillers.<br />
942 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 11/ 21.05.1902/ 84.<br />
943 Blos, Anna: Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung. In: GL, 29/ 02/ 25.10.1918/ 14.<br />
449
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
„als tapfere Mitkämpferin im Kampfe gegen Dummheit <strong>und</strong> Bosheit an seiner Seite in vollem<br />
Maße bewährt“ 944 habe. Charlotte von Stein sah in ihr jedoch nur „‘eine Dirne, eine ungebildete<br />
dumme Köchin, eine Säuferin’“ 945 . Was Goethe-Vulpius im Gegenzug von Stein dachte, behielt<br />
sie laut Blos für sich – wie sie auch sonst nie Böses über andere gesprochen haben soll. 946<br />
Auch in anderer Hinsicht legte sich Goethe-Vulpius ein sehr dickes Fell zu <strong>und</strong> trug in großer<br />
„Selbstlosigkeit […] alle Sorgen allein“ 947 . Erst dann, wenn jeder Kummer überstanden war, habe<br />
sie den oft abwesenden Goethe über die nun gelösten Probleme informiert. Ein Merkmal ihrer<br />
Ehe, die jedoch m. E. wenig von einer Partnerschaft hat. Goethe-Vulpius bereitete ihrem auf<br />
seinen Reisen „von schönen <strong>und</strong> geistreichen Frauen“ 948 umworbenen Gatten ein besonderes<br />
Heim, was ihn schreiben ließ: „‘<strong>Von</strong> Ost nach Westen, zu hause am besten.’“ 949 Auch auf seine<br />
künstlerische Arbeit hatte sie inspirierenden Einfluss <strong>und</strong> manche Frauengestalten tragen ihre<br />
Charakterzüge – das Gretchen im „Faust“ oder das Klärchen im „Egmont“ (1788). Laut Blos<br />
stand für die Biographin Ella [d.i. Etta] Federn (1883-1951) deshalb Folgendes fest:<br />
„‘Und wenn wir von Christiane gar nichts wüßten, als daß Goethe ihr die Metamorphose<br />
der Pflanzen schrieb, es wäre Gr<strong>und</strong> genug, sich mit ihr zu beschäftigen<br />
<strong>und</strong> in ihr Wesen einzudringen.’“ 950<br />
Demnach bestand Goethe-Vulpius‘ Verdienst bereits darin, als Muse des großen Dichters gewirkt<br />
zu haben. Entscheidende Erkenntnis der proletarischen Leserinnen konnte demnach sein,<br />
„daß Goethes tiefste <strong>und</strong> einzig dauernde Neigung dem Kind aus dem Volke<br />
gegolten hat, über das auch heute noch viele die Nase rümpfen möchten“ 951 .<br />
Selbst, wenn es wie im Falle Charlotte von Steins nur die „Strahlen der Dichtersonne“ 952 waren,<br />
die dem Vorbild Goethe-Vulpius‘ Glanz verliehen, dürfte jede Proletarierin dank dieser gr<strong>und</strong>sätz-<br />
lichen Aussage <strong>und</strong> dieses Vorbildes einen gewissen Stolz empf<strong>und</strong>en haben.<br />
Es war die 1873 erschienene Autobiographie ihres zweiten Ehemannes John Stuart Mill, die dem<br />
Leben, dem Wirken <strong>und</strong> der Persönlichkeit Harriet Taylor-Mills (1807-1858) ein Denkmal<br />
944 Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 11/ 21.05.1902/ 84.<br />
945 Charlotte von Stein zit. nach: Blos, Anna: Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung. In: GL, 29/ 02/<br />
25.10.1918/ 14.<br />
946 Vgl. ebd.<br />
947 Ebd., S. 13.<br />
948 Ebd., S. 14.<br />
949 Johann Wolfgang von Goethe zit. nach: Ebd.<br />
950 Ella Federn zit. nach: Ebd.<br />
951 Ebd.<br />
952 Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. Charlotte von Stein. In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 338.<br />
450
4.3.2 DIE GENOSSIN SEINER GEISTIGEN IDEALE<br />
setzte. 953 Diese Autobiographie war auch die Gr<strong>und</strong>lage für einen vermutlich von Zetkin<br />
verfassten biographischen Artikel. Zu Beginn hielt sich Zetkin darin auffällig mit jeder Wertung<br />
zurück <strong>und</strong> formulierte scheinbar um Objektivität bemüht:<br />
„Sie muß eine außerordentliche Frau gewesen sein, werth der Liebe <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>schaft<br />
ihres bedeutenden Mannes.“ 954<br />
Es scheint, dass Zetkin an dieser Stelle kein endgültiges Urteil über Taylor-Mill hatte fällen<br />
wollen. Im gleichen Augenblick aber machte sie die Bedeutung, die Taylor-Mill für ihren Ehe-<br />
mann hatte, zum Maßstab ihrer Beurteilung. Es ist anzunehmen, dass Zetkins ganzes Wissen um<br />
das Leben Taylor-Mills nur auf den subjektiven Erzählungen des Ehemannes basierte <strong>und</strong> ihr<br />
Urteil deshalb so zögerlich ausfiel. Ihren Leserinnen legte sie ans Herz, sich selbständig mit dieser<br />
Autobiographie zu beschäftigen. 955 Im Folgenden zitierte Zetkin einen großen Abschnitt jener<br />
Autobiographie Mills, machte jedoch keinerlei Angaben zu der von ihr herangezogenen Ausgabe<br />
oder Übersetzung.<br />
Mill beschrieb, wie die Fre<strong>und</strong>schaft mit seiner späteren Ehefrau „‘Ehre <strong>und</strong> […] Hauptsegen<br />
[s]eines Daseins’“ 956 wurde. Auch sei diese Fre<strong>und</strong>schaft „‘die Quelle von Vielem’“ gewesen, was<br />
er „‘zur Hebung der Menschheit versucht habe oder noch zu erzielen hoff[t]e’“ 957 . Eine<br />
Fre<strong>und</strong>schaft, die 1830 begann <strong>und</strong> erst 22 Jahre später in einer Ehe mündete.<br />
Harriet Taylor-Mill wurde als Harriet Hardy in London geboren. Ihren Charakter hätten schon<br />
früh ein stetiges Streben nach „‘Selbstveredelung’“, nach einem „‘inneren Aufschwung’“ <strong>und</strong> eine<br />
„‘Bereicherung an Weisheit’“ 958 ausgezeichnet. Mills Bemerkung, sie habe bis zu ihrer Bekannt-<br />
schaft mit ihm „‘den hergebrachten Typus des <strong>weiblichen</strong> Genius entfaltet’“ 959 [Hervorhebungen<br />
von M.S.], scheint auf die Rolle hinzudeuten, die er bei ihrer geistigen Entwicklung spielte oder<br />
gespielt zu haben meint. Sie sei eine „‘geistvolle Schönheit mit einem Zug von natürlicher<br />
Distinktion’“ 960 gewesen <strong>und</strong> für ihr näherstehende Menschen<br />
„‘ein Weib von tiefem, starkem Gefühl, einem eindringenden, schnell auffassenden<br />
Verstand <strong>und</strong> hervorragend beschaulichem, poetischem Wesen’“ 961 .<br />
953 Diese Autobiographie trug den schlichten Titel „Autobiography“. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen<br />
werden, dass Zetkin die Originalausgabe verwandte.<br />
954 John Stuart Mills Frau. In: GL, 06/ 05/ 04.03.1896/ 38.<br />
955 Vgl. ebd.<br />
956 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />
957 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />
958 John Stuart Mill zit. nach: Ebd., S. 39.<br />
959 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />
960 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />
961 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />
451
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Umso unverständlicher erscheint Taylor-Mills frühe Heirat mit John Taylor. Dieser sei, so das Ur-<br />
teil ihres zweiten Ehemannes, zwar ein ehrenhafter, liberal eingestellter <strong>und</strong> gut erzogener Mensch<br />
gewesen sei, jedoch ohne jegliches intellektuelles <strong>und</strong> künstlerisches Interesse. Wenn John Taylor<br />
deshalb auch kein „‘harmonische[r] Gefährte[…]’“ 962 für Taylor-Mill habe sein können, so sei ihr<br />
Verhältnis dennoch ein sehr gutes gewesen <strong>und</strong> Taylor-Mill habe ihrem Ehemann ehrlich <strong>und</strong> treu<br />
angehangen. 963<br />
Schon bald, nachdem Mill Aufnahme in den Fre<strong>und</strong>eskreis des Ehepaares gef<strong>und</strong>en hatte, habe er<br />
erkannt, dass Taylor-Mill all jene Eigenschaften in sich vereinte, die er bei all seinen Bekannten<br />
stets nur partikulär vorgef<strong>und</strong>en habe:<br />
„‘Bei ihr stammten die vollständige Freiheit von Aberglauben jeder Art <strong>und</strong> das<br />
ernste Zurückweisen vieler Dinge, die noch einen Theil der hergebrachten Gesellschaftseinrichtungen<br />
bilden, nicht aus einem starren Verstand, sondern aus der<br />
Kraft eines edlen, gehobenen Gefühls <strong>und</strong> konnten recht wohl bestehen neben einer<br />
Natur, die mit Achtung für alles Edle <strong>und</strong> Hohe erfüllt war.’“ 964<br />
Taylor-Mill habe zudem eine besondere Auffassungsgabe besessen, die sie in die Lage versetzte,<br />
den Gedankenfaden Mills aufzunehmen. Er habe ihr „‘in intellektueller Beziehung’“ 965 sehr viel<br />
zu verdanken. Oft habe er Lob geerntet, welches zum Teil ihr anzurechnen sei.<br />
Neben ihrem Verstand, mit dem sie sehr schnell <strong>und</strong> umfassend das Prinzip einer Idee erfassen<br />
konnte, habe sie eine „‘feurige <strong>und</strong> zarte Seele’“ 966 , „‘lebhafte Beredsamkeit’“ 967 , „‘eine tiefe<br />
Kenntniß der Menschennatur <strong>und</strong> eine große Klugheit <strong>und</strong> Unterscheidungsgabe im praktischen<br />
Leben’“ 968 besessen. All dies überzeugte Mill davon, dass seine Gefährtin<br />
„‘in den Zeiten, die den Frauen eine weite Laufbahn erschließt, eine hochstehende<br />
Rolle hätte spielen müssen unter den Lenkern des Menschengeschlechts’“ 969 .<br />
Auch wenn ihr diese Karriere versagt blieb, so stellte sie doch all ihre intellektuellen Fähigkeiten,<br />
so Mill, in den „‘Dienste eines moralischen Charakters’“ 970 . Es scheint, als habe Taylor-Mill ein<br />
harmonisches Gleichgewicht gelebt, das man entsprechend der Zetkin‘schen Thesen auch als<br />
„weibliches Vollmenschentum“ bezeichnen könnte. Dazu gehört auch ihre große „‘Selbstlosig-<br />
962 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />
963 Vgl. ebd.<br />
964 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />
965 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />
966 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />
967 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />
968 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />
969 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />
970 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />
452
keit’“ 971 , die laut des analytischen Urteils Mills<br />
4.3.2 DIE GENOSSIN SEINER GEISTIGEN IDEALE<br />
„‘nicht die eines angelernten Systems von Pflichten [gewesen sei], sondern der<br />
Ausfluß eines Herzens, das die Gefühle Anderer zu den eigenen machte, ja wohl<br />
darüber hinausging, indem sie diese Gefühle imaginativ mit der Innigkeit der<br />
ihrigen bekleidete’“ 972 .<br />
Taylor-Mill war demnach ein sehr intuitiver, empathischer <strong>und</strong> auch altruistischer Mensch. So<br />
seien all ihre selbstlosen Taten aus einem „‘schrankenlosen Edelmuth’“ 973 <strong>und</strong> einer „‘Fülle von<br />
Liebe’“ 974 heraus geschehen. So, wie sich ihre intellektuellen Eigenschaften harmonisch mit ihren<br />
moralischen Charakterzügen ergänzten, stand alles zusammen im Einklang mit den Eigenschaften<br />
ihres Geistes <strong>und</strong> Herzens. Taylor-Mill vereinte in sich, so Mill,<br />
„‘die echteste Bescheidenheit in Verbindung mit dem edelsten Stolz, die größte<br />
Einfachheit <strong>und</strong> Aufrichtigkeit gegen Alle, die sich dafür empfänglich zeigten, die<br />
tiefste Verachtung gegen das Gemeine <strong>und</strong> Feige, <strong>und</strong> ein glühender Unwille über<br />
alles Rohe <strong>und</strong> Tyrannische, Treulose oder Unehrenhafte im Benehmen <strong>und</strong> Charakter’“<br />
975 .<br />
Doch noch war diese so leidenschaftlich verehrte Frau <strong>und</strong> Mutter einer Tochter die Ehefrau eines<br />
anderen <strong>und</strong> Mill nur ein Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> häufiger Gast der Familie. Seine Besuche, die anfangs<br />
wirklich nur aus Anhänglichkeit <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>schaft motiviert gewesen seien, fanden oft in der Ab-<br />
wesenheit Taylors statt. Sehr leicht hätten sie Ursache für Eifersucht <strong>und</strong> Klatsch sein können,<br />
doch Taylor-Mill setzte sich ohne zu zögern über jede böswillige Deutung <strong>und</strong> jeden<br />
gesellschaftlichen Dünkel hinweg.<br />
1849 verunglückte Taylor tödlich. Mill, der Fre<strong>und</strong> der Familie, fasste nun den Entschluss, „‘den<br />
Unfall zu [s]einem Besten zu wenden’“ 976 . Der bereits bestehenden „‘Gemeinschaft des Denkens,<br />
Fühlens <strong>und</strong> Schreibens’“ habe er „‘die Vereinigung [ihres][…] ganzen Daseins hinzufüg[en]’“ 977<br />
wollen. 1851 heiratete er Taylor-Mill, die bereits siebeneinhalb Jahre später während eines<br />
Aufenthaltes in Frankreich an einer Lungenentzündung starb.<br />
Zetkin sah die Notwendigkeit, zusätzlich die Widmung, die Mill in seinem Buch „Ueber die<br />
Freiheit“ (1859) veröffentlicht hatte, wörtlich wiederzugeben. Es habe darin ihr Ehemann Taylor-<br />
Mill „ein schönes Denkmal […] gesetzt […], das ebenso für sie als für ihn spr[eche]“ 978 . Es war<br />
971 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />
972 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />
973 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />
974 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />
975 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />
976 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />
977 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />
978 Ebd.<br />
453
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
dem Philosophen Mill ein großes Bedürfnis, auf diese Weise die Unterstützung, die er von seiner<br />
Ehefrau beim Schreiben <strong>und</strong> Korrigieren seiner Schriften erfahren hatte, besonders heraus-<br />
zustellen. Er widmete daher sein Werk<br />
„‘[d]em geliebten <strong>und</strong> beweinten Andenken Derjenigen, die Alles, was das Beste in<br />
meinen Schriften ist, mir eingegeben <strong>und</strong> zum Theil selbst geschaffen hat – der<br />
Fre<strong>und</strong>in <strong>und</strong> Gattin, deren hoher Sinn für Wahrheit <strong>und</strong> Recht mein stärkster<br />
Antrieb <strong>und</strong> deren Billigung mein bester Lohn war, […]. Gleich Allem, was ich seit<br />
vielen Jahren geschrieben habe, ist diese Schrift ebenso sehr ihr Werk als das<br />
meinige.’“ 979<br />
Demnach dürfte der Anteil, den Taylor-Mill an den Werken Mills hatte, nicht unwesentlich <strong>und</strong><br />
über reine Inspiration deutlich hinausgegangen sein. Sie hatte nicht die Rolle einer Muse, sondern<br />
einer ebenbürtigen Mitarbeiterin <strong>und</strong> Mitstreiterin. Ihre Ehe verkörperte die absolute Hingabe für<br />
die Ideale des anderen, weshalb Mill in tiefer Trauer schrieb:<br />
„‘Meine Lebensziele sind nur diejenigen, die auch die ihrigen waren, meine<br />
Beschäftigung die, welche sie mit mir theilte <strong>und</strong> die mich stetig an sie erinnert. Ihr<br />
Andenken ist für mich eine Religion <strong>und</strong> ihr Beifall meine Richtschnur, nach der<br />
ich, da sie alles Würdige <strong>und</strong> Edle einschließt, mein Leben zu regeln bemüht bin.’“<br />
980<br />
Hinsichtlich der Fragestellung der vorliegenden Arbeit muss die Darstellung einer solch großen<br />
„Gegenliebe“ besonders hervorgehoben werden. Mill drückte seine eigenen Gefühle <strong>und</strong> eigenen<br />
Zielsetzungen in einer Art <strong>und</strong> Weise aus, wie sie bisher nur für das Leitbild der idealen Ehefrau<br />
dokumentiert wurden. Diese Worte eines Ehemannes jedoch dürften die „Gleichheit“-Leserinnen<br />
nicht nur emotional berührt, sondern auch das von der proletarischen Frauenbewegung entworfene<br />
Eheideal für sie noch erstrebenswerter gemacht haben.<br />
979 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />
980 John Stuart Mill zit. nach: Ebd.<br />
454
4.3.3 DIE GENOSSIN SEINES KAMPFES – DIE EHEFRAUEN DER 1848ER-REVOLUTIONÄRE<br />
4.3.3 Die Genossin seines Kampfes – die Ehefrauen der 1848er-Revolutionäre<br />
Anders als Goethe-Vulpius war Anita Garibaldi (1821-1849) keine Frau, die daheim auf die<br />
Rückkehr ihres Mannes wartete. Giuseppe Garibaldi, aus dessen 1872 veröffentlichten Memoiren<br />
981 die meisten Informationen für die beiden hier vorzustellenden „Gleichheit“-Artikel stammen 982 ,<br />
führte in den 1830er Jahren als der berühmteste Freiheitskämpfer Italiens einen Kampf gegen<br />
Papst <strong>und</strong> Fürsten für eine italienische demokratische Republik. 1834 wurde er gefangen genom-<br />
men <strong>und</strong> zum Tode verurteilt, jedoch gelang ihm die Flucht nach Südamerika, wo er in Brasilien<br />
die 18-jährige gebürtige Spanierin Anita Riveras kennenlernte. Der Romanschriftsteller Ratcliffe<br />
meinte bereits in ihrem Äußerem besondere Wesenszüge erkennen zu können:<br />
„‘Der gebräunte, aber durchsichtig klare Teint, ihres Gesichtes verriet die Kreolin<br />
[…] Ihr schönes Antlitz verriet bedeutende Willenskraft; das blaue Auge strahlte<br />
eine Erregbarkeit des Geistes <strong>und</strong> Herzens, die nur des zündenden Funkens bedurfte,<br />
um zur vollen Flamme emporzuschlagen.’“ 983<br />
Dieser Funke war schließlich die Selbstverständlichkeit, mit der Giuseppe Garibaldi ihr bereits bei<br />
der ersten Begegnung gesagt haben soll, dass sie sein werden müsse. Auf diese unkonventionelle<br />
Weise habe er ihr Herz im Sturm erobert. Da die von ihm begehrte, „leidenschaftliche <strong>und</strong> geistes-<br />
starke“ 984 Frau jedoch bereits verheiratet war, entführte Giuseppe Garibaldi sie kurzerhand <strong>und</strong><br />
fand in ihr, so die Schriftstellerin Clara Stockinger-Altenhof (?-?) 985 , „eine Gehilfin im edelsten<br />
<strong>und</strong> besten Sinne des Wortes“ 986 . Genauso wie er selbst sei auch diese Gehilfin „von glühender<br />
Begeisterung für die Sache der Freiheit beseelt“ 987 gewesen. Garibaldi begleitete ihren Ehemann<br />
auf all seinen Reisen, in all seine Kämpfe <strong>und</strong> war ihm eine wahrhafte <strong>und</strong> wehrhafte Gefährtin.<br />
Gemeinsam kämpfte das Paar im Auftrage der Handelsstadt Montevideo, die Giuseppe Garibaldi<br />
dafür die Stellung eines Generals anbot. Dies, so Stockinger-Altenhof, habe er jedoch abgelehnt,<br />
weil er das einfache Leben eines Soldaten bevorzugte. Die ärmlichen Verhältnisse eines solchen<br />
Lebens machten ihm nichts aus – ein Umstand der sich später jedoch rächen sollte. Denn wenn<br />
981 Diese Memoiren verfasste Giuseppe Garibaldi unter Mithilfe des berühmten französischen Schriftstellers Victor<br />
Hugo.<br />
982 Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In: GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 183-184; Blos, Anna: Anita Garibaldi.<br />
In: GL, 17/ 13/ 24.06.1907/ 109-110; GL, 17/ 14/ 08.07.1907/ 117.<br />
983 Ratcliffe zit. nach: Blos, Anna: Anita Garibaldi. In: GL, 17/ 13/ 24.06.1907/ 109.<br />
984 Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In: GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 183.<br />
985 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine eindeutigen biographischen Informationen<br />
zu Clara Stockinger-Altenhof. Es könnte sich um Clara Anna Therese Stockinger (1863-1949) handeln, die<br />
u. a. die Werke „Elternsünden. Ein Beitrag zur Erziehung der Eltern“ (1926) <strong>und</strong> „Das Buch der Hausfrau. Eine<br />
neuzeitliche Haushaltungsk<strong>und</strong>e“ (1929) verfasste.<br />
986 Ebd.<br />
987 Ebd.<br />
455
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
auch Anita Garibaldi laut Stockinger-Altenhof „ohne Murren, ja mit Freudigkeit die Entbehrungen<br />
der Armuth“ 988 ertragen haben soll <strong>und</strong> diese „so gut es ging durch ihre Arbeit zu lindern<br />
suchte“ 989 , dürften diese Lebensumstände doch dazu beigetragen haben, dass ihre kleine Tochter<br />
Rosa früh verstarb. 990 Der revolutionäre Kampf nahm jedoch keine Rücksicht auf Leid <strong>und</strong> Trauer<br />
<strong>und</strong> musste trotzdem weitergehen.<br />
Während der Abwesenheit ihres Gatten musste Garibaldi das Oberkommando übernehmen, um<br />
den Angriff brasilianischer Truppen abzuwehren. Sie habe ihrem Ehemann Dienste geleistet, so<br />
nun Anna Blos in einem zweiten Artikel,<br />
„wie kaum ein Mann sie hätte leisten können [<strong>und</strong>][…] stand aufrecht im Stern des<br />
Bootes im Kartätschenhagel, ruhig <strong>und</strong> stolz wie eine Statue der Pallas Athene.“ 991<br />
Trotz all dieser Gefahren <strong>und</strong> den Strapazen durch die herrschende Lebensmittelknappheit habe<br />
sich Garibaldi eine „tapfere, fröhliche Art <strong>und</strong> Weise“ 992 erhalten, mit der sie so manchen mutlos<br />
gewordenen Mann beschämte. Sie war, so Blos, der „Engel der Verw<strong>und</strong>eten“ 993 <strong>und</strong> gönnte sich<br />
auch als Munitionsträgerin keinerlei Schonung. Sogar hochschwanger habe sie die meiste Zeit im<br />
Sattel verbracht. 994 1840 wurde ihr Sohn Menotti geboren. Er soll mit einer Narbe am Kopf zur<br />
Welt gekommen sein, die von einem Sturz Garibaldis vom Pferd herrührte. 995 Blos beschrieb eine<br />
abenteuerliche Situation, in der Garibaldi von Feinden umringt, ihrem Pferd die Sporen gab, dem<br />
Kugelhagel mit einem Loch im Hut entrinnen konnte <strong>und</strong> auf der Suche nach ihrem Mann acht<br />
Tage durch den Urwald irrte – ihr kleines Kind immer auf dem Arm. 996 Bei diesem schwierigen<br />
Marsch durch den Urwald habe Garibaldi die Soldaten sogar immer wieder mit ihrem, so<br />
Stockinger-Altenhof, „fre<strong>und</strong>liche[n], tröstliche[n] Zuspruch“ 997 ermuntert.<br />
In welch großem Maße Garibaldi das im Rahmen dieser Arbeit besonders hevorhebenswerte<br />
„Ideal jener hingebenden, selbstverleugnenden Liebe“ 998 verwirklichte, zeigt sich auch darin, dass<br />
sie 1848 für ihren Gatten ihre Heimat <strong>und</strong> all das ihr Vertraute verließ. In Italien hatte sich<br />
988 Ebd.<br />
989 Ebd.<br />
990 Blos ließ den Tod der Tochter Rosa unerwähnt.<br />
991 Blos, Anna: Anita Garibaldi. In: GL, 17/ 13/ 24.06.1907/ 110.<br />
992 Ebd.<br />
993 Ebd.<br />
994 Ebd.<br />
995 Blos, Anna: Anita Garibaldi. (Schluß.). In: GL, 17/ 14/ 08.07.1907/ 117.<br />
996 Laut Stockinger-Altenhof war Menotti damals drei Monate (vgl. Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In:<br />
GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 184), laut Blos erst 12 Tage alt (vgl. Blos, Anna: Anita Garibaldi. (Schluß.). In: GL, 17/<br />
14/ 08.07.1907/ 117).<br />
997 Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In: GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 184.<br />
998 Ebd., S. 183.<br />
456
4.3.3 DIE GENOSSIN SEINES KAMPFES – DIE EHEFRAUEN DER 1848ER-REVOLUTIONÄRE<br />
mittlerweile die politische Lage gr<strong>und</strong>legend geändert. Der Papst war geflohen <strong>und</strong> die neu<br />
gegründete Republik brauchte nun jeden Schutz gegen die neapolitanischen, päpstlichen <strong>und</strong><br />
französischen Truppen. Auch hier machte Garibaldi die Sache ihres Mannes zu der ihrigen, so<br />
Stockinger-Altenhof:<br />
„[S]ein Gott, sein Ideal, es war ihr Ideal, sein Volk war hinfort ihr Volk, für dessen<br />
Befreiung sie Glück <strong>und</strong> Leben freudig aufs Spiel setzte“ 999 .<br />
Sie nahm an allen Feldzügen teil, stand Wache, übernahm oft die Aufgabe eines Hauptmannes<br />
oder des Adjutanten ihres Gatten. Allein ihre Gegenwart habe oft dazu beigetragen, so Blos, „den<br />
gesunkenen Mut zu heben <strong>und</strong> alle Anstrengungen vergessen zu lassen“ 1000 . Denn es sei ihre<br />
Gegenwart <strong>und</strong> ihr besonders mutiges <strong>und</strong> ausdauerndes Beispiel gewesen, die dazu führten, dass<br />
sich keiner der männlichen Kämpfer „von dieser Frau beschämen lassen“ 1001 wollte.<br />
Ganz der Sache ihres Gatten angehörend „dachte [Garibaldi] nie an sich selbst“ 1002 , blieb aber<br />
„immer <strong>und</strong> vor allem […] das liebende Weib, die treue Mutter“ 1003 . Die Mutter von mittlerweile<br />
drei Kindern – Menotti <strong>und</strong> die noch in Südamerika geborenen Riciotti <strong>und</strong> Teresita – hatte diese<br />
bei ihrer Schwiegermutter zurückgelassen, um ihren Gatten nach wie vor begleiten zu können. 1004<br />
Diese „mutige <strong>und</strong> liebende Frau“ 1005 , die „lieber an der Seite ihres Gemahls [habe] sterben<br />
[wollen], als ohne ihn zu leben“ 1006 , stellte damit sowohl ihre Mutterpflichten als auch ihr<br />
Mutterglück hintan. Es war schließlich eine neuerliche Mutterschaft, die sie das Leben kosten<br />
sollte.<br />
Bereits durch Strapazen <strong>und</strong> Entbehrungen geschwächt, habe ihr, so Stockinger-Altenhof, „eine zu<br />
frühe Niederkunft […] die letzte Kraft“ 1007 geraubt. Aus Rom geflohen starb sie in der Nähe<br />
Ravennas an den Folgen einer Fehlgeburt. Und auch als ihr Gatte die sterbende Garibaldi im Arm<br />
gehalten habe, sei keine Klage über ihre Lippen gekommen. Laut Stockinger-Altenhof habe sich<br />
„keine Verzweiflung […] sich ihres starken Geistes [bemächtigt], sie [sei] nur von einem<br />
Gedanken erfüllt [gewesen]: Garibaldi gerettet <strong>und</strong> der Sache der Freiheit erhalten zu sehen“ 1008 .<br />
999 Ebd.<br />
1000 Blos, Anna: Anita Garibaldi. (Schluß.). In: GL, 17/ 14/ 08.07.1907/ 117.<br />
1001 Ebd.<br />
1002 Ebd.<br />
1003 Ebd.<br />
1004 Vgl. ebd.<br />
1005 Ebd.<br />
1006 Ebd.<br />
1007 Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In: GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 184.<br />
1008 Ebd.<br />
457
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Ihr Gatte musste jedoch im Moment ihres Todes fliehen <strong>und</strong> der Pächter der Meierei, in der ihre<br />
Leiche lag, wollte diese so schnell wie möglich verbergen – einerseits um sich selbst nicht zu<br />
belasten, andererseits um sie vor Schändungen durch die feindlichen Soldaten zu bewahren.<br />
Deshalb habe er sie so überhastet vergraben, dass lange Zeit ihr Grab nicht wiedergef<strong>und</strong>en<br />
werden konnte. Erst nachdem zufällig ein wühlendes Schwein auf ihren Leichnam stieß, habe<br />
Giuseppe Garibaldi in Nizza seiner Gattin ein würdiges Grab geben können. 1009<br />
Anita Garibaldi war ihrem Ehemann, so Stockinger-Altenhof,<br />
„nicht blos die Geliebte, sondern auch die Vertraute, die Gesinnungs- <strong>und</strong> Kampfesgenossin,<br />
der treue Kamerad, der von allen Lasten <strong>und</strong> Mühsalen des Lebens<br />
<strong>und</strong> Streitens seine Hälfte forderte <strong>und</strong> mit Befriedigung trug“ 1010 .<br />
All dies <strong>und</strong> noch mehr erfährt man aus dessen Memoiren <strong>und</strong> aus dem Roman „Cantoni il<br />
volontario“ (1870), in welchem er seiner verstorbenen Frau in der Gestalt der Ida ein Denkmal<br />
setzte. Tatsächlich wurde für Anita Garibaldi –„zur Erinnerung an eine der edelsten Frauen, deren<br />
Leben <strong>und</strong> Sterben dem Dienste der Freiheit geweiht war“ 1011 – ein Denkmal in Rom errichtet. 1012<br />
Das Verhältnis der Gatten zueinander, Garibaldis heroischer Kampf <strong>und</strong> ihre Persönlichkeit – alles<br />
erscheint, so Stockinger-Altenhof, wie „ein liebliches Idyll inmitten eines Heldengedichtes“ 1013 ,<br />
wie „von reichem romantischem Zauber umwoben, ähnlich einer Heldin, wie sie die Phantasie be-<br />
gabter Dichter schafft“ 1014 <strong>und</strong> dürfte die „Gleichheit“-Leserinnen in ihrem emotionalen Bedürfnis<br />
nach Romantik sehr befriedigt haben. Die Redaktion der „Gleichheit“ präsentierte in Garibaldi ein<br />
besonderes Beispiel einer idealen Lebens-, Arbeits- <strong>und</strong> Kampfgefährtin. Anita Garibaldi hatte ein<br />
tiefes Verständnis für die Bestrebungen ihres Ehemannes. Sie hatte nie versucht, ihn von seinem<br />
Vorhaben abzubringen, sei stets „unbekümmert um ihr eigenes Wohl <strong>und</strong> Glück“ 1015 gewesen. Sie<br />
ergänzten sich in ihrer Begeisterung „für die höchsten Ideale der Menschheit“ 1016 . Mit Garibaldi<br />
1009 Blos, Anna: Anita Garibaldi. (Schluß.). In: GL, 17/ 14/ 08.07.1907/ 117. Die Freiheitskämpfer wurden 1867<br />
vernichtend geschlagen, Giuseppe Garibaldi zog sich auf die Felseninsel Caprera zurück. <strong>Von</strong> dort durfte er nur<br />
wenige Jahre später miterleben, wie die französischen Truppen abgezogen wurden <strong>und</strong> das Königreich Italien sich<br />
Rom als neue Hauptstadt eingliederte – sein Traum war zumindest teilweise in Erfüllung gegangen. Zwar heiratete<br />
Giuseppe Garibaldi in späteren Jahren eine Dame der italienischen Aristokratie, doch wurde laut Blos die Ehe<br />
schon einen Tag nach der Trauung wieder gelöst. Die Tote sei ihm unvergesslich geblieben <strong>und</strong> „[e]in Medaillon<br />
mit ihren Haaren […] [habe] immer über seinem Bette“ (ebd.) gehangen.<br />
1010 Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In: GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 183.<br />
1011 Blos, Anna: Anita Garibaldi. (Schluß.). In: GL, 17/ 14/ 08.07.1907/ 117.<br />
1012 Das Denkmal stellt Anita Garibaldi auf einem sich aufbäumendem Pferd dar – in einem Arm hält sie ein Kind, in<br />
der Hand des anderen eine Pistole.<br />
1013 Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In: GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 183.<br />
1014 Ebd.<br />
1015 Ebd., S. 184.<br />
1016 Ebd.<br />
458
4.3.3 DIE GENOSSIN SEINES KAMPFES – DIE EHEFRAUEN DER 1848ER-REVOLUTIONÄRE<br />
wollte Blos eine Frau ehren, die nicht nur den „Sonnenschein der Liebe“ 1017 in das Leben eines<br />
Kämpfers gebracht hatte, sich „durch außerordentliche Schönheit wie durch Kühnheit <strong>und</strong> Edel-<br />
mut“ 1018 <strong>und</strong> „dem Gatten eine treue Gefährtin […] in seinem unruhevollen Leben“ 1019 war,<br />
sondern eine Frau, die zudem selbst „im Donner der Schlachten“ 1020 stand. So war für Blos, der<br />
unglückliche Tod Garibaldis trotzdem<br />
„ein echter Heldentod, <strong>und</strong> unter den Frauen, die sich für die Freiheit geopfert,<br />
steht ihr Name mit an erster Stelle“ 1021 .<br />
Ihre Treue <strong>und</strong> ihr Mut hatte noch zu ihren Lebzeiten Nachahmerinnen gef<strong>und</strong>en, so dass auch<br />
andere Frauen bekannt sind, „die tapfere Streiterinnen“ 1022 im italienischen Freiheitskampf waren.<br />
Im Gegensatz zu Blos verstand es Stockinger-Altenhof, einen aktuellen politischen Bezug für die<br />
Vorbildfunktion Garibaldis aufzuzeigen. Sie schlug am Schluss ihres Artikels den Bogen von der<br />
Geschichte zur Gegenwart <strong>und</strong> zur sozialistischen Geschichtstheorie, indem sie die von Armut<br />
<strong>und</strong> Lohnsklaverei geprägte aktuelle Situation in Italien anprangerte. Denn noch seien am Kampf<br />
für ein „wirklich freies Italien“ 1023 nur wenige Frauen beteiligt, die wie Garibaldi, so Stockinger-<br />
Altenhof, „zu jedem Opfer, zu jeder Heldenthat, aber auch zum Märtyrerthum bereit sind“ 1024 .<br />
Bald aber würden sie Tausende <strong>und</strong> Zehntausende zählen, denn, so die Überzeugung Stockinger-<br />
Altenhofs, „dafür sorgen die unendlichen <strong>und</strong> unsäglichen Leiden, welche die Klassenlage des<br />
Proletariats mit sich bringt“ 1025 . Der 15 Jahre später verfasste Artikel Blos‘ lässt, obwohl noch<br />
unter der Redaktion Zetkins veröffentlicht, diese politische Überzeugung gänzlich vermissen.<br />
Hatte Garibaldi jemals vorausgeahnt, dass sie eine Kämpferin für Freiheit <strong>und</strong> Demokratie sein<br />
würde? Wie hätte sie? Wahrscheinlich hatte sie wie Emma Herwegh (1817-1904) „nie mehr sein<br />
[wollen,] als [ein][…] hingebungsvolles, liebendes Weib“ 1026 . Aber auch Herwegh, für die 1904<br />
vermutlich Zetkin einen Nachruf für die „Gleichheit“ verfasste, war letztlich beides. Denn „aus<br />
dem Gleichklang zweier Seelen heraus, […] die eins waren im Wollen <strong>und</strong> Ringen“ 1027 sei das<br />
1017 Blos, Anna: Anita Garibaldi. In: GL, 17/ 13/ 24.06.1907/ 109.<br />
1018 Ebd.<br />
1019 Ebd.<br />
1020 Ebd.<br />
1021 Ebd.<br />
1022 Blos, Anna: Anita Garibaldi. (Schluß.). In: GL, 17/ 14/ 08.07.1907/ 117.<br />
1023 Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In: GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 184.<br />
1024 Ebd.<br />
1025 Ebd.<br />
1026 Eine Freiheitskämpferin. In: GL, 14/ 09/ 20.04.1904/ 71.<br />
1027 Ebd.<br />
459
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
liebende Weib auch zu einer Freiheitskämpferin geworden <strong>und</strong> hat als solche „einen Platz in der<br />
Geschichte“ 1028 .<br />
Als Tochter des jüdischen Bankiers Johann Gottfried Siegm<strong>und</strong> in Berlin entstammte Herwegh<br />
einer sehr reichen Familie, die zudem großen Wert auf Bildung <strong>und</strong> den Umgang mit „geist- <strong>und</strong><br />
charaktervollen“ 1029 Persönlichkeiten legte. Eben durch diesen Umgang <strong>und</strong> eine entsprechende<br />
Lektüre habe sich das „tiefe Geistes- <strong>und</strong> Gemütsleben“ 1030 Herweghs ausgebildet. So kannte sie,<br />
als sie in ihrem Elternhaus zum ersten Mal ihrem zukünftigen Ehemann Georg Herwegh<br />
begegnete, bereits dessen dichterische Werke. Sie verliebten sich <strong>und</strong>, so Zetkin, „[a]us der rasch<br />
emporgeloderten Liebe erwuchs der innigste B<strong>und</strong> für das ganze Leben“ 1031 . Die Tatsache, dass sie<br />
es war, die bereits nach acht Tagen Bekanntschaft dem „blutarme[n] […] <strong>und</strong> schüchtern[en]“ 1032<br />
Dichter ihre Hand anbot, sei, so Zetkin weiter, Beleg für die besonders selbstbewusste Art <strong>und</strong><br />
Vorurteilslosigkeit Emma Herweghs. Folgende Worte habe sie zu ihm gesagt:<br />
„’Ich kann dir Freiheit <strong>und</strong> Unabhängigkeit bieten, noch mehr, ich liebe dich, ich<br />
kann dir Trost in Leiden <strong>und</strong> Teilnahme in Freuden bieten. Willst du, so sei der<br />
B<strong>und</strong> auf ewig geschlossen <strong>und</strong> hony soit qui mal y pense‘ (Schande dem, der<br />
Schlimmes dabei denkt).“ 1033<br />
Die Bedenken Herweghs zu der Art <strong>und</strong> Weise, wie die Verlobung öffentlich aufgenommen<br />
würde, waren tatsächlich nicht unbegründet. Während einige Zeitgenossen spotteten, befürchteten<br />
viele Fre<strong>und</strong>e des Dichters vor allem, dass „die ’eiserne Lerche‘ […] in dem goldenen Käfig einer<br />
reichen Ehe bald verstummen“ 1034 könnte. Georg Herwegh konnte seine Fre<strong>und</strong>e jedoch<br />
beruhigen, denn „‘das Mädchen [sei] noch rabiater als […][er selbst] <strong>und</strong> ein Republikaner von<br />
der ersten Sorte‘“ 1035 .<br />
1842 wurde Georg Herwegh aus Deutschland ausgewiesen. Er ging in die Schweiz, wohin ihm<br />
seine Verlobte folgte <strong>und</strong> wo schließlich 1843 ihre Hochzeit stattfand. Emma Herwegh brachte in<br />
die Ehe ein bedeutendes Vermögen mit, das jedoch dem Ehemann, der für wirtschaftliche Dinge<br />
kein Talent besaß, schnell in den Fingern zerrann. Herwegh hatte den Komfort ihres Elternhauses<br />
hinter sich gelassen <strong>und</strong> reiste mit ihrem Gatten durch die Schweiz, Italien <strong>und</strong> Frankreich. Sie<br />
war jedoch nicht nur die Reisegefährtin ihres Ehemannes:<br />
1028 Ebd.<br />
1029 Ebd.<br />
1030 Ebd.<br />
1031 Ebd.<br />
1032 Ebd.<br />
1033 Ebd.<br />
1034 Ebd.<br />
1035 Georg Herwegh in einem Brief an Robert Prutz. Zit. nach: Ebd.<br />
460
4.3.3 DIE GENOSSIN SEINES KAMPFES – DIE EHEFRAUEN DER 1848ER-REVOLUTIONÄRE<br />
„Mit tiefem Verständnis lebte sie das geistige <strong>und</strong> politische Leben ihres Georg<br />
mit. Was er empfand, dachte, erstrebte, fand in ihrem Herzen <strong>und</strong> Hirn ein starkes<br />
Echo, ihre Energie <strong>und</strong> ihr praktischer Sinn halfen ihm seine Pläne durchführen.“<br />
1036<br />
In dieser von Zetkin als ideal charakterisierten Ehe unterstützte Herwegh ihren Ehemann nicht nur<br />
im herkömmlichen Sinne, indem sie ihm z. B. ein gemütliches Heim bereitete. Sie hatte zudem<br />
maßgeblichen Anteil an seinem dichterischen Schaffen, u. a. an der Herausgabe des zweiten<br />
Bandes „Gedichte eines Lebendigen“ (1844) <strong>und</strong> an der Fertigstellung einer Shakespeare-<br />
Übersetzung.<br />
1847 kehrte Herwegh kurzzeitig in ihre Heimatstadt Berlin zurück. In ihrem dortigen Fre<strong>und</strong>es-<br />
kreis, so Zetkin, „entsetzte sie manchen Angstmeier“ 1037 , weil sie offen zu ihrer revolutionären<br />
Überzeugung stand. Ab 1848 begleitete sie ihren Ehemann auf den Märschen der Revolutions-<br />
truppen. Im Gegensatz zu anderen bisher vorgestellten Revolutionärinnen blieb sie dabei sehr<br />
unauffällig. Mit kurz geschnittenem braunblondem Haar, in schwarzer Hose <strong>und</strong> schwarzer Samt-<br />
bluse, zwei kleine Pistolen <strong>und</strong> einen Dolch in ihrem Ledergürtel, habe man sie oft für einen<br />
„halbwüchsigen Burschen“ 1038 gehalten. Keine Kokarde oder Feder schmückte ihren breit-<br />
krämpigen schwarzen Hut. Sie, die die Männer „[m]ehr als einmal […] an Kampfestugenden“ 1039<br />
übertroffen habe, stand jedoch bald unter ihren GegnerInnen in dem Ruf einer „blutdürstige[n]<br />
Furie“ 1040 . Tatsächlich nahm sich Herwegh in dem Trubel <strong>und</strong> den Gefahren der Ereignisse die<br />
Zeit <strong>und</strong> die Gelegenheit, eine Broschüre mit dem Titel „Zur Geschichte der deutschen<br />
demokratischen Legion aus Paris. <strong>Von</strong> einer Hochverräterin“ (1849) zu schreiben. Später – in<br />
Paris, wohin das Ehepaar zog, nachdem die Revolution gescheitert war – verdiente sie ihren<br />
Lebensunterhalt mit Übersetzungen. Ihre Wohnung wurde der Mittelpunkt der deutschen Flücht-<br />
linge <strong>und</strong> sie, so Zetkin, ihre „liebenswürdige, geistreiche Wirtin“ 1041 .<br />
Als ihr Ehemann ein vorübergehendes Liebesverhältnis mit Natalie Alexandrowna Herzen (?-<br />
1852), der Ehefrau des Schriftstellers <strong>und</strong> Publizisten Alexander Herzen, einging, trennte sich<br />
Herwegh von ihrem Mann <strong>und</strong> entzog ihm auch die gemeinsamen Kinder. Sobald sich jedoch das<br />
Ende dieses Verhältnisses, dieser – wie Zetkin es formulierte – „Episode“ 1042 abzeichnete, habe<br />
1036 Ebd.<br />
1037 Ebd.<br />
1038 Ebd.<br />
1039 Ebd.<br />
1040 Ebd., S. 72.<br />
1041 Ebd.<br />
1042 Ebd.<br />
461
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Herwegh ihrem „vergötterten Dichter“ 1043 gegenüber wieder jene „nie versagende[…],<br />
geduldige[…] große[…] Liebe, die alles glaubt, hofft <strong>und</strong> – verzeiht“ 1044 , bewiesen. Sie sei<br />
während dieser Krise immer davon überzeugt gewesen, so Zetkin, „daß das hohe, reine Gefühl,<br />
das Herz zu Herz gefügt hatte, nie zu Asche verbrennen könne“ 1045 . Einerseits war es nach den<br />
Schilderungen Zetkins eine „Liebes- <strong>und</strong> Lebensgemeinschaft“ 1046 , beruhend „auf dem harmo-<br />
nischen Zusammenklang des Besten in zwei Menschen“ 1047 . Andererseits aber scheint es, dass es<br />
stets Herwegh war, die alles für den von ihr als Dichter <strong>und</strong> als Mensch verehrten Ehemann tat,<br />
die ihn „hegte[,] […] pflegte“ 1048 <strong>und</strong> sogar „verzog“ 1049 . Sie sei es gewesen, die „[f]ür seine<br />
Eigenheiten […] das feinste Verständnis, für seine Schwächen eine unerschöpfliche Geduld <strong>und</strong><br />
Nachsicht“ 1050 [Hervorhebungen von M.S.] hatte. Überdies habe sie sich sogar bemüht, so Zetkin,<br />
seine „Mängel anderen gegenüber zu verhehlen <strong>und</strong> als Tugenden erscheinen zu lassen“ 1051 <strong>und</strong><br />
„[w]er ihres Helden Persönlichkeit <strong>und</strong> Leistung kritisierte, den betrachtete sie als Feind“ 1052 .<br />
Georg Herwegh lernte Lasalle <strong>und</strong> die Bestrebungen der Arbeiterbewegung kennen. Lasalle<br />
übertrug dem Dichter, der laut Zetkin jedoch kein ausgesprochener Organisator <strong>und</strong> Agitator war,<br />
das Amt des Bevollmächtigten des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“ in Zürich. Herwegh<br />
arbeitete nun auch als Autor für den in der Schweiz gedruckten „Sozialdemokrat“ (1879-1890)<br />
<strong>und</strong> den „Volksstaat“. Nach dem Tod ihres Ehemannes 1875 genoss Emma Herwegh – stets „auf-<br />
opfernde Gattin“ 1053 <strong>und</strong> „zärtliche Mutter“ 1054 – an ihrem Lebensabend besonders „[d]as Glück<br />
erfüllter Mutterliebe <strong>und</strong> Mutterhoffnung“ 1055 . Sie zog zu ihrem Sohn Marcel, einem Musiker,<br />
nach Paris. Da auch hier sich ihr ganzes Tun immer noch um ihren Ehemann, um die Publikation<br />
seiner Gedichte <strong>und</strong> Briefwechsel drehte, kann von Emma Herwegh in den Worten Zetkins gesagt<br />
werden:<br />
1043 Ebd.<br />
1044 Ebd.<br />
1045 Ebd.<br />
1046 Ebd.<br />
1047 Ebd.<br />
1048 Ebd.<br />
1049 Ebd.<br />
1050 Ebd.<br />
1051 Ebd.<br />
1052 Ebd.<br />
1053 Ebd.<br />
1054 Ebd.<br />
1055 Ebd.<br />
1056 Ebd.<br />
462<br />
„Bis zur letzten Faser ganz die seine, hat sie gelebt, ist sie gestorben.“ 1056
4.3.3 DIE GENOSSIN SEINES KAMPFES – DIE EHEFRAUEN DER 1848ER-REVOLUTIONÄRE<br />
Ihrem Wunsch entsprechend, wurde Herwegh neben ihrem Ehemann begraben – „in republika-<br />
nischer Erde“ 1057 auf dem Friedhof des schweizerischen Liestal.<br />
Zwar stand sie im Gegensatz zu Garibaldi <strong>und</strong> Herwegh „dem eigentlichen Kampfe fern“ 1058 , doch<br />
widmete auch sie ihm ihr Leben, indem „sie ihre ganze Kraft dafür einsetzte, dem Manne ihrer<br />
Wahl volle Bewegungsfreiheit für den Kampf zu schaffen“ 1059 : Johanna Kinkel (1810-1858). Blos<br />
beschrieb sie in ihrem 1908 veröffentlichten Artikel als ein leuchtendes Beispiel dafür,<br />
„[w]as eine Frau ihrem Gatten, ihrer Familie sein kann als treue Gefährtin, als<br />
Stütze in den Zeiten der Not <strong>und</strong> Entbehrung, als Mitarbeiterin im Kampfe um das<br />
Dasein wie im Kampfe um die Freiheit“ 1060 .<br />
Als Tochter des Bonner Gymnasialprofessors Peter Mockel kam Kinkel in den Genuss einer guten<br />
geistigen Ausbildung. In jungem Alter heiratete sie den Kölner Buch- <strong>und</strong> Kunsthändler<br />
Matthieux. Diese Ehe wurde jedoch bald geschieden, da Matthieux die geistigen <strong>und</strong> musika-<br />
lischen Interessen seiner Ehefrau nicht geteilt habe. 1061 Bereits hier ist zu erkennen, dass Kinkel<br />
keine Frau war, die sich in ein vermeintliches Schicksal fügte. Selbstbewusst ging sie ihren Weg,<br />
wurde sogar Komponistin <strong>und</strong> schuf u. a. die „Vogelkantate“ (1830), womit sie zu den wenigen<br />
<strong>weiblichen</strong> Komponistinnen gehört.<br />
Ihr Äußeres war laut Blos nicht schön oder anmutig zu nennen, sondern eher stark, fast männlich,<br />
mit auffallend dunklem Teint <strong>und</strong> gedrungener Gestalt. Nur ihre dunkel blitzenden Augen <strong>und</strong> ihre<br />
tiefe volle Stimme müssen beeindruckt haben – so auch den fünf Jahre jüngeren Privatdozenten<br />
für Theologie, Gottfried Kinkel. Er war der Mann ihrer Wahl, dem sie später in oben be-<br />
schriebener Art den Rücken freihalten sollte. Gottfried Kinkel besaß im Gegensatz zu seiner<br />
Ehefrau ein sehr sanftmütiges Naturell <strong>und</strong> eine zierliche Statur, die „fast weiblich“ 1062 gewirkt<br />
habe. Er sei, so Blos, „ein auffallend schöner Mann“ 1063 gewesen – so schön, dass Kinkel wiede-<br />
rum Selbstzweifel hinsichtlich ihrer eigenen Anziehungskraft gehabt habe. 1064 Allerdings sollten<br />
nicht diese Äußerlichkeiten die Basis einer langwährenden glücklichen Beziehung werden, son-<br />
dern Kinkels tiefes Verständnis für die geistigen Interessen ihres Ehemannes.<br />
1057 Ebd.<br />
1058 Blos, Anna: Auch eine Heldin. In: GL, 18/ 10/ 11.05.1908/ 89.<br />
1059 Ebd.<br />
1060 Ebd.<br />
1061 Vgl. ebd.<br />
1062 Ebd.<br />
1063 Ebd.<br />
1064 Vgl. ebd.<br />
463
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Da es der Position ihres Mannes an der Bonner Universität schadete, dass Johanna Kinkel zwar<br />
katholisch aber geschieden war, zog das Ehepaare nach Poppelsdorf am Rhein. Vier Kinder<br />
wurden hier geboren <strong>und</strong> viele gemeinsame schriftstellerische <strong>und</strong> dichterische Werke verfasst,<br />
von denen einige auch von Kinkel vertont wurden. Dann kam das Jahr 1848 <strong>und</strong> der mit ihm<br />
synonym gewordene demokratische Aufbruch. Es sei Kinkel gewesen, die ihren Ehemann, so<br />
Blos, „zum Radikalismus seiner Anschauungen gebracht“ 1065 habe. Aus diesem Radikalismus<br />
heraus schloss sich der Akademiker mit „schwärmerischer Begeisterung“ 1066 der revolutionären<br />
Bewegung an. Der Agitator <strong>und</strong> Journalist wurde schließlich inhaftiert <strong>und</strong> Kinkel war<br />
gezwungen, als Komponistin <strong>und</strong> Musiklehrerin allein für sich <strong>und</strong> die Kinder zu sorgen. Sie habe<br />
alles getan, um ihre Kinder diese Belastung nicht spüren zu lassen – sie gab Musikunterricht,<br />
komponierte <strong>und</strong> bewältigte es, so Blos, „ihr eigenes Schicksal den Allgemeininteressen<br />
unterzuordnen“ 1067 . „Jeder Egoismus“, so Blos weiter, „war ihr fremd.“ 1068<br />
In dieser selbstlosen Weise bereitete Kinkel ihren Kindern <strong>und</strong> ihrem Ehemann, dem die Flucht<br />
gelungen war, auch im Londoner Exil ein neues Heim. Den „Gleichheit“-Leserinnen präsentierte<br />
Blos nun Kinkel als<br />
„das glänzendste Beispiel, wie eine Frau eine hingebende Gattin, eine treue Mutter,<br />
eine gewissenhafte Hausfrau sein <strong>und</strong> doch mithelfen kann beim Erwerb, ohne daß<br />
eine ihrer anderen Pflichten leidet“ 1069 .<br />
Tatsächlich aber war, so räumte Blos ein, die Arbeit als Lehrerin, mit der Kinkel zum Einkommen<br />
der Familie beitrug, „ihrem innersten Wesen zuwider“ 1070 – sie sah sich selbst „‘[m]it all [ihren]<br />
Talenten […] lebendig begraben, nur noch eine Pflichtmaschine’“ 1071 . Kinkel wurde schwer herz-<br />
leidend, hatte aber nicht die finanzielle Möglichkeit, sich entsprechend auszuruhen <strong>und</strong> zu<br />
kurieren – Kranksein war ein Luxus, den sie sich nicht leisten konnte. Hinzu kamen erneut große<br />
Selbstzweifel hinsichtlich ihres wenig attraktiven Äußeren <strong>und</strong> ihres nun große Erfolge feiernden,<br />
von schönen Frauen umschwärmten Ehemannes. Kinkels „rheinische Natur“ 1072 <strong>und</strong> die Möglich-<br />
keit, sich ihren Kummer wie z. B. in ihrem Roman „Hans Ibeles“ (1860) von der Seele zu<br />
schreiben, ließen sie stets neuen Mut finden. Großes Ansehen erwarb sie sich auch durch ihre<br />
Gastfre<strong>und</strong>schaft, die sie vielen anderen Emigranten wie z. B. Malvida von Meysenbug erwies.<br />
1065 Ebd.<br />
1066 Ebd.<br />
1067 Ebd.<br />
1068 Ebd.<br />
1069 Ebd.<br />
1070 Ebd.<br />
1071 Johanna Kinkel zit. nach: Ebd.<br />
1072 Ebd.<br />
464
4.3.3 DIE GENOSSIN SEINES KAMPFES – DIE EHEFRAUEN DER 1848ER-REVOLUTIONÄRE<br />
Meysenbug war es auch, die in einer Aussage vor Gericht das häusliche Leben <strong>und</strong> das bisherige<br />
in „treuer Liebe miteinander getragen[e]“ 1073 Schicksal des Ehepaares Kinkel beschreiben musste.<br />
Kinkel war 1858 bei einem Sturz aus dem Fenster ums Leben gekommen. Laut Blos, war dieses<br />
Unglück „in einem Anfall von heftiger Atemnot“ 1074 geschehen. Viele Zeitgenossen hielten<br />
Kinkels Ende jedoch „für kein unfreiwilliges“ 1075 . War es demnach Suizid? Auch Mord schien den<br />
Behörden aber nicht ausgeschlossen. Letztendlich glaubten die Richter den Darstellungen<br />
Meysenbugs <strong>und</strong> Gottfried Kinkels <strong>und</strong> beließen es bei der Annahme, dass es ein Unfall war.<br />
Unter großer Anteilnahme der in London lebenden Emigranten wurde Kinkel am 20. November<br />
1858 beerdigt. Der Dichter Ferdinand von Freiligrath verfasste zu diesem Anlass ein ehrendes<br />
Gedicht. 1076 Kinkels Ehemann sollte nach ihrem Tod, so Blos, „nicht viel Bedeutendes mehr“ 1077<br />
an dichterischen Werken erzeugen – sein schöpferischer Geist schien demnach durch den großen<br />
Verlust gebrochen, seine Inspiration dahin gewesen zu sein.<br />
In einem einzigen Satz versuchte Blos zu beschreiben, was die Persönlichkeit Kinkels ihrer<br />
Meinung nach zu einer Frauenleitfigur macht: Sie sei eine Frau gewesen, die eine<br />
„unerschrockene Kämpferin für Wahrheit <strong>und</strong> Recht <strong>und</strong> doch so ganz Weib<br />
geblieben war in den Pflichten des häuslichen Lebens“ 1078 .<br />
Alles zu bewältigen, nicht das eine für das andere zu vernachlässigen – das war das Frauenideal<br />
der proletarischen Frauenbewegung.<br />
Wie Kinkel war auch Amalie Struve (1824-1862) die Ehefrau eines 1848er-Revolutionärs <strong>und</strong> zu<br />
ihrer Zeit eine der bekanntesten Persönlichkeiten Deutschlands. Der von Wilhelm Blos, dem<br />
Ehemann Anna Blos‘, verfasste Artikel erschien ebenfalls 1908 in der „Gleichheit“, die mit diesen<br />
Artikeln möglicherweise den 60. Jahrestag der 1848er-Revolution begehen wollte. 1079<br />
Struve wurde in Mannheim als Amalie Düsar, Tochter einer nach Deutschland eingewanderten<br />
französischen Familie, geboren. Dort lebte auch ihr späterer Ehemann Gustav Struve, der ur-<br />
sprünglich aus Livland stammte, ehemals Gustav von Struve hieß <strong>und</strong> wesentlich älter als sie war.<br />
Aus dem ehemaligen Diplomaten <strong>und</strong> Rechtsanwalt war ein Anhänger der republikanischen Ideen<br />
geworden, die er auch in seiner Zeitung „Deutscher Zuschauer“ (1846-1848) oder im „Mann-<br />
1073 Ebd.<br />
1074 Ebd.<br />
1075 Ebd.<br />
1076 Dieses Gedicht ist – obwohl in der „Gleichheit“ nicht vollständig publiziert – im Anhang enthalten.<br />
1077 Ebd.<br />
1078 Ebd.<br />
1079 Der Anlass der Veröffentlichungen wird jedoch weder in den von dem Ehepaar Blos verfassten biographischen<br />
Artikeln noch in den Leitartikeln der jeweiligen Nummern deutlich.<br />
465
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
heimer Journal“ (1837-1888) vertrat. Durch dieses Engagement geriet er schon früh in den Fokus<br />
politischer Verfolgung. Wenn dann Amalie Struve wieder einmal ohne jeglichen Hausstand aus-<br />
kommen musste, weil dieser für die Bezahlung von Strafen <strong>und</strong> Gerichtskosten verpfändet war,<br />
seien es, so Blos, Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> solidarische Arbeiter gewesen, die unter Strafe der Ausweisung<br />
halfen, das Nötigste zurückzuersteigern. 1080<br />
Struve wurde von ihren Zeitgenossen, so Blos, als eine außerordentlich schöne Frau beschrieben.<br />
Viele Männer dürften sie sehr verehrt <strong>und</strong> begehrt haben. Aber auch wenn der Klatsch der Feinde<br />
ihres Mannes anderes behauptete, laut Wilhelm Blos gab sie diesen Begehrlichkeiten nie nach.<br />
Amalie <strong>und</strong> Gustav Struve hätten eine glückliche Ehe geführt <strong>und</strong> Amalie sich in jeder<br />
Überzeugung ihrem Ehemann angeschlossen. Sie habe sogar den strengen Vegetarismus ihres<br />
Ehemannes geteilt, welcher in den Augen Blos‘ eine derjenigen „Seltsamkeiten <strong>und</strong> Extra-<br />
vaganzen“ 1081 war, die oft „außerordentlichen Menschen“ 1082 anhaften würden. Die Tatsache, dass<br />
Struve auch diese Seltsamkeit mit ihrem Ehemann geteilt habe, spreche für die „Tiefe ihrer Zu-<br />
neigung“ 1083 , welche auch dann nicht anzuzweifeln sei, wenn Struve, wie manchmal behauptet<br />
wurde, „heimlich oftmals Kalbs- oder Hammelbraten genossen“ 1084 habe.<br />
Im Laufe der 1848er-Bewegung musste das Ehepaar in die Schweiz fliehen. Ein misslungener<br />
Putschversuch in Baden <strong>und</strong> Denunziation brachten Gustav Struve schließlich ins Gefängnis,<br />
während auch seine Ehefrau unter brutaler Misshandlung in einem Gefängnisturm in Freiburg<br />
inhaftiert wurde. 1085 Im April 1849 aus der Gefangenschaft entlassen, besuchte Struve ihren in<br />
Bruchsal inhaftierten Ehemann. Sie war gerade bei ihm, als es Aufständischen gelang, ihn zu be-<br />
freien. Aus diesem Zufall, so Blos, sei von reaktionärer Seite das Gerücht konstruiert worden,<br />
Struve habe mit Koketterie die badischen Soldaten zum Aufstand bewegen wollen. 1086 Was dieses<br />
Gerücht vor allem verdeutlicht, ist der Umstand, dass den <strong>weiblichen</strong> Revolutionärinnen meist nur<br />
die Verwendung der vermeintlichen Waffen einer Frau zugetraut wurde.<br />
Das Ehepaar floh erneut in die Schweiz, aus der es jedoch ausgewiesen wurde. Weitere Stationen<br />
der Flucht waren Frankreich, England <strong>und</strong> schließlich 1851 die USA. Trotz dieser Strapazen<br />
1080 Blos, Wilhelm: Eine deutsche Republikanerin. In: GL, 18/ 02/ 20.01.1908/ 13 <strong>und</strong> Fußnote *.<br />
1081 Ebd.<br />
1082 Ebd.<br />
1083 Ebd.<br />
1084 Ebd.<br />
1085 „An den Eisenstäben sinkt die Liebe blutend nieder“ lautet die Unterschrift einer Skizze ihrer Zelle, die von<br />
Amalie Struve selbst angefertigt <strong>und</strong> dem Artikel beigefügt wurde (vgl. ebd., S. 14 <strong>und</strong> siehe: Bildmaterial).<br />
1086 Ebd.<br />
466
4.3.3 DIE GENOSSIN SEINES KAMPFES – DIE EHEFRAUEN DER 1848ER-REVOLUTIONÄRE<br />
verlor Struve, „das tapfere Weib“ 1087 , nie, so Blos, „die Heiterkeit ihres Geistes <strong>und</strong> ihre Seelen-<br />
stärke“ 1088 . Auch in der Fremde – genauer gesagt auf Staten Island – habe sie es geschafft, ihr<br />
Heim recht bequem <strong>und</strong> beschaulich einzurichten. Das Ehepaar bestritt sein Einkommen gemein-<br />
sam, <strong>und</strong> zwar durch Arbeiten für Zeitschriften <strong>und</strong> die Herausgabe von Gustav Struves<br />
Hauptwerk „Weltgeschichte“ 1089 . Bereits 1850 erschien Amalie Struves eigenständiges schriftstel-<br />
lerisches Werk, das aus den zwei Bänden „Erinnerungen aus den badischen Freiheitskämpfen“<br />
<strong>und</strong> „Historische Zeitbilder“ besteht.<br />
Erst 1859 wurde Struve Mutter. Sie gebar eine Tochter, die jedoch früh verstarb. 1860 schenkte sie<br />
erneut einer Tochter das Leben. Eine weitere Geburt sollte Struve 1862 selbst das Leben kosten –<br />
sie starb im Wochenbett.<br />
Struve, so resümierte Blos, war ihrem Ehemann „Geliebte! Gattin <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>in!“ 1090 . Sie sei eine<br />
Frau gewesen, die<br />
„ihrem Mann alles war, was eine Frau überhaupt einem Manne sein kann <strong>und</strong> was<br />
eine Frau einem Manne sein muß, wenn die Ehe eine ideale Vereinigung von Leib<br />
<strong>und</strong> Seele, ein In- <strong>und</strong> Miteinander-, statt ein Nebeneinanderleben sein soll“ 1091 .<br />
Jenes Ideal wollte er am Beispiel Struves den „Gleichheit“-Leserinnen vermitteln. Wie innig das<br />
Ehepaar Struve einander liebte, lasse sich u. a. auch daran aufzeigen, dass Gustav Struve während<br />
seiner Zeit im Gefängnis nicht nur die Tage seiner Haft, sondern auch die Tage der Trennung von<br />
seiner Ehefrau gezählt habe.<br />
Auf den Spott, den manche, so Blos, „[a]lltägliche Menschen“ 1092 wie auch „‘demokratische’ Phi-<br />
lister“ 1093 über Struve ausgeschüttet hätten, ging Blos jedoch ebenso wenig ein wie auf seine<br />
eigene Bemerkung, dass ihre „Art […] auch ihre Schattenseiten“ gehabt habe. Wichtiger war es<br />
ihm, die „Wärme <strong>und</strong> Seelengröße“ 1094 dieser Frau hervorzuheben, deren „Gestalt […] der heu-<br />
tigen bürgerlichen Frauenwelt in Deutschland märchenhaft erscheinen“ 1095 müsse. Diesen Angriff<br />
auf die bürgerliche Frauenbewegung verstärkte Blos, indem er hinzufügte, die bürgerliche Frauen-<br />
bewegung „glaub[e] wohl selbst nicht daran, daß sie solche Feuerseelen jemals wieder<br />
1087 Ebd.<br />
1088 Ebd.<br />
1089 Der dritte, vierte <strong>und</strong> fünfte Band der „Weltgeschichte“ erschienen 1852, der sechste Band 1856 in New York.<br />
1090 Ebd., S. 13.<br />
1091 Ebd.<br />
1092 Ebd., S. 14.<br />
1093 Ebd.<br />
1094 Ebd.<br />
1095 Ebd.<br />
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ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
hervorbringt“ 1096 . Für die proletarische Frauenbewegung jedoch sei Struve – „[w]enn ihr auch der<br />
wissenschaftliche Sozialismus fremd geblieben ist“ 1097 – „eine interessante historische Erschei-<br />
nung“ 1098 . Sie sei<br />
„ein lebendiges Zeugnis dafür, daß es damals im deutschen Bürgertum Frauen gab,<br />
die im Kampfe für freiheitliche Ideen ihre ganze Persönlichkeit einsetzten, die Kerker,<br />
Verbannung <strong>und</strong> Elend nicht scheuten“ 1099 .<br />
Gefahren – so ein erneuter geschickter Seitenhieb Blos‘–, die „den bürgerlichen Frauenrecht-<br />
lerinnen von heute“ 1100 nicht drohen würden.<br />
Im Gegensatz zu den Artikeln seiner Ehefrau Anna findet sich im Artikel Wilhelm Blos‘ eine<br />
deutlich sozialistische Darstellungsweise. Es wurde den proletarischen „Gleichheit“-Leserinnen in<br />
Struve nicht nur eine herausragende Leitfigur präsentiert. Blos konfrontierte zudem die bürger-<br />
liche Frauenbewegung mit ihren revolutionären Vorgängerinnen. Eine solche ganz auf der<br />
Zetkin‘schen Linie liegende Stellungnahme fand sich nach dem Redaktionswechsel in der<br />
„Gleichheit“ kaum noch. Die Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Frauenbewegung erfolgte<br />
nicht mehr auf einer prinzipiellen, sondern auf einer praktischen Ebene. 1101<br />
1096 Ebd.<br />
1097 Ebd., S. 13.<br />
1098 Ebd.<br />
1099 Ebd.<br />
1100 Ebd.<br />
1101 Nach dem Redaktionswechsel scheint Wilhelm Blos im Gegensatz zu seiner Ehefrau nicht mehr für die „Gleich-<br />
468<br />
heit“ geschrieben zu haben.
4.3.4 Die Genossinnen führender Genossen<br />
4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN<br />
Die „Gleichheit“-Leserinnen wurden auch in die „Ehegeschichten“ der großen sozialistischen<br />
Führer <strong>und</strong> verehrten Legenden der frühen Arbeiterbewegung eingeweiht. So war es anlässlich<br />
des Todestages von Karl Marx selbstverständlich, dass in der „Gleichheit“ auch ein Artikel zum<br />
Leben seiner Ehefrau Jenny Marx (1814-1881) erschien. Anna Blos ging in diesem Artikel davon<br />
aus, dass es für ihre Leserinnen „von besonderem Interesse [sei], etwas über die Lebensgefährtin<br />
dieses genialen Mannes zu erfahren“ 1102 . Dies umso mehr, da Karl Marx doch „gewiß“ 1103 „[h]ohe<br />
Ansprüche […] an die Frau seiner Wahl gestellt“ 1104 haben dürfte. Die Ehe von Karl <strong>und</strong> Jenny<br />
Marx war nach Meinung Blos‘ ein herausragendes Beispiel dafür, dass zwei Menschen „von noch<br />
so verschiedener Rasse, Herkunft, Familie“ 1105 dann glücklich miteinander werden könnten,<br />
„wenn nur das gleiche Streben nach Idealen, nach Freiheit sie erfüllt“ 1106 .<br />
Die als Jenny von Westphalen geborene Marx stammte aus einer begüterten <strong>und</strong> vornehmen<br />
Familie. Ihr zukünftiger Ehemann stand zu dieser Familie bereits früh in einem solch fre<strong>und</strong>-<br />
schaftlichem Verhältnis, dass er dem Vater Ludwig von Westphalen sogar seine Dissertation<br />
widmete. Aus der in Kindertagen entstandenen Bekanntschaft wurde schließlich Liebe. 1836 ver-<br />
lobte sich die vier Jahre ältere Jenny von Westphalen mit dem Jurastudenten Karl Marx <strong>und</strong> 1843<br />
heirateten sie.<br />
In einem Brief an seinen Schwiegersohn, so Blos, schrieb Westphalen über seine Tochter, dass sie<br />
etwas „‘Genialisches’“ 1107 an sich habe <strong>und</strong> dass sie ihm eine treue Ehefrau sein werde. Nicht<br />
einmal ein Fürst, so laut Blos der stolze Vater, wäre imstande sie ihrem Ehemann „‘abwendig zu<br />
machen’“ 1108 , da sie ihm „‘mit Leib <strong>und</strong> Seele’“ 1109 anhänge. Er solle jedoch nicht vergessen, dass<br />
sie ihm „‘in ihrem Alter […] ein Opfer [bringe], wie gewöhnliche Mädchen es gewiß nicht fähig<br />
wären’“ 1110 . Wahrscheinlich dachte der Vater an viele guten Partien, die seine Tochter mit ihrer<br />
Entscheidung nun endgültig <strong>und</strong> unwiederbringlich ausgeschlagen hatte.<br />
In Jenny Marx sah der Politiker <strong>und</strong> Arbeiterführer Stephan Born Herz <strong>und</strong> Geist harmonisch<br />
1102 Blos, Anna: Jenny Marx. In: GL, 28/ 15/ 26.04.1918/ 114. Diesen Artikel zum Leben Jenny Marx‘ platzierte die<br />
„Gleichheit“-Redaktion unterhalb eines viel auffälliger gestalteten Gedichtes zu Ehren ihres Ehemannes Karl.<br />
1103 Ebd.<br />
1104 Ebd.<br />
1105 Ebd.<br />
1106 Ebd.<br />
1107 Ludwig von Westphalen zit. nach: Ebd., S. 115.<br />
1108 Ludwig von Westphalen zit. nach: Ebd.<br />
1109 Ludwig von Westphalen zit. nach: Ebd.<br />
1110 Ludwig von Westphalen zit. nach: Ebd.<br />
469
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
gestaltet <strong>und</strong> laut Blos verehrte auch Wilhelm Liebknecht in ihr das „Ideal eines Weibes“ 1111 . Born<br />
habe an ihr bew<strong>und</strong>ert, dass sie<br />
„‘ganz in den Ideen ihres Mannes [lebte,] […] dabei ganz in der Sorge für die<br />
Ihrigen auf[ging] <strong>und</strong> […] doch so himmelweit von der strumpfstrickenden, den<br />
Kochlöffel rührenden deutschen Hausfrau entfernt’“ 1112<br />
gewesen sei. Demnach zeigte Marx zwar die Tugenden einer guten Ehefrau <strong>und</strong> Mutter, verfiel<br />
aber nicht in das Rollenklischee eines Hausmütterchens oder – wie Zetkin sagen würde – einer<br />
„Nur-Hausfrau“. Diese Beschreibung lässt andererseits aber auch schlicht vermuten, dass Marx in<br />
ihrem Haushalt über entsprechendes Personal verfügt haben dürfte.<br />
Hart traf Marx der Verlust ihrer Kinder: <strong>Von</strong> insgesamt sieben Kindern sollten nur drei überleben.<br />
Marx selber erkrankte an Krebs <strong>und</strong> litt noch monatelang große Qualen. Doch ihr Interesse an den<br />
politischen Ereignissen in Deutschland <strong>und</strong> ihr rheinischer Humor, mit dem sie ihren Zustand zu<br />
überspielen versuchte, seien, so Blos, ungebrochen geblieben. Ihre Tochter Eleanor beschrieb, wie<br />
Marx trotz ihrer Schmerzen „‘scherzte, […] lachte, sie lachte uns alle <strong>und</strong> den Arzt aus, weil wir<br />
so ernsthaft waren’“ 1113 .<br />
Jenny Marx sei ihrem Mann, so resümierte Blos, „Geliebte, Gattin, Fre<strong>und</strong>in <strong>und</strong> Mitarbeiterin in<br />
des Wortes schönster Bedeutung“ 1114 gewesen. Jedoch beinhaltete des „Wortes schönste Bedeu-<br />
tung“ scheinbar keinerlei geistige oder literarische Koproduktion wie es sie bei anderen<br />
Ehepaaren gab. Marx ist eine Vertreterin jener Ehefrauen, die ihren Ehemännern alle Alltags-<br />
sorgen abnahmen, sie unterstützten <strong>und</strong> als „die Sonne [in ihrem][…] Leben“ 1115 inspirierten.<br />
Jenny Marx starb einige Jahre vor ihrem Ehemann. Ganz anders das Schicksal des Ehepaares<br />
Moses <strong>und</strong> Sybille Heß (1820-1903), welche ihren Mann um 28 Jahre überlebte <strong>und</strong> ihre Aufgabe<br />
schließlich darin sah, seinen Nachlass zu bewahren. Es ist vermutlich Zetkin, die zu Beginn ihrer<br />
Artikelreihe 1116 schrieb, dass Heß zwar eine „treffliche Frau“ 1117 , aber „zu keiner Zeit ihres Lebens<br />
eine selbständig Mitschaffende an den Ereignissen gewesen“ 1118 sei. Dennoch sah Zetkin ihr einen<br />
wichtigen Platz in der Geschichte zugedacht:<br />
1111 Ebd. Liebknecht soll laut Blos die Charaktereigenschaften Marx‘ mit denen der literarischen Figuren Iphigenie<br />
<strong>und</strong> Eleonore verglichen haben (vgl. ebd.).<br />
1112 Ebd.<br />
1113 Eleanor Marx-Aveling zit. nach: Ebd., S. 116.<br />
1114 Ebd.<br />
1115 Ebd.<br />
1116 Sybille Heß. In: GL, 14/ 01/ 01.01.1904/ 5-6; GL, 14/ 02/ 13.01.1904/ 10-11; GL, 14/ 03/ 27.01.1904/ 19-21.<br />
1117 Sybille Heß. In: GL, 14/ 01/ 01.01.1904/ 5.<br />
1118 Ebd.<br />
470
4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN<br />
„sie hat bedeutsame Abschnitte in der Geschichte der sozialistischen Bewegung<br />
bewußt miterlebt in inniger Ideengemeinschaft mit denen, die ihre vornehmsten<br />
Träger waren. Sie blieb eine treue Pflegerin der Ideale, die sie von ihnen<br />
empfangen hat. Der Hauch großen Geschehens, das sie erlebt, der gewaltigen<br />
revolutionären schöpferischen Gärung der Verhältnisse <strong>und</strong> Geister, an der sie<br />
teilgehabt, ist in ihr bis in den Alltag ihres Greisenalters hinein lebendig<br />
gewesen.“ 1119 [Hervorhebung von M.S.]<br />
Heß war eine besondere <strong>und</strong> politisch bewusste Zeitzeugin der Anfänge der sozialistischen<br />
Arbeiterbewegung. Außerdem war sie auch eine bewusste Kritikerin mancher Entwicklungen<br />
innerhalb der sozialistischen Theorie. Ihre Kritik basierte vor allem auf den von ihrem Ehemann<br />
vertretenen theoretischen Auffassungen, die sie in der Bewegung zu wenig gewürdigt glaubte.<br />
Heß lernte ihren zukünftigen Ehemann – den aus einer reichen jüdischen Familie stammenden<br />
Philosophen Moses Heß – kennen, als sie als Putzmacherin arbeitete. Sie soll „von bestrickendem<br />
Liebreiz der Erscheinung, die verkörperte Jugendfrische, eine muntere Plauderin mit schlag-<br />
fertigem Mutterwitz“ 1120 gewesen sein. W<strong>und</strong>er Punkt für die Familie ihres Mannes sei laut Zetkin<br />
nicht ihre Armut als Putzmacherin, sondern der streng katholische Glauben gewesen, in dem sie<br />
erzogen worden war. Moses Heß selbst hatte sich als bekennender Sozialist vom Judentum <strong>und</strong><br />
von jeder anderen Religion distanziert, doch seine Ehefrau hielt anfangs an ihrem Kirchenglauben<br />
fest. Und so war ihre Ehe nicht ganz „dornenlos“ 1121 , denn es fehlte „bei aller Liebe nicht an<br />
Kämpfen <strong>und</strong> Schmerzen“ 1122 hinsichtlich dieser Frage. Später habe Heß es ihrem Ehemann, so<br />
Zetkin,<br />
„als ein besonders großes Verdienst um ihre Entwicklung gedankt, daß er sie aus<br />
der dunklen, engen Kammer konfessionellen Dogmenglaubens in die lichte, weite<br />
Welt geistiger Freiheit geführt hat, daß er in ihrem Herzen ‘den Kirchengott vom<br />
Throne stieß <strong>und</strong> die Menschen darauf setzte’“ 1123 .<br />
All die Bemühungen ihres Ehemannes wären jedoch umsonst gewesen, hätte Heß nicht auch über<br />
einen „helle[n] Verstand, ein empfindsames, reiches Gemüt <strong>und</strong> ein feuriges Temperament“ 1124<br />
verfügt. Nur auf diese Weise, so Zetkin, habe sie „rasch zur leidenschaftlichen Bekennerin des<br />
Sozialismus“ 1125 werden können. Da „ihr Sein <strong>und</strong> Leben […] das Sein <strong>und</strong> Leben ihres Gat-<br />
1119 Ebd.<br />
1120 Ebd.<br />
1121 Ebd.<br />
1122 Ebd.<br />
1123 Ebd., S. 5-6.<br />
1124 Ebd., S. 5.<br />
1125 Ebd.<br />
471
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
ten“ 1126 war <strong>und</strong> sich dessen Inhalt an der „treueste[n] Hingabe an die sozialistische Idee“ 1127<br />
festmachte, stand für Zetkin der Lebensgang Heß‘ beispielhaft für die Geschichte des Sozialis-<br />
mus, „seiner Entwicklung von der Utopie zur Wissenschaft, von der Sekte zur Partei“ 1128 .<br />
Im Weiteren nutzte Zetkin die Gelegenheit, nicht nur den Werdegang Moses Heß‘ zu beschreiben,<br />
sondern auch Kritik an dessen Sozialismusauffassung zu üben. Zwar habe Moses Heß gemeinsam<br />
mit Marx <strong>und</strong> Engels auf dem Boden des „‘revolutionären Kommunismus’“ 1129 gestanden – eine<br />
Bezeichnung, die die Abgrenzung zum verbürgerlichten Sozialismus feststellen sollte –, doch sei<br />
er niemals wie diese beiden zu einer „klaren <strong>und</strong> einheitlichen Geschichtsauffassung“ 1130 gelangt.<br />
Die Philosophie habe „ihn nicht zur richtigen Wertung des wirtschaftlichen Faktors für die ge-<br />
schichtliche Entwicklung kommen“ 1131 lassen. Trotz seiner von Zetkin wertgeschätzten ehrlichen<br />
Bemühungen, sich die Auffassung von Marx <strong>und</strong> Engels zu eigen zu machen, habe er es nicht<br />
„vermocht[…][,] die Eierschalen des philosophisch-schöngeistigen Sozialismus […] vollständig<br />
abzustoßen“ 1132 . Die von Marx <strong>und</strong> Engels in den Augen Zetkins zu Recht geübte Kritik an seiner<br />
Auffassung, habe den Philosophen, der sich selbst als eine „‘versöhnende Natur’“ 1133 charakteri-<br />
sierte, sehr schwer getroffen.<br />
Moses Heß bewies großes politisches Engagement, verzichtete auf soziale Vorteile <strong>und</strong> materielle<br />
Sicherheit, um in der demokratischen Bewegung des Vormärz‘ als Herausgeber <strong>und</strong> Mitbegründer<br />
verschiedener kritischer Zeitungen zu wirken. Dieses Engagement zwang ihn ins Exil nach Paris<br />
<strong>und</strong> Brüssel. Bis er 1863 nach Paris übersiedelte, versah er das Amt des ersten Bevollmächtigen<br />
des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“. Er war Verfasser verschiedener Arbeiten für den<br />
„Sozialdemokrat“ wie auch für den „Volksstaat“ <strong>und</strong> wurde Mitglied der Internationale.<br />
All diese nach Zetkins eigener Aussage „gedrängt <strong>und</strong> dürftig“ 1134 vorgestellten Ausführungen<br />
ließen ihrer Meinung nach trotzdem<br />
„durchblicken, wie kampf- <strong>und</strong> entsagungsschwer <strong>und</strong> doch wie reich <strong>und</strong> beglückend<br />
das Leben gewesen [sein müsse], das Sybille Heß mitlebte“ 1135 .<br />
1126 Sybille Heß. (Fortsetzung statt Schluss.). In: GL, 14/ 02/ 13.01.1904/ 10.<br />
1127 Ebd.<br />
1128 Ebd.<br />
1129 Ebd.<br />
1130 Ebd.<br />
1131 Ebd.<br />
1132 Ebd., S. 10-11.<br />
1133 Moses Heß zit. nach Ebd., S. 11.<br />
1134 Ebd.<br />
1135 Ebd.<br />
472
4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN<br />
Es war eine stets „unsichere[…], stets bedrohte[…] Existenz“ 1136 , die sie mit ihm teilte <strong>und</strong> die<br />
jeder führe, so Zetkin, „der den Kampf für ein hohes Ideal der behaglichen Ecke hinter dem Ofen<br />
vorzieht“ 1137 . So „schwere moralische <strong>und</strong> materielle Opfer“ 1138 das Eintreten für den Sozialismus<br />
auch gefordert habe, so<br />
„[g]elassen, ja freudig, trug Frau Heß ihr Teil davon als etwas Selbstverständliches,<br />
ohne zu seufzen <strong>und</strong> zu murren, ohne sich eitel zu brüsten <strong>und</strong> Lob zu<br />
heischen“ 1139 .<br />
Jene Gelassenheit, mit der Heß diese Opfer auf sich nahm, erklärt sich vielleicht auch daraus, dass<br />
sie sie zugleich, „zu geistiger Freiheit, zur sittlichen Größe selbstlosester Hingabe an eine große<br />
Idee, höchster Güte <strong>und</strong> Aufopferung heran[wachsen]“ 1140 ließen.<br />
Sie habe vornehmlich als „arbeitsame, kluge <strong>und</strong> praktische Hauswirtin“ 1141 ihren Teil zur Sache<br />
beigetragen <strong>und</strong> als solche ihrem Ehemann ein „behagliches Heim“ 1142 geschaffen, ohne – <strong>und</strong> das<br />
ist das entscheidende Moment – ihn die Entbehrungen <strong>und</strong> Mühen, die sie deswegen ertrug,<br />
merken zu lassen. Sie, die selber kinderlos geblieben war, „erschöpfte sich“, so Zetkin, „in nie<br />
versagender, wahrhaft mütterlicher Sorgfalt <strong>und</strong> Pflege für sein körperliches Wohl, in zarter<br />
Rücksichtnahme auf seine seelischen Stimmungen“ 1143 . Nie aber habe sie sich als die „entsagende<br />
Dulderin, die selbstverleugnende Märtyrerin“ 1144 aufgespielt – im Gegenteil:<br />
„Sie fühlte sich dabei als Empfangende, nicht als Gebende <strong>und</strong> fand höchstes<br />
Glück in dem Bewußtsein, mit ihrer Liebe verständnisvoll <strong>und</strong> fürsorgend dem<br />
geistig bedeutenden Manne zur Seite zu stehen <strong>und</strong> dadurch seine Kampfeskraft im<br />
Dienste der Überzeugung zu stärken, welcher sie beide mit ganzer Seele<br />
anhingen.“ 1145<br />
So unterstützte Heß ihren Ehemann <strong>und</strong> die Sache des Sozialismus laut Zetkin mit allem, was sie<br />
hatte <strong>und</strong> was sie war. Ihr Charakter, ihr Geschick, ja selbst ihr „kräftige[r], urwüchsige[r]<br />
Humor“ 1146 hätten geholfen, ihrem Ehemann so manche schwere St<strong>und</strong>e zu erleichtern. Ihren rhei-<br />
nischen Humor hatte Heß mit Jenny Marx gemeinsam, in der sie ein „leuchtendes Vorbild“ 1147<br />
1136 Ebd.<br />
1137 Ebd.<br />
1138 Ebd.<br />
1139 Ebd.<br />
1140 Ebd.<br />
1141 Sybille Heß. (Schluß.). In: GL, 14/ 03/ 27.01.1904/ 19.<br />
1142 Ebd.<br />
1143 Ebd.<br />
1144 Ebd.<br />
1145 Ebd.<br />
1146 Ebd.<br />
1147 Ebd., S. 20.<br />
473
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
gesehen habe. Hatte Heß Karl Marx gegenüber einige Vorbehalte – begründet in dessen Kritik an<br />
ihrem Mann – so war sie bezüglich dessen Ehefrau Jenny jedoch nur voll des Lobes <strong>und</strong> bewies<br />
sich in deren Haushalt sogar als „helfender ‘Hausgeist’ <strong>und</strong> ‘gute Tante’“ 1148 .<br />
Kamen dann in ihr eigenes Haus „die erlesensten Geister“ 1149 , um laut Zetkin<br />
„in fre<strong>und</strong>schaftlichem Meinungsaustausch alle Gebiete des Wissens, der Kultur<br />
[zu] durchwander[n], die bedeutsamsten Zeit- <strong>und</strong> Streitfragen [zu] erörter[n], den<br />
tiefgründigsten Problemen in Welt <strong>und</strong> Gesellschaft nach[zu]spür[en]“ 1150 ,<br />
so sei Heß stets die bescheiden „Hörende <strong>und</strong> Lernende“ 1151 gewesen. Sie habe „die Achtung <strong>und</strong><br />
Sympathie der bedeutenden Menschen“ 1152 nicht durch ihre Beteiligung an den Diskussionen<br />
gewonnen, sondern durch ihr „geschickte[s] hausmütterliche[s] Walten“ 1153 .<br />
Der Tod ihres Ehemannes 1875 traf Heß umso schwerer, so Zetkin, da die Ehe wie erwähnt<br />
kinderlos geblieben war. 1154 Ihre wichtigste Aufgabe wurde es nun, seine nachgelassenen Schriften<br />
zu veröffentlichen. Trotz ihrer großen eigenen finanziellen Opfer <strong>und</strong> ihres „stille[n], echt<br />
<strong>weiblichen</strong> Heroismus“ 1155 kam diese Veröffentlichung jedoch nicht zustande. Wie Heß mit dieser<br />
schweren Enttäuschung umging, wird von Zetkin nicht beschrieben.<br />
Heß sei in erster Linie Gefühlssozialistin gewesen. Verstandesmäßig habe sie den Sozialismus nur<br />
insoweit erfasst, als ihr Ehemann sie in seine eigene Auffassung eingeführt habe. Dessen Leis-<br />
tungen für die Entwicklung der sozialistischen Theorie habe Heß enorm überschätzt <strong>und</strong> deshalb<br />
ihrer Umwelt vorgeworfen, ihren Ehemann <strong>und</strong> seine Leistungen zu verkennen. Die Leistungen<br />
seiner, in den Augen Zetkins, „ihn so viel überragenden Fre<strong>und</strong>e Marx <strong>und</strong> Engels“ 1156 habe Heß<br />
nie zu schätzen gelernt. Nachdem sie die Angebote privater Sammler <strong>und</strong> Zionisten abgelehnt<br />
hatte, übernahm später das Parteiarchiv den Nachlass ihres Ehemannes.<br />
Heß‘ aktives politisches Engagement bestand vor allem darin, an politischen Demonstrationen<br />
teilzunehmen. So z. B. im Mai 1880 an einer Demonstration zum Gedenken an die Kommune-<br />
kämpferInnen. Diese Demonstrationsteilnahme vermutet Zetkin als Gr<strong>und</strong> dafür, dass Heß zwei<br />
Monate später aus Frankreich ausgewiesen <strong>und</strong> unter schlimmsten Transportbedingungen (ohne<br />
Nahrung <strong>und</strong> mit normalen StraftäterInnen in einen Transportwagen gepfercht) in die Schweiz<br />
1148 Ebd.<br />
1149 Ebd., S. 19.<br />
1150 Ebd.<br />
1151 Ebd.<br />
1152 Ebd.<br />
1153 Ebd.<br />
1154 Vgl. ebd., S. 20.<br />
1155 Ebd.<br />
1156 Ebd.<br />
474
abgeschoben wurde – bald darauf erhielt sie jedoch den Status der Duldung zurück.<br />
4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN<br />
Abgesichert mit einer Witwenrente von der Familie ihres Mannes wurde Heß förderndes Mitglied<br />
des Vereins der Sozialdemokraten, der ExilantInnen unterstützte. „Opferfreudig“, so Zetkin, habe<br />
Heß „materiell die Zwecke des Vereins […] soweit sie nur konnte [gefördert], ja über ihre<br />
bescheidenen Mittel hinaus.“ 1157 Alles, was die bald als „Mutter Heß“ bezeichnete Sozialistin an<br />
finanzieller Hilfe dargeboten habe, „das ward in reinster, brüderlicher Gesinnung dargebracht <strong>und</strong><br />
konnte von dem Zartfühlendsten ohne Demütigung empfangen werden“ 1158 . Auch wenn sie im<br />
Verein „[h]in <strong>und</strong> wieder“ 1159 das Wort ergriff, spielte sich ihr wahres Engagement nicht in der<br />
Öffentlichkeit ab, sondern im persönlichen Verkehr – hier erwies sie sich laut Zetkin als „eine<br />
feurige, das Gemüt ergreifende Evangelistin der sozialistischen Freudenbotschaft“ 1160 . Sie trieb die<br />
„Lauen <strong>und</strong> Lässigen“ 1161 zu mehr Eifer an, versuchte besonders die Frauen für den Sozialismus<br />
zu gewinnen, war eine warmherzige, „liebevolle, fürsorgliche Mutter“ 1162 für Ratsuchende.<br />
Zetkin hatte ihrem Artikel den Auszug aus einem Brief eines deutschen Exilanten vorangestellt.<br />
Dieser hatte ihn nach einer Begegnung mit der sich selbst scherzhaft als die „‘Mutter der<br />
deutschen Genossen in Paris’“ 1163 bezeichnenden Heß verfasst. Heß habe ihm von der Zeit erzählt<br />
als in Paris all die großen Sozialisten <strong>und</strong> Demokraten wie Marx, Engels, Heine <strong>und</strong> Herwegh Zu-<br />
flucht genommen hatten. „‘Ihr Kopf <strong>und</strong> Herz’“, so der Unbekannte, sei „‘eine Art liebevoll<br />
gepflegtes Museum für Erinnerungen aus den Kindertagen der modernen sozialistischen Bewe-<br />
gung.’“ 1164 In den vielen Jahren, die Sybille Heß ihrem Ehemann „‘aufopfernde, verständnisvolle<br />
Gefährtin gewesen’“ 1165 , hatte sie die Entwicklung der Arbeiterbewegung hautnah miterlebt. Und<br />
wenn sie auch „‘[d]er theoretischen Entwicklung der sozialistischen Auffassung […] nicht immer<br />
zu folgen vermocht[e]’“ 1166 , habe doch „‘ihr gutes, großes Herz […] mit jeder Faser dem sozialis-<br />
tischen Ideal’“ 1167 gehört.<br />
Altersbeschwerden machten es notwendig, dass Heß zu einer Stiefschwester nach Clichy, einem<br />
1157 Ebd., S. 21.<br />
1158 Ebd.<br />
1159 Ebd.<br />
1160 Ebd.<br />
1161 Ebd.<br />
1162 Ebd.<br />
1163 Unbekannt zit. nach: Sybille Heß. In: GL, 14/ 01/ 01.01.1904/ 5.<br />
1164 Unbekannt zit. nach: Ebd.<br />
1165 Unbekannt zit. nach: Ebd.<br />
1166 Unbekannt zit. nach: Ebd.<br />
1167 Unbekannt zit. nach: Ebd.<br />
475
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Pariser Vorort, zog, wo sie allerdings sehr isoliert lebte <strong>und</strong> schließlich einsam <strong>und</strong> als eine, so<br />
Zetkin, „Verschollene, fast eine Vergessene“ 1168 1903 starb.<br />
Zetkin pointierte nochmals die Bedeutung Heß‘ als Leitfigur für proletarische Frauen wie folgt:<br />
„Eine Einfache war sie, groß in ihrer schrankenlosen Hingabe an die erkannte<br />
Wahrheit, groß in ihrer Liebe <strong>und</strong> Güte für die Menschen. Beklagen wir nicht den<br />
stillen Ausklang ihrer Tage, danken wir ihr für das, was sie dem Befreiungskampfe<br />
des Proletariats gegeben, indem wir in ihrem Geiste für ihn wirken. Nicht jeder<br />
kann in diesem Kampfe die Waffe führend in erster Reihe stehen, aber jeder <strong>und</strong><br />
jede vermag wie Sybille Heß dem befreienden Sozialismus zu leben.“ 1169<br />
Heß‘ Liebe für die Menschen begann mit der Liebe zu ihrem Ehemann. Und so sollte sich auch<br />
jede Proletarierin angesprochen fühlen, aus der Liebe für die Ihren heraus für die sozialistische<br />
Sache zu kämpfen – wenn auch nur in zweiter Reihe.<br />
Wie die Ehefrauen anderer Parteiführer stand auch Julie Bebel (1843-1910) vor dem Zwiespalt<br />
zwischen einem öffentlichen <strong>und</strong> einem nur im stillen häuslichen Bereich stattfindenden Engage-<br />
ment. Auch ihr Wirken war nicht nur auf die herkömmlichen Familienpflichten einer Frau<br />
begrenzt. Dies verdeutlicht der vermutlich von Zetkin verfasste Nachruf auf die Ehefrau August<br />
Bebels. 1170<br />
44 Jahre lang war Bebel ihrem Ehemann, so Zetkin, „verständnisvollste, aufopferungsfähigste Ge-<br />
fährtin“ 1171 , mehr als „ein vorbildlich sorgendes Hausmütterchen“ 1172 , vielmehr „eine Genossin<br />
seines Lebens <strong>und</strong> Strebens“ 1173 . Seine Sache wurde die ihre <strong>und</strong> ihre Ehe somit eine ideale<br />
„Wege- <strong>und</strong> Werkgemeinschaft“ 1174 . Während er eine „persönliche[…] Aufwärtsentwicklung<br />
ohnegleichen“ 1175 vollzog, habe es Bebel vermocht, ihm „zur Seite“ 1176 , ihm ebenbürtig zu bleiben.<br />
Während ihre Liebe dem „reine[n], reiche[n] Wesen“ 1177 ihres Ehemannes galt, galt ihre Hingabe<br />
den „emportragenden Ideen des Sozialismus“ 1178 <strong>und</strong> dessen hohen Menschheitsidealen – aus<br />
beidem habe sie ihre Kraft geschöpft.<br />
1168 Sybille Heß. (Schluß.). In: GL, 14/ 03/ 27.01.1904/ 21.<br />
1169 Ebd.<br />
1170 Julie Bebel †. In: GL, 21/ 05/ 21.11.1910/ 67.<br />
1171 Ebd.<br />
1172 Ebd., S. 67.<br />
1173 Ebd.<br />
1174 Ebd., S. 68-69.<br />
1175 Ebd.<br />
1176 Ebd.<br />
1177 Ebd.<br />
1178 Ebd.<br />
476
4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN<br />
Bebel war Tochter eines Bahn-Bodenarbeiters <strong>und</strong> arbeitete später als Putzmacherin. Zetkin<br />
bemerkt nachdrücklich, dass Bebel aus einer proletarischen Familie stammte <strong>und</strong> dass diese zwar<br />
nicht in Elend, aber doch in beengten proletarischen Verhältnissen gelebt habe. 1179<br />
1866 – nach zweijähriger Verlobungszeit – heiratete sie in Leipzig den Drechsler August Bebel.<br />
Dieser wurde durch seine offene sozialistische Gesinnung zum politisch Verfolgten. Groß sei das<br />
Verdienst Julie Bebels, in jener Zeit, so Zetkin, „das Existenzschifflein des Gehetzten“ 1180 behütet<br />
zu haben, so dass er „frisch <strong>und</strong> kraftvoll“ 1181 aus allen Stürmen habe hervorgehen können. 1182<br />
Dabei konnte sie vor allem auf ihre „praktische Lebenstüchtigkeit, die im Haushalt W<strong>und</strong>er der<br />
Finanzkunst verrichtete“ 1183 , zurückgreifen. Auch mit ihrer „sonnige[n] Heiterkeit“ 1184 <strong>und</strong> ihren<br />
„nimmermüden Händen“ 1185 habe sie ihrem Ehemann „ein schmuckes <strong>und</strong> trauliches Heim“ 1186<br />
geschaffen, wo dieser „Erquickung <strong>und</strong> Rast“ 1187 finden konnte.<br />
Bebel sorgte sich allerdings nicht nur um ihre Familie. Der Idealismus, den sie mit ihrem<br />
Ehemann teilte, habe sie, so Zetkin, „über ein kleinbürgerlich beschränktes <strong>und</strong> im Gr<strong>und</strong>e egois-<br />
tisches Familienidyll hinaus[…]gehen“ 1188 lassen. Die Familien der Parteigenossen konnten stets<br />
auf ihre Hilfe <strong>und</strong> Güte zählen. „Zweideutigkeit, Unehrlichkeit, Gemütsroheit <strong>und</strong> Mangel an<br />
Aufopferungsfähigkeit“ 1189 , so Zetkin, seien ihr „verhaßt“ 1190 gewesen. Über diese Charakter-<br />
mängel habe man sie nicht täuschen können, „denn nicht bloß das Herz, auch der Kopf saß bei ihr<br />
auf dem rechten Fleck“ 1191 .<br />
Einerseits „geschickte <strong>und</strong> liebevolle Hausfrau, […] zärtlichste <strong>und</strong> beglückteste Mutter“ habe<br />
August Bebel in seiner Ehefrau, „der wissensdurstig Fragenden“ 1192 , vor allem „die Genossin<br />
seiner Ideale [gehabt], die mit allen Fasern des eigenen Seins sein Wirken mit erlebte“ 1193 . Ihr<br />
1179 Vgl. ebd.<br />
1180 Ebd., S. 68.<br />
1181 Ebd.<br />
1182 Ebd.<br />
1183 Ebd.<br />
1184 Ebd.<br />
1185 Ebd.<br />
1186 Ebd.<br />
1187 Ebd.<br />
1188 Ebd.<br />
1189 Ebd.<br />
1190 Ebd.<br />
1191 Ebd.<br />
1192 Ebd.<br />
1193 Ebd.<br />
477
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
eigener Bildungsdrang – einem „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ entsprechend – führte Bebel zum<br />
Sozialismus <strong>und</strong> festigte damit auch ihre Ehegemeinschaft. Wenn August Bebel durch Reisen oder<br />
Haft nicht in der Lage war, seine Parteiaufgaben zu erfüllen, so habe dies unter beharrlicher<br />
Beobachtung <strong>und</strong> Bespitzelung der Ordnungshüter seine Ehefrau übernommen. Sie – „‘unseres<br />
Augusts Frau’“ 1194 – war dann „Berichterstatterin <strong>und</strong> Stellvertreterin ihres Mannes“ 1195 . Auch war<br />
sie seine Sekretärin, die ihm beim Verfassen schriftlicher Beiträge half, seine Korrespondenz<br />
ordnete <strong>und</strong> ihm auf diese Weise Zeit für „Kampf <strong>und</strong> Studium“ 1196 gewann. Diese dem Ehemann<br />
erbrachte Unterstützung – das „Wohltun <strong>und</strong> Mitteilen“ 1197 – war nach Meinung Zetkins zudem<br />
„ein Stück selbstverständlicher Praxis sozialistischer Brüderlichkeit“ 1198 .<br />
Ihr Stolz <strong>und</strong> ihre Bescheidenheit hätten es Bebel jedoch verboten, „als die ‘Frau ihres Mannes’ in<br />
der Partei, in der Öffentlichkeit eine Rolle zu spielen“ 1199 . Nur eine einzige Ausnahme war Zetkin<br />
bekannt: Bebel wurde in den 1890er Jahren Mitgründerin <strong>und</strong> Vorstandsmitglied des Berliner<br />
Bildungsvereins für Frauen <strong>und</strong> Mädchen. Sie habe diese Ämter aber nur übernommen, um mit<br />
ihrem Namen die Entwicklung des Vereins zu fördern. Für diese Behauptung spreche, dass sie den<br />
Ehrenposten abgab, sobald sie dieses Ziel erreicht sah. 1200 Manchmal jedoch – so wusste Zetkin<br />
vermutlich aus sehr persönlichen Gesprächen mit Bebel zu berichten – habe sie es bereut, nicht<br />
stärker selbständig gewirkt zu haben. Dann beklagte sie, so Zetkin,<br />
„daß es ihr nicht vergönnt gewesen sei, einen höheren Flug zu nehmen <strong>und</strong> sich<br />
einen eigenen Wirkungskreis in der Bewegung zu schaffen“ 1201 .<br />
In Julie Bebel war der proletarischen Frauenbewegung eine Leitfigur gegeben, die ihr ganzes<br />
Potential als „weiblicher Vollmensch“ in ihrer Ehe auslebte.<br />
„Bewußt <strong>und</strong> freiwillig hat sie ihr Wünschen vor der Erkenntnis beschieden, daß<br />
das Beste, ja Unersetzliche, was sie für ihre sozialistische Überzeugung leisten<br />
könne, das Aufgehen ihres Eigenlebens in das eines Größeren sei, eines<br />
Wegbereiters <strong>und</strong> Führers, wie die Sozialdemokratie keinen zweiten kennt.“ 1202<br />
Bebel bezwang demnach ihren persönlichen Ehrgeiz <strong>und</strong> fand die Verwirklichung ihres Selbst<br />
sowie ihrer Ideale in der Unterstützung ihres politisch aktiven Ehemannes. Zudem schien Zetkin<br />
1194 Ebd.<br />
1195 Ebd.<br />
1196 Ebd.<br />
1197 Ebd.<br />
1198 Ebd.<br />
1199 Ebd.<br />
1200 Vgl. ebd.<br />
1201 Ebd., S. 68f.<br />
1202 Ebd., S. 69.<br />
478
4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN<br />
ohnehin Zweifel an der Eignung Bebels für eine führende Rolle – vielleicht in der proletarischen<br />
Frauenbewegung – gehabt zu haben. Sie war der Meinung, dass „[i]n der Natur […] die Gaben<br />
ungleich verteilt“ 1203 seien <strong>und</strong> es deshalb „[n]icht jede vermag […], das weiche Frauenherz hinter<br />
dem Harnisch zu bergen <strong>und</strong> sich in das Getümmel des Klassenkampfes zu stürzen“ 1204 . Etwas,<br />
was dagegen jeder Mensch, jede Frau für die Sache zu leisten vermag, sei, „den Ringenden eine<br />
selbstverleugnende Helferin“ 1205 zu sein.<br />
Eine ebenfalls „tapfere, aufopfernde Lebensgefährtin [eines][…] unvergeßlichen ‘Alten’“ 1206 war<br />
Natalie Liebknecht (1835-1909). Die Witwe Wilhelm Liebknechts war bereits ein Jahr vor Julie<br />
Bebel einen, wie vermutlich Zetkin schrieb, „sanfte[n] Tod“ 1207 gestorben.<br />
Geboren wurde Liebknecht in Darmstadt als Tochter des Hofgerichtsadvokaten Jacob Ludwig<br />
Theodor Reh, eines ehemaligen Mitglieds der Frankfurter Nationalversammlung, der seiner<br />
Tochter zudem eine gute Bildung zukommen ließ. 1868 begegnete sie ihrem zukünftigen Ehe-<br />
mann, der damals bereits Witwer <strong>und</strong> Vater zweier Töchter war. Für die Ehe mit ihm gab<br />
Liebknecht die Sicherheit einer bürgerlichen Existenz auf <strong>und</strong> übernahm einen Haushalt, der, so<br />
Zetkin, „nicht viel mehr als ein Zeltlager [gewesen sei], in dem zwei verwaiste Mädchen nach<br />
Mutterpflege <strong>und</strong> Mutterliebe verlangten“ 1208 . Wilhelm Liebknecht erwarb als Schriftsteller <strong>und</strong><br />
Vortragender nur geringe Einkünfte <strong>und</strong> auch sein späteres Gehalt als Redakteur, so die Meinung<br />
der Redakteurin Zetkin, „würde heute niemand dem letzten Laufburschen in der Expedition eines<br />
Parteiblattes zu bieten wagen“ 1209 . Es war Natalie Liebknechts großes Verdienst, trotz dieser<br />
geringen Geldmittel einen immer größer werdenden Haushalt – Liebknecht gebar noch fünf Söhne<br />
– zu versorgen. Als Ehefrau <strong>und</strong> Mutter war es ihre, so Zetkin,<br />
„heilige Lebensaufgabe […], […] ein behagliches Familienleben zu schaffen, das<br />
als Quickborn dem leidenschaftlichem Kämpfer die Kräfte stählte <strong>und</strong> die junge<br />
Brut ges<strong>und</strong>, stark an Leib <strong>und</strong> Seele heranwachsen ließ“ 1210 .<br />
Damit habe sie dem Sozialismus „in ihrer Weise“ 1211 gedient. Sie trug sowohl die „ökonomische<br />
1203 Ebd.<br />
1204 Ebd.<br />
1205 Ebd.<br />
1206 Natalie Liebknecht. In: GL, 19/ 10/ 15.02.1909/ 152.<br />
1207 Ebd.<br />
1208 Ebd.<br />
1209 Ebd.<br />
1210 Ebd.<br />
1211 Ebd.<br />
479
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
wie die moralische Verantwortung“ 1212 mit <strong>und</strong> nahm „die Hauptlast der Haus- <strong>und</strong> Erziehungs-<br />
sorgen auf ihre Schultern“ 1213 . Das Ergebnis ihrer Erziehung waren nach Meinung Zetkins<br />
„aufrechte[…], wahrhaftige[…] Männer[…], […] würdige[…] Träger[…] des Vaternamens“ 1214 .<br />
<strong>Von</strong> größerer Bedeutung jedoch war, dass sie all diese „Haus- <strong>und</strong> Erziehungssorgen“ allein<br />
bewältigte <strong>und</strong> ihr Ehemann davon unbelastet blieb. Indem sie ihm „eine Stätte der Ruhe <strong>und</strong><br />
Rast“ 1215 geschaffen habe, habe sie der Sozialdemokratie „ihren ältesten hervorragenden Führer<br />
bis ins hohe Alter hinein in jugendlicher Frische <strong>und</strong> Rüstigkeit erhalten“ 1216 . Die körperliche <strong>und</strong><br />
geistige Ges<strong>und</strong>heit ihres Ehemannes musste Liebknecht nicht nur als Ehefrau angelegen sein,<br />
sondern auch als überzeugte Sozialdemokratin. Wenn auch „[d]ie Liebe [sie] […] in das Lager des<br />
kämpfenden Proletariats geführt“ 1217 habe, so Zetkin, „die Überzeugung ließ sie hier heimisch<br />
werden“ 1218 . Liebknecht war demnach zu Beginn „Gefühlssozialistin“ einer besonderen Art<br />
gewesen, aber „das innerlichste Miterleben der Ideen […], der Ziele“ 1219 ihre Ehemannes <strong>und</strong><br />
„eifrige Lektüre“ 1220 machten aus ihr eine Genossin. Zwar keine streitbare Kämpferin, aber, wie<br />
Zetkin meinte, eine Vertreterin „des stillen <strong>weiblichen</strong> Heldentums“ 1221 , deren Leben weit über<br />
jedem „kleinbürgerlichen Aschenputteltum[…]“ 1222 gestanden habe <strong>und</strong> somit vorbildhaft war.<br />
Eine weiterer führender Genosse aus der frühen Geschichte der SPD <strong>und</strong> vor allem verantwortlich<br />
für die illegale Publikationsarbeit in der Schweiz war Julius Motteler, genannt der „Rote Post-<br />
meister“. Die „Gleichheit“-Leserinnen erfahren aus einem vermutlich von Juchacz verfassten<br />
Nachruf, dass am Neujahrstag 1919 dessen Ehefrau Emilie Motteler (?-1919) gemeinsam mit<br />
ihrem Bruder, E. Schwarz in Leipzig einer Gasvergiftung „zum Opfer“ 1223 gefallen war. Sie sei<br />
ihrem Ehemann „eine treue Gefährtin […] auf allen Wanderfahrten“ 1224 gewesen. Zudem „eine<br />
1212 Ebd.<br />
1213 Ebd.<br />
1214 Ebd.<br />
1215 Ebd.<br />
1216 Ebd.<br />
1217 Ebd.<br />
1218 Ebd.<br />
1219 Ebd.<br />
1220 Ebd.<br />
1221 Ebd.<br />
1222 Ebd.<br />
1223 Emilie Motteler. In: GL, 29/ 09/ 31.01.1919/ 68.<br />
1224 Ebd.<br />
480
4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN<br />
gütige Helferin <strong>und</strong> treue Fre<strong>und</strong>in aller, die mit ihr gleiche Not <strong>und</strong> gleiches Wollen verband“ 1225 .<br />
Wäre Zetkin noch Redakteurin der „Gleichheit“ gewesen, so hätte sie vermutlich deutlich mehr<br />
zum Leben der Ehefrau ihres engen Fre<strong>und</strong>es Motteler zu berichten gehabt. Damit machte sich<br />
auch in der Art <strong>und</strong> Weise, wie „alte“ Kämpferinnen gewürdigt wurden, der Wechsel in der<br />
„Gleichheit“-Redaktion bemerkbar.<br />
Nicht nur Ehefrau, sondern auch Tochter eines führenden Genossen war Laura Lafargue (1845-<br />
1911). Die Tochter von Karl <strong>und</strong> Jenny Marx stellt ein außergewöhnliches Beispiel einer idealen<br />
Ehefrau dar, die vor keinem Opfer zurückschreckte. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Paul<br />
Lafargue beging sie im Dezember 1911 Suizid. Bevor sich jedoch Zetkin dem Leben Laura<br />
Lafargues widmete, beschrieb sie den Werdegang ihres auf Kuba geborenen Ehemannes Paul.<br />
Paul Lafargue war Sohn wohlhabender Eltern <strong>und</strong> zog im Alter von neun Jahren nach Frankreich,<br />
wo er ein Medizinstudium begann. Sein politisches Engagement in der „Internationalen Asso-<br />
ciation“, in dem Studentenkongress 1866 in Lüttich <strong>und</strong> bei Demonstrationen gegen Napoleon III.<br />
gab den Behörden ausreichenden Gr<strong>und</strong>, ihn von allen französischen Universitäten aus-<br />
zuschließen. Zur Fortsetzung seines Medizinstudiums ging er deshalb nach London, wo er wegen<br />
seiner Spanischkenntnisse als Sekretär für die Internationale arbeitete <strong>und</strong> die bereits von<br />
Frankreich aus geknüpften Kontakte zu Karl Marx intensivierte. Bald verband die beiden Männer<br />
„eine herzliche Fre<strong>und</strong>schaft“ 1226 , die sich noch vertieft habe, als Lafargue der Gatte von Marx‘<br />
zweitältester Tochter wurde.<br />
Im Auftrage der Pariser Kommune wirkte Paul Lafargue dann in Südfrankreich. In dieser Zeit sei,<br />
so Zetkin, keinerlei „gesicherte Häuslichkeit“ 1227 möglich gewesen. Die Kämpfe im Süden schufen<br />
Notwendigkeiten, wegen derer die Eheleute oft voneinander getrennt waren, <strong>und</strong> sie „trugen<br />
Unruhe, Sorgen, Entbehrungen in ihre Existenz“ 1228 . Diese gefahrvollen Umstände könnten dazu<br />
beigetragen haben, dass ihre zwei Kinder schon früh verstarben. Paul Lafargue belastete der Tod<br />
seiner Kinder sehr. Er sah sich nicht mehr in der Lage, den Beruf des Arztes auszuüben <strong>und</strong><br />
verrichtete, nachdem sie erneut nach London gezogen waren, literarische Gelegenheitsarbeiten<br />
<strong>und</strong> Tätigkeiten als Holzschneider. Laura Lafargue gab Privatst<strong>und</strong>en <strong>und</strong> fertigte Übersetzungen<br />
an. Eine geregelte Erwerbstätigkeit strebten beide nicht an. Sie zogen, so Zetkin,<br />
1225 Ebd.<br />
„die magere Freiheit der fetten Sklaverei einer alltäglichen Berufsfron vor. Höher<br />
1226 Paul <strong>und</strong> Laura Lafargue. In: GL, 22/ 06/ 11.12.1911/ 83.<br />
1227 Ebd., S. 84.<br />
1228 Ebd.<br />
481
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
als die äußeren Annehmlichkeiten des Lebens stand ihnen die Bewegungsfreiheit,<br />
Geist <strong>und</strong> Charakter weiterzubilden <strong>und</strong> dem sozialistischen Ideal zu dienen, wo<br />
immer sich Gelegenheit dazu bot“ 1229 .<br />
Laura Lafargue waren diese Lebensumstände nicht neu. Ihre Eltern hatten unter ähnlichen<br />
Bedingungen leben müssen. Und wie ihre Mutter habe nach Meinung Zetkins auch Lafargue diese<br />
„in revolutionärer Begeisterung mit Stolz <strong>und</strong> Anmut getragen“ 1230 .<br />
1882 konnte das Ehepaar dank einer Amnestie für KommunekämpferInnen wieder nach Frank-<br />
reich zurückkehren. Der Schwerpunkt der politischen Tätigkeit Paul Lafargues lag zu jener Zeit<br />
nicht in der Agitation <strong>und</strong> auch nicht in seinem Amt als Abgeordneter des französischen Parla-<br />
ments, das er von 1891 bis 1893 innehatte. Paul Lafargue war vielmehr ein sehr begabter<br />
Publizist, der mit seinen satirischen Streitschriften laut dem Urteil Zetkins zu den „besten Pamph-<br />
letisten“ 1231 zu zählen sei. Außerdem war er ein Wissenschaftler, der sich zwar nicht bemüht habe,<br />
„das Gold des historischen Materialismus in die kleinen Münzen umzuprägen, deren das<br />
Tagesleben der Partei“ 1232 bedürfe, der aber durch seine Forschungsarbeiten die Theorie des Sozia-<br />
lismus bereichert habe. Seine geschichts- <strong>und</strong> literaturwissenschaftlichen Beiträge, deren viele in<br />
der „Neuen Zeit“ veröffentlicht wurden, hätten zu selbständigem Nachdenken angeregt <strong>und</strong> ihn,<br />
so Zetkin, „zu einem Lehrer des internationalen Proletariats erhoben“ 1233 .<br />
Es sei eine „seltene Harmonie“ 1234 gewesen, die die Eheleute miteinander verband <strong>und</strong> Laura<br />
Lafargue habe ihrem Ehemann „an innerem Reichtum“ 1235 nicht nachgestanden. Sie war die ideale<br />
Genossin seiner Ideale, da alles, so Zetkin, „was den tiefsten Inhalt seines Lebens ausmachte, […]<br />
auch dem ihren Richtung <strong>und</strong> Ziel“ 1236 gab. Laura Lafargue besaß bedeutende Sprachkenntnisse,<br />
eine große Belesenheit, wissenschaftliche Bildung <strong>und</strong> Kunstverstand. Mit diesen Fähigkeiten<br />
konnte sie „wichtige Hilfsarbeit“ 1237 für ihren Ehemann leisten <strong>und</strong> sie waren ihm zudem „eine un-<br />
versiegliche Quelle der Anregung <strong>und</strong> Selbstverständigung“ 1238 . „Besonders wertvoll war es“, so<br />
Zetkin, „daß Laura ihm die Kenntnis der deutschen sozialistischen Bewegung vermittelte, ihn mit<br />
1229 Ebd.<br />
1230 Ebd.<br />
1231 Ebd.<br />
1232 Ebd., S. 85.<br />
1233 Ebd., S. 84.<br />
1234 Ebd., S. 85.<br />
1235 Ebd.<br />
1236 Ebd.<br />
1237 Ebd.<br />
1238 Ebd.<br />
482
deutscher Wissenschaft <strong>und</strong> Literatur vertraut machte.“ 1239<br />
4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN<br />
Schließlich widmete sich Zetkin dem selbständigen Wirken <strong>und</strong> Arbeiten Laura Lafargues. Sie<br />
übersetzte deutsche Gedichte, z. B. solche von Heinrich Heine, ins Englische <strong>und</strong> die von ihrem<br />
Vater verfasste Schrift „Kritik der politischen Ökonomie“ (1859) ins Französische. Lafargue<br />
schrieb kleinere Artikel über die internationale Arbeiterbewegung für frühe sozialistische Zeit-<br />
schriften – dies laut Zetkin aber „[u]ngenannt“ 1240 . Ihre für die ersten Jahrgänge der „Gleichheit“<br />
verfassten Artikel zeichnete Lafargue jedoch. Ähnlich einer Anekdote beschrieb Zetkin Lafargues<br />
Taktik, für die Verbreitung des Organs der französischen Sozialisten zu wirken:<br />
„Rührend war die Unermüdlichkeit, mit der sie in den achtziger Jahren Monate<br />
hindurch von Zeitungskiosk zu Zeitungskiosk ging, um durch Nachfrage nach dem<br />
Parteiorgan ‘Le Socialiste’ dessen Verbreitung zu fördern. Wie manchen ersparten<br />
Frank verausgabte sie, um das Blatt ‘en gros’ anzukaufen <strong>und</strong> dann unter die<br />
Arbeiter des äußeren ‘Quartier Latin’ zu verteilen. Aber ach! Diese Kleinarbeit<br />
blieb so erfolglos wie das Bemühen, mit Hilfe einiger Fre<strong>und</strong>innen durch Unterrichtskurse<br />
die Proletarierinnen der Partei zuzuführen.“ 1241<br />
Diese Misserfolge hätten jedoch in keiner Weise Lafargues „feste[…] Zuversicht auf den Sieg des<br />
Sozialismus“ oder ihre Überzeugung von der Notwendigkeit, dass die „Frauen diesen Sieg […]<br />
als Vorbedingung ihrer eigenen Befreiung“ 1242 miterkämpfen müssen, getrübt.<br />
Interessant ist es, dass Zetkin zwar die jüngere Schwester Lafargues, Eleanore Marx-Aveling<br />
erwähnt, aber nicht den Umstand, dass diese 1898 ebenfalls Suizid begangen hatte. Lafargue habe<br />
im Gegensatz zu ihrer Schwester nicht „das Hinaustreten in die Öffentlichkeit, die starke Willens-<br />
bek<strong>und</strong>ung“ 1243 gelegen. Doch „im stillen[sic]“ 1244 habe sie, so die Meinung Zetkins, „mit der<br />
gleichen Hingebung <strong>und</strong> Treue wie diese für den Sozialismus gewirkt“ 1245 .<br />
Zetkins Artikel zitiert den Abschiedsbrief Paul Lafargues:<br />
1239 Ebd.<br />
1240 Ebd.<br />
1241 Ebd.<br />
1242 Ebd.<br />
1243 Ebd.<br />
1244 Ebd.<br />
1245 Ebd.<br />
„‘Ges<strong>und</strong> an Leib <strong>und</strong> Geist gab ich mir den Tod, bevor das unerbittliche<br />
Greisenalter einen Teil des Vergnügens <strong>und</strong> der Freude des Daseins nimmt <strong>und</strong><br />
mich der physischen <strong>und</strong> geistigen Kraft beraubt, meine Energie lähmt, meine<br />
Sinne bricht <strong>und</strong> mich zur Last für mich selbst <strong>und</strong> die anderen macht. Seit Jahren<br />
habe ich mir das Versprechen gegeben, das siebzigste Lebensjahr nicht zu überschreiten.<br />
Ich habe die Jahreszeit für meinen Abschied aus dem Leben längst<br />
bestimmt <strong>und</strong> die Ausführung meines Entschlusses vorbereitet, nämlich eine Einspritzung<br />
von Zyankali. Ich sterbe mit höchster Freude, die mir die Gewißheit<br />
483
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
bereitet, daß die Sache, der ich 45 Jahre meines Lebens gewidmet habe, in nicht<br />
allzu ferner Zukunft triumphieren wird. Es lebe der Kommunismus, es lebe der<br />
internationale Sozialismus’“ 1246<br />
Paul Lafargue erwähnte mit keinem Wort seine Ehefrau, die zusammen mit ihm freiwillig 1247 aus<br />
dem Leben schied. Rational hatte er den Beschluss gefasst, sich einen Monat vor seinem 70. Ge-<br />
burtstag eine tödliche Injektion zu setzen, weil er sich von dem Alter nicht mehr viel erhoffte. Die<br />
nur drei Jahre jüngere Laura Lafargue muss ähnlich gedacht haben. Zetkin nannte einen<br />
möglichen Gr<strong>und</strong>, weshalb auch sie nichts mehr im Leben gehalten haben könnte: Ihre<br />
Kinderlosigkeit. Den Verlust ihrer Kinder hatten beide nie verw<strong>und</strong>en. Laura Lafargue scheint<br />
zum Zeitpunkt ihres Todes vor allem noch sehr unter dem Tod ihrer Tochter gelitten zu haben.<br />
Zwar habe sie nach Meinung Zetkins „nicht zu denen [gehört], die ihr Herz leicht auf die Lippen<br />
heben, <strong>und</strong> ihrem hohen Sinne [sei] das Leiden um der Überzeugung willen selbstverständlich“ 1248<br />
gewesen, doch die Erinnerung an ihre Tochter habe ihr stets die Tränen in die Augen getrieben.<br />
Umso bitterer Zetkins Gedanke, dass die Eheleute Lafargue „‘geborene[…] Eltern’ <strong>und</strong> Kinder-<br />
fre<strong>und</strong>e“ 1249 gewesen seien.<br />
Mit Laura Lafargue habe in Draveil bei Paris eine der „treuesten <strong>und</strong> bescheidensten Diene-<br />
rinnen“ 1250 der sozialistischen Internationale ihr Leben freiwillig beendet. Zetkin gab sich<br />
besondere Mühe, ihren Leserinnen diesen Entschluss sachlich zu erklären, ihn nicht als leicht-<br />
fertig oder verzweifelt erscheinen zu lassen:<br />
„Paul <strong>und</strong> Laura Lafargue waren vollsaftige Menschen, deren Eigenart der<br />
Sozialismus nur schärfer ausgeprägt hatte. Denn er war ihnen mehr als eine graue<br />
ökonomisch-historische Doktrin: der grüne Lebensbaum einer einheitlichen Weltanschauung<br />
voll duftender Blüten, mit denen sie sich freudig das Haupt bekränzten.<br />
Früh hatten sie sich zu jener abgeklärten Lebensweisheit durchgerungen,<br />
welche die besten Zeiten der Antike ausgezeichnet hat <strong>und</strong> deren Gr<strong>und</strong>lage das<br />
Bewußtsein von der Einheit <strong>und</strong> dem ewigen Flusse alles Seins ist. Nicht demütige<br />
Zerknirschung, stolze Ruhe strömte ihnen aus der Erkenntnis zu, daß auch sie nur<br />
Atome seien in dem unerschöpflichen, grenzenlosen All, Atome, die die Welle hebt<br />
<strong>und</strong> verschlingt. So werteten sie ihr Leben nicht nach vorgefaßten Schablonen,<br />
sondern nach dem, wie sie selbst es mit schöpferischer Hand zu formen verstanden.“<br />
1251<br />
Der Suizid war demnach eine bewusste Entscheidung <strong>und</strong> eine Entscheidung, die auch als Teil der<br />
1246 Paul Lafargues Abschiedsbrief an seine Fre<strong>und</strong>e (1911). Zit. nach: Ebd., S. 83.<br />
1247 Diese Freiwilligkeit wurde jedoch auch in Frage gestellt. Luise Kautsky erwähnte die Möglichkeit, dass Laura<br />
Lafargue das Gift ohne ihr Wissen zu sich nahm, wusste aber auch um die Unmöglichkeit, diese Frage jemals zu<br />
klären (Kautsky, Luise: Mai-Erinnerungen. In: GL, 33/ 09-10/ 01.05.1923/ 71-79, S. 77).<br />
1248 Paul <strong>und</strong> Laura Lafargue. In: GL, 22/ 06/ 11.12.1911/ 84.<br />
1249 Ebd.<br />
1250 Ebd., S. 83.<br />
1251 Ebd., S. 85.<br />
484
4.3.4 DIE GENOSSINNEN FÜHRENDER GENOSSEN<br />
Persönlichkeitsentwicklung gesehen werden müsse. Sie hatten ein selbstbestimmtes Leben gelebt<br />
<strong>und</strong> sie bestimmten selbst über dessen Ende. Zetkin wollte nicht den Verdacht aufkommen lassen,<br />
dass das Ehepaar verzweifelt gewesen sei oder gar am Sozialismus gezweifelt habe. Im Gegenteil:<br />
„Eine ges<strong>und</strong>e Freude am Leben“ 1252 habe sie erfüllt. Sie seien „beide Lebenskünstler im edelsten<br />
Sinne des Wortes“ 1253 gewesen <strong>und</strong><br />
„[a]us dieser ihrer Lebenskunst [sei] ihnen der Wille <strong>und</strong> die Freudigkeit zum<br />
gemeinsamen freiwilligen Tod erwachsen. Nicht als eine drückende Bürde oder ein<br />
verächtliches Gut haben sie das Leben von sich geworfen. Sie löschten es aus, weil<br />
sie wußten, daß seine Flammen so hoch <strong>und</strong> hell gebrannt hatten, daß nun kein<br />
trübes, qualmiges Schwälen folgen durfte.“ 1254<br />
Auch den möglichen Vorwurf, die Lafargues hätten mit ihrem Suizid der Bewegung wichtige<br />
Kräfte entzogen, schmetterte Zetkin mit den Worten ab: „Ein Mann von der Vergangenheit <strong>und</strong><br />
dem Wesen Lafargues durfte in dieser Gewissensfrage wohl sein eigener Richter sein.“ 1255<br />
Zetkin plädierte für eine bewusst andere gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Freitod<br />
<strong>und</strong> forderte:<br />
„Lassen wir doch endlich die Toten ihre Toten begraben, <strong>und</strong> haben wir den Mut<br />
zur Umwertung eines Wertes, den uns eine zweitausendjährige Knechtung des<br />
Geistes durch den kirchlichen Spiritualismus in die Seele gehämmert hat.“ 1256<br />
Sie bat ihre Leserinnen um Verständnis für „die Stolzen, die in sittlicher Freiheit <strong>und</strong> Kraft zu<br />
sterben wissen, ehe daß Leib <strong>und</strong> Seele verfällt“ 1257 , denn Paul <strong>und</strong> Laura Lafargue hätten, so<br />
Zetkin ihren Nachruf schließend,<br />
1252 Ebd.<br />
1253 Ebd.<br />
1254 Ebd.<br />
1255 Ebd.<br />
1256 Ebd.<br />
1257 Ebd.<br />
1258 Ebd.<br />
„in Schönheit gelebt, sie sind in Schönheit gestorben, ohne Pose, einfach <strong>und</strong><br />
schlicht. Die Frommen mögen sie schelten, die Kleinmütigen sie bedauern, wir<br />
neigen uns in Fre<strong>und</strong>schaft vor ihnen als vor Starken <strong>und</strong> Freien.“ 1258<br />
485
4.4 „[…] eine Kühnheit des Geistes, eine Kraft des Willens, eine Reinheit der<br />
Gesinnung <strong>und</strong> Größe der Opferfreudigkeit […]“ 1259<br />
– Die Klassenkämpferin<br />
4.4.1 Zum Frauenleitbild der „Klassenkämpferin“<br />
Proletarische Frauenbildung zielte im Gegensatz zu manchen bürgerlichen Frauen(aus)bil-<br />
dungsinitiativen nicht auf den individuellen Aufstieg der einzelnen Frau ab. Vielmehr sollte<br />
„[d]em Proletarier […] Bildung in erster Linie Kampfeswaffe, nicht lediglich Schmuck oder<br />
Genuß“ 1260 sein. Die Arbeiterinnen sollten die Bedingungen ihrer gesellschaftlichen Lage, die<br />
kollektive Kraft ihrer Klasse erkennen <strong>und</strong> ein Klassenbewusstsein entwickeln. Dies verlangte<br />
ihnen die Transferleistung ab, vom wirtschaftlichen <strong>und</strong> historischen Schicksal der gesamten<br />
Klasse auf ihr eigenes individuelles Schicksal zu schließen <strong>und</strong> umgekehrt. Damit war zwar<br />
eine individuelle berufliche Weiterqualifikation oder Allgemeinbildung nicht ausgeschlossen,<br />
aber eine solche war nicht zentrales Anliegen der sozialistischen Emanzipationstheorie. Die<br />
individuelle Befreiung aus Elend <strong>und</strong> Unterdrückung – egal ob für Mann oder Frau, egal<br />
welche beruflichen Qualifikationen man sich bis dahin für das Überleben in einer „überholten“<br />
Gesellschaft angeeignet hatte – konnte nur im Kollektiv, nur als Klasse erreicht werden. 1261 Ihr<br />
Klassenbewusstsein musste ihr sagen, dass jede individuelle Befreiung aus Elend <strong>und</strong><br />
Unterdrückung nur Ergebnis eines erfolgreichen Kampfes der unterdrückten gegen die unter-<br />
drückende Klasse sein konnte. Ob Mann oder Frau <strong>und</strong> unabhängig von jeder beruflichen<br />
Qualifikation, die man sich bisher für ein Überleben in einer „überholten“ Gesellschaft ange-<br />
eignet hatte – das Kollektiv, die gesamte Arbeiterklasse war einziger Garant für ein glückliches<br />
Leben.<br />
Da scheint die Tatsache, dass Arbeiterinnen zwar leicht für unorganisierte Aktionen mobilisiert<br />
werden konnten, aber kaum für die nachhaltige Durchsetzung politischer Forderungen 1262<br />
wenig erfolgversprechend für den Kampf um eine Utopie. Meist waren Arbeiterinnen „nur“ an<br />
der praktischen Befriedigung ihrer Lebensbedürfnisse, an der Lösung der sie persönlich <strong>und</strong><br />
ihre Familie betreffenden „Magenfrage“ interessiert. Es war also notwendig, dass die Argu-<br />
mentation sozialistischer Theorie <strong>und</strong> Agitation stets beides bekräftigte – den Wert individu-<br />
1259 Maria Lwowna Berditschewskaja. In: GL, 15/ 05/ 08.03.1905/ 25.<br />
1260 Der Gewerkschaftskongreß zu Hamburg. In: GL, 18/ 14/ 06.07.1908/ 123.<br />
1261 Auch dies ein Unterschied zu den bürgerlichen Frauen, denn individuelle Weiterbildung machte für viele<br />
bürgerliche Frauen den Reiz ihres Engagements innerhalb der Frauenbewegung aus.<br />
1262 „Sie halfen sich gegenseitig beim Überleben, bei Totgeburten, bei Abtreibungen. Bei Teuerungswellen machten<br />
sie spontane ‘Krawalle’, stürmten Lebensmittelstände <strong>und</strong> Geschäfte, kauften zu selbstgesetzten Preisen<br />
ein oder eigneten sich das Notwendige ohne Bezahlung an.“ (Grossmann/Meyer-Renschhausen, Frauen <strong>und</strong><br />
Arbeiterbewegung in Deutschland, 1914-1938, S. 55)<br />
487
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
ellen Engagements <strong>und</strong> den Wert des Kollektivs. Lag der Schwerpunkt zu sehr auf den<br />
Bedürfnissen des Kollektivs <strong>und</strong> war das Verständnis der ProletarierInnen noch zu wenig aus-<br />
geprägt, so barg dies die Gefahr, dass ähnlich dem Verständnis des historischen Materialismus‘ ein<br />
individuelles Engagement als unnötig angesehen wurde, da die Entwicklung ja bereits vorgegeben<br />
schien.<br />
Die Unterdrückungsmechanismen des Kapitalismus mussten erst durchschaut <strong>und</strong> dann bekämpft<br />
werden. Für diesen Erkenntnisprozess war eine gewisse Allgemeinbildung gr<strong>und</strong>legend, aber eben<br />
nicht Selbstzweck. Besondere Bedeutung für die Emanzipation der proletarischen Frau hatte die<br />
Erwerbsarbeit. Diese konnte jedoch Verschiedenes bedeuten: Sie konnte Horizonterweiterung <strong>und</strong><br />
Selbstverwirklichung sein, aber auch „Fronarbeit“, Doppel- <strong>und</strong> Dreifachbelastung. Verheirateten<br />
Arbeiterinnen wurde durch menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, Familien- <strong>und</strong><br />
Eheprobleme, die Sorge um Essen <strong>und</strong> Wohnung, schließlich durch die pure Existenzangst das<br />
Leben schwer gemacht. All das waren Probleme, die eine Organisation unter ihnen so schwer,<br />
aber auch so unerlässlich machte.<br />
Die politisierende Schubwirkung, die der Erwerbsarbeit theoretisch zuzuschreiben ist, ließ sich<br />
anscheinend praktisch für die proletarische Frauenbewegung nicht nutzen. Woher sollten die<br />
Arbeiterinnen unter solchen Lebensbedingungen auch das Wissen <strong>und</strong> die Kraft für ein politisches<br />
Engagement nehmen? Solche Frauen konnten nicht über ihr Selbstbewusstsein als Arbeiterin für<br />
den Sozialismus gewonnen werden, da doch nur der kleinste Teil von ihnen ein solches Selbstbe-<br />
wusstsein besaß <strong>und</strong> dann zumeist schon berufsgruppenmäßig in den Gewerkschaften organisiert<br />
war.<br />
So musste auch die SPD erkennen, dass sie, wenn sie effizient agitieren wollte, die Arbeiterin<br />
nicht nur als Erwerbstätige, sondern auch als Ehefrau, Hausfrau <strong>und</strong> Mutter ansprechen musste.<br />
Folglich setzte dann – wie Evans in seinem gr<strong>und</strong>legenden Werk „Sozialdemokratie <strong>und</strong> Frauen-<br />
emanzipation im deutschen Kaiserreich“ 1263 feststellt – die Agitation der SPD bei vermeintlich rein<br />
frauenspezifischen Themen wie Lebenshaltungskosten, Fleischpreisen <strong>und</strong> legislativen Reformen<br />
zum Schutz von Kindern an. Die „Gleichheit“ <strong>und</strong> auch die Bildungsvereine lockten mit<br />
plakativen Titeln – einmal kämpferisch, einmal fürsorglich. Zwar zielte diese Themenauswahl<br />
hauptsächlich auf die Interessen der Hausfrauen als „praktische Ernährerinnen“ der Familie, aber<br />
man kann sagen, dass mit ihr auch die existenziellen Interessen vieler anderer Personengruppen<br />
angesprochen wurden. Sicherlich hatten nicht nur Hausfrauen, sondern auch deren Männer Gr<strong>und</strong>,<br />
gegen die Lebensmittelteuerungen zu protestieren. 1264<br />
1263 Evans, Sozialdemokratie <strong>und</strong> Frauenemanzipation im deutschen Kaiserreich.<br />
1264 Im Gegensatz zu Evans lässt sich m. E. nicht gr<strong>und</strong>sätzlich schlussfolgern, dass die gesamte „Propaganda der<br />
488
4.4.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER „KLASSENKÄMPFERIN“<br />
Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> veranschaulichen die Forderungen zum Achtst<strong>und</strong>entag nicht nur die<br />
Bildung zum „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“, sondern auch die zur Klassenkämpferin. Baader ver-<br />
knüpfte die Erkämpfung freier Zeit mit den Möglichkeiten zur Selbstbildung, Schonung der<br />
Ges<strong>und</strong>heit, Gestaltung eines Familienlebens <strong>und</strong> der Pflichterfüllung als „Staats- <strong>und</strong> Gesell-<br />
schaftsbürgerin“. 1265 Sie sah den Achtst<strong>und</strong>entag als Voraussetzung politischer Bewusstwerdung<br />
zur Klassenkämpferin:<br />
“Wir fordern den Achtst<strong>und</strong>entag, weil er der Arbeiterin ermöglicht, sich über ihre<br />
eigenen persönlichen <strong>und</strong> Klasseninteressen aufzuklären, sich über das Wesen der<br />
heutigen Wirtschafts- <strong>und</strong> Gesellschaftsordnung <strong>und</strong> die treibenden Kräfte der<br />
geschichtlichen Entwicklung zu belehren, die Ursachen des proletarischen Elends<br />
<strong>und</strong> die Bedingungen der Befreiung des Proletariats kennen zu lernen. Der Achtst<strong>und</strong>entag<br />
läßt die Arbeiterin zum Bewußtsein ihrer Rechtlosigkeit als Frau, ihrer<br />
Ausbeutung <strong>und</strong> Verknechtung als Proletarierin erwachen <strong>und</strong> treibt sie in den<br />
Kampf für ihre soziale Gleichberechtigung, ihre Befreiung in der einen <strong>und</strong><br />
anderen Beziehung.” 1266<br />
Das Gewicht all dieser Betrachtungsweisen liegt auf der „Selbstbildung“, der „Selbsterkenntnis“<br />
<strong>und</strong> dem selbständigen Lernen. Ziel war aber eben nicht individuelle Bildung, sondern im Ver-<br />
b<strong>und</strong> mit all den anderen bewusstgewordenen Genossinnen in den Kampf für die gemeinsame<br />
Sache einzutreten.<br />
Die Frau konnte nur zur Klassenkämpferin geschult werden, wenn sie in ihrem Schicksal das<br />
Schicksal ihrer ganzen Klasse, in ihrem Kampf den Kampf Millionen anderer Frauen erkannte.<br />
Zielgerichtet konnte sie nur kämpfen, wenn sie ihre „wahren Feinde“ erkannte. In diesem Sinne<br />
klärte die „Gleichheit“ die Frauen über die Hintergründe der wirtschaftlichen Lage <strong>und</strong> ihre<br />
Verknüpfung mit den politischen Machthabern auf:<br />
„Bildung <strong>und</strong> Freiheit gefährdet, nicht bloß durch die unvermeidlichen wirthschaftlichen<br />
Ergebnisse der Wucherzölle, sondern auch durch ihre politischen Folgen!<br />
Die Theuerungspreise stärken mit der Mammonsgewalt auch die politische Macht<br />
des Junkerthums. Das Junkerthum haßt aber Bildung <strong>und</strong> Freiheit des arbeitenden<br />
Volkes gleich Todtsünden. Entreißen sie doch die robottenden Massen der Ausbeutung<br />
der blaublütigen Sippe. Kein Zweifel deshalb; diese wird ihre gekräftigte<br />
politische Herrenstellung brauchen <strong>und</strong> mißbrauchen, um auf allen Gebieten Bildung<br />
<strong>und</strong> Freiheit derer zu beschneiden, die ihr zins- <strong>und</strong> tributpflichtig bleiben<br />
sollen.“ 1267<br />
Da die Zusammenhänge zwischen Wirtschaft <strong>und</strong> Politik auf ihrer staatlichen Ebene den<br />
Proletarierinnen meist zu abstrakt erscheinen mussten, versuchte man, ihnen das Interesse für die<br />
SPD eindeutig auf Hausfrauen <strong>und</strong> auf verheiratete Arbeiterinnen ausgerichtet [war]“ (ebd., S. 207. Vgl. auch<br />
Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus, S. 219.).<br />
1265 Baader, Ottilie: Acht St<strong>und</strong>en! In: GL, 16/ 09/ 02.05.1906/ 58.<br />
1266 Warum fordern wir den Achtst<strong>und</strong>entag? In: GL, 18/ 09/ 27.04.1908/ 78.<br />
1267 Für Brot, Bildung <strong>und</strong> Freiheit! In: GL, 11/ 17/ 14.08.1901/ 129.<br />
489
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
große Politik näher zu bringen, indem man ihre Verbindung mit den alltäglichen<br />
Überlebensproblemen aufzeigte:<br />
“Der politisch wenig aufgeklärten Proletarierin erscheinen Bäcker, Fleischer <strong>und</strong><br />
Krämer als ihre schlimmsten Feinde. Ihnen glaubt sie es zuschreiben zu müssen,<br />
daß die notwendigsten Lebensmittel teurer werden, daß sie <strong>und</strong> die Ihrigen den<br />
Hungerriemen immer fester schnallen müssen. Sie findet daher nicht genug Anklagen<br />
für die Schlimmen. Sie bedenkt aber nicht, daß hinter ihnen andere Leute<br />
stehen, welche die eigentlichen Urheber der Teuerungspreise <strong>und</strong> damit der proletarischen<br />
Leiden sind. Das kann ihr klar werden, wenn sie ihre Scheu vor der<br />
Politik überwindet <strong>und</strong> ihr Augenmerk auf die Vorgänge richtet, die sich gerade<br />
jetzt im deutschen Reichstag abspielen.” 1268<br />
Politische Frauenbildung musste praxisnah vermittelt werden, aber ein gänzlicher Verzicht auf<br />
Theorie war ausgeschlossen. Zetkin <strong>und</strong> alle anderen orthodox-marxistischen Sozialdemo-<br />
kratInnen sprachen sich gegen die<br />
„Abrichtung der Proletarier zu theoretisch ungeschulten, von den gelehrten Akademikern<br />
geleithammelten Werkzeugen, gegen ihre Beraubung um das Teuerste <strong>und</strong><br />
Unentbehrlichste, nämlich die volle Einsicht in die historischen Bedingungen der<br />
eigenen Klassenbefreiung, also den wissenschaftlichen Sozialismus“ 1269<br />
aus. Zetkin wollte theoretisch geschulte KlassenkämpferInnen, keine Marionetten, die sich für<br />
jede, nur nicht für die „richtige“ Theorie einspannen lassen würden. Im Gr<strong>und</strong>e wären sie dann<br />
von ihrer Führung genauso ausgenutzt, bevorm<strong>und</strong>et <strong>und</strong> in Unkenntnis belassen wie von den<br />
Kräften der bürgerlichen Gesellschaft.<br />
Eine Möglichkeit der klassenkämpferischen Schulung <strong>und</strong> der Übernahme von Verantwortung<br />
war das mit einer Erwerbstätigkeit möglichst verknüpfte Engagement in einer Gewerkschaft. Die<br />
Identifikation über die Gruppe der Arbeitskolleginnen, über den Beruf <strong>und</strong> die gewerkschaftliche<br />
Organisation, sollte aus der diskriminierten „Sklavin“ eine organisierte Kämpferin gegen den<br />
„Sklaventreiber“ machen. Jede einzelne Kämpferin machte die gewaltige Macht der Gewerkschaft<br />
aus, jede einzelne war wichtig. Die Arbeiterin war nicht nur „ein Rädchen im sausenden Getriebe<br />
des Wirthschaftslebens […][, sondern] ein lebendiges, fühlendes, denkendes, wollendes Wesen“<br />
1270 .<br />
Die gewerkschaftliche Organisation unterlag aber genauso wie die rein politischen Frauenorgani-<br />
sationen den Widrigkeiten des <strong>weiblichen</strong> Alltags. Die „Gleichheit“ rief im folgenden Artikel zu<br />
1268 Billiges Brot! In: GL 19/ 21/ 19.07.1909/ 326.<br />
1269 Der Parteitag in Nürnberg. In: GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 181. Erstaunlich, dass gerade sie die „Theoriekluft“<br />
zwischen Basis <strong>und</strong> Führung anprangerte, war sie es doch, die ihre Machtposition vornehmlich durch diese Kluft<br />
ausbauen konnte. Vielleicht ging es Zetkin aber eben nicht um ihre persönliche Profilierung. Vielleicht wollte sie<br />
vielmehr die gleichberechtigte theoretische Bildung aller, wobei sie die zwangsläufig aufkommende Konkurrenz<br />
in Kauf genommen hätte.<br />
1270 An Alle, die es angeht. In: GL, 12/ 21/ 08.10.1902/ 164.<br />
490
Verständnis <strong>und</strong> Beseitigung dieser Widrigkeiten auf:<br />
4.4.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER „KLASSENKÄMPFERIN“<br />
„In der Hauptsache sind sie [die Organisierungsschwierigkeiten, M.S.] unmittelbar<br />
oder mittelbar in dem Weibsein der Arbeiterin begründet. Weil die Arbeiterin ein<br />
Weib ist, so treten Tendenzen in Erscheinung, welche in der Richtung wirken,<br />
organisationsunfähig <strong>und</strong> organisationsunlustig zu machen. <strong>Von</strong> der niedrigen Entlohnung<br />
der Arbeiterinnen, ihrem zwiefachen Pflichtenkreise in der Fabrik <strong>und</strong> in<br />
der Familie gilt das Erstere. Die Organisationsunlust der erwerbsthätigen Frauen<br />
<strong>und</strong> Mädchen aber wird durch zahlreiche andere Umstände bedingt. Durch den<br />
Hinblick auf die Familie, ihre Anforderungen <strong>und</strong> ihre eng erfaßten Interessen; die<br />
Hoffnung, in ihr den Unterhalt zu finden <strong>und</strong> in Verbindung mit dieser Erwartung<br />
die Werthung der Berufsarbeit als eines zeitweiligen Nothbehelfs; die Milderung<br />
der Folgen der Arbeitslosigkeit durch die Familie; das Betreiben der Erwerbsarbeit<br />
als Zwischen- <strong>und</strong> Nebenwerk; die unterbürtige Stellung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts;<br />
seine Bedürfnislosigkeit <strong>und</strong> Fügsamkeit; die Rückständigkeit seiner<br />
sozialen Einsicht; das mangelnde Interesse für die Allgemeinheit; das unterentwickelte<br />
Solidaritätsgefühl etc. etc. […].” 1271 [Hervorhebung von M.S.]<br />
Die Autorin – wahrscheinlich Zetkin – diagnostizierte schon hier präzise die Probleme weiblicher<br />
Organisation. Jedoch erscheinen ihr die Lebensumstände der Proletarierinnen <strong>und</strong> die weibliche<br />
Psyche lediglich als störender „Stolperstein“ der klassenkämpferischen Ausbildung – Rück-<br />
schlüsse auf die Sozialisationsbedingtheit dieser Eigenarten zog sie nicht. Sie schloss sich damit –<br />
enttäuscht, aber wohl unbeabsichtigt – den Vorurteilen der bürgerlichen Frauenemanzipations-<br />
gegner an, die den Frauen eben mit Hinweis auf diese „Mängel“ ihre Rechte verweigerten.<br />
Eine weitere Möglichkeit, Proletarierinnen auch schon vor 1908 politisch zu bilden, klassen-<br />
kämpferisch zu schulen <strong>und</strong> sie Verantwortung übernehmen zu lassen, waren die Wahlhilfe-<br />
gruppen. Zetkin beschrieb die Atmosphäre im Vorfeld von Wahlen, an denen Frauen nur auf diese<br />
eine Weise Anteil haben durften:<br />
„Zu den Wahlversammlungen drängen sich die Frauen. Die blasse, von später<br />
Arbeit übernächtigte Näherin, die noch schüchterne Fabriklerin, die abgespannte<br />
Verkäuferin, die dürftige Arbeiterfrau, welche ihre Wirtschaft <strong>und</strong> ein Häuflein<br />
Kinder versorgen, ‘nebenbei’ aber noch für den Erwerb arbeiten muß, sie alle, die<br />
tagaus, tagein schuften <strong>und</strong> schanzen, ohne mehr als das trockene Brot zu verdienen,<br />
sie stellen sich ein. Mit blitzenden Augen, Begeisterung auf den<br />
verhärmten Zügen, fast andächtig lauschen sie den Ausführungen der sozialdemokratischen<br />
Redner. Hier <strong>und</strong> da ergreifen Frauen das Wort […] Sie sind aber auch<br />
Täter des Wortes <strong>und</strong> nicht Hörer allein. Wo <strong>und</strong> wie sie können, helfen sie den<br />
Genossen bei den praktischen Wahlarbeiten. Frauen, die bis tief in die Nacht hinein<br />
geschafft haben, stehen am frühen Morgen in Reih <strong>und</strong> Glied, um bei der Verteilung<br />
von Flugblättern, Agitationsschriften, Programmen behilflich zu sein.<br />
Keine Treppe zu hoch, keine Gasse zu abgelegen, kein Weg zu weit <strong>und</strong> ermüdend!<br />
Es gilt ja, die Bewohner der höchsten Stockwerke, der entlegensten Winkel aufzu-<br />
1271 Zur Frage der gewerkschaftlichen Agitation unter den Arbeiterinnen. I. In: GL, 12/ 07/ 26.03.1902/ 49.<br />
491
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
klären <strong>und</strong> zu gewinnen.“ 1272<br />
Frauen leisteten in diesen Wahlhilfegruppen <strong>und</strong> Wahlvereinen wertvolle „Parteikleinarbeit“ <strong>und</strong><br />
dies wurde als für die Proletarierinnen sehr lehrreich erachtet:<br />
„Das Wahljahr wird ihnen ein gutes Schuljahr, <strong>und</strong> ihre Mitarbeit wird den Genossen<br />
besonders in diesem Jahre sehr willkommen sein. Bei den übrigen Arbeiten,<br />
wie Flugblattverbreitung, Agitation etc., haben schon immer eine Anzahl Genossinnen<br />
wacker mitgeholfen, <strong>und</strong> in jeder Versammlung fordern wir zur weiteren<br />
Beteiligung der Frauen an solchen Arbeiten auf. Dadurch fördern wir unsere große<br />
gemeinsame Sache ungemein, <strong>und</strong> unsere Genossinnen gewinnen in geistiger <strong>und</strong><br />
politischer Hinsicht.” 1273<br />
Der Gedanke an die gemeinsame Sache <strong>und</strong> die Möglichkeit überhaupt für die Partei aktiv zu<br />
werden, scheint hier jedem persönlichen Ehrgeiz übergeordnet gewesen zu sein. Allerdings ist<br />
fraglich, ob mittels solcher kleinen Hilfsarbeiten wirklich das inhaltliche Verständnis für den Sozi-<br />
alismus gefördert oder nur ein „sittlicher“ Beitrag zur Lernmoral der Proletarierinnen geleistet<br />
wurde.<br />
Bedeutete „Klassenkampf“ in erster Linie nicht „Kampf“, der zum Teil mit illegalen, zum Teil<br />
auch mit gewaltsamen Mitteln geführt werden sollte?!<br />
Viele andere Male rief die „Gleichheit“ deshalb nicht nur zur stillen Mitarbeit in einem System<br />
auf, das der Sozialismus eigentlich zu vernichten bestrebt war. Sie schürte vielmehr die Kampfes-<br />
lust der Proletarierinnen als „sozial Enterbte“ 1274 <strong>und</strong> als „Paria“ der deutschen Klassengesell-<br />
schaft. Sie schürte damit ein Aufbegehren, welches notwendigerweise oft am Rande der geltenden<br />
Gesetzlichkeit liegen musste.<br />
Denn es war nicht unbedingt „stille[s] weibliche[s] Heldentum“ 1275 , das eine Frau zur sozialis-<br />
tischen Klassenkämpferin machte. Vielmehr musste eine streitbare sozialistische Kämpferin auch<br />
über eine gewisse Radikalität verfügen:<br />
„Die politisch aufgeklärte Proletarierin ist nicht länger ein willenloses, kapitalistenfrommes<br />
Ausbeutungsobjekt, sie nimmt Theil am Kampfe ihrer Klasse, sie ist eine<br />
Todfeindin der Bourgeoisie.“ 1276<br />
Besonders die revolutionäre Bewegung in Russland der 1870er Jahre war Zetkin ein Beispiel<br />
dafür, wie eine „rein idealistische, friedliche Propagandabewegung“ 1277 durch die ihr zugefügte<br />
Gewalt, die Verfolgungen <strong>und</strong> Verbannungen, radikalisiert wurde. Für Zetkin war klar: Der<br />
1272 Die deutschen Genossinnen im Wahlkampf. In: GL, 03/ 15/ 26.07.1893/ 118-120, S. 119.<br />
1273 Zietz, Luise: Frauen in Vertrauensposten der sozialdemokratischen Wahlvereine Hamburgs. In: GL, 13/ 06/<br />
11.03.1903/ 45.<br />
1274 Dem Kampfe entgegen! Der Freiheit entgegen! In: GL, 10/ 01/ 03.01.1900/ 2.<br />
1275 Natalie Liebknecht. In: GL, 19/ 10/ 15.02.1909/ 152.<br />
1276 Die deutschen Genossinnen im Wahlkampf. In: GL, 03/ 15/ 26. 07.1893/ 120.<br />
1277 Sophie Perowskaja. In: GL, 02/ 21/ 19.10.1892/ 175.<br />
492
4.4.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER „KLASSENKÄMPFERIN“<br />
„weiße Schrecken“ provozierte den „rothen Schrecken“ 1278 . Doch trotz jedes Verständnisses lehnte<br />
die deutsche Sozialdemokratie prinzipiell den Terror, der sich im Falle der russischen Bewegung<br />
vor allem gegen die Personen des Zaren <strong>und</strong> hochrangige Beamte richtete, als Kampfmethode ab.<br />
Dies, wie Kautsky bzw. Kähler schrieb,<br />
„[n]icht aus moralischen Gründen heraus, sondern aus geschichtlicher Erkenntnis<br />
[…] Die vereinzelte Tat gegen einzelne Personen wird niemals imstande sein, ein<br />
ganzes System zu ändern – das vermag nur der feste, planmäßig organisierte<br />
Kampf der Massen.“ 1279<br />
Auch wenn die Autorin den Terror ablehnte, begriff sie ihn doch als historisch gewachsen, denn es<br />
sei eine „[h]istorische Tatsache […], daß jede reaktionäre Periode aufs neue terroristische Taten<br />
zeitigt nach der alten Regel, daß Druck Gegendruck erzeugt“ 1280 <strong>und</strong> die Sozialdemokratie dürfe<br />
an den Attentaten „nicht achtlos oder gleichgültig vorübergehen“ 1281.<br />
Zetkin machte es sich besonders in den ersten Jahren der „Gleichheit“ zur Aufgabe, ihren<br />
Leserinnen die Lebensbilder russischer Terroristinnen bzw. Revolutionärinnen vorzustellen. Es<br />
waren ihrer Meinung nach herausragende Frauen in einer herausragenden Bewegung, die „zu den<br />
glänzendsten Ruhmesblättern in der Geschichte des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts“ gehörten. Andere<br />
Freiheitskämpfe in der Geschichte würden nicht so viele Frauen in den vordersten Reihen der<br />
Kämpfer aufweisen – Frauen, die<br />
„im Dienste ihrer Ideale eine Kühnheit des Geistes, eine Kraft des Willens, eine<br />
Reinheit der Gesinnung <strong>und</strong> Größe der Opferfreudigkeit bewiesen, die sie als<br />
Ebenbürtige neben die mutvollsten Helden des Altertums, die selbstverleugnendsten<br />
Märtyrer der christlichen Religion stellen“ 1282<br />
Der Begriff von der „Reinheit der Gesinnung“ verweist auf den Grad der wissenschaftlichen<br />
Aufgeklärtheit einer idealen Klassenkämpferin, der der „Opferfreudigkeit“ <strong>und</strong> des „selbst-<br />
verleugnenden Märtyrertums“ u. a. auf ihre körperlichen Leiden <strong>und</strong> mythische Überhöhung.<br />
Den größten Beifall, so stimme ich Gomard zu, erhielten in der „Gleichheit“ nicht diejenigen<br />
Frauen, die sich emotional, von einem Gefühlssozialismus geleitet der politischen Sache ver-<br />
schrieben, sondern die aufgeklärten Anhängerinnen des wissenschaftlichen Sozialismus. 1283 Es war<br />
Zetkin auch an einem seriösen Bild nach innen <strong>und</strong> außen gelegen, wenn sie die bürgerlichen<br />
1278 Ebd.<br />
1279 [Kautsky, Luise? oder Kähler, Luise?] L. K.: Zwei Märtyrerinnen im russischen Freiheitskampf. In: GL, 18/ 04/<br />
17.02.1908/ 30.<br />
1280 Ebd.<br />
1281 Ebd.<br />
1282 Maria Lwowna Berditschewskaja. In: GL, 15/ 05/ 08.03.1905/ 25.<br />
1283 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 30.<br />
493
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Propagandabilder von der „sozialrevolutionäre[n] Kämpferin“ 1284 als „‘entmenschte[…] Furie’“ 1285<br />
oder „rasende[…] ‘Petroleuse’“ 1286 zu entkräften suchte. Grubitzsch spricht im Zusammenhang<br />
mit solchen diffamierenden Propagandabildern von der „Pathlogie der revolutionären Frau“ 1287 .<br />
Nicht selten seien Frauen schlicht zu Geisteskranken erklärt worden, wenn sie in ihrer Radikalität<br />
Grenzen überschritten. 1288 Die „Verrücktheit“ lag jedoch nur darin, dass diese Frauen Normen<br />
„verrückt“ oder ignoriert hatten. Mit dem Argument, dass revolutionäre Frauen schlichtweg<br />
geisteskrank seien, hatte man jedoch zusätzlich die Möglichkeit, ihre Kämpfe ins Lächerliche zu<br />
ziehen – ohnehin ein sehr beliebtes Mittel der Diffamierung:<br />
„Wo es nicht gelingt, Frauen als minderwertig <strong>und</strong> infantil erscheinen zu lassen,<br />
tritt die andere Variante des Frauenhasses auf: Frauen werden als Mannweiber abgestempelt,<br />
die irgendwie verrückt sein müssen, weil sie die ihnen gesellschaftlich<br />
zugedachte Rolle nicht zu spielen gedenken.“ 1289<br />
Umso mehr war für die moderne Klassenkämpferin der wissenschaftliche Sozialismus ein<br />
genauso schlagkräftiges Argument wie der Kampf. In der Berufung auf ihn lag sowohl Hoffnung<br />
als auch Gewissheit.<br />
Zetkin beschrieb in ihrer kritischen Zusammenfassung des Nürnberger Parteitages zwei in der<br />
Partei herrschende Auffassungen vom proletarischen Klassenkampf:<br />
Erstens den „Standpunkt des unerbittlichen, schroffen Klassenkampfes, dem das sozialistische Zu-<br />
kunftsideal, das Endziel als Leitstern in allem Tun voranleuchtet“ 1290 . Zweitens den<br />
„Standpunkt des unbewußten Kompromisses mit der bestehenden Ordnung, dem<br />
ein ebenso unbewußter Skeptizismus in bezug auf das sozialistische Endziel zugr<strong>und</strong>e<br />
liegt <strong>und</strong> gleichzeitig damit eine Überschätzung der auf dem Boden des<br />
Bestehenden erreichbaren Reformen <strong>und</strong> Besserungen“ 1291 .<br />
In dieser kurzen Skizzierung spiegeln sich die beiden Linien der orthodoxen Marxisten <strong>und</strong> der<br />
Revisionisten wider. Zetkin schrieb jedoch nicht einzelnen Personen eine Schuld am partei-<br />
zersplitternden Ideenkampf zu – obwohl sie schon an einzelnen Personen wie Eduard Bernstein<br />
(1850-1932) für den Revisionismus oder Karl Kautsky (1854-1938) als seinem revolutionären<br />
1284 Louise Michel. In: GL, 03/ 06/ 22.03.1893/ 44.<br />
1285 Ebd.<br />
1286 Ebd. Zu den Rollenklischees weiblicher Kombatanten siehe: Theweleit, Männerphantasien.<br />
1287 Grubitzsch, Ein steiniger Weg, S. 21.<br />
1288 Ebd., S. 20. Grubitzsch, die in ihrer Studie eigene leidvolle Erfahrungen aus der aktuellen Politik mitteilt, verweist<br />
hier auf die vermeintlich „pathologischen Fälle“ Wabnitz <strong>und</strong> Michel, der man nachsagte, sie sei nach dem Tod<br />
ihrer Mutter „wahnsinnig“ geworden. Im „Fall“ Wabnitz ließ auch Zetkin in ihrem Nachruf die psychologische<br />
Komponente nicht außer Acht.<br />
1289 Ebd., S. 23.<br />
1290 Der Parteitag in Nürnberg. In: GL, 18/ 20/ 28.09.1908/ 181.<br />
1291 Ebd.<br />
494
4.4.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER „KLASSENKÄMPFERIN“<br />
Kontrahenten festzumachen waren – sie charakterisierte vielmehr den Revisionismus als ein<br />
„unvermeidliches, historisch bedingtes, deshalb auch völlig normales Ergebnis“ 1292 des Partei-<br />
wachstums. Der damit verb<strong>und</strong>ene Zulauf aus dem Kleinbürgertum ließe es manchen pragmatisch<br />
denkenden SozialistInnen einfach ratsamer <strong>und</strong> erfolgversprechender erscheinen, mit den Bürger-<br />
lichen zu paktieren – auch wenn dies wider alle klassenkämpferischen Prinzipien war. 1293 Für<br />
Zetkin war der Revisionismus also schlicht ein Element des „historischen Materialismus“, eine<br />
Unvermeidbarkeit oder wie Staude es ausdrückt:<br />
„Sie betrachtete Reformen <strong>und</strong> die soziale Revolution nicht als Gegensätze in der<br />
Strategie <strong>und</strong> Taktik des Kampfes der revolutionären Arbeiterbewegung gegen das<br />
kapitalistische System. Für sie waren Reform <strong>und</strong> Revolution zwei Seiten in der<br />
Entwicklung der Klassengesellschaft, die wechselseitig miteinander verb<strong>und</strong>en<br />
sind, sich gegenseitig bedingen <strong>und</strong> einander ergänzen. In diesem Prozeß ist die<br />
soziale Revolution Geburtshelfer der neuen Gesellschaftsordnung; der Reform<br />
kommt dabei vorbereitende Funktion zu.“ 1294<br />
Es ist allerdings später zu beobachten, dass Zetkin, je mehr die revisionistische Position in der<br />
Partei vorherrschend wird, desto unerbittlicher gegen sie agitierte. Mit Zuspitzung des Positions-<br />
kampfes stand die „Gleichheit“ klar im Lager der MarxistInnen. Sie wurde, so Staude, nach 1907<br />
zu einem „Organ der deutschen Linken“ 1295 <strong>und</strong> sollte bis 1917 der „Sammelpunkt der revolutio-<br />
nären Marxisten in Deutschland“ 1296 bleiben. Dies vor allem, weil unter der Redaktion Zetkins<br />
FührerInnen des radikal-revolutionären Flügels wie Bebel, Mehring <strong>und</strong> Luxemburg in ihr<br />
publizierten. Auch Lenin, so Staude weiter, habe zu den „ständigen Lesern“ 1297 der „Gleichheit“<br />
gehört.<br />
Wenn allerdings die im vorhergehenden Kapitel dargelegte Niggemann‘sche Analyse, dass trotz<br />
dieser prominenten Unterstützung allein Zetkin das radikale Element innerhalb der proletarischen<br />
Frauenbewegung darstellte, zutrifft, dann war also zeitgleich mit ihrem Machtverlust, der ja wie<br />
das Erstarken des Revisionismus mit dem Parteiwachstum zusammenhing, die revisionistische<br />
Entwicklung der Frauenbewegung unaufhaltbar. Der Erste Weltkrieg sollte diesen Umstand<br />
offenbaren.<br />
Zetkin als die Verkörperung des „sozialistischen Gewissens“ innerhalb der proletarischen<br />
1292 Ebd.<br />
1293 Vgl. ebd.<br />
1294 Staude, Die Rolle der „Gleichheit“ im Kampf Clara Zetkins für die Emanzipation der Frau, S.436.<br />
1295 Ebd., S. 428.<br />
1296 Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. In acht Bänden hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim<br />
Zentralkomitee der SED, Bd. 1: <strong>Von</strong> den Anfängen der deutschen Arbeiterbewegung bis zum Ausgang des<br />
19. Jahrh<strong>und</strong>erts, Berlin: Dietz, 1966, S. 451. Siehe auch: Staude, Die Rolle der „Gleichheit“ im Kampf Clara<br />
Zetkins für die Emanzipation der Frau, S. 440.<br />
1297 Ebd., S. 434.<br />
495
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Frauenbewegung stellte seit Beginn des Krieges die Erziehung von Kriegsgegnerinnen in den<br />
Mittelpunkt ihrer Schulung 1298 <strong>und</strong> damit die „Gleichheit“ in eine parteivorstands- <strong>und</strong> gewerk-<br />
schaftsoppositionelle Linie. Ihr Handlungsspielraum war durch Pressezensur <strong>und</strong> unterdrückende<br />
Gesetzesmaßnahmen erheblich eingeschränkt. Leitartikel der „Gleichheit“ hatten dennoch die<br />
schmerzlich spürbaren Folgen des Krieges zum Thema, z. B. die Kriegerwitwen- <strong>und</strong> -waisenver-<br />
sicherung, die Arbeitslosigkeit (die nun eher kriegsunwichtige Zweige betraf), die Frauenarbeit,<br />
Teuerungen jeder Art, besonders im Bereich der Ernährung, <strong>und</strong> die Frauenbewegung im Ausland.<br />
Dies <strong>und</strong> die offen gegen den Parteivorstand eingenommene Haltung wurden von vielen nationa-<br />
listischen SPD- <strong>und</strong> Gewerkschaftsfrauen nicht gern gesehen. Doch die „Gleichheit“ blieb als<br />
Organ der Sozialistischen Fraueninternationale ihrer internationalen <strong>und</strong> somit auch radikalen<br />
Linie treu.<br />
„Denn weit davon entfernt, eine Abschwächung <strong>und</strong> Abstumpfung der sozialistischen<br />
Auffassung gesellschaftlicher Dinge zu lehren, predigt der Krieg mit gewaltiger<br />
Stimme die Notwendigkeit der klarsten Herausarbeitung, der größten<br />
Vertiefung der sozialistischen Auffassung, als der unerschütterlichen Gr<strong>und</strong>lage für<br />
die künftige Einheit des Erkennens, Wollens <strong>und</strong> Handelns.“ 1299<br />
Zetkin klagte die Haltung der Partei an, die in einem Moment des opportunistischen Kalküls alle<br />
Gr<strong>und</strong>sätze der sozialistischen Weltanschauung verraten hatte. Die Partei verfolgte lediglich die<br />
Taktik der Durchsetzung bürgerlicher Reformen. Zetkin ging dies nicht weit genug <strong>und</strong> sie for-<br />
derte, ihrer Radikalität <strong>und</strong> der Einheit von sozialistischem Denken <strong>und</strong> Handeln gemäß, den<br />
revolutionären Umsturz des Kapitalismus. Alle auf dem Boden des Sozialismus stehenden Klas-<br />
senkämpferInnen mussten diesen Krieg verdammen. Und wer diesen Krieg verdammte, musste<br />
letztendlich die Politik verdammen, die diesen Krieg zugelassen hatte.<br />
Die ges<strong>und</strong>heitlichen Opfer wurden einer <strong>Klassenkämpferinnen</strong> teils von sich selbst, teils von<br />
ihren Gegnern abverlangt. Die Beweggründe der Klassenkämpferin für ihre Teilnahme am Kampf<br />
waren, so Gomard,<br />
„die Fürsorge für die Schwachen, ihr Mitleid, aber dazu auch Wut <strong>und</strong> Desparation<br />
<strong>und</strong> die Hoffnung auf ein besseres Leben – alles im Begriff ‘proletarische Solidarität’<br />
zusammengefaßt“ 1300 .<br />
Die Solidarität der proletarischen Frauen wurde jedoch in der Zeit ihrer Illegalität auf besonders<br />
harte Proben gestellt. Und doch, so Braun 1897, habe vieles, was die proletarischen Frauen <strong>und</strong><br />
die proletarische Frauenbewegung auf der einen Seite hemmte, auf der anderen zu ihrer Förderung<br />
1298 Dafür standen ihre Leitartikel <strong>und</strong> die eigens ab Nr. 8 des 25. Jahrgangs eingerichtete Rubrik „Für den Frieden“.<br />
1299 Einladung zum Abonnement In: GL, 25/ 26/ 17.09.1915/ 173.<br />
1300 Gomard, Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität <strong>und</strong> Utopie, S. 42.<br />
496
4.4.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER „KLASSENKÄMPFERIN“<br />
beigetragen. Verfolgung stärke die Verfolgten, indem sie sie energischer <strong>und</strong> selbstloser mache. 1301<br />
Braun schrieb auf diese Weise dem illegalen Raum, in dem die Frauenorganisation sich bewegen<br />
musste, letztendlich einen positiven Aspekt zu, weil er das Solidaritätsgefühl stärkte.<br />
„Und der Mangel an äußeren Mitteln weckt die beste Kraft des Weibes: die Aufopferungsfähigkeit,<br />
sie macht aus zagenden, demüthigen Sklavinnen, stolze, selbstbewußte<br />
Frauen, die wissen, daß sie auf Niemanden, als auf sich selbst zu hoffen<br />
haben.“ 1302<br />
Mit der Zuschreibung großer Opferbereitschaft redete Braun einerseits den damaligen patriarcha-<br />
lischen Rollenmustern <strong>und</strong> Wesensvorstellungen der Frau das Wort, andererseits aber auch einer<br />
autonomen Entwicklung, die, übertragen auf die gesamte proletarische Frauenbewegung, die<br />
Verbindung mit der Sozialdemokratie in Frage stellte. Auch aus diesem Gr<strong>und</strong> dürfte die von den<br />
Genossinnen an ihrem Beitrag vorgenommene Kritik so heftig ausgefallen sein.<br />
Das Selbstbewusstsein einer Klassenkämpferin richtete sich nie gegen ihre Klassengenossen, war<br />
nie egoistisch. Es ist vielmehr festzustellen, dass das Selbstbewusstsein in Gestalt bedingungslo-<br />
ser Opferbereitschaft sogar über „Selbstlosigkeit […] bis zur vollständigen Selbstverleugnung“ 1303<br />
reichte.<br />
Zetkin selbst nahm in ihrer Arbeitswut keinerlei Rücksicht auf ihre Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> dabei auch<br />
schwere ges<strong>und</strong>heitliche Schäden in Kauf. Puschnerat erklärt diese Hingabe mit einer für Zetkin<br />
typischen „asketisch-protestantische[n] Haltung“ 1304 <strong>und</strong> als symptomatisch für ihre Eigenart der<br />
Instrumentalisierung <strong>und</strong> Funktionalisierung, die auch vor dem eigenen Körper nicht Halt<br />
gemacht habe. 1305 Andere WissenschaftlerInnen sehen in dieser Unermüdlichkeit Zetkins eine be-<br />
w<strong>und</strong>erungswürdige Opferbereitschaft <strong>und</strong> Selbstlosigkeit – Eigenschaften, die im sozialistischen<br />
Frauenleitbild der „Gleichheit“ hoch geschätzt wurden. Die Inkaufnahme von Schmerzen – kör-<br />
perlichen wie seelischen – rückte <strong>Klassenkämpferinnen</strong>, wie an Zetkins Aussage aufgezeigt, sogar<br />
auf den Rang von „Märtyrerinnen“. Diese <strong>und</strong> weitere biblische Metaphern unterstreichen zudem<br />
den dramatischen Duktus der „Gleichheit“ <strong>und</strong> die „Heilsbotschaft“ des Sozialismus. Gomard gibt<br />
als<br />
„Erklärung für das religiöse Pathos […], daß die Partei kein eigenes Pathos entwickelt<br />
hat, <strong>und</strong> deshalb ein vorhandenes Pathos umfunktioniert, das die<br />
Leserinnen schon aufgr<strong>und</strong> ihrer Sozialisation mit positiven Vorstellungen ver-<br />
1301 [Braun, Lily] Braun-Gizycki, Lily: Die nächsten Aufgaben der deutschen Arbeiterinnenbewegung. 07/ 06/<br />
17.03.1897/ 41.<br />
1302 Ebd., S. 41f.<br />
1303 Agnes Wabnitz. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 147.<br />
1304 Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 46.<br />
1305 Ebd.<br />
497
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
binden“ 1306 .<br />
Puschnerat sieht dieses Pathos mit einer Re-Mythologisierung einhergehen, die ihrer Meinung<br />
nach zu einem Zeitpunkt einsetzte, an dem die SPD erkannt habe, dass angesichts der nicht<br />
eintretenden Revolution sich das Primat der Wissenschaftlichkeit abgenutzt hatte. 1307 Tatsächlich<br />
aber gab es mythologische Anlehnungen in der „Gleichheit“ sowohl unter der vom wissenschaft-<br />
lichen Sozialismus geprägten Redaktion Zetkins als auch unter deren Nachfolgerinnen, die auf<br />
diese Weise die Kirchgängerinnen unter ihren Leserinnen anzusprechen versuchten.<br />
Historische Leitfiguren, die dem Ideal einer „sozialistischen Klassenkämpferin“ entsprochen<br />
hätten, konnte die „Gleichheit“ nur aus der jüngeren Geschichte entnehmen. Teils hätte es den<br />
Leserinnen noch wie Frau Bosse ergehen können, die bei der sozialdemokratischen Frauen-<br />
konferenz 1904 in Bremen während ihres Berichtes zum Organisationsstand erwähnte, dass sie<br />
selbst von Guillaume-Schack für die sozialistische Sache begeistert worden sei:<br />
„Durch sie kam ich zu der Ehre, hier eine Führerrolle zu spielen. Ich tat, was in<br />
meinen schwachen Kräften stand, es konnte nicht viel sein. Ich bin eine arme Proletarierin,<br />
hatte wenig Bildung <strong>und</strong> Wissen. Meine Dreistigkeit, mich öffentlich im<br />
Reden zu versuchen, war mein einziges Verdienst. Ich konnte nicht viel leisten.“ 1308<br />
Bosse erhöhte hier, indem sie die der Klassenkämpferin eigene Bescheidenheit pflegte, das Vor-<br />
bild einer der ersten Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung. Die bekannteste von allen,<br />
Clara Zetkin, wurde bereits zu Lebzeiten als Vorbild verehrt <strong>und</strong> wurde als solches auch in<br />
Gedichten gepriesen:<br />
„Gegen Junker, gegen Pfaffen / Schleuderst Du des Geistes Waffen, / Gegen<br />
schnöden Wucherzoll, / Der das Brot vertheuern soll / Stehst Du stolz auf Deiner<br />
Schanze / Als ein Weib mit Schwert <strong>und</strong> Lanze, / Als ein Vorbild für so Viele. /<br />
Auf! ihr Frauen, auf zum Ziele!“ 1309<br />
Zetkin war Leitfigur <strong>und</strong> – wie die nachfolgenden Biographien zeigen werden – in ihrer<br />
rücksichtslosen Selbstaufopferung für die politische Sache alles andere als allein. So wie sie<br />
fragten auch andere nicht was, sondern zu welchem Zweck etwas verlangt wurde. 1310<br />
In den nachfolgenden Biographien <strong>und</strong> Nachrufen werden in Person weiblicher Terroristinnen<br />
1306 Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 29.<br />
1307 Vgl. Puschnerat, Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 103.<br />
1308 Bosse im Bericht über die 3. sozialdemokratische Frauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages Bremen<br />
1904, S. 341.<br />
1309 GL, 11/ 25/ 04.12.1901/ 197. Der mit dieser Widmung versehene prachtvolle Blumenkorb hatte Zetkin nach einer<br />
Versammlung in Leipzig überreicht werden sollen, musste dann aber mit der Post gesandt werden (vgl. ebd.).<br />
1310 Vgl. Zetkin im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 173. Ursprünglich wandte sich Zetkin mit dieser<br />
Argumentation gegen die Art der von der bürgerlichen Frauenbewegung formulierten Forderungen. Doch wird<br />
hier auch eine Parallele zum Gedanken absoluter Opferbereitschaft deutlich.<br />
498
4.4.1 ZUM FRAUENLEITBILD DER „KLASSENKÄMPFERIN“<br />
Russlands, Funktionärinnen der SPD <strong>und</strong> internationaler sozialistischer Organisationen ideal-<br />
typische <strong>Klassenkämpferinnen</strong> vorgestellt werden. Sie stehen hauptsächlich für die besonderen<br />
Charakterstärken, die eine sozialistische Klassenkämpferin ausmachen. Aber einige der Frauen<br />
wurden hinsichtlich der „Reinheit ihrer Gesinnung“, welche nur durch das wissenschaftliche<br />
Studium des Sozialismus erlangt werden konnte, vor allem von Zetkin einer strengen Kritik unter-<br />
zogen. Manche von ihnen haben sich nicht über den „Gefühlssozialismus“, der sie zur<br />
Arbeiterbewegung brachte, oder über utopische Theorien hinaus entwickelt, andere gingen<br />
„falsche“ Wege, z. B. in Richtung Anarchismus oder bürgerliche Frauenbewegung. Eine Klassen-<br />
kämpferin jedoch musste „Hirn <strong>und</strong> Herz“ 1311 für die Sache des Sozialismus einsetzen.<br />
1311 Margarete Wengels zum 60. Geburtstag. In: GL, 26/ 13/ 17.03.1916/ 98-99, S. 98.<br />
499
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
4.4.2 Revolution oder Terror?! – Die <strong>Klassenkämpferinnen</strong> Russlands<br />
Die „bedeutendste“ 1312 unter den Frauen, die sich zuerst in der friedlichen Propagandaarbeit <strong>und</strong><br />
dann am Terrorismus beteiligten, war nach Zetkins Meinung Sophie Perowskaja (1853-1881) 1313 .<br />
Sie sei<br />
„[a]n Opfermuth, Pflichttreue, Hingabe <strong>und</strong> Begeisterung […] Schärfe <strong>und</strong> Weite<br />
des Blicks,[…] ruhiger Kaltblütigkeit, geistiger Spannkraft <strong>und</strong> eiserner Festigkeit<br />
des Willens“ 1314<br />
unübertroffen gewesen.<br />
Perowskaja wurde 1854 (nach anderen Angaben bereits 1853) in Sankt Petersburg als Tochter<br />
einer aristokratischen Familie geboren, die sehr unter dem despotischen Vater gelitten habe.<br />
Jedoch gelang es Perowskaja, ihrem Vater die Erlaubnis für ein Studium in einem Institut für<br />
höhere Töchter abzuringen. Auf diese Weise dem Elternhaus entflohen, lernte sie bald viele<br />
Studenten <strong>und</strong> Studentinnen kennen, die den sozialistischen Ideen anhingen <strong>und</strong> den „Zirkel der<br />
Tschaikowzi“ 1315 gründeten. Perowskaja, die die anderen durch die „unzähmbare Energie ihres<br />
Willens“ 1316 einerseits <strong>und</strong> durch ihre Fähigkeit, „ein Ereigniß leidenschaftslos, ohne Vorurtheil<br />
<strong>und</strong> trügerische Illusion“ 1317 allseitig zu betrachten andererseits weit überragte, wurde führendes<br />
Mitglied dieses Zirkels. Nach ihrer Ausbildung zur Lehrerin agitierte sie unter der bäuerlichen<br />
Bevölkerung <strong>und</strong> wurde von dieser wegen „ihres Ernstes <strong>und</strong> ihrer Einfachheit“ 1318 sehr gut<br />
aufgenommen – laut Zetkin sogar geliebt.<br />
Perowskaja kehrte nach Sankt Petersburg zurück, um dort verschiedene revolutionäre Gruppen<br />
<strong>und</strong> geheime Druckereien zu gründen. 1873 wurde sie jedoch verhaftet. Nach einem Jahr<br />
Untersuchungshaft kam sie auf Kaution frei, musste aber die Stadt verlassen. Allerdings nutzte sie<br />
die drei Jahre, die sie notgedrungen in der Provinz verbringen musste, um eine chirurgische<br />
Ausbildung zu absolvieren. Schließlich kehrte sie als Krankenpflegerin <strong>und</strong> W<strong>und</strong>ärztin wieder<br />
nach Sankt Petersburg zurück. Erneut verhaftet, stand Perowskaja im so genannten „Prozess der<br />
193“ vor Gericht. Sie wurde freigesprochen, sollte aber trotzdem unter Bewachung gestellt<br />
werden. Es gelang ihr, dieser zu entkommen <strong>und</strong> sich erneut einer politischen Gruppe, der<br />
1312 Sophie Perowskaja. In: GL, 02/ 21/ 19.10.1892/ 175.<br />
1313 Der vollständige Name Perowskajas lautet: Sophie Lwowna Perowskaja.<br />
1314 Ebd. Der 1871 entstandene Zirkel benannte sich nach einem seiner Mitbegründer, N.W. Tschaikowski (vgl. Figner,<br />
Nacht über Russland, S. 505).<br />
1315 Sophie Perowskaja. In: GL, 02/ 21/ 19.10.1892/ 175.<br />
1316 Ebd., S. 176.<br />
1317 Ebd.<br />
1318 Ebd.<br />
500
4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS<br />
„Semlja i Wolja“ („Land <strong>und</strong> Freiheit“) anzuschließen. Diese Gruppe gab eine illegale Zeitschrift<br />
heraus <strong>und</strong> befreite außerdem politische Gefangene aus ihren Gefängnissen. Auch Perowskaja<br />
verkleidete sich als Kammerfrau oder Dienstmädchen, um unbemerkt in die Gefängnisgebäude zu<br />
gelangen.<br />
Die Gruppe spaltete sich 1879 <strong>und</strong> Perowskaja wurde Mitglied der terroristischen Gruppe<br />
„Narodnaja Wolja“ („Volkswillen“). Hier war sie als „die Seele des revolutionären Exekutiv-<br />
komités“ 1319 sowohl an der Planung der terroristischen Unternehmungen als auch an ihrer Durch-<br />
führung beteiligt. Weil sie aber immer stärker ins Blickfeld der Behörden geriet, wollten ihre<br />
Genossen sie ins Ausland bringen. Perowskaja weigerte sich jedoch hartnäckig: Sie wollte „lieber<br />
in Rußland gehangen werden, als im Auslande unthätig dahinleben“ 1320 . Angesichts dieser heiklen<br />
Situation war es umso kaltblütiger, dass ausgerechnet sie das Häuschen mietete, in dem die Mine<br />
für ein Attentat auf den Zug des Zaren hergestellt werden sollte. Auch an dem Attentat, bei dem<br />
Zar Alexander II. am 13. März 1881 ermordet wurde, war Perowskaja maßgeblich beteiligt.<br />
Anstatt jedoch nach diesem gelungenen Attentat die Stadt zu verlassen, wollte sie bei ihrem<br />
inhaftierten Lebensgefährten Andrej Iwanowitsch Sheljaboff bleiben, womit ihre Verhaftung <strong>und</strong><br />
ihr Todesurteil nur eine Frage der Zeit wurde.<br />
Perowskaja sei „muthig, wie eine Heldin“ 1321 gestorben, habe weder Angst gezeigt noch Effekt-<br />
hascherei betrieben. Sie war für Zetkin ein herausragendes Vorbild, aber eines, dem schwer<br />
nachzustreben sei.<br />
„Alles in Allem ist es nicht[sic!] leichter, zu sterben, wie sie starb, als zu leben, zu<br />
handeln, wie sie gelebt <strong>und</strong> gewirkt.“ 1322<br />
Nach all den Beschreibungen jener heldenhaften Frau ist es also nicht ihr Märtyrerinnentod, den<br />
Zetkin von ihren Leserinnen verehrt <strong>und</strong> nachgeahmt wissen wollte, sondern das „selbstver-<br />
leugnende Wirken“ 1323 für eine Sache – für den Sozialismus.<br />
In demselben Alter wie Perowskaja <strong>und</strong> wie sie eine der „selbstlosesten <strong>und</strong> bedeutendsten“ 1324<br />
Frauen der revolutionären Bewegung Russlands war Sophie Bardina (1853-1880/1883?).<br />
1319 Ebd.<br />
1320 Ebd.<br />
1321 Ebd.<br />
1322 Ebd. Hier liegt m. E. ein Druck- oder Gedankenfehler vor, da es Zetkins Ansinnen gewesen sein muss, Perowskajas<br />
Schaffen für den Sozialismus positiv hervorzuheben.<br />
1323 Ebd.<br />
1324 Issajew, A.: Sophie Bardina. In: GL, 02/ 16/ 10.08.1892/ 135.<br />
501
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Bardina, so erfährt man aus dem von A. Issajew (?-?) 1325 verfassten zweiteiligen Artikel, genoss<br />
als Tochter des Polizeikommissars der Stadt Morschwask eine gute Schulbildung <strong>und</strong> absolvierte<br />
das Gymnasium mit Auszeichnung. Ihr Vater sei zwar ein ehrlicher Beamter gewesen, aber außer-<br />
dem auch ein Familiendespot, der seine „herzensgute, milde Frau“ 1326 in einer ständigen Angst<br />
gehalten habe.<br />
1871 studierte Bardina in Moskau, wo sie sich einer revolutionären StudentInnengruppe an-<br />
schloss. Ihre Mitglieder beschäftigten sich, um der revolutionären Sache noch besser nützen zu<br />
können, neben ihrem Fachstudium zusätzlich mit Naturwissenschaften, Nationalökonomie <strong>und</strong><br />
Geschichte. Viele gingen ins Ausland, bevorzugt nach Zürich, um dort freier als in Russland in so<br />
genannten „Zirkeln für Selbstbildung“ vor allem Sozialwissenschaften zu studieren. 1327 Auch<br />
Bardina ging nach Zürich <strong>und</strong> gründete gemeinsam mit anderen jungen Frauen im Alter von 17<br />
bis 18 Jahren einen solchen Zirkel. Als Älteste <strong>und</strong> Belesenste unter ihnen war Bardina die trei-<br />
bende Kraft <strong>und</strong> sie besaß darüber hinaus einen ausgezeichneten Charakter, viel Humor <strong>und</strong> die<br />
Fähigkeit, ihre ZuhörerInnen zu bezaubern. <strong>Von</strong> ihren sehr gefühlsseligen Gefährtinnen hob sie<br />
sich zusätzlich durch einen, so Issajew, „klare[n], scharfblickende[n], ja satirische[n] Geist“ 1328 ab.<br />
Ihr sei<br />
„jede Uebertreibung zuwider [gewesen], kritisch prüfte sie sich selbst, ihre<br />
Fre<strong>und</strong>e, die Verhältnisse; das Idealisieren, die Illusionen erachtete sie als<br />
gefährlich für das Ziel, dem sie alle zustrebten“ 1329 .<br />
Dieses Ziel hatte Bardina auch vor Augen, als sie ein Medizinstudium begann, denn für die<br />
agitatorische Tätigkeit im Volk war der Arztberuf besonders vorteilhaft. Da jedoch eine Agitation<br />
„ohne gründliche Berufsbildung <strong>und</strong> reiches sozialpolitisches Wissen, sowie theoretische Klar-<br />
heit“ 1330 wenig Erfolg haben würde, studierte sie zusätzlich die Sozialwissenschaften.<br />
1873 untersagte die russische Regierung – aufgeschreckt durch die zunehmende Radikalisierung<br />
der im Ausland studierenden Jugend – russischen StudentInnen das Studium an der Züricher Uni-<br />
versität. Während daraufhin viele ihrer Kameradinnen in die Heimat zurückgingen, versuchte<br />
Bardina erfolglos, an der Pariser Universität angenommen zu werden. Sie ging nach Genf, wo sie<br />
sich zur Hebamme ausbilden ließ – ein von russischen Revolutionärinnen häufig ergriffener<br />
1325 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu A.<br />
Issajew.<br />
1326 Ebd.<br />
1327 Vgl. ebd.<br />
1328 Ebd.<br />
1329 Ebd.<br />
1330 Ebd.<br />
502
4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS<br />
Beruf, der die Fühlung mit dem Volk <strong>und</strong> die Agitation unter ihm erleichterte. 1331<br />
Bardina kehrte nach Moskau zurück, wo sich 1874 ihr alter Zirkel mit einem anderen zusammen-<br />
schloss <strong>und</strong> eine geheime Gesellschaft gründete, deren Zweck die sozialistische Agitation sein<br />
sollte. Die politische Situation in der Heimat habe, so Issajew, aus „ehemaligen Träumerinnen <strong>und</strong><br />
Idealistinnen […] standhafte <strong>und</strong> erfahrene Kämpferinnen“ 1332 gemacht. Sie gingen als Arbeite-<br />
rinnen in die Fabriken, um dort für die Gründung von Arbeiterorganisationen zu agitieren <strong>und</strong><br />
mussten nicht nur das schlechte Essen, das Ungeziefer <strong>und</strong> die harte Arbeit ertragen, sondern auch<br />
den dort herrschenden Antifeminismus:<br />
„Die Arbeiter waren es nicht gewöhnt, die Frauen als ebenbürtige menschliche<br />
Wesen zu behandeln, <strong>und</strong> auf jede ernste Aussprache der jungen Mädchen<br />
antworteten sie mit rohem Gelächter, mit schlechten Witzen, ja oft mit Zoten.“ 1333<br />
Bardina ließ sich jedoch laut Issajew von diesem Gehabe nicht abschrecken, sondern schlich sich<br />
nachts in den Schlafsaal der Männer, um ihnen aus revolutionären Schriften vorzulesen – die<br />
Tatsache, dass sie als Frau lesen konnte, hatte ihr den nötigen Respekt verschafft. Doch bei einer<br />
dieser nächtlichen Lesungen wurde sie von einem Aufseher ertappt <strong>und</strong> aus der Fabrik geworfen.<br />
Schließlich wurde sie denunziert, verhaftet <strong>und</strong> ins Gefängnis gebracht. Nach zwei Jahren Unter-<br />
suchungshaft wurde sie im so genannten „‘Prozeß der Fünfzig’“ 1334 der „gemeingefährliche[n]<br />
Bewegung“ 1335 angeklagt. Die Anklagevertreter setzten alles daran, die Angeklagten in möglichst<br />
schlechtem Licht darzustellen, doch das Gegenteil geschah:<br />
„In Betreff des Lebens, der Auffassung, der idealen Ziele der Angeklagten […]<br />
[gelangten] das Publikum sowie die Richter […] zu der Ansicht […]: das sind<br />
keine Barbaren <strong>und</strong> Mörder, das sind Helden <strong>und</strong> Märtyrer.“ 1336<br />
Besonders die Verteidigungsrede Bardinas, die von Issajew in großen Teilen zitiert wurde, habe<br />
alle Anwesenden sehr beeindruckt. Ihr Schlusswort an die Richter resümierte ihre Überzeugung<br />
von der Überlegenheit der neuen Weltanschauung:<br />
„‘Sie haben ja die materielle Macht, meine Herren! Aber wir besitzen für uns die<br />
sittliche Macht, die Macht des geschichtlichen Fortschritts, die Macht der Idee, <strong>und</strong><br />
Ideen – oh! – Ideen lassen sich nicht mit Bajonetten niederstechen!’“ 1337 [Im<br />
Original durch Sperrdruck hervorgehoben].<br />
Bardina wurde zu neun Jahren Zwangsarbeit verurteilt, was später zu lebenslanger sibirischer<br />
1331 Vgl. ebd., Fußnote.<br />
1332 Ebd., S. 136.<br />
1333 Ebd.<br />
1334 Issajew, A.: Sophie Bardina. In: GL, 02/ 17/ 24.08.1892/ 143.<br />
1335 Ebd.<br />
1336 Ebd.<br />
1337 Ebd., S. 144.<br />
503
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Verbannung umgewandelt wurde. Nicht die Schikanen ihrer Bewacher hätten sie 1880 zur Flucht<br />
bewegt, vielmehr die entsetzlich quälende Untätigkeit. Allerdings war ihre Ges<strong>und</strong>heit aufgr<strong>und</strong><br />
einer unheilbaren Blutarmut zu sehr geschwächt, um auf Dauer ein Leben in der Illegalität zu<br />
ertragen. Sie hielt sich in der Schweiz auf, als sie, so Issajew, „ihrem Charakter entsprechend“ 1338<br />
gedachte,<br />
„den Platz zu räumen, der für sie nicht mehr ein Arbeitsplatz, ein Kampfplatz sein<br />
konnte“ 1339 .<br />
Weil sie sich der „Sache“ so ergeben hatte,<br />
„daß sie nur für diese lebte <strong>und</strong> außerhalb derselben kein persönliches Glück, keine<br />
innere Befriedigung finden konnte“ 1340 ,<br />
wollte sie sich selber töten. Bei dem Versuch, sich zu erschießen, verfehlte sie sich aber zweimal,<br />
bevor dann die dritte Kugel sie nur schwer verw<strong>und</strong>ete. Noch 13 Tage musste sie sich im<br />
Todeskampf quälen, dann hatte die „edle Kämpferin für Volksfreiheit ausgelitten“ 1341 .<br />
Eine der wenigen russischen Revolutionärinnen, die nicht aus „gebildeten oder besitzenden<br />
Klassen“ 1342 stammte, war Jessa Helfmann (zw. 1852 u. 1855-1882) 1343 . Sie war laut Zetkin, die<br />
diesen Artikel verfasst haben dürfte,<br />
„eine Arbeiterin im vollen Sinne des Wortes, <strong>und</strong> zwar eine der opferfreudigsten<br />
<strong>und</strong> pflichttreuesten Arbeiterinnen, die je im Dienste der sozialistischen Idee<br />
gestanden“ 1344 .<br />
Helfmanns verfügte nur über eine geringe Bildung, was sich für Zetkin auch daraus erklärte, dass<br />
sie aus einer jüdischen Kleinbürgerfamilie stammte. Diese habe gegenüber jeder geistigen Bil-<br />
dung „einen mit Verachtung gepaarten Abscheu entgegen[ge]bracht[…]“ 1345 . Die Revolution ver-<br />
mochte Helfmann jedoch sogar in jener rückständigen Gegend, in der ihre Familie lebte, „mit<br />
unwiderstehlicher Kraft“ 1346 zu ergreifen. Sie verließ das Elternhaus, ging nach Kiew <strong>und</strong> arbeitete<br />
werktags als Näherin <strong>und</strong> Schneiderin. In den Abendst<strong>und</strong>en <strong>und</strong> an Feiertagen jedoch eignete sie<br />
sich gemeinsam mit revolutionären Studentinnen die elementarsten Kenntnisse über den Sozia-<br />
1338 Ebd.<br />
1339 Ebd.<br />
1340 Issajew, A.: Sophie Bardina. In: GL, 02/ 16/ 10.08.1892/ 135.<br />
1341 Issajew, A.: Sophie Bardina. In: GL, 02/ 17/ 24.08.1892/ 144.<br />
1342 Jessa Helfmann. In: GL, 02/ 03/ 08.02.1892/ 31.<br />
1343 Die Schreibweise von Helfmanns Namen variiert. Im Anhang zu Vera Figners Lebenserinnerungen „Nacht über<br />
Rußland“ wird sie als Hesja Mironowna Helfmann geführt (vgl. Figner, Nacht über Rußland, S. 490).<br />
1344 Jessa Helfmann. In: GL, 02/ 03/ 08.02.1892/ 31.<br />
1345 Ebd.<br />
1346 Ebd.<br />
504
4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS<br />
lismus an. Es war noch in jener Zeit, in der sie den Sozialismus „mehr instinktiv ahnte, als ver-<br />
standesmäßig begriff“ 1347 , als sie bereits das erste Mal verhaftet wurde. Wie Bardina wurde auch<br />
Helfmann im „Prozess der Fünfzig“ angeklagt. Der schlichte Tatbestand, dass unter ihrem Namen<br />
eine Deckadresse für propagandistische Korrespondenz angelegt worden war, führte zu ihrer Ver-<br />
urteilung wegen Verschwörung <strong>und</strong> zu einer Strafe von zwei Jahren Gefängnis. Doch im<br />
Gefängnis fand Helfmann in ihren Mitgefangenen viele geeignete Lehrerinnen für das Studium<br />
des Sozialismus. 1877 gelang ihr die Flucht <strong>und</strong> sie ging nach Sankt Petersburg, wo sie sich ter-<br />
roristisch agierenden RevolutionärInnen anschloss.<br />
Helfmann spielte im Gegensatz zu Perowskaja <strong>und</strong> Bardina keine führende Rolle in der<br />
Bewegung, aber<br />
„[s]ie übernahm die unscheinbarsten, <strong>und</strong>ankbarsten <strong>und</strong> dabei doch oft hoch<br />
gefährlichen Aufgaben <strong>und</strong> erfüllte sie mit ebenso viel Freude als peinlicher<br />
Gewissenhaftigkeit“ 1348 .<br />
Zu diesen Aufgaben gehörten u. a. die „Haushaltsführung“ für eine revolutionäre Gruppe, die in<br />
einer unterirdischen Druckerei arbeitete, Wachpostenstehen, Botengänge oder das st<strong>und</strong>enlange<br />
Verteilen von Agitationsschriften auf den Straßen Sankt Petersburgs.<br />
„Sie kannte kein Vergnügen, keine innere Genugthuung, als im Dienst ihrer Sache<br />
thätig zu sein; fröhlichen Muths trug sie alle Entbehrungen, mit nicht zu ermüdender<br />
Ausdauer <strong>und</strong> Zähigkeit unterzog sie sich allen Anstrengungen, voll<br />
Begeisterung setzte sie sich all’ den Gefahren aus, die mit ihrer Zugehörigkeit zur<br />
terroristischen Partei verb<strong>und</strong>en waren.“ 1349<br />
Es scheint, als habe Helfmann kein Privatleben, keine Familie gehabt, doch tatsächlich hatte<br />
Helfmann einen Ehemann – Nikolai Kolotkewitsch. Dieser dürfte jedoch vollstes Verständnis für<br />
ihre politische Tätigkeit gehabt haben, denn auch er selbst war Mitglied der terroristischen<br />
Gruppe. 1881 wurde Kolotkewitsch verhaftet <strong>und</strong> zum Tode verurteilt. Helfmann, die noch dazu<br />
schwanger war, versuchte ihre Trauer zu lindern, indem sie ohne Pause für die Revolution tätig<br />
war. Sie mietete die Wohnung an, in der die für Zar Alexander II. tödlichen Bomben hergestellt<br />
wurden. Bereits eine Woche nach dem gelungenen Attentat wurde Helfmann verhaftet. Die Todes-<br />
strafe schien ihr sicher, jedoch beschloss das Gericht, sie wegen der Schwangerschaft für vier<br />
Monate auszusetzen. Während dieser Zeit sei Helfmann gefoltert worden, aber standhaft ge-<br />
blieben. Weiteres war Zetkin über ihr Schicksal nicht bekannt. Einerseits heisse es, sie sei einige<br />
Wochen vor der Geburt des Kindes zu lebenslanger Haft „begnadigt“ worden. Andererseits gehe<br />
man davon aus, dass sie trotz dieser Begnadigung gehängt wurde. Zetkin hielt es dagegen für<br />
1347 Ebd.<br />
1348 Ebd.<br />
1349 Ebd.<br />
505
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
wahrscheinlicher, dass Helfmann bereits früh an den Folgen der Folter gestorben ist.<br />
Die Persönlichkeit Helfmanns hat ein besonderes Potential als Leitbildfigur:<br />
„In der Einfachheit, Schlichtheit <strong>und</strong> Bescheidenheit ihres Wesens <strong>und</strong> Wirkens ist<br />
sie ein reiner <strong>und</strong> ungemein anziehender Typus jener H<strong>und</strong>erte <strong>und</strong> Tausende von<br />
Helden <strong>und</strong> Heldinnen, deren Namen, sofern es ein Zufall nicht anders fügt, die<br />
Geschichte nicht in ihre Bücher verzeichnet, deren Thaten kein Dichter zu besingen<br />
pflegt.“ 1350<br />
Helfmann steht damit nicht für die theoretisch geschulten Revolutionärinnen <strong>und</strong> Agitatorinnen,<br />
sondern sie steht für jene namenlose Menge, deren<br />
„hausbacken erscheinende Alltagsarbeit […] unentbehrliche Vorbedingung für die<br />
Existenz <strong>und</strong> Entwicklung jeder sozialen Bewegung“ 1351<br />
ist. Und Helfmann steht für die totale Aufopferung:<br />
„Jedes Atom von körperlicher <strong>und</strong> geistiger Kraft, das sie besaß, jede Minute Zeit,<br />
über welche sie verfügte, gehörte einzig <strong>und</strong> allein der Partei, in deren Leben <strong>und</strong><br />
Thun ihr eigenes bescheidenes Ich vollständig aufging.“ 1352<br />
Helfmann scheint demnach der „Prototyp“ einer idealen Klassenkämpferin gewesen zu sein.<br />
Tragischerweise hatte sie den „Genossen ihrer Ideale“ jedoch früh verloren, <strong>und</strong> auch Mutter-<br />
schaft durfte sie nicht erleben. So war ihr nicht die Möglichkeit gegeben, auch jene Aspekte prole-<br />
tarischer Frauenleitbilder in einer „harmonischen Persönlichkeit“ zu vereinen.<br />
Marina Nikonorowna Polonsky (?-1898) war, so erfährt man aus ihrem Nachruf, wie Perowskaja<br />
eine führende Persönlichkeit der revolutionären Bewegung Russlands <strong>und</strong> wie diese Mitglied des<br />
Exekutivkomitees der Partei „Narodnaja Wolja“.<br />
Bereits als junges Mädchen habe sie auf alle Annehmlichkeiten eines bürgerlichen Lebens<br />
verzichtet, „um sich mit glühender Seele ganz der Sache des Volkes zu widmen“ 1353 . Dies tat sie<br />
als eifrige Agitatorin <strong>und</strong> Kurierin der terroristischen Partei. Monatelang war sie in einer ge-<br />
heimen Druckerei gleichsam lebendig begraben <strong>und</strong> immer wieder waren ihr „Spione <strong>und</strong><br />
Häscher auf den Fersen“ 1354 . Doch trotz all dieser Belastungen sei Polonsky glücklich gewesen,<br />
„glücklich in dem Bewußtsein, einer großen Sache zu dienen“ 1355 . Weil jedoch die Situation in<br />
Russland immer bedrohlicher wurde, drängten ihre Genossen sie 1882, ins Ausland zu gehen. 1356<br />
1350 Jessa Helfmann. In: GL, 02/ 03/ 08.02.1892/ 31-32.<br />
1351 Ebd., S. 32.<br />
1352 Ebd., S. 31.<br />
1353 Eine der besten russischen Vorkämpferinnen für die Befreiung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts <strong>und</strong> des arbeitenden<br />
Volkes … In: GL, 08/ 23/ 09.11.1898/ 182.<br />
1354 Ebd.<br />
1355 Ebd.<br />
1356 Vgl. ebd.<br />
506
4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS<br />
Der genaue Aufenthaltsort ging aus dem Nachruf nicht hervor, doch dürfte es sich um Paris<br />
gehandelt haben. Dort lebte Polonsky sehr zurückgezogen <strong>und</strong> erwarb sich ihren Lebensunterhalt<br />
vor allem „durch Uebersetzungen <strong>und</strong> andere literarische Tagelöhnerarbeiten“ 1357 . Auch wenn sie<br />
nun heimatlos war, setzte sie sich ungebrochen für ihre politische Überzeugung ein – bis zu ihrem<br />
Tode habe sie „[d]as Beste <strong>und</strong> Stärkste ihrer reichen Persönlichkeit“ 1358 für die Sache gegeben.<br />
Die Darstellung der revolutionären Ereignisse im Russland der 1870er <strong>und</strong> 1880er Jahre war für<br />
Zetkin besonders unter dem Gesichtspunkt weiblicher Teilhabe wichtig. Denn<br />
„[w]as die russische Sozialdemokratie geworden ist <strong>und</strong> geleistet hat, das ist seit<br />
dem ersten Tage ihrer Existenz auch mit Frauenwerk“ 1359 .<br />
Frauen waren unter den Revolutionären <strong>und</strong> Terroristen <strong>und</strong> damit auch unter den Toten zu finden.<br />
So verlor Maria Lwowna Berditschewskaja (?-1905) ihr erst 26 Jahre währendes Leben bei<br />
einem Aufstand am 22. Januar 1905, der als „Blutsonntag“ 1360 in die Geschichte einging. Für<br />
Berditschewskajas Charakterisierung als Klassenkämpferin entscheidend ist, dass sie, wie Zetkin<br />
betonte, nicht als ein „Zufallsopfer des mordgierigen Despotismus“ 1361 gefallen sei, „sondern als<br />
bewußte Kämpferin“ 1362 [Hervorhebung von M.S.].<br />
Diesem Bewusstsein ging eine Entwicklung voraus, die ausgelöst wurde durch den Suizid ihres<br />
älteren Bruders. Er hatte als „Narodnaja Wolja“-Mitglied 1885 an einem mißglückten Überfall<br />
teilgenommen <strong>und</strong> entzog sich durch Suizid seiner Verhaftung. Hatte Berditschewskaja anfangs<br />
„nur“ „glühende[…] Sympathie“ 1363 für die revolutionäre Bewegung gehabt, so war sie nun ent-<br />
schlossen, einen Feldscher- <strong>und</strong> Hebammenkurs zu absolvieren, um sich in Ausübung dieses<br />
Berufs für die Sozialdemokratie zu engagieren. Diesem Engagement gab sie sich „vollständig“ 1364<br />
hin, nahm Verfolgung <strong>und</strong> Verhaftung in Kauf. Für besonders erwähnenswert erachtete es Zetkin,<br />
dass Berditschewskaja nicht nur bei ihren Fre<strong>und</strong>en, sondern auch bei ihren Gegnern hohe<br />
Achtung genoss 1365 – der ehrliche Respekt des Gegners war eine wichtige Bestätigung, die sich<br />
1357 Ebd.<br />
1358 Ebd.<br />
1359 Maria Lwowna Berditschewskaja. In: GL, 15/ 05/ 08.03.1905/ 25. Zusammen mit der biographischen Darstellung<br />
wurde dem „russischen Bruderorgan ‘Jstra’“ auch ein Porträtbild entnommen (vgl. ebd., Fußnote S. 25). Acht<br />
Monate später erschien zudem ein von Otto Krille verfasstes Gedicht. Beides ist im Anhang enthalten.<br />
1360 Der von der „Gleichheit“ veröffentlichte Artikel verwendet diesen Begriff jedoch nicht.<br />
1361 Ebd.<br />
1362 Ebd.<br />
1363 Ebd.<br />
1364 Ebd.<br />
1365 Vgl. ebd.<br />
507
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
häufiger in den Artikeln der „Gleichheit“ findet.<br />
Bei den Barikadenkämpfen des erwähnten Aufstandes am 22. Januar 1905 wurde Berditschews-<br />
kaja schwer verw<strong>und</strong>et, doch selbst noch auf ihrem Sterbebett habe sie den Kampf nicht bereut. 1366<br />
Sie verkörperte den Idealtypus der Märtyrerin, denn sie starb in dem Bewusstsein, ihr Leben der<br />
Sache geopfert zu haben. Wie aber bereits am Beispiel Perowskajas gezeigt, war es keineswegs<br />
das Anliegen Zetkins, zum Märtyrerinnentod aufzurufen – die „Gleichheit“-Leserinnen sollten<br />
sich vielmehr deren Leben <strong>und</strong> Wirken zum Vorbild nehmen.<br />
Jene Ereignisse des 22. Januar, die Berditschewskaja das Leben kosteten, veranlassten wiederum<br />
Esther Riskind (?-1905/ 25-jährig), aus ihrem Exil nach Russland zurückzukehren. Der „Gleich-<br />
heit“-Artikel zu ihrem Leben wurde nicht von Zetkin, sondern von H.H. verfasst, der/die Riskind<br />
1899 noch persönlich kennengelernt hatte. Er beginnt mit einem nüchternen biographischen<br />
Abriss:<br />
„Mitglied des ‘Allgemeinen Jüdischen Arbeiterb<strong>und</strong>es für Litauen, Polen <strong>und</strong> Rußland’,<br />
getötet im Alter von 25 Jahren in Bialystok während der Metzelei am<br />
12. August 1905.“ 1367<br />
Demnach war auch Riskind, deren Porträt – wie das Berditschewskajas – eines der wenigen über-<br />
haupt in der „Gleichheit“ enthaltenen Bilder ist, Märtyrerin der revolutionären Bewegung Russ-<br />
lands.<br />
Riskind wurde in einer im jüdischen Ansiedlungsgebiet gelegenen Kleinstadt geboren. Ihre<br />
Familie war arm, aber nicht so bildungsfern, wie es Zetkin für die jüdische Familie Helfmanns be-<br />
schrieb. Riskind lernte früh russisch zu lesen <strong>und</strong> zu schreiben <strong>und</strong> verfasste bereits im Alter von<br />
10 Jahren eigene Gedichte. Sie hatte ein munteres Temperament <strong>und</strong> vor allem ein „heißes<br />
Mitgefühl für alle Unterdrückten <strong>und</strong> Leidenden“ 1368 . Dieses entsprang keiner „weichliche[n]<br />
tränenselige[n] Sentimentalität“ 1369 , sondern ihrer „tiefedlen <strong>und</strong> reichen Natur“ 1370 . Im Alter von<br />
15 Jahren entschloss sie sich gegen den Willen <strong>und</strong> ohne jegliche finanzielle Unterstützung ihrer<br />
Eltern, die Universität Charkow zu besuchen. Hier kam sie in ersten Kontakt zu sozialistischen<br />
Studenten. Deren theoretische Diskussionen waren Riskind jedoch zu wenig. Sie wollte revolutio-<br />
näre Arbeit unter den Arbeitermassen leisten <strong>und</strong> zog in die Fabrikstadt Bialystok. Obwohl sie<br />
sich durch Privatst<strong>und</strong>en etwas Geld verdienen konnte, blieb ihre finanzielle Situation miserabel.<br />
1366 Ebd.<br />
1367 H. H.: Esther Riskind. In: GL, 16/ 02/ 24.01.1906/ 7.<br />
1368 Ebd.<br />
1369 Ebd.<br />
1370 Ebd.<br />
508
4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS<br />
Bedingt durch die große Arbeitsbelastung <strong>und</strong> eine unzureichende Ernährung litt sie häufig an<br />
Kopf- <strong>und</strong> Magenschmerzen wie auch an einer nervlichen Zerrüttung. Sie ließ sich ihren Zustand<br />
jedoch nie anmerken, war stets fre<strong>und</strong>lich, warmherzig <strong>und</strong> sehr beliebt bei den ArbeiterInnen,<br />
wurde von ihnen sogar – wie H.H. schreibt – „vergöttert[…]“ 1371 .<br />
Riskind, die stets für eine Arbeiterin <strong>und</strong> nicht für eine „‘Intelligente’“ 1372 gehalten worden sei,<br />
war eine begabte Rednerin <strong>und</strong> stellte dieses Talent auf großen Versammlungen unter Beweis. Auf<br />
einer solchen Versammlung in Lodz wurde sie verhaftet <strong>und</strong> anschließend in ihr Heimatstädtchen<br />
abgeschoben, wo es sie jedoch nicht lange hielt. In Warschau wurde sie agitatorisch für den<br />
„Allgemeinen Jüdischen Arbeiterb<strong>und</strong> für Litauen, Polen <strong>und</strong> Rußland“ tätig. In dieser großen<br />
Stadt konnte sie auch Möglichkeiten nutzen, ihrer Leidenschaft für Musik <strong>und</strong> Theater<br />
nachzugehen. Dies tat sie immer dann, wenn sie nicht als Arbeiterin unter ArbeiterInnen Agitation<br />
betrieb. Die vielen Fre<strong>und</strong>e, die sie unter den „legalen“ jüdischen Schriftstellern hatte, wussten oft<br />
nichts von diesem „Doppelleben“. Ein Jahr lang sei dies gut verlaufen – ein Jahr, in dem Riskind<br />
nicht lebte, sondern, so H.H., förmlich „brannte“ 1373 . Sie wurde jedoch verhaftet, lange in Unter-<br />
suchungshaft genommen <strong>und</strong> dann wegen ihres schlechten Ges<strong>und</strong>heitszustandes „nur“ nach<br />
Sibirien verbannt. Die Zeit im Gefängnis <strong>und</strong> auf der späteren Flucht ins Ausland ließ Riskind<br />
nicht ungenutzt verstreichen:<br />
„sie hat in der Einsamkeit viel gelernt <strong>und</strong> über so manche wichtige Frage<br />
gründlich nachgedacht. Ihre Weltanschauung hatte sich dadurch erheblich vertieft<br />
<strong>und</strong> erweitert.“ 1374<br />
Kaum drangen die Nachrichten von den Ereignissen des 22. Januar, den Aufständen <strong>und</strong> Kämpfen<br />
zu ihr, beschloss sie, nach Russland zurückzukehren. Sie ging nach Wilna, wo ihr im Exekutiv-<br />
komitee des genannten Jüdischen Arbeiterb<strong>und</strong>es ein Amt übertragen wurde. Da sich jedoch die<br />
Lage für sie angesichts fortwährender Bespitzelung immer gefährlicher gestaltete, wurde sie<br />
erneut nach Bialystok beordert, wo sie schließlich bei einem Angriff der Regierungssoldaten fiel.<br />
Ein weiterer Name auf dem „Matyrolog der russischen Revolution“ 1375 , ein weiteres Opfer des<br />
russischen Absolutismus, war M.A. Spiridonowa (?-1906/ 21-jährig). Die 21-jährige Revo-<br />
lutionärin hatte den Vizegouverneur von Tambow, Luschenowsky, erschossen. Dieser war<br />
verantwortlich für die Ermordung, Auspeitschung <strong>und</strong> Misshandlung unzähliger aufständischer<br />
1371 Ebd., S. 8.<br />
1372 Ebd.<br />
1373 Ebd.<br />
1374 Ebd.<br />
1375 M.A. Spiridonowa. In: GL, 16/ 09/ 02.05.1906/ 59.<br />
509
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Bauern gewesen. Sofort nach ihrer Tat verhaftet, wurde Spiridonowa in der Haft auf das<br />
Schlimmste misshandelt <strong>und</strong> gefoltert. Zwar dürften den „Gleichheit“-Leserinnen Informationen<br />
zum brutalen Umgang mit Gefangenen bekannt gewesen sein, doch in Spiridonowa wurde ihnen<br />
eine mutige Frau vorgestellt, die die ihr angetanen Gräuel bewusst öffentlich machte. Der<br />
vermutlich von Zetkin verfasste Artikel stützte sich auf einen von Spiridonowa in der Sankt<br />
Petersburger Zeitung „Ruß“ (d.i. „Rus‘“ (1903-1908)) veröffentlichten Brief. Spiridonowa be-<br />
schrieb darin die verschiedenen Misshandlungen bis zu ihrer Ankunft im Gefängnis, wo sich dann<br />
Verhöre <strong>und</strong> Folterungen anschlossen. Sie scheute dabei kein Detail: Ausgerissene Haare,<br />
Fußtritte, glimmende Zigaretten – die Folterungen wurden sehr eindrücklich geschildert. Auch<br />
nannte Spiridonowa die Namen ihrer Peiniger, deren mindestens einer auch ihr Vergewaltiger war<br />
<strong>und</strong> sie mit Syphilis infiziert hatte. Sie brachen ihre Lebenskraft, ihr Augenlicht <strong>und</strong> ihr Gehör.<br />
Einige der W<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Spuren ihrer bestialischen Misshandlungen wurden von zwei<br />
Gefängnisärzten als solche tatsächlich auch diagnostiziert <strong>und</strong> vor Gericht bestätigt. Spiridonowa<br />
– in einem „zerfolterten Körper[,] de[ssen] Geist trotz aller erduldeten Martern stark geblieben“ 1376<br />
war – erschien trotz allem zu ihrer Verhandlung als „eine überzeugte <strong>und</strong> begeisterte Kämpferin<br />
für das Glück ihres Volkes“ 1377 . Ihr Auftritt vor Gericht wurde besonders dramatisch dargestellt.<br />
Immer wieder von einem blutigem Husten unterbrochen habe Spiridonowa ihre Motive für den<br />
Mord erläutert:<br />
„Nicht feige Mordlust hatte ihr zugerufen: töte! sondern unsägliches Erbarmen mit<br />
den getretenen menschlichen Kreaturen, glühende Menschen- <strong>und</strong> Freiheitsliebe.“<br />
1378<br />
Ihrem Urteil sah sie gelassen entgegen, denn dem, was sie ertragen hatte, könne auch die<br />
grausamste Strafe des Gerichts nichts hinzufügen. 1379 Zwar lautete das Urteil auf Tod durch Er-<br />
hängen, doch durch den offensichtlich schlechten Ges<strong>und</strong>heitszustand Spiridonowas, die bereits<br />
an Schwindsucht litt, sei bereits vorbestimmt gewesen, dass<br />
„[e]in Mächtigerer als alle Henker des Zarenreiches […] früher über das Schicksal<br />
des Heldenmädchens entscheiden [würde]: der Tod, der ihr als Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Befreier<br />
naht[e]“ 1380 .<br />
Spiridonowa starb, doch ihre Peiniger lebten weiter, wurden von ihren Vorgesetzten ausgezeichnet<br />
<strong>und</strong> befördert. Für einen jedoch, für den Vergewaltiger Spiridonowas, habe das „revolutionäre<br />
1376 Ebd., S. 60.<br />
1377 Ebd., S. 60.<br />
1378 Ebd.<br />
1379 Vgl. ebd.<br />
1380 Ebd.<br />
510
4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS<br />
Strafgericht“ 1381 sein Urteil gefällt: Er wurde auf offener Straße erschossen. Eine Selbstjustiz, die<br />
Zetkin als Zeichen dafür nahm, dass „auch das fluchbeladene Regime des Absolutismus, das<br />
Verbrechen über Verbrechen gebiert, […] eines Tages von dem revolutionären Weltgericht zer-<br />
schmettert werden“ 1382 wird.<br />
Verraten, verurteilt, hingerichtet, gefallen – das sind die bisher beschriebenen Schicksale der<br />
russischen Revolutionärinnen. Eine besondere Ausnahme bietet die kuriose Freisprechung Wanda<br />
Dobrodzickas (1863-?). Der von „L. Ky.“ – vermutlich Luise Kautsky – verfasste Artikel<br />
beschrieb das Leben Dobrodzickas, aber vor allem einen Gerichtsprozess, der nur wenige Tage<br />
vor Publikation des Artikels gegen sie geführt worden war. Diesem Prozess, der in dem kleinen<br />
galizischen Dorf Wadowice stattgef<strong>und</strong>en hatte, maß Kautsky sogar eine „welthistorische<br />
Bedeutung“ 1383 zu.<br />
Dobrodzicka wurde in einem kleinen Dorf Russisch-Polens als Wanda Krahelska geboren. Ihr<br />
Vater, der 1863 an einem Aufstand teilgenommen hatte, vermittelte ihr erste revolutionäre Ideen.<br />
Vom zehnten bis zum siebzehnten Lebensjahr besuchte sie ein Warschauer Pensionat <strong>und</strong> unter-<br />
richtete anschließend die Kinder ihres Heimatortes in der polnischen Sprache. Nach einem<br />
erneuten Aufenthalt in Warschau 1904, wo Dobrodzicka in Kontakt mit SozialistInnen <strong>und</strong> sozia-<br />
listischer Literatur kam, kehrte sie in ihre Heimat zurück, um hier diese Literatur eingehender zu<br />
studieren, selbst erste Agitationsschriften zu verfassen <strong>und</strong> mit einer Handdruckerei zu verviel-<br />
fältigen.<br />
1906 wurde sie Mitglied der Polnischen Sozialistischen Partei (PSP) <strong>und</strong> wirkte im Mai desselben<br />
Jahres an einem Attentat mit, das den brutalen Generalgouverneur von Warschau zum Ziel hatte.<br />
Die verwendeten Bomben waren jedoch so schlecht konstruiert, dass das Attentat scheiterte. Erst<br />
1907 wurde Dobrodzicka durch Zeugen als Mieterin des Hauses identifiziert, von dessen Balkon<br />
die Bomben geschleudert worden waren.<br />
Nun kamen mehrere Umstände zusammen: Das Attentat war im russisch-polnischen Warschau be-<br />
gangen worden, die Identifizierung der Attentäterin <strong>und</strong> ihre Festnahme erfolgte jedoch im<br />
polnischen Krakau. Seit 1907 besaß diese durch die Heirat mit dem Maler Adam Dobrodzicki<br />
noch dazu die österreichische Staatsbürgerschaft. Ein Rechtsstreit russischer, polnischer <strong>und</strong> öster-<br />
reichischer Behörden um den geeigneten Ort für die Gerichtsverhandlung entbrannte. Die<br />
1381 Ebd.<br />
1382 Ebd.<br />
1383 [Kautsky, Luise?] L.Ky.: Eine freigesprochene Attentäterin. In: GL, 18/ 05/ 02.03.1908/ 39. Kautsky scheint<br />
diesen Artikel der „Wiener Arbeiterzeitung“ entnommen zu haben. Sie gab jedoch keinen Beleg an <strong>und</strong> kennzeichnete<br />
nur an seinem Ende einzelne Passagen entsprechend als Zitate.<br />
511
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
russischen Ankläger lehnten Krakau als Verhandlungsort ab, weil sie dort mit einer zu großen<br />
patriotisch motivierten Parteinahme für die gebürtige Polin rechneten. Schließlich konnte<br />
Dobrodzickas Verteidiger erzwingen, die wegen versuchten Meuchelmordes <strong>und</strong> Verbrechen<br />
gegen das Sprengstoffgesetz zu führende Gerichtsverhandlung vor einem galizischen Schwur-<br />
gericht in Wadowice abzuhalten.<br />
Die obligatorische Frage des Richters, ob sie sich schuldig bekenne, soll Dobrodzicka mit den<br />
Worten beantwortet haben:<br />
„Nein, denn auch der Soldat, der in der Schlacht den Feind<br />
tötet, ist nicht strafbar.“ 1384<br />
Auch ihr Verteidiger argumentierte ähnlich, wenn er ihr Vergehen als ein „rein politisches“ 1385 dar-<br />
stellte, das nicht dem Strafgesetz unterliege. Er führte weiter aus,<br />
„daß auch vom Standpunkt der Ethik <strong>und</strong> Moral die Tat nicht strafbar sei, denn die<br />
Angeklagte habe dem Volk zu seinem Recht verhelfen wollen, <strong>und</strong> wo es sich um<br />
dieses Recht handle, da müsse das Strafgesetz schweigen.“ 1386<br />
Das Unglaubliche passierte: Dobrodzicka wurde einstimmig freigesprochen <strong>und</strong> sofort in Freiheit<br />
gesetzt. Die „Wiener Arbeiterzeitung“ (1889-1934), der Kautsky den Bericht entnommen hatte,<br />
zog das Fazit:<br />
„‘Es ist nicht gelungen, die Polen zu finden, die eine Polin verurteilen, weil sie<br />
gegen den schlimmsten <strong>und</strong> grausamsten Peiniger ihres Volkes die Hand erhoben<br />
hat.’“ 1387 .<br />
Ein ungewöhnlicher Rechts- <strong>und</strong> Glücksfall, der eine absolute Ausnahme darstellen dürfte – wenn<br />
denn dieser Verlauf auch historisch zu belegen ist. 1388<br />
Weniger Glück – oder Recht? – hatten zwei andere russische Revolutionärinnen: Fruma Frumkin<br />
(?-1907) <strong>und</strong> E.P. Ragozinnikowa (?-1907/ 21-jährig). 1389<br />
Vor dem Gericht, welches über die Strafe für das von ihr begangene Attentat zu urteilen hatte,<br />
schilderte Frumkin ihr bisheriges Leben. Diese Schilderung wurde in einer Ausgabe der „Tribune<br />
Russe“ 1390 wiedergegeben, auf die L.K. (möglich, dass es sich erneut um Kautsky oder um Luise<br />
1384 Ebd., S. 40.<br />
1385 Ebd.<br />
1386 Ebd.<br />
1387 Wiener Arbeiterzeitung zit. nach: Ebd.<br />
1388 Es konnten keine Angaben gef<strong>und</strong>en werden, die das Stattfinden dieses Prozesses <strong>und</strong> dessen Verlauf bestätigt<br />
hätten.<br />
1389 [Kautsky, Luise? oder Kähler, Luise?] L.K.: Zwei Märtyrerinnen im russischen Freiheitskampf. In: GL, 18/ 04/<br />
17.02.1908/ 30.<br />
1390 „Tribune Russe“ („Russische Tribüne“) (?-?). Diese Zeitschrift erschien in Paris <strong>und</strong> war Parteiorgan der revolutionären<br />
Sozialisten, die im Unterschied zu den Sozialdemokraten Russlands den „organisierten Terror“, die<br />
512
4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS<br />
Kähler (1869-1955) 1391 handelt) ihren Artikel stützte. Frumkin berichtete, wie sie zunächst als<br />
Näherin <strong>und</strong> Krankenpflegerin arbeitete. Später wurde sie Hebamme <strong>und</strong> lernte in Lodz das Elend<br />
der Arbeiterfamilien kennen – Zustände, die sie dahin brachten, sich schließlich für „das Ideal des<br />
Sozialismus“ 1392 zu begeistern. Frumkin wurde Mitglied des „B<strong>und</strong>es der jüdischen Sozialisten<br />
Polens <strong>und</strong> Russlands“, dem sie bis 1901 angehörte. Zwei Jahre später schloss sie sich jedoch der<br />
Partei der revolutionären Sozialisten an. 1904 wurde Frumkin wegen sozialistischer Agitation in<br />
das Gefängnis von Kiew gebracht, wo sie versuchte, den Chef der politischen Gendarmerie zu er-<br />
morden. Daraufhin zu elf Jahren Zwangsarbeit verurteilt, gelang ihr die Flucht nach Moskau, wo<br />
sie ihre politische Tätigkeit fortsetzte. Wiederum wurde sie festgenommen <strong>und</strong> wiederum verübte<br />
sie im Gefängnis ein Attentat, für das sie aber dieses Mal zum Tode verurteilt wurde:<br />
„unerschrocken bestieg sie das Schafott, so daß sie selbst ihren Henkern Bew<strong>und</strong>erung<br />
durch die Schlichtheit <strong>und</strong> den Mut einflößte, mit dem sie starb“ 1393 .<br />
Dieser außergewöhnliche Lebensweg lässt Frumkin als eine Klassenkämpferin erscheinen, die<br />
ohne Rücksicht auf die eigene Existenz jede sich bietende Gelegenheit nutzte, die Feinde ihrer<br />
Bewegung zu töten.<br />
E.P. Ragozinnikowa tötete den Chef der Gefängnisverwaltung für ganz Russland <strong>und</strong> wurde dafür<br />
vom Zaren persönlich zum Tode verurteilt. Ihre Entschlossenheit für die Tat wurde dadurch<br />
deutlich, dass sie für den Fall des Fehlschlagens ein Paket Dynamit um ihren Leib geb<strong>und</strong>en hatte.<br />
Entschlossen wirkte sie auch bei der Verkündung ihres Todesurteils, das sie lächelnd entgegen-<br />
„Einzelaktion“ befürworteten (vgl. ebd.). Die ZDB verweist unter dem Titel „La tribune russe: revue mensuel du<br />
Mouvement Socialiste et Revolutionnaire en Russie“ auf eine Zeitschrift, die nachweislich von 1904 bis 1909 in<br />
Paris erschien (vgl. www.zdb-opac.de). Ob es sich dabei um die hier von der „Gleichheit“ angeführte Zeitschrift<br />
oder eine Nachfolgerin handelt, ist nicht ersichtlich.<br />
1391 Luise Kähler, geb. Girnth, war Tochter eines Droschken- <strong>und</strong> Möbelkutschers. Nach dem Besuch der Volksschule<br />
arbeitete sie 1883-1885 als Dienstmädchen, absolvierte 1885-1888 eine Lehre als Schneiderin <strong>und</strong> zog 1892 nach<br />
Hamburg um. 1893-1895 war sie Stewardess auf einem Handelsschiff der Ostasienroute. 1895 heiratete sie den<br />
Maler August Kähler, gebar ein Kind <strong>und</strong> wurde heimarbeitende Näherin. 1906-1913 hatte Kähler den Vorsitz des<br />
von ihr mitgegründeten „Vereins der Dienstmädchen, Wasch- <strong>und</strong> Scheuerfrauen“ in Hamburg inne, ab 1909<br />
außerdem den Vorsitzende der Filiale des Hausangestelltenverbandes. 1908-1913 arbeitete sie als besoldete<br />
Hilfsarbeiterin des Stellenachweises der Hausangestellten in Hamburg <strong>und</strong> als Vorsitzende des zentralen Verbandsausschusses<br />
des Hausangestelltenverbandes. 1913-1923 wirkte sie als hauptamtliche Vorsitzende im Hauptvorstand<br />
des Hausangestelltenverbandes mit Sitz in Berlin. Während des Ersten Weltkrieges war sie aktives<br />
Mitglied der Kriegsfürsorge (besonders in der Kranken- <strong>und</strong> Wöchnerinnenhilfe), nach seinem Ende war Kähler<br />
Mitgründerin der AWO <strong>und</strong> engagierte sie besonders in der Abschaffung der feudalen Gesindeordnung. 1910-<br />
1931 nahm sie an verschiedenen Gewerkschaftskongressen teil. 1919-1921 war sie Abgeordnete des preußischen<br />
Landtags <strong>und</strong> 1920-1932 einziges weibliches Mitglied im Vorläufigen Reichswirtschaftsrat. 1927 nahm sie als<br />
Delegierte am Internationalen Gewerkschaftskongress in Paris teil. Nach 1945 war Kähler zunächst wieder in der<br />
SPD aktiv, 1946 trat sie der SED bei <strong>und</strong> wurde 1948 Mitglied im „Demokratischen Frauenb<strong>und</strong> Deutschlands“.<br />
Trotz ihrer politischen Tätigkeit in der SED blieb sie in West-Berlin wohnhaft <strong>und</strong> ließ sich 1954 als SED-Spitzenkandidatin<br />
für Berlin-Kreuzberg für die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus aufstellen. 1953 erhielt Kähler<br />
den Karl-Marx-Orden.<br />
1392 Ebd.<br />
1393 Ebd.<br />
513
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
nahm. 1394 In einem Brief an ihre Familie rechtfertigte Ragozinnikowa ihre Tat damit, dass ihr<br />
Opfer kein Mensch gewesen sei, sondern „‘ein Teil jener Werkzeuge, die nur dazu dienen, die<br />
Menschen auszurotten, ihr Leben zu vergiften’“ 1395 . Sie schrieb von sich selbst, dass sie ihre Fami-<br />
lie sehr geliebt habe, dass sie dann aber begann, „‘alle Menschen zu lieben’“ 1396 [Hervorhebung<br />
von M.S.] <strong>und</strong> sich schließlich für sie alle hingegeben habe.<br />
Diesen beiden Beispielen von Mut, Tapferkeit, persönlichen <strong>und</strong> politischen Tugenden habe, so<br />
L.K., die russische Regierung nichts Ebenbürtiges gegenüberzustellen. 1397 Ihre Besonderheit sei,<br />
dass sie für eine Idee kämpften – <strong>und</strong><br />
„[e]ine Idee, die zu H<strong>und</strong>erten <strong>und</strong> Tausenden Helden <strong>und</strong> Märtyrer erstehen läßt<br />
wie die revolutionären Sozialistinnen Frumkin <strong>und</strong> Ragozinnikowa, muß siegen“<br />
1398 .<br />
Dies war der Autorin des Artikels eine sie selbst <strong>und</strong> alle „Gleichheit“-Leserinnen motivierende<br />
Gewissheit.<br />
Angesichts der 22 Jahre Kerkerhaft, die Wera Figner (1852-1942) 1399 in der Schlüsselburg – laut<br />
Zetkin eines der scheußlichsten Gefängnisse der ganzen Welt – verbringen musste, könnten die<br />
bisher beschriebenen Todesurteile manchen „Gleichheit“-Leserinnen vielleicht als Segen er-<br />
schienen sein.<br />
Figner entstammte einer begüterten <strong>und</strong> gebildeten Familie. Bereits als elfjähriges Mädchen<br />
erfasste sie intuitiv die Notwendigkeit sozialer <strong>und</strong> politischer Umwandlungen. Anhand der<br />
Literatur politischer Kritiker wie Nikolai Gawrilowitsch Tschernischewski <strong>und</strong> Dmitri Iwano-<br />
witsch Pissareff 1400 entwickelte Figner sowohl Verständnis als auch großes Mitgefühl für die<br />
Leiden der Volksmassen. Sie wurde sich der „Vorteile des Besitzes <strong>und</strong> der Bildung“ 1401 , die auch<br />
sie genießen durfte, bewusst. Geschaffen aus der Not <strong>und</strong> der Unwissenheit von Millionen wurden<br />
ihr diese zum Sinnbild für menschliches Unrecht.<br />
1394 Ebd.<br />
1395 Ebd.<br />
1396 Ebd.<br />
1397 Vgl. ebd.<br />
1398 Ebd.<br />
„Dieses Unrecht zu sühnen durch die selbstlose Hingabe an die Sache des Volkes,<br />
an den revolutionären Befreiungskampf: das war der Gedanke, der immer mehr ihr<br />
1399 Wera Finger. In: GL, 22/ 22/ 24.07.1912/ 340. „Finger“ ist ein Druckfehler der „Gleichheit“, der hier zwar im<br />
Text, aber nicht in der Belegangabe korrigiert wird.<br />
1400 Die Schreibweise der Nachnamen ist auch hier der „Gleichheit“ entnommen.<br />
1401 Ebd.<br />
514
ganzes Sein beherrschte.“ 1402<br />
4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS<br />
Figner entschloss sich zu einem Medizinstudium, das sie in Kasan, Bern <strong>und</strong> Zürich absolvierte.<br />
Daneben beschäftigte sie sich sich zusätzlich mit der sozialistischen Literatur. 1875 begann sie<br />
ihre Agitation unter den Bauern <strong>und</strong> Arbeitern Russlands. Sie brachte ihnen – erst unter ihrem<br />
wahren Namen, dann auch mit falscher Identität <strong>und</strong> in allerlei Verkleidungen 1403 – das „Evange-<br />
lium des Sozialismus“ 1404 <strong>und</strong> schürte „das heilige Feuer der Empörung in der studentischen<br />
Jugend“ 1405 .<br />
Die politische Situation jener Zeit wurde von Zetkin erneut wie folgt beschrieben:<br />
„Die blutige Schmach- <strong>und</strong> Schreckensherrschaft des Absolutismus zwang die<br />
friedlichen Apostel einer kommunistischen Gesellschaftsordnung zum politischen<br />
Kampf. Und wie die Verhältnisse in Rußland lagen, mußte dieser zeitweilig seine<br />
Spitze gegen den Zaren selbst kehren.“ 1406<br />
Zetkin versuchte, die Radikalisierung der RevolutionärInnen <strong>und</strong> die Attentate auf Funktions-<br />
träger des Zarismus als Tyrannenmord zu rechtfertigen. Vielleicht dachte auch Figner so, als sie<br />
1879 Mitglied des berühmten terroristischen Exekutivkomitees wurde – wie bereits Perowskaja<br />
<strong>und</strong> Polonsky – <strong>und</strong> am Zarenattentat im März 1881 mitwirkte. Figner wurde kurze Zeit später<br />
von einem Kampfgenossen aus den eigenen Reihen für 10.000 Rubel an die Polizei verraten, zum<br />
Tode verurteilt <strong>und</strong> schließlich zu lebenslanger Haft begnadigt. In der Schlüsselburg, in der Figner<br />
seit 1883 inhaftiert war, waren die Zustände entsetzlich – eine andere Revolutionärin, Sophie<br />
Günzburg (1863-1891) 1407 beging dort Suizid, um nicht unter Folter ihre Kameraden zu verraten.<br />
1905 hatte das Leid Figners ein Ende – „die siegreiche Revolution holte […] die lebendig<br />
Begrabene aus ihrer Hölle hervor“ 1408 <strong>und</strong> diese ging ungebrochen in Überzeugung <strong>und</strong> Taten-<br />
drang erneut an die politische Arbeit. Ihr schlechter Ges<strong>und</strong>heitszustand zwang sie jedoch, diese<br />
1402 Ebd.<br />
1403 Ebd.<br />
1404 Ebd.<br />
1405 Ebd.<br />
1406 Ebd.<br />
1407 An anderer Stelle schrieb Zetkin zur Person Günzburgs: „Das Heldenmädchen Sophie Günzburg, das im letzten<br />
Jahre in einem der höllischsten Gefängnisse des Zarenreichs unter Aufbietung ungewöhnlicher Energie durch<br />
Selbstmord endete, um nicht in Augenblicken geistiger Umnachtung die Kameraden den Henkern auszuliefern, ist<br />
der beste Beweis dafür, daß die russischen Frauen nicht darauf verzichtet haben, in dem Kampf für die Freiheit in<br />
den vordersten Reihen zu stehen. Wenn heute in Rußland der Despotismus fällt <strong>und</strong> politische Bewegungsfreiheit<br />
gegeben wird, da wird man in Rußland eine Frauenbewegung, eine Antheilnahme des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts an<br />
der Ausgestaltung des öffentlichen Lebens sehen, wie in keinem zweiten Lande.“ (Die russischen Revolutionärinnen.<br />
In: GL, 02/ 01/ 11.01.1892/ 15). Die Schreibweise von Günzburgs Namen variiert. Im Anhang zu Vera<br />
Figners Lebenserinnerungen „Nacht über Rußland“ wird sie als Sofia Michailowna Ginsburg geführt (vgl. Figner,<br />
Nacht über Rußland, S. 490).<br />
1408 Wera Finger. In: GL, 22/ 22/ 24.07.1912/ 340.<br />
515
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Tätigkeit im Ausland fortzusetzen. Unermüdlich, denn die sozialistische Erkenntnis habe wie ein<br />
Jungbrunnen auf Figner gewirkt, hielt sie Vorträge, verfasste Artikel <strong>und</strong> Flugblätter <strong>und</strong> orga-<br />
nisierte Spendensammlungen. Und da Zetkins Artikel noch zu Lebzeiten Figners in der „Gleich-<br />
heit“ publiziert wurde, sollte er<br />
„Wera Finger, der stolzen Dulderin, der kühnen Freiheitskämpferin [ein][…] herzliche[r],<br />
verehrungsvolle[r] Schwesterngruß der deutschen Proletarierinnen [sein],<br />
die wie sie den sehnsuchtsschweren <strong>und</strong> doch klaren Blick unverwandt auf die<br />
emporsteigende Sonne des Sozialismus richten“ 1409 .<br />
Figner starb 1942 in Moskau.<br />
Auch Wanda Cäsarina Wojnarowska (1861-1911) starb im Exil. Doch auch in der Fremde, in<br />
Paris, konnte sie entscheidende Aufgaben für die russische Revolution erfüllen.<br />
Wojnarowska war Tochter einer adeligen Gutsbesitzerfamilie <strong>und</strong> besuchte in Sankt Petersburg<br />
eine höhere Schule, als sie 1878 – als 17-jähriges Mädchen – den polnischen Revolutionär <strong>und</strong><br />
Publizisten Ludwig Warynsky kennenlernte. Diese Bekanntschaft gab den Ausschlag für ihre<br />
Entscheidung, sich dem revolutionären Kampf für eine bessere Gesellschaft anzuschließen. 1410<br />
Sie brach alle Brücken hinter sich ab <strong>und</strong> ging nach Warschau. Vom Charakter her<br />
„leidenschaftlich[…] <strong>und</strong> aufopferungsfreudig[…]“ 1411 , wurde sie eines der tätigsten Mitglieder<br />
einer Geheimorganisation. Bereits nach einem Jahr wurde Wojnarowska aber verhaftet <strong>und</strong> nach<br />
zwei Jahren Untersuchungshaft schließlich nach Sibirien verbannt. Ihr gelang die Flucht <strong>und</strong> sie<br />
reiste über Warschau weiter nach Krakau, wo sie erneut als Agitatorin tätig wurde. Diese Tätigkeit<br />
war nun umso erfolgreicher, denn, so die Autorin M., „[w]ie für jeden echten Revolutionär war für<br />
sie die Zeit im Kerker eine Zeit des Studiums <strong>und</strong> angestrengter Geistesarbeit gewesen“ 1412 . Nach<br />
einer weiteren Verhaftung, zehn Monaten Kerker <strong>und</strong> schließlicher Ausweisung ging Wojnarows-<br />
ka erst in die Schweiz <strong>und</strong> dann nach Paris. Hier studierte sie bei dem französischen Historiker<br />
François-Alphonse Aulard Literatur <strong>und</strong> Geschichte <strong>und</strong> wurde eine seiner besten Schülerinnen.<br />
Die ganze Dimension dieser wissenschaftlichen Fähigkeiten Wojnarowskas beschrieb die Autorin<br />
des Artikels so:<br />
1409 Ebd., S. 341.<br />
„Vielleicht wäre Wanda Wojnarowska eine jener Frauen geworden, deren Namen<br />
in der Wissenschaft glänzen, wenn sie es über sich gebracht hätte, sich dieses<br />
schmeichelhafte Urteil des einflussreichen Professors zunutze zu machen. Es wäre<br />
ihr ein leichtes geworden, ein Stipendium zu erhaschen, eine hochgelehrte Ab-<br />
1410 Vgl. M.: Eine Kämpferin. In: GL, 21/ 16/ 08.05.1911/ 248.<br />
1411 Ebd.<br />
1412 Ebd.<br />
516
4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS<br />
handlung zu schreiben <strong>und</strong> ‘ihren Weg zu machen’, wie es so viele Frauen getan<br />
haben, die nicht halb soviel Geist <strong>und</strong> Talent haben, wie ihr eigen war. Aber dieser<br />
Weg des Karrieremachens war nichts für ihre feurige Seele. Für Genossin Wojnarowska<br />
blieb die Wissenschaft nur Mittel zum Zwecke, nicht etwa um bequemen<br />
Unterhalt <strong>und</strong> billigen Ruhm zu gewinnen, sondern Mittel zum Zwecke des revolutionären<br />
Kampfes.“ 1413<br />
Tatsächlich bestritt Wojnarowska ihren Lebensunterhalt jedoch mit schlecht bezahlten Privat-<br />
st<strong>und</strong>en. Ihr Interesse fokussierte sich vor allem auf die Geschehnisse in ihrer Heimat <strong>und</strong> auf ihre<br />
Arbeit für die Revolution. Nachdem sich die Sozialisten Polens in zwei Lager geteilt hatten, fiel<br />
Wojnarowska die Entscheidung für eines der beiden sehr schwer. Ihr geschichtswissenschaftliches<br />
Denken erschloss ihr jedoch, dass die Polnische Sozialistische Partei (PSP) „einer Utopie nach-<br />
jage“ 1414 – sie wählte das Lager der Sozialdemokratie Russisch-Polens <strong>und</strong> Litauens. Schweren<br />
Herzens brach sie mit bisherigen KampfesgenossInnen. Mit dieser Entscheidung hatte sie sich im<br />
Pariser Exil nahezu vollkommen isoliert, da die hier im Exil lebenden polnischen SozialistInnen<br />
vornehmlich AnhängerInnen der PSP waren. 1415<br />
1901 übernahm Wojnarowska die Vertretung der sozialdemokratischen Partei Russisch-Polens<br />
<strong>und</strong> Litauens im Internationalen Sozialistischen Büro, die sie aus ges<strong>und</strong>heitlichen Gründen 1904<br />
jedoch wieder niederlegte. Russischen <strong>und</strong> polnischen Flüchtlingen war sie Beraterin <strong>und</strong> Helferin<br />
– laut M. ein „charakteristische[r] Zug“ Wojnarowskas, die „stets <strong>und</strong> immer zu jedem Opfer für<br />
andere <strong>und</strong> für die Sache der Revolution bereit“ 1416 gewesen sei. <strong>Von</strong> dem Wenigen, das sie besaß,<br />
gab sie anderen <strong>und</strong> litt selbst Hunger. Wenn Fre<strong>und</strong>e sie mahnten, winkte sie ab <strong>und</strong> forderte „das<br />
einzige Recht, das ihr blieb – sich für andere aufzuopfern“ 1417 . Schließlich erlag sie einem Herz-<br />
schlag <strong>und</strong> wurde auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise beerdigt.<br />
Als „Großmutter der russischen Revolution“ 1418 bezeichnete man Katharina Breschko-<br />
Breschkowskaja (1844-1934) 1419 . Zu ihrem Leben <strong>und</strong> Wirken veröffentlichte die „Gleichheit“<br />
sogar mehrere Artikel. Zwei dieser Artikel erschienen anlässlich ihres 70. Geburtstags im Frühjahr<br />
1914. An diesem Tag, den Breschkowskaja als Verbannte im sibirischen Irkutsk verbringen<br />
1413 Ebd.<br />
1414 Ebd.<br />
1415 Außerdem arbeitete Wojnarowska schriftstellerisch für das guesdistische Lager der französischen SozialistInnen.<br />
Zur Geschichte der französischen Sozialdemokratie vgl. Braunthal, Geschichte der Internationale.<br />
1416 M.: Eine Kämpferin. In: GL, 21/ 16/ 08.05.1911/ 249.<br />
1417 Ebd.<br />
1418 Tenenbaum, Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. In: GL, 24/ 20/ 24.06.1914/ 307.<br />
1419 Der Name der russischen Revolutionärin, der auch in den verschiedenen „Gleichheit“-Artikeln sehr unterschiedlich<br />
zitiert wurde, wird hier einheitlich mit „Breschkowskaja“ angegeben.<br />
517
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
musste, gedachten ihrer selbst jene russischen SozialistInnen, die nicht wie sie der Partei der<br />
russischen Sozialrevolutionäre angehörten. 1420<br />
Breschkowskaja wurde laut Edda Tenenbaum (?-?) 1421 im Geiste der Freiheits- <strong>und</strong> Gleichheits-<br />
ideen ihres Vaters, eines adeligen Liberalen, erzogen. So wie er sei auch sie von der „revolutio-<br />
näre[n] Gärung“ 1422 erfasst worden, die „aus der geistigen Unzufriedenheit mit den herrschenden<br />
Zuständen geboren [war], die die Gebildeten aller Gesellschaftskreise ergriffen hatte“ 1423 [Hervor-<br />
hebung von M.S.]. Und so erblickte die „tatendurstige“ 1424 siebzehnjährige Breschkowskaja noch<br />
in der Gründung von Sparkassen, Bildungsvereinen <strong>und</strong> Genossenschaften die „Erlösung der<br />
leidenden Volksmassen von allen Übeln“ 1425 . Auch der Mann, den sie in jungem Alter heiratete,<br />
war ausgesprochen liberal. Weil Breschkowskaja aber erkannte, dass die Mittel der Liberalen<br />
nicht wirkungsvoll genug waren, stand sie plötzlich vor einem privaten Problem: Entweder<br />
musste sie sich<br />
„bescheiden, im liberalen Fahrwasser an ruhigen Ufern entlang weiter zu treiben,<br />
oder aber sie mußte mit ihrem ganzen bisherigen Leben brechen. […] mußte alle<br />
Brücken hinter sich verbrennen“ 1426 .<br />
Schließlich siegte die Revolutionärin in ihr – ja, es siegte sogar „die Revolution über die Mut-<br />
ter“ 1427 in ihr, denn 1874 1428 verließ Breschkowskaja ihr Kind, um „einem höheren Pflicht-<br />
gebot“ 1429 zu folgen.<br />
In Kiew schloss sie sich einer kommunistischen Gruppe an, um für diese getarnt als Färberin oder<br />
Linnenhändlerin unter den ArbeiterInnen zu agitieren. Sie verätzte sich sogar Gesicht <strong>und</strong> Hände,<br />
damit ihre feine Haut nicht ihre vornehme Herkunft verraten konnte. Nach dreieinhalb Monaten<br />
1420 Katharina Breschkowski, eine der tapfersten russischen Freiheitskämpferinnen … In: GL, 24/ 13/ 18.03.1914/<br />
207. Auch Tenenbaum bemerkte diese Ehrung wohlwollend: „Es ist im allgemeinen bei den russischen Sozialdemokraten<br />
nicht Brauch die Geburts- <strong>und</strong> Namenstage von revolutionären Kämpfern festlich zu begehen, mögen<br />
diese auch im dichtesten Kugelregen, auf dem verantwortlichsten Posten stehen. Die Sozialdemokratie lehnt ja<br />
den Personenkultus auf das entschiedenste ab, <strong>und</strong> Feste passen schlecht in den Rahmen der brutalen, blutigen<br />
russischen Wirklichkeit. Es mußte also ein triftiger Gr<strong>und</strong> dafür vorhanden sein, daß die Sozialdemokratie von<br />
ihrer Regel abgewichen war, <strong>und</strong> daß sie sich überdies zu einer Feier mit der sozialrevolutionären Partei vereinigt<br />
hatte.“ (Tenenbaum, Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. In: GL, 24/ 20/ 24.06.1914/ 307).<br />
1421 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine eindeutigen biographischen Informationen<br />
zu Edda Tenenbaum. Ihr Nachname lässt auf eine jüdische Herkunft schließen.<br />
1422 Tenenbaum, Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. In: GL, 24/ 20/ 24.06.1914/ 307.<br />
1423 Ebd.<br />
1424 Ebd., S. 308.<br />
1425 Ebd., S. 308.<br />
1426 Ebd.<br />
1427 Ebd.<br />
1428 Die ursprünglich hier genannte Jahreszahl 1877 wurde in der Fortsetzung des Artikels korrigiert (vgl. Tenenbaum,<br />
Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. (Schluß.). In: GL, 24/ 21/ 08.07.1914/ 325).<br />
1429 Tenenbaum, Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. In: GL, 24/ 20/ 24.06.1914/ 308.<br />
518
4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS<br />
Agitationsarbeit wurde Breschkowskaja in Besitz von Propagandaplakaten aufgegriffen <strong>und</strong><br />
verhaftet. Zusammen mit anderen RevolutionärInnen – darunter wie erwähnt auch Sophie Perows-<br />
kaja – wurde sie nach vier Jahren Untersuchungshaft im so genannten „Prozess der 193“ zu fünf<br />
Jahren Zwangsarbeit <strong>und</strong> zum Verlust aller bürgerlichen Rechte verurteilt. Ihr erster Fluchtversuch<br />
1881 scheiterte <strong>und</strong> sie wurde mit weiteren vier Jahren Zwangsarbeit <strong>und</strong> 40 Knutenhieben<br />
bestraft. Das öffentliche Interesse an ihr war jedoch so groß, dass die Behörden zögerten, die<br />
Schläge vollziehen zu lassen. Breschkowskaja nutzte dieses Zögern für „etwas unerwartetes,<br />
seltenes, vielleicht einzig dastehendes: die Verurteilte fordert[e] die Vollstreckung des Urteils“ 1430<br />
– die Bew<strong>und</strong>erung aller war ihr damit sicher. Ihr Fluchtversuch hatte aber auch zur Folge, dass<br />
die ihrer langen Untersuchungshaft wegen erteilte Vergünstigung, keine Zwangsarbeit leisten zu<br />
müssen, aufgehoben wurde. Erst 1896 1431 kehrte Breschkowskaja nach Russland zurück.<br />
In ihrer Heimat hatte sich in dieser langen Zeit vieles verändert. Sie stieß in der eigenen<br />
Bewegung auf Probleme, als sie, so Tenenbaum, „versuchte, da anzuknüpfen, wo vor 22 Jahren<br />
der Faden ihres revolutionären Wirkens gerissen war“ 1432 . Ihr Revolutionsappell an die Bauern-<br />
schaft <strong>und</strong> die Kampftaktik des Terrors gegen einzelne hochgestellte Persönlichkeiten war nicht<br />
mehr zeitgemäß. 1433 Die „Großmutter“ der russischen Revolution hatte laut Tenenbaum die Ent-<br />
wicklung zu anderen Revolutionsauffassungen <strong>und</strong> -methoden nicht nachvollziehen können. Sie<br />
habe auch ihre Vorstellung von der sozialrevolutionären Rolle der Bauernschaft keiner „Re-<br />
vision“ 1434 unterzogen, weshalb sie<br />
„nicht zu dem Ergebnis gekommen [sei], das in der Partei der[sic] aufsteigenden[sic]<br />
Klasse des Proletariats verkörpert ist, in der Sozialdemokratie, die<br />
sich auf der Gr<strong>und</strong>lage der materialistischen Geschichtsauffassung ein festes<br />
wirtschaftliches Programm gegeben hat.“ 1435<br />
Die Teilhabe am Parlamentarismus war ihr fremd <strong>und</strong> so agitierte sie in den Jahren 1897 bis 1903<br />
unermüdlich in ihrer Art <strong>und</strong> Weise weiter – nun allerdings mit der Möglichkeit, moderne Trans-<br />
portmittel zu nutzen <strong>und</strong> auf bereits erfolgte Agitation aufzubauen. Im Interesse ihrer Sicherheit<br />
beschloss das Zentralkomitee der Partei, dass sie Russland verlassen solle. <strong>Von</strong> 1903 bis 1905 leb-<br />
te sie deshalb im Ausland <strong>und</strong> trat als Rednerin auf Versammlungen in England <strong>und</strong> den USA auf.<br />
1430 Ebd.<br />
1431 Die Jahresangaben in dem Artikel von Karl Soll unterscheiden sich teilweise von denen Tenenbaums. Laut Soll<br />
kehrte Breschkowskaja erst 25 Jahre später <strong>und</strong> außerdem im Jahr 1897 nach Russland zurück (Soll, Karl:<br />
Politische Frauen. (Schluß). In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210) – es ist daher anzunehmen, dass die Zeiten der<br />
Untersuchungshaft unterschiedlich in die Angaben einbezogen wurden.<br />
1432 Tenenbaum, Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. (Schluß.). In: GL, 24/ 21/ 08.07.1914/ 325.<br />
1433 Vgl. ebd.<br />
1434 Ebd.<br />
1435 Ebd.<br />
519
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Nach Russland zurückgekehrt, wurde sie 1907 von einem ehemaligen Kampfgenossen denunziert,<br />
verhaftet <strong>und</strong> nach Sankt Petersburg gebracht. Das Gericht verurteilte sie dieses Mal zu<br />
lebenslänglicher Verbannung nach Sibirien. Aufgr<strong>und</strong> eines Fluchtversuchs wurde ihr straf-<br />
verschärfend auferlegt, an eine der entlegensten Orte Sibiriens, Nishni-Kolymsk, umzusiedeln. Zu<br />
dem Zeitpunkt, als Tenenbaums Artikel in der „Gleichheit“ erschien, war über ihren Transport<br />
dorthin jedoch noch nichts Genaues bekannt.<br />
Diese Lebensgeschichte <strong>und</strong> die langen Haftstrafen, die Breschkowskaja auf sich genommen<br />
hatte, lassen die „Gleichheit“ zusammenfassend urteilen, sie habe<br />
„der Sache des Volkes, der Freiheit, ein Vermögen geopfert, eine glänzende<br />
gesellschaftliche Stellung <strong>und</strong> was noch mehr bedeuten will: ein ganzes Leben“ 1436 .<br />
Karl Soll stellte vergleichend fest, dass Breschkowskaja eben dadurch, dass sie ihr vornehmes<br />
Leben aufgegeben habe, um als einfache Arbeiterin die Bauern aufzuklären, ein ganz „andere[r]<br />
Typus“ 1437 einer politischen Frau gewesen sei als es Jeanne-Marie Roland war. Dieser 1919<br />
erschienene Artikel Solls ergänzt nun die Informationen zu Breschkowskajas weiterem Schicksal:<br />
In Männerkleidern versuchte sie einen zweiten Fluchtversuch, der jedoch ebenfalls scheiterte. Ihre<br />
Verbannung endete erst im März 1917 mit der glücklichen Nachricht, dass die Revolution das<br />
Zarentum besiegt habe. Breschkowskaja bekam im neuen Russland sogar die ehrenvolle Aufgabe,<br />
das Vorparlament zu eröffnen. Weiteres war auch Soll nicht bekannt, denn Breschkowskaja floh<br />
„vor der Regierung Lenins ins Ausland“ 1438 – wie man aus dem Geburtstagsartikel erfährt, nach<br />
Paris.<br />
Der Charakter Breschkowskajas sei, so Soll, von einem „angeborene[n] Optimismus“ 1439 <strong>und</strong> „un-<br />
zerstörbare[r] Arbeitsfreudigkeit“ 1440 geprägt gewesen. Ihr den „Gleichheit“-Leserinnen vielleicht<br />
„fremdartig“ 1441 anmutendes Lebensbild, das „nur auf russischem Boden sich so abspielen konn-<br />
te“ 1442 , zeige<br />
„eine edle, starke <strong>und</strong> uneigennützige Persönlichkeit, die jede Nation mit Stolz zu<br />
den Ihren zählen würde“ 1443 .<br />
1436 Katharina Breschkowski, eine der tapfersten russischen Freiheitskämpferinnen … In: GL, 24/ 13/ 18.03.1914/<br />
207.<br />
1437 Soll, Karl: Politische Frauen. (Schluß). In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210.<br />
1438 Ebd.<br />
1439 Ebd.<br />
1440 Ebd.<br />
1441 Ebd.<br />
1442 Ebd.<br />
1443 Ebd.<br />
520
4.4.2 REVOLUTION ODER TERROR?! – DIE KLASSENKÄMPFERINNEN RUSSLANDS<br />
Die russischen Revolutionärinnen gingen in die Geschichte ein als Märtyrerinnen einer poli-<br />
tischen Sache. Aber wie bereits Zetkin war es auch Tenenbaum wichtig, nicht ihren Tod, sondern<br />
ihr Wirken hervorzuheben:<br />
„Unsterblich ist das Verdienst der vielen russischen Frauen, deren Kampf um Freiheit<br />
<strong>und</strong> Glück ihres Volkes der revolutionären Bewegung Rußlands Schwung <strong>und</strong><br />
Glanz verliehen hat, jener Frauen, die heiter lächelnd für die heilige Befreiungssache<br />
in den Tod gingen. Doch nicht minder strahlend <strong>und</strong> unvergänglich ist der<br />
Ruhm der anderen, die wie Katharina Breschkowskaja für diese Sache zu leben<br />
wußten, als sie verloren schien, ist der Ruhm der Frauen, die ein Menschenleben<br />
hindurch trotz Sibirien <strong>und</strong> Zwangsarbeit unerschütterlich an die Revolution glaubten,<br />
keinen Augenblick an ihrem Sieg zweifelten <strong>und</strong> unberührt von der trostlosen<br />
Wirklichkeit den Blick fest <strong>und</strong> unverwandt auf das hohe Ziel gerichtet hielten.<br />
Diese aufopferungsvolle Treue <strong>und</strong> dieser hinreißende Glaube haben W<strong>und</strong>er gewirkt,<br />
sie haben Schlafende geweckt, Gleichgültige aufgerüttelt <strong>und</strong> den prometheusschen<br />
Funken in zahlreichen Menschenherzen zu begeisterten Flammen<br />
emporschlagen lassen.“ 1444 [Hervorhebungen von M.S.]<br />
Es ist nicht das Leitbild der Märtyrerin, dem die „Gleichheit“ huldigte. Es ist vielmehr das Leit-<br />
bild der „Klassenkämpferin“, die ihr Leben in den Dienst des Sozialismus stellte <strong>und</strong> auch bereit<br />
war, dieses Leben zu riskieren.<br />
1444 Tenenbaum, Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. (Schluß.). In: GL, 24/ 21/ 08.07.1914/ 326.<br />
521
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
4.4.3 Zwei Kämpferinnen der Pariser Kommune<br />
Der beeindruckenden Zahl der russischen Revolutionärinnen, welche in der „Gleichheit“ ge-<br />
würdigt wurden, stehen erstaunlicherweise nur zwei Kommunekämpferinnen gegenüber. Marie<br />
Ferré (ca. 1851-1882) <strong>und</strong> Louise Michel (1839-1905), die zudem in einem sehr engen Fre<strong>und</strong>-<br />
schaftsverhältnis standen. Beide kämpften in der Pariser Kommune für „die Idee einer gesell-<br />
schaftlichen Wiedergeburt“ 1445 .<br />
Ferré, die aus einer kleinbürgerlichen, aber mit dem Proletariat sympathisierenden Familie<br />
stammte, vereinte laut einer verallgemeinernden These Zetkins<br />
„[i]n ihrer einfachen, schlichten Persönlichkeit […] die Charakterzüge jener drei<br />
Typen, die uns während des Heldenkampfes des Pariser Proletariats so zahlreich<br />
unter dessen Frauen entgegentreten: die Charakterzüge der Heldin, Märtyrerin <strong>und</strong><br />
Samariterin“ 1446 .<br />
Ihre Biographie hatte demnach ein besonderes „Vorbildpotential“ <strong>und</strong> bot den „Gleichheit“-Lese-<br />
rinnen zahlreiche Identifikationsmöglichkeiten.<br />
Ferré lebte mit ihrer Familie – Vater, Mutter <strong>und</strong> den beiden Brüdern Théophile <strong>und</strong> Hippolyte –<br />
in Levallois-Perret, einem Vorort von Paris. Die gesamte Familie hing den Ideen der Kommune<br />
an, es herrschte eine „revolutionäre[…] Atmosphäre“ 1447 im Elternhaus vor. Das Engagement für<br />
die Kommune blieb aber auch in der Familie Ferré geschlechtsrollenspezifisch. Während der<br />
Vater <strong>und</strong> die Brüder auf den Barrikaden kämpften, blieb Ferré<br />
„als Hilfe <strong>und</strong> Stütze der Mutter zurück, theilte mit ihr die häuslichen Arbeiten, die<br />
Sorgen um die kämpfenden Lieben, das Streben, sich diesen <strong>und</strong> der Sache der<br />
Kommune würdig <strong>und</strong> nützlich zu erweisen“ 1448 .<br />
Es entspricht ihrem beschriebenen Charakterzug als Samariterin, wenn sie nicht nur Vater <strong>und</strong><br />
Brüdern Essen <strong>und</strong> Wäsche brachte, sondern auch Verw<strong>und</strong>ete pflegte <strong>und</strong> „die Leiden Aller […],<br />
die an der Kommune theilgenommen hatten“ 1449 zu lindern suchte. Sie habe „Muthlose mit neuer,<br />
eiserner Energie“ 1450 , erfüllt <strong>und</strong> stets „ein liebreiches, ermuthigendes Wort, eine kleine Gabe für<br />
Die bereit [gehabt], welche des Trostes oder der Unterstützung bedurften“ 1451 . Für diese Sama-<br />
riterinnenarbeit, die über die Pflege körperlicher W<strong>und</strong>en weit hinausging, wurde sie, so Zetkin,<br />
1445 Marie Ferré. In: GL, 02/ 14/ 13.07.1892/ 119.<br />
1446 Ebd.<br />
1447 Ebd.<br />
1448 Ebd.<br />
1449 Ebd.<br />
1450 Ebd.<br />
1451 Ebd., S. 120.<br />
522
4.4.3 ZWEI KÄMPFERINNEN DER PARISER KOMMUNE<br />
„wie eine Heilige verehrt“ 1452 <strong>und</strong> selbst von den Gegnern bew<strong>und</strong>ert. Im Kampf für die Sache<br />
habe sie ihren eigenen Körper jedoch viel zu wenig geschont:<br />
„In edlem Selbstvergessen war ihr ganzes Thun darauf gerichtet, Anderen <strong>und</strong> vor<br />
Allem der Idee der Befreiung der Arbeiterklasse zu dienen.“ 1453<br />
Dem revolutionären Ziel bis zur Erschöpfung dienend, wurde Ferré von einem typhösen Fieber<br />
ergriffen, welches sie ans Bett fesselte. So lag sie auch krank zu Hause, als ein Trupp Soldaten auf<br />
der Suche nach ihrem Bruder Théophile ihr Elternhaus inspizierte. Die Soldaten drohten, ihre<br />
Mutter zu verhaften, um von ihr den Aufenthaltsort zu erzwingen. Um ihrer Mutter dies zu<br />
ersparen, bot sich Ferré statt ihrer als Gefangene an, was wiederum die Mutter nicht zulassen<br />
wollte. Zetkin sieht in diesem „edle[n] Wettstreit“ der beiden Frauen ein „lehrreiches Schauspiel“<br />
1454 , das zeige, dass die als „‘Megären der Kommune’“ 1455 verlästerten Kämpferinnen ein beson-<br />
deres Ehrempfinden besaßen. Beide Frauen hätten sich „einander die Ehre streitig […][gemacht],<br />
sich für eins ihrer Familienmitglieder opfern zu dürfen“ 1456 . H<strong>und</strong>ertfach habe sich diese Szene<br />
wiederholt <strong>und</strong> sie<br />
„rede[…] ganze Bände, auf welcher Seite, der bürgerlichen Geschichtsfälschung<br />
entgegen, während der Kommune Größe der Gesinnung zu finden war“ 1457 .<br />
Zetkin nutzte hier die Gelegenheit, dem bürgerlichen Bild proletarischer Verrohung das Bild einer<br />
höheren proletarischen Moral entgegenzusetzen.<br />
Es war schließlich die kranke Marie Ferré, die die die Soldaten begleiten musste. Ihre Erkrankung<br />
ließ sie während einer Nervenkrise fast bewusstlos werden <strong>und</strong> in diesem fatalen Zustand habe sie<br />
schließlich doch Angaben zum Aufenthaltsort ihres Bruders gemacht. Ihr Bruder wurde daraufhin<br />
gef<strong>und</strong>en, verurteilt <strong>und</strong> erschossen. 1458 Ihre Mutter erlitt einen psychischen Zusammenbruch <strong>und</strong><br />
starb in einer Irrenanstalt, während der Vater <strong>und</strong> der zweite Bruder, der später deportiert wurde,<br />
ins Gefängnis kamen.<br />
Die 20-jährige 1459 Ferré hatte nun ganz auf sich allein gestellt ein schweres Schicksal zu tragen.<br />
Zusätzlich musste sie sich, den Vater <strong>und</strong> den Bruder, die im Gefängnis schlecht versorgt waren,<br />
ernähren. Ihre Arbeitssuche blieb aber lange erfolglos, denn die Verwandten der<br />
1452 Ebd.<br />
1453 Ebd.<br />
1454 Ebd., S. 119.<br />
1455 Ebd.<br />
1456 Ebd.<br />
1457 Ebd.<br />
1458 Bei seiner Erschießung soll Théophile Ferré, so Zetkin, den „Muth[…] eines antiken Helden“ (ebd., S. 120)<br />
bewiesen haben.<br />
1459 Aus dieser Angabe lässt sich das ungefähre Geburtsjahr Ferrés schlussfolgern.<br />
523
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Kommunekämpfer wurden allgemein „wie Aussätzige gemieden oder auch wie Verbrecher<br />
betrachtet“ 1460 . Die Hilfe von Fre<strong>und</strong>en schlug sie aus, weil sie ihre Pflicht als Schwester <strong>und</strong><br />
Tochter als unteilbare Ehre erachtete. Nach mehrjähriger Haft wurde ihr Vater entlassen <strong>und</strong> 1880<br />
kam auch ihr Bruder Hippolyte in den Genuss einer Amnestie, die alle KommunekämpferInnen<br />
erhielten.<br />
Ihre Aufopferung für Familie <strong>und</strong> Revolution, die auch eine Art selbstgewählter Sühne für den<br />
„Verrat“ an ihrem Bruder Théophile gewesen sein dürfte, <strong>und</strong> die schwierige Lebenssituation<br />
verstärkten ein Herzleiden Ferrés. Sie starb 1882 <strong>und</strong> Zetkin war davon überzeugt, dass sie trotz<br />
der vielen Opfer nicht „mit dem Gefühl der Trauer um eine heldenkühne Niederlage der Idee,<br />
welcher sie gedient,“ 1461 aus dem Leben geschieden sei, sondern „mit der stolzen Zuversicht eines<br />
gewissen Sieges derselben“ 1462 .<br />
In Bew<strong>und</strong>erung <strong>und</strong> Sympathie widmete Louise Michel, die als „Rote Jungfrau“ berühmt wurde,<br />
Marie Ferré ihre „Memoiren“. Die beiden „edlen, hochherzigen Frauen“ 1463 habe, so Zetkin,<br />
„[e]ine tiefe, innige Fre<strong>und</strong>schaft <strong>und</strong> die leidenschaftliche Hingebung für gemeinsame Ideale“ 1464<br />
verb<strong>und</strong>en. So ist es nicht verw<strong>und</strong>erlich, dass auch Michel, die zudem Zetkin seit ihrer Zeit in<br />
Paris persönlich bekannt war, in der „Gleichheit“ als ein besonderes Vorbild sozialistischer<br />
Frauenbildung vorgestellt wurde.<br />
Im März 1893 schloss Nummer 5 der „Gleichheit“ mit der Ankündigung, die nächste Nummer als<br />
eine besondere Agitations-Nummer zu Ehren Michels zu gestalten. Sie sollte sowohl die Bio-<br />
graphie als auch Porträtbilder „der idealen Vorkämpferin des Proletariats“ 1465 enthalten. 1466 An den<br />
Anfang ihres Artikels stellte Zetkin die Behauptung, dass es keine ideale Gestalt gäbe, die Michel<br />
„an Größe <strong>und</strong> Lauterkeit der Gesinnung, an Hingabe des ganzen Ichs an eine hohe<br />
Idee, an freudiger Thatkraft […] überträfe“ 1467 .<br />
Michel sei „die Verkörperung schrankenloser Selbstaufopferung, flammender Begeisterung <strong>und</strong><br />
nicht rastenden Wirkens für ein großes Ziel“ 1468 , ein<br />
1460 Ebd.<br />
1461 Ebd.<br />
1462 Ebd.<br />
1463 Ebd.<br />
1464 Ebd.<br />
1465 [Ohne Titel, In:] GL, 03/ 05/ 08.03.1893/ 40.<br />
1466 Zetkin rechnete mit einem größeren Absatz dieser „Gleichheit“-Nummer, weshalb sie die zuständigen GenossInnen<br />
aufforderte, „etwaige Mehrbestellungen der Expedition […] rechtzeitig zukommen zu lassen“ (ebd.).<br />
1467 Louise Michel. In: GL, 03/ 06/ 22.03.1893/ 44.<br />
1468 Ebd.<br />
524
4.4.3 ZWEI KÄMPFERINNEN DER PARISER KOMMUNE<br />
„eigenthümliches Gemisch von glaubensfreudiger, um nicht zu sagen glaubensfanatischer<br />
Märtyrerin, thatenfreudiger Heldin <strong>und</strong> weichherziger Samariterin“ 1469 .<br />
Auch im Falle Michels griff Zetkin demnach auf die drei von ihr definierten Charaktertypen einer<br />
Kommunekämpferin zurück. Auch in diesem Falle trachtete Zetkin nach der Korrektur der<br />
bürgerlichen Propagandabilder, die aus einer „sozialrevolutionäre[n] Kämpferin“ 1470 eine „‘ent-<br />
menschte[…] Furie’“ 1471 oder „rasende[…] ‘Petroleuse’“ 1472 zu machen suchten.<br />
Als ein „Kind der Liebe“ 1473 sei Michel 1839 im Schloss Broncourt geboren worden. Sie war<br />
Tochter eines einfachen Dorfmädchens <strong>und</strong> dem Sohn einer Adelsfamilie, die es bemerkens-<br />
werterweise als selbstverständlich erachtete, das uneheliche Enkelkind in ihrem Hause auf-<br />
zunehmen <strong>und</strong> zu erziehen. Michel verbrachte eine glückliche Kinderzeit. Die Großeltern<br />
vermittelten ihr einen „liebevollen Sinn für die Natur, Verständniß <strong>und</strong> Begeisterung für die<br />
Poesie, für alles Schöne <strong>und</strong> Große“ 1474 . Es seien die Erzählungen des Großvaters von der Franzö-<br />
sischen Revolution gewesen, die in ihr außerdem „eine schrankenlose Freiheitsliebe“ 1475 entfesselt<br />
hätten.<br />
Nach dem Tod der Großeltern begann Michel eine Ausbildung zur Lehrerin. In ihrem Unterricht<br />
machte sie keinen Hehl aus ihren politischen Ansichten als Republikanerin <strong>und</strong> Gegnerin<br />
Napoleons III. Nach den zu erwartenden Problemen mit den Schulbehörden nahm sie eine<br />
Stellung an einer Pariser Privatschule an. Hier in Paris kam sie in Kontakt mit anderen Repu-<br />
blikanerInnen <strong>und</strong> wurde Mitglied verschiedener Geheimclubs. Sie befürwortete den Plan,<br />
Napoleon III. durch ein Attentat zu beseitigen, doch der „brudermörderische[…], kulturfeind-<br />
liche[…]“ 1476 Krieg mit Deutschland, so Zetkin, vereitelte die Durchführung desselben.<br />
Nach der Niederlage der französischen Truppen bei Sedan <strong>und</strong> der Gefangennahme Napoleons<br />
wurde in Paris die von Michel heißersehnte Republik ausgerufen. Zetkin analysierte die Situation<br />
jedoch wie folgt:<br />
1469 Ebd.<br />
1470 Ebd.<br />
1471 Ebd.<br />
1472 Ebd.<br />
1473 Ebd.<br />
1474 Ebd.<br />
1475 Ebd.<br />
1476 Ebd.<br />
1477 Ebd.<br />
„Die Regierungsform war gewechselt worden <strong>und</strong> hatte einen anderen Namen<br />
bekommen, aber das Wesen der französischen Staats- <strong>und</strong> Gesellschaftsverhältnisse<br />
war das gleiche geblieben.“ 1477<br />
525
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Die tatsächlichen gesellschaftlichen Umstände blieben unverändert, die Klassengegensätze traten<br />
schärfer denn je hervor. Und so brachen auch die Gegensätze zwischen Michel <strong>und</strong> ihren bis-<br />
herigen Kampfgenossen auf. Wenn Michel auch „Republikanerin mit Leib <strong>und</strong> Seele“ blieb, so<br />
war es doch nicht die „‘blaue’, bürgerliche Republik“ 1478 , sondern die „‘rothe,’ soziale Repub-<br />
lik“ 1479 , die kommunistische Gesellschaft, in der die „für Volksglück glühende Lehrerin“ 1480 „Brot,<br />
Wissen <strong>und</strong> Gesittung für Alle“ 1481 verwirklicht sah. So schloss sich Michel derjenigen Gruppe an,<br />
die später die Kommune begründen sollte, <strong>und</strong> beteiligte sich an Komitees <strong>und</strong> Wohlfahrtsaus-<br />
schüssen.<br />
Am 18. März 1871 wurde die Pariser Kommune proklamiert. Michel engagierte sich vor allem für<br />
die Agitation der Frauen. Sie versuchte, sie in Vereinen zu organisieren, um die Kommune-Mit-<br />
glieder, die durch die Militärtruppen der republikanischen Regierung verw<strong>und</strong>et wurden, zu<br />
pflegen, Lebensmittel zu verteilen <strong>und</strong> die Betreuung der Kinder zu gewährleisten. Ob beim<br />
Aufbau der Wälle <strong>und</strong> Barrikaden, dem Transport <strong>und</strong> der Pflege der Verw<strong>und</strong>eten oder dem<br />
Versuch, „Sterbenden die letzte St<strong>und</strong>e zu versüßen durch Hinweis auf das große Ziel, für das sie<br />
gefallen“ 1482 – Michel sei „barmherzige Samariterin“ 1483 <strong>und</strong> „kühne[…] Heldin“ 1484 zugleich<br />
gewesen.<br />
Weil man nach der äußerst blutigen Niederschlagung der Kommune nach Michel fahndete <strong>und</strong><br />
dabei ihre Mutter als Druckmittel hätte gefangen nehmen können, stellte sie sich schließlich frei-<br />
willig. Als Kriegsgefangene ins Versailler Gefängnis gebracht, nahm Michel erst die unwürdigen<br />
Haftbedingungen <strong>und</strong> dann auch das Urteil zur lebenslangen Verbannung auf die Halbinsel Ducos<br />
in Neukaledonien gelassen hin. Lediglich die Trennung von ihrer Mutter <strong>und</strong> ihrer besten<br />
Fre<strong>und</strong>in Marie Ferré quälte sie.<br />
Selbst in der Verbannung blieb Michel nicht untätig. Sie erlernte die Sprache der einheimischen<br />
Kanaken, sammelte einerseits deren Legenden <strong>und</strong> Dichtungen <strong>und</strong> erteilte ihnen andererseits<br />
Unterricht. 1485 Dank einer allgemeinen Amnestie nach Frankreich zurückgekehrt, setzte sie auch<br />
hier wieder die Agitationsarbeit für die Umwandlung der Gesellschaft fort. Ihren Lebensunterhalt<br />
verdiente sie sich durch literarische Arbeiten. Sie musste des Öfteren Gefängnisstrafen verbüßen<br />
1478 Louise Michel. In: GL, 03/ 06/ 22.03.1893/ 45.<br />
1479 Ebd.<br />
1480 Ebd.<br />
1481 Ebd.<br />
1482 Ebd.<br />
1483 Ebd.<br />
1484 Ebd.<br />
1485 Ebd.<br />
526
4.4.3 ZWEI KÄMPFERINNEN DER PARISER KOMMUNE<br />
<strong>und</strong> während einer ihrer Haftzeiten starb ihre Mutter. Diesen Verlust sollte Michel nie verwinden.<br />
Eine Begnadigung schlug sie aus, man musste sie sogar mit Gewalt aus dem Gefängnis entfernen.<br />
Für den Fall weiterer solcher exzentrischen Reaktionen drohten die Behörden ihr mit der Ein-<br />
lieferung in ein Irrenhaus.<br />
1890 ging Michel nach London <strong>und</strong> gründete dort eine internationale Schule für die Kinder der<br />
vielen in London lebenden politischen Flüchtlinge, die sich jedoch finanziell nicht halten konnte.<br />
Auch agitatorisch war Michel weiterhin tätig, die fremde Sprache erschwerte ihr Wirken jedoch in<br />
einem Maße, „daß der Name, der einst in Aller M<strong>und</strong>e war, heute nur noch selten in der sozialis-<br />
tischen Bewegung genannt wird“ 1486 .<br />
Ein anderer Gr<strong>und</strong> dafür, dass Louise Michels „Wirken ohne tiefere Bedeutung für den Fortgang<br />
der französischen Arbeiterbewegung“ 1487 blieb, lag in der „Unklarheit ihrer Anschauung, in man-<br />
gelndem Verständniß für den Werth der Organisation“ 1488 . Sie selbst habe offiziell keiner sozialis-<br />
tischen Partei angehört <strong>und</strong> sich auch nicht genug von den sie umschmeichelnden Anarchisten –<br />
„unter ihnen auch viele falsche Brüder, Spitzel <strong>und</strong> Lockspitzel“ 1489 – distanziert.<br />
Am 6. April 1904 erschien in der „Gleichheit“ ein Nachruf auf Michel. In diesem wurden viele<br />
der in der Agitationsnummer skizzierten Ereignisse im Leben Michels <strong>und</strong> ihre besonderen Cha-<br />
raktereigenschaften erneut vorgestellt. Zetkin, die diesen Nachruf verfasst haben dürfte, nutzte<br />
aber außerdem diese Gelegenheit, um der Pariser Kommune, die eine „friedliche[…] Diktatur der<br />
kleinbürgerlich-proletarischen Demokratie“ 1490 gewesen sei, „die blutige Diktatur der besitzenden<br />
Klassen“ 1491 gegenüberzustellen. Letztere sei eine „Schreckensherrschaft, gewalttätiger, greuel-<br />
belasteter als alle revolutionären Erhebungen des französischen Volkes im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert“ 1492<br />
gewesen.<br />
Vor diesem historischen Hintergr<strong>und</strong> erscheint die Gestalt Louise Michels umso leuchtender <strong>und</strong><br />
reiner. Während die Richter des 3. Kriegsgerichts in Versailles, dessen Verhandlung Michel auf<br />
der ganzen Welt bekannt machte, versucht hätten, sie als Furie, als „Bestie in Menschengestalt“ 1493<br />
darzustellen, war sie für Zetkin stets Lehrerin, Heldin, barmherzige Samariterin, Pflegerin <strong>und</strong><br />
1486 Ebd., S. 46.<br />
1487 Ebd.<br />
1488 Ebd.<br />
1489 Ebd.<br />
1490 Louise Michel †. In: GL, 14/ 08/ 06.04.1904/ 57.<br />
1491 Ebd.<br />
1492 Ebd.<br />
1493 Ebd.<br />
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ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Trösterin. 1494<br />
Nochmals betonte Zetkin die in sie gesetzten Erwartungen, die die Kommuneheldin nach ihrer<br />
Rückkehr aus der Verbannung jedoch enttäuscht habe:<br />
„Wohl schaute Louise Michel in der Verzückung einer Seherin die Insel der<br />
Seligen, welche der Sozialismus der erlösten Menschheit erschließt, dagegen<br />
erkannte sie nicht den Weg, der durch Sturm, Wogendrang <strong>und</strong> Klippen zu dem<br />
hehren Ziele führt.“ 1495<br />
Es sei die ihr mangelnde klare, geschichtliche Auffassung <strong>und</strong> politische Schulung gewesen, die<br />
sie weiterhin auf dem „Flugsand der sozialistischen Utopie“ statt auf dem „sicheren Boden des<br />
wissenschaftlichen Sozialismus“ stehen ließen. Mit jedem Fortschritt in der inneren Entwicklung<br />
der sozialistischen Arbeiterbewegung geriet Michel weiter ins Abseits. Aus ihr sei allmählich eine<br />
„sozial-revolutionäre[…] Eingängerin“ 1496 geworden, sich „eng <strong>und</strong> enger“ 1497 an die Anarchisten<br />
anschließend, die ihre „pseudorevolutionären Torheiten“ 1498 mit Michels berühmtem Namen<br />
schmückten. In London habe ihrer Agitation – erschwert durch das fremde Milieu – der „Re-<br />
sonanzboden“ 1499 gefehlt.<br />
Michel gehe in die Geschichte der sozialistischen Arbeiterbewegung ein als „Evangelistin <strong>und</strong><br />
Märtyrerin des sozialistischen Gedankens“. Ihr Verdienst waren „[n]icht selbstgeschmiedete,<br />
feingeschliffene, wissenschaftliche Formeln […], nicht Früchte politischer Reife <strong>und</strong> Weisheit“,<br />
da ihr das „systematische[…] Arbeiten <strong>und</strong> Ringen der Arbeiterklasse“ 1500 fremd war. Ihr<br />
Verdienst sei es vielmehr gewesen, „eine reiche Fülle revolutionärer sittlicher Werte“ 1501 hinter-<br />
lassen zu haben:<br />
„Im Toben des Klassenkampfes wie in der Stille ihres Privatlebens war sie durch<br />
die lebendige Macht des Beispiels eine große Erzieherin zur höchsten Bürgertugend,<br />
zur Einheitlichkeit von Sein <strong>und</strong> Tun.“ 1502<br />
Dieses Beispiel hatte auch Bedeutung für die deutschen <strong>Klassenkämpferinnen</strong>, denn die Situation<br />
unter dem Sozialistengesetz war der Zeit der Kommune sehr ähnlich. Es war nicht nur von Be-<br />
deutung, weil Michel in „ihrer Charaktergröße <strong>und</strong> Charaktereinheit“ anderen Kraft gab, „dem<br />
Wüten der Reaktion mannhaft zu trotzen, in glaubensfreudiger Unerschütterlichkeit für das sozia-<br />
1494 Vgl. ebd.<br />
1495 Ebd.<br />
1496 Ebd.<br />
1497 Ebd.<br />
1498 Ebd.<br />
1499 Ebd., S. 58.<br />
1500 Ebd.<br />
1501 Ebd.<br />
1502 Ebd.<br />
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4.4.3 ZWEI KÄMPFERINNEN DER PARISER KOMMUNE<br />
listische Ideal zu kämpfen“ 1503 , sondern weil sie der Beweis dafür war, dass einem „kämpfenden<br />
Weib[…]“ nicht das<br />
„Erbarmen für fremde Leben <strong>und</strong> Leiden abstirbt, ja mehr noch, daß sein stärkster<br />
Heroismus aus seiner tiefsten Güte quillt“ 1504 .<br />
Michel – jederzeit die ganze Persönlichkeit für ihr Ideal einsetz[end]“ 1505 – habe sowohl als<br />
Besiegte nie ihren Stolz <strong>und</strong> ihre Würde, als auch als Ruhmumrauschte nie ihre Bescheidenheit<br />
<strong>und</strong> Einfachheit verloren 1506 , stets Menschenliebe <strong>und</strong> Überzeugungstreue bewiesen.<br />
Einerseits freudig erleichtert, aber andererseits peinlich berührt musste die „Gleichheit“-<br />
Redaktion ihren Leserinnen in der nächsten Nummer mitteilen, dass der Tod Michels eine<br />
Falschmeldung war. Diese sei eben nicht nur von den meisten anderen deutschen Zeitungen,<br />
sondern auch von der „Gleichheit“ gebracht worden. Michel war nicht in London gestorben,<br />
vielmehr befand sie sich schwer krank im französischen Toulon <strong>und</strong> war bereits wieder auf dem<br />
Wege der Besserung. 1507<br />
Nur ein knappes Jahr später jedoch – am 9. Januar 1905 – verstarb Michel tatsächlich. Zetkin<br />
selbst verfasste nun lediglich eine Notiz. Die „Gleichheit“ hatte ja bereits mit der Falschmeldung<br />
im März des vorigen Jahres Michels „Persönlichkeit <strong>und</strong> ihr Wirken ausführlich gewürdigt“ 1508 . Es<br />
habe, so Zetkin, nun „[e]in großes Herz, das ganz <strong>und</strong> gar den Armen <strong>und</strong> Enterbten gehörte, das<br />
leidenschaftlich für die höchsten Ideale der Menschheit glühte, […] aufgehört zu schlagen“ 1509 . Im<br />
Weiteren wiederholte sie den letzten Absatz ihres damaligen Nachrufes:<br />
„Ein Gelöbnis in der Seele, so grüßen wir voll unauslöschlicher Dankbarkeit die<br />
Tapfere <strong>und</strong> Edle, der aus leidenschaftlichem Mitgefühl für alle Menschennot der<br />
todesmutige Rebellentrotz einer revolutionären Kämpferin erwuchs; die als Besiegte<br />
ihren Stolz <strong>und</strong> ihre Würde, als Ruhmumrauschte ihre Bescheidenheit <strong>und</strong><br />
Einfachheit bewahrte; die in allen Bitternissen die Glut ihrer Menschenliebe, in<br />
allen Wechselfällen des Lebens die felsenfeste Überzeugungstreue unversehrt erhielt;<br />
[…].“ 1510<br />
Die Widersprüche im Leben der Louise Michel, die von Zetkin hier angeführt wurden, waren<br />
keine wirklichen Widersprüche <strong>und</strong> betrafen auch nicht ihre politische Gesinnung. Mit diesen<br />
1503 Ebd.<br />
1504 Ebd.<br />
1505 Ebd.<br />
1506 Ebd.<br />
1507 Eine gute Nachricht … In: GL, 14/ 09/ 20.04.1904/ 72.<br />
1508 Louise Michel †. In: GL, 15/ 02/ 25.01.1905/ 11.<br />
1509 Ebd.<br />
1510 Ebd.<br />
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ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
sollte sich aber Wilhelm Holzamer (1870-1907) 1511 in seinem ganz andersartigen Nachruf auf die<br />
Kommunardin beschäftigen.<br />
Der Lyriker <strong>und</strong> Schriftsteller hatte persönlich die letzte von Michel in Paris gehaltene Rede ge-<br />
hört <strong>und</strong> beschreibt sehr detailliert den tiefen Eindruck, den diese Begegnung auf ihn gemacht<br />
hatte <strong>und</strong> der überraschend anders ist:<br />
„Ihr Ende war längst vorauszusehen. Ihre letzte Krankheit im vorigen Winter hatte<br />
sie sehr geschwächt. Sie war nur noch ein Schatten nach ihr, ein Skelett.“ 1512<br />
Holzamers Bericht wirkt alles andere als geschönt. Kein Wort von der Frische einer Greisin, von<br />
einer ungebrochenen Kraft, die Michel ausgestrahlt haben könnte. Stattdessen die Beschreibung<br />
ihres verfallenden, verwelkenden Körpers, ihre blauädrigen Hände, ihrer gekrümmten Gestalt, in<br />
der man nie die berühmte Louise Michel vermutet hätte. Und auch ihr Auftritt sprach für ihren<br />
körperlichen Verfall:<br />
„Dann kam Louise von hinten hervor. Langsam, müde zerfallen. Sie kam von ‘den<br />
Pforten des Todes’ her. Und so ärmlich sah sie aus. Ein sehr einfaches schwarzes<br />
verschossenes Kleidchen in altmodischem Schnitt, ein kleines Kapottchen auf dem<br />
grauen Kopfe, das Haar dünn über die Schläfen gestrichen.“ 1513<br />
Lediglich in ihren Augen sei jene „große Güte, dieses gütige Weibsein, das ihr eigen war“, zu er-<br />
kennen gewesen <strong>und</strong> wenn ihr zahnloser M<strong>und</strong> erzählte, dann war „alles Milde in ihr“ erkennbar,<br />
dann war sie „ganz Weib <strong>und</strong> Hingebung“ 1514 . Andererseits schien sie nur schwach <strong>und</strong> gebrech-<br />
lich, denn sie hätte „die Ausdauer alter Leute, die nicht alt sein wollen. Sie hat noch viel zu sagen,<br />
sie wird es alles noch sagen.“ 1515<br />
Michel sprach bei jenem Auftritt in Paris gegen<br />
„die kleinen Gelegenheiten, wo der ganze Einsatz der Persönlichkeit versäumt<br />
worden, wo der Einzelne kein Ganzer gewesen war mit mutiger, rücksichtsloser<br />
Selbsttreue, wodurch er der Gesamtheit am schwersten geschadet, wodurch er die<br />
Gesamtheit in sich verraten <strong>und</strong> preisgegeben hatte“ 1516 .<br />
Sie appellierte auf die Weise besonders an die Frauen <strong>und</strong> Mütter, so Holzamer, an „ihren Einfluß<br />
auf den Mann, sein geistiges <strong>und</strong> politisches Leben, an ihren Einfluß auf die Erziehung der<br />
1511 Wilhelm Holzamer arbeitete 1889 als Lehrer in Heppenheim. 1901 übertrug ihm Großherzog Ernst Ludwig von<br />
Hessen die Leitung der „Darmstädter Spiele“ <strong>und</strong> seiner Kabinettsbibliothek. 1902-1905 lebte Holzamer in Paris,<br />
ab 1905 in Berlin. Holzamer verfasste u. a. verschiedene Frauenromane: „Inge“ (1903), „Ellida Solstratten“<br />
(1904), „Vor Jahr <strong>und</strong> Tag“ (1908). In dem autobiographischen Werk „Der Entgleiste“ (1910) verarbeitete er seine<br />
Pariser Zeit.<br />
1512 Holzamer, Wilhelm: Louise Michel. In: GL, 15/ 03/ 08.02.1905/ 14.<br />
1513 Ebd.<br />
1514 Ebd.<br />
1515 Ebd.<br />
1516 Ebd.<br />
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4.4.3 ZWEI KÄMPFERINNEN DER PARISER KOMMUNE<br />
Kinder“ 1517 <strong>und</strong> daran, ihn für die Sache zu gewinnen. Holzamer hielt es im Weiteren aber für<br />
gerechtfertigt, auf eine inhaltliche Analyse ihrer Rede zu verzichten. Er bezeichnete diese als<br />
„dilettantisme, Dilettantismus, in einem besonderen Sinne“ 1518 . Dieser Dilettantismus habe zwar<br />
das „Höchste gemeinsam: Freiheit, Menschenrecht“ 1519 , aber entbehre die „gerade[…] Logik<br />
politischer Anschauung“ 1520 . Zwar sei dieses Höchste im Fall Michels alles andere als Phrase,<br />
denn „ein schweres Leben zeugte dafür, es war Tat“ 1521 . Zwar bewies Michel den „Mut der<br />
Märtyrer,[…] Idealismus der Überzeugung, […] Freudigkeit des Erduldens“ 1522 <strong>und</strong> in diesen<br />
Einzelheiten ihres Lebens liege das Packende ihrer Ausführungen, aber ansonsten fehle ihnen der<br />
„große Zug“ 1523 .<br />
Dies habe sich, so Holzamer weiter, auch in ihrer Weltanschauung widergespiegelt. Ihre<br />
Schwäche sei es gewesen, „in der Zufälligkeit stecken“ 1524 geblieben zu sein. Weil sie in der Tat<br />
aufging <strong>und</strong> nicht nach den tieferen Beweggründen fragte, war sie „auch Dilettant der<br />
Überzeugung“ 1525 , waren „Sozialismus <strong>und</strong> Anarchismus […] im Gr<strong>und</strong>e doch nur Mittel, nicht<br />
Zweck <strong>und</strong> Ziel“ 1526 . Michel, so Holzamer resümierend, „war ein Spätling, ihre Zeit war schon<br />
vorübergegangen“ 1527 . Und doch wollte er mit all dem, was er an ihrer politischen Einstellung<br />
kritisierte, „nicht die höchste Anerkennung [mindern], die ihr Charakter verdient, den ihr Leben<br />
ehrt“ 1528 .<br />
Es ist dieser „Überzeugungsdilettantismus“, den bereits Zetkin in ihrem Nachruf auf Michel – nur<br />
in weniger harten Worten – kritisierte <strong>und</strong> womit Michels Bedeutung als sozialistische Leitfigur<br />
sehr stark relativiert wurde. Entgegen dem von der proletarischen Frauenbewegung vertretenen<br />
Ideal, die Frauen zu wissenschaftlich geschulten Sozialistinnen zu erziehen, sei Michel „Revo-<br />
lutionärin aus Temperament, Sozialistin aus Gerechtigkeitsgefühl geblieben“ 1529 . Sie teilte nicht<br />
1517 Ebd.<br />
1518 Ebd. Auch ihre Sprache <strong>und</strong> ihr dichterisches Können sei lediglich dilettantisch – in jenem französischen Wortsinn<br />
– gewesen (vgl. ebd.).<br />
1519 Ebd.<br />
1520 Ebd.<br />
1521 Ebd.<br />
1522 Ebd.<br />
1523 Ebd.<br />
1524 Ebd.<br />
1525 Ebd.<br />
1526 Ebd.<br />
1527 Ebd.<br />
1528 Ebd.<br />
1529 Louise Michel. In: GL, 03/ 06/ 22.03.1893/ 46.<br />
531
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
die fortschrittliche Erkenntnis der modernen Arbeiterbewegung, dass die Umgestaltung der Ge-<br />
sellschaft Ergebnis der geschichtlichen Entwicklung sein würde – ihr war sie „eine sittliche Noth-<br />
wendigkeit“ 1530 . Diese Überzeugung war für Zetkin keine wahrhaft sozialistische Überzeugung.<br />
Und so sah sie Michels Bedeutung <strong>und</strong> damit ihre Vorbildfunktion nicht in dem, was sie bewirkt<br />
hat, sondern in ihrer Persönlichkeit:<br />
„in der Größe, Reinheit ihrer Gesinnung, in dem Heroismus <strong>und</strong> der Selbstlosigkeit<br />
ihres Thuns, der Wahrhaftigkeit <strong>und</strong> Einfachheit ihres Wesens. Ihr Leben <strong>und</strong><br />
Wirken war von dem großen Gesetz der Selbstaufopferung regiert, es bleibt ein<br />
leuchtendes Beispiel der vollen Hingabe eines ganzen, reichen Menschenlebens an<br />
eine Idee, eine ergreifende <strong>und</strong> begeisternde Bethätigung des ‘Alles für Andere’“<br />
1531 .<br />
Louise Michel, die „Rote Jungfrau“, wird in ihrer Bedeutung damit quasi auf die Stufe einer jener<br />
bürgerlichen Frauenleitfiguren degradiert, wie sie in Kapitel 4.5 dieser Arbeit noch skizziert<br />
werden. Es ist die prinzipielle Klarheit der richtigen politischen Anschauung, die eine sozialis-<br />
tische Klassenkämpferin von einem „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ unterscheidet. Hinsichtlich der<br />
Persönlichkeit Michels <strong>und</strong> ihrem besonderen Potential fiel ihre Beurteilung angesichts der<br />
enttäuschten Erwartungen besonders kompromisslos aus.<br />
1530 Ebd.<br />
1531 Ebd.<br />
532
4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />
4.4.4 Kämpferinnen der ersten St<strong>und</strong>e – Engagierte Proletarierinnen unter dem<br />
Sozialistengesetz<br />
Die „Gleichheit“ dokumentiert den Wandel innerhalb der proletarischen Frauenbewegung auch<br />
dadurch, dass sie ihren Leserinnen in Form von Nachrufen den tragischen Verlust engagierter<br />
Mitglieder anzeigen musste. Besonders die Reihen der „Alten“, der Kämpferinnen der ersten<br />
St<strong>und</strong>e, lichteten sich mehr <strong>und</strong> mehr. 1532 Auch diese hochverdienten Kämpferinnen lassen sich<br />
wiederum in verschiedene Gruppen differenzieren. Sie waren Frauen, die mit der Arbeiter-<br />
bewegung sympathisierten, Frauen, die Kleinarbeit in Agitation <strong>und</strong> Organisation betrieben <strong>und</strong><br />
Frauen, die Führungspositionen übernahmen. Gemeinsam ist ihnen allen der Schwerpunkt ihres<br />
Engagements in einer Zeit, in der auch die schlichte Sympathie für die Sozialdemokratie große<br />
„Scherereien“ einbringen konnte.<br />
4.4.4.1 Sympathisantinnen <strong>und</strong> „Parteikleinarbeit“ leistende Mitglieder<br />
Einer der ersten Nachrufe auf eine Kämpferin der ersten St<strong>und</strong>e, war derjenige auf Lina Kowald<br />
(?-1892) aus Stuttgart. Sie wurde darin als eine „treue, gesinnungstüchtige Genossin“ 1533 be-<br />
schrieben, die „[i]n der festen Ueberzeugung von der Gerechtigkeit der Sache des Proletariats“ 1534<br />
die Folgen ertrug, die sich aus dem politischen Engagement ihres ersten Ehemannes auch für sie<br />
ergaben. Auch ihr zweiter Mann, mit dem sie gemeinsam für drei „unerzogene“ 1535 Kinder sorgte,<br />
war ein Parteigenosse.<br />
Auch Marie Brader (?-1897), so ist aus ihrem Nachruf zu erfahren, stand viele Jahre treu zur<br />
Fahne der Sozialdemokratie <strong>und</strong> „bewährte […] sich als eine rührige <strong>und</strong> opferfreudige Kämp-<br />
ferin für die hehre Idee der Befreiung der Arbeiterklasse“ 1536 . Bis zu ihrem Lebensende, das von<br />
einem tückischen Leiden beschleunigt eintrat, war sie aktiv am Kampf beteiligt, hing sie der<br />
Arbeiterbewegung „mit glühender Seele“ 1537 an, war treue Ideen- <strong>und</strong> Kampfesgenossin“ 1538 .<br />
1532 Baader, Ottilie: Lina Scherzer – Berlin †. In: GL, 26/ 08/ 07.01.1916/ 57.<br />
1533 [Ohne Titel. In:] GL, 02/ 15/ 27.07.1892/ 126.<br />
1534 Ebd.<br />
1535 Ebd.<br />
1536 Ein[e] wackere Streiterin… In: GL, 07/ 22/ 27.10.1897/ 175.<br />
1537 Ebd.<br />
1538 Ebd.<br />
533
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Ein besonders langjähriges Mitglied der Bewegung war die im Alter von 81 Jahren verstorbene<br />
Lina Scherzer (?-1915). Laut ihrem von Baader verfassten Nachruf war sie ein stets rühriges<br />
Mitglied der proletarischen Frauenbewegung Berlins, aber über die Grenzen Berlins wohl kaum<br />
bekannt. Wie noch einige andere der folgenden Kämpferinnen der ersten St<strong>und</strong>e trug auch sie den<br />
Ehrennamen „Mutter Scherzer“. Geboren auf dem Lande als „echtes, rechtes Proletarierkind“ 1539<br />
musste sie bereits als Kind zum Familieneinkommen beitragen. Ihre Schulbildung war eine sehr<br />
ungenügende, so dass sie das Lesen erst später erlernte <strong>und</strong> das Schreiben für sie eine „unerlern-<br />
bare Kunst“ 1540 blieb – was daran lag, dass die harte Kinderarbeit ihre Finger hatte ungelenk<br />
werden lassen. Trotz der mangelnden Bildung „ergriffen die sozialistischen Lehren mit unwider-<br />
stehlicher Gewalt ihr Herz <strong>und</strong> Hirn […]. Sie wurden der Leit- <strong>und</strong> Hoffnungsstern ihres<br />
Lebens“ 1541 , dem sie zustrebte – nicht für Ansehen <strong>und</strong> Anerkennung, sondern aus „Pflicht-<br />
erfüllung“ 1542 . In ihrer ruhigen, sicheren Art war sie ein vorbildliches Parteimitglied, dem es<br />
angelegen war, „die Zahl ihrer Mitglieder zu vermehren, Abonnenten für die Presse zu gewinnen<br />
usw.“ 1543 . Sie leistete demnach vornehmlich die übliche Kleinarbeit, dennoch sprach an ihrem<br />
Grab sogar der Reichstagsabgeordnete Richard Fischer. In seiner Rede gedachte er mit Scherzer<br />
einer von<br />
„den Vielen, die ungenannt im stillen wirken, ihr Bestes geben <strong>und</strong> deren Treue<br />
<strong>und</strong> Aufopferungsfähigkeit eine der Kraftquellen der sozialistischen Bewegung<br />
ist“ 1544 .<br />
Die Bedeutung der Partei <strong>und</strong> das Verhältnis ihrer Mitglieder zu ihr wird besonders durch<br />
folgende Argumentation der „Gleichheit“ beleuchtet:<br />
„Hohe Ideale muß eine Partei verfechten, damit sie Charaktere von der Lauterkeit<br />
<strong>und</strong> dem rastlosen Eifer unserer Genossin Scherzer gewinnt <strong>und</strong> festhält.“ 1545<br />
Eine Partei <strong>und</strong> ihr Programm ist demnach nur so authentisch wie ihre Mitglieder – <strong>und</strong><br />
umgekehrt.<br />
Auch ? Trompeter (?-1897) hatte sowohl die Schwierigkeiten des Alltags als auch die des Sozia-<br />
listengesetzes zu bewältigen. Auch als ihr Ehemann aus politischen Gründen ausgewiesen wurde,<br />
„zog sie mit dem Gatten in die Fremde, ohne durch Murren oder Klagen seine moralische Wider-<br />
1539 Baader, Ottilie: Lina Scherzer – Berlin †. In: GL, 26/ 08/ 07.01.1916/ 57.<br />
1540 Ebd.<br />
1541 Ebd.<br />
1542 Ebd.<br />
1543 Ebd.<br />
1544 Ebd.<br />
1545 Ebd.<br />
534
4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />
standskraft zu schwächen <strong>und</strong> seine Sorgen zu mehren“ 1546 . Sie reisten nach London <strong>und</strong> in die<br />
Schweiz, kehrten dann aber nach Deutschland zurück. Trompeter teilte zwar vorbildlich die Ideale<br />
ihres Ehemannes <strong>und</strong> zog mit ihm die Konsequenzen, aber es war „nur“ „rege <strong>und</strong> verständnis-<br />
volle Sympathie“ 1547 , die sie für die sozialistische Bewegung hatte. Sie selbst war nicht aktiv, aber<br />
„[i]hr umsichtiges, rühriges Walten in Haus <strong>und</strong> Geschäft trug ganz wesentlich<br />
dazu bei, dem Gatten die Möglichkeit zu schaffen, wieder an erster Stelle in der<br />
politischen <strong>und</strong> gewerkschaftlichen Bewegung Frankfurts zu kämpfen“ 1548 .<br />
So leistete Trompeter, die außerdem Mutter eines Sohnes war, auf ihre Weise ihren Beitrag an der<br />
politischen Bewegung. Dies tat sie bis sie einer Lungenkrankheit erlag. Ihren Trauerzug geleiteten<br />
nicht nur 2.000 GenossInnen, sondern auch eine große Zahl von Polizisten – gerade so, als habe<br />
es sich bei der Trauergemeinde um „einen niederzuknüppelnden gewaltthätigen Auflauf“ 1549<br />
gehandelt. Die Polizei untersagte dem Parteivertrauensmann eine Ansprache <strong>und</strong> verhaftete ihn<br />
schließlich noch am Grab. Auch wenn diese besondere Anteilnahme der GenossInnen eher auf die<br />
Position ihres Ehemannes zurückzuführen sein dürfte, so hatte aber auch Trompeter ihren Anteil<br />
an der Größe der Partei, denn die „Gleichheit“ war der Meinung:<br />
„Eine Partei, in deren Reihen Tausende <strong>und</strong> Abertausende von Frauen vom Schlage<br />
der Genossin[…] Trompeter stehen <strong>und</strong> für ihre Ideale im tagtäglichen<br />
unscheinbaren <strong>und</strong> doch hochwichtigen Kampfe opfern <strong>und</strong> ringen, eine solche<br />
Partei ist unbesieglich.“ 1550<br />
Mit jeder Genossin vom Format einer Trompeter, die starb, wurde die Zukunft <strong>und</strong> der Charakter<br />
der Partei <strong>und</strong> der ihr zugehörigen Frauenbewegung jedoch ungewisser, die gezielte politische<br />
Schulung demnach immer dringlicher.<br />
Das Engagement Wilhelmine Lehmanns (?-1911) zur Zeit des Sozialistengesetzes wurde in ihrem<br />
Nachruf nicht näher beschrieben. 1905 war sie Mitbegründerin der proletarischen Frauen-<br />
organisation in Mannheim <strong>und</strong> später Vorsitzende der Organisation von Bezirk Neckarvorstadt.<br />
Die Ehefrau des Reichstagsabgeordneten Lehmann 1551 starb an den Folgen eines Schlaganfalls <strong>und</strong><br />
gab laut „Gleichheit“ „ein leuchtendes Beispiel, wie die Frau die Pflichten gegen die Familie mit<br />
1546 Zwei wackere Kämpferinnen … In: GL, 07/ 08/ 14.04.1897/ 61.<br />
1547 Ebd.<br />
1548 Ebd.<br />
1549 Ebd.<br />
1550 Ebd.<br />
1551 Da es nur einen Reichstagsabgeordneten mit Nachnamen Lehmann gab, muss es sich hier um Gustav Lehmann<br />
handeln. Er war gelernter Schreiner <strong>und</strong> bereits seit 1882 als Parteifunktionär <strong>und</strong> später als Mitarbeiter im SPD-<br />
Verlagswesen aktiv. Seit 1905 bekleidete Lehmann das Amt eines Stadtverordneten in Mannheim <strong>und</strong> 1907-1912<br />
das eines Reichstagsabgeordneten. Angaben zu seinem Familienstand fehlen in der BIOSOP-Datenbank jedoch.<br />
535
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
der Arbeit für die große Sache ihrer Klasse verbinden kann“ 1552 .<br />
Auch Johanna Schwartz‘ (1833-1912/ fast 80-jährig) Ehemann – Theodor Schwartz – war<br />
Reichstagsabgeordneter. Es war die Liebe zu ihm, die sie in die neue Ideenwelt führte. 1865<br />
heirateten sie <strong>und</strong> seit 1866 sei Schwartz nicht nur die „verständnis- <strong>und</strong> liebevollste Lebens-<br />
gefährtin“ 1553 ihres Ehemannes gewesen, sondern auch bekennende Sozialistin. Doch, so das<br />
Urteil der „Gleichheit“, habe Schwartz im Sozialismus „keine verstandesmäßige Lehre“ 1554 , son-<br />
dern „vielmehr eine Herzenssache [gesehen], deren warmer Schein das ganze Leben durch-<br />
drang“ 1555 . Obwohl sie gemeinsam mit ihrem Gatten 30 Jahre lang als Stewardess zur See fuhr,<br />
versäumte es „Mutter Schwartz“ nicht, auf den meisten Parteitagen <strong>und</strong> internationalen Kon-<br />
gressen anwesend zu sein. Auch wenn sie diese nicht als Delegierte besuchte, so sei sie doch eine<br />
„aufmerksame[…] Zuhörerin“ 1556 gewesen, „die mit geradezu religiöser Andacht den Verhand-<br />
lungen folgte <strong>und</strong> die Ideen in ihrem Herzen bewegt[…]“ 1557 habe.<br />
Unersetzliche Kleinarbeit war es, die Amalie Taubert (?-1913/ 65-jährig) zur Zeit des Sozialisten-<br />
gesetzes in Leipzig geleistet habe. So sah es die Leiterin der proletarischen Frauenbewegung<br />
Leipzigs Klara Wehmann (?-1915/ 56-jährig) in dem von ihr verfassten Nachruf. Taubert habe<br />
ihre Aufgaben stets gemeinsam mit ihrem Ehemann Gustav gemeistert, der als Zigarrenmacher<br />
arbeitete <strong>und</strong> zudem als Parteikolporteur wirkte. Sie war Mitglied der Freireligiösen Gemeinde,<br />
weil sie als Mutter einer großen Kinderschar diese nicht, so Wehmann, mit dem „Wust des<br />
Kirchenglaubens belasten“ 1558 wollte. Dieser kirchenkritischen Einstellung entsprechend verfügte<br />
sie, nicht beerdigt, sondern eingeäschert zu werden. Ein weiterer Gr<strong>und</strong> für diese Entscheidung<br />
dürfte der Eklat gewesen sein, den es 19 Jahre zuvor bei der Beerdigung ihres Ehemannes<br />
gegeben hatte. Damals war trotz des ausdrücklichen Wunsches des Verstorbenen <strong>und</strong> der Familie<br />
ein Geistlicher <strong>und</strong> ein Totengräber zur Beerdigung erschienen. Der dienstbeflissene Totengräber<br />
sprang sogar ins Grab hinein, um die mit roten Schleifen geschmückten Kränze wieder heraus-<br />
zuholen, wobei er aber fortdauernd mit noch mehr Kränzen beworfen wurde.<br />
Für die erstarkende proletarische Frauenbewegung hatte Taubert vor allem als Austrägerin<br />
1552 Blase, Therese: Wilhelmine Lehmann (Mannheim) †. In: GL, 21/ 18/ 05.06.1911/ 282.<br />
1553 Johanna Schwartz †. In: GL, 23/ 04/ 13.11.1912/ 58.<br />
1554 Ebd.<br />
1555 Ebd.<br />
1556 Ebd.<br />
1557 Ebd.<br />
1558 Wehmann, Klara: Amalie Taubert †. In: GL, 23/ 11/ 19.02.1913/ 171.<br />
536
4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />
(vermutlich auch der „Gleichheit“) gewirkt <strong>und</strong> sich außerdem der Arbeit in einer Konsum-<br />
genossenschaft gewidmet. 1559<br />
Es ist kein Nachruf, sondern ein Jubiläumsartikel zum 70. Geburtstag, in dem die Autorin Ottilie<br />
Baader an das Leben <strong>und</strong> den Werdegang Marie Klingners (1846-?) erinnerte. Frühzeitig Witwe<br />
geworden, habe Klingner im Sozialismus Glauben <strong>und</strong> „Zukunftshoffnung“ 1560 gef<strong>und</strong>en. Sie war<br />
eines der ersten Mitglieder in dem 1903/04 gegründeten politischen Frauenwahlverein <strong>und</strong><br />
außerdem von Beginn an Mitglied des „Vereins für Frauen <strong>und</strong> Mädchen der Arbeiterklasse“. Hier<br />
erledigte sie vor allem Kleinarbeiten. So übernahm sie z. B. die Mahnung beitragssäumiger Mit-<br />
glieder oder nahm regelmäßig an Versammlungen, Sitzungen <strong>und</strong> Leseabenden teil, um dort neue<br />
Mitglieder zu werben. Damit stand Klingner zwar auf keiner herausragenden Position innerhalb<br />
der proletarischen Frauenorganisationen, aber ihr Geburtstag gab Baader Gelegenheit, daran zu<br />
erinnern,<br />
„daß in unserer Partei gar viele sind, die mit gleichem Opfermut, gleicher Liebe<br />
<strong>und</strong> Treue die sozialistischen Lehren verbreiten helfen, <strong>und</strong> deren Namen man<br />
kaum kennt, Ungenannte <strong>und</strong> Unbekannte, die still in den Reihen der Massen als<br />
Teile des Ganzen mit der größten Hingabe sich betätigen“ 1561 .<br />
Wie bereits Zetkin, so zog auch Baader angesichts des besonderen Opfermutes, der von den<br />
AnhängerInnen der SPD bewiesen wurde, folgenden Rückschluss:<br />
„Eine Lehre, die in ihren Anhängern so viel Treue, Selbstlosigkeit <strong>und</strong> Opfermut<br />
erzeugt, wie wir das im klassenbewußten Proletariat finden, muß erhebend, beglückend,<br />
erlösend sein. Und das ist der Sozialismus.“ 1562<br />
Die Frauen opferten jedoch nicht nur, sie erhielten Vieles für ihr Engagement zurück. Manche<br />
Frauen fanden im Kampf für den Sozialismus eine besondere Erfüllung.<br />
So führte der Kampf für den Sozialismus auch ? Lorenz (?-1916/ 72-jährig) über „die engen<br />
Schranken eines Proletarierdaseins“ 1563 hinaus. Ein „scharfer Verstand“ 1564 <strong>und</strong> ein „heißes<br />
Herz“ 1565 hätten sie, so die „Gleichheit“, angetrieben, „diese Schranken geistig zu durchbrechen<br />
1559 Ebd.<br />
1560 [Baader, Ottilie] O.B.: Eine Jubilarin. In: GL, 26/ 25/ 01.09.1916/ 184.<br />
1561 Ebd., S. 185.<br />
1562 Ebd.<br />
1563 Genossin Lorenz, Kiel-Gaarden †. In: GL, 27/ 01/ 13.10.1916/ 7.<br />
1564 Ebd.<br />
1565 Ebd.<br />
537
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
<strong>und</strong> sich die weite Welt des Sozialismus zueigen zu machen“ 1566 . Im Sozialismus „fand sie ihre<br />
wahre Heimat, im Dienste des sozialistischen Ideals erwuchs ihr Glück <strong>und</strong> ungesuchte Ehre“ 1567 .<br />
Die Betonung, dass Lorenz diese Ehre nicht gesucht oder auf eine besondere Anerkennung spe-<br />
kuliert habe, passt zum Idealbild „selbstlose[r] Begeisterung“ 1568 . Unermüdlich war sie in der<br />
Parteikleinarbeit tätig, „die unter dem Ausnahmegesetz oft ebenso gefährlich als wichtig“ 1569<br />
gewesen sei <strong>und</strong> wurde 1905 zweite Vertrauensperson der Genossinnen von Gaarden. Bis ins<br />
Greisenalter blieb Lorenz für die sozialdemokratische Bewegung aktiv. Die „Gleichheit“ schloss<br />
ihren Nachruf mit den Worten:<br />
„Die Mahnung, ihr nachzueifern, ist das Vermächtnis dieses schlichten, ausgefüllten<br />
<strong>und</strong> edlen Lebens.“ 1570<br />
Es war ein Leben, das seine Erfüllung in der politischen Arbeit für die proletarische Frauen-<br />
bewegung gef<strong>und</strong>en hatte <strong>und</strong> zu dessen privater Seite die „Gleichheit“ nur zu erzählen hatte, dass<br />
auch ein „Lebensgefährte“ existierte.<br />
Ganz anders dagegen der Tenor des Jubliäumsartikels, den die „Gleichheit“ anlässlich Emilie<br />
Dittmers (1837-?) – „Mutter Dittmers“ – 80. Geburtstag veröffentlichte. Dittmer wurde als „Pro-<br />
letarierkind“ im mecklenburgischen Renitz geboren <strong>und</strong> wuchs als Waise bei ihrer Großmutter<br />
auf. Schon früh ging sie als Dienstmädchen in der Großstadt Hamburg in Stellung. Ihre Heirat, so<br />
L.F., sei Dittmer als eine „Erlösung aus der Unfreiheit des Dienstbotenlebens“ 1571 erschienen.<br />
Doch war sie gezwungen, als Heimarbeiterin hinzuzuverdienen <strong>und</strong> stand damit lediglich in einer<br />
anderen Art von Abhängigkeit. Diese noch gesteigert durch ihre Verantwortung <strong>und</strong> Belastung als<br />
Ehefrau <strong>und</strong> Mutter. Sie war 25 Jahre alt, als sie einen Haushalt zu versorgen <strong>und</strong> mehrere Kinder<br />
zu verpflegen hatte, von denen jedoch nur eine Tochter überlebte. Dittmer führte das für Heim-<br />
arbeiterinnen typische isolierte Leben. Doch ihr Ehemann vermittelte ihr, indem er sie mit der<br />
Tabakarbeiterbewegung <strong>und</strong> den sozialistischen Ideen bekannt machte, schließlich die Welt<br />
außerhalb ihres Heimes. 1572 Bereits zu Zeiten des Sozialistengesetzes wurde sie Mitglied des<br />
örtlichen Frauenvereins <strong>und</strong> half oft mit, „der Polizei ein Schnippchen zu schlagen“ 1573 .<br />
1566 Ebd.<br />
1567 Ebd.<br />
1568 Ebd.<br />
1569 Ebd.<br />
1570 Ebd.<br />
1571 L.F.: Mutter Dittmer 80 Jahre alt. In: GL, 27/ 09/ 02.02.1917/ 60.<br />
1572 Vgl. ebd.<br />
1573 Ebd.<br />
538
4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />
Nach dem Fall des Sozialistengesetzes wurde Dittmer SPD-Parteimitglied <strong>und</strong> 1907 wurde sie<br />
eines der ersten Mitglieder der Hamburger Dienstbotenorganisation – zu diesem Zeitpunkt war sie<br />
70 Jahre alt. Sie war nicht nur eine eifrige Leserin der Parteiliteratur, sondern auch regelmäßige<br />
Besucherin von Bezirks- <strong>und</strong> Distriktversammlungen. 1910 verblüffte sie die Hamburger Dele-<br />
gierten, weil sie trotz ihres hohen Alters plötzlich in Kopenhagen auf der Konferenz der Sozialis-<br />
tischen Fraueninternationale erschien.<br />
Doch auch Dittmer blieb von Schicksalsschlägen nicht verschont. Kurz nachdem sie 1912<br />
Goldene Hochzeit gefeiert hatte, verstarb ihr Ehemann, <strong>und</strong> bereits im ersten Jahr des Ersten Welt-<br />
krieges fiel ihr einziger Enkel an der Front. Die Verfasserin des Artikels wünschte der Jubilarin<br />
deshalb umso mehr, dass es ihr noch vergönnt sein solle, „die Segnungen des kommenden Frie-<br />
dens zu schauen“ 1574 .<br />
4.4.4.2 Risikoträgerinnen der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung <strong>und</strong> Pionierinnen der<br />
frühen proletarischen Frauenbewegung<br />
Die nun folgenden biographischen Skizzen sollen die Gefahren deutlich machen, denen sich die<br />
Anhängerinnen der Arbeiterbewegung zur Zeit des Sozialistengesetzes aussetzten <strong>und</strong> zeigen zu-<br />
gleich die Raffinessen auf, die die sozialistischen <strong>Klassenkämpferinnen</strong> anwandten.<br />
Eine jener <strong>Klassenkämpferinnen</strong> – überzeugt <strong>und</strong> opferfreudig von <strong>und</strong> für die sozialistische<br />
Sache – war Marie Musfeldt (?-1896). Sie wurde gemeinsam mit zwei weiteren Frauen unter dem<br />
Titel „Wackere Kämpferinnen“ 1575 geehrt. Für alle drei definierte Zetkin zu Beginn des Artikels,<br />
sie seien<br />
„„mehr als persönlich anziehende <strong>und</strong> sympathische Gestalten. Sie sind typische<br />
Vertreterinnen der proletarischen Kämpferinnen, typische Vertreterinnen des neuen<br />
idealen Geistes, der sich in der proletarischen Frauenwelt regt. Im Proletariat sind<br />
sie geboren, im Proletariat sind sie stehen geblieben. <strong>Von</strong> zartester Kindheit an bis<br />
zum Grabe schritt die Armuth, eine kalte, unfre<strong>und</strong>liche, herrische Begleiterin<br />
neben ihnen her <strong>und</strong> zeichnete ihrer Entwicklung <strong>und</strong> Bethätigung enge Bahnen.“<br />
1576<br />
Diese Typisierung ließ es unwesentlich erscheinen, detailliert auf Leben <strong>und</strong> Herkunft der Verstor-<br />
1574 Ebd.<br />
1575 Wackere Kämpferinnen. In: GL, 06/ 24/ 25.11.1896/ 188-189. Dieser Artikel enthielt außerdem die Nachrufe von<br />
Marie Ludwig (?-1896) <strong>und</strong> Agnes Schilling (?-1896/ 34-jährig). Die beiden Frauen werden, trotzdem Zetkin sie<br />
bewusst in ihrer Einheit als Kämpferinnen darstellen wollte, aufgr<strong>und</strong> ihrer verschiedenartigen Tätigkeiten für die<br />
proletarische Frauenbewegung bzw. ihr frühes Sterbealter in der vorliegenden Arbeit aber an anderer Stelle vorgestellt.<br />
1576 Ebd., 189.<br />
539
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
benen einzugehen. Im Falle von Musfeldt wurde daher tatsächlich weitgehend darauf verzichtet.<br />
Die zentrale Rolle spielte vielmehr ein Gerichtsprozess, in welchem sie <strong>und</strong> andere nach §128 <strong>und</strong><br />
§129 des Strafgesetzbuches unter Anklage standen, Geheimbündelei betrieben zu haben. Zuvor<br />
hatte im März 1887 die Polizei bei der als Marie Könemann geborenen Musfeldt eine Haus-<br />
suchung vorgenommen. In einem von ihr vermieteten Zimmer fand man ein Lager sozialistischer<br />
Druckschriften, Sammellisten <strong>und</strong> mehrere Kassenbücher. Daraufhin wurde die fast 60-jährige<br />
Musfeldt in Haft genommen, um von ihr den Namen ihres Mieters zu erzwingen. Die gef<strong>und</strong>enen<br />
Unterlagen galten als Beweis, dass in jenem Zimmer das Geschäftslokal der „geheim organisier-<br />
ten Genossen von Hamburg-Altona“ 1577 untergebracht sei. Erst nach fünf Monaten Untersuchungs-<br />
haft, in der Musfeldt dem Druck jedoch nicht nachgegeben hatte, <strong>und</strong> einem Gerichtsverfahren<br />
vor dem Altonaer Landgericht wurden alle 13 Angeklagten freigelassen. Mit ihrem mutigem<br />
Schweigen hatte Musfeldt nicht nur sich selbst <strong>und</strong> die zwölf Mitangeklagten gerettet, sondern<br />
auch viele weitere Arbeiter <strong>und</strong> Familienväter vor Gefängnis <strong>und</strong> Ausweisung bewahrt. 1578<br />
Sehr oft waren es die Herstellung <strong>und</strong> Verbreitung sozialdemokratischer Literatur, mit denen<br />
sozialdemokratische Frauen ihre Freiheit riskierten. So auch Marie Hoppe (?-1900/ 81-jährig),<br />
Wickelmacherin in der Tabakindustrie <strong>und</strong> ältestes Parteimitglied Bremens. Unter dem Sozialis-<br />
tengesetz, so ihr Nachruf in der „Gleichheit“, bot Hoppe nicht nur ihre Wohnung für geheime<br />
Treffen an, sie half auch, den „Sozialdemokrat“ zu schmuggeln <strong>und</strong> zu verstecken. Die neuen Lie-<br />
ferungen der illegalen Parteizeitschrift habe sie manchmal in einen Brotkorb gelegt, um sie dann<br />
in den örtlichen Armeekasernen zu verstecken. Gerade dort, so die „Gleichheit“ ironisch, hätten<br />
sich die Exemplare bis zu ihrer Verteilung in „bester Sicherheit“ 1579 bef<strong>und</strong>en. In Hoppe paarte<br />
sich jene gewiefte Risikobereitschaft mit einer innigen Begeisterung <strong>und</strong> einem aufopferungs-<br />
vollem Wirken, das auch keine finanziellen Opfer gescheut habe. Sie sei eine Klassenkämpferin<br />
gewesen, deren schlichtes Leben <strong>und</strong> Wirken „Tausenden <strong>und</strong> Abertausenden von Proletarierin-<br />
nen“ 1580 zurufe: „‘Gehet hin <strong>und</strong> thuet desgleichen!’“ 1581<br />
Der Nachruf auf Flora Schulze (?-1904/60-jährig) ist ein Beispiel dafür, wie sich die persönliche<br />
Betroffenheit einer „Gleichheit“-Autorin auf die Länge eines von ihr verfassten biographischen<br />
1577 Ebd.<br />
1578 Ebd.<br />
1579 Eine muthige <strong>und</strong> treue Kämpferin für die Befreiung des Proletariats … In: GL, 10/ 03/ 31.01.1900/ 21.<br />
1580 Ebd.<br />
1581 Ebd.<br />
540
4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />
Artikels auswirken konnte. Käte Duncker, die hinter den Initialen K. D. zu vermuten ist, scheint<br />
die Ehefrau des Gewerkschaftskartellsvorsitzenden Karl Schulze gut gekannt zu haben.<br />
Zumindest verfügte sie über viele Informationen aus deren 60 Jahre währendem „Proletarier-<br />
dasein voll Mühe <strong>und</strong> Arbeit, Entbehrungen <strong>und</strong> Enttäuschungen“ 1582 .<br />
Bereits als Kind hatte sie arbeiten müssen. Als 15-jähriges Mädchen ging sie nach Warschau, um<br />
dort bei einem Bruder ihrer Mutter als Dienstmädchen zu arbeiten. Anfang der 1860er Jahre<br />
kehrte sie aber auf Wunsch der Mutter <strong>und</strong> wegen in Polen ausgebrochener Unruhen nach<br />
Deutschland zurück. Es hielt sie jedoch nicht lange im Elternhaus, denn ihre Mutter verweigerte<br />
ihr die Erlaubnis für eine Liebesheirat. Schulze ging zurück nach Warschau, wo sie einen Mann<br />
russischer Herkunft heiratete. Diese Ehe verlief jedoch nicht glücklich <strong>und</strong> Anfang der 1870er<br />
Jahre kehrte Schulze ein weiteres Mal nach Deutschland zurück. Dort arbeitete sie erst als<br />
Schneiderin <strong>und</strong> dann als Zigarrenmacherin. Bereits vor Erlass des Sozialistengesetzes schloss<br />
sich Schulze der Leipziger Arbeiterbewegung an. 1889 erfuhr sie in Erfurt von der Gründung<br />
einer neuen Parteizeitschrift. Schulze stellte laut Duncker der Redaktion dieser Zeitschrift „ihr<br />
ganze[s] Besitztum zur Verfügung […], eine in fast zwei Jahrzehnten rastloser Arbeit ersparte<br />
Summe von 3000 Mark“ 1583 . So verdankte die „Thüringer Tribüne“ (1889-1897) ihre Entstehung<br />
zum Teil der „Opferfreudigkeit“ 1584 Flora Schulzes. 1890 heiratete sie Karl Schulze, der einer der<br />
ersten Redakteure der „Thüringer Tribüne“ war. In dieser Zeit wirkte Schulze als Agitatorin <strong>und</strong><br />
Rednerin. Schließlich gab das Ehepaar Schulze die Leitung der Zeitschrift ab <strong>und</strong> zog nach<br />
Bernburg. Da jedoch eine neue Existenzgründung fehlschlug, musste Schulze ihre Arbeit als<br />
Zigarrenmacherin wieder aufnehmen – sie als Meisterin, ihr Mann als ihr Geselle. Dies war eine<br />
glückliche Entscheidung <strong>und</strong> sie begannen einen gutgehenden Zigarrenverkauf in Wernigerode,<br />
welchen sie ab 1896 in Leipzig betrieben.<br />
In ihren letzten Lebensjahren trat Schulze zwar nicht mehr öffentlich in der Bewegung hervor,<br />
aber sie, so Duncker,<br />
„ermöglichte […] es dafür ihrem Manne, es zu tun. Damit er in Partei <strong>und</strong><br />
Gewerkschaft tätig sein konnte, stand sie von früh bis spät im Laden, nie hielt sie<br />
ihn zurück, im Gegenteil, sie spornte ihn an.“ 1585<br />
Sie selbst nahm nur noch an Maifeiern <strong>und</strong> Gewerkschaftsfesten teil oder besuchte<br />
Veranstaltungen des Leipziger „Vereins für Frauen <strong>und</strong> Mädchen der Arbeiterklasse“ 1586 . Diesem<br />
1582 [Duncker, Käte] K. D.: Flora Schulze – Leipzig †. In: GL, 14/ 25/ 30.11.1904/ 199.<br />
1583 Ebd.<br />
1584 Ebd.<br />
1585 Ebd.<br />
1586 Duncker war selbst Vorsitzende dieses Vereins.<br />
541
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
gehörte Schulze als Mitglied an <strong>und</strong> noch zwei Tage vor ihrem Tod besuchte sie eines seiner<br />
Treffen. 1587 Es ist auch dieser besondere Umstand, der Duncker schließlich zusammenfassen lässt:<br />
„Ihre Pflichttreue <strong>und</strong> Opferfreudigkeit, ihr Eifer, noch zu lernen, <strong>und</strong> ihr aufrichtiges<br />
Wesen mag den Genossinnen als Vorbild dienen.“ 1588<br />
Schulze hatte Vorbildfunktion sowohl als Klassenkämpferin als auch als „weiblicher Vollmensch“.<br />
Sie war bereit gewesen, der Arbeiterbewegung ihre eigene finanzielle Existenz zu opfern. Glück-<br />
licherweise aber hatte sie sich <strong>und</strong> ihrem Ehemann damit sogar letztendlich eine Existenz schaffen<br />
können.<br />
Der Nachruf Ernestine Schlossers (?-1904), der vermutlich von Zetkin verfasst wurde, birgt<br />
keine solche „Erfolgsgeschichte“ wie sie Schulze erlebt hatte. Schlosser erlebte stattdessen die<br />
volle Härte des Sozialistengesetzes während sie in Zwickau an der Verteilung des „Sozial-<br />
demokrat“ mitwirkte. Stets habe sie diese schwierige Aufgabe, so Zetkin, „[u]nerschrocken,<br />
umsichtig <strong>und</strong> geschickt“ 1589 erfüllt. Selbst als Schlosser bereits behördlich beobachtet wurde,<br />
„gelang es ihr doch aufs beste, die harrenden Genossen mit ihrem Organ zu versorgen“ 1590 . Doch<br />
dann fiel bei einer Haussuchung ein Exemplar der illegalen Zeitung in die Hände der Polizei. Die<br />
hochschwangere Schlosser hatte dieses einzige vorhandene Exemplar zuvor unter ihren Kleidern<br />
versteckt <strong>und</strong> gehofft, in ihrem Zustand keiner körperlichen Untersuchung unterzogen zu werden.<br />
Bei der von einem Polizisten dann aber doch vorgenommenen Leibesvisite sei „ihr das Blatt vom<br />
bloßen Leibe weg[genommen]“ 1591 worden. Diese Erniedrigung sei so groß gewesen, dass Schlos-<br />
ser laut Zetkin „glaubte diese schmachvolle Behandlung nicht überleben zu können“ 1592 . Noch in<br />
der Nacht – ihr Ehemann war noch nicht von seiner Schicht als Bergmann zurückgekehrt – wollte<br />
sie sich im nahen Mühlgraben ertränken. Da das kalte Wasser frühzeitige Geburtswehen auslöste,<br />
sei es das „Muttergefühl“ 1593 gewesen, das Schlosser von ihrem ursprünglichen Vorhaben abge-<br />
halten habe. Am rettenden Ufer brachte sie einen Sohn zur Welt <strong>und</strong> beide wurden schließlich von<br />
einer „Schildwache“ gef<strong>und</strong>en. Eine lange Zeit habe es gebraucht bis Schlosser „die ihr angetane<br />
Schmach <strong>und</strong> die tiefe Erschütterung ihres Innern zu überwinden“ 1594 vermochte.<br />
1587 Vgl. ebd.<br />
1588 Ebd.<br />
1589 Ernestine Schlosser †. In: GL, 14/ 27/ 28.12.1904/ 215.<br />
1590 Ebd.<br />
1591 Ebd.<br />
1592 Ebd.<br />
1593 Ebd.<br />
1594 Ebd.<br />
542
4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />
Eine solch heftige Reaktion auf eine Haussuchung <strong>und</strong> Leibesvisitation für eine Kämpferin der<br />
proletarischen Frauenbewegung ist eher ungewöhnlich. Schlossers Beispiel steht aber für alle zu<br />
einer Gefängnishaft verurteilten Mitglieder proletarischer Frauenorganisationen, die ähnliche Pro-<br />
zeduren über sich ergehen lassen mussten. Die Anstellung weiblicher Polizisten lag deswegen<br />
nicht nur im Interesse der Prostituierten, die immer wieder zu solcherlei Untersuchungen ge-<br />
zwungen wurden.<br />
Im Oktober 1905 starb nach „langem qualvollen Siechtum“ 1595 ? Jallandt (?-1905), die eine der<br />
„ersten begeisterten Trägerinnen der Frauenbewegung in Deutschland“ 1596 gewesen sei. Bereits<br />
Anfang der 1870er Jahre – „unter großen Schwierigkeiten <strong>und</strong> Opfern“ 1597 – war sie in der<br />
Aufklärung <strong>und</strong> Agitation proletarischer Frauen tätig. Jallandt war eine der Gründerinnen <strong>und</strong><br />
Leiterinnen des ersten sozialistischen Frauenvereins in Hamburg. Sie war darin auch in den<br />
1880er Jahren sehr aktiv <strong>und</strong> unterhielt Kontakte zu den von Hahn <strong>und</strong> Staegemann geleiteten<br />
Organisationen in Berlin. Während des Sozialistengesetzes habe so mancher Verfolgte nur deshalb<br />
Aufnahme in Hamburg gef<strong>und</strong>en, weil ihm Jallandt <strong>und</strong> ihr Ehemann den notwendigen Nachweis<br />
der Existenzmittel ermöglicht hätten. Sie habe eine unzerrüttbare Überzeugung besessen <strong>und</strong> blieb<br />
bis sie bettlägerig wurde ein rühriges Mitglied der Organisation.<br />
Trotz all dieser Verdienste musste die „Gleichheit“ feststellen, dass Jallandt „eine aus dem<br />
Gedächtnis der kämpfenden Proletarier Hamburgs fast Verschollene“ 1598 war. Diesem Vergessen<br />
versuchte die „Gleichheit“ entgegenzuwirken <strong>und</strong> gibt Jallandt ihre Bedeutung für die Geschichte<br />
der proletarischen Frauenbewegung zurück:<br />
„Ihr Herz gehörte bis zum letzten Schlage dem sozialistischen Ideal. Der tapferen,<br />
treuen Genossin Jallandt gebührt ein Ehrenplatz in der Geschichte der<br />
proletarischen Frauenbewegung. Sie muß von allen unvergessen sein, die für das<br />
Emporsteigen des Proletariats aus Nacht zum Licht ihre Kraft einsetzen.“ 1599<br />
Die „Gleichheit“ sah sich auch hier wieder bewusst als Bewahrerin von Frauengeschichte.<br />
Der Nachruf 1600 auf die in Crimmitschau verstorbene Marie Colditz (1827-1907/ 79jährig) bot<br />
1595 [Ohne Titel. In:] GL, 15/ 24/ 29.11.1905/ 142.<br />
1596 Ebd.<br />
1597 Ebd.<br />
1598 Ebd.<br />
1599 Ebd.<br />
1600 Der Nachruf war eine Nummer zuvor angekündigt worden. In der entsprechenden Notiz wurde hervorgehoben,<br />
dass Colditz in der Zeit des Sozialistengesetzes „der Partei durch ihren Mut <strong>und</strong> ihre Treue wertvolle Dienste<br />
geleistet (Genossin Colditz †. In: GL, 17/ 04/ 20.02.1907/ 28) habe. Deshalb behielt es sich Zetkin vor, noch eine<br />
ausführlichere Würdigung zu veröffentlichen.<br />
543
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Zetkin die Gelegenheit, die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> die Ereignisse im<br />
sächsischen Crimmitschau in den 1860er Jahren zu skizzieren <strong>und</strong> dabei auf die von ihr 1906<br />
verfasste Artikelserie „Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland“ zu ver-<br />
weisen. 1601 Bereits zu jener Zeit der Illegalität sei Colditz zwar keine junge Frau mehr gewesen,<br />
aber<br />
„jugendlich war die Begeisterung, mit der sie sich der Arbeitersache widmete,<br />
jugendlich der Haß, den sie gegen jede Ungerechtigkeit, gegen Gemeinheit <strong>und</strong><br />
Kriecherei im Herzen hegte“ 1602 .<br />
Nicht im großen, aber im kleinen Kreis habe sie als Rednerin gewirkt <strong>und</strong> in dem „zeitweilige[n]<br />
Hauptquartier“ 1603 , der Gastwirtschaft, die sie zur Zeit des Sozialistengesetzes mit ihrem Ehemann<br />
August betrieb, Flüchtlinge versteckt. Zudem diente ihr Haus als Umschlagsort für illegale Litera-<br />
tur:<br />
„Viele verbotene Früchte vom Baume der Erkenntnis lagen in seinen bescheidenen<br />
vier Wänden gut verborgen aufgestapelt <strong>und</strong> wurden von dort aus nach anderen<br />
Orten Deutschlands verbreitet“ 1604 .<br />
Sobald eine Haussuchung wieder einmal glücklich überstanden war, habe sich „Mutter Colditz“<br />
auf den Weg gemacht, um Botengänge zu besorgen <strong>und</strong> den „Schweizer Käse“ („Sozialdemo-<br />
krat“) 1605 an seinen Bestimmungsort zu transportieren.<br />
Die Tage, an denen die Handarbeiterinnen ihre Waren in die Stadt brachten, so Zetkin bereits in<br />
ihrer erwähnten Artikelserie, waren für Colditz „Arbeitstage <strong>und</strong> Festtage der Seele“ 1606 , denn<br />
dann habe sie keine Gelegenheit zur Agitation ausgelassen. Sie sei ein „‘Typ vom kernges<strong>und</strong>en,<br />
zielklaren Charakter jener ausgesprochen proletarischen Bewegung’“ 1607 gewesen, habe über „agi-<br />
tatorische Veranlagung, […] kluge[n] Sinn […] [<strong>und</strong>] Energie“ 1608 verfügt. „‘[A]usdauernd, opfer-<br />
mutig’“ war sie „‘der Schrecken aller Halben <strong>und</strong> Undurchsichtigen’“ 1609 , die ihr Haus betraten.<br />
Zusammen mit Colditz <strong>und</strong> den Ereignissen in Crimmitschau 1869 müssen drei weitere Frauen<br />
genannt werden, zu deren Biographien jedoch deutlich weniger in der „Gleichheit“ zu finden ist –<br />
tatsächlich nur in jener Artikelserie. Wilhelmine Weber (?-?) <strong>und</strong> Christiane Peuschel (?-?)<br />
1601 Vgl. Genossin Marie Colditz … In: GL, 17/ 05/ 06.03.1907/ 36.<br />
1602 Ebd.<br />
1603 Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 169.<br />
1604 Genossin Marie Colditz … In: GL, 17/ 05/ 06.03.1907/ 36.<br />
1605 Ebd.<br />
1606 Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 169.<br />
1607 Ebd. Vermutlich war es Julius Motteler, der hier von Zetkin zitiert wurde.<br />
1608 Ebd.<br />
1609 Ebd.<br />
544
4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />
waren Mitglieder eines Komitees, das durch die Internationale Gewerksgenossenschaft der Manu-<br />
faktur-, Fabrik- <strong>und</strong> Handarbeiter eingesetzt worden war, um einen allgemeinen Kongress der<br />
Manufaktur-, Fabrik- <strong>und</strong> Handarbeiter in Leipzig zu organisieren. Beide waren Handarbeite-<br />
rinnen 1610 <strong>und</strong> sollten sich zu „geschickten[…] Debattenrednerinnen“ 1611 entwickeln, die es<br />
„durch gut gewählte Fragen [verstanden], die Verhandlungen zu beleben, praktische<br />
Anregungen zu geben <strong>und</strong> das Interesse der Frauen für die Organisation <strong>und</strong><br />
ihre Ziele zu wecken“ 1612 .<br />
Drei Jahre später nutzte Peuschel die Gelegenheit als Delegierte auf dem ersten deutschen Weber-<br />
tag vom 28.-30. März 1871 in Glauchau, die Ideen der von ihr mitgegründeten Gewerksgenos-<br />
senschaft zu verbreiten <strong>und</strong> sich gegen die Ausgrenzung der Frau aus der Erwerbsarbeit zu<br />
wenden. 1613 Peuschels Diskussionsbeiträge, so Zetkin,<br />
„künden unzweideutig die Schule der Internationale. Sie erweisen des weiteren,<br />
daß die Internationale Gewerksgenossenschaft Kämpferinnen umschloß, die den<br />
Männern nicht bloß gleichberechtigt, sondern auch ebenbürtig an Fähigkeiten <strong>und</strong><br />
Schulung waren. Denn wahrlich, an sachlichem Wert, an Klarheit, Bestimmtheit<br />
<strong>und</strong> Logik des Gedankens übertrafen Frau Peuschels Ausführungen die Reden<br />
zahlreicher männlicher Delegierter <strong>und</strong> stellten sich denen der geschultesten Köpfe<br />
ebenbürtig zur Seite.“ 1614<br />
Durch diese überzeugenden Leistungen habe die Handarbeiterin aus Crimmitschau, die<br />
„Vorkämpferin der klassenbewußten Proletarierinnen“ 1615 , Anteil daran gehabt, dass auf dem Kon-<br />
gress eine Resolution Bebels angenommen wurde, welche den Kampf für die gleichberechtigte<br />
Aufnahme von Frauen in die Gewerkschaften <strong>und</strong> ihre gleiche Entlohnung forderte. 1616 Schließlich<br />
engagierte sich Peuschel nicht mehr politisch. Sie – eine „sehr begabte <strong>und</strong> gutgeschulte Genos-<br />
sin“ 1617 – schien „aus dem Kampfe verschollen zu sein“ 1618 .<br />
Weber, die zu den Versammlungen meist in Begleitung ihrer Söhne erschien <strong>und</strong> „wie eine Mutter<br />
begrüßt“ 1619 worden sei, habe wie ihre Genossinnen keine Gelegenheit ausgelassen, um in<br />
1610 Vgl. Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 21/ 17.10.1906/<br />
146-147.<br />
1611 Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 23/ 14.11.1906/ 162.<br />
1612 Ebd.<br />
1613 Vgl. Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 22/ 31.10.1906/<br />
154.<br />
1614 Vgl. ebd.<br />
1615 Vgl. ebd.<br />
1616 Ebd.<br />
1617 Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 170.<br />
1618 Ebd.<br />
1619 Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 23/ 14.11.1906/ 162.<br />
545
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
persönlichen Gesprächen für die Sache zu werben <strong>und</strong> so als eine der „Sendbotinnen des<br />
Sozialismus“ 1620 zu wirken – vor allem unter den Frauen:<br />
„In gemütlicher Aussprache öffneten sich die Herzen, auf die Lippen drängten sich<br />
Klagen über die Leiden, welche der Ausgebeuteten Erbteil sind. Die Genossinnen<br />
entzündeten an den schwachen Fünkchen der Hoffnung auf bessere Zeiten die hell<br />
lodernde Flamme der Begeisterung für die sozialistische Freiheit, Gleichheit,<br />
Brüderlichkeit, das strahlende Licht des Glaubens an die Befreiung der Arbeit<br />
durch die Erkenntnis <strong>und</strong> den Willen der Arbeitenden selbst.“ 1621<br />
Neben der Vorliebe Zetkins, pseudoreligiöse Vergleiche anzustellen, wird an dieser Stelle die<br />
frauenspezifische Agitationstaktik der proletarischen Frauenbewegung deutlich. Weber wanderte<br />
später aus <strong>und</strong> suchte, so Zetkin, „jenseits des großen Wassers Glück <strong>und</strong> Stern“ 1622 . Aber auch in<br />
den USA habe sie durch Beiträge in deutschsprachigen Parteiblättern ihre „treue Mitarbeit an der<br />
Bewegung bezeug[t]“ 1623 .<br />
Während Weber, Colditz <strong>und</strong> Peuschel in Crimmitschau in der Sache der Proletarierinnen wirkten,<br />
war ? Misselwitz(?-?) in Chemnitz „bestrebt, Kopf <strong>und</strong> Herz der Proletarierinnen für die<br />
sozialistischen Ideen zu erobern“ 1624 . Misselwitz sei bereits „ein älteres Mädchen“ gewesen. Sie<br />
kam von den Lasalleanern zu der Internationalen Gewerksgenossenschaft, „vergaß am Quartals-<br />
schluß nie, ihre Mitgliedskarte zu erneuern, <strong>und</strong> führte diese stets mit Stolz bei sich“ 1625 . Zetkin<br />
zitierte Motteler, der von Misselwitz schrieb:<br />
„‘Sie verkörperte den typischen, aber freiwilligen britischen walking-delegate …,<br />
belesen, redegewandt, von kluger Disputierlust <strong>und</strong> einem meisterhaften Erzähler-<br />
<strong>und</strong> Lehrtalent war sie in Chemnitz freiwillige Propagandistin für die Gewerkschafts-<br />
<strong>und</strong> Parteisache zugleich. …’“ 1626<br />
Als Gr<strong>und</strong> dafür, dass Misselwitz nie ein offizielles Amt übernahm, nannte der SPD-Politiker<br />
Julius Vahlteich ihr starkes Hinken. Wegen dieses Leidens habe sie hauptsächlich „‘in kleinerem<br />
Kreise <strong>und</strong> in den Familien, wo sie schneiderte oder Gast war’“ die „‘sozialistischen Gr<strong>und</strong>sätze<br />
<strong>und</strong> Ziele’“ 1627 gelehrt.<br />
Für Vahlteich, der sie während einer Kampagne in Chemnitz 1872-1878 kennengelernt hatte, war<br />
1620 Ebd.<br />
1621 Ebd.<br />
1622 Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 170.<br />
1623 Ebd.<br />
1624 Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 23/ 14.11.1906/ 162.<br />
1625 Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 169.<br />
1626 Motteler zit. nach: Ebd. Zetkin nannte als ihre Quellengr<strong>und</strong>lage lediglich Briefe von Motteler <strong>und</strong> Vahlteich, gab<br />
jedoch keinen literarischen Beleg an.<br />
1627 Julius Vahlteich zit. nach: Ebd.<br />
546
4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />
„‘die arme verwachsene Näherin’“ 1628 gleich einem Sueschen (?-?) Roman entsprungen. Sie habe<br />
„‘ein so heißes Herz’“ 1629 gehabt, eine Genossin,<br />
„‘die so heiß <strong>und</strong> hoffnungslos liebte <strong>und</strong> so bescheiden <strong>und</strong> opferwillig für andere<br />
lebte. Ihr Eifer im Parteidienst war mustergültig für jeden Mann. Es war das<br />
Pflichtgefühl, <strong>und</strong> nur dieses, was sie zu jedem Opfer bereit machte.’“ 1630<br />
Vahlteich erinnerte sich nicht, dass Misselwitz<br />
„‘etwas besonderes Hervorragendes getan hätte, wodurch die allgemeine Aufmerksamkeit<br />
auf sie gelenkt worden wäre, aber sie war bei allem dabei, <strong>und</strong> man konnte<br />
darauf rechnen, daß sie eine übernommene Pflicht voll <strong>und</strong> ganz erfüllte’“ 1631 .<br />
Schließlich war Vahlteich der Meinung, dass die Verdienste von Misselwitz <strong>und</strong> ihrer<br />
Genossinnen in ihrer Bedeutung für den sozialen Kampf nicht hoch genug eingeschätzt werden<br />
könnten <strong>und</strong> dass Frauen <strong>und</strong> Mädchen „‘innerhalb <strong>und</strong> außerhalb der Parteikreise’“ 1632 – „‘sofern<br />
sie sich am öffentlichen Leben beteilig[t]en’“ 1633 – oft „‘eifriger, ausdauernder <strong>und</strong> pflichtgetreuer<br />
arbeite[te]n als die Männer’“ 1634 . Misselwitz, so die Information Vahlteichs, wanderte in den<br />
1890er Jahren nach Milwaukee in den USA aus, wo sie auch starb.<br />
Zetkins in ihre Artikelserie eingeflossenen biographischen Skizzen waren nur mittels der<br />
gesammelten Aufzeichnungen <strong>und</strong> Dokumente des „roten Postmeisters“ Motteler möglich gewe-<br />
sen. Ohne diese wären jene Frauen in vollständige Vergessenheit geraten. Zetkin gab deshalb mit<br />
Nachdruck die Aufforderung Mottelers weiter:<br />
„Sammelt die Bausteine zu einer proletarischen Frauenbewegung, solange die<br />
Dokumente nicht zerfallen <strong>und</strong> verweht sind, die von ihren ersten Anfängen erzählen,<br />
solange die Persönlichkeiten noch leben, die ihre ersten Pioniere gewesen<br />
sind.“ 1635<br />
Eine Anregung, die von Zetkin <strong>und</strong> vielen der „Gleichheit“-Mitarbeiterinnen aufgegriffen wurde.<br />
Auch Katharina Kellner (?-1910), so erfährt man aus ihrem von Hermann Bender (1846-<br />
1910) 1636 verfassten Nachruf, war bereits während des Sozialistengesetzes für die Partei tätig ge-<br />
1628 Julius Vahlteich zit. nach: Ebd.<br />
1629 Julius Vahlteich zit. nach: Ebd.<br />
1630 Julius Vahlteich zit. nach: Ebd.<br />
1631 Julius Vahlteich zit. nach: Ebd.<br />
1632 Julius Vahlteich zit. nach: Ebd.<br />
1633 Julius Vahlteich zit. nach: Ebd.<br />
1634 Julius Vahlteich zit. nach: Ebd.<br />
1635 Ebd., S. 170.<br />
1636 Vermutlich handelt es sich um Hermann Ign. Jos. Bender, den in Koblenz geborenen Sohn eines Fabrikanten.<br />
Dieser studierte in Vorbereitung darauf, den Betrieb seines Vaters zu übernehmen, Naturwissenschaften. Nachdem<br />
547
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
wesen. In Frankfurt am Main betrieb sie als Witwe des Malers Gils das am Paulsplatz gelegene<br />
Restaurant „Zum Hainerhof“, in welchem sie Flüchtige versteckte. Bender ist sich sicher:<br />
„Wenn die Wände reden könnten, so würden sie von manchen Schnippchen<br />
erzählen, das die Verstorbene der preußischen Polizei schlug.“ 1637<br />
Stets habe sie sich trotz des auf ihr lastenden Drucks „liebe- <strong>und</strong> verständnisvoll“ 1638 um die<br />
Verfolgten gekümmert. 1908 zog sie mit ihrem zweiten Ehemann – einen Monteur, der in Italien<br />
durch einen Unfall zum Invaliden geworden war – <strong>und</strong> den zwei erwachsenen Kindern nach<br />
Preungesheim, einem Stadtteil von Frankfurt am Main. Auch dort engagierte sie sich im örtlichen<br />
sozialdemokratischen Verein, bevor sie schließlich nach langer Krankheit verstarb.<br />
Im „schwarzen Winkel“ des Rheinlandes, in Düren, hatte für den Sozialismus Julie Heusgen<br />
(1866-1911) gewirkt. Dann erlag sie wie die „Gleichheit“ betonte einer „Proletarierkrankheit“ 1639 ,<br />
der Knochentuberkulose.<br />
Heusgens Vater, ein Schuhmacher <strong>und</strong> bekennender Sozialist, versteckte zur Zeit des<br />
Sozialistengesetzes Flüchtlinge. Schon früh drang deshalb „die Sonne sozialistischer Erkenntnis“<br />
1640 auch in das Herz seiner Tochter. Heusgen heiratete einen Gesellen ihres Vaters <strong>und</strong> gemeinsam<br />
zog das „‘gefährliche Paar’“ 1641 – so die „Gleichheit“ ironisch zur Einschätzung der Behörden –<br />
ins Rheinland. Bis zu einer gerichtlich verfügten Kündigung war ihre Wohnung unter den<br />
GenossInnen nur als das „Revolutionsbureau“ 1642 bekannt, denn hier fanden Versammlungen,<br />
März- <strong>und</strong> Maifeiern statt. Die Agitation für die Sache der kämpfenden Arbeiterklasse sei<br />
Heusgen „Lebenslust <strong>und</strong> Glück“ 1643 gewesen. 17 Jahre lang war sie Austrägerin der „Rheinischen<br />
Zeitung“ <strong>und</strong> für die „Gleichheit“ habe sie „manche frische Korrespondenz“ 1644 verfasst. Jahrelang<br />
vertrat sie außerdem als Delegierte im Gewerkschaftskartell den Transportarbeiterverband. Trotz<br />
dieses umfangreichen Engagements sei Heusgen stets auch ihren Pflichten als Mutter <strong>und</strong> Gattin<br />
jedoch das elterliche Vermögen verloren ging, trat Bender als Telegraphen-Ingenieur der Eisenbahn in den<br />
Staatsdienst. Später wurde er Schriftsteller <strong>und</strong> Lyriker. Manche seiner eher volkstümlichen <strong>und</strong> patriotischen<br />
Gedichte wurden vertont. Zu seinen Werken zählen: „Dornen <strong>und</strong> Rosen“ (Gedichte 1894), „Rom <strong>und</strong> römisches<br />
Leben im Altertum“ (o.J.; 2. verbesserte Aufl. 1898), „Vagantenlieder“ (1899), „Toggenburger Lied aus dem<br />
dreizehnten Jahrh<strong>und</strong>ert“ (1900), „Volkstümliche Dichtungen“ 6 Bde. 1910ff.).<br />
1637 Bender, Hermann: Genossin Katharina Kellner – Preungesheim †. In: GL, 21/ 05/ 05.12.1910/ 76.<br />
1638 Ebd.<br />
1639 Julie Heusgen, Düren †. In: GL, 21/ 11/ 27.02.1911/ 170.<br />
1640 Ebd.<br />
1641 Ebd.<br />
1642 Ebd.<br />
1643 Ebd.<br />
1644 Ebd., S. 171. Beispiele für das Wirken Heusgens als „Gleichheit“-Korrespondentin konnten im Rahmen der<br />
548<br />
angestellten Recherchen nicht gef<strong>und</strong>en werden.
4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />
nachgekommen <strong>und</strong> habe „[w]ie stoisch […] für sich Entbehrungen <strong>und</strong> Herzeleid getragen“ 1645 .<br />
Damit, so die „Gleichheit“ weiter,<br />
„bestätigte [Heusgen] jenes stille Dulder- <strong>und</strong> Heldentum, das der sozialdemokratischen<br />
Bewegung Kraft <strong>und</strong> Schwung verleiht“ 1646 .<br />
Auffällig ist hier dieses offene Bek<strong>und</strong>en, dass die Arbeiterbewegung nicht nur auf die aktive<br />
Mitwirkung der Frauen, sondern auch auf ihr „stilles Duldertum“ setzte.<br />
Mit Heusgen trat in dieser Arbeit bereits eine derjenigen Frauen auf, die als gewerkschaftlich<br />
organisierte Mitglieder <strong>und</strong> als Delegierte ihres Verbandes exponierte Positionen innehatten. Im<br />
Folgenden kommen Frauen hinzu, die ähnliche Positionen oder Positionen der sich entwickelnden<br />
proletarischen Frauenbewegung, z. B. als Vorsitzende eines Frauenbildungsvereins oder als Ver-<br />
trauensperson bekleideten. Sie wurden dadurch auch ein besonderes Ziel behördlicher Willkür.<br />
Marie Ludwig (?-1896), so erzählte vermutlich Zetkin in einem Nachruf rückblickend auf die<br />
politische Tätigkeit der Verstorbenen, wurde als Vorstandsmitglied des letzten Berliner „Bildungs-<br />
vereins für Frauen <strong>und</strong> Mädchen“ gerichtlich verurteilt. Dies <strong>und</strong> das Verbot des Vereins hinderten<br />
sie jedoch nicht, später das erste Mitglied der Berliner Arbeiter-Bildungsschule zu werden <strong>und</strong> in<br />
dieser bis zu ihrem Tod aktiv zu sein. Ihr politisches Engagement, ges<strong>und</strong>heitliche Probleme,<br />
„harte Arbeit, wie sie die Dürftigkeit der proletarischen Existenz mit sich bringt“ 1647 , <strong>und</strong> auch<br />
Schwierigkeiten wie die Arbeitslosigkeit ihres Ehemannes, so Zetkin, hinderten sie jedoch nicht,<br />
sowohl „den Pflichten in der Familie […][als auch] den Pflichten als Klassenkämpferin<br />
gerecht“ 1648 zu werden. Selbst kinderlos geblieben, nahm Ludwig sogar zwei Waisenkinder (fünf<br />
<strong>und</strong> zehn Jahre alt) auf, „die sie mit opferfreudiger Liebe erzog[en]“ 1649 habe.<br />
Laut ihres in der „Gleichheit“ veröffentlichten Nachrufs war Dorothea Piele (?-1897) maßgeblich<br />
am Aufbau der proletarischen Frauenorganisationen in Berlin beteiligt. <strong>Von</strong> Beginn an war sie<br />
Mitglied der örtlichen Filiale der Offenbacher Frauen-Krankenkasse <strong>und</strong> fast ununterbrochen im<br />
Vorstand anderer Filialen dieser Organisation tätig. Es geschah ausgerechnet in einer Sitzung<br />
dieser Frauen-Krankenkasse als Piele durch einen Schlaganfall gelähmt wurde, zwei Tage ohne<br />
1645 Ebd.<br />
1646 Ebd.<br />
1647 Wackere Kämpferinnen. In: GL, 06/ 24/ 25.11.1896/ 188.<br />
1648 Ebd.<br />
1649 Ebd.<br />
549
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Bewusstsein blieb <strong>und</strong> schließlich verstarb. Der Tod, so die „Gleichheit“, hatte sie „aus Reih <strong>und</strong><br />
Glied der Berliner Genossinnen“ 1650 gerissen. Die Partei habe mit ihr eine „treue Mitarbeiterin“ 1651<br />
verloren, die „stets zu opferfreudigem Thun bereit“ 1652 <strong>und</strong> ihren Kindern eine vorzügliche, treu-<br />
sorgende Mutter gewesen sei.<br />
Zu den Risikoträgerinnen, zu jener „kleinen Schaar von Proletarierinnen“ 1653 , die überzeugt vom<br />
Sieg des Sozialismus weder Gefahren noch Opfer fürchteten <strong>und</strong> bereits unter dem Sozialisten-<br />
gesetz „am gewerkschaftlichen <strong>und</strong> politischen Leben ihrer Klasse theilnahmen“ 1654 gehörte auch<br />
? Ranke (?-1901). Bereits als 15-jährige, so ihr vermutlich von Zetkin verfasster Nachruf, sei sie<br />
in die Erwerbstätigkeit gezwungen worden <strong>und</strong> arbeitete bis zu ihrer Heirat in einer Wirkerei <strong>und</strong><br />
Strickerei. Ihre eigene Existenz habe somit früh ihren Blick für die Lebens- <strong>und</strong> Leidenssituation<br />
des Proletariats <strong>und</strong> für die „soziale Knechtschaft des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts“ 1655 geschärft. Dem<br />
echten proletarischen Empfinden folgte das Verständnis von den Zusammenhängen. Interessanter-<br />
weise hebt der Nachruf nicht nur hervor, dass Ranke „eine vorzügliche Arbeitskraft“ 1656 gewesen<br />
sei, sondern bemerkt auch, dass sie „bei einem humanen Arbeitgeber in Brot stand“ 1657 . Damit<br />
waren es ausnahmsweise besonders günstige Bedingungen, unter denen eine Sozialdemokratin<br />
„energisch daran gehen [konnte], ihre Erkenntniß in Thaten umzusetzen“ 1658 .<br />
1888 begründete Ranke die Organisation der Berliner Wirkerinnen mit <strong>und</strong> leitete dieselbe bis zu<br />
deren Vereinigung mit der Gewerkschaft der Textilarbeiter. Ein Jahr lang wirkte Ranke als<br />
Mitglied der Agitationskommission der Berliner Textilarbeiter. <strong>Von</strong> 1892 bis 1894 war sie zudem<br />
Mitglied der Berliner Frauenagitationskommission – eine der wichtigsten Keimzellen der prole-<br />
tarischen Frauenbewegung Deutschlands. Kurze Zeit war sie auch Vorstandsmitglied des Frauen-<br />
bildungsvereins. Ranke versäumte kaum eine wichtige Versammlung. Selbst als sie bereits krank<br />
war, besuchte sie unter Schmerzen die Veranstaltungen <strong>und</strong> wusste, dass sie für diese Anstrengung<br />
würde „doppelt leiden“ 1659 müssen. Ihre Tätigkeit für die Bewegung habe sie insgesamt nur zu<br />
1650 Eine wackere Streiterin … In: GL, 07/ 24/ 24.11.1897/ 190. Dieser Hinweis lässt vermuten, dass es sich um eine<br />
Berliner Zweigstelle der Offenbacher Organisation handelte.<br />
1651 Ebd.<br />
1652 Ebd.<br />
1653 Genossin Ranke – Berlin †. In: GL, 11/ 19/ 11.09.1901/ 150.<br />
1654 Ebd.<br />
1655 Ebd.<br />
1656 Ebd.<br />
1657 Ebd.<br />
1658 Ebd.<br />
1659 Ebd.<br />
550
4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />
leisten vermocht, weil sie mit ihrem Ehemann eine innige Ideengemeinschaft verband. Nach lang-<br />
jähriger Bettlägerigkeit starb Ranke schließlich an einer tückischen Krankheit <strong>und</strong> wurde auf<br />
eigenen Wunsch nicht in Berlin eingeäschert <strong>und</strong> bestattet, sondern in Hamburg. Zetkin war der<br />
festen, zuversichtlichen Überzeugung, dass<br />
„[i]n dem goldenen Buche des proletarischen Befreiungskampfes der Name Genossin<br />
Rankes nicht an letzter Stelle stehen [würde]. Denn sie ha[be] redlich das Ihrige<br />
zu dem Bau beigetragen, in dem einst glückliche Menschen wohnen werden“ 1660 .<br />
Ranke verkörperte somit in ihrem Leben <strong>und</strong> Wirken das Idealbild einer „sozialistischen<br />
Klassenkämpferin“.<br />
Ebenfalls nicht an letzter Stelle dieses goldenen Buches stehen würde der Name Auguste<br />
Eichhorn (1851-?). Als Verfasserin des Nachrufes auf diese Kämpferin der ersten St<strong>und</strong>e ist umso<br />
mehr Zetkin zu vermuten, da sie die Verstorbene bei einer besonderen Gelegenheit persönlich<br />
kennengelernt hatte. 1886 besuchte Zetkin in Begleitung eines befre<strong>und</strong>eten Genossen 1661 in<br />
Leipzig eine geheime Parteiversammlung, um dort auch ihre „Jungfernrede“ 1662 zu halten. Bei<br />
dieser Gelegenheit begegnete sie Eichhorn <strong>und</strong> ihr Fre<strong>und</strong> habe ihr zu deren Person folgende In-<br />
formationen gegeben:<br />
„‘Frau Eichhorn ist die Frau eines unseres tüchtigsten Genossen, des Steinmetz<br />
Eichhorn. Sie ist eine überzeugte Genossin, welche mit ganzem Herzen unsere<br />
Ideale theilt. Ein tapferes, kluges Weib, findig <strong>und</strong> resolut der ‘Polenta’ (Polizei)<br />
gegenüber <strong>und</strong> beim Austragen des ‘Käse’ (‘Sozialdemokrat’); stark <strong>und</strong> unverzagt<br />
in allem Ungemach, das der Kampf schon über ihre Familie gebracht hat. Gar<br />
mancher Frau, die kleinmüthig verzagte <strong>und</strong> den Mann zur Fahnenflucht treiben<br />
wollte, hat unsere Gustel den Kopf zurechtgesetzt <strong>und</strong> das gehörig!’“ 1663<br />
Diese Einschätzungen konnte Zetkin später aus eigenen Erfahrungen im Umgang mit Eichhorn<br />
nur bestätigt finden. Bei einem Treffen in Dresden lernte Zetkin Eichhorn näher kennen <strong>und</strong> stellte<br />
fest, dass diese über ideale Charaktereigenschaften einer Klassenkämpferin verfügte. So über<br />
einen<br />
1660 Ebd.<br />
„ges<strong>und</strong>e[n] proletarische[n] Klasseninstinkt, der durch harte Erfahrungen, scharfe<br />
Beobachtung <strong>und</strong> sozialistische Lektüre zum klaren Klassenbewußtsein geläutert<br />
war; eine unbezähmbare Thatkraft <strong>und</strong> ein[en] unstillbare[n] Bildungshunger; eine<br />
leidenschaftliche Hingabe an das sozialistische Ideal, ein zwingendes Bedürfnis,<br />
1661 Dieser Fre<strong>und</strong> habe Zetkin zu ihren ersten rednerischen Versuchen motiviert <strong>und</strong> musste, so Zetkin, „zur Rache<br />
dafür nicht selten bei meinen Buben die Rolle des ‘gebildeten Kindermädchens’ spielen“ (Auguste Eichhorn. In:<br />
GL, 12/ 13/ 18.06.1902/ 100).<br />
1662 Ebd.<br />
1663 Ebd.<br />
551
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
ihm zu dienen, ihm Bekenner zu werben“ 1664 .<br />
In Eichhorn, so Zetkin weiter, habe „das Beste ihrer Klasse <strong>und</strong> ihrer Zeit [ge]lebt[…]“ 1665 . Sie<br />
verknüpfte die Ideale eines „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ mit denen einer „echte[n] kämpfende[n]<br />
Proletarierin“ 1666 .<br />
Eichhorn wurde in Chemnitz geboren. Ihr Vater war Weber <strong>und</strong> starb kurz vor ihrer Geburt.<br />
Obwohl ihre Mutter ein zweites Mal heiratete, seien ihre Lebensverhältnisse ärmlich geblieben.<br />
Deshalb sei Eichhorn nach Abschluss einer nur mäßigen Volksschulbildung gezwungen gewesen,<br />
als Fabrikarbeiterin zum Familieneinkommen beizutragen. Die Mutter, die augenscheinlich die<br />
Ehe als Versorgungsinstitution betrachtete, habe Eichhorn schließlich zugeredet, sich zu ver-<br />
heiraten, was diese auch tat. Die Ehe sei jedoch eine sehr unglückliche <strong>und</strong> eine „innere Lebens-<br />
gemeinschaft“ 1667 mit ihrem Ehemann für Eichhorn unmöglich gewesen. Es folgte die Scheidung.<br />
Schließlich lernte sie den Steinmetz Hermann Eichhorn kennen, mit dem sie nicht nur Liebe,<br />
sondern auch eine „innige, treue Ideengenossenschaft“ 1668 verband. Seine Arbeitslosigkeit war<br />
Anlass für das Ehepaar, 1877 in die Schweiz überzusiedeln. Hier sei Auguste Eichhorn durch den<br />
Kontakt zu SozialistInnen in die sozialistische Ideenwelt eingeführt worden. Besonders für das<br />
sozialistische Zukunftsideal habe sie eine „inbrünstige Liebe“ 1669 empf<strong>und</strong>en, in ihm den Messias<br />
erkannt. Zetkin konstatiert:<br />
„Die Suchende war zur Wissenden geworden, die Wissende mußte zur Kämpferin<br />
werden.“ 1670<br />
Eichhorn habe sich durch Selbststudium in die zentralen Schriften des Sozialismus vertieft <strong>und</strong><br />
unermüdlich politische <strong>und</strong> gewerkschaftliche „Kleinarbeit“ 1671 geleistet. <strong>Von</strong> 1877 bis 1880<br />
waren sie <strong>und</strong> ihr Ehemann in der Schweiz für die Bewegung tätig <strong>und</strong> nahmen auch unter-<br />
stützenden Einfluss auf das Engagement anderer. Der Dichter Robert Seidel, so erfährt man aus<br />
einem von ihm verfassten Artikel, war damals von Eichhorn überzeugt worden, dem Vorstand der<br />
Fabrik- <strong>und</strong> Handarbeitergewerkschaft beider Geschlechter beizutreten. Dort arbeiteten sie dann<br />
auch einige Zeit zusammen. 1672<br />
1664 Ebd.<br />
1665 Ebd.<br />
1666 Ebd.<br />
1667 Ebd.<br />
1668 Ebd.<br />
1669 Ebd.<br />
1670 Ebd., S. 101.<br />
1671 Ebd.<br />
1672 Seidel, Robert: Ein Kranz auf Genossin Eichhorns Grab. In: GL, 12/ 14/ 02.07.1902/ 108. Dadurch, dass Seidel<br />
Zürich 1879 verließ, verloren sich er <strong>und</strong> Eichhorn schließlich aus den Augen.<br />
552
4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />
Aus der Schweiz nach Leipzig zurückgekehrt, hielt „[e]in kleiner Schreihals nach dem anderen<br />
[…] Einzug in die Familie Eichhorn“ 1673 , so Zetkin die Familiensituation Eichhorns humorig<br />
beschreibend. Stets eine „zärtliche, gewissenhafte Mutter“ 1674 <strong>und</strong> „treubesorgte Hausfrau“ 1675 ,<br />
musste Eichhorn mit Näharbeiten zum Familieneinkommen beitragen. Diese den „Gleichheit“-<br />
Leserinnen nur zu vertraute Dreifachbelastung erschwerte Eichhorns Selbststudien zum Sozialis-<br />
mus erheblich, denn woher sollte sie die Zeit dafür nehmen? Zetkin bringt es auf den Punkt:<br />
„Wollte sie ihren Bildungsdrang befriedigen, so hieß es, als Erste auf, als Letzte zu Bett.“ 1676<br />
1888 wurde Eichhorns Ehemann wegen seiner politischen Tätigkeit aus Leipzig ausgewiesen <strong>und</strong><br />
die Familie zog nach Dresden um. Hier übernahm Eichhorn immer mehr Verantwortung als<br />
Agitatorin <strong>und</strong> Organisatorin in der sich entwickelnden proletarischen Frauenbewegung. Sie<br />
wurde Mitglied der Frauenagitationskommission, aus der 1894 der „Arbeiterinnenbildungsverein“<br />
entstand. Sie befürwortete 1908 – in, wie Zetkin betonte, „richtiger Würdigung der Verhältnisse“<br />
1677 – die Auflösung der Frauenorganisationen <strong>und</strong> die Integration in die allgemeine Bewegung.<br />
Sie war als Dresdener Delegierte auf den Parteitagen in Köln, Gotha <strong>und</strong> Hamburg. Zwar habe<br />
Eichhorn auf den Versuch mancher Genossen, „‘den Herrenstandpunkt des Mannes’ über die<br />
Gr<strong>und</strong>sätze des Sozialisten“ 1678 zu stellen, stets sehr ablehnend reagiert, sie sei dabei aber nie in<br />
„frauenrechtlerische Eigenbrödelei“ 1679 verfallen. Demnach verfügte Eichhorn nicht nur über ein<br />
besonderes Selbstbewusstsein als Frau, sondern wendete für ihre Kritik an den männlichen<br />
Genossen stets diejenigen Mittel an, die ihr das Parteistatut gab.<br />
Nachdem sie bereits ihre Tochter verlieren musste, verstarb 1896 auch ihr Ehemann. Er sei, so<br />
Zetkin der „tückischen ‘Steinmetzkrankheit’“ 1680 erlegen. Dies waren schwere Schicksalsschläge,<br />
die Eichhorn auch deshalb zu meistern vermochte, weil sie „[a]n ihrer Begeisterung für das hehre<br />
sozialistische Ideal ges<strong>und</strong>et[…]“ 1681 sei. Jedoch machten sich auch bei ihr erste Anzeichen einer<br />
Lungenerkrankung bemerkbar. Bald hatte sie nicht mehr die Kraft, in Versammlungen weiterhin<br />
eine führende Rolle zu spielen. Sie beschränkte sich auf die Position einer Zuhörerin <strong>und</strong><br />
Beraterin. Dies fiel ihr anscheinend sehr schwer, denn sie soll kurz vor ihrem Tod zu einer<br />
1673 Auguste Eichhorn. In: GL, 12/ 13/ 18.06.1902/ 101.<br />
1674 Ebd.<br />
1675 Ebd.<br />
1676 Ebd.<br />
1677 Ebd.<br />
1678 Ebd.<br />
1679 Ebd.<br />
1680 Ebd.<br />
1681 Ebd.<br />
553
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Genossin gesagt haben:<br />
„‘Mein Leben ist nun ohne Werth für die Bewegung. Aber könnte es ihr nützen,<br />
wenn ich auf Jahre ins Gefängniß ginge <strong>und</strong> dort stürbe, wie gern ginge ich in<br />
Gefängniß.’“ 1682<br />
Diese Anekdote soll Zeugnis für Eichhorns enorm große Opferbereitschaft ablegen, kann aber<br />
auch für eine Eigenart stehen, auf diese pathetische Weise den herzlichen Widerspruch ihres<br />
Gegenübers herauszufordern. Eichhorns Leben sei von außen betrachtet durchaus ein schlichtes<br />
gewesen, doch dadurch, so Zetkin, dass es ein „nützliches Leben“ 1683 war, stelle es<br />
„an tiefem Gehalt <strong>und</strong> innerer Größe das Sein <strong>und</strong> Thun mancher glänzenden,<br />
vielgenannten Persönlichkeit in den Schatten“ 1684 .<br />
Ihre Lebensgeschichte ist für Zetkin demnach Teil einer „Gegengeschichte“, einer Geschichte<br />
„von unten“, einer Geschichte der Frauen.<br />
Ein besonderes Beispiel für den großen Einfluss der Familie auf die politische Gesinnung einer<br />
Person ist der Werdegang Anna Brügmanns (?-1906). Die als Anna Hennrichs geborene<br />
Brügmann verlor früh ihre Mutter <strong>und</strong> ihr Vater war bereits unter dem Sozialistengesetz politisch<br />
für die Arbeiterbewegung aktiv. Es sei dessen „energische[…] Beteiligung […] am Klassen-<br />
kampf“ 1685 gewesen, so ? Brumm (?-?) 1686 , die seine Tochter schließlich zur Sozialistin habe<br />
werden lassen. Im Weiteren erfährt die „Gleichheit“-Leserin noch, dass Brügmann im 5. schles-<br />
wig-holsteinischen Reichstagswahlkreis die Leitung der proletarischen Frauenbewegung 1687 <strong>und</strong> in<br />
Itzehoe die Position einer Vertrauensperson innehatte.<br />
Der von Luise Zietz auf Auguste Ebel (?-1908) verfasste Nachruf ist dagegen viel umfassender<br />
<strong>und</strong> trägt eine ausgeprägtere Vorbildfunktion. Ebel, die bei den Hamburger GenossInnen unter<br />
dem Namen „Mutter Ebel“ bekannt war, habe nicht nur über „Gradheit <strong>und</strong> Ehrlichkeit des Cha-<br />
rakters […] [<strong>und</strong>] unerschütterliche Überzeugungstreue“ 1688 verfügt, sondern dies alles sei zudem<br />
„gepaart [gewesen] mit hohem Idealismus, Pflichtbewußtsein <strong>und</strong> nie versiegender Opferwillig-<br />
1682 Ebd., S. 102.<br />
1683 Ebd.<br />
1684 Ebd.<br />
1685 Brumm[, ?]: Genossin Brügmann – Itzehoe †. In: GL, 16/ 07/ 04.04.1906/ 45.<br />
1686 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu<br />
Brumm.<br />
1687 Ebd.<br />
1688 Zietz, Luise: Mutter Ebel †. In: GL, 18/ 06/ 16.03.1908/ 54.<br />
554
4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />
keit“ 1689 . Bereits zur Zeit des Sozialistengesetzes war sie Mitglied <strong>und</strong> Agitatorin im Hamburger<br />
Frauen- <strong>und</strong> Mädchenverein. Ebel war als eine der ersten Austrägerinnen der „Gleichheit“ <strong>und</strong><br />
auch als Spendensammlerin viel unterwegs. Für diese Tätigkeit seien ihr ihre musterhafte<br />
Pünktlichkeit <strong>und</strong> ihre große Umsicht sehr zu Gute gekommen. Später wurde sie Bezirksführerin<br />
des 88. Bezirkes des zweiten Hamburger Wahlkreises. 1906 war Ebel als Delegierte auf der<br />
Mannheimer Frauenkonferenz <strong>und</strong> anschließend auch auf mehreren SPD-Parteitagen anwesend.<br />
Obwohl sie selbst nie als Dienstbotin gearbeitet hatte, wurde sie Mitglied der Dienstboten-<br />
bewegung, um diese in ihrer Entwicklung zu unterstützen.<br />
Es scheint, dass sie ihre politische Tätigkeit mit ihren Familienpflichten hatte gut vereinbaren<br />
können, denn Zietz schreibt in biblischem Duktus, dass ihre<br />
„Liebe […] groß genug [gewesen sei], daß sie nicht aufgezehrt ward von ihrer<br />
treusorgenden Tätigkeit als Gattin <strong>und</strong> Mutter, daß sie vielmehr alle umfaßte, die<br />
da mühselig <strong>und</strong> beladen sind“ 1690 .<br />
Es war der heilbringende Sozialismus, für den Ebel auf diese Weise kämpfte bis sie schließlich im<br />
Alter von 67 Jahren verstarb.<br />
Die bereits beschriebene Vereinigung der beiden Leitbilder „weiblicher Vollmensch“ <strong>und</strong><br />
„Klassenkämpferin“ wird nochmals besonders deutlich in der Persönlichkeit Emilie Mahns<br />
(1847-1908). „Ihr Leben“, so die „Gleichheit“, „war das einer Proletarierin, die ihr Menschentum<br />
empfindet“ 1691 . Dieses Empfinden sei es gewesen, dass sie nicht in ihrem Leid resignieren,<br />
sondern im „Glauben[…] an eine schöne Zukunft ihrer Klasse froh […]kämpf[en]“ 1692 ließ. Zur<br />
Zeit des Sozialistengesetzes versteckte die in Magdeburg lebende Mahn politische Flüchtlinge.<br />
Einige Zeit lebte sie mit ihrem Ehemann im braunschweigischen Lengelsheim, kehrte aber nach<br />
Magdeburg zurück. Hier verteilte sie dann nicht nur Flugblätter, sondern wurde Mitbegründerin<br />
eines Frauen- <strong>und</strong> Mädchenbildungsvereins. Viele Jahre lang versah Mahn außerdem das Amt<br />
einer Vertrauensperson <strong>und</strong> war mehrmals zu Frauenkonferenzen <strong>und</strong> Parteitagen delegiert. Sie<br />
arbeitete als Tabakarbeiterin <strong>und</strong> wurde Mitglied der entsprechenden Berufsorganisation. Zudem<br />
war sie jahrelang im Vorstand der Krankenkasse der Tabakarbeiter tätig. Selbst „auf ihrem<br />
Schmerzenslager, wenige Tage vor dem Tode“ 1693 , so die „Gleichheit“, habe sich Mahn bei<br />
1689 Ebd.<br />
1690 Ebd.<br />
1691 Emilie Mahn †. In: GL, 18/ 12/ 08.06.1908/ 108.<br />
1692 Ebd.<br />
1693 Ebd.<br />
555
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Genossen „nach dem Stand der Bewegung“ 1694 erk<strong>und</strong>igt.<br />
Eine ebenfalls lange Zeit – 25 Jahre – engagierte sich Anna Sachs (?-1910) für die Sache des<br />
Proletariats. Dies tat sie, obwohl sie nicht aus proletarischen, sondern wohlhabenden Verhältnis-<br />
sen stammte. Jedoch verlor ihr Vater unverschuldet seinen gesamten Besitz, weil er eine Bürg-<br />
schaft geleistet hatte. Da der Vater zudem sehr früh verstarb, musste die Mutter sich <strong>und</strong> sechs<br />
Kinder ernähren. Sachs war das drittälteste der Kinder <strong>und</strong> musste nun mitarbeiten. Auf diese<br />
Weise habe sie „die Ängste um das tägliche Brot, den Heroismus der Arbeit über die schwache<br />
Kraft, das Duldertum des Darbens kennen[gelernt]“ 1695 . Auf diese Weise auch schon sehr früh „die<br />
volle Daseinslast erwachsener Armer, Ausgebeuteter“ 1696 erfahren, „die so vielen kleinen prole-<br />
tarischen Mädchen einen vorzeitigen Ernst auf die Gesichtchen schreib[e]“ 1697 . Drei ihrer Ge-<br />
schwister starben in jener schweren Zeit an der „Proletarierkrankheit“ 1698 , an welcher auch später<br />
Sachs sterben sollte.<br />
Sachs war als Blumenarbeiterin erwerbstätig <strong>und</strong> engagierte sich bereits als 16-jähriges Mädchen<br />
<strong>und</strong> zudem in der Zeit des Sozialistengesetzes in der entsprechenden Organisation der Berliner<br />
Arbeiterinnen. Nach dem Tod ihrer Mutter fand sie in einer Proletarierfamilie eine „wahre zweite<br />
Heimat, eine Gemeinschaft des Lebens <strong>und</strong> Strebens“ 1699 <strong>und</strong> daraus, so die „Gleichheit“, sei ihre<br />
Verb<strong>und</strong>enheit mit der proletarischen Sache erwachsen.<br />
<strong>Von</strong> 1890 bis 1894 war Sachs Mitglied der Frauenagitationskommission <strong>und</strong> Mitglied im Verband<br />
der Schneider <strong>und</strong> Schneiderinnen. Sei sie später auch nicht mehr in vorderster Reihe tätig<br />
gewesen, so habe sie doch nicht aufgehört, der Sache mit ganzer Seele zu dienen. 1700 Im<br />
Hintergr<strong>und</strong> war sie auch weiterhin tätig, engagierte sich bei der Einrichtung des ersten <strong>und</strong><br />
zweiten Frauenwahlvereins Berlins, leistete Werbearbeit <strong>und</strong> nahm regelmäßig an Versammlungen<br />
teil. 1701 Die „Gleichheit“ resümiert:<br />
1694 Ebd.<br />
„Trägerinnen des proletarischen Befreiungskampfes von den hohen Bürgertugenden<br />
einer Anna Sachs machen seine Stärke, seine unbezwingliche Kraft aus, sie<br />
leben in seinem Siege weiter, auch wenn sie ungekannt <strong>und</strong> ungenannt ins Grabe<br />
sinken.“ 1702<br />
1695 Anna Sachs †. In: GL, 21/ 06/ 19.12.1910/ 91.<br />
1696 Ebd.<br />
1697 Ebd.<br />
1698 Ebd. Meist waren mit dieser Umschreibung Schwindsucht oder Knochentuberkulose gemeint.<br />
1699 Anna Sachs †. In: GL, 21/ 06/ 19.12.1910/ 92.<br />
1700 Vgl. ebd., S. 91.<br />
1701 Vgl. ebd.<br />
1702 Ebd., S. 92.<br />
556
4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />
Zumindest Anna Sachs wurde das Schicksal, „ungekannt <strong>und</strong> ungenannt“ zu bleiben, nicht zuteil<br />
– dafür steht dieser Nachruf <strong>und</strong> seine Veröffentlichung in einer der wichtigsten Frauenzeit-<br />
schriften der Welt.<br />
Aus dem vermutlich von Hofmann auf Berta Wünsche (?-1910/ 42-jährig) verfassten Nachruf<br />
erfährt die „Gleichheit“-Leserin, dass Wünsche eine der Gründerinnen <strong>und</strong> Schriftführerin des<br />
Regensburger Frauen- <strong>und</strong> Mädchenbildungsvereins war. Zudem war sie als Ausschussmitglied<br />
der Parteiorganisation, als Agitatorin <strong>und</strong> Rednerin für SPD <strong>und</strong> proletarische Frauenbewegung<br />
tätig. Hofmann erachtete es sogar als erwähnenswert, dass Wünsche im März 1910 als Vor-<br />
sitzende eine Versammlung leitete, auf der wiederum Emma Ihrer eine Rede gehalten habe. 1703<br />
Wünsche habe eine „fest[e] <strong>und</strong> klar[e]“ 1704 sozialistische Überzeugung gehabt, die ihr auch „in<br />
den unsäglichen Leiden des Krankenbettes“ 1705 „ein starker Trost“ 1706 gewesen sei. Entsprechend<br />
konsequent habe sie gehandelt, indem sie jeden geistlichen Zuspruch <strong>und</strong> die Mitwirkung der<br />
Kirche an ihrer Beerdigung ablehnte. Trotz der großen Beteiligung von GenossInnen, sei es<br />
schließlich doch ein sowohl schlichtes als auch feierliches Begräbnis gewesen – wie Hofmann<br />
meinte, „ihres edlen Charakters <strong>und</strong> ihrer aufopfernden Tätigkeit würdig“ 1707 . Demnach ist Be-<br />
scheidenheit eine proletarische Tugend, die sich auch im Begräbnis einer Klassenkämpferin<br />
widerspiegelt.<br />
Zietz begann ihren Artikel zum 80. Geburtstag Chr[istine/Christiane?] Baumanns (1837-?) –<br />
„Tante Baumann“ genannt – mit der Beschreibung derjenigen Eigenschaften, die die Jubilarin<br />
„weit über die große Masse der apathisch dahinlebenden Arbeiterinnen erhob[en]“ 1708 haben<br />
sollen:<br />
„ihr klares selbständiges Urteil über die Dinge des Lebens, ihre gefestigte sozialistische<br />
Weltanschauung, zu der sie sich tapfer durchgerungen hat, <strong>und</strong> bei aller<br />
persönlichen Bescheidenheit ihr starkes Selbstbewußtsein das ihrem Äußern <strong>und</strong><br />
ihrem ganzen Wesen den Stempel aufdrückt“ 1709 .<br />
1703 Vgl. [Hofmann, Marie?] M.H.: Berta Wünsche – Regensburg †. In: GL, 21/ 10/ 13.02.1911/ 154. Die Erwähnung<br />
Emma Ihrers verdichtet die Vermutung, dass es sich bei M.H. um Marie Hofmann handeln könnte, da Hofmann –<br />
wie in Kapitel 1.1.2 <strong>und</strong> Kapitel 1.4 beschrieben – in engem Kontakt zu dieser gestanden hatte.<br />
1704 Ebd.<br />
1705 Ebd.<br />
1706 Ebd.<br />
1707 Ebd.<br />
1708 Zietz, Luise: Tante Baumann achtzigjährig! In: GL, 27/ 15/ 27.04.1917/ 101.<br />
1709 Ebd.<br />
557
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
All dies habe sich Baumann aneignen können, obwohl sie in ein typisches Proletarierdasein hin-<br />
eingeboren worden sei. Wie sich dieses Proletarierdasein im Einzelnen gestaltete bleibt<br />
unerwähnt. Baumann heiratete einen Bahnbeamten <strong>und</strong> siedelte mit ihm von Sachsen in das<br />
tschechische Prag über. Auf der Reise dorthin starb ihr einziges Kind <strong>und</strong> beinahe hätte man Bau-<br />
mann des Kindsmords angeklagt. Ein weiterer Schicksalsschlag war, dass man das Ehepaar be-<br />
züglich der Gewinnaussichten ihres in Prag eröffneten Ladengeschäfts böswillig getäuscht hatte.<br />
Auch habe man sie wegen ihrer deutschen Herkunft <strong>und</strong> evangelischen Religionszugehörigkeit in<br />
Prag diskriminiert. So kehrte das Ehepaar schließlich nach Deutschland zurück <strong>und</strong> ließ sich in<br />
Altona nieder.<br />
Obwohl Baumann als Näherin <strong>und</strong> Putzmacherin „erheblich zum Lebensunterhalt bei[tragen]“ 1710<br />
musste, vermochte es die „geistig regsame Proletarierin“ 1711 , Zeit für die Lektüre sozialistischer<br />
Agitationsschriften zu finden. Durch den Kontakt zu Anhängern des Sozialismus sei sie schließ-<br />
lich selbst zur Sozialistin geworden <strong>und</strong> habe trotz Sozialistengesetz auch keinen Hehl daraus<br />
gemacht. 1712 Baumann wirkte für die Sozialdemokratie als Kolporteurin des Hamburger Partei-<br />
blattes <strong>und</strong> wurde als solche auch Mitglied des Transportarbeiterverbandes.<br />
Nach dem Tod ihres Ehemannes war sie vor allem ihrem Neffen Ernst Baumann <strong>und</strong> dessen<br />
Familie eng verb<strong>und</strong>en. Gemeinsam mit dessen Ehefrau Linchen Baumann (?-?) – selbst ein<br />
bekanntes Mitglied der proletarischen Frauenbewegung – engagierte sie sich in der Frauen- <strong>und</strong><br />
Arbeiterbewegung Hamburgs, blieb aber auch ihren Organisationen in Altona treu. Beide Frauen<br />
hatten sich für die Delegation Zietz‘ zum Hamburger Parteitag eingesetzt. Diese wünschte<br />
Baumann schließlich „[v]or allen Dingen Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> die Erhaltung der heiteren Gemüts-<br />
stimmung, die ein Gr<strong>und</strong>zug ihres Wesens“ 1713 sei. Dies wünschte sie ihr umso mehr, da sie nun<br />
zur Kriegszeit harte Entbehrungen hinnehmen musste, ihr Großneffe im Felde stand <strong>und</strong> die<br />
Partei, für die sie stets unermüdlich gearbeitet hatte, zersplittert war. Ihr Geburtstag würde ihr, so<br />
Zietz, also kein „besonderer Freudentag“ 1714 sein.<br />
Den Nachruf auf Helma Steinbach (1847-1918), die während eines Kurbesuches im lauen-<br />
burgischen Plüsing einem Herzschlag erlag, verfasste nicht eine der „Gleichheit“-Mitarbeiterinnen<br />
oder Genossinnen, sondern der führende SPD-Politiker Hermann Molkenbuhr (1851-1927) 1715 .<br />
1710 Ebd.<br />
1711 Ebd.<br />
1712 Vgl. ebd.<br />
1713 Ebd.<br />
1714 Ebd.<br />
1715 Hermann Molkenbuhr war Sohn eines Schneidermeisters, besuchte die Volksschule <strong>und</strong> arbeitete 1862-1864 in<br />
558
4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />
Dies erklärt sich daraus, dass Steinbach sich weniger in der Frauenbewegung als in der Gewerk-<br />
schaftsbewegung engagiert hatte. Es fällt auf, dass Molkenbuhr jedoch keinerlei Informationen zu<br />
Steinbachs familiärer Herkunft oder ihrem persönlichen Charakter lieferte. 1716 Stattdessen be-<br />
schränkte er sich vor allem auf Steinbachs Fähigkeiten zur Selbstbildung <strong>und</strong> ihr Wirken für<br />
verschiedene gewerkschaftliche Organisationen.<br />
Bereits unter dem Sozialistengesetz wurde Steinbach Mitglied der Hamburger SPD. Sie bewies<br />
ein besonderes Talent auf dem Gebiet der Haus- <strong>und</strong> Kleinagitation <strong>und</strong> entwickelte eine be-<br />
sondere Beredsamkeit. Sie habe sich vorbildlich aus der Tagespresse über die politischen <strong>und</strong><br />
parteipolitischen Ereignisse informiert <strong>und</strong> jeden Abend in einem Café die Zeitungen aller<br />
Parteirichtungen studiert. 1717 Anschließend habe sie oft, so Molkenbuhr, das Gelesene mit anderen<br />
in der Gewerkschaftsorganisation engagierten Genossen wie Wilhelm Schröder <strong>und</strong> Adolph von<br />
Elm diskutiert. Ihr Talent als Vorleserin bewies sie in den Frauenleseabenden jedoch mit Bellet-<br />
ristik, vor allem sozialkritischen Romanen.<br />
Nach Fall des Sozialistengesetzes war sie an der Gründung der Organisation der Hamburger Plät-<br />
terinnen beteiligt. Aber auch die großen Streiks anderer Berufsgruppen wurden von ihr rege<br />
unterstützt <strong>und</strong> für die Werbung neuer Parteimitglieder genutzt. Sie agitierte besonders erfolgreich<br />
für den Konsum-, Bau- <strong>und</strong> Sparverein „Produktion“. Länger als 30 Jahre habe sie in der ersten<br />
Reihe der Arbeiterbewegung Hamburgs gestanden <strong>und</strong> auch dadurch Anteil an ihr genommen,<br />
indem sie bei keiner größeren Veranstaltung fehlte. Steinbach, so Molkenbuhr abschließend, sei<br />
deshalb „[a]n Eifer <strong>und</strong> Pflichttreue […] für alle Zeiten ein Vorbild“ 1718 .<br />
Mit Steinbach endet hier die Riege derjenigen in der „Gleichheit“ porträtierten Frauen, die bereits<br />
unter dem Sozialistengesetz leitende Positionen innehatten. Es folgen nun die Frauen, die<br />
innerhalb der proletarischen Frauenbewegung einen besonderen Ruf als Pionierinnen besaßen.<br />
Besondere Frauen, die „von dem Gedanken des Sozialismus ergriffen, für ihn wirkten <strong>und</strong> die<br />
einer Zichorienfabrik, 1864-1890 in einer Zigarrenfabrik. 1872 wurde er Mitgründer <strong>und</strong> 1874 Bevollmächtigter<br />
des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) in Lokstedt-Ottensen. 1881 wurde Molkenbuhr aus Hamburg<br />
ausgewiesen <strong>und</strong> lebte bis 1884 in den USA. Nach seiner Rückkehr arbeitete er 1890-1904 als Redakteur des<br />
„Hamburger Echos“ (1887-1933[?]). 1904-1927 bekleidete er das Amt des Parteisekretärs im SPD-Parteivorstand<br />
<strong>und</strong> 1890-1924 war er Reichstagsabgeordneter. Er war Mitglied verschiedener Kommissionen <strong>und</strong> 1907-1924<br />
Mitglied im Vorstand der SPD-Reichstagsfraktion. Auf kommunaler Ebene war Molkenbuhr 1907-1915 als Stadtverordneter<br />
<strong>und</strong> 1915-1919 als Stadtrat für Berlin-Schöneberg aktiv. 1912-1918 war er zudem Mitglied des Provinziallandtages<br />
Brandenburg.<br />
1716 Molkenbuhr, Hermann: Helma Steinbach. In: GL, 28/ 22/ 02.08.1918/ 173. Hinsichtlich dieser fehlenden<br />
biographischen Informationen siehe auch: Haake, Helma Steinbach – eine Reformistin in der Hamburger Arbeiterbewegung<br />
zur Zeit des Kaiserreichs.<br />
1717 Molkenbuhr, Hermann: Helma Steinbach. In: GL, 28/ 22/ 02.08.1918/ 173.<br />
1718 Ebd., S. 174.<br />
559
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Anfänge der proletarischen Frauenbewegung schufen“ 1719 . Es waren Frauen, die „ihre ganze<br />
Persönlichkeit für ihre Überzeugung einsetzen <strong>und</strong> die höchsten Bürgertugenden entfalten“ 1720<br />
mussten. Frauen wie Johanne Schackow (?-1902), die laut Zetkin „[e]ine der ältesten <strong>und</strong><br />
treuesten Vorkämpferinnen für die Gleichberechtigung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts <strong>und</strong> die volle<br />
Befreiung des Proletariats“ 1721 gewesen sei.<br />
Schackow engagierte sich in der frühen Berliner Arbeiterinnenbewegung mit der Zielsetzung,<br />
diese dem Einfluss bürgerlicher Frauenorganisationen zu entziehen. Als Schriftführerin des<br />
„Berliner Arbeiterfrauen- <strong>und</strong> Mädchenvereins“ gehörte sie zu den Vorstandsmitgliedern, die 1877<br />
bei der Auflösung des Vereins verurteilt <strong>und</strong> bestraft wurden. 1722 Nachdem sie <strong>und</strong> ihr Ehemann<br />
aus Berlin ausgewiesen worden waren, gingen sie erst nach Hamburg <strong>und</strong> dann nach Magdeburg.<br />
Diese Rastlosigkeit <strong>und</strong>, so Zetkin, das „Übermaß dessen, was sie fronden, entbehren, dulden<br />
mußte“ 1723 habe Schackows Ges<strong>und</strong>heit sehr geschwächt. Krank <strong>und</strong> gealtert kehrte sie nach dem<br />
Fall des Sozialistengesetzes nach Berlin-Weißensee zurück. Dies ist für Zetkin eine Erklärung<br />
dafür, warum sie nicht erneut in den Vordergr<strong>und</strong> der Bewegung getreten sei, aber dennoch „mit<br />
unerschütterlicher Überzeugungstreue […] bis zuletzt dem Ideal des befreienden Sozialismus“ 1724<br />
angehangen habe.<br />
Es sind drei Artikel, die in der „Gleichheit“ erschienen, um die verstorbene Pauline Staegemann<br />
(1830-1909) zu ehren. Der erste dürfte aus der Feder der Chefredakteurin Clara Zetkin stammen.<br />
Diese war der Meinung, dass mit Staegemann „die politische Frauenbewegung Deutschlands nicht<br />
bloß eines ihrer eifrigsten, selbstlosesten Glieder […], sondern eine ihrer ersten Bahnbrecherinnen<br />
in schwerer Zeit [verloren]“ 1725 habe. Staegemann gründete in den 1860er Jahren zusammen mit<br />
Cantius <strong>und</strong> Schackow den Berliner Arbeiterinnenverein <strong>und</strong> organisierte in den 1880er Jahren<br />
zusammen mit Ihrer, Hofmann <strong>und</strong> Jagert die Konfektionsarbeiterinnen. „Ihr Wirken in jener Zeit<br />
würdigen“, so Zetkin weiter, „heißt ein Kapitel aus der Geschichte der proletarischen<br />
Frauenbewegung schreiben, <strong>und</strong> eines ihrer schönsten <strong>und</strong> lehrreichsten Kapitel.“ 1726 Staegemann<br />
1719 Johanne Schackow †. In: GL, 13/ 03/ 28.02.1903/ 22. Der Artikel enthielt einige peinliche Druckfehler, die in der<br />
darauf folgenden Nummer korrigiert werden mussten (vgl. GL, 13/ 04/ 11.02.1903/ 32).<br />
1720 Ebd.<br />
1721 Ebd.<br />
1722 Ebd., S. 21-22.<br />
1723 Ebd., S. 22.<br />
1724 Ebd.<br />
1725 Pauline Staegemann † In: GL, 19/ 26/ 27.09.1909/ 409.<br />
1726 Ebd.<br />
560
4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />
habe zu den „hochsinnigen Naturen mit klarem Blick <strong>und</strong> großem Herzen“ 1727 gehört. Aber die<br />
Verhältnisse hätten sich geändert <strong>und</strong> Staegemann habe „nicht mehr wie einst in ihrem Dienst<br />
Führende“ 1728 sein können. Sie sei „als einfache Kämpferin in Reih <strong>und</strong> Glied zurück[ge-<br />
treten]“ 1729 , eine „eifrig Mitarbeitende für eine hehre Sache“ 1730 geblieben <strong>und</strong> „die Flamme ihrer<br />
Begeisterung für den Sozialismus [habe] nicht minder hoch <strong>und</strong> rein gebrannt als früher“ 1731 .<br />
Zetkin spielte damit vermutlich auf die zunehmende Institutionalisierung <strong>und</strong> Radikalisierung der<br />
proletarischen Frauenbewegung an, benannte allerdings nicht sich daraus ergebende Unzuläng-<br />
lichkeiten Staegemanns.<br />
Zwar hatten „des Lebens Nöte ihre Runen“ 1732 in das Gesicht Staegemanns gegraben, doch sei es<br />
auch „von dem inneren Leuchten einer schönen Seele, die ganz einem Großen hingegeben war,<br />
gar w<strong>und</strong>ersam verklärt“ 1733 worden. Zetkin resümierte, dass Staegemann „es vollauf verdient<br />
[habe], daß die proletarische Frauenbewegung Deutschlands ihr Grab mit immergrünem Lorbeer<br />
schmückt“ 1734 .<br />
Konzentrierte sich Zetkin vor allem auf die Darstellung der politischen Verdienste Staegemanns,<br />
so gab Ihrer, die eine sehr enge Wegbegleiterin Staegemanns war, auch einige Informationen zu<br />
deren Privatleben. Die später als „Mutter Staegemann“ 1735 geehrte Gründerfigur der proletarischen<br />
Frauenbewegung wurde in der Nähe der Stadt Landsberg a.W. geboren. Im Alter von 18 Jahren<br />
siedelte sie nach Berlin über <strong>und</strong> arbeitete als Hausgehilfin. Die Bemerkung, dass sie sich „bald<br />
nachdem“ 1736 sie 1865 den Maurerpolier Staegemann geheiratet hatte, für die Arbeiterinnen enga-<br />
giert habe, ist bezeichnend für die „Heranführung“ vieler (Ehe)Frauen an die Politik.<br />
Staegemann wurde Ladenbesitzerin <strong>und</strong> die manchmal in ihrem Laden stattfindenden Treffen von<br />
ArbeiterInnen machten sie für die Polizei verdächtig. 1737 Ungeachtet dieser Gefahr bot sie<br />
Verfolgten des Sozialistengesetzes immer Hilfe <strong>und</strong> Unterschlupf. 1873 wurde sie Vorsitzende des<br />
1727 Ebd.<br />
1728 Ebd.<br />
1729 Ebd.<br />
1730 Ebd.<br />
1731 Ebd.<br />
1732 Ebd.<br />
1733 Ebd.<br />
1734 Ebd.<br />
1735 Ihrer, Emma: Mutter Staegemann. In: GL, 20/ 01/ 11.10.1909/ 2.<br />
1736 Ebd.<br />
1737 Die Unterlagen dieser Treffen, so Ihrer, die mit ihrem Buch „Die Organisationen der Arbeiterinnen Deutschlands,<br />
ihre Entstehung <strong>und</strong> Entwicklung“ 1893 die Chronik der ersten Arbeiterinnenvereine schrieb, seien rar, weil es zu<br />
gefährlich war, sie aufzubewahren (vgl. ebd.).<br />
561
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
neu gegründeten „Arbeiterfrauen- <strong>und</strong> Mädchenvereins“, in dessen Vorstand außerdem Hahn,<br />
Gr<strong>und</strong>emann <strong>und</strong> Schackow mitarbeiteten. Staegemanns Versuche, mit Klara Ringius (?-?) <strong>und</strong><br />
Martha Legel (?-?) noch weitere Vereinsgründungen anzustoßen 1738 , erhielten einen herben<br />
Rückschlag als der Verein verboten <strong>und</strong> der Vorstand zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. In<br />
einem weiteren Prozess wurde Staegemann 1879 wegen „Verächtlichmachung kirchlicher Insti-<br />
tutionen“ 1739 zu sechs Wochen Haft im Frauengefängnis Barnim verurteilt. Dieses Urteil nahm<br />
keinerlei Rücksicht darauf, dass sie Mutter von vier kleinen Kindern war. 1740<br />
Neuen Elan erhielt die proletarische Frauenbewegung Berlins vor allem durch das Wirken<br />
Guillaume-Schacks. Außerdem wurden Staegemann <strong>und</strong> Cantius nun von Wabnitz <strong>und</strong> Ihrer in<br />
der Organisation der Arbeiterinnen unterstützt. Staegemann übernahm gemeinsam mit Hofmann<br />
den Vorsitz des „Vereins zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen“. Doch auch dieser<br />
wurde verboten <strong>und</strong> Staegemann erneut zu einer Geldstrafe verurteilt. Deutlich langlebiger war<br />
der 1899 gegründete „Frauenbildungsverein“. Diesem gehörte Staegemann bis zu ihrem Tode an.<br />
Mit ihrer „aufopfernde[n] Tätigkeit“ 1741 für die proletarische Frauenbewegung habe die Verstor-<br />
bene, so Zetkin,<br />
„Mut <strong>und</strong> Energie, volles Verständnis für die Seele des arbeitenden Volkes <strong>und</strong> ein<br />
warmes Herz für seine Leiden, sowie auch eine außergewöhnliche Rednergabe“ 1742<br />
bewiesen. Auch wenn sie im höheren Alter keine öffentlichen Reden mehr gehalten habe, habe sie<br />
jedoch „im Kreise der Genossen stets belebend <strong>und</strong> anfeuernd“ 1743 gewirkt. Wie auch einige<br />
andere Führerinnen der proletarischen Frauenbewegung wurde auch Staegemann auf dem Zentral-<br />
friedhof Berlin-Friedrichsfelde beerdigt.<br />
Im darauf folgenden Jahr war es ein von m.w. – vermutlich Marie Wackwitz – verfasster Artikel,<br />
der anlässlich einer stillen Feier 1744 zum Geburtstag Staegemanns an diese Pionierin der prole-<br />
tarischen Frauenbewegung erinnerte. Politisch <strong>und</strong> gewerkschaftlich organisierte Frauen<br />
Großberlins hatten aus eigenen Mitteln einen Grabstein gestiftet <strong>und</strong> während der Feierlichkeiten<br />
den Kindern Staegemanns übergeben. Obwohl die Behörden jede Ansprache am geschichts-<br />
1738 Ebd.<br />
1739 Ebd.<br />
1740 Ebd. Diese ihre Rolle als treusorgende Mutter <strong>und</strong> auch ihr Wirken für die Emanzipation der Frau würdigt der<br />
Kondulenzbrief, den ein Fre<strong>und</strong> ihres ältesten Sohnes verfasste (vgl. ebd., S. 3). Da er selbst kein Sozialdemokrat<br />
war, betonte er Staegemanns Wirken für die Gesamtheit der Frauenbewegung – unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit.<br />
Er schließt mit den Worten: „Sie ist eine von denen, deren Leben nicht vergeblich war.“ (ebd.).<br />
1741 Ihrer, Emma: Mutter Staegemann. In: GL, 20/ 01/ 11.10.1909/ 2.<br />
1742 Ebd.<br />
1743 Ebd.<br />
1744 [Wackwitz, Marie] m.w.: Zur Ehrung der verstorbenen Genossin Pauline Staegemann … In: GL, 20/ 14/<br />
562<br />
11.04.1910/ 220.
4.4.4 KÄMPFERINNEN DER ERSTEN STUNDE – ENGAGIERTE PROLETARIERINNEN UNTER DEM SOZIALISTENGESETZ<br />
trächtigen Datum des 18. März untersagt hatten, traf man sich zu einer Ansprache Emma Ihrers in<br />
einem Lokal. Denn, so m.w., „[t]rotz aller Polizeiverbote [ließe] sich die Arbeiterklasse das Recht<br />
nicht rauben, ihre Toten zu ehren, wie sie es will“ 1745 .<br />
Ähnlich wie Staegemann dürfte auch Mathilde von Hofstetten (1847-?) durch ihren Ehemann zu<br />
einer sozialistischen Überzeugung gelangt sein. So ist es auch nicht verw<strong>und</strong>erlich, dass Max<br />
Schütte (?-?) 1746 in dem von ihm verfassten Jubiläumsartikel zunächst dessen Leben beschreibt.<br />
Der bayerische Kavallerieleutnant Johann Baptist von Hofstetten war ein persönlicher Fre<strong>und</strong><br />
König Maximilians II., aber seit seiner Bekanntschaft mit Ferdinand Lasalle auch bekennender<br />
Sozialdemokrat. Nachdem er als Mitgründer des „Sozialdemokrat“ nahezu sein gesamtes Ver-<br />
mögen aufgebraucht hatte, arbeitete Johann Baptist von Hofstetten als schlechtbezahlter Reporter<br />
<strong>und</strong> brach schließlich geistig verwirrt in der Berliner Charité zusammen. Auch in jener Zeit war<br />
ihm seine zweite Ehefrau, die er 1881 geheiratet hatte, „eine treue Stütze im harten Kampfe ums<br />
tägliche Brot“ 1747 gewesen. Die Witwe Hofstetten, die vor ihrer Hochzeit als Verkäuferin in einem<br />
Berliner Hutgeschäft gearbeitet hatte, musste sich nun als Wäschenäherin selbst versorgen.<br />
Darüber hinaus entwickelte sie jedoch agitatorische Fähigkeiten, die sie zu einer bewährten<br />
Rednerin für Frauenversammlungen machten. 1890 wurde Hofstetten als Delegierte für den<br />
Parteitag in Halle gewählt, trat aber zugunsten Ihrers von ihrem Mandat zurück. Die Delegation<br />
zum Erfurter Parteitag 1891 nahm sie dagegen an. Sie engagierte sich vornehmlich in der<br />
Kellnerinnenbewegung <strong>und</strong> den Verbänden der Wäscherinnen. Außerdem war Hofstetten<br />
Mitbegründerin <strong>und</strong> Vorsitzende sowohl des ersten „Bildungsvereins für Frauen <strong>und</strong> Mädchen der<br />
Arbeiterklasse“ als auch des „Vereins zur ersten Hilfe bei Unglücksfällen“ <strong>und</strong> Vorstandsmitglied<br />
der Offenbacher Frauenkasse 1748 . Noch als 73-jährige habe sie ihre Ämter wahrgenommen <strong>und</strong><br />
schließlich ihren Lebensabend bei „große[r] geistige[r] Frische <strong>und</strong> Klarheit“ 1749 im Lange-<br />
Schunke-Stift verbracht.<br />
Dieser von einem männlichen „Gleichheit“-Mitarbeiter verfasste Artikel ist besonders markant, da<br />
er nicht nur mit der Lebensbeschreibung des Ehemannes der Jubilarin beginnt, sondern auch<br />
insgesamt nur eine schwache Emotionalität enthält. Letzteres dürfte mit dem neuen Redaktionsstil<br />
1745 Ebd.<br />
1746 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu Max<br />
Schütte.<br />
1747 Schütte, Max: Zum 75. Geburtstage Mathilde von Hofstettens. In: GL, 32/ 14-15/ 01.08.1922/ 142.<br />
1748 Vermutlich handelt es sich dabei um eine Filiale der die „Staatsbürgerin“ tragenden „Offenbacher Kranken- <strong>und</strong><br />
Begräbnißkasse für Frauen <strong>und</strong> Mädchen“.<br />
1749 Ebd.<br />
563
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
zusammenhängen, der sich nach Zetkins Entlassung bemerkbar machte.<br />
564
4.4.5 Organisierte Genossinnen<br />
– Die Stützen der proletarischen Frauenbewegung<br />
4.4.5 ORGANISIERTE GENOSSINNEN – DIE STÜTZEN DER PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG<br />
In den biographischen Skizzen mancher Mitglieder der proletarischen Frauenbewegung findet<br />
deren Engagement unter dem Sozialistengesetz keine ausdrückliche Erwähnung. Es ist zu<br />
vermuten, dass entsprechende Informationen gänzlich fehlen oder diese Frauen erst später zur Ar-<br />
beiterbewegung <strong>und</strong> zur proletarischen Frauenbewegung gestoßen waren. Einige dieser Frauen<br />
erlebten sogar die beiden Ereignisse mit, die für die weitere Organisation der proletarischen<br />
Frauenbewegung entscheidend sein sollten: Den Fall des Sozialistengesetzes 1890 <strong>und</strong> die<br />
Einführung des Reichsvereinsgesetzes 1908. Beide Ereignisse brachten eine beträchtliche Erleich-<br />
terung für die sozialistische Agitation unter den Proletarierinnen <strong>und</strong> reduzierten das persönlich zu<br />
tragende Risiko ungemein. Die ersten Pionierinnen, so konstatiert auch Zetkin diesen Wandel,<br />
seien<br />
„begeistert <strong>und</strong> mutig bahnbrechend in einer Zeit vorangegangen, wo es nicht verhältnismäßig<br />
so leicht war, wie heutzutage, als Frau kämpfend in den Reihen des<br />
klassenbewußten Proletariats zu stehen“ 1750 .<br />
Diese Pionierinnen hätten nicht nur „die härteste Verfehmung seitens der bürgerlichen Welt zu<br />
tragen“ 1751 gehabt, sie seien außerdem mit den antifeministischen Vorurteilen aus dem eigenen,<br />
sozialistischen Lager konfrontiert gewesen. Letzteres blieb jedoch auch nach der Integration der<br />
proletarischen Frauenbewegung in die SPD ein nicht aufzulösender Konflikt.<br />
Zu den Frauen, deren Engagement bereits zu Zeiten des Sozialistengesetzes begonnen haben<br />
dürfte, aber nicht in ihrem Nachruf erwähnt wurde, gehört auch Katharina Bode (1861-1901). Als<br />
das Leben einer „echte[n] <strong>und</strong> rechte[n] Proletarierin“ 1752 sei ihr Leben, so die „Gleichheit“, voll<br />
von Mühe <strong>und</strong> Arbeit, aber auch ein „köstlich[es]“ Leben gewesen, „denn es war ein Leben<br />
treuester Pflichterfüllung“ 1753 . Bode habe als Sozialistin diese Pflichterfüllung aber nicht nur<br />
gegenüber ihren eigenen Angehörigen, sondern auch gegenüber „der großen Familie der Aus-<br />
gebeuteten <strong>und</strong> Enterbten“ 1754 bewiesen. In einer besonderen „Selbstlosigkeit“ 1755 im Kampf für<br />
die sozialistischen Ideale habe sie schließlich ihren Lebensinhalt gef<strong>und</strong>en.<br />
Als Tochter eines Arbeiters lernte sie von Anfang an die „enge <strong>und</strong> sonnenlose Proletarier-<br />
1750 Johanne Schackow †. In: GL, 13/ 03/ 28.02.1903/ 22.<br />
1751 Ebd.<br />
1752 Katharina Bode †. In: GL, 11/ 08/ 10.04.1901/ 60.<br />
1753 Ebd.<br />
1754 Ebd.<br />
1755 Ebd.<br />
565
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
existenz“ 1756 kennen, die auch verantwortlich war, dass sich ihr reger Geist nur mit der üblichen<br />
Volksschulbildung begnügen musste. Sie war 14 Jahre alt als sie die Mittellosigkeit ihrer Familie<br />
in ihre erste Anstellung als Dienstmädchen zwang <strong>und</strong> 16 Jahre alt als sie „den Kampf ums Dasein<br />
aufnehmen“ 1757 musste <strong>und</strong> nach Hamburg ging:<br />
„Das eigene Loos, wie die Großstadt mit ihren Gegensätzen von glänzendem<br />
Reichtum <strong>und</strong> düsterer Armuth brachte dem scharfen Verstand <strong>und</strong> dem empfindsamen<br />
Gemüth Katharinas die schreiende Ungerechtigkeit der bestehenden Gesellschaftsordnung<br />
zum Bewußtsein.“ 1758<br />
All diese das Klassenbewusstsein weckenden Erfahrungen hatte Bode in einem Alter machen<br />
müssen, so die „Gleichheit“ in einem moralischen Seitenhieb gegen das Bürgertum, in dem „die<br />
Töchter der gesellschaftlichen Drohnen wie kostbare Blüthen gehegt <strong>und</strong> gepflegt“ 1759 würden.<br />
Über die Ursachen der gesellschaftlichen Ungerechtigkeit <strong>und</strong> über die proletarische Pflicht,<br />
gegen sie zu kämpfen, wurde Bode von ihrem späteren Ehemann – einem Schneider – aufgeklärt<br />
<strong>und</strong> somit in die sozialistische Ideenwelt eingeführt. Nach der Heirat siedelte das Ehepaar nach<br />
Kiel über. Hier agitierte Bode im Fre<strong>und</strong>es- <strong>und</strong> Bekanntenkreis <strong>und</strong> führte den Gewerkschaften<br />
neue weibliche Mitglieder zu. 1893 bemühte sie sich um die Gründung des Bildungsvereins für<br />
Frauen <strong>und</strong> Mädchen, der bald ca. 500 Mitglieder hatte <strong>und</strong> deren erste Vorsitzende sie viele Jahre<br />
war. Diese Vereinsgründung <strong>und</strong> auch sein Fortbestehen stieß auf vielerlei Probleme – sowohl von<br />
außen wie auch von innen. Doch Bode habe<br />
„[m]it kluger Vorsicht […] die Organisation an den Klipppen des preußischen<br />
Vereinsrechts vorüber[gesteuert] <strong>und</strong> mit feinem Takte <strong>und</strong> ruhiger Besonnenheit<br />
verstand sie es, innere Zwistigkeiten zu vermeiden <strong>und</strong> Gegensätze auszugleichen,<br />
wie sie so oft die ges<strong>und</strong>e Entwicklung der Frauenvereine bedroh[t]“ 1760<br />
hätten. 1896 wurde Bode Vertrauensperson von Kiel <strong>und</strong> legte den Vereinsvorsitz nieder. Es waren<br />
wohl ges<strong>und</strong>heitliche Probleme, die dies erforderlich machten, denn mehrere Operationen hatten<br />
keine Besserung ihres Ges<strong>und</strong>heitszustandes gebracht. Die „Gleichheit“ stellte ihren Leserinnen<br />
mit Bode eine Frau vor, die wie sie selbst „nicht von überflüssiger Zeit <strong>und</strong> reichlichen Mitteln“<br />
1761 habe zehren können. Auch sie habe „neben dem Wirken für die sozialistischen Ideale […]<br />
häusliche Arbeit“ 1762 zu verrichten gehabt. Aber ihr Bildungsdrang <strong>und</strong> ihr Engagement für die<br />
Sache sei so groß gewesen, dass oft „die späte Nacht, der frühe Morgen sie noch bei der Lektüre,<br />
1756 Ebd.<br />
1757 Ebd.<br />
1758 Ebd.<br />
1759 Ebd.<br />
1760 Ebd.<br />
1761 Ebd., S. 61.<br />
1762 Ebd.<br />
566
4.4.5 ORGANISIERTE GENOSSINNEN – DIE STÜTZEN DER PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG<br />
der Arbeit“ 1763 gef<strong>und</strong>en habe. So habe die Verstorbene „genug gelebt für alle Zeiten, denn sie hat<br />
dem Besten ihrer Zeit gelebt“ 1764 – dem Sozialismus. Der Nachruf schloss mit der Aufforderung an<br />
die Leserinnen, desgleichen zu tun.<br />
Wie Bode war auch Josephine Döring (?-1902) laut ihres vermutlich von Zetkin verfassten<br />
Nachrufs Proletarierin durch <strong>und</strong> durch. Als „[e]ines Proletariers Kind“ 1765 sei sie „eines Prole-<br />
tariers Weib“ 1766 geworden. Ihr Mann war als Saisonarbeiter oft lange Zeit ohne Arbeit. Deshalb<br />
musste Döring neben der Haushaltsführung noch als Konfektionsnäherin zum Einkommen<br />
beitragen. Dennoch habe sie sich die nötige Zeit für geistige Anregung nehmen können:<br />
„Allein was immer Genossin Döring litt, was immer sie drückte: es versank, sobald<br />
sie eine sozialistische Broschüre, ein Bändchen Gedichte zur Hand nahm, sobald<br />
sie mit Gleichgesinnten über die Ideen sprechen konnte, die ihren Muth, ihre Thatkraft<br />
stets aufs Neue entflammten.“ 1767<br />
Aus dieser Begeisterung heraus wurde Döring eines der ersten <strong>und</strong> eifrigsten Mitglieder der Bres-<br />
lauer Frauenorganisation, die sich 1895 gründete. Nach deren Verbot leistete sie für die<br />
allgemeine Arbeiterbewegung wichtige „Kleinarbeit“, verkaufte Bons oder warb Versammlungs-<br />
besucher. Die später möglich gewordenen Frauenversammlungen bereicherte Döring des Öfteren<br />
mit der Rezitation schlesischer M<strong>und</strong>artgedichte des Breslauer Dichters Karl von Holtei. Eines<br />
Abends, sie habe gerade dazu angesetzt, dessen Gedicht „Suste nischt, ack heem“ („Sonst nichts,<br />
nur heim“) vorzutragen, erlitt sie vollkommen überraschend einen Herzanfall. Döring habe<br />
innegehalten, sich an den Kopf gefasst <strong>und</strong> sei schließlich lautlos auf den Stuhl zurückgesunken –<br />
ein, wie Zetkin meinte, „plötzlicher, sanfter <strong>und</strong> schöner Tod“ 1768 . Ein großes Unglück jedoch für<br />
ihren Ehemann, dem sie „Ernährerin“ gewesen sei <strong>und</strong> dem jegliche finanziellen Mittel fehlten,<br />
ihre Beerdigung zu bezahlen. Nur mittels einer Spendensammlung hatten diese aufgebracht<br />
werden können – ein Zeugnis proletarischer Solidarität, aber auch ein, wie Zetkin schrieb, „ty-<br />
pisches Bild proletarischen Elends in dieser besten aller Welten“ 1769 .<br />
Wie gering die Finanzmittel ihrer Familie aber auch gewesen waren, dies hatte Döring nicht<br />
hindern können, zu den Leseabenden zu kommen <strong>und</strong> andere Menschen mit ihren Vorträgen zu<br />
1763 Ebd.<br />
1764 Ebd.<br />
1765 Josephine Döring †. In: GL, 12/ 22/ 22.10.1902/ 173.<br />
1766 Ebd.<br />
1767 Ebd.<br />
1768 Ebd.<br />
1769 Ebd., S. 174.<br />
567
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
begeistern. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e war Döring der „Gleichheit“ ein Vorbild für das,<br />
„was H<strong>und</strong>erttausende, was Millionen Enterbter können, wenn sie nur wollen,<br />
wenn sie sich selbstlos <strong>und</strong> opferfreudig dem Ideal der Menschheitsbefreiung ergeben“<br />
1770 .<br />
Auch wenn diese Millionen nicht erwarten dürften, dass die Geschichtsschreibung Notiz von<br />
ihnen nehme, so könnten sie aber gewiss sein, dass ihr Wirken für den Sozialismus<br />
„an innerem Gehalt den geschäftigen Müßiggang mancher Fürstin <strong>und</strong> ‘berühmten’<br />
Frau, von dem die Geschichtsklitterung ein Breites erzählt“ 1771 ,<br />
überträfe. Die „Gleichheit“ <strong>und</strong> Zetkin hatten es sich zur Aufgabe gemacht, dieses Wirken <strong>und</strong><br />
diese Personen sichtbar zu machen, ihre Verdienste für alle Zeiten festzuhalten.<br />
Eine Mutter von acht Kindern war Magdalene Schmidt (?-1904/ 36-jährig). Obwohl sie diese<br />
pflegte, betreute <strong>und</strong> durch ihre Erwerbstätigkeit miternährte, sei sie, so wusste Zietz zu berichten,<br />
auch „unermüdlich“ 1772 für die Hamburger Arbeiterbewegung tätig gewesen. Schmidt verrichtete<br />
Kleinarbeit, beteiligte sich an Versammlungen <strong>und</strong> erbrachte sogar von dem Wenigen, das sie<br />
hatte, finanzielle Beiträge für die Partei. Nie habe sie „ihr guter Humor, ihr frischer Mut“ 1773 ver-<br />
lassen. Wie Schmidt zu Lebzeiten „in ihrer Selbstlosigkeit <strong>und</strong> Begeisterung ein leuchtendes<br />
Vorbild“ gewesen sei, so sollte sie, die an Kindbettfieber starb, es auch „über das Grab hinaus<br />
bleiben“ 1774 .<br />
„Unsere Adelheid“ 1775 wurde Adelheid Zeh (1869-1909) im bayerischen Lechhausen genannt, in<br />
das sie 1890 als Fabrikarbeiterin kam. Über Zehs Kindheit wusste die mit „M.G.“ zeichnende Ver-<br />
fasserin des Nachrufs – vermutlich Marie Greifenberg – lediglich zu berichten, dass sie im Alter<br />
von zehn Jahren ihre Mutter verlor. 1896 habe sie „mit dem Mann ihrer Wahl“ 1776 eine Ehe ge-<br />
schlossen, die sowohl „ein gemeinsamer Kampf um die Existenz“ 1777 als auch „für die Befreiung<br />
des Proletariats“ 1778 gewesen sei. Es sei<br />
1770 Ebd.<br />
1771 Ebd.<br />
1772 Zietz, Luise: Magdalene Schmidt – Hamm-Hamburg. In: GL, 15/ 01/ 11.01.1905/ 4.<br />
1773 Ebd.<br />
1774 Ebd.<br />
1775 [Greifenberg, Marie?] M.G.: Adelheid Zeh – Lechhausen †. In: GL, 19/ 12/ 15.03.1909/ 184. Für Greifenberg als<br />
Autorin spricht die aus den Recherchen in der „Gleichheit“ gewonnene Information, dass sie in Bayern Vorträge<br />
hielt, Zeh also gekannt haben dürfte.<br />
1776 Ebd.<br />
1777 Ebd.<br />
1778 Ebd.<br />
568
4.4.5 ORGANISIERTE GENOSSINNEN – DIE STÜTZEN DER PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG<br />
„eine echte, rechte Proletarierehe [gewesen], die zwei einsichtige, herzensgute,<br />
strebende Menschen vereinte <strong>und</strong> ihre höchste Weihe durch das harmonische<br />
Wirken im Dienste der sozialistischen Ideen erhielt“ 1779 .<br />
Indem es eine dem sozialistischen Ideal entsprechende Ehe war, so der nahegelegte Rückschluss,<br />
sei es eine glückliche Ehe gewesen.<br />
1905 wurde die sich durch Opferfreudigkeit <strong>und</strong> Lauterkeit auszeichnende Zeh zur Vertrauens-<br />
person gewählt. Ein Amt, das sie trotz ihrer „schlechten, mangelhaften Schulbildung“ 1780<br />
auszufüllen verstand. Sie sammelte erfolgreich eine „Kerntruppe von Genossinnen“ um sich, um<br />
diese „mit der Idee des Sozialismus zu erfüllen“ 1781 . Zeh war Teilnehmerin an den Frauen-<br />
konferenzen 1906 in Mannheim, 1908 in Nürnberg <strong>und</strong> der bayerischen Landesfrauenkonferenz<br />
von 1907.<br />
Lange Zeit schon litt sie an einem schweren rheumatischen Leiden. Diesem Leiden <strong>und</strong> ihrem<br />
Leben setzte eine Herzlähmung ein Ende. Dass sie sich „[a]uch in religiösen Dingen […] zu voll-<br />
ständiger Freiheit der Anschauung durchgerungen“ 1782 hatte, bewies Zeh kurz vor ihrem Tod,<br />
indem sie eine letzte Beichte <strong>und</strong> die Anwesenheit eines Geistlichen bei ihrer Beerdigung strikt<br />
abgelehnt hatte. Diese ihre „eigenste[…] freie[…] Entscheidung“ 1783 traf sie „von dem Bewußt-<br />
sein beseelt, daß jeder sein eigener Richter darüber sein müsse, wie er gelebt <strong>und</strong> gehandelt“ 1784<br />
hat. Doch auch andere richteten über Zehs Leben, wenn es in ihrem Nachruf lautete: „Ihr<br />
nachleben, heißt sie am schönsten ehren.“ 1785<br />
Eine große Anzahl von Menschen nahm an der Trauerfeier teil. Vor allem sei es ein Beweis, so<br />
Greifenberg, der<br />
„große[n] persönliche[n] Tüchtigkeit unserer verstorbenen Vorkämpferin, daß auch<br />
die Firma Butz & Söhne, wo sie lange Jahre geschafft hat, der fleißigen <strong>und</strong><br />
gewissenhaften Arbeiterin einen Kranz widmete“ 1786 .<br />
Diese Bemerkung beweist aber auch, dass der den sozialdemokratischen Frauen oft unterstellte<br />
Dogmatismus relativ zu sehen war. Anscheinend legten auch sie viel Wert auf Anerkennung durch<br />
bürgerliche Respektspersonen <strong>und</strong> vermeintliche kapitalistische Ausbeuter.<br />
1779 Ebd.<br />
1780 Ebd.<br />
1781 Ebd.<br />
1782 Ebd.<br />
1783 Ebd.<br />
1784 Ebd.<br />
1785 Ebd., S. 185.<br />
1786 Ebd.<br />
569
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Es ist nur ein kurzer Nachruf, den Maria Martzloff (?-?) 1787 auf die verstorbene Johanna<br />
Grünfeld (?-1911) verfasste. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass die „Gleichheit“-Redaktion<br />
sich genötigt gesehen hatte, Kürzungen vorzunehmen. Sie lebte in Freiburg i. B., war dort<br />
Mitbegründerin der sozialdemokratischen Frauensektion <strong>und</strong> als Rednerin <strong>und</strong> Agitatorin aktiv. So<br />
wurden nur wenige Informationen zu dem „Leben treuer Pflichterfüllung“ 1788 gegeben, das<br />
Grünfeld geführt habe <strong>und</strong> wie es laut Martzloff „in persönlicher Beziehung wie in Arbeit <strong>und</strong><br />
Kampf für das sozialistische Ideal vorbildlich“ 1789 gewesen sei.<br />
Auf ungewöhnliche Weise sticht Pauline Hennig (?-1912/ 49-jährig) aus der Gruppe der bisher<br />
porträtierten <strong>weiblichen</strong> SPD-Mitglieder heraus. Ungewöhnlich ist nicht, dass sich Hennig als ein<br />
aufgeklärtes Parteimitglied trotzdem nicht unmittelbar in der sozialdemokratischen Frauen-<br />
bewegung engagierte. Ungewöhnlich ist vielmehr ihre dezidierte Begründung für diese Ent-<br />
scheidung. Hennig habe, so Wehmann, die proletarische Frauenbewegung als eine Zersplitterung<br />
der proletarischen Kräfte erachtet <strong>und</strong> deshalb vornehmlich in der Jugend- <strong>und</strong> Kinderarbeit<br />
gewirkt. Die aus „rein proletarischen Verhältnissen“ 1790 stammende Hennig war selbst kinderlos<br />
geblieben, aber arrangierte Märchenaufführungen, gab Spielleiterkurse für Sommer- <strong>und</strong> Kinder-<br />
feste, war viele Jahre in der Jugendbücherei tätig <strong>und</strong> organisierte Jugend-Wanderungen. Ge-<br />
meinsam mit Ehemann Gustav Hennig setzte sie sich vor allem für die Wiederbelebung der<br />
Dramagruppe des früheren Arbeiterbildungsvereins Leipzig-Lindenau ein. Die Parteiarbeit ihres<br />
Ehemannes sei nur möglich <strong>und</strong> erfolgreich gewesen, weil er in seiner Ehefrau eine ver-<br />
ständnisvolle Gefährtin gehabt habe. 1791 Bevor Hennig an den Folgen einer Operation verstarb, so<br />
Wehmann, habe sie den besonderen Wahlsieg der SPD von 1912 noch miterleben dürfen.<br />
Der Kreis Dresden-Land verlor im September 1912 mit Luise Schirmer (?-1912/ 38-jährig), so<br />
der von M.W. verfasste Nachruf, eine „opferfreudige Verfechterin proletarischer Bestre-<br />
bungen“ 1792 . Schirmer war Delegierte der Genossinnen von Tolkewitz-Laubegast <strong>und</strong> Leiterin der<br />
Diskussionsabende. Im Andenken an diese Genossin, die all ihre Kräfte eingesetzt, über einen<br />
„edlen Sinn“ <strong>und</strong> „Schlichtheit“ verfügt habe, waren die „Gleichheit“-Leserinnen aufgefordert,<br />
1787 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu Marie<br />
Martzloff.<br />
1788 Martzloff, Marie: Genossin Johanna Grünfeld, Freiburg i. Br. † In: GL, 22/ 06/ 11.12.1911/ 91.<br />
1789 Ebd.<br />
1790 Wehmann, Klara: Pauline Hennig †. In: GL, 22/ 12/ 04.03.1912/ 187.<br />
1791 Vgl. ebd.<br />
1792 [Wackwitz, Marie?] M.W.: Luise Schirmer †. In: GL, 23/ 01/ 02.10.1912/ 10.<br />
570
„für die große Sache des Sozialismus weiterzukämpfen“ 1793 .<br />
4.4.5 ORGANISIERTE GENOSSINNEN – DIE STÜTZEN DER PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG<br />
Selma Spindler (?-1915) sei eine „aufrechte, klarblickende Proletarierin“ 1794 gewesen. Sie lebte in<br />
Döbeln, das im zehnten sächsischen Wahlkreis lag. Im gemeinsamen Kampf um die Befreiung<br />
ihrer Klasse aus der „‘Not der Tyrannei <strong>und</strong> der Tyrannei der Not’“ 1795 habe sie eine kamerad-<br />
schaftliche Ehe geführt. Spindler – eines der ersten <strong>weiblichen</strong> Mitglieder der Partei – engagierte<br />
sich sowohl in „aufklärender Kleinarbeit“ 1796 als auch im Besuch von Versammlungen. Das Ge-<br />
heimnis ihrer Überzeugungskraft war ein „vom Herzen kommendes zündendes Wort“ 1797 <strong>und</strong><br />
„[i]hr Beispiel gab vielen anderen Mut“ 1798 . Nachdem M. Drechsler (?-?), die Verfasserin des<br />
Nachrufes, aus Döbeln weggezogen war, folgte ihr Spindler, die bisher das Amt der Kassiererin<br />
versehen hatte, als Leiterin der sozialdemokratischen Frauengruppe nach. Außerdem engagierte<br />
sie sich sehr in der Jugendbewegung. Trotz eines Herzleidens sei Spindler eine „allzeit freudige<br />
<strong>und</strong> hingebungsvolle Beraterin <strong>und</strong> Helferin, […] ein Beispiel nie versagender Pflichttreue“ 1799 ge-<br />
wesen.<br />
Keine Erwähnung ihres Privatlebens fand sich in dem Nachruf auf Frieda Kuhlmanns (?-1916).<br />
Die Anzahl der von ihr bekleideten Ämter lässt tatsächlich die Vermutung zu, dass sie<br />
alleinstehend war. Kuhlmann war in der Dienstbotenbewegung von Hamburg <strong>und</strong> Altona aktiv<br />
<strong>und</strong> Mitglied der Hamburger Ortsgruppe des Zentralverbandes der Hausangestellten. Außerdem<br />
war sie Mitbegründerin <strong>und</strong> Kassiererin des „Vereins der Dienstboten, Wasch- <strong>und</strong> Scheuer-<br />
frauen“ Hamburgs <strong>und</strong> Mitglied des sozialdemokratischen Vereins des Distrikts Uhlenhorst. Seit<br />
1901 war sie Austrägerin der „Gleichheit“ <strong>und</strong>, so Luise Kähler als Verfasserin des Nachrufs, stets<br />
„bemüht, immer neue Leser für unser sozialistisches Frauenblatt zu werben“ 1800 . Obwohl ihr<br />
immer wieder nahegelegt, habe sie sich gescheut als Rednerin in großen Versammlungen auf-<br />
zutreten. Sie habe mehr Interesse daran gehabt, „in kleinem Kreis […] zu belehren, anzuregen, zu<br />
ermutigen <strong>und</strong> zu bilden“ 1801 .<br />
1793 Ebd.<br />
1794 Drechsler, M.: Selma Spindler †. In: GL, 26/ 02/ 15.10.1915/ 13.<br />
1795 Ebd.<br />
1796 Ebd.<br />
1797 Ebd.<br />
1798 Ebd.<br />
1799 Ebd.<br />
1800 Kähler, Luise: Frieda Kuhlmann – Hamburg … In: GL, 26/ 17/ 12.05.1916/ 128.<br />
1801 Ebd.<br />
571
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
„Rücksicht auf sich selbst“ 1802 sei für Kuhlmann, so Kähler, „etwas Unbekanntes“ 1803 gewesen.<br />
Eine solch aufopfernde Haltung wurde auffälligerweise besonders unter der Redaktion Zetkins<br />
herausgehoben <strong>und</strong> die ernsten Folgen, die eine solche haben konnte, ignoriert. Es geht nicht<br />
exakt aus dem Artikel hervor, ob Kuhlmann, die wegen eines ges<strong>und</strong>heitlichen Leidens ins Kran-<br />
kenhaus musste, auch dort verstarb. War es vielleicht eine zu spät erkannte <strong>und</strong> behandelte<br />
Krankheit <strong>und</strong> damit ihre Rücksichtslosigkeit gegenüber sich selbst, die sie das Leben kostete?<br />
Mit einem sehr kurzen Artikel feierte die „Gleichheit“ den 60. Geburtstag Emma Tölles (1854-?)<br />
aus Friedenau bei Berlin. Trotz dieses hohen Alters leitete sie „[r]üstig <strong>und</strong> voller Energie <strong>und</strong><br />
Begeisterung“ die örtliche Frauenorganisation der SPD. Seit den 1890er Jahren Mitglied des Ber-<br />
liner Verbandes der Schneiderinnen <strong>und</strong> Schneider sei Tölle, so die Verfasserin „E.B.“, „ein<br />
Vorbild für alle, die […] für die schöne sozialistische Zukunft arbeiten <strong>und</strong> ringen“ 1804 .<br />
Ebenfalls sehr kurz gehalten ist der von „os.“ verfasste Nachruf auf ? Hajlamátz (?-1916). Dies<br />
könnte sich einerseits durch den Mangel an Informationen, andererseits durch den Mangel an<br />
Papier erklären, der während des Ersten Weltkriegs das Erscheinen der „Gleichheit“ stark<br />
beeinträchtigte. Hajlamátz engagierte sich vor allem in der Leipziger Jugendbewegung. Ihr sei<br />
„[d]er Sozialismus […] mehr als ein bloßes Lippenbekenntnis [gewesen], er bestimmte ihr<br />
Handeln“ 1805 . Der Erste Weltkrieg ließ auch ihr Schicksal nicht unberührt: Ihr Lebensgefährte, der<br />
als Soldat in Italien dienen musste, konnte nur noch im letzten Augenblick an ihrem Todestage bei<br />
ihr sein.<br />
Der Nachruf auf Sibylla Benz (?-1918) verwies – verfasst von der neuen „Gleichheit“-Redaktion<br />
– auf eine neue Generation organisierter Genossinnen, denn Benz gehörte „erst“ seit 1906 der<br />
SPD an. Dieser späte Parteieintritt könnte darauf zurückzuführen sein, dass sie aus einem<br />
„klerikalen Dorfe“ 1806 stammte <strong>und</strong> sich lange nicht von den tradierten Vorstellungen lösen konnte.<br />
Die Biographie Benz‘, die sich vor allem in der Distriktleitung des Sozialdemokatischen Vereins<br />
<strong>und</strong> in der Kriegsfürsorge engagierte, weist manche für die Kriegszeit typische Karriereaspekte<br />
auf. Sie wurde die erste sozialdemokratische Armenpflegerin der Stadt Köln <strong>und</strong> während ihr<br />
Mann als Soldat eingezogen war hatte sie zudem dessen Amt als Kassierer des Sattlerverbandes<br />
1802 Ebd.<br />
1803 Ebd.<br />
1804 E.B.: Der 60. Geburtstag einer wackeren Kämpferin. In: GL, 24/ 14/ 01.04.1914/ 216.<br />
1805 os.: Genossin Hajlamátz – Leipzig †. In: GL, 26/ 23/ 04.08.1916/ 173.<br />
1806 Genossin Benz †. In: GL, 28/ 18/ 07.06.1918/ 141.<br />
572
4.4.5 ORGANISIERTE GENOSSINNEN – DIE STÜTZEN DER PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG<br />
inne. Selbst ihre Pflichten als Mutter von sechs Kindern (das jüngste war ein Jahr alt), so die<br />
„Gleichheit“, hinderten sie nicht an einer „treue[n] Pflichterfüllung für die Partei“ 1807 . Nicht nur<br />
zeige ihr Beispiel – gegeben in der schweren Zeit des Ersten Weltkrieges – vielen Frauen, „was<br />
eine der Ihren zu leisten vermag“ 1808 , es beschäme zugleich viele der Männer 1809 .<br />
Der in der „neuen“ „Gleichheit“ erschienene <strong>und</strong> – entsprechend des Erscheinungsjahres – ver-<br />
mutlich von Juchacz verfasste Nachruf auf Benz unterscheidet sich auffällig zu vergleichbaren<br />
Nachrufen der „alten „Gleichheit“. Zwar würdigte auch er mit Benz eine „tapfere[…]<br />
Kämpferin“ 1810 , doch sind die Ziele ihres Kampfes andere geworden. Der Krieg eröffnete ihr <strong>und</strong><br />
vielen anderen Frauen neue Tätigkeitsfelder: „Sobald der Ruf zur Mitarbeit in der Kriegsfürsorge<br />
erging, winkte ihr neue Arbeit.“ 1811 Benz war eine Mehrheitssozialdemokratin par Excellence, die<br />
ihre Pflichterfüllung darin sah, das Kriegselend zu lindern, anstatt es für einen revolutionären<br />
Umschwung zu nutzen. Benz starb in Köln-Ehrenfeld an einer Blutvergiftung.<br />
Stephanie Hoffmann (?-1918/ 47-jährig) war, so lässt es der von der Mannheimer SPD-<br />
Politikerin Therese Blase (1873-1930) 1812 verfasste Nachruf annehmen, ein Beispiel dafür wie<br />
manche Frauen für ihre Tätigkeit in der proletarischen Frauenbewegung Raubbau an der eigenen<br />
Ges<strong>und</strong>heit betrieben. Ein langwieriges Herz- <strong>und</strong> Rheumatismusleiden 1813 hatte sie bereits einmal<br />
zu einer zweijährigen Pause gezwungen bevor sie schließlich daran starb. In jener Pause hatte sie<br />
ihre seit 1905 bekleideten Ämter als erste Kassiererin <strong>und</strong> Vertrauensperson solange ruhen lassen<br />
müssen, bis sie wieder „in Wort <strong>und</strong> Schrift“ agitatorisch tätig werden konnte. Hoffmann sei über<br />
die Grenzen Mannheims „bekannt <strong>und</strong> beliebt“ 1814 gewesen. Sie wurde mehrmals zu SPD-<br />
1807 Ebd., S. 142.<br />
1808 Ebd.<br />
1809 Ebd.<br />
1810 Ebd.<br />
1811 Ebd.<br />
1812 Therese Blase, geb. Knauf, wurde im thüringischen Craula geboren. Sie war Tochter eines Landwirts, lebte seit<br />
1900 in Ludwigshafen <strong>und</strong> war ab 1903 in Mannheim ansässig. Zu diesem Zeitpunkt war sie Hausfrau <strong>und</strong><br />
demnach vermutlich bereits mit dem Kupferschmied Blase verheiratet. Vor 1901 – ein genaue Angabe ließ sich<br />
nicht feststellen – wurde Blase SPD-Mitglied <strong>und</strong> 1905 Mitgründerin der „Frauenabteilung des Sozialdemokratischen<br />
Vereins“. Ab 1911 engagierte sie sich in der Mannheimer Armenpflege, war Vorsitzende des Krüppelvereins<br />
Baden <strong>und</strong> ab 1912 Mitglied der Armenkommission im Jugendamt. Ab 1917 arbeitete sie in der Kriegsfürsorge<br />
Mannheim. Blase war Vorsitzende der Sozialdemokratischen Frauen Badens <strong>und</strong> Mitglied im sozialdemokratischen<br />
Landesvorstand. 1919-1930 war sie Abgeordnete des Badischen Landtages, außerdem Mitglied<br />
des Mannheimer Bürgerausschusses. 1925 war sie Mitglied der Krankenhauskommission. Für die „Gleichheit“<br />
verfasste sie mehrere hier enthaltene Nachrufe <strong>und</strong> den Leitartikel „Der Kampf, Erwecker des Klassenbewußtseins<br />
(GL, 16/ 17/ 22.08.1906/ 113).<br />
1813 Blase, Therese: Stephanie Hoffmann. In: GL, 28/ 22/ 02.08.1918/ 174.<br />
1814 Ebd.<br />
573
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Parteitagen delegiert <strong>und</strong> war Mitglied der Schulkommission <strong>und</strong> Vorsitzende der Mannheimer<br />
Kinderschutzkommission, deren Tätigkeit zu Kriegszeiten jedoch eingestellt worden war.<br />
Während des Krieges engagierte sie sich in der Zentrale für Kriegsfürsorge <strong>und</strong> machte trotz ihrer<br />
Krankheit regelmäßig Familien-, Armen- <strong>und</strong> Krankenbesuche.<br />
Regine Friedländer (?-1918) sei, so „O.W.“ in einem Nachruf, als „Proletarierkind“ 1815 geboren<br />
worden. Doch außerdem war sie „[e]ine geborene Agitatorin“ 1816 <strong>und</strong> beliebte Rednerin. Aus der<br />
Bemerkung, Friedländers „Temperament [habe] bedächtig widerstrebendes Überlegen für sich<br />
nicht anerkannt[…]“ 1817 , ist wohl zu schließen, dass sie in ihren Reden nicht unbedingt wissen-<br />
schaftlich argumentierte. Richtig erfasst habe sie aber trotzdem „die Notwendigkeit mühseliger<br />
organisatorischer Kleinarbeit für den Aufstieg der Arbeiterklasse“ 1818 <strong>und</strong> als erste weibliche<br />
Angestellte des Handlungsgehilfenverbandes eine solche auch geleistet. Aus eigener Kraft bahnte<br />
sie sich ihren Weg. Umso schwerer sei es ihr gefallen, anlässlich ihrer Heirat ihren Mädchen-<br />
namen Kraus <strong>und</strong> die liebgewordene Stellung wieder aufzugeben. Besonders die wachsende Zahl<br />
von Kindern habe aber Letzteres notwendig gemacht. Friedländer war keine Mehrheitssozial-<br />
demokratin, hegte aber, so „O.W.“ die „Hoffnung auf eine Einigung der Arbeiterschaft nach den<br />
Wirrsalen des Krieges“ 1819 , dessen Ende sie wegen einer typhusartigen Erkrankung allerdings<br />
nicht erlebte.<br />
Die im vogtländischen Rebesgrün [unleserlich] tätige Elise Heckel (?-1923) erlag „der Würgerin<br />
Tuberkulose“ 1820 . „Selbstlos, unermüdlich“ 1821 habe sie, so die Reichstagsabgeordnete Minna<br />
Schilling (1877-1928 oder 1943) 1822 , „Stein um Stein für den Bau unserer Zukunft zusam-<br />
1815 O.W.: Regine Friedländer †. In: GL, 29/ 02/ 25.10.1918/ 14.<br />
1816 Ebd.<br />
1817 Ebd., S. 15.<br />
1818 Ebd.<br />
1819 Ebd.<br />
1820 Schilling, Minna: Elise Heckel †. In: GL, 33/ 06/ 15.03.1923/ 47.<br />
1821 Ebd.<br />
1822 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten teilweise sehr widersprüchliche biographische<br />
Informationen zu Schilling: Minna (Martha) Schilling, geb. Petermann, wurde im sächsischen Freiberg geboren<br />
(Freiburg, wie Niggemann es angibt, ist unwahrscheinlich). Sie war Tochter eines Tabakarbeiters <strong>und</strong> selbst als<br />
Tabakarbeiterin im sächsischen Döbeln erwerbstätig. Als Hausfrau <strong>und</strong> Mutter von 6 Kindern lebte sie dann in<br />
Leipzig. 1919 erst Mitglied der Nationalversammlung, saß Schilling außerdem 1920-1928 als Abgeordnete im<br />
Reichstag <strong>und</strong> 1922-1928 im sächsischen Landtag. 1927-1928 war sie Aufsichtsratsmitglied der Landessiedlungsgesellschaft<br />
„Sächsisches Heim“ <strong>und</strong> 1925-1928 des Landeswohlfahrts- <strong>und</strong> Jugendamtes. Laut<br />
BIOSOP-Datenbank kam Schilling 1928 bei einem Eisenbahnunglück ums Leben, laut Niggemann <strong>und</strong> M.d.R<br />
verstarb sie 1943 in Weimar.<br />
574
4.4.5 ORGANISIERTE GENOSSINNEN – DIE STÜTZEN DER PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG<br />
men[getragen]“ 1823 . In der Zeit da während des Krieges die männlichen Funktionäre Kriegsdienst<br />
leisteten, hatte Heckel die Ortsgruppe geleitet. Das Leid anderer sei ihr Leid, die Freude anderer,<br />
„ihre reinste Freude“ 1824 gewesen. Im Oktober 1918 durch die Nachricht vom Tod ihres Ehe-<br />
mannes auf das Krankenlager geworfen, habe ihr das Miterleben der Revolution neue Kraft<br />
gegeben. Heckel wurde Mitglied im Gemeinderat, wo sie sich besonders in der Kriegshinter-<br />
bliebenenfürsorge engagierte. Sie wirkte „eifrig für die Allgemeinheit“ 1825 – „[i]hrer Ges<strong>und</strong>heit<br />
nicht achtend“ 1826 .<br />
Heckel hinterließ zwei schulpflichtige Kinder <strong>und</strong> „H<strong>und</strong>erte, deren Beschützerin“ 1827 sie gewesen<br />
war. Dem Andenken der Verstorbenen würden die Leserinnen am ehesten gerecht, so Schilling,<br />
wenn sie selbst nun weiter vorwärts strebten <strong>und</strong> in Heckels „Ueberzeugung weiter bau[t]en“ 1828 .<br />
1823 Ebd.<br />
1824 Ebd.<br />
1825 Ebd.<br />
1826 Ebd.<br />
1827 Ebd.<br />
1828 Ebd.<br />
575
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
4.4.6 „[J]unge[…] Frauchen“ – Die junge Generation engagierter Proletarierinnen<br />
Die Organisationen der proletarischen Frauenbewegung hatten große Probleme, Frauen jüngeren<br />
Alters als Mitglieder oder Leiterinnen zu gewinnen. Meist waren jüngere Arbeiterinnen – zumal<br />
wenn sie unverheiratet waren – voll erwerbstätig <strong>und</strong> zeitlich noch weniger flexibel als Arbeiter-<br />
frauen. Auch die sozialpsychologische Komponente einer noch wenig entwickelten Persönlichkeit<br />
<strong>und</strong> geringes persönliches Zutrauen dürften eine Rolle gespielt haben. Informationen zu dieser<br />
jüngeren Frauengeneration der proletarischen Frauenbewegung erhält man aus der „Gleichheit“<br />
lediglich aus Nachrufen, denn einen öffentlich gewürdigten „höheren“ Geburtstag erlebten sie ja<br />
nicht. Im Folgenden werden die Biographien in der proletarischen Frauenbewegung engagierter<br />
Frauen skizziert, die jünger als 35 Jahre waren.<br />
Mitten hinein in die Zeit des Sozialistengesetzes wurde Agnes Schilling (?-1896/ 34-jährig)<br />
geboren. Überzeugt <strong>und</strong> „opferfreudig“ 1829 habe sie später die damals sehr gefährliche Arbeit einer<br />
Vertrauensperson versehen. Schilling war mit einem Schneider verheiratet <strong>und</strong> hatte fünf Kinder<br />
zu versorgen. Deren ältestes war zehn, das jüngste drei Wochen alt als Schilling starb. Wie viele<br />
andere engagierte Proletarierinnen hatte also auch sie eine Vielfachbelastung zu tragen gehabt,<br />
denn<br />
„die Nothwendigkeit gebot, den Verdienst des Mannes durch Mitarbeit zu mehren,<br />
die zärtliche Mutterliebe ließ keine Vernachlässigung der Pflichten gegen die<br />
Kleinen zu, die leidenschaftliche Ueberzeugung duldete keine Säumigkeit im<br />
Wirken für die Befreiung des Proletariats“ 1830 .<br />
Kaum verw<strong>und</strong>erlich, so die „Gleichheit“, dass „die Arbeitstage […] oft zu Arbeitsnächten“ 1831<br />
wurden <strong>und</strong> kaum verw<strong>und</strong>erlich, so die „Gleichheit“ weiter, wenn diese Überlastung nicht zum<br />
frühen Tode Schillings beigetragen haben dürfte.<br />
Auch Luise Teumer (?-1904/ 27-jährig) verstarb in jungen Jahren. Sie war Tochter eines Prole-<br />
tariers <strong>und</strong> wurde im Alter von 12 Jahren Vollwaise. In ihrer Jugend wurde sie, so die „Gleich-<br />
heit“, sehr religiös erzogen,<br />
„doch einmal hinausgestoßen in das feindliche Leben erkannte sie bald, daß mit<br />
Dulden, Beten <strong>und</strong> Hoffen auf das Himmelreich den Armen nicht geholfen ist, daß<br />
sie lernen <strong>und</strong> kämpfen müssen, um sich auf Erden ein kulturwürdiges Dasein zu<br />
schaffen“ 1832 .<br />
1829 Wackere Kämpferinnen. In: GL, 06/ 24/ 25.11.1896/ 188.<br />
1830 Ebd.<br />
1831 Ebd.<br />
1832 Genossin Luise Teumer in Obereichenbach i.V. †. In: GL, 14/ 12/ 01.06.1904/ 93. Weil Teumer noch kurz vor<br />
576
4.4.6 „[J]UNGE[…] FRAUCHEN“ – DIE JUNGE GENERATION ENGAGIERTER PROLETARIERINNEN<br />
Das „feindliche Leben“ 1833 , die „Härten <strong>und</strong> Leiden des Lebens, welche die kapitalistische<br />
Ordnung den Ausgebeuteten in reicher Fülle beschert“ 1834 , sie seien es aber auch gewesen, die<br />
Teumer „allmählich zu einer überzeugten Genossin <strong>und</strong> Kämpferin heranreifen“ 1835 ließen.<br />
Sie übernahm das Amt einer Vertrauensperson <strong>und</strong> wurde 1903 wegen Teilnahme am Maifeiertag<br />
von ihrem Arbeitgeber aus dem Betrieb ausgeschlossen. Teumer engagierte sich in der Schulung<br />
der Genossinnen, in Kleinarbeit, Flugblätterverteilen, dem Austragen des Organs des<br />
Holzarbeiterverbandes <strong>und</strong> Einkassieren der Beiträge. 1836 Sie sei eine „eifrige, aufopfernde Genos-<br />
sin“ 1837 gewesen, die von der Proletarierkrankheit „aus den Reihen der kämpfenden Arbeiterklasse<br />
gerissen“ 1838 wurde. Doch war es nicht nur ihr Tod, den der Ehemann <strong>und</strong> der vierjährige Sohn zu<br />
ertragen hatten. Mit Teumer „sank ein neues, keimendes Leben ins Grab“ 1839 , denn sie hätte in den<br />
nächsten Monaten ein zweites Kind bekommen.<br />
Eher selten finden sich in den biographischen Artikeln Informationen darüber, welche Rolle die<br />
skizzierten Frauen bei der Arbeit <strong>und</strong> der Verbreitung der „Gleichheit“ spielten. Lea Heiden-<br />
Deutschmann (1877-1906) aber war nicht nur eine derjenigen Frauen, die die „Gleichheit“<br />
verbreiteten, sie war zudem Verfasserin von Vorträgen <strong>und</strong> Beiträgen für „Gleichheit“, „Vorwärts“<br />
<strong>und</strong> „Neue Zeit“. 1840 Aus dem vom „Gesamtausschuß des Frauen- <strong>und</strong> Mädchenbildungsvereins<br />
für München <strong>und</strong> Umgebung“ verfassten Nachruf lässt sich erkennen, dass mit Heiden-Deutsch-<br />
mann „viel liebe <strong>und</strong> stolze Hoffnungen zu Grabe getragen worden“ 1841 waren. Sie habe „zu den<br />
fähigsten, geschultesten <strong>und</strong> charaktervollsten jungen Vertreterinnen der proletarischen Frauen-<br />
bewegung“ 1842 gezählt. Seit sie ungefähr zehn Jahre vor ihrem Tod „in den Bannkreis des<br />
sozialistischen Ideals ger[aten]“ 1843 sei, habe die junge Handelsangestellte „rastlos um Läuterung<br />
ihrem Tode ein kirchliches Begräbnis abgelehnt hatte, wurde es ihren Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Gesinnungsgenossen verboten,<br />
an ihrem Grabe zu sprechen (vgl. ebd., S. 94).<br />
1833 Ebd., S. 93.<br />
1834 Ebd.<br />
1835 Ebd.<br />
1836 Ebd.<br />
1837 Ebd.<br />
1838 Ebd.<br />
1839 Ebd., S. 94.<br />
1840 Lea Heiden-Deutschmann †. In: GL, 16/ 21/ 17.10.1906/ 147. Heiden-Deutschmann verfasste u. a. für die<br />
„Gleichheit“: Katholische Arbeiterinnenbewegung. In: GL, 15/ 20/ 04.10.1905/ 117-118; Verbandstage der<br />
„radikalen“ Frauenrechtlerinnen. In: GL, 15/ 21/ 18.10.1905/ 122-123 (ein Bericht zu den vom 02.-05.10.1906<br />
stattfindenden Generalversammlungen des Verbandes fortschrittlicher Frauenvereine <strong>und</strong> des Verbandes für<br />
Frauenstimmrecht in Berlin).<br />
1841 Ebd.<br />
1842 Ebd.<br />
1843 Ebd.<br />
577
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
ihrer Erkenntnis gerungen“ 1844 . Sie sei stets „ohne nach den Opfern zu fragen, für ihre Über-<br />
zeugung eingetreten“ 1845 <strong>und</strong> war nicht nur in München, sondern zuvor auch in Frankfurt am Main<br />
<strong>und</strong> Berlin agitatorisch tätig. Nicht nur, dass sie in jenen Städten Vorträge hielt, sie war auch<br />
Mitglied des jeweiligen Frauenbildungsvereins – in Frankfurt am Main war sie sogar Vertrauens-<br />
person 1846 . Besonders engagiert war sie in der Organisation der Handelsgewerbearbeiter. Doch all<br />
diese Informationen über das breitgefächerte Wirken Heiden-Deutschmanns, so ihre Genossinnen<br />
weiter, könnten nicht die Schwere ihres Verlustes erklären, wenn man sie nicht auch persönlich<br />
gekannt habe. Ihre Persönlichkeit machte zugleich ihr Wirken aus:<br />
„In heißen äußeren <strong>und</strong> inneren Kämpfen hat sie sich selbst finden müssen. Aber<br />
sie hatte das Glück, zugleich eine feste, in sich geschlossene Weltanschauung im<br />
Sozialismus gef<strong>und</strong>en zu haben, <strong>und</strong> so ist sie über Steine <strong>und</strong> durch Dornen<br />
gewandert – oft müden Fußes <strong>und</strong> blutenden Herzens, aber nie mutlos, nie rückwärts,<br />
sondern mit stetig wachsenden geistigen <strong>und</strong> sittlichen Kräften aufwärts.“ 1847<br />
Heiden-Deutschmann habe über eine große Allgemeinbildung <strong>und</strong> ein umfassendes theoretisches<br />
Wissen verfügt. Mit diesen Fähigkeiten <strong>und</strong> Kenntnissen wäre es „ihr ein leichtes gewesen, sich<br />
eine bürgerlich angesehene, einträgliche Stellung zu schaffen“ 1848 . Doch ihr „glühende[r]<br />
Drange“ 1849 habe dem Ziel gegolten, „den Emanzipationskampf des Proletariats immer besser ge-<br />
rüstet mitkämpfen zu können“ 1850 . Ein Kampf, über den sie jedoch nie versäumte, „eine zärtliche,<br />
treubesorgte <strong>und</strong> einsichtsvolle Mutter“ 1851 zu sein, die in „echte[r] Wärme des Gefühls“ 1852 die<br />
Entwicklung ihres Sohnes begleitete. Heiden-Deutschmann verstarb im Münchner Josefinum. 1853<br />
Klara Heinrich (?-1908/ 33-jährig) 1854 war bereits Mutter von vier Kindern im Alter von drei bis<br />
neun Jahren als sie im Wochenbett an einer Herzerweiterung <strong>und</strong> Bauchfellentzündung starb.<br />
1844 Ebd.<br />
1845 Ebd.<br />
1846 Heiden-Deutschmann wurde 1902 zur Vertrauensperson der Sozialdemokratinnen Frankfurts gewählt (vgl. Klausmann,<br />
Politik <strong>und</strong> Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich, S. 120f.)<br />
1847 Ebd.<br />
1848 Ebd., S. 148.<br />
1849 Ebd.<br />
1850 Ebd.<br />
1851 Ebd.<br />
1852 Ebd.<br />
1853 Im November 1904 hatte sich Heiden-Deutschmann von ihrem Ehemann, dem stellvertretenden Vorsitzenden des<br />
Sozialdemokratischen Vereins <strong>und</strong> zweiten Arbeitersekretär Frankfurts, Johannes Heiden, getrennt <strong>und</strong> war nach<br />
München umgezogen (vgl. Klausmann, Politik <strong>und</strong> Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich, S. 348; Niggemann,<br />
Emanzipation zwischen Feminismus <strong>und</strong> Sozialismus, S. 311).<br />
1854 Diese Altersangabe erklärt sich durch die Information, dass Heinrich als 21jährige am Parteitag in Gotha 1896<br />
teilgenommen habe (vgl. Genossin Klara Heinrich †. In: GL, 13/ 22/ 21.10.1903/ 175).<br />
578
4.4.6 „[J]UNGE[…] FRAUCHEN“ – DIE JUNGE GENERATION ENGAGIERTER PROLETARIERINNEN<br />
„Das Lesen sozialdemokratischer Schriften <strong>und</strong> Zeitungen“, so ihr Nachruf, sei dieser jungen Frau<br />
„ein höherer Genuß als Tanz <strong>und</strong> andere Zerstreuungen“ 1855 gewesen. Glücklich gemacht habe es<br />
sie,<br />
„im kleinen Kreise das Evangelium von der Freiheit alles dessen, was<br />
Menschenantlitz trägt, verkünden zu können, ihm neue Bekenner <strong>und</strong><br />
Bekennerinnen zu werben oder ihm sonst zu dienen“ 1856 .<br />
Als Delegierte der Wahlkreise Grünberg-Freiberg <strong>und</strong> Sagan-Sprottau nahm Heinrich – ein<br />
„junges Frauchen“ 1857 von 21 Jahren 1858 – an dem Parteitag 1896 in Gotha teil. Unermüdlich<br />
leistete Heinrich, die gewerkschaftlich im Fabrikarbeiterverband organisiert war, besonders in<br />
Zittau <strong>und</strong> Löbau agitatorische <strong>und</strong> organisatorische „Kleinarbeit“. Es seien schließlich die<br />
„mit der Kinderzahl wachsenden mütterlichen Verpflichtungen [gewesen, die]<br />
verhinderten, daß Genossin Heinrich ihrer Begabung <strong>und</strong> Neigung entsprechend,<br />
sich ein größeres Wirkungsfeld in der Bewegung schaffen konnte“ 1859 .<br />
Heinrich ist damit eine der wenigen von der „Gleichheit“ porträtierten Frauen, denen es nicht<br />
vollständig gelungen war, Mutterpflichten <strong>und</strong> Klassenkampf in idealem Maß gerecht zu werden.<br />
Umso verständlicher wird das erklärte Ziel der „Gleichheit“, ideale Voraussetzungen – kürzere<br />
Arbeitszeiten, bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten – zu erkämpfen, um mehr weibliches En-<br />
gagement in Politik <strong>und</strong> Gesellschaft möglich zu machen. Die Lösung dieser Probleme lag für sie<br />
<strong>und</strong> ihre MitarbeiterInnen im Sozialismus.<br />
Ebenfalls im Alter von 33 Jahren, an einer chronischen Bleivergiftung <strong>und</strong> Nierenentzündung<br />
starb Auguste Kadeit (?-1909/ 33-jährig). Bereits als Kind gezwungen, mitzuverdienen, weil ihr<br />
Vater früh verstorben war, musste Kadeit nach kurzer Schulzeit erst in einer Zigarren- <strong>und</strong> dann in<br />
einer Korkfabrik arbeiten. Nach Berlin umgezogen, wurde sie Metallarbeiterin. Durch diese<br />
Arbeit habe sie sich – „[w]ährend sie für andere Reichtümer sch[uf]“ 1860 – „den Keim der<br />
tödlichen Krankheit“ 1861 geholt, der sie später erlag. Anders als bei vielen anderen Sozialdemo-<br />
kratinnen, waren es anscheinend nicht die ihr nahe stehenden Personen, die Kadeit zur<br />
Arbeiterbewegung führten, sondern ihr bewusstes Wahrnehmen <strong>und</strong> Hinterfragen ihrer eigenen<br />
1855 Ebd.<br />
1856 Ebd.<br />
1857 Ebd.<br />
1858 Heinrichs Redebeitrag auf dem Parteitag befürwortete die Herausgabe allgemeinverständlicher Broschüren (vgl.<br />
ebd. <strong>und</strong> Heinrich im Protokoll des SPD-Parteitages Gotha 1896, S. 171).<br />
1859 Genossin Klara Heinrich †. In: GL, 13/ 22/ 21.10.1903/ 175.<br />
1860 Auguste Kadeit †. In: GL, 19/ 23/ 16.08.1909/ 361.<br />
1861 Ebd.<br />
579
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Existenzbedingungen <strong>und</strong> ihre Lebenserfahrung.<br />
Die chronische Krankheit zwang Kadeit des Öfteren zur Bettlägerigkeit, welche sie jedoch zur<br />
Lektüre <strong>und</strong> Fortbildung genutzt habe. Ihr so gesammeltes Wissen gab sie an ihre Berufs-<br />
genossinnen weiter <strong>und</strong> bald wurde sie zur Agitatorin für die sozialistische Sache. Zu Beginn des<br />
Jahres 1909 sei sie nach einer Versammlung „von einer Gehirnerschütterung befallen“ 1862 worden<br />
<strong>und</strong> musste für sechs Wochen in das Krankenhaus des kleinen Ortes, in dem sie sich gerade<br />
aufhielt. Kaum erholt, seien es „ihr Pflichteifer <strong>und</strong> das Vertrauen ihrer Kolleginnen <strong>und</strong><br />
Kollegen“ 1863 gewesen, die sie als Delegierte zur Generalversammlung der Metallarbeiter in<br />
Hamburg reisen ließen. Vermutlich ein fahrlässiger Fehler, denn aus Hamburg kehrte sie krank<br />
nach Berlin zurück, wo sie ihrem Leiden erlag. Der „Gleichheit“ ist Kadeit ein besonderes<br />
„Beispiel der geistigen <strong>und</strong> sittlichen Kraft, die in den proletarischen Frauen zum<br />
Licht drängt“ 1864 .<br />
Die Jüngste in dieser Reihe junger sozialistischer Frauen ist Grete Brüggemann (?-1910/ 24-<br />
jährig). Sie starb nach Meinung der Verfasserin ihres Nachrufes, Relie Deffner (?-?), „in einem<br />
Alter, wo die Seele reich an Blütenträumen“ 1865 sei. Zur proletarischen Frauenbewegung habe sie<br />
durch den Wirkungskreis ihres Vaters gef<strong>und</strong>en, der als Gauleiter des Deutschen Textilarbeiter-<br />
verbandes tätig war. Der Tod des „liebenswürdige[n], stets heitere[n] Mädchen[s] 1866 bedeute für<br />
die Frauenorganisation einen besonderen Verlust, denn die Entwicklung Brüggemanns habe zu<br />
„den schönsten Hoffnungen für eine fruchtreiche Arbeit im Dienste unserer Ideen berechtigt[…]“<br />
1867 . Sie sei<br />
„um so schwerer zu ersetzen, als es nicht viele gibt, die in so jugendlichem Alter<br />
sich zu solch klarer Erkenntnis der Ziele der sozialdemokratischen Bewegung<br />
durchgerungen haben“ 1868 .<br />
Brüggemann – laut Deffner eine „echte Proletariern“ 1869 – litt wie Tausende ihrer Klassengenossen<br />
an einer Proletarierkrankheit, an einem „langjährige[n], hartnäckige[n] Lungenleiden“ 1870 , das<br />
auch in einem Sanatorium nicht geheilt werden konnte. Weder die qualvolle Krankheit noch<br />
1862 Ebd. Diese Beschreibung lässt eher nicht auf eine einfache Gehirnerschütterung in herkömmlicher Bedeutung<br />
schließen.<br />
1863 Ebd.<br />
1864 Ebd.<br />
1865 Deffner, Relie: Grete Brüggemann †. In: GL, 20/ 14/ 11.04.1910/ 220.<br />
1866 Ebd.<br />
1867 Ebd.<br />
1868 Ebd.<br />
1869 Ebd.<br />
1870 Ebd.<br />
580
4.4.6 „[J]UNGE[…] FRAUCHEN“ – DIE JUNGE GENERATION ENGAGIERTER PROLETARIERINNEN<br />
„Sturm[…][,] Regen, […] Frost […][oder] Sonnenhitze“ 1871 hätten sie aber daran hindern können,<br />
vor den Fabriktoren <strong>und</strong> in den Straßen Flugblätter <strong>und</strong> Versammlungsaufrufe zu verteilen, um auf<br />
diese Weise „Aufklärung <strong>und</strong> Wissen unter die Arbeiterschaft zu tragen“ 1872 . Wenn auch Brügge-<br />
manns Wirken „nach außenhin nicht so auffiel, war sie doch äußerst wertvoll“ 1873 , denn ihre<br />
„unermüdlich[e] Kleinarbeit“ sei „für den Gesamterfolg unentbehrlich“ 1874 gewesen.<br />
Die Solinger SPD habe mit der jungen Margarete Ries (?-1922/ 25-jährig), so „M.A.“, eine<br />
„mutige, lebensfrohe Genossin“ 1875 verloren, die „immer an erster Stelle, selbstlos <strong>und</strong> rein“ 1876 der<br />
Bewegung gedient habe. Eine Grippeinfektion forderte mit der gerade erst 25-jährigen Ries ein<br />
Opfer, das „in seiner schlichten einfachen Art, frei von aller Kleinlichkeit, gewissenhaft als<br />
Kämpferin für den Sozialismus seinen Weg“ 1877 gegangen sei – den anderen Genossinnen damit<br />
„Ansporn <strong>und</strong> leuchtendes Vorbild“ 1878 war.<br />
1871 Ebd.<br />
1872 Ebd.<br />
1873 Ebd.<br />
1874 Ebd.<br />
1875 M.A.: Margarete Ries † In: GL, 32/ 02/ 15.01.1922/ 18.<br />
1876 Ebd.<br />
1877 Ebd.<br />
1878 Ebd.<br />
581
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
4.4.7 In erster Reihe – Führerinnen der deutschen proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong><br />
Mitarbeiterinnen der „Gleichheit“<br />
Die Zusammenstellung der bisherigen biographischen Skizzen deutscher <strong>Klassenkämpferinnen</strong><br />
erfolgte nach einer mehr oder weniger aus den Artikeln heraus feststellbaren Hierarchie der von<br />
ihnen bekleideten Ämter. <strong>Von</strong> den Sympathisantinnen der Arbeiterbewegung <strong>und</strong> Pionierinnen der<br />
deutschen proletarischen Frauenbewegung aus der Zeit des Sozialistengesetzes bis zu den füh-<br />
renden Genossinnen der Frauenorganisationen, die sich vor allem nach 1890 engagierten. Im<br />
Folgenden werden nun die herausragenden Persönlichkeiten der proletarischen Frauenbewegung,<br />
die zudem eine große Rolle für die Gestaltung der „Gleichheit“ spielten, vorgestellt. Es sind dies<br />
sowohl Pionierinnen der 1890er Jahre als auch „Sozialdemokratinnen“ – wie sich Frauen im<br />
Gr<strong>und</strong>e erst seit dem Reichsvereinsgesetz von 1908 bezeichnen konnten. Einige der Führerinnen<br />
der proletarischen Frauenbewegung vereinigen in ihren Biographien beide Aspekte, waren sowohl<br />
führendes Mitglied der SPD als auch der proletarischen Frauenbewegung.<br />
Bevor nun diejenigen Pionierinnen vorgestellt werden, deren Wirken in direktem Zusammenhang<br />
mit der „Gleichheit“, ihrer Gründung <strong>und</strong> ihrer inhaltlichen Gestaltung steht, soll eine besondere<br />
Biographie vorangestellt werden. Eine Biographie, die sowohl innerhalb der aktuellen Bericht-<br />
erstattung der „Gleichheit“ als auch innerhalb dieser Sammlung von Frauenbiographien einen<br />
besonderen Fall darstellt. Zetkin war der Meinung, dass im Befreiungskampf des deutschen Prole-<br />
tariats<br />
„eine Menge idealer Gestalten an die Oberfläche [tauchen], die an Charaktergröße,<br />
an Adel der Gesinnung, an Energie des Willens <strong>und</strong> selbstverleugnender Pflichttreue<br />
den Besten aller Zeiten zur Seite gestellt werden können“ 1879 .<br />
Eine dieser idealen Gestalten sei Agnes Wabnitz (1841-1894) 1880 gewesen. Allerdings war Wabnitz<br />
auch eine besonders eigentümliche Persönlichkeit der proletarischen Frauenbewegung, deren<br />
Einsatz für die Bewegung über ein ges<strong>und</strong>es Maß – im wahrsten Sinne des Wortes – hinausging<br />
<strong>und</strong> von Zetkin nicht ohne Skepsis gesehen wurde. Auch Wabnitz habe dem „hehren Ideal einer<br />
sonnenreichen Zukunft für Alle“ 1881 entgegengestrebt. Sie sei mit einem „ehrlichen, leiden-<br />
schaftlichen Haß gegen die heutigen ungerechten Gesellschaftsverhältnisse beseelt“ 1882 gewesen<br />
1879 Agnes Wabnitz. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 147.<br />
1880 Das in der „Gleichheit“ <strong>und</strong> auch auf dem Grabstein Wabnitz‘ angegebene Geburtsjahr 1842 ist anscheinend<br />
falsch. Der Autor Klaus Kühnel bezieht sich dabei auf die 1841 erschienene Weihnachtsausgabe des „Oberschlesischen<br />
Wanderers“ (1828-1945) – der Heimatzeitung des Geburtsortes Wabnitz‘ –, in welcher deren Geburt<br />
bekannt gegeben wurde (vgl. Kühnel, Wanderrednerin der SPD).<br />
1881 Ebd.<br />
1882 Ebd.<br />
582
4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />
<strong>und</strong> habe „Aufopferung <strong>und</strong> Hingabe“ 1883 „mit einer Selbstlosigkeit, die bis zur vollständigen<br />
Selbstverleugnung ging“ 1884 , bewiesen. Ausgestattet mit einem „scharfen, schlagfertigen Geist“ 1885<br />
<strong>und</strong> rednerischem Talent habe sie alle Voraussetzungen gehabt, eine besondere Führungskraft der<br />
proletarischen Frauenbewegung zu werden. In ihren letzten Lebensjahren trat in ihrem Wesen<br />
jedoch ein „krankhafter Zug“ 1886 hervor. Dieser neue Wesenszug <strong>und</strong> die drohende Inhaftierung in<br />
ein Irrenhaus trieben Wabnitz zum Suizid – jedoch habe sie sich nicht, so betonte Zetkin, als<br />
„Müde <strong>und</strong> Verzweifelte“ 1887 , sondern als „kühl Entschlossene“ 1888 das Leben genommen.<br />
Wabnitz wurde als Tochter eines wohlhabenden Hotelbesitzers im oberschlesischen Gleiwitz<br />
geboren. Ihre Mutter entstammte polnischem Adel, dessen Familiennamen jedoch selbst lang-<br />
jährige Kampfesgenossinnen Wabnitz‘ nie erfahren haben. Sie hatte zwei Brüder <strong>und</strong> eine<br />
Schwester, die reich geheiratet haben soll. Um die Pflege der später gelähmten Mutter musste sich<br />
jedoch Wabnitz ganz allein kümmern. Da einer ihrer Brüder trunk- <strong>und</strong> spielsüchtig war <strong>und</strong> das<br />
Geld der Familie nahezu durchgebracht hatte, war Wabnitz gezwungen, als so genannte „Bon-<br />
ne“ 1889 in Russisch-Polen erwerbstätig zu sein. Zusätzliches Geld verdiente sie mit Handarbeiten.<br />
Dann zog sie nach Berlin <strong>und</strong> verdiente den Lebensunterhalt für sich <strong>und</strong> ihre Mutter, sowie für<br />
die Familie eines ihrer Brüder durch Näharbeiten. Bevor sie sich der proletarischen Frauenbe-<br />
wegung anschloss, war sie in der freireligiösen Gemeinde <strong>und</strong> dann in der bürgerlichen Frauen-<br />
bewegung aktiv gewesen. 1882 wurde sie Mitglied des englischen Sittlichkeitsb<strong>und</strong>es, trat bald<br />
darauf jedoch wieder aus. Im selben Jahr hörte sie einen Vortrag Johanna Weckers. <strong>Von</strong> diesem<br />
inspiriert beteiligte sich Wabnitz 1883 an der Gründung des Berliner „Frauenhilfsvereins“. 1890<br />
Diese Informationen zu Wabnitz‘ familiärer Herkunft stammen nicht aus dem anfangs zitierten<br />
Nachruf Zetkins, sondern aus dessen Berichtigung. 1891 Zetkin hatte einige der in ihrem ersten<br />
Artikel veröffentlichten Informationen korrigieren müssen. Die korrekten Angaben entnahm sie<br />
selbst dem Artikel „Wie Agnes Wabnitz Sozialistin wurde“ aus Nr. 33 des „Sozialdemokrat“. Es<br />
war u. a. nicht richtig, dass Wabnitz eine geringe, orthodox religiös geprägte Bildung genossen<br />
habe, sie hatte im Gegenteil eine gute Schulbildung genossen. Hatte Zetkin in ihrem ersten Artikel<br />
noch werbewirksam behauptet, Wabnitz‘ Verlobter sei im deutsch-französischen Krieg 1870/71<br />
1883 Ebd.<br />
1884 Ebd.<br />
1885 Ebd.<br />
1886 Ebd.<br />
1887 Ebd.<br />
1888 Ebd.<br />
1889 „Bonne“ ist ein Synonym für Kindermädchen, Gouvernante oder Erzieherin.<br />
1890 Vgl. Berichtigung zu dem Artikel „Agnes Wabnitz“ in Nr. 19 der „Gleichheit“! In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 163.<br />
1891 Ebd., S. 163-164.<br />
583
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
gefallen <strong>und</strong> dies sei ausschlaggebend für ihr erwachendes Klassenbewusstsein gewesen, so<br />
musste sie in der Berichtigung veröffentlichen, dass Wabnitz in Wahrheit ihre Verlobung gelöst<br />
hatte. Dies zudem weil ihr Verlobter eines Sittlichkeitsvergehens schuldig geworden war. 1892<br />
Nach dieser etwas verwirrenden Einführung in die Biographie Agnes Wabnitz‘ nun zu ihrem<br />
Wirken für die proletarische Frauenbewegung:<br />
Wabnitz habe eine „wahre Samariternatur“ 1893 besessen <strong>und</strong> viele finanzielle Opfer gebracht, um<br />
Menschen in Not zu helfen. Sie unterstützte zudem die politische <strong>und</strong> gewerkschaftliche Agita-<br />
tion, hielt Zeitungsabonnements <strong>und</strong> las Parteiliteratur zum Studium der Sozialwissenschaften. Ihr<br />
sei eine „beispiellose Bedürfnislosigkeit“ 1894 <strong>und</strong> „große Willensstärke“ 1895 eigen gewesen.<br />
In den 1880er Jahren nahm Wabnitz regen Anteil an der Gründung des „Vereins der Arbeiterinnen<br />
Berlins (Nord)“ <strong>und</strong> des „Vereins der Mantelnäherinnen“ – den Wurzeln der Berliner Frauen-<br />
agitation <strong>und</strong> -organisation. In letzterem Verein war sie Vorstandsmitglied <strong>und</strong> wurde als solches<br />
anlässlich seines Verbotes zu einer Geldstrafe verurteilt. Wabnitz reiste als Agitatorin durch<br />
Deutschland, um „den Enterbten das Evangelium des Sozialismus zu bringen“ 1896 , um aus „Opfern<br />
der Gesellschaft von heute […] Streiter[…] für die Gesellschaft von morgen“ 1897 zu machen. Ihre<br />
Wirkung habe nicht nur in ihrem rednerischen Talent, sondern vor allem in ihrem Vorbild, dem<br />
„Beispiel ihrer Person“ 1898 bestanden. 1891 wurde sie in Frankfurt am Main erstmals zu einer<br />
Haftstrafe verurteilt. Das Urteil lautete „nur“ auf eine Woche Gefängnis. Es wurde jedoch eine<br />
Woche, in der Wabnitz jegliche Nahrungsaufnahme verweigerte, um gegen die widerrechtliche<br />
Freiheitsentziehung, gegen die Macht des Klassenstaates passiven Widerstand zu leisten.<br />
In den von Zetkin verfassten Nachruf lassen sich nun die ebenfalls von ihr verfassten Notizen<br />
einflechten, mit der die „Gleichheit“ die letzten Ereignisse auf Wabnitz‘ Lebensweg zeitnah be-<br />
gleitete. Es sind mehrere kleine, in der Rubrik „Arbeiterinnenbewegung“ erschienene Notizen, die<br />
über die Verhaftung <strong>und</strong> Gefängniszeit Wabnitz‘ berichten <strong>und</strong> auf die Zetkin auch in ihrem Nach-<br />
ruf verwies. Am 11.07.1892, so berichtete die „Gleichheit“, wurde Wabnitz wegen „wiederholter<br />
Majestätsbeleidigung <strong>und</strong> Beschimpfung von Einrichtungen der christlichen Kirche“ 1899 zu einer<br />
1892 Vgl. Agnes Wabnitz. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 147 <strong>und</strong> Berichtigung zu dem Artikel „Agnes Wabnitz“ in Nr. 19<br />
der „Gleichheit“! In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 163.<br />
1893 Agnes Wabnitz. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 148.<br />
1894 Ebd.<br />
1895 Ebd.<br />
1896 Ebd.<br />
1897 Ebd.<br />
1898 Ebd.<br />
1899 [Ohne Titel. In:] GL, 02/ 15/ 27.07.1892/ 126.<br />
584
4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />
Gefängnisstrafe von zehn Monaten verurteilt. 1900 Wabnitz wollte dieses Urteil aber nicht ohne<br />
Weiteres akzeptieren. Erneut entschloss sie sich zum passiven Widerstand <strong>und</strong> leistete den Eid, im<br />
Gefängnis weder zu essen, noch zu trinken. Dieser Hungerstreik führte dazu, dass sie in die<br />
Berliner Charité überführt wurde. Dort wurde sie mit durch einen Gummischlauch eingeflößten<br />
Brei zwangsernährt. 1901 Zetkin missbilligte diesen Hungerstreik Wabnitz‘ prinzipiell, d. h. „vom<br />
sozialistischen Standpunkt aus“ 1902 . Jeder wisse, dass Wabnitz eine gesinnungstreue, unermüdliche<br />
<strong>und</strong> aufopfernde Genossin sei.<br />
„Wozu also eine Demonstration, welche der Arbeiterfrage absolut nichts nützt, im<br />
Gegentheil, wäre sie durchgeführt worden, ihr eine tüchtige Kraft geraubt hätte?<br />
Den Gegnern der Arbeiterbewegung könnte jedenfalls kein größerer Liebesdienst<br />
erwiesen werden, als wenn alle Agitatoren <strong>und</strong> Agitatorinnen bei Verurtheilung das<br />
gleiche Gelöbnis ablegten wie Frl. Wabnitz <strong>und</strong> es auch durchführten.“ 1903<br />
Deshalb machte sie sich selbst <strong>und</strong> den Leserinnen das Verhalten Wabnitz‘ als eine Auswirkung<br />
einer ihr eigen gewordenen „nervöse[n] Ueberreizung“ 1904 begreiflich. Einige Wochen später<br />
konnte die „Gleichheit“ schließlich berichten, dass Wabnitz den Hungerstreik aufgegeben <strong>und</strong> die<br />
Zwangsernährung damit aufgehört habe. 1905 Zetkin wiederholte, dass Wabnitz‘ selbstzerstörerische<br />
Aktion, wäre sie nicht abgebrochen worden, nur den Gegnern der Arbeiterbewegung genutzt<br />
hätte. 1906<br />
Im Januar 1893 stand die Entlassung Wabnitz‘ aus der Krankenabteilung Dalldorf kurz bevor. Ihre<br />
Untersuchungshaft, die sie wegen angeblicher Fluchtgefahr sofort hatte antreten müssen, war<br />
zwar bereits im Oktober 1892 aufgehoben worden, der Staatsanwalt hatte Wabnitz jedoch wegen<br />
ihres Hungerstreiks für „gemeingefährlich geisteskrank“ erklärt. Aus diesem Gr<strong>und</strong> sah sich die<br />
Krankenabteilung nicht befugt, sie zu entlassen. Obwohl also die Untersuchungshaft ausgesetzt<br />
worden war, hielt man sie widerrechtlich in der Charité fest <strong>und</strong> es erfolgte eine Überführung als<br />
„gemeingefährliche Geisteskranke“ 1907 in das „Irrenhaus“ in Dalldorf.<br />
Angesichts dieser ungesetzlichen Behandlung schrieb Zetkin ironisch:<br />
1900 Ebd.<br />
„Gewiß wäre eine Bourgeoisdame, welche sich der gleichen Exzentritäten wie<br />
Fräulein Wabnitz schuldig gemacht hätte, ebenso behandelt worden wie die sozialistische<br />
Agitatorin. Alle Preußen sind ja vor dem Gesetz gleich, <strong>und</strong> wer‘s nicht<br />
1901 [Ohne Titel. In:] GL, 02/ 16/ 10.08.1892/ 133.<br />
1902 Ebd.<br />
1903 Ebd.<br />
1904 Ebd.<br />
1905 Vgl. [Ohne Titel. In:] GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 181.<br />
1906 Vgl. ebd.<br />
1907 Agnes Wabnitz. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 149.<br />
585
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
glaubt, zahlt einen Thaler.“ 1908<br />
Es sei schließlich der „Aufenthalt unter Geisteskranken“ 1909 gewesen, der die ohnehin an ihr auf-<br />
fällig gewordene „hochgradige Erregung“ 1910 noch gesteigert habe. Aus Furcht, die Irrenanstalt nie<br />
wieder verlassen zu können, versuchte sie gerade an jenem Tage, an dem ihre Entlassung erreicht<br />
werden sollte, sich das Leben zu nehmen. Doch auch damit nahm die Schikane der Behörden kein<br />
Ende. Der Staatsanwalt wollte sie als Geisteskranke entmündigen lassen, das Gericht bestätigte<br />
erneut die Strafe von zehn Monaten Haft <strong>und</strong> nicht ein einziger ihrer bisherigen Hafttage sollte<br />
auf die Strafe angerechnet werden. Daraufhin vergiftete sich Wabnitz auf dem Friedhof<br />
Friedrichshain, demjenigen Friedhof – wie Zetkin vieldeutig erwähnte – auf dem die 1848-Revo-<br />
lutionäre Berlins begraben wurden. 1911 Dieser Friedhof war noch ein Jahr zuvor Schauplatz einer<br />
Märzfeier gewesen, anlässlich welcher zahlreiche Blumengebinde durch die Vertreterinnen<br />
verschiedener Frauenvereine auf den Gräbern der Märzgefallenen niedergelegt worden waren. Der<br />
Blumenkranz der Frauenagitationskommission trug ein von Wabnitz verfasstes Gedicht – Wabnitz<br />
selbst hatte an der Feier nicht teilgenommen, weil sie noch von einer Operation geschwächt war:<br />
„‘Wer für des Volkes Freiheit starb,<br />
Lebt fort, wär‘ er auch todtgeschossen.<br />
Das ‘Unvergessen’ er Erwarb,<br />
Für Freiheit ist sein Blut geflossen.<br />
Des Volkes Tochter nahet still<br />
Dem Hügel, der den Leib Euch deckt,<br />
Mit einem Kranz sie danken will,<br />
Daß Ihr der Freiheit Geist erweckt!’“ 1912<br />
Es scheint sich hier bereits eine Todessehnsucht der Arbeiterführerin auszudrücken. In ihrem<br />
Nachruf auf Wabnitz betonte Zetkin aber nochmals, dass es nicht die Furcht vor zehn Monaten<br />
Gefängnishaft gewesen sei, die Wabnitz in den Tod getrieben habe – hatte sie doch zuvor<br />
„unerschrocken <strong>und</strong> treu lange Jahre allen Gefahren des Kampfes gegen die<br />
übermächtige kapitalistische Gesellschaft getrotzt“ 1913 .<br />
Wabnitz sei entschlossen gewesen, die Gefängniskost ein weiteres Mal zu verweigern <strong>und</strong> sie<br />
habe gewusst, dass dies abermals die Überführung ins „Irrenhaus“ mit sich gebracht hätte. Es war<br />
die sichere Erwartung, „als Ges<strong>und</strong>e unter Irre gesperrt zu werden, in der Folge die Umnachtung<br />
1908 [Ohne Titel. In:] GL, 03/ 02/ 25.01.1893/ 12.<br />
1909 Agnes Wabnitz. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 149.<br />
1910 Ebd. Zetkin diagnostizierte Wabnitz‘ Leiden als „Neurasthenie“ (ebd., S. 149).<br />
1911 Wabnitz hinterließ einer Fre<strong>und</strong>in einen Abschiedsbrief, in dem sie schrieb: „‘Liebe Frau M. Ich ruhe im<br />
Friedrichshain nahe dem Krankenhaus auf unserem Freiheitsacker. Mit Gruß Ihre G…’“ (ebd., S. 148).<br />
1912 Nachtrag zur Märzfeier. In: GL, 03/ 07/ 19.04.1893/ 60-61.<br />
1913 Agnes Wabnitz. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 149-150.<br />
586
4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />
des Geistes befürchten zu müssen“ 1914 , die Wabnitz den letzten Ausweg im Suizid sehen ließ. „Mit<br />
Agnes Wabnitz“, so Zetkin, habe<br />
„die deutsche zielbewußte Arbeiterklasse ihre Louise Michel verloren, der Heldin<br />
der Kommune ebenbürtig an Idealismus <strong>und</strong> Ehrlichkeit der Gesinnung, an Selbstlosigkeit<br />
des Strebens, an Begeisterung, Opferfreudigkeit <strong>und</strong> nicht ermattender<br />
Energie, wie sie auch leidend unter den Fehlern ihrer Vorzüge, ihr ähnlich in dem<br />
<strong>und</strong> jenem eigenartigen Zuge des Wesens. Nur Eins hat ihr gefehlt, damit die Aehnlichkeit<br />
scharf zu Tage trat, damit ihr Name von M<strong>und</strong> zu M<strong>und</strong> über den Erdball<br />
flog, von den Einen mit Bew<strong>und</strong>erung <strong>und</strong> Liebe, von den Anderen mit Haß<br />
genannt: der große tragische geschichtliche Hintergr<strong>und</strong>.“ 1915<br />
Aber auch sie würde nie vergessen werden <strong>und</strong> stelle angesichts ihrer „Bürgertugenden so<br />
manchen Helden mit <strong>und</strong> ohne Krone tief in den Schatten“ 1916 . Wabnitz sei eine der „talent-<br />
vollsten, opfermuthigsten, charakterfestesten <strong>und</strong> eifrigsten Vorkämpferinnen“ 1917 gewesen, „von<br />
ungewöhnlicher Herzensgüte <strong>und</strong> Wärme des Empfindens“ 1918 .<br />
Wabnitz‘ Beerdigung wurde – trotz Polizeiverbot – zu einer sozialdemokratischen Massen-<br />
demonstration. Dies beschreibt ein Artikel, den Zetkin dem „Vorwärts“ entnahm <strong>und</strong> in der<br />
„Gleichheit“ veröffentlichte: Zehntausende ProletarierInnen, über tausend Kränze vom Partei-<br />
vorstand der SPD, von Redaktion <strong>und</strong> Expedition des „Vorwärts“ <strong>und</strong> des „Sozialdemokrat“, von<br />
Verlag <strong>und</strong> Druckerei, von Parteigenossen, Wahlvereinen, Gewerkschaften, Werkstätten <strong>und</strong><br />
Fabriken. Des Weiteren Kränze von all den Organisationen, denen die Verstorbene persönlich<br />
angehört hatte: <strong>Von</strong> der Frauenagitationskommission, vom Frauen- <strong>und</strong> Mädchen-Bildungsverein,<br />
von der Organisation der Schneider <strong>und</strong> Schneiderinnen Berlins. Tausend Trauerkränze für Wab-<br />
nitz waren auch tausend „‘Arbeitergroschen, doch gern gegeben, als schwacher Ausdruck der<br />
Gefühle, die Jeder <strong>und</strong> Jede in sich trug’“ 1919 . Bis zum Anbruch der Dunkelheit seien die Massen –<br />
geschätzte 40.000 bis 45.000 Personen – an ihrem Grab vorbeigeströmt, um ihr die letzte Ehre zu<br />
erweisen. Ein außergewöhnliches Ausmaß anlässlich der Beerdigung einer Selbstmörderin, für das<br />
schließlich der „Vorwärts“ die beste Erklärung ergibt:<br />
1914 Ebd., S. 149.<br />
1915 Ebd., S. 150.<br />
1916 Ebd.<br />
„‘Durch den Verlauf dieser imposanten Todtenfeier ehrte das arbeitende Volk nicht<br />
nur das Opfer der heutigen Zustände, die Kämpferin für Wahrheit <strong>und</strong> Recht,<br />
sondern auch sich selbst. Das Volk ist frei von jener Heuchelei, die vor der ‘Selbstmörderin’<br />
drei Kreuze schlägt.’“ 1920<br />
1917 Agnes Wabnitz †. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 148.<br />
1918 Ebd.<br />
1919 „Vorwärts“ zit. nach: Ebd., S. 149.<br />
1920 „Vorwärts“ zit. nach: Ebd.<br />
587
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Abgesehen von ihrer überspannten Persönlichkeit, die irgendwie nicht in das Idealbild der „Klas-<br />
senkämpferin“ passen will, war Wabnitz ein besondere „Agitationsgröße“. Ihr Schicksal war eine<br />
Demonstration gegen die Polizei, gegen die Justiz, gegen die in ihren Diensten stehende Ärzte-<br />
schaft <strong>und</strong> nicht zuletzt gegen die Kirche, die den Suizid ächtete, indem sie die Bestattung in<br />
geweihtem Boden verweigerte.<br />
Nur einige Wochen nach Wabnitz‘ Tod veröffentlichte die bürgerliche Schriftstellerin <strong>und</strong><br />
Frauenrechtlerin Bertha Glogau (1849-?) 1921 eine Broschüre zum Leben der Sozialdemokratin.<br />
Zetkin warnte jedoch die „Gleichheit“-Leserinnen nachdrücklich vor dem Kauf dieser Broschüre.<br />
Sie würden „mit ihren sauer ersparten Groschen“ 1922 nur ein „ganz werthlose[s] Machwerk“ 1923<br />
kaufen. Glogau ließe sich auf 35 Seiten für 50 Pfennig lediglich in „sentimental-überschweng-<br />
liche[n], hohle[n], zum Theil geradezu sinnlose[n] Deklamationen“ 1924 über die Persönlichkeit<br />
Wabnitz‘ aus. Sie mache aus ihr eine „süßlich-rührselige[…] Romanfigur“ 1925 . Wabnitz‘ Ideale<br />
würden „zu einer platten, farblosen, einseitigen Moralmeierei verballhornisiert“ 1926 . Wäre Wab-<br />
nitz, so Zetkins Argumentation, tatsächlich die in der Broschüre als verschroben dargestellte<br />
Persönlichkeit gewesen,<br />
„so wäre ihr Wirken <strong>und</strong> ihr Erfolg innerhalb der deutschen sozialistischen<br />
Arbeiterbewegung ein Ding der Unmöglichkeit gewesen“ 1927 .<br />
Auch hier macht sich, wie bereits bei den Kämpferinnen der ersten St<strong>und</strong>e festgestellt, ein<br />
„qualitativer“ Rückschluss vom Charakter der Mitglieder auf den Charakter der Partei, von dem<br />
Charakter der Partei auf den Charakter der Mitglieder deutlich. Indem Zetkin Wabnitz verteidigte,<br />
verteidigte sie auch die Sozialdemokratie.<br />
Wabnitz blieb auch ohne diese Broschüre unvergessen. Ein Jahr später veröffentlichte die „Gleich-<br />
heit“ unter dem Titel „Das Proletariat vergißt seine Todten nicht“ einen Artikel zu ihrem ersten<br />
Todestag. Unter Beteiligung vieler Vereine <strong>und</strong> eines Gesangsvereins wurde ihr zu Ehren ein aus<br />
Sandsteinblöcken zusammengesetztes Denkmal mit Granitplatte enthüllt. Die Sandsteinblöcke<br />
stellten eine Felsenpartie dar, die „symbolisch zerrissen <strong>und</strong> zerklüftet, eckig <strong>und</strong> kantig“ 1928 sei.<br />
1921 Bertha Glogau, geboren in Königsberg <strong>und</strong> Tochter eines Kriegsrates, verfasste vornehmlich Essays <strong>und</strong> Kritiken<br />
<strong>und</strong> war Mitarbeiterin der Berliner „Nationalzeitung“ (1848-1938) <strong>und</strong> des „Deutschen Montagsblatts“ (1877-<br />
1888; außerdem nachgewiesen 1934). Kühnel bezeichnet sie als „Fre<strong>und</strong>in“ der verstorbenen Wabnitz‘ (vgl.<br />
Kühnel, Wanderrednerin der SPD).<br />
1922 Agnes Wabnitz. <strong>Von</strong> B. Glogau. Eine Frauenstimme aus der Bourgeoisie. In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 168.<br />
1923 Ebd.<br />
1924 Ebd.<br />
1925 Ebd.<br />
1926 Ebd.<br />
1927 Ebd.<br />
1928 Das Proletariat vergißt seine Todten nicht. In: GL, 05/ 20/ 02.10.1895/ 154.<br />
588
4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />
Ob diese Symbolik eher für die Persönlichkeit Wabnitz‘ oder für die Arbeiterbewegung stehen<br />
sollte, wird nicht erklärt.<br />
Nur eine kleine Notiz war die erste Reaktion der „Gleichheit“ auf den Tod Gertrud Guillaume-<br />
Schacks (1845-1903), einer besonders zentralen Persönlichkeit der deutschen Frauenbewegung.<br />
In dieser Notiz gab die „Gleichheit“-Redaktion bekannt, dass sie eine entsprechende Nachricht<br />
erst fünf Monate nach Guillaume-Schacks Tod erreicht habe. Es müsse nun erst „zuverlässiges<br />
Material“ 1929 zum „Wirken <strong>und</strong> der Persönlichkeit dieser tapferen, großherzigen Frau“ 1930 , zu<br />
dieser „Bahnbrecherin[…] der ersten, schwersten St<strong>und</strong>en“ 1931 der proletarischen Frauenbewegung<br />
gesammelt werden. Schließlich wolle die „Gleichheit“ gewissenhaft <strong>und</strong> in treuer Dankbarkeit der<br />
Verstorbenen „einen vollen Lorbeerkranz widme[n]“ 1932 – auch wenn Guillaume-Schack später die<br />
SPD verlassen habe <strong>und</strong> „in anarchistelnder Eigenbrödelei ihre Pfade“ 1933 gegangen sei.<br />
Es dauerte jedoch weitere sechs Monate bis die „Gleichheit“ schließlich einen besonders gewis-<br />
senhaft ausgearbeiteten Nachruf veröffentlichte. Verfasserin dieses Nachrufes war Marie Hof-<br />
mann, die selbst zu den Führerinnen der deutschen proletarischen Frauenbewegung zu zählen ist.<br />
Guillaume-Schack, diese „Adlige, deren Herz <strong>und</strong> Geist auch von hohem Adel war“ 1934 , sei<br />
zugleich eine Frau<br />
„aus dem Volke [gewesen], die durch tatkräftigen Opfermut einen dauernden Platz<br />
in der Geschichte der sozialdemokratischen Partei erworben“ 1935<br />
habe. Sie wurde als Tochter des Grafen <strong>und</strong> der Gräfin Schack im oberschlesischen Beuthen<br />
geboren <strong>und</strong> verlebte dort eine glückliche Jugend. Dies nicht zuletzt, weil ihr Vater „jede selb-<br />
ständige Geistesregung seiner Kinder ermutigt[…]“ 1936 habe <strong>und</strong> sich so ihre Persönlichkeiten voll<br />
entfalten konnten. In der Schweiz lernte Guillaume-Schack den jungen Künstler Guillaume ken-<br />
nen. Sie heiratete ihn <strong>und</strong> beide zogen nach Paris um. Da jedoch die Ehe keine glückliche war,<br />
trennte sie sich nach kurzer Zeit wieder von ihrem Ehemann. Guillaume-Schack, so Hofmanns<br />
Überzeugung, sei „zu wahrhaftig [gewesen], um an einem Irrtum des Herzens der Konvenienz<br />
halber lebenslang festzuhalten“ 1937 .<br />
1929<br />
Frau Guillaume-Schack †. In: GL, 14/ 03/ 27.01.1904/ 22.<br />
1930<br />
Ebd.<br />
1931<br />
Ebd.<br />
1932<br />
Ebd.<br />
1933<br />
Ebd.<br />
1934<br />
Hofmann, Marie: Gertrud Guillaume-Schack. In: GL, 14/ 13/ 15.06.1904/ 99.<br />
1935 Ebd.<br />
1936 Ebd.<br />
1937 Ebd. Das gute Verhältnis Guillaume-Schacks zu ihren Schwiegereltern belege ihre Schuldlosigkeit an der<br />
589
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
In Paris engagierte sich Guillaume-Schack im, so Hofmann, „Britisch-kontinentalen B<strong>und</strong>“ für die<br />
Abschaffung der Sittenpolizei, die mit ihren erniedrigenden Untersuchungen Prostituierte<br />
drangsalierte <strong>und</strong> stigmatisierte. Hofmann meinte dieses erste Tätigkeitsfeld Guillaume-Schacks<br />
rechtfertigen zu müssen, indem sie schrieb: „Der tüchtige <strong>und</strong> energische Mensch widmet sich<br />
zunächst der ersten guten Sache, die Arbeit braucht, ohne sich lange zu bedenken.“ 1938<br />
Guillaume-Schack kehrte in ihr Elternhaus zurück <strong>und</strong> gründete in Beuthen den Hauptverein des<br />
„Kulturb<strong>und</strong>es“, in dem sie sich auch weiterhin der Prostituiertenfrage annahm. Im Vergleich zu<br />
den Organisationen anderer Länder hatte er jedoch kaum öffentliche Resonanz. Erst 1882<br />
gründete sich ein Zweigverein <strong>und</strong> trotz zahlreicher Agitationsreisen blieb die Anhängerschaft<br />
gering. Während die abolitionistischen Bewegungen anderer Länder oft von führenden Persön-<br />
lichkeiten aus Politik <strong>und</strong> Gesellschaft getragen wurden, erachtete man das Thema in Deutschland<br />
als unsittlich oder zu politisch. 1883 jedoch wurde in Berlin ein weiterer Zweigverein gegründet.<br />
Hofmann vermutet, dass das zunehmende Interesse mancher Personen an dem Verein <strong>und</strong> manche<br />
Rücksichtnahme der Behörden nur in der adeligen Abstammung seiner Vorsitzende begründet<br />
war:<br />
„[D]er Philister beider Geschlechter hörte lieber die Gräfin als eine Bürgerliche, er<br />
verzieh ihr auch leichter ihre ‘Extravaganz’“ 1939 .<br />
Guillaume-Schack geriet jedoch immer mehr in Konflikt mit der Inkonsequenz <strong>und</strong> den<br />
bürgerlichen Vorurteilen innerhalb ihrer eigenen Organisation. Auch dass der „Korrespondent“<br />
(1887-1921) 1940 , das offizielle Organ des Britisch-kontinentalen B<strong>und</strong>es, einen Artikel mit dem<br />
Titel „Die meisten Dirnen sind Sozialdemokratinnen“ veröffentlichte, ließ Guillaume-Schack<br />
schließlich erkennen, dass sie nicht am richtigen Platz war. Guillaume-Schack wandte sich nun<br />
„mehr <strong>und</strong> mehr an das Volk, welches“, so Hofmann, „zugänglicher für gerechte Klagen <strong>und</strong><br />
Forderungen [sei] als die höheren Klassen“ 1941 . Ihre „gewinnende[…] Persönlichkeit“ 1942 <strong>und</strong> ihr<br />
ernstes <strong>und</strong> würdevolles Auftreten, schlugen die Brücken zum Proletariat. Doch war die Gräfin<br />
nicht vorbereitet auf die Konfrontation mit dessen revolutionärer Überzeugung, dass nur eine Ver-<br />
änderung der wirtschaftlichen Umstände eine Besserung einzelner Missstände bringen könne. Wie<br />
manche anderen aus dem Bürgertum stammenden Frauen habe auch Guillaume-Schack eine<br />
Trennung (vgl. ebd.).<br />
1938 Ebd.<br />
1939 Ebd., S. 100.<br />
1940 Es ist anzunehmen, dass es sich hierbei um „Der Korrespondent für das Rettungswerk an den Gefallenen <strong>und</strong> für<br />
die Arbeit zur Hebung der Sittlichkeit“ herausgegeben vom Vorstand des Westdeutschen Sittlichkeitsvereins<br />
Mülheim a.d. Ruhr handelte.<br />
1941 Ebd.<br />
1942 Ebd.<br />
590
4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />
„naturgemäße“ 1943 Entwicklung durchmachen müssen, um diese Überzeugung teilen zu können.<br />
Die Unterdrückung der Frau erkennend, hatte sie ihre Tätigkeit in der Frauenbewegung begonnen,<br />
eine „notwendige logische Entwicklung“ 1944 , so Hofmann, musste sie zur Sozialdemokratie<br />
führen.<br />
1885 gründete Guillaume-Schack den „Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen“,<br />
der allerdings bedingt durch das Vereinsrecht „natürlich auf ganz unpolitischer Gr<strong>und</strong>lage“ 1945<br />
habe beruhen müssen. Später zog sie wegen der vorteilhafteren politischen Umstände ins<br />
hessische Offenbach um. Hier existierte bereits eine vor allem von Frauen gestützte freiwillige<br />
Hilfskasse für Portefeuillearbeiter, die Guillaume-Schack in die „Central-Kranken- <strong>und</strong> Begräb-<br />
nißkasse für Frauen <strong>und</strong> Mädchen in Deutschland“ umwandelte. Dies war die Trägerin der bereits<br />
dargestellten Zeitschrift „Die Staatsbürgerin“, die laut Hofmann für Folgendes stand:<br />
„Nicht fromme Redensarten, sondern Tatsachen wurden geboten, nicht demütige<br />
Ergebung in Gottes Willen, sondern redliches <strong>und</strong> tapferes eigenes Streben – das<br />
predigte die ‘Staatsbürgerin’.“ 1946<br />
Die Umstände unter denen diese Zeitschrift zusammen mit den drei wichtigsten Berliner<br />
Frauenvereinen verboten wurde, wurden bereits beschrieben. Guillaume-Schack kam gerade von<br />
einem Kongress des Britisch-kontinentalen B<strong>und</strong>es aus London nach Offenbach zurück, als sie<br />
von ihrer Ausweisung in Kenntnis gesetzt wurde. Nach einem kurzen Aufenthalt in der Schweiz<br />
ließ sich Guillaume-Schack in London nieder. In England hatte sie jedoch große Schwierigkeiten,<br />
ihr Wirken fortzusetzen. Der Ton der Briefe, die sie an Hofmann schrieb, habe „immer mehr eine<br />
resignierende Färbung“ 1947 angenommen <strong>und</strong> „Arbeitsmüdigkeit“ 1948 ausgedrückt. Das Exil in<br />
England, so Hofmanns These, habe auf fast jede sozialdemokratische Gesinnung einen negativen<br />
Einfluss gehabt. Viele „weniger widerstandsfähige Naturen“ 1949 hätten sich dort von der „selbst-<br />
süchtig-realistische[n] Strömung, die das ganze öffentliche Leben durchdringt <strong>und</strong> lenkt“ 1950<br />
täuschen lassen. „Es lieg[e]“, so Hofmann, „ein feiner betäubender Duft in der englischen Luft,<br />
der verhängnisvoll auf den deutschen Idealisten wirk[e]“ 1951 . So auch auf Guillaume-Schack, die<br />
1943 Ebd.<br />
1944 Ebd.<br />
1945 Ebd.<br />
1946 Hofmann, Marie: Gertrud Guillaume-Schack. (Schluß.). In: GL, 14/ 14/ 29.06.1904/ 107.<br />
1947 Ebd.<br />
1948 Ebd.<br />
1949 Ebd.<br />
1950 Ebd.<br />
1951 Ebd.<br />
591
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
eine „deutsche Idealistin […] in des Wortes schönster <strong>und</strong> bester Bedeutung“ 1952 gewesen sei. Dies<br />
ist wohl auch als eine Erklärung für Guillaume-Schacks Verbindungen zur englischen Anarchie zu<br />
sehen.<br />
Was Guillaume-Schack, die „froh <strong>und</strong> ruhig“ 1953 nach langem, still erduldetem Leiden entschlief,<br />
der deutschen proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> was diese für Guillaume-Schack war, fasst<br />
Hofmann wie folgt zusammen:<br />
„Ihre froheste Zeit, ihre Sonnentage sind es gewesen, als sie im Kampfe für Freiheit<br />
<strong>und</strong> Recht auf dem vorgeschobenen Posten stand, viele durch die Kraft ihres<br />
Wortes, durch die gewinnende Liebenswürdigkeit ihres ganzen Wesens mit sich riß<br />
<strong>und</strong> die Bewegung der Proletarierinnen mit einheitlichem Streben erfüllte. Ihre<br />
Tätigkeit hat kurz gedauert, aber reiche Früchte getragen. In einer Zeit, da alles still<br />
geworden, hat sie der Arbeiterinnenbewegung neues Leben eingehaucht.“ 1954<br />
Und selbst der Umstand, dass sich Guillaume-Schack in ihren letzten Lebensjahren den „Theo-<br />
sophen“ 1955 anschloss, war nach Meinung Hofmanns „durch die Aufrichtigkeit einer Natur<br />
bedingt, die von den hergebrachten Formen ließ, wenn eine neue ihrem Geiste oder ihrem Gemüt<br />
mehr Befriedigung bot“ 1956 . Dies ist wiederum eine Charakterisierung, die Guillaume-Schack<br />
nicht unbedingt zu den gesinnungsreinsten <strong>Klassenkämpferinnen</strong> zählen lässt.<br />
Vor allem optisch ist der in der „Gleichheit“ veröffentlichte Nachruf auf Emma Ihrer (1857-<br />
1911) eine Besonderheit. Der das ganze Titelblatt füllende Text ist in einen schwarzen Rahmen<br />
gesetzt <strong>und</strong> Ihrers Name auffällig groß gedruckt. Zetkin, die diesen Nachruf verfasst haben dürfte,<br />
nimmt mit ihm Abschied nicht nur von einer „langjährigen Fre<strong>und</strong>in“ 1957 , sondern auch von einer<br />
„rastlosen Kampfgenossin, […] glänzenden Agitatorin <strong>und</strong> Organisatorin, […]<br />
anregenden Beraterin unserer Frauenbewegung <strong>und</strong> einer ihrer verdienstvollsten<br />
Begründerinnen“ 1958 .<br />
Doch auch diese Vielzahl von Zuschreibungen könne nicht den „richtigen Maßstab“ 1959 für die<br />
Bedeutung Ihrers geben. „[N]ur die genaue Kenntnis der Geschichte unserer Bewegung, die in<br />
1952 Ebd.<br />
1953 Ebd., S. 108.<br />
1954 Ebd., S. 107.<br />
1955 Die Theosophie ist eine esoterische Strömung, die sich u. a. mit der Unsterblichkeit des menschlichen Ich, Reinkarnation,<br />
Astrologie <strong>und</strong> Askese beschäftigt <strong>und</strong> das Weltgeschehen als einen göttlichen Prozess deutet (vgl.<br />
Metzler-Philosophie-Lexikon, S. 596).<br />
1956 Ebd.<br />
1957 Emma Ihrer †. In: GL, 21/ 08/ 16.01.1911/ 113.<br />
1958 Ebd.<br />
1959 Ebd.<br />
592
4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />
ihrem Werden <strong>und</strong> Wachsen aufs innigste mit Genossin Ihrers Tätigkeit verb<strong>und</strong>en ist“ 1960 , so<br />
Zetkin, könne deren Bedeutung ermessen lassen. Deshalb stellte Zetkin an den Anfang des Nach-<br />
rufes einen Einblick in den politischen Werdegang Ihrers. Sie, deren „starke[r], arbeitsfrohe[r]<br />
Lebenswille“ 1961 nun durch eine wochenlange kräftezehrende Krankheit gebrochen war, sei eine<br />
der ersten Frauen gewesen, die „[w]egweisend, aufbauend […] erwecken[d], sammeln[d] <strong>und</strong><br />
erziehen[d]“ 1962 in der organisierten proletarischen Frauenbewegung wirkten. Den Schwierig-<br />
keiten, die „durch die Härten des Sozialistengesetzes verzehnfacht <strong>und</strong> verh<strong>und</strong>ertfacht“ 1963<br />
worden seien, sei sie „mit unvergleichlicher Tatkraft <strong>und</strong> Opferwilligkeit“ 1964 entgegengetreten.<br />
Zetkin nutzte an dieser Stelle die Gelegenheit, sich kritisch zu den – damaligen – frauenfeind-<br />
lichen Tendenzen innerhalb der Parteiführung zu äußern:<br />
„Obgleich sich die sozialistische Arbeiterbewegung von ihrem Ursprung an in der<br />
Theorie zu voller Gleichberechtigung der Geschlechter bekannte, so setzte sich<br />
doch – erklärlich genug – nicht bloß innerhalb der proletarischen Massen, sondern<br />
auch in ihrer kämpfenden Vorhut die Praxis des Gr<strong>und</strong>satzes nur allmählich <strong>und</strong><br />
nicht ohne Reibungen durch.“ 1965<br />
Auch wenn sich Ihrer um soziale Reformen bemüht habe 1966 , so habe sie doch als eine der<br />
„allerersten, […] [die] Tragweite der gemeinsamen gewerkschaftlichen Organisierung <strong>und</strong><br />
Schulung der Arbeiterschaft aller Berufe ohne Unterschied des Geschlechts“ 1967 erkannt. Es sei<br />
„dem ganz persönlichen Verdienst der unablässigen Aufklärungsarbeit“ 1968 Ihrers zu verdanken,<br />
dass schließlich immer mehr Gewerkschaften weibliche Mitglieder aufnahmen. <strong>Von</strong> ihr seien<br />
„zahllose fruchtbare Anregungen“ 1969 ausgegangen, um „die Werbekraft der Gewerkschaften auf<br />
das weibliche Proletariat zu steigern, die Mitarbeit der <strong>weiblichen</strong> Mitglieder zu erleichtern <strong>und</strong><br />
zu vertiefen“ 1970 . Ihrers Erziehungsarbeit wiederum sei es zu verdanken, dass aus den zahlenden<br />
Neumitgliedern auch „verstehende[…], tätige[…] Gewerkschafterinnen“ 1971 wurden.<br />
Sie war Gründerin des Arbeiterinnensekretariats der Gewerkschaften <strong>und</strong> vieler gewerkschaft-<br />
1960 Ebd.<br />
1961 Ebd.<br />
1962 Ebd.<br />
1963 Ebd.<br />
1964 Ebd.<br />
1965 Ebd.<br />
1966 Ebd.<br />
1967 Ebd.<br />
1968 Ebd.<br />
1969 Ebd.<br />
1970 Ebd.<br />
1971 Ebd.<br />
593
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
licher Unterrichtskurse für Frauen. Gleichzeitig war sie von Beginn an „beratend, agitierend,<br />
sammelnd“ 1972 an der politischen Organisation der Proletarierinnen beteiligt. Sie engagierte sich<br />
erst in den kurzlebigen Frauenvereinen, dann für den Aufbau des Vertrauenspersonensystems.<br />
Eine von Ihrer „wieder <strong>und</strong> wieder dringlich gewünschte Institution“ 1973 war das Frauenbüro. Sie<br />
wurde wie bereits beschrieben Begründerin <strong>und</strong> Herausgeberin der ersten sozialdemokratischen<br />
Frauenzeitschrift Deutschlands – der „Arbeiterin“ – <strong>und</strong> leitete dieses „treffliche Agitations-<br />
blatt“ 1974 „unter großen persönlichen Opfern“ 1975 . Neben ihrer Redaktions- <strong>und</strong> Gewerkschafts-<br />
arbeit wirkte Ihrer in den vielfältigsten Bereichen. Sie war maßgeblich an der Entwicklung der<br />
Frauenbildungsvereine, den Vorläuferinnen der Lese- <strong>und</strong> Diskussionsabende, beteiligt. Auch die<br />
genossenschaftliche Bewegung erfuhr durch sie „Sympathie <strong>und</strong> Förderung“ 1976 . Zudem war Ihrer<br />
bestrebt,<br />
„die sozialistischen Frauen der verschiedenen Länder in enge <strong>und</strong> regelmäßige<br />
Verbindung miteinander zu bringen, die internationalen Frauenkonferenzen immer<br />
mehr diesem Ziele <strong>und</strong> damit dem proletarischen Befreiungskampf dienstbar zu<br />
machen“ 1977 .<br />
Egal welches „Blatt auch immer aus der Geschichte der sozialistischen Frauenbewegung“ man<br />
aufschlage, so Zetkin zusammenfassend zu Ihrers politischer Tätigkeit, es kämen darauf die „un-<br />
verwischbaren Züge[…] von Emma Ihrers hingebungsvoller Tätigkeit“ 1978 zum Vorschein.<br />
Schließlich versuchte sich Zetkin an einer Charakterstudie Ihrers. Sie habe über eine „praktische<br />
Begabung“ 1979 <strong>und</strong> „geduldige[…] Hartnäckigkeit“ 1980 verfügt. Ein „[i]dealer Sinn“ 1981 verb<strong>und</strong>en<br />
mit „sozialistische[r] Erkenntnis“ 1982 habe diese Eigenschaften in den Dienst „höchste[r] Mensch-<br />
heitsziele“ 1983 gestellt <strong>und</strong> aus Ihrer eine „nimmer rastende Evangelistin des Sozialismus“ 1984<br />
gemacht. Zetkin betonte ihre „echte, ungekünstelte Beredsamkeit, die nicht nachahmte, nicht<br />
1972 Ebd., S. 114.<br />
1973 Ebd.<br />
1974 Ebd.<br />
1975 Ebd.<br />
1976 Ebd.<br />
1977 Ebd.<br />
1978 Ebd.<br />
1979 Ebd.<br />
1980 Ebd.<br />
1981 Ebd.<br />
1982 Ebd.<br />
1983 Ebd.<br />
1984 Ebd.<br />
594
4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />
blenden, vielmehr überzeugen wollte“ 1985 . Diese „erwärmte die Herzen <strong>und</strong> erleuchtete die<br />
Köpfe[…] [,] […]war […] in ihrer Wirkung unwiderstehlich“ 1986 . Ihrers Charakter hatte viele<br />
Facetten. Sie war<br />
„unversöhnliche Hasserin jedes Vorurteils, rücksichtslose Verfechterin der vollen<br />
Gleichberechtigung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts, […] unerschrockene Kämpferin<br />
gegen alle knechtenden <strong>und</strong> büttelnden Gewalten“ 1987 ,<br />
die keine Gefahr fürchtete <strong>und</strong> kein Opfer scheute. Wie so viele der hier bereits dargestellten<br />
<strong>Klassenkämpferinnen</strong> war Ihrer aber auch „ein gr<strong>und</strong>gütiges Weib, eine durch <strong>und</strong> durch<br />
mütterliche Natur“ 1988 , wurde wie so viele dieser Frauen erst nur gefühlsmäßig vom Sozialismus<br />
ergriffen. „Eifriges Studium“ 1989 habe ihre „sozialistische Erkenntnis vertieft <strong>und</strong> befestigt“ 1990 ,<br />
aber immer sei ihr der Dienst am Sozialismus auch „heilige Herzenssache […] geblieben“ 1991 .<br />
Ihrer war für Zetkin „eine Führerin, die mehr als Gefolgschaft, die Nachahmung verdient“ 1992<br />
habe. Und sie war<br />
„ein schönes Beispiel, daß die Frau in aufopfernder Weise die höchsten Bürgertugenden<br />
betätigen <strong>und</strong> in dem sozialen Schlachtgetümmel dieser eisengepanzerten<br />
Zeit ganz Kämpferin sein kann, ohne aufzuhören Weib zu sein.“ 1993<br />
Diese Aussage traf Zetkin, ohne jedoch im Besonderen auf das Privatleben Ihrers eingegangen zu<br />
sein. Einige Angaben dazu finden sich erst in einem weiteren Artikel, den die „Gleichheit“<br />
anlässlich ihres Begräbnisses veröffentlichte.<br />
Ihrer wurde am 11. Januar 1911 auf dem Berliner Friedhof Friedrichsfelde beerdigt. An der<br />
Beerdigungsfeier nahmen außergewöhnlich viele „Abordnungen gewerkschaftlicher <strong>und</strong> poli-<br />
tischer Organisationen, […] nächste[…] persönliche[…] Fre<strong>und</strong>e, alte[…] <strong>und</strong> neue[…] Genos-<br />
sinnen der Arbeit <strong>und</strong> des Kampfes“ 1994 teil. Unter diesen vielen Trauernden befand sich auch<br />
Ihrers „treue Hausgehilfin“ Lieschen, die als eine der „Schmerzgebeugtesten“ 1995 am Grabe ge-<br />
standen habe. Sie sei, so die „Gleichheit“, ein „lebendiges Zeugnis dafür, wie groß <strong>und</strong> echt die<br />
1985 Ebd.<br />
1986 Ebd.<br />
1987 Ebd.<br />
1988 Ebd.<br />
1989 Ebd.<br />
1990 Ebd.<br />
1991 Ebd.<br />
1992 Ebd.<br />
1993 Ebd.<br />
1994 Emma Ihrers Begräbnis. In: GL, 21/ 09/ 30.01.1911/ 140.<br />
1995 Ebd.<br />
595
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Herzensgüte der Verstorbenen gewesen“ 1996 war. Zetkin legte als Redakteurin der „Gleichheit“, als<br />
Kampfgenossin <strong>und</strong> persönliche Fre<strong>und</strong>in Blumenspenden nieder. Paula Thiede 1997 sprach für das<br />
gewerkschaftliche Arbeiterinnenorganisationskomitee, dessen Begründerin Ihrer war, <strong>und</strong> Luise<br />
Zietz zeichnete den Lebensweg „unserer Emmy“ 1998 nach. Als zweiter Vorsitzender der General-<br />
kommission der Gewerkschaften Deutschlands skizzierte Gustav Bauer die „Unermüdlichkeit <strong>und</strong><br />
Selbstlosigkeit“ 1999 , mit denen Ihrer für die Generalkommission gewirkt hatte. Im Namen des<br />
Verbandes der sozialdemokratischen Wahlvereine 2000 Groß-Berlins legte Margarete Wengels<br />
(1856-1931) einen Blumenkranz nieder. Welche große Anerkennung Ihrer auch im internationalen<br />
Ausland genoss, bewiesen die zahlreichen Nachrufe anderer sozialistischer Frauenblätter. 2001<br />
Obwohl die „Gleichheit“ im Rahmen einer Berichtigung – der Todestag Ihrers war mit dem 9. No-<br />
vember statt mit dem 8. November bekanntgegeben worden – die Veröffentlichung einer aus-<br />
führlichen Lebensskizze ankündigte 2002 , erschien erst vier Jahre später eine neuerliche Würdigung.<br />
Innerhalb eines Artikels zu Ehren Carl Legiens, der sich für die gleichberechtigte Aufnahme der<br />
Frauen in die deutsche Gewerkschaftsbewegung engagierte, wurde Ihrer als dessen „treueste[…]<br />
Mitarbeiterin“ 2003 vorgestellt. Unerwähnt blieb, dass Legien der Liebhaber Ihrers war <strong>und</strong> sie mit<br />
ihm <strong>und</strong> ihrem Ehemann Emanuel eine Dreiecksbeziehung lebte. 2004<br />
Zehn Jahre nach Ihrers Tod verfasste „G.H.“ – vermutlich die Gewerkschafterin Gertrud Hanna –<br />
einen Artikel, aus dem die „Gleichheit“-Leserinnen nun auch einiges zu Ihrers Privatleben<br />
1996 Ebd.<br />
1997 Thiede wurde acht Jahre später auf demselben Friedhof beerdigt.<br />
1998 Ebd.<br />
1999 Ebd.<br />
2000 Frauen war auf Gr<strong>und</strong>lage von § 21 des Preußischen Vereinsgesetzes bereits seit 1903 das kurzzeitige Engagement<br />
in so genannten „Wahlvereinen“ erlaubt, in denen sie Parteiorganisationen beim Wahlkampf unterstützten durften.<br />
2001 Vgl. ebd.<br />
2002 Vgl. ebd.<br />
2003 Ein Förderer der Arbeiterinnenbewegung. In: GL, 26/ 04/ 12.11.1915/ 26.<br />
2004 Den Hinweis auf die Beziehung Ihrers zu Carl Legien <strong>und</strong> darauf, dass das Ehepaar Ihrer gemeinsam mit Legien<br />
ein Haus bewohnte, verdanke ich Prof. Jürgen Hofmann anlässlich eines Besuches der „Gedenkstätte der Sozialisten“<br />
auf dem Zentralfriedhof Berlin-Friedrichsfelde im November 2006. Ihrers Grab ist heute Teil dieser<br />
Gedenkstätte <strong>und</strong> liegt markanterweise direkt neben dem Legiens. Das Bild Ihrers als das einer sehr unkonventionellen<br />
Persönlichkeit beschrieb auch eine Plauderei Kautskys zehn Tage nach dem Parteitag in Erfurt:<br />
„Notabene, ein Gegenstück zu Frau Besant [d. i. Annie Besant (1847-1933), Theosophin, Freidenkerin <strong>und</strong><br />
Frauenrechtlerin] ist Frau Ihrer. Diese Dame scheint übrigens sehr freigebig mit ihrer Gunst zu sein. <strong>Von</strong> den<br />
jüngeren Fraktionsmitgliedern gab in Erfurt fast jeder einige Erfahrungen darüber zum besten, was mir allerdings<br />
auch nicht sehr ritterlich erschien; ihre Gunst scheint übrigens Glück zu bringen; ihre Liebhaber wurden alle bei<br />
den letzten Wahlen gewählt. Sie stimmte gegen die Déchargeertheilung an den Parteivorstand. Als man sie fragte,<br />
warum, soll sie erklärt haben: Weil mich einige Mitglieder des Vorstands nicht befriedigt haben. Dieser Witz<br />
scheint von allen Kongreßwitzen am meisten Anklang gef<strong>und</strong>en zu haben, denn er wurde mir von ca. 30 verschiedenen<br />
Seiten mitgetheilt.“ (Karl Kautsky in einem Brief an Friedrich Engels, 30.10.1891. In: Friedrich<br />
Engels‘ Briefwechsel mit Karl Kautsky, S. 312-316, S. 316).<br />
596
4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />
erfahren konnten. 2005 Ihrer wurde im schlesischen Glatz geboren <strong>und</strong> entstammte kleinbürger-<br />
lichen Verhältnissen 2006 . Ihre Mutter sei eine strenggläubige Katholikin gewesen, was Ihrer in ihrer<br />
Entwicklung stark beeinflusst habe. Zur Arbeiterbewegung kam Ihrer über die bürgerliche Frauen-<br />
bewegung, deren Bemühungen, die Arbeiterinnen in ihrer Sittlichkeit zu heben, sie in ihrer 1898<br />
erschienenen Broschüre „Die Arbeiterin im Klassenkampf“ beschrieb <strong>und</strong> kritisierte. Ihrer war<br />
Mitbegründerin vieler – später wieder verbotener – Frauenvereine. Trotz des erheblichen Drucks<br />
durch die Behörden habe sie nicht aufgehört, auf ihren vielen Agitationsreisen neuerliche Vereins-<br />
gründungen anzustoßen. Sie sei zudem eine Art „Talentsucherin“ gewesen, die es meisterhaft<br />
verstand,<br />
„Kräfte herauszufinden, heranzubilden <strong>und</strong> an die Sache zu fesseln. Ihr liebenswürdiges,<br />
heiteres Wesen <strong>und</strong> ihr klarer Blick waren dazu wie geschaffen.“ 2007<br />
Hannas Artikel enthielt besonders hinsichtlich der Gründungsgeschichte der „Arbeiterin“ eine<br />
sehr wertvolle Information: Ihrer gründete die Zeitschrift 1891<br />
„[m]it finanzieller Hilfe einer stets hervorragend opferbereiten wohlhabenden<br />
Parteigenossin (die sich aber stets bescheiden im Hintergr<strong>und</strong> hielt) <strong>und</strong> zum Teil<br />
aus eigenen Mitteln“ 2008 .<br />
Über diese wohlhabende Parteigenossin ist jedoch nichts bekannt.<br />
Ihrer wurde eine der „erfolgreichsten, beliebtesten <strong>und</strong> bekanntesten Agitatorinnen“ 2009 der pro-<br />
letarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> ihr Name, so Hanna, sei „unlösbar“ 2010 mit der „Gleichheit“<br />
verknüpft. Ihrer habe die Redaktion der „Gleichheit“ nicht übernommen, weil sie ihren Wohnsitz<br />
in Velten nicht verlassen wollte. Auf der Suche nach einer neuen Redakteurin – so eine weitere<br />
Variante zur Gründungsgeschichte der „Gleichheit“ – habe Ihrer diese in Clara Zetkin gef<strong>und</strong>en.<br />
2011 Laut Hanna blieb Ihrer „bis zu ihrem Tod Mitarbeiterin der Frauenzeitschrift, die nun „Die<br />
Gleichheit“ hieß“ 2012 . Sie erwähnt allerdings nicht, dass sie sich sowohl als Herausgeberin als auch<br />
als Mitarbeiterin immer mehr zurückzog bzw. von Zetkin vielleicht auch zurückgedrängt wurde.<br />
Ihrers größtes Tätigkeitsfeld war die gewerkschaftliche Organisation der Arbeiterinnen. 1890<br />
wurde sie als erste Frau in die neu gegründete Generalkommission der Gewerkschaften Deutsch-<br />
lands gewählt, war Mitgründerin <strong>und</strong> Vorsitzende des „Blumen- <strong>und</strong> Federarbeiterverbandes“ <strong>und</strong><br />
2005 [Hanna, Gertrud?] G.H.: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 60.<br />
2006 Emma Ihrer war Tochter des Schuhmachers Rothe.<br />
2007 Ebd., S. 61. Diese Seite zeigt zwei Porträts Ihrers, die im Anhang dieser Arbeit enthalten sind.<br />
2008<br />
Ebd.<br />
2009<br />
Ebd., S. 60.<br />
2010<br />
Ebd.<br />
2011<br />
Ebd., S. 61.<br />
2012 Ebd.<br />
597
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Redakteurin der Verbandszeitschrift. Die Inschrift auf ihrem Grabstein<br />
„’Wirken für andere war ihres Glückes ergiebigster Quell.“ 2013<br />
steht für das altruistische Ideal, das in der proletarischen Frauenbewegung gepflegt wurde. Sie<br />
verdeutlicht aber auch, dass diese Art von Altruismus sowohl einen selbstlosen wie auch einen<br />
selbstbildenden Charakter trägt.<br />
Eine wichtige Mitarbeiterin der „Gleichheit“ <strong>und</strong> führende Persönlichkeit der Berliner<br />
Frauenbewegung war Margarete Wengels (1856-1931). Zu ihr dürfte Zetkin ein umso innigeres<br />
Verhältnis gehabt haben, da Wengels von 1906 bis 1912 als Sekretärin für sie tätig war <strong>und</strong> ihre<br />
Korrespondenz schrieb. 2014 Zetkin dürfte daher auch die Verfasserin des Artikels sein, den die<br />
„Gleichheit“ anlässlich Wengels‘ 60. Geburtstag veröffentlichte. 2015<br />
Den Umstand, dass Wengels an einem 29. Februar Geburtstag hatte, kommentierte Zetkin humor-<br />
voll damit, dass sie demnach ein „Schalttagskind“ 2016 <strong>und</strong> „Frauen ihrer Art […] leider noch<br />
selten“ 2017 seien. Seit dem Moment, da Wengels mit „Herz <strong>und</strong> Hirn“ 2018 die Prinzipien des Sozia-<br />
lismus erfasst hatte, habe sie ihm<br />
„mit einem Eifer gedient, den Schwierigkeiten <strong>und</strong> Gefahren nicht schreckten, <strong>und</strong><br />
dem Opfern Freude ist […], ohne nach Anerkennung <strong>und</strong> Lohn zu fragen“ 2019 .<br />
Wengels war nach Zetkins Auffassung eine „Verkörperung der besten proletarischen Kampfes-<br />
tugenden“ 2020 .<br />
In „echt proletarischen Verhältnissen“ aufgewachsen 2021 , habe Wengels „den ganzen Kreislauf der<br />
Aufgaben <strong>und</strong> Sorgen einer Arbeiterfrau“ 2022 mit Erwerbsarbeit <strong>und</strong> Kinderreichtum durchlebt. Sie<br />
dürfe sich „rühmen“, so Zetkin, dass jedes ihrer acht Kinder „überzeugt dem Sozialismus“ 2023 an-<br />
hänge. Trotz der mit einer solchen Kinderschar verb<strong>und</strong>enen Belastungen vermochte es Wengels,<br />
sich aktiv in die proletarische Frauenbewegung einzubringen:<br />
2013 Ebd.<br />
2014 Wiss, Les débats sur la transformation sociale, S. 79, Fußnote 14.<br />
2015 Margarete Wengels zum 60. Geburtstag. In: GL, 26/ 13/ 17.03.1916/ 98-99.<br />
2016 Ebd., S. 98.<br />
2017 Ebd.<br />
2018 Ebd.<br />
2019 Ebd.<br />
2020 Ebd.<br />
2021 Wengels war Tochter eines Krefelder Strumpfwirkers <strong>und</strong> heiratete den Weber <strong>und</strong> Sozialdemokraten Robert<br />
Wengels.<br />
2022 Ebd.<br />
2023 Ebd.<br />
598
4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />
„Niemand hat mehr als sie getan, um die proletarische Frauenbewegung Berlins zu<br />
schaffen, zu entwickeln <strong>und</strong> zu heben, sie mit gr<strong>und</strong>sätzlicher Klarheit <strong>und</strong> Festigkeit<br />
zu erfüllen, ihr eine starke Aktionskraft zu verleihen.“ 2024<br />
Unter ihrer Führung habe sich die Berliner Frauenorganisation zur Vorbildorganisation entwickelt.<br />
Zudem war Wengels selbst auch Vorbild <strong>und</strong> dies in vielerlei Hinsicht:<br />
„Auf verantwortlichem Posten <strong>und</strong> schlicht in Reih‘ <strong>und</strong> Glied; vor der Öffentlichkeit<br />
wie im stillen[sic], denn Margarete Wengels gehört zu jenen, denen es genügt,<br />
daß geschieht, was ihrer Überzeugung nach geschehen muß, auch ohne daß ihr<br />
Name dabei genannt wird.“ 2025<br />
So sei sie „im Dunkeln geblieben“ 2026 . Auch in anderen Biographien wird eine solche Bescheiden-<br />
heit als besonderer Charakterzug hervorgehoben. Kritisch beurteilt, hat diese Bescheidenheit<br />
letztendlich aber auch zum Verschwinden oder zur Abwertung weiblicher Errungenschaften bei-<br />
getragen.<br />
Ihrer Überzeugung gemäß habe Wengels die Frauenfrage als Teil der sozialen Frage erfasst <strong>und</strong><br />
war – so „versteh[e] es sich von selbst“ 2027 – auf dem linken Flügel der SPD zu finden. Wengels<br />
hatte Prinzipien:<br />
„Ein scharfer proletarischer Klasseninstinkt, der sich fast nie in der Einschätzung<br />
der Dinge <strong>und</strong> Menschen täuscht, hat es ihr erleichtert, sich auch in Zeiten der<br />
Wirrungen <strong>und</strong> Irrungen rasch <strong>und</strong> sicher zu orientieren, die Tagesaufgaben des<br />
Proletariats richtig zu sehen, ebenso die Mittel <strong>und</strong> Wege zu dem großen sozialistischen<br />
Endziel.“ 2028<br />
So war Wengels auch nach Beginn des Krieges <strong>und</strong> der innerparteilichen Streitigkeiten dem<br />
linken Flügel der SPD zugehörig <strong>und</strong> Zetkin konnte ihren Artikel für einen R<strong>und</strong>umschlag gegen<br />
die „Umlerner“ nutzen:<br />
2024 Ebd.<br />
2025 Ebd.<br />
2026 Ebd.<br />
2027 Ebd.<br />
2028 Ebd.<br />
2029 Ebd.<br />
„So trotzig <strong>und</strong> unerschrocken wie sie [Wengels; M.S.] den Kampf aufnahm, als<br />
das Sozialistengesetz die deutsche Arbeiterklasse knebelte, hat sie ihn weitergeführt,<br />
als noch das vormärzliche preußische Vereinsrecht der Betätigung der<br />
Frauen im öffentlichen Leben harte Fesseln anlegte. Und sie war unter den ersten<br />
<strong>und</strong> Entschiedensten, die mit ‘Hier!’ antworteten, als es galt, sich in den Tagen des<br />
großen ‘Umlernens’ um das Banner des internationalen Sozialismus zu sammeln<br />
<strong>und</strong> sich zu seinen Idealen durch die Tat zu bekennen. Auch die Zukunft wird<br />
Margarete Wengels nie unter den ‘Staatsweisen’ finden, die mit bürgerlichen Zielen<br />
<strong>und</strong> Parteien opportunistisch liebäugeln; nie unter den Rechnungsträgern, die nach<br />
allen Richtungen ihre Kußhändchen werfen; nie unter den Neunmalklugen, die sich<br />
erst entscheiden, wenn sie wissen, wo die Mehrheit steht.“ 2029<br />
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ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Zetkin war sich sicher: Wengels würde nicht zur Opportunistin werden, denn im Kampf wie in<br />
ihrer Fre<strong>und</strong>schaft sei Wengels „aufrecht <strong>und</strong> treu“ 2030 <strong>und</strong> kümmere sich nicht darum, ob sie mit<br />
ihrer Meinung „oben oder unten anstößt“ 2031 . Noch viele „glückliche Jahre“ 2032 wünschte Zetkin<br />
der Jubilarin. Doch „glückliche“ Jahre seien für Wengels sicherlich „nicht Jahre der Ruhe, viel-<br />
mehr Jahre des Kampfes, des erfolgreichen Kampfes für die Befreiung ihrer Klasse“ 2033 .<br />
Ebenfalls erfreulich war der Anlass für einen Artikel zu Ehren von Ernestine Lutze (1873-<br />
1948). 2034 Lutze hatte sogar ein „Doppeljubiläum“ zu feiern: Ihren 50. Geburtstag <strong>und</strong> ihre auf den<br />
Tag genau 25 Jahre währende Mitgliedschaft in der SPD.<br />
Die in Dresden ansässige Lutze sei als ein „echtes Proletarierkind“ 2035 aufgewachsen. Im Alter von<br />
neun Jahren verloren sie <strong>und</strong> ihr drei Jahre älterer Bruder den Vater. Lutze musste deshalb nun<br />
zum Familienunterhalt beitragen. Die „Gleichheit“ nannte akribisch die Art der Tätigkeiten <strong>und</strong><br />
sogar Lutzes jeweiligen Verdienst. Mit der Übernahme mehrerer „Aufwartestellen“ 2036 verdiente<br />
Lutze 50 Pfennig in der Woche. Im Alter von zwölf Jahren ging sie neben der Schule noch der<br />
Erwerbstätigkeit in einer Dresdner Blumenfabrik nach, wo sie 5 Pfennige pro St<strong>und</strong>e verdiente.<br />
Zusätzlich aber musste sich Lutze - „als Schulkind!“ 2037 wie die „Gleichheit“ betont - noch zu<br />
bindende „Blumenästchen“ 2038 für die Heimarbeit mitnehmen. Im Alter von 24 Jahren heiratete<br />
Lutze. Weil es die finanziellen Verhältnisse aber nicht zuließen, dass sie nun als Hausfrau arbei-<br />
tete, musste sie die auch von den meisten „Gleichheit“-Leserinnen selbst erfahrene Doppelbe-<br />
lastung ertragen. Früh morgens um 6 Uhr wurden die beiden Kinder „in Pflege gegeben“ 2039 <strong>und</strong><br />
abends um 7 oder 8 Uhr wieder abgeholt. Der Arbeit in der Fabrik folgten nahtlos die Arbeit im<br />
Haushalt <strong>und</strong> die Heimarbeit. Die Geburt des dritten Kindes machte die außerhäusige Erwerbs-<br />
tätigkeit unmöglich <strong>und</strong> Lutze konzentrierte sich auf Heimarbeit, Kindererziehung <strong>und</strong> Haushalt.<br />
Den Beschreibungen eines bisher wenig freudvollen Lebens folgten in dem Artikel nun die<br />
Beschreibungen des parteipolitischen Engagements Lutzes. Konkreter Auslöser für ihren Partei-<br />
eintritt 1898 sei ein Referat Luise Zietz‘ gewesen. Lutze – damals bereits gewerkschaftlich<br />
2030 Ebd.<br />
2031 Ebd.<br />
2032 Ebd.<br />
2033 Ebd.<br />
2034 Ein Doppeljubiläum. In: GL, 33/ 14/ 15.07.1923/ 115-116.<br />
2035 Ebd., S. 115.<br />
2036 Ebd.<br />
2037 Ebd.<br />
2038 Ebd.<br />
2039 Ebd.<br />
600
4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />
organisiert – habe sich daraufhin entschlossen, in der Parteiorganisation tätig zu werden. Anfangs<br />
leistete sie wertvolle Kleinarbeit, war „trotz der Erwerbsarbeit <strong>und</strong> der kleinen Kinder!“ 2040<br />
Kassiererin <strong>und</strong> Austrägerin der „Gleichheit“. 1911 wurde Lutze von der „Gewerkschaft der<br />
Blumenarbeiter“ auf die Berliner Gewerkschaftsschule entsandt <strong>und</strong> engagierte sich von da an<br />
vornehmlich gewerkschaftspolitisch. Sie war Delegierte verschiedener Parteitage <strong>und</strong> Kongresse<br />
<strong>und</strong> wurde schließlich 1919 in die Nationalversammlung gewählt.<br />
Der Beschreibung der Herkunft Ernestine Lutzes hatte man in diesem Artikel genauso viel Platz<br />
beigemessen wie ihrem politischen Werdegang. In beidem sollte sie den „Gleichheit“-Leserinnen<br />
Vorbild sein: „Im Interesse unserer Bewegung aber sprechen wir die Hoffnung aus, daß sich<br />
möglichst viele Frauen an dieser tatkräftigen Genossin ein Beispiel nehmen möchten.“ 2041<br />
Es war „selbstverständlich“ 2042 für Ida Schulze (?-?) 2043 , dass die verstorbene Anna Hübler<br />
(1876-1923) nach der erfolgreichen Novemberrevolution „führend vorang[ehen]“ 2044 würde.<br />
Schulze beschrieb in ihrem Nachruf, dass Hübler „schon in ihrer Jugend für den Sozialismus<br />
gelitten“ 2045 habe. Bereits als junges Mädchen musste sie erfahren, „was es heißt, sich zur Partei<br />
der Verfolgten zu bekennen“ 2046 , denn ihr Vater Konrad Müller wurde als SPD-Mitglied zur Zeit<br />
des Sozialistengesetzes häufig verhaftet <strong>und</strong> ausgewiesen. Hübler betrieb – stets „in den vor-<br />
dersten Reihen der Bewegung“ 2047 stehend <strong>und</strong> „von den sozialistischen Ideen durchglüht“ 2048 –<br />
sowohl Agitation auf dem Land als auch in der Stadt. Dies tat sie vor allem in der Region um das<br />
sächsische Schkeuditz, in dessen Stadtparlament sie gewählt wurde. Die Verstorbene hatte, so<br />
Schulze, ein „ehrliches <strong>und</strong> offenes Wesen“ 2049 <strong>und</strong> leistete eine „opferreiche Arbeit“ 2050 , für die sie<br />
1919 in die Nationalversammlung gewählt wurde. Eine schmerzhafte Krankheit, an der sie<br />
2040 Ebd.<br />
2041 Ebd., S. 116.<br />
2042 Schulze, Ida: Anna Hübler †. In: GL, 33/ 16/ 15.08.1923/ 132.<br />
2043 Da „Schulze“ ein recht häufiger Name ist, konnte die Identität der Verfasserin im Rahmen dieser Arbeit nicht mit<br />
absoluter Sicherheit geklärt werden. Unwahrscheinlich ist, dass es sich bei ihr um die aus Ostfriesland stammende<br />
Autorin Ida Schulze handelt, die in Nachfolge der verstorbenen Henriette Davidis (1801-1876) deren erfolgreiches<br />
Kochbuch unter dem neuen Titel „Das neue Kochbuch für die deutsche Küche“ (1933) herausgab.<br />
2044 Ebd.<br />
2045 Ebd.<br />
2046 Ebd.<br />
2047 Ebd.<br />
2048 Ebd.<br />
2049 Ebd.<br />
2050 Ebd.<br />
601
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
schließlich auch starb, verhinderte eine Kandidatur für den späteren Reichstag. Im Gedenken an<br />
die Verstorbene, forderte Schulze die „Gleichheit“-Leserinnen auf, am Sozialismus festzuhalten<br />
<strong>und</strong> gleich Hübler für die Befreiung des Proletariats zu wirken. 2051<br />
Es ist bemerkenswert, dass die in der „Gleichheit“ veröffentlichten Ehrungen Ottilie Baaders<br />
(1847-1925) mit einem Nachruf auf ihren Vater Gustav beginnen. Dieser starb 84-jährig im<br />
November 1897 <strong>und</strong> wird in seiner Bedeutung für die persönliche Entwicklung Baaders hervor-<br />
gehoben. Denn<br />
„was sie der Bewegung leistet, sie verdank[e] es neben ihrem Fleiß <strong>und</strong> ihrem<br />
Pflichtbewußtsein ganz wesentlich seinen Bemühungen, ihren Bildungsdrang zu<br />
fördern <strong>und</strong> die richtigen Wege zu leiten“ 2052 .<br />
Tochter <strong>und</strong> Vater verband „[e]ine rührende Ideen- <strong>und</strong> Kampfesgemeinschaft“ <strong>und</strong> mit ihm, der<br />
ein Kämpfer der 1848er Revolution war, verlor die Tochter nicht nur den Vater, sondern auch den<br />
Fre<strong>und</strong>, Lehrer <strong>und</strong> Ratgeber.<br />
Anlässlich ihres 60. Geburtstages warf die „Gleichheit“ einen Blick zurück auf eben jene durch<br />
den Vater geförderte Entwicklung. Aus einer „stille[n] unbekannte[n] Genossin, welche das Evan-<br />
gelium des Sozialismus in ihrem Herzen bewegte“ 2053 , wurde eine Kleinarbeit leistende „rührige<br />
Organisatorin <strong>und</strong> Agitatorin“ 2054 <strong>und</strong> schließlich die „Trägerin eines der wichtigsten Vertrauens-<br />
ämter“ 2055 der proletarischen Frauenbewegung. Dieses wichtige Amt der „Vertrauensperson der<br />
Genossinnen Deutschlands“ habe sie mit entsprechender „Umsicht, Gewissenhaftigkeit <strong>und</strong><br />
Takt“ 2056 verwaltet.<br />
Hatte die „Gleichheit“ zehn Jahre zuvor die Bedeutung des Vaters hervorgehoben, so wurde nun<br />
betont, dass Baader ihre Entwicklung „sich selbst <strong>und</strong> der befruchtenden Kraft des proletarischen<br />
Klassenkampfes“ 2057 verdanke. Sie hatte sich früh selbst gebildet <strong>und</strong> brachte viele „treffliche[…]<br />
persönliche[…] Eigenschaften“ 2058 mit. Damit habe sie so „manches Vorurteil gegen die politische<br />
Betätigung der Frauen entwaffnet“ 2059 . Trotz ihrer 60 Jahre habe sie sich „Frische <strong>und</strong> Rüstigkeit<br />
2051 Ebd.<br />
2052 Genosse Baader … In: GL, 07/ 24/ 24.11.1897/ 190.<br />
2053 Ein Jubiläum. In: GL, 17/ 12/ 10.06.1907/ 102.<br />
2054 Ebd.<br />
2055 Ebd.<br />
2056 Ebd.<br />
2057 Ebd.<br />
2058 Ebd.<br />
2059 Ebd.<br />
602
4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />
bewahrt, wie sie nur eine ewig junge Begeisterung für eine große Sache zu geben vermag“ 2060 .<br />
In der letzten von ihr redigierten „Gleichheit“-Nummer ehrte vermutlich Zetkin persönlich Baader<br />
als „schlichte, aufrechte Proletarierin“ 2061 . Den Leserinnen wurde anlässlich ihres 70. Geburtstages<br />
der Lebensweg der sich bereits seit Jahrzehnten im proletarischen Befreiungskampf engagieren-<br />
den Vorkämpferin detailliert dargestellt.<br />
Baader wurde in Rackow (Schlesien) 2062 geboren <strong>und</strong> war die Tochter eines Zuckerfabrikarbeiters.<br />
Nach dem frühen Tod der Mutter musste sie bereits als Siebenjährige <strong>und</strong> als zweitältestes von<br />
vier Kindern den Familienhaushalt führen 2063 – sie wurde mehr oder weniger zwangsläufig der<br />
„gute Hausgeist, das sorgende, liebevolle Hausmütterchen der Ihrigen“ 2064 . In Frankfurt/Oder<br />
besuchte sie erst die Volksschule <strong>und</strong> siedelte dann vierzehnjährig mit dem Vater <strong>und</strong> zwei<br />
Geschwistern nach Berlin über. Hier musste Baader zum Familieneinkommen beitragen, indem<br />
sie Wäsche nähte, als Spinnerin in einer Wollfabrik <strong>und</strong> als Mantelnäherin arbeitete. Mit der An-<br />
schaffung einer eigenen Nähmaschine teilte Baader schließlich das ärmliche Schicksal der vielen<br />
Heimarbeiterinnen. Außerdem pflegte sie nicht nur den greisen Vater, sondern sorgte auch für ihre<br />
Brüder <strong>und</strong> deren Kinder. Baader – „[e]ine durch <strong>und</strong> durch mütterliche Natur“ 2065 – habe es stets<br />
geschafft, so Zetkin, „den Ihrigen das bescheidene Heim traulich zu gestalten“ 2066 .<br />
Zwei „Wesenseigenschaften“ seien für Baaders Entwicklung besonders entscheidend gewesen:<br />
2060 Ebd.<br />
„heißer Bildungsdrang <strong>und</strong> ein lebhaftes, tiefes Mitempfinden mit den Leiden <strong>und</strong><br />
Freuden ihrer Schicksalsgenossen, das sich zur Erkenntnis der proletarischen<br />
Klassensolidarität entwickelte“ 2067 .<br />
2061 Ottilie Baaders siebzigster Geburtstag. In: GL, 27/ 17/ 25.05.1917/ 114.<br />
2062<br />
Ebd. Vgl. auch [Heymann, Johanna?] J. H.: Ottilie Baader-Diedrichs. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/<br />
01.04.1921/ 62, wo als Geburtsort Frankfurt/Oder genannt wird. In diesem Artikel wird Baader außerdem unter<br />
dem Doppelnamen Baader-Diedrichs vorgestellt, den sie seit ihrer Hochzeit führte. Sie selbst zeichnete einen Artikel<br />
auch mit dem Namen Dietrichs-Baader (vgl. Unsere Toten. In: GL, 32/ 17-18/ 01.09.1922/ 164). Baader wurde<br />
zwar als letzte einer Reihe von „Vorkämpferinnen“ vorgestellt, sei aber „eigentlich die Erste“ ([Heymann,<br />
Johanna?] J. H.: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 62).<br />
Die Initialen J. H. <strong>und</strong> der Zeitpunkt des Erscheinens dieses Artikels lassen auf Johanna Heymann (1900[?]-<br />
1935[?]) als Autorin schließen. Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine eindeutigen<br />
biographischen Informationen zu Heymann. Sie veröffentlichte in der „Gleichheit“ u. a. in der Rubrik<br />
„Wohlfahrtspflege“: Heymann, Johanna: Arbeiterwohlfahrt. IV. In: GL, 30/ 28/ 10.07.1920/ 230;<br />
Arbeiterwohlfahrt. IV. In: GL, 30/ 28/ 10.07.1920/ 230; Arbeiterwohlfahrt. V. In: GL, 30/ 29/ 17.07.1920/ 238-<br />
239; Arbeiterwohlfahrt. VI. In: GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 247; Arbeiterwohlfahrt. VIII. In: GL, 30/ 32/ 07.08.1920/<br />
262-263. Gemeinsam mit Juchacz veröffentlichte Heymann schließlich das Buch „Die Arbeiterwohlfahrt. Voraussetzungen<br />
<strong>und</strong> Entwicklung“ (1924).<br />
2063<br />
Vgl. [Heymann, Johanna?] J. H.: Ottilie Baader-Diedrichs. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/<br />
01.04.1921/ 62.<br />
2064<br />
Ottilie Baaders siebzigster Geburtstag. In: GL, 27/ 17/ 25.05.1917/ 114.<br />
2065 Ebd.<br />
2066 Ebd.<br />
2067 Ebd.<br />
603
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Außerdem war es wie beschrieben aber auch ihr Vater, der sie zu dem „inneren <strong>und</strong> äußeren<br />
Anschluß an die sozialistische Arbeiterbewegung“ 2068 ermutigt hatte. Zusammen mit ihm schloss<br />
sie sich im Alter von 30 Jahren der „Freien Gemeinde“ an, durch die sie auch in Kontakt zu<br />
organisierten Arbeitern kam. 2069 Nun war der Schritt von der Erkenntnis zum Handeln nicht mehr<br />
schwer:<br />
„Einen Inhalt bekam ihr [Baaders; M.S.] Leben erst, als sie mit der Sozialdemokratie<br />
in Berührung kam, als sie anfing, sozialdemokratische Versammlungen zu<br />
besuchen.“ 2070<br />
Diese tiefgreifende Bedeutung bekam der Sozialismus für Baader bereits während des Sozialisten-<br />
gesetzes. Es war im Rahmen eines Streiks gegen Lohnsenkung, dass sie 1870 erstmals als<br />
Wortführerin öffentlich hervortrat. Als Mitglied des Berliner Mantelnäherinnenvereins <strong>und</strong> seit<br />
1890 Mitglied des Schneiderverbandes beteiligte sie sich an entsprechenden Streikkämpfen. Nach<br />
dem Fall des Sozialistengesetzes engagierte sie sich in der proletarischen Frauenbewegung, war<br />
Mitgründerin verschiedener Vereine, oft deren Leiterin <strong>und</strong> Organisatorin von Versammlungen. So<br />
wurde sie schließlich eine der Führungskräfte der organisierten Arbeiter <strong>und</strong> Arbeiterinnen <strong>und</strong> als<br />
solche auch Opfer unzähliger Haussuchungen, Verhaftungen <strong>und</strong> Anklagen. Davon ließ sie sich<br />
jedoch nicht unterkriegen – im Gegenteil: All diese „Schwierigkeiten <strong>und</strong> Gefahren“, so Zetkin,<br />
„stärkten ihre Kräfte, befeuerten den Eifer, die Aufopferungsfähigkeit“ 2071 .<br />
1900 wurde Baader in Mainz zur „Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands“ gewählt, ein<br />
Amt, das sie bis 1908, bis zur Integration der proletarischen Frauenorganisationen in die SPD,<br />
bekleiden sollte. 2072 Sie war Teilnehmerin der internationalen Konferenzen in Paris, London,<br />
Brüssel <strong>und</strong> Kopenhagen.<br />
Besonders als Zentralvertrauensperson – in der Zeit zwischen Aufhebung des Sozialistengesetzes<br />
<strong>und</strong> Inkrafttreten des Reichsvereinsgesetzes, jenen „Jahren der kleinen, tastenden, suchenden<br />
Anfänge“ 2073 – hatte Baader Anteil an den<br />
2068 Ebd.<br />
„planmäßige[n] Bestrebungen […], die dreifach unfreien Frauen des werktätigen<br />
Volkes zu wecken, zu sammeln, zu schulen <strong>und</strong> zu selbständig denkenden <strong>und</strong><br />
handelnden Kämpferinnen für volles, freies Menschentum aller zu erheben“ 2074 .<br />
2069<br />
[Heymann, Johanna?] J. H.: Ottilie Baader-Diedrichs. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/<br />
62.<br />
2070<br />
Ebd.<br />
2071<br />
Ottilie Baaders siebzigster Geburtstag. In: GL, 27/ 17/ 25.05.1917/ 114.<br />
2072<br />
Der Artikel von Heymann nannte fälschlicherweise das Jahr 1897 als das Jahr, in dem Baader zur<br />
„Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands“ gewählt wurde. Vgl. [Heymann, Johanna?] J. H: Ottilie<br />
Baader-Diedrichs. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 63.<br />
2073<br />
Ottilie Baaders siebzigster Geburtstag. In: GL, 27/ 17/ 25.05.1917/ 114.<br />
2074 Ebd.<br />
604
4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />
Baader habe sich dabei besonders durch ein „aufopfernde[s], eifrige[s] Wirken“, durch eine<br />
„konsequente, feste Haltung in allen Fragen gr<strong>und</strong>sätzlichen Bekenntnisses <strong>und</strong> der daraus<br />
folgenden Taktik“ 2075 ausgezeichnet <strong>und</strong> stets ihre „bescheidene[…], entgegenkommende[…]<br />
Art“ 2076 bewahrt.<br />
Wie sehr Baader dem Ideal eines „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ <strong>und</strong> einer proletarischen Klassen-<br />
kämpferin entsprach, macht sich an folgender Darstellung deutlich:<br />
„Nach Verdienst <strong>und</strong> Brauch dünkte es allen recht <strong>und</strong> billig, daß Ottilie Baader,<br />
als erste Vertreterin der Genossinnen in der Leitung der sozialdemokratischen Partei<br />
Sitz <strong>und</strong> Stimme erhalten hätte. Mit jener weisen, würdigen Selbstbescheidung,<br />
die zugleich höchster, echter Stolz ist, lehnte sie jedoch das Ehrenamt ab, dessen<br />
Aufgabenkreis ihrer Überzeugung nach einer jüngeren, stärkeren Kraft bedurfte.<br />
Sie schlug vor, Genossin Zietz in den Parteivorstand zu wählen <strong>und</strong> begnügte sich<br />
selbst mit der Stellung einer Sekretärin im Frauenbureau.“ 2077<br />
Baader kannte demnach keinen persönlichen Ehrgeiz, sondern hatte stets nur das Interesse der<br />
Bewegung im Sinn. So wurde sie auch in ihrer Funktion als Frauensekretärin „Anregerin,<br />
Fre<strong>und</strong>in <strong>und</strong> Führerin, Agitatorin <strong>und</strong> Organisatorin“ 2078 , ging mit ihrem „persönlichen Sein ganz<br />
in dem Wirken für die Sache des Sozialismus auf[…]“ 2079 .<br />
Dann kam der August 1914 <strong>und</strong> auch Baader habe mit Kummer, so Zetkin „die verhängnisvolle<br />
Rückwirkung des Krieges auf die sozialistische Bewegung“ 2080 erkannt. Allerdings belässt diese<br />
Formulierung es im Unklaren, ob die Prinzipienlosigkeit der SPD oder der Mitgliederrückgang<br />
gemeint ist. Die „Gleichheit“ wünschte Baader zu ihrem Geburtstag – aber nicht nur ihr –, dass es<br />
ihr<br />
„vergönnt sei[…], in Rüstigkeit die politische Wiedergeburt des Proletariats zu<br />
erleben, den Aufmarsch einer gr<strong>und</strong>sätzlich klaren, entschlossenen sozialistischen<br />
Partei des Klassenkampfes, die ihrer historischen Aufgabe bewußt in großer St<strong>und</strong>e<br />
ein großes Geschlecht zum Siege führt“ 2081 .<br />
In Zetkins Augen hatte die deutsche Sozialdemokratie versagt, war ihr internationalistischer Geist<br />
erloschen.<br />
Baader dagegen stand auch noch an ihrem Lebensabend im Dienst der Partei, leitete ihre<br />
Abteilung, nahm an Parteiveranstaltungen teil <strong>und</strong> zeigte großes Interesse an jeder Parteiarbeit.<br />
2075 Ebd.<br />
2076 Ebd.<br />
2077 Ebd., S. 114f.<br />
2078 Ebd., S. 115.<br />
2079 Ebd.<br />
2080 Ebd.<br />
2081 Ebd.<br />
605
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Erst relativ spät – im September 1911 – hatte sie August Dietrichs geheiratet. Ihre glückliche Ehe<br />
fand durch dessen Tod ein viel zu frühes Ende. Zetkin verwies schließlich auf die bevorstehende<br />
Veröffentlichung der Lebenserinnerungen Baaders 2082 , die „für uns Jüngere gewiß sehr viel<br />
Interessantes <strong>und</strong> Wissenswertes enthalten“ 2083 würden. Auch mit diesem Hinweis betrieb Zetkin –<br />
entsprechend der These dieser Arbeit – eine bewusste Tradierung eigener Geschichte.<br />
Der Artikel, der schließlich 1921 zu Baaders 75. Geburtstag in der „Gleichheit“ veröffentlicht<br />
wurde, bringt kaum neue Erkenntnisse zu ihrer Persönlichkeit oder ihrem Werdegang. Es ist sogar<br />
falsch, wenn darin angegeben wird, Baader habe bereits seit 1897 das Amt der Vertrauensperson<br />
der Genossinnen Deutschlands inne gehabt. In diesem Jahr ist sie lediglich zur Parteitags-Dele-<br />
gierten gewählt worden. 2084 1908 sei Baader – in der „Bescheidenheit, die immer ein besonderer<br />
Zug ihres Wesens gewesen“ 2085 sei – von ihrem „Ehrenposten“ 2086 zurückgetreten, um Luise Zietz<br />
für den Sitz im Parteivorstand vorzuschlagen. Unerwähnt blieb, dass der vermeintliche „Ehren-<br />
posten“ tatsächlich ein bezahltes Amt war. Im hohen Alter von 75 Jahren besuchte Baader immer<br />
noch Versammlungen <strong>und</strong> Besprechungen. Als sie 1925 verstarb, erschien im „Gleichheit“-Nach-<br />
folgeorgan „Die Genossin“ ein bemerkenswerter Nachruf, der sie als „Veteranin der Frauen-<br />
bewegung, Vorkämpferin für Frauenrecht, für soziales Recht, für die Idee des Sozialismus“ 2087<br />
ehrte <strong>und</strong> besonders ihre „Sehnsucht nach Menschentum“ 2088 hervorhob.<br />
Luise Zietz (1865-1922), der Baader wie erwähnt den Vortritt gelassen hatte, wurde eine der<br />
wichtigsten Führerinnen der deutschen proletarischen Frauenbewegung. Doch es war nicht nur<br />
allein jenes offizielle Amt als erstes <strong>und</strong> einziges weibliches Mitglied des SPD-Parteivorstandes,<br />
welches ihre Position innerhalb der Bewegung ausmachte.<br />
Bohm-Schuch war die Verfasserin des Nachrufes auf diese umstrittene sozialdemokratische<br />
Führerin, die im am 26. Januar 1922 während einer Sitzung im Reichstag einen Ohnmachtsanfall<br />
erlitt <strong>und</strong> am darauf folgenden Morgen starb. Bemerkenswerterweise erschien dieser Nachruf erst<br />
zwei Wochen nach seiner Veröffentlichung im „Vorwärts“. 2089 Es sei kennzeichnend für das<br />
2082 Diese Lebenserinnerungen wurden unter dem Titel „Ein steiniger Weg“ 1921 veröffentlicht <strong>und</strong> sind auch heute<br />
ein besonderes autobiographisches Zeugnis zum Leben einer Arbeiterin.<br />
2083 [Heymann, Johanna?] J. H.: Ottilie Baader-Diedrichs. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/<br />
63.<br />
2084 Ottilie Baader 75 Jahre! In: GL, 32/ 11/ 01.06.1922/ 102.<br />
2085 Ebd.<br />
2086 Ebd.<br />
2087 Ottilie Baader †. In: Die Genossin, 02/ 10/ 1925/ 283.<br />
2088 Ebd.<br />
2089 Bohm-Schuch, Clara: Luise Zietz zum Gedächtnis. In: GL, 32/ 04/ 15.02.1922/ 34-35.<br />
606
4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />
„unbeugsame“ 2090 Wesen Zietz‘ gewesen, so Bohm-Schuch,<br />
„wie der starke Wille immer wieder die Herrschaft über den siechen Körper<br />
davontrug […]. Solange sie lebte schaffte sie; der Tod nur konnte sie zur Ruhe<br />
zwingen“ 2091 .<br />
Zietz sei mit ihrer Arbeit „unlöslich verb<strong>und</strong>en“ 2092 gewesen <strong>und</strong> im Proletariat, in dem ihre Per-<br />
sönlichkeit wurzelte, „sprang der Quell ihrer Kraft“ 2093 . Denn als Tochter einer Weberfamilie im<br />
holsteinischen Bargteheide geboren, so Bohm-Schuch, „kannte“ 2094 Zietz die Bedingungen<br />
eines Proletarierlebens <strong>und</strong> „wusste“ 2095 um die Sehnsucht nach Besserem. Sie vollzog den<br />
idealen Erkenntnisweg einer Klassenkämpferin:<br />
„Aus dem Erleben kam bei Luise Zietz der Wille nach <strong>und</strong> zur Erlösung; darum<br />
konnte sie so vielen zur Befreierin werden.“ 2096<br />
Zietz engagierte sich seit 1892 in der Arbeiterbewegung <strong>und</strong> wurde 1908 Parteivorstandsmitglied.<br />
1917 wurde sie Mitgründerin der USPD <strong>und</strong> Mitglied in deren Vorstand. Hatte die „Gleichheit“<br />
ihr noch 1916 baldige Genesung von einer schweren Erkrankung gewünscht – ein Wunsch, so der<br />
Artikel, in dem sich sicher „alle Genossinnen begegnen“ 2097 [Hervorhebung von M.S.] –, so verlor<br />
sie jedoch nach der Parteispaltung bei den neuen „Gleichheit“-RedakteurInnen erheblich an An-<br />
sehen. Unter dem Titel „Störenfriede!“ 2098 erschien im November 1918 ein Bericht zu einer<br />
Versammlung, die die Hamburger Mehrheitssozialdemokratinnen gemeinsam mit dem örtlichen<br />
Frauenstimmrechtsverband veranstaltet hatte. Diese von 5.000 Personen besuchte Veranstaltung<br />
sei von Mitgliedern der USPD unter Führung von Zietz in ungehörigem Maße gestört worden.<br />
Wegen Radaus habe die Rednerin der Frauenstimmrechtsverbandes nur kurz <strong>und</strong> Marie Juchacz<br />
gar nicht mehr sprechen können. Die Versammlung musste schließlich aufgelöst werden. 2099 Die<br />
Verfasserin des Artikels – von dem Verhalten Zietz‘ sehr enttäuscht – fragte, ob Zietz wirklich<br />
2090 Ebd., S. 34.<br />
2091 Ebd.<br />
2092 Ebd.<br />
2093 Ebd.<br />
2094 Ebd.<br />
2095 Ebd.<br />
2096 Ebd.<br />
2097 Genossin Zietz … In: GL, 26/ 16/ 28.04.1916/ 120. Die „Gleichheit“ informierte ihre Leserinnen <strong>und</strong> da vor allem<br />
Funktionärinnen auch über schwere Erkrankungen so organisatorisch wichtiger Personen wie Zietz, um zu<br />
erklären, dass sie außerstande waren, Zuschriften persönlich zu beantworten.<br />
2098 Störenfriede! In: GL, 29/ 04/ 22.11.1918/ 31-32.<br />
2099 Um solchen Sprengkommandos, die hauptsächlich aus männlichen USPD-Mitgliedern bestünden, keine Gelegenheit<br />
zu bieten, die geplante Wiederholung der Veranstaltung zu stören, wollte man sie als reine Frauenversammlung<br />
durchführen (vgl. ebd., S. 32).<br />
607
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
glaube, „dadurch das Proletariat zu erlösen, daß sie es antreibt, sich gegenseitig zu zer-<br />
fleischen?“ 2100 Auch diejenigen Sozialdemokratinnen, die bisher ihrer früheren Tätigkeit <strong>und</strong> ihrer<br />
unschuldig erlittenen Haftstrafe ehrenhaft gedachten, seien nun über ihren wahren Charakter<br />
aufgeklärt <strong>und</strong> würden „sich angewidert von ihr ab[wenden]“ 2101 . Diese vehemente Reaktion auf<br />
die Agitationstätigkeit Zietz‘ für die USPD wiederholte sich wenige Monate später in einem<br />
Leitartikel. 2102 Dieser Artikel gab nicht nur die von Juchacz in der Nationalversammlung gehaltene<br />
Parlamentsrede wieder, die „Die erste Parlamentsrede einer Frau in Deutschland“ war, sondern<br />
ging zum Schluss auch auf die Redebeiträge der anderen <strong>weiblichen</strong> Abgeordneten ein. Am<br />
20. Februar 1919 hatte Zietz für die USPD gesprochen <strong>und</strong> die „neue“ „Gleichheit“-Redaktion<br />
„bedauert[e], über die Rede dieser an sich klugen <strong>und</strong> tüchtigen Frau kein fre<strong>und</strong>liches<br />
Wort sagen zu können. Luise Zietz neigte schon in den normalen Zeiten vor<br />
dem Kriege zur Übertreibung, sie liebte die Superlative <strong>und</strong> starke Unterstreichungen.<br />
In den Jahren des Krieges <strong>und</strong> in den Monaten der Revolution, wo<br />
ohnehin alles aus dem Gefüge geraten ist <strong>und</strong> die ganze Welt nur noch aus Superlativen<br />
des Gewalttätigen <strong>und</strong> Ungeheuerlichen zu bestehen scheint, kann Luise<br />
Zietz aus dem Vollen schöpfen. Und sie tut es!“ 2103<br />
Zietz, so kann man wieder dem von Bohm-Schuch verfassten Nachruf entnehmen, wurde später in<br />
den Reichstag gewählt. In ihren Reden <strong>und</strong> Broschüren – u. a. zum Mutter-, Säuglings- <strong>und</strong><br />
Kinderschutz, die Broschüre „Die Frauen <strong>und</strong> der politische Kampf“ oder Agitationsschriften mit<br />
den Titeln „Gehörst du zu uns?“ oder „Bist du eine der unsrigen?“, die die Leserinnen auf be-<br />
sonders persönliche Art ansprechen sollten – habe Zietz es verstanden, „trockenes Material“ so zu<br />
vermitteln, dass es „die Frauen packte“ 2104 .<br />
Alle Sozialdemokratinnen, „die die Schroffen <strong>und</strong> Schr<strong>und</strong>en des politischen Kampfes im eigenen<br />
Wesen tragen“, könnten verstehen, dass auch Zietz‘ „Wesen oft hart <strong>und</strong> rauh werden mußte“ 2105 .<br />
Es ist sehr auffällig, wie sich Bohm-Schuch bemühte, Verständnis aufzubringen <strong>und</strong> sogar persön-<br />
liche Gemeinsamkeiten mit der Unabhängigen Sozialdemokratin Zietz betonte: Es seien vor allem<br />
deren<br />
„Klassenbewußtsein, ihr stolzes Zusammengehörigkeitsgefühl mit der Arbeiterschaft<br />
<strong>und</strong>, hieraus entspringend, die innere Trennungslinie zur bürgerlichen<br />
Frauenbewegung“ 2106<br />
gewesen, die die neue „Gleichheit“-Redakteurin mit ihr verb<strong>und</strong>en hätten. Zwar sind Bohm-<br />
2100 Ebd., S. 31.<br />
2101 Ebd., S. 32.<br />
2102 Die erste Parlamentsrede einer Frau in Deutschland. In: GL, 29/ 12/ 14.03.1919/ 89-93.<br />
2103 Ebd., S. 93. Bewusst positiv fiel das Urteil Juchacz‘ zur Rede Gertrud Bäumers aus (vgl. ebd.).<br />
2104 Ebd.<br />
2105 Ebd.<br />
2106 Ebd.<br />
608
4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />
Schuchs Äußerungen ein Indiz dafür, dass sich die sozialdemokratische Frauenbewegung – wohl<br />
auch zur Identifikationsstiftung – zur bürgerlichen Frauenbewegung abgrenzte, aber sie können<br />
nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies weniger radikal geschah als zuvor unter der Führung<br />
Zetkins <strong>und</strong> Zietz‘. Viele derjenigen Frauen, die nun in vorderster Reihe der SPD standen, so<br />
Bohm-Schuch weiterhin in einem versöhnlichem Tenor, seien „durch die Schule von Luise<br />
gegangen“ 2107 . Wenn Zietz auch diese später<br />
„leidenschaftlich bekämpfte, so wollen wir ihr nicht vergessen, daß dies gerade aus<br />
ihrer Liebe zur gemeinsamen Sache der Arbeiterschaft entsprang“ 2108 .<br />
Keine der Mehrheitssozialdemokratinnen würde der Verstorbenen die „Reinheit der Motive, die<br />
Ehrlichkeit des Wollens […] absprechen“ 2109 , mit der sie so handelte wie sie handelte. Zietz‘<br />
Leben sei ein<br />
„leuchtendes Beispiel dafür, wie ein starker Mensch sich aus widrigen<br />
Verhältnissen zu geistiger Höhe emporarbeiten kann“ 2110 .<br />
Denn obwohl sie wie viele andere Arbeitertöchter nur eine Volksschulbildung genossen hatte,<br />
erwarb sie sich aus eigener Energie höheres Wissen. Krönung all dieser Versöhnlichkeit <strong>und</strong> jen-<br />
seits aller umstrittenen Inhalte ist die folgende Charakterisierung Zietz‘:<br />
„Sie mußte sein wie sie war, weil sie sich einer Sache nur ganz hingeben konnte.“<br />
2111<br />
Und doch: Bohm-Schuch ließ die Gelegenheit nicht ungenutzt, um die Politik der USPD zu<br />
kritisieren. Sie erachtete sie schlicht „für falsch“ 2112 <strong>und</strong> betrachtete die Parteispaltung als „das<br />
schlimmste Hindernis zur Erreichung des Sozialismus“ 2113 .<br />
Ein Jahr später verfasste eine derjenigen SozialdemokratInnen, die dieses Hindernis mittrugen,<br />
einen Artikel anlässlich Zietz‘ erstem Todestag. 2114 Mathilde Wurm – ehemalige USPD-Genossin<br />
<strong>und</strong> nach der Wiedervereinigung der Sozialdemokratien als Redakteurin zur „Gleichheit“ zurück-<br />
gekehrt – beschrieb das Wirken Zietz‘ aus USPD-Perspektive:<br />
2107 Ebd.<br />
2108 Ebd.<br />
„Wie so vielen anderen Tapferen in unseren Reihen hatten auch ihr die materiellen<br />
Entbehrungen während des Krieges, häufige Untersuchungshaft, Haussuchungen<br />
<strong>und</strong> Vernehmungen <strong>und</strong> der Verlust so manches lieben Kampfgefährten Körper-<br />
<strong>und</strong> Nervenkraft gebrochen.“ 2115<br />
2109 Ebd.<br />
2110 Ebd.<br />
2111 Ebd.<br />
2112 Ebd.<br />
2113 Ebd.<br />
2114 [Wurm, Mathilde] M. W.: Luise Zietz zum Gedächtnis. In: GL, 33/ 02/ 15.01.1923/ 10.<br />
2115 Ebd.<br />
609
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
AnhängerInnen der USPD <strong>und</strong> anderer linker Gruppierungen waren während des Krieges<br />
tatsächlich ähnlich wie unter dem Sozialistengesetz behandelt worden – nur, dass die Mitverant-<br />
wortlichen dafür ehemalige ParteigenossInnen waren. Zu solcherlei Strapazen sei Zietz‘ ständige<br />
„Ueberarbeit“ 2116 hinzugekommen, mittels der sie jedoch auch ein Beispiel dafür war, „was eine<br />
Frau an Hingabe für ein großes Ziel zu leisten vermag“ 2117 . Laut Wurm war es<br />
„ein nach außen <strong>und</strong> innen stark <strong>und</strong> geschlossen dastehendes, international verb<strong>und</strong>enes<br />
Proletariat, in dem Mann <strong>und</strong> Weib gemeinsam arbeiten <strong>und</strong> kämpfen für<br />
die Befreiung der Arbeiterklasse, für die Befreiung der Menschheit“ 2118 ,<br />
für das Zietz gelebt habe, für das sie auch gestorben sei. Die „Einigung des Proletariats“, „seine<br />
ganze Einigung, ohne Unterschied der Richtung“ 2119 , habe sie sich ersehnt. Luise Zietz, die mit<br />
der ersten deutschen Republik „die Morgenröte einer neuen Zeit hatte aufziehen sehen“, hatte<br />
nicht sterben, sondern „mit aller Kraft auch die Sonne noch leuchten sehen“ 2120 wollen, die Sonne<br />
über einem sozialistischen Deutschland.<br />
Wie Zietz, so war auch Klara Wehmann (?-1915 / 56jährig) bereits seit Anfang der 1890er in der<br />
Arbeiterbewegung tätig. Die Mutter von zwei Söhnen gehörte in Leipzig zur Kerntruppe auf-<br />
geklärter Genossinnen <strong>und</strong> war Mitbegründerin <strong>und</strong> Förderin der dortigen proletarischen Frauen-<br />
bewegung. Geboren als „einfache[s] Volkskind“ 2121 , so vermutlich Zetkin in einem Nachruf, habe<br />
sie sich zu einer starken<br />
„eigengeprägten Persönlichkeit entwickelt, die Tiefe <strong>und</strong> Zartheit des Empfindens<br />
mit klarem Blick, selbständigem Urteil <strong>und</strong> leidenschaftlichem, zähem Wollen<br />
vereinigte“ 2122 [Hervorhebungen von M.S.].<br />
Wehmann habe für den Sozialismus „mit glühender Begeisterung, klarem Zielbewußtsein <strong>und</strong> nie<br />
versagender, selbstloser Opferfreudigkeit“ 2123 gekämpft <strong>und</strong> sich dabei immer auch einen kri-<br />
tischen Geist bewahrt, der vieles hinterfragte:<br />
2116 Ebd.<br />
2117 Ebd.<br />
2118 Ebd.<br />
2119 Ebd.<br />
2120 Ebd.<br />
„ihr Leben <strong>und</strong> ihr Wirken [wurde] nicht von Meinungen regiert, die wie Rohr im<br />
Winde der Ereignisse <strong>und</strong> Stimmungen hin- <strong>und</strong> herschwanken, es war der Ausdruck<br />
einer stark gewurzelten Überzeugung, die kraftvolle Schößlinge, Blüten <strong>und</strong><br />
Früchte trieb“ 2124 .<br />
2121 Genossin Clara Wehmann – Leipzig †. In: GL, 25/ 23/ 06.08.1915/ 153.<br />
2122 Ebd.<br />
2123 Ebd.<br />
610
4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />
Wehmann, die zu dieser Zeit durch ein Herzleiden bereits bettlägerig war, war eine kritische<br />
Beobachterin des Ersten Weltkrieges <strong>und</strong> die Briefe, die sie aus dieser Beobachtung heraus der<br />
„Gleichheit“-Redaktion zukommen ließ, seien „herzerfrischende Bekenntnisse sozialistischer Auf-<br />
fassung“ 2125 gewesen. Wenn Zetkin urteilte, dass Wehmann „mit Leib <strong>und</strong> Seele Sozialistin“ 2126<br />
war, so ist davon auszugehen, dass sie der Opposition angehörte <strong>und</strong> die „Gleichheit“ in ihrer<br />
Haltung gegen SPD-Vorstand <strong>und</strong> Krieg unterstützte.<br />
Aber war es angesichts des Krieges <strong>und</strong> seiner zahllosen Opfer nicht sehr vermessen, einer<br />
einzelnen verstorbenen Sozialistin zu gedenken? Zetkin begründete diese Unerlässlichkeit so:<br />
„Das Proletariat darf <strong>und</strong> kann über den Massengräbern der Seinigen, die der Weltkrieg<br />
füllt, nicht den bescheidenen Einzelhügel vergessen, der ein Herz deckt, das<br />
bis zur letzten Minute für die Sache der Menschheitsbefreiung schlug, unter dem<br />
ein Wille zur Ruhe gekommen ist, der selbstlose Hingabe an dies große Ziel befahl.“<br />
2127<br />
Jene selbstlose Hingabe wurde in einem weiteren, vermutlich von Käte Duncker verfassten,<br />
Artikel beschrieben.<br />
1893 wurde Wehmann Mitarbeiterin im Leipziger Frauenbildungsverein, der jedoch schon 1894<br />
verboten wurde. Sie gründete <strong>und</strong> leitete von 1900 bis zu seiner Verschmelzung mit der<br />
Organisation der männlichen SPD-Mitglieder den „Verein der Frauen <strong>und</strong> Mädchen der Arbeiter-<br />
klasse“. Wehmanns Engagement war es zu verdanken, dass die Diskussions- <strong>und</strong> Leseabende der<br />
Leipziger Sozialdemokratinnen <strong>und</strong> auch die unentgeltliche Lieferung der „Gleichheit“ erhalten<br />
nach jener Verschmelzung beibehalten wurden. Dies um, wie Duncker meint, den Frauen <strong>und</strong><br />
Mädchen „die ihrer <strong>weiblichen</strong> Eigenart entsprechende Durchbildungsmöglichkeit“ 2128 zu gewähr-<br />
leisten. Damit ist hier einer derjenigen Fälle dokumentiert, in denen die Frauenleseabende trotz<br />
gemischtgeschlechtlicher Organisationsstrukturen nach 1908 nicht eingestellt wurden. Wehmann<br />
war bis in ihr letztes Lebensjahr hinein für diese Frauenleseabend, die Jugendbewegung <strong>und</strong> in<br />
der Leitung einer Bibliothek tätig. Außerdem leitete sie bis zur seiner Verschmelzung mit dem<br />
Schneiderverband den Leipziger Wäscherverband.<br />
Mehrfach wurde Wehmann zu Versammlungen <strong>und</strong> Konferenzen delegiert. Sie, die über einen<br />
„klare[n] Verstand <strong>und</strong> ernste Gründlichkeit“ 2129 verfügte, habe fortwährend an sich <strong>und</strong> ihrer<br />
Weiterbildung gearbeitet <strong>und</strong> war Teilnehmerin verschiedener Bildungs- <strong>und</strong> Unterrichtskurse.<br />
2124 Ebd.<br />
2125 Ebd.<br />
2126 Ebd.<br />
2127 Ebd., S. 154.<br />
2128 [Duncker, Käte] K. D.: Klara Wehmann †. In: GL, 25/ 24/ 20.08.1915/ 161.<br />
2129 Ebd.<br />
611
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Und doch war Wehmann keine der öffentlich besonders herausragenden Führerinnen der prole-<br />
tarischen Frauenbewegung. Dafür gibt Duncker folgende Erklärung:<br />
„Und wenn es ihr nicht gegeben war, das Selbstdurchdachte <strong>und</strong> Erkannte in<br />
zündender, packender Rede anderen mitzuteilen, so hat sie dafür durch ihr schlichtes,<br />
klares Wort, durch ihr Beispiel, ihre Treue, ihre Ehrlichkeit, ihr echt solidarisches<br />
Handeln gewirkt.“ 2130<br />
Das rednerische Talent, das ihr zu fehlen schien, machte Wehmann demnach mit anderen idealen<br />
Charaktereigenschaften einer proletarischen Klassenkämpferin wieder wett. Durch diese Charak-<br />
terisierung wird ihr Tun für einfache Proletarierinnen außerdem umso nachvollziehbarer. In ihrer<br />
Zeit als Leiterin des Arbeiterinnenvereins habe Wehmann – immer im Dienst der Sache – „nichts<br />
Kleinliches, nichts Persönliches aufkommen [lassen,] […] wußte […] geschickt zu vermitteln <strong>und</strong><br />
auszugleichen“ 2131 . Nie habe sie den „Fehler so mancher Vereinsleiter“ 2132 begangen <strong>und</strong><br />
Konkurrenz neben sich nicht ertragen können. Stattdessen habe sie sich „über jede junge Kraft<br />
[gefreut] <strong>und</strong> suchte sie zu fördern“ 2133 .<br />
Schließlich verfasste Duncker, das Vorbild Wehmanns vor Augen, eine Definition für die ideale<br />
sozialistische Klassenkämpferin:<br />
„Ihr [Wehmann; M.S.] war der Sozialismus nicht nur Gefühlssache, nicht nur<br />
Erkenntnis, er war ihr beides: er war ihr Weltanschauung, Glauben, Religion, die<br />
ihr ganzes Leben durchdrang. Sie bekannte ihn nicht nur, sie lebte ihn, auch daheim<br />
in ihrer Familie, in der Erziehung der Söhne, im Getriebe des Alltags.“ 2134<br />
Diese ideale sozialistische Gesinnung einer Frau lehnte die Gefühlskomponente wie in einigen<br />
anderen „Gleichheit“-Artikeln beschrieben nicht ab, sondern erkannte sie als Beweggr<strong>und</strong> poli-<br />
tischen Engagements an. Doch Wehmann habe es nicht allein dabei belassen: „Lieber kämpfend<br />
sterben, als tatenlos dahinvegetieren, das war ihre Losung.“ 2135<br />
Wehmann – „ein tüchtiger, aufrechter Mensch“ 2136 – sei zudem eine „liebevolle Gattin“ 2137 ge-<br />
wesen, die ihr Ehemann „auf Händen trug“ 2138 , eine „aufopfernde Mutter“ 2139 , die ihren Söhnen<br />
auch Fre<strong>und</strong>in war, „eine tapfere Genossin <strong>und</strong> Kämpferin“ 2140 . Der Weltkrieg allerdings habe der<br />
2130 Ebd.<br />
2131 Ebd.<br />
2132 Ebd.<br />
2133 Ebd.<br />
2134 Ebd.<br />
2135 Ebd.<br />
2136 Ebd.<br />
2137 Ebd.<br />
2138 Ebd.<br />
2139 Ebd.<br />
2140 Ebd.<br />
612
4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />
herzleidenden Wehmann „den letzten Stoß gegeben“ 2141 . Denn nicht nur, dass sie sich um die im<br />
Feld stehenden Söhne sorgen musste, auch die Verwirrung in der Partei traf sie schwer. Ihr Herz,<br />
so Duncker, „schlug immer leiser <strong>und</strong> leiser, bis es endlich stehen blieb“ 2142 . Es ist ihre prinzipien-<br />
treue Haltung, die Duncker nochmals besonders herausstellt <strong>und</strong> die Wehmann auch in schweren<br />
Zeiten bewahrt habe:<br />
„Und wenn sie auch materielle Sorgen <strong>und</strong> trübe Tage genug erlebt hat, sie war<br />
doch reich, reich durch den Besitz eines Zukunftsglaubens[,] einer Aufgabe, für die<br />
es sich zu leben lohnt. Und sie ist sich bis zuletzt treu geblieben! Sie hat nicht<br />
umgelernt, nicht wie so viele andere verbrannt, was sie früher anbeteten, <strong>und</strong> angebetet,<br />
was sie früher verbrannten. Sie blieb ihrem Ideal, dem Gedanken der<br />
Menschheitsbefreiung <strong>und</strong> Menschheitsverbrüderung auch treu unter den Erschütterungen<br />
des Weltkriegs, treu bis zum Tod. Es sind nicht viele, an deren Grab man<br />
das wird sagen können.“ 2143<br />
Bereits ein Jahr nach Kriegsbeginn formulierte Duncker hier mit einer sehr deutlichen Sprache<br />
ihre Vorwürfe in Richtung der zukünftigen Mehrheitssozialdemokratie <strong>und</strong> der Gewerkschaften.<br />
Die gewerkschaftliche Organisierung der Arbeiterinnen war Tätigkeitsfeld Wilhelmine Kählers,<br />
der Verfasserin des folgenden Nachrufes, <strong>und</strong> Paula Thiedes (1870-1919), die einer Krebs-<br />
erkrankung erlag. Anfang der 1890er Jahre hatte Kähler Thiede auf einer Berliner Konferenz zur<br />
Intensivierung der Frauenagitation kennengelernt. Thiede engagierte sich vor allem in der<br />
Agitation unter den Buchdruckereihilfsarbeitern <strong>und</strong> -arbeiterinnen. Sie baute deren Zentral-<br />
verband auf <strong>und</strong> stand bald selbst an dessen Spitze. 2144 Mit Tatkraft, Berufskenntnis <strong>und</strong> Witz habe<br />
sie sich erfolgreich für Lohnerhöhungen eingesetzt, war Teilnehmerin <strong>und</strong> geschickte Leiterin der<br />
Generalversammlungen ihres Verbandes. Jedoch sei Thiede nicht nur eine tüchtige Kraft, sondern<br />
auch ein „prachtvoller Mensch“ 2145 <strong>und</strong> eine enge Fre<strong>und</strong>in Emma Ihrers gewesen.<br />
Der Tod ihrer Mitarbeiterin Hanna Lewin-Dorsch (?-1911) erschütterte die „Gleichheit“-<br />
Redaktion merklich. Die Nachricht von ihrem Tod durch ein schweres Hirnleiden kam für sie<br />
„unerwartet wie der Dieb in der Nacht“ 2146 . Zetkin verlor mit Lewin-Dorsch, die vor allem kultur-<br />
historische Artikel für die Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ verfasst hatte,<br />
2141 Ebd.<br />
2142 Ebd.<br />
2143 Ebd.<br />
2144 Kähler, Wilhelmine: Paula Thiede †. In: GL, 29/ 13/ 28.03.1919/ 100. Auffällig an dem Nachruf ist, dass er in<br />
größerem Zeilenabstand gedruckt <strong>und</strong> damit besonders hervorgehoben wurde.<br />
2145 Ebd.<br />
2146 Hannah Lewin-Dorsch †. In: GL, 21/ 23/ 14.08.1911/ 362.<br />
613
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
„eine vorzügliche Mitarbeiterin von weitfassender gründlicher Bildung, treuer<br />
Gewissenhaftigkeit, brennendem Eifer <strong>und</strong> großem Talent“ 2147 .<br />
Aus gut bürgerlicher, orthodox protestantischer Familien stammend, sei Lewin-Dorsch eine der<br />
„reifsten <strong>und</strong> tüchtigsten Trägerinnen“ der proletarischen Frauenbewegung geworden. Auch wenn<br />
ihr diese Entwicklung „nicht an der Wiege gesungen worden“ war, so spielte ihre Familien-<br />
herkunft dabei doch keine unwesentliche Rolle. Vielmehr habe zu der Entwicklung, „daß sie eines<br />
Tages als leidenschaftliche Bekennerin des wissenschaftlichen, des revolutionären Sozialismus für<br />
das kämpfende Proletariat wirken sollte“, sehr beigetragen, dass „in ihren Adern […][das] Re-<br />
bellenblut“ 2148 ihres Großvaters „pulsierte“ 2149 , der ein 1848er-Revolutionär gewesen war. Ein<br />
glühender, fanatischer Wahrheitsdrang habe sie erst auf „verschlungenen <strong>und</strong> oft recht dornigen<br />
Pfaden“ 2150 gehen lassen. Doch schließlich habe sie sich immer, so Zetkin,<br />
„mit schweren Kämpfen […] die einheitliche <strong>und</strong> harmonische Weltanschauung<br />
erkauft, nach der ihr auf philosophisches Durchdringen gerichteter Geist verlangte,<br />
wie auch die persönliche Selbständigkeit, die für ihren stolzen, aufrechten Sinn<br />
Lebensluft war“ 2151 .<br />
Es ist die Begeisterung für die Wissenschaft, die Zetkin den „Gleichheit“-Leserinnen hier in<br />
besonders bewegenden Worten zu vermitteln versuchte. Lewin-Dorsch habe aber nicht nur ein<br />
wissenschaftliches, sondern auch ein künstlerisches Talent besessen. Und es seien „Talent <strong>und</strong><br />
Hingabe“ 2152 gewesen, die ihr eine angesehene Stellung als Krankenschwester eingebracht hätten,<br />
welche sie aber zusammen mit ihrem Kirchenglauben aufgab. Sie entwickelte sich zur Anhängerin<br />
des Monismus 2153 , zur Freidenkerin, <strong>und</strong> unterhielt einen fre<strong>und</strong>schaftlichen Kontakt zu dem<br />
Botaniker <strong>und</strong> Darwinisten Arnold Dodel-Port. Schließlich wurde sie Dodels Pflegerin, Beraterin<br />
<strong>und</strong> Schülerin. 2154 Er vermittelte ihr erste Kenntnisse vom Sozialismus, die Lewin-Dorsch<br />
2147 Ebd.<br />
2148 Ebd.<br />
2149 Ebd.<br />
2150 Ebd.<br />
2151 Ebd.<br />
2152 Ebd.<br />
2153 Der Monismus als „Alleinheitslehre“ erklärt die Entstehung der Welt aus einem Prinzip, einem Stoff, einer<br />
Substanz. Um 1900 war der Monismus eine weitverbreitete Art Religionsersatz. 1906 wurde in Jena der Monistenb<strong>und</strong><br />
gegründet, der sich auf die Alleingültigkeit der Naturgesetze berief <strong>und</strong> der nach dem Ersten Weltkrieg vor<br />
allem sozialistische <strong>und</strong> pazifistische Denkströmungen vertrat.<br />
2154 Wie einem 11. August 1911 verfassten Brief der schweizerischen Sozialistin Margarethe Faas-Hardegger an den<br />
deutschen Anarchisten Erich Mühsam zu entnehmen ist, war Lewin-Dorsch Dodels Sekretärin (vgl. http://www.margarethe-hardegger.ch/Q_hardegger_muehsam.<br />
Die auf dieser Webseite publizierten Briefe Hardeggers sind<br />
Quellmaterial für die von Regula Bochsler veröffentlichte Biographie „Ich folgte meinem Stern. Das kämpferische<br />
Leben der Margarethe Hardegger“ (2004)) Gemeinsam mit ihm veröffentlichte sie 1907 die Schrift „Eine neue<br />
Reformation von Christentum zum Monismus“. Faas-Hardegger <strong>und</strong> Mühsam standen jedoch vor allem in Kontakt<br />
mit Eugen Lewin, dem Eheman Lewin-Dorschs, der als politischer Schriftsteller wirkte <strong>und</strong> einen Nachruf auf<br />
Dodel für die „Gleichheit“ verfasste (vgl. Lewin, Eugen: Arnold Dodel. Zu seinem Todestag, 11. April 1908. In:<br />
GL, 19/ 14/ 12.04.1908/ 210).<br />
614
selbständig vertiefte:<br />
4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />
„Ihrem auf Klarheit, Folgerichtigkeit <strong>und</strong> Einheitlichkeit gestimmten Wesen genügte<br />
der gefühlsmäßige Sozialismus nicht, es forderte eine fest f<strong>und</strong>ierte wissenschaftliche<br />
Erkenntnis.“ 2155<br />
Mit der Vertiefung in die Materie, sei die Offenbarung gekommen <strong>und</strong> schließlich, so Zetkin,<br />
wurde Lewin-Dorsch „[d]ie materialistische Geschichtsauffassung […] der Schlüssel zum Ver-<br />
ständnis der treibenden Kräfte <strong>und</strong> Zusammenhänge der Menschheitsgeschichte“ 2156 . Dieser<br />
Entwicklung schloss sich ein Studium der Naturwissenschaften, dann der Gesellschafts-<br />
wissenschaften <strong>und</strong> der Geschichte an der Züricher Universität an. Bereits zu dieser Zeit begann<br />
Lewin-Dorsch Werke für die Massen zu verfassen. Sie wurde Mitarbeiterin der „Gleichheit“, der<br />
„Arbeiter-Jugend“ <strong>und</strong> anderer deutscher <strong>und</strong> österreichischer Parteiblätter.<br />
Diese erfolgreiche berufliche Entwicklung fand ihre Ergänzung darin, dass Lewin-Dorsch einen<br />
Lebensgefährten fand, „der eins war in der Gesinnung, eins im leidenschaftlichen Ringen um<br />
Erkenntnis <strong>und</strong> Tat“ 2157 . Mit der Geburt einer Tochter habe sich auch ihre „lange heimlich ersehnte<br />
Seligkeit der Mutterschaft“ 2158 erfüllt – dies jedoch nur einen Monat vor ihrem Tod. 2159 Lewin-<br />
Dorsch hatte die Absicht, im Winter 1911 ihre Doktorarbeit abzuschließen, doch nun musste mit<br />
ihr nicht nur „eine teure, unvergeßliche Fre<strong>und</strong>in eingesargt“ 2160 werden, sondern, so Zetkin, auch<br />
„viele unserer liebsten Hoffnungen auf eine reiche Zukunftssaat, die der kämpfenden<br />
Arbeiterklasse reifen konnte“ 2161 .<br />
Eine weitere Akademikerin, die voll <strong>und</strong> ganz der Sache des Sozialismus anhing, war Hope<br />
Bridges Adams-Lehmann (1855-1916). Sie war eine der ersten Frauen, die nach einem<br />
erfolgreichen Medizinstudium tatsächlich auch in Deutschland als Ärztin praktizieren konnte. Sie<br />
habe es sich zum Lebensinhalt gemacht,<br />
„[z]u heilen, nicht bloß die Gebrechen <strong>und</strong> Schwächen des Körpers, vielmehr alle<br />
Mühsal, alle Übel, die Menschen bedrücken <strong>und</strong> zermürben können“ 2162 .<br />
Der Sozialismus sei Adams-Lehmann sowohl „Heiland“ 2163 als auch „große[r] Heiler“ 2164 gewesen.<br />
2155<br />
Hannah Lewin-Dorsch †. In: GL, 21/ 23/ 14.08.1911/ 362.<br />
2156<br />
Ebd., S. 363.<br />
2157<br />
Ebd.<br />
2158<br />
Ebd.<br />
2159<br />
Faas-Hardegger teilte Mühsam mit, dass Lewin-Dorsch bereits zwei Wochen nach der Geburt ihrer Tochter Rahel<br />
Susanne an einer Gehirnhautentzündung gestorben sei (vgl. http://www.margarethe-hardegger.ch/Q_hardegger_muehsam).<br />
2160<br />
Hannah Lewin-Dorsch †. In: GL, 21/ 23/ 14.08.1911/ 363.<br />
2161 Ebd.<br />
2162 Genossin Hope Bridges Adams-Lehmann †. In: GL, 27/ 02/ 27.10.1916/ 14.<br />
615
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Zudem war er ihr – der gebürtigen Engländerin – gleichbedeutend mit Internationalismus. Und so<br />
begann sie,<br />
„[d]ie Dinge <strong>und</strong> die Menschen für den internationalen Sozialismus vorzubereiten,<br />
jeden Keim liebevoll zu hegen <strong>und</strong> zu pflegen, der sich auf dieses Ziel gerichtet, zu<br />
entwickeln versprach: das war ihr Streben <strong>und</strong> Tun“ 2165 .<br />
Über dieses Streben <strong>und</strong> Tun habe sie jedoch nicht vergessen, „ganz Weib, ganz Mutter“ zu<br />
bleiben, denn „[d]ie stärkste Wurzel ihrer hohen, reinen Menschlichkeit [sei] gerade ihre Weib-<br />
lichkeit, ihre Mütterlichkeit“ 2166 gewesen. Alle Erschütterung legte Zetkin in die folgenden<br />
abschließenden Worte:<br />
„Ein Geist von seltener Klarheit <strong>und</strong> Durchbildung ist erloschen. Ein Herz von<br />
unerschöpflichem Reichtum <strong>und</strong> selbstlosester Hingabe hat aufgehört zu schlagen.<br />
Ein eiserner Wille zur Tat ist nicht mehr. Ein großer Mensch ist von uns gegangen,<br />
der sein Daseinsziel bewußt in dem gelebten Dichterwort erblickte: Mitzulieben<br />
bin ich da.“ 2167<br />
Adams-Lehmann vereinte demnach in Geist, Herz <strong>und</strong> Willen die Ideale einer bekennenden<br />
Sozialistin.<br />
Ursprünglich hatte diesem kurz gehaltenen Nachruf eine ausführlichere Würdigung folgen sollen.<br />
Doch erst fünf Jahre später erschien die Zusammenstellung dreier Artikel zum Leben dreier<br />
Vorkämpferinnen der proletarischen Frauenbewegung – Adams-Lehmann war eine davon. Die<br />
„Gleichheit“-Leserin erfährt nun, dass Adams-Lehmann „eine der berühmtesten <strong>und</strong> gesuchtesten<br />
Frauenärzte Deutschlands“ 2168 gewesen <strong>und</strong> dennoch „arm“ 2169 gestorben sei. Diese Armut, so<br />
Antonie Pfülf (1877-1933) 2170 , sei aber nicht Ergebnis einer Misswirtschaft oder eines Schicksals-<br />
schlages gewesen – es war gelebter Sozialismus:<br />
2163 Ebd.<br />
2164 Ebd.<br />
2165 Ebd.<br />
2166 Ebd.<br />
2167 Ebd.<br />
2168 Pfülf, Antonie: Dr. med. Hope Bridget Adams-Lehmann In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/<br />
61. Pfülf gibt hier den <strong>weiblichen</strong> Vornamen „Bridget“ an, korrekt ist aber der Familienname„Bridges“.<br />
2169 Ebd.<br />
2170 Antonie Pfülf wurde in Metz geboren. Sie stammte aus einer bayerischen Offiziersfamilie <strong>und</strong> absolvierte eine<br />
Ausbildung zur Lehrerin. Als solche arbeitete sie in verschiedenen Orten bis sie im April 1911 aus ges<strong>und</strong>heitlichen<br />
Gründen beurlaubt wurde. 1916-1919 arbeitete Pfülf als Lehrerin an einer privaten Höheren Mädchenschule<br />
<strong>und</strong> Frauenschule in München, außerdem auch als Armen- <strong>und</strong> Waisenpflegerin. Dort war sie nach der<br />
Novemberrevolution einziges weibliches Mitglied im Arbeiter- <strong>und</strong> Soldatenrat. Pfülf war Vorsitzende des B<strong>und</strong>es<br />
sozialistischer Frauen, Mitgründerin der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Lehrer <strong>und</strong> weiterer schulreformerischer<br />
Gremien. 1919 wurde sie in die Nationalversammlung gewählt, wo sie sich besonders für die Abschaffung<br />
des Lehrerinnenzölibats einsetzte. 1920-1933 war Pfülf Reichstagsabgeordnete. Sie befand sich von<br />
Beginn an im Widerstand gegen die NSDAP, da aber die Appelle an die eigene Partei nicht fruchteten, überkam<br />
sie eine so große Verzweiflung, dass sie sich 1933 das Leben nahm. Für die „Gleichheit“ verfasste sie vor allem<br />
im 30. Jahrgang mehrere Artikel u. a. zur Schulpolitik (vgl. GL, 30/ 21/ 22.05.1920/ 162).<br />
616
4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />
„Persönlich bedürfnislos, ließ sie alles, was sie über den Bedarf ihrer Familie<br />
hinaus verdiente, den großen allgemeinen Zwecken der Gesellschaft wieder zufließen.<br />
Und das geschah so selbstverständlich <strong>und</strong> unauffällig, daß wohl nie<br />
jemand ihren Namen in den Listen der großen Wohlfahrtsaktionen gelesen haben<br />
wird. So fern lag ihrem Wesen die Unkeuschheit persönlicher Wohltätigkeit.“<br />
2171<br />
Adams-Lehmann war demnach nicht nur ein „Genie des Herzens“ 2172 , sondern auch Vorbild für<br />
Bescheidenheit.<br />
Nie sei ihr, obwohl sie mit Operationen <strong>und</strong> Krankenbesuchen stark belastet war, der Beruf „zum<br />
Handwerk“ 2173 geworden. Außerdem fand sie immer Zeit, Artikel für die „Gleichheit“, wie auch<br />
für die „Neue Zeit“ <strong>und</strong> die „Sozialistischen Monatshefte“ zu verfassen. Sie stand in engem Kon-<br />
takt mit Bebel, Georg von Vollmar, Wilhelm Liebknecht, Zetkin, Viktor <strong>und</strong> Friedrich Adler. Mit<br />
ihrem Ehemann Carl Lehmann, der in einem französischen Feldlazarett an einer Blutvergiftung<br />
starb 2174 , habe sie eine sehr glückliche Ehe geführt. Wohl auch aus dieser Erfahrung heraus, galt<br />
ihr Engagement der, wie Pfülf schreibt, „Veredelung der erotischen Beziehungen“ 2175 , womit<br />
einerseits praktische Sexualaufklärungsarbeit, aber auch Thesen der „freien Liebe“ gemeint sein<br />
dürften. Adams-Lehmanns engagierte sich für die Abschaffung des § 218 <strong>und</strong> führte selbst<br />
Schwangerschaftsabbrüche durch. Denn, so Pfülf, es habe „[k]ein Strafgesetzparagraph ver-<br />
m[ocht,] sie davon abzuhalten, auch in ihrer ärztlichen Praxis zu tun, was ihr soziales Gewissen<br />
ihr vorschr[ieb]“ 2176 . Adams-Lehmann strebte den Bau eines großen Frauenheims <strong>und</strong> die Ein-<br />
richtung von Versuchskindergärten an.<br />
In England geboren, war Adams-Lehmann aber mit den Jahren ganz <strong>und</strong> gar Münchnerin<br />
geworden. Im Oktober 1914 – also nur wenige Monate nach der deutschen Kriegserklärung –<br />
reiste sie deshalb auch nicht mithilfe eines falschen Passes nach England, um sich dort<br />
niederzulassen, sondern um sich mit englischen Sozialisten wie Ramsay Mac Donald zu be-<br />
sprechen. Erst im Januar 1915 kehrte sie zurück <strong>und</strong> verfasste anschließend die Schrift „Kriegs-<br />
gegner in England“ (1915). In dieser beschwor sie den internationalen Geist der sozialistischen<br />
Internationale <strong>und</strong> ihren Friedenswillen. Pfülf erachtete es als „[e]in gütiges Geschick“ 2177 , dass<br />
2171 Ebd.<br />
2172 Ebd.<br />
2173 Ebd.<br />
2174 Vgl. Genossin Hope Bridges Adams-Lehmann †. In: GL, 27/ 02/ 27.10.1916/ 14.<br />
2175 Pfülf, Antonie: Dr. med. Hope Bridget Adams-Lehmann. In: Unsere Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/<br />
62. Diese Seite zeigt ein Porträt Adams-Lehmanns, das im Anhang enthalten ist.<br />
2176 Ebd.<br />
2177 Ebd.<br />
617
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Adams-Lehmann durch ein Lungenleiden davor bewahrt geworden sei, „diesen Frieden“ 2178<br />
in Form des Versailler Vertrages mitzuerleben.<br />
Der Dichterin Klara Müller-Jahnke (1861-1905) kommt mehr durch ihre Präsenz in der<br />
„Gleichheit“ als durch eine Führungsposition Bedeutung für die proletarische Frauenbewegung<br />
zu. Zetkin schätzte Müller-Jahnke sehr <strong>und</strong> verfasste anlässlich der Veröffentlichung ihres<br />
Gedichtbandes „Mit rothen Kressen“ (1899), der von „glühende[m] Freiheitssehnen[…]“ 2179<br />
erfüllt sei, eine biographische Skizze. Es ist vor allem der darin dominierende Duktus , der das<br />
Leben der damals noch unverheirateten Klara Müller im Gegensatz zu mancher anderen sozialis-<br />
tischen Schriftstellerin als das einer Klassenkämpferin charakterisieren lässt. Unverkennbar sind<br />
in dieser Skizze jedoch auch jene Elemente enthalten, die einen „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ aus-<br />
zeichnen:<br />
„Die große Sehnsucht unserer Zeit, die bewußt oder unbewußt in Millionen Herzen<br />
brennt, die Sehnsucht nach dem freien Ausleben der Persönlichkeit blickt uns mit<br />
heißen Augen von allen Seiten des Buches entgegen. Mit zwiefacher Gewalt mußte<br />
sie Besitz von der Verfasserin Seele ergreifen: als Weib <strong>und</strong> als mit dem Hirn pflügende<br />
Proletarierin hat Klara Müllers kraftvolle Eigenart im Leben die Schwere<br />
lastender Ketten empf<strong>und</strong>en.“ 2180<br />
Müller-Jahnkes „Sehnsuchtsschrei […] nach Freiheit [sei] der Sehnsuchtsschrei zweier Klassen:<br />
des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts <strong>und</strong> des Proletariats“ 2181 . Sie war Frau <strong>und</strong> Proletarierin, ihr Schicksal<br />
kein Einzelschicksal, sondern, so Zetkin, „ein Stück modernes Menschenschicksal“ 2182 . In dieses<br />
Schicksal gab die „Gleichheit“-Redakteurin ihren Leserinnen einen Einblick.<br />
Müller-Jahnke wurde im pommerischen Leuzen als Tochter eines Pastoren <strong>und</strong> Enkelin eines<br />
Schäfers geboren. Gerade der Beruf des Großvaters habe in Müller-Jahnke den Gr<strong>und</strong>stein für ihr<br />
naturnahes Empfinden gelegt <strong>und</strong> sei verantwortlich dafür, dass sie den Einfluss kleinbürgerlicher<br />
Lebensverhältnisse schnell „abgeschüttelt“ 2183 habe. Sie sei keine „wild gewordene ‘höhere<br />
Tochter’“ 2184 , keine „bildungsprotzige, schöngeisternde Spießbürgerin“ 2185 gewesen, sondern ein<br />
2178 Ebd.<br />
„Kind des Volkes, das die moderne Kultur mit allen Poren eingesogen hat, <strong>und</strong> das<br />
in urwüchsigem Rebellentrotz, der gesellschaftlichen Vorurtheile <strong>und</strong> Schranken<br />
2179 Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. In: GL, 09/ 06/ 15.03.1899/ 44.<br />
2180 Ebd.<br />
2181 Ebd.<br />
2182 Ebd.<br />
2183 Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. In: GL, 09/ 06/ 15.03.1899/ 45.<br />
2184 Ebd.<br />
2185 Ebd.<br />
618
4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />
lachend, sein eigenes Leben lebt <strong>und</strong> nach Freiheit <strong>und</strong> Glück ringt“ 2186 .<br />
Wenn auch das Elternhaus anfangs einen religiösen Einfluss auf sie genommen hatte, so machte<br />
sich ihre Selbstbefreiung von dieser belastenden Tradition vor allem in ihren Gedichten „Ich sah<br />
das Weib“ <strong>und</strong> „Der Heiland“ bemerkbar. Müller-Jahnke, so Zetkin, sei „eine innerlich Freie“ 2187<br />
geworden.<br />
Als Müller-Jahnke zwölf Jahre alt war, starb ihr Vater. Dies führte dazu, dass sie in eine „that-<br />
sächlich proletarische Existenz geschleudert“ 2188 wurde. Zusammen mit der Mutter <strong>und</strong> einer<br />
jüngeren Schwester siedelte Müller-Jahnke nach Belgard (Pommern) über, wo sie als 14-jährige<br />
Sprachunterricht bekam während sie gleichzeitig Privatunterricht gab – die Lernende wurde ge-<br />
zwungenermaßen zur Lehrenden. 1877 wurde sie Schülerin an der Berliner Handelsschule, nach<br />
deren Abschluss sie als Buchhalterin in einer Tapetenfabrik arbeitete. Der auf ihr lastende, „blei-<br />
schwere[…] Druck der proletarischen Existenz“ sei umso größer gewesen, da Müller-Jahnke ihn<br />
„<strong>und</strong> alles, was ihr das Leben vorenthielt“ 2189 mit „verfeinerten Sinnen, mit wachem Geiste, im<br />
klaren bohrenden Bewußstein“ 2190 wahrgenommen habe. Aus dieser feinen Wahrnehmung er-<br />
wuchs ihr demnach das Verständnis für die proletarische Klassenlage <strong>und</strong> den Klassenkampf.<br />
Eine „[h]ochgradige Bleichsucht“ 2191 zwang sie, ihre Anstellung in der Tapetenfabrik aufzugeben<br />
<strong>und</strong> zu ihrer Mutter zurückzukehren. Dort gab sie erneut Privatunterricht <strong>und</strong> übernahm schließ-<br />
lich in Kolberg, in das sie <strong>und</strong> ihre Mutter 1884 übersiedelten, eine Vertretung an der Volksschule.<br />
1889 erhielt Müller-Jahnke eine Stellung in der Redaktion der „Zeitung für Pommern“<br />
(1852[?]-?). Zwar war dies ein liberales Blatt, doch ihrem „Sehnsuchtsruf nach freiem, vollem<br />
Menschenthum“ habe die Dichterin dort keinen Ausdruck verleihen können. Diese Stellung be-<br />
kleidete sie aber auch noch in jenem Jahr, in welchem Zetkin diesen Artikel über sie verfasste. 2192<br />
Mit einer merklichen Euphorie beurteilte Zetkin das schriftstellerische Werk Müller-Jahnkes.<br />
Auch die sentimentale, ja „tendenziös[e]“ 2193 Färbung der Gedichte erachtete Zetkin nicht als<br />
Mangel, sondern begrüßte die Art <strong>und</strong> Weise, in der Empfindungen, Gedanken <strong>und</strong> Hoffnungen in<br />
ihnen ausgedrückt wurden. Seien es doch „nicht müdes Entsagen, sondern trotzige[r] Kampf“ 2194<br />
2186 Ebd.<br />
2187 Ebd.<br />
2188<br />
Ebd.<br />
2189<br />
Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. In: GL, 09/ 06/ 15.03.1899/ 46.<br />
2190<br />
Ebd.<br />
2191<br />
Ebd.<br />
2192<br />
Mit zwei Ausrufezeichen hob die Redakteurin der „Gleichheit“ hervor, dass Müller-Jahnke dort lediglich 55 Mark<br />
im Monat verdiente (vgl. ebd.).<br />
2193 Ebd., S. 44.<br />
2194 Ebd.<br />
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ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
<strong>und</strong> „lichtvolle Zuversicht“ 2195 , die sie predigten. Sie bestätigte Müller-Jahnke ein besonderes<br />
„[k]ünstlerisches Empfindungs- <strong>und</strong> Schaffensvermögen“ 2196 , eine überdurchschnittliche Bega-<br />
bung <strong>und</strong> Können.<br />
In ihrer Werksanalyse kam Zetkin zu dem Urteil, dass Müller-Jahnkes Sprache „der Reiz des Per-<br />
sönlichen“ 2197 eigen sei. Sie sei „weder schwatzschweifig, noch süßlich“ 2198 wie die anderer<br />
dichtender Frauen, „sondern markig, gedrungen, biegsam <strong>und</strong> scharf wie guter Stahl, der Funken<br />
schlägt“ 2199 . Ihre Werke verkörperten ein „sonnensehnsüchtige[s] Menschenthum[…]“ 2200 . Laut<br />
der begeisterten Kunstkritikerin Zetkin verlieh Müller-Jahnkes „feines künstlerisches Gestaltungs-<br />
vermögen […] der Wahrheit den Zauberreiz der Dichtung“ 2201 <strong>und</strong> ihr glühendes Verlangen<br />
hauch[e] der Dichtung die Kraft der Wahrheit ein“ 2202 . Eben jenes sind die besonderen Möglich-<br />
keiten der Dichtung, denn Träume <strong>und</strong> Utopien – <strong>und</strong> damit auch andere Formen von Vorbildern –<br />
können für die Realität wegweisend sein.<br />
Es wurde schließlich besonders Müller-Jahnkes Gespür für die Sache der Frau hervorgehoben. Sie<br />
habe diese in Gedichten vertreten, ohne jedoch das Wort „Frauenrechte“ zu gebrauchen:<br />
„Aber ein so durchaus individuelles Gepräge die Gedichte tragen, so typisch sind<br />
sie gleichzeitig für modernes Frauenleben <strong>und</strong> Frauenverlangen. Ein Leiden, Genießen,<br />
Ringen <strong>und</strong> Sehnen reckt in ihnen die Glieder, das Bein vom Bein, Fleisch<br />
vom Fleisch Tausender von Frauen in unseren Tagen ist. Kein einziges Schlagwort<br />
von Frauenrechten fällt, <strong>und</strong> doch klingt aus dem Bändchen Gedichte [„Mit rothen<br />
Kressen“; M.S.] vernehmlich der sehnsuchtsschwere Schrei nach dem Rechte der<br />
Frau, sich als Persönlichkeit frei zu entfalten <strong>und</strong> auszuleben. Dieser Gr<strong>und</strong>ton<br />
macht es erklärlich, daß die inbrünstig Verlangende, die Pfadsucherin, die uns die<br />
Verse zeigen, im Ringen um ihr Glück <strong>und</strong> tiefen, vielseitigen Lebensinhalt zur<br />
trotzigen Rebellin wird wider den bürgerlichen Moralkodex, zur Kämpferin für<br />
soziale Freiheit. –“ 2203<br />
Diese Kritik Zetkins, die selten besonders überschwänglich lobte, wirkt sehr eigentümlich. Doch<br />
hier scheint Zetkin wirklich persönlich berührt. Es lässt sich vermuten, dass diese<br />
Überschwänglichkeit direkt oder indirekt damit zusammenhängt, dass sie in jenem Jahr – 1899 –<br />
ihren zukünftigen Ehemann, den 18 Jahre jüngeren Kunstmaler Georg Friedrich Z<strong>und</strong>el, kennen-<br />
lernte. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, wurde nicht nur Müller-Jahnke, sondern auch Zetkin<br />
zur „trotzigen Rebellin wider den bürgerlichen Moralkodex“.<br />
2195 Ebd.<br />
2196 Ebd.<br />
2197 Ebd.<br />
2198 Ebd.<br />
2199 Ebd.<br />
2200 Ebd.<br />
2201 Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. (Fortsetzung statt Schluß.). In: GL, 09/ 07/ 29.03.1899/ 52.<br />
2202 Ebd.<br />
2203 Ebd.<br />
620
4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />
Diese Interpretation weiterverfolgend, ist Zetkins kunstkritische Rezension nicht nur als ein Auf-<br />
begehren gegen die bürgerliche Moral zu sehen, sondern auch als ein Aufbegehren gegen das<br />
Älterwerden. So schrieb sie:<br />
„Mit geradzu elementarer Wucht, der konventionellen Heuchelei spottend, bäumt<br />
sich in diesen kraftvollen Versen das tiefste Sehnen des Weibes auf wieder das<br />
drohende Welken <strong>und</strong> Verkümmern der ‘alten Jungfernschaft’, fordert es gebieterisch<br />
das Recht auf Liebe, das Recht auf Fortdauer in der Ewigkeit einander<br />
ablösender Geschlechter.“ 2204<br />
Müller-Jahnke scheint demnach zu diesem Zeitpunkt noch kinderlos gewesen zu sein <strong>und</strong> machte<br />
ihre Hoffnung auf Liebe <strong>und</strong> Mutterschaft zum Thema ihrer Werke. Ein Thema, das in der Frauen-<br />
lyrik jener Zeit häufig behandelt wurde. Allerdings, so Zetkin, unterschieden sich die dichte-<br />
rischen Darstellungen Müller-Jahnkes<br />
„durch ihre Kühnheit <strong>und</strong> Leidenschaft sehr günstig von dem süßlichen, himmelblau<br />
<strong>und</strong> rosenrothen Gesäusle der landläufigen Frauenlyrik […]. Dort verlogene,<br />
unges<strong>und</strong>e Empfindelei, hier warmes, wildes, starkes Leben“ 2205 .<br />
Es sei Lebensfreude <strong>und</strong> „das leidenschaftliche Verlangen, die überquellende Fülle zärtlicher<br />
Liebe über ein theures Kindeshaupt zu schütten“ 2206 , das aus ihren Werken spreche. Die zu diesem<br />
tiefen Muttergefühl verfassten Verse gehören laut dem Urteil Zetkins „zu dem Reifsten, Groß-<br />
zügigsten <strong>und</strong> künstlerisch Vollendetsten“ 2207 , was Müller-Jahnke mit ihren Gedichten ihren Lese-<br />
rinnen geboten habe.<br />
Und doch sei es nicht nur der „Sehnsuchtslaut des Weibes nach Liebes- <strong>und</strong> Mutterglück“ 2208 , der<br />
aus Müller-Jahnkes Gedichten töne, sondern auch<br />
„der Empörungsruf des Menschen, auf dessen Blüthendrang der tödtliche Frost des<br />
Vorurtheils, der gesellschaftlichen Einrichtungen, vor Allem aber der Armuth<br />
fällt“ 2209 .<br />
Den Argumenten ihrer heutigen KritikerInnen, die in Zetkin nur die Propagandistin einer<br />
„proletarischen Gebärerin“ 2210 sehen wollen, widerspricht es, wenn sich diese in ihrem Artikel<br />
dafür aussprach, dass „[g]ewiß […] das ‘Ewig Weibliche’ etwas ewig Menschliches im Leben der<br />
Frau [sei], aber […] nicht der einzige, der ganze Inhalt ihrer Persönlichkeit“ 2211 . Zetkin plädierte<br />
2204 Ebd., S. 54.<br />
2205 Ebd., S. 52.<br />
2206 Ebd., S. 53.<br />
2207 Ebd.<br />
2208 Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. (Schluß.). In: GL, 09/ 08/ 12.04.1899/ 60.<br />
2209 Ebd.<br />
2210 So der Titel eines Unterkapitels in der Zetkin-Biographie Puschnerats (vgl. Puschnerat, Clara Zetkin –<br />
Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus, S. 140).<br />
2211 Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. (Schluß.). In: GL, 09/ 08/ 12.04.1899/ 60.<br />
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ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
hier deutlich für eine umfassende Entfaltung der <strong>weiblichen</strong> Persönlichkeit.<br />
Eine Entfaltung, die Müller-Jahnke selbst sehr schwer gemacht wurde. Der Erwerbszwang habe<br />
sie in den „ausgetretenen Bahnen einer engen Berufsbildung“ 2212 gehalten <strong>und</strong> ihre nächste Umge-<br />
bung habe weder Verständnis noch „Mitgefühl für das Suchen <strong>und</strong> Fehlen, für das Kämpfen,<br />
Unterliegen, Wiedererheben <strong>und</strong> rastlose Vorwärtshasten <strong>und</strong> Vorwärtstasten“ 2213 der jungen<br />
Dichterin gehabt. Ihr Versuch, ihr „eigenes Leben leben zu wollen, die konventionelle Heuchelei<br />
preiszugeben, um etliche Strahlen persönlichen Glücks zu erhaschen“ 2214 wurde verurteilt. Diese<br />
repressive Situation scheint Müller-Jahnke in eine tiefe Krise geworfen zu haben, denn Zetkin<br />
schrieb, sie habe „[v]or des Daseins Jammer […] in den Schlaf, […] in den Tod flüchten“ 2215<br />
wollen. Diesen Plan einer „feige[n], poetisch verklärte[n] Weltflucht“ 2216 habe jedoch ihre<br />
„Lebensfrische <strong>und</strong> Strebensfreude“ 2217 vereiteln können. Auch sei ihr ihre Dichtkunst „kein Nar-<br />
kotikum [gewesen], das von den Kämpfen unserer Tage in das Reich einer traumseligen Schönheit<br />
entrückt“ 2218 . Vielmehr habe Müller-Jahnke immer auch „den Kampfesgehalt der Zeit“ 2219 in ihre<br />
Werke hineingenommen. Sie habe eine starke Eigenart bewiesen, trotz <strong>und</strong> wegen der<br />
„sie sich den ‘Herdenthieren’ gegenüber nicht in den Verachtungswinkel hinein[dichte],<br />
in dem so viele derer hocken, welche sich ‘Uebermenschen’ nennen,<br />
weil sie Unterknirpse“ 2220<br />
seien. Müller-Jahnke habe „die Gemeinschaft mit der Masse“ 2221 , ihren „proletarischen Kern“ 2222<br />
gefühlt <strong>und</strong> deshalb nicht nur „mit dem Proletariat“ 2223 empf<strong>und</strong>en, sondern sich selbst „als<br />
Proletarierin, deren stolze Individualität die Härte des Beugenlernens erfahren hat“ 2224 .<br />
Nur jene Menschen, die „unfrei unter Unfreien fremden Reichthum gefrohndet“ 2225 hätten, so<br />
betonte Zetkin, könnten die Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse richtig empfinden. Müller-Jahnkes<br />
Bilder könnten auch nur deshalb so packend, so lebensnah gezeichnet sein, weil sie „nicht blos<br />
2212 Ebd.<br />
2213 Ebd.<br />
2214 Ebd.<br />
2215 Ebd.<br />
2216 Ebd., S. 61.<br />
2217 Ebd.<br />
2218 Ebd.<br />
2219 Ebd.<br />
2220 Ebd.<br />
2221 Ebd.<br />
2222 Ebd.<br />
2223 Ebd.<br />
2224 Ebd.<br />
2225 Ebd.<br />
622
4.4.7 IN ERSTER REIHE – FÜHRERINNEN DER DEUTSCHEN PROLETARISCHEN FRAUENBEWEGUNG UND MITARBEITERINNEN DER „GLEICHHEIT“<br />
mit dem Auge geschaut“ 2226 , sondern „mit der Seele empf<strong>und</strong>en“ 2227 seien. Ihre Werke seien „blitz-<br />
scharf, Gerechtigkeitsgefühl <strong>und</strong> Grimm wachrüttelnd“ 2228 , weil die Dichterin darin den Gegensatz<br />
zwischen ausgebeutetem Proletariat <strong>und</strong> ausbeutenden Kapitalisten aufzeige. 2229 Aber sie würden<br />
auch „von der Gewissheit, dass eine neue Welt geboren wird“ 2230 sprechen. Eine Welt,<br />
„wo jeder nach Entfaltung drängende Keim Wärme <strong>und</strong> Licht empfängt, wo Jedem<br />
freies Menschenthum zufällt als sein Recht <strong>und</strong> ‘nicht als Bettlergabe aus<br />
Erbarmen’“ 2231 .<br />
Hier klingt eine Kampfbereitschaft für ein besseres Leben an, die laut Zetkin auch das Gedicht<br />
„Der Messias kommt mit Schwerterklang“ ausmache. Denn ProletarierInnen würden nicht um<br />
Gnade oder Schonung bitten, sondern bewusst um ihr Recht streiten. In jenem Streit <strong>und</strong> nicht „als<br />
eine müßige Zuschauerin […] hinter der Front“ 2232 wollte Müller-Jahnke stehen. Auch wenn sie<br />
älter geworden sei, „schaff[e] <strong>und</strong> wirk[e]“ 2233 „in ihrem Inneren […] noch Jugendkraft, die kein<br />
Schmerz brechen, keine Enttäuschung abstumpfen“ 2234 könne. Müller-Jahnke sei in der Tat dem<br />
Volke „‘eine Stimme der Freiheit’“ 2235 geworden, so wie sie es sich immer gewünscht habe.<br />
Diese von Zetkin so hoch verehrte Dichterin starb im November 1904 unerwartet an einer Lun-<br />
genentzündung. Die Nachricht von ihrem Tod teilte die „Gleichheit“ ihren Leserinnen<br />
„[s]chmerzlich bewegt“ 2236 vorerst nur in einer kurzen Notiz mit, ein Nachruf sollte folgen. 2237<br />
Müller-Jahnke sei eine der „treuen Mitarbeiterinnen“ 2238 der „Gleichheit“ <strong>und</strong> außerdem „ein<br />
starkes Talent <strong>und</strong> ein starker, reiner Charakter“ 2239 gewesen. Die Tochter eines Pfarrers hatte in-<br />
zwischen den Maler Oskar Jahnke geheiratet. Nachdem sie „[u]nter den härtesten, äußeren <strong>und</strong><br />
inneren Lebenskämpfen […] aus der Geb<strong>und</strong>enheit bürgerlichen Lebens <strong>und</strong> Denkens zu geistiger<br />
Freiheit durchgerungen“ 2240 hatte, sei sie eine „überzeugte Kämpferin des klassenbewußten Prole-<br />
2226 Ebd., S. 62.<br />
2227 Ebd.<br />
2228<br />
Ebd.<br />
2229<br />
Ebd.<br />
2230<br />
Ebd.<br />
2231<br />
Ebd.<br />
2232<br />
Ebd., S. 63.<br />
2233<br />
Ebd.<br />
2234<br />
Ebd.<br />
2235<br />
Ebd.<br />
2236<br />
[Ohne Titel.] GL, 15/ 24/ 29.11.1905/ 142.<br />
2237 Vgl. ebd.<br />
2238 Ebd.<br />
2239 Ebd.<br />
2240 Ebd.<br />
623
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
tariats“ 2241 geworden <strong>und</strong> als eine seiner Dichterinnen kreativ gewesen. Zwar wurde für eine der<br />
späteren Nummer „eine eingehende Würdigung ihrer Persönlichkeit <strong>und</strong> ihres Werkes“ 2242 ange-<br />
kündigt, diese erfolgte jedoch nicht. 2243<br />
Müller-Jahnkes Grab, so Friedel Schirbel (?-?) 16 Jahre später in Erinnerung an deren Todestag,<br />
liege<br />
„[g]anz still <strong>und</strong> einsam auf der Höhe, weit weg von den übrigen Gräbern des<br />
kleinen Heidefriedhofes, da, wo sonst die Ausgestoßenen schlafen, wo aber die<br />
Vögel desto schöner singen <strong>und</strong> die Blumen üppig <strong>und</strong> wild blühen, da ist’s, dort<br />
trägt ein großer Granitstein ein Frauenbild mit scharfen markanten Zügen <strong>und</strong><br />
einem vom festen Willen sprechenden M<strong>und</strong>“ 2244 .<br />
Schirbel verfasste diesen Artikel drei Jahre nach Kriegsende <strong>und</strong> bedauert es sehr, dass Müller-<br />
Jahnke – „die Frau des Volkes“ 2245 – in dieser schweren Zeit nicht mehr lebte, um „ihren Mit-<br />
schwestern […] die bittern Tränen [zu] trocknen, […] in ihren w<strong>und</strong>en Herzen [zu] lesen“ 2246 . In<br />
dieser wichtigen Aufgabe hätte sie ansonsten ihr „stille[s] Heldentum“ 2247 dartun können.<br />
2241 Ebd.<br />
2242 Ebd.<br />
2243 Es erschien jedoch 1911 in der Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ ein entsprechender Artikel: Trojan,<br />
E.W.: Klara Müller-Jahnke. In: GL, 21 (1911)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 13/ 49-50. E. W. Trojan (?-?)<br />
(die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine Informationen zur Biographie Trojans.<br />
Es ist zu vermuten, dass die Person in verwandtschaftlichem Verhältnis zu dem Dichter, Schriftsteller <strong>und</strong> Chefredakteur<br />
des „Kladderadatsch“, Johannes Trojan, stand) würdigte darin die sich w<strong>und</strong>erbar ergänzenden Talente<br />
des Ehepaares Müller-Jahnke. Oskar Jahnke hatte die Werke seiner Frau nach deren Tode gesammelt, sie mit<br />
eigenen Illustrationen ergänzt <strong>und</strong> schließlich mit Unterstützung des „Vorwärts“-Verlages herausgegeben.<br />
2244 Schirbel, Friedel: Klara Müller-Jahnke zum Gedächtnis. Gestorben am 4. November 1905. In: GL, 31/ 20/<br />
15.10.1921/ 195.<br />
2245 Ebd., S. 196.<br />
2246 Ebd.<br />
2247 Ebd.<br />
624
4.4.8 Internationale Genossinnen im Klassenkampf<br />
4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />
Die „Gleichheit“ war das offizielle Organ der Sozialistischen Fraueninternationale <strong>und</strong> Clara<br />
Zetkin deren Sekretärin. Dieser Funktion <strong>und</strong> den internationalen Kontakten Zetkins ent-<br />
sprechend, veröffentlichte die „Gleichheit“ des Öfteren Nachrufe <strong>und</strong> Jubiläumsartikel auf aus-<br />
ländische <strong>Klassenkämpferinnen</strong>. Deren Biographien stehen für die Entwicklung der Arbeiter- <strong>und</strong><br />
Frauenbewegung in verschiedenen Staaten <strong>und</strong> Kontinenten. Da es sich aber ausschließlich um<br />
Industriestaaten handelt, in denen diese Frauen wirkten, erklärt es sich, dass sich die an ihnen<br />
hervorgehobenen Leitbildeigenschaften nicht sonderlich von denen deutscher Klassenkämpferin-<br />
nen unterscheiden.<br />
4.4.8.1 Österreich<br />
Viktoria Kofler (?-1894) entstammte einer österreichischen Arbeiterfamilie <strong>und</strong> durchlebte deren<br />
typische Existenznöte. Ihr Arbeiterinnenleben sei jedoch<br />
„[k]östlich […][geworden] durch den reichen Inhalt, den ihm die schlichte Frau<br />
gab, indem sie ihr warmes Herz, ihren offenen Geist, ihre unbeugsame Energie<br />
dem Dienst einer großen Sache widmete: dem Befreiungskampf des Proletariats“<br />
2248 .<br />
So seien neue „lebenskräftige Ideale“ 2249 an die Stelle „alte[r] trügerische[r] Götter“ 2250 getreten.<br />
Der Sozialismus gab Kofler, so vermutlich Zetkin für die „Gleichheit“,<br />
„den heißen, felsenfesten Glauben […] an die hohe, geschichtliche Mission des<br />
Proletariats als Erlöser seiner selbst, als Träger einer sonnigen Zukunft für die<br />
ganze Menschheit […][,] gab ihr die unbezwingbare Thatkraft, für ihre Ideale zu<br />
kämpfen, die Freudigkeit, für sie zu entbehren <strong>und</strong> zu opfern“ 2251 .<br />
Kofler war eine begabte Rednerin <strong>und</strong> Mitgründerin des Wiener „Arbeiterinnen-Bildungsvereins“.<br />
Besonders wichtig war ihr die Verbreitung sozialistischer Literatur unter die Massen <strong>und</strong> hier vor<br />
allem unter die proletarischen Frauen. Vehement forderte sie deshalb die Herausgabe eines<br />
besonderen Frauenorgans. Ihrer Meinung nach machte die „vielfach vorhandene Rückständigkeit<br />
der Frauen eine Zeitung nothwendig […], welche dem <strong>weiblichen</strong> Auffassungsvermögen angepaßt<br />
sei“ 2252 . Kofler wurde offizielle Herausgeberin der 1892 gegründeten „Arbeiterinnen-Zeitung“, die<br />
quasi das „Schwesterblatt“ der „Gleichheit“ wurde. Sie habe stets für die Bewegung gearbeitet,<br />
2248 Viktoria Kofler. In: GL, 04/ 09/ 02.05.1894/ 70.<br />
2249 Ebd.<br />
2250 Ebd.<br />
2251 Ebd.<br />
2252 Ebd.<br />
625
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
ohne ihre Pflichten als Mutter von fünf Kindern <strong>und</strong> als Gattin, die mit ihrem Mann in „treuer<br />
Ideen- <strong>und</strong> Kampfesgemeinschaft“ 2253 lebte, zu vernachlässigen.<br />
Die Lungenschwindsucht, an der sie schließlich sterben sollte, fesselte sie mehrere Monate ans<br />
Bett. Es sei ihr sehr schwer gefallen, ihren Ges<strong>und</strong>heitszustand <strong>und</strong> damit den Umstand zu akzep-<br />
tieren, dass sie nicht mehr für die Partei tätig sein konnte. Jedoch blieb ihr reges Interesse an<br />
Informationen zum Fortgang der Bewegung auch durch die Krankheit ungebrochen.<br />
Kofler war nach der Meinung Zetkins nicht bloß eine sympathische <strong>und</strong> bew<strong>und</strong>erungswürdige<br />
„Individualität“ 2254 , sondern „ein Typus: der Typus des kämpfenden, klassenbewußten Prole-<br />
tarierweibes“ 2255 . Es wirkte „tröstlich <strong>und</strong> erhebend“ 2256 auf Zetkin, zu wissen, dass dieser Typus<br />
keine Seltenheit mehr sei, sondern dass man ihn<br />
„heutzutage […] in Österreich, in Deutschland, in Frankreich, in England, kurz<br />
überall [anträfe], wo die Zertretenen sich ihres Menschenthums bewußt werden<br />
<strong>und</strong> für ihre Befreiung kämpfen“ 2257 .<br />
Koflers Beispiel hatte demnach internationale Größe <strong>und</strong> definierte in Zetkins Augen die ideale<br />
Klassenkämpferin – ausgezeichnet durch „Selbstzucht […], Selbstlosigkeit <strong>und</strong> Charakter-<br />
größe“ 2258 . Solche <strong>Klassenkämpferinnen</strong> seien nicht nur aktiv an der Arbeiterbewegung beteiligt,<br />
sie seien außerdem<br />
„leuchtende Beweise für die Lebenskraft <strong>und</strong> Bildungsfähigkeit der Masse, die von<br />
den oberen Zehntausend als Kanaille, als wüster Pöbelhaufen verachtet wird“ 2259 .<br />
In diesem Sinne sind <strong>Klassenkämpferinnen</strong> quasi „Vorzeigeproletarierinnen“, die die Über-<br />
legenheit ihrer Klasse hinsichtlich Moral <strong>und</strong> Bildung demonstrieren sollen.<br />
Doch andererseits war Koflers <strong>Klassenkämpferinnen</strong>tum auch sehr typisch. Sie habe „in Reih <strong>und</strong><br />
Glied der sozialistischen Bewegung“ 2260 gestanden <strong>und</strong> nicht danach getrachtet, aufzufallen.<br />
Irgendwie besonders <strong>und</strong> doch eine von vielen. Weiter beschrieb Zetkin die idealtypischen Klas-<br />
senkämpferinnen <strong>und</strong> ihre Bedeutung für die Geschichte wie folgt:<br />
2253 Ebd., S. 71.<br />
2254 Ebd.<br />
2255 Ebd.<br />
2256 Ebd.<br />
2257 Ebd.<br />
2258 Ebd.<br />
2259 Ebd.<br />
2260 Ebd.<br />
626<br />
„Nur der kleinste Kreis von Genossinnen <strong>und</strong> Genossen kennt <strong>und</strong> schätzt sie. Sie<br />
kämpfen <strong>und</strong> fallen ungekannt <strong>und</strong> ungenannt von der großen Masse, ‘ihren<br />
Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch’. Aber neben den schlichten Gestalten<br />
verbleicht der Ruhm gar mancher Fürstinnen, von deren Heldenthaten als Wickelkind<br />
eine feile Hofgeschichtsklitterung erzählt, von deren ‘gemeinnützigem Thun’<br />
schwatzschweifig <strong>und</strong> lobhudelnd berichtet wird, weil sie sich einfallen ließen, die
4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />
Leere <strong>und</strong> Langweiligkeit eines inhaltslosen Lebens durch irgend welche[sic] nützliche<br />
Thätigkeit auszufüllen. Im besten Falle gaben diese der Allgemeinheit von<br />
ihrem Ueberfluß. Die ungenannten Proletarierinnen opfern dagegen das Scherflein<br />
der Witwe, ihr Alles, ihre Nachtruhe, ihre Erholung, ihre Ges<strong>und</strong>heit, ihr Leben<br />
selbst.“ 2261<br />
Zetkin drückte an dieser Stelle ihr Bemühen um eine originär proletarische <strong>und</strong> weibliche<br />
Geschichtsperspektive in Auseinandersetzung mit einer bürgerlichen Geschichtsschreibung beson-<br />
ders illustrativ aus. Der Nachruf, die Biographie einer Klassenkämpferin, war ihr geeignete Gele-<br />
genheit, gleichsam „Geschichte von unten“ zu betreiben. Auch wenn Kofler wie dargestellt eine<br />
bedeutungsvolle Funktionärin der proletarischen Frauenbewegung war, die zeitgenössische Ge-<br />
schichtsschreibung würde ihrer nicht gedenken. Zetkin sieht daher ihren Nachruf als Versprechen,<br />
dass einst „das befreite Proletariat ein Blatt seiner Geschichte dem Andenken der Ungenannten<br />
widmen“ 2262 würde.<br />
Auch Marie Nowak-Krasa (1874-1911) war eines der ersten Mitglieder des 1890 gegründeten<br />
Wiener „Arbeiterinnen-Bildungsvereins“. Außerdem war sie auch Mitglied des Komitees, das<br />
1891 die Herausgabe der „Arbeiterinnen-Zeitung“ vorbereitete. Bevor sie an den Folgen einer<br />
Operation starb, sei sie, so die „Gleichheit“, „restlos aufopfernd <strong>und</strong> freudig für den Befreiungs-<br />
kampf des Proletariats“ 2263 tätig gewesen. Die Redaktion der „Gleichheit“ wollte im Andenken an<br />
die „Selbstlose[…] <strong>und</strong> Tapfere[…]“ 2264 einen Immortellenstrauß 2265 an ihrem Grabe niederlegen.<br />
4.4.8.2 Dänemark<br />
Eine durch eine Darmverschlingung notwendig gewordene Operation kostete die 57-jährige<br />
Olivia Nielsen (1852-1910) das Leben. 17 Jahre lang stand sie an der Spitze des Arbeiterinnen-<br />
verbandes, den sie selbst mitgegründet hatte. 1909 wurde Nielsen in die Kopenhagener Stadt-<br />
verordnetenversammlung gewählt. Den besonderen Eifer <strong>und</strong> die Fähigkeiten der arbeits- <strong>und</strong><br />
„opferfreudige[n]“ 2266 Genossin, so die „Gleichheit“, hätten auch GegnerInnen des Sozialismus<br />
billigend anerkennen müssen. Nielsen verstarb in Aarhus, wo sie an einem Kongress ihres Ar-<br />
beiterverbandes hatte teilnehmen wollen.<br />
2261 Ebd.<br />
2262 Ebd.<br />
2263<br />
Marie Nowak-Krasa †. In: GL, 21/ 18/ 05.06.1911/ 287.<br />
2264<br />
Ebd.<br />
2265<br />
Die Strohblumenart „Immortellen“ war aufgr<strong>und</strong> ihrer französischen Wortbedeutung „unsterblich“ ein häufig gewähltes<br />
Zeichen der Würdigung einer verstorbenen Genossin.<br />
2266<br />
Genossin Olivia Nielsen †. In: GL, 20/ 22/ 01.08.1910/ 352.<br />
627
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
4.4.8.3 Niederlande<br />
Einige der in der proletarischen Frauenbewegung engagierten <strong>Klassenkämpferinnen</strong> besaßen<br />
großes dichterisches Talent. Sie stellten es in den Dienst der Sache, wie es auch Cornélie<br />
Huygens (1848-1902) tat. Der Schriftsteller <strong>und</strong> Parteifunktionär Max Grunwald (1873-1926) 2267<br />
bezeichnete in seinem Nachruf Huygens als „hochbegabte Dichterin“ 2268 <strong>und</strong> „treue Mitstreiterin<br />
im Kampfe des internationalen Proletariats“ 2269 . Allerdings hatte sich Huygens bereits vor ihrem<br />
Eintritt in die proletarische Frauenbewegung einen Namen als Dichterin gemacht, weshalb Grun-<br />
wald schrieb:<br />
„Als sie zu uns kam auf der Höhe bürgerlichen Ruhmes, trat sie als letzte, bescheidenste<br />
Streiterin in unsere Reihen, als sie von uns ging, stand sie unter den achtungsgebietendsten<br />
Vorkämpfern, <strong>und</strong> ihr Ruhm begann weit über ihr kleineres<br />
Vaterland hinauszustrahlen.“ 2270<br />
Huygens, die einem alten holländischen Adelsgeschlecht entstammte, brach mit ihrer Familie, um<br />
sich der Arbeiterbewegung anzuschließen. Sie habe deren Zielsetzungen als die richtigen <strong>und</strong> die<br />
ihrigen erkannt. Diese „Wahrheit ihrer Erkenntniß“ 2271 ließ sie „Reichtum, bürgerliche Ehren,<br />
älteste Familienbande“ 2272 aufgeben, denn „[w]ahr sein, [sei] das erste <strong>und</strong> letzte Gebot ihrer<br />
Lebensauffassung“ 2273 gewesen. War sie zuvor der „verwöhnte Liebling einer Großbourgeoisie“ 2274<br />
gewesen, so habe sie nun „voll selbstlosester Bescheidenheit“ 2275 jede noch so anstrengende Tätig-<br />
keit wie z. B. die strapaziöse Agitation auf dem Land übernommen. Huygens Voraussetzungen für<br />
eine Karriere in der Parteihierarchie waren hinsichtlich ihrer Herkunft unbestreitbar günstige.<br />
Bald wurde sie Mitglied im Parteivorstand der holländischen Sozialdemokratie, blieb aber auch<br />
weiterhin literarisch tätig. Über ihren sozialistischen Roman „Berthold Meryan“ (1908), so Grun-<br />
2267 Max Grunwald absolvierte 1895-1899 ein natur- <strong>und</strong> staatswissenschaftliches Studium <strong>und</strong> arbeitete 1897-1899<br />
als Assistent am staatswissenschaftlichen Seminar der Universität Jena. Er wurde 1904 Leiter des SPD-<br />
Parteiarchivs <strong>und</strong> der Parteibibliothek in der Lindenstraße 3, außerdem Geschäftsführer der SPD-Reichstagsfraktion<br />
<strong>und</strong> Lehrbeauftragter an der Berliner Ausbildungsschule. Er war als Schriftsteller <strong>und</strong> als Chefredakteur<br />
der „Tribüne“ in Erfurt tätig. Grunwald veröffentlichte u. a.: „Die moderne Frauenbewegung <strong>und</strong> das Judentum.<br />
Vortrag gehalten im Verein „Österreichisch-Israelitische Union“ am 11. März 1903“.<br />
2268 Grunwald, Max: Cornélie Huygens †. In: GL, 12/ 24/ 19.11.1902/ 185.<br />
2269 Ebd.<br />
2270 Ebd.<br />
2271 Ebd.<br />
2272 Ebd.<br />
2273 Ebd.<br />
2274 Ebd.<br />
2275 Ebd.<br />
628
4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />
wald, hätten selbst bürgerliche Kritiker gesagt, dass er, wenn nicht in holländischer, sondern in<br />
englischer Sprache verfasst, „ein internationales literarisches Ereigniß“ 2276 hätte werden können.<br />
In ihrem Werk „Die Liebe im Frauenleben“ (1899) bezog sie sich auf Prämissen der proleta-<br />
rischen Frauenbewegung. Den Kontakt zur bürgerlichen Frauenbewegung, in der sie durchaus<br />
hätte „Karriere“ machen können, brach sie – in Erkenntnis der scharfen Gegensätze – ab.<br />
Nach Meinung Grunwalds blieb Huygens<br />
„bei all ihrer intellektuellen Schärfe, ihrer Energie, ihrer Leidenschaft ein Wesen<br />
tiefster Weiblichkeit, zartester Empfindungen, wahrer Keuschheit, ein Vorbild fast<br />
ohne Gleichen in dieser Vollkommenheit ausgebildeter Persönlichkeit“ 2277 .<br />
Umso tragischer war es für die gesamte internationale Frauenbewegung, dass ihr diese ideale<br />
Leitfigur ausgerechnet durch Suizid genommen wurde. Ein Suizid zu einem Zeitpunkt, da die<br />
niederländische Dichterin gerade begann, sich auch in Deutschland einen Namen zu machen. Zu<br />
einem Zeitpunkt, da sie als Klassenkämpferin <strong>und</strong> „weiblicher Vollmensch“ „in der unge-<br />
schwächten Vollkraft geistigen Schaffens“ 2278 gestanden habe.<br />
4.4.8.4 Belgien<br />
Wie Huygens, so stammte auch Isabella Gatti de Gamond (1839-1905), die Vorkämpferin der<br />
Sozialistinnen Belgiens <strong>und</strong> Mitglied des Parteivorstandes der belgischen sozialistischen<br />
Arbeiterpartei wurde, nicht aus proletarischen Verhältnissen. Sie wurde als Tochter einer<br />
wohlhabenden, gebildeten <strong>und</strong> bürgerlichen Familie geboren. Ihre Mutter engagierte sich in der<br />
belgischen Frauenbewegung für die Gleichberechtigung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts <strong>und</strong> legte<br />
großen Wert auf die Bildung ihrer Tochter. Gatti de Gamond wurde Lehrerin <strong>und</strong> leitete 1864 bis<br />
1899 ein Bildungsinstitut für Mädchen, in welchem diese sowohl als Kindergärtnerinnen,<br />
Elementar- <strong>und</strong> Mittelschullehrerinnen ausgebildet wurden als auch Universitätskurse besuchen<br />
konnten. 2279 Selbst unverheiratet <strong>und</strong> kinderlos geblieben, sei sie<br />
„bis in die letzte Faser ihres Wesens ein mütterliches Weib [gewesen], das seine<br />
große Familie in allen leiblich <strong>und</strong> geistig Hilfsbedürftigen erblickte“ 2280 .<br />
Jenes Wesen gab sie weiter an ihre Schülerinnen, die später selbst berufstätig <strong>und</strong>/oder Mütter <strong>und</strong><br />
Gattinnen so mancher führender Männer wurden. Indem es später unter staatliche Leitung gestellt<br />
wurde, habe die Ausbildungsarbeit ihres Instituts, so vermutlich Zetkin als Verfasserin des<br />
2276 Ebd.<br />
2277 Ebd.<br />
2278 Ebd.<br />
2279 Isabella Gatti de Gamond †. In: GL, 15/ 22/ 01.11.1905/ 127.<br />
2280 Ebd.<br />
629
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Nachrufs, schließlich eine besondere Wertschätzung erfahren.<br />
Laut Zetkin war Gatti de Gamond „nicht bloß eine Freidenkerin, sie war eine freie Denkerin“ 2281 .<br />
Sie stellte dem Machtstreben der Kirche „das Recht des Volkes“ 2282 entgegen, dem Dogma die<br />
Wissenschaft. Es war ihr großes Anliegen, den „die Geister vergiftenden <strong>und</strong> brechenden Einfluß<br />
des Klerikalimus“ 2283 aus „Hirn <strong>und</strong> Herz“ der belgischen Frauen <strong>und</strong> Familien zu vertreiben.<br />
Möglich war ihr dies u. a. als Mitgründerin <strong>und</strong> Führerin der Liga der sozialistischen Frauen, als<br />
Mitbegründerin <strong>und</strong> Redakteurin der ersten sozialistischen Frauenzeitschrift Belgiens („Cahiers<br />
féministes“ (1903-1907)) <strong>und</strong> als beliebte Rednerin <strong>und</strong> Schriftstellerin.<br />
Doch war Gatti de Gamond nicht in allem die ideale sozialistische Klassenkämpferin. Nach<br />
Meinung Zetkins hatte sie<br />
„nicht immer den Weg von der Utopie zur Wissenschaft gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> die scharfen<br />
Grenzlinien erkannt, welche den Idealismus der Sozialisten von dem bürgerlichen<br />
Ideologismus scheiden“ 2284 .<br />
Es waren vor allem ihr Kontakt zur bürgerlichen Frauenbewegung <strong>und</strong> ihre Erwartungen, die sie<br />
irrigerweise an deren weibliche Solidarität gestellt habe, die Zetkin damit kritisierte. Jedoch<br />
wollte Zetkin die Verstorbene mittels dieser Kritikpunkte nicht diffamieren – im Gegenteil: Diese<br />
Kritik „zu verschweigen, hieße die Tote beleidigen, die zeitlebens heiß um Wahrheit gerungen“ 2285<br />
habe.<br />
Im Fall dieser belgischen Sozialistin zeigte sich Zetkin ungewohnt nachsichtig <strong>und</strong> mochte ihr<br />
„diese <strong>und</strong> jene Unklarheit […] [nicht] zum besonderen Vorwurf […] machen“ 2286 . Die hoch-<br />
betagte Gatti de Gamond, die an den Folgen einer Operation starb, habe eben nicht mehr lernen<br />
können, „bei allen sozialen Erscheinungen historisch mit dem Kopfe die Klassen zu wägen, statt<br />
ideologisch mit dem Herzen auf die einzelnen Persönlichkeiten zu hoffen“ 2287 . Sie hatte vergebens<br />
gehofft, einzelne bürgerliche Frauen zu überzeugen, den gleichen Mut wie sie selbst aufzubringen,<br />
die gleiche Konsequenz wie sie sie selbst zu beweisen <strong>und</strong> ins sozialistische Lager überzutreten.<br />
2281 Ebd.<br />
2282 Ebd.<br />
2283 Ebd.<br />
2284 Ebd.<br />
2285 Ebd.<br />
2286 Ebd.<br />
2287 Ebd.<br />
630
4.4.8.5 Schweiz<br />
4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />
Elise Dunkel (?-1913) war das Kind armer Eltern <strong>und</strong> verlor diese noch dazu sehr früh. Sie<br />
arbeitete bis zu ihrer Heirat als Dienstmädchen, wurde Mitglied des 1887 gegründeten ersten sozi-<br />
alistischen Arbeiterinnenvereins <strong>und</strong> blieb zehn Jahre seine Leiterin. Acht Jahre lang bekleidete<br />
Dunkel das Amt der Zentralvorsitzenden des Schweizerischen Arbeiterinnenverbandes. Doch<br />
nicht diese herausragenden Leistungen in Form öffentlicher Ämter seien es gewesen, die ihr<br />
großes Vertrauen <strong>und</strong> Respekt eingetragen hätten, sondern<br />
„ihr unermüdliches, treues Wirken im stillen[sic], ihr gerader lauterer Charakter,<br />
ihr unerschrockenes Eintreten für das Recht“ 2288 .<br />
Es sind auch hier wiederum Schlichtheit <strong>und</strong> Selbstbescheidung, die der „Gleichheit“ als Ideale<br />
einer Klassenkämpferin wichtig waren, hervorzuheben. Für Dunkel sei der Sozialismus „nicht<br />
bloß eine klare Erkenntnis, sondern heilige Herzenssache“ 2289 gewesen <strong>und</strong> indem sie ihm alles<br />
gab, was sie zu geben vermochte, habe sie vor allem all denjenigen „ein Beispiel gelebt, die in der<br />
Stille für den Sozialismus wirken“ 2290 .<br />
Aufgewachsen als „Proletarierkind“ 2291 in Frankfurt am Main, habe Betty Scherz (?-1916) schon<br />
als eines von 13 Kindern einen „scharfe[n], durchdringende[n] Geist, ein empfindsames reiches<br />
Gemüt, eine lebhafte Phantasie“ 2292 entwickelt. Da es ihre körperliche Kondition nicht erlaubte,<br />
schwere Arbeiten zu verrichten, wurde Scherz Kontoristin. Obwohl der Kontor ein „nicht ganz<br />
üble[r] Käfig“ 2293 gewesen sei, habe sie ihm doch entfliehen wollen. Durch „leidenschaftliches<br />
Selbststudium <strong>und</strong> in starker, bewußter Selbstzucht“ 2294 bildete sie ein dichterisches Talent aus <strong>und</strong><br />
wurde bereits unter ihrem Mädchennamen Betty Meier sehr bekannt. Ihre Werke, so Zetkin, spie-<br />
gelten ihre proletarische Herkunft, „die sozialistische Gefühls- <strong>und</strong> Gedankenwelt“ 2295 wider, denn<br />
„[w]ie so manches Volkskind [sei] auch sie an dem Sozialismus <strong>und</strong> durch ihn<br />
gewachsen <strong>und</strong> geworden“ 2296 .<br />
Verschiedene Reisen führten Scherz nach Berlin, nach Paris <strong>und</strong> in die Schweiz. Nach ihrer Heirat<br />
2288 Elise Dunkel †. In: GL, 23/ 24/ 20.08.1913/ 383.<br />
2289 Ebd.<br />
2290 Ebd.<br />
2291 Genossin Betty Scherz – Zürich †. In: GL, 27/ 09/ 02.02.1917/ 59.<br />
2292 Ebd.<br />
2293 Ebd.<br />
2294 Ebd.<br />
2295 Ebd.<br />
2296 Ebd.<br />
631
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
zog sie in das thüringische Gotha, wo sie sich besonders in den Leseabenden der proletarischen<br />
Frauenbewegung engagierte. Im Schicksalsjahr 1914 gehörte sie zu den Gegnerinnen des Krieges<br />
<strong>und</strong> blieb um den internationalen Charakter der sozialdemokratischen Frauenorganisation bemüht.<br />
„Denn“, so Zetkin<br />
„Betty Scherz‘ Geist war zu lichtvoll, ihr Wissen zu gründlich, ihr proletarisches<br />
Empfinden zu unverdorben <strong>und</strong> stark, als daß die nationalistische Hochflut sie auch<br />
nur einen Augenblick in ihrer sozialistischen Überzeugungstreue erschüttert <strong>und</strong><br />
mit fortgerissen hätte.“ 2297<br />
Sie blieb auch dann aktives Mitglied der proletarischen Frauenbewegung als ihr Ehemann die<br />
Redaktion des Parteiblattes im schweizerischen Sankt Gallen übernahm, sie erst dorthin <strong>und</strong><br />
schließlich nach Zürich umziehen musste. Es waren vornehmlich „Gedichte, Skizzen, Erzäh-<br />
lungen, feuilletonistische Plaudereien“ 2298 , die Scherz sowohl in deutschen als auch schweize-<br />
rischen Parteiblättern veröffentlichte. Auch für die „Gleichheit“ verfasste sie Beiträge 2299 <strong>und</strong> war<br />
ihren Leserinnen Vorbild, denn sie sei „ein Mensch [gewesen], der mit seiner Person vollständig<br />
hinter die erwählte Sache zurücktrat“ 2300 .<br />
Zwar ist der Nachruf auf Rosa Bloch (1880-1922) sehr kurz abgefasst, doch dafür ist sein<br />
Erscheinen in der von Mehrheitssozialdemokratinnen redigierten „Gleichheit“ umso bemerkens-<br />
werter. Denn Bloch war eine herausragende Persönlichkeit der kommunistischen Frauenbewegung<br />
der Schweiz <strong>und</strong> stark in der Kommunistischen Internationale engagiert. Erst wenige Jahre vor<br />
Beginn des Ersten Weltkrieges wurde die aus bürgerlicher Familie stammende Bloch Mitglied der<br />
schweizerischen Sozialdemokratie, um dort schon bald an führender Stelle zu wirken. Bis 1920/21<br />
– der Spaltung der Partei – war sie Redakteurin des sozialdemokratischen Frauenblattes „Die Vor-<br />
kämpferin“ (1906-1920[?]). Nach der Parteispaltung entschied sie sich für eine Mitgliedschaft in<br />
der Kommunistischen Partei. 2301<br />
Auffälligerweise wurden in dem Nachruf keinerlei charakterliche Eigenschaften Blochs erwähnt.<br />
Dies könnte entweder schlicht dem mangelnden Kontakt zu ihrer Person oder doch einem poli-<br />
tischen Ressentiment geschuldet sein.<br />
2297 Ebd.<br />
2298 Genossin Betty Scherz – Zürich †. In: GL, 27/ 09/ 02.02.1917/ 59.<br />
2299 Scherz war u. a. Verfasserin des Gedichtes „Wir Frauen“ (GL, 25/ 8/ 09.01.1915/ 43), das im Anhang enthalten ist.<br />
2300 Genossin Betty Scherz – Zürich †. In: GL, 27/ 09/ 02.02.1917/ 59.<br />
2301 Rosa Bloch †. In: GL, 32/ 16/ 15.08.1922/ 153. Bloch starb an den starken Blutungen einer Kropfoperation.<br />
632
4.4.8.6 Italien<br />
4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />
Der erste „Gleichheit“-Artikel zum Leben Anna Kulischoffs (1857-1925) erschien anlässlich<br />
deren Verhaftung <strong>und</strong> Verurteilung wegen Aufhetzung des Volkes zu gewalttätigem Widerstand.<br />
Es war vermutlich Zetkin, die innerhalb dieses Artikels auch sehr ausführlich über die gegen-<br />
wärtige in Italien stattfindende Verfolgung von SozialistInnen informierte. Den SozialistInnen<br />
wurde von den staatlichen Behörden das verstärkte Auftreten von Hungerrevolten <strong>und</strong> Unruhen<br />
angelastet. Doch laut Zetkin seien es gerade die SozialistInnen gewesen, die „den Kampf auf dem<br />
Boden der gesetzlichen Verhältnisse predigend, zu Ruhe gemahnt“ 2302 hätten. Die Verfolgung traf<br />
jedoch nicht nur die Gruppen <strong>und</strong> Einrichtungen der SozialistInnen, sondern überhaupt „[a]lle<br />
Organisationen des werkthätigen Volkes“ wie z. B. Gewerkschaften, Arbeiterkammern oder<br />
Konsumvereine. 2303<br />
Kulischoff wurde wegen „Aufreizung zu gewaltthätigem Aufstande“ 2304 zu zwei Jahren Haft<br />
verurteilt. Damit habe die Härte der Klassenjustiz, so Zetkin, „eine selten hochsinnige <strong>und</strong><br />
bedeutende Frau […], gleich hervorragend an Gemüth, Geist, Wissen, Willen <strong>und</strong> Idealismus“ 2305<br />
getroffen. Kulischoff habe, so Zetkin zu „jener geistig-sittlichen Elite von Russinnen“ 2306 gehört,<br />
welche in den 1870er Jahren „den Kampf für die Befreiung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts <strong>und</strong> die<br />
Befreiung des arbeitenden Volkes mit ebenso großer Energie wie Hingabe führten“ 2307 [Hervor-<br />
hebung von M.S.]. Die Erkenntnis von der notwendigen Verknüpfung beider Kämpfe machte den<br />
entscheidenden Unterschied zu den „westeuropäischen Frauenrechtlerinnen“ 2308 aus. Diesen seien<br />
die Russinnen ohnehin „an Kenntnissen, geschichtlicher Einsicht <strong>und</strong> vor Allem an opferbereitem<br />
Idealismus bei Weitem überlegen“ 2309 gewesen.<br />
1878 musste sich Kulischoff als 21-jähriges „blutjunges Ding“ 2310 , „den Verfolgungen der zaris-<br />
tischen Schergen durch die Flucht ins Ausland […] entziehen“ 2311 – sie ging nach Italien. Hier<br />
setzte sie erst ihr Ingenieursstudium fort, wechselte dann aber zum Studium der Medizin, neben<br />
welchem sie außerdem Sprachen, Geschichte, Nationalökonomie <strong>und</strong> die internationalen sozialis-<br />
2302 Anna Kulischoff. In: GL, 08/ 15/ 20.07.1898/ 116.<br />
2303 Vgl. ebd.<br />
2304 Ebd.<br />
2305 Ebd.<br />
2306 Ebd.<br />
2307 Ebd.<br />
2308 Ebd.<br />
2309 Ebd.<br />
2310 Ebd.<br />
2311 Ebd.<br />
633
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
tischen Gr<strong>und</strong>lagenwerke studierte.<br />
Kulischoff schloss sich der jungen sozialrevolutionären Bewegung Italiens an, die damals noch<br />
einen deutlich anarchistischen Charakter besaß. Dem Kampf des italienischen Proletariats habe sie<br />
ihre „ganze reiche <strong>und</strong> kraftvolle Persönlichkeit“ 2312 zur Verfügung gestellt. Der italienische Staat<br />
habe „ihr als Urk<strong>und</strong>e ihrer Bürgerschaft die Märtyrerkrone gereicht“ 2313 , indem er sie wegen ihrer<br />
politischen Aktivitäten verhaftete.<br />
Kulischoff heiratete Andrea Costa, der sich zuerst in der anarchistischen Bewegung engagiert<br />
hatte <strong>und</strong> dann eine führende Position innerhalb der sozialdemokratischen Partei Italiens einnahm.<br />
Ihre Ehe sei „aus Ueberzeugung eine freie“ 2314 gewesen, „eine geistig-sittliche Einheit“ 2315 ohne<br />
äußere Formel der Weihe. Auch in materieller Hinsicht basierte die Beziehung, aus der Tochter<br />
Andreïna entsprang, von Beginn an auf der Selbstständigkeit des einzelnen Partners. Dennoch war<br />
es keine glückliche Partnerschaft, denn sie habe „die Entwicklung der Individualitäten“ 2316 mehr<br />
gehemmt als gefördert. Das Paar löste seinen B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Kulischoff stand wieder – als Frau <strong>und</strong> als<br />
Mutter – „auf eigenen Füßen“ 2317 . Diese Selbständigkeit gestaltete sich sehr schwierig, denn die<br />
finanziellen Aufwendungen waren hoch, die politische Verfolgung forderte viele Opfer. Opfer, die<br />
sie nicht nur für sich selbst gebracht habe, sondern ganz im Sinne der „in den revolutionären<br />
Kreisen in hohem Maße geübte Solidarität, die stets bereit war, mit den Mehrbedürftigen auch das<br />
Letzte zu theilen“ 2318 . Kulischoff führte ihren Haushalt selbst <strong>und</strong> verdiente sich einiges durch lite-<br />
rarische Arbeiten hinzu. Diese Jahre von Überanstrengung <strong>und</strong> Entbehrung, so Zetkin, hätten den<br />
Gr<strong>und</strong>stein für ein tückisches Leiden – Knochentuberkulose – gelegt. Kulischoff ließ sich<br />
schließlich in Mailand als Ärztin nieder, bewies dort in ihrem Beruf „Begabung, Gewissen-<br />
haftigkeit <strong>und</strong> Aufopferung“ 2319 <strong>und</strong> behandelte sowohl die Armen <strong>und</strong> Ärmsten wie auch<br />
Bourgeoisie <strong>und</strong> Adel.<br />
In einer zweiten freien Ehe verband sie sich mit Filippo Turati, dem, so Zetkin, „unstreitig […]<br />
bedeutendsten politischen Führer der italienischen Sozialistenpartei“ 2320 . Beide errangen sich auch<br />
in der „besseren“ Gesellschaft große Achtung, was sich unter anderem darin ausdrückte, „daß<br />
auch in streng konservativen Kreisen die Ehe der Frau Kulischoff als eine vollgiltige <strong>und</strong><br />
2312 Ebd., S. 117.<br />
2313 Ebd.<br />
2314 Ebd.<br />
2315 Ebd.<br />
2316 Ebd.<br />
2317 Ebd.<br />
2318 Ebd.<br />
2319 Ebd.<br />
2320 Ebd.<br />
634
4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />
moralisch unantastbare geschätzt wurde“ 2321 . Zusammen mit ihrem Ehemann leitete Kulischoff<br />
das Organ der italienischen Sozialisten „La Critica Sociale“ (seit 1891), das einen modernen<br />
wissenschaftlichen Sozialismus vertrat. Dieses Engagement kostete sie nicht nur Zeit <strong>und</strong> Kraft,<br />
sondern auch einen Großteil ihrer finanziellen Mittel. In Zetkins Augen war die Ehe Kulischoffs<br />
<strong>und</strong> Turatis eine ideale Gemeinschaft in Leben <strong>und</strong> Arbeiten:<br />
„Die Redaktion der ‘Critica’, ihre Haltung beruhte auf dem innigsten geistigen<br />
Zusammenarbeiten von Filippo <strong>und</strong> Anna. Frau Kulischoff zeichnete nur ganz<br />
ausnahmsweise einen Artikel mit ihrem Namen. Aber jeder Artikel, den Turati<br />
schrieb oder der ‘von der Redaktion’ veröffentlicht wurde, war die Frucht der<br />
gemeinsamen Ueberlegung <strong>und</strong> Berathung, sehr oft auch der gemeinsamen Abfassung.<br />
So innig <strong>und</strong> ergänzend griff das Denken <strong>und</strong> Arbeiten der Gatten<br />
ineinander, so fest fügte es sich zur geistigen Einheit zusammen, daß es meist unmöglich<br />
ist, festzustellen, was das persönliche Werk des Einen oder des Anderen<br />
ist.“ 2322<br />
Die Beschreibung dieses idealen Eheverhältnisses erinnert an die Beziehung von Clara <strong>und</strong> Ossip<br />
Zetkin. Und auch die Art <strong>und</strong> Weise, in der sie ihre Artikel veröffentlichten, gleicht sich. Auf die<br />
Frage, warum diejenigen Werke, die in Kooperation der beiden Eheleute entstanden, nur mit dem<br />
Namen des Mannes gezeichnet wurden <strong>und</strong> die Frau die ihren gar nicht zeichnete, gab Zetkin<br />
keine Antwort. War es Bescheidenheit, politische Notwendigkeit oder wie im Falle Zetkins<br />
zunehmende Überheblichkeit? Es ist auf jeden Fall ein sehr traditionelles Bild, das hier von einer<br />
ansonsten als vorbildlich modern präsentierten Beziehung gezeichnet wurde: Eine fähige Frau ist<br />
für sich <strong>und</strong> für ihren Partner produktiv tätig, bleibt dabei aber im Hintergr<strong>und</strong>.<br />
Kulischoff hatte vielfältige Sprachkenntnisse. Ihre Muttersprache war Russisch, die ihres<br />
„Adoptivvaterlandes“ 2323 Italienisch <strong>und</strong> darüber hinaus sprach sie Französisch, Deutsch <strong>und</strong><br />
Englisch. Sie studierte die sozialistische Literatur der verschiedenen Länder <strong>und</strong> habe, so Zetkin,<br />
„der deutschen Bewegung, für welche sie die größte Hochachtung <strong>und</strong> Bew<strong>und</strong>erung hegte“ 2324 ,<br />
„eine besonders eingehende <strong>und</strong> liebevolle Beachtung [ge]widmet[…]“ 2325 . Darüber hinaus<br />
verfügte Kulischoff über ein „gediegenes geschichtliches <strong>und</strong> nationalökonomisches Wissen“ 2326 –<br />
die beiden von Zetkin für die Schulungsarbeit der proletarischen Frauenbewegung gesetzten<br />
Bildungsschwerpunkte. Zetkin gab folgende Charakterstudie:<br />
2321 Ebd.<br />
2322 Ebd., S. 118.<br />
2323 Ebd.<br />
2324 Ebd.<br />
2325 Ebd.<br />
2326 Ebd.<br />
„Ihre [Kulischoffs; M.S.] durch Wissen verstärkte geistige Ueberlegenheit, die<br />
635
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
scharfe echt russische Logik ihrer Beweisführung, ihr frischer Spott, der sich zur<br />
beißenden Ironie steigern konnte, <strong>und</strong> der sich besonders oft über die Ritter der<br />
ideologisch rührseligen Revolutionsphrase ergoß: machten sie zu einer gefürchteten<br />
Gegnerin. Die Lauterkeit ihres Charakters <strong>und</strong> ihres Strebens zwang jedoch<br />
auch dem Gegner volle Hochachtung ab.“ 2327<br />
Wie bereits bei der Beschreibung der Ehe- <strong>und</strong> Arbeitsgemeinschaft, so fällt auch auch bei dieser<br />
Charakterstudie ins Auge, dass Zetkin Kulischoff in Vielem ähnlich war. Ihre Bew<strong>und</strong>erung für<br />
die Persönlichkeit Kulischoffs <strong>und</strong> für die vermeintlich typisch russische Art ist unübersehbar.<br />
Kulischoff führte ein sehr gastfre<strong>und</strong>liches Haus am Mailänder Domplatz <strong>und</strong> habe es in den dort<br />
veranstalteten Debatten vermocht, ganz „ohne jede schulmeisterliche Pedanterie <strong>und</strong> Ueber-<br />
hebung“ 2328 zu belehren, zu überzeugen <strong>und</strong> anzuleiten. Ihre Agitationstätigkeit, die sie erst in den<br />
letzten Jahren aufgenommen hatte, galt vornehmlich den Interessen der proletarischen Frauen.<br />
All ihre aufreibenden Tätigkeiten verschlechterten jedoch Kulischoffs Ges<strong>und</strong>heitszustand er-<br />
heblich. Die harte Zeit als Studentin hatte eine Knochentuberkulose ausgelöst, die sich später vor<br />
allem in einer der Hände bemerkbar machte <strong>und</strong> sie 1895 zwang, ihre Arztpraxis aufzugeben.<br />
Daraufhin widmete sie sich umso stärker ihrer politischen Tätigkeit, die sie aber nie ihre Pflichten<br />
als Frau <strong>und</strong> Mutter habe vernachlässigen lassen. Sie sei ihrer Tochter Andreïna – begabt, ideal<br />
veranlagt, ihrer Mutter wie ihrem Stiefvater liebevoll zugetan – die „verständigste <strong>und</strong> liebevollste<br />
der Mütter“ 2329 gewesen. Mit ihrem Gatten war sie in tiefer <strong>und</strong> inniger Harmonie verb<strong>und</strong>en,<br />
denn, so Zetkin,<br />
„[w]as die Liebe, die Wahlverwandtschaft des Geistes <strong>und</strong> Charakters zusammengeführt,<br />
das schmiedete die Gemeinsamkeit der Ideale zu einer unlösbaren sittlich<br />
schönen Einheit zusammen“ 2330 .<br />
Weder in ihrem Wesen noch in ihrer Lebenshaltung habe sie der „Spießbürgervorstellung“ 2331<br />
einer „‘Petroleuse’“ 2332 entsprochen. Lediglich „die Zigarette, die weder bei der Unterhaltung,<br />
noch bei der Arbeit ausging, erinnerte“ 2333 , so Zetkin, „an die typische ‘Nihilistin’“ 2334 . Auch ihren<br />
Pflichten als Gastgeberin <strong>und</strong> Hausfrau kam Kulischoff in einem „eleganten, mit geläutertem<br />
künstlerischen Geschmack eingerichteten Heim“ 2335 nach. Sie sei stets ordentlich <strong>und</strong> pünktlich<br />
2327 Ebd.<br />
2328 Ebd.<br />
2329 Ebd.<br />
2330 Ebd.<br />
2331 Ebd.<br />
2332 Ebd.<br />
2333 Ebd.<br />
2334 Ebd.<br />
2335 Ebd.<br />
636
4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />
gewesen <strong>und</strong> habe zu sagen gepflegt, „‘Ordnung <strong>und</strong> gute Zeiteintheilung verlängern den Tag um<br />
die Hälfte’“ 2336 .<br />
Angesichts dieser vielseitigen <strong>und</strong> aufopfernden Tätigkeit bek<strong>und</strong>ete Zetkin, dass „[n]ur wenig<br />
Männer […] in Italien gleichviel wie Anna Kulischoff für die sozialistische Bewegung geleistet“<br />
2337 hätten. Sie sah es als Kulischoffs Verdienst,<br />
„daß die italienische Bewegung aus den Bahnen der Anarchisterei, der Putschmacherei<br />
<strong>und</strong> des Verschwörerthums in die des Kampfes auf gesetzlichem Boden<br />
<strong>und</strong> mit gesetzlichen Mitteln eingelenkt“ 2338<br />
sei. Dieses Verdienst anerkennend habe der 1893 in Zürich stattfindende Internationale Sozialis-<br />
tische Arbeiterkongress Kulischoff für seine letzte Sitzung zur Vorsitzenden gewählt.<br />
Nach diesem Überblick über Kulischoffs Leben <strong>und</strong> Wirken kehrte Zetkin zum ursprünglichen<br />
Anlass ihres Artikels zurück. Die zweijährige Gefängnisstrafe, zu der Kulischoff verurteilt worden<br />
war, war in den Augen Zetkins „ein Akt rohester Klassenrache“ 2339 <strong>und</strong> sie befürchtete Schlimmes<br />
für deren ohnehin schlechten Ges<strong>und</strong>heitszustand. Es würden zwei Jahre sein, die das Fort-<br />
schreiten ihrer Knochentuberkulose beschleunigen würden, zwei Jahre, „so gut wie […] ein<br />
Todesurtheil“ 2340 . Mit Kulischoff, so urteilten laut Zetkin auch andere sozialistische Blätter, sei ein<br />
„krankes, schwaches Weib“ 2341 verurteilt worden. Ein Eindruck, den Zetkin jedoch richtigstellen<br />
wollte:<br />
„Ein krankes Weib ja, ein schwaches Weib nun <strong>und</strong> nimmermehr. Frau Kulischoff<br />
gehört zum Geschlecht der edlen russischen Revolutionärinnen, die vor den<br />
Tribunalen nicht begehrten, als das gleiche Loos, das ihren männlichen Kameraden<br />
fiel.“ 2342<br />
Nicht rührseliges Mitleid mit einem Weib forderte Zetkin für Kulischoff, sondern „Hochachtung<br />
<strong>und</strong> Sympathie für die überzeugungstreue, opferfreudige <strong>und</strong> starke Kämpferin“ 2343 . Anhand deren<br />
Beispiel brachte Zetkin schließlich ihre Vorstellung von dem bewussten politischen Handeln einer<br />
Frau auf den Punkt: „Kampfesgefahr hat sie muthvoll gewollt <strong>und</strong> bestanden, Kampfesehre sei ihr<br />
Theil.“ 2344 . Zetkin forderte Anerkennung der Frauen, ihrer Verdienste <strong>und</strong> ihrer Opfer bis hin zum<br />
2336 Anna Kulischoff zit. nach: Ebd.<br />
2337 Ebd.<br />
2338 Ebd., S. 119.<br />
2339 Ebd.<br />
2340 Ebd., S. 118.<br />
2341 Ebd., S. 119.<br />
2342 Ebd.<br />
2343 Ebd.<br />
2344 Ebd.<br />
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ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Märtyrerinnentod. Auch als notwendige Gr<strong>und</strong>lage einer solchen Anerkennung machte sie deshalb<br />
in der „Gleichheit“ Frauengeschichte sichtbar.<br />
Zwei Monate später war es tatsächlich Kulischoffs Ges<strong>und</strong>heitszustand, der die „Gleichheit“ in<br />
einem weiteren Artikel beschäftigte. Kulischoff, selbst Ärztin, diagnostizierte an sich Symptome<br />
einer Blutkrankheit. Laut Zetkin, war dies der Gr<strong>und</strong>, weshalb man sie noch nicht ins Zuchthaus<br />
gebracht hatte <strong>und</strong> der ihre krankheitsbedingte Entlassung möglich erscheinen ließ. Doch Kuli-<br />
schoff lehnte jeden Gnadenakt für sich selbst ab. In einem Brief an einen Fre<strong>und</strong> forderte sie:<br />
„‘Verbieten sie Jedem, auch meiner Tochter, mir eine solche moralische Beleidigung<br />
zuzufügen. Eine Freiheit, die ich auf diesem Wege erlangen sollte, würde für<br />
mich eine solche Qual sein, daß ich sie nicht ertragen könnte;[…].’“ 2345<br />
Zetkin befand es hier für gut, die eigene Ges<strong>und</strong>heit geringer zu schätzen als den persönlichen<br />
Stolz <strong>und</strong> die politische Sache. Kaum verw<strong>und</strong>erlich, ging sie doch mit ihrem eigenen Körper<br />
nicht anders um.<br />
1903 veröffentlichte die „Gleichheit“ eine Artikelreihe des Soziologen Robert Michels (1876-<br />
1936) 2346 mit dem Titel „Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in<br />
Italien“ 2347 . Darin skizziert Michels nicht nur den Charakter <strong>und</strong> die politische Bedeutung Kuli-<br />
schoffs, sondern auch anderer italienischer Frauen. Zwei davon werden hier im Anschluss noch<br />
eingehender vorgestellt werden.<br />
Die Öffentlichkeit, so Michels, erfuhr von Kulischoff zum ersten Mal anlässlich eines Ver-<br />
schwörungsprozesses in Florenz im November 1879. Dort habe sie „[ä]sthetisch <strong>und</strong> moralisch<br />
[…] einen gleich gewaltigen Eindruck“ 2348 gemacht. Der ästethische Eindruck kann anscheinend<br />
2345 Unsere tapfere Genossin Kulischoff … In: GL, 08/ 20/ 28.09.1898/ 159.<br />
2346 Robert Michels besuchte das Collège Français in Berlin <strong>und</strong> das Carl-Friedrich-Gymnasium in Eisenach. 1896-<br />
1900 leistete er freiwilligen Militärdienst, nach dessen Ende er an der Pariser Sorbonne ein Studium der Nationalökonomie<br />
<strong>und</strong> Geschichte aufnahm. Er promovierte 1900 an der Universität Halle-Wittenberg. Es folgten viele<br />
Auslandsaufenthalte in Frankreich, Belgien <strong>und</strong> Italien. 1903-1905 versah Michels eine Dozentur an der Universität<br />
Brüssel, 1906 wurde er Mitglied der Société de Sociologie in Paris. 1907 habilitierte er an der Universität<br />
Turin, wo er bis 1914 als Privatdozent wirkte. Es folgten verschiedene Lehrstühle <strong>und</strong> schließlich eine Tätigkeit<br />
an der faschistischen Parteihochschule in Perugia. Michels beschäftigte sich vor allem mit der Soziologie des<br />
Parteiwesens <strong>und</strong> der Oligarchie. 1903-1907 stand er in Kontakt zur SPD <strong>und</strong> der „Partito Socialista Italiano“.<br />
1913 wurde er italienischer Staatsbürger <strong>und</strong> bekannte sich zunehmend zum italienischen Nationalismus. 1922<br />
wurde er schließlich Mitglied der „Partito Nazionale Fascista“ von Mussolini. Darüber hinaus verfasste Michels<br />
verschiedene Schriften zur Geschlechtsmoral <strong>und</strong> Sittlichkeit. Für die „Gleichheit“ verfasste Michels u. a.:<br />
Michels, Robert: Der vier<strong>und</strong>dreißigste Bebel. In: GL, 14/ 15/ 13.07.1904/ 113-115; Die deutsche Frau im Beruf.<br />
In: GL, 14/ 11/ 18.05.1904/ 82-84 (Rezension zum vierten Teil des „Handbuchs der Frauenbewegung“ (1901-<br />
1906)).<br />
2347 Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien [I-VI] In: GL, 13/<br />
01/ 01.01.1903/ 2-3 bis GL, 13/ 17/ 12.08.1903/ 131-134. Im letzten Beitrag wurde eine Fortsetzung angekündigt,<br />
die dann aber nicht erfolgte. Diese Reihe, in der Michels Quellenangaben mit Fußnoten belegt, ist ein weiteres<br />
Beispiel für das wissenschaftliche Niveau mancher „Gleichheit“-Artikel.<br />
2348 Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Anna Maria<br />
Mozzoni, Anna Kulischoff. Die ersten größeren Lohnbewegungen der italienischen Arbeiterinnen. In: GL, 13/ 05/<br />
25.02.1903/ 36.<br />
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4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />
auf Kulischoffs Äußeres zurückgeführt werden, das Michels begeistert wie folgt beschrieb:<br />
„Sie war nur wenig über zwanzig Jahre alt. Mit ihrem aschblonden, etwas<br />
strähnigen Haare erschien sie den Italienern als echter Typ einer slawischen Jungfrau.“<br />
2349<br />
Beeindruckender noch als ihr Aussehen sei aber ihre „selbstbewußte Haltung“ 2350 gegenüber ihren<br />
Richtern gewesen. Ihren Blick, so Michels, habe man nur schwer aushalten können. Er habe „wie<br />
ein plötzliches <strong>und</strong> blendendes Licht dem Beschauer entgegen[ge]strahlt“ <strong>und</strong> schien „ihm bis in<br />
die innerste Seele hineinzuschauen“ 2351 . Mit 15 habe Kulischoff ihr reiches Elternhaus verlassen<br />
<strong>und</strong> „ohne mit der Wimper zu zucken“ 2352 alles ertragen, um ihren Idealen zu leben. Sie studierte<br />
Medizin in Neapel, vertiefte ihre Studien in Turin, Zürich <strong>und</strong> Paris, um sich als praktische Ärztin<br />
schließlich in Mailand niederzulassen.<br />
Kulischoff trat als Vertreterin des italienischen Sozialismus auf den internationalen Kongressen in<br />
Brüssel <strong>und</strong> in Zürich auf. Deutlich sprach sie sich auf Letzterem für eine Frauenschutzgesetz-<br />
gebung aus <strong>und</strong> wollte diese konkret in Italien umsetzen. Doch auf keinem der nachfolgenden<br />
Landeskongresse ging man näher auf ihre Vorschläge ein. 2353 „Enttäuscht <strong>und</strong> wohl auch ein wenig<br />
verbittert“ 2354 habe Kulischoff daraufhin eine eigene Agitation <strong>und</strong> Reformtätigkeit für eine<br />
Frauen- <strong>und</strong> Kinderschutzgesetzgebung betrieben. Jenes Engagement für die Frauen <strong>und</strong> Kinder<br />
habe man ihr aber 1898 als aufrührerisch zur Last gelegt <strong>und</strong> mit Gefängnis bestraft. Vor dem<br />
Kriegsgericht erklärte Kulischoff ihr Handeln wie folgt:<br />
„‘Wenn ich als Ärztin nicht immer mit dem moralischen <strong>und</strong> physischen Elend der<br />
arbeitenden Frauen in stetem Kontakt gewesen wäre, hätte ich ja vielleicht nicht<br />
einmal das bißchen Agitation zu ihren Gunsten getrieben, welche man mir nun vorwirft.<br />
Aber ich habe sie getrieben <strong>und</strong> zwar zu ihrem Besten, <strong>und</strong> darüber freue ich<br />
mich jetzt.’“ 2355<br />
Ihre praktische Berufstätigkeit als Ärztin hatte sie demnach zum Sozialismus geführt <strong>und</strong> nie den<br />
Kontakt zu den Massen <strong>und</strong> deren Problemen verlieren lassen. Wie sie Michels selber erzählt<br />
2349 Ebd.<br />
2350 Ebd.<br />
2351 Ebd. Michels verweist bezüglich eines Zusammenhanges zwischen Physiognomie <strong>und</strong> Charakter auf ein Buch<br />
Paola Lombrosos (1871-1954), „I segni rivelatori della personalità“ (1902), das auch Kulischoff als Beispiel<br />
aufführe. Lombroso war die Tochter des Psychiaters <strong>und</strong> Anthropologen Cesare Lombroso, der 1893 das umstrittene<br />
Werk „Das Weib als Verbrecherin <strong>und</strong> Prostituierte“ veröffentlichte.<br />
2352 Ebd., S. 37.<br />
2353 Vgl. Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Die<br />
Ausbreitung <strong>und</strong> Vertiefung der Arbeiterinnenbewegung in den Jahren 1893 bis 1898. In: GL, 13/ 11/ 20.05.1903/<br />
83f.<br />
2354 Ebd., S. 84.<br />
2355 Angiolini, Alfredo: Cinquant’Anni die Socialismo in Italia (1900), S. 295. Zit. nach: Michels, Robert: Rückblick<br />
auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Die Ausbreitung <strong>und</strong> Vertiefung der<br />
Arbeiterinnenbewegung in den Jahren 1893 bis 1898. In: GL, 13/ 11/ 20.05.1903/ 83.<br />
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ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
habe, besuchte sie wochenlang ein Lokal, in dem Arbeiterinnen ihre Mahlzeit einnahmen, um in<br />
dieser kurzen Pause zu ihnen zu sprechen. Gebannt hätten ihr die Arbeiterinnen gelauscht <strong>und</strong> erst<br />
ihre Mahlzeit begonnen, nachdem sie ihren Vortrag geendet hatte. Für Michels ein Beweis dafür,<br />
dass diesen italienischen Arbeiterinnen „geistige Nahrung […] noch über die körperliche“ 2356 ge-<br />
gangen sei.<br />
Indem Kulischoff sowohl reale als auch ideale Kampfmittel angewandt habe, so Michels in jener<br />
Artikelreihe weiter, habe sie die Vorzüge zweier ihrer italienischen Vorkämpferinnen in sich<br />
vereint: Die Anna Maria Mozzonis (1837-1920) 2357 <strong>und</strong> die Laura Solera Mantegazzas (1813-<br />
1873). Das Leben Mantegazzas stellte Michels den Leserinnen der „Gleichheit“ etwas aus-<br />
führlicher vor.<br />
Mantegazza wurde in Mailand geboren <strong>und</strong> „entstammte der reichen <strong>und</strong> vornehmen<br />
lombardischen Bourgeoisie“ 2358 . Wie Michels der von Mantegazzas Sohn Paolo verfassten Bio-<br />
graphie entnommen hatte, war Mantegazza bereits während der Revolution 1848/49 politisch<br />
aktiv. 2359 1850 gründete sie, um Arbeiterinnen mit Kindern die Erwerbstätigkeit zu erleichtern, das<br />
erste große Säuglingsasyl. 1862 gründete sie den „Arbeiterinnenb<strong>und</strong> zu gegenseitiger Unter-<br />
stützung <strong>und</strong> Belehrung“ („Associazione di mutuo Soccorso ed Istruzion di Operaie“). Dieser<br />
B<strong>und</strong> sollte seine Mitglieder nicht nur bei Krankheit, Invalidität, Wochenbett <strong>und</strong> Alter unter-<br />
stützen, sondern auch ein Recht auf Arbeit gewährleisten, indem er bei der Arbeitssuche half.<br />
Außerdem gründete Mantegazza die erste „Mutterschaftskasse“ („Casse di Maternitá“), eine<br />
Schule für proletarische Analphabetinnen <strong>und</strong> 1870 eine Gewerbeschule für Mädchen, die dort<br />
eine Ausbildung in Kunstgewerbe <strong>und</strong> Handwerk erhielten. Es waren die praktischen Bedürfnisse<br />
<strong>und</strong> Fortbildungsmöglichkeiten der Arbeiterinnen, denen sich Mantegazza annahm. Diese Re-<br />
formtätigkeit beurteilte Michels zum Schluss seiner Beschreibungen jedoch etwas kritischer, da er<br />
der Meinung war, dass aus einer unermüdlich wirkenden „Philanthropin mit […] goldene[m]<br />
Herzen“ 2360 nur „fast […] eine[…] Sozialistin mit weitem Blick“ 2361 geworden sei.<br />
2356 Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Das „böse Jahr“<br />
1898. In: GL, 13/ 17/ 12.08.1903/ 132.<br />
2357 Die biographischen Angaben zu Maria Mozzoni sind in Michels Artikel marginal <strong>und</strong> bleiben hier deshalb<br />
unberücksichtigt. Siehe: Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in<br />
Italien. Anna Maria Mozzoni, Anna Kulischoff. Die ersten größeren Lohnbewegungen der italienischen Arbeiterinnen.<br />
In: GL, 13/ 05/ 25.02.1903/ 36-38.<br />
2358 Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Die ersten Anfänge<br />
der proletarischen Frauenbewegung in Italien bis 1893. In: GL, 13/ 01/ 01.01.1903/ 2.<br />
2359 Michels verweist hier auf: Mantegazza, Paolo: La mia mamma. Laura Solera Mantegazza (1876) (vgl. ebd.).<br />
2360 Ebd., S. 3.<br />
2361 Ebd.<br />
640
4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />
Mit „Fug <strong>und</strong> Recht“ 2362 , so Michels weiter, könne man Emilia Alciati Marabini (?-1897) „eine<br />
zweite Mantegazza“ 2363 nennen. Jedoch habe sie wiederum in einer Zeit gewirkt, in der die sozia-<br />
listische Bewegung bereits eine beachtliche Entwicklung genommen hatte.<br />
Marabini entstammte einer „reichen klerikalen Familie“ 2364 <strong>und</strong> heiratete den Rechtsanwalt Ezio<br />
Marabini, welcher ihr die Ideen des Sozialismus näher brachte. Die Loslösung Marabinis von<br />
ihrem Kirchenglauben beschrieb Michels so:<br />
„Bald hatte sie ihren katholischen Glauben völlig durch die Hoffnung auf eine<br />
Besserung der Menschheit in der sozialistischen Gesellschaft ersetzt, ohne deshalb<br />
ihr tiefinnerstes Christentum völlig aufgegeben zu haben.“ 2365<br />
Marabini war eine Gefühlssozialistin, die das „Herz […] dem Sozialismus in die Arme getrieben“<br />
2366 habe, nicht wie im Falle Anna Kulischoffs der Kopf 2367 .<br />
Marabini betrieb bei den ArbeiterInnen der römischen Vorstädte gezielte Agitation <strong>und</strong> verband<br />
diese mit praktischer Hilfeleistung. Ein besonderes Augenmerk richtete sie in ihrer Agitation <strong>und</strong><br />
in ihren Schriften auf den in den eigenen Reihen herrschenden Antifeminismus. Marabini sprach<br />
vor allem gegen die Lässigkeit <strong>und</strong> die Lächerlichkeit mit der auch Genossen das politische En-<br />
gagement ihrer Frauen abtaten:<br />
„‘Lächerlich sind doch nur die […], welche das Eine sagen <strong>und</strong> das Andere tun.<br />
Lächerlich sind doch nur die, welche den Sozialismus zwar in den Versammlungen<br />
mit großer Schwatzhaftigkeit verteidigen, im täglichen Leben aber bekämpfen,<br />
indem sie so<strong>und</strong>soviele Intelligenzen der Propaganda entziehen. Lächerlich sind<br />
nur diejenigen, welche nicht den Mut besitzen, die Meinung, welche sie doch zu<br />
haben behaupten, vollständig auszusprechen <strong>und</strong> sie aus falschem Opportunismus<br />
ihren Frauen gegenüber schön bei sich behalten. Lächerlich sind die, welche zwar<br />
unter der Schar der Sozialisten kämpfen, welche aber dennoch die Frau für ein<br />
Wesen halten, mit dem man sich genügend beschäftigt hat, wenn man ihm zu Kindern<br />
verhilft. Lächerlich, ja schlimmer noch als lächerlich sind diejenigen, welche,<br />
trotzdem sie zu uns gekommen sind, um den Egoismus zu bekämpfen, dennoch in<br />
sich selbst den ungerechtfertigsten <strong>und</strong> unvernünftigsten Egoismus nicht zu besiegen<br />
wissen.’“ 2368<br />
Interessanterweise hatte Zetkin diesen Teil trotz seines sehr kritischen Blickes auf die Ge-<br />
2362 Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Die Ausbreitung<br />
<strong>und</strong> Vertiefung der Arbeiterinnenbewegung in den Jahren 1893 bis 1898. In: GL, 13/ 11/ 20.05.1903/ 85.<br />
2363 Ebd.<br />
2364 Ebd., S. 84.<br />
2365 Ebd.<br />
2366 Ebd.<br />
2367 Vgl., ebd.<br />
2368 Marabini, Emilia Alciati: Propaganda. 4. Aufl., Rom: Tipografia Cooperativa Sociale, 1898, S. 80. Zit. nach: Ebd.,<br />
S. 85.<br />
641
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
schlechterharmonie des Proletariats nicht gekürzt. 2369 Aufgr<strong>und</strong> ihrer feministischen Sichtweise<br />
dürfte Marabini aber keine Sozialistin nach dem Geschmack Zetkins gewesen sein. Während<br />
Marabini sogar die Einrichtung einer „Spezialarbeitskammer für Frauen“ 2370 anstrebte, die zwar<br />
mit den Männern kooperieren, aber unabhängig sein sollte, lehnte Zetkin stets jede Frauensonder-<br />
organisation ab.<br />
Marabini, so Michels, habe sich immer eine Tochter gewünscht, mit der sie die Zahl der Genos-<br />
sinnen hatte stärken wollen. 2371 „Eine traurige Ironie des Schicksals“ 2372 wollte, dass Marabini 32-<br />
jährig im Wochenbett nach Geburt eben jener Tochter verstarb.<br />
Die „Gleichheit“ schätzte die erbaulichen <strong>und</strong> kämpferischen Gedichte der italienischen Dichterin<br />
Ada Negri (1870-1945) sehr. 2373 Immer wieder findet man einzelne von ihnen zwischen den<br />
Artikeln des Hauptteils oder in das Feuilleton eingestreut. Jeweils einen Artikel zu Negris Leben<br />
<strong>und</strong> Wirken verfassten Karl Soll <strong>und</strong> die „Gleichheit“-Redakteurin Clara Bohm-Schuch. Auffällig<br />
ist, dass es das Hauptblatt der „neuen“ „Gleichheit“ war, in denen beide hier herangezogenen bio-<br />
graphischen Artikel erschienen. Obwohl auch Zetkin die Werke Negris sehr schätzte, erschien<br />
unter ihrer Redaktion ein erster Artikel zum Leben Negris nicht nur auffällig spät, sondern außer-<br />
dem nur in der Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“. 2374<br />
Negri wurde als Tochter armer Eltern in Lodi geboren. Da ihr Vater früh verstarb, war die Mutter<br />
gezwungen, als Fabrikarbeiterin zu arbeiten. Durch ihre Erwerbstätigkeit ernährte sie nicht nur die<br />
Familie, sie ermöglichte außerdem ihrer Tochter, eine Ausbildung als Lehrerin zu absolvieren. Im<br />
Alter von 18 Jahren nahm Negri die schlechtbezahlte Stellung einer Lehrerin <strong>und</strong> Jugendbildnerin<br />
2369 Im Gegenteil: Diese Textstelle veröffentlichte die „Gleichheit“ einige Nummern später in einer längeren Version<br />
<strong>und</strong> anstelle einer Fortsetzung der Artikelreihe von Michels (vgl. Alciati-Marabini, Emilia: „Lächerlich“. In: GL,<br />
13/ 18/ 26.08.1903/ 139-141).<br />
2370 Ebd.<br />
2371 Vgl. Ebd.<br />
2372 Ebd.<br />
2373 In der „Gleichheit“ erschienen u. a. die Gedichte „Herausforderung“ (GL, 05/ 11/ 29.05.1895/ 85), „Mutterschaft“<br />
(GL,15/ 09/ 03.05.1905/ 54), „Gassenjunge“ (GL, 30/ 07/ 14.02.1920/ 51) <strong>und</strong> die im Anhang enthaltenen Werke<br />
„Seid gegrüßt“ (GL, 10/ 09/ 25.04.1900/ 65) <strong>und</strong> „Mutterliebe“ (GL, 30/ 32/ 07.08.1920/ 257).<br />
2374 Rausch, Bernhard: Eine Dichterin des Proletariats. In: 23 (1913)/ Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen 10/ 37-39.<br />
Zur Person Bernhard Rauschs (?-?) konnten keine Angaben gef<strong>und</strong>en werden. 1918 verfasste er die Schrift „Am<br />
Springquell der Revolution. Die Kieler Matrosenerhebung“. Er verfasste für die „Gleichheit“ mehrere<br />
Rezensionen – dies sogar „im Felde“ (vgl., Rausch, Bernhard: [Rezension zu: Everth, Erich: <strong>Von</strong> der Seele des<br />
Soldaten im Felde. Bemerkungen eines Kriegsteilnehmers. Tat-Flugschriften 10, Eugen Diederich Verlag, 1916]<br />
In: GL, 28/ 10/ 15.02.1918/ 119; Drei Jahre Weltrevolution. In: GL, 28/ 08/ 18.01.1918/ 57f; (dies war eine sehr<br />
positive Rezension zum gleichnamigen Buch Paul Lenschs, das 1917 erschien. Der Erste Weltkrieg sei nichts<br />
anderes als eine Weltrevolution <strong>und</strong> Lensch stehe mit dieser durchaus marxistischen Geschichtsbetrachtung „turmhoch“<br />
(ebd., S. 57) über Franz Mehring). Ebenfalls 1913 erschien im Notizenteil unter „Verschiedenes“ eine anrührende<br />
Beschreibung Negris <strong>und</strong> eines von ihr gehaltenen Vortrages vor italienischen EmigrantInnen in Zürich<br />
(vgl. Ada Negri als Vortragende vor italienischen Emigranten in Zürich. In: GL, 23/ 23/ 06.08.1913/ 368).<br />
642
4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />
in einem armen Weberdorf am Ticino an. 2375 Diese an sich selbst erfahrene Not sei es gewesen, so<br />
Soll, die Negris „starke[s] soziale[s] Empfinden“ 2376 <strong>und</strong> damit auch ihre beeindruckende Karriere<br />
als Dichterin begründet habe. Bereits ihre ersten Gedichtbände – darunter die Sammlung<br />
„Schicksal“ (1892) – machten sie weltberühmt. Sie ließen sie, so die Meinung Bohm-Schuchs, zur<br />
„Dichterin des Weltproletariats“ 2377 werden. Schließlich erhielt Negri eine Stellung als Lehrerin<br />
für italienische Literatur in Mailand <strong>und</strong> darüber hinaus einen „Ehrensold“. 2378<br />
1896 machte Negris Leben einen starken – wie Soll betont – „äußeren Wandel“ 2379 durch. Sie<br />
heiratete einen italienischen Großindustriellen <strong>und</strong> das mit dieser Heirat verb<strong>und</strong>ene luxuriöse<br />
Leben führte dazu, dass sie nicht mehr dichtete. Doch habe es auf Dauer nicht Negris „innere<br />
Stimme […] ertöten“ 2380 können. Sie verließ schließlich ihren Ehemann, befreite sich aus dem<br />
„goldene[n] Joch“ 2381 <strong>und</strong> ging mit ihrem Kind nach Zürich. Mit diesem Schritt sei sie „innerlich<br />
zurückgekehrt zu allen, die mühselig <strong>und</strong> beladen sind“ 2382 . Nach Solls Meinung machte gerade<br />
ihre thematische Begrenzung auf die proletarische Lebens- <strong>und</strong> Gefühlswelt, „[d]er enge Kreis<br />
ihrer stofflichen Welt“ 2383 Negris schöpferische Stärke aus: „Ihr gab ein Gott zu sagen was<br />
Tausende stumm erleiden.“ 2384 Sie sei „eine Proletarierin vom reinsten Adel, eine soziale Ruferin<br />
im Streit’“ 2385 . Der Umstand, dass Soll Negri an dieser Stelle nicht als „sozialistische Ruferin“<br />
bezeichnete, ist wohl dem ideologischen Wandel der „Gleichheit“ nach Zetkins Entlassung<br />
geschuldet.<br />
Aus Bohm-Schuchs Artikel, der anlässlich des 50. Geburtstages Negris erschien, sprach die<br />
besondere Wirkung ihrer Gedichte. Sie hatten Bohm-Schuch, die in der „Gleichheit“ häufig<br />
eigene Gedichte veröffentlichte, persönlich sehr berührt. 2386 Obwohl Negri bereits nicht mehr<br />
schöpferisch tätig war, sie „die Mittagshöhen überschritten [hatte] <strong>und</strong> […] sinkender Sonne ent-<br />
gegen“ 2387 ging, hoffte Bohm-Schuch, dass sie der Welt noch „Abendlieder schenkt, die schön <strong>und</strong><br />
2375 Vgl. [Bohm-Schuch, Klara] B.-S.: Ada Negri. In: GL, 30/ 07/ 14.02.1920/ 51.<br />
2376 Soll, Karl: Politische Frauen. (Schluß). In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210.<br />
2377 [Bohm-Schuch, Klara] B.-S.: Ada Negri. In: GL, 30/ 07/ 14.02.1920/ 51.<br />
2378 Soll, Karl: Politische Frauen. (Schluß). In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210.<br />
2379 Ebd., S. 211.<br />
2380 Ebd.<br />
2381 Ebd.<br />
2382 Ebd.<br />
2383 Ebd.<br />
2384 Ebd.<br />
2385 Ebd.<br />
2386 [Bohm-Schuch, Klara] B.-S.: Ada Negri. In: GL, 30/ 07/ 14.02.1920/ 51.<br />
2387 Ebd.<br />
643
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
glühend sind, wie das Rauschen ihres Lebensmorgens war“ 2388 .<br />
4.4.8.7 Polen<br />
Alwine Müller (?-1910?), Textilarbeiterin <strong>und</strong> Mutter von fünf Kindern, lebte in Lodz (Russisch-<br />
Polen). Sie arbeitete in der größten Textilfabrik der Stadt <strong>und</strong> war Mitglied der dortigen sozial-<br />
demokratischen Organisation. Müller, so „e.d.“, sei ein vorbildliches Mitglied ihrer Arbeiter-<br />
organisation gewesen. Sie kam jedem Streikaufruf wie selbstverständlich nach <strong>und</strong> ertrug ebenso<br />
selbstverständlich die zu erwartenden Aussperrungen <strong>und</strong> Zwänge. Diese Kämpfe waren ihr so<br />
„selbstverständlich, wie daß die Sonne scheint <strong>und</strong> die Nacht den Tag ablöst“ 2389 . Die einfache<br />
Proletarierin Müller habe „nichts zu verlieren [gehabt] als ihre Ketten <strong>und</strong> eine Welt voll Glück<br />
<strong>und</strong> Recht zu gewinnen“ 2390 . Dieses Zitat aus dem Kommunistischen Manifest markiert den sehr<br />
agitatorischen Duktus des Artikels. In Anlehnung an die sozialistischen Gr<strong>und</strong>sätze wurde Müller<br />
beschrieben als eine<br />
„jener Ungezählten, aus der sich Ihre Majestät, die Masse zusammensetzt.<br />
Ungenannt <strong>und</strong> ungekannt tragen sie die schwersten Opfer, schlagen sie die<br />
größten Schlachten, wälzen sie das Rad der Geschichte um.“ 2391<br />
Es ist die historische Mission der Massen, die mittels dieses biographischen Artikels zum Leben<br />
einer scheinbar bedeutungslosen Arbeiterin untermauert werden soll. Aber so bedeutungslos war<br />
Müller eben nicht. Eine einzelne Tat – „voll Heldenmut <strong>und</strong> Todesverachtung“ 2392 – hob sie von<br />
der Masse ab, „um wie ein Meteor aufzuleuchten <strong>und</strong> zu versinken“ 2393 . Eine einzelne Tat machte<br />
sie zum Beispiel für die Kräfte <strong>und</strong> Werte, die in der proletarischen Masse vorhanden sind.<br />
Diese einzelne Tat nahm ihren Anfang während eines Streiks von 2.000 Arbeitern <strong>und</strong> Arbeite-<br />
rinnen der Lodzer Textilfabrik des Fabrikanten Silberstein. Müller war eine von den Streikenden,<br />
die Lohnerhöhungen forderten, <strong>und</strong> sie war eine von den Streikenden, die sich allabendlich zu Be-<br />
ratungen in der Fabrik einfanden. Eines Abends kam einer der Fabrikbesitzer zu dem Streiktreffen<br />
hinzu. Ob dieser aus eigenem Antrieb kam oder von den Arbeitern in eine Falle gelockt worden<br />
war, sollte bei der späteren Gerichtsverhandlung ein entscheidender Streitpunkt sein. Jedenfalls<br />
hielt man den Fabrikbesitzer schließlich gegen seinen Willen fest, um ihn zu Lohnzugeständnissen<br />
2388 Ebd.<br />
2389 Ebd.<br />
2390 e.d.: Alwine Müller. In: GL, 20/ 15/ 25.04.1910/ 230.<br />
2391 Ebd.<br />
2392 Ebd.<br />
2393 Ebd.<br />
644
4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />
zu zwingen. Müller, bewaffnet mit einem geladenen Revolver, blockierte den Weg zum Telefon.<br />
Das weitere Geschehen beschrieb die „Gleichheit“ dann wie folgt:<br />
„Vergebens mahnten einige besonnene Genossen zur Ruhe, vergebens warnten sie<br />
die maßlos Erbitterten, sich von ihrem gerechten Zorn zu Handlungen hinreißen zu<br />
lassen, die nicht zu den Kampfmitteln der Sozialdemokratie gehören. Es kochte in<br />
der Masse. Da zog der tollkühne Kapitalist einen Revolver, richtete ihn drohend<br />
gegen die Arbeiter <strong>und</strong> rief: ‘Höhere Löhne möchtet ihr – Kugeln habe ich für<br />
euch, ihr Straßenräuber.’ In demselben Augenblick entriß ihm eine Arbeiterfaust<br />
den Revolver, ein Schuß krachte <strong>und</strong> tödlich getroffen sank der Fabrikant zu<br />
Boden.“ 2394<br />
Dieser Beschreibung nach war es eher Notwehr der ArbeiterInnen als ein heimtückisch geplanter<br />
Mord, doch so oder so sollte sich zeigen: „ein Fabrikantenleben ist teuer“ 2395 .<br />
Mehrere der beteiligten ArbeiterInnen wurden verhaftet <strong>und</strong> gefoltert bis sie die Namen ver-<br />
meintlicher RädelsführerInnen preisgegeben hatten. Schließlich wurden sieben Personen zum<br />
Tode verurteilt – darunter auch Alwine Müller. Selbst in dieser dramatischen Situation habe sie<br />
größte Gelassenheit bewiesen:<br />
„Schweigend vernahm die Proletarierin ihr Todesurteil. Schweigend wies sie dem<br />
Priester die Tür, als er kam, um ihr den letzten christlichen Trost zu spenden. […]<br />
Einige der Todgeweihten schluchzten, der Priester brach ohnmächtig zusammen –<br />
Alwine Müller zuckte mit keiner Wimper. Schweigend empfing sie den Tod …“ 2396<br />
Ein bemerkenswert stoisches Verhalten, für das auch „e.d.“ nach einer Erklärung suchte <strong>und</strong> diese<br />
schließlich auch gab:<br />
„Wer war Alwine Müller? Ein entmenschtes, gefühlloses Weib oder eine Heldin?<br />
Hing sie nicht am Leben? Gedachte sie nicht ihrer Kinder, die vielleicht in<br />
derselben St<strong>und</strong>e weinend nach der Mutter riefen? Alwine Müller liebte das Leben<br />
– wie hätte sie sonst so viel daran gesetzt, es schöner <strong>und</strong> menschenwürdiger zu<br />
gestalten. Sie liebte ihre Kinder, wie hätte sie sonst alles gewagt, eine helle Zukunft<br />
zu erkämpfen. […] Alwine Müller liebte ihre Kinder, darum war ihr einziges <strong>und</strong><br />
bestes Vermächtnis für sie ihr eigener standhafter Heldentod.“ 2397<br />
Müller war sozialistische Klassenkämpferin <strong>und</strong> war sozialistische Mutter. Indem sie für den<br />
Klassenkampf ihr Leben opferte, gab sie es für eine über jedes kleinliche familienegoistische<br />
2394 Ebd.<br />
2395 Ebd.<br />
2396 Ebd.<br />
2397 Ebd.<br />
645
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Denken erhabene Sache. Diese Botschaft ist es zumindest, die die „Gleichheit“ ihren Leserinnen<br />
anhand Müllers Beispiel <strong>und</strong> Vorbild vermitteln wollte.<br />
4.4.8.8 Großbritannien<br />
Johanna Beckenstedt (?-1897) gehörte zu den Tausenden <strong>und</strong> Abertausenden von Frauen, die<br />
tagtäglich für ihre Ideale kämpften – unscheinbar <strong>und</strong> doch so bedeutend. 2398 Seit 1882 war sie<br />
rühriges Mitglied des Kommunistischen Bildungsvereins in der Londonder Tottenham Street 49.<br />
Nie habe Beckenstedt „vor nöthigen Opfern <strong>und</strong> Mühen zurück[geschreckt]“ 2399 <strong>und</strong> besonders für<br />
die finanzielle Existenzsicherung der politischen Zeitschrift „Londoner Freie Presse“ (1886-1890)<br />
gewirkt. 23 Jahre lang führte sie eine glückliche Ehe. Dies mit einem Mann, mit dem sie nicht nur<br />
Liebe <strong>und</strong> Achtung, sondern auch eine „innige Ideengemeinschaft“ 2400 im Kampfe für die<br />
sozialistische Arbeiterbewegung verb<strong>und</strong>en habe.<br />
Eine der bekanntesten <strong>und</strong> „energischsten Vorkämpferinnen des Sozialismus in England“ 2401 war<br />
die in Manchester als Tochter eines Katt<strong>und</strong>ruckers aufgewachsene Emmeline Pankhurst (1858-<br />
1928). Vermutlich war es die Lektüre einer ihrer Schriften, die Zetkin zum Schreiben eines bio-<br />
graphischen Artikels anregte, denn es ist weder ein Nachruf noch ein Jubiläumsartikel.<br />
Durch lange Diskussionen zu Politik <strong>und</strong> Nationalökonomie, die bereits in ihrem Familienkreis<br />
geführt worden seien, habe Pankhurst vieles über die Lage der Arbeiterklasse erfahren können. Ihr<br />
eigenständiges „Nachdenken“ 2402 habe sie schließlich als junges Mädchen den Anschluss an die<br />
Arbeiterbewegung vollziehen lassen. Sieben Jahre lang besuchte sie die Fabian-Gesellschaft in<br />
London (gegründet 1884) 2403 , in der sie sozial <strong>und</strong> politisch geschult wurde. 1879 heiratete sie den<br />
Rechtsanwalt Pankhurst, der zwar zum politischen Lager der Republikaner gehörte, aber zum<br />
Sozialismus tendierte. Beide wurden Mitglied der „Independent Labour Party“ <strong>und</strong> „wirkten mit<br />
2398 Vgl. Zwei wackere Kämpferinnen … In: GL, 07/ 08/ 14.04.1897/ 62.<br />
2399 Ebd., S. 61.<br />
2400 Ebd.<br />
2401 Emmeline Pankhurst. In: GL, 07/ 19/ 15.09.1897/ 149.<br />
2402 Ebd.<br />
2403 Die Fabian-Gesellschaft ist eine immer noch existierende Gruppierung sozialistischer Intellektueller. Neben Pankhurst<br />
gehörten das Ehepaar Webb, George Bernhard Shaw <strong>und</strong> H.G. Wells zu ihren Mitgliedern. Die Gruppierung,<br />
die 1900 großen Anteil an der Gründung der Labour Party hatte, benannte sich nach dem für seine zögerlichabwartende<br />
Kampf-Strategie bekannten römischen General Fabius Maximus Verrucosus. Die Gesellschaft vertrat<br />
damit weniger einen revolutionären als vielmehr evolutionären Sozialismus. Ähnliche Gesellschaften entstanden<br />
in Neuseeland <strong>und</strong> Australien.<br />
646
4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />
Begeisterung, Energie <strong>und</strong> Opferfreudigkeit für die sozialistischen Ideen“ 2404 . Diese politische<br />
Gesinnung führte jedoch dazu, dass sie, so Zetkin, „wirthschaftlich geboykottet“ 2405 wurden. Die<br />
damit verb<strong>und</strong>enen finanziellen Einbußen habe das Ehepaar jedoch schlicht als „unvermeidliche<br />
Zufälle des Kampfes für eine feste Ueberzeugung“ 2406 hingenommen.<br />
1894 kandidierte Pankhurst für den Schulrat der Stadt Manchester. Für ihren Wahlkampf habe sich<br />
die „junge schöne Frau“ 2407 einfachster <strong>und</strong> doch wirksamer Werbemittel bedient. Auf einem Stuhl<br />
stehend erläuterte sie den PassantInnen auf offener Straße ihr Programm. Meist hätten die<br />
PassantInnen tatsächlich mehr Interesse als Hohn gezeigt <strong>und</strong> die Versammlungsfreiheit sei von<br />
der englischen Polizei anstandslos respektiert worden – unvorstellbar für deutsche Sozialdemokra-<br />
tinnen. Pankhurst sei, obwohl sie unter Lampenfieber gelitten habe, eine beeindruckende Rednerin<br />
gewesen. Unzählige Versammlungen habe sie in ihrer für sie typischen „gedrängte[n] Rede-<br />
weise“ 2408 abgehalten. Dies tat sie selbst dann noch als 1896 der Stadtrat von Manchester unter<br />
Androhung von Arrest <strong>und</strong> Geldstrafen Versammlungen in öffentlichen Parks untersagt hatte. Um<br />
ein Haar wäre es zu einer Verurteilung Pankhursts gekommen. Doch die Richter sprachen sie frei,<br />
weil sie das öffentliche Aufsehen um die bereits sehr bekannte <strong>und</strong> beliebte Politikerin vermeiden<br />
wollten.<br />
Pankhurst sei der Überzeugung gewesen, so Zetkin,<br />
„daß die Frau ihren richtigen Platz erst dann einnehmen, ihre wahre Aufgabe erst<br />
dann erfüllen wird, wenn sie die volle Gleichberechtigung mit dem Manne in politischer<br />
<strong>und</strong> rechtlicher Hinsicht erlangt hat“ 2409 .<br />
Der Aspekt ökonomischer Unabhängigkeit blieb hier allerdings unbeachtet. Es waren im Weiteren<br />
weniger Pankhursts Qualitäten als Klassenkämpferin denn als „weiblicher Vollmensch“, die<br />
Zetkin hervorhob. Pankhurst war für sie bestes Beispiel dafür,<br />
2404 Ebd.<br />
2405 Ebd.<br />
2406 Ebd.<br />
2407 Ebd.<br />
2408 Ebd.<br />
2409 Ebd.<br />
„daß die willensstarke, pflichttreue <strong>und</strong> aufgeklärte Frau sehr wohl ihre Aufgaben<br />
in der Welt erfüllen kann, ohne die Aufgaben im Hause zu vernachlässigen. Ihre<br />
Kinder entwickeln sich unter gewissenhafter mütterlicher Obhut in einem glücklichen<br />
Heim. Ihr Gatte schöpft Anregung <strong>und</strong> Kraft aus dem Zusammenleben mit<br />
einer Gefährtin, die seine Ideale theilt, seine Bestrebungen fördert. In treuer Ideengemeinschaft<br />
kämpfen Mann <strong>und</strong> Frau zusammen für ihre Ueberzeugungen, <strong>und</strong><br />
auch die heranwachsenden Kinder der Familie Pankhurst suchen nach Kräften der<br />
sozialistischen Sache zu dienen. So schließt sich Frau Pankhursts Wirken im<br />
öffentlichen Leben mit ihrem Walten im Heim zu einem harmonischen, reichen<br />
647
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Ganzen zusammen.“ 2410<br />
Die gesamte Familie Pankhurst war demnach eine Familie sozialistischer Vollmenschen – ein<br />
Idealbild scheint in ihr Realität geworden zu sein. Nie habe die Familie bei Festen der sozialis-<br />
tischen <strong>und</strong> gewerkschaftlichen Organisationen gefehlt, was für ihr Engagement um die kultu-<br />
rellen Bedürfnisse der ArbeiterInnen spreche. 2411 Auffällig wird an dieser Stelle, dass Zetkin kein<br />
einziges Alltagsproblem erwähnte, was annehmen lässt, dass der Haushalt der Pankhursts über<br />
Personal verfügt haben dürfte.<br />
<strong>Von</strong> besonderer Prominenz war Eleanor Marx-Aveling (1855-1898), die „jüngste <strong>und</strong> liebste<br />
Tochter“ 2412 von Karl <strong>und</strong> Jenny Marx. Der vermutlich von Zetkin verfasste Nachruf enthält<br />
jedoch kaum einen Bezug auf diese besondere Elternschaft. Zetkin beschrieb zuerst ihre<br />
vielfältigen Verdienste um die sozialistische Bewegung. Marx-Aveling war Mitbegründerin der<br />
„Gasarbeiter- <strong>und</strong> Tagelöhner-Union“, mit der besonders die ungelernten Arbeiter organisiert <strong>und</strong><br />
der Gewerkschaftsbewegung zugeführt wurden. Sie war eine rege Agitatorin <strong>und</strong> arbeitete<br />
aufgr<strong>und</strong> ihrer vielseitigen Sprachkenntnisse auf vielen internationalen sozialistischen <strong>und</strong><br />
gewerkschaftlichen Kongressen als Übersetzerin. Sowohl inner- als auch außerhalb der sozialis-<br />
tischen Bewegung kämpfte sie für die Rechte der Frau, „aber ebenso energisch bekämpfte sie jede<br />
frauenrechtlerische Unklarheit“ 2413 . Sie veröffentlichte eigene Broschüren, Abhandlungen <strong>und</strong><br />
Artikel, aber auch Werke ihres berühmten Vaters.<br />
Dann kam Zetkin dem sicherlich vorhandenen Interesse ihrer Leserinnen nach, mehr über die Um-<br />
stände zu erfahren, unter denen Marx-Aveling am 1. April 1898 2414 Suizid beging. Zetkin<br />
spekulierte, dass es die „wochenlange[n] Nachtwachen am Krankenbette des zärtlich geliebten<br />
Gatten“ 2415 waren, die ihre Kräft aufzehrten. Trotzdem sei Marx-Aveling<br />
„[n]icht als Müde, nicht als Verzweifelte […] aus dem Leben gegangen. Vielmehr<br />
als Klarblickende <strong>und</strong> Stolze, die sich im tiefsten Lebensmark getroffen fühlte, <strong>und</strong><br />
die zu leidenschaftlich ihren Idealen anhing, um mit einer halben Kraft weiter zu<br />
vegetiren, um die halbe Kraft ihrer Feuerseele in den Dienst der Bewegung zu<br />
stellen. Als Vollmensch hatte sie gelebt, als Vollmensch wollte sie sterben.“ 2416<br />
Der „Gleichheit“ <strong>und</strong> ihren Leserinnen solle sie als ein solcher „weiblicher Vollmensch“, als „Ge-<br />
2410 Ebd.<br />
2411 Vgl. ebd.<br />
2412 Eleanor Marx-Aveling †. In: GL, 08/ 08/ 13.04.1898/ 57.<br />
2413 Ebd.<br />
2414 In einem weiteren „Gleichheit“-Artikel wird als Todestag Marx-Avelings der 31. März 1898 genannt. Vgl. Banner,<br />
Robert: Den Tod unserer unvergeßlichen Genossin Eleanor Marx betreffend… In: GL, 08/ 10/ 11.05.1898/ 76.<br />
2415 Eleanor Marx-Aveling †. In: GL, 08/ 08/ 13.04.1898/ 57.<br />
2416 Ebd.<br />
648
stalt von seltener Reinheit <strong>und</strong> Größe“ 2417 im Gedächtnis bleiben.<br />
4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />
Nach Veröffentlichung eines weiteren Artikels erschien die Gestalt Marx-Avelings jedoch weitaus<br />
weniger rein <strong>und</strong> groß. Denn der von ihrem langjährigen Fre<strong>und</strong> Robert Banner 2418 in mehreren<br />
sozialistischen Blättern Englands <strong>und</strong> auch in der „Gleichheit“ veröffentlichte Artikel wirft ein<br />
etwas anderes Licht auf die Verstorbene. Nach Meinung <strong>und</strong> Kenntnissen Banners waren es nicht<br />
die Sorgen um die Erkrankung ihres Ehemannes Edward Aveling oder gar finanzielle Probleme,<br />
die Marx-Aveling zum Äußersten gebracht hätten. 2419 Ähnlich einem Protokoll beschrieb Banner<br />
in elf definitiven Aussagen die Situation direkt vor dem Suizid <strong>und</strong> revidierte damit die Speku-<br />
lation um dessen Motivation.<br />
Marx-Aveling habe den Entschluss zum Suizid erst an dem nämlichen Tage gefasst. Am Morgen<br />
empfing sie einen Brief, der sich auf eine andere Person bezog <strong>und</strong> diese „in sehr schlechtem<br />
Lichte“ 2420 darstellte. Banner blieb an dieser Stelle sehr vage, weil er selbst den Briefinhalt nicht<br />
kannte. Daraufhin bestellte Marx-Aveling per Boten Gift bei einem Apotheker, empfing es <strong>und</strong><br />
quittierte seinen Erhalt. Dies alles tat sie in Gegenwart ihres Ehemannes, den sie auf diese Weise<br />
hindern wollte, das Haus zu verlassen. Eduard Aveling schien das Haus aber dennoch verlassen zu<br />
haben. Seine Ehefrau habe ihm gegenüber, so die spätere Aussage Avelings, des Öfteren mit<br />
Suizid gedroht <strong>und</strong> ihm sogar gemeinsamen Suizid vorgeschlagen. Deshalb erschienen ihm ihre<br />
Drohungen nicht mehr als ein ernstlicher Vorsatz. An jenem Tag aber verfasste Marx-Aveling<br />
einen Brief an ihren Anwalt, in welchem sie die Namen verschiedener Personen nannte <strong>und</strong> dem<br />
am Morgen erhaltenen Brief beifügte. Briefe, die ihren Anwalt jedoch nie erreichten, so Banner,<br />
sondern nach der Totenschau ihrem Ehemann ausgehändigt worden seien. Entgegen dem Wunsch<br />
der Toten habe dieser sie schließlich auch nicht weitergeleitet. 2421 Die Beschreibungen Banners<br />
lassen insgesamt auf ein Eifersuchtsdrama schließen, was die „Gleichheit“ jedoch gänzlich un-<br />
kommentiert ließ. Sie ergänzte lediglich die Information, dass Aveling nach diesen Ereignissen<br />
seinen Rücktritt aus dem Rat der Zeitschrift „Justice“ (1884/85-1898), dem Zentralorgan der<br />
„Sozialdemokratischen Föderation Englands“, genommen hatte. 2422<br />
Mary Middleton (1870-1911), eine der Gründerinnen der englischen „Women’s Labour League“<br />
2417 Ebd.<br />
2418 Das Mitglied der „Socialist League“, Robert Banner, war laut „Gleichheit“ zu jener Zeit Stadtrat von Woolwich.<br />
2419<br />
Vgl. Banner, Robert: Den Tod unserer unvergeßlichen Genossin Eleanor Marx betreffend… In: GL, 08/ 10/<br />
11.05.1898/ 76. Abgefasst wurde der Artikel am 21. April 1898 – 21 Tage nach dem Suizid.<br />
2420<br />
Vgl. ebd.<br />
2421<br />
Vgl. ebd.<br />
2422<br />
Vgl. ebd. Siehe außerdem: Bernstein, Eduard: Was Eleanor Marx in den Tod trieb. In: Neue Zeit, 16 (1897/98,<br />
Bd. 2)/ 41/ 481-491.<br />
649
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
(„Liga für die Interessen der erwerbstätigen Frauen“), wählte nicht den Freitod, sondern erlag<br />
einem „tückische[n] qualvolle[n] Leiden“ 2423 . Ein Jahr lang, so Zetkin in ihrem Nachruf, fesselten<br />
sie dieses Leiden an das Krankenbett. Doch selbst dort habe Middleton für ihre GenossInnen noch<br />
beratende Arbeit geleistet. Alle für ihre Beerdigung bestimmten Blumengebinde, so habe<br />
Middleton vor ihrem Tode verfügt, sollten stattdessen kranken GenossInnen gebracht werden. Den<br />
Angehörigen <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>en dieser selbstlosen Kämpferin sprach die „Gleichheit“ im Namen der<br />
sozialistischen Frauen aller Länder ihre aufrichtige Teilnahme aus.<br />
Völlig unerwartet war der Kindbetttod der 41-jährigen Margaret Ethel Mac Donald (1870-1911).<br />
Aus dem vermutlich von Zetkin verfassten Nachruf erfuhr die „Gleichheit“-Leserin, dass diese die<br />
Tochter einer Aristokratin <strong>und</strong> des angesehenen Professors Gladstone war. <strong>Von</strong> ihm, der sich als<br />
ein bürgerlicher Radikaler <strong>und</strong> Philanthrop für die allgemeine Volksbildung einsetzte, habe Mac<br />
Donald ihre<br />
„unerschütterliche demokratische Gesinnung, das Gefühl der Mitverantwortlichkeit<br />
für die sozialen Geschehnisse <strong>und</strong> Zustände <strong>und</strong> den unwiderstehlichen Drang, für<br />
andere zu wirken[,]“ 2424<br />
geerbt. Die Mitwirkung an der Reformarbeit ihres Vaters ließ sie aber weiterdenken, ließ sie<br />
erkennen, dass die Gesellschaft gr<strong>und</strong>legend umgestaltet werden müsse. Zwar hätte ihr ihre Her-<br />
kunft, ihre soziale Stellung <strong>und</strong> ihre Erziehung ohne Weiteres eine hohe Position in der<br />
bürgerlichen Gesellschaft verschaffen können, doch ließen sie ihr „klarer Blick“ 2425 <strong>und</strong> ihr „mit-<br />
fühlendes Herz“ 2426 ihren wahren Platz unter den Arbeitenden finden.<br />
Mac Donald engagierte sich für den Sozialismus, „gab sich ihm ganz <strong>und</strong> für immer“ 2427 , indem<br />
sie sich 1895 durch ihren Beitritt zur Unabhängigen Arbeiterpartei offen als Sozialistin bekannte<br />
<strong>und</strong> auch so manches familiäre Band zerbrach. Sie lernte Ramsay Mac Donald kennen <strong>und</strong><br />
heiratete ihn 1896. Ihre Ehe war auch eine Arbeitsgemeinschaft, die beide in ihrer Entwicklung<br />
sehr förderte. Mac Donald begleitete ihren Ehemann auf Studienreisen nach Südafrika, Indien,<br />
Australien <strong>und</strong> Kanada. Neben all ihrem Engagement war sie aber ihren sechs Kindern auch eine<br />
fürsorgliche Mutter.<br />
Eine gute Rednerin sei sie hingegen nicht gewesen. Auch „den Weg zum wissenschaftlichen<br />
2423 Mary Middleton †. In: GL, 21/ 18/ 05.06.1911/ 287.<br />
2424 Margaret Ethel Mac Donald †. In: GL, 21/ 26/ 25.09.1911/ 405.<br />
2425 Ebd.<br />
2426 Ebd.<br />
2427 Ebd.<br />
650
4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />
Sozialismus“ 2428 , so Zetkin, habe Mac Donald „nicht finden k[önnen]“ 2429 , sei – bedingt durch die<br />
herrschenden Umstände <strong>und</strong> ihren Werdegang – immer „eine Gefühlssozialistin englischen<br />
Schlags“ 2430 geblieben. Die Durchsetzung von Reformen, die Organisation von Arbeiterinnen <strong>und</strong><br />
ihre Unterstützung im Arbeitskampf – dies seien Wirkungsfelder gewesen, so Zetkin, auf denen<br />
Mac Donald „als der Tätigsten eine auf dem Plan“ 2431 stand. Die Vielzahl der führenden Ämter<br />
Mac Donalds ist dementsprechend beeindruckend. Sie arbeitete in der „Nationalen Union der<br />
Arbeiterinnen“, engagierte sich für die Einrichtung von Werkstätten für arbeitslose Frauen <strong>und</strong> für<br />
die Gründung von Gewerbeschulen für Frauen in London. Sie war eine der Begründerinnen des<br />
„Komitees zum Schutze erwerbstätiger Kinder“ <strong>und</strong> zweite Vorsitzende des „Nationalverbandes<br />
der Klubs lediger Arbeiterinnen“ („Girls Clubs“). In Kooperation sozialistischer Frauen <strong>und</strong><br />
bürgerlicher Reformerinnen war Mac Donald an der Gründung des „Frauenarbeitsrats“<br />
(„Women’s Industrial Council“) beteiligt. Sie war Mitgründerin der großen nationalen Organi-<br />
sation „Liga für die Interessen der erwerbstätigen Frauen“ (1906) <strong>und</strong> der großen internationalen<br />
Organisation „Internationaler Sozialistischer Frauenrat“. Als Delegierte nahm sie sowohl an der<br />
Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale in Stuttgart (1907) als auch in Kopenhagen<br />
(1910) teil. Obwohl Mac Donald stets weiterdachte, war sie Befürworterin des beschränkten<br />
Frauenwahlrechts. Sie glaubte, das „Damenwahlrecht“, so Zetkin, als „bittere Vorfrucht des<br />
allgemeinen Bürgerrechts in den Kauf nehmen zu müssen“ 2432 .<br />
Die Sozialistische Fraueninternationale verlor mit ihr eine vielversprechende Persönlichkeit, die<br />
ihr Leben dem Sozialismus gewidmet hatte <strong>und</strong> die „trotz fruchtbaren, aufopfernden Wirkens<br />
keine Müde, Ruheverlangende, sondern umgekehrt, eine Arbeitsfrohe, eine Kämpfende“ 2433 ge-<br />
wesen sei.<br />
Auch Mathilda Hyndman (?-1913) war eine häufige Teilnehmerin internationaler Kongresse <strong>und</strong><br />
der ersten Konferenz der Sozialistischen Fraueninternationale in Stuttgart. Bereits in den 1880er<br />
Jahren hatte sie im kleinen Kreis ihre agitatorische Tätigkeit begonnen. Da Hyndmans Ehemann<br />
ein bekannter Sozialistenführer war, erfuhr das Ehepaar oft schwere gesellschaftliche Dis-<br />
kriminierungen <strong>und</strong> finanzielle Notlagen. Doch selbst als das Ehepaar gezwungen war, sein Haus<br />
2428 Ebd.<br />
2429 Ebd.<br />
2430 Ebd., S. 406.<br />
2431 Ebd.<br />
2432 Ebd.<br />
2433 Ebd., S. 405.<br />
651
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
zu verkaufen, habe Hyndman den Verlust mutig ertragen.<br />
Hyndman war kinderlos geblieben <strong>und</strong> umso leidenschaftlicher setzte sich die „Mutter des<br />
Sozialismus“ 2434 besonders für eine kostenlose Speisung der Arbeiterkinder ein. Nur von einigen<br />
wenigen Fre<strong>und</strong>innen unterstützt, bereitete sie von Ende der 1880er Jahre bis Anfang der 1890er<br />
Jahre in Battersea jeden Winter 30.000 Mahlzeiten zu. Hyndman arbeitete in verschiedenen<br />
Frauenkomitees <strong>und</strong> Frauenräten mit, <strong>und</strong> Anfang März 1913 hatte sie als Vorsitzende anlässlich<br />
des Kongresses des Frauenrates der britischen sozialistischen Partei ihren letzten öffentlichen<br />
Auftritt. Die „Gleichheit“ schloss ihren Nachruf mit den weissagenden Worten: „Sie wird lange<br />
vermißt <strong>und</strong> nie vergessen werden.“ 2435<br />
Mary Macarthur (1880-1921) engagierte sich im Gegensatz zu Hyndman vor allem als<br />
Gewerkschafterin. Es ist fraglich, ob ihr eine von Zetkin redigierte „Gleichheit“ einen Nachruf ge-<br />
widmet hätte – die „neue“ „Gleichheit“ tat es.<br />
17 Jahre lang, so Emmy Kämmerer-Leonhardt (1890-?) 2436 in einem auffällig emotionslosen<br />
Nachruf, war Macarthur in verschiedenen Ämtern tätig, u. a. als Vorsitzende des<br />
Exekutivausschusses der englischen Arbeiterinnenvereine („Standing Joint Comittee of Women’s<br />
Industrial Organisations“) oder als Sekretärin des Verbandes der Frauengewerkschaften. 2437 Sie<br />
war als Delegierte auf verschiedenen internationalen Kongressen anwesend <strong>und</strong> nahm 1919 in<br />
Washington an der Arbeitskonferenz des Völkerb<strong>und</strong>es teil. Während des Krieges setzte sich Mac-<br />
arthur als Sprecherin einer Deputation für Minimallöhne der Munitionsfabrikarbeiterinnen ein.<br />
Macarthur, die als Interessenvertreterin der Arbeiterinnen „‘unermüdlich, tatkräftig, zuversicht-<br />
lich’“ 2438 gewesen sei, verstarb nach langer Krankheit. 2439<br />
4.4.8.9 USA<br />
Als „[e]ine Deutsche, die von den Stürmen des Sozialistengesetzes über den Ozean getrieben<br />
2434 Genossin Mathilda Hyndman †. In: GL, 23/ 22/ 23.07.1913/ 351.<br />
2435 Ebd.<br />
2436 Emmy Kämmerer-Leonhardt, geb. Kämmerer, war Tochter eines Bankdirektors. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte<br />
sie sich längere Zeit im Ausland aufgehalten. 1914-1915 war sie in der Hamburger Kriegsfürsorge <strong>und</strong> der Gesellschaft<br />
für Arbeitsnachweis tätig. Seit 1916 engagierte sie sich in der SPD. 1919-1920 war sie Gewerkschaftsangestellte<br />
<strong>und</strong> nahm in dieser Zeit auch ein Mandat als Abgeordnete der Hamburger Bürgerschaft wahr. Eine<br />
Kandidatur 1920 für den Reichstag blieb erfolglos.<br />
2437 Vgl. Kämmerer-Leonhardt, E[mmy]: Olive Schreiner <strong>und</strong> Mary Macarthur/ 31/ 03/ 01.02.1921/ 18.<br />
2438 So die Meinung J. Mallons, Mitarbeiter des „Daily Telegraph“ (1855-aktuell). Zit. nach: Ebd., S. 19.<br />
2439 Kämmerer-Leonhardt, die in ihrem Artikel kein Geburtsjahr angab, behauptete Macarthur sei 38jährig verstorben<br />
652<br />
(vgl. ebd.).
4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />
wurde“ 2440 , sei Johanna Greie-Cramer (1864-1911) in die USA gekommen. Im Gepäck habe sie<br />
„als teuerstes Gut aus der Heimat“ 2441 , so vermutlich Zetkin als Verfasserin der kleinen Notiz, „die<br />
sozialistische Heilslehre“ 2442 gehabt. Diese habe das „schriftstellerische <strong>und</strong> rednerische Talent des<br />
jungen Weibes“ 2443 befruchtet. Diesen einleitenden Informationen sollte in der nächsten Nummer<br />
ein Nachruf auf Greie-Cramer folgen, was jedoch erst zwei Nummern später im nächsten Jahr-<br />
gang tatsächlich geschah. 2444<br />
Johanna Greie-Cramer, so erfährt man aus dem Nachruf, wurde in Dresden geboren <strong>und</strong> war<br />
Tochter einer kleinbürgerlichen Familie. Ihren Wissenshunger konnte die übliche Volksschul-<br />
bildung nicht stillen, weshalb sie von sich aus sehr viel las. Sie begann eine kaufmännische<br />
Ausbildung <strong>und</strong> nahm in Magdeburg eine Stellung an. Hier lernte die 21-jährige den Dreher <strong>und</strong><br />
überzeugten Sozialdemokraten Emil Greie kennen <strong>und</strong> heiratete ihn. In dieser Ehe fand sie, so<br />
Zetkin, die „Ideengemeinschaft <strong>und</strong> Anregung, von der ihre heiße Bildungssehnsucht geträumt<br />
hatte“ 2445 . Seine geistige Welt, die freireligiöse <strong>und</strong> sozialistische Bewegung, wurde bald die ihre<br />
<strong>und</strong> er unterstützte ihre schriftstellerische Tätigkeit für die Magdeburger „Gerichtszeitung“ <strong>und</strong><br />
für andere Tagesblätter.<br />
1887 entschloss sich das Ehepaar Greie unter dem Druck des Sozialistengesetzes, in die USA<br />
auszuwandern. In New York wurden sie, so Zetkin, zu „Bahnbrechern des wissenschaftlichen<br />
Sozialismus“ 2446 . Greie-Cramer hatte aber erst von ihrem eigenen Wert für die Bewegung über-<br />
zeugt werden müssen. Ihr Parteifre<strong>und</strong> Rosenberg beschrieb sein eigenes Talent für die Suche<br />
nach geeigneten AgitatorInnen wie folgt:<br />
„‘Als Sekretär des Exekutivkomitees der damals rein deutschen sozialistischen<br />
Arbeiterpartei war mein Auge geschärft für werktätige Kräfte, <strong>und</strong> wo ich solche<br />
witterte, da zwang ich sie durch Überredung hinein in die Öffentlichkeit der Propaganda’“<br />
2447 .<br />
Nicht wenige SozialistInnen dürften durch eine solche persönliche Ansprache für leitende<br />
Funktionen geworben worden sein. Mit Greie-Cramer gewann Rosenberg der sozialistischen Be-<br />
wegung der USA eine Klassenkämpferin, die<br />
„[o]hne Wanken <strong>und</strong> Schwanken, ohne Rücksicht auf Opfer <strong>und</strong> Gefahr […]<br />
2440 Johanna Greie-Cramer †. In: GL, 21/ 26/ 25.09.1911/ 416.<br />
2441 Ebd.<br />
2442 Ebd.<br />
2443 Ebd.<br />
2444 Johanna Greie-Cramer. In: GL, 22/ 02/ 23.10.1911/ 19.<br />
2445 Ebd.<br />
2446 Ebd.<br />
2447 Rosenberg zit. nach: Ebd.<br />
653
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
jederzeit in den vordersten Reihen“ 2448<br />
stand. Es gelang ihr, auch in den USA als Schriftstellerin <strong>und</strong> Rednerin erfolgreich tätig zu sein,<br />
Novellen, Erzählungen <strong>und</strong> u. a. den Roman „Im Banne der Vorurteile“ (1890) zu veröffentlichen.<br />
1888 begab sie sich zum ersten Mal auf eine Agitationsreise durch die USA – wie Zetkin schrieb:<br />
„als Sendbotin des sozialistischen Evangeliums“ 2449 . Ab 1903 waren ihr solche Reisen aufgr<strong>und</strong><br />
eines körperlichen Leidens jedoch nicht mehr möglich.<br />
Greie-Cramer war maßgeblich an der Gründung des „Sozialdemokratischen Frauenvereins“ in<br />
New York, der ersten zentralistischen sozialdemokratischen Frauenorganisation der USA,<br />
beteiligt. <strong>Von</strong> 1904 bis 1906 war sie Redakteurin der „Frauenseite“ der „New Yorker Volks-<br />
zeitung“ (1878-1932). 1907 nahm sie als Delegierte an der ersten Konferenz der Sozialistischen<br />
Fraueninternationale in Stuttgart teil. Der „Gleichheit“ war Greie-Cramer ein gutes Vorbild einer<br />
proletarischen Klassenkämpferin, weil auch sie<br />
„nicht von heut auf morgen von einer schwärmerischen Gefühlssozialistin zur<br />
geschulten Vorkämpferin des wissenschaftlichen Sozialismus gereift“ 2450<br />
sei. Auch sie hatte „heiß <strong>und</strong> zähe um Kenntnisse <strong>und</strong> Klarheit [ringen]“ 2451 müssen <strong>und</strong> sich dann<br />
umso mehr für die Sache des Sozialismus eingesetzt, „ohne zu rechnen <strong>und</strong> zu sparen, ohne an<br />
sich zu denken“ 2452 .<br />
Nach dem Tod ihres Ehemannes Emil hatte Greie-Cramer Albert Cramer geheiratet. Sie verstarb<br />
schließlich in Elisabeth (New Jersey).<br />
In New York verstarb im Januar 1916 Julie Romm (1853-1916). Sie war gebürtige Deutsche, mit<br />
einem Russen verheiratet <strong>und</strong> mit diesem in die USA ausgewandert. 2453 In „glühender<br />
Begeisterung <strong>und</strong> freudiger Opferwilligkeit“ 2454 habe Romm dem internationalen Sozialismus<br />
angehangen. Fünf Jahre lang redigierte sie die „Frauenseite“ der „New Yorker Volkszeitung“ <strong>und</strong><br />
hatte darin demnach die Nachfolge Greie-Cramers angetreten. Mit ihrem Tod habe die sozialis-<br />
tische Frauenbewegung eine Frau verloren, so die „Gleichheit“,<br />
2448 Ebd.<br />
2449 Ebd.<br />
2450 Ebd.<br />
2451 Ebd.<br />
2452 Ebd.<br />
„deren lichtvoller, reicher Geist dem edlen Herz ebenbürtig war, deren Tun im<br />
schönsten Einklang stand mit ihrer Überzeugung, bei der die tiefgewurzelte<br />
2453 Julie Romm †. In: GL, 26/ 12/ 03.03.1916/ 90.<br />
2454 Ebd.<br />
654
Weltanschauung lebensgestaltend wirkte“ 2455 .<br />
4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />
Eben jener „lebensgestaltende“ Einfluss sozialistischer Weltanschauung war es, den die „Gleich-<br />
heit“ ihren Leserinnen in Nachrufen auf verdiente <strong>Klassenkämpferinnen</strong> nahebringen wollte.<br />
Im Anschluss an die Biographien deutschstämmiger Immigrantinnen werden im Folgenden drei<br />
Frauen der US-amerikanischen Arbeiter- <strong>und</strong> Gewerkschaftsbewegung vorgestellt. Lucy Stone<br />
(1818-1893) ist eine davon.<br />
In ihrem Nachruf erklärte Zetkin, dass Stone eine der „aufopferndsten, selbstlosesten, fähigsten<br />
<strong>und</strong> energischsten Vorkämpferinnen für die Gleichberechtigung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts“ 2456<br />
gewesen sei. Zudem sei sie ein Beispiel dafür, dass<br />
„eine charaktervolle Frau sich in der Oeffentlichkeit als Vorkämpferin einer Idee<br />
bethätigen kann, ohne daß sie dadurch an Zartheit der Empfindung, an Tiefe des<br />
Gemüthslebens einbüßt, <strong>und</strong> ohne daß ihre Aufgaben als Gattin <strong>und</strong> Mutter leiden“<br />
2457 .<br />
Die Beschäftigung mit Politik, die H<strong>und</strong>erte von Versammlungen auf denen sie gesprochen, die<br />
zahllosen Schriften <strong>und</strong> Flugblätter, die sie verfasst hatte – all dies habe sie nicht gehindert,<br />
„ihrem Manne liebevolle Gefährtin <strong>und</strong> Mitarbeiterin, ihren Kindern eine treusorgende<br />
Mutter, ihren Fre<strong>und</strong>en eine theilnehmende Beratherin <strong>und</strong> Helferin“ 2458<br />
zu sein. Sie war ganz Klassenkämpferin <strong>und</strong> blieb dabei doch auch ganz Frau.<br />
Als achtes von neun Kindern wuchs Stone auf einer Farm in Massachussetts auf. Dort hatte sie<br />
bereits im Kindesalter entsprechende körperliche Farmarbeit zu leisten. Ihre Eltern – der<br />
starrköpfige Vater <strong>und</strong> die sanfte Mutter – führten eine Ehe nach althergebrachtem <strong>und</strong> in der<br />
Bibel überliefertem Muster: Sie war ihm untertan. Dieses vermeintlich gottgewollte Abhängig-<br />
keitsverhältnis der Mutter <strong>und</strong> die Lektüre der Bibel waren es, die in Stone schließlich den<br />
Wunsch weckten, Hebräisch <strong>und</strong> Griechisch zu lernen. Mit diesen Kenntnissen habe sie, so Zet-<br />
kin, vor allem die Zuverlässigkeit der Übersetzung am Original selbst prüfen wollen. 2459<br />
Stone habe bereits als Kind „ein starkes Rechts- <strong>und</strong> Freiheitsgefühl“, großen „Drang <strong>und</strong> […]<br />
Willenskraft, für das als wahr Erkannte zu kämpfen“ 2460 , besessen. Außerdem zeichneten sie laut<br />
2455 Ebd. Die „Gleichheit“-Redaktion wollte „versuchen, in nächster Nummer unseren Leserinnen ein Bild von der<br />
Persönlichkeit <strong>und</strong> der sozialistischen Betätigung Julie Romms zu skizzieren“ (ebd.). Dies geschah jedoch nicht.<br />
2456 Lucy Stone. In: GL, 04/ 07/ 04.04.1894/ 55. Neben jenem Artikel im Hauptblatt der „Gleichheit“ erschien zudem<br />
1916 eine umfangreiche Artikelserie in der Beilage „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“, auf welche hier aber nur<br />
verwiesen werden soll: Lucy Stone. Eine nordamerikanische Bahnbrecherin der Frauenbewegung [I-VIII] In: GL,<br />
26 (1916)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 13/ 52 bis GL; 26 (1916)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“<br />
21/ 83-84).<br />
2457 Lucy Stone. In: GL, 04/ 07/ 04.04.1894/ 55.<br />
2458 Ebd.<br />
2459 Vgl. ebd.<br />
2460 Ebd.<br />
655
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Zetkin „Unerschrockenheit, Wahrhaftigkeit […] [<strong>und</strong>] Eifer beim Lernen“ 2461 aus. Weil ihr Vater<br />
ihr jedoch jede Unterstützung für ein Studium verweigerte, sammelte Stone Früchte <strong>und</strong> Kasta-<br />
nien, verkaufte sie <strong>und</strong> erwarb aus diesem Erlös eigene Bücher. Später arbeitete sie als Lehrerin<br />
<strong>und</strong> im Alter von 25 Jahren hatte sie genug Wissen <strong>und</strong> ein wenig Geld erworben, um auf das<br />
Oberlin College zu gehen – dem einzigen College der USA, zu dem damals Frauen zugelassen<br />
wurden. Auch als Collegestudentin musste Stone jedoch selbst für ihren Lebensunterhalt auf-<br />
kommen <strong>und</strong> deshalb weiterhin als Privatlehrerin <strong>und</strong> Aufwärterin arbeiten. Obwohl sie in Armut<br />
lebte, sei sie „stets heiter <strong>und</strong> zufrieden“ 2462 gewesen.<br />
Bereits während ihres Studiums, das sie mit Auszeichnung abschloss, engagierte sich Stone für<br />
die Abschaffung der Sklaverei. 1847 trat sie zum ersten Mal öffentlich als Rednerin auf, um für<br />
die Abschaffung der Sklaverei, die Gleichberechtigung der Farbigen <strong>und</strong> die Gleichberechtigung<br />
der Frau zu agitieren. Mit diesem Engagement für die Entrechteten machte sie sich allerdings<br />
andernorts sehr unbeliebt, wurde als „Ungeheuer“ 2463 verschrieen, „gescholten <strong>und</strong> verabscheut,<br />
verlacht, verhöhnt <strong>und</strong> beschimpft“ 2464 – Lucy Stones Name wurde gar zu einem Spottnamen. 2465<br />
In ihrem Engagement für die Abschaffung der Sklaverei fand Stone viele Gleichgesinnte <strong>und</strong><br />
konnte sogar auf den Rückhalt großer bereits bestehender Organisationen rechnen – in ihrem<br />
Kampf für die Gleichberechtigung der Frau stand sie jedoch allein. Laut Zetkin existierte nicht<br />
eine einzige Organisation, welche dieses Ziel verfolgte, <strong>und</strong> in vielen Städten habe Stone als erste<br />
Frau eine öffentliche Rede gehalten. 2466 Stone betrat demnach mit ihrer Agitation für die Rechte<br />
der Frau absolutes Neuland <strong>und</strong> hatte gegen viele Vorurteile anzukämpfen. Oft waren die<br />
Zuschauer sehr verblüfft, wenn statt dem erwarteten Mannweib eine „zierliche, anspruchslos, be-<br />
scheidene Frau […] von gewinnendem Benehmen <strong>und</strong> äußerst melodischer Stimme“ 2467 erschien.<br />
Es sei, so Zetkin, besonders ihre Stimme <strong>und</strong> der gesamte „Zauber ihrer Persönlichkeit“ 2468 ge-<br />
wesen, denen die Massen erlagen. Aber auch „[d]ie Energie <strong>und</strong> die Selbstlosigkeit, mit welcher<br />
sie ihre Ideale verfolgte“ 2469 , hätten selbst ihren Gegnern imponiert. Ebenso beeindruckend wirkte<br />
die Tatsache,<br />
2461 Ebd.<br />
2462 Ebd.<br />
2463 Ebd.<br />
2464 Ebd.<br />
2465 Vgl. ebd.<br />
2466 Ebd.<br />
2467 Ebd.<br />
2468 Ebd.<br />
2469 Ebd.<br />
656<br />
„daß die Frau, welche Kraft ihrer Kenntnisse <strong>und</strong> ihres Geistes eine glänzende
Stellung hätte einnehmen können, in größter Dürftigkeit lebte“ 2470 .<br />
4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />
Zwar pries Zetkin hier im Falle Stones das Ideal der selbstgewählten Armut, doch war sie selbst<br />
eine der SozialdemokratInnen, deren eigener bürgerlich anmutender Wohlstand Angriffspunkt<br />
ihrer Gegner wurde <strong>und</strong> ist. Ihre Lebensweise erscheint manchen BiographInnen nicht authentisch<br />
mit der von ihr vertretenen Weltanschauung.<br />
1855 heiratete Stone den Kaufmann Henry Blackwell, der sich wie sie für die Gleichberechtigung<br />
der Farbigen <strong>und</strong> der Frauen engagierte. Stone behielt nach ihrer Hochzeit jedoch ihren Mädchen-<br />
namen bei, weil alles andere den „Verlust[…] der persönlichen Freiheit“ 2471 bedeutet hätte.<br />
Gemeinsam verfasste das Ehepaar eine erfolgreiche Protestschrift gegen die Gesetze, die dem<br />
Mann die absolute Verfügungsgewalt über das Vermögen der Frau <strong>und</strong> die Kinder zusprachen.<br />
1866 gründete Stone den „B<strong>und</strong> für die Gleichberechtigung“ mit <strong>und</strong> wurde dessen langjährige<br />
Vorsitzende – ebenso 1869 für den „Amerikanischen B<strong>und</strong> für das Wahlrecht der Frauen“. 1870<br />
gründete sie „The Women’s Journal“ (1870-1931) 2472 , dessen Redaktion sie anfangs gemeinsam<br />
mit ihrem Gatten, später mit ihrer Tochter führte. Schließlich zwang Stone ein rheumatisches<br />
Leiden, ihre öffentlichen Auftritte zu beenden <strong>und</strong> mehr Zeit am Schreibtisch zu verbringen.<br />
Es sei die „Energie ihres Willens, die Lauterkeit ihres Charakters, die Selbstlosigkeit ihres Stre-<br />
bens“ 2473 gewesen, die sie auszeichneten. Zetkin resümierte Stones Vorbildcharakter wie folgt:<br />
„Sie zählt zu der kleinen Schaar der Helden des Geistes, die unbekümmert um den<br />
persönlichen Vortheil, das persönliche Wohl, sich mit glühender Seele einer Idee<br />
hingeben <strong>und</strong> für ihr Ideal Alles zu leisten <strong>und</strong> Alles zu opfern im Stande sind.“ 2474<br />
Es war Stones Ideal, ihre „tiefinnerste Ueberzeugung“ 2475 , dass im Zuge der Gleichberechtigung<br />
der schwarzen Bevölkerung der USA <strong>und</strong> der Gleichberechtigung der Frauen schließlich auch<br />
„die Gleichstellung alles Dessen verwirklicht würde, was Menschenantlitz trägt“ 2476 . Zetkin zog<br />
daraus den Schluss, dass Stone „[d]ie Klassengegensätze zwischen Arm <strong>und</strong> Reich, zwischen<br />
Kapitalist <strong>und</strong> Proletarier […] nie zum Bewußtsein gekommen“ 2477 seien. Auch habe sie „nichts<br />
von der Nothwendigkeit des Kampfes für die Befreiung der Arbeiterklasse, für die Beseitigung<br />
2470 Ebd.<br />
2471 Ebd., S. 56.<br />
2472 Die ZDB gibt den Titel der Zeitschrift mit „The Woman’s Journal“ an. Es war das Organ der „National American<br />
Woman Suffrage Association“.<br />
2473 Ebd.<br />
2474 Ebd.<br />
2475 Ebd.<br />
2476 Ebd.<br />
2477 Ebd.<br />
657
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
der kapitalistischen Gesellschaft“ 2478 gewusst.<br />
Stone scheint also gar keine Klassenkämpferin, sondern eher eine bürgerliche Frauenrechtlerin<br />
gewesen zu sein. Zetkin erklärte jedoch, warum Stone trotzdem dem skizzierten Leitbild „Klas-<br />
senkämpferin“ entsprach. Stone habe keine klassenbewusste Kämpferin sein können, weil zu ihrer<br />
Zeit in den USA die Klassengegensätze noch nicht deutlich aufgebrochen waren. Und als dann in<br />
ihren letzten Lebensjahren doch „die Kluft zwischen Bourgeoisdamen <strong>und</strong> Proletarierinnen“ 2479<br />
immer größer <strong>und</strong> auch die Frauen immer stärker in den Klassenkampf hineingerissen wurden, so<br />
Zetkin, „da war Lucy Stone bereits zu alt, um sich noch in eine ganze neue Auffassung der<br />
gesellschaftlichen Verhältnisse hineinarbeiten zu können“ 2480 . Zetkin war sich jedoch sicher, dass<br />
Stone, wenn sie einer späteren Generation angehört hätte, „eine der hervorragendsten <strong>und</strong><br />
thätigsten Vorkämpferinnen […] für die Rechte des Proletariats“ 2481 gewesen wäre: „Denn ihr<br />
Herz schlug in heißem Mitgefühl für alle Unterdrückten <strong>und</strong> Leidenden.“ 2482<br />
Anders als Stone war die 12 Jahre jüngere Mary Jones (1830-1930) für Zetkin das „Fleisch <strong>und</strong><br />
Blut gewordene Solidaritätsgefühl, Klassengefühl des Proletariats selbst“ 2483 . Die „Gleichheit“<br />
veröffentlichte im November 1902 einen vermutlich von Zetkin abgefassten Artikel, der sehr stark<br />
auf die idealen Charaktereigenschaften <strong>und</strong> die politische Tätigkeit Jones‘ konzentriert war <strong>und</strong><br />
sich auf Artikel anderer Zeitschriften stützte. Dieser Artikel erschien aus aktuellem Anlass, denn<br />
in den US-amerikanischen Kohlerevieren fanden gerade ungewöhnlich große Streikbewegungen<br />
statt, in die die als „Mother Jones“ bekannt gewordene Kämpferin involviert war. In anfeuernden<br />
Reden versuchte Jones vor allem „die Frauen von der Notwendigkeit des Kampfes zu über-<br />
zeugen“ 2484 . Selbst „kühn […], opfermuthig“ 2485 war Jones überall dort anzutreffen, wo Männer<br />
„vom Streikbruch abgehalten werden“ 2486 mussten, wo es galt,<br />
„die Ausdauer zu entfesseln, die Opferfreudigkeit zu entflammen, die Frauen aus<br />
Gegnerinnen zu begeisterten Vertheidigerinnen des Ausstandes zu verwandeln“ 2487 .<br />
Doch Jones vermochte nicht nur zu begeistern, sie besaß zudem ein praktisches Talent in der<br />
2478 Ebd.<br />
2479 Ebd.<br />
2480 Ebd.<br />
2481 Ebd.<br />
2482 Ebd.<br />
2483 Mutter Jones. In: GL, 12/ 23/ 05.11.1902/ 180.<br />
2484 Ebd.<br />
2485 Ebd.<br />
2486 Ebd.<br />
2487 Ebd.<br />
658
4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />
Beschaffung von Materialien <strong>und</strong> Lebensmitteln. Ein von Zetkin zitierter Artikel der „Neuen Zeit“<br />
2488 vergleicht das öffentliche Auftreten Jones‘ mit dem „‘eines jungen, von flammender<br />
Begeisterung beseelten Mannes’“ 2489 <strong>und</strong> es habe sie trotz ihres hohen Alters ein „‘frische[r],<br />
kraftvoll[r] Geist <strong>und</strong> [ein] jugendliche[s] Herz’“ 2490 ausgezeichnet. Das Setzen eines männlichen<br />
Maßstabes <strong>und</strong> der Vergleich mit diesem ist hier besonders auffällig.<br />
Jones war bekennendes Mitglied der Sozialdemokratischen Partei der USA, sah aber nicht in Par-<br />
teiarbeit (oder gar „Parteikleinarbeit“), sondern in der aktiven Unterstützung der Arbeiterstreiks<br />
ihr ureigenes Wirkungsfeld. Hier hatte sie beste Möglichkeiten, ihr Talent der moralischen<br />
Beeinflussung, der Hebung der Kampfgesinnung <strong>und</strong> des Beschaffens von Lebensmitteln ein-<br />
zusetzen. Oft marschierten sie <strong>und</strong> die von ihr motivierten Frauen an der vordersten Spitze der<br />
Streikenden – ein bewährtes Mittel, um Milizen <strong>und</strong> Soldaten vom Gebrauch der Schusswaffe ab-<br />
zuhalten, welches aber nicht immer wirkte.<br />
Gr<strong>und</strong>lage der weiteren Ausführungen Zetkins war ein Artikel des Journalisten <strong>und</strong> Politikers<br />
William Mailly (1871-1912) 2491 , der im „Social-Democrat“ (1897-1911[?]), dem wissen-<br />
schaftlichen Organ der englischen Sozialdemokratie, erschien 2492 . Mailly schrieb darin, dass Jones<br />
schon des Öfteren mit der Jungfrau von Orleans – Jeanne d‘Arc – verglichen worden sei. Ein Ver-<br />
gleich, den er jedoch als unzutreffend erachtete, denn Jones sei eben nicht durch Phantasien,<br />
sondern „‘durch lebendige Männer <strong>und</strong> Frauen’“ 2493 inspiriert worden, deren Hoffnungen <strong>und</strong><br />
Ängste, Freuden <strong>und</strong> Sorgen sie geteilt habe:<br />
„‘Sie wendet sich den Dingen zu, die sind, um die besseren Verhältnisse zu<br />
schaffen, die sein werden.’“ 2494<br />
Eine Gemeinsamkeit gebe es jedoch mit der Jungfrau von Orleans: Beide seien „‘typische Pro-<br />
2488 Der Streik der Kohlengräber in den „Vereinigten Staaten“. In: Neue Zeit, 19 (1900/1901, Bd. 1)/ 11. Zit. nach:<br />
Mutter Jones. In: GL, 12/ 23/ 05.11.1902/ 180-182.<br />
2489 „Neue Zeit“ zit. nach: Ebd., S. 181.<br />
2490 „Neue Zeit“ zit. nach: Ebd.<br />
2491 William Mailly wurde in den USA geboren, wuchs im englischen Liverpool auf <strong>und</strong> kehrte 1889 in die USA<br />
zurück, wo er zuerst als Arbeiter im Kohlebergbau <strong>und</strong> bei der Eisenbahn tätig war. 1890 zog Mailly nach<br />
Alabama <strong>und</strong> beteiligte sich dort 1893 an Bergarbeiterstreiks. So begann sein Engagement für den Sozialismus.<br />
1897 war er Mitgründer der sozialdemokratischen Partei der USA. 1903-1905 wirkte Mailly als Nationaler<br />
Sekretär der Socialist Party. Und 1908-1909 als Herausgeber des „New York Evening Call“ (1908-1923). Es<br />
folgten weitere Tätigkeiten als Journalist, Redakteur, Delegierter der Gewerkschaften <strong>und</strong> Parteifunktionär der<br />
Socialist Party. Mailly war zudem ein Verfechter der Gleichberechtigung der Frau <strong>und</strong> verheiratet „mit einer gebildeten<br />
Frau, die er als Genossin im sozialistischen Lager kennen gelernt hatte“ (Stern, Meta L.[ilienthal]:<br />
William Mailly, ein sozialistischer Vorkämpfer. In: GL, 23/ 02/ 16.10.1912/ 23-24).<br />
2492 The Social-Democrat, 6. Jg., Nr. 9, 15.09.1902.<br />
2493 Mailly, William in: The Social-Democrat, 6. Jg., Nr. 9, 15.09.1902. Zit. nach: Mutter Jones. (Fortsetzung.). In:<br />
GL, 12/ 24/ 19.11.1902/ 188.<br />
2494 Mailly zit. nach: Ebd.<br />
659
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
dukte der thatsächlichen Verhältnisse ihrer Zeit’“ 2495 <strong>und</strong> wären „‘in einer anderen Geschichts-<br />
periode eine Unmöglichkeit gewesen’“ 2496 . Die moderne Arbeiterbewegung habe bereits eine<br />
bedeutende Entwicklung hinter sich <strong>und</strong><br />
„‘Mutter Jones [sei] die Verkörperung des neuen, klareren geistigen Lebens <strong>und</strong><br />
Strebens, das die erwachende Arbeiterklasse unserer Tage charakterisiert. Sie [sei]<br />
der Fleisch <strong>und</strong> Blut gewordene Geist der Revolte, der Auflehnung gegen die<br />
Bedingungen, die der moderne Kapitalismus schafft’“ 2497 .<br />
Mailly betonte „‘vor Allem <strong>und</strong> über alles’“ 2498 , dass Jones „‘ein Weib des Proletariats […][,]<br />
Fleisch von seinem Fleisch <strong>und</strong> Bein von seinem Bein’“ 2499 sei. Für ihre Anhängerschaft war sie<br />
authentisch, war sie eine Genossin <strong>und</strong> dieses „‘vielleicht unbewußte Gefühl dieser inneren, innig-<br />
sten Zusammengehörigkeit’“ 2500 gab ihr schließlich diese besondere Autorität. Auch ihre Reden,<br />
die Gr<strong>und</strong>lage ihres Erfolges, versuchte Mailly, auf ihre Besonderheiten hin zu analysieren. Er<br />
kam zu dem Ergebnis, dass es eben nicht die herkömmlichen Qualitäten wie Satzbau, Phrasen<br />
oder wohlklingende Stimme seien, die ihre Brillianz ausmachten, sondern das Gegenteil: Jones‘<br />
Sprache war einfach, die darin gezeichneten Bilder derb, aber lebendig, ihre Stimme schrill <strong>und</strong><br />
hart. Es war ihr schlagfertiger Witz, der besondere Überzeugungskraft besaß <strong>und</strong> es ist anzu-<br />
nehmen, dass sie weniger überzeugend gewirkt hätte, hätte sie stattdessen mehr auf den Satzbau<br />
geachtet. 2501 Vielleicht, so schließlich Zetkin 2502 , habe nichts so sehr zu ihrem Erfolg beigetragen<br />
als „ihre Gabe, der schwierigsten Situation eine heitere Seite abzugewinnen“ 2503 . Jones –<br />
scharfsinnig, energisch, entschlossen, gewissenhaft, pflichttreu <strong>und</strong> schlicht – lebte in ihrer Arbeit,<br />
lebte für ihre Arbeit <strong>und</strong> besaß eine untrügliche Menschenkenntnis. Selbst absolut aufrichtig, habe<br />
sie ein Gespür für die Unaufrichtigkeit anderer gehabt. Vor allem sei es ihr wichtig gewesen, gut<br />
informiert zu sein, weshalb sie aufmerksam Zeitungen las. 2504<br />
Jeder, vom Greis bis zum Kleinkind, kannte sie <strong>und</strong> fasste schnell Vertrauen zu „Mutter Jones“.<br />
Auch die notwendige Härte im Kampf habe ihr nichts von ihrer Weiblichkeit genommen:<br />
2495 Mailly zit. nach: Ebd.<br />
2496 Mailly zit. nach: Ebd.<br />
2497 Mailly zit. nach: Ebd.<br />
2498 Mailly zit. nach: Ebd., S. 189.<br />
2499 Mailly zit. nach: Ebd.<br />
2500 Mailly zit. nach: Ebd.<br />
2501 Vgl. Mailly zit. nach: Ebd.<br />
2502 Es fehlen entsprechende Ausführungszeichen, um zu erkennen, an welcher Stelle der Artikel Maillys endete oder<br />
ob Zetkin sich auch bei den folgenden Informationen auf ihn bezog. Im Folgenden wird angenommen, dass Zetkin<br />
für die Fortsetzungen des Artikels verantwortlich war.<br />
2503 Mutter Jones. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 25/ 03.12.1902/ 197.<br />
2504 Vgl. ebd.<br />
660
4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />
„‘Allein wenn Mitgefühl für Andere <strong>und</strong> das Streben, ihre Leiden zu mildern;<br />
wenn das Suchen nach Wahrheit <strong>und</strong> der Muth, für sie zu kämpfen, auch auf die<br />
Gefahr hin, die Verachtung <strong>und</strong> den Spott des eigenen Geschlechts zu ernten, wenn<br />
das der Maßstab für wahre Weiblichkeit ist: dann ist Mutter Jones ein echtes<br />
Weib.’“ 2505<br />
Mitgefühl <strong>und</strong> Mut schließen sich im Charakter einer Frau <strong>und</strong> Klassenkämpferin keineswegs aus.<br />
Samariterin <strong>und</strong> Heldin – <strong>und</strong> wenn die Sache es verlangt auch Märtyrerin –, so idealtypisch<br />
wurde bereits die Klassenkämpferin der Pariser Kommune skizziert.<br />
Jones wurde im irischen Cork geboren <strong>und</strong> war Mitglied einer Familie, deren Ahnen bereits an<br />
vielen revolutionären Bewegungen teilgenommen hatten. Ihre Eltern wanderten nach Kanada aus,<br />
als Jones noch ein kleines Kind war. Jones wurde Ehefrau <strong>und</strong> Mutter von vier Kindern. Ihre<br />
gesamte Familie starb jedoch in Memphis an Gelbfieber. Jahrelang war sie als Näherin erwerbs-<br />
tätig, doch schöne Kleider oder andere Dinge, „welche angeblich allein das weibliche Geschlecht<br />
beschäftigen sollen“ 2506 , hätten Jones nie interessiert. Trotzdem war es Zetkin wichtig, darauf hin-<br />
zuweisen, dass Jones in der Auswahl ihrer Kleider immer großen Chic <strong>und</strong> Geschmack bewiesen<br />
habe.<br />
Als Lehrerin kam sie in den Westen der USA. In San Francisco kam sie erstmals in Kontakt mit<br />
der Arbeiterbewegung <strong>und</strong> begann für deren Ziele – damals zum Beispiel gegen die chinesische<br />
„Schmutzkonkurrenz“ – zu agitieren. Erst ein Mitglied der „Volkspartei“ („People’s Party“),<br />
schloss sie sich später der sozialistischen <strong>und</strong> vor allem der gewerkschaftlichen Bewegung an <strong>und</strong><br />
nahm in den 1890er Jahren an verschiedenen großen Streikbewegungen teil. Jones zog per Pferde-<br />
wagen durch den Westen <strong>und</strong> arbeitete in den Baumwollfabriken der Südstaaten, um ihre dort<br />
gesammelten Erfahrungen agitatorisch zu nutzen. 2507 Zur Zeit der Veröffentlichung des<br />
„Gleichheit“-Artikels galten ihre Bemühungen den Kohlegräbern West-Virginias, wo ihr oft Dinge<br />
gelangen, die kein männlicher Agitator fertig gebracht hätte.<br />
Obwohl sich Jones nicht um Ortsverbote, richterliche Verfügungen <strong>und</strong> Verhaftungen scherte,<br />
habe ihr doch kein „‘Petroleumgeruch’“ 2508 angehaftet, denn sie glaubte an die Macht des Stimm-<br />
zettels, nicht an die Macht der Gewalt. 2509 Geriet sie selbst in Konflikt mit den Militärs <strong>und</strong> im<br />
Besonderen mit den im Dienste der Grubenbesitzer stehenden Milizen, so pochte Jones stets auf<br />
die ihr von der Verfassung gegebenen Rechte. Die zuständigen Amtsträger jedoch kümmerten sich<br />
2505 Mailly, William in: The Social-Democrat, 6. Jg., Nr. 9, 15.09.1902. Zit. nach: Mutter Jones. (Fortsetzung.). In:<br />
GL, 12/ 24/ 19.11.1902/ 189.<br />
2506 Mutter Jones. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 25/ 03.12.1902/ 196.<br />
2507 Vgl. ebd., S. 195.<br />
2508 Ebd., S. 196.<br />
2509 Vgl. ebd.<br />
661
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
wenig um die Verfassung, wenn es um eine sozialistische Agitatorin ging, die die Ordnung <strong>und</strong><br />
Ruhe des kapitalistischen Systems störte. Zetkin beschrieb innerhalb des Artikels drei kritische<br />
Situationen während der Streikbewegungen, an denen Jones maßgeblich beteiligt war. Jones<br />
konnte jedes Mal durch „Takt <strong>und</strong> Geschicklichkeit“ 2510 großes Blutvergießen verhindern.<br />
Die „Gleichheit“ resümierte, dass es „Muth <strong>und</strong> Selbstaufopferung“ 2511 gewesen seien, die Jones<br />
„zu der bestbeliebten Frau in der amerikanischen Arbeiterbewegung gemacht haben“ 2512 , <strong>und</strong> dass<br />
„[d]ie soziale Revolution, deren Herold sie ist, […] keine reinere, selbstlosere, makellosere<br />
Vorkämpferin“ 2513 besäße. Sie sei<br />
„die Verkörperung alles Edlen <strong>und</strong> Erhabenen in den Bestrebungen der<br />
Arbeiterklasse, ihre Persönlichkeit kann durch Verfolgungen nicht gebrochen, noch<br />
– sollte man es je versuchen – hinter Kerkermauern in Fesseln geschlagen<br />
werden“ 2514 .<br />
Man sollte es versuchen. Doch, so war sich Zetkin sicher, würde auch dies Jones‘ Ansehen keinen<br />
Abbruch tun <strong>und</strong> das Dichterwort gelten:<br />
„‘Und ob sie Zuchthauskleider trägt, im Schoß den Napf voll Erbsenbrei; / Und ob<br />
sie Werg <strong>und</strong> Wolle spinnt – doch sag ich kühn Euch: sie ist frei!’“ 2515<br />
1914 – Mary Jones war mittlerweile 76 Jahre alt – veröffentlichte die „Gleichheit“ einen von<br />
Adolf Hepner (1846-1923) 2516 verfassten Artikel. Hepner beschrieb darin Jones als<br />
„selbstvergessen“ 2517 <strong>und</strong> „aufopfernd“ 2518 in ihrem Kampf für die ArbeiterInnen. Jones war eine<br />
treibende Kraft:<br />
„Sie agitierte, um die aufzurütteln, die noch schliefen, sie organisierte, um durch<br />
die Vereinigung die Kraft derer zu erhöhen, die erwacht waren. Mit ihrem starken<br />
Glauben an das Menschentum der Ärmsten <strong>und</strong> Elendesten belebte sie den Mut der<br />
Verzagenden.“ 2519<br />
Getrieben von Menschenliebe, Gerechtigkeitsempfinden <strong>und</strong> Willenskraft sei „Mutter Jones“ zu-<br />
2510 Mutter Jones (Schluß.). In: GL, 12/ 26/ 17.12.1902/ 206.<br />
2511 Ebd.<br />
2512 Ebd.<br />
2513 Ebd.<br />
2514 Ebd.<br />
2515 Ebd.<br />
2516 Adolf Hepner wurde in Schmiegel (Posen) geboren. Er war Sohn eines Bäckermeisters. Nach dem Abitur studierte<br />
Hepner 1863-1866 in Breslau am rabbinischen Seminar, engagierte sich aber zunehmend für den Sozialismus. Er<br />
wurde Redaktionsmitglied des „Volksstaat“ <strong>und</strong> arbeitete in Leipzig mit Bebel <strong>und</strong> Liebknecht zusammen. Wie<br />
diese beiden gehörte auch Hepner 1872 zu den Angeklagten im so genannten „Leipziger Hochverratsprozess“.<br />
1882 emigrierte Hepner in die USA <strong>und</strong> lebte seit 1886 in St. Louis, wo er seit 1897 Herausgeber des „St. Louis<br />
Tageblatts“ (?-?) <strong>und</strong> schließlich der „Westlichen Post“ (1857-1938) war. 1908 kehrte er nach Deutschland zurück,<br />
ließ sich in München nieder <strong>und</strong> verfasste u. a. Artikel für die „Sozialistischen Monatshefte“.<br />
2517 Hepner, A[dolf]: Zwei amerikanische „Bergarbeiter-Engel“. I. Mutter Jones. In: GL, 24/ 08/ 07.01.1914/ 117.<br />
2518 Ebd.<br />
2519 Ebd.<br />
662
4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />
dem eine „moralische Macht“ 2520 gewesen. Aber man dürfe sie sich, so zitierte Hepner aus einem<br />
von der us-amerikanischen Journalistin <strong>und</strong> Sozialistin Emma Langdon (1875-?) 2521 verfassten<br />
Artikel, nicht als ein so genanntes „‘Mannweib’“ 2522 vorstellen. Im Gegenteil: Sie sei<br />
„‘die verkörperte weibliche Güte, hilfreich mit ihrem wenigen Gelde wie mit ihrem<br />
starken Willen <strong>und</strong> Geist, wo nur immer sie kann, aber von einem unversöhnlichen<br />
Groll gegen die Unterdrücker der Armen <strong>und</strong> Hilflosen’ “2523 .<br />
Um diese ihre selbstgewählten Aufgaben zu erfüllen, bedurfte es keiner Wissenschaftlichkeit. Es<br />
bedurfte ihrer umso weniger, „‘als die Missetaten der Herrschenden gegen die Arbeiter auch<br />
nichts mit ‘Wissenschaft’ zu tun’“ 2524 hätten. Auch dieser zweite Artikel gibt kaum Informationen<br />
zu Jones‘ Werdegang. Sie selber habe in persönlichen Gesprächen nur bekannt, dass sie aus einer<br />
streng katholischen Familie stamme. Einer ihrer Brüder war in Kanada sogar als katholischer<br />
Geistlicher tätig, ein anderer als Schriftsetzer im Osten der USA. Eben dieses Fehlen weiterer<br />
Informationen wurde von Hepner als „Selbstauflösung“ hinter der politischen Sache interpretiert:<br />
„Auch dieses Zurückdämmen alles Persönlichen, was sie erlebt, hinter die Sache,<br />
der sie dient, gehört zu den hervorstechendsten Zügen dieser Charaktergestalt. Und<br />
es ist wahrhaftig nicht der am wenigsten interessante <strong>und</strong> gewinnende Zug ihres<br />
Wesens. Mutter Jones hat nicht notwendig, sich <strong>und</strong> anderen durch tönende Worte<br />
zu versichern, daß sie eine ‘Persönlichkeit’ sei. Sie beweist durch ihre Taten, daß<br />
sie es ist.“ 2525<br />
Diese Interpretation ist ein bemerkenswertes Beispiel im Hinblick darauf, wie sozialistische<br />
Frauenagitation auch aus keiner Information die „richtige“ Information hervorhob <strong>und</strong> sie in das<br />
gewünschte Charakterbild einpasste.<br />
Auch in hohem Alter von den Militärs drangsaliert, musste Jones große Robustheit beweisen.<br />
Bereits nur wenige Monate nach Hepners Artikel berichtete die „Gleichheit“ von einer Verhaftung<br />
Jones‘ durch eine staatliche Miliz, von der sie unrechtmäßig am Bahnhof Trinidad (Colorado)<br />
abgefangen worden sei. Sie wurde in den Ort eskortiert, um dort isoliert von anderen Personen<br />
zumindest eine Mahlzeit zu sich nehmen zu können. Dann wurde sie wieder zurück zum Bahnhof<br />
eskortiert. Dort wurde sie gewaltsam in einen Zug nach Denver gesetzt <strong>und</strong> von Milizionären<br />
sogar noch bis zum Zielbahnhof begleitet. Die hartnäckige Agitatorin kehrte zwar nach Trinidad<br />
2520 Ebd., S. 118.<br />
2521 Die hier von Hepner zitierte Emma Langdon (1875-?) war Journalistin <strong>und</strong> engagierte sich in verschiedenen<br />
Gewerkschaften <strong>und</strong> in der Socialist Party der USA. 1903 war sie in das Bergwerksgebiet Cripple Creek in<br />
Colorado gezogen, um die dortigen Bergarbeiterstreiks zu unterstützen.<br />
2522 Emma Langdon zit. nach: Ebd.<br />
2523 Langdon zit. nach: Ebd.<br />
2524 Langdon zit. nach: Ebd.<br />
2525 Ebd., S. 119.<br />
663
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
zurück, aber alle List nutzte nichts: Sie wurde festgenommen <strong>und</strong> in einem Hospital festgesetzt. 2526<br />
„Wie eine schwere Verbrecherin wird eine Frau, eine Greisin behandelt <strong>und</strong><br />
mißhandelt, die durch ein aufopferungsreiches Leben bewiesen hat, daß sie zu den<br />
Besten ihres Geschlechts gehört, daß sie eine Zierde der Menschheit ist.“ 2527<br />
Diese Einschätzung Jones‘ als eine der „Besten ihres Geschlechts“ konnte die bürgerliche Frauen-<br />
bewegung der USA nicht teilen. Indem diese angesichts der ungerechten Behandlung Jones‘<br />
keinerlei Protest erhob, bestätigte sie Zetkins unabänderlichen Zweifel an einer gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />
Geschlechtssolidarität. Wo waren die Rechte der Frau, die doch in vielen Staaten der USA das<br />
Wahlrecht besaß, wo die vielbeschworene „‘große Schwesternschaft’“ 2528 ? Zetkin gab zur Ant-<br />
wort:<br />
„Sie ist an der Solidarität der bürgerlichen Damen mit den ausbeutenden<br />
Mammonsfürsten zu den H<strong>und</strong>en geflohen“ 2529 .<br />
Den Proletarierinnen werde damit wieder einmal gezeigt, dass sie<br />
„das leere frauenrechtlerische Gegacker […] von der Solidarität aller Frauen <strong>und</strong><br />
dem Wahlrecht als Endziel ihres Befreiungsringens“ 2530<br />
nicht ernst nehmen dürften. Die Misshandlungen, die Jones ohne Eingreifen der bürgerlichen<br />
Frauenorganisation hinnehmen musste, bestätigten nur die<br />
„alte Wahrheit, daß der Klassengegensatz zwischen Ausbeutern <strong>und</strong> Ausgebeuteten<br />
auch die Frauen in zwei Welten teilt <strong>und</strong> daß für die Proletarierinnen das Wahlrecht<br />
nicht Endziel ihres Befreiungskampfes sein kann, sondern nur Waffe für diesen<br />
Kampf“ 2531 .<br />
Zetkin sah keine nationalen Unterschiede im Verhalten bürgerlicher Frauenrechtlerinnen. Sie war<br />
sich sicher, dass die Mehrzahl der deutschen Frauenrechtlerinnen, die zudem das allgemeine<br />
Wahlrecht ablehne, ja „hasse[…] <strong>und</strong> fürchte[…], dass diese sich unter ähnlichen Umständen „um<br />
kein Jota anders“ 2532 verhalten hätte wie ihre amerikanischen Schwestern. Diese „nackten, unum-<br />
stößlichen Tatsachen“ 2533 , so Zetkin weiter, seien jedoch für die SozialistInnen kein Gr<strong>und</strong>, „in das<br />
laute Schellengeklingel der Anarchisten einzustimmen“ 2534 , das Wahlrecht als unzulänglich<br />
abzulehnen <strong>und</strong> den Kampf für seine Eroberung <strong>und</strong> seinen Gebrauch aufzugeben – „[n]ichts<br />
2526 Vgl. Was eine amerikanische Streikführerin erdulden muß. In: GL, 24/ 14/ 01.04.1914/ 223.<br />
2527 Ebd., S. 224.<br />
2528 Ebd.<br />
2529 Ebd.<br />
2530 Ebd.<br />
2531 Ebd.<br />
2532 Ebd.<br />
2533 Ebd.<br />
2534 Ebd.<br />
664
wäre kurzsichtiger <strong>und</strong> unseren Feinden erwünschter“ 2535 .<br />
4.4.8 INTERNATIONALE GENOSSINNEN IM KLASSENKAMPF<br />
Wenige Monate später konnte die „Gleichheit“ über die Freilassung Jones‘ berichten <strong>und</strong><br />
veröffentlichte einen ihrer Gefängnisbriefe. Die 82-jährige Jones betonte darin, dass sie eine<br />
amerikanische Bürgerin sei <strong>und</strong> „niemals ein Gesetz übertreten“ 2536 habe. Sie, eine unbescholtene<br />
Bürgerin, verlangte deshalb ihr Recht, hinzugehen, wohin sie wolle. Die Grubenbesitzer <strong>und</strong> ihre<br />
Milizen würden sich jedoch, indem sie ihr dies verweigerten, als die eigentlichen Anarchisten<br />
erweisen. 2537<br />
Auch die dritte US-amerikanische Gewerkschafterin, Annie Clemenc (1888-1956), verbrachte<br />
viel Zeit im Gefängnis. Sie wurde als Tochter kroatischer Einwanderer in den USA geboren <strong>und</strong><br />
heiratete einen Erzgräber. 2538 Clemenc‘ Statur, ihre „festen, geschmeidigen Muskeln“ 2539 ließen sie<br />
unter dem Beinamen „Big Annie“ bekannt werden. Sie galt als „furchtlos <strong>und</strong> bereit, für die Sache<br />
der ausgebeuteten Arbeiter zu sterben“ 2540 . Ihr Wort hatte in der Arbeiterschaft so großes Gewicht,<br />
dass die Grubenführer so manches Mal versucht haben sollen, sie zu bestechen. Im Oktober 1913<br />
wurde Clemenc in Camulet (Michigan) verhaftet, weil sie die Frauen angeführt hatte, die die<br />
16.000 im Ausstand befindlichen Kupferminenarbeiter unterstützen. Jedoch musste man sie bald<br />
wieder freilassen, was die „Gleichheit“ resümieren ließ:<br />
„Und so ist sie wie früher der ‘Engel’ der Ausständigen <strong>und</strong> scheut weder die<br />
Leiden noch die Gefahren des Streiks. Sie fehlt bei keiner Manifestation, <strong>und</strong> sie<br />
ist gekannt <strong>und</strong> geliebt in den Bergarbeiterhütten, drinnen das Elend haust.“ 2541<br />
Dieses Engagement, dieses tätige Beispiel sei es, was die Proletarierinnen – in USA wie im<br />
Deutschen Reich – mehr zum Durchhalten ermahnte als ihr Wort. 2542<br />
2535 Ebd.<br />
2536 f. r.: Mutter Jones Freilassung … In: GL, 24/ 19/ 10.06.1914/ 304.<br />
2537 Ebd. Der Artikel beinhaltete außerdem die Information, dass eine Arbeiterversammlung in New York eine<br />
Resolution verabschiedet hatte, die den US-Präsidenten aufforderte, „die Kohlengruben in Kolorado zu konfiszieren<br />
<strong>und</strong> im Interesse des ganzen Volkes auszubeuten“ (ebd.). Eine Forderung nach Sozialisierung wichtiger<br />
Energiequellen, die für die deutsche SPD vor allem nach Ende des Ersten Weltkrieges bedeutsam werden sollte.<br />
2538 Zwei amerikanische „Bergarbeiter-Engel“. II. Annie Clemenc. In: GL, 24/ 09/ 21.01.1914/ 132. Die „Gleichheit“<br />
stützte sich in ihrem Artikel auf Berichte der von Negley D. Cochran herausgegebenen Zeitschrift „Day Book“<br />
(?-?), welche vorrangig die Situation der US-amerikanischen Bergarbeiter beschrieben. Clemenc‘ Abstammung<br />
<strong>und</strong> das besondere Engagement finnischer Kupfergräber innerhalb der Streikbewegungen, gab Cochran Anlass, zu<br />
erwähnen, dass die eingewanderten Bergarbeiter den „eingeborenen Amerikanern an Treue <strong>und</strong> Opfermut“ (ebd.,<br />
S. 133) nicht nachgestanden hätten.<br />
2539 Ebd., S. 132.<br />
2540 Ebd., S. 132-133.<br />
2541 Ebd., S. 134.<br />
2542 Vgl. ebd.<br />
665
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
4.4.8.10 Südafrika<br />
Olive Schreiner (?-1921) war Vorkämpferin der südafrikanischen Frauenbewegung <strong>und</strong> eine be-<br />
kannte Schriftstellerin. Ihr erster Roman erschien unter dem Titel „Die afrikanische Farm“ (1883)<br />
<strong>und</strong> trägt autobiographische Züge. In einem anderen Werk wollte Schreiner die Entwicklung der<br />
sozialistischen Frauenbewegung schildern. Während des Burenkrieges fiel dessen Manuskript<br />
jedoch zusammen mit ihrem Haus einem von englischen Soldaten gelegten Feuer zum Opfer.<br />
Glücklicherweise gelang es Schreiner, so Kämmerer-Leonhardt, den Inhalt stückweise zu re-<br />
konstruieren <strong>und</strong> das Buch unter dem Titel „Die Frauen <strong>und</strong> die Arbeiterbewegung“ doch noch zu<br />
veröffentlichen. Es wurde zum Klassiker <strong>und</strong> selbst bürgerliche Zeitschriften kamen in ihren<br />
Nachrufen auf Schreiner nicht umhin, sie als die „‘genialste[…] Frau unserer Zeit’“ 2543 zu be-<br />
zeichnen.<br />
2543 Kämmerer-Leonhardt, E.: Olive Schreiner <strong>und</strong> Mary Macarthur/ 31/ 03/ 01.02.1921/ 18-19.<br />
666
4.5 Leitbild ohne historische Vorbilder? – Zum Frauenleitbild der Republikanerin<br />
Nach der Entlassung Zetkins änderte sich der Duktus der „Gleichheit“ überaus auffallend.<br />
Während der Begriff „Klassenkampf“ gänzlich verschw<strong>und</strong>en scheint, wurde zumindest der<br />
Begriff „Sozialismus“ auch weiterhin debattiert. Sogar Gedichte mit dem Titel „Sozialismus“<br />
erschienen noch:<br />
„Sozialismus ist die entfaltete Verinnerlichung des Weltgeschehens.<br />
Veräußerlichung entfalteter Innerlichkeit. / Eine Welt der Ausstrahlung. /<br />
Sozialismus ist der Tempel der Menschlichkeit. / Einen jeden ruft er, damit er<br />
dem Worte lausche <strong>und</strong> seine Eltern sagen: Warum hast du uns das angetan? /<br />
Denn es ist oberstes Gesetz, daß ein Geschlecht über das andere emporwachse. /<br />
Gebot! Der Gärtner nimmt zur Befruchtung der neuen Saat die schönsten <strong>und</strong><br />
kräftigsten Pflanzen. Er verschließt das Treibhaus <strong>und</strong> freut sich dennoch der<br />
Biene, die durch einen Spalt eindringt. / So treibe es ein jeder mit sich selbst. Er<br />
atme das Wort, er ernte die Saat geheiligten Denkens, damit auch er Saat sei <strong>und</strong><br />
nicht Dung. Aber er freue sich der Biene, die durch seinen Fensterspalt dringt. /<br />
Sozialismus! An seinem Garten erkennt man den Gärtner, am H<strong>und</strong> seinen<br />
Herrn! Aber nicht am Kristall das künftig geschliffene Glas, nicht an der Blüte<br />
die Frucht! / Die Sonne lebt von ihrem eigenen, ewig widerspiegelnden Quell. /<br />
Der Sozialismus ist deine Sonne, o Volk!“ 2544<br />
Doch selbst in den ansonsten emotional-kämpferisch geladenen Gedichten wurde der<br />
Sozialismus nun weniger als ein revolutionäres Kampfziel, sondern vielmehr als Resultat eines<br />
evolutionären Prozesses verstanden. 2545<br />
Bereits kurz vor Ende des Krieges sandte Heilbut einen Artikel aus dem Felde an die Redaktion<br />
der „Gleichheit“, mit dessen Titel „Schweigen <strong>und</strong> arbeiten“ er die in den letzten drei Kriegs-<br />
jahren vollbrachten Leistungen der Frauen am besten zu beschreiben glaubte. 2546 Innerhalb des<br />
Artikels gab er dem Wirken der Frauen in der Heimat dann aber doch einen viel heroischeren<br />
Charakter:<br />
„Zu den Heldentaten des Mannes draußen an der Front hat sich nicht minder<br />
heldenhaft <strong>und</strong> gleichwertig an stiller Kraft <strong>und</strong> Entsagung die Taten der Frau<br />
daheim gesellt. Ja, vielleicht ist ihre Tat noch höher zu werten. Denn was der<br />
Mann leistete, war schließlich nur die Krönung jahrzehntelanger Vorbereitung<br />
<strong>und</strong> Erziehung. Die Frau aber schuf ihre Werke aus dem nichts. Sie mußte erst<br />
die Ketten zerbrechen, die Sitte, Gewöhnung <strong>und</strong> Erziehung um sie geschlagen.<br />
Und sie zerbrach sie. Und in einer Zahl, in einer Größe der Leistungen wie nie<br />
zuvor in der Geschichte – trat sie als gleichwertige Genossin an die Seite des<br />
Mannes“ 2547<br />
2544 Zerfaß, Julius: Sozialismus. In: GL, 29/ 35/ 18.10.1919/ 278.<br />
2545 Geiger/Weigel finden es besonders auffällig, „[d]aß nun nicht mehr von Klassenkampf, sondern von Allgemeinwohl<br />
gesprochen“ (Geiger/Weigel, Sind das noch Damen?, S. 85) wurde, was sie in engem Zusammenhang<br />
mit dem neuen Status der SPD als Regierungspartei sehen.<br />
2546 Heilbut, Kurt: Schweigen <strong>und</strong> arbeiten? In: GL, 28/ 16/ 10.05.1918/ 122.<br />
2547 Ebd.<br />
667
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Es war der Erste Weltkrieg, ein von Deutschland ausgegangener imperialistischer Angriffskrieg,<br />
der die Frauen in einer nie dagewesenen Weise mobilisiert hatte. Zetkin hatte diese „Selbst-<br />
befreiung“, diese Kampf- <strong>und</strong> Opferbereitschaft der proletarischen Frauen oft vergeblich für den<br />
sozialistischen Klassenkampf ersehnt. Wenn nicht gerade die Kriegsereignisse, so hätten Heilbuts<br />
Worte auch eine letzte, den Sozialismus hervorbringende Revolution beschreiben können.<br />
Heilbuts Artikel klang im Weiteren sehr feministisch an. Während „Männerfäuste zerstört <strong>und</strong><br />
vernichtet“ 2548 hätten, legten sich nun „Frauenhände lindernd <strong>und</strong> heilend auf die W<strong>und</strong>en“ 2549 .<br />
Das im Titel genannte Schweigen interpretierte Heilbut als stumme, „erhabene[…], rührende[…]<br />
Opferbereitschaft“ 2550 , in jenem Moment als der Mutter ihr Kind, der Frau der Gatte <strong>und</strong> der Braut<br />
der Liebste entrissen wurde. Diese Opfer würden nun in Form gleicher Rechte ihre Belohnung<br />
finden – wie es auch in anderen Ländern geschehe. Angesichts der Einforderung dieser Rechte sah<br />
Heilbut ein längeres Schweigen jedoch nicht mehr als angebracht an:<br />
„Lange genug – vielleicht zu lange schon – haben die Frauen geschwiegen. Darum<br />
sollten sie jetzt hinausrufen in die Welt: Goldene Worte von ihrem Willen <strong>und</strong><br />
ihrem Sehen nach Frieden <strong>und</strong> Freiheit.“ 2551<br />
Auch die Gewerkschafterin Kähler betonte kämpferisch, dass Rechte wie das Frauenwahlrecht<br />
nicht einfach in den Schoß fallen würden, man müsse sie fordern <strong>und</strong> Stück für Stück erkämpfen.<br />
Geschenkte Rechte hätten keine Kraft, seien wie „Schwerter von Holz“ 2552 <strong>und</strong><br />
„[n]ur was im harten Kampfe errungen wurde, ist von Dauer“ 2553 .<br />
Welchen Kampf hatte sie aber damit gemeint, wenn die Integration in das bürgerliche System<br />
doch ganz offensichtlich <strong>und</strong> mit der Befürwortung des Krieges quasi vollzogen war? Der<br />
auffällige Verzicht auf klassenkämpferische Parolen <strong>und</strong> staatsumstürzlerische Losungen, die noch<br />
unter der Leitung Zetkins das Bild der „Gleichheit“ geprägt hatten, signalisierte das Eintreten für<br />
klassenübergreifende, nationale Interessen <strong>und</strong> Ziele 2554 . Die proletarische Frauenbewegung trug<br />
nun gemäß der betriebenen gesellschaftsintegrierenden Parteipolitik diese am „Burgfrieden“<br />
orientierten Interessen voll <strong>und</strong> ganz mit. Es wurde sogar eine eigene Rubrik „Aus der bürger-<br />
lichen Frauenbewegung“ eingerichtet. Kähler hielt es so auch für die<br />
2548 Ebd.<br />
2549 Ebd.<br />
2550 Ebd.<br />
2551 Ebd.<br />
„Aufgabe der Frauenbewegung, den Sozialismus immer mehr aus einer Sache des<br />
Herzens zu einer Sache zugleich des Verstandes <strong>und</strong> der Tat, der Schulung <strong>und</strong> der<br />
2552 Kähler, Wilhelmine: Einst <strong>und</strong> jetzt. In: GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 119.<br />
2553 Ebd.<br />
2554 Vgl. Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung <strong>und</strong> Neuer Weiblichkeit, S. 162.<br />
668
4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN<br />
praktischen Mitarbeit der Frauen auf möglichst vielen Gebieten zu machen.“ 2555<br />
Sie votierte damit zwar für die Fortsetzung der politischen Schulung, jedoch unter dem<br />
Vorzeichen der „praktischen Mitarbeit“. Wie konnte eine solche anders aussehen, als dass sich die<br />
Proletarierinnen in das bestehende bürgerliche System eingliederten <strong>und</strong> sich dort vornehmlich in<br />
Form von Sozial- oder Gemeindearbeit engagierten?! Die proletarische Frauenbewegung begab<br />
sich zunehmend auf das relativ gemäßigte Forderungsniveau der bürgerlichen Frauen <strong>und</strong> sogar<br />
noch darunter. Im Gegensatz zu den bürgerlichen Frauen hatte sie den Emanzipationskampf ja nie<br />
gegen das andere Geschlecht führen wollen, sondern gegen die kapitalistische Klasse. Solche<br />
klassenkämpferische Positionen wurden jedoch seit dem „Burgfrieden“ zurückgedrängt, die Pläne<br />
vom revolutionären Umsturz der Gesellschaft waren einer reformistischen Haltung gewichen.<br />
Damit verschwamm die „Scheidungslinie“ 2556 zwischen den Frauenlagern stetig, die zwischen den<br />
Parteilagern verschärfte sich dagegen immer mehr: Die USPD wurde zur hart bekämpften<br />
Konkurrentin.<br />
Der Erste Weltkrieg fand für Deutschland im November 1918 ein revolutionäres Ende. Das<br />
Deutsche Reich, die deutsche Monarchie war zerstört <strong>und</strong> die deutsche Nation musste sich eine<br />
neue Staatsform geben. Aus dem monarchistischen Untertanenstaat wurde eine Republik. 2557<br />
Es bildete sich übergangsweise, um die Staatsgeschäfte weiterzuführen <strong>und</strong> Ordnung in den<br />
turbulenten Revolutionszeiten zu gewährleisten, der „Rat der Volksbeauftragten“. Er bestand aus<br />
drei SPD- <strong>und</strong> drei USPD-Mitgliedern. Dieser verkündete am 12. November das allgemeine,<br />
direkte <strong>und</strong> geheime Frauenwahlrecht <strong>und</strong> die Aufhebung der Gesindeordnung. Ein lang gehegter<br />
Traum schien wahr zu werden, ein natürliches Recht zugestanden <strong>und</strong> damit ein lang geführter<br />
Kampf gewonnen zu sein. Endlich sollte der „goldene Schlüssel zum Reiche des freien Geistes,<br />
dem Reiche der Schönheit <strong>und</strong> des Wissens“ 2558 auch in die Hände der Frauen gelangen. Die<br />
Parole „Da wir nicht wählen können, so müssen wir um so mehr wühlen“ 2559 hatte sich scheinbar<br />
erübrigt, weil für die proletarische Frauenbewegung die Zeiten, in denen sie den deutschen Staat<br />
zu untergraben hatte, vorbei waren – so schien es jedenfalls.<br />
2555 Kähler, Wilhelmine: Einst <strong>und</strong> jetzt. In: GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 119. Und auch Johanna Reitze schrieb: „Neben<br />
der theoretischen Aufklärung wird mehr als bisher die praktische Mitarbeit in der sozialen Fürsorge hervortreten<br />
müssen.“ (Reitze, Johanna: Was nun? In: GL, 27/ 22/ 03.08.1917/ 154-155).<br />
2556 Reitze, Johanna: Was nun? In: GL, 27/ 22/ 03.08.1917/ 154.<br />
2557 Ich verzichte hier auf eine genauere Darstellung der historischen Ereignisse <strong>und</strong> verweise bezüglich der Rolle der<br />
Frauen innerhalb der „Arbeiter- <strong>und</strong> Soldatenräte“ auf: Weberling, Zwischen Räten <strong>und</strong> Parteien. Frauenbewegung<br />
in Deutschland 1918/1919.<br />
2558 Selinger, Berta: Um Wissen <strong>und</strong> Bildung. In: GL, 21/ 12/ 13.03.1911/ 184.<br />
2559 Zu den preußischen Landtagswahlen! In: GL, 18/ 10/ 11.05.1908/ Beilage.<br />
669
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Ihren ersten Gang zur Urne vollzogen die deutschen Frauen anlässlich der Wahl zur verfassungs-<br />
gebenden Nationalversammlung am 19. Januar 1919. Die weibliche Wahlbeteiligung war sehr<br />
groß: Fast 90% aller wahlberechtigten Frauen gaben ihre Stimmen ab <strong>und</strong> sie wählten 41 ihrer<br />
Geschlechtsgenossinnen in dieses staatskonstituierende Gremium. Mit einem Anteil von 9,6% war<br />
dies damals für eine verfassungsgebende Versammlung „einmalig […] in der Welt“ 2560 .<br />
Die „Gleichheit“ hob den geschlechtsunabhängigen Status der gewählten <strong>weiblichen</strong> Abgeord-<br />
neten hervor. Sie seien nicht „in das Parlament […] gewählt als besondere Vertreterinnen der<br />
Fraueninteressen, sondern als die gleichberechtigten Vertreterinnen des gesamten Volkes.“ 2561 Tat-<br />
sächlich aber beschäftigten sich alle <strong>weiblichen</strong> Abgeordneten in ihrer politischen Praxis<br />
vorwiegend mit frauenspezifischen Themen, waren Mitglieder in frauen- oder familienspezi-<br />
fischen Ausschüssen. 2562 Außerdem legte die „Gleichheit“ in einem kurzbiographischen Artikel zu<br />
den 19 <strong>weiblichen</strong> SPD- Abgeordneten Wert auf die Bemerkung:<br />
„Wenn wir auch […] in der Fraktion Genossinnen haben, deren Kindheit <strong>und</strong><br />
Jugend frei von der Not des Proletariats war <strong>und</strong> die deshalb, mit reicherem Wissen<br />
ausgerüstet, durch eigene wissenschaftliche Erkenntnis sich zur sozialdemokratischen<br />
Weltanschauung durchgerungen haben, so entstammt doch der weitaus<br />
größere Teil unserer Frauen den arbeitenden Schichten.“ 2563<br />
Juchacz erklärte in ihrer Rede vor der Nationalversammlung bezüglich des Zustandekommens des<br />
endlich garantierten Frauenwahlrechts:<br />
„Ich möchte hier feststellen <strong>und</strong> glaube damit im Einverständnis vieler zu<br />
sprechen, daß wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten<br />
Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine<br />
Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht<br />
vorenthalten worden ist. (Sehr richtig! bei den Soz.)“ 2564<br />
2560 Gerhard, Unerhört, S. 333. Ein solcher Anteil weiblicher Abgeordneter in einem deutschen Parlament wurde erst<br />
wieder 1983 mit dem Einzug der „Grünen“ in den Deutschen B<strong>und</strong>estag erreicht. Der Frauenanteil stieg damals<br />
auf 9,8% <strong>und</strong> beträgt heute 32,2% (www.b<strong>und</strong>estag.de/mdb/mdb_zahlen/frauen.html; letzter Seitenbesuch:<br />
10.10.2008).<br />
Die Frauen der Nationalversammlung gehörten zu mehr als der Hälfte der SPD an. Drei entstammten der USPD,<br />
jeweils sechs kamen vom katholischen Zentrum <strong>und</strong> der liberal-bürgerlichen Deutsch-Demokratischen Partei<br />
(DDP). Die Fraktion der Deutschen Volkspartei (DVP), in der sich rechte Nationalliberale zusammengef<strong>und</strong>en<br />
hatten, stellte nur eine Frau, während die Deutsch-Nationale Volkspartei (DNVP) drei weibliche Abgeordnete<br />
entsandte (vgl. Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung <strong>und</strong> Neuer Weiblichkeit, S. 165).<br />
2561 Vor neuen Pflichten. In: GL, 29/ 08/ 17.01.1919/ 57.<br />
2562 Zu der Anzahl der <strong>weiblichen</strong> SPD-Reichstagsabgeordneten siehe: Thönessen, Frauenemanzipation, S. 149.<br />
Ausblick: Insgesamt hatten 111 Frauen von 1919 bis 1933 als Abgeordnete im Deutschen Reichstag Sitz <strong>und</strong><br />
Stimme. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme nahmen sich vier von ihnen das Leben, 13 wurden<br />
verhaftet, 10 wurden in KZs verschleppt, 14 gingen ins Exil (vgl. Craig, Rolle der Frauen zwischen 1918 <strong>und</strong><br />
1930, S. 348).<br />
2563 Schroeder, Luise: Unsere Frauen in der deutschen Nationalversammlung. In: GL, 29/ 11/ 28.02.1919/ 84-87, S.<br />
84.<br />
2564 Juchacz im Protokoll der Nationalversammlung. Zit. nach: Die erste Parlamentsrede einer Frau in Deutschland.<br />
670<br />
In: GL, 29/ 12/ 14.03.1919/ 89-93, S. 89.
4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN<br />
In der Forschungsliteratur werden verschiedene Thesen zur Einführung des Frauenwahlrechts<br />
vertreten. Manche WissenschaftlerInnen sehen in ihm weniger ein erworbenes Recht als eine<br />
„Verordnung von oben“, die ohne den Rat der Volksbeauftragten niemals zustande gekommen<br />
wäre, weil die Sozialdemokratie unter anderen Nachkriegsumständen einen Handel mit den<br />
bürgerlichen Parteien eingegangen wäre. 2565 Dem Ersten Weltkrieg wird zusammen mit der Aus-<br />
weitung des tertiären Wirtschaftssektors allgemein eine die Emanzipation begünstigende Wirkung<br />
zugeschrieben 2566 . Einige WissenschaftlerInnen sehen in der Erringung des Frauenwahlrechts<br />
jedoch bewusst nicht ein Ergebnis des Krieges, sondern seines revolutionären Endes. Ohne<br />
Zweifel muss jedoch der (Vorkriegs-)Sozialdemokratie als der einzigen politischen Partei, die die<br />
Forderung nach der Einführung des Frauenwahlrechts in ihrem Programm aufgenommen hatte,<br />
eine maßgebliche Rolle beim Zustandekommen dieses Gr<strong>und</strong>rechts zugestanden werden. 2567<br />
Feministische WissenschaftlerInnen wie Freier heben dagegen den Eigenanteil der deutschen<br />
Frauen am Kampf um das Wahlrecht <strong>und</strong> damit die in der vorliegenden Arbeit im Mittelpunkt<br />
stehende politische Frauenbildung hervor. Und so würden sie das Wahlrecht weder „der SPD noch<br />
den Räten [verdanken], sondern ihren eigenen Aktionen sowohl im Lager der sozialistischen als<br />
auch der bürgerlichen Frauen“ 2568 . Das Frauenwahlrecht ist also Ergebnis politischer Schulung <strong>und</strong><br />
Agitation beider Frauenlager.<br />
Viele WissenschaftlerInnen betonen jedoch, dass man das Frauenwahlrecht keinesfalls den Bemü-<br />
hungen der bürgerlichen Frauen zuschreiben dürfe. Niggemann fasst das vermeintliche Versagen<br />
der bürgerlichen Frauen sogar folgendermaßen zusammen:<br />
„Es ist eine Legende, daß das Frauenwahlrecht in Deutschland von der bürgerlichen<br />
Frauenbewegung oder gar den liberalen Parteien erkämpft worden sei.“ 2569<br />
Diese Bilanz der Forschungsaussagen macht also deutlich, dass neben den zeitgeschichtlichen<br />
2565 Vgl. Hamm-Brücher, Seit 70 Jahren Abschied vom Männerwahlrecht, S. 33 <strong>und</strong> Gieseke, Geschlechterverhältnis<br />
<strong>und</strong> Weiterbildung, S. 27. Zu den Positionen der verschiedenen bürgerlichen Parteien um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende<br />
siehe auch: Schenk, Die feministische Herausforderung, S. 38-39 u. S. 41.<br />
2566 Sommerhoff, Frauenbewegung, S. 41; Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. 126; Nave-<br />
Herz, Die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland, S. 49ff. Allerdings wird einem diese Betrachtungsweise<br />
im Rückblick nicht leicht gemacht: Die betriebene geschlechtsspezifische, fürsorgerische Tätigkeit, die<br />
hingenommenen Maßnahmen sexueller Unterdrückung wie die Verschärfung des § 218 <strong>und</strong> die Identifizierung mit<br />
den kriegshetzerischen Durchhalteparolen des Wilhelminischen Reiches zeugt von der Einseitigkeit des Emanzipations-<br />
<strong>und</strong> Politisierungsschubes des Krieges. Der Aufbruch in neue Berufsfelder <strong>und</strong> das Übernehmen von<br />
Verantwortung im öffentlichen Leben kann man dagegen ohne weiteres als emanzipationsfördernd bewerten. Bezüglich<br />
des Frauenwahlrechts hat die Nachhaltigkeit der emanzipationsfördernden Elemente des Krieges wohl den<br />
Ausschlag für seine Beurteilung gegeben.<br />
2567 Vgl. Hamm-Brücher, Seit 70 Jahren Abschied vom Männerwahlrecht, S. 33 <strong>und</strong> Gerhard, Frauenwahlrecht in<br />
Deutschland, S. 22. Siehe auch: Gerhard, Frauenwahlrecht, S. 21 <strong>und</strong>. Bornemann, Vorwort des Herausgebers,<br />
S. 36.<br />
2568 Freier, Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären, S. 156.<br />
2569 Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus, S. 152.<br />
671
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Umständen dem Engagement der proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> damit auch ihrer poli-<br />
tischen Frauenbildung bei der Erlangung des Frauenwahlrechtes im allgemeinen ein großer Ver-<br />
dienst zukommt.<br />
Es war die Weimarer Verfassung 2570 , die den Frauen das Recht zu wählen <strong>und</strong> gewählt zu werden<br />
gesetzlich gewährleistete. Der bekennende Monarchist Freiherr Axel von Freytagh-Loringhoven<br />
gibt folgende zeitgenössische Charakterisierung der Verfassung: Für ihn war sie lediglich<br />
„Notbau […], häßlich <strong>und</strong> windschief, nach ausländischen, <strong>und</strong>eutsch [sic!] gedachten<br />
Plänen, aus unedlem Material, aber geschickt verputzt, mit Ornamenten<br />
aus billigem Stuck verziert.“ 2571<br />
Diese ablehnende Haltung gegenüber der Weimarer Verfassung war in konservativen Kreisen weit<br />
verbreitet <strong>und</strong> damit begründet, dass sie dem „deutschen Wesen“ fremd sei, sich zu stark an die<br />
westliche Kultur, – die Kultur der Siegermächte – anlehnte <strong>und</strong> als ein Konstrukt, das viel<br />
verspräche <strong>und</strong> wenig hielte, nichts tauge für die Nachkriegsordnung.<br />
Tatsächlich war die Weimarer Verfassung aber nur ein Kind ihrer Zeit. Sie sollte beides:<br />
Kontinuitäten bewahren <strong>und</strong> Neuerungen vorantreiben. Diesen Mittelweg der Integration beschritt<br />
auch die Mehrheitssozialdemokratie <strong>und</strong> verwarf damit zugleich die Pläne eines sozialistischen<br />
Staates. Sie versuchte die Umwandlung der bürgerlichen Gesellschaft auf dem Boden einer<br />
deutschen Demokratie zu vollziehen, womit Unruhen vermieden <strong>und</strong> die Integration in die Ge-<br />
meinschaft der westlichen Völker gewährleistet werden sollte. Demgegenüber betrieben einerseits<br />
die am 31. Dezember 1918 gegründete, aus dem Spartakusb<strong>und</strong> hervorgegangene „Kommunis-<br />
tische Partei Deutschlands“ (KPD), andererseits die reaktionären bürgerlichen bzw. monarchis-<br />
tischen Parteien eine Art „Blockadepolitik“. Die einen wollten nun endlich den Maximen des<br />
Sozialismus <strong>und</strong> dem Beispiel der russischen GenossInnen gemäß einen sozialistischen Staat auf-<br />
bauen, die anderen wollten die Monarchie rekonstruieren oder zumindest den Gr<strong>und</strong>pfeiler der<br />
bürgerlichen Gesellschaft, das Privateigentum, erhalten. Diesen gegensätzlichen Erwartungen<br />
konnte die Verfassung in ihrem Kompromisscharakter nicht gerecht werden.<br />
Auch in der Formulierung der rechtlichen Gleichstellung der Geschlechter machte sich dieser<br />
Kompromisscharakter bemerkbar: Mit dem Zusatz der „Gr<strong>und</strong>sätzlichkeit“ ließ § 109 der<br />
Weimarer Verfassung „modifizierend-einschränkende Lesarten“ 2572 des Gr<strong>und</strong>rechtes auf Gleich-<br />
2570 Die Weimarer Verfassung wurde von dem Sozialdemokraten Hugo Preuss konzipiert <strong>und</strong> am 31. Juli 1919 von der<br />
Nationalversammlung mit 262 gegen 75 Stimmen verabschiedet.<br />
2571 Freytagh-Loringhoven, Die Weimarer Verfassung in Lehre <strong>und</strong> Wirklichkeit, S. 399.<br />
2572 Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung <strong>und</strong> Neuer Weiblichkeit, S. 166.<br />
672
4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN<br />
heit zu. Das wurde von beiden Frauenbewegungen aber bewusst in Kauf genommen 2573 , da auch<br />
sie sich zwar immer für die „Gleichwertigkeit“, aber gegen die „Gleichartigkeit“ der Geschlechter<br />
ausgesprochen hatten. Man sah hier also nicht die Gefahr erneut legitimierter Unterdrückung <strong>und</strong><br />
Beschränkung, sondern im Gegenteil garantierte Flexibilität <strong>und</strong> Berücksichtigung geschlechts-<br />
spezifischer Eigenheiten.<br />
Was bedeutete diese vermeintliche Gleichheit für die weitere Entwicklung der Frauenorga-<br />
nisationen? Mit dem Erreichen ihres Hauptzieles, dem Frauenwahlrecht, löste sich die radikal-<br />
bürgerliche Frauenbewegung auf oder integrierte sich in den gemäßigten Flügel. Die sozialis-<br />
tischen Frauenorganisationen könne man, so Schenk, schon seit der Parteispaltung gar nicht mehr<br />
als “Frauenbewegung“ bezeichnen, sie seien zu „Untergruppierungen der jeweiligen Partei“ 2574 ge-<br />
worden. Tatsächlich wurde auch von Juchacz die Absolutheit der Parteitreue deutscher sozialis-<br />
tischer Frauen kritisch hinterfragt:<br />
„Ja, entwickelt die deutsche sozialistische Frauenbewegung denn gar kein eigenes,<br />
geistiges Leben, schafft sie sich keine eigenen Daseinsformen, läßt sie sich gutwillig<br />
uniformieren <strong>und</strong> fühlt sich wohl dabei?“ 2575<br />
Juchacz bemühte sich 1923 eine Antwort auf diese Fragen zu geben, indem sie von der<br />
Unnötigkeit schrieb, dass das politische Auftreten der Frauen sich spektakulär von dem der<br />
sozialistischen Männer abzusetzen habe:<br />
„Nicht daß wir Aufsehen machen <strong>und</strong> die Augen der Welt auf uns lenken, nein, daß<br />
Gesetzgebung <strong>und</strong> Verwaltung durchdrungen werden von weiblichem Geist, befreit<br />
werden von der Einseitigkeit <strong>und</strong> Starrheit des nur männlich Gerichteten, das ist<br />
das Wesentliche.“ 2576<br />
Und dieses wurde eben nicht besonders auffällig betrieben. Zogen es die Sozialdemokratinnen<br />
also vor, sich in die Politik „einzuschmuggeln“ statt ihre Rechte lautstark einzufordern? War es<br />
nicht dieses Verhalten gewesen, das die Sozialistinnen unter Zetkin den bürgerlichen Frauen als<br />
„Halbheit“ vorgeworfen hatten?! Indem die Sozialdemokratische Partei außerdem „ein zu-<br />
nehmend konservativeres Familien- <strong>und</strong> Frauenbild [entwickelte], das sich nur graduell von dem<br />
anderer bürgerlicher Parteien untersch[ied]“ 2577 , war trotz der positiven Veränderungen für die<br />
Frauen seit dem Beginn der Weimarer Republik eine gr<strong>und</strong>legende Neuerung der <strong>weiblichen</strong><br />
2573 Wenngleich Mathilde Wurm 1923 in der „Gleichheit“ schrieb, dass das zu Ende gegangene Jahr 1922 „noch<br />
immer nicht das in der Verfassung gegebene Versprechen auf gr<strong>und</strong>sätzliche Gleichberechtigung der Frau erfüllt“<br />
(Wurm, Mathilde: Rückblick <strong>und</strong> Ausblick I. In: GL, 33/ 01/ 01.01.1923/ 1) habe, blieb der Protest doch erstaunlich<br />
dürftig.<br />
2574 Schenk, Die feministische Herausforderung, S. 52.<br />
2575 Juchacz, Marie: Die Frau in der deutschen Partei. In: GL, 33/ 9-10/ 1./15.05.1923/ 68.<br />
2576 Ebd.<br />
2577 Schenk, Die feministische Herausforderung, S. 52.<br />
673
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Rolle weder innerhalb der Partei noch innerhalb der Gesellschaft zu erwarten – jedenfalls nicht<br />
basierend auf einer Initiative der unterwürfig zuarbeitenden Parteifrauen.<br />
Verschiedene deshalb naheliegende Pläne zur Gründung einer Frauenpartei hatten jedoch auch<br />
keine Chance, da die Klassenschranken ein geschlechtssolidarisches Vorgehen nach wie vor aus-<br />
schlossen. Es bestätigte sich, so Gerhard, „daß die Geschlechtszugehörigkeit allein noch keinen<br />
politischen Sinn macht“ 2578 . Jedenfalls noch keinen solch erheblichen, dass damit die Klassen-<br />
vorbehalte unerheblich <strong>und</strong> eine geschlechtsgeb<strong>und</strong>ene Etablierung der Frauenbewegung in Form<br />
einer Frauenpartei möglich würde. 2579<br />
Zwar blieben damit die politischen Entscheidungen nicht den Männern überlassen, doch der<br />
geringe Frauenanteil unter den Parlamentsabgeordneten war noch keine hinlängliche Garantie für<br />
die volle Vertretung der Emanzipationsinteressen der deutschen Frauen. Dies bewiesen vor allem<br />
die wirtschaftlichen Regierungsmaßnahmen der ersten Republikjahre.<br />
Staatliche Demobilmachungsmaßnahmen schufen Arbeitsplätze für die heimkehrenden Männer<br />
<strong>und</strong> zwangen die Frauen zurück ins Haus 2580 . Dies war den Frauen ein bekanntes <strong>und</strong> vielleicht<br />
auch nicht unwillkommenes Muster geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung. Trotzdem kann man<br />
nicht sagen, dass sich durch diese Maßnahmen der Arbeitsmarkt auf den Vorkriegsstandard zu-<br />
rückentwickelt hätte. Der Anteil der <strong>weiblichen</strong> Erwerbstätigen in traditionellen Frauenberufen<br />
wie z.B. der Haus- <strong>und</strong> Landwirtschaft sank weiter. Der neue Sektor der Dienstleistung zeigte<br />
dagegen einen stetig anwachsenden Bedarf an Arbeitskräften <strong>und</strong> rückte zunehmend in das<br />
öffentliche Interesse. Mit der steigenden Zahl von Sekretärinnen, Telefonistinnen, Verkäuferinnen<br />
<strong>und</strong> Stenotypistinnen – den kleineren Angestellten –, prägte sich ein neues, vorwiegend städ-<br />
tisches Phänomen aus – der so genannte Typus der „Neuen Frau“. 2581<br />
Die junge Generation dieser Frauen verdiente ihr eigenes Geld <strong>und</strong> diese finanzielle Freiheit hatte<br />
2578 Gerhard, Frauenwahlrecht, S. 27.<br />
2579 Vgl. Schenk, Die feministische Herausforderung, S. 60.<br />
2580 Am 28. März 1919 erfolgte die 1. Verordnung, am 25. Januar 1920 die 2. Verordnung zur Demobilmachung.<br />
Frauen wurden nach Ende des Ersten Weltkrieges in einer fadenscheinigen Reihenfolge der Dringlichkeit aus<br />
ihren Arbeitsverhältnissen entlassen: „1. Frauen, deren Männer Arbeit hatten, 2. alleinstehende Mädchen <strong>und</strong><br />
Frauen, 3. Mädchen <strong>und</strong> Frauen, die nur 1-2 Personen zu versorgen hatten, 4. alle übrigen Mädchen <strong>und</strong> Frauen.“<br />
(zit. nach Thönnessen, Frauenemanzipation, S. 101). Fadenscheinig war diese Dringlichkeitsstufung, weil es<br />
schließlich doch schlicht Ermessenssache des Unternehmers <strong>und</strong> der duldsamen Gewerkschaften war, ob der<br />
Verdienst einer Frau als zusätzlich oder versorgungsnotwendig einzuschätzen sei. Letztendlich stand immer die<br />
Arbeitsplatzbeschaffung für einen Mann im Mittelpunkt, auch wenn vielleicht eine ungenügend versorgte Kriegerwitwe<br />
ihren Arbeitsplatz dafür räumen musste. Siehe: Bessel, Eine nicht allzu große Beunruhigung des Arbeitsmarktes<br />
<strong>und</strong> siehe auch: [Buchheim, Johanna?]: Eine vorübergehende Erscheinung? In: GL, 26/ 02/ 15.10.1915/<br />
9-10.<br />
2581 Vgl. Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung <strong>und</strong> Neuer Weiblichkeit, S. 171ff.. Zur<br />
„Neuen Frau“ siehe: Soden/Schmidt, Neue Frauen: die zwanziger Jahre; Frauenalltag <strong>und</strong> Frauenbewegung im<br />
20. Jahrh<strong>und</strong>ert. Bd. 2: Frauenbewegung <strong>und</strong> die „Neue Frau“ 1890-1933.<br />
674
4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN<br />
zur Folge, dass sie auch andere individuelle Freiheiten beanspruchte. Die „Goldenen Zwanziger“<br />
exponierten durch Kunst, Musik <strong>und</strong> Mode die Eigenarten einer selbstbewussten, lebenslustigen<br />
<strong>und</strong> aufbegehrenden „bubiköpfigen“ Frau. Manche zeitgenössischen Gesellschaftswissen-<br />
schaftlerInnen betrachteten diesen großstädtisch geprägten Typus als Verwirklichung der weib-<br />
lichen Emanzipation par excellence. 2582 Was sie allerdings dabei aus dem Blickfeld verloren, war,<br />
dass der Großteil der Frauen von dieser Entwicklung unbeeinflusst <strong>und</strong> in gegenteiligen Mustern<br />
verhaftet blieb, abgesehen davon, dass diese Formen weiblicher Emanzipation kaum ein Vorbild<br />
sein konnten für die Proletarierin. Außerdem galt auch für die aufstrebenden <strong>weiblichen</strong> An-<br />
gestellten, dass ihre Karrieren denen der Männer zuarbeiteten, sie letzlich auf geschlechtstypische<br />
Hilfskraftpositionen festgelegt waren <strong>und</strong> im Falle der Verheiratung meistens ihr jugendlich-<br />
rebellisches Leben „freiwillig“ aufgaben.<br />
Auf politischer Ebene ist das beste Beispiel für diese von der Mehrheit der Frauen praktizierte<br />
Selbstbescheidung auf die ihnen zugeschriebenen Arbeitsfelder die 1919 von Marie Juchacz ins<br />
Leben gerufene „Arbeiterwohlfahrt“ (AWO). Sie führte als arbeiterspezifische Fürsorge-<br />
organisation die im Krieg begonnene eigenständige proletarische Sozialarbeit fort, richtete<br />
verschiedenste Beratungsstellen, Krankenpflegestationen, Kinder-, Alters- <strong>und</strong> Mütterheime ein.<br />
Zudem bot sie Möglichkeiten zur beruflichen Ausbildung von Sozialarbeiterinnen. Juchacz<br />
entwickelte ein maßgebendes Wohlfahrtskonzept, das alle bisher existierenden sozialdemokra-<br />
tischen Fürsorgeorganisationen zusammenfassen <strong>und</strong> sich durch das Prinzip der „Hilfe zur<br />
Selbsthilfe“ ganz deutlich von der bürgerlichen Almosen-Wohltätigkeit unterscheiden sollte.<br />
Einerseits führte diese Eigenständigkeit damals zu der Frage, „ob mit dem Aufbau eigener<br />
Einrichtungen dem Staat nicht ein Teil seiner Verantwortung für die Gesellschaft genommen“ 2583<br />
würde. Andererseits bietet gerade die AWO bis heute Diskussionsstoff für den Aspekt, dass die<br />
Frauen sich erneut einseitig in dienenden, pflegenden <strong>und</strong> fürsorgerischen Tätigkeitsfeldern<br />
engagieren, anstatt auf die „große“ Politik Einfluss zu nehmen. Dertinger schreibt dazu, dass<br />
„wer so urteilt, vergißt, woher die meisten jener Frauen gekommen waren <strong>und</strong><br />
welche Aufgaben sich ihnen aus eigenem Erleben als vordringlich stellten. Das<br />
Sein bestimmte das Bewußtsein von Frauen wie Marie Juchacz.“ 2584<br />
Fasst man diesen letzten Satz so auf, dass die gesellschaftlichen Umstände, in denen sich die<br />
Frauen wiederfanden, auch ihr Bewusstsein prägten, so ist die Übernahme bestimmter Rollen-<br />
2582 Vgl. Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung <strong>und</strong> Neuer Weiblichkeit, S. 172-173.<br />
2583 Dertinger, Marie Juchacz, S. 225. Siehe auch: Juchacz, Marie: Die Frau in der deutschen Partei. In: GL, 33/ 9-10/<br />
1./15.05.1923/ 68.<br />
2584 Dertinger, Marie Juchacz, S. 215.<br />
675
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
bilder <strong>und</strong> -erwartungen quasi „natürlich“. Dieser Zusammenhang erklärt auch Juchacz‘<br />
Behauptung in der Nationalversammlung, dass die Sozialpolitik Gebiete aufweise, „an denen das<br />
weibliche Geschlecht ganz besonders interessiert <strong>und</strong> für welche das weibliche Geschlecht ganz<br />
besonders geeignet“ 2585 sei. Vor dem Hintergr<strong>und</strong> des legitimen Anspruchs der Frauen auf Teilhabe<br />
in allen gesellschaftlichen Bereichen hätte aber das Bewusstsein, also der bewusste Teil der<br />
Frauenbewegung, solche „natürlichen“ Rollenerwartungen zurückweisen <strong>und</strong> auf die gesellschaft-<br />
lichen Umstände, auf das „Sein“, einwirken müssen.<br />
Die AWO zeigte zwar, indem sie Bezug auf Themen der proletarischen Lebenswelt nahm, ähnlich<br />
wie die allgemeinen Bildungskonzepte der Proletarierinnen den eigenständigen Weg prole-<br />
tarischer Kultur <strong>und</strong> Organisation auf, sie förderte aber zugleich die Entwicklung zurück zu einem<br />
stereotypen Frauenbild. 2586 Frevert fasst die Konsequenzen dieser „eher konservativen Linie“ so<br />
zusammen: Sie<br />
„trug den Frauenbewegungen von der kritischeren Jugendbewegung den Vorwurf<br />
ein, sie hätten abgewirtschaftet <strong>und</strong> ihre innovative, umgestaltende Kraft eingebüßt;<br />
für männliche Politiker wiederum hatten sie ihren aufreizenden Stachel<br />
verloren <strong>und</strong> waren zum ungefährlichen, kalkulierbaren Faktor des politischen<br />
Systems geworden.“ 2587<br />
Haben die <strong>weiblichen</strong> Politikerinnen sich selbst <strong>und</strong> ihre Geschlechtsgenossinnen demnach um<br />
die Rechte <strong>und</strong> Möglichkeiten, die ihnen die Weimarer Verfassung geboten hatte, betrogen?<br />
Woher kam der Widerspruch zwischen der Fülle neuer Rechte <strong>und</strong> der Bereitschaft, von ihnen<br />
Gebrauch zu machen? 2588 Wahrscheinlich waren den Frauen ihre Chancen nicht ersichtlich genug,<br />
<strong>und</strong> das politische System <strong>und</strong> seine Freiheiten zu ungewohnt, zu komplex.<br />
So ergab sich für die proletarische Frauenbildung ein neues Bildungsziel. Die Proletarierinnen<br />
mussten zu Republikanerinnen erzogen werden, die loyal zur deutschen Republik stehen <strong>und</strong> sich<br />
2585 Ebd., S. 214.<br />
2586 Zur weiteren Entwicklung der AWO schreibt Dertinger: „Bei ihrem Verbot [durch die Nationalsozialisten, M.S.]<br />
zählte die Arbeiterwohlfahrt, die sich seit Februar 1933 auf die illegale Weiterarbeit in Tarnorganisationen<br />
vorzubereiten suchte, 2600 Ortsausschüsse (heute Ortsvereine) mit 1414 Beratungsstellen <strong>und</strong> mehr als 135 000<br />
ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeitern. Die Nationalsozialisten übernahmen H<strong>und</strong>erte von vorbildlich<br />
arbeitenden Einrichtungen: Lehrlings-, Klub-, Erwachsenen- <strong>und</strong> Kindererholungsheime, mehr als tausend<br />
Nähstuben, Kinderkrippen, -gärten <strong>und</strong> -tagesstätten, Werkstätten <strong>und</strong> eine Reihe von gemeinnützig arbeitenden<br />
Wirtschaftsbetrieben, […]. Damit wurden bedeutende Ergebnisse einer sozialen Reformidee vernichtet <strong>und</strong><br />
Leistungen Tausender sozialdemokratischer Frauen.“ (Dertinger, Marie Juchacz, S. 225-227). Auch Thönnessen<br />
zieht diese Verbindung zwischen proletarischer Wohlfahrtsarbeit <strong>und</strong> dem Nationalsozialismus: „Der Nationalsozialismus<br />
übernimmt von der gewaltsam unterdrückten Sozialdemokratie, […] gerade die Sozialarbeit der<br />
Frauen <strong>und</strong> enthüllt sie damit als Mittel zur Verhinderung, nicht zur Realisierung der Frauenbefreiung.“ (Thönnessen,<br />
Frauenemanzipation, S. 7-8). Dertinger betont die Vernichtung der reformerischen Arbeit der SPD-Frauen,<br />
Thönnessen dagegen die Integrierbarkeit in die NSDAP-Organisationen, weil sie unterschwellig eben doch<br />
reaktionär war.<br />
2587 Frevert, Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung <strong>und</strong> Neuer Weiblichkeit, S. 167.<br />
2588 Wurms, <strong>Von</strong> heute an gibt’s mein Programm, S. 21.<br />
676
4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN<br />
ihrer Rechte bewusst sein sollten. Die bürgerliche Frauenrechtlerin Agnes Zahn-Harnack (1884-<br />
1950) formulierte treffend:<br />
„Aufgabe der folgenden Generation wird es nun sein, zu erwerben, was sie<br />
besitzen.“ 2589<br />
Der Erwerb, die verinnerlichende Aneignung zuerkannter Rechte, wurde zum neuen Aufgaben-<br />
gebiet der gesamten Frauenbewegung. Was würde es schließlich dem äußerst umstrittenen jungen<br />
Staat einbringen, wenn er seinen Bürgerinnen zwar eine Vielzahl an Rechten einräumte, diese sie<br />
aber nicht zu nutzen wüssten?!<br />
Die innere Zerrissenheit des noch im Werden begriffenen Staates machte vieles unkalkulierbar. So<br />
auch das Wahlverhalten der Frauen, in das gerade auch die Sozialdemokratie soviel Schulungs-<br />
arbeit investiert hatte. Zwei Tage vor der Wahl zur Nationalversammlung im Januar 1919, äußerte<br />
sich Juchacz als damalige Redakteurin der „Gleichheit“ sehr skeptisch zu dem möglichen<br />
Wahlausgang. Sie bezeichnete das Frauenwahlrecht als einen „neuen ungewissen Faktor“ 2590 des<br />
politischen Lebens <strong>und</strong> setzte bewusst nur geringe Erwartungen in die Ergebnisse der Wahlen.<br />
Tatsächlich hatten die ersten Wahlen der neuen deutschen Republik einen überraschend positiven<br />
Verlauf für die bürgerlich-konservativen Parteien. Obwohl die Sozialdemokratie stärkste Fraktion<br />
wurde, ging das konservative Zentrum als eigentlicher Sieger aus den Wahlen hervor. 2591<br />
Auch Proletarierinnen hatten die politische Vertretung der katholischen Konfession gewählt. Dies<br />
ergaben Analysen getrenntgeschlechtlicher Wahlstatistiken 2592 <strong>und</strong> ließ die „Gleichheit“-Mitarbei-<br />
terInnen an der politischen Reife ihres Klientels erneut zweifeln:<br />
„Kirchenthrone <strong>und</strong> Altäre wackelten wieder einmal bedenklich <strong>und</strong> wären sicher<br />
umgefallen, hätte man nicht euch Frauen, euch liebe, warmherzige, stets mitleidbereite<br />
Frauen zu Hilfe gerufen – <strong>und</strong> ihr ließet euch gerne rufen, kamet in Massen,<br />
zeugtet – nicht für die Kraft der Idee, wohl aber für die Wucht der Herde! Hättet<br />
ihr es aus echtem Mitleid getan, gut! Daß ihr es aber aus altem Autoritätsglauben<br />
2589 Zahn-Harnack, Die Frauenbewegung, S. 285.<br />
2590 Vor neuen Pflichten. In: GL, 29/ 08/ 17.01.1919/ 57.<br />
2591 Am 13. Februar 1919 hatte sich unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Philipp Scheidemann die sogenannte<br />
„Weimarer Koalition“ aus SPD, DDP <strong>und</strong> Zentrum als erste demokratische Regierung Deutschlands<br />
konstituieren müssen, weil der SPD keine absolute Mehrheit der Stimmen zugefallen war. Die Wahl zum<br />
1. Reichstag am 6. Juni 1920 fügte dieser christlich-sozialen Koalition einen erheblichen Stimmenverlust zu. Es<br />
bildete sich eine neue Koalition aus DDP, DVP <strong>und</strong> Zentrum. Damit war dann die SPD genauso wie die USPD<br />
von der Regierung ausgeschlossen.<br />
2592 Anlässlich der Reichstagswahl 1920 gaben bei einem katholischen Bevölkerungsanteil ganz Deutschlands von<br />
knapp einem Drittel nur 20% aller männlichen <strong>und</strong> fast 29% aller <strong>weiblichen</strong> Wähler ihre Stimme dem Zentrum.<br />
In der katholischen Hochburg Köln ist dieses geschlechtsspezifische Stimmenverhältnis noch extremer: Hier<br />
wählten 27,8% der Männer, aber 44,7% der Frauen die katholische Partei der bürgerlichen Mitte (vgl. Frevert,<br />
Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung <strong>und</strong> Neuer Weiblichkeit, S. 169). Zur Publikation getrenntgeschlechtlicher<br />
Wahlstatistiken siehe: Wirkungen des Frauenstimmrechts. In: GL, 31/ 06/ 15.03.1921/ 54.<br />
677
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
tatet, das ist das Traurige.“ 2593<br />
Die „Gleichheit“ warf den Frauen vor, nicht gemäß ihrem politischen Wissen, sondern gemäß<br />
ihrem „christlichen“ Mitgefühl gewählt zu haben. Vor allem wurde sie durch das Wahlverhalten<br />
ihres Klientels auf erschütternde Weise mit ihrem offenk<strong>und</strong>igen agitatorisch-erzieherischen Ver-<br />
sagen konfrontiert. In einem verbitterten Ton veröffentlichte sie ihre eigenen Vermutungen über<br />
die Ursachen des Wahlausgangs:<br />
„Die eine wählte nur eine Vo l k s partei, ob bayrisch oder deutsch, das gilt ihr<br />
gleich; die andere erklärt, jetzt bestimmt nicht mehr mehrheitssozialistisch oder gar<br />
unabhängig wählen zu wollen wie die letzen Male, weil man da doch nur windigen<br />
amerikanischen Speck bekommen hätte <strong>und</strong> weil das Packerl Suppengrün immer<br />
noch 20 Pf. kostet – trotz der Sozi in der Regierung; die eine wählt wie ihr Schatz<br />
wählt, weil er halt gestern wieder gar zu lieb war; die andere wählt gerade s e i n e<br />
Partei nicht, weil er sie heute versetzt hat wegen der Wahlarbeit; manche verbitterte<br />
Frau wählt den Kandidaten ihres Mannes nicht, weil sie auch gar nichts mehr mit<br />
ihm gemein haben möchte; eine andere legt in den einen Umschlag den Wahlzettel<br />
eines Kommunisten, weil er gar so schön geredet hat, <strong>und</strong> in den anderen<br />
Umschlag den Stimmzettel ihres Mannes für die Mittelpartei, damit dem ehelichen<br />
Gehorsam doch einigermaßen Genüge geleistet wird; die eine wählt extra die<br />
Kandidatin ihrer Partei nicht (wie leider auch manche Männer), weil sie halt bloß<br />
eine Frau ist; Dienstmädchen halten sich für standeserhöht, wenn sie die Kandidaten<br />
ihrer Herrschaft wählen, […].“ 2594<br />
Damit sprach die „Gleichheit“ den Frauen in auffällig enttäuschtem Tenor jede politische Reife<br />
<strong>und</strong> das Bewusstsein für die getroffene Wahlentscheidung ab.<br />
Vermutlich hatten sich in ebenso großer Enttäuschung die proletarischen Wählerinnen von der<br />
SPD abgewendet, weil sie dieser als Regierungspartei die Verantwortung für die bedrückenden<br />
Missverhältnisse anlasteten. 2595 So gesehen waren die Wahlentscheidungen der Frauen sehr wohl<br />
selbständig <strong>und</strong> bewusst getroffen, nur waren sie für überzeugte Sozialistinnen nicht nachvoll-<br />
ziehbar.<br />
Albrecht u. a. konstatierten, dass das Wahlverhalten dem Umstand zuzuschreiben sei, dass die<br />
Frauen während ihrer kriegsbedingten gesellschaftlichen Einflussnahme weder genügend poli-<br />
tischen Willen noch politische Macht entwickelt hätten. 2596 Die Konsequenzen, die die<br />
proletarische Frauenbewegung aus den Wahlniederlagen zog, mussten also vor allem pädago-<br />
gischer Art sein. Denn politischen Willen oder politische Macht vermochten die Frauen nur zu<br />
entwickeln, wenn sie sich mit den neuen Gegebenheiten vertraut machten.<br />
2593 O ihr Frauen! In: GL, 30/ 26/ 26.06.1920/ 212.<br />
2594 Ebd., S. 211f. Siehe auch: Scheuer-Insel, Else: Stimmungsbilder am Wahltage. In: GL, 30/ 26/ 26.06.1920/ 210-<br />
211.<br />
2595 Vgl. Albrecht/u. a., Frauenfrage <strong>und</strong> deutsche Sozialdemokratie, S. 506.<br />
2596 Ebd.<br />
678
4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN<br />
Die „Gleichheit“ musste vieles auf einmal leisten: Die Identifikation der Frauen mit der neuen<br />
Republik als einem demokratischen System <strong>und</strong> damit die Abkehr von bisherigen Kampfzielen 2597 ,<br />
ihre Aufklärung über ihre neuen Rechte 2598 <strong>und</strong> die Identifizierung ihrer neuen Feinde. Letztere<br />
waren nicht mehr nur auf der rechten Seite zu finden, sondern auch auf der linken, noch dazu in<br />
Gestalt ehemaliger GenossInnen. 2599 Damit hatte die „Gleichheit“ mehr Klärungs- als Auf-<br />
klärungsarbeit zu leisten <strong>und</strong> legte nicht nur in ihrem ab 1919 geführten Untertitel „Zeitschrift für<br />
die Frauen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands” 2600 Zeugnis für ihre Zugehörigkeit zur<br />
SPD ab. Die proletarische Frauenbewegung musste ihre SPD-Schulungsarbeit intensivieren. Als<br />
Bildungsziel stand jetzt nicht mehr die staatskritische Bewusstwerdung zur Klassenkämpferin im<br />
Mittelpunkt, sondern die Identifizierung mit der Republik. Einer Republik, die für die Sozial-<br />
demokratie das Feld ihrer – nun mehr auf Reformen reduzierten – gesellschaftsverändernden<br />
Politik war <strong>und</strong> von der die Frauen nicht von Beginn an völlig überzeugt waren. Je mehr die<br />
Republik jedoch später von nationalistisch-monarchistischen Tendenzen bedroht wurde, desto<br />
mehr verhielten sich die Frauen zu ihr loyal. Sie sahen die Republik als ein Haus: „Ständig ver-<br />
besserungsfähig, stets ausgestaltungsmöglich.“ 2601 Und manchmal verstanden sie es, dieses Bild<br />
mit ihrer sozialistischen Überzeugung zu verknüpfen:<br />
„[w]ir wollen in Forderung <strong>und</strong> Erzwingung des Gemeinschaftssinnes uns Wohnungen<br />
darin bauen. Und dem Sozialismus muß, kraft unseres Zutuns, die Zukunft<br />
gehören.“ 2602<br />
Die zu verfolgende Bildungsstrategie war nun, die Bürger <strong>und</strong> Bürgerinnen der neuen Republik in<br />
der ungewohnten Staatsform, in ihren neuen Rechten <strong>und</strong> Pflichten zu unterweisen. Für die<br />
„Gleichheit“-Autorin Olga Essig hing vom Erfolg dieser Erziehung zum Rechtsstaat <strong>und</strong> zum<br />
Sozialismus das “Sein oder Nichtsein der Deutschen Republik“ 2603 ab:<br />
„Die Quelle aller staatsbürgerlichen Bildungsarbeit muß die neue deutsche Reichsverfassung<br />
bilden. Ihr Inhalt muß dem Wortlaut <strong>und</strong> dem Geiste nach schnellstens<br />
Gemeingut des Volkes werden. Das gilt in erster Linie für den konstruktiven Teil,<br />
2597 Bohm-Schuch, Clara: Wir wollen! In: GL, 30/ 18/ 01.05.1920/ 130 (in diesem Artikel ging es Bohm-Schuch um<br />
die Verwirklichung des Sozialismus ohne Diktatur).<br />
2598 [Bohm-Schuch, Klara] C. B.-Sch.: Frauenfragen in der Nationalversammlung. In: GL, 29/ 24/ 02.08.1919/ 185-<br />
186.<br />
2599 Bohm-Schuch, Clara: Der Kampf gegen die Regierung! In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 209-210; Wir <strong>und</strong> die andern.<br />
In: GL, 30/ 26/ 26.06.1920/ 209.<br />
2600 Vgl. GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 249.<br />
2601 Büsing, Erna: Die Zertretenen. In: GL, 32/ 24/ 15.12.1922/ 218.<br />
2602 Ebd.<br />
2603 Essig, Olga: Staatsbürgerliche Schulung sozialistischer Frauen. In: GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 249.<br />
679
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
der die Bildung des Volkswillens <strong>und</strong> die Organe zu seiner Durchführung bestimmt.“<br />
2604<br />
Essig hielt den Verfassungstext für das geeignetste Lehrmittel einer neuen intensiveren Bildungs-<br />
arbeit <strong>und</strong> entwickelte für die organisierte inhaltliche Bearbeitung der Verfassung einen<br />
detaillierten Lehrplan. 2605 Die neue politische Frauenbildung, das mussten schließlich auch Sozia-<br />
listinnen wie Essig erneut eingestehen, wies jedoch altbekannte Schwierigkeiten auf. Diese waren<br />
vorwiegend sozialisationsbedingt <strong>und</strong> somit allein durch eine „prinzipielle“ geschlechtliche<br />
Gleichheit, wie sie die neue Verfassung verbürgen sollte, nicht ohne weiteres zu bewältigen. Des-<br />
halb sollte z. B. – trotz aller von der Verfassung gewährten prinzipiellen Gleichheit der<br />
Geschlechter – die politische Schulung immer noch in speziellen Frauengruppen erfolgen. Essig<br />
begründete diese Notwendigkeit mit dem mehr als ein halbes Jahrh<strong>und</strong>ert betragenden Vorsprung<br />
der Männer. Die Frauen hätten sich außerdem in einem angemessenen Rahmen mit den<br />
gewöhnungsbedürftigen neuen Frauenrechten, die im Unterschied zu den Rechten der Männer<br />
schon rein quantitativ verschieden seien, auseinanderzusetzen. Ohnehin müsse<br />
„innerhalb der politischen Gleichberechtigung der Geschlechter infolge<br />
physiologischer <strong>und</strong> psychologischer Unterschiede auf gewissen Gebieten des<br />
wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Gemeinschaftslebens eine Arbeitsteilung bzw.<br />
Differenzierung eintreten <strong>und</strong> gesetzgeberisch formuliert werden“ 2606 .<br />
Mehr als die „prinzipielle“ Gleichheit wollten die SPD-Frauen demnach gar nicht. Sie waren<br />
bereit, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung weiterhin zu tragen, wollten aber gut darauf<br />
vorbereitet werden.<br />
Die politische Schulung der Frauen würde so ein erhebliches Pensum umfassen. Neben den<br />
„allgemein staatsrechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen, kultur- <strong>und</strong> außenpolitischen Fragen“ 2607 ,<br />
sollten diese weiterhin in Problemen der „Ehe, Mutterschaft, Kindererziehung <strong>und</strong> -fürsorge,<br />
häuslichen <strong>und</strong> außerhäuslichen Frauenarbeit, Berufsbildung usw., sowie [in den][…]<br />
Möglichkeiten gesetzgeberischer Regelung dieser Gebiete“ 2608 unterrichtet werden.<br />
Die Sozialistinnen waren aber nicht nur davon überzeugt, dass eine getrenntgeschlechtliche<br />
Schulung aus rein lerntechnischen Gründen notwendig war. Sie warfen auch einen kritischen<br />
Blick auf die bisherigen Leistungen der männerdominierten Gesellschaft:<br />
2604 Ebd.<br />
2605 Vgl. ebd.<br />
2606 Ebd., S. 250.<br />
2607 Ebd.<br />
2608 Ebd.<br />
680<br />
„Der alte, nun zusammengebrochene Staat war ausschließlich von Mannesgeist<br />
geformt <strong>und</strong> regiert; an dessen höchster Steigerung zum Militarismus ging er zu-
gr<strong>und</strong>e.“ 2609<br />
4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN<br />
Wurde von Seiten der Siegermächte den Deutschen die Kriegsschuld <strong>und</strong> die verheerenden zivili-<br />
sationszerstörerischen Folgen angelastet, so wurde dies von Seiten der Frauen den Männern<br />
vorgeworfen. Das „weibliche Wesen“ sollte nun – wie es bereits Heilbut vor Kriegsende formu-<br />
liert hatte – heilend auf die zerrüttete Welt wirken <strong>und</strong> einen erneuten männlich-militaristischen<br />
Wahn verhindern.<br />
Unverkennbar schwang hier erneut das Prinzip der Mütterlichkeit mit, denn nur<br />
„[d]ie staatsbürgerlich geschulte Mutter […] verbürgt der sozialistischen Republik<br />
das Heranwachsen einer neuen Generation, die in Liebe, in Arbeit <strong>und</strong> Stille den<br />
wahren Sozialismus aufbaut, dem die Revolution die Bahn freigemacht hat.“ 2610<br />
Nach den kämpferischen Wirren der Revolution erhofften sich die Sozialistinnen einen friedlichen<br />
Aufbau eines neuen Staates. Die soziale Verpflichtung als Mutter <strong>und</strong> deren Interessen sollten ge-<br />
stärkt <strong>und</strong> so die Frau für die Sozialdemokratie geworben werden.<br />
Minna Todenhagen schrieb in der „Gleichheit“, dass die Weimarer Verfassung erstmals sogar eine<br />
„Verpflichtung“ zur politischen Teilhabe formuliere:<br />
„Nach Art. 133 sind alle Staatsbürger verpflichtet, persönliche Dienste für den<br />
Staat <strong>und</strong> die Gemeinde zu leisten. Die gegebene Vorbereitung für diesen Dienst ist<br />
die Mitarbeit in der Partei.“ 2611<br />
War es möglich, parteiliches Engagement von oben zu verordnen? Und wenn – standen dem<br />
Engagement der Frauen nicht noch immer neben unzureichender Schulung <strong>und</strong> parteiinternem<br />
Antifeminismus auch sozialisationsbedingte Hemmnisse entgegen?!<br />
Die entpolitisierende Wirkung dieser Hemmnisse wurde von den Sozialistinnen zunehmend er-<br />
kannt. So konstatierte Marie Schulze in ihrer Analyse zu den Ursachen der politischen Indifferenz<br />
der Frau, dass<br />
„nicht allein in der Belastung mit häuslichen Pflichten […] der Gr<strong>und</strong> zu suchen<br />
[sei], sondern in der Hauptsache an der falschen Erziehung unserer schulentlassenen<br />
Mädchen. […] Unsere jungen Mädchen sehen leider alles unter dem<br />
Gesichtswinkel der Verheiratung. […] Was aus ihnen wird, wenn sich diese Hoffnung<br />
nicht erfüllt, daran denken sie nicht. So sind sie, wenn sie wirklich in die Ehe<br />
kommen, nicht an politisches Denken gewöhnt. […] Wenn wir also die geistige<br />
Trägheit der Frau bekämpfen wollen, müssen wir vor allem den Sinn unserer<br />
jungen Mädchen von den Nichtigkeiten des Lebens auf die wirtschaftlichen <strong>und</strong><br />
politischen Geschehnisse lenken <strong>und</strong> dürfen nicht dulden, daß sie ihr Leben von<br />
2609 F. P.: Die Frauen im neuen Staat. In: GL, 29/ 08/ 17.01.1919/ 64.<br />
2610 Essig, Olga: Staatsbürgerliche Schulung sozialistischer Frauen. In: GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 250.<br />
2611 Todenhagen, Minna: Klassenkampf <strong>und</strong> Staatssinn, II. In: GL, 31/ 10/ 15.03.1921/ 96.<br />
681
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Anfang an gedankenlos auf den Mann einstellen.“ 2612<br />
Wieder wurde ähnlich der „sozialistischen Frauenemanzipationstheorie“ der Erwerbstätigkeit eine<br />
politisierende <strong>und</strong> aufklärende Wirkung zugeschrieben, die den jungen Frauen den Irrglauben an<br />
ein sorgenfreies Eheleben nehmen sollte.<br />
Aber nicht nur die persönlichen Versorgungsstrategien der Mädchen wurden als entpolitisierend<br />
entlarvt, auch die im Elternhaus praktizierte Ungleichbehandlung der Geschlechter <strong>und</strong> die die<br />
Söhne bevorzugende Erziehung:<br />
„An Euch, Ihr Mütter, ist es, Eure Töchter verstehen zu lernen; gebt ihnen freie<br />
Zeit für ihre Bildung <strong>und</strong> Vervollkommnung. Laßt ihre geistigen Fähigkeiten <strong>und</strong><br />
Anlagen nicht verkümmern, sonst versündigt Ihr Euch am heranwachsenden<br />
Geschlecht.“ 2613<br />
Die Mütter hatten aus ihrer eigenen Unterdrückung durch die Eltern meist nichts gelernt <strong>und</strong><br />
gaben somit überholte Strukturen an die nächste Generation weiter. Aus Sicht der Frauenbewe-<br />
gung bedurfte es hingegen gerade verständnisvoller, die Unabhängigkeit der Töchter fördernder<br />
Mütter.<br />
Dieser generationenübergreifenden Förderung hätte es anscheinend auch in der gesamten<br />
deutschen Frauenbewegung bedurft. Laut Stoehr lässt sich jedoch anhand von drei Erscheinungs-<br />
formen ein Bruch der Generationen aufzeigen:<br />
„1. blieb der Nachwuchs weg; die Frauenbewegung wurde immer älter; 2. hatten<br />
schon vor dem 1. Weltkrieg die Jugendorganisationen einen großen Zulauf erhalten<br />
(insbesondere die Zahl der organisierten Mädchen hatte sich vervielfacht); <strong>und</strong><br />
gegen Ende der 20er Jahre machte vor allem die Attraktivität der NS-Jugendorganisationen<br />
zu schaffen; 3. kam es auf mehreren Generalversammlungen des B<strong>und</strong>es<br />
Deutscher Frauenvereine (BDF) zu offenen Auseinandersetzungen zwischen<br />
jüngeren <strong>und</strong> älteren Frauen.“ 2614<br />
Nach fünfzig Jahren organisierter Frauenbewegung musste man feststellen, dass immer noch die<br />
Frauen der ersten St<strong>und</strong>e die Richtung der Bewegung vorgaben. Der wenige Nachwuchs, der sich<br />
in den Vereinen <strong>und</strong> Verbänden engagieren wollte, fand erstarrte Strukturen vor <strong>und</strong> kam nicht mit<br />
ihnen zurecht. In ihren Augen, schreibt Stoehr, seien „Statuten, Satzungen, Geschäftsordnungen<br />
<strong>und</strong> Tagesordnungen […] Ausdruck der ‘Entleerungen’ aller gegenwärtigen Formen des öffent-<br />
lichen Lebens ‘von Sinn <strong>und</strong> Ziel’“ 2615 gewesen.<br />
Es war wie ein Hohn des Schicksals: Die Frauenbewegung hatte in ihren Anfängen um die<br />
2612 Schulze, Marie: Die Ursachen der politischen Interessenlosigkeit der Frau. In: GL, 32/ 01/ 01.01.1922/ 9.<br />
2613 Turtz, Hans: Gebt Euren Mädchen freie Zeit! In: GL, 30/ 27/ 03.07.1920/ 220.<br />
2614 Stoehr, Neue Frau <strong>und</strong> Alte Bewegung?, S. 390.<br />
2615 Ebd., S. 396.<br />
682
4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN<br />
Überwindung der hemmenden Strukturlosigkeit <strong>und</strong> um die Gründung von strukturgebenden<br />
Vereinen kämpfen müssen. Mit diesem Kampf um Gründung von Dachverbänden oder ihrer Ver-<br />
bindung mit der Arbeiterbewegung hatte sie ihre gesellschaftliche Einflussnahme erhöhen wollen.<br />
Nun, zum Zeitpunkt eines hohen Organisationsgrades, stellten diese „Errungenschaften“ für die<br />
unter freieren Umständen erwachsene Frauengeneration plötzlich ein Problem dar. Die „Gleich-<br />
heit“ dagegen schien stets neue Mitarbeiterinnen zu gewinnen <strong>und</strong> gab diesen auch die<br />
Möglichkeit, sich auf führenden Posten zu bewähren. Ihren Niedergang als die führende prole-<br />
tarische Frauenzeitschrift konnte dies jedoch auch nicht aufhalten.<br />
Im Sommer 1920 initiierte die „Gleichheit“ eine öffentliche Debatte – ähnlich der von 1908 – zu<br />
der Reformierung der nun mehr „Frauenabende“ genannten Vereinstätigkeiten. Auch hier wurde<br />
verstärkt das Prinzip der Mütterlichkeit <strong>und</strong> der Schulung zur Sozialarbeit in den Mittelpunkt<br />
gerückt. W. Birnbaum (?-?) 2616 eröffnete die Debatte um die Frauenabende mit dem Vorschlag,<br />
man solle die Schulung der Frauen noch stärker der <strong>weiblichen</strong> „Vorstellungswelt anpassen, [sich]<br />
an Gefühl, Gemüt <strong>und</strong> Seele wenden.“ 2617 Die Frauenabende sollten Lesungen in deutscher<br />
Dichtung <strong>und</strong> Prosa, Lieder zur Laute oder Volkslieder, Mottoabende wie „Frühlingsabend“ oder<br />
eine „September-Zusammenkunft“ 2618 bieten. Selbst die Überleitung zu theoretischeren Themen<br />
wie Steuer-, Kommunal- <strong>und</strong> Mietfragen ließen ihrer Meinung nach eine solch zwanglose,<br />
populäre Ausgestaltung zu. 2619 Birnbaum richtete die Frauenabende somit als Kulturver-<br />
anstaltungen aus, die mehr der Mitgliederwerbung als der Mitgliederschulung Rechnung tragen<br />
sollten. Mit ähnlicher theorieabstinenter Tendenz favorisierte Wachenheim die stärkere praktische<br />
Mitarbeit der Frauen in der politischen Öffentlichkeit:<br />
„Sie [die Frauen, M.S.] müssen bei ihrem nächsten natürlichen Interessengebiet<br />
gepackt werden. Sie sind Mütter oder können es werden. Sie sind als solche Bewahrerinnen<br />
des Lebens, Hüterinnen des schwächsten Lebens, das wollen sie zur<br />
Entfaltung bringen. Ihnen liegt die Fürsorge, die Pflege des Körpers <strong>und</strong> Geistes,<br />
also Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Erziehungsfragen bzw. Wohlfahrtspflege am nächsten“ 2620<br />
Wachenheim sah also genau wie die Politikerin Juchacz die politische Betätigung der Frau vor-<br />
nehmlich auf dem Sektor der Fürsorge als gegeben an. Auch die Verfassung sollte den Frauen<br />
nicht über die Besprechung ihrer staatsrechtlichen Konsequenzen näher gebracht werden, sondern<br />
2616 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu W.<br />
Birnbaum.<br />
2617 Birnbaum, W.: Zur Ausgestaltung der Frauenabende. In: GL, 30/ 31/ 31.07.1920/ 254.<br />
2618 Vgl. ebd., S. 255.<br />
2619 Vgl. ebd.<br />
2620 Wachenheim, Hedwig: Vorschläge zur Frauenbildungsarbeit. In GL, 30/ 32/ 07.08.1920/ 258-259.<br />
683
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
über die gesetzlichen Neuerungen auf dem sozialen Sektor. Insgesamt entwickelten sich die<br />
Frauenabende der Nachkriegszeit immer noch bzw. wieder in die im Krieg eingeschlagene für-<br />
sorgerische bzw. vor 1908 aufgezwungene unpolitische Richtung. Nicht mehr das gemeinsame<br />
Lesen theoretischer Texte – <strong>und</strong> damit die Vermittlung sozialistischer Gedanken – stand im<br />
Mittelpunkt, sondern praktische Sozialarbeit, Anleitung zu Hilfe <strong>und</strong> Selbsthilfe im alltäglichen<br />
Leben.<br />
Die Bildungskonzepte zur Republikanerin umfassten also Althergebrachtes wie das mütterliche<br />
Prinzip oder recht kraftlose Berufungen auf den Sozialismus. Im Vergleich zu der vor dem Krieg<br />
angestrebten Bildung zur Klassenkämpferin war der Theoriegehalt der von den AutorInnen der<br />
„Gleichheit“ formulierten Bildungsziele nun minimal. Der historische Materialismus oder der<br />
Klassenkampf waren nicht mehr Gegenstände proletarischer Bildung. Es stand vielmehr die<br />
harmonische Integration in das bisher noch unfertige Staatssystem im Mittelpunkt. 2621 Die sozia-<br />
listische Theorie, die „Waffe der Kritik“, die Niggemann als „Waffe der Frauen gegen die noch<br />
nicht überw<strong>und</strong>enen Vorurteile der Männer“ 2622 charakterisierte, setzten die Sozialdemokratinnen<br />
nicht mehr in dem Maße ein wie unter Zetkins Führung. Obwohl sich weiterhin ein Abweichen<br />
vom Prinzip der Gleichheit innerhalb der Partei abzeichnete, blieben die führenden Sozialdemo-<br />
kratinnen der Parteilinie treu <strong>und</strong> diskreditierten demgemäß die unabhängige, an den sozialis-<br />
tischen Gr<strong>und</strong>sätzen festhaltende Konkurrenz, die USPD, so gut sie konnten. 2623 Die SPD<br />
arrangierte sich derweil mit den gegebenen Umständen <strong>und</strong> versuchte, mittels revisionistischer<br />
Strategien die deutsche Gesellschaft, die trotz Krieg <strong>und</strong> Revolution immer noch bürgerlich ge-<br />
prägt war, umzuwandeln statt umzustürzen.<br />
Dieses völlige Abweichen von den sozialistischen bzw. marxistischen Gr<strong>und</strong>sätzen analysierte der<br />
Pädagoge <strong>und</strong> Marxist Otto Rühle (1874-1943). Er bezeichnete Juchacz‘ Koredakteur Schulz, der<br />
für die theoretische Bildungsarbeit innerhalb der Arbeiterbewegung maßgeblich verantwortlich<br />
war, als Paradebeispiel dafür, „daß man ein guter Kopfmarxist <strong>und</strong> doch dabei ein miserabler<br />
Klassenkämpfer sein kann“ 2624 . Schulz war seiner Meinung nach ein „Verräter am Marxismus“ 2625<br />
2621 So schrieben Wurm <strong>und</strong> Radtke-Warmuth 1922 zu ihrem gemeinsamen Redaktionsantritt, dass die SPD zwar<br />
einen Kampf gegen den Kapitalismus <strong>und</strong> für den Sozialismus führe, dass die Mitarbeit am Aufbau der Republik<br />
aber Etappe auf diesem Weg sei (vgl. Wurm, Mathilde / Radtke-Warmuth, Elli: Was wir wollen. In: GL, 32/ 21/<br />
01.11.1922/ 189).<br />
2622 Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus, S. 231.<br />
2623 Vgl. Bohm-Schuch, Clara: Wir <strong>und</strong> die anderen. In: GL, 30/ 26/ 26.06.1920/ 209.<br />
2624 Rühle, Illustrierte Kultur- <strong>und</strong> Sittengeschichte des Proletariats, S. 250.<br />
2625 Ebd.<br />
684
4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN<br />
geworden. Seine Bildungsarbeit hätte sich theoretisch ausgezeichnet durch die „Betonung der<br />
marxistischen Gr<strong>und</strong>auffassung der klassenkämpferischen Einstellung [<strong>und</strong>] […] der sozia-<br />
listischen Zielsetzung“ 2626 . In der politischen Praxis hätte dagegen die „völlige Preisgabe der<br />
marxistischen Orientierung, [die] unbedingte Abkehr vom Klassenkampfstandpunkt [<strong>und</strong> die]<br />
offenk<strong>und</strong>ige Ignorierung des sozialistischen Endziels“ 2627 stattgef<strong>und</strong>en.<br />
Rühle konnte sich diesen Widerspruch zwischen Theorie <strong>und</strong> Praxis, wie er meiner Meinung nach<br />
unleugbar von Anfang an in den proletarischen Bildungsentwürfen bestanden hatte, nur mit der<br />
Mangelhaftigkeit der gesamten bisher geleisteten Bildungsarbeit erklären. Auch das Ausbleiben<br />
jeglichen Widerstandes der angeblich marxistisch geschulten Massen gegen die revisionistische<br />
Parteiführung ließe sich damit erklären:<br />
„Wo regt sich ein Hauch des marxistisch entflammten Massenzorns? Nichts regt<br />
sich, kein Protest, keine Revolte im Parteilager. […] Welch ein Marxismus muß in<br />
diesen Kursen, Arbeitsgemeinschaften <strong>und</strong> Seminaren verzapft werden! Wie muß<br />
die Schulung zum Klassenkampf beschaffen sein, die den Schülern nicht bis unter<br />
die Haut geht, die alle Sünden am Geist der proletarischen Entwicklung unwidersprochen,<br />
alle Verbrechen an der Idee des Sozialismus ungestraft läßt!“ 2628<br />
Die Erziehung zum selbständigen Denken wird hier von dem Marxisten Rühle als Deckmantel<br />
einer Erziehung zur Parteikonformität entlarvt. Innerhalb der Bildungsstrategien der Arbeiter-<br />
bildung wurde allerdings beides nur allzu oft miteinander vermengt.<br />
Die sich hauptsächlich auf die von Schulz geprägte marxistische Schulung der männlichen<br />
Arbeiter beziehende Kritik Rühles trifft m. E. nicht auf die unter Zetkin organisierte proletarische<br />
Frauenbildung zu. War Zetkin doch in ihrem Pazifismus, ihrem Primat des Historischen Materia-<br />
lismus <strong>und</strong> ihrer Akzentuierung der Theorielehre eine konsequente Verfechterin des originären<br />
Marxismus gewesen. Allerdings muss auch hier gefragt werden, wie die „Ära Zetkin“ so<br />
scheinbar völlig ohne Nachwirkung bleiben konnte. Denn von der Frauenbildungsarbeit, die nach<br />
der Entlassung Zetkins von den Sozialdemokratinnen geleistet wurde, bleibt trotz des revolu-<br />
tionären Aufbruchs Weimars nur mit den Worten Rühles zu sagen: Sie war „meilenfern jener<br />
großen Menschenbildung im Sinne des revolutionären Marxismus“ 2629 .<br />
Doch auch jene marxistische Menschenbildung scheint nicht mehr die Qualitäten einer Klassen-<br />
kämpferin oder eines „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ angestrebt zu haben. Denn in ihrer Analyse<br />
verschiedener proletarischer Romane der 1920er Jahre, deren Autoren fast alle dem 1928 ge-<br />
gründeten „B<strong>und</strong> der proletarisch-revolutionären Schriftsteller“ angehörten, konstatiert Andresen,<br />
2626 Ebd., S. 251.<br />
2627 Ebd.<br />
2628 Ebd., S. 251/ 252.<br />
2629 Vgl. ebd., S. 252.<br />
685
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
dass sie selten das Bild der Frau als das einer Kämpferin darstellten:<br />
„Meistens sind die dargestellten Frauen Mütter der revolutionären Kämpfer, deren<br />
Ehefrauen oder Fre<strong>und</strong>innen. Sie selbst haben keinen direkten Bezug zum Kampf.<br />
Sie sitzen ängstlich zu Hause <strong>und</strong> warten, in der Hoffnung, daß ihre Söhne <strong>und</strong><br />
Männer heil aus den kämpferischen Gefechten zurückkehren.“ 2630<br />
Der Bruch mit dem traditionellen Frauenbild hatte hier selbst in der Literatur, in der Alternativen<br />
unabhängig von der Realität hätten entwickelt werden können, nicht stattgef<strong>und</strong>en. 2631<br />
Für die frauengeschichtlichen <strong>und</strong> frauenbiographischen Inhalte der „Gleichheit“ hatte die<br />
Wandlung im Frauenleitbild der Sozialdemokratie erhebliche Auswirkungen. Es erfolgte, wie in<br />
Kapitel 3.1. <strong>und</strong> 3.2. aufgezeigt, ein starker Rückgriff auf die Geschichte der 1848er-Revolution<br />
<strong>und</strong> ihre Forderung nach Demokratie. Auch wenn vorrangig die Bedeutung des Proletariats an den<br />
revolutionären Ereignissen dargestellt wurde, blieb der Klassenkampf, gar sein internationaler<br />
Gedanke, unberücksichtigt. Auch die historischen <strong>weiblichen</strong> Vorbilder wurden von „Gleichheit“-<br />
Autorinnen wie Anna Blos dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert entnommen. Es handelte sich meist um gebildete<br />
<strong>und</strong> bürgerlich-revolutionäre Frauen, die in Artikeln porträtiert wurden, deren Duktus sich kaum<br />
vom Duktus derjenigen Artikel unterschied, die die Vorzüge „weiblicher Vollmenschen“ cha-<br />
rakterisierten. Hätten Frauen, die an der Französichen Revolution oder an der 1848er-Revolution<br />
teilgenommen haben Vorbild für die „Gleichheit“-Leserinnen sein sollen, so hätte der Duktus,<br />
hätte ihre Darstellung als „Republikanerinnen“ eine ausgeprägtere sein müssen. Die Artikel, die ja<br />
tatsächlich zu aktiven <strong>und</strong> politisch bewussten Revolutionärinnen wie Mary Wollstonecraft <strong>und</strong><br />
Luise Aston erschienen, wären für ein gebotenes republikanisches Leitbild entwicklungsfähig<br />
gewesen, doch sie legten andere Schwerpunkte.<br />
Die Vorzüge einer Klassenkämpferin dagegen waren nur noch in Nekrologen von führenden<br />
Partei- <strong>und</strong> vermehrt Gewerkschaftsgenossinnen zu finden. Internationale Genossinnen fanden<br />
fast gar keine Erwähnung mehr – der Blick über den „deutschen Tellerrand“ hinaus gab es nicht<br />
mehr. Diese Entwicklung setzte sich fort, so dass auch nach Einstellung der „Gleichheit“ zu be-<br />
obachten war, dass die sozialdemokratische Frauenbewegung ihre Vorbilder in bürgerlichen<br />
Kreisen suchte. 2632 So musste Wurm auf der Reichsfrauenkonferenz in Kiel 1927 mit Bedauern<br />
2630 Andresen, Knorrig wie eine Eiche, S. 148. Andresen konstatierte allgemein: „Die Arbeiterbewegung ist eine<br />
kulturell männliche Bewegung. Ihre Symbole, Lieder, Bilder sind männlich.“ (ebd., S. 144). Eine Aussage, die<br />
sich mit der Lektüre der „Gleichheit“ relativieren müsste, wenn sich auch damit das in der Öffentlichkeit gepflegte<br />
Bild nicht verändert.<br />
2631 Zur Analyse der Klischees in der linken Trivialliteratur aus dem Umkreis des „B<strong>und</strong> der proletarisch-revolutionären<br />
Schriftsteller“ siehe auch: Rohrwasser, Saubere Mädel starke Genossen.<br />
2632 Eine Untersuchung der „Genossin“ <strong>und</strong> vor allem der „Frauenwelt“ hinsichtlich frauengeschichtlicher <strong>und</strong> frauenbiographischer<br />
Inhalte steht meines Wissens jedoch noch aus.<br />
686
4.5 LEITBILD OHNE HISTORISCHE VORBILDER? – ZUM FRAUENLEITBILD DER REPUBLIKANERIN<br />
<strong>und</strong> Unverständnis feststellen, dass eine Genossin, die aufgefordert worden war, im Radio über<br />
die Vorkämpferinnen der sozialistischen Frauenbewegung zu sprechen, lediglich Bezug auf Hed-<br />
wig Dohm oder Ellen Key genommen, aber Zietz <strong>und</strong> Ihrer unerwähnt gelassen habe:<br />
„Wir brauchen wirklich nicht nach jenen zu greifen, die niemals auf unserer Seite<br />
gestanden <strong>und</strong> gekämpft haben, sondern können Vorkämpferinnen der Menschheit<br />
<strong>und</strong> des Sozialismus anführen – auch wenn sie, wie Klara Zetkin, leider nicht mehr<br />
in unserem Lager stehen –, die sich unsterbliches Verdienst um Aufklärung <strong>und</strong><br />
Befreiung der Frau erworben haben. (Bravo! <strong>und</strong> Händeklatschen.).“ 2633<br />
Wurm wollte die Bedeutung Dohms <strong>und</strong> Keys für die Emanzipation der Frauen nicht schmälern<br />
oder gar eine „reinliche Scheidung“ initiieren, aber sie wollte auch nicht die Bedeutung ihrer Mit-<br />
kämpferinnen ignoriert sehen. Ähnlich wie hier bisher dargestellt, erfasste Wurms Fre<strong>und</strong>in <strong>und</strong><br />
Weggefährtin Dora Fabian (1901-1934) 2634 den Zwiespalt einer Erziehung zur Republikanerin<br />
<strong>und</strong> einer Erziehung zur Klassenkämpferin:<br />
„Wir haben gestern <strong>und</strong> heute viel von dem staatsbürgerlichen Bewußtsein gehört,<br />
zu dem Frauen erzogen werden müßten. Wir haben aber leider sehr wenig von<br />
einem anderen Bewußtsein gehört, zu dem die Frauen erzogen werden müssen,<br />
nämlich von dem Klassenbewußtsein. Wir haben wenig davon gehört, daß die<br />
proletarische Frau in erster Linie nicht Staatsbürgerin, sondern proletarische Klassenkämpferin<br />
zu sein hat.“ 2635<br />
Die Vernachlässigung des Klassenbewusstseins hatte laut Fabian zur Folge, dass sich Sozialdemo-<br />
kratinnen in bürgerlich-republikanischen Frauenvereinen engagierten <strong>und</strong> sich nun sogar in „erster<br />
Linie [als][…] Republikanerinnen“ 2636 , nicht mehr als <strong>Klassenkämpferinnen</strong> verstanden.<br />
So spiegelte sich in dem vorherrschenden Frauenleitbild der „neuen“ „Gleichheit“ der Pragma-<br />
tismus einer in einem bürgerlich-parlamentarischen System „angekommenen“ politischen<br />
Bewegung. Neben aller berechtigten demokratischen Aufbruchsstimmung hätten die Sozialdemo-<br />
kratinnen der Weimarer Republik mehr Klassenkritik wagen müssen.<br />
2633 Wurm im Bericht der Reichsfrauenkonferenz. In: Protokoll des SPD-Parteitages Kiel 1927, S. 317.<br />
2634 Dora Fabian, geb. Heinemann, war Tochter des Rechtsanwalts Hugo Fabian, der sich sehr stark in der SPD<br />
engagierte. Fabian trat bereits als junge Frau der SPD bei. 1922-1928 studierte sie Nationalökonomie <strong>und</strong> schloss<br />
dieses Studium in Gießen mit einer Promotion ab. Im selben Jahr erschien ihre Schrift „Arbeiterschaft <strong>und</strong><br />
Kolonialpolitik“ (1928). Sie heiratete den politisch engagierten Schriftsteller <strong>und</strong> Lehrer Walter Fabian, von dem<br />
sie sich 1930 gütlich scheiden ließ. Fabian arbeitete als Sekretärin <strong>und</strong> Übersetzerin für den preußischen<br />
Justizminister Kurt Rosenfeld <strong>und</strong> lernte im Rahmen dieser Tätigkeit Mathilde Wurm kennen. Es verband sie eine<br />
Fre<strong>und</strong>schaft mit dem Schriftsteller <strong>und</strong> Politiker Ernst Toller. 1931 wandte sie sich von der SPD ab <strong>und</strong> wurde<br />
Mitglied der SAP. Nach einer Verhaftung durch die Gestapo emigrierte Fabian erst in die Schweiz <strong>und</strong> schließlich<br />
1933 nach England. 1934 starben sie <strong>und</strong> Wurm unter sehr mysteriösen Umständen. Die von Scotland Yard<br />
angestellten Nachforschungen über einen möglichen Anschlag nationalsozialistischer Agenten blieben ergebnislos.<br />
Es verdichtete sich die Annahme, dass Fabian vor allem unter einer unerwiderten Liebe litt <strong>und</strong> schließlich die<br />
Verzweiflung über die politische Situation in Deutschland den Suizid der beiden Frauen motivierte. In die<br />
Recherchen für die vorliegende Arbeit wurden Artikel Fabians für die „Gleichheit“ nicht einbezogen.<br />
2635 Fabian ebd., S. 332.<br />
2636 Ebd.<br />
687
4.6 „[…] reich an Mitgefühl <strong>und</strong> Hilfsbereitschaft gegenüber fremdem Leid, reich<br />
an Bürgersinn <strong>und</strong> Bürgertugend, stark in der Pflichttreue[…]“ – Die<br />
Ausnahmeerscheinungen bürgerlicher Frauenrechtelei<br />
Das Verhältnis der „Gleichheit“ als Organ der proletarischen Frauenbewegung zur bürgerlichen<br />
Frauenbewegung war, wie in den ersten Kapiteln dieser Arbeit dargestellt, sehr gespannt. Doch<br />
trotz „reinlicher Scheidung“ ließ es sich die „Gleichheit“ nicht nehmen, die Persönlichkeiten<br />
der bürgerlichen Frauenbewegung in Nachrufen oder Jubiläumsartikeln zu ehren. Geschickter-<br />
weise ließ sie diese Gelegenheit nicht ungenutzt, ihre eigene Sicht auf diese Frauen <strong>und</strong> ihr<br />
Wirken zu verdeutlichen. Vor allem Zetkin gab dabei ihrem Bedauern Ausdruck, dass es diesen<br />
Frauen nicht gelungen war, hinter der Frauenfrage die soziale Frage, hinter der Frage der<br />
Emanzipation der Frau die der allgemein-menschlichen Emanzipation zu erkennen. Untersucht<br />
man die nachfolgenden biographischen Artikel auf ihr Erscheinungsjahr, so fällt auf, dass sie<br />
überwiegend noch unter der Redaktion Zetkins veröffentlicht wurden. Die neue Redaktion<br />
scheint Artikel dieser Art entweder hauptsächlich in den Beilagen oder gar nicht veröffentlicht<br />
zu haben. Vielleicht bedurfte das Verhältnis zur bürgerlichen Frauenbewegung aber auch keiner<br />
öffentlichen Wertschätzung mehr. Die Zeiten, in denen ein striktes „Hüben <strong>und</strong> Drüben“ galt,<br />
waren mit der gemeinsamen Arbeit im „Nationalen Frauendienst“ während der Kriegsjahre, mit<br />
dem Wechsel in der „Gleichheit“-Redaktion <strong>und</strong> dem errungenen Frauenwahlrecht vorbei.<br />
Eine der ersten Frauen, die sich für die Arbeiterinnen engagierte, als es noch keine<br />
klassenspezifische Trennung der Frauenorganisationen gab, war Marianne Menzzer (1814-<br />
1895). Sie sei, so Ihrer in einem Nachruf, eine „verdiente Vorkämpferin für Frauenrechte, eine<br />
Demokratin vom alten, unbeugsamen Schlag“ 2637 gewesen. Menzzer war Schwägerin des<br />
Mitbegründers der freireligiösen Bewegung Gustav Adolf Wislicenus. Sie arbeitete besonders<br />
an der Erstellung <strong>und</strong> Veröffentlichung von Statistiken zu den Löhnen <strong>und</strong> Arbeitsbedingungen<br />
Thüringer Arbeiterinnen. Zusammen mit Johanna Wecker trat sie für die Gründung von Rechts-<br />
schutzvereinen für Arbeiterinnen ein <strong>und</strong> war Ratgeberin für die Leiterinnen von Frauen-<br />
vereinen. Regelmäßig nahm sie an Volksversammlungen teil <strong>und</strong>, obwohl sich ihr Augenlicht<br />
stetig verschlechterte, verfolgte das politische Geschehen durch die Lektüre der Tageszei-<br />
tungen. In Wort <strong>und</strong> Tat setzte sie sich für die Interessen der Arbeiterinnen ein.<br />
Mit Menzzer, so Ihrer weiter, habe die bürgerliche Frauenbewegung in kurzer Zeit die dritte<br />
Frau verloren, denen sie ihre Gründung verdanke <strong>und</strong> die mit ihrem Engagement viel riskiert<br />
hatten:<br />
2637 [Ihrer, Emma?] E. J.: Marianne Menzzer †. In: GL, 05/ 15/ 24.07.1895/ 114.<br />
689
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
„Eine Wecker, eine Otto-Peters <strong>und</strong> eine Menzzer haben für die Gleichberechtigung<br />
ihres Geschlechtes zu einer Zeit gekämpft, wo diese Gleichberechtigung<br />
nicht blos ‘den Narren eitel Thorheit dünkte’, wo die Forderung von Frauenrechten<br />
allgemein einem Wahnsinn gleichgeachtet wurde, wenn nicht gar einem Verbrechen<br />
gegen göttliche, sittliche oder natürliche Ordnung.“ 2638<br />
Doch Menzzer stellte sich nicht nur gegen die „guten Sitten“ der patriarchalischen Gesellschaft,<br />
sie stellte sich auch gegen die innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung gepflegten Klassen-<br />
vorurteile. Sie gehörte zu den wenigen Frauenrechtlerinnen, die bei der Gründung des BDF 1893<br />
gegen den Beschluss protestiert hatten, die Arbeiterinnenvereine von einer Mitgliedschaft auszu-<br />
schließen. Durch diese Geisteshaltung hob sich Menzzer unter ihren Klassengenossinnen be-<br />
sonders hervor. Ihrer verehrte in ihr eine „opferfreudige[…], selbstlose[…], warmherzige[…] <strong>und</strong><br />
energische[…] Frau“ 2639 , die ihren Idealen „bis zum letzten Athemzuge“ 2640 treu geblieben sei.<br />
Anna Schepeler-Lette (1827-1897) war seit 1866 langjährige Vorsitzende des so genannten<br />
„Lettevereins“. Dieser von ihrem Vater gegründete <strong>und</strong> nach ihm benannte Verein habe, so Zetkin<br />
als die vermutliche Verfasserin des Nachrufes, „durch seine Einrichtungen […] H<strong>und</strong>erten bürger-<br />
licher Frauen zu Lebensunterhalt <strong>und</strong> würdigem Lebensinhalt verholfen“ 2641 . Es seien „eng<br />
gesteckte[…] Grenzen“ 2642 gewesen, in denen dieser Verein – wenn auch nützlich – wirkte. Der<br />
Persönlichkeit <strong>und</strong> dem Streben Schepeler-Lettes würden aber auch diejenigen nicht eine<br />
„[w]arme Anerkennung […] versagen, die auf einem anderen <strong>und</strong> weiteren Gebiet als der Lette-<br />
verein für die Interessen des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts kämpfen“ 2643 . So auch nicht die „Gleichheit“,<br />
die gemeinsam mit ihren Leserinnen für die weitergehende Umgestaltung der Gesellschaft<br />
kämpfte.<br />
Sie war eine Vertreterin der evangelisch-sozialen Richtung der bürgerlichen Frauenbewegung,<br />
doch Emilie Gerok (?-1898) unterschied sich von ihren Gesinnungsgenossinnen, weil sie „eine<br />
wahrhaft demokratische Denkart“ 2644 pflegte. In den Augen Zetkins zeichnete sie sich auch<br />
dadurch aus, dass sie soziale Reformarbeit <strong>und</strong> nicht Wohltätigkeit leisten wollte. Über ihren<br />
Charakter schrieb Zetkin:<br />
2638 Ebd.<br />
2639 Ebd.<br />
2640 Ebd.<br />
2641 Frau Anna Schepeler-Lette … In: GL, 07/ 21/ 13.10.1897/ 166.<br />
2642 Ebd.<br />
2643 Ebd.<br />
2644 Eine treue, warme Fre<strong>und</strong>in der Frauensache <strong>und</strong> der Interessen des arbeitenden Volkes … In: GL, 08/ 22/<br />
690<br />
26.10.1898/ 176.
4.6 „[…] REICH AN MITGEFÜHL UND HILFSBEREITSCHAFT GEGENÜBER FREMDEM LEID, REICH AN BÜRGERSINN UND BÜRGERTUGEND, STARK IN DER PFLICHTTREUE[…]“ –<br />
DIE AUSNAHMEERSCHEINUNGEN BÜRGERLICHER FRAUENRECHTELEI<br />
„Was sie als recht erkannte, dem lebte sie nach, unbekümmert um Anerkennung<br />
von unten <strong>und</strong> die Mißbilligung von oben nicht scheuend, eine gerade, klare Natur,<br />
in Wort <strong>und</strong> Tat, ‘furchtlos <strong>und</strong> treu’ nach echter Schwabenart“ 2645 .<br />
Demnach dürfte Zetkin Gerok auch deshalb etwas besser gekannt haben, weil beide in Schwaben<br />
lebten <strong>und</strong> wirkten. Wie Zetkin, so nahm auch Gerok wenig Rücksicht auf die eigene körperliche<br />
Konstitution. Trotz eines ges<strong>und</strong>heitlichen Leidens beteiligte sie sich an einer von der General-<br />
kommission der Gewerkschaften veranlassten Erhebung zur Lage der Arbeiterinnen verschiedener<br />
Gewerbe. Zetkin war voll des Lobes:<br />
„Und wie hat sie mitgarbeitet! Mit der vollen Energie einer Ges<strong>und</strong>en, mit der<br />
ganzen Pflichtreue der Ueberzeugung. Erst die äußerste Verschlimmerung ihrer<br />
Krankheit riß sie aus den Reihen der Mitarbeiterinnen, <strong>und</strong> noch auf ihrem<br />
Schmerzenslager quälte sie der Gedanke, für eine Arbeit mitverantwortlich zu sein,<br />
an deren Abschluß sie nicht mehr Theil nehmen konnte.“ 2646<br />
Nicht ihre Krankheit habe sie gequält, sondern das Wissen um eine unerledigt gebliebene Auf-<br />
gabe. Diese Selbstaufopferung Geroks, welche an Selbstzerstörung grenzte, beeindruckte Zetkin<br />
anscheinend sehr.<br />
Die „Gleichheit“ hatte in ihrer internationalen Ausrichtung stets auch die bürgerliche Frauen-<br />
bewegung des Auslandes im Blick. So berichtete sie auch über die in New York verstorbene<br />
Mitbegründerin <strong>und</strong> langjährige Vorsitzende der „Internationalen Frauen-Temperenz-Bewegung“<br />
Frances Willard (1839-1898).<br />
In einer ersten Notiz zum Tode Willards ging die „Gleichheit“ noch nicht auf deren Lebensweg<br />
ein, weil eine detailliertere Biographie noch folgen sollte. Diese erschien allerdings erst viele<br />
Monate später. In jener Notiz, die vermutlich aus der Feder Zetkins stammte, heisst es:<br />
„Gewiß, die Bedeutung, welche sie der Temperenzbewegung beilegte, läßt auf eine<br />
gewisse Unklarheit <strong>und</strong> Beschränktheit im Erfassen gesellschaftlicher Verhältnisse<br />
schließen. Gewiß, Miß Willard vertrat eine durchaus bürgerliche Auffassung der<br />
Frauenfrage. Aber die Begabung, Charakterstärke, Opferfreudigkeit <strong>und</strong> Begeisterung,<br />
mit der sie jederzeit für ihre Ueberzeugungen eintrat, verdienen rückhaltslose<br />
Bew<strong>und</strong>erung.“ 2647<br />
Zetkin differenzierte hier im Falle Willards deutlich zwischen politischer Sache <strong>und</strong> Person.<br />
Der zweite Artikel über Willard informierte die „Gleichheit“-Leserinnen darüber, dass sie im Staat<br />
New York im Dorf Churchville in bescheidene Familienverhältnisse hineingeboren wurde. Der<br />
Vater, der noch des Öfteren seine beruflichen Arbeitsverhältnisse wechseln sollte, verwaltete ein<br />
2645 Ebd.<br />
2646 Ebd.<br />
2647 Eine der verdienst- <strong>und</strong> charaktervollsten Vorkämpferinnen für Frauenrechte, Miß Frances Willard … In: GL, 08/<br />
08/ 13.04.1898/ 64.<br />
691
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Ladengeschäft. Er <strong>und</strong> seine Frau, eine frühere Lehrerin, hätten eine sehr glückliche Ehe geführt.<br />
Beide waren stetig um die eigene Weiterbildung bemüht <strong>und</strong> ließen auch ihren Kindern – zwei<br />
Töchtern <strong>und</strong> einem Sohn – eine gute Bildung zukommen.<br />
Unter Anderem begann der Vater ein Studium am Oberlin College in Ohio, das von Anhängern<br />
der Sklavenbefreiungsbewegung <strong>und</strong> progressiven Christen getragen wurde. Er wollte Geistlicher<br />
werden, gab diesen Plan jedoch auf <strong>und</strong> zog mit seiner Familie – Willard war damals sieben Jahre<br />
alt – nach Wisconsin. Ihr arbeitsreiches Leben auf ihrer dortigen Farm habe Willards „Blick für<br />
das Praktische <strong>und</strong> das Geschick zur Organisation“ 2648 geprägt. In dieser ländlichen Abgeschieden-<br />
heit übernahmen es die Eltern, ihre Kinder zu unterrichten – die Mutter in den Elementarfächern<br />
sowie in Literatur <strong>und</strong> Geschichte, der Vater in Botanik <strong>und</strong> anderen Naturwissenschaften. Auch<br />
die sportlichen Fähigkeiten wurden beim Spielen in der freien Natur gut ausgebildet. In dieser<br />
gr<strong>und</strong>legenden Bildung machten die Eltern keine geschlechtsspezifischen Unterschiede, doch eine<br />
höhere Berufsausbildung wollte der Vater nur dem Sohn zukommen lassen. Erst seine Ehefrau<br />
überzeugte ihn davon, auch den Töchtern dieses Recht zuzugestehen.<br />
Die Familie zog nach Evanston bei Chicago. Die Töchter besuchten dort die Frauenhochschule,<br />
während der Vater eine Anstellung in einem Bankhaus annahm. Willard war 19 Jahre alt, als sie<br />
mit dem vierjährigen Lehramtsstudium begann. Anschließend wurde sie Lehrerin an einer kleinen<br />
Privatschule, hatte aber weiterhin familiäre Pflichten zu erfüllen:<br />
„Sie widmete sich ihrem Beruf mit Eifer <strong>und</strong> Pflichttreue, arbeitete an ihrer Bildung<br />
weiter, half der Mutter bei der Führung der Hausgeschäfte <strong>und</strong> unterstützte<br />
materiell den Bruder während seiner Universitätsstudien.“ 2649<br />
Schon in dieser Zeit habe sie, so Zetkin, „eine ungewöhnliche Arbeitsfreudigkeit <strong>und</strong> einen hohen<br />
selbstlosen Opfermut“ 2650 entwickelt. Schwer traf sie dann der Tod von Schwester <strong>und</strong> Vater.<br />
Willard erhielt die Gelegenheit, als Privatlehrerin die Tochter eines reichen Farmers auf einer<br />
zweijährigen Reise durch Europa, Ägypten <strong>und</strong> Palästina zu begleiten. Zurück in den USA wurde<br />
sie 1877 Leiterin des Evanston Colleges <strong>und</strong> widmete sich vermehrt der Frauenbewegung <strong>und</strong> den<br />
Mäßigkeitsbestrebungen, mit welchen sie sympathisierte, da in ihrer Familie nie Alkohol<br />
getrunken wurde. Willard forderte als Schriftstellerin <strong>und</strong> Rednerin die Gleichberechtigung des<br />
<strong>weiblichen</strong> Geschlechts mit gleichem Enthusiasmus wie die Alkoholabstinenz. Sie vertrat dabei<br />
prinzipiell die<br />
„Auffassung, daß die unmittelbare Betheiligung der Frauen am öffentlichen Leben<br />
im Interesse ihrer freien Entwicklung eine Nothwendigkeit <strong>und</strong> von großem Vor-<br />
2648 Frances Willard. In: GL, 08/ 26/ 21.12.1898/ 202.<br />
2649 Ebd., S. 203.<br />
2650 Ebd.<br />
692
4.6 „[…] REICH AN MITGEFÜHL UND HILFSBEREITSCHAFT GEGENÜBER FREMDEM LEID, REICH AN BÜRGERSINN UND BÜRGERTUGEND, STARK IN DER PFLICHTTREUE[…]“ –<br />
theil für die Gesammtheit sei“ 2651 .<br />
DIE AUSNAHMEERSCHEINUNGEN BÜRGERLICHER FRAUENRECHTELEI<br />
Als Vorsitzende des „Christlichen Mäßigkeitsb<strong>und</strong>es“ von Chicago initiierte sie die Gründung des<br />
„Nationalen Frauenb<strong>und</strong>es für Mäßigkeitsbestrebungen“, welche in der Gründung des „Inter-<br />
nationalen Frauenverbands für Mäßigkeitsbestrebungen“ mündete, dessen langjährige Vorsitzende<br />
Willard wurde. 2652 Auf dem Gebiet der Frauenrechte trat sie für das Frauenwahlrecht ein. Dieses<br />
habe sie, so Zetkin, „richtig“ 2653 als „Waffe“ erkannt, <strong>und</strong> den Kampf um dieses folglich als<br />
„Kernpunkt jeder ernsten Frauenbewegung“ 2654 . So gründete Willard den „B<strong>und</strong> für die Erlangung<br />
des Frauenwahlrechts“ mit <strong>und</strong> leitete ihn von 1888 bis zu ihrem Tode. Als Rednerin bereiste sie<br />
die USA <strong>und</strong> legte dafür innerhalb eines Jahres 30.000 Meilen mit der Eisenbahn zurück. Außer-<br />
dem führten sie ihre Agitationsreisen auch mehrmals nach England.<br />
Willard veröffentlichte eine Autobiographie, eine Biographie ihrer Mutter <strong>und</strong> ein Buch für junge<br />
Mädchen. In verschiedenen Artikeln, Broschüren <strong>und</strong> Flugschriften befasste sie sich mit der<br />
Frauenfrage, mit der Temperenzfrage, mit religiösen Problemen <strong>und</strong> mit der Prostitution. Doch, so<br />
die Kritik Zetkins, wenn Willard auch ihre „Auffassung stets mit großer Energie <strong>und</strong> Wärme“ 2655<br />
vertrat,<br />
„[i]n allen Materien, die sie behandelte, sind ihre Ausführungen nicht tief <strong>und</strong><br />
erheben sich wenig über das durchschnittliche frauenrechtlerische Erfassen sozialer<br />
Einrichtungen“ 2656 .<br />
Abgesehen davon, dass ihre Ziele den Horizont der bürgerlichen Gesellschaft kaum überschritten,<br />
war Willard doch eine besondere Persönlichkeit, so besonders, dass an ihrem Todestag die Re-<br />
gierung in Washington alle Flaggen auf Halbmast hissen ließ.<br />
Ebenfalls anerkennenswert war der ausgesprochen internationale Charakter ihrer Auffassung <strong>und</strong><br />
ihres Wirkens. Willard war „eine der hervorragendsten Frauenrechtlerinnen der USA <strong>und</strong><br />
Englands, ja der gesammten Welt“ 2657 . Eine solch überschwängliche, für Zetkin untypische Be-<br />
urteilung einer bürgerlichen Frauenrechtlerin ist nur verständlich durch das<br />
2651 Ebd.<br />
„hohe[…] Maß vorzüglicher Eigenschaften des Geistes <strong>und</strong> Charakters, daß<br />
[Willard][…] als Person auch der sozial Andersdenkende volle Hochachtung <strong>und</strong><br />
Sympathie zollen muß“ 2658 .<br />
2652 Vgl. ebd., S. 204.<br />
2653 Ebd., S. 203.<br />
2654 Ebd.<br />
2655 Ebd., S. 204.<br />
2656 Ebd.<br />
2657 Ebd., S. 202.<br />
2658 Ebd.<br />
693
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Wenn sie auch die Wirkung <strong>und</strong> Bedeutung der Temperenzbewegung überschätzte <strong>und</strong> für eine<br />
rein bürgerliche Lösung der Frauenfrage stand, so urteilte Zetkin hinsichtlich ihrer Person doch<br />
erstaunlich differenziert:<br />
„[N]icht das Was ihrer Ansichten, sondern das Wie ihres Wirkens für dieselben<br />
hebt Frances Willard hoch über die Alltagsmenschen empor. In edelster Selbstlosigkeit,<br />
in nimmer erkaltender Begeisterung hat sie ihre große Begabung in den<br />
Dienst ihrer Ueberzeugung gestellt. Sie war ein selten reiner <strong>und</strong> starker Charakter,<br />
ein schönes Beispiel der hohen Tugenden, welche die Frau im Kampfe für die Idee<br />
zu entfalten vermag.“ 2659<br />
Willard ist Beispiel eines „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“, der sich – abgesehen von einer „gewisse[n]<br />
Unklarheit <strong>und</strong> Beschränktheit im Erfassen gesellschaftlicher Verhältnisse“ 2660 – mit großer „Be-<br />
gabung, Charakterstärke, Opferfreudigkeit <strong>und</strong> Begeisterung“ 2661 an die Spitze einer Bewegung<br />
setzte <strong>und</strong> nach Meinung Zetkins dafür „rückhaltslose Bew<strong>und</strong>erung“ 2662 verdient.<br />
Eine andere bürgerliche Frauenrechtlerin – „eine der besten, hervorragendsten“ 2663 Deutschlands –<br />
war Jeanette Schwerin (1852-1899). Sie war die Tochter eines Arztes, der als 1848er<br />
Revolutionär gekämpft hatte. Auch ihre Mutter war sehr liberal eingestellt <strong>und</strong> leitete den „Verein<br />
zur Förderung Fröbelscher Kindergärten“. Schwerin absolvierte eine Schule für Höhere Töchter<br />
<strong>und</strong> besuchte anschließend die von Lina Morgenstern gegründete „Akademie zur wissenschaft-<br />
lichen Fortbildung für junge Damen“. Ihr Ehemann, ein Sanitätsrat, unterstützte ihre sozialen<br />
Interessen <strong>und</strong> Vereinstätigkeiten.<br />
Nach Meinung Zetkins, die die Verfasserin dieses Nachrufes sein dürfte, war an Schwerin<br />
besonders deren Erkenntnis zu würdigen, dass nicht Wohltätigkeit, sondern nur „die Unter-<br />
stützung des proletarischen Kampfes für soziale Reformen <strong>und</strong> soziale Befreiung“ 2664 das Elend<br />
der Arbeiterklasse beenden könne. Schwerin wurde Mitglied der „Deutschen Gesellschaft für<br />
ethische Kultur“. Durch die Unterstützung ihres Vorsitzenden Georg von Gizycki wie auch durch<br />
ein Studium der Nationalökonomie <strong>und</strong> der Geschichte entwickelte sie bald ein tiefer gehendes<br />
sozialpolitisches Verständnis. Schließlich stand sie in der ersten Reihe der Kämpferinnen für die<br />
Gleichberechtigung der Frau <strong>und</strong> für soziale Reformen. Dabei sei sie auch den sozialistischen<br />
Ideen immer nähergekommen, habe aber „ihrer Ueberzeugung nicht öffentlich unumw<strong>und</strong>en<br />
2659 Ebd., S. 204.<br />
2660 Eine der verdienst- <strong>und</strong> charaktervollsten Vorkämpferinnen für Frauenrechte, Miß Frances Willard … In: GL, 08/<br />
08/ 13.04.1898/ 64.<br />
2661 Ebd.<br />
2662 Ebd.<br />
2663 Jeanette Schwerin †. In: GL, 09/ 16/ 02.08.1899/ 126.<br />
2664 Ebd., S. 127.<br />
694
4.6 „[…] REICH AN MITGEFÜHL UND HILFSBEREITSCHAFT GEGENÜBER FREMDEM LEID, REICH AN BÜRGERSINN UND BÜRGERTUGEND, STARK IN DER PFLICHTTREUE[…]“ –<br />
DIE AUSNAHMEERSCHEINUNGEN BÜRGERLICHER FRAUENRECHTELEI<br />
Ausdruck [gegeben]“ 2665 . Dies hatte neben persönlichen vor allem auch praktische Gründe.<br />
Schwerins Ges<strong>und</strong>heitszustand hätte eine agitatorische Tätigkeit unter dem Proletariat kaum<br />
zugelassen. Außerdem dachte sie, so Zetkin,<br />
„der Arbeiterklasse am besten dadurch zu dienen, daß sie in der bürgerlichen Welt,<br />
zumal unter den Frauenrechtlerinnen, sozialpolitisches Verständniß verbreitete“ 2666 .<br />
Dies tat sie schließlich auch. Innerhalb des BDF setzte sich Schwerin für die Gründung einer<br />
Kommission zum Thema Arbeiterinnenschutz ein, war Vorkämpferin für die Anstellung von<br />
Fabrikinspektorinnen, organisierte einen Ausbildungskursus für weibliche Gewerbeaufsichts-<br />
beamte <strong>und</strong> engagierte sich auch für die gewerkschaftliche Organisation der Arbeiterinnen,<br />
Letzteres jedoch in den liberalen Gewerkschaften. Außerdem war sie Redakteurin des „Zentral-<br />
blattes des B<strong>und</strong>es deutscher Frauenvereine“.<br />
Schwerin saß wie auch andere bürgerliche Frauenrechtlerinnen zwischen gleich mehreren<br />
Stühlen: zwischen radikaler <strong>und</strong> gemäßigter bürgerlicher Frauenbewegung ebenso wie zwischen<br />
bürgerlicher <strong>und</strong> proletarischer Frauenbewegung. Schwerin schlug „ihr Zelt an der Grenze<br />
zwischen zwei Welten“ 2667 auf <strong>und</strong> musste deshalb, so Zetkin,<br />
„kompromisseln, abschwächen, zaudern, schweigen, wo sie gern geredet hätte, <strong>und</strong><br />
reden, wo ihr Schweigen lieber gewesen wäre“ 2668 .<br />
Auch wenn sie dadurch die Kritik der Sozialdemokratinnen auf sich zog, würdigte die „Gleich-<br />
heit“ doch ihren „ehrlichen Glauben“, der Sache der Arbeiterinnen damit nützen zu können, dass<br />
sie „Konzessionen an bürgerliche Unklarheit <strong>und</strong> Halbheit, an bürgerliches Vorurtheil <strong>und</strong> Inter-<br />
esse“ 2669 machte. Ein Irrglaube zwar, aber gut gemeint.<br />
Schaute Zetkin auf die anderen bürgerlichen Frauenrechtlerinnen, so fanden sich – abgesehen von<br />
„der trefflichen, kenntnißreichen Frau Gnauck-Kühne im evangelischen Lager“ 2670 – ihrer Mei-<br />
nung nach<br />
„nur sehr, sehr Wenige, die sich an Begabung <strong>und</strong> noch weniger an sozialpolitischer<br />
Schulung <strong>und</strong> rastloser Thätigkeit neben Frau Schwerin stellen dürfen“ 2671 .<br />
Zetkin nutzte nun die Gelegenheit, ein wahres Feuerwerk an Vorwürfen gegen die bürgerliche<br />
Frauenbewegung abzuschießen: Schwerin habe sich positiv hervorgehoben,<br />
2665 Ebd.<br />
2666 Ebd.<br />
2667 Ebd.<br />
2668 Ebd.<br />
2669 Ebd.<br />
2670 Ebd.<br />
2671 Ebd.<br />
695
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
„weil sie studirte, lernte, sich in eine Frage vertiefte, ehe sie über sie sprach; weil<br />
sie praktisch für ein erforschtes, genau abgegrenztes, wenn auch oft kleines Gebiet<br />
wirkte, statt sich in schönen Gemeinplätzen über Alles <strong>und</strong> Jedes zu verbreiten. Für<br />
sie war Frauenbewegung weder ein Paradeplatz, noch eine Deklamationsbühne,<br />
noch ein Schaufenster für Ausstellung von Toiletten <strong>und</strong> ‘bestrickender Anmuth’,<br />
sondern ein Arbeitsfeld. Schlicht <strong>und</strong> einfach in ihrem Auftreten, war sie eine<br />
ernste Arbeiterin, im hohen idealen Sinne des Wortes; eine ernste Arbeiterin im<br />
Dienste des Fortschritts <strong>und</strong> der Allgemeinheit.“ 2672<br />
Zetkin zeichnete hier ein Bild der bürgerlichen Frauenbewegung wie, es üblicherweise von männ-<br />
lichen Gegnern der Frauenemanzipation propagiert wurde. Sie unterstellte den „Damen“ mehr<br />
Wert auf Prestige <strong>und</strong> Optik zu legen als auf kompetentes politisches Engagement. Schwerin<br />
stellte für Zetkin in besonderer Weise eine Ausnahme dar. Die „hohe persönliche Werthschätzung<br />
<strong>und</strong> Sympathie“ 2673 , welche Zetkin im Nachruf der Verstorbenen gegenüber aussprach, ist wesent-<br />
lich auf jene herausragende Stellung Schwerins innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung<br />
zurückzuführen.<br />
Weniger überschwänglich beurteilte Zetkin die Persönlichkeit ihrer Lehrerin Auguste Schmidt<br />
(1833-1902). Sie war in Leipzig gestorben, der Stadt, von der wichtige Impulse für die deutsche<br />
Frauenbewegung ausgingen <strong>und</strong> in der Zetkin das Steyber‘sche Lehrerinnenseminar besucht hatte.<br />
Während Schmidts Herkunft <strong>und</strong> Bildungsweg in jenem Nachruf unerwähnt blieben, wurde ihre<br />
Position als Mitbegründerin <strong>und</strong> langjährige Vorsitzende des „Allgemeinen Deutschen Frauen-<br />
vereins“, des „B<strong>und</strong>es Deutscher Frauenvereine“ <strong>und</strong> des „Allgemeinen Deutschen Lehrerinnen-<br />
vereins“ hervorgehoben. <strong>Von</strong> elementarer Bedeutung war Schmidts Fre<strong>und</strong>schaft mit Luise Otto-<br />
Peters. Zusammen beriefen sie 1865 den ersten öffentlichen Frauentag in Leipzig ein, welcher ein<br />
Initialfunke für viele in den vorangehenden Kapiteln dieser Arbeit genannten Organisationen war.<br />
Es war die gemäßigte Richtung der bürgerlichen Frauenbewegung, die Schmidt mit „unerschüt-<br />
terlicher Überzeugungstreue <strong>und</strong> nie versagendem Idealismus“ 2674 vertrat. Als eine „in sich ge-<br />
festigte Persönlichkeit“ 2675 habe sie für eine „einheitliche[…], geschlossene[…] Weltanschau-<br />
ung“ 2676 gewirkt, nur dass diese Weltanschauung eben die „des alten bürgerlichen Liberalismus<br />
mit seiner Beschränktheit <strong>und</strong> seiner Größe“ 2677 war. Für Zetkin war es deshalb nicht verw<strong>und</strong>e-<br />
rlich, dass Schmidt das Verständnis für die „tieferliegenden, geschichtlichen <strong>und</strong> sozialen Zusam-<br />
2672 Ebd.<br />
2673 Ebd.<br />
2674 Auguste Schmidt. In: GL, 12/ 14/ 02.07.1902/ 109.<br />
2675 Ebd.<br />
2676 Ebd.<br />
2677 Ebd.<br />
696
4.6 „[…] REICH AN MITGEFÜHL UND HILFSBEREITSCHAFT GEGENÜBER FREMDEM LEID, REICH AN BÜRGERSINN UND BÜRGERTUGEND, STARK IN DER PFLICHTTREUE[…]“ –<br />
DIE AUSNAHMEERSCHEINUNGEN BÜRGERLICHER FRAUENRECHTELEI<br />
menhänge“ 2678 <strong>und</strong> den „historischen Werdegang[…], der zur Befreiung der Frau, zur Befreiung<br />
der Menschheit führt“ 2679 nicht aufzubringen vermochte. Mit großer Genugtuung bemerkte Zetkin<br />
jedoch, dass auch Schmidt „der Zerfahrenheit der radikalen Frauenrechtelei“ 2680 , deren „Weltan-<br />
schauung ein lotteriges, schlotteriges Flickwerk aus allerhand Geschichts- <strong>und</strong> Moralphilosophie“<br />
2681 sei, nichts habe abgewinnen können. Auf wissenschaftlichen Gebiet habe sie sich deshalb zu<br />
einer „richtigeren Würdigung“ 2682 der materialistischen Sichtweise „‘durchgemausert’“ 2683 , aber<br />
öffentlich dazu bekannt hat sie sich nicht. Auch auf dem Gebiet der Wohlfahrtspflege <strong>und</strong> Bil-<br />
dungsreform, so Zetkin, habe Schmidt den Arbeiterinnen weit bessere Dienste geleistet als es die<br />
radikal-bürgerliche Frauenbewegung je vermochte.<br />
Auguste Schmidt, eine „edle Frau, reich an Mitgefühl <strong>und</strong> Hilfsbereitschaft gegenüber fremdem<br />
Leid, reich an Bürgersinn <strong>und</strong> Bürgertugend, stark in der Pflichttreue“ 2684 , war vielen jungen –<br />
auch unbemittelten – Mädchen eine gute Lehrerin <strong>und</strong> gab ihnen die Möglichkeit höherer Bil-<br />
dung. Wenn es auch im Interesse der Proletarierinnen öfters notwendig gewesen sei, mit ihr die<br />
„Klingen zu kreuzen“, so Zetkin, versage man Schmidt jedoch nicht die „achtungsvolle An-<br />
erkennung“ 2685 für ihr Wirken um die Bildung der Frauen.<br />
Eine der „ältesten <strong>und</strong> treuesten Vorkämpferinnen“ 2686 der bürgerlichen Frauenbewegung, die sich<br />
bereits in den 1860er Jahren für die Gleichberechtigung der Frau einsetzten, war Lina<br />
Morgenstern (1831-1909). Viele bahnbrechende Initiativen gehen auf sie zurück: Vorsitzende des<br />
ersten Berliner Kindergartenvereins, Mitgründerin des ersten Kinderschutzvereins, Gründerin des<br />
Berliner Hausfrauenvereins mit angeschlossener Kochschule <strong>und</strong> Stellenvermittlung <strong>und</strong><br />
Organisatorin von Kursen für häusliche Krankenpflege.<br />
Darüber hinaus engagierte sich Morgenstern für die Gründung einer Akademie zur<br />
wissenschaftlichen Fortbildung der Frauen, die Gründung einer Hausindustrieschule <strong>und</strong> einer<br />
landwirtschaftlichen Bildungsanstalt für Frauen. Ihre Interessen waren vielfältig <strong>und</strong> keineswegs<br />
auf die Bildungsbedürfnisse bürgerlicher Frauen beschränkt. Auch setzte sie sich für den Abolitio-<br />
2678 Ebd.<br />
2679 Ebd.<br />
2680 Ebd.<br />
2681 Ebd.<br />
2682 Ebd.<br />
2683 Ebd.<br />
2684 Ebd., S. 110.<br />
2685 Ebd.<br />
2686 Lina Morgenstern †. In: GL, 20/ 08/ 17.01.1910/ 127.<br />
697
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
nismus, d. h. die Abschaffung der Sklaverei, ein.<br />
Während des Deutschen Krieges 1866 <strong>und</strong> des deutsch-französischen Krieges 1870/71 war<br />
Morgenstern an der Einrichtung von Notstandsküchen beteiligt, was später in die Gründung des<br />
„Vereins Berliner Volksküchen“ mündete. Dies alles waren jedoch aus der Sicht Zetkins nur<br />
„Einrichtungen, durch die die Verstorbene zur Lösung der sozialen Frage beizutragen<br />
wähnte, während sie bestenfalls die schreiende Not weniger um ein Weniges<br />
zu lindern vermochte“ 2687 .<br />
Es habe sich zwar um praktische <strong>und</strong> hilfeleistende Einrichtungen gehandelt, jedoch linderten sie<br />
nur einen Missstand, welcher gr<strong>und</strong>sätzlich durch das kapitalistische System geschaffen wurde<br />
<strong>und</strong> daher auch nur gemeinsam mit diesem zu überwinden war. Zudem, so Zetkin weiter, sei<br />
„Vieles von dem, was sie geschaffen hat, […] schon überlebt“ 2688 . Morgenstern habe schlicht den<br />
Wert sozialer Hilfsarbeit überschätzt <strong>und</strong> „sonnte sich gern – echt bürgerlich-liberal – in höfischer<br />
Anerkennung <strong>und</strong> Gunst“ 2689 . Letzteres kann als eine prinzipielle Kritik an der von vielen bürger-<br />
lichen Frauenorganisationen geübten Praxis verstanden werden, die Schirmherrschaft <strong>und</strong> Patro-<br />
nage fürstlicher Häuser zu erlangen.<br />
Zetkin kam zu dem Resümee, dass Morgensterns Zielsetzung zwar falsch war, dass sie sich aber<br />
„in dem Wie ihrer Betätigung […] als hochherzige, opferreiche Persönlichkeit erprobt“ 2690 habe.<br />
Bereits vor der Entstehung entsprechender Frauenorganisationen setzte sich auch Auguste Fickert<br />
(1855-1910) für Bildung, Erwerbstätigkeit <strong>und</strong> staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Frau ein.<br />
Sie war Gründerin <strong>und</strong> Vorsitzende des „Allgemeinen österreichischen Frauenvereins“ <strong>und</strong> der<br />
Vereinszeitschrift „Frauenrecht“ (?-?). Später wurde Fickert Redakteurin der von Marie Lang<br />
(1858-1934) <strong>und</strong> Rosa Mayreder (1858-1938) herausgegebenen Zeitschrift „Dokumente der<br />
Frauen“ (1899-1902). 2691 Diese Zeitschrift, so Zetkin gönnerhaft, habe sich „literarisch wie sozial-<br />
politisch von [den] meisten frauenrechtlerischen Publikationen vorteilhaft ab[gehoben]“. 1890<br />
gründete sich der Wiener „Arbeiterinnen-Verein“, in dem Fickert abends oft in Elementarfächern<br />
<strong>und</strong> Literatur unterrichtete. Ihr letztes praktisches Projekt war die Gründung des „Heimhofs“,<br />
eines genossenschaftlichen Einküchenhauses für erwerbstätige alleinstehende Frauen.<br />
Fickerts politische Verortung umschrieb Zetkin so:<br />
2687 Ebd.<br />
2688 Ebd.<br />
2689 Ebd.<br />
2690 Ebd.<br />
2691 Die Zeitschrift „Frauenrecht“ ist in der ZDB nicht enthalten. Sie könnte eventuell die Vorgängerin der<br />
„Dokumente der Frauen“gewesen sein. Diese wiederum wurden unter dem Titel „Neues Frauenleben“ (1902-<br />
1918) laut ZDB schließlich von Fickert allein herausgegeben.<br />
698
4.6 „[…] REICH AN MITGEFÜHL UND HILFSBEREITSCHAFT GEGENÜBER FREMDEM LEID, REICH AN BÜRGERSINN UND BÜRGERTUGEND, STARK IN DER PFLICHTTREUE[…]“ –<br />
DIE AUSNAHMEERSCHEINUNGEN BÜRGERLICHER FRAUENRECHTELEI<br />
„Innerhalb des frauenrechtlerischen Lagers stand sie stets auf der äußersten Linken,<br />
eine enthusiastische Kämpferin für geistige Freiheit <strong>und</strong> weiteste Demokratie,<br />
eine warmherzige Verfechterin aller Reformen, welche die Ausgebeuteten <strong>und</strong><br />
Unfreien heben <strong>und</strong> zu Schmieden ihres eigenen Geschickes machen können.“ 2692<br />
Fickert sei „[d]em Ideal nach“ 2693 durchaus Sozialistin gewesen, doch „ihr Wesen [habe] sich der<br />
Erkenntnis von der schöpferischen, befreienden Rolle des Klassenkampfes verschlo[ssen]“ 2694 . Sie<br />
wirkte für ihre Ideale „mit vollen Händen spendend, was sie zu geben, zu sein vermochte“ 2695 ,<br />
blieb dabei „[s]tark im Geiste <strong>und</strong> rein im Charakter“ 2696 <strong>und</strong> beugte sich weder dem Unrecht noch<br />
der Lüge. Oft setzte sie dabei ihre eigene Existenz aufs Spiel. Beispiel hierfür war ein Vorfall im<br />
Wiener Gemeinderat, in dem zu jener Zeit, so Zetkin, ein „christlichsoziale[s] Antisemiten-<br />
regiment“ 2697 geherrscht habe. Der Gemeinderat hatte alle Lehrer <strong>und</strong> Lehrerinnen zwingen<br />
wollen, ihre Schüler bei der Fronleichnamsprozession zu begleiten. Viele männliche Lehrer hätten<br />
sich „der Sicherung der Brotstelle willen dem Ukas“ 2698 gefügt, obwohl sie sich zum Freidenker-<br />
tum bekannten. Fickert dagegen war konsequent, „trat aus der Kirche aus <strong>und</strong> erklärte sich als<br />
konfessionslos“ 2699 . Zwar bewies sie mit dieser Lösung von religiösen Banden alle Qualitäten<br />
einer Sozialistin <strong>und</strong> sympathisierte offen mit der Arbeiterbewegung, doch nie habe sie von der<br />
Hoffnung abgelassen, dass die Befreiung der Menschheit als Werk aller freiheitlich Gesinnten<br />
auch ohne Klassenkampf zu erreichen sein werde.<br />
Nur eine kurze Würdigung erfährt die bekannte Kämpferin für das Frauenrecht Hedwig Dohm<br />
(1833-1919), die 86-jährig in Berlin starb. Ihr schöpferisches Leben begann im Vormärz <strong>und</strong> war<br />
laut „Gleichheit“ „streitbar, erkenntnisstark <strong>und</strong> in freudigem Schaffen aufgediehen“ 2700 . Dohm<br />
war die Verfasserin zahlreicher Romane, die eine weite Verbreitung fanden <strong>und</strong> mit ihrem letzten<br />
Werk „Die Mutter“ (1903) 2701 habe sie sich für die Vereinbarkeit von Mutterschaft <strong>und</strong> Beruf ein-<br />
gesetzt. Ihr Ehemann Ernst Dohm war langjähriger Leiter der Zeitschrift „Kladderadatsch“ (1848-<br />
2692 Auguste Fickert †. In: GL, 20/ 20/ 04.07.1910/ 320.<br />
2693 Ebd.<br />
2694 Ebd.<br />
2695 Ebd.<br />
2696 Ebd.<br />
2697 Ebd.<br />
2698 Ebd. „Ukas“ ist Russisch für „Befehl, Verordnung, Erlass des Zaren“ (vgl. Wahrig. Deutsches Wörterbuch,<br />
S. 1262).<br />
2699 Auguste Fickert †. In: GL, 20/ 20/ 04.07.1910/ 320.<br />
2700 Hedwig Dohm †. In: GL, 29/ 19/ 20.06.1919/ 152.<br />
2701 Der „Gleichheit“-Redaktion unterlief hier ein kleiner Fehler: Das Werk trägt tatsächlich den Titel „Die Mütter“.<br />
699
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
1934).<br />
Besonders hervorgehoben wurde Dohms originelle pädagogische Auffassung des Eltern-Kind-<br />
Verhältnisses. Sie sei von der Notwendigkeit überzeugt gewesen, dass Kinder ihren Eltern „über<br />
den Kopf wachsen“ <strong>und</strong> von ihrer Zeit, ihrer Umwelt mehr verlangen müssten, denn „[d]er Beruf<br />
des Kindes ist: zukünftig zu sein“ 2702 .<br />
Sie war Juristin <strong>und</strong> Volksschullehrerin, doch zuletzt arbeitete Frieda Duensing (1864-1921) als<br />
Leiterin der Münchner sozialen Frauenschule <strong>und</strong> gründete einen „Lehrgang zur Ausbildung von<br />
Arbeiterinnen für soziale Berufe“. <strong>Von</strong> verschiedenen demokratischen Zeitschriften als „‘eine von<br />
sozialem Geiste erfüllte Demokratin’“ geehrt, hätte man sie nach Meinung Berta Duensings<br />
(?-?) 2703 auch als „von demokratischem Geist erfüllte Sozialistin“ 2704 bezeichnen können. Be-<br />
sonders hätte sich diese Gesinnung bei ihrer langjährigen Arbeit in der Berliner Zentrale für<br />
Jugendfürsorge gezeigt. Da habe Duensing erkannt, dass die Lösung der wichtigsten Probleme in<br />
einer „‘neue[n] Gesellschaft’“ 2705 zu finden sei. Als Volksschullehrerin hatte sie die Nöte der Ar-<br />
beiter kennengelernt <strong>und</strong> unermüdlich für die Besserung ihrer Lage gewirkt, doch es waren erst<br />
die letzten Jahre, in denen sich zeigte, dass in ihr „alles vorhanden war, um sie zu einer der erfolg-<br />
reichsten Kämpferinnen für unsere Sache zu machen“ 2706 . Duensing hatte sich nicht für eine<br />
„weithin sichtbare[…] agitatorische[…] Stellung“ 2707 , sondern für eine in der „Stille abgeschlos-<br />
sene[…] Tätigkeit“ 2708 entschieden. Doch egal, welchen Weg sie ging: „Der Kern bleibt die soziale<br />
Gesinnung.“ 2709 Für ihr stetiges Streben steht ihre selbstgewählte Grabinschrift: „‘Ich suchte …<br />
ich fragte … ich hungerte … nun ruhe ich aus <strong>und</strong> bin satt!’“ 2710<br />
Eine von Zetkin besonders anerkannte „tapfere[…] <strong>und</strong> selbstlose[…] Vorkämpferin der Frauen-<br />
rechte“ 2711 war die Pionierin der bürgerlich-radikalen Frauenbewegung Minna Cauer (1841-<br />
2702 Ebd.<br />
2703 Die herangezogenen Nachschlagewerke <strong>und</strong> Datenbanken enthalten keine biographischen Informationen zu Berta<br />
Duensing. Deshalb muss an dieser Stelle ungeklärt bleiben, ob <strong>und</strong> in welchem verwandtschaftlichen Verhältnis<br />
sie zu der Verstorbenen stand.<br />
2704 Duensing, Berta: Frieda Duensing †. In: GL, 31/ 04/ 15.02.1921/ 34.<br />
2705 Ebd.<br />
2706 Ebd.<br />
2707 Ebd.<br />
2708 Ebd.<br />
2709 Ebd.<br />
2710 Ebd.<br />
2711 Frau Minna Cauers siebzigster Geburtstag … In: GL, 22/ 04/ 15.11.1911/ 64.<br />
700
4.6 „[…] REICH AN MITGEFÜHL UND HILFSBEREITSCHAFT GEGENÜBER FREMDEM LEID, REICH AN BÜRGERSINN UND BÜRGERTUGEND, STARK IN DER PFLICHTTREUE[…]“ –<br />
DIE AUSNAHMEERSCHEINUNGEN BÜRGERLICHER FRAUENRECHTELEI<br />
1922). Die „Gleichheit“ veröffentlichte sowohl zu ihrem 70. Geburtstag, zu ihrem 80. Geburtstag<br />
wie auch nach ihrem Tode jeweils einen Artikel. Bei allen fällt auf, dass in ihnen wie bereits im<br />
Nachruf auf Lina Morgenstern keinerlei Informationen zu Herkunft oder Privatleben gegeben<br />
werden. Es sind vielmehr ihre Ideale, die gewürdigt wurden, <strong>und</strong> die Cauer „mit heiliger Inbrunst<br />
durch alle Stürme“ 2712 trug. Selbst als Greisin blieb Cauer, so Zetkin im ersten der Artikel,<br />
„glaubensstark <strong>und</strong> jugendfrisch im Kampfe“ 2713 für diese Ideale, während „viele des nach-<br />
rückenden Geschlechts kleinmütig, wankend die Ziele niedriger <strong>und</strong> näher gesteckt“ 2714 hätten.<br />
Wie bereits anderen „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ wie Malvida von Meysenbug zugestanden,<br />
bewies auch Cauer „[e]ine echt demokratische Gesinnung“ 2715 . Diese Gesinnung machte sie zur<br />
„konsequenten, treuen Verfechterin der Frauenrechte“ 2716 , ließ sie aber auch Verständnis haben für<br />
das „Vorwärtsdrängen des Proletariats zur politischen Demokratie <strong>und</strong> nach sozialen Reformen“<br />
2717 , ganz im Gegensatz zu den meisten ihrer Gesinnungsgenossinnen, von denen sich viele von ihr<br />
distanzierten. Doch ob mit „kleine[r] Gefolgschaft […] oder allein“ 2718 , sie blieb sich treu. Zetkin<br />
sagte – für einen Jubiläumsartikel etwas ungalant – voraus, dass Cauer „in der Schönheit einer<br />
aufrechten liberalen Welt- <strong>und</strong> Lebensanschauung alten Stils sterben“ 2719 würde. Zugleich<br />
wünschte sie ihr aber, dass sie ihrer Sache noch viele Jahre erhalten bliebe,<br />
„[d]enn so oft wir mit ihr die Klingen kreuzen mußten <strong>und</strong> vielleicht auch in<br />
Zukunft noch kreuzen müssen: ihr Wesen <strong>und</strong> ihr Wollen ehren auch wir aufrichtig“<br />
2720 .<br />
Dieser Respekt galt Cauers Person <strong>und</strong> ihren Zielsetzungen, obwohl sie „den Weg zum wissen-<br />
schaftlichen Sozialismus nicht finden konnte“ 2721 <strong>und</strong> „noch immer den Traum von einer Wieder-<br />
geburt der bürgerlichen Demokratie in Deutschland träumt[e]“ 2722 . All dies erklärte sich für Zetkin<br />
schlicht aus Cauers „Entwicklungsgang <strong>und</strong> ihrer Wesensart“ 2723 <strong>und</strong> war damit anscheinend ent-<br />
schuldbar.<br />
2712 Ebd.<br />
2713 Ebd.<br />
2714 Ebd.<br />
2715 Ebd.<br />
2716 Ebd.<br />
2717 Ebd.<br />
2718 Ebd.<br />
2719 Ebd.<br />
2720 Ebd.<br />
2721 Ebd.<br />
2722 Ebd.<br />
2723 Ebd.<br />
701
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
Auch die „neue“ „Gleichheit“ erinnerte an Cauer als an eine Kämpferin für die Gleichberechti-<br />
gung der Frau. Kurt Heilbut verfasste einen Jubiläumsartikel anlässlich ihres 80. Geburtstages. 2724<br />
Er kannte Cauer persönlich, denn er hatte in Briefkontakt zu ihr gestanden – dies sogar während<br />
er als Soldat im Feld stand. 2725<br />
Cauers „kleine[…], zierliche[…] Persönlichkeit“ 2726 verberge eine Kämpfernatur, die vor allem<br />
auch gegenüber der Polizeirepression sehr couragiert hervorgetreten sei. Diese Zeiten der Unter-<br />
drückung der Frau seien nun nach Meinung Heilbuts aber vorbei <strong>und</strong> Cauer habe das „seltene<br />
Glück“ 2727 ,<br />
„doch noch das Ziel erreicht zu sehen, das sie sich in ihrem Leben gestellt hatte:<br />
die Gleichberechtigung der Frau “ 2728 .<br />
Dieses Ziel in Form des Frauenwahlrechts hatte aber nur, so Heilbut, durch den „Zusammenbruch<br />
unseres Vaterlandes“ 2729 erreicht werden können. Obwohl der „vaterlandslosen Gesinnung“ 2730<br />
einer Sozialistin <strong>und</strong> keinem Nationalismus anhängend, dürfte dieser Umstand doch auch Cauer<br />
geschmerzt haben.<br />
Bereits vor dem Krieg hatte sich Cauer über die „Passivität <strong>und</strong> Gleichgültigkeit“ 2731 , die bei den<br />
Frauen wie überhaupt in der bürgerlichen Gesellschaft herrschte, nicht täuschen lassen. Für ihre<br />
Friedensgesinnung hatte man sie „verhöhnt, verachtet <strong>und</strong> verfolgt“ 2732 <strong>und</strong> sie <strong>und</strong> ihre An-<br />
hängerInnen „spöttisch als die ‘Zielbewußten’“ 2733 bezeichnet. Bereits im Sommer 1917 habe sie<br />
schließlich „das Heranwogen einer neuen Zeit“ 2734 vorausgesehen. Cauer schrieb an Heilbut:<br />
„Unsere Richtung aber erlebt doch jetzt wenigstens den Anfang von all ihren<br />
Bemühungen <strong>und</strong> Arbeiten – das Erwachen des Volkes für seine notwendige Mitverantwortlichkeit<br />
im Staatsleben.“ 2735<br />
Sie sah demnach die Revolution, den demokratischen Umschwung <strong>und</strong> damit auch die staatliche<br />
Mitverantwortlichkeit der Frau heraufkommen. Heilbut erachtete Cauer als eine jener Frauen,<br />
„die unerschütterliche Zuversicht gaben, daß ohne die Befreiung der Frau aus jahr-<br />
2724 Heilbut, Kurt: Minna Cauer‘s 80. Geburtstag am 1. November 1921. In: GL, 31/ 21/ 01.11.1921/ 208.<br />
2725 Ebd.<br />
2726 Ebd.<br />
2727 Ebd.<br />
2728 Ebd.<br />
2729 Ebd.<br />
2730 Ebd.<br />
2731 Ebd.<br />
2732 Ebd.<br />
2733 Ebd.<br />
2734 Ebd.<br />
2735 Minna Cauer in einem Brief an Kurt Heilbut 1917. Zit. nach: Ebd.<br />
702
4.6 „[…] REICH AN MITGEFÜHL UND HILFSBEREITSCHAFT GEGENÜBER FREMDEM LEID, REICH AN BÜRGERSINN UND BÜRGERTUGEND, STARK IN DER PFLICHTTREUE[…]“ –<br />
DIE AUSNAHMEERSCHEINUNGEN BÜRGERLICHER FRAUENRECHTELEI<br />
tausendelanger Abhängigkeit <strong>und</strong> Unterdrückung niemals der Weg geöffnet wird<br />
für den weiteren Aufstieg <strong>und</strong> für die Befreiung der gesamten Menschheit“ 2736 .<br />
Die Novemberrevolution war der Anfang einer solchen Entwicklung, aber man dürfe, so Heilbut,<br />
bei diesem nicht stehen bleiben. Mit seinem Artikel wollte Heilbut für „all die Jungen im Land“<br />
2737 , die an der zukünftigen Entwicklung Anteil nehmen würden, Cauer als „Vorkämpferin <strong>und</strong><br />
Wegbahnerin“ 2738 ehren.<br />
Im Alter von 81 Jahren starb Minna Cauer <strong>und</strong> die nun nicht mehr von Zetkin geleitete<br />
„Gleichheit“ ehrte sie in einem Nachruf als eine der „markantesten Persönlichkeiten der deutschen<br />
Frauenbewegung“ 2739 . Cauer, so Wally Zepler, sei eine „Radikale“ gewesen,<br />
„die von den anderen in der Bewegung befehdet <strong>und</strong> gehaßt worden [sei] <strong>und</strong><br />
ihnen mit gleichem Haß vergalt“ 2740 .<br />
Es war ihre „menschlich freiheitliche[…] Gesinnung“ 2741 , die sie auszeichnete. Eine „Demokratin<br />
durch <strong>und</strong> durch“ 2742 , erschien ihr „die Selbstbestimmung der Persönlichkeit […] allererstes<br />
sittliches Recht“ 2743 – womit Zepler einen wesentlichen Aspekt des in dieser Arbeit beschriebenen<br />
Leitbildes vom „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ benennt.<br />
Mit der Novemberrevolution sei den Frauen das politische Stimmrecht „in den Schoß [ge-<br />
fallen]“ 2744 <strong>und</strong> Cauer habe gewusst, so Zepler ungewöhnlich kritisch, „daß es viel mehr ein<br />
Geschenk als der Preis für deren eigene Kampfeskraft war“ 2745 . Zepler nimmt damit Bezug auf die<br />
Mehrheit der bürgerlichen Frauen, die stets gegen das allgemeine <strong>und</strong> lediglich für ein „Damen-<br />
wahlrecht“ eingetreten war. So sei sich Cauer aber auch stets im Klaren darüber gewesen, „daß<br />
nur eine kleine Minderheit Gleichberechtigung <strong>und</strong> Freiheit so heiß ersehnten wie sie selbst“ 2746 .<br />
25 Jahre lang – von ihrer Gründung 1895 bis zur ihrer Einstellung 1919 – gab Minna Cauer die<br />
Frauenzeitschrift „Die Frauenbewegung“ heraus. Sie war Mitgründerin des „Kaufmännischen<br />
Hilfsvereins für weibliche Angestellte“ <strong>und</strong> leitete ihn viele Jahre lang. Der Verein „Frauenwohl“<br />
2736 Ebd.<br />
2737 Ebd.<br />
2738 Ebd.<br />
2739 Zepler, Wally: Unsere Toten. In: GL, 32/ 17/ 18/ 01.09.1922/ 164.<br />
2740 Ebd.<br />
2741 Ebd.<br />
2742 Ebd.<br />
2743 Ebd.<br />
2744 Ebd., S. 165.<br />
2745 Ebd.<br />
2746 Ebd.<br />
703
ZUSAMMENSTELLUNG DER IN DER „GLEICHHEIT“ ENTHALTENEN FRAUENBIOGRAPHIEN, JUBILÄUMSARTIKEL UND NEKROLOGE – INTERPRETATIVE ANALYSE IHRER<br />
LEITBILDFUNKTIONEN<br />
(1888-?), der später im „Verband Fortschrittlicher Frauenvereine“ (1899-1907) 2747 aufging, war ihr<br />
Werk. Lange Zeit war sie Mitglied der Demokratischen Partei. Nachdem sie sich von dieser<br />
getrennt hatte, konnte sie sich jedoch auch nicht überwinden, der SPD beizutreten, zu viel trennte<br />
sie von deren Gr<strong>und</strong>sätzen. Doch Zepler zeigte sich versöhnlich bezüglich dieses Verhaltens:<br />
„Dennoch war sie [Cauer; M.S.] ihrer Gesinnung nach absolut Sozialistin, ging oft<br />
mit den Genossinnen zusammen <strong>und</strong> wurde in ihren Reihen auch immer halb <strong>und</strong><br />
halb als zu ihnen gehörig gerechnet“ 2748 .<br />
Zetkin hätte dies wohl etwas vorsichtiger formuliert – zumal sie von „Halbheiten“ nichts hielt.<br />
Außerdem sei Cauer, so Zepler, eine „echt weibliche Natur“ 2749 gewesen – anmutig <strong>und</strong> von ange-<br />
nehmen Äußerem. Auch ihr politischer Charakter habe diese Natur aufgewiesen:<br />
„Das Gr<strong>und</strong>motiv ihres Handelns war ihr warmes menschliches Gefühl, Teilnahme<br />
für alle Leidenden <strong>und</strong> Entbehrenden.“ 2750<br />
Als leidenschaftliche Pazifistin war sie Teilnehmerin aller Friedenskongresse <strong>und</strong> ließ sich „nie-<br />
mals von der nationalistischen Welle fortreißen“ 2751 . Minna Cauer sei eine Frau mit „Tatkraft“ <strong>und</strong><br />
„Idealismus“ 2752 gewesen, der die deutsche Frauenwelt viel zu verdanken habe. 2753<br />
2747 Der Verband schloss sich 1907 dem BDF an. Siehe: Pommerenke, Organisation <strong>und</strong> Bewegung. Die Frauenwohl-<br />
Vereine 1888-1914.<br />
2748 Ebd.<br />
2749 Ebd.<br />
2750 Ebd.<br />
2751 Ebd.<br />
2752 Ebd.<br />
2753 Ebd.<br />
704
5 Zusammenfassung<br />
Geschichte wird auch von Frauen gemacht.<br />
„Jeder, der etwas von Geschichte weiß, weiß auch,<br />
daß große gesellschaftliche Umwälzungen ohne das<br />
weibliche Ferment unmöglich sind. Der gesellschaftliche<br />
Fortschritt läßt sich exakt messen an der<br />
gesellschaftlichen Stellung des schönen Geschlechts<br />
(die Häßlichen eingeschlossen).“ 1<br />
Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber – wie in der Einleitung beschrieben – nicht ausreichend<br />
von den entsprechenden gesellschaftlichen Multiplikatoren berücksichtigt oder gar im all-<br />
gemeinen Geschichtsbewusstsein verankert. Dagegen beschreibt die sozialistische Frauen-<br />
zeitschrift „Die Gleichheit“ auf mehreren Ebenen eine Geschichte, die von Frauen „gemacht“<br />
wurde: Die „Gleichheit“ ist sowohl Teil dieser Geschichte als auch ihre Vermittlerin.<br />
Die „Gleichheit“ selbst ist ein historisches Dokument. Sie stand als eine der ersten politischen<br />
Frauenzeitschriften Deutschlands in einer besonderen Tradition. Ausgehend von der Frage nach<br />
der Kontinuität der „Gleichheit“ als einer politischen Frauenzeitschrift wurden in Kapitel 1 ihre<br />
Vorgängerinnen „Die Frauen-Zeitung“, „Die Staatsbürgerin“ <strong>und</strong> „Die Arbeiterin“ untersucht<br />
<strong>und</strong> deren Funktion als wichtige Knotenpunkte eines Netzwerkes deutscher Frauen-<br />
öffentlichkeit aufgezeigt. Diese politischen Frauenzeitschriften waren unter schwierigsten<br />
politischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Umständen Sammelplatz von Informationen, Organisationen<br />
<strong>und</strong> engagierten Menschen, die sich der sozialistischen Idee verpflichtet fühlten. Vieles am<br />
Charakter der „Gleichheit“– äußerlich wie innerlich – war vor allem Erbe der „Arbeiterin“ <strong>und</strong><br />
folgte zum Teil auch gängigen Mustern der sozialdemokratischen Presse.<br />
Im Rahmen der Darstellungen in Kapitel 2 wurde deutlich, dass die „Gleichheit“ durchaus auch<br />
neue Maßstäbe setzte. Bemerkenswert war bereits ihre Gründung durch J. H. W. Dietz, der sich<br />
nach Absage der erfahrenen „Arbeiterin“-Redakteurin Emma Ihrer für die relativ unerfahrene<br />
Clara Zetkin entschied. Diese gab der „Gleichheit“ von Beginn an ein sehr hohes, teilweise<br />
wissenschaftliches Niveau <strong>und</strong> versuchte, ihre Leserinnen mit diesem vertraut zu machen. <strong>Von</strong><br />
vielen Seiten dafür kritisiert, dass die „Gleichheit“ sich in dieser Form nicht für die Massen-<br />
agitation eigne, entschied man sich 1904, ihr die zwei leichter verständlichen Beilagen „Für<br />
unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ <strong>und</strong> „Für unsere Kinder“ beizugeben. Ein gelungenes Konzept,<br />
das nicht nur quantifizierbare Erfolge zeitigte, sondern auch die Konzentration auf das Wesent-<br />
1 Karl Marx in einem Brief an Ludwig Kugelmann, 12.12.1868. Zit. nach: MEW, Bd. 32, S. 582f.<br />
705
ZUSAMMENFASSUNG<br />
liche, die politische Aufklärung der proletarischen Frauen zuließ. Nachdem die „Gleichheit“ vor-<br />
rangig aus Gewinnen des Dietz-Verlages – vor allem aus dessen Blatt „Der wahre Jacob“ –<br />
finanziert worden war, wurde sie 1901 Parteieigentum <strong>und</strong> Obligatorium für die <strong>weiblichen</strong> Mit-<br />
glieder vieler gewerkschaftlicher Verbände <strong>und</strong> ab 1908 der Parteiorganisationen. Die Zahl der<br />
Abonnements erreichte 1914 mit 114.000 Exemplaren ihren Höchststand. Jedoch kann ausgehend<br />
von den Abonnementzahlen weder eine definitive Aussage über die konkrete Zahl der LeserInnen<br />
noch die Rezeption der „Gleichheit“ getroffen werden. Gerade ihr hohes intellektuelles Niveau<br />
machte es erforderlich, dass die Lektüre der „Gleichheit“ häufig in angeleiteten Lesezirkeln, z. B.<br />
den „Frauenleseabenden“, stattfand. Es ist daher, wenn auch empirisch kaum zu belegen, davon<br />
auszugehen, dass die Zahl der „Leserinnen“ die der Abonnentinnen weit übertraf. Außerdem wäre<br />
eine solche empirische Angabe immer noch nicht geeignet, Aufschluss darüber zu geben, ob die<br />
„Gleichheit“ ein Medium der Masse war. Hierfür müssten Erkenntnisse zu ihrer Rezeption<br />
vorliegen, doch diese bleibt auch nach Untersuchung von Zeitzeugenaussagen, Leserinnenbriefen<br />
<strong>und</strong> Parteitagsdiskussionen unklar. Trotz der allgemein begrüßten Beilagen blieb die „Gleichheit“<br />
mehr Schulungs- als Unterhaltungsblatt. Zetkin forderte bis zu ihrer Entlassung 1917 die Bei-<br />
behaltung eines hohen intellektuellen Niveaus, um den Leserinnen einen „wissenschaftlichen<br />
Sozialismus“ zu vermitteln. So genannte „Gefühlssozialistinnen“, die im „Gleichheit“-Feuilleton<br />
<strong>und</strong> in den Beilagen durchaus auch auf einer emotionalen Ebene angesprochen wurden, sollten auf<br />
diese Weise zu zielbewussten <strong>Klassenkämpferinnen</strong> erzogen werden. Eine besondere Funktion<br />
kam der „Gleichheit“ zu als Vernetzungsorgan verschiedener Organisationen innerhalb der prole-<br />
tarischen Frauenbewegung, was sich auch deutlich an ihrer Rubrizierung widerspiegelt.<br />
Ziel des Kapitels 2 war es auch, den für die meisten bisher erschienenen Forschungsarbeiten<br />
festgestellten Mangel zu beheben <strong>und</strong> die Jahre nach Zetkins Entlassung 1917 stärker zu berück-<br />
sichtigen. So konnten inhaltliche <strong>und</strong> äußere Wendepunkte markiert werden. Die inhaltliche<br />
Struktur des Kapitels richtete sich aus diesem Gr<strong>und</strong> bevorzugt nach publizistischen Kategorien.<br />
Durch die Aufstellung der jeweiligen Mitglieder <strong>und</strong> MitarbeiterInnen beider Redaktionen<br />
konnten viele Erkenntnisse zur Zusammensetzung der an der „Gleichheit“ beteiligten Personen er-<br />
bracht werden. Die „Gleichheit“ war nicht die „One-Woman-Show“, als die sie in der<br />
Forschungsliteratur häufig charakterisiert wurde <strong>und</strong> wird. Zetkin hatte stets für die Mitarbeit an<br />
der „Gleichheit“ geworben <strong>und</strong> entsprechend Artikel verschiedenster Personen <strong>und</strong> zu unter-<br />
schiedlichsten Themen veröffentlicht. Auch die Darstellung Zetkins als Redakteurin mit eisern<br />
korrigierender Hand wurde zwar einerseits von ihr selbst bestätigt, aber andererseits sogar durch<br />
Mitarbeiterinnen, die mit ihr heftige Kontroversen hatten, relativiert. Die von der Forschungs-<br />
literatur bisher kaum beachteten RedakteurInnen der „neuen“ „Gleichheit“ – Marie Juchacz,<br />
706
5 ZUSAMMENFASSUNG<br />
Heinrich Schulz, Clara Bohm-Schuch, Elli Radtke-Warmuth <strong>und</strong> Mathilde Wurm – hatten zum<br />
Teil bereits unter der Leitung Zetkins für die „Gleichheit“ geschrieben.<br />
Die Redaktionen <strong>und</strong> der Stab der MitarbeiterInnen setzten sich vor allem aus bekannten poli-<br />
tischen Größen, sozialdemokratischen Redakteuren <strong>und</strong> SchriftstellerInnen, Agitatorinnen <strong>und</strong><br />
FunktionärInnen der regionalen Ebene zusammen. Auch Leserinnen kamen zu Wort. Jedoch er-<br />
schienen Leserinnenbriefe nur sporadisch – <strong>und</strong> dies sowohl unter der Redaktion Zetkins als auch<br />
unter der neuen Redaktion, obwohl diese sogar eigens eine Rubrik „Freie Aussprache“ ein-<br />
gerichtet hatte.<br />
Bezüglich der Frage der Mitarbeit von Männern an der „Gleichheit“, konnte aufgezeigt werden,<br />
dass diese sowohl als Verfasser wie auch als Redaktionsmitglieder der „Gleichheit“ tätig waren –<br />
sowohl während als auch nach der „Ära Zetkin“. Dies ging einerseits auf den Mangel an fähigen,<br />
schriftstellerisch begabten <strong>und</strong> politisch versierten Genossinnen zurück, war aber andererseits<br />
auch Teil des von der „Gleichheit“ selbst vertretenen Prinzips, wonach die Männer <strong>und</strong> Frauen der<br />
Arbeiterbewegung nur gemeinsam den Sozialismus erkämpfen können. Bei der biographischen<br />
Recherche zu den männlichen Mitarbeitern wurde jedoch deutlich, dass ihre Tätigkeit für die<br />
„Gleichheit“ in entsprechenden Veröffentlichungen keine Erwähnung findet. Sie waren namhafte<br />
Redakteure <strong>und</strong> Mitarbeiter sozialdemokratischer Presseorgane, sie waren freischaffende Dichter<br />
<strong>und</strong> Literaten <strong>und</strong> sie waren Parteifunktionäre, aber sehr selten findet sich ein Hinweis, dass sie<br />
auch für die Frauenzeitschrift ihrer Partei geschrieben haben. Die vorliegende Arbeit macht<br />
Angaben zu Namen, Daten <strong>und</strong> Tätigkeitsbereichen der beteiligten Personen – soweit diese aus<br />
der allgemein zugänglichen Sek<strong>und</strong>ärliteratur erschlossen werden konnten – sie scheute sich aber<br />
auch nicht, die Lücken als Lücken erkennbar zu lassen. Etliche – nicht nur sinnbildlich – in ihr<br />
verbliebene Fragezeichen verweisen auf die Notwendigkeit, anhand regionaler <strong>und</strong> kommunaler<br />
Quellen <strong>und</strong> Verzeichnisse eine umfassendere Forschung zu betreiben, als es hier möglich war.<br />
Bisher wurde die Tatsache, dass die „Gleichheit“ ein internationales Organ war, überwiegend an<br />
ihrem offiziellen Status als Organ der Sozialistischen Fraueninternationale oder ihrer Bericht-<br />
erstattung über die Frauenorganisationen anderer Länder festgemacht. Ein konkreter Blick auf<br />
ihre internationalen MitarbeiterInnen wurde bisher jedoch unterlassen. Indem einige besonders<br />
engagierte Mitarbeiterinnen im Rahmen der vorliegenden Arbeit vorgestellt wurden, wurde die<br />
internationale Vernetzung der „Gleichheit“ auf einer konkreten persönlichen Ebene aufgezeigt,<br />
einer Ebene, die nach Zetkins Entlassung so keinen Bestand mehr hatte. Gleiches gilt für die Bio-<br />
graphien <strong>und</strong> Nachrufe international für den Sozialismus kämpfender Frauen, die die sozialistisch-<br />
internationale Verb<strong>und</strong>enheit der „Gleichheit“ unter der Leitung Zetkins belegen <strong>und</strong> die nach<br />
707
ZUSAMMENFASSUNG<br />
deren Entlassung fast gänzlich wegfielen. Vor dem Hintergr<strong>und</strong> ihrer internationalen Verbreitung<br />
<strong>und</strong> ihrer konsequenten Haltung während des Ersten Weltkrieges, die die „Gleichheit“ zu einem<br />
wichtigen Organ der internationalen Arbeiterbewegung werden ließen, bleibt ihre geringe Würdi-<br />
gung in Öffentlichkeit <strong>und</strong> Forschung letztlich unverständlich. Einen umfassenden Aufschluss<br />
über die Inhalte der 32 „Gleichheit“-Jahrgänge, die an ihr beteiligten Personen <strong>und</strong> von ihr ver-<br />
netzten internationalen <strong>und</strong> regionalen Frauenorganisationen kann jedoch nur ein sorgsam<br />
erstelltes Verzeichnis geben. Ein solches auf einer umfassenden Digitalisierung basierendes Regis-<br />
ter ist daher längst überfällig.<br />
Die vorliegende Arbeit hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die vorhandenen Erkenntnisse um die<br />
„Gleichheit“ <strong>und</strong> frauengeschichtlichen Erkenntnisse aus der „Gleichheit“ zusammenzuführen, zu<br />
ergänzen <strong>und</strong> zu analysieren.<br />
In Kapitel 3 wurden die geschichtlichen <strong>und</strong> mehr noch die frauengeschichtlichen Inhalte der<br />
„Gleichheit“ thematisch-chronologisch skizziert. Im Unterschied zu anderen sozialdemokra-<br />
tischen Blättern richtete die „Gleichheit“ keine besondere Rubrik „Geschichte“ ein, sondern<br />
transportierte ihre Inhalte über Artikel <strong>und</strong> Artikelserien – bevorzugt in Form von Biographien.<br />
Die Beschäftigung mit geschichtlichen Themen verlief jedoch in der „Gleichheit“ wiederum nach<br />
ähnlichen Mustern, wie sie auch für andere sozialdemokratische Blätter festzustellen sind <strong>und</strong> wie<br />
sie auf die Forschungsschwerpunkte sozialdemokratischer Historiker <strong>und</strong> Historikerinnen – im<br />
Besonderen auf August Bebels „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“ – zurückgehen. Es handelt sich<br />
auch in der „Gleichheit“ vorrangig um Themen der Kultur-, Revolutions- <strong>und</strong> SPD-Geschichte.<br />
<strong>Von</strong> Beginn an wurde von der „Gleichheit“ jedoch auch innerhalb dieser drei Kernbereiche sozia-<br />
listischer Geschichtsdarstellung auf den Bereich der Frauengeschichte fokussiert. Die<br />
„Gleichheit“ war auf der Suche nach dem <strong>weiblichen</strong> Anteil an Geschichte <strong>und</strong> es kann fest-<br />
gestellt werden, dass in ihr eine gezielte Geschichtsforschung betrieben wurde – auch wenn dies<br />
auf einem recht journalistischem Niveau geschah <strong>und</strong> die Ergebnisse daher nicht mit denen<br />
moderner „Frauengeschichtsforschung“ vergleichbar sind. Geschichte war das adäquateste Me-<br />
dium politischer Aufklärung, da sie zusammen mit den Gr<strong>und</strong>kenntnissen der sozialistischen<br />
Ökonomiekritik den Leserinnen die Gr<strong>und</strong>lagen für die Emanzipation der Frauen näher bringen<br />
konnte. Selbst die Beschäftigung mit der Rolle <strong>und</strong> dem vermeintlichen Wesen der Frau fand<br />
innerhalb der „Gleichheit“ selten in Artikeln statt, die man als soziologische oder psychologische<br />
Artikel bezeichnen könnte, sondern weit häufiger in Zusammenhang mit historischen Inhalten.<br />
Zudem kann festgestellt werden, dass die „Gleichheit“ mit den in ihr veröffentlichten Nekrologen,<br />
Jubiläums- <strong>und</strong> Erinnerungsartikeln den Beginn einer eigenen Geschichtstradition der proleta-<br />
rischen Frauenbewegung markierte. Es ist daher um so bedauerlicher, zu sehen, wie wenig die in<br />
708
5 ZUSAMMENFASSUNG<br />
ihr enthaltenen Informationen zum Leben <strong>und</strong> Wirken führender Frauen der proletarischen<br />
Frauenbewegung Berücksichtigung fanden <strong>und</strong> wie wenig die „Gleichheit“ selbst in die Historio-<br />
graphie der Arbeiterbewegung eingegangen ist, obwohl sie doch unzweifelhaft Teil dieser<br />
Bewegung war.<br />
Die Geschichtsbilder <strong>und</strong> -traditionen der SPD unter weiblichem Vorzeichen leiteten innerhalb des<br />
Kapitels 3 über zu den sich darin spiegelnden Leitbildern. Vorbereitend für die spätere Kategori-<br />
sierung der frauenbiographischen Artikel musste eine Auseinandersetzung mit dem Leitbildbegriff<br />
an sich, der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie <strong>und</strong> der Konstruktion von Frauenleit-<br />
bildern vorausgehen. Die „Gleichheit“ selbst sprach an einigen Stellen vom „Typus“ z. B. „des<br />
kämpfenden, klassenbewußten Proletarierweibes“ 2 oder allgemein von „Vorbildern“. Der Begriff<br />
des Leitbildes fand dagegen keine Verwendung. Vor allem die widersprüchliche Bedeutung von<br />
Frauenleitbildern als Orientierungshilfen <strong>und</strong> als Mittel der Funktionalisierung wurde thematisiert.<br />
Sozialistische Frauenleitbilder weisen das Problem auf, einerseits Alternativen zu bürgerlichen<br />
Frauenleitbildern sein zu wollen, aber andererseits sich an diese anzulehnen. Die von der „Gleich-<br />
heit“ <strong>und</strong> der proletarischen Frauenbewegung angestrebte Bewusstseinsumbildung konnte nicht<br />
losgelöst von den gängigen Rollenklischees erfolgen, da ansonsten das weibliche Lesepublikum<br />
nicht erreicht worden wäre. Abgesehen von diesem praktischen Problem waren aber auch die auf<br />
der sozialistischen Emanzipationstheorie basierenden Leitbilder hinsichtlich ihres Anspruchs <strong>und</strong><br />
ihrer Umsetzbarkeit sehr widersprüchlich. Das Problem der Doppelbelastung wurde wenig thema-<br />
tisiert, der Haushalt <strong>und</strong> die Kinderziehung wie auch von bürgerlich-traditioneller Seite als<br />
Zuständigkeitsbereich der Frau erachtet. Welche Widersprüche sich konkret ergaben, wurde inner-<br />
halb der in Kapitel 4 vorangestellten, jeweils in das entsprechende Leitbild einleitenden Unter-<br />
kapitel untersucht. Der Leitbilddiskussion in Kapitel 3 folgte jedoch die Auseinandersetzung mit<br />
der Frauenbiographie als Geschichts- <strong>und</strong> Leitbildvermittlerin. Frauenbiographien sind ideale<br />
Vermittlerinnen von Frauengeschichte <strong>und</strong> Frauenleitbildern, weil sie konkrete Identifikations-<br />
angebote machen <strong>und</strong> Brücken von der Erfahrung zur Utopie bauen. Es sind selten abstrakte<br />
Inhalte in ihnen zu finden, aber sie verharren auch nicht in simplen Elendsschilderungen. Dieser<br />
besonders anschauliche <strong>und</strong> emotionale Teil politischer Aufklärung setzt auf die Wirkung von<br />
<strong>weiblichen</strong> Vorbildern, die eine Persönlichkeitsentwicklung <strong>und</strong> Bewusstseinsumbildung durch-<br />
gemacht haben.<br />
2 Viktoria Kofler. In: Gl, 04/ 09/ 02.05.1894/ 71. Vgl auch: Madame Roland, (Fortsetzung statt Schluß.). In: GL, 04/<br />
02/ 24.01.1884/ 12; Jessa Helfmann. In: GL, 02/ 03/ 08.02.1892/ 31-32; Soll, Karl: Politische Frauen (Schluß.).<br />
In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210.<br />
709
ZUSAMMENFASSUNG<br />
Die Formulierung der für die Untersuchung in Kapitel 4 maßgeblichen vier Frauenleitbilder<br />
„weiblicher Vollmensch“, „sozialistische Mutter“, „sozialistische Ehefrau“ <strong>und</strong> „Klassen-<br />
kämpferin“ ergab sich anhand eines gr<strong>und</strong>legenden Artikels von Zetkin mit dem Titel „Nicht<br />
Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch” 3 . Die frauenbiographischen Inhalte der<br />
„Gleichheit“ wurden nach eben diesen vier Frauenleitbildern kategorisiert <strong>und</strong> ihnen eine<br />
Einleitung vorangestellt, in der auf die realen Lebensumstände von deutschen Proletarierinnen des<br />
19. <strong>und</strong> frühen 20. Jahrh<strong>und</strong>erts eingegangen wurde, um die Notwendigkeit alternativer Leitbilder,<br />
aber auch die Widersprüche aufzuzeigen. Entscheidend für die Kategorisierung war neben dem<br />
Inhalt der Artikel auch ihr Duktus. Dem sich nach der Erlangung des Frauenwahlrechts 1918<br />
abzeichnenden Frauenleitbild der „Republikanerin“ entsprachen als historische Vorbilder am<br />
ehesten die 1848er-Revolutionärinnen. Die Inhalte der dazugehörigen biographischen Artikel sind<br />
jedoch sehr unspezifisch <strong>und</strong> unterscheiden sich im Duktus nicht merklich vom Leitbild des<br />
„<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“. Zudem waren zu den meisten dieser Frauen bereits unter der<br />
Redaktion Zetkins biographische Artikel erschienen. Deshalb blieb das Leitbild „Republikanerin“<br />
– wie es tatsächlich auch für die besondere Situation in der Weimarer Republik weitgehend zutraf<br />
– ohne historische Vorbilder. Eine andere Entscheidung wurde hinsichtlich der Biographien<br />
führender Frauen der bürgerlichen Frauenbewegung getroffen. Es handelte sich auch bei ihnen um<br />
Frauen, die dem Leitbild des „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ entsprachen, sie wurden aber als<br />
„Ausnahmeerscheinungen bürgerlicher Frauenrechtelei“ zusammengefasst.<br />
Kapitel 4 umfasst in den jeweiligen Unterkapiteln <strong>und</strong> in verkürzter Form <strong>und</strong><br />
Schwerpunktsetzung auf die Konstruktion von Leit- <strong>und</strong> Vorbildern alle frauenbiographischen<br />
Artikel der „Gleichheit“. Im Rahmen der Untersuchungen wurde deutlich, dass den in ihnen<br />
erbrachten Erkenntnissen ein angemessener Raum zugestanden werden muss. Dies wurde nicht<br />
nur erforderlich, um die „Gleichheit“ selbst „zu Wort“ kommen zu lassen <strong>und</strong> um einen Eindruck<br />
von der schriftstellerischen Begabung ihrer MitarbeiterInnen zu geben, sondern auch um<br />
möglichst viele biographische Informationen zu den zum Teil gänzlich unbekannten Frauen der<br />
proletarischen Frauenbewegung zusammenzustellen. Darüber hinaus musste – ausgehend von der<br />
für die Vermittlung von Frauenleitbildern elementaren Methode der Wiederholung – eine aus-<br />
führliche Darstellung des Originalduktus vorgenommen werden. Im Rahmen dieser Darstellung<br />
offenbarten sich Bilder, feststehende Ausdrücke, stilistische Besonderheiten <strong>und</strong> der Einblick in<br />
die von der „Gleichheit“ intendierte Aufklärung <strong>und</strong> emotionale Berührung. Da die Schwerpunkt-<br />
setzung für die in Kapitel 4 vorgenommene Zuordnung der biographierten Frauen nicht nur vom<br />
Inhalt, sondern auch von dem kämpferischen, emotionalen <strong>und</strong> dogmatischen oder auch wissen-<br />
3<br />
710<br />
„Nicht Haussklavin, nicht Mannweib, weiblicher Vollmensch”. In: GL, 08/ 02/ 19.11.1898/ 1.
5 ZUSAMMENFASSUNG<br />
schaftlich sachlichen Duktus abhängt <strong>und</strong> dieser viel Interpretationsspielraum bietet, konnten<br />
Widersprüche nicht ausbleiben, denn der Duktus der „Gleichheit“ war auch unter der oft als zu<br />
rigide kritisierten Redaktion Zetkins nie einheitlich. Zum einen brachten die verschiedenen Mit-<br />
arbeiterInnen durchaus ihren eigenen Stil ein <strong>und</strong> zum anderen waren für die Auswahl der Artikel<br />
durch die Redaktion oft politische Ereignisse, Jahrestage oder der Tod einer Frau aus der<br />
Bewegung gr<strong>und</strong>legend. Deshalb konnten auch bei den anhand mehrerer biographischer Artikel<br />
vorgestellten Frauen Überschneidungen von Frauenleitbildern nicht ausgeschlossen werden.<br />
Die „Gleichheit“-AutorInnen schwanken in ihrem Duktus zwischen der Intention, die biogra-<br />
phierten Frauen einerseits als Frauen darzustellen, wie es sie zu Millionen gibt, <strong>und</strong> sie<br />
andererseits aufgr<strong>und</strong> ihres besonderen Sendungsbewusstseins, ihres Bildungswillens, ihrer Tat-<br />
kraft <strong>und</strong> ihrer Aufopferungsbereitschaft hervorzuheben. Teils waren sie Vorbilder, denen<br />
nachzustreben möglich <strong>und</strong> gewünscht war, teils nahmen sie den Charakter fast mythischer Aus-<br />
nahmegestalten an. Häufig ist es sogar gerade eine solche Entwicklung, die beschrieben <strong>und</strong> für<br />
die Leserinnen an spezifischen biographischen Wendepunkten aufgezeigt wird. Es sind Appelle an<br />
die Leserinnen, ihre oft selbstgesetzten Grenzen zu sprengen, ihre Handlungsräume zu erweitern.<br />
Diejenigen Frauen, die dem Leitbild des „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ zugerechnet werden, können<br />
jedem Jahrh<strong>und</strong>ert entstammen. Es stellt eine Synthese aus mehreren Elementen weiblicher<br />
Rollenklischees dar, beinhaltet aber auch die Entfaltung der individuellen Fähigkeiten <strong>und</strong> der<br />
Persönlichkeit. Die darin enthaltenen Bildungsziele sind sehr allgemein formuliert <strong>und</strong> vor allem<br />
auf die Erziehung „ganzheitlicher Persönlichkeiten“ gerichtet. Die Riege der in der „Gleichheit“<br />
versammelten Frauen beginnt jedoch nicht mit einer gelehrten Römerin oder Griechin, sondern<br />
mit einer frauenbewegten Gelehrten des französischen Mittelalters: Christine de Pisan (ca. 1364 –<br />
ca. 1430) – gefolgt von der einzigen in der „Gleichheit“ porträtierten Königin: Maria Stuart von<br />
Schottland (1542-1587). Ihre Lebenswege verweisen auf verschiedene für die Proletarierinnen des<br />
19. Jahrh<strong>und</strong>erts vorbildliche Charakterzüge. Gleiches gilt auch für die frühen Akademikerinnen,<br />
die unter dem Eindruck der Aufklärung um ihr Recht auf Bildung kämpften <strong>und</strong> dies zum Teil<br />
auch durchsetzen konnten, wie z. B. Maria Gaёtana d‘Agnesi (1718-1799). Keine Erwähnung in<br />
Form einzelner Biographien finden die <strong>weiblichen</strong> Opfer der Hexenverbrennungen, von denen<br />
nicht wenige aufgr<strong>und</strong> ihrer medizinischen Kenntnisse verfolgt wurden. In anderen frauen-<br />
geschichtlichen Artikeln werden viele dieser Opfer der Inquisition aber zumindest namentlich<br />
genannt. Gebildete Frauen des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts führten Salons, in denen sich die geistige <strong>und</strong><br />
literarische Elite ihrer Zeit bewegte. Einige setzten sich in politischer Einstellung <strong>und</strong><br />
711
ZUSAMMENFASSUNG<br />
Lebenshaltung über gesellschaftliche Normen hinweg <strong>und</strong> zeigten ein besonderes weibliches<br />
Selbstbewusstsein. Diese Art des gelehrten „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ fand sich auch unter den<br />
bürgerlichen Zeitgenossinnen wieder. Auch die Frauen der Französischen Revolution müssen zu<br />
den „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ gezählt werden – sind ihre politischen Motive doch in den Augen<br />
Zetkins noch nicht ähnlich ausgereift, wie jene einer sozialistischen Klassenkämpferin. Gleiches<br />
gilt für die Frauen des Vormärz <strong>und</strong> der 1848er-Revolution. Ihre Motive wurden von Zetkin als für<br />
ihre Zeit revolutionär, aber für Sozialistinnen nicht wegweisend erachtet. Vielleicht vorbildhafter<br />
noch als jene Frauen gehobener Bildung <strong>und</strong> gehobenen Standes handelte eine namentlich gänz-<br />
lich unbekannte Frau aus Frankfurt am Main, die 1833 Mut <strong>und</strong> Zivilcourage bewies, indem sie<br />
einen verfolgten Revolutionär versteckte. Da dem Duktus der ihnen gewidmeten Artikel ent-<br />
sprechende klassenkämpferische Momente fehlten, wurden selbst bekannte <strong>und</strong> bekennende So-<br />
zialistinnen wie Beatrice Webb (1858-1943) oder Helen Keller (1880-1968) unter die besondere<br />
Rubrik „Frauen von ‘sozialistischer Gesinnung’“ des „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ gefasst.<br />
Dem Leitbild der „sozialistischen Mutter“, das sehr stark in dem Leitbild des „<strong>weiblichen</strong><br />
Vollmenschen“ aufgeht, waren nur drei Frauen zuzuordnen. Deren größtes Verdienst um die<br />
Geschichte war es, Mütter bedeutender Persönlichkeiten gewesen zu sein, ein Verdienst, das sie<br />
nur erwerben konnten, weil sie zuvor selbst eine umfassende Bildung erworben <strong>und</strong> an ihre Söhne<br />
weitergegeben hatten: Cornelia (um 190 v. u. Z.- um 100 v. u. Z.), Katharina Elisabeth Goethe<br />
(1731-1808) <strong>und</strong> Anna Regina Kant (1697-1737) hatten Anteil am Genie ihrer Söhne, weil sie<br />
ihnen ein entsprechendes Leben vorlebten, deren Charaktere ausbildeten <strong>und</strong> deren Neigungen<br />
unterstützen. Das Leitbildelement der Opferbereitschaft kam jedoch bei diesen drei Müttern<br />
weniger zum Tragen als bei den Müttern in der Gruppe der <strong>Klassenkämpferinnen</strong>. Da in deren<br />
biographischen Skizzen bestimmte klischeehafte Bilder der Mütterlichkeit besonders deutlich<br />
hervortraten, ist der Vorwurf, in manchen Aussagen der „Gleichheit“ würde die Frau zur<br />
„proletarischen Gebärerin“ abgestempelt, nicht ganz von der Hand zu weisen. Doch gerade die<br />
obigen drei Biographien belegen, dass den Leserinnen auch anspruchsvollere Identifikations-<br />
möglichkeiten geboten wurden <strong>und</strong> von einer „sozialistischen Mutter“ weit mehr erwartet wurde,<br />
als lediglich KlassenkämpferInnen zu gebären. Mütter, bzw. wie sich an an vielen proletarischen<br />
Lebensläufen zeigte, Eltern <strong>und</strong> Familie mussten auch in der Lage sein, ihren Nachwuchs zu<br />
bewussten KlassenkämpferInnen zu erziehen.<br />
Die für das Leitbild der „sozialistischen Ehefrauen“ stehenden Frauen waren sowohl verstorbene<br />
Ehefrauen von SPD-Parteiführern als auch Frauen von 1848er-Revolutionären. In ihren<br />
712
5 ZUSAMMENFASSUNG<br />
Biographien prägt sich das Ideal der Genossenschaft von Mann <strong>und</strong> Frau aus. Bei den unter diese<br />
Kategorie gefassten „Ehefrauen“ ist die Frage, ob es sich tatsächlich um Ehen im juristischen<br />
Sinne handelte, zweitrangig. Nicht die Form ihrer Ehen stand im Vordergr<strong>und</strong>, sondern vielmehr<br />
ihr Charakter als „Gesinnungsgenossenschaft“, in welcher Mann <strong>und</strong> Frau gleichberechtigt <strong>und</strong><br />
gleichermaßen engagiert für eine politische Sache wirken oder wie Christiane Goethe-Vulpius<br />
(1765-1816) auf ihren Ehemann inspirierenden Einfluss hatten. Ehefrauen von Revolutionären –<br />
z. B. Anita Garibaldi (1821-1849), Emma Herwegh (1817-1904) oder Johanna Kinkel (1810-<br />
1858) – stehen für Frauen, die mehr oder weniger direkt an der Seite ihrer Ehemänner an den<br />
Kämpfen ihrer Zeit teilnahmen, tapfer die Folgen trugen <strong>und</strong> sie ins Exil begleiteten. Nie geklagt<br />
haben auch die Ehefrauen der großen Männer der SPD. Unter dem Sozialistengesetz haben sie oft<br />
ihre Ehemänner entbehren oder sogar deren zentrale Position innerhalb der Bewegung ersetzen<br />
müssen. Ohne Frauen wie Jenny Marx (1814-1881), Julie Bebel (1843-1910) oder Natalie<br />
Liebknecht (1835-1909), die ihren Ehemännern den Rücken frei hielten, hätte die Entwicklung<br />
der SPD sicherlich einen anderen Verlauf genommen. Diese Ehefrauen mussten nicht nur<br />
verständnisvoll, sondern auch verständig sein <strong>und</strong> im Sinne des Leitbildes des „<strong>weiblichen</strong> Voll-<br />
menschen“ über eine Bildung verfügen, die es ihnen ermöglichte, die Ideale ihres Mannes zu<br />
teilen. Frauen, die ihre Ehemänner in Bildung <strong>und</strong> gesellschaftlichem Einfluss überragten, sind<br />
dieser Kategorie nicht zugeordnet worden, weil der Schwerpunkt der jeweiligen Artikel ein<br />
anderer war. Doch auch sie wurden den „Gleichheit“-Leserinnen vorgestellt <strong>und</strong> sind in der vor-<br />
liegenden Arbeit meist unter den „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ zu finden – genauso wie es dort<br />
Frauen gibt, die in Konsequenz ihrer höheren Gesinnung <strong>und</strong> Bildung ihre ehelichen Fesseln <strong>und</strong><br />
ihre Ehemänner in doppelter Hinsicht „hinter sich ließen“.<br />
Dem Leitbild der „Klassenkämpferin“ wären chronologisch zuerst die Frauen der Bauernkriege<br />
zuzuordnen, doch die Art ihrer Erwähnung in den jeweiligen Artikeln fiel zu knapp aus, um sie<br />
hier angemessen berücksichtigen zu können. Die ersten Schwerpunkte hinsichtlich dieses Leit-<br />
bildes setzten deshalb die Studien Zetkins zu den Ereignissen im zaristischen Russland <strong>und</strong> zur<br />
Pariser Kommune. Die dieser Kategorie zuzurechnenden biographischen Skizzen beginnen in der<br />
„Gleichheit“ mit dem Porträt einer Revolutionärin aus dem Umkreis der russischen Volkstümler:<br />
Maria Lwowna Berditschewskaja (?-1905). In der „neuen“ „Gleichheit“ wurde nur eine dieser<br />
russischen Revolutionärinnen gewürdigt: Katharina Breschkowskaja (1844-1934). Zetkin<br />
porträtierte außerdem die beiden bekanntesten Kämpferinnen der Pariser Kommune: Marie Ferré<br />
(ca. 1851-1882) <strong>und</strong> Louise Michel (1839-1905). Letzterer wollte die „Gleichheit“-Redakteurin<br />
713
ZUSAMMENFASSUNG<br />
allerdings im Hinblick auf deren Annäherung an anarchistische Ideen die zielklare Gesinnung<br />
einer sozialistischen Klassenkämpferin fast aberkennen. Vorbildhaft für klassenkämpferische<br />
Tugenden <strong>und</strong> Eigenschaften waren nach 1917 hauptsächlich die verstorbenen Mitglieder der<br />
proletarischen Frauen- <strong>und</strong> Gewerkschaftsbewegung Deutschlands. 73 dieser Frauen wurden in<br />
der gesamten „Gleichheit“ meist in Nekrologen porträtiert. Die „Gleichheit“ würdigte sowohl Ge-<br />
nossinnen, die unermüdlich „Parteikleinarbeit“ leisteten, als auch die Gründerinnen der<br />
proletarischen Frauenbewegung. Weitere Schwerpunkte für eine Gliederung ergaben sich daraus,<br />
dass einige Frauen bereits als langjährige Funktionärinnen tätig waren, während anderen gemein-<br />
sam war, dass sie der Frauenbewegung als Hoffnungsträgerinnen durch einen plötzlichen Tod in<br />
jungen Jahren entrissen wurden. Ein solcher Verlust war für die „Gleichheit“-Mitarbeiterschaft<br />
vor allem Hanna Lewin-Dorsch (?-1911).<br />
Die Internationalität des Klassenkampfes fand Ausdruck in den vielen biographischen Artikeln,<br />
die das Leben <strong>und</strong> Wirken sozialistischer Frauen u. a. in Österreich, den USA oder Südafrika<br />
porträtierten. Meist war es Zetkin, die über die sozialistischen Frauenbewegungen anderer Länder<br />
informierte <strong>und</strong> deren Protagonistinnen vor allem in Form von Nachrufen würdigte. Es ist daher<br />
sehr auffällig, dass diese Artikel in der „neuen“ „Gleichheit“ die Ausnahme wurden. Dahinter ist<br />
als Ursache nicht nur die revisionistische Linie der SPD, die sich auch in ihrem Frauenorgan<br />
niederschlug, zu vermuten, sondern auch der Mangel an geeigneten AutorInnen, die in der Lage<br />
gewesen wären, sich annähernd die gleichen Kenntnisse <strong>und</strong> die gleiche Übersicht anzueignen,<br />
wie Zetkin sie besaß.<br />
Zetkin <strong>und</strong> Anna Blos waren hinsichtlich der Artikel frauengeschichtlichen Inhalts die mit Ab-<br />
stand produktivsten Mitarbeiterinnen der „Gleichheit“. Aus ihren jeweiligen historischen<br />
Arbeitsschwerpunkten resultiert auch eine große Zahl der porträtierten historischen Frauen – aus<br />
Zetkins Feder zudem die ungezeichneten Nachrufe vieler verstorbener Genossinnen <strong>und</strong> der An-<br />
fang einer „Geschichte der proletarischen Frauenbewegung“. Blos‘ Arbeiten waren in Inhalt <strong>und</strong><br />
Duktus so unverfänglich <strong>und</strong> parteipolitisch neutral, dass sie unter beiden „Gleichheit“-<br />
Redaktionen veröffentlicht werden konnten. Wenn auch in ihrer politischen Aussage zurück-<br />
haltend, kann Anna Blos doch mit Recht als eine „Pionierin der Frauengeschichte“, genauer noch<br />
„der Frauengeschichtsforschung“ bezeichnet werden. Zetkin war dies nicht minder, sah in dieser<br />
Tätigkeit jedoch vorrangig das Ziel, den Leserinnen mit der „Gleichheit“ die Quelle für ein<br />
sozialistisches weibliches Geschichtsbewusstsein zu geben. Inhalte <strong>und</strong> schriftstellerischer Duktus<br />
der Artikel dieser beiden Frauen sind daher sehr unterschiedlich, obwohl beide den Leserinnen<br />
Vorbilder politischen Handelns vorstellten. Während Zetkin den Vorbildcharakter der von ihr port-<br />
714
5 ZUSAMMENFASSUNG<br />
rätierten Frauen gleich einer Anleitung zum Nachahmen formulierte, wird aus Inhalt <strong>und</strong> Duktus<br />
der Blos‘schen Artikel nur selten eine besondere politisierende Absicht deutlich. So wurden auch<br />
die 1848er-Revolutionärinnen, die am ehesten dem Leitbild der „Republikanerin“ entsprechen,<br />
als „Frauengestalten aus dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert“ – so der Titel einer von Blos 1919-1921 veröffent-<br />
lichten Artikelreihe – den proletarischen Bürgerinnen der Weimarer Republik m. E. nicht in<br />
geeigneter Form als Vorbilder präsentiert. Auch Zetkin hatte bew<strong>und</strong>ernd auf die Teilhabe von<br />
Frauen an der 1848er-Revolution hingewiesen. Sie zeigte auf, warum diese Frauen Vorbild für<br />
jede Proletarierin sein konnten, aber auch, warum es nicht genug war, was diese forderten <strong>und</strong> zu<br />
erkämpfen suchten. Ähnliches musste für die Weimarer Republik gelten. Weder konnte es für die<br />
bürgerlichen Männer des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts genug sein, dass man ihnen von Königsgnaden eine<br />
Verfassung versprach, noch konnte es für die Frauen des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts genug sein, dass wenn<br />
auch lang ersehnte Wahlrecht zu bekommen. Und tatsächlich bestätigte das Frauenwahlrecht nur<br />
erneut das Sprichwort „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“, denn ein einziges zugestan-<br />
denes Recht macht noch keine Gleichberechtigung aus <strong>und</strong> ein Verfassungsprinzip auf staatliche<br />
Sozialisierung noch nicht den Sozialismus.<br />
Quantitativ fallen die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit wie folgt aus:<br />
Ausgehend von der Zielsetzung, alle in der „Gleichheit“ von 1891 bis 1923 erschienenen<br />
Frauenbiographien verschiedenster Formen zu erfassen, wurden in Kapitel 4 die Biographien von<br />
173 Frauen zusammengestellt.<br />
Nach der vorgenommenen Kategorisierung handelt es sich dabei um 31 „weibliche Voll-<br />
menschen“, 3 „Mütter“, 12 „Ehefrauen“, 115 „<strong>Klassenkämpferinnen</strong>“, keine „Republikanerinnen“<br />
<strong>und</strong> 11 „Ausnahmeerscheinungen bürgerlicher Frauenrechtelei“. <strong>Von</strong> Bedeutung ist ihre Ver-<br />
teilung innerhalb der „Gleichheit“ vor <strong>und</strong> nach der Entlassung Zetkins: Davon fallen in die<br />
Redaktionszeit Zetkins 22 „weibliche Vollmenschen“, 2 „Mütter“, 9 „Ehefrauen“, 98 „Klas-<br />
senkämpferinnen“ <strong>und</strong> 9 „Ausnahmeerscheinungen bürgerlicher Frauenrechtelei“. 4 In den auf die<br />
Entlassung Zetkins folgenden sechs Jahren bis zur Einstellung der „Gleichheit“ erschienen Artikel<br />
zu 15 „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“, 1 „Mutter“, 3 „Ehefrauen“, 23 „<strong>Klassenkämpferinnen</strong>“ <strong>und</strong> 3<br />
„Ausnahmeerscheinungen bürgerlicher Frauenrechtelei“. Auffallend klein ist die Schnittmenge<br />
derjenigen Frauen, zu denen sowohl in der „alten“ als auch in der „neuen“ „Gleichheit“ biogra-<br />
phische Artikel erschienen. Diese Frauen waren in ihrer Vorbildfunktion beiden „Gleichheit“-<br />
Redaktionen anscheinend gleichermaßen wertvoll. Zu diesen Frauen gehören 5 „weibliche Voll-<br />
4 Gomard untersuchte nur 67 unter der Redaktion Zetkins veröffentlichte biographische Artikel, kam aber zu<br />
denselben Ergebnissen, vor allem hinsichtlich der in der „Gleichheit“ selten gewordenen radikal-revolutionären<br />
Vorbilder (vgl. Gomard, Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“, S. 120).<br />
715
ZUSAMMENFASSUNG<br />
menschen“ (Bettina von Arnim (1785-1859), Louise Aston (1815-1871), Malwida von Meysen-<br />
bug (1816-1903), Louise Otto-Peters (1819-1895) <strong>und</strong> Jeanne-Marie Roland (1754-1793), 6<br />
<strong>Klassenkämpferinnen</strong> (Hope Bridges Adams-Lehmann (1855-1916), Ottilie Baader (1847-1925),<br />
Emma Ihrer (1857-1911), Katharina Breschkowskaja (1844-1934) <strong>und</strong> die Dichterinnen Ada<br />
Negri (1870-1945) <strong>und</strong> Clara Müller-Jahnke (1861-1905) <strong>und</strong> als einzige bürgerliche Ausnahme-<br />
figur Minna Cauer (1841-1922). In Anbetracht der deutlich längeren Redaktionszeit Zetkins sind<br />
die Relationen zwischen „alter“ <strong>und</strong> „neuer“ „Gleichheit“ nur hinsichtlich der „<strong>weiblichen</strong> Voll-<br />
menschen“ auffällig. An dieser großen Zahl hatte vor allem die Artikelserie „Frauengestalten des<br />
19. Jahrh<strong>und</strong>erts“ von Blos ihren Anteil.<br />
211 frauenbiographische Artikelserien, Einzelartikel, Notizen, Gedichte <strong>und</strong> Nachrufe 5 wurden im<br />
Hauptblatt der „Gleichheit“ in 32 Jahrgängen 6 veröffentlicht <strong>und</strong> in der vorliegenden Arbeit unter<br />
besonderen Gesichtspunkten rekonstruiert. In der Frage nach der Beteiligung von Männern an der<br />
Gestaltung der „Gleichheit“, konnte festgestellt werden, dass 20 dieser Artikel <strong>und</strong> die beiden in<br />
der Zusammenstellung enthaltenen Gedichte von Männern verfasst wurden. 7 Dies entspricht<br />
jedoch nur einem Anteil von r<strong>und</strong> 10 Prozent. So kann auch für die Autorenschaft frauen-<br />
biographischer Artikel in der „Gleichheit“ konstatiert werden, dass es im Wesentlichen Frauen<br />
waren, die für Frauen über Frauen schrieben.<br />
Die Zusammenstellung <strong>und</strong> der Vergleich der frauengeschichtlichen <strong>und</strong> frauenbiographischen<br />
Artikel der „Gleichheit“ machen deutlich, dass es die in ihnen enthaltene Botschaft war, die<br />
proletarischen Frauen zur Reflexion ihrer Situation als Frau <strong>und</strong> Arbeiterin <strong>und</strong> zu einem<br />
entschlossenen politischen Engagement für den Sozialismus zu bewegen. Proletarische Frauen<br />
sollten aufgeklärt werden, damit sie sich bewusst zum Sozialismus bekennen <strong>und</strong> ihn unterstützen<br />
konnten. Ihnen wurde anhand von Vorbildern gezeigt, wie diese Unterstützung aussehen <strong>und</strong> wie<br />
sie sich für diese Aufgaben geistig wappnen konnten. Dabei wurde nicht verschwiegen, wie auf-<br />
reibend der Kampf gegen die Unterdrückung schon von jeher war <strong>und</strong> auch weiterhin sein würde.<br />
Opferbereitschaft war daher eine zentrale Tugend, die die „Gleichheit“ von ihren Leserinnen<br />
forderte. Dies durchaus nicht in Form des Opfertodes – wenn dieser auch unleugbar vor allem bei<br />
Zetkin Bew<strong>und</strong>erung fand –, sondern angesichts des proletarischen Frauenalltags in Form des<br />
Opferns freier Zeit, um die „Gleichheit“ zu lesen, Leseabende <strong>und</strong> Versammlungen zu besuchen,<br />
5 Darin nicht enthalten sind die Nachrichtennotizen oder Buchbesprechungen, die jedoch in dem anhängenden<br />
Verzeichnis „Die frauenbiographischen Artikel aus dem Hauptblatt der ‘Gleichheit’ aufgeführt sind.<br />
6 Der erste Jahrgang der „Arbeiterin“ <strong>und</strong> damit der „Gleichheit“ floss in die Untersuchung nicht ein, weil die<br />
Sammlung der erhalten gebliebenen Exemplare sehr unvollständig ist.<br />
7 Für diese quantitative Auswertung wird angenommen, dass sich hinter den Autoreninitialen, die nicht eindeutig<br />
identifiziert konnten oder zu denen keine Vermutung geäußert werden konnte, weibliche Autoren verbargen.<br />
716
5 ZUSAMMENFASSUNG<br />
in Form proletarischer Solidarität oder in Form eines offenen Bekenntnisses zum Sozialismus,<br />
trotz der repressiven Konsequenzen, die daraus folgen konnten. Proletarierinnen mussten zu der<br />
Erkenntnis gelangen, dass ihr Elend nicht schicksalhaft war. Sie brachten Opfer, aber sie mussten<br />
es nicht sein – weder Opfer der Umstände, des Gesellschaftssystems, ihrer Ehemänner oder selbst<br />
auferlegter Beschränkungen. Ihr Schicksal lag in ihren Händen <strong>und</strong> viele historische Vorbilder<br />
belegten dies.<br />
Die Suche nach Geschichte musste die Suche nach ihrer eigenen Geschichte sein. In der<br />
„Gleichheit“ hatten die sozialistischen Frauen eine Stimme, die ihren Teil forderte. Nicht nur ihren<br />
Teil an politischer Macht, nicht nur ihren Teil an Rechten <strong>und</strong> Pflichten, sondern ihren Teil am<br />
öffentlichen Bewusstsein. Und dort, wo Frauen bereits Teil des öffentlichen Bewusstseins waren –<br />
in den traditionellen Rollenbildern <strong>und</strong> Stereotypen – mussten die sozialistischen Frauen<br />
korrigierend eingreifen, mussten sie Raum für Alternativen schaffen. Dies gelang ihnen zu-<br />
gegebenermaßen nicht immer. Die Redaktionsarbeit Zetkins <strong>und</strong> die von ihr formulierten<br />
Frauenleitbilder werden aber von manchen KritikerInnen zu einseitig dargestellt, wenn sie den<br />
Widerspruch zum realen Leben der proletarischen Frauen hervorheben <strong>und</strong> diese Leitbilder damit<br />
für zu utopisch erklären. Die in den Biographien dargestellten Frauen haben tatsächlich gelebt <strong>und</strong><br />
die Frauenleitbilder, denen sie entsprachen, wurden nicht auf einem Reissbrett entworfen, sondern<br />
waren von der Geschichte <strong>und</strong> ihrem Verlauf inspiriert. Diesen Vorbildern nachzuleben ist kein<br />
schlechter Ausgangspunkt für eine Utopie.<br />
Der andere Kritikpunkt, die sozialistischen Frauenleitbilder seien bürgerlichen Frauenleitbildern<br />
zu ähnlich gewesen, um tatsächlich alternativ zu sein, verweist wiederum auf die Realitätsnähe<br />
der sozialistischen Frauenleitbilder – wenn auch auf eine ungewollte. Ohne Frage sind die Frauen-<br />
leitbilder der proletarischen Frauenbewegung teils widersprüchlich, teils zu kompromisslos for-<br />
muliert. Durch Ausschluss unerwünschter, z. B. feministischer Tendenzen, wollte die „Gleichheit“<br />
unter Zetkin besonders identitätsstiftend <strong>und</strong> integrierend wirken. Die „Gleichheit“ versuchte, wie<br />
jede Zeitschrift, ihre „gesellschaftsfördernde, gruppenbildende, gemeinschaftsformende Kraft“ 8<br />
einzusetzen <strong>und</strong> suchte stets eine mit den Gr<strong>und</strong>werten des Sozialismus zu vereinbarende <strong>und</strong> für<br />
die Leserinnen geeignete Form der Ansprache. Die häufig vorgebrachte Kritik, dass diese<br />
Ansprache auch über die klassischen Frauenrollen als Mutter <strong>und</strong> Hausfrau gesucht wurde,<br />
übersieht, dass die „Gleichheit“ den Hausfrauen, Müttern <strong>und</strong> Ehefrauen stets einen spezifisch<br />
sozialistischen, d. h. emanzipatorischen Blick auf ihre Situation zu vermitteln bestrebt war. Die<br />
proletarische Frauenbewegung war zudem in ihrer Hervorhebung der Mutterrolle deutlich maß-<br />
8 Haacke, Die politische Zeitschrift, Bd. 1, S. 40.<br />
717
ZUSAMMENFASSUNG<br />
voller als die bürgerliche, hatte sie doch weitere Möglichkeiten, ein Identifikationsgefühl unter<br />
den Frauen zu stiften: Frau, Gattin, Arbeiterin <strong>und</strong> Angehörige der unterdrückten proletarischen<br />
Klasse. Gegenüber dem, was die bürgerliche Gesellschaft den Frauen zuzugestehen gewillt war,<br />
stellte jedes sozialistische Frauenleitbild einen deutlich erweiterten Horizont weiblicher Befreiung<br />
<strong>und</strong> Selbstverwirklichung dar. Doch trotz sozialistischer Frauenemanzipationstheorie verlief dies<br />
nicht widerspruchsfrei. Bereits am Schlagwortschatz innerhalb der biographischen Artikel lassen<br />
sich potentielle Widersprüche aufweisen. Wo vom Willen zur „Selbstbildung“, zum „Selbstbe-<br />
wusstsein“ die Rede war, gab es auch die Forderung der „Selbstauflösung“ <strong>und</strong> „Selbstaufgabe“.<br />
Wo Widerstand gegen vermeintliche Autoritäten verlangt wurde, sprach man auch von<br />
„Solidarität“ <strong>und</strong> „Parteidisziplin“. Die den Proletarierinnen gebotenen Identifikations- <strong>und</strong> Orien-<br />
tierungsmöglichkeiten boten eine Fülle von Berührungspunkten <strong>und</strong> Kompromissen. Klischees<br />
überdauerten dadurch aber auch die angestrebte Bewusstseinsumbildung oder zeugen von deren<br />
Unvollständigkeit. Die politische Frauenbildung der proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> damit<br />
auch der „Gleichheit“ blieb gefangen zwischen revolutionärem Umsturz <strong>und</strong> traditioneller Kon-<br />
tinuität.<br />
Auch Zetkin hatte kein allein gültiges Rezept für die individuelle Lebensplanung – anderes zu<br />
behaupten wäre vermessen. Auch sie hing teilweise althergebrachten Rollenbildern an <strong>und</strong><br />
ignorierte deren starke Verwurzelung in der bürgerlichen Gesellschaft, die nicht allein dadurch zu<br />
lösen war, dass man vorhandene Rollenbilder sozialistisch umdeutete. Jedoch war dies oft die<br />
einzige Ebene, auf der die proletarischen Frauen erreicht werden konnten, weshalb es ein ge-<br />
lungener Kompromiss war, das niveauvolle politisch-theoretische Hauptblatt der „Gleichheit“ mit<br />
zwei ebenfalls niveauvollen, aber auch unterhaltenden Beilagen zu ergänzen. Die Ergebnisse<br />
dieser an sich widersprüchlichen, aber zugleich durchdachten Ansprache der Leserinnen hätten<br />
vielleicht andere sein können, wenn der Erste Weltkrieg, Zensur <strong>und</strong> Redaktionswechsel der kon-<br />
sequenten politischen Aufklärung der Frauen durch die „Gleichheit“ kein Ende gesetzt hätte.<br />
Die „Gleichheit“ nach Zetkins Entlassung bot keine Alternative. Die sozialdemokratische Frauen-<br />
bewegung – eine einheitlich als „proletarisch“ zu bezeichnende Frauenbewegung gab es dann<br />
nicht mehr – griff angesichts der Kriegserlebnisse vermehrt feministische Argumentationen auf<br />
<strong>und</strong> eine Auseinandersetzung mit der nach wie vor existierenden Klassengesellschaft in der Wei-<br />
marer Republik fand in ihr kaum noch statt. Die Angst vor „russischen Verhältnissen“ trieb die<br />
proletarische Frauenbewegung dazu, dem Sozialismus in seiner radikalen Form zu entsagen. Mit<br />
der deutschen Demokratie <strong>und</strong> dem Frauenwahlrecht waren große Ziele hinsichtlich der Gleich-<br />
berechtigung von Mann <strong>und</strong> Frau erreicht worden. Zu früh wandte sich die Sozialdemokratie<br />
718
5 ZUSAMMENFASSUNG<br />
jedoch von ihren revolutionären Prinzipien ab <strong>und</strong> erachtete die „sozialistische Frauenemanzi-<br />
pationstheorie“ als in der neuen Staatsform überflüssig. So mangelhaft diese Theorie in Bezug auf<br />
viele sozialpsychologische <strong>und</strong> alltagstaugliche Aspekte war, warf es die Emanzipation der Frau<br />
doch um einiges zurück, dass man sich ihrer nun gänzlich entledigte <strong>und</strong> völlig in der bürger-<br />
lichen Gesellschaft aufging. Die sozialdemokratische Frauenbewegung begnügte sich mit dem<br />
„Spatz in der Hand“ <strong>und</strong> ließ die „Taube auf dem Dach“. Sie verabschiedete sich von ihren radi-<br />
kalen Zielvorstellungen einer revolutionären Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Sie<br />
verabschiedete sich auch von revolutionären Utopien, weil das praktisch Machbare zum Greifen<br />
nahe schien. Doch bezogen auf das Geschlechterverhältnis <strong>und</strong> gesellschaftliche Normen unter-<br />
lagen die Frauen auch weiterhin noch vielen Unterdrückungsmechanismen, gegen die sie sich nur<br />
zögerlich zur Wehr setzten. Teils resultierte der Mangel an Gegenwehr aus dem zuvor verinner-<br />
lichten sozialistischen Prinzip der Klassenharmonie, teils aus bürgerlichen Weiblichkeits-<br />
stereotypen <strong>und</strong> teils aus dem übermäßigen Vertrauen in die Strukturen der noch unreifen<br />
Demokratie. Die Frauen zu überzeugten Republikanerinnen zu erziehen, war elementar für den<br />
politischen Erfolg der SPD <strong>und</strong> für die Stabilität der jungen Republik, die von Anfang an von<br />
innen stark gefährdet war. Doch dachte man über diesen Etappensieg nicht hinaus <strong>und</strong> sah nicht<br />
die Gefahren. Die „neue“ Gleichheit <strong>und</strong> noch viel stärker die „Frauenwelt“, die im Prinzip nur<br />
eine feuilletonistische Beilage war <strong>und</strong> deren allgemeine Leserinnenschaft in dem Funktionärin-<br />
nenblatt „Die Genossin“ keine politisierende Ergänzung hatte, beide waren nicht darauf angelegt<br />
selbstbewusste <strong>Klassenkämpferinnen</strong> zu erziehen.<br />
Das Leitbild der „Klassenkämpferin“ wurde für die „neue“ „Gleichheit“ mit der demokratischen<br />
Integration überflüssig <strong>und</strong> war anscheinend als Ideal nie auch nur annähernd erreicht worden,<br />
denn sonst hätte der Protest in den Jahren des Ersten Weltkrieges gegenüber der revisionistischen<br />
Entwicklung der SPD <strong>und</strong> der Widerstand gegen den aufkommenden Nationalsozialismus viel<br />
stärker sein müssen. Selbst das Ideal des allgemein-gebildeten proletarischen „<strong>weiblichen</strong> Voll-<br />
menschen“ mit seinem Bild der proletarischen Frau, der, gleich allen Menschen, ein freier Zugang<br />
zu Bildung <strong>und</strong> Kultur ermöglicht wird <strong>und</strong> die diese in eigener Person <strong>und</strong> in ihrer Rolle als<br />
Mutter <strong>und</strong> Ehefrau in den Dienst der Sache stellt, enthält den entscheidenden Widerspruch, dass<br />
dieses Bildungsideal einerseits Voraussetzung für das Ideal der „Klassenkämpferin“ war, anderer-<br />
seits aber erst Ergebnis des Klassenkampfes sein konnte. Der Sozialismus brauchte bewusste<br />
<strong>Klassenkämpferinnen</strong> <strong>und</strong> die Frauen brauchten den Sozialismus, um aus ihrer Unterdrückung<br />
befreit zu werden, die nach der Emanzipationstheorie ihre Ursachen im kapitalistischen System<br />
719
ZUSAMMENFASSUNG<br />
hatte. Deshalb wollte Zetkin auch nicht auf das hohe intellektuelle Niveau der „Gleichheit“ ver-<br />
zichten. Sie musste die Leserin in ihrer Bildung <strong>und</strong> ihrem Engagement heben. Zetkin entwarf<br />
1896 folgendes Idealbild der „Klassenkämpferin“:<br />
„Das Sehnen verdichtet sich zu zielklaren Gedanken, die Wünsche werden zur<br />
That. Neueres, höheres Streben hebt diese Frauen über die Enge ihrer<br />
Existenzverhältnisse empor, weitet <strong>und</strong> vertieft ihren Pflichtkreis. Die Beziehungen<br />
in der Familie bekommen einen neuen, reichen Inhalt. Die fleißig sorgende<br />
Hausfrau wandelt Hand in Hand mit dem Gatten im grüngoldigen Reiche der<br />
Ideale, sie kämpft an seiner Seite für die Ziele, denen ihre Herzen gemeinsam<br />
entgegenschlagen. Die liebevoll betreuende Mutter legt die neuen Menschheitshoffnungen<br />
in die Seelen ihrer Kleinen, sie erzieht sie zu Zukunftskämpfern.<br />
Mächtig regt sich der Bildungsdrang. Nachtst<strong>und</strong>en werden geopfert, um lesend zu<br />
lernen, <strong>und</strong> was gelernt worden, es drängt sich im Gespräch, im Verkehr mit Nachbarn<br />
<strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>innen lehrend über die Lippen. Jede Gelegenheit, der Sache der<br />
Arbeit zu dienen, wird gesucht, genützt. Neben den Aufgaben für die Familie<br />
finden die Pflichten gegen die Klasse ihr Recht. Heute geht es treppauf, treppab,<br />
um für Streikende zu sammeln, morgen werden Lässige an die bevorstehende<br />
Versammlung gemahnt, dann wieder gilt es, dort für den Sozialismus zu zeugen,<br />
mit den Kampfesgenossinnen <strong>und</strong> Genossen neue Pläne zu berathen, alte in die<br />
That umzusetzen. Thun reiht sich an Thun, kein Opfer erscheint zu schwer, keine<br />
Mühe schreckt.<br />
So leben <strong>und</strong> wirken heutzutage viele H<strong>und</strong>erte proletarischer Frauen, deren<br />
Namen nie in weitere Kreise dringen. So lebten <strong>und</strong> wirkten die heimgegangenen<br />
Genossinnen unter den Erstgewordenen, welche Stein um Stein für den Bau einer<br />
sonnigen Zukunft zusammentragen.“ 9<br />
Es ist dies ein Beispiel für den deutlich idealisierenden Blick Zetkins auf die Frauen, in späteren<br />
Artikeln spiegelte sich eine realistischere Einschätzung des Alltags <strong>und</strong> der Lebenswirklichkeit<br />
der Proletarierinnen wider. Das Wesentliche aber war auch hier, dass sie ihren Leserinnen immer<br />
zutraute, es besser zu können.<br />
Auch aus diesem Gr<strong>und</strong> war es ein f<strong>und</strong>amentales Prinzip des Bildungsauftrags der „Gleichheit“,<br />
die proletarischen Frauen aus der Geschichte lernen zu lassen <strong>und</strong> den Gr<strong>und</strong>stein für ihr<br />
Geschichtsbewusstsein zu legen. Er ist Voraussetzung für politisches Bewusstsein <strong>und</strong> damit für<br />
politisches Handeln <strong>und</strong> gesellschaftliche Veränderung. Doch auch wenn sich diese Frauen einer<br />
politischen Sache bis zur „Selbstaufopferung“ <strong>und</strong> „Selbstauflösung“ „hingaben“, darf von der<br />
Geschichtswissenschaft nicht versäumt werden, nach diesem „Selbst“ zu suchen, nach den Spuren<br />
der Befreiung, die in diesen Entwürfen weiblicher Identität auffindbar sind. Die frauenbio-<br />
graphischen <strong>und</strong> frauengeschichtlichen Inhalte der „Gleichheit“ belegen, dass jede Art von<br />
sozialkritischem Engagement ein Beitrag zum Sozialismus <strong>und</strong> jede mutige Frau ein Sandkorn im<br />
Getriebe einer ungerechten <strong>und</strong> bis heute nicht repressionsfreien Gesellschaft sein kann.<br />
9 Wackere Kämpferinnen. In: GL, 06/ 24/ 25.11.1896/ 189.<br />
720
6 Literatur<br />
6.1 Fachliteratur<br />
6.1.1 Aufsätze, Sammelwerke, Quellensammlungen <strong>und</strong> Monographien<br />
Abendroth, Wolfgang: Einführung in die Geschichte der Arbeiterbewegung. Bd. 1: <strong>Von</strong> den Anfängen bis 1933.<br />
Heilbronn: Distel, 1985.<br />
Adler, Victor: Briefwechsel mit August Bebel <strong>und</strong> Karl Kautsky sowie Briefe von <strong>und</strong> an Ignaz Auer, Eduard<br />
Bernstein, Adolf Braun, Heinrich Dietz, Friedrich Ebert, Wilhelm Liebknecht, Hermann Müller <strong>und</strong><br />
Paul Singer. Gesammelt <strong>und</strong> erläutert von Friedrich Adler. Hrsg. vom Parteivorstand der Sozialistischen<br />
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Adorno, Theodor W.: Ohne Leitbild. In: Ders.: Ohne Leitbild. Parva Aesthetica, 4. Aufl. Frankfurt am Main:<br />
Suhrkamp, 1970, S. 7-19.<br />
Albrecht, Willy / Boll, Friedhelm / Bouvier, Beatrix W. / Leuschen-Seppel, Rosemarie / Schneider, Michael:<br />
Frauenfrage <strong>und</strong> deutsche Sozialdemokratie vom Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts bis zum Beginn der<br />
zwanziger Jahre. In: Archiv für Sozialgeschichte, Jg. 19 (1979), S. 459-510. (ebenfalls erschienen in:<br />
Die Frau in der Arbeiterbewegung 1900-1939, Bd. 1, S. 107-181).<br />
Allendorf, Marlis: Die Frau im Sozialismus. Bild- <strong>und</strong> Textdokumentation. Leipzig: Edition Leipzig, 1975.<br />
Andresen, Sünne: Knorrig wie eine Eiche. Revolutionäre Kämpfer <strong>und</strong> Revolutionstheorie. In: Geschlechterverhältnisse<br />
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Forschungen. Frankfurt am Main: Verlag Marxistische Blätter, 1973.<br />
Arendt, Hans-Jürgen / Baller, Kurt / Freigang, Werner / Kirchner, Jürgen / Müller, Joachim / Scholze, Siegfried /<br />
Staude, Fritz: Zur Rolle der Frau in der Geschichte des deutschen Volkes (1830 bis 1945) – eine<br />
Chronik. Frankfurt am Main: Verlag Marxistische Blätter, 1984.<br />
Arendt, Hans-Jürgen: Frauenpolitik <strong>und</strong> Frauenbewegung in Deutschland 1917 bis 1945 im Spiegel nichtmarxistischer<br />
Geschichtsschreibung der 70er Jahre. In: Kolloquium der Forschungsgemeinschaft<br />
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Aufgeweckt. Frauenalltag in vier Jahrh<strong>und</strong>erten. Ein Lesebuch. Hrsg. von der Frauen-Geschichtsgruppe des<br />
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Bajohr, Stefan: Sexualaufklärung im proletarischen Milieu. Geschlechtskrankheiten <strong>und</strong> staatliche Eheberatung<br />
1900 bis 1933. In: Pasteur/Niederacher/Mesner, Sexualität, Unterschichtenmilieus <strong>und</strong> ArbeiterInnenbewegung,<br />
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Bardenheuer, Rita: „Woher <strong>und</strong> wohin?“ – Geschichtliches <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>sätzliches aus der Frauenbewegung.<br />
Leipzig: Verlag Naturwissenschaften, 1918.<br />
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Beavan, Doris / Faber, Brigitte: „Wir wollen unser Teil fordern ...“ – Interessenvertretung <strong>und</strong> Organisationsformen<br />
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Bebel, August: Über die gegenwärtige <strong>und</strong> künftige Stellung der Frau. Im Anhang von: Ders.: Glossen zu Yves<br />
721
LITERATUR<br />
722<br />
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Bock, Hans-Manfred: Geschichte des „linken Radikalismus“ in Deutschland. Ein Versuch. Frankfurt am Main:<br />
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Boedecker, Elisabeth: Marksteine der deutschen Frauenbewegung von ihren Anfängen im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert bis<br />
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1973.
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Brehmer, Ilse (Hrsg.): Mütterlichkeit als Profession? Lebensläufe deutscher Pädagoginnen in der ersten Hälfte<br />
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Brehmer, Ilse / Ehrich, Karin (Hrsg.): Mütterlichkeit als Profession? Lebensläufe deutscher Pädagoginnen in der<br />
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Bridenthal, Renate / Koonz, Claudia / Stuard, Susan (Hrsg.): Becoming Visible – Women in European History.<br />
2. Aufl., Boston u. a.: Houghton Mifflin Company, 1987.<br />
Bridenthal, Renate: Beyond Kinder, Küche, Kirche. Weimar Women at Work. In: Central European History, Jg.<br />
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München: Beck, 1988.<br />
Brinker-Gabler, Gisela (Hrsg.): Frauen gegen den Krieg. Frankfurt am Main: Fischer, 1980.<br />
Brinker-Gabler, Gisela (Hrsg.): Frauenarbeit <strong>und</strong> Beruf. Frankfurt am Main: Fischer, 1979.<br />
Brosius, Bernhard: Strukturen der Geschichte. Eine Einführung in den historischen Materialismus. Köln: ISP,<br />
2007.<br />
Burgard, Roswitha/ Karsten, Gaby: Die Märchenonkel der Frauenfrage: Friedrich Engels <strong>und</strong> August Bebel. 2.<br />
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Bussemer, Herrad-Ulrike: Bürgerliche <strong>und</strong> proletarische Frauenbewegung (1865-1914). In: Muttersein <strong>und</strong><br />
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Ciupke, Paul / Derichs-Kunstmann, Karin (Hrsg.): Zwischen Emanzipation <strong>und</strong> „besonderer Kulturaufgabe der<br />
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Clara-Zetkin-Kolloquien der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die<br />
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<strong>und</strong> Diskussionsbeiträge. Leipzig: Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“ (in chronologischer Reihenfolge).<br />
Erstes Clara-Zetkin-Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse<br />
um die Befreiung der Frau“ (3.-4. Juli 1968).<br />
Viertes Clara-Zetkin-Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse<br />
um die Befreiung der Frau“ (26. November 1974).<br />
[Fünftes] Clara-Zetkin-Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse<br />
um die Befreiung der Frau“ (30. November 1977).<br />
[Siebtes] Clara-Zetkin-Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse<br />
um die Befreiung der Frau“ (16. Mai 1985): Frauen im Kampf für den Frieden. Zum<br />
75. Internationalen Frauentag. Manuskript. Leipzig: Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“, 1985.<br />
Craig, Gordon A.: Rolle der Frauen zwischen 1918 <strong>und</strong> 1930. In: Frauen – ein historisches Lesebuch. Hrsg. von<br />
723
LITERATUR<br />
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Andrea van Dülmen, 6. Auflage, München: Beck, 1995, S. 347-349.<br />
Dalhoff, Jutta / Frey, Uschi / Schöll, Ingrid (Hrsg.): Frauenmacht in der Geschichte. Beiträge des Historikerinnentreffens<br />
1985 zur Frauengeschichtsforschung. Düsseldorf: Schwann, 1986.<br />
Daniel, Ute: Arbeiterfrauen in der Kriegsgesellschaft. Beruf, Familie <strong>und</strong> Politik im Ersten Weltkrieg.<br />
Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1989.<br />
Dertinger, Antje: Weiber <strong>und</strong> Gendarm. Vom Kampf staatsgefährdender Frauenspersonen um ihr Recht auf politische<br />
Arbeit. Köln: B<strong>und</strong>, 1981.<br />
Dickmann, Elisabeth / Friese, Marianne (Hrsg.): Arbeiterinnengeschichte im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert. Studien zum<br />
sozio-kulturellen Wandel <strong>und</strong> zum politischen Diskurs in den Frauenbewegungen in Deutschland, England,<br />
Italien <strong>und</strong> Österreich. Vorträge eines Workshops an der Universität Bremen 1993. Münster,<br />
Hamburg: Lit, 1994.<br />
Dokumente der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung zur Frauenfrage 1848-1974. Hrsg. von der Forschungsgemeinschaft<br />
„Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse um die Befreiung der<br />
Frau“ an der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig. Leipzig: Verlag für die Frau, 1975.<br />
Dokumente <strong>und</strong> Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Reihe II, Bd. 1: Juli 1914 –<br />
Oktober 1917. Hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Berlin: Dietz, 1958.<br />
Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte. Hrsg. von Ernst Rudolf Huber. Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente<br />
1803-1850. 3. neubearb. <strong>und</strong> verm. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz: Kohlhammer,<br />
1978.<br />
Dölle, Gilla / Hering, Sabine: Lila ist Trumpf. Eine Bildergeschichte zur deutschen Frauenbewegung. Münster:<br />
Westfälisches Dampfboot, 1997.<br />
Dowe, Dieter (Hrsg.): Programmatische Dokumente der deutschen Sozialdemokratie. 2., überarb. <strong>und</strong> aktual.<br />
Aufl., Bonn: Dietz, 1984.<br />
Drust, Heide (Hrsg.): Für unsere Kinder. Texte aus der Kinderbeilage der „Gleichheit“ 1905-1917. Berlin: Der<br />
Kinderbuchverlag, 1986.<br />
Drust, Heide: „Eine nie versiegende Quelle der Unterhaltung <strong>und</strong> der Belehrung“ – Die Beilagen der „Gleichheit“.<br />
In: Ariadne, 1992, Nr. 22, S. 26-30.<br />
Eifert, Christiane: Wann kommt das „Fressen“, wann die „Moral“? Das „Kriegserlebnis“ der sozialdemokratischen<br />
Frauenbewegung. In: August 1914: Ein Volk zieht in den Krieg. Hrsg. von der Berliner<br />
Geschichtswerkstatt. Berlin: Nishen, 1989, S. 103-111.<br />
Eildermann, Wilhelm (Hrsg.): Unveröffentlichte Briefe Clara Zetkins an Heleen Ankersmit. In: BzG, Jg. 9<br />
(1967), Nr. 4, S. 659-692.<br />
Elbogen, Ismar / Sterling, Eleonore: Die Geschichte der Juden in Deutschland. Frankfurt am Main: Athenäum,<br />
1988.<br />
Engelmann, Bernt: Vorwärts <strong>und</strong> nicht vergessen. Vom verfolgten Geheimb<strong>und</strong> zur Kanzlerpartei: Wege <strong>und</strong><br />
Irrwege der deutschen Sozialdemokratie. München: Bertelsmann, 1984.<br />
Erziehung <strong>und</strong> Bildung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts. Eine kommentierte Quellensammlung zur Bildungs- <strong>und</strong><br />
Berufsbildungsgeschichte von Mädchen <strong>und</strong> Frauen. Hrsg. von Elke Kleinau <strong>und</strong> Christine Mayer. 2<br />
Bde. Weinheim: Deutscher Studien Verlag, 1996.<br />
Evans, Richard J.: Sozialdemokratie <strong>und</strong> Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich. Berlin: Dietz, 1984.<br />
Feidel-Mertz, Hildegard (Hrsg.): Zur Geschichte der Arbeiterbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 1968.
6.1.1 AUFSÄTZE, SAMMELWERKE, QUELLENSAMMLUNGEN UND MONOGRAPHIEN<br />
Fetscher, Irving: Der Marxismus. Seine Geschichte in Dokumenten. Philosophie, Ideologie, Ökonomie,<br />
Soziologie, Politik. 5. Aufl., München, Zürich: Piper, 1989.<br />
Flemming, Jens: „... von Jahr zu Jahr ein Sorgen <strong>und</strong> Bangen ohne Ende“ – Einkommen, Lohn, Lebensstandards.<br />
In: Ruppert, Die Arbeiter, S. 137-145.<br />
Flemming, Jens: „Sexuelle Krise“ <strong>und</strong> „Neue Ethik“. Wahrnehmungen, Debatten <strong>und</strong> Perspektiven in der deutschen<br />
Gesellschaft der Jahrh<strong>und</strong>ertwende. In: Liebe, Lust <strong>und</strong> Leid. Zur Gefühlskultur um 1900. Hrsg.<br />
von Helmut Scheuer <strong>und</strong> Michael Grisko. Kassel: University Press, 1999, S. 27-55.<br />
Fogel, Heidi / Ploch, Beatrice (Hrsg.): Der Wäscherinnenstreik 1897. Neu-Isenburger Arbeiterinnen begehren<br />
auf. Neu-Isenburg: Magistrat der Stadt Neu-Isenburg, Kultur- <strong>und</strong> Sportamt, 1997.<br />
Franzke, Astrid / Nagelschmidt, Ilse (Hrsg.): „Ich kann nicht gegen meine Überzeugung handeln“ – Clara<br />
Zetkin zum 150. Geburtstag. Leipzig: Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, 2008.<br />
Die Frau in der Arbeiterbewegung 1900-1939. Internationale Tagung der Historiker der Arbeiterbewegung (14.<br />
Linzer Konferenz 1978). 2 Bde. Wien: Europaverlag, 1980.<br />
Die Frau <strong>und</strong> die Gesellschaft. Hrsg. von der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse<br />
um die Befreiung der Frau“ an der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig. Leipzig:<br />
Verlag für die Frau, 1974.<br />
Frau <strong>und</strong> Geschichte. Ein Reader. Landau: Knecht, 1995.<br />
Frau <strong>und</strong> Gewerkschaft. Frankfurt am Main: Fischer, 1982.<br />
Frauen befreien sich. Bilder zur Geschichte der Frauenarbeit <strong>und</strong> Frauenbewegung. München: Frauenbuchverlag,<br />
1976.<br />
Frauen in der Geschichte. 8 Bde. Bd. 1: Frauenrechte <strong>und</strong> die gesellschaftliche Arbeit der Frauen im Wandel.<br />
Fachwissenschaftliche <strong>und</strong> fachdidaktische Studien zur Geschichte der Frauen. Hrsg. von Annette<br />
Kuhn <strong>und</strong> Gerhard Schneider. 2. Aufl., Düsseldorf: Schwann, 1982.<br />
Frauen in der Geschichte. 8 Bde. Bd. 3: Fachwissenschaftliche <strong>und</strong> fachdidaktische Beiträge zur Geschichte der<br />
Weiblichkeit vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart mit geeigneten Materialien für den Unterricht.<br />
Hrsg. <strong>Von</strong> Annette Kuhn <strong>und</strong> Jörn Rüsen. Düsseldorf: Schwann-Bagel, 1983.<br />
Frauen <strong>und</strong> Sexualmoral. Hrsg. von Marielouise Janssen-Jurreit. Frankfurt am Main: Fischer, 1986.<br />
FrauenBilderLeseBuch. Hrsg. von Anna Thüne. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt, 1985.<br />
Frauenstimmen aus der Nationalversammlung. Beiträge der sozialdemokratischen Volksvertreterinnen zu den<br />
Zeitfragen. Berlin: Vorwärts, 1920.<br />
Frederiksen, Elke (Hrsg.): Die Frauenfrage in Deutschland 1865-1915. Texte <strong>und</strong> Dokumente. Stuttgart: Reclam,<br />
1994.<br />
Freier, Anna-Elisabeth: „Dem Reich der Freiheit sollst Du Kinder gebären.“ – Der Antifeminismus der proletarischen<br />
Frauenbewegung im Spiegel der „Gleichheit“, 1891-1917. Frankfurt am Main: Haage <strong>und</strong><br />
Herchen, 1981.<br />
Freier, Anna-Elisabeth: Dimensionen <strong>weiblichen</strong> Erlebens <strong>und</strong> Handelns innerhalb der proletarischen Frauenbewegung.<br />
In: Frauen in der Geschichte, Bd. 3, S. 195-218.<br />
Freire, Paulo: Pädagogik der Unterdrückten – Bildung als Praxis der Freiheit, Hamburg: Rowohlt, 1993.<br />
Freudenthal, Margarete: Gestaltwandel der städtischen, bürgerlichen <strong>und</strong> proletarischen Hauswirtschaft zwi-<br />
725
LITERATUR<br />
726<br />
schen 1760 <strong>und</strong> 1910. Erstausgabe der Dissertation 1934. Frankfurt am Main: Ullstein, 1986.<br />
Frevert, Ute: „Frau <strong>und</strong> Arbeiter haben gemein, Unterdrückte zu sein.“ – Proletarische Frauenbewegung. In:<br />
Ruppert, Die Arbeiter, S. 435-451.<br />
Frevert, Ute: Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung <strong>und</strong> Neuer Weiblichkeit. Frankfurt am<br />
Main: Suhrkamp, 1986.<br />
Freyberg, Jutta von / Fülberth, Georg / Harrer, Jürgen / Hebel-Kunze, Bärbel / Hofschen, Heinz-Gerd / Ott,<br />
Erich / Stuby, Gerhard: Geschichte der deutschen Sozialdemokratie 1863 bis zur Gegenwart. Köln:<br />
Pahl-Rugenstein, 1989.<br />
Freytagh-Loringhoven, Axel Freiherr von: Die Weimarer Verfassung in Lehre <strong>und</strong> Wirklichkeit. München: J.F.<br />
Lehmann, 1924.<br />
Friedemann, Peter: Französische Revolution <strong>und</strong> deutsche sozialistische Arbeiterpresse 1918-1933. In: TAJB,<br />
Jg. 28 (1989), S. 233-248.<br />
Friedrich Engels‘ Briefwechsel mit Karl Kautsky. Zweite, durch die Briefe Karl Kautskys vervollständigte<br />
Ausgabe von „Aus der Frühzeit des Marxismus“. Hrsg. <strong>und</strong> bearb. von Benedikt Kautsky. Wien:<br />
Danubia, 1955.<br />
Friedrich, Cäcilia (Hrsg.): Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen. Berlin: Akademie, 1966.<br />
Friese, Marianne: Bildungskonzepte der Arbeiterinnenbewegung. In: Kleinau/Opitz, Geschichte der Mädchen-<br />
<strong>und</strong> Frauenbildung, Bd. 2, S. 230-247.<br />
Friese, Marianne: Frauenarbeit <strong>und</strong> soziale Reproduktion – Eine Strukturuntersuchung zur Herausbildung des<br />
<strong>weiblichen</strong> Proletariats im Übergangsprozeß zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft – dargestellt<br />
an der Region Bremen. Bremen: Universität, 1991.<br />
Friese, Marianne: Weibliches Proletariat im Bildungsprozeß der Moderne. Zur Rekonstruktion eines kritischen<br />
Bildungsbegriffs, dargestellt an der Bildungssituation von bremischen Mägden <strong>und</strong> proletarischen<br />
Töchtern im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert. In: Schlüter, Anne (Hrsg.): Bildungsmobilität, Studien zur Individualisierung<br />
von Arbeitertöchtern in der Moderne. Weinheim: Deutscher Studienverlag, 1993, S. 13-32.<br />
Führenberg, Dietlinde / Koch, Gisela / Redzepi, Josefa / Wurms, Renate (Hrsg.): <strong>Von</strong> Frauen für Frauen. Ein<br />
Handbuch zur politischen Frauenbildungsarbeit. Zürich, Dortm<strong>und</strong>: eFeF, 1992.<br />
Geiger, Ruth-Esther / Weigel, Sigrid (Hrsg.): Sind das noch Damen? Vom gelehrten Frauenzimmer-Journal zum<br />
feministischen Journalismus. München: Frauenbuchverlag, 1981.<br />
Geisel, Beatrix: Journalismus als Frauenberuf. Folge 3: Ein umfassendes Konzept fortschrittlicher Kultur- <strong>und</strong><br />
Sozialpolitik. In: Die Feder, Jg. 38 (1989), Nr. 5, S. 33-40.<br />
Gerhard, Ute (Hrsg.): Frauen in der Geschichte des Rechts. <strong>Von</strong> der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart.<br />
München: Beck, 1997.<br />
Gerhard, Ute / Hannover-Drück, Elisabeth / Schmitter, Romina: „Dem Reich der Freiheit werb‘ ich Bürgerinnen“<br />
– Die Frauen-Zeitung von Louise Otto. Frankfurt am Main: Syndikat, 1980.<br />
Gerhard, Ute / Wischermann, Ulla: Liberalismus – Sozialismus – Feminismus. Zeitschriften der Frauenbewegung<br />
um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende. In: Brinker-Gabler, Deutsche Literatur von Frauen, Bd. 2, S. 268-284.<br />
Gerhard, Ute: Frauenwahlrecht in Deutschland. Bedeutung, Meinungen <strong>und</strong> Folgen. In: Schaeffer-Hegel, Vater<br />
Staat <strong>und</strong> seine Frauen, Bd. 1, S. 21-28.<br />
Gerhard, Ute: Grenzziehungen <strong>und</strong> Überschreitungen. Die Rechte der Frauen auf dem Weg in die politische<br />
Öffentlichkeit. In: Dies., Frauen in der Geschichte des Rechts, S. 509-546.
6.1.1 AUFSÄTZE, SAMMELWERKE, QUELLENSAMMLUNGEN UND MONOGRAPHIEN<br />
Gerhard, Ute: Über die Anfänge der deutschen Frauenbewegung um 1848. Frauenpresse, Frauenpolitik <strong>und</strong><br />
Frauenvereine. In: Hausen, Frauen suchen ihre Geschichte, S. 200-224.<br />
Gerhard, Ute: Unerhört – Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung. Hamburg: Rowohlt, 1996.<br />
Geschlechterverhältnisse <strong>und</strong> Frauenpolitik. Hrsg. von Projekt Feministischer Sozialismus. Berlin: Argument-<br />
Verlag 1984.<br />
Gieschler, Sabine: Konzeptionelle Ansätze proletarischer Frauenbildung als besondere Form der Arbeiterbildung.<br />
In: Olbrich, Arbeiterbildung nach dem Fall des Sozialistengesetzes, S. 283-295.<br />
Gieseke, Wiltrud: Geschlechterverhältnis <strong>und</strong> Weiterbildung. In: Dies. (Hrsg.): Erwachsenenbildung als Frauenbildung.<br />
Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 1995, S. 9-44.<br />
Gomard, Kirsten: Die Agitation der „Gleichheit“ als proletarische Frauenöffentlichkeit untersucht anhand der<br />
Beiträge zum Thema Aufrüstung, Krieg <strong>und</strong> Pazifismus, 1892-1917. In: Die Verantwortung der Literatur<br />
in ihrer Zeit. Ausgewählte Beiträge vom VI. gemeinsamen Kolloquium von Literaturwissenschaftlern<br />
der Universität Aarhus <strong>und</strong> der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. 31. Mai bis 2.<br />
Juni 1983 in Greifswald, Greifswalder Germanistische Forschungen, 6, 1985, S. 65-72.<br />
Gomard, Kirsten: Die Propaganda der „Gleichheit“ zwischen Realität <strong>und</strong> Utopie. In: Utopie <strong>und</strong> Realität im<br />
Funktionsverständnis von Literatur (Französische Revolution – Oktoberrevolution – Gegenwart). Ausgewählte<br />
Beiträge vom VII. gemeinsamen Kolloquium von Literaturwissenschaftlern der Universität<br />
Aarhus <strong>und</strong> der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. 18. <strong>und</strong> 19. Mai 1987 in Greifswald.<br />
Greifswalder Germanistische Forschungen, 10, 1989, S. 40-45.<br />
Gomard, Kirsten: Die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“. Angebot einer alternativen Frauenidentität?<br />
In: Augias, Bd. 28 (1988), S. 25-42.<br />
Götze, Ruth: Der Beitrag der „Gleichheit“ zur Entwicklung des Geschichtsbewußtseins ihrer Leserinnen. In:<br />
Wissenschaftliche Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig. 1976, Nr. 3, S.<br />
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Graf, Angela: J. H. W. Dietz 1843-1922 – Verleger der Sozialdemokratie. Bonn: Dietz, 1998. Electronic edition:<br />
http://library.fes.de/fulltext/bibliothek/00146toc.htm (letzter Seitenbesuch: 07.12.2008).<br />
Grebing, Helga: Der Revisionismus. <strong>Von</strong> Bernstein bis zum „Prager Frühling“. München: Beck, 1977.<br />
Grebing, Helga: Frauen in der deutschen Revolution 1918/19. Heidelberg: Stiftung Reichspräsident-Friedrich-<br />
Ebert-Gedenkstätte, 1994.<br />
Grebing, Helga: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. 8. Aufl., München: dtv, 1977.<br />
Grossmann, Atina / Meyer-Renschhausen, Elisabeth: Frauen <strong>und</strong> Arbeiterbewegung in Deutschland, 1914-1938.<br />
In: Borneman, Arbeiterbewegung <strong>und</strong> Feminismus, S. 54-61.<br />
Grossmann, Atina / Meyer-Renschhausen, Elisabeth: Frauen <strong>und</strong> Arbeiterbewegung. In: Die Frau in der Arbeiterbewegung<br />
1900-1939, Bd. 1, S. 250-260.<br />
Grubitzsch, Helga: „Ein steiniger Weg“. Politische Arbeit von Frauen. In: Jelpke, Ulla (Hrsg.): Das höchste<br />
Glück auf Erden. Frauen in linken Organisationen. Hamburg: Buntbuch, 1981, S. 11-40.<br />
Grubitzsch, Helga: Mutterschaft <strong>und</strong> Mutterideologie in der Geschichte der Frauenbewegung. In: Muttersein<br />
<strong>und</strong> Mutterideologie in der bürgerlichen Gesellschaft, S. 49-77.<br />
Grunewald, Michael (Hrsg.): Das linke Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse <strong>und</strong> seine Netzwerke<br />
(1890-1960). Bern, Berlin, Brüssel, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien: Lang, 2002.<br />
727
LITERATUR<br />
728<br />
Gudelius, Bärbel: Proletarische Lebenserfahrungen <strong>und</strong> sozialistische Frauenbewegung. In: Frauen in der<br />
Geschichte, Bd. 1, S. 169-206.<br />
Guttmann, Barbara: Weibliche Heimarmee. Frauen in Deutschland 1914-1918. Weinheim: Deutscher Studien<br />
Verlag, 1989.<br />
Haacke, Wilmont: Die politische Zeitschrift. 2 Bde. Bd. 1: 1665-1965. Stuttgart: K.F. Koehler, 1968. Bd. 2:<br />
1900-1980 (zusammen mit Günter Pötter). Stuttgart: K.F. Koehler, 1982.<br />
Haacke, Wilmont: Die Zeitschrift. Schrift der Zeit. Essen: Stamm, 1961.<br />
Haarmann, Elisabeth: Schwestern zur Sonne zur Gleichheit. Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung.<br />
Hamburg: Ergebnisse, 1985.<br />
Haas, Inka: Gebärstreik. Frauen gegen den staatlich verordneten Muttermythos. Frankfurt am Main: dipa, 1998.<br />
Hagemann, Karen / Kolossa, Jan: Gleiche Rechte – Gleiche Pflichten? Der Frauenkampf für „staatsbürgerliche“<br />
Gleichberechtigung. Ein Bilder-Lese-Buch zu Frauenalltag <strong>und</strong> Frauenbewegung in Hamburg. Hamburg:<br />
VSA, 1990.<br />
Hagemann, Karen: Frauenalltag <strong>und</strong> Männerpolitik. Alltagsleben <strong>und</strong> gesellschaftliches Handeln von Arbeiterfrauen<br />
in der Weimarer Republik. Bonn: Dietz, 1990.<br />
Hagemann, Walter: Die Zeitung als Organismus. Ein Leitfaden. Heidelberg: Kurt Vowinckel, 1950.<br />
Hamm-Brücher, Hildegard: Seit 70 Jahren Abschied vom Männerwahlrecht. 1918 <strong>und</strong> die Folgen für Frauen in<br />
der Politik in Deutschland. In: Schaeffer-Hegel, Vater Staat <strong>und</strong> seine Frauen, S. 33-49.<br />
Hart <strong>und</strong> zart. Frauenleben 1920-1970. Berlin: Elefanten Press, 1990.<br />
Hausen, Karin (Hrsg.): Frauen suchen ihre Geschichte. Historische Studien zum 19. <strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>ert. 2.,<br />
durchgesehene Aufl., München: Beck, 1987.<br />
Hausen, Karin: Einleitung. In: Hausen, Frauen suchen ihre Geschichte, S. 9-23.<br />
Hauser, Oswald (Hrsg.): Geschichte <strong>und</strong> Geschichtsbewußtsein. 19 Vorträge für die Ranke-Gesellschaft,<br />
Vereinigung für Geschichte im Öffentlichen Leben. Göttingen, Zürich: Muster-Schmidt, 1981.<br />
Heid, Ludger / Schoeps, Julius H.: Juden in Deutschland. <strong>Von</strong> der Aufklärung bis zur Gegenwart. Ein Lesebuch.<br />
München, Zürich: Piper, 1994.<br />
Heinemann, Rebecca: Familie zwischen Tradition <strong>und</strong> Emanzipation. Katholische <strong>und</strong> sozialdemokratische<br />
Familienkonzeptionen in der Weimarer Republik. München: Oldenbourg, 2004.<br />
Hering, Sabine / Wenzel, Cornelia: Frauen riefen, aber man hörte sie nicht. Die Rolle der deutschen Frauen in<br />
der internationalen Frauenfriedensbewegung zwischen 1892 <strong>und</strong> 1933. 2 Bde. Kassel: Archiv der deutschen<br />
Frauenbewegung, 1986.<br />
Hering, Sabine: „Damit ist die Angelegenheit wohl erledigt“ – Anmerkungen zum „Kurswechsel“ der „Gleichheit“<br />
1917. In: Ariadne, 1992, Nr. 22, S. 44-46.<br />
Herrmann, Ursula: Frauen <strong>und</strong> Sozialdemokratie 1871 bis 1910 – Zum Ringen der deutschen Sozialdemokratie<br />
<strong>und</strong> der II. Internationale um Frauenemanzipation. In: BzG, Jg. 41 (1999), Nr. 2, S. 60-71.<br />
Hertz, Deborah: Die jüdischen Salons im alten Berlin. Frankfurt am Main: Hain, 1991.<br />
Hervé, Florence (Hrsg.): Brot <strong>und</strong> Rosen. Geschichte <strong>und</strong> Perspektive der demokratischen Frauenbewegung.<br />
Frankfurt am Main: Marxistische Blätter, 1979.
6.1.1 AUFSÄTZE, SAMMELWERKE, QUELLENSAMMLUNGEN UND MONOGRAPHIEN<br />
Hervé, Florence (Hrsg.): Frauenbewegung <strong>und</strong> revolutionäre Arbeiterbewegung. Texte zur Frauenemanzipation<br />
in Deutschland <strong>und</strong> in der BRD von 1848 bis 1980. Frankfurt am Main: Marxistische Blätter, 1981.<br />
Hervé, Florence (Hrsg.): Geschichte der deutschen Frauenbewegung. 7. verb. <strong>und</strong> überarb. Aufl., Köln: Papy-<br />
Rossa, 2001.<br />
Hervé, Florence: „Massen heraus – Frauen heraus!“ – Frauen in der Novemberrevolution. In: FrauenBilderLese-<br />
Buch, S. 111-117.<br />
Hervé, Florence: Die Rolle Clara Zetkins <strong>und</strong> der „Gleichheit“ in der internationalen sozialistischen Bewegung<br />
bei der Erarbeitung, Verbreitung <strong>und</strong> Durchsetzung marxistischer Positionen in der Frauenfrage. In:<br />
Die Frau in der Arbeiterbewegung 1900-1939, Bd. 1, S. 182-187.<br />
Heyden, Günter: Die Rolle der Bewußtheit in der sozialistischen Gesellschaft <strong>und</strong> bei der Formung des sozialistischen<br />
Menschen. In: BzG, Jg. 11 (1969), Sonderheft, S. 41-46.<br />
Hickethier, Knut: Karikatur, Allegorie <strong>und</strong> Bilderfolge – zur Bildpublizistik im Dienste der Arbeiterbewegung.<br />
In: Rüden, Beiträge zur Kulturgeschichte der deutschen Arbeiterbewegung, S. 79-165.<br />
Holland-Cunz, Barbara: Die alte neue Frauenfrage. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2003.<br />
Honnen, Ulrike: Vom Frauenwahlrecht zur Quotierung. 125 Jahre Kampf um die Gleichberechtigung in der<br />
SPD. Münster, New York: Waxmann, 1988.<br />
Huber-Sperl, Rita (Hrsg.): Organisiert & engagiert. Vereinskultur bürgerlicher Frauen im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert in<br />
Westeuropa <strong>und</strong> den USA. Königstein/Taunus: Helmer, 2002.<br />
Humbert-Droz, Jules: Der Krieg <strong>und</strong> die Internationale. Die Konferenzen von Zimmerwald u. Kienthal. Wien,<br />
Köln, Stuttgart, Zürich: Europa, 1964.<br />
Ihrer, Emma: Die Arbeiterinnen im Klassenkampf. Anfänge der Arbeiterinnen-Bewegung, ihr Gegensatz zur<br />
bürgerlichen Frauenbewegung <strong>und</strong> ihre nächsten Aufgaben. Hamburg: Verlag der Generalkommission<br />
der Gewerkschaften Deutschlands, 1898.<br />
Ihrer, Emma: Die Organisation der Arbeiterinnen Deutschlands, ihre Entstehung <strong>und</strong> Entwicklung. Berlin:<br />
Selbstverlag, 1893.<br />
Der internationale Frauentag. Hrsg. von der Parlamentarischen Staatssekretärin für die Gleichstellung von Frau<br />
<strong>und</strong> Mann. Düsseldorf 1991.<br />
Jardon, Cornelia: Die Frau <strong>und</strong> Bebels Utopien. Minden i. Westf.: J.C.C. Bruns, 1892.<br />
Joeres, Ruth Ellen B. / Manes, Mary Jo (Hrsg.): German Women in the Eighteenth and Ninteenth Centuries. A<br />
social and literary History. Bloomington: Indiana University Press, 1986.<br />
Joos, Joseph: Die sozialdemokratische Frauenbewegung in Deutschland. M.Gladbach: Volksvereins-Verlag,<br />
1912.<br />
Karstedt, Susanne: Die Gleichheit – eine „one-woman show“. In: Ariadne, 1992, Nr. 22, S. 14-21.<br />
Katzenstein, Simon: Kritische Bemerkungen zu Bebels Buch: „Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus“. In: Neue Zeit.<br />
Jg. 15 (1896/97), Bd. 1, Nr. 10, S. 193-303.<br />
Kerchner, Brigitte: Beruf <strong>und</strong> Geschlecht – Berufsverbände in Deutschland 1848-1908. Göttingen: Vandenhoek<br />
& Ruprecht, 1992.<br />
Ketelhut, Barbara / Kohne, Christiane / Kreutz, Maren / Niehoff, Erika: Die Familie als Brutstätte der Revolution.<br />
Familienpolitik der Arbeiterbewegung. In: Geschlechterverhältnisse <strong>und</strong> Frauenpolitik, S. 113-<br />
729
LITERATUR<br />
730<br />
130.<br />
Kettig, Alma: Zur proletarischen Frauenbewegung. In: Hervé, Brot <strong>und</strong> Rosen, S. 59-68.<br />
Key, Ellen: Die Frauenbewegung. Frankfurt am Main: Rütten & Loening, 1909. Nachdruck Frankfurt am Main:<br />
Keip, o. J.<br />
Kinnebrock, Susanne: „Gerechtigkeit erhöht ein Volk!?“ – Die erste deutsche Frauenbewegung, ihre Sprachrohre<br />
<strong>und</strong> die Stimmrechtsfrage. In: JbKG. Jg. 1 (1999), S. 135-172.<br />
Klausmann, Christina: Bürgerliche <strong>und</strong> proletarische Frauenbewegung in Frankfurt am Main <strong>und</strong> Umgebung.<br />
In: Fogel/Ploch, Der Wäscherinnenstreik 1897, S. 26-44.<br />
Klausmann, Christina: Politik <strong>und</strong> Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich. Das Beispiel Frankfurt am Main.<br />
Frankfurt am Main, New York: Campus: 1997.<br />
Kleinau, Elke / Opitz, Claudia (Hrsg.): Geschichte der Mädchen- <strong>und</strong> Frauenbildung. Bd. 2: Vom Vormärz bis<br />
zur Gegenwart. Frankfurt am Main, New York: Campus, 1996.<br />
Kleinau, Elke: Über den Einfluß bürgerlicher Vorstellungen von Beruf, Ehe <strong>und</strong> Familie auf die sozialistische<br />
Frauenbewegung. In: Brehmer, Ilse / Jacobi-Dittrich, Juliane / Kleinau, Elke / Kuhn, Annette (Hrsg.):<br />
„Wissen heißt Leben ...“: Beiträge zur Bildungsgeschichte von Frauen im 18. <strong>und</strong> 19. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />
Düsseldorf: Schwann, 1983, S. 145-170.<br />
Kliche, Helene: Die Frau <strong>und</strong> der Sozialismus. Deutschnationale Flugschrift Nr. 28, Berlin: Deutschnationale<br />
Schriftenvertriebsstelle, 1919.<br />
Klucsarits, Richard / Kürbisch, Friedrich G. (Hrsg.): Arbeiterinnen kämpfen um ihr Recht – Autobiographische<br />
Texte zum Kampf rechtloser <strong>und</strong> entrechteter „Frauenspersonen“ in Deutschland, Österreich <strong>und</strong> der<br />
Schweiz des 19. <strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>erts. 2. Aufl., Wuppertal: Hammer, 1981.<br />
Knapp, Ulla: Frauenarbeit in Deutschland. Bd. 2: Hausarbeit <strong>und</strong> geschlechtsspezifischer Arbeitsmarkt im deutschen<br />
Industrialisierungsprozess. Frauenpolitik <strong>und</strong> proletarischer Frauenalltag zwischen 1800 <strong>und</strong><br />
1933. 2., unveränd. Aufl., München: Minerva Publikation, 1986.<br />
Knoblich, Susanne: Frauenstreiks – Eine Einführung. In: Fogel/Ploch, Der Wäscherinnenstreik 1897, S. 8-25.<br />
Koch, Arthur: Die Verwirklichung sozialistischer Kindererziehung mit Hilfe der ersten deutschen proletarischen<br />
Kinderzeitschrift „Für unsere Kinder“ (1905-1917). In: Jahrbuch für Erziehungs- <strong>und</strong> Schulgeschichte,<br />
Jg. 7 (1967), S. 49-131.<br />
Koepcke, Cordula: Geschichte der deutschen Frauenbewegung. Freiburg, Basel, Wien 1979.<br />
Koerber, Lenka von: Clara Zetkin – Kämpferin für die Rechte der Frauen. (darin: Die „Gleichheit“: ein<br />
unvergängliches Denkmal Clara Zetkins). In: Leipziger Volkszeitung, Nr. 140 (20.04.1953), S. 3.<br />
Koller, Christian: Subversive Ornithologen. Die Internationale Sozialistische Konferenz von Zimmerwald von<br />
1915. In: Rote Revue, Jg. 83 (2005), Nr. 2, S. 35-38.<br />
Kolloquien der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung der<br />
Frau“ der Sektion Geschichte der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig. Referate <strong>und</strong><br />
Diskussionsbeiträge. Leipzig: Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“ (in chronologischer Reihenfolge).<br />
Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die<br />
Befreiung der Frau“ (27. Januar 1981). Leipzig: Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“, 1982.<br />
Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die<br />
Befreiung der Frau“ (27. Mai 1982). Leipzig: Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“, 1982.
6.1.1 AUFSÄTZE, SAMMELWERKE, QUELLENSAMMLUNGEN UND MONOGRAPHIEN<br />
Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die<br />
Befreiung der Frau“ (24. Januar 1983): Zur Frauenpolitik des faschistischen deutschen Imperialismus<br />
1933-1939. Leipzig: Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“, 1983.<br />
Zweites Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die<br />
Befreiung der Frau“ zur Frauenpolitik des faschistischen deutschen Imperialismus (6. März 1984): Faschistische<br />
Frauenkonzentrationslager 1933-1939. Leipzig: Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“,<br />
1984.<br />
Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung<br />
der Frau“ (6. November 1986): 40 Jahre IDDF – Zu ihrer Entstehungsgeschichte <strong>und</strong> ihrem<br />
Wirken. Leipzig: Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“, 1986.<br />
Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung<br />
der Frau“ (27. September 1988): Die Novemberrevolution 1918/19 <strong>und</strong> die Frauen. Leipzig:<br />
Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“, 1988.<br />
Kossok, Manfred: In Tyrannos: Revolutionen der Weltgeschichte. <strong>Von</strong> den Hussiten bis zur Commune. Leipzig:<br />
Edition Leipzig, 1989.<br />
Koszyk, Kurt: Deutsche Presse. 1914-1945. Geschichte der deutschen Presse Teil III. Berlin: Quelle & Meyer,<br />
1972.<br />
Koszyk, Kurt: Zwischen Kaiserreich <strong>und</strong> Diktatur. Die sozialdemokratische Presse 1914 bis 1933. Heidelberg:<br />
Quelle & Meyer, 1958.<br />
Krauth, Ulrike: Die Mutter als Erzieherin. Kindererziehung in der Zeitschrift „Die Gleichheit“ (1905 bis 1913).<br />
In: ergebnisse, 1981, Nr. 15, S. 15-91.<br />
Krechel, Ursula: Selbsterfahrung <strong>und</strong> Fremdbestimmung. Bericht aus der Neuen Frauenbewegung. 4. Aufl.,<br />
Darmstadt, Neuwied: Luchterhand, 1980.<br />
Kröger, Marianne: Nachwort. In: Federn, Revolutionär auf ihre Art, S. 83-99.<br />
Kuczynski, Jürgen: Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges <strong>und</strong> die deutsche Sozialdemokratie. Chronik <strong>und</strong><br />
Analyse. Berlin: Akademie, 1957.<br />
Kuczynski, Jürgen: Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin in Deutschland von 1700 bis zur Gegenwart.<br />
Berlin: Akademie, 1963 (= Bd. 18 von: Kuczynski, Jürgen: Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter<br />
dem Kapitalismus. Teil 1: Die Geschichte der Lage der Arbeiter in Deutschland von 1789 bis zur<br />
Gegenwart).<br />
Kühn, Leonore: Frauenzeitschriften. In: Süddeutsche Monatshefte, Jg. 22 (1924), Nr. 2, S. 29-43.<br />
Kuhnhenne, Michaela: Frauenleitbilder <strong>und</strong> Bildung in der westdeutschen Nachkriegszeit. Analyse am Beispiel<br />
der Region Bremen. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 2005.<br />
Kunstmann, Antje: Frauenbefreiung – Privileg einer Klasse? Starnberg: Raith, 1971.<br />
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Verlagsbuchhandlung, 1885.<br />
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Mayring, Philipp: Einführung in die qualitative Sozialforschung. Eine Anleitung zu qualitativem Denken. 5.,<br />
überarb. <strong>und</strong> neu ausgestattete Aufl., Weinheim, Basel: Beltz, 2002.<br />
Mayring, Philipp: Qualitative Inhaltsanalyse. Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Techniken. 8. Aufl., Weinheim, Basel: Beltz,<br />
2003.<br />
Meder, Stephan/ Duncker, Arne/ Czelk, Andrea (Hrsg.): Frauenrecht <strong>und</strong> Rechtsgeschichte. Köln, Weimar,<br />
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Menschik, Jutta: Die proletarische Frauenbewegung. In: FrauenBilderLeseBuch, S. 94-101.<br />
Menschik, Jutta: Feminismus. Geschichte, Theorie, Praxis. 3. Aufl., Köln: Pahl-Rugenstein, 1985.<br />
Menschik, Jutta: Rolle <strong>und</strong> Situation von Frauen in der deutschen Sozialdemokratie 1900-1933. In: Die Frau in<br />
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Rowohlt, 1972
6.1.1 AUFSÄTZE, SAMMELWERKE, QUELLENSAMMLUNGEN UND MONOGRAPHIEN<br />
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Müller, Helmut M.: Deutsche Geschichte in Schlaglichtern. 2. aktual. Aufl. Leipzig: Brockhaus, 2004.<br />
München – Stadt der Frauen. Kampf für Frieden <strong>und</strong> Gleichberechtigung 1800-1945. Ein Lesebuch. München:<br />
Piper, 1991.<br />
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Neitzel, Sönke: Kriegsausbruch. Deutschlands Weg in die Katastrophe 1900-1914. Zürich: Pendo, 2002.<br />
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Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800-1866: Bürgerwelt <strong>und</strong> starker Staat. Broschierte Sonderausgabe.<br />
München: Beck, 1998.<br />
Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866-1918. 2 Bde. Bd. 1: Arbeitswelt <strong>und</strong> Bürgergeist; Bd. 2:<br />
Machtstaat vor der Demokratie. Broschierte Sonderausgabe. München: Beck, 1998.<br />
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6.1.1 AUFSÄTZE, SAMMELWERKE, QUELLENSAMMLUNGEN UND MONOGRAPHIEN<br />
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Rosenbaum, Heidi (Hrsg.): Familie <strong>und</strong> Gesellschaftsstruktur. Materialien zu den sozioökonomischen Bedingungen<br />
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Rüden, Peter von (Hrsg.): Beiträge zur Kulturgeschichte der deutschen Arbeiterbewegung. 1848-1918. Frankfurt<br />
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Rüden, Peter von / Koszyk, Kurt (Hrsg.): Dokumente <strong>und</strong> Materialien zur Kulturgeschichte der deutschen<br />
Arbeiterbewegung. 1848-1918. Frankfurt am Main, Wien, Zürich: Büchergilde Gutenberg, 1979.<br />
Ruf, Katharine: Bildung hat (k)ein Geschlecht. Über erzogene <strong>und</strong> erziehende Frauen. Begleitbuch zur gleichnamigen<br />
Ausstellung der Universität Stuttgart, Abteilung für Pädagogik in Kooperation mit dem<br />
Katholischen Bildungswerk Stuttgart e.V. Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien:<br />
Lang, 1998.<br />
Rühle, Otto: Illustrierte Kultur- <strong>und</strong> Sittengeschichte des Proletariats. Autorisierter Neudruck der Erstfassung<br />
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Sachse, Mirjam: „Clara Zetkins Märzentag“. In: JBzG, Jg. 3 (2004), Heft 1, S. 168-171.<br />
Sachse, Mirjam: ”Da wir nicht wählen können, so müssen wir um so mehr wühlen.” Die proletarische Frauenzeitung<br />
”Die Gleichheit” (1891 – 1923) als Beispiel weiblicher Teilhabe an Öffentlichkeit <strong>und</strong><br />
Demokratie im deutschen Kaiserreich. In: Hertzfeldt, Hella / Schäfgen, Katrin (Hrsg): Demokratie als<br />
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Sachse, Mirjam: Entwicklung <strong>und</strong> Wandel linker Frauenleitbilder im Spiegel sozialdemokratischer <strong>und</strong> kommunistischer<br />
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Sachse, Mirjam: Geschichte als Schwerpunkt politischer Frauenbildung in der proletarischen Frauenzeitschrift<br />
„Die Gleichheit“ (1891-1923). In: Franzke/Nagelschmidt, „Ich kann nicht gegen meine Überzeugung<br />
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Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich: Die Dialektik der gesellschaftlichen Praxis. Zur Genesis <strong>und</strong> Kernstruktur der<br />
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Linden-Hannover: Adolf Edel, 1895.<br />
Scholze, Siegfried: Der internationale Frauentag einst <strong>und</strong> heute. Geschichtlicher Abriss <strong>und</strong> weltweite Tradition<br />
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Christa Gürtler, Sigrid Schmid-Bortenschlager. Stuttgart: Hans-Dieter Heinz, 1992.<br />
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Soden Eugenie, von: Die deutsche Frauenbewegung, ihre Vereine <strong>und</strong> ihre Presse. In: Das Frauenbuch. Eine allgemeinverständliche<br />
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einer Reihe bewährter, sachk<strong>und</strong>iger Frauen hrsg. von Eugenie von Soden. Bd. 3: Stellung <strong>und</strong> Aufgaben<br />
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Soden, Kristine von / Schmidt, Maruta (Hrsg.): Neue Frauen: Die zwanziger Jahre. BilderLeseBuch, Berlin:<br />
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Soden, Kristine von: Frauen <strong>und</strong> Frauenbewegung in der Weimarer Republik. In: Die wilden Zwanziger, S. 111-<br />
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Thönnessen, Werner: Frauenemanzipation – Politik <strong>und</strong> Literatur der deutschen Sozialdemokratie zur Frauenbewegung<br />
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Timoschenko, Tatjana: Die Verkäuferin im Wilhelminischen Kaiserreich. Etablierung <strong>und</strong> Aufwertungsversuche<br />
eines Frauenberufes um 1900. Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Brüssel, New York, Oxford, Wien:<br />
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Tornieporth, Gerda: Proletarische Frauenleben <strong>und</strong> bürgerlicher Weiblichkeitsmythos. In: Schaeffer-Hegel,<br />
Barbara / Wartmann, Brigitte (Hrsg.): Mythos Frau. Projektionen <strong>und</strong> Inszenierungen im Patriarchat.<br />
2. Aufl., Berlin: publica, 1984, S. 309-332.<br />
Twellmann, Margit: Die deutsche Frauenbewegung. Ihre Anfänge <strong>und</strong> erste Entwicklung 1843-1889. Frankfurt<br />
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Um eine ganze Epoche voraus. 125 Jahre Kampf um die Befreiung der Frau. Hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft<br />
„Geschichte des Klassenkampfes der deutschen Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“ am Pädagogischen<br />
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Die ungeschriebene Geschichte. Historische Frauenforschung. Dokumentation des 5. Historikerinnentreffens in<br />
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Usborne, Cornelie: Representation of Abortion in Popular Culture in Weimar Germany. In: Pasteur/Niederacher/Mesner,<br />
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Wachenheim, Hedwig: Die deutsche Arbeiterbewegung 1844 bis 1914. Lizenzausgabe. Frankfurt am Main,<br />
Wien, Zürich: Büchergilde Gutenberg, 1971.<br />
Weber-Kellermann, Ingeborg: Die deutsche Familie. Versuch einer Sozialgeschichte. 7. Aufl., Frankfurt am<br />
Main: Suhrkamp, 1982.<br />
Weber-Kellermann, Ingeborg: Frauenleben im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert. Empire <strong>und</strong> Romantik, Biedermeier, Gründerzeit.<br />
München: Beck, 1983.<br />
Weber-Kellermann, Ingeborg: Landleben im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert. München: Beck, 1987.<br />
Weberling, Anja: Zwischen Räten <strong>und</strong> Parteien. Frauenbewegung in Deutschland 1918/1919. Pfaffenweiler:<br />
Centaurus, 1994.<br />
Weid, Beate: Stationen der proletarischen Frauenbewegung in Nürnberg. In: Verlaßt Euch nicht auf die Hülfe<br />
der deutschen Männer!“ – Stationen der bürgerlichen <strong>und</strong> proletarischen Frauenbewegung in Nürnberg.<br />
Hrsg. vom Feministischen Informations-, Bildungs- <strong>und</strong> Dokumentationszentrum (FIBiDoZ e.V.).<br />
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Weiland, Daniela: Geschichte der Frauenemanzipation in Deutschland <strong>und</strong> Österreich. Biographien –<br />
Programme – Organisationen. Hermes Handlexikon. Düsseldorf: Econ, 1983.<br />
Wenzel, Cornelia: Diesseits <strong>und</strong> jenseits der Ära Zetkin – Vorgängerin <strong>und</strong> Nachfolgerinnen. In: Ariadne, 1992,<br />
Nr. 22, S. 56-59.<br />
Wickert, Christl: Zwischen Familie <strong>und</strong> Parlament. Sozialdemokratische Frauenarbeit in Südniedersachsen<br />
1919-1950. Am Beispiel von Hann. Münden <strong>und</strong> Einbeck. Kassel: SOVEC, 1983.
6.1.1 AUFSÄTZE, SAMMELWERKE, QUELLENSAMMLUNGEN UND MONOGRAPHIEN<br />
Wilhelms, Kerstin: Frauenzeitschriften in der Weimarer Republik. In: Hart <strong>und</strong> zart, S. 53-60.<br />
Wilhelms, Kerstin: Frauenzeitschriften in der Weimarer Republik. In: Soden/Schmidt, Neue Frauen: Die<br />
zwanziger Jahre, S. 65-72.<br />
Wischermann, Ulla: „Wir wollen eine Zeitung für die Frau des Volkes schaffen“ – Arbeiterinnenpresse vor der<br />
„Gleichheit“. In: Ariadne, 1992, Nr. 22, S. 50-55.<br />
Wischermann, Ulla: Die Presse der radikalen Frauenbewegung. In: Feministische Studien, Jg. 3 (1984), Nr. 1, S.<br />
39-62.<br />
Wischermann, Ulla: Frauenbewegung <strong>und</strong> Öffentlichkeiten um 1900. Netzwerke – Gegenöffentlichkeiten – Protestinszenierungen.<br />
Königstein/Taunus: Helmer, 2003.<br />
Wischermann, Ulla: Frauenfrage <strong>und</strong> Presse. Frauenarbeit <strong>und</strong> Frauenbewegung in der illustrierten Presse des<br />
19. Jahrh<strong>und</strong>erts. München, New York, London, Paris: Saur, 1983.<br />
Wischermann, Ulla: Frauenpublizistik <strong>und</strong> Journalismus. Vom Vormärz bis zur Revolution von 1848. Weinheim:<br />
Deutscher Studien Verlag, 1998.<br />
Wischermann, Ulla: Interaktion von Öffentlichkeiten. Zur Geschichte der Frauenpresse im 18. <strong>und</strong> 19. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />
In: Klaus/Röser/Wischermann, Kommunikationswissenschaft <strong>und</strong> Gender Studies, S. 212-240.<br />
Wiss, Emmanuelle: Les débats sur la transformation sociale et le rôle des femmes dans „Die Gleichheit“ (1891-<br />
1914). In: Grunewald, Das linke Intellektuellenmilieu in Deutschland, seine Presse <strong>und</strong> seine<br />
Netzwerke (1890-1960), S. 75-90.<br />
Wobbe, Theresa: „Die Frauenbewegung ist keine Parteiensache“. Politische Positionen der Gemäßigten <strong>und</strong><br />
Fortschrittlichen der bürgerlichen Frauenbewegung im Kaiserreich. In: Feministische Studien, Jg. 5<br />
(1986), Nr. 2, S. 50-65.<br />
Wurms, Renate: „<strong>Von</strong> heute an gibt’s mein Programm“ – Zur Entwicklung der politischen Frauenbildungsarbeit.<br />
In: Führenberg/Koch/Redzepi/Wurms, <strong>Von</strong> Frauen für Frauen, S. 11-40.<br />
Wurms, Renate: 8. März – Internationaler Frauentag. In: FrauenBilderLeseBuch, S. 12-26.<br />
Wurms, Renate: Kein einig‘ Volk von Schwestern. 1890-1918. In: Hervé, Geschichte der deutschen Frauenbewegung,<br />
S. 36-84.<br />
Wurms, Renate: Wir wollen Freiheit, Frieden, Recht. Der Internationale Frauentag. Zur Geschichte des 8. März.<br />
Frankfurt am Main: Marxistische Blätter, 1980.<br />
Zahn-Harnack, Agnes: Die Frauenbewegung. Geschichte, Probleme, Ziele. Berlin: Deutsche Buchgemeinschaft,<br />
1928.<br />
Zerges, Kristina: Sozialdemokratische Presse <strong>und</strong> Literatur. Empirische Untersuchungen zur Literaturvermittlung<br />
in der Sozialdemokratischen Presse 1876 bis 1933. Stuttgart: Metzler, 1982.<br />
Zetkin, Clara / Duncker, Käte / Borchardt, Julian / Hohendorf, Gerd: Die Erziehung der Kinder in der proletarischen<br />
Familie. Quellen zur Pädagogik der deutschen Arbeiterbewegung aus der Zeit vor dem Ersten<br />
Weltkrieg. Berlin: Volk <strong>und</strong> Wissen, 1960.<br />
Zetkin, Clara Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands. Erstausgabe 1928. Frankfurt<br />
am Main: Roter Stern, 1971.<br />
Zetkin, Clara: Ausgewählte Reden <strong>und</strong> Schriften. Bd. 1: Auswahl aus den Jahren 1889 bis 1917. Berlin: Dietz,<br />
1957; Bd. 2: Auswahl aus den Jahren 1918 bis 1923. Berlin: Dietz, 1960; Bd. 3: Auswahl aus den<br />
Jahren 1924 bis 1933. Berlin: Dietz, 1960.<br />
739
LITERATUR<br />
740<br />
Zetkin, Clara: Der Student <strong>und</strong> das Weib (1899). In: Marxistische Blätter, 33 (1995), Nr. 3, S. 17-29 (auch in:<br />
Hervé, Florence (Hrsg.): Clara Zetkin oder: Dort kämpfen, wo das Leben ist. Berlin: Karl Dietz, 2007,<br />
S. 47-73).<br />
Zetkin, Clara: Kunst <strong>und</strong> Proletariat. Erstausgabe Stuttgart: Verlag des Bildungsausschusses, 1911. Berlin:<br />
Dietz, 1977.<br />
Zetkin, Clara: Rede – gehalten auf dem USP-Parteitag am 04.03.1919. Berlin: Rote Fahne, 1919.<br />
Zetkin, Clara: Zur Arbeiterinnen- <strong>und</strong> Frauenfrage der Gegenwart. Berlin: Berliner Volkstribüne, 1889.<br />
Ziegler, H. E.: Die Naturwissenschaft <strong>und</strong> die sozialdemokratische Theorie, ihr Verhältnis dargelegt auf Gr<strong>und</strong><br />
der Werke von Darwin <strong>und</strong> Bebel. Stuttgart: Ferdinand Enke, 1894.<br />
Zolling, Peter: Deutsche Geschichte 1871 bis zur Gegenwart. Wie Deutschland wurde, was es ist. München:<br />
Hanser, 2005.<br />
Zorn, Rita: Proletarische Frauenbildung. In: Olbrich, Arbeiterbildung nach dem Fall des Sozialistengesetzes, S.<br />
296-309.
6.1.2 Nachschlagewerke / Bibliographien / Datenbanken<br />
6.1.2 NACHSCHLAGEWERKE / BIBLIOGRAPHIEN / DATENBANKEN<br />
Asendorf, Manfred / Flemming, Jens / Müller, Achatz von / Ullrich, Volker: Geschichte. Lexikon der<br />
wissenschaftlichen Gr<strong>und</strong>begriffe. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1994.<br />
Auswertung der Zeitschrift „Die Gleichheit“ 1892-1914 nach den Stichworten „Arbeit, Bildung <strong>und</strong> Beruf“.<br />
Bearbeitet von Brigitte Robak u. Jutta Schmitt. Hrsg. von der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Frauenforschung<br />
der Gesamthochschule Kassel. Kassel 1989.<br />
Bibliographie zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung <strong>und</strong> zur Theorie <strong>und</strong> Praxis der politischen<br />
Linken: http://library.fes.de/cgi-bin/populo/bizga.pl (letzter Seitenbesuch: 10.12.2007).<br />
Bibliographie zur Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse für die Befreiung der Frau <strong>und</strong> zur<br />
Rolle der Frau in der deutschen Arbeiterbewegung. <strong>Von</strong> den Anfängen bis 1970. Bearbeitet von Ingrid<br />
u. Hans-Jürgen Arendt. Hrsg. von der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig im Auftrage<br />
der Arbeitsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse für die Befreiung der<br />
Frau“. Leipzig: Selbstverlag, 1974.<br />
Clara Zetkin. Eine Auswahlbibliographie der Schriften von <strong>und</strong> über Clara Zetkin. Berlin 1957.<br />
dtv-Atlas zur Weltgeschichte. Karten <strong>und</strong> chronologischer Abriss. 2 Bde. 23. Aufl., München: dtv, 1989.<br />
Eberlein, Alfred: Internationale Bibliographie zur deutschsprachigen Presse der Arbeiter- <strong>und</strong> sozialen<br />
Bewegungen. <strong>Von</strong> 1830 bis 1982. 2., aktual. <strong>und</strong> erw. Aufl., München, New Providence, London, Paris:<br />
Saur, 1996.<br />
Frauenalltag <strong>und</strong> Frauenbewegung im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert. Materialsammlung zu der Abteilung 20. Jahrh<strong>und</strong>ert im<br />
Historischen Museum Frankfurt. Bd. 1: Industrialisierung <strong>und</strong> weibliche Lebenserfahrung 1890-1933;<br />
Bd. 2: Frauenbewegung <strong>und</strong> die „Neue Frau“ 1890-1933; Bd. 3: Frauen im deutschen Faschismus<br />
1933-1945. Frankfurt am Main: Selbstverlag, 1980.<br />
Fricke, Dieter: Handbuch zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 1869 bis 1917. 2 Bde. 5. überarb.<br />
Aufl., Berlin: Dietz, 1987.<br />
Fuchs, Konrad / Raab, Heribert: Wörterbuch Geschichte. 11. Aufl., München: dtv, 1998.<br />
Handbuch zur deutschen Arbeiterliteratur. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold. 2 Bde. München Edition Text <strong>und</strong><br />
Kritik, 1977.<br />
Koszyk, Kurt / Eisfeld, Gerhard: Die Presse der deutschen Sozialdemokratie. Eine Bibliographie. Hannover<br />
1966.<br />
Lenz, Ilse / Szypulski, Anja / Molsich, Beate (Hrsg.): Frauenbewegungen international. Eine Arbeitsbibliographie.<br />
Opladen: Leske + Budrich, 1996.<br />
Metzler-Philosophie-Lexikon. Begriffe <strong>und</strong> Definitionen. Hrsg. von Peter Prechtl <strong>und</strong> Franz-Peter Burkhard.<br />
2. überarb. u. aktual. Aufl., Stuttgart, Weimar: Metzler, 1999.<br />
Portal zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung:<br />
http://library.fes.de/portal/arb (letzter Seitenbesuch: 10.12.2007).<br />
Proletarische Frauenbewegung des 19. & frühen 20. Jahrh<strong>und</strong>erts [Elektronische Ressource]. 19 CD-Roms. Bearbeitet<br />
von Sylvia Kubina <strong>und</strong> herausgegeben von Ulrich Naumann. Wildberg: Belser Wiss. Dienst,<br />
2004. Auch in: Online-Sammlung seltener Schriften in der Stadt- <strong>und</strong> Universitätsbibliothek Frankfurt<br />
am Main: http://frauenbewegung.stub-uni-frankfurt.de/cgi-bin/uebersicht.rb (letzter Seitenbesuch:<br />
06.12.2007).<br />
741
LITERATUR<br />
742<br />
Proletarische Frauenbewegung: Literatur- <strong>und</strong> Forschungsdokumentation 1982-1986. Bearbeitet von Marit<br />
Borcherding u. Hannelore Schott. Hrsg. vom Informationszentrum Sozialwissenschaften in Zusammenarbeit<br />
mit der Friedrich-Ebert-Stiftung – Bibliothek der sozialen Demokratie. Bonn: Informationszentrum<br />
Sozialwissenschaften, 1988.<br />
Seywald, Aiga: Die Presse der sozialen Bewegungen: 1918 – 1933. Linksparteien, Gewerkschaften, Arbeiterkulturbewegung,<br />
Anarchismus, Jugendbewegung, Friedensbewegung, Lebensreform, Expressionismus.<br />
Kommentiertes Bestandsverzeichnis deutschsprachiger Periodika im Institut zur Erforschung der<br />
Europäischen Arbeiterbewegung (Bochum), im Institut für Zeitungsforschung der Stadt Dortm<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />
im Fritz-Hüser-Institut für Deutsche <strong>und</strong> Ausländische Arbeiterliteratur der Stadt Dortm<strong>und</strong>. Essen:<br />
Klartext, 1994.<br />
Verzeichnis der in Deutschland erscheinenden Frauenzeitschriften <strong>und</strong> der außerhalb des „B<strong>und</strong>es deutscher<br />
Frauenvereine“ organisierten Frauenvereine, nebst einem Anhang internationaler Frauenzeitschriften<br />
<strong>und</strong> Frauenorganisationen. Hrsg. vom Propaganda-Ausschuß des Deutschen Frauenstimmrechtsb<strong>und</strong>es.<br />
München 1917.<br />
Wahrig. Deutsches Wörterbuch. Neuausgabe. Gütersloh: Bertelsmann, 1997.<br />
ZDB: Zentrale Zeitschriftendatenbank: www.zdb-opac.de (letzter Seitenbesuch: 12.12.2008)
6.1.3 Protokolle<br />
1<br />
6.1.3 PROTOKOLLE<br />
Berichte für die Erste Internationale Konferenz sozialistischer Frauen. Abgehalten in Stuttgart am Sonnabend<br />
den 17. August 1907 vormittags 9 Uhr in der Liederhalle. Berlin: Verlag von Ottilie Baader, o.J.<br />
Berichte an die Zweite Internationale Konferenz sozialistischer Frauen zu Kopenhagen am 26. <strong>und</strong> 27. August<br />
1910. Hrsg. von Clara Zetkin-Z<strong>und</strong>el. Stuttgart: Paul Singer, 1910.<br />
Berichte der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands in den Protokollen über die Verhandlungen des<br />
Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (1902-1908 – in chronologischer<br />
Reihenfolge)<br />
Baader, Ottilie: Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands. In: Protokoll des SPD-<br />
Parteitages München 1902, S. 39-40.<br />
Baader, Ottilie: Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands. In: Protokoll des SPD-<br />
Parteitages Dresden 1903, S. 49-52.<br />
Baader, Ottilie: Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands von Anfang August 1903<br />
bis Ende Juli 1904. In: Protokoll des SPD-Parteitages Bremen 1904, S. 56-59.<br />
Baader, Ottilie: Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands von Anfang August 1904<br />
bis Ende Juli 1905. In: Protokoll des SPD-Parteitages Jena 1905, S. 64-69.<br />
Baader, Ottilie: Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands für die Zeit von August<br />
1905 bis Ende Juli 1906. In: Protokoll des SPD-Parteitages Mannheim 1906, S. 68-75.<br />
Baader, Ottilie: Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands für die Zeit vom August<br />
1906 bis Ende Juli 1907. In: Protokoll des SPD-Parteitages Essen 1907, S. 103-112.<br />
Baader, Ottilie: Bericht der Vertrauensperson der Genossinnen Deutschlands für die Zeit vom August<br />
1907 bis Ende Juli 1908. In: Protokoll des SPD-Parteitages Nürnberg 1908, S. 99-116.<br />
Handbuch der sozialdemokratischen Parteitage von 1863-1909. Bearbeitet von Wilhelm Schröder. München: G.<br />
Birk & Co., 1910. Neudruck des Zentralantiquariats der Deutschen Demokratischen Republik. Leipzig<br />
1974.<br />
Handbuch der sozialdemokratischen Parteitage von 1910-1913. Bearbeitet von Wilhelm Schröder. München: G.<br />
Birk & Co., [1917]. Neudruck des Zentralantiquariats der Deutschen Demokratischen Republik.<br />
Leipzig 1974.<br />
Protokoll des Internationalen Arbeiter-Congresses zu Paris. Abgehalten vom 14. bis 20. Juli 1889. Deutsche<br />
Uebersetzung. Nürnberg: Wörlein & Comp., 1890. In: Kongreß-Protokolle der Zweiten Internationale.<br />
2 Bde., Bd. 1: Paris 1889 – Amsterdam 1904. Glashütten im Taunus: Auvermann, 1975.<br />
Protokolle der Sitzungen des Parteiausschusses der SPD, 1912 bis 1921. Nachdrucke hrsg. von Dieter Dowe; 2<br />
Bde.; inkl. Protokoll der Parteikonferenz Weimar 22.-23. März 1919 <strong>und</strong> Protokoll der SPD-Reichskonferenz<br />
Berlin 5.-6. Mai 1920; Berlin, Bonn: J. H. W. Dietz Nachf., 1980.<br />
Protokolle über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (1890-1927 –<br />
in chronologischer Reihenfolge) 1 :<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Halle a. S. 12.-18. Oktober 1890.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Erfurt 14.-20. Oktober 1891.<br />
Im Text wurden die Protokolle jeweils zitiert: Protokoll des SPD-Parteitages Ort Jahr, Seite.<br />
743
LITERATUR<br />
744<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Berlin 14.-21. November 1892.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Köln 22.-28. Oktober 1893.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Frankfurt a. M. 21.-27. Oktober 1894.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Breslau 6.-12. Oktober 1895.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Gotha 11.-16. Oktober 1896.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Hamburg 3.-9. Oktober 1897.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Stuttgart 3.-8. Oktober 1898.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Hannover 9. bis 14. Oktober 1899.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Mainz 17.-21. September 1900 / Darin enthalten: Bericht über die<br />
1. sozialdemokratische Frauenkonferenz am 16. <strong>und</strong> 17. September 1900, S: 247-257.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Lübeck 22.-28. September 1901.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in München 14.-20. September 1902 / Darin enthalten: Bericht über die<br />
2. sozialdemokratische Frauenkonferenz am 13. <strong>und</strong>14. September 1902, S. 288-308.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Dresden 13.-20. September 1903.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Bremen 18.-24. September 1904 / Darin enthalten: Bericht über die<br />
3. sozialdemokratische Frauenkonferenz am 17. <strong>und</strong> 18. September 1904, S. 328-374.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Jena 17.-23. September 1905.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Mannheim 23.-29. September 1906 / Darin enthalten: Bericht über<br />
die 4. sozialdemokratische Frauenkonferenz am 22. <strong>und</strong> 23. September 1906, S. 396-470.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Essen 15.-21. September 1907.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Nürnberg 13.-19. September 1908 / Darin enthalten: Bericht über die<br />
5. sozialdemokratische Frauenkonferenz am 11. <strong>und</strong> 12. September 1908, S. 464-545.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Leipzig 12.-18. September 1909.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Magdeburg18.-24. September 1910.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Jena 10.-16. September 1911 / Darin enthalten: Bericht über die<br />
6. sozialdemokratische Frauenkonferenz am 8. <strong>und</strong> 9. September 1911, S. 414-463.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Chemnitz 15.-21. September 1912.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Jena 14.-20. September 1913.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Berlin 21.-23. September 1916.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Würzburg 14.-20. Oktober 1917 / Darin enthalten: Bericht des Parteivorstandes<br />
an den SPD-Parteitag in Würzburg 1914, Anhang 1, S. 1-47.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Weimar 10.-15. Juni 1919 / Darin enthalten: Bericht über die<br />
7. sozialdemokratischen Frauenkonferenz am 15. <strong>und</strong> 16. Juni 1919, S. 458-504.
6.1.3 PROTOKOLLE<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Kassel 10.-16. Oktober 1920 / Darin enthalten: Bericht über die<br />
Frauenkonferenz der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands am 9.-10. Oktober 1920, S. 336-420.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Görlitz 18.-24. September 1921 / Darin enthalten: Bericht über den<br />
Reichsfrauentag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands am 17. <strong>und</strong> 18. September 1921 in Görlitz,<br />
80 Seiten.<br />
Protokolle der Parteitage von SPD (in Augsburg 17.-23. September 1922), USPD (in Gera 20.-<br />
23. September 1920) <strong>und</strong> des Einigungsparteitages (in Nürnberg 24. September 1922).<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Berlin 11.-14. Juni 1924 / Darin enthalten: Bericht über den Reichsfrauentag<br />
der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands am 15. Juni 1924, S. 219-248.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Heidelberg 13.-14. September 1925 / Darin enthalten: Bericht über<br />
die Reichsfrauenkonferenz der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 19. September 1925, S. 327-<br />
374.<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Kiel vom 27.-29 Mai 1927 / Darin enthalten: Bericht über die Reichsfrauenkonferenz<br />
27. Mai 1927, S. 297-374.<br />
Verlag: 1890: Berlin: „Berliner Volksblatt“ / 1891-1893: Berlin: „Vorwärts“ Berliner Volksblatt / 1894-<br />
1895: Berlin: „Vorwärts“ / 1896-1910: Berlin: Buchhandlung Vorwärts / 1911-1913: Berlin: Buchhandlung<br />
Vorwärts Paul Singer / 1917-1922: Glashütten im Taunus: Detlev Auvermann; Berlin, Bonn,<br />
Bad Godesberg: J. H. W. Dietz Nachf 1973/ 1920: Buchhandlung Vorwärts / 1916+1924-1927:<br />
Glashütten im Taunus: Detlev Auvermann; Berlin, Bonn, Bad Godesberg: J. H. W. Dietz Nachf. 1974.<br />
745
LITERATUR<br />
6.1.4 Graue Literatur<br />
746<br />
Dang, Anton: Die sozialdemokratische Presse Deutschlands. Dissertation Universität Frankfurt am Main, 1928.<br />
Dapprich, Anne: Frauenbildung in der bürgerlichen <strong>und</strong> proletarischen Frauenbewegung <strong>und</strong> deren Zusammenhang<br />
mit der körperlichen Bildung von Frauen (1871-1920). Diplomarbeit Universität Bielefeld, 1983.<br />
Eichhorn, Beate: Die sozialistische Frauenbewegung im Spiegel der „Gleichheit“ (1914-1917). Diplomarbeit<br />
Universität Wien, 1992.<br />
Eisenlohr, Sibylle / Kaschuba, Gerrit / Maurer, Susanne: Das Banner der Frauen ist allumfassend. Emanzipationskonzepte<br />
bürgerlicher <strong>und</strong> proletarischer Frauenbewegungen in Deutschland um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende,<br />
am Beispiel der Position der Vereinbarkeit von Mutterschaft <strong>und</strong> Beruf. Diplomarbeit<br />
Eberhard-Karls-Universität Tübingen, 1983.<br />
Friese, Gisela: Die alte Frauenbewegung in Deutschland – unter besonderer Berücksichtigung der proletarischen<br />
Frauenbewegung von ihren Anfängen bis 1918. Examensarbeit Technische Universität Braunschweig,<br />
1980.<br />
Frieße, Barbara: Zur bildungspolitischen <strong>und</strong> pädagogischen Tätigkeit der proletarischen Frauenbewegung von<br />
der Jahrh<strong>und</strong>ertwende bis 1909, dargestellt auf der Gr<strong>und</strong>lage der „Gleichheit“. Dissertation Pädagogische<br />
Hochschule Dresden, 1977.<br />
Haas, Inka: Gebärstreik im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert. Weibliche Strategien gegen den Gebärzwang. Diplomarbeit Universität<br />
Siegen, 1996.<br />
Hagedorn, Regine: Die Arbeits- <strong>und</strong> Lebensbedingungen Bielefelder Textil- <strong>und</strong> Bekleidungsarbeiterinnen <strong>und</strong><br />
ihr Organisationsverhalten 1890-1914. Magisterarbeit Universität Bielefeld, 1984.<br />
Herrmann, Friederieke: Die Auseinandersetzung zwischen sozialdemokratischer <strong>und</strong> radikaler bürgerlicher<br />
Frauenbewegung um die Forderung nach Frauenstimmrecht. Ein Beispiel für Emanzipationskonzepte<br />
zwischen Klasse <strong>und</strong> Geschlecht (1895-1918). Magisterarbeit Universität Hamburg, 1991.<br />
Holtsteger, Brigitta: Frauen gegen den Krieg – proletarische <strong>und</strong> bürgerliche Frauen in der Friedensbewegung<br />
von 1910 bis 1918. Diplomarbeit Hochschule für Wirtschaft <strong>und</strong> Politik Hamburg, 1982.<br />
Krug, Michaela: „Die Zwillingsschwester des Krieges ist die Not“ – Zum Diskurs über Weiblichkeit <strong>und</strong> Krieg<br />
in der Zeit des Ersten Weltkrieges. Exemplarisch dargestellt am Beispiel der Zeitschriften „Die Frau“<br />
<strong>und</strong> „Die Gleichheit“. Magisterarbeit Universität Hannover, 2004.<br />
Nickusch, Gabriele / Schröter, Ursula: Das programmatische Scheitern proletarischer Frauenemanzipation. Probleme<br />
sozialistischer Frauenpolitik vor dem Ersten Weltkrieg. Diplomarbeit Pädagogische Hochschule<br />
Berlin, 1980.<br />
Pauls, Maria: Die deutschen Frauenorganisationen. Eine Übersicht über den Bestand, die Ursprünge <strong>und</strong> die<br />
kulturellen Aufgaben. Dissertation Rheinisch-Westfälische Universität Aachen, 1966.<br />
Pommerenke, Petra: Organisation <strong>und</strong> Bewegung. Die Frauenwohl-Vereine 1888-1914. Magisterarbeit Universität<br />
Frankfurt am Main, 1996.<br />
Pore, Renate E.: The German social democratic Womens’s movement 1919 – 1933. Dissertation West Virginia<br />
University Morgantown, 1977.<br />
Quataert, Jean H.: The German Socialist Women’s Movement 1890 – 1918. Issues, International Conflicts and<br />
the Main Personages. Dissertation University of California Berkeley, 1974.
6.1.4 GRAUE LITERATUR<br />
Reimann, Katja / Sander, Birgit: Dienstbotinnen im Deutschen Kaiserreich – Leben, Arbeit <strong>und</strong> Organisation im<br />
Spiegel des Diskurses der Ersten deutschen Frauenbewegung. Studienarbeit Universität Gesamthochschule<br />
Kassel, 1999.<br />
Sachse, Mirjam: ”Heraus, ihr Frauen der Arbeit, erwacht“ – Entwürfe politischer Frauenbildung im Spiegel der<br />
proletarischen Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ (1891-1923). Magisterarbeit Universität Gesamthochschule<br />
Kassel, 2000.<br />
Sauer, Else: Die Entwicklung der bürgerlichen Frauenbewegung von der Gründung des B<strong>und</strong>es Deutscher<br />
Frauenvereine 1894 bis zum ersten Weltkrieg. 2 Bde. Dissertation Universität Leipzig, 1969.<br />
Schulze, Regina: Die proletarische Mutter als sozialistische Erzieherin – dargestellt auf der Gr<strong>und</strong>lage der<br />
Beilage zur „Gleichheit“ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ von 1905 bis 1917. Dissertation Pädagogische<br />
Hochschule Dresden, 1987.<br />
Schwarz, Ingelene: Wesenszüge der modernen deutschen Frauenzeitschrift. Dissertation Freie Universität Berlin,<br />
1956.<br />
Strain, Jaqueline: Feminism and Political Radicalism in the German Social Democratic Movement, 1890-1914.<br />
Dissertation University of California Berkeley, 1964.<br />
Suchhardt-Knierim, Birgit: Zur Bedeutung der Mütterlichkeit in der Frauenrolle des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts. Hausarbeit<br />
Gesamthochschule Kassel, 1984.<br />
Vormschlag, Elisabeth: Inhalte, Leitbilder <strong>und</strong> Funktionen politischer Frauenzeitschriften der SPD, der USPD,<br />
der KPD in den Jahren 1890-1933 <strong>und</strong> der NSDAP in den Jahren 1932-1945. Dissertation Georg-<br />
August-Universität Göttingen, 1970.<br />
747
LITERATUR<br />
6.1.5 Zeitschriften<br />
748<br />
Die Arbeiterin. Zeitschrift für die Interessen der Frauen <strong>und</strong> Mädchen des arbeitenden Volkes. Organ aller auf<br />
dem Boden der modernen Arbeiterbewegung stehenden Vereinigungen der Arbeiterinnen. Probenummer<br />
(20.12.1890); Jg. 1 (1891). Hrsg. von Emma Ihrer (Velten). Hamburg: E. Jensen, 1.1890, Nr.<br />
1-14; Hamburg: Fr. Meyer, 1.1891, Nr. 14-51 [Im Bestand der Stiftung Archiv der deutschen<br />
Frauenbewegung, Kassel: Probenummer (20.12.1890); Jg. 1 (1891) / Nr. 1-26; Nr. 33; Nr. 34; Nr. 38;<br />
Nr. 39; Nr. 45-51].<br />
Archiv für die Geschichte des Widerstandes <strong>und</strong> der Arbeit (AGWA). Hrsg. von Wolfgang Braunschädel <strong>und</strong><br />
Johannes Materna. 1.1908-17.2003 (unregelmäßiges Erscheinen).<br />
Archiv für Sozialgeschichte. 1.1961- .<br />
Ariadne – Forum für Frauen- <strong>und</strong> Geschlechtergeschichte. Hrsg. von der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung.<br />
Bis 37/38.2000 mit dem Zusatz „Almanach des Archivs der deutschen Frauenbewegung“.<br />
1985, Nr. 1-.<br />
Nr. 2: [Bildung]. Kassel 1985.<br />
Nr. 20: Mentor oder Märchenonkel? Der „neue Mann“ in der alten Frauenbewegung. Kassel 1991.<br />
Nr. 22: „Ich habe nicht ein Amt, sondern eine Meinung“ – 100 Jahre „Die Gleichheit“ (1892-1923).<br />
Kassel 1992.<br />
Nr. 45/46: „Jüdisch-sein, Frau-sein, B<strong>und</strong>-sein“ – Der Jüdische Frauenb<strong>und</strong> 1904-2004. Kassel 2004.<br />
Augias. Germanistisches Institut der Universität Aarhus. 1.1981-65.2005.<br />
Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. 1.1977-29.1990. N.F. 1.1991-2.1992; 1993- .<br />
BzG: Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung.<br />
Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. 1.1959-4.1962. Hrsg. vom Institut für<br />
Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands.<br />
Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung. 5.1963-33.1991. Hrsg. vom Institut für Geschichte der<br />
Arbeiterbewegung.<br />
Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung. 34.1992- 2003.<br />
Central European History. 1.1968-.<br />
Diesseits. Zeitschrift für Kultur, Politik <strong>und</strong> Freidenkertum. 1.1987-4.1990<br />
Ergebnisse. Zeitschrift für demokratische Geschichtswissenschaft. 1.1978-50./51.1990.<br />
Die Feder – Zeitschrift der IG Druck <strong>und</strong> Papier für Journalisten <strong>und</strong> Schriftsteller. 1.1952-19.1971; (Bd. 20<br />
wurde in der Zählung übersprungen) 21.1972-38.1989.<br />
Feministische Studien. Zeitschrift für interdisziplinäre Frauen- <strong>und</strong> Geschlechterforschung. 1.1982/83-5.1986;<br />
6.1988-.<br />
Die Frau im Staat: eine Monatsschrift. 1.1919-15.1933.<br />
Die Frau von heute. 1.1946-16.1962. Hrsg. vom B<strong>und</strong>esvorstand des Demokratischen Frauenb<strong>und</strong>es<br />
Deutschlands.
6.1.5 ZEITSCHRIFTEN<br />
Frauen in der Geschichte. Zeitschrift des Vereins „Frauen in der Geschichte“ e.V. Leipzig.1992-1994; (1995<br />
nicht erschienen) 1996-1997. Leipzig: 1992-1994; Hamburg: 1996-1997.<br />
Frauenwelt: eine Halbmonatsschrift. 1.1924-10.1933, 5.<br />
Die Genossin – SPD-Informationsblatt für Funktionärinnen. 1.1924-10.1933, 4; 10.1947, 5-12.1949, 11.<br />
German Life and Letters. 1.1936/37-4.1939; N. F. 1.1947/48-.<br />
Geschichte <strong>und</strong> Gesellschaft. Zeitschrift für historische Sozialwissenschaft. 1.1975-.<br />
Die Gleichheit. 2.1891, Probenummer (28. Dezember 1891); 2.1892, Nr. 1 (1. Januar 1892)-33.1923, Nr. 17<br />
(1. September 1923).<br />
Untertitel:<br />
2.1891, Probenummer -27.1916/17, Nr. 17:<br />
„Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen“;<br />
27.1916/17, Nr. 18-29.1918/19, Nr. 31:<br />
„Zeitschrift für Arbeiterinnen <strong>und</strong> Arbeiterfrauen“;<br />
29.1918/19, Nr. 32-32.1922, Nr. 31:<br />
„Zeitschrift für die Frauen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands”;<br />
32.1922, 21-1923:<br />
„Zeitschrift für die Frauen <strong>und</strong> Mädchen des werktätigen Volkes“.<br />
Beilagen:<br />
15.1905, 1-16.1906,26: „Frauen-Beilage“;<br />
17.1907, Nr. 1-27.1916/17, Nr. 17: „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“;<br />
29.1918/19, Nr. 19-32.1922, Nr. 7: „Die Frau <strong>und</strong> ihr Haus“<br />
15.1905, Nr. 1-32.1922, Nr. 2: „Für unsere Kinder“;<br />
32.1922, Nr. 3-1923, Nr. 17: „Kinderland“<br />
Verlag:<br />
2.1891, Probenummer-7.1897, 15: Stuttgart: J.H.W. Dietz;<br />
7.1897, 16-14.1904, Nr. 27: Stuttgart: J.H.W. Dietz Nachf. G.m.b.H.;<br />
15.1905, Nr. 1-21.1910/11, Nr. 14: Stuttgart: Paul Singer;<br />
21.1910/11, Nr. 15-29.1918/19, Nr. 19: Stuttgart: J.H.W. Dietz Nachf. G.m.b.H.;<br />
29.1918/19, Nr. 20-32.1923, Nr. 17: Berlin: Buchhandlung „Vorwärts“ Paul Singer G.m.b.H.<br />
Handbuch des Vereins Arbeiterpresse. Herausgegeben vom Vorstand des Vereins Arbeiterpresse. 3.1914.<br />
-4.1927 [?].<br />
IPK: Internationale Presse Korrespondenz (1921-1937).<br />
IWK: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung.<br />
[7.]1971-[9.]1973 = Nr. 11/12-19/20; 10.1974-.<br />
Jahrbuch für Demokratie- <strong>und</strong> Arbeitergeschichte. Hrsg. von der Franz Mehring Gesellschaft. 1.1980-4./5.1985.<br />
Jahrbuch für Erziehungs- <strong>und</strong> Schulgeschichte. Hrsg. von der Kommission für Deutsche Erziehungs- <strong>und</strong> Schulgeschichte<br />
der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der Deutschen Demokratischen Republik.<br />
1.1961-30.1990.<br />
Jahrbuch für Historische Bildungsforschung. Hrsg. von der Sektion Historische Bildungsforschung der<br />
Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft. 1.1993-.<br />
JbKG: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte. 1.1999-.<br />
749
LITERATUR<br />
750<br />
JbzG: Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Hrsg. vom Förderverein für Forschungen<br />
zur Geschichte der Arbeiterbewegung. 2002-2004; 3.2005, Nr. 1; 4.2005,2- (erscheint<br />
dreimal jährlich).<br />
Die Kommunistische Fraueninternationale. 1.1921-5.1925, Nr. 5/6. Ursprünglich von Clara Zetkin im Auftrag<br />
der Exekutive der III. Internationale <strong>und</strong> des Internationalen Kommunistischen Frauensekretariats<br />
herausgegeben. Reprint, Frankfurt am Main: VTK-Verlag, 1983.<br />
Leipziger Volkszeitung. 1894-.<br />
Lernen <strong>und</strong> Handeln. Funktionärsorgan des Demokratischen Frauenb<strong>und</strong>es Deutschlands. Hrsg. vom B<strong>und</strong>esvorstand<br />
des Demokratischen Frauenb<strong>und</strong>es Deutschland. 1.1950-1990, Nr. 2.<br />
m&z: Medien & Zeit – Kommunikation in Vergangenheit <strong>und</strong> Gegenwart. Hrsg. vom Verein Arbeitskreis für<br />
historische Kommunikationsforschung. [1.]1986-.<br />
Marxistische Blätter. 1.1963-.<br />
Mitteilungsblatt der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der deutschen Arbeiterklasse um die<br />
Befreiung der Frau“. Hrsg. von der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der deutschen<br />
Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“ an der Sektion Geschichte der Pädagogischen Hochschule<br />
„Clara Zetkin“ Leipzig. 1970, Nr. 1-1976, Nr. 11; 1977-1989.<br />
Mitteilungsblatt des Forschungszentrums „Frauen in der Geschichte“ an der Sektion Geschichte an der<br />
Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig. 1990-1991. Leipzig.<br />
Die Neue Gesellschaft. 1.1954-31.1984.<br />
Die Neue Zeit. 1.1883-41.1922/23, 10. (Generalregister der „Neuen Zeit“ – Wochenschrift der deutschen<br />
Sozialdemokratie. Teil 1: 1883-1902. Stuttgart: Paul Singer, 1905. Teil 2: 1903-1907. Stuttgart: Paul<br />
Singer, 1908. Teil 3: 1908-1912. Stuttgart: J. H. W. Dietz Nachf., 1914. Teil 4: 1912-1923.<br />
Vaduz/Liechtenstein: Topos, 1978 (Teile 1-3 bearbeitet von Emanuel Wurm; Teil 4 von Miroslav Tucek<br />
<strong>und</strong> Alfred Eberlein)).<br />
Das Parlament. Hrsg. vom Deutschen B<strong>und</strong>estag. 1.1951-.<br />
Rote Revue. Sozialdemokratische Zeitschrift für Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> Kultur. Hrsg. von der Sozialdemokratischen<br />
Partei der Schweiz. 1.1921/22-45.1966; 68.1989,9-70.1991,6; 71.1993-.<br />
Die Sozialistischen Monatshefte. 1=3.1897-16=18.1912 (Doppelzählung vom Vorgänger „Der sozialistische<br />
Akademiker“ übernommen, ab 1913 Zählung vom Vorgänger fortgesetzt); 19.1913-21.1915; 22.1916-<br />
38.1932=Bd. 44-76; 39.1933, Nr. 1-2= Bd. 77.<br />
Sozialistische Tribüne. Zeitschrift für sozialistische Theorie. 1979-1985.<br />
Sperlings Zeitschriften-Adressbuch. Handbuch der deutschen Presse – die wichtigsten Zeitschriften <strong>und</strong> politischen<br />
Zeitungen Deutschlands, Österreichs <strong>und</strong> des Auslandes. Hrsg. vom Börsenverein der Deutschen<br />
Buchhändler. 41.1902-51.1925.<br />
Staatsanzeiger für Baden Württemberg. Landespolitische Wochenzeitung. 1.1952-53.2004.<br />
Die Staatsbürgerin. Organ für die Interessen der Arbeiterinnen <strong>und</strong> der Central-Kranken- <strong>und</strong> Begräbnißkasse<br />
für Frauen <strong>und</strong> Mädchen in Deutschland. Offenbach: Carl Ulrich. 1.1886, Nr. 1 (11. April) – Nr. 24 (6.<br />
Juni).<br />
Die Süddeutschen Monatshefte. 1.1904-8.1911, Nr. 9; 9.1911/12-11.1913714; [12.]1914/15-[15.]1917/18;<br />
16.1918/19-33.1935/36.
6.1.5 ZEITSCHRIFTEN<br />
Südschwäbische Nachrichten. Magazin für Politik <strong>und</strong> Kultur in der Region Oberschwaben, Bodensee, Allgäu.<br />
Hrsg. von Südschwäbische Nachrichten, Ravensburg e.V., 1989-1991.<br />
TAJB: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte. Hrsg. vom Minerva-Institut für Deutsche Geschichte,<br />
Universität Tel Aviv. 16.1987-.<br />
Wissenschaftliche Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig. 1976-1990, Nr. 1.<br />
Die Zeit. Wochenzeitung für Politik, Wirtschaft, Wissen <strong>und</strong> Kultur. 1.1946-.<br />
751
6.2 Biographische Literatur<br />
6.2.1 Für die biographische Recherche verwendete Monographien, Nachschlage-,<br />
Sammelwerke <strong>und</strong> Datenbanken<br />
Am Anfang war Sigema. Ein Nürnberger Frauengeschichtsbuch. Cadolzburg: ars vivendi, 1999.<br />
Bäumer, Gertrud: Frauen der Tat – Gestalt <strong>und</strong> Wandel. Tübingen: Rainer W<strong>und</strong>erlich Verlag Hermann Leins,<br />
1959.<br />
Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. Bd. 1: Politik, Wirtschaft, Öffentliches<br />
Leben. Hrsg. vom Institut für Zeitgeschichte München <strong>und</strong> von der Research Fo<strong>und</strong>ation for Jewish<br />
Immigration, Inc., New York; München, New York, London, Paris: K. G. Saur, 1980.<br />
Biographisches Lexikon der ÖTV <strong>und</strong> ihrer Vorläuferorganisationen. Hrsg. von Rüdiger Zimmermann. Bonn:<br />
Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, 1998: http://library.fes.de/fulltext/bibliothek/tit00205/00205<br />
toc.htm (letzter Seitenbesuch: 10.12.2007).<br />
BIOSOP-Online. Biographien sozialdemokratischer Parlamentarier in den deutschen Reichs- <strong>und</strong> Landtagen<br />
1867-1933: http://biosop.zhsf.uni-koeln.de (letzter Seitenbesuch: 10.12.2007).<br />
BIOWEIL. Kollektive Biographie der Landtagsabgeordneten der Weimarer Republik 1918-1933: http://hsrtrans.zhsf.uni-koeln.de/quantum/bioweil/index.html<br />
(letzter Seitenbesuch: 10.12.2007).<br />
Blos, Anna: Die Frauen der deutschen Revolution 1848. Dresden: Kaden, 1928.<br />
Blos, Anna: Die Frauen in Schwaben. Fünfzehn Lebensbilder. Stuttgart: Silberburg, 1929.<br />
Bock, Helmut / Ruge, Wolfgang / Thoms, Marianne (Hrsg.): Gewalten <strong>und</strong> Gestalten. Miniaturen <strong>und</strong> Porträts<br />
zur deutschen Novemberrevolution 1918/1919. Leipzig, Jena, Berlin: Urania, 1978.<br />
Brehmer, Ilse (Hrsg.): Mütterlichkeit als Profession? Lebensläufe deutscher Pädagoginnen in der ersten Hälfte<br />
dieses Jahrh<strong>und</strong>erts. Pfaffenweiler: Centaurus, 1990.<br />
Brehmer, Ilse / Ehrich, Karin (Hrsg.): Mütterlichkeit als Profession? Lebensläufe deutscher Pädagoginnen in der<br />
ersten Hälfte dieses Jahrh<strong>und</strong>erts. Bd. 2: Kurzbiographien. Pfaffenweiler: Centaurus, 1993.<br />
Brinker-Gabler, Gisela (Hrsg.): Deutsche Literatur von Frauen. 2 Bde., Bd. 2: 19. <strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />
München: Beck, 1988.<br />
Buhle, Mari Jo: Women and American Socialism, 1870-1920. Urbana, Chicago, London: University of Illinois<br />
Press, 1981.<br />
Central Database of Shoah Victim’s Names: http://www.yadvashem.org (letzer Seitenbesuch: 16.10.2008)<br />
Demokratische Wege: deutsche Lebensläufe aus fünf Jahrh<strong>und</strong>erten. Hrsg. <strong>Von</strong> Manfred Asendorf <strong>und</strong> Rolf von<br />
Bockel. Stuttgart, Weimar: Metzler, 1997.<br />
Die Deutsche Nationalversammlung im Jahre 1919 – in ihrer Arbeit für den Aufbau des neuen deutschen<br />
Volksstaates. Hrsg. von Eduard Heilfron. 8 Bde. Berlin: Norddeutsche Buchdruckerei <strong>und</strong> Verlagsanstalt,<br />
1919[-1921].<br />
753
LITERATUR<br />
754<br />
Deutsches Biographisches Archiv (DBA) – Mikrofiche-Editition hrsg. von Willi Gorzny (Kumulation aus 284<br />
der wichtigsten biographischen Nachschlagewerke für den deutschsprachigen Bereich bis zur Mitte des<br />
20. Jahrh<strong>und</strong>erts), 1989. Unter anderem darin enthaltene Sammelwerke: Deutsches Zeitgenossen-<br />
Lexikon. Hrsg. von Franz Neubert, 1905; Literarische Silhouetten. Hrsg. von Heinz Voss <strong>und</strong> Bruno<br />
Vogler, Ausgabe 1907; Wer ist’s? Unsere Zeitgenossen. Hrsg. von Hermann A.L. Degener. 4. Ausgabe<br />
1909; Reichstags-Handbuch 1890-1912, Legislaturperiode 13, 1912; Wininger, Salomon: Große<br />
jüdische Nationalbiographie, Bd. 2, 1917; Handbuch der verfassunggebenden Nationalversammlung,<br />
Weimar 1919; Reichstags-Handbuch 1920-1933, 1. Wahlperiode 1920, 4. Wahlperiode 1928,<br />
8. Wahlperiode 1933; Wer ist’s? Unsere Zeitgenossen. Hrsg. von Hermann A.L. Degener, 9. Ausgabe<br />
1928; Das Deutsche Reich von 1918 bis heute. Hrsg. von Cuno Horkenbach, Jg. 1930; Reichshandbuch<br />
der deutschen Gesellschaft, Bd. 1, 1930; Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft, Bd. 2, 1931; Wer<br />
ist’s? Unsere Zeitgenossen. Hrsg. von Hermann A.L. Degener, 10. Ausgabe 1935; Steimel, Robert:<br />
Kölner Köpfe, 1958<br />
Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch. 3., völlig neu bearb. Aufl., Bern,<br />
München: Francke. Bd. 1 (1968)-Bd. 28 (2008: Walsh-Wedegänger).<br />
Digitale Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES): http:// library.fes.de (letzter Seitenbesuch 12.12.2008)<br />
Erziehung <strong>und</strong> Bildung des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts. Eine kommentierte Quellensammlung zur Bildungs- <strong>und</strong><br />
Berufsbildungsgeschichte von Mädchen <strong>und</strong> Frauen. Hrsg. von Elke Kleinau <strong>und</strong> Christine Mayer. 2<br />
Bde. Weinheim: Deutscher Studien Verlag, 1996.<br />
Federn, Etta: Revolutionär auf ihre Art: <strong>Von</strong> Angelica Balabanoff bis Madame Roland. 12 Skizzen<br />
unkonventioneller Frauen. Hrsg., übers. <strong>und</strong> ergänzt von Marianne Kröger. Gießen: Psychosozialer-<br />
Verlag, 1997.<br />
Figner, Vera: Nacht über Russland. Lebenserinnerungen einer russischen Revolutionärin. Reinbek bei Hamburg:<br />
Rowohlt, 1988.<br />
Die Frau in der Arbeiterbewegung 1900-1939. Internationale Tagung der Historiker der Arbeiterbewegung<br />
(14. Linzer Konferenz 1978). 2 Bde. Wien: Europaverlag, 1980.<br />
Frauen auf die Straßen(-)schilder!“. Hrsg. von der Landeshauptstadt Dresden, der Gleichstellungsbeauftragten<br />
für Frau <strong>und</strong> Mann <strong>und</strong> FrauenBildungsHaus Dresden e.V., Dresden 2007.<br />
Frauen <strong>und</strong> Revolution. Strategien weiblicher Emanzipation 1789 bis 1848. Hrsg. von Frauen & Geschichte<br />
Baden-Württemberg; Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg; Haus der Geschichte<br />
Baden-Württemberg. Tübingen: Silberburg-Verlag, 1998.<br />
Frauen. Porträts aus zwei Jahrh<strong>und</strong>erten. 3. Aufl., Stuttgart: Kreuz, 1985.<br />
Frederiksen, Elke: Women Writers of Germany, Austria and Switzerland. An Annotated Bio-Bibliographical<br />
Guide. New York, Westport (Connecticut), London: Greenwood Press, 1989.<br />
Friedrich, Cäcilia (Hrsg.): Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen. Berlin: Akademie, 1966.<br />
Gerhard, Ute: Unerhört – Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung. Hamburg: Rowohlt, 1996.<br />
Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon. Hrsg. vom Institut für Marxismus-<br />
Leninismus beim ZK der SED. Berlin: Dietz, 1970.<br />
Hagemann, Karen / Kolossa, Jan: Gleiche Rechte – Gleiche Pflichten? Der Frauenkampf für „staatsbürgerliche“<br />
Gleichberechtigung. Ein Bilder-Lese-Buch zu Frauenalltag <strong>und</strong> Frauenbewegung in Hamburg.<br />
Hamburg: VSA, 1990.<br />
Hannam, June / Hunt, Karen: Socialist women: Britain, 1880s to 1920s. London, New York: Routledge, 2002.
6.2.1 FÜR DIE BIOGRAPHISCHE RECHERCHE VERWENDETE MONOGRAPHIEN, NACHSCHLAGE-, SAMMELWERKE UND DATENBANKEN<br />
Hervé, Florence / Nödinger Ingeborg: Lexikon der Rebellinnen. <strong>Von</strong> A bis Z. Dortm<strong>und</strong>: edition Ebersbach,<br />
1996.<br />
Hochreuther, Ina: Frauen im Parlament. Südwestdeutsche Abgeordnete seit 1919. Hrsg. vom Landtag Baden-<br />
Württemberg <strong>und</strong> der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg. Stuttgart: Theiss,<br />
1992.<br />
Hoffmann, Gabriele: Frauen machen Geschichte. <strong>Von</strong> Kaiserin Theophanu bis Rosa Luxemburg. Bergisch<br />
Gladbach: Lübbe, 1991<br />
Jacobi-Dittrich, Juliane: The struggle for an Identity. Working-class Autobiographies by Women in nineteenthcentury<br />
Germany. In: Joeres/Maynes, German Women in the Eighteenth and Ninteenth Centuries,<br />
S. 321-345.<br />
Jacoby, Eugen (Hrsg.): Lexikon linker Leitfiguren, Frankfurt am Main: Büchergilde Gutenberg, 1989.<br />
Jaedicke, Martin: Helen Keller. 2. Aufl., Berlin: Union, 1982.<br />
Juchacz, Marie: Sie lebten für eine bessere Welt. Lebensbilder führender Frauen des 19. <strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>erts. 2.<br />
Aufl., Berlin: Dietz, 1956.<br />
Juden <strong>und</strong> deutsche Arbeiterbewegung bis 1933. Soziale Utopien <strong>und</strong> religiös-kulturelle Traditionen. Tübingen:<br />
Mohr, 1992.<br />
Kalender „Wegbereiterinnen“. Hrsg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Konzeption Gisela Notz. 2003-.<br />
Keller, Helen: Wie ich Sozialistin wurde. 3. Aufl. Stuttgart: Robert Lutz, o.J.<br />
Kestenholz, Salomé: Die Gleichheit vor dem Schafott. Portraits französischer Revolutionärinnen. Darmstadt:<br />
Luchterhand, 1988.<br />
Klatt, Ingaburgh (Hrsg.): „Wir wollen lieber fliegen als kriechen“ – Historische Frauenporträts. Lübeck: Dräger,<br />
1997.<br />
Klausmann, Christina: Politik <strong>und</strong> Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich. Das Beispiel Frankfurt am Main.<br />
Frankfurt am Main, New York: Campus: 1997.<br />
Klucsarits, Richard / Kürbisch, Friedrich G. (Hrsg.): Arbeiterinnen kämpfen um ihr Recht – Autobiographische<br />
Texte zum Kampf rechtloser <strong>und</strong> entrechteter „Frauenspersonen“ in Deutschland, Österreich <strong>und</strong> der<br />
Schweiz des 19. <strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>erts. 2. Aufl., Wuppertal: Hammer, 1981.<br />
Kommunisten im Reichstag. Reden <strong>und</strong> biographische Skizzen. Frankfurt am Main: Marxistische Blätter, 1980.<br />
Lexikon der Frau. 2 Bde. Zürich: Encyclios, 1955.<br />
Lexikon sozialistischer Deutscher Literatur. <strong>Von</strong> den Anfängen bis 1945. Monographisch-biographische<br />
Darstellungen. Rotdruck, 1975.<br />
Library of Congress Online Catalog: http://catalog.loc.gov (letzter Seitenbesuch: 10.12.2007).<br />
M.d.R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus. Politische<br />
Verfolgung, Emigration <strong>und</strong> Ausbürgerung 1933-1945. Eine biographische Dokumentation. Hrsg. <strong>und</strong><br />
eingeleitet von Martin Schumacher. 2. unveränd. Aufl., Düsseldorf: Droste, 1992.<br />
Melzwig, Brigitte: Deutsche sozialistische Literatur 1918-1945. Bibliographie der Buchveröffentlichungen.<br />
Berlin, Weimar: Aufbau-Verlag, 1975.<br />
Neue Deutsche Biographie (NDB). Bd. 1 (1953) bis Bd. 22 (2005), Berlin: Duncker & Humblot.<br />
755
LITERATUR<br />
756<br />
Niggemann, Heinz: Emanzipation zwischen Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus – Die sozialdemokratische Frauenbewegung<br />
im Kaiserreich. Wuppertal: Hammer, 1981, Biographischer Anhang S. 295-348.<br />
Olbrich, Josef (Hrsg.): Arbeiterbildung nach dem Fall des Sozialistengesetzes (1890-1914). Konzeption <strong>und</strong><br />
Praxis. Braunschweig: Westermann, 1982.<br />
Österreichisches biographisches Lexikon. (ÖBL). 1815-1950. Hrsg. von der Österreichischen Akademie der<br />
Wissenschaften. Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 1 (1957)-Bd. 12<br />
(2005).<br />
Osterroth, Franz: Biographisches Lexikon des Sozialismus. Hannover: Dietz, 1961.<br />
Pataky, Sophie (Hrsg.): Lexikon deutscher Frauen der Feder. Eine Zusammenstellung der seit dem Jahre 1840<br />
erschienenen Werke weiblicher Autoren, nebst Biographieen der lebenden <strong>und</strong> einem Verzeichnis der<br />
Pseudonyme. 2 Bde. Nachdruck der Ausgabe Berlin: Carl Pataky, 1898. Bern: Herbert Lang, 1971.<br />
Plothow, Anna: Die Begründerinnen der deutschen Frauenbewegung. 5. Aufl., Leipzig: Rothbart, 1907.<br />
Portal zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung:<br />
http://library.fes.de/portal/arb (letzter Seitenbesuch: 10.12.2007).<br />
Reichel, Edgar: Der Sozialismus der Fabier. Ein Beitrag zur Ideengeschichte des modernen Sozialismus in<br />
England. Heidelberg: Schneider, 1947.<br />
Riepl-Schmidt, Maja: Wider das verkochte <strong>und</strong> verbügelte Leben. Frauen-Emanzipation in Stuttgart seit 1800.<br />
2. Aufl., Tübingen: Silberburg, 1998.<br />
Scandinavian Biographical Index. Hrsg. von Laureen Baillie. London, Melbourne, München, New Jersey: Saur,<br />
1994.<br />
Schad, Martha: Frauen, die die Welt bewegten. Geniale Frauen, der Vergangenheit entrissen. München: Pattloch,<br />
2000.<br />
Schmieding, Walther: Aufstand der Töchter. Russische Revolutionärinnen im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert. Frankfurt am<br />
Main, Berlin, Wien: Ullstein, 1981.<br />
Schneider, Dieter (Hrsg.): Sie waren die ersten. Frauen in der Arbeiterbewegung. Frankfurt am Main:<br />
Büchergilde Gutenberg, 1988.<br />
Schneider, Margarete (Hrsg.): Deutscher Frauen Leben <strong>und</strong> Streben. Leipzig: H. Broedel, 1926.<br />
Schröder, Wilhelm Heinz: Sozialdemokratische Parlamentarier in den deutschen Reichs- <strong>und</strong> Landtagen 1867-<br />
1933. Düsseldorf: Droste, 1995.<br />
Schroeder, Luise: Unsere Frauen in der deutschen Nationalversammlung. In: GL, 29/ 11/ 28.02.1919/ 84-87.<br />
Schultz, Hans Jürgen (Hrsg.): Frauen-Porträts aus zwei Jahrh<strong>und</strong>erten, Stuttgart: Kreuz-Verlag, 1986.<br />
Stadt ohne Frauen? Frauen in der Geschichte Mannheims. Hrsg. von der Frauenbeauftragten der Stadt Mannheim<br />
<strong>und</strong> den Autorinnen. Mannheim: Edition Quadrat, 1993.<br />
Straßennamen in Dresden – Reine Männersache? Hrsg. von der Landeshauptstadt Dresden <strong>und</strong> der Gleichstellungsbeauftragten<br />
für Frau <strong>und</strong> Mann, Teil I: Dresden 2003; Teil II: Dresden 2004.<br />
Süßenberger, Claus: Die Klaviere des Henkers. Lebenswege zwischen Bastille <strong>und</strong> Guillotine. Frankfurt am<br />
Main, New York: Campus, 1998.<br />
Weissensteiner, Friedrich: Die Frauen der Genies. Wien, Frankfurt am Main: Deuticke, 2001.
6.2.1 FÜR DIE BIOGRAPHISCHE RECHERCHE VERWENDETE MONOGRAPHIEN, NACHSCHLAGE-, SAMMELWERKE UND DATENBANKEN<br />
Wickert, Christl: Unsere Erwählten. Sozialdemokratische Frauen im Deutschen Reichstag <strong>und</strong> im Preußischen<br />
Landtag 1919 bis 1933. 2 Bde. Göttingen: SOVEC, 1986.<br />
Wikipedia – die freie Enzyklopädie: http://de.wikipedia.org; http://en.wikipedia.org<br />
Witte, Bernd (Hrsg.): Deutsche Arbeiterliteratur von den Anfängen bis 1914. Stuttgart: Philipp Reclam jun.,<br />
1977.<br />
„10 Uhr pünktlich Gürzenich“. H<strong>und</strong>ert Jahre bewegte Frauen in Köln – Zur Geschichte der Organisation <strong>und</strong><br />
Vereine. Hrsg. vom Kölner Frauengeschichtsverein. Münster: agenda, 1995.<br />
Zimmermann, Rüdiger: 100 Jahre ÖTV. Frankfurt am Main: Union-Dr. <strong>und</strong> Verl. Gesellschaft, 1996.<br />
757
LITERATUR<br />
6.2.2 Auto-/Biographische Arbeiten <strong>und</strong> Aufsätze zu den „Gleichheit“-MitarbeiterInnen<br />
Adams-<br />
Lehmann Krauss, Marita: Hope. Dr. Hope Bridges Adams Lehmann. Die Biografie. München:Volk Verlag,<br />
2009<br />
Altmann<br />
Losseff-Tillmanns, Gisela: Gewerkschafterin <strong>und</strong> Freidenkerin. In: Diesseits. Zeitschrift für<br />
Kultur, Politik <strong>und</strong> Freidenkertum. 2.1988, Nr. 4, S. 34-35.<br />
Ankersmit<br />
Baader<br />
Bebel, August<br />
Hpd-Humanistischer Pressedienst: http://hpd.de/node/2275 (letzter Seitenbesuch: 28.11.2008).<br />
Welcker, Johanna M.: Ankersmit, Gerharda Johanna Helena. In: Biografisch Woordenboek van het<br />
socialisme en de Arbeidersbeweging in Nederland (BWSA): http://www.iisg.nl/bwsa/<br />
bios/ankersmit-g.html (letzter Seitenbesuch: 10.10.2008). 2<br />
Baader, Ottilie: Ein steiniger Weg. Lebenserinnerungen. Stuttgart: Dietz, 1921.<br />
Balg, Ilse: Baader, Ottilie. In: NDB, Bd. 1, 1953, S. 477.<br />
Freude, Roswitha: Die Entwicklung Ottilie Baaders (1847-1890) zur Kampfgefährtin Clara<br />
Zetkins. In: Kolloquium der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der<br />
Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“, 1982, S. 86-94.<br />
Freude, Roswitha: Ihr Name lebt in der Geschichte der proletarischen Frauenbewegung. Ottilie<br />
Baader. In: BzG, Jg. 28 (1986), Nr. 5, S. 666-674.<br />
Freude, Roswitha: Ottilie Baader. Ein biographischer Beitrag zur Geschichte der deutschen<br />
proletarischen Frauenbewegung. Dissertation Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“<br />
Leipzig, 1984.<br />
Friedrich, Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen, S. 63-72.<br />
Gerhard, Unerhört, S. 193.<br />
Heppener, Sieglinde: Baader. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches<br />
Lexikon, S. 17-18.<br />
Kalender „Wegbereiterinnen“ 2003.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 298.<br />
Ottilie Baader †. In: Genossin, Jg. 2 (1925), Nr. 10, S. 283.<br />
August Bebel ist tot! In: GL, 23/ 24/ 20.08.1913/ 369.<br />
Bebel, August: Aus meinem Leben. Berlin: Dietz, 1988.<br />
Ein Erinnerungsblatt. In: GL, 24/ 24/ 28.04.1914/ 371-372.<br />
Fischer, Ilse / Krause, Werner: August Bebel. 1840-1913. Ein Großer der deutschen Arbeiterbewegung.<br />
Katalog zu einer Ausstellung des Archivs der sozialen Demokratie, Friedrich-<br />
Ebert-Stiftung <strong>und</strong> Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Köln: Greven & Brechthold, 1988.<br />
Fricke, Dieter: August Bebel (1840-1913) – Ein biographischer Essay. Jena: Friedrich-Schiller-<br />
Universität, 1989.<br />
„Die Gleichheit“, 33/ 15/ 01.08.1923/ 120-124 [Artikel anlässlich des 10. Todestages].<br />
2 Die Übersetzung dieses Textes verdanke ich Jürgen Lachmann, M.A. (Kassel).<br />
758
Bebel, Julie<br />
Bender<br />
Blase<br />
Bloch<br />
Blos, Anna<br />
6.2.2 AUTO-/BIOGRAPHISCHE ARBEITEN UND AUFSÄTZE ZU DEN „GLEICHHEIT“-MITARBEITERINNEN<br />
„Die Gleichheit“, 20/ 10/ 14.02.1910/ 145-157 [Artikel anlässlich des 70. Geburtstages].<br />
Gemkow, Heinrich / Miller, Angelika (Hrsg.): August Bebel – „... ein prächtiger alter Adler“.<br />
Nachrufe, Gedichte, Erinnerungen. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK d. SED<br />
Berlin: Dietz, 1990.<br />
Hanna, Gertrud: August Bebel <strong>und</strong> die Gewerkschaften. In: GL, 33/ 15/ 01.08.1923/ 122-123.<br />
Juchacz, Marie: August Bebel. In: GL, 30/ 08/ 21.02.1920/ 57.<br />
Popp, Adelheid: Bebel zum Gedächtnis. In: GL, 23/ 25/ 10.09.1913/ 394.<br />
Richter, Wolfgang / Schmidt, Bernd: Die Rolle August Bebels <strong>und</strong> der von ihm geführten<br />
revolutionären Sozialdemokratie beim Kampf des Proletariats um die Befreiung der Frau<br />
(1865-1900). Ein Beitrag zur Geschichte der politisch-theoretischen <strong>und</strong> organisatorischen<br />
Entwicklung der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />
Dissertation Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“ Leipzig, 1973.<br />
Schmidt, Bernd / Richter, Wolfgang (Hrsg.): „Dir als dem Vorkämpfer für die volle menschliche<br />
Emanzipation des <strong>weiblichen</strong> Geschlechts“ – Brief Clara Zetkins an August Bebel. In:<br />
BzG, Jg. 14 (1972), Nr. 2, S. 235-236.<br />
Schraepler, Ernst: August Bebel. Sozialdemokrat im Kaiserreich. Göttingen, Frankfurt am Main,<br />
Zürich: Musterschmidt, 1966.<br />
Seebacher-Brandt, Brigitte: Bebel. Künder <strong>und</strong> Kärrner im Kaiserreich. Berlin, Bonn: J. H. W.<br />
Dietz Nachf., 1988.<br />
Stenkewitz, Kurt: Bebel. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches<br />
Lexikon, S. 23-28.<br />
Herrmann, Ursula (Hrsg.): Briefe einer Ehe. August <strong>und</strong> Julie Bebel. Bonn: Dietz, 1997.<br />
Kalender „Wegbereiterinnen“ 2003.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 300.<br />
Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch. Bd. 1 (1968), Sp. 382-<br />
383.<br />
Geisel, Beatrix: Ohne die Mithilfe der Frau können die Ziele der Sozialdemokratie nie<br />
verwirklicht werden. SPD-Frauen im Kaiserreich <strong>und</strong> in der Weimarer Republik. In: Stadt<br />
ohne Frauen? Frauen in der Geschichte Mannheims, S. 216-231.<br />
Therese Blase. In: Hochreuther, Frauen im Parlament. Südwestdeutsche Abgeordnete seit 1919, S.<br />
56.<br />
Joris, Elisabeth: Brot, Geld <strong>und</strong> Frauenstimmrecht. In: Die Wochenzeitung:<br />
http://www.woz.ch/artikel/inhalt/2000/nr00/Schweiz/5122.html (letzter Seitenbesuch:<br />
12.12.2008).<br />
Hochreuther, Ina: „Es ist wirklich oft nur der erste Schritt, der schwer ist“. Vor 85 Jahren zogen<br />
die ersten Frauen in die Weimarer Nationalversammlung ein. In: Staatsanzeiger für Baden<br />
Württemberg, Jg. 53, Nr. 9 (08.03.2004), S. 12.<br />
Kaiser, Bernhard: Anna Blos – Ihre Tätigkeit in Gemeinde, Partei <strong>und</strong> Staat. Wissenschaftliche<br />
Arbeit an der Berufspädagogischen Hochschule Stuttgart 1977.<br />
759
LITERATUR<br />
Blos, Wilhelm<br />
Bohm-Schuch<br />
Borchardt<br />
Braun<br />
760<br />
M.d.R., S. 127.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 302.<br />
Riepl-Schmidt, Mascha: Anna Blos, geborene Tomasczewska, Historiographin einer weiblich<br />
revolutionären Tradition – Geschichtsschreibung im Spiegel des eigenen Lebens. In:<br />
Frauen <strong>und</strong> Revolution, S. 134-156.<br />
Riepl-Schmidt, Wider das verkochte <strong>und</strong> verbügelte Leben, S. 173-182.<br />
Milatz, Alfred: Blos, Wilhelm. In: NDB, Bd. 2, 1955, S. 316-317.<br />
Seidel, Jutta: Blos. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S.<br />
48-50.<br />
Dertinger, Antje: Was ist wertvoller als die Jugend? Clara Bohm-Schuch widmete ihr Leben der<br />
jungen Generation. In: Das Parlament, Okt. 1983, S. 28-29.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 302.<br />
Wenzel, Cornelia: Diesseits <strong>und</strong> jenseits der Ära Zetkin. Vorgängerin <strong>und</strong> Nachfolgerinnen. In:<br />
Ariadne, 1992, Nr. 22, S. 56-59.<br />
Gebauer, H.: Borchardt. Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S.<br />
54-56.<br />
Borkowski, Dieter: Rebellin gegen Preußen. Das Leben der Lily Braun. Frankfurt am Main:<br />
Fischer, 1984.<br />
Braun, Lily: Memoiren einer Sozialistin. Berlin, Bonn: J. H. W. Dietz Nachf., 1985. Ursprünglich<br />
zweiteilig erschienen: Lehrjahre. München: Albert Langen, 1909; Kampfjahre. München:<br />
Albert Langen, 1911.<br />
Federn, Etta: Lily Braun. In: Federn, Revolutionär auf ihre Art, S. 55-58.<br />
Gerhard, Unerhört, S. 197.<br />
Kalender „Wegbereiterinnen“ 2003.<br />
Laabs, Ute: Clara Zetkin contra Lily Braun. In: Kolloquium der Forschungsgemeinschaft<br />
„Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“, 1981, S. 33-37.<br />
Mauer, Doris: Lily Braun – Zwischen allen Stühlen. In: Schneider, Sie waren die ersten, S. 117-<br />
124.<br />
Meyer, Alfred G.: Lily Brauns unorthodoxer Marxismus. In: Sozialistische Tribüne, 1985, Nr. 1, S.<br />
194-204.<br />
Meyer, Alfred G.: The Feminism <strong>und</strong> Socialism of Lily Braun. Bloomington: Indiana University<br />
Press, 1985.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 303.<br />
Stolten, Inge: Lily Braun (1865-1916). In: Frauen. Porträts aus zwei Jahrh<strong>und</strong>erten, S. 212-224.<br />
Streidel, Melanie: Der Streit Klara Zetkins mit Lily Braun im Spannungsfeld zwischen Sozialismus<br />
<strong>und</strong> Feminismus (1894-1907). Examensarbeit Universität Erlangen-Nürnberg, 1993.
Büsing<br />
David<br />
Dietz<br />
Döltz<br />
Duncker<br />
6.2.2 AUTO-/BIOGRAPHISCHE ARBEITEN UND AUFSÄTZE ZU DEN „GLEICHHEIT“-MITARBEITERINNEN<br />
Vogelstein, Julie: Lily Braun. Ein Lebensbild. Berlin-Grunewald: Hermann Klemm, 1922.<br />
Walle, Marianne: „Ich schreibe mich in meinen Büchern frei“ – Lily Braun (1865-1916). In: Klatt,<br />
Wir wollen lieber fliegen als kriechen, S. 91-105.<br />
Walle, Marianne: Frauen <strong>und</strong> Politik/ Macht – ein Beispiel in der deutschen Frauengeschichte.<br />
Lily Braun <strong>und</strong> Clara Zetkin in der SPD um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende (1896-1908). In:<br />
Dalhoff/Frey/Schöll, Frauenmacht in der Geschichte, S. 372-379.<br />
Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch, Bd. 2 (1969), Sp. 314.<br />
Dierks, Klaas Dirk: Gertrud David – Regisseurin, Produzentin. In: Cine-Graph – Lexikon zum<br />
deutschsprachigen Film: http://www.cinegraph.de/lexikon/David_Getrud/biografie.html<br />
(letzter Seitenbesuch: 18.12.2008)<br />
Bohm-Schuch, Clara: Unsere Toten. Heinrich Dietz zum Gedächtnis. In: GL, 32/ 17-18/<br />
01.02.1922/ 163-164.<br />
Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S. 91-93.<br />
Graf, Angela: J. H. W. Dietz 1843-1922 – Verleger der Sozialdemokratie. Bonn: Dietz, 1998.<br />
Hackethal, E.: Dietz. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S.<br />
91-93.<br />
Zetkin, Klara: Heinrich Dietz zum 70. Geburtstag. In: GL, 14/ 01/ 01.10.1919/ 4-5.<br />
Drust, Für unsere Kinder, S. 198.<br />
Friedrich, Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen, S. 15, S. 26-29, S. 184-185.<br />
Münchow, Ursula: Neue Wirklichkeitssicht <strong>und</strong> politische Praxis. Sozialistische Literatur <strong>und</strong> Arbeiterinnenbewegung.<br />
In: Brinker-Gabler, Deutsche Literatur von Frauen. Bd. 2, S. 249-<br />
268, S. 260-262.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 305.<br />
Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, S. 141.<br />
Brehmer/Ehrich, Mütterlichkeit als Profession?, Bd. 2, S. 60-61.<br />
Deutschland, Heinz (Hrsg): Ich kann nicht durch Morden mein Leben erhalten. Briefwechsel<br />
zwischen Käte <strong>und</strong> Hermann Duncker 1915 bis 1917. Bonn: Pahl-Rugenstein, 2005.<br />
Deutschland, Heinz: Käte Duncker (1871-1953). Aus dem Leben einer streitbaren Sozialistin,<br />
anhand ihrer Briefe <strong>und</strong> Schriften. Unveröffentlichtes Manuskript anlässlich einer<br />
Veranstaltung des Fördervereins der Clara-Zetkin-Gedenkstätte e.V. Birkenwerder am<br />
28.03.2004.<br />
Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S. 101-103.<br />
Kirsch, Ruth: „Ihr zwingt uns nicht!“ – Ein Lebensbild der Kommunistin <strong>und</strong> Pädagogin Käte<br />
Duncker. Berlin: Selbstverlag, o.J.<br />
Kirsch, Ruth: Käte Duncker. Aus ihrem Leben. Berlin: Dietz, 1982.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 308.<br />
761
LITERATUR<br />
Essig<br />
Fürth<br />
Glogau<br />
Greifenberg<br />
Grünberg<br />
Hanna<br />
Teubner, Hans / Wrobel, Kurt: Duncker. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung.<br />
Biographisches Lexikon, S. 101-103.<br />
Brehmer/Ehrich, Mütterlichkeit als Profession?, Bd. 2, S. 68-69.<br />
Hagemann, Karen: „Sie widmete ihre ganze Kraft dem Aufbau des Mädchenberufsschulwesens“.<br />
In: Hagemann/Kolossa, Gleiche Rechte – Gleiche Pflichten?, S. 87.<br />
Hansen-Schaberg, Inge: Rückkehr <strong>und</strong> Neuanfang. Die Wirkungsmöglichkeiten der Pädagoginnen<br />
Olga Essig, Katharina Petersen, Anna Siemsen <strong>und</strong> Minna Specht im westlichen<br />
Deutschland der Nachkriegszeit. In: Jahrbuch für Historische Bildungsforschung, Jg.<br />
(1993), Bd. 1, S. 319-338.<br />
Olga Essig (1884-1965) <strong>und</strong> Anna Siemsen (1882-1951). In: Erziehung <strong>und</strong> Bildung des<br />
<strong>weiblichen</strong> Geschlechts, S. 61-73.<br />
Epple, Angelika: Henriette Fürth <strong>und</strong> die Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich. Eine<br />
Sozialbiographie. Pfaffenweiler: Centaurus, 1996.<br />
Fürth, Henriette: Streifzüge durch das Land eines Lebens. An meine Kinder. (1933).<br />
Unveröffentlicht (Privatbesitz Helga Krohn).<br />
Katzenstein, Simon: Henriette Fürth. Versuch einer Würdigung zu ihrem siebzigsten Geburtstag<br />
gewidmet von ihrem Bruder Simon Katzenstein. O. O.: O.V., 15.08.1931.<br />
Klausmann, Politik <strong>und</strong> Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich, S. 132-145.<br />
Krohn, Helga: Du sollst dich niemals beugen. Henriette Fürth – Frau, Jüdin, Sozialistin. In:<br />
Freimark, Peter / Jankowski, Alice / Lorenz, Ines S. (Hrsg.): Juden in Deutschland.<br />
Emanzipation, Integration, Verfolgung <strong>und</strong> Vernichtung. Hamburg: Hans Christians,<br />
1991, S. 327-343.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 307-308.<br />
Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch. Bd. 6 (1978), Sp. 405.<br />
Pataky, Lexikon deutscher Frauen der Feder. Bd. 1., S. 260.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 308.<br />
Weid, Beate: Helene Grünberg. In: Verlaßt Euch nicht auf die Hülfe der deutschen Männer!“ –<br />
Stationen der bürgerlichen <strong>und</strong> proletarischen Frauenbewegung in Nürnberg. Hrsg. vom<br />
Feministischen Informations-, Bildungs- <strong>und</strong> Dokumentationszentrum (FIBiDoZ e.V.).<br />
Nürnberg: Selbstverlag, 1990 , S. 91-97.<br />
Meister, Monika: „Sind wir auch keine Wählerinnen, so laßt uns Wühlerinnen sein!“ – Helene<br />
Grünberg, die erste Arbeitersekretärin Deutschlands. In: Am Anfang war Sigema, S. 153-<br />
161.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 309.<br />
Dertinger, Antje: Gertrud Hanna – Anwältin der erwerbstätigen Frau. In: Schneider, Sie waren die<br />
ersten, S. 165-182.<br />
Kalender „Wegbereiterinnen“ 2004.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 310.<br />
Heiden-<br />
Deutschmann Klausmann, Politik <strong>und</strong> Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich, S. 120-121 u. S. 348.<br />
762
Heilbut<br />
Hoernle<br />
Holzamer<br />
Ihrer<br />
Juchacz<br />
6.2.2 AUTO-/BIOGRAPHISCHE ARBEITEN UND AUFSÄTZE ZU DEN „GLEICHHEIT“-MITARBEITERINNEN<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 311.<br />
Haarhoff, Heike: Todesmarsch in die Freiheit. In: taz, 23.04.2005 (http://www.taz.de/index.php?<br />
id=archivseitedig=2005/04/23/a0265&type=98 (letzter Seitenbesuch: 06.12.2008)<br />
(erwartet wird die Veröffentlichung des Titels: Heilbut, Peter: Ins Leben gelaufen. Als<br />
Sachsenhausen-Häftling auf dem Todesmarsch April/Mai 1945. Hrsg. von der Stiftung<br />
Brandenburgische Gedenkstätten. Berlin: Metropol.).<br />
Http://www.yadvashem.org (letzer Seitenbesuch: 16.10.2008).<br />
Drust, Für unsere Kinder S. 200.<br />
Edwin Hoernle. In: Kommunisten im Reichstag, S. 416-423.<br />
Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration, Bd. 1, S. 307.<br />
Leske, Birgit: Hoernle. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon,<br />
S. 213-216.<br />
M.d.R., S. 293.<br />
Mehnert, Wolfgang: Edwin Hoernle. Berlin: Volk <strong>und</strong> Wissen, 1963.<br />
http://www.Wilhelm-Holzamer.de (letzter Seitenbesuch: 06.12.2007).<br />
Schmidt, Adalbert: Holzamer, Wilhelm. In: NDB, Bd. 9, S. 567-568.<br />
Gélieu, Claudia von: „Sie kannte nicht den Ehrgeiz, der an erster Stelle stehen will.“ – Emma Ihrer<br />
zum 150. Geburtstag. In: JBzG, Jg. 6 (2007), S. 92-104.<br />
Heppener, S.: Ihrer. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S.<br />
222-223.<br />
Malettke, Klaus: Ihrer, Emma. In: NDB, Bd. 10, 1974, S. 129.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 311.<br />
Schneider, Dieter: Emma Ihrer. Gegen Rückständigkeit <strong>und</strong> Unverstand. In: Schneider, Sie waren<br />
die ersten, S. 77-89.<br />
Juchacz, Marie: Kindheit, Jugend <strong>und</strong> erste politische Tätigkeit. In: Marie Juchacz. Gründerin der<br />
Arbeiterwohlfahrt. Leben <strong>und</strong> Werk. Bonn: Arbeiterwohlfahrt, 1979.<br />
Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, S. 337.<br />
Dertinger, Antje: Marie Juchacz. Die erste Frau, die im Parlament zum Volke sprach. In:<br />
Schneider, Sie waren die ersten, S. 211-230.<br />
Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon, S. 233-234.<br />
Kalender „Wegbereiterinnen“ 2004.<br />
Miller, Susanne: Juchacz, Marie. In: NDB, Bd. 10, 1974, S. 633.<br />
Gerhard, Unerhört, S. 339.<br />
Lecke, Birgit: Juchacz. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon,<br />
763
LITERATUR<br />
Kähler, Luise<br />
S. 233-234.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 314.<br />
M.d.R., S. 314-315.<br />
Herbig, Erna: Kähler. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon,<br />
S. 236-237.<br />
K. A.: Dem Gedenken Luise Kählers. Eine Veteranin der Arbeiter- <strong>und</strong> Frauenbewegung ging von<br />
uns. In: Die Frau von heute. Jg. 10, Nr. 40 (07.10.1955), S. 9.<br />
Kähler,<br />
Wilhelmine Friedrich, Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen, S. 59-62.<br />
Katzenstein<br />
Kautsky, Luise<br />
Kipfmüller<br />
Kollontay<br />
Krille<br />
764<br />
„Frauen auf die Straßen(-)schilder!“, S. 35<br />
[Kähler, Wilhelmine] W. K.: Lebenserinnerungen einer Arbeiterin. In: GL, 13/ 02/ 14.01.1903/ 12-<br />
13.<br />
M.d.R., S. 317.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 315-316.<br />
Straßennamen in Dresden – Reine Männersache?, Teil II, S. 20.<br />
Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration, Bd. 1, S. 354.<br />
Luise Kautsky zum Gedenken. Nachrufe von Friedrich Adler <strong>und</strong> Oda Lerda-Olberg, Berichte aus<br />
Amsterdam <strong>und</strong> Birkenau, Briefe aus <strong>und</strong> über Buchenwald von Benedikt Kautsky. New<br />
York: Willard, 1945.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 316.<br />
Bock, Ilse: Dr. Dr. Bertha Kipfmüller – Wegbereiterin des Frauenstudiums. In: Ariadne, 1985, Nr.<br />
2, S. 10-13.<br />
Brehmer/Ehrich, Mütterlichkeit als Profession?, Bd. 2, S. 131-132.<br />
Panzer, Marita A.: Dr. Dr. Bertha Kipfmüller, (1861-1948): Lehrerin <strong>und</strong> Privatgelehrte. In:<br />
Panzer, Marita A. / Plößl, Elisabeth: Bavarias Töchter, Regensburg: Pustet, 1997, S. 139-<br />
141.<br />
Abosch, Heinz: Alexandra Kollontai – Für Arbeiterdemokratie – gegen Parteidiktatur. In:<br />
Schneider, Sie waren die ersten, S. 155-164.<br />
Federn, Etta: Alexandra Kollontai. In: Federn, Revolutionär auf ihre Art, S. 49-54.<br />
Geyer, Dietrich: Eine Klasse für sich. Alexandra Kollontaj <strong>und</strong> ihr Weg ins Sowjetreich. In: Die<br />
Zeit, Nr. 10 (28.02.2002), S. 90.<br />
Kalender „Wegbereiterinnen“ 2004.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 318.<br />
Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, S. 397.<br />
Drust, Für unsere Kinder S. 200-201.
Kunert<br />
Ledebour<br />
Lennemann<br />
Lewin-Dorsch<br />
Lilienthal Stern<br />
Lion<br />
Luxemburg<br />
Märten<br />
Michels<br />
Mosegaard<br />
6.2.2 AUTO-/BIOGRAPHISCHE ARBEITEN UND AUFSÄTZE ZU DEN „GLEICHHEIT“-MITARBEITERINNEN<br />
Emmerich, Wolfgang: Krille, Otto. In: NDB, Bd. 13, S. 47-48.<br />
Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, S. 404.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 319.<br />
Wickert, Unsere Erwählten, S. 169.<br />
Ratz, Ursula: Ledebour, Georg. In: NDB, Bd. 14 , 1985, S. 37-38.<br />
Wittwer, Walter: Ledebour. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches<br />
Lexikon, S. 271-273.<br />
Literaturportal Westfalen: http://www.literaturportal-westfalen.de<br />
(letzter Seitenbesuch: 28.11.2008).<br />
http://www.margarethe-hardegger.ch/Q_hardegger_muehsam (letzter Seitenbesuch: 06.11.2008)<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 320.<br />
Buhle, Mari Jo: Women and American Socialism, 1870-1920, S. 128ff.<br />
Online-Version der New York Times- Ausgabe vom 29.07.1910: http://query.nytimes.com/mem/<br />
archive-free/... (letzter Seitenbesuch: 10.12.2007).<br />
Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, S. 448.<br />
Ettinger, Elżbieta: Rosa Luxemburg. Ein Leben. Bonn: Dietz, 1990.<br />
Hirsch, Helmut: Rosa Luxemburg. 20. Aufl., Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2002.<br />
Kalender „Wegbereiterinnen“ 2003.<br />
Laschitza, Annelies: Im Lebensrausch, trotz alledem. Rosa Luxemburg. Eine Biographie. 2. Aufl.,<br />
Berlin: Aufbau, 2002.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 322.<br />
Radczun, Günter: Luxemburg. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches<br />
Lexikon, S. 302-307.<br />
Rosa Luxemburg. Hrsg. von Kristine von Soden. Aktualisierte Neuausgabe. Berlin: Elefanten<br />
Press, 1995.<br />
Scharrer, Manfred: Rosa Luxemburg – Wie eine Kerze, die von beiden Enden brennt. In:<br />
Schneider, Sie waren die ersten, S. 137-154.<br />
Friedrich, Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen, S. 105, S. 165-168.<br />
Münchow, Ursula: Neue Wirklichkeitssicht <strong>und</strong> politische Praxis. Sozialistische Literatur <strong>und</strong> Arbeiterinnenbewegung.<br />
In: Brinker-Gabler, Deutsche Literatur von Frauen. Bd. 2, S. 249-<br />
268, S. 257-258.<br />
Käsler, Dirk: Michels, Robert: In: NDB, Bd. 17, S. 451-452.<br />
Drust, Für unsere Kinder S. 201.<br />
765
LITERATUR<br />
Müller, Louise<br />
Müller-Jahnke<br />
Pärssinen<br />
Pfülf<br />
Popp<br />
Reitze<br />
Röhl<br />
Rohrlack<br />
Ryneck<br />
766<br />
Friedrich, Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen, S. 73-82, S. 187.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 324.<br />
Müller, Louise: Vor 25 Jahren. Erinnerungen einer Genossin. In: GL, 30/ 22/ 29.05.1920/ 176-178.<br />
Friedrich, Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen, S. 3, S. 13-14, S. 16, S. 30-<br />
31, S. 187.<br />
Münchow, Ursula: Neue Wirklichkeitssicht <strong>und</strong> politische Praxis. Sozialistische Literatur <strong>und</strong> Arbeiterinnenbewegung.<br />
In: Brinker-Gabler, Deutsche Literatur von Frauen, Bd. 2, S. 249-<br />
268, S. 258-260.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 324.<br />
Asikainen, Sari: Me toivomme ihannemaata: Hilja Pärssinen varhainen aatemaailma ennen<br />
kansanedustjuuta. Tampere: Tampereen yliopisto. Yhteistkuntatieteiden tutkimuslaitos.<br />
Naistutkimusyksikkö, 1994.<br />
Sylvi-Kyllikki, Kilpi: Hilja Pärssinen. In: Soikkanen, Hannu (Hrsg.): Tiennäyttäjät. Bd. 1.,<br />
Helsinki: Tammi 1967, S. 121-161.<br />
Dertinger, Antje: Dazwischen liegt nur der Tod. Leben <strong>und</strong> Sterben der Sozialistin Antonie Pfülf.<br />
Berlin, u. a.: Dietz Nachf. 1984.<br />
Kalender „Wegbereiterinnen“ 2003.<br />
M.d.R., S. 436.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 327.<br />
Friedrich, Aus dem Schaffen früher sozialistischer Schriftstellerinnen, S. 43-54, S. 127-129, S.<br />
187.<br />
Kalender „Wegbereiterinnen“ 2004.<br />
Martiny, Murielle: Adelheid Popp: Hoffnungen <strong>und</strong> Enttäuschungen. In: Die Frau in der<br />
Arbeiterbewegung 1900-1939, Bd. 1, S. 311-320.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 328.<br />
Popp, Adelheid: Die Jugendgeschichte einer Arbeiterin. München: Ernst Reinhardt, 1909.<br />
Popp, Adelheid: Erinnerungen. Stuttgart: J.H.W. Dietz, 1915.<br />
Hagemann, Karen: „Sozialpolitik <strong>und</strong> Wohlfahrtspflege waren ihre bevorzugten Arbeitsgebiete“.<br />
In: Hagemann/Kolossa, Gleiche Rechte – Gleiche Pflichten?, S. 41.<br />
M.d.R., S. 456-458.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 329.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 330.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 330.<br />
Leske, Birgit: Ryneck. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon,<br />
S. 388.
Salomon<br />
Schilling, Minna<br />
Schulz<br />
Selinger<br />
Sender<br />
Simon<br />
Soll<br />
Steinbach<br />
Wabnitz<br />
Wachenheim<br />
M.d.R., S. 477.<br />
6.2.2 AUTO-/BIOGRAPHISCHE ARBEITEN UND AUFSÄTZE ZU DEN „GLEICHHEIT“-MITARBEITERINNEN<br />
Salomon, Alice: Charakter ist Schicksal. Lebenserinnerungen. Hrsg. von Rüdiger Baron <strong>und</strong> Rolf<br />
Landwehr. Weinheim, Basel: Beltz, 1983.<br />
Sachße, Christoph: Salomon, Alice. In: NDB, Bd. 22, S. 389-390.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 331.<br />
M.d.R., S. 489-490.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 333.<br />
Drust, Für unsere Kinder S. 197.<br />
Braune, Peter: Die gescheiterte Einheitsschule. Heinrich Schulz – Parteisoldat zwischen Rosa<br />
Luxemburg <strong>und</strong> Friedrich Ebert. Berlin: Karl Dietz, 2004.<br />
Gebauer, H. / Leske, Birgit: Schulz. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches<br />
Lexikon, S. 414-415.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 336-337.<br />
M.d.R., S. 532.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 337.<br />
Schneider, Dieter: Toni Sender – Der Arbeiterschaft die volle Herrschaft über die Arbeit. In:<br />
Schneider, Sie waren die ersten, S. 251-268.<br />
Straßennamen in Dresden – Reine Männersache?, Teil I, S. 27.<br />
Böhm, Irmingard: Helene Simon – die Biographin von Elisabeth Gnauck-Kühne. In: Prégardier,<br />
Elisabeth / Böhm, Irmingard (Hrsg.): Elisabeth Gnauck-Kühne (1850-1917) – Zur sozialen<br />
Lage der Frau um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende. Annweiler: Plöger, 1997, S. 147-152.<br />
Friedländer, Walter: Helene Simon. Ein Leben für soziale Gerechtigkeit. Hrsg. vom<br />
Arbeiterwohlfahrt-Hauptausschuss e.V., Bonn 1962.<br />
Klöhn, Sabine: Helene Simon (1862-1947). Deutsche <strong>und</strong> britische Sozialreform <strong>und</strong> Sozialgesetzgebung<br />
im Spiegel ihrer Schriften <strong>und</strong> ihr Wirken als Sozialpolitikerin im Kaiserreich<br />
<strong>und</strong> in der Weimarer Republik. Frankfurt am Main, Bern: Lang, 1982.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 338.<br />
Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch. Bd. 18 (1998), Sp. 250-<br />
251.<br />
Haake, Kirsten: Helma Steinbach – eine Reformistin in der Hamburger Arbeiterbewegung zur Zeit<br />
des Kaiserreichs. Magisterarbeit Universität Hamburg, 1992.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 339.<br />
Kühnel, Klaus: Wanderrednerin der SPD. Die Frauenrechtlerin Agnes Wabnitz. In: Deutschland-<br />
Radio Berlin Sendung vom 30.08.2004. http://www.dradio.de/dir/sendung/merkmal/-<br />
298127 (letzter Seitenbesuch: 27.10.2005).<br />
Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, S. 786.<br />
767
LITERATUR<br />
Wackwitz<br />
Wartenberg<br />
Wengels<br />
Wirminghaus<br />
Wittich<br />
Wurm<br />
Zepler<br />
Zetkin, Clara<br />
768<br />
Klingner, Anne-Marie: Hedwig Wachenheim <strong>und</strong> die Entwicklung der Arbeiterwohlfahrt in der<br />
Weimarer Republik. Diplomarbeit Universität Dresden 1997.<br />
Wachenheim, Hedwig: Vom Großbürgertum zur Sozialdemokratie. Memoiren einer Reformistin.<br />
Berlin: Colloquium, 1973.<br />
Wickert, Christl: Sozialistin, Parlamentarierin, Jüdin: Die Beispiele Käte Frankenthal, Berta<br />
Jourdan, Adele Schreiber-Krieger <strong>und</strong> Hedwig Wachenheim. In: Juden <strong>und</strong> deutsche<br />
Arbeiterbewegung bis 1933, S. 155-164.<br />
Zeller, Susanne: Hedwig Wachenheim (1891-1969). In: Stadt ohne Frauen?, S. 161-168.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 343.<br />
Döll-Krämer, Inge: Alma Wartenberg – sozialdemokratische „Vertrauensperson“ in Ottensen. In:<br />
Aufgeweckt, S. 182-194.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 344.<br />
Wischermann, Frauenbewegungen <strong>und</strong> Öffentlichkeiten um 1900, S. 132.<br />
Roecken, Sully: Else Wirminghaus 1867-1939. In: „10 Uhr pünktlich Gürzenich“. H<strong>und</strong>ert Jahre<br />
bewegte Frauen in Köln, S. 179-182.<br />
Querfeld, Werner: Erinnerungen an Manfred Wittich (1851-1902), Amtsblatt der Stadt Greiz,<br />
2003, Nr. 1, S. 22.<br />
[Rothe, Anna:] Manfred Wittich. Ein Lebens- <strong>und</strong> Charakterbild. Dem deutschen Proletariat<br />
gewidmet von A.R. Leipzig: Lipinski, 1902.<br />
Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, S. 837.<br />
Brinson, Charmian: The strange case of Dora Fabian and Mathilde Wurm. A study of German<br />
political exiles in London during the 1930‘s. Bern: Peter Lang, 1996.<br />
Brinson, Charmian: The strange case of Dora Fabian and Mathilde Wurm. A study of German<br />
political exiles in London during the 1930‘s. In: German Life and Letters, Jg. 45 (1992),<br />
Nr. 4, S. 323-344.<br />
Globig, Martha: Wurm. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon,<br />
S. 493-494.<br />
Kalender „Wegbereiterinnen“ 2003.<br />
M.d.R., S. 629-630.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 346.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 347.<br />
Alexander, Gertrude G. L.: Aus Clara Zetkins Leben <strong>und</strong> Werk. Berlin: Vereinigung<br />
Internationaler Verlags-Anstalten, 1927.<br />
Aragon, Louis: Die Glocken von Basel. Berlin: Aufbau, 1957.<br />
Auer, Annemarie: Clara Zetkin – ein Porträt. In: Hervé, Florence (Hrsg.): Brot <strong>und</strong> Rosen.<br />
Geschichte <strong>und</strong> Perspektive der demokratischen Frauenbewegung. Frankfurt am Main:<br />
Marxistische Blätter, 1979, S. 73-78.
6.2.2 AUTO-/BIOGRAPHISCHE ARBEITEN UND AUFSÄTZE ZU DEN „GLEICHHEIT“-MITARBEITERINNEN<br />
Badia, Gilbert: Clara Zetkin – Eine Biographie. (Originaltitel: Clara Zetkin, féministe sans<br />
frontiéres, 1993) Berlin: Dietz, 1994.<br />
Bauer, Karin: Clara Zetkin <strong>und</strong> die proletarische Frauenbewegung. Berlin: Oberbaum, 1984.<br />
Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, S. 845-846.<br />
Bojarskaja, Sinaida: Clara Zetkin. Eine Kämpferin. Berlin: Verlag der Jugendinternationale, 1927.<br />
Clara Zetkin. Bilder <strong>und</strong> Dokumente. Leipzig: Verlag für die Frau, 1982.<br />
Clara Zetkin. Ein Sammelband zum Gedächtnis der großen Kämpferin. Moskau, Leningrad:<br />
Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter in der UdSSR, 1934.<br />
Clara Zetkin. Eine Auswahlbibliographie der Schriften von <strong>und</strong> über Clara Zetkin. Berlin: O.A.,<br />
1957.<br />
Clara Zetkin. Hrsg. vom Demokratischen Frauenb<strong>und</strong> Deutschlands. [Berlin (Ost)] 1952.<br />
Clara Zetkin. Leben <strong>und</strong> Lehren einer Revolutionärin. Berlin: Deutscher Frauen-Verlag, 1949.<br />
„Clara Zetkin zum 100. Geburtstag“. Themenheft: Lernen <strong>und</strong> Handeln. Jg. 8 (1957), Nr. 10/11.<br />
Dornemann, Luise: Clara Zetkin. Leben <strong>und</strong> Wirken. Berlin: Dietz, 1973.<br />
Dörnenburg, Manuela: Clara Zetkin. Die Flügel wachsen mit der Aufgabe. Eine Annäherung.<br />
Birkenwerder: Korona Kulturverein e.V, 1997.<br />
Drabkin, Jakow: Die Aufrechten. Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Franz Mehring, Clara<br />
Zetkin. Berlin: Dietz, 1988.<br />
Eilers, Kerstin: Clara Zetkin als Pädagogin – ein kritischer Blick auf die DDR-Rezeption.<br />
Diplomarbeit Universität-Gesamthochschule Siegen, 1996.<br />
Elsner, Gisela: Clara Zetkin (1857-1933). In: Schultz, Frauen-Porträts aus zwei Jahrh<strong>und</strong>erten, S.<br />
158-171.<br />
Franzke, Astrid / Nagelschmidt, Ilse (Hrsg.): „Ich kann nicht gegen meine Überzeugung handeln“<br />
– Clara Zetkin zum 150. Geburtstag. Leipzig: Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, 2008.<br />
Fricke, Dieter: Clara Zetkin <strong>und</strong> der „Sozialdemokrat“. In: BzG, Jg. 3 (1961), Nr. 4, S. 927-937.<br />
Frölich, Paul: Clara Zetkin. In: Alles für die Revolution! Aus dem Leben <strong>und</strong> Wirken der<br />
Kämpferin Clara Zetkin. Hrsg. von Ernst Schneller. Berlin: Vereinigung Internationaler<br />
Verlags-Anstalten, 1927, S. 3-17.<br />
Gerhard, Unerhört, S. 188.<br />
Globig, Martha / Karl, H.: Zetkin. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches<br />
Lexikon, S. 497-501.<br />
Götze, Dieter: Clara Zetkin. Leipzig: Bibliographisches Institut, 1982.<br />
Haferkorn, Katja: Clara Zetkin. Trotz alledem! In: Bock/Ruge/Thoms, Gewalten <strong>und</strong> Gestalten.<br />
Miniaturen <strong>und</strong> Porträts zur deutschen Novemberrevolution 1918/1919, S. 207-217.<br />
Hagemann, Karen: „Und so fordern die Proletarierinnen das Wahlrecht vor allem zum Kampf<br />
gegen die kapitalistische Ordnung“. In: Hagemann/Kolossa, Gleiche Rechte – Gleiche<br />
769
LITERATUR<br />
770<br />
Pflichten?, S. 42-43.<br />
Hervé, Florence (Hrsg.): Clara Zetkin oder: Dort kämpfen, wo das Leben ist. Berlin: Karl Dietz,<br />
2007.<br />
Hoeppel, Rotraut: Clara Zetkin. Erziehung zwischen Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialismus. In:<br />
Brehmer, Mütterlichkeit als Profession? Bd. 1, S. 79-94.<br />
Hohendorf, Gerd: Clara Zetkin. Berlin: Volk <strong>und</strong> Wissen, 1965.<br />
Honeycutt, Karen: Clara Zetkin: A Left-wing Socialist and Feminist in Wilhelmian Germany.<br />
Dissertation Columbia University, 1975.<br />
Ilberg, Hanna: Clara Zetkin. Aus dem Leben <strong>und</strong> Wirken einer großen Sozialistin. Berlin: Neues<br />
Leben, 1956.<br />
Kalender „Wegbereiterinnen“ 2003.<br />
Klara Zetkin. Eine Tochter des deutschen Volkes. Hrsg. von der Sozialistischen Einheits-Partei<br />
Deutschlands, Kreisvorstand Altenburg, Frauenabteilung. Altenburg: Altenburger Druckerei-,<br />
Buchhandels <strong>und</strong> Verlagsgesellschaft Jonas & Co. , [1947].<br />
Klaßen, Angela: Mädchen- <strong>und</strong> Frauenbildung im Kaiserreich 1871-1918. Emanzipatorische<br />
Konzepte bei Helene Lange <strong>und</strong> Clara Zetkin. Würzburg: Ergon, 2003.<br />
Kliche, Dieter: Zur Literatur- <strong>und</strong> Kulturauffassung Clara Zetkins. In: Weimarer Beiträge, Jg. 22<br />
(1976), Nr. 12, S. 38-70.<br />
Koszyk, Kurt: Clara Zetkin – Weibliche Symbolfigur der Kommunisten. In: Schneider, Sie waren<br />
die ersten, S. 91-104.<br />
Kreh, Daniela / Mehrwald, Silke: Clara Zetkin <strong>und</strong> die Rolle der Frau. Eine Untersuchung ihrer<br />
Werke unter besonderer Berücksichtigung der Thematik Frau <strong>und</strong> Armut <strong>und</strong> die Frau in<br />
der Familie. Hausarbeit Gesamthochschule Kassel, 1985.<br />
Laabs, Ute: Clara Zetkin contra Lily Braun. In: Kolloquium der Forschungsgemeinschaft<br />
„Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“, 1981, S. 33-37.<br />
Luxenberg, Adele: Klara Zetkin. In: Schneider, Deutscher Frauen Leben <strong>und</strong> Streben, S. 80-83.<br />
Mallachow, Lore: Clara Zetkin. Ihr Leben in Bildern. Leipzig: Enzyklopädie Leipzig, 1960.<br />
M.d.R., S. 632-633.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 347-348.<br />
Pieck, Wilhelm: Clara Zetkin. Leben <strong>und</strong> Kampf. Geboren 5. Juli 1857 / gestorben 20. Juni 1933.<br />
Berlin: Dietz, 1948.<br />
Plener, Ulla (Hrsg.): Clara Zetkin in ihrer Zeit. Neue Fakten, Erkenntnisse, Wertungen. Material<br />
des Kolloquiums anlässlich ihres 150. Geburtstages am 6. Juli 2007 in Berlin. Berlin:<br />
Karl Dietz, 2008.<br />
Puschnerat, Tânia: Clara Zetkin – Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus. Eine Biographie. Essen:<br />
Klartext, 2003 (darin ist eine umfangreiche Aufstellung biographischer Zetkin-Literatur<br />
enthalten, S. 443-456).<br />
Radelhammer, Schorsch [d. i. Schweizer, Karl]: Clara Zetkin in Biberach <strong>und</strong> Friedrichshafen. In:<br />
Südschwäbische Nachrichten. 1989, Nr. 3, S. 22-23.
6.2.2 AUTO-/BIOGRAPHISCHE ARBEITEN UND AUFSÄTZE ZU DEN „GLEICHHEIT“-MITARBEITERINNEN<br />
Riepl-Schmidt, Wider das verkochte <strong>und</strong> verbügelte Leben, S. 157-172.<br />
Sachse, Mirjam: Clara Zetkin – eine von „Ismen“ bestimmte Persönlichkeit?! (Rezension zu<br />
Puschnerat, Tânia: Clara Zetkin: Bürgerlichkeit <strong>und</strong> Marxismus. Eine Biographie. Essen:<br />
Klartext, 2003). In: Ariadne, 2004, Nr. 45-46, S. 149-151.<br />
Söllner, Christa: Clara Zetkin <strong>und</strong> die Sozialistische Frauenbewegung in der Zeit von 1890 bis<br />
zum 1. Weltkrieg. Köln: Zentralausschuß Soz. Bildungs-Gemeinschaften e.V. NRW-<br />
Zweigbüro Köln, 1970.<br />
Staude, Fritz: Auf den Spuren Clara Zetkins – Ein Beitrag zum 125. Geburtstag der großen Revolutionärin.<br />
In: Mitteilungsblatt der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der<br />
deutschen Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“, 1982, Nr. 2, S. 5-20.<br />
Staude, Fritz: Zur bürgerlichen Historiographie über die proletarische Frauenbewegung unter<br />
besonderer Beachtung der Darstellung Clara Zetkins. In: Kolloquium der Forschungsgemeinschaft<br />
„Geschichte des Kampfes der Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“<br />
1981, S. 18-32.<br />
Streidel, Melanie: Der Streit Klara Zetkins mit Lily Braun im Spannungsfeld zwischen<br />
Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus (1894-1907). Examensarbeit Universität Erlangen-Nürnberg,<br />
1993.<br />
Walle, Marianne: Frauen <strong>und</strong> Politik/ Macht – ein Beispiel in der deutschen Frauengeschichte.<br />
Lily Braun <strong>und</strong> Clara Zetkin in der SPD um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende (1896-1908). In:<br />
Dalhoff/Frey/Schöll, Frauenmacht in der Geschichte, S. 372-379.<br />
Weber, Hermann: Zwischen kritischem <strong>und</strong> bürokratischem Kommunismus. Unbekannte Briefe<br />
von Clara Zetkin. In: Archiv für Sozialgeschichte, Bd. XI (1971), S. 417-448.<br />
Zetkin, Maxim: Clara Zetkin als Erzieherin im Hause. Erinnerungen, niedergeschrieben von ihrem<br />
Sohn Maxim Zetkin. In: Jahrbuch für Erziehungs- <strong>und</strong> Sozialgeschichte. Jg. 3 (1963), S.<br />
229-248.<br />
Z<strong>und</strong>el, Georg: „Es muss viel geschehen!“ – Erinnerungen eines friedenspolitisch engagierten<br />
Naturwissenschaftlers. Berlin: Verlag für Wissenschafts- <strong>und</strong> Regionalgeschichte, 2006<br />
(siehe auch: http://www.z<strong>und</strong>el.at/html/ueber_seinen_vater.html (letzter Seitenbesuch:<br />
12.10.2008).<br />
Zetkin,<br />
Konstantin Ettinger, Elżbieta: Rosa Luxemburg. Ein Leben. Bonn: Dietz, 1990.<br />
Zietz<br />
Gerhard, Unerhört, S. 318.<br />
Globig, Martha: Zietz. In: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon,<br />
S. 501-502.<br />
Hagemann, Karen: „Eine der eifrigsten <strong>und</strong> radikalsten unter den leitenden sozialdemokratischen<br />
Frauen“. In: Hagemann/Kolossa, Gleiche Rechte – Gleiche Pflichten?, S. 40.<br />
Heymann, Lida Gustava: Luise Zietz. In: Die Frau im Staat. Jg. 4 (1922), Heft 3.<br />
Kalender „Wegbereiterinnen“ 2003.<br />
Niggemann, Frauenemanzipation <strong>und</strong> Sozialdemokratie, S. 348.<br />
Notz, Gisela: „Alle, die ihr schafft <strong>und</strong> euch mühet im Dienste anderer, seid einig!“ – Luise Zietz,<br />
geb. Körner (1865-1922). In: JBzG, Jg. 2 (2003), Nr. 2, S. 135-149.<br />
771
LITERATUR<br />
772<br />
Zeisler, Hans: Die Stellung von Luise Zietz zur Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. In:<br />
Mitteilungsblatt der Forschungsgemeinschaft „Geschichte des Kampfes der deutschen<br />
Arbeiterklasse um die Befreiung der Frau“, 1977, Nr. 3, S. 29-35.<br />
Zeisler, Hans: Luise Zietz. Leben <strong>und</strong> Wirken in der proletarischen Frauenbewegung 1865-1922.<br />
(Ein biographischer Beitrag). Dissertation Pädagogische Hochschule „Clara Zetkin“<br />
Leipzig, 1978.<br />
Zetkin, Clara: Luise Zietz †. In: Die Kommunistische Fraueninternationale, Jg. 2 (1922), Nr. 2/38<br />
(Reprint: S. 671-676).
6.3 Die frauenbiographischen Artikel aus dem Hauptblatt der „Gleichheit“<br />
Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />
(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />
1. Adams-Lehmann,<br />
Hope Bridges<br />
(1855-1916)<br />
2. Agnesi, Maria<br />
Gaëtana de<br />
(1718-1799)<br />
3. Anneke, Mathilde<br />
(1817-1884)<br />
4. Arnim, Bettina von<br />
(1785-1859)<br />
5. Aston, Louise<br />
(1815-1871)<br />
6. B.<br />
(?-?)<br />
7. Baader, Ottilie<br />
(1847-1925)<br />
8. Bardina, Sophie<br />
(1853-1880)<br />
9. Baumann, Christine<br />
(1837-?)<br />
10. Bebel, Julie<br />
(1843-1910)<br />
Genossin Hope Bridges Adams-Lehmann †. In: GL, 27/ 02/<br />
27.10.1916/ 14/ AdB.<br />
Pfülf, Antonie: Dr. med. Hope Bridget Adams-Lehmann. In: Unsere<br />
Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 61-62.<br />
Leitbild<br />
Maria Gaëtana d‘Agnesi. In: GL, 02/ 09/ 04.05.1892/ 79-80. V<br />
Blos, Anna: Mathilde Anneke. Die Gründerin einer Frauenzeitung aus<br />
dem Jahre 1848. In: GL, 32/ 21/ 01.11.1922/ 192-193/ F.<br />
[Wittich, Manfred?] M. W.: Bettina von Arnim. In: GL, 10/ 15/<br />
18.07.1900/ 116-117/ F.<br />
[Wittich, Manfred?] M. W.: Bettina von Arnim. (Schluß.). In: GL, 10/<br />
16/ 01.08.1900/ 124-125/ F.<br />
Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts I: Bettina von<br />
Arnim. In: GL, 29/ 31/ 20.09.1919/ 243-246/ F.<br />
Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts I: Bettina von<br />
Arnim. (Schluß). In: GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 251-252/ F.<br />
[Blos, Wilhelm?] W. B.: Aus dem Leben einer Revolutionärin. In: GL,<br />
15/ 11/ 31.05.1905/ 63-64.<br />
Blos, Anna: Luise Aston. In: GL, 24/ 12/ 04.03.1914/ 182-183.<br />
Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts [VII]: Luise Aston.<br />
In: GL, 31/ 03/ 01.02.1921/ 21-22/ F.<br />
Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts [VII]: Luise Aston.<br />
(Schluß). In: GL, 31/ 04/ 15.02.1921/ 31-33/ F.<br />
L. W.-K.: Eine muthige Frankfurterin. In: GL, 02/ 13/ 29.06.1892/<br />
111-112.<br />
Genosse Baader ... In: GL, 07/ 24/ 24.11.1897/ 190/ AdB.<br />
Ein Jubiläum. In: GL, 17/ 12/ 10.06.1907/ 102/ AdB.<br />
Ottilie Baaders siebzigster Geburtstag. In: GL, 27/ 17/ 25.05.1917/<br />
114-115.<br />
[Baader, Ottilie] Baader-Dietrichs, Ottilie: Vor dreißig Jahren. In: GL,<br />
30/ 18/ 01.05.1920/ 131-132.<br />
[Heymann, Johanna?] J. H.: Ottilie Baader-Diedrichs. In: Unsere<br />
Vorkämpferinnen. In: GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 62-63.<br />
[Radtke-Warmuth, Elli?] E. Rdt.: Aus den Erinnerungen einer alten<br />
Führerin. In: GL, 32/ 03/ 01.02.1922/ 23-24.<br />
Ottilie Baader 75 Jahre! In: GL, 32/ 11/ 01.06.1922/ 102.<br />
Issajew, A.: Sophie Bardina. In: GL, 02/ 16/ 10.08.1892/ 135-136.<br />
Issajew, A.: Sophie Bardina. (Schluß.). In: GL, 02/ 17/ 24.08.1892/<br />
143-144.<br />
Zietz, Luise: Tante Baumann achtzigjährig! In: GL, 27/ 15/<br />
27.04.1917/ 101.<br />
Julie Bebel †. In: GL, 21/ 05/ 21.11.1910/ 67-69. E<br />
K<br />
V<br />
V<br />
V<br />
V<br />
K<br />
K<br />
K<br />
773
LITERATUR<br />
Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />
(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />
11. Beckenstedt, Johanna<br />
(?-1897)<br />
12. Benz, Sybilla<br />
(?-1918)<br />
13. Berditschewskaja,<br />
Maria Lwowna<br />
(?-1905)<br />
14. Bloch, Rosa<br />
(1880-1922)<br />
15. Bode, Katharina<br />
(1861-1901)<br />
16. Brader, Marie<br />
(?-1897)<br />
17. Breschkowskaja,<br />
Katharina<br />
(1844-1934)<br />
18. Brüggemann, Grete<br />
(?-1910/ 24-jährig)<br />
19. Brügmann, Anna<br />
(?-1906)<br />
20. Cauer, Minna<br />
(1841-1922)<br />
21. Clemenc, Annie<br />
(1888-1956)<br />
22. Colditz, Marie<br />
(1827-1907/ 79-jährig)<br />
23. Cornelia<br />
(um 190 v.u.Z.- um<br />
100 v.u.Z.)<br />
24. Dittmer, Emilie<br />
(1837-?)<br />
25. Dobrodzicka, Wanda<br />
(1863-?)<br />
Zwei wackere Kämpferinnen ... In: GL, 07/ 08/ 14.04.1897/ 61-62, 61/<br />
AdB.<br />
Leitbild<br />
Genossin Benz †. In: GL, 28/ 18/ 07.06.1918/ 141-142/ AuB. K<br />
Maria Lwowna Berditschewskaja. In: GL, 15/ 05/ 08.03.1905/ 25/ L.<br />
Krille, Otto: Maria Lwowna Berditschewskaja. In: GL, 25/ 22/<br />
01.11.1905/ 132.<br />
Rosa Bloch †. In: GL, 32/ 16/ 15.08.1922/ 153/ Aus der Frauenbewegung<br />
des Auslandes.<br />
Katharina Bode †. In: GL, 11/ 08/ 10.04.1901/ 60-61/ F. K<br />
Ein[e] wackere Streiterin... In: GL, 07/ 22/ 27.10.1897/ 175/ AdB. K<br />
Katharina Breschkowski, eine der tapfersten russischen Freiheitskämpferinnen<br />
... In: GL, 24/ 13/ 18.03.1914/ 207/ N<br />
Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.<br />
Tenenbaum, Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. In: GL, 24/ 20/<br />
24.06.1914/ 307-308.<br />
Tenenbaum, Edda: Katharina Breschko-Breschkowskaja. (Schluß.). In:<br />
GL, 24/ 21/ 08.07.1914/ 325-326.<br />
Soll, Karl: Politische Frauen. (Schluß). In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210-<br />
211.<br />
Deffner, Relie: Grete Brüggemann †. In: GL, 20/ 14/ 11.04.1910/ 220/<br />
AdB.<br />
Brumm[, ?]: Genossin Brügmann – Itzehoe †. In: GL, 16/ 07/<br />
04.04.1906/ 45/ AdB.<br />
Frau Minna Cauers siebzigster Geburtstag ... In: GL, 22/ 04/ 15.11.1911/<br />
64/ N Frauenbewegung<br />
Heilbut, Kurt: Minna Cauer‘s 80. Geburtstag am 1. November 1921. In:<br />
GL, 31/ 21/ 01.11.1921/ 208.<br />
Zepler, Wally: Unsere Toten. In: GL, 32/ 17/ 18/ 01.09.1922/ 164-165.<br />
Zwei amerikanische „Bergarbeiter-Engel“. II. Annie Clemenc. In: GL,<br />
24/ 09/ 21.01.1914/ 132-134.<br />
Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in<br />
Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 169-170.<br />
Genossin Colditz †. In: GL, 17/ 04/ 20.02.1907/ 28 / AdB.<br />
Genossin Marie Colditz ... In: GL, 17/ 05/ 06.03.1907/ 36/ AdB.<br />
Cornelia, die Mutter der Gracchen. In: GL, 03/ 04/ 22.02.1893/ 31-32. M<br />
L. F.: Mutter Dittmer 80 Jahre alt. In: GL, 27/ 09/ 02.02.1917/ 59-60/<br />
AdB.<br />
[Kautsky, Luise?] L.Ky: Eine freigesprochene Attentäterin. In: GL, 18/<br />
05/ 02.03.1908/ 39-40.<br />
26. Dohm, Hedwig Hedwig Dohm †. In: GL, 29/ 19/ 20.06.1919/ 152/ AuB. B<br />
774<br />
K<br />
K<br />
K<br />
K<br />
K<br />
K<br />
B<br />
K<br />
K<br />
K<br />
K
6.3 DIE FRAUENBIOGRAPHISCHEN ARTIKEL AUS DEM HAUPTBLATT DER „GLEICHHEIT“<br />
Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />
(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />
(1833-1919)<br />
27. Döring, Josephine<br />
(?-1902)<br />
28. Duensing, Frieda<br />
(1864-1921)<br />
29. Dunkel, Elise<br />
(?-1913)<br />
30. Ebel, Auguste<br />
(?-1908)<br />
31. Eichhorn, Auguste<br />
(1851-1902)<br />
32. Ferré, Marie<br />
(ca. 1851-1882)<br />
33. Fickert, Auguste<br />
(1855-1910)<br />
34. Figner, Vera<br />
(1852-1942)<br />
35. Fluderer, Katharina<br />
(?-1920/ 45-jährig)<br />
36. Friedländer, Regine<br />
(?-1918)<br />
37. Frumkin, Fruma<br />
(?-1907)<br />
38. Garibaldi, Anita<br />
(1821-1849)<br />
39. Gatti de Gamond,<br />
Isabella<br />
(1839-1905)<br />
40. Gerok, Emilie<br />
(?-1898)<br />
41. Goethe, Katharina<br />
Elisabeth<br />
(1731-1808)<br />
Leitbild<br />
Josephine Döring †. In: GL, 12/ 22/ 22.10.1902/ 173-174/ F. K<br />
Duensing, Berta: Frieda Duensing †. In: GL, 31/ 04/ 15.02.1921/ 34. B<br />
Elise Dunkel †. In: GL, 23/ 24/ 20.08.1913/ 383/ N Sozialistische<br />
Frauenbewegung im Ausland.<br />
Zietz, Luise: Mutter Ebel †. In: GL, 18/ 06/ 16.03.1908/ 54/ AdB. K<br />
Auguste Eichhorn. In: GL, 12/ 13/ 18.06.1902/ 100-102<br />
Seidel, Robert: Ein Kranz auf Genossin Eichhorns Grab. In: GL, 12/ 14/<br />
02.07.1902/ 108/ F<br />
Marie Ferré. In: GL, 02/ 14/ 13.07.1892/ 119-120. K<br />
Auguste Fickert †. In: GL, 20/ 20/ 04.07.1910/ 320/ N Frauenbewegung B<br />
Wera Finger. In: GL, 22/ 22/ 24.07.1912/ 340-341. K<br />
Blase, Th[erese]: Katharina Fluderer †. In: GL, 30/ 16/ 17.04.1920/ 118. K<br />
O. W.: Regine Friedländer †. In: GL, 29/ 02/ 25.10.1918/ 14-15/ AuB. K<br />
[Kautsky, Luise? oder Kähler, Luise?] L. K.: Zwei Märtyrerinnen im<br />
russischen Freiheitskampf. In: GL, 18/ 04/ 17.02.1908/ 30.<br />
Stockinger-Altenhof, Clara: Anita Garibaldi. In: GL, 02/ 22/ 02.11.1892/<br />
183-184.<br />
Blos, Anna: Anita Garibaldi. In: GL, 17/ 13/ 24.06.1907/ 109-110.<br />
Blos, Anna: Anita Garibaldi. (Schluß.). In: GL, 17/ 14/ 08.07.1907/ 117.<br />
Isabella Gatti de Gamond †. In: GL, 15/ 22/ 01.11.1905/ 127/ L. K<br />
Eine treue, warme Fre<strong>und</strong>in der Frauensache <strong>und</strong> der Interessen des<br />
arbeitenden Volkes ... In: GL, 08/ 22/ 26.10.1898/ 176/ N<br />
Frauenbewegung<br />
Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. In: GL, 12/ 06/ 12.03.1902/ 44/ F.<br />
Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 07/<br />
26.03.1902/ 52-53/ F.<br />
Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 08/<br />
09.04.1902/ 60-61/ F.<br />
Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 09/<br />
23.04.1902/ 68/ F.<br />
Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 10/<br />
07.05.1902/ 76/ F.<br />
K<br />
K<br />
K<br />
E<br />
B<br />
M<br />
775
LITERATUR<br />
Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />
(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />
42. Goethe-Vulpius,<br />
Christiane<br />
(1765-1816)<br />
43. Greie-Cramer, Johanna<br />
(1864-1911)<br />
44. Grünfeld, Johanna<br />
(?-1911)<br />
45. Guillaume-Schack,<br />
Gertrud<br />
(1845-1903)<br />
46. Hajlamatz, ?<br />
(?-1916)<br />
47. Heckel, Elise<br />
(?-1923)<br />
48. Heiden-Deutschmann,<br />
Lea<br />
(1877-1906)<br />
49. Heinrich, Klara<br />
(?-1903/ 28-jährig)<br />
50. Helfmann, Jessa<br />
(zw. 1852 u.1855-<br />
1882)<br />
51. Hennig, Pauline<br />
(?-1912)<br />
52. Herwegh, Emma<br />
(1817-1904)<br />
53. Heß, Sybille<br />
(1820-1903)<br />
54. Heusgen, Julie<br />
(1866-1911)<br />
55. Hoffmann, Stephanie<br />
(?-1918/ 47-jährig)<br />
56. Hofstetten, Mathilde<br />
von<br />
(1847-?)<br />
776<br />
Wittich, Manfred: Frau Rath Goethe. (Schluß.). In: GL, 12/ 11/<br />
21.05.1902/ 84-85/ F.<br />
Blos, Anna: Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung. In: GL, 29/<br />
01/ 11.10.1918/ 6-7/ F.<br />
Blos, Anna: Christiane Goethe-Vulpius. Eine Rechtfertigung. In: GL, 29/<br />
02/ 25.10.1918/ 13-14/ F.<br />
Johanna Greie-Cramer †. In: GL, 21/ 26/ 25.09.1911/ 416/ N<br />
Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.<br />
Johanna Greie-Cramer. In: GL, 22/ 02/ 23.10.1911/ 19-20.<br />
Martzloff, Marie: Genossin Johanna Grünfeld, Freiburg i. Br. † In: GL,<br />
22/ 06/ 11.12.1911/ 91/ AdB.<br />
Frau Guillaume-Schack †. In: GL, 14/ 03/ 27.01.1904/ 22/ AdB.<br />
Hofmann, Marie: Gertrud Guillaume-Schack. In: GL, 14/ 13/<br />
15.06.1904/ 99-101.<br />
Hofmann, Marie: Gertrud Guillaume-Schack. (Schluß.). In: GL, 14/ 14/<br />
29.06.1904/ 107-108.<br />
os.: Genossin Hajlamatz – Leipzig †. In: GL, 26/ 23/ 04.08.1916/ 173/<br />
AdB.<br />
Leitbild<br />
Schilling, Minna: Elise Heckel † In: GL, 33/ 06/ 15.03.1923/ 47/ AuB. K<br />
Lea Heiden-Deutschmann †. In: GL, 16/ 21/ 17.10.1906/ 147-148/ AdB. K<br />
Genossin Klara Heinrich †. In: GL, 13/ 22/ 21.10.1903/ 175/ AdB. K<br />
Jessa Helfmann. In: GL, 02/ 03/ 08.02.1892/ 31-32. K<br />
Wehmann, Klara: Pauline Hennig †. In: GL, 22/ 12/ 04.03.1912/ 187/<br />
AdB.<br />
Eine Freiheitskämpferin. In: GL, 14/ 09/ 20.04.1904/ 71-72. E<br />
Sybille Heß. In: GL, 14/ 01/ 01.01.1904/ 5-6.<br />
Sybille Heß. (Fortsetzung statt Schluß.). In: GL, 14/ 02/ 13.01.1904/ 10-<br />
11.<br />
Sybille Heß. (Schluß.). In: GL, 14/ 03/ 27.01.1904/ 19-21.<br />
Julie Heusgen, Düren †. In: GL, 21/ 11/ 27.02.1911/ 170-171/ AdB. K<br />
Blase, Therese: Stephanie Hoffmann. In: GL, 28/ 22/ 02.08.1918/ 174/<br />
AuB.<br />
Schütte, Max: Zum 75. Geburtstage Mathilde von Hofstettens. In: GL,<br />
32/ 14-15/ 01.08.1922/ 141-142/ AuB<br />
E<br />
K<br />
K<br />
V<br />
K<br />
K<br />
E<br />
K<br />
K
6.3 DIE FRAUENBIOGRAPHISCHEN ARTIKEL AUS DEM HAUPTBLATT DER „GLEICHHEIT“<br />
Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />
(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />
57. Hoppe, Marie<br />
(?-1900/ 81-jährig)<br />
58. Hoppe, Martha<br />
(1860-?)<br />
59. Hübler, Anna<br />
(1876-1923)<br />
60. Huch, Ricarda<br />
(1864-1947)<br />
61. Humboldt, Karoline<br />
von<br />
(1766-1829)<br />
62. Huygens, Cornélie<br />
(1848-1902)<br />
63. Hyndman, Mathilda<br />
(?-1913)<br />
64. Ihrer, Emma<br />
(1857-1911)<br />
65. Jallandt, ?<br />
(?-1905)<br />
66. Jones, Mary<br />
(1830-1930)<br />
67. Kadeit, Auguste<br />
(?-1909/ 33-jährig)<br />
68. Kant, Anna Regina<br />
(1697-1737)<br />
69. Karschin, Anna Louisa<br />
(1722-1791)<br />
Eine muthige <strong>und</strong> treue Kämpferin für die Befreiung des Proletariats ...<br />
In: GL, 10/ 03/ 31.01.1900/ 20-21/ AdB.<br />
Leitbild<br />
M. T.: Eine Jubilarin ... In: GL, 30/ 11/ 13.03.1920/ 87/ AuB. K<br />
Schulze, Ida: Anna Hübler †. In: GL, 33/ 16/ 15.08.1923/ 132. K<br />
Heymann, Lida Gustava: Ricarda Huch. In: GL, 28/ 26/ 27.09.1918/<br />
204-206/ F.<br />
Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts [VIII]: Karoline v.<br />
Humboldt, geb. v. Dachröden. In: GL, 31/ 12/ 15.06.1921/<br />
115-117/ F.<br />
Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts [VIII]: Karoline v.<br />
Humboldt, geb. v. Dachröden. (Schluß). In: GL, 31/ 13/<br />
01.07.1921/ 125-127/ F.<br />
Grunwald, Max: Cornélie Huygens †. In: GL, 12/ 24/ 19.11.1902/ 185/<br />
L.<br />
Genossin Mathilda Hyndman †. In: GL, 23/ 22/ 23.07.1913/ 351/ N<br />
Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.<br />
Emma Ihrer †. In: GL, 21/ 08/ 16.01.1911/ 113-114/ L.<br />
Emma Ihrers Begräbnis. In: GL, 21/ 09/ 30.01.1911/ 140.<br />
Ein Förderer der Arbeiterinnenbewegung. In: GL, 26/ 04/ 12.11.1915/<br />
26-27.<br />
[Hanna, Gertrud?] G. H.: Emma Ihrer. In: Unsere Vorkämpferinnen. In:<br />
GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 60-61.<br />
[Ohne Titel. In:] GL, 15/ 24/ 29.11.1905/ 142/ AdB K<br />
Mutter Jones. In: GL, 12/ 23/ 05.11.1902/ 180-182/ F.<br />
Mutter Jones. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 24/ 19.11.1902/ 188-190/ F.<br />
Mutter Jones. (Fortsetzung.). In: GL, 12/ 25/ 03.12.1902/ 195-198/ F.<br />
Mutter Jones (Schluß.). In: GL, 12/ 26/ 17.12.1902/ 205-206/ F.<br />
Hepner, A[dolf]: Zwei amerikanische „Bergarbeiter-Engel“. I. Mutter<br />
Jones. In: GL, 24/ 08/ 07.01.1914/ 117-119.<br />
Was eine amerikanische Streikführerin erdulden muß. In: GL, 24/ 14/<br />
01.04.1914/ 223-224/ N Sozialistische Frauenbewegung im<br />
Ausland.<br />
f. r.: Mutter Jones Freilassung ... In: GL, 24/ 19/ 10.06.1914/ 304/ N<br />
Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.<br />
Auguste Kadeit †. In: GL, 19/ 23/ 16.08.1909/ 361/ AdB. K<br />
Kipfmüller, Bertha: Kants Mutter. In: GL, 30/ 04/ 24.01.1920/ 27-29. M<br />
L. W.-K.: Anna Louisa Karschin. In: GL, 02/ 04/ 22.02.1892/ 38-40.<br />
L. W.-K.: Anna Louisa Karschin. (Schluß.). In: GL, 02/ 05/ 07.03.1892/<br />
47-48.<br />
K<br />
V<br />
V<br />
K<br />
K<br />
K<br />
K<br />
V<br />
777
LITERATUR<br />
Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />
(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />
70. Kaschewarowa-<br />
Rudnewa, Barbara<br />
Alexandrowna<br />
(1842-1899)<br />
71. Kautsky, Minna<br />
(1837-1912)<br />
72. Keller, Helen<br />
(1880-1968)<br />
73. Kellner, Katharina<br />
(?-1910)<br />
74. Kinkel, Johanna<br />
(1810-1858)<br />
75. Klingner, Marie<br />
(1846-?)<br />
76. Koenen, Sophie<br />
(?-1910)<br />
77. Kofler, Viktoria<br />
(?-1894)<br />
78. Kowald, Lina<br />
(?-1892)<br />
79. Kuhlmann, Frieda<br />
(?-1916)<br />
80. Kulischoff, Anna<br />
(1857-1925)<br />
Tod der ersten russischen Aerztin. In: GL, 09/ 13/ 21.06.1899/ 104/ N<br />
Frauenbewegung<br />
Kunert, Marie: Minna Kautsky. In: GL, 17/ 12/ 10.06.1907/ 100-101.<br />
Minna Kautsky †. In: GL, 23/ 08/ 08.01.1913/ 121/ AdB.<br />
Stern, Meta L[ilienthal]: Helen Keller eine Genossin. In: GL, 22/ 24/<br />
21.08.1912/ 383-384/ N Sozialistische Frauenbewegung im<br />
Ausland.<br />
Helen Keller ... In: GL, 30/ 12/ 20.03.1920/ 94/ Aus der Frauenbewegung<br />
des Auslandes.<br />
Lennemann, Wilhelm: Helen Keller. In: GL, 32/ 04/ 15.02.1922/ 35-37/<br />
F.<br />
Lennemann, Wilhelm: Helen Keller (Schluß). In: GL, 32/ 05/<br />
01.03.1922/ 46-48/ F.<br />
Bender, Hermann: Genossin Katharina Kellner – Preungesheim †. In:<br />
GL, 21/ 05/ 05.12.1910/ 76/ AdB<br />
Leitbild<br />
Blos, Anna: Auch eine Heldin. In: GL, 18/ 10/ 11.05.1908/ 89. E<br />
[Baader, Ottilie?] O. B.: Eine Jubilarin. In: GL, 26/ 25/ 01.09.1916/ 184-<br />
185/ AdB.<br />
Sophie Koenen †. In: GL, 21/ 04/ 21.11.1910/ 58/ AdB. K<br />
Viktoria Kofler. In: GL, 04/ 09/ 02.05.1894/ 70-71. K<br />
Ohne Titel, GL, 02/ 15/ 27.07.1892/ 126/ AB K<br />
Kähler, Luise: Frieda Kuhlmann – Hamburg In: GL, 26/ 17/ 12.05.1916/<br />
128/ AdB.<br />
Anna Kulischoff. In: GL, 08/ 15/ 20.07.1898/ 115-119.<br />
Unsere tapfere Genossin Kulischoff ... In: GL, 08/ 20/ 28.09.1898/ 159-<br />
160/ N Sozialistische Frauenbewegung im Auslande<br />
Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen<br />
Frauenbewegung in Italien. Anna Maria Mozzoni, Anna<br />
Kulischoff. Die ersten größeren Lohnbewegungen der<br />
italienischen Arbeiterinnen. In: GL, 13/ 05/ 25.02.1903/ 36-38.<br />
Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen<br />
Frauenbewegung in Italien. Fortschritte, Rückschläge <strong>und</strong><br />
Aussichten der Frauenbewegung im Jahre 1893. In: GL, 13/<br />
08/ 08.04.1903/ 58-60.<br />
Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen<br />
Frauenbewegung in Italien. Die Ausbreitung <strong>und</strong> Vertiefung<br />
der Arbeiterinnenbewegung in den Jahren 1893 bis 1898. In:<br />
GL, 13/ 11/ 20.05.1903/ 83-85.<br />
Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen<br />
Frauenbewegung in Italien. Das „böse Jahr“ 1898. In: GL, 13/<br />
17/ 12.08.1903/ 131-134.<br />
81. Lafargue, Laura Paul <strong>und</strong> Laura Lafargue. In: GL, 22/ 06/ 11.12.1911/ 83-85. E<br />
778<br />
V<br />
V<br />
V<br />
K<br />
K<br />
K<br />
K
6.3 DIE FRAUENBIOGRAPHISCHEN ARTIKEL AUS DEM HAUPTBLATT DER „GLEICHHEIT“<br />
Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />
(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />
(1845-1911)<br />
82. Legros, Françoise<br />
(1749-1788)<br />
83. Lehmann, Wilhelmine<br />
(?-1911)<br />
84. Levin, Rahel<br />
(1771-1833)<br />
85. Lewin-Dorsch, Hannah<br />
(?-1911)<br />
86. Liebknecht, Natalie<br />
(1835-1909)<br />
87. Lorenz, ?<br />
(?-1916)<br />
88. Ludwig, Marie<br />
(?-1896)<br />
89. Luther, ?<br />
(?-1898)<br />
90. Lutze, Ernestine<br />
(1873-1948)<br />
91. Mac Donald, Margaret<br />
Ethel<br />
(1870-1911)<br />
92. Macarthur, Mary<br />
(1880-1921)<br />
93. Mahn, Emilie<br />
(1847-1908)<br />
94. Mantegazza, Laura<br />
Solera<br />
(1813-1873)<br />
95. Marabini, Emilia<br />
Alciati<br />
(?-1897)<br />
96. Marx, Jenny<br />
(1814-1881)<br />
97. Marx-Aveling, Eleanor<br />
(1855-1898)<br />
98. Menzzer, Marianne<br />
(1814-1895)<br />
99. Méricourt, Théroigne<br />
de<br />
Madame Legros. In: GL, 02/ 02/ 25.01.1892/ 22-24.<br />
Die Pariser Frauen des 5. <strong>und</strong> 6. Oktober 1789. In: GL, 02/ 19/<br />
21.09.1892/ 159-160.<br />
Blase, Therese: Wilhelmine Lehmann (Mannheim) †. In: GL, 21/ 18/<br />
05.06.1911/ 282/ AdB.<br />
Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts III: Rahel Levin. In:<br />
GL, 29/ 36/ 25.10.1919/ 283-286/ F.<br />
Leitbild<br />
Hannah Lewin-Dorsch †. In: GL, 21/ 23/ 14.08.1911/ 362-263/ AdB. K<br />
Natalie Liebknecht. In: GL, 19/ 10/ 15.02.1909/ 152/ AdB. E<br />
Genossin Lorenz, Kiel-Gaarden †. In: GL, 27/ 01/ 13.10.1916/ 7/ AdB. K<br />
Wackere Kämpferinnen. In: GL, 06/ 24/ 25.11.1896/ 188-189. K<br />
Eine treue Parteigenossin ... In: GL, 09/ 02/ 18.01.1899/ 13-14/ AdB. V<br />
Ein Doppeljubiläum. In: GL, 33/ 14/ 15.07.1923/ 115-116/ AuB. K<br />
Margaret Ethel Mac Donald †. In: GL, 21/ 26/ 25.09.1911/ 405-406. K<br />
Kämmerer-Leonhardt, E.: Olive Schreiner <strong>und</strong> Mary Macarthur/ 31/ 03/<br />
01.02.1921/ 18-19.<br />
Emilie Mahn †. In: GL, 18/ 12/ 08.06.1908/ 108/ AdB. K<br />
Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen<br />
Frauenbewegung in Italien. Die ersten Anfänge der<br />
proletarischen Frauenbewegung in Italien bis 1893. In: GL, 13/<br />
01/ 01.01.1903/ 2-3.<br />
Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen<br />
Frauenbewegung in Italien. Die Ausbreitung <strong>und</strong> Vertiefung<br />
der Arbeiterinnenbewegung in den Jahren 1893 bis 1898. In:<br />
GL, 13/ 11/ 20.05.1903/ 83-85.<br />
Blos, Anna: Jenny Marx. In: GL, 28/ 15/ 26.04.1918/ 114-116. E<br />
Eleanor Marx-Aveling †. In: GL, 08/ 08/ 13.04.1898/ 57/ L.<br />
Banner, Robert: Den Tod unserer unvergeßlichen Genossin Eleanor<br />
Marx betreffend ... In: GL, 08/ 10/ 11.05.1898/ 75-76/ AdB.<br />
[Ihrer, Emma?] E. J.: Marianne Menzzer †. In: GL, 05/ 15/ 24.07.1895/<br />
114.<br />
Die Pariser Frauen des 5. <strong>und</strong> 6. Oktober 1789. (Schluß.). In: GL, 02/ 20/<br />
05.10.1892/ 167-168.<br />
V<br />
K<br />
V<br />
K<br />
K<br />
K<br />
K<br />
B<br />
V<br />
779
LITERATUR<br />
Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />
(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />
(1762-1817)<br />
100. Meysenbug, Amalia<br />
Malvida Wilhelmina<br />
Tamina von<br />
(1816-1903)<br />
101. Michel, Louise<br />
(1839-1905)<br />
102. Middleton, Mary<br />
(1870-1911)<br />
103. Misselwitz, ?<br />
(?-?)<br />
104. Morgenstern, Lina<br />
(1831-1909)<br />
105. Motteler, Emilie<br />
(?-1919)<br />
106. Müller, Alwine<br />
(?-?)<br />
107. Müller-Jahnke, Clara<br />
(1861-1905)<br />
780<br />
Théroigne de Méricourt. In: GL, 03/ 01/ 11.01.1893/ 7-8.<br />
Blos, Anna: Eine freie Schule vor fünfzig Jahren. In: GL, 16/ 22/<br />
31.10.1906/ 153-154.<br />
Blos, Anna: Das Leben einer Idealistin. In: GL, 17/ 05/ 06.03.1907/ 34-<br />
35.<br />
Blos, Anna: Das Leben einer Idealistin. (Fortsetzung.). In: GL, 17/ 06/<br />
20.03.1907/ 43-44.<br />
Blos, Anna: Das Leben einer Idealistin. (Fortsetzung.). In: GL, 17/ 07/<br />
03.04.1907/ 50-51.<br />
Blos, Anna: Das Leben einer Idealistin. (Schluß.). In: GL, 17/ 08/<br />
17.04.1907/ 60-61.<br />
Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von<br />
Meysenbug. In: GL, 29/ 42/ 06.12.1919/ 331-333/ F.<br />
Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von<br />
Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 29/ 43/ 13.12.1919/ 339-<br />
340/ F.<br />
Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von<br />
Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 29/ 45-46/ 27.12.1919/<br />
357-358/ F.<br />
Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von<br />
Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 30/ 01/ 03.01.1920/ 5-6/ F.<br />
Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von<br />
Meysenbug. (Fortsetzung). In: GL, 30/ 02/ 10.01.1920/ 11-14/<br />
F.<br />
Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts IV: Malvida von<br />
Meysenbug. (Schluß). In: GL, 30/ 03/ 17.01.1920/ 19-20.<br />
[Redaktion: Ohne Titel.] In: GL, 03/ 05/ 08.03.1893/ 40.<br />
Louise Michel. In: GL, 03/ 06/ 22.03.1893/ 44-46.<br />
Louise Michel †. In: GL, 14/ 08/ 06.04.1904/ 57-58/ L.<br />
Eine gute Nachricht ... In: GL, 14/ 09/ 20.04.1904/ 72<br />
Louise Michel †. In: GL, 15/ 02/ 25.01.1905/ 11.<br />
Holzamer, Wilhelm: Louise Michel. In: GL, 15/ 03/ 08.02.1905/ 14.<br />
Mary Middleton †. In: GL, 21/ 18/ 05.06.1911/ 287/ N Sozialistische<br />
Frauenbewegung im Ausland.<br />
Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in<br />
Deutschland. In: GL, 16/ 23/ 14.11.1906/ 161-162.<br />
Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in<br />
Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 169-170.<br />
Lina Morgenstern †. In: GL, 20/ 08/ 17.01.1910/ 127/ N Frauenbewegung.<br />
Leitbild<br />
Emilie Motteler, In: GL, 29/ 09/ 31.01.1919/ 68/ AuB. E<br />
e.d.: Alwine Müller. In: GL, 20/ 15/ 25.04.1910/ 230-231. K<br />
Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. In: GL, 09/ 06/ 15.03.1899/<br />
44-46/ F.<br />
V<br />
K<br />
K<br />
K<br />
B<br />
K
6.3 DIE FRAUENBIOGRAPHISCHEN ARTIKEL AUS DEM HAUPTBLATT DER „GLEICHHEIT“<br />
Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />
(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />
108. Musfeldt, Marie<br />
(?-1896)<br />
109. Negri, Ada<br />
(1870-1945)<br />
110. Nielsen, Olivia<br />
(1852-1910)<br />
111. Nikitin-Gendre,<br />
Barbara<br />
(1842-1884)<br />
112. Nowak-Krasa, Marie<br />
(1874-1911)<br />
113. Otto-Peters, Louise<br />
(1819-1895)<br />
114. Pankhurst, Emmeline<br />
(1858-1928)<br />
115. Perowskaja, Sophie<br />
(1853-1881)<br />
116. Peuschel, Christiane<br />
(?-?)<br />
Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. (Fortsetzung statt Schluß.). In:<br />
GL, 09/ 07/ 29.03.1899/ 52-54/ F.<br />
Zetkin, Klara: Eine Dichterin der Freiheit. (Schluß.). In: GL, 09/ 08/<br />
12.04.1899/ 60-63/ F.<br />
[Ohne Titel] In: GL, 15/ 24/ 29.11.1905/ 142/ AdB.<br />
[Ohne Titel] In: GL, 29/ 41/ 29.11.1919/ 326/ F Bücherschau.<br />
Schirbel, Friedel: Klara Müller-Jahnke zum Gedächtnis. Gestorben am 4.<br />
November 1905. In: GL, 31/ 20/ 15.10.1921/ 195-196/ F.<br />
Leitbild<br />
Wackere Kämpferinnen. In: GL, 06/ 24/ 25.11.1896/ 188-189. K<br />
Ada Negri als Vortragende vor italienischen Emigranten in Zürich. In:<br />
GL, 23/ 23/ 06.08.1913/ 368/ N Verschiedenes.<br />
Soll, Karl: Politische Frauen. (Schluß). In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210-<br />
211.<br />
[Bohm-Schuch, Klara] B.-S.: Ada Negri. In: GL, 30/ 07/ 14.02.1920/ 51/<br />
F.<br />
Genossin Olivia Nielsen †. In: GL, 20/ 22/ 01.08.1910/ 352/ N<br />
Sozialistische Frauenbewegung im Ausland.<br />
Barbara Nikitin-Gendre. In: GL, 02/ 12/ 15.06.1892/ 103-104. K<br />
Marie Nowak-Krasa †. In: GL, 21/ 18/ 05.06.1911/ 287/ N Sozialistische<br />
Frauenbewegung im Ausland.<br />
Luise Otto-Peters †. In: GL, 05/ 07/ 03.04.1895/ 56.<br />
Blos, Anna: Aus den Anfängen der Frauenbewegung. In: GL, 17/ 23/<br />
11.11.1907/ 197-198.<br />
Blos, Anna: Aus den Anfängen der Frauenbewegung. (Schluß.). In: GL,<br />
17/ 24/ 25.11.1907/ 208.<br />
Wurm, Mathilde: Luise Otto-Peters. In: GL, 23/ 12/ 05.03.1913/ 179-<br />
180.<br />
Wurm, Mathilde: Luise Otto-Peters (Fortsetzung.). In: GL, 23/ 13/<br />
19.03.1913/ 195-196.<br />
Wurm, Mathilde: Luise Otto-Peters (Schluß.). In: GL, 23/ 14/<br />
02.04.1913/ 212-213.<br />
Blos, Anna: Zum h<strong>und</strong>ertsten Geburtstag von Luise Otto-Peters. In: GL,<br />
29/ 13/ 28.03.1919/ 100-102/ F.<br />
Emmeline Pankhurst. In: GL, 07/ 19/ 15.09.1897/ 149. K<br />
Sophie Perowskaja. In: GL, 02/ 21/ 19.10.1892/ 175-176. K<br />
Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in<br />
Deutschland. In: GL, 16/ 21/ 17.10.1906/ 146-147.<br />
Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in<br />
Deutschland. In: GL, 16/ 22/ 31.10.1906/ 154.<br />
Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in<br />
Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 169-170.<br />
K<br />
K<br />
K<br />
V<br />
K<br />
781
LITERATUR<br />
Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />
(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />
117. Piele, Dorothea<br />
(?-1897)<br />
118. Pisan, Christine de<br />
(um 1364- um 1430)<br />
119. Polonsky,<br />
Nikonorowna Marina<br />
(?-1898)<br />
120. Potonié-Pierre,<br />
Eugénie<br />
(1844-1898)<br />
121. Prohaska, Eleonore<br />
(1785-1813)<br />
122. Ragozinnikowa, E. P.<br />
(?-1907/ 21-jährig)<br />
123. Ranke, ?<br />
(?-1901)<br />
124. Ries, Margarete<br />
(?-1922/ 25-jährig)<br />
125. Riskind, Esther<br />
(?-1905/ 25-jährig)<br />
126. Roland, Jeanne-Marie<br />
(1754-1793)<br />
127. Romm, Julie<br />
(1853-1916)<br />
128. Sachs, Anna<br />
(?-1910)<br />
129. Sand, George<br />
(1804-1876)<br />
130. Schackow, Johanne<br />
(?-1903)<br />
131. Schepeler-Lette, Anna<br />
(1827-1897)<br />
132. Scherz, Betty<br />
(?-1916)<br />
133. Scherzer, Lina<br />
(?-1915/ 81-jährig)<br />
Leitbild<br />
Eine wackere Streiterin ... In: GL, 07/ 24/ 24.11.1897/ 190/ AdB K<br />
Eine Vorkämpferin der Frauenbewegung ... In: GL, 08/ 03/ 02.02.1898/<br />
24/ N Frauenbewegung.<br />
Eine der besten russischen Vorkämpferinnen für die Befreiung des<br />
<strong>weiblichen</strong> Geschlechts <strong>und</strong> des arbeitenden Volkes ... In: GL,<br />
08/ 23/ 09.11.1898/ 182/ N Sozialistische Frauenbewegung im<br />
Auslande.<br />
Frau Potonié-Pierre, eine der rührigsten französischen<br />
Frauenrechtlerinnen, ist kürzlich in Paris verstorben. In: GL,<br />
08/ 17/ 17.08.1898/ 136.<br />
L. W.-K.: Eleonore Prohaska. In: GL, 02/ 07/ 06.04.1892/ 63-64.<br />
L. W.-K.: Eleonore Prohaska. (Schluß.). In: GL, 02/ 08/ 20.04.1892/ 71-<br />
72.<br />
Rückert, Friedrich: Auf das Mädchen aus Potsdam, Prohaska. In: GL,<br />
02/ 08/ 20.04.1892/ 72.<br />
[Kautsky, Luise? oder Kähler, Luise?] L. K.: Zwei Märtyrerinnen im<br />
russischen Freiheitskampf. In: GL, 18/ 04/ 17.02.1908/ 30.<br />
Genossin Ranke – Berlin †. In: GL, 11/ 19/ 11.09.1901/ 150. K<br />
M. A.: Margarete Ries † In: GL, 32/ 02/ 15.01.1922/ 18/ AuB. K<br />
H. H.: Esther Riskind. In: GL, 16/ 02/ 24.01.1906/ 7-8. K<br />
Madame Roland. In: GL, 04/ 01/ 10.01.1894/ 3-5.<br />
Madame Roland. (Fortsetzung statt Schluß.). In: GL, 04/ 02/ 24.01.1894/<br />
11-13.<br />
Madame Roland. (Schluß.). In: GL, 04/ 03/ 07.02.1894/ 19-22.<br />
Soll, Karl: Politische Frauen. In: GL, 29/ 26/ 16.08.1919/ 203-204.<br />
Julie Romm †. In: GL, 26/ 12/ 03.03.1916/ 90/ N Sozialistische<br />
Frauenbewegung im Ausland.<br />
Anna Sachs †. In: GL, 21/ 06/ 19.12.1910/ 91-92/ AdB. K<br />
Thurow, H[ermann]: George Sand. In: GL, 14/ 15/ 13.07.1904/ 116-117.<br />
Thurow, H[ermann]: George Sand. In: GL, 14/ 16/ 27.07.1904/ 125-126.<br />
Johanne Schackow †. In: GL, 13/ 03/ 28.02.1903/ 21-22/ F.<br />
(Druckfehlerberichtigung. In: GL, 13/ 04/ 11.02.1903/ 32.)<br />
Frau Anna Schepeler-Lette ... In: GL, 07/ 21/ 13.10.1897/ 166/ N<br />
Frauenbewegung.<br />
Genossin Betty Scherz – Zürich †. In: GL, 27/ 09/ 02.02.1917/ 59/ AdB. K<br />
Baader, Ottilie: Lina Scherzer – Berlin †. In: GL, 26/ 08/ 07.01.1916/ 57/<br />
AdB.<br />
134. Schilling, Agnes Wackere Kämpferinnen. In: GL, 06/ 24/ 25.11.1896/ 188-189. K<br />
782<br />
V<br />
K<br />
V<br />
V<br />
K<br />
V<br />
K<br />
V<br />
K<br />
B<br />
K
6.3 DIE FRAUENBIOGRAPHISCHEN ARTIKEL AUS DEM HAUPTBLATT DER „GLEICHHEIT“<br />
Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />
(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />
(?-1896/ 34-jährig)<br />
135. Schirmer, Luise<br />
(?-1912/ 38-jährig)<br />
136. Schlegel-Schelling,<br />
Karoline<br />
(1763-1809)<br />
137. Schlosser, Ernestine<br />
(?-1904)<br />
138. Schlözer, Dorothea<br />
(1770-1825)<br />
139. Schmidt, Auguste<br />
(1833-1902)<br />
140. Schmidt, Magdalene<br />
(?-1904?)<br />
141. Schreiner, Olive<br />
(1855-1920)<br />
142. Schulze, Flora<br />
(?-1904)<br />
143. Schwartz, Johanna<br />
(1833-1912)<br />
144. Schweichel, Elise<br />
(1831-1911)<br />
145. Schwerin, Jeanette<br />
(1852-1899)<br />
146. Spindler, Selma<br />
(?-1915)<br />
147. Spiridonowa, M.A.<br />
(?-1906)<br />
148. Staegemann, Pauline<br />
(1830-1909)<br />
149. Stein, Charlotte von<br />
(1742-1827)<br />
150. Steinbach, Helma<br />
(1847-1918)<br />
[Wackwitz, Marie?] M. W.: Luise Schirmer †. In: GL, 23/ 01/<br />
02.10.1912/ 10.<br />
Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts V: Karoline. In: GL,<br />
30/ 28/ 10.07.1920/ 227-229/ F.<br />
Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts V: Karoline.<br />
(Fortsetzung). In: GL, 30/ 29/ 17.07.1920/ 235-237/ F.<br />
Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts V: Karoline. (Schluß).<br />
In: GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 243-245/ F.<br />
Leitbild<br />
Ernestine Schlosser †. In: GL, 14/ 27/ 28.12.1904/ 215/ AdB. K<br />
L. W.-K.: Doktor Dorothea Schlözer. In: GL, 02/ 23/ 16.11.1892/ 191-<br />
192.<br />
Auguste Schmidt. In: GL, 12/ 14/ 02.07.1902/ 109-110/ F. B<br />
Zietz, Luise: Magdalene Schmidt – Hamm-Hamburg. In: GL, 15/ 01/<br />
11.01.1905/ 4.<br />
Kämmerer-Leonhardt, E.: Olive Schreiner <strong>und</strong> Mary Macarthur. In: GL,<br />
31/ 03/ 01.02.1921/ 18-19.<br />
[Duncker, Käte] K. D.: Flora Schulze – Leipzig †. In: GL, 14/ 25/<br />
30.11.1904/ 199.<br />
Johanna Schwartz †. In: GL, 23/ 04/ 13.11.1912/ 58/ AdB. K<br />
[Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel. In: GL, 21/ 25/ 11.09.1911/<br />
391.<br />
[Kunert, Marie?] M.Kt.: Elise Schweichel zum Gedächtnis. In: GL, 22/<br />
11/ 19.02.1912/ 167.<br />
Jeanette Schwerin †. In: GL, 09/ 16/ 02.08.1899/ 126-127. B<br />
Drechsler, M.: Selma Spindler †. In: GL, 26/ 02/ 15.10.1915/ 13/ AdB. K<br />
M.A. Spiridonowa. In: GL, 16/ 09/ 02.05.1906/ 59-60. K<br />
Pauline Staegemann † In: GL, 19/ 26/ 27.09.1909/ 409/ AdB.<br />
Ihrer, Emma: Mutter Staegemann. In: GL, 20/ 01/ 11.10.1909/ 2-3.<br />
[Wackwitz, Marie?] m.w.: Zur Ehrung der verstorbenen Genossin<br />
Pauline Staegemann ... In: GL, 20/ 14/ 11.04.1910/ 220/ AdB.<br />
Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts [VI]: Charlotte von<br />
Stein. In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 338-340/ F.<br />
Molkenbuhr, Hermann: Helma Steinbach. In: GL, 28/ 22/ 02.08.1918/<br />
173-174/ AuB.<br />
151. Stieglitz, Charlotte Blos, Anna: Frauengestalten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts II: Charlotte Stieglitz. V<br />
K<br />
V<br />
V<br />
K<br />
K<br />
K<br />
V<br />
K<br />
V<br />
K<br />
783
LITERATUR<br />
Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />
(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />
(1806-1834)<br />
152. Stojadinowitsch,<br />
Militza<br />
(1830-1878)<br />
153. Stone, Lucy<br />
(1818-1893)<br />
154. Struve, Amalie<br />
(1824-1862)<br />
155. Stuart, Maria<br />
(1542-1587)<br />
156. Taubert, Amalie<br />
(?-1913/ 65-jährig)<br />
157. Taylor-Mill, Harriet<br />
(1807-1858)<br />
158. Teumer, Luise<br />
(?-1904/ 27-jährig)<br />
159. Thiede, Paula<br />
(1870-1919)<br />
160. Tölle, Emma<br />
(1854-?)<br />
161. Trompeter, ?<br />
(?-1897)<br />
162. Viebig, Clara<br />
(1860-1952)<br />
163. Wabnitz, Agnes<br />
(1841-1894)<br />
164. Webb, Beatrice<br />
(1858-1943)<br />
165. Weber, Wilhelmine<br />
(?-?)<br />
784<br />
In: GL, 29/ 33/ 04.10.1919/ 259-260/ F.<br />
Wendel, Hermann: Militza Stojadinowitsch. In: GL, 28/ 22/ 02.08.1918/<br />
173-175/ F.<br />
Leitbild<br />
Lucy Stone. In: GL, 04/ 07/ 04.04.1894/ 55-56. K<br />
Blos, Wilhelm: Eine deutsche Republikanerin. In: GL, 18/ 02/<br />
20.01.1908/ 13-14.<br />
Wittich, Manfred: Maria Stuart. Eine historische Skizze. In: GL, 05/ 07/<br />
03.04.1895/ 52-54.<br />
Wittich, Manfred: Maria Stuart. Eine historische Skizze. (Fortsetzung.).<br />
In: GL, 05/ 08/ 17.04.1895/ 60-62.<br />
Wittich, Manfred: Maria Stuart. Eine historische Skizze. (Schluß.). In:<br />
GL, 05/ 09/ 01.05.1895/ 68-70.<br />
Wehmann, Klara: Amalie Taubert †. In: GL, 23/ 11/ 19.02.1913/ 171/<br />
AdB.<br />
John Stuart Mills Frau. In: GL, 06/ 05/ 04.03.1896/ 38-40. E<br />
Genossin Luise Teumer in Obereichenbach i.V. †. In: GL, 14/ 12/<br />
01.06.1904/ 93-94/ AdB.<br />
Kähler, Wilhelmine: Paula Thiede †. In: GL, 29/ 13/ 28.03.1919/ 100-<br />
101/ AuB.<br />
E. B.: Der 60. Geburtstag einer wackeren Kämpferin. In: GL, 24/ 14/<br />
01.04.1914/ 216/ AdB.<br />
Zwei wackere Kämpferinnen ... In: GL, 07/ 08/ 14.04.1897/ 61-62/ AdB. K<br />
Kliche, Josef: Eine Meisterin deutscher Erzählkunst/ 30/ 29/ 17.07.1920/<br />
236-238.<br />
Ohne Titel, GL, 02/ 15/ 27.07.1892/ 126/ AB.<br />
Ohne Titel, GL, 02/ 16/ 10.08.1892/ 133/ AB.<br />
Ohne Titel, GL, 02/ 22/ 02.11.1892/ 181/ AB.<br />
Ohne, Titel, In: GL, 03/ 02/ 25.01.1893/ 12/ AB.<br />
Agnes Wabnitz. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 147-150.<br />
Agnes Wabnitz †. In: GL, 04/ 19/ 19.09.1894/ 148-149.<br />
Berichtigung zu dem Artikel „Agnes Wabnitz“ in Nr. 19 der<br />
„Gleichheit“! In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 163.<br />
Agnes Wabnitz. <strong>Von</strong> B. Glogau. Eine Frauenstimme aus der Bourgeoisie.<br />
In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 168/ Literarisches.<br />
Das Proletariat vergißt seine Todten nicht. In: GL, 05/ 20/ 02.10.1895/<br />
154-155.<br />
Beatrice Webb. In: GL, 07/ 14/ 07.07.1897/ 108-110/ F.<br />
Beatrice Webb. (Schluß.). In: GL, 07/ 15/ 21.07.1897/ 116-118/ F.<br />
Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in<br />
Deutschland. In: GL, 16/ 21/ 17.10.1906/ 146-147.<br />
V<br />
E<br />
V<br />
K<br />
K<br />
K<br />
K<br />
K<br />
K<br />
V<br />
K
6.3 DIE FRAUENBIOGRAPHISCHEN ARTIKEL AUS DEM HAUPTBLATT DER „GLEICHHEIT“<br />
Name (Lebensdaten) „Gleichheit“-Artikel<br />
(nach Erscheinen geordnet <strong>und</strong> ergänzt durch Nachrichtennotizen)<br />
166. Wehmann, Klara<br />
(?-1915/ 56-jährig)<br />
167. Wengels, Margarete<br />
(1856-1931)<br />
168. Willard, Frances<br />
(1839-1898)<br />
169. Wojnarowska, Wanda<br />
Cäsarina<br />
(1861-1911)<br />
170. Wollstonecraft, Mary<br />
(1759-1797)<br />
171. Wünsche, Berta<br />
(?-1910/ 42-jährig)<br />
172. Zeh, Adelheid<br />
(?-1909)<br />
173. Zietz, Luise<br />
(1865-1922)<br />
Siglenverzeichnis:<br />
Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in<br />
Deutschland. In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/ 169-170.<br />
Genossin Clara Wehmann – Leipzig †. In: GL, 25/ 23/ 06.08.1915/ 153-<br />
154/ AdB.<br />
[Duncker, Käte?] K. D.: Klara Wehmann †. In: GL, 25/ 24/ 20.08.1915/<br />
161/ AdB.<br />
Margarete Wengels zum 60. Geburtstag. In: GL, 26/ 13/ 17.03.1916/ 98-<br />
99/ AdB.<br />
Eine der verdienst- <strong>und</strong> charaktervollsten Vorkämpferinnen für<br />
Frauenrechte, Miß Frances Willard ... In: GL, 08/ 08/<br />
13.04.1898/ 64/ N Frauenbewegung.<br />
Frances Willard. In: GL, 08/ 26/ 21.12.1898/ 202-204.<br />
Leitbild<br />
M.: Eine Kämpferin. In: GL, 21/ 16/ 08.05.1911/ 247-249. K<br />
Blos, Anna: Mary Wollstonecraft. In: GL, 32/ 12/ 15.06.1922/ 114-116/<br />
F.<br />
M. H.: Berta Wünsche – Regensburg † In: GL, 21/ 10/ 13.02.1911/ 154/<br />
AdB.<br />
[Greifenberg, Marie?] M. G.: Adelheid Zeh – Lechhausen †. In: GL, 19/<br />
12/ 15.03.1909/ 184-185/ AdB.<br />
Genossin Zietz ... In: GL, 26/ 16/ 28.04.1916/ 120/ AdB.<br />
Bohm-Schuch, Clara: Luise Zietz zum Gedächtnis. In: GL, 32/ 04/<br />
15.02.1922/ 34-35.<br />
[Wurm, Mathilde?] M. W.: Luise Zietz zum Gedächtnis. In: GL, 33/ 02/<br />
15.01.1923/ 10.<br />
AB = Arbeiterinnenbewegung V = Weiblicher Vollmensch<br />
AdB = Aus der Bewegung M = Mutter<br />
AuB = Aus unserer Bewegung E = Ehefrau<br />
F = Feuilleton K = Klassenkämpferin<br />
L = Leitartikel B = Bürgerliche Frauenrechtlerin<br />
N = Notizenteil<br />
K<br />
K<br />
B<br />
V<br />
K<br />
K<br />
K<br />
785
6.1 Auswahl der geschichtlichen Artikel im Hauptblatt der „Gleichheit“<br />
(chronologisch nach Erscheinen geordnet)<br />
Ungenannte Heldinnen. In: GL, 02/ 10/ 18.05.1892/ 87-88.<br />
Henning, Herr: Die Zeit vor der Reformation. In: GL, 02/ 12/ 15.06.1892/ 102/ AB.<br />
Wolf, ? [Zahnarzt]: Die Geschichte der Ehe <strong>und</strong> die Stellung der Frau in der Vergangenheit. In: GL, 02/ 12/<br />
15.06.1892/ 102/ AB.<br />
Die Frau in der Vergangenheit, Gegenwart <strong>und</strong> Zukunft. In: GL, 02/ 12/ 15.06.1892/ 103/ AB.<br />
Die Pariser Frauen des 5. <strong>und</strong> 6. Oktober 1789. In: GL, 02/ 19/ 21.09.1892/ 159-160.<br />
Die Pariser Frauen des 5. <strong>und</strong> 6. Oktober 1789. In: GL, 02/ 20/ 05.10.1892/ 167-168.<br />
J.: Die revolutionäre Sozialdemokratie. In: GL, 03/ 06/ 22.03.1893/ 46-48.<br />
Zur Maifeier. In: GL, 03/ 08/ 19.04.1893/ 57/ L.<br />
Nachtrag zur Märzfeier. In: GL, 03/ 07/ 19.04.1893/ 60-61.<br />
Turgéniew, Iwan: „Je suis envoyé par les nôtres!“ – Eine Episode aus den Junitagen von 1848 zu Paris. In: GL, 03/ 10/<br />
17.05.1893/ 76-78/ F.<br />
Turgéniew, Iwan: „Je suis envoyé par les nôtres!“ – Eine Episode aus den Junitagen von 1848 zu Paris. In: GL, 03/ 11/<br />
31.05.1893/ 83-86/ F.<br />
Zur Maifeier. In: GL, 04/ 08/ 18.04.1894/ 57-58/ L.<br />
Der 18. März. In: GL, 04/ 08/ 18.04.1894/ 58.<br />
Klassenkampf ist die Losung. In: GL, 04/ 11/ 30.05.1894/ 81/ L.<br />
i-: Die Vergeltung. In: GL, 04/ 14/ 11.07.1894/ 108-110.<br />
i-: „‘s ist der Geschichte ew‘ges Muß!“. In: GL, 04/ 20/ 03.10.1894/ 156-158.<br />
Die Frauen <strong>und</strong> das Ausnahmegesetz. In: GL, 04/ 21/ 17.10.1894/ 164-165.<br />
Zur Maifeier. In: GL, 05/ 09/ 01.05.1895/ 65-66/ L.<br />
Kautsky, K[arl]: 1870-1895. In: GL, 05/ 09/ 01.05.1895/ 66 [aus der Oesterreichischen Mai-Zeitung].<br />
Jus primae noctis im letzten Viertel des XIX. Jahrh<strong>und</strong>erts in Preußen. In: GL, 05/ 11/ 29.05.1895/ 87-88.<br />
Der Staat im Kampfe gegen die proletarische Frauenbewegung. In: GL, 05/ 17/ 21.08.1895/ 131-132.<br />
Gelehrte Französinnen im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert. In: GL, 05/ 26/ 24.12.1895/ 208.<br />
Lehmann, Marie stud.med.: Ueber Entstehung <strong>und</strong> Ursachen des Frauenraubes. In: GL, 06/ 03/ 05.02.1896/ 22-23 [aus<br />
der bürgerlichen Frauenzeitschrift „Die Frauenbewegung“].<br />
Wie kam es, daß die Frauen von der Theilnahme am öffentlichen Leben ausgeschlossen wurden. In: GL, 06/ 04/<br />
19.02.1896/ 26-27 [aus: Kautsky, Karl: Der Parlamentarismus, die Volksgesetzgebung <strong>und</strong> die<br />
Sozialdemokratie, Stuttgart: J.H.W. Dietz, 1893].<br />
Große Königinnen in Aegypten. In: GL, 08/ 04/ 16.02.1898/ 32/ N Geschichtliches zur Frauenfrage.<br />
Zum 18. März. In: GL, 08/ 06/ 16.03.1898/ 41-43/ L.<br />
Menvento, Dr. Allan: Ueber die Grenzen der Frauen-Emancipation. In: GL, 08/ 14/ 06.07.1898/ 107-109.<br />
Kalt-Reuleaux, O.: Frauen im Transvaal. In: GL, 08/ 15/ 20.07.1898/ 116-117/ F.<br />
Weh, O.: Die Gleichstellung von Mensch <strong>und</strong> Thier in der Gesetzgebung des Mittelalters. In: GL, 08/ 16/ 03.08.1898/<br />
124-126/ F.<br />
Weh, O.: Die Gleichstellung von Mensch <strong>und</strong> Thier in der Gesetzgebung des Mittelalters. (Fortsetzung.). In: GL, 08/<br />
17/ 17.08.1898/ 132-133/ F.<br />
Weh, O.: Die Gleichstellung von Mensch <strong>und</strong> Thier in der Gesetzgebung des Mittelalters. (Schluß.). In: GL, 08/ 18/<br />
31.08.1898/ 140-141/ F.<br />
Frauenärzte im Alterthum. In: GL, 08/ 22/ 26.10.1898/ 176/ N Frauenbewegung.<br />
Thurow, H[ermann]: Die Proletarierfrau in der neueren französischen Lyrik. In: GL, 08/ 23/ 09.11.1898/ 180-183/ F.<br />
Thurow, H[ermann]: Die Proletarierfrau in der neueren französischen Lyrik. (Schluß.). In: GL, 08/ 24/ 23.11.1898/<br />
188-190/ F.<br />
787
LITERATUR<br />
788<br />
Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. In: GL, 09/ 01/ 04.01.1899/ 3-6.<br />
Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. II. In: GL, 09/ 02/ 18.01.1899/ 12-13<br />
Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. III. In: GL, 09/ 04/ 15.02.1899/ 29-31.<br />
Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. IV. In: GL, 09/ 06/ 15.03.1899/ 44-45<br />
Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. V. In: GL, 09/ 09/ 26.04.1899/ 67-69.<br />
Weibliche Aerzte im Alterthum <strong>und</strong> Mittelalter. In: GL, 09/ 09/ 26.04.1899/ 72/ N Frauenbewegung.<br />
Braun, Lily: Die Frauenfrage im Alterthum. VI. In: GL, 09/ 12/ 07.06.1899/ 92-94 / F [aus dem „Archiv für soziale<br />
Gesetzgebung <strong>und</strong> Statistik“ (Bd. 13, Heft 1 <strong>und</strong> 2].<br />
Vom gerichtlichen Zweikampf zwischen Frau <strong>und</strong> Mann in altdeutscher Zeit. In: GL, 10/ 09/ 25.04.1900/ 68-69/ F.<br />
Lipinska, Melanie: Medizinerinnen des Mittelalters. In: GL, 10/ 11/ 23.05.1900/ 84-85/ F.<br />
Lipinska, Melanie: Medizinerinnen des Mittelalters. (Fortsetzung.). In: GL, 10/ 12/ 06.06.1900/ 92-93/ F.<br />
Lipinska, Melanie: Medizinerinnen des Mittelalters. (Fortsetzung.). In: GL, 10/ 13/ 20.06.1900/ 100-101/ F.<br />
Lipinska, Melanie: Medizinerinnen des Mittelalters. (Schluß.). In: GL, 10/ 14/ 04.07.1900/ 108-109/ F.<br />
Die Gründung eines Frauenmuseums in Petersburg .... In: GL, 10/ 15/ 18.07.1900/ 120/ N Frauenbewegung.<br />
Eine Frauenbuchdruckerei vor 100 Jahren. In: GL, 10/ 21/ 10.10.1900/ 167-168/ N Vermischtes.<br />
Frauenrechte im alten Babylonien. In: GL, 10/ 21/ 10.10.1900/ 168/ N Vermischtes.<br />
Absteigende <strong>und</strong> aufsteigende Kultur. In: GL, 10/ 25/ 05.12.1900/ 193-194/ L.<br />
Jacobi, Eugenie: Howa-Frauen. In: GL, 10/ 25/ 05.12.1900/ 196/ F [aus der „La Fronde“].<br />
a.br.: Französische Arbeiterinnen im 13., 15. <strong>und</strong> 16. Jahrh<strong>und</strong>ert. In: GL, 11/ 13/ 19.06.1901/ 100-102.<br />
Unsere Tageslosung. In: GL, 12/ 01/ 01.01.1902/ 1-2/ L.<br />
Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Die ersten Anfänge der<br />
proletarischen Frauenbewegung in Italien. In: GL, 13/ 01/ 01.01.1903/ 2-3.<br />
Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Die Entwicklung der<br />
Frauenstimmrechtsfrage in den einzelnen sozialistischen Gruppen Italiens bis 1891. In: GL, 13/ 02/ 14.01.1903/<br />
11-13.<br />
Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Anna Maria Mozzoni, Anna<br />
Kulischoff. Die ersten größeren Lohnbewegungen der italienischen Arbeiterinnen. In: GL, 13/ 05/ 25.02.1903/<br />
36-38.<br />
Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Fortschritte, Rückschläge<br />
<strong>und</strong> Aussichten der Frauenbewegung im Jahre 1893. In: GL, 13/ 08/ 08.04.1903/ 58-60.<br />
Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Die Ausbreitung <strong>und</strong><br />
Vertiefung der Arbeiterinnenbewegung in den Jahren 1893 bis 1898. In: GL, 13/ 11/ 20.05.1903/ 83-85.<br />
Michels, Robert: Rückblick auf die Geschichte der proletarischen Frauenbewegung in Italien. Das „böse Jahr“ 1898. In:<br />
GL, 13/ 17/ 12.08.1903/ 131-134.<br />
Die Frauen unter dem Ausnahmegesetz. In: GL, 13/ 23/ 04.11.1903/ 178-180.<br />
W. D.: Zur Geschichte der Kinderschutzgesetzgebung. I. In: GL, 14/ 03/ 27.01.1904/ 18-19.<br />
W. D.: Zur Geschichte der Kinderschutzgesetzgebung. II. In: GL, 14/ 05/ 24.02.1904/ 36-38.<br />
Borchardt, Julian: <strong>Von</strong> der sozialen Frage. In: GL, 14/ 20/ 21.09.1904/ 156-158.<br />
Zietz, Luise: Weihnachten. In: GL, 15/ 26/ 27.12.1905/ 151-152/ L.<br />
Heraus mit dem Frauenwahlrecht! In: GL, 16/ 02/ 24.01.1906/ 7/ L.<br />
Blos, Wilhelm: Die Frauen im Bauernkrieg. In: GL, 16/ 04/ 21.02.1906/ 19-20<br />
[Ledebour, Georg?] G. L.: Zum 18. März. In: GL, 16/ 06/ 21.03.1906/ 31/ L.<br />
Blos, Wilhelm: Aus dem „tollen Jahre“. In: GL, 16/ 08/ 18.04.1906/ 50-51.<br />
Hildebrand, Gerhard: Der proletarische Klassenkampf um die Volksbildung. In: GL, 16/ 16/ 08.08.1906/ 106.<br />
B[lase], Th[erese]: Der Kampf, Erwecker des Klassenbewußtseins. In: GL, 16/ 17/ 22.08.1906/ 113/ L.<br />
Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland. In: GL, 16/ 20/ 03.10.1906/ 138.
6.1 AUSWAHL DER GESCHICHTLICHEN ARTIKEL IM HAUPTBLATT DER „GLEICHHEIT“<br />
Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland (Fortsetzung.). In: GL, 16/ 21/<br />
17.10.1906/ 146-147<br />
Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland (Fortsetzung.). In: GL, 16/ 22/<br />
31.10.1906/ 154.<br />
Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland (Fortsetzung.). In: GL, 16/ 23/ 14.11.1906/<br />
161-163.<br />
Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland (Fortsetzung.). In: GL, 16/ 24/ 28.11.1906/<br />
169-170.<br />
Zetkin, Klara: Die Anfänge der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland (Schluß.). In: GL, 16/ 25/ 12.12.1906/ 178<br />
[die gesamte Artikelreihe erschien zuerst im „Neue Welt-Kalender“ für 1906, Hamburg: Auer & Co.].<br />
Dorsch, Hanna: Weihnachten – Sonnenwendfest! In: GL, 16/ 26/ 26.12.1906/ 186.<br />
Dienstmädchenbewegung 1848. In: GL, 17/ 05/ 06.03.1907/ 38-39/ N Dienstbotenfrage.<br />
[Ledebour, Georg?] G. L.: Märzgedanken. In: GL, 17/ 06/ 20.03.1907/ 41/ L.<br />
Luxemburg, Rosa: Die Maifeier. In: GL, 17/ 09/ 01.05.1907/ 71/ L.<br />
Wir pfeifen darauf! In: GL, 18/ 03/ 03.02.1908/ 19/ L.<br />
Geschichtliche Zeichen. In: GL, 18/ 07/ 30.03.1908/ 59/ L.<br />
Katzenstein, Simon: Wesen <strong>und</strong> Entstehung des Rechts. In: GL, 18/ 15/ 20.07.1908/ 135.<br />
Katzenstein, Simon: Die Entstehung des geltenden bürgerlichen Rechtes. In: GL, 18/ 17/ 17.08.1908/ 152-153.<br />
Wendel, Hermann: Die Frau im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert. I. In: GL, 19/ 01/ 12.10.1908/ 5-6.<br />
Wendel, Hermann: Die Frau im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert. II. In: GL, 19/ 02/ 26.10.1908/ 18-20.<br />
Blos, Anna: Hexenglauben <strong>und</strong> Hexenprozesse. In: GL, 19/ 02/ 26.10.1908/ 24-25.<br />
Blos, Anna: Hexenglauben <strong>und</strong> Hexenprozesse (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 03/ 09.11.1908/ 40-42.<br />
Blos, Anna: Hexenglauben <strong>und</strong> Hexenprozesse (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 04/ 23.11.1908/ 56-57.<br />
Blos, Anna: Hexenglauben <strong>und</strong> Hexenprozesse (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 05/ 07.12.1908/ 72-73.<br />
Korn, K.: Ein Weihnachtsgeschenk des Marxismus. In: GL, 19/ 06/ 21.12.1908/ 81-83/ L.<br />
Blos, Anna: Hexenglauben <strong>und</strong> Hexenprozesse (Schluß.). In: GL, 19/ 06/ 21.12.1908/ 86-88.<br />
[Alexander, Getrud] G. G.: Die Prometheussage. In: GL, 19/ 07/ 04.01.1909/ 103-104.<br />
[Alexander, Getrud] G. G.: Die Prometheussage (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 08/ 18.01.1909/ 119-121.<br />
[Alexander, Getrud] G. G.: Die Prometheussage (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 09/ 01.02.1909/ 134-136.<br />
[Alexander, Getrud] G. G.: Die Prometheussage (Fortsetzung.). In: GL, 19/ 10/ 15.02.1909/ 146-147.<br />
[Alexander, Getrud] G. G.: Die Prometheussage (Schluß.). In: GL, 19/ 11/ 01.03.1909/ 166-167.<br />
Der Geschichte ew‘ges Muß. In: GL, 19/ 12/ 15.03.1909/ 177-178/ L.<br />
Hausenstein, Wilhelm: Der Tiroler Aufstand im Jahre 1809. In: GL, 19/ 22/ 02.08.1909/ 339-341.<br />
Hausenstein, Wilhelm: Der Tiroler Aufstand im Jahre 1809. In: GL, 19/ 23/ 16.08.1909/ 356-358.<br />
Hausenstein, Wilhelm: Der Tiroler Aufstand im Jahre 1809. In: GL, 19/ 24/ 30.08.1909/ 372-374.<br />
Oberholzer, Ernst (Zürich): Die Entwicklung der zivilrechtlichen Stellung der Frau bis zur Gegenwart. In: GL, 20/ 01/<br />
11.10.1909/ 6-8.<br />
Dies Buch gehört den Massen. In: GL, 20/ 06/ 20.12.1909/ 81-83/ L.<br />
K.: Frauennot <strong>und</strong> Frauenarbeit im Mittelalter. In: GL, 20/ 07/ 03.01.1910/ 102-103.<br />
Ueber den März hinaus. In: GL, 20/ 12/ 14.03.1910/ 177-179/ L.<br />
Jäckel, H[ermann?]: Vom Spinnen <strong>und</strong> Weben in alter Zeit. I. In: GL, 20/ 19/ 20.06.1910/ 295-296.<br />
Jäckel, H[ermann?]: Vom Spinnen <strong>und</strong> Weben in alter Zeit. II. In: GL, 20/ 20/ 04.07.1910/ 309-310.<br />
Jäckel, H[ermann?]: Vom Spinnen <strong>und</strong> Weben in alter Zeit. III. In: GL, 20/ 23/ 15.08.1910/ 360-361.<br />
Jäckel, H[ermann?]: Vom Spinnen <strong>und</strong> Weben in alter Zeit. IV. In: GL, 20/ 24/ 29.08.1910/ 375-376.<br />
789
LITERATUR<br />
790<br />
Eckstein, Gustav: Das Weib als Kulturträgerin. In: GL, 21/ 01/ 10.10.1910/ 3-4.<br />
Eckstein, Gustav: Das Weib als Kulturträgerin (Schluß.). In: GL, 21/ 02/ 24.10.1910/ 19-21.<br />
Mehring, Franz: Eine feudale Ruine. In: GL, 21/ 04/ 21.11.1910/ 50-51 [aus der „Neuen Zeit“].<br />
Kollontay, Alexandra: Der erste Mai im Zarenreich. In: GL, 21/ 15/ 24.04.1911/ 228-229.<br />
[Möhring, Henry] Roland: Sedan! In: GL, 21/ 24/ 28.08.1911/ 376.<br />
Sommer, B.: Aus der Geschichte der menschlichen Unwissenheit. In: GL, 22/ 01/ 09.10.1911/ 6-8.<br />
Sommer, B.: Aus der Geschichte der menschlichen Unwissenheit. In: GL, 22/ 02/ 23.10.1911/ 20-22.<br />
Sommer, B.: Aus der Geschichte der menschlichen Unwissenheit. In: GL, 22/ 04/ 15.11.1911/ 54-55.<br />
Mehring, Franz: Ein aufgeklärter Despot? In: GL, 22/ 10/ 05.02.1912/ 150-152 [aus der „Neuen Zeit“].<br />
Luxemburg, Rosa: Märzenstürme. In: GL, 22/ 13/ 18.03.1912/ 193-194/ L.<br />
Aus der Geschichte des Kampfes um das Frauenwahlrecht in England. In: GL, 23/ 11/ 19.02.1913/ 176/ N<br />
Frauenstimmrecht.<br />
Hahnewald, Edgar: Vom Ursprung der Arbeit. In: GL, 23/ 12/ 05.03.1913/ 181-182.<br />
Mehring, Franz: Ein Parteijubiläum. In: GL, 23/ 13/ 19.03.1913/ 194-195 [aus der „Neuen Zeit“].<br />
Hahnewald, Edgar: Vom Ursprung der Arbeit (Schluß.). In: GL, 23/ 13/ 19.03.1913/ 196-197.<br />
Fünfzig Jahre. In: GL, 23/ 18/ 28.05.1913/ 273-275/ L.<br />
Erdmann, August: Frauenarbeit im Mittelalter. In: GL, 24/ 09/ 21.01.1914/ 135-137.<br />
Erdmann, August: Frauenarbeit im Mittelalter (Schluß.). In: GL, 24/ 10/ 04.02.1914/ 147-148.<br />
Diederich, Franz: Der Saint-Simonismus <strong>und</strong> die Frauenwahlrechtsbewegung. In: GL, 24/ 13/ 18.03.1914/ 195-197.<br />
a.e.: Eine Frauenzeitung im Jahre 1848. In: GL, 24/ 16/ 29.04.1914/ 245-246.<br />
A demi mort ... Halb tot. Wie die Pariser Damen 1871 zu einer neuen Modefarbe kamen. In: GL, 24/ 18/ 27.05.1914/ 277.<br />
l. ch.: Wie es zu Kriegen kommt. In: GL, 25/ 07/ 21.12.1914/ 33-35.<br />
Der internationale sozialistische Frauentag. In: GL, 25/ 13/ 19.03.1915/ 73-74/ L.<br />
Röttcher, Fritz: Zur Soziologie des Krieges. In: GL, 25/ 23/ 06.08.1915/ 150-152.<br />
Röttcher, Fritz: Zur Soziologie des Krieges. In: GL, 25/ 24/ 20.08.1915/ 160-161.<br />
Röttcher, Fritz: Zur Soziologie des Krieges (Schluß.). In: GL, 25/ 25/ 03.09.1915/ 167.<br />
Ein Blatt Geschichte. I. In: GL, 26/ 22/ 21.07.1916/ 165-166/ L.<br />
Ein Blatt Geschichte. II. In: GL, 26/ 23/ 04.08.1916/ 171-172.<br />
Ein Blatt Geschichte. III. In: GL, 26/ 24/ 18.08.1916/ 177-178.<br />
Pax Romana. In: GL, 26/ 26/ 15.09.1916/ 189-190/ L.<br />
Blos, Anna: Friedensvorkämpferinnen im Altertum. In: GL, 27/ 20/ 06.07.1917/ 137-138/ F.<br />
Lensch, Paul: Zum Luthertag. In: GL, 28/ 02/ 26.10.1917/ 9-10/ L.<br />
Blos, Anna: Die Stellung der Frauen im Zeitalter der Reformation. In: GL, 28/ 03/ 09.11.1917/ 21-22/ F.<br />
Blos, Anna: Die Stellung der Frauen im Zeitalter der Reformation (Schluß.). In: GL, 28/ 04/ 23.11.1917/ 29-30/ F.<br />
Rausch, Bernhard: Drei Jahre Weltrevolution. In: GL, 28/ 08/ 18.01.1918/ 57-58/ L.<br />
***: Das Frauenwahlrecht in aller Welt. In: GL, 28/ 16/ 10.05.1918/ 121-122/ L.<br />
Blos, Anna: Glückliche Ehen. In: GL, 28/ 17/ 24.05.1918/ 133-135.<br />
Zehn Jahre Reichsvereinsgesetz. In: GL, 28/ 23/ 16.08.1918/ 177-178/ L.<br />
Heilbut, Kurt: Die Urform der Ehe. In: GL, 29/ 45/ 46/ 27.12.1919/ 357-358.<br />
Sommer, Br.: Die Anfänge der Töpferei. In: GL, 29/ 03/ 08.11.1918/ 21-23/ F.<br />
Zepler, Wally: Die Frauen <strong>und</strong> die Zukunft des Sozialismus. In: GL, 29/ 07/ 03.01.1919/ 51-53.<br />
Blos, Anna: Alt-Weimarer Tage. In: GL, 29/ 14/ 11.04.1919/ 109-111/ F.<br />
Kähler, Wilhelmine: Einst <strong>und</strong> jetzt. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/ 122-123.
6.1 AUSWAHL DER GESCHICHTLICHEN ARTIKEL IM HAUPTBLATT DER „GLEICHHEIT“<br />
Blos, Anna: Der Einfluß der Frauen auf die Entwicklungsgeschichte der Menschheit. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/ 124-125.<br />
Heilbut, Kurt: Gretchen <strong>und</strong> wir. In: GL, 29/ 19/ 20.06.1919/ 147-148/ F.<br />
Heilbut, Kurt: Kommunismus oder Sozialismus. In: GL, 29/ 24/ 02.08.1919/ 187-188.<br />
Heilbut, Kurt: Zur Wiederkehr des Revolutionstages. In: GL, 29/ 38/ 08.11.1919/ 303-304.<br />
Juchacz, Marie: Einst <strong>und</strong> Jetzt. In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 332.<br />
Soldes, Wilhelm: Sozialisierung der Frau oder sozialistische Ehe? In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 340-341.<br />
Heilbut, Kurt: Mutterrecht. In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 342-343.<br />
Weiß-Rathenau, Liesbeth: Die Schätze der Berliner Museen. In: GL, 30/ 41/ 42/ 09.10.1920/ 344.<br />
Heilbut, Kurt: Die Ehebrecherin. In: GL, 30/ 04/ 24.01.1920/ 29-30/ F.<br />
Heilbut, Kurt: Eine berechtigte Forderung I. In: GL, 30/ 15/ 10.04.1920/ 110-111.<br />
Heilbut, Kurt: Eine berechtigte Forderung II. In: GL, 30/ 16/ 17.04.1920/ 115-116.<br />
Altmann-Bronn, Ida: Erlöser Sozialismus. In: GL, 30/ 19/ 08.05.1920/ 146-148/ Beilage.<br />
Müller, Louise: Vor 25 Jahren. Erinnerungen einer Genossin. In: GL, 30/ 22/ 29.05.1920/ 176-178.<br />
Soldes, Wilhem: Die bürgerliche Frauenbewegung <strong>und</strong> das Wahlrecht. In: GL, 30/ 22/ 29.05.1920/ 178-179.<br />
Altmann-Bronn, Ida: Erlöser Sozialismus II. In: GL, 30/ 22/ 29.05.1920/ 181-191/ Beilage.<br />
Essig, Olga: Dokumente des Kampfes der Sozialdemokratie um die Befreiung der Frau. In: GL, 30/ 23/ 05.06.1920/ 186.<br />
Altmann-Bronn, Ida: Erlöser Sozialismus III. In: GL, 30/ 24/ 12.06.1920/ 194.<br />
Soldes, Wilhelm: Der Siegeslauf des Frauenwahlrechts in der Welt. In: GL, 30/ 24/ 12.06.1920/ 194-195.<br />
Altmann-Bronn, Ida: Erlöser Sozialismus IV. In: GL, 30/ 25/ 19.06.1920/ 202-203.<br />
Altmann-Bronn, Ida: Erlöser Sozialismus V. In: GL, 30/ 26/ 26.06.1920/ 214.<br />
Altmann-Bronn, Ida: Erlöser Sozialismus VI. In: GL, 30/ 27/ 03.07.1920/ 222.<br />
Altmann-Bronn, Ida: Erlöser Sozialismus VII. In: GL, 30/ 29/ 17.07.1920/ 234-236.<br />
Schöfer, Sophie: Die Quäker. In: GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 242-243.<br />
Altmann-Bronn, Ida: Erlöser Sozialismus (Schluß). In: GL, 30/ 30/ 24.07.1920/ 246-247.<br />
Schwann-Schneider, Rosa: Die Internationale des Geistes. In: GL, 30/ 34/ 21.08.1920/ 274-275.<br />
Röhl, Elisabeth: Die moderne Frau. In: GL, 30/ 35/ 28.08.1920/ 285-286.<br />
Radtke, Elli: [Rezension zu: Klühs, Franz: Der Aufstieg]. In: GL, 31/ 02/ 15.01.1921/ 13/ F<br />
Blos, Anna: Leibeigene – Dienstmagd – Hausangestellte. In: GL, 32/ 05/ 01.03.1922/ 44-46.<br />
Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. I. [fehlt im Bestand der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung: GL, 32/<br />
07/ 01.04.1922/ ?].<br />
Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. II. Die Zeit der geheimen Bünde. In: GL, 32/ 08/ 15.04.1922/ 70-71.<br />
Baader, Ottilie: Die erste Maifeier. In: GL, 32/ 09/ 01.05.1922/ 83-84 / F [aus Baaders Autobiographie „Ein steiniger<br />
Weg“].<br />
Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. III. Waffenschmiede im Exil. In: GL, 32/ 09/ 01.05.1922/ 84-85.<br />
Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. IV. [fehlt im Bestand der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung: GL, 32/<br />
10/ 15.05.1922/ ?].<br />
Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. V. Der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein. In: GL, 32/ 11/ 01.06.1922/ 103-104.<br />
Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. VI. Die Eisenacher Partei. In: GL, 32/ 12/ 15.06.1922/ 111-112.<br />
[Heilbut, Kurt] K. H.: Ist die Frau weniger begabt als der Mann? In: GL, 32/ 12/ 15.06.1922/ 115-117.<br />
Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. VII. Charakterköpfe aus der Frühzeit. In: GL, 32/ 14-15/ 15.07.1922/ 135-137.<br />
Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. VIII. Attentatshetze <strong>und</strong> Sozialistengesetz. In: GL, 32/ 16/ 15.08.1922/ 148-149.<br />
Juchacz, Marie: Das geistige Leben in unserer Frauenbewegung 1921. In: GL, 32/ 17-18/ 01.09.1922/ 159-160.<br />
Klühs, Franz: Vom Werden der Partei. Eine neue Epoche. In: GL, 32/ 19-20/ 01.10.1922/ 178-179.<br />
791
LITERATUR<br />
792<br />
Kampffmeyer, Paul: Karl Marx <strong>und</strong> die Märzrevolution. In: GL, 33/ 05/ 01.03.1923/ 34-35.<br />
Sender, Tony: Das Klassenbewußtsein als Quelle unserer Kraft. In: GL, 33/ 06/ 15.03.1923/ 41-42/ L.<br />
Blos, Anna: Die Frauen des Jahres 1848. In: GL, 33/ 06/ 15.03.1923/ 44-45/ F.<br />
Reitze, Hanna: Maienhoffnung auf die Internationale. In: GL, 33/ 09-10/ 01.05.1923/ 66-67/ L.<br />
Agnes, Lore: Die Frauen <strong>und</strong> die Internationale. In: GL, 33/ 09-10/ 01.05.1923/ 67-68.<br />
Kautsky, Luise: Mai-Erinnerungen. In: GL, 33/ 09-10/ 01.05.1923/ 71-79/ F.
<strong>Von</strong> „<strong>weiblichen</strong> Vollmenschen“ <strong>und</strong> <strong>Klassenkämpferinnen</strong><br />
–<br />
Frauengeschichte <strong>und</strong> Frauenleitbilder<br />
in der proletarischen Frauenzeitschrift<br />
„Die Gleichheit“ (1891-1923)<br />
ANHANG<br />
Inaugural-Dissertation<br />
zur Erlangung des akademischen Grades eines<br />
Doktors der Philosophie (Dr. phil.)<br />
im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften (Fachgebiet Geschichte)<br />
der Universität Kassel<br />
vorgelegt von:<br />
Mirjam Sachse<br />
Erster Gutachter:<br />
Prof. Dr. Jens Flemming<br />
Zweiter Gutachter:<br />
Prof. Dr. Hans-Joachim Bieber<br />
Datum der Disputation: 03.02.2010<br />
I
7 Anhang<br />
7.1 Gedichtauswahl.............................................................................................................V<br />
7.2 Tabellen................................................................................................................XXVII<br />
7.3 Bildmaterial...............................................................................................................XLI<br />
III
7.1 Gedichtauswahl<br />
(nach Erscheinen in der „Gleichheit“ geordnet)<br />
1. H[ofmann], M[arie]: Aufruf! (1890)........................................................................VII<br />
2. Rückert, Friedrich: Auf das Mädchen aus Potsdam, Prohaska (1892)....................VIII<br />
3. Dehmel, Richard: Die Magd (1898).......................................................................VIII<br />
4. Keller, Gottfried: Die Spinnerin. (1899)....................................................................IX<br />
5. Negri, Ada: Seid gegrüßt. (1900)................................................................................X<br />
6. Krille, Otto: Maria Lwowna Berditschewskaja. (1905)............................................XI<br />
7. Märten, Lu: Frauenbewegung (1905).......................................................................XII<br />
8. Bohm, Klara: Rosen (1906)......................................................................................XII<br />
9. Holz, Arnold: Weltgeschichte (1907)......................................................................XIII<br />
10. Freiligrath, Ferdinand von: Nach Johanna Kinkels Begräbnis (1908)...................XIV<br />
11. Döltz, Emma: Wir rufen Euch. (1911)...................................................................XVII<br />
12. Döltz, Emma: Wir können euch doch schlagen! (1912)......................................XVIII<br />
13. Scherz, Betty: Wir Frauen. (1915)..........................................................................XIX<br />
14. Fürth, Henriette: Die rote Fahne (1919).................................................................XIX<br />
15. Stahl, Artur: Frauenwahlrechts-Marseillaise (1919)................................................XX<br />
16. Müller-Jahnke, Klara: Den Frauen. (1919).............................................................XXI<br />
17. Heilbut, Kurt: Zwei Mütter. (1919).......................................................................XXII<br />
18. Fürth, Henriette: Den Frauen. (1919)....................................................................XXII<br />
19. Heilbut, Kurt: An Bebel (1919)............................................................................XXIII<br />
20. Negri, Ada: Mutterliebe (1920)............................................................................XXIII<br />
21. Bohm-Schuch, Klara: Zum 9. November 1918. (1920)........................................XXV<br />
22. Bohm-Schuch, Clara: [Und wieder wehet …] (1922).........................................XXVI<br />
V
1.H[ofmann], M[arie]: Aufruf! (1890)<br />
1<br />
Wir lebten hier in Dämm’rung tief,<br />
In unser’m Haupt das Denken schlief.<br />
Wir schaffen spät, wir schaffen frühe,<br />
Bei hartem Zwang, mit schwerer Mühe.<br />
Man hat von jeher uns gelehrt,<br />
Daß wir nicht haben eig’nen Werth.<br />
Nichts darf für sich die Frau erstreben,<br />
Für Mann <strong>und</strong> Kind nur soll sie leben.<br />
So war’s gelehrt, so war’s geglaubt,<br />
So ward der Frau das Recht geraubt;<br />
Das Recht zu wollen <strong>und</strong> zu denken,<br />
Das eig’ne Schicksal selbst zu lenken.<br />
Doch plötzlich sind wir aufgewacht,<br />
Die bitt’re Noth hat es vollbracht.<br />
Sie pocht an uns’res Hirnes Schranken:<br />
Heraus Ihr schlummernden Gedanken!<br />
Sie spricht: Ermanne Dich, o Frau,<br />
Der Kraft im eig’nen Busen trau.<br />
Wirf ab der Ketten schwere Bürde<br />
<strong>und</strong> fühle Deine Menschenwürde.<br />
Im Lichte steh’n wir, frei <strong>und</strong> frank,<br />
O herbe Noth, Dir werde Dank!<br />
Du hast zu denken uns gelehrt,<br />
Du gabst die Kraft, die Dich zerstört.<br />
Nicht mit dem Mann, der unser Feind,<br />
Der uns’re Rechte schroff verneint;<br />
Nur mit Genossen gleichen Strebens<br />
Geschlossen sei der B<strong>und</strong> des Lebens.<br />
Dieselbe Pflicht, dasselbe Recht<br />
Führt Mann <strong>und</strong> Weib nun in’s Gefecht;<br />
Mit gleicher Kraft, mit gleichen Waffen<br />
Ein schönes Leben uns zu schaffen.<br />
In Ost <strong>und</strong> West, in Nord <strong>und</strong> Süd,<br />
Arbeiterinnen, hört das Lied!<br />
Erwacht <strong>und</strong> folget unser’n Bahnen<br />
Und führt zum Siege uns’re Fahnen.<br />
So laßt uns wirken, dicht geschaart,<br />
Uns Frauen neuer echter Art,<br />
Daß siegesfroh der Ruf erschalle:<br />
Freiheit <strong>und</strong> gleiches Recht für Alle! 1<br />
H[ofmann], M[arie]: Aufruf! In: Arbeiterin, 01/ 01 (Probenummer)/ 20.12.1890.<br />
VII
2.Rückert, Friedrich: Auf das Mädchen aus Potsdam, Prohaska (1892)<br />
3.Dehmel, Richard: Die Magd (1898)<br />
2<br />
VIII<br />
Ich müßte mich schämen, ein Mann zu heißen,<br />
Wenn ich nicht könnte führen das Eisen,<br />
Und wollte Weibern es gönnen,<br />
Daß sie führen es können!<br />
Wer ist der Gesell, so fein <strong>und</strong> jung?<br />
Doch führt er das Eisen mit gutem Schwung.<br />
Wer steckt unter der Maske?<br />
Eine Jungfrau, heißt Prohaska<br />
Wie merkten wir’s nur nicht lange schon<br />
Am glatten Kinn, am feineren Ton?<br />
Doch unter den männlichen Thaten<br />
Wer konnte das Weib errathen?<br />
Aber es hat sie getroffen ein Schuß;<br />
Jetzt sagt sie’s selber, weil sie muß.<br />
W<strong>und</strong>arzt, geh‘ bei Leibe<br />
Nicht unsanft um mit dem Weibe!<br />
Zum Glück traf dich die Kugel nicht eh’r,<br />
Als bis du dir hattest gnügliche Ehr‘<br />
Erstritten in Mannesgeberden,<br />
Jetzt kannst du ein Weib wieder werden.<br />
Doch ich müßte mich schämen, ein Mann zu heißen,<br />
Wenn ich nicht wollte können führen das Eisen,<br />
Und wollte Weibern es gönnen,<br />
Daß sie führen es können! 2<br />
Maiblumen blühten überall,<br />
Er sah mich an so trüb‘ <strong>und</strong> müd‘ –<br />
Im Faulbaum rief die Nachtigall:<br />
Die Blüthe flieht! Die Blüthe flieht!<br />
<strong>Von</strong> Düften war die Nacht so warm,<br />
Wie unser Blut so warm, wie unser Blut,<br />
Und wir so jung, so freudearm –<br />
Und über uns im Busch das Lied,<br />
Das zuckende Lied: Die Gluth verglüth!<br />
Und Er so treu <strong>und</strong> mir so gut …<br />
In Knospen schoß der wilde Mohn,<br />
Es sog die Sonne unsern Schweiß,<br />
Es wurden roth die Knospen schon,<br />
Da wurden meine Wangen weiß.<br />
Ums liebe Brot, ums theure Brot<br />
Floß doppelt heiß im Korn sein Schweiß;<br />
Der wilde Mohn stand feuerroth –<br />
Es war wohl fressendes Gift der Schweiß –<br />
Rückert, Friedrich: Auf das Mädchen aus Potsdam, Prohaska. In: GL, 02/ 08/ 20.04.1892/ 72.
4.Keller, Gottfried: Die Spinnerin. (1899)<br />
3<br />
Es ward auch sein Wange weiß;<br />
Und die Sonne stach im Korn ihn todt …<br />
Die Astern schwankten, bleich am Zaun,<br />
Im feuchten Wind die Traube schwoll;<br />
Im Hofe zischelten die Frau’n,<br />
Der Apfelbaum hing schwer <strong>und</strong> voll.<br />
Es war ein Tag so regensatt,<br />
Wie einst sein Blick so blaß <strong>und</strong> matt;<br />
Die Astern standen braun <strong>und</strong> naß,<br />
Vom gelben Blatt der Nebel troff,<br />
da stieß man sie voll Hohn <strong>und</strong> Haß,<br />
die sündige Magd, hinaus vom Hof …<br />
Nun blüht von Eis der kahle Hain,<br />
Die Thräne friert im schneidenden Wind;<br />
Aus flimmernden Scheiben glüht der Schein<br />
Des Christbaums auf mein wimmernd Kind.<br />
Die hungernden Spatzen bettelnd schrei’n,<br />
Vom blanken Dach die Krähe krächzt;<br />
Am schlaffen Busen zitternd ächzt<br />
Mein Kind <strong>und</strong> Keiner läßt uns ein;<br />
Wie die Worte des Reichen, so scharf <strong>und</strong> weh<br />
Knirscht unter mir der harte Schnee.<br />
So weh – oh, bohrt es mir ins Ohr:<br />
Du Kind der Schmach! Du Sündenlohn!<br />
Und dennoch beten sie empor<br />
zum Sohn der Magd, zum Jungfrau’nsohn?…<br />
Oh, brennt mein Blut – was that denn ich?<br />
War’s Sünde nicht, daß sie gebar? –<br />
Mein Kind, mein Heiland – weine nicht:<br />
Ein Bett für Dich – Dein Blut für mich.<br />
Vom Himmel rieselt’s silberklar:<br />
Wie träumt es sich so süß im Schnee.<br />
Was that denn ich? – wie müd‘ <strong>und</strong> weh!<br />
War’s Liebe nicht –? war’s – Liebe – nicht? 3<br />
Nur diesen letzten Rocken<br />
Noch spinnt der Mädchenfleiß,<br />
Dann schmiegt euch, meine Locken<br />
Dem grünen Myrtenreiß!<br />
Ich habe lang‘ gesponnen<br />
Und lange mich gefreut;<br />
Zum Bleichen an der Sonnen<br />
Liegt meine Jugendzeit.<br />
Hat er wohl auch das Seine<br />
Mit treuem Muth gethan?<br />
Betreten schon die Eine<br />
Dehmel, Richard: Die Magd. In: GL, 08/ 11/ 25.05.1898/ 86.<br />
IX
5.Negri, Ada: Seid gegrüßt. (1900)<br />
4<br />
X<br />
Des Mannes Ehrenbahn?<br />
Hat innig er begriffen<br />
Die Arbeit seiner Zeit?<br />
Hat er sein Schwert geschliffen,<br />
Zum letzten Kampf bereit?<br />
Weh ihm, wenn er nicht rechten<br />
Für unsre Freiheit will!<br />
Weh ihm, wenn er nicht fechten<br />
Für sein Gewissen will!<br />
Dann mag mein Liebster minnen<br />
Nur auf <strong>und</strong> ab im Land, –<br />
Und dies mein bräutlich Linnen<br />
Wird dann ein Grabgewand. 4<br />
Der Kämpfer denk‘ ich, die in Händen tapfer<br />
Die Schaufel halten, trotzend Gluth <strong>und</strong> Sturmgruß,<br />
Abringend den gequälten, dürren Schollen<br />
Ein elend Brotstück.<br />
Der Kämpfer denk‘ ich, die im finstern Schachtgr<strong>und</strong><br />
Die Haue führen mit den magern Fäusten,<br />
Die keuchend in den schwarzverruchten Schatten<br />
Ruhlos sich abmühn.<br />
Ein heimlich Sausen schleicht da – das erschüttert<br />
mit niederstürzendem Gekrach die Wölbung,<br />
Und Staub ist Alles, Finsterniß <strong>und</strong> langes<br />
Geseufz des Todes …<br />
Doch den zerfetzten Schooß des großen Berges<br />
Siegreich der Dampf zerspaltet <strong>und</strong> durchschreitet.<br />
Ihn grüßt am Ausgang leuchtenden Triumphes<br />
Der Sonne Lichtstrahl. –<br />
Der Kämpfer denk‘ ich, die mit edler Seele<br />
In fieberhafter Müh‘ Gedanken weben,<br />
Führer <strong>und</strong> Märtyrer, den Wissensarmen<br />
Zum Zeitkampf donnernd.<br />
Des Wachen denk‘ ich, der sich quält <strong>und</strong> hingeht<br />
Einsam, verkannt … es bricht aus meinem Busen<br />
Ein Schrei mit weitem Widerhall auf Erden:<br />
Euch grüß‘ ich Helden!<br />
Euch grüß‘ ich ehern hemdenlose Brüste,<br />
Ihr rauhen Leiber, muskulösen Arme,<br />
Ihr unermüdlichen, im brüllenden Schlachtlärm<br />
Der Riesenwerkstatt.<br />
Keller, Gottfried: Die Spinnerin. In: GL, 09/ 04/ 15.02.1899/ 28.
Euch grüß‘ ich, die der heil’ge Stolz der Arbeit<br />
Durchflammt, euch, die der Tod beim Schaffen hinrafft,<br />
Eich, wack’re Kämpfer des Gedankens <strong>und</strong> des Geschwung’nen<br />
Hammers.<br />
Vor mir vorüberziehn, in strengen Bildern,<br />
Der bleichen Mädchen unglücksel’ge Schaaren;<br />
Vorüberziehn in der Fabriken Schraubstock<br />
Gepreßte Frauen.<br />
Und müde Kinder <strong>und</strong> vergrämte Stirnen,<br />
Zerissne Glieder <strong>und</strong> entstellte Mienen,<br />
Und eine wegemüde, ungeheure<br />
Erdfahle Volkschaft.<br />
<strong>Von</strong> ferne hör‘ ich ein Getös von Stimmen,<br />
Der Aexte, Hämmer <strong>und</strong> der Pickel Schläge,<br />
Ich aber singe frei durch dieser Erde<br />
Verworrnes Lärmen:<br />
Dir sing‘ ich, o zerstreute, arbeitsame,<br />
O große menschliche Familie! Vorwärts!<br />
Kämpfe <strong>und</strong> siege! Schließe dich zusammen<br />
Zur Glückseinheit.<br />
Auf Arbeitshelden, auf! Zu Siegers Häupten<br />
Und der Gefallnen letztem Todesringen,<br />
Mit mildem Auge schöne Zukunft spendend<br />
Leuchtet die Sonne. 5<br />
6.Krille, Otto: Maria Lwowna Berditschewskaja. (1905)<br />
(Erschossen von der Soldateska beim Barrikadenbau am Petersburger Blutsonntag, 22. Januar 1905)<br />
5<br />
6<br />
Die Welle will ich preisen, die im Sand verrinnt,<br />
Der trägen Flut das Erdreich zu erweichen.<br />
Ruhmloser Tod, wenn Sonne oder Wind<br />
Die Knospe streift vom Baum, dem blüthenreichen!<br />
Es mag der Schmerz um jedes Schicksal weinen,<br />
Um jedes Leben, grabbedroht,<br />
Doch tränenlose Ewigkeit für deinen,<br />
Für solchen Rettertod.<br />
In jenes Mordes frechem Bacchanale<br />
War deine Tat ein leuchtendes „Erkennt!“<br />
Die Barrikade ward zum Rächermale,<br />
Worauf des Rechtes ew’ge Flamme brennt.<br />
Du Mädchen von der Helden großem Stamme,<br />
Dein Blut verraucht, dein stürmisch Herz versinkt,<br />
An deiner Asche noch entzündet sich die Flamme,<br />
Die Rußlands Freiheit bringt. 6<br />
Negri, Ada: Seid gegrüßt. In: GL, 10/ 09/ 25.04.1900/ 65.<br />
Krille, Otto: Maria Lwowna Berditschewskaja. In: GL, 25/ 22/ 01.11.1905/ 132. Entnommen aus: Krille,<br />
XI
7.Märten, Lu: Frauenbewegung (1905)<br />
8.Bohm, Klara: Rosen (1906)<br />
7<br />
XII<br />
(aus dem Zyklus “Nachtbilder”)<br />
Otto: Welt <strong>und</strong> Einsamkeit. Berlin: Johann Sassenbach, 1905.<br />
Ins Dunkel stieß man uns zurück.<br />
Nicht achtend unsrer Leiden, ohne Licht <strong>und</strong> Freiheit<br />
galt das Wort:<br />
“Weib sein <strong>und</strong> Mutter, sei euch alles<br />
Um der Kinder willen, die ihr leiblich sollt gebären,<br />
bleibt verborgen!” –<br />
Ha, in Nacht <strong>und</strong> Stille wähnte man uns sicher, doch in<br />
Nacht <strong>und</strong> Stille wurden wir zum andern Male<br />
Mütter!<br />
Unterm Schmerzensschrei der halben Menschheit, aus der<br />
Kraft des Leidens haben wir ein Kind zum Licht<br />
getragen.<br />
Königskind! Geboren zu befreien <strong>und</strong> zu siegen!<br />
So ziehe hin denn, Kind!<br />
Erfülle deiner Mütter Wollen <strong>und</strong> lebe ihrem Traum;<br />
In deine Rechte nimm das Schwert, <strong>und</strong> in deine Linke halt’<br />
die Fackel.<br />
Dein Herz sei stark ob Todesw<strong>und</strong>en; dein scharfes Auge<br />
laß von trügerischem Licht nicht täuschen.<br />
Geh vorbei an Thronen <strong>und</strong> Palästen, werfe deinen Schein<br />
<strong>und</strong> wecke Leben;<br />
Eile hin zu jenen Stätten, wo der Schrei des Hungers durch<br />
die Lüfte braust, wo die Arbeit man entheiligt, wo<br />
man Leiber zwingt, die Seelen zu vergessen.<br />
– Und eine nie gekannte Liebestat, die keine Zeit vor dir<br />
Getan – du sollst sie tun.<br />
Steig hinunter in die Tiefen, leuchte mit der Liebesfackel in<br />
das Elend, das Welt das Laster nennt.<br />
Beuge deine Knie vor dem tiefsten Leid des Weibes,<br />
Drücke deinen reinen Kuß auf sünd’ge Lippen,<br />
Denke, daß noch nie ein Weib g e f a l l e n , daß nicht vorher<br />
ward zertreten.<br />
So stürze Schranken, sprenge Fesseln, <strong>und</strong> reife stark <strong>und</strong><br />
froh zur Mutter einer neuen Zeit.<br />
Geh siegreich hin durch alle Welt, halt treue, heil’ge Wacht;<br />
Ein wildes, schönes Sturmlied sei, ein Blitz aus tiefer Nacht! 7<br />
Rosen hängen um dein Fenster <strong>und</strong> kränzen es ein.<br />
Heute Morgen sah ich, daß sich die erste Blüte erschlossen hatte. Es<br />
regnet leise <strong>und</strong> heimlich, <strong>und</strong> ein paar glitzernde Tropfen hängen wie<br />
Diamanten in den feinen Blumenblättern. – Und wie ich hinsehen<br />
muß, wieder <strong>und</strong> immer wieder, <strong>und</strong> der Regen so weich <strong>und</strong><br />
träumend in mein Gesicht sprüht, da ist es mir, als hingen die ganzen<br />
Ranken voll zarter, weißroter Blüten. Wie weiße Arme umschlangen<br />
sie dein Fenster, als ob die Sehnsucht <strong>und</strong> die Schönheit Einlaß zu dir<br />
Märten, Lu: Frauenbewegung. In: GL, 15/ 08/ 19.11.1905/ 48.
9.Holz, Arnold: Weltgeschichte (1907)<br />
8<br />
Bohm, Klara: Rosen. In: GL, 16/ 13/ 27.06.1906/ 90.<br />
begehrten.<br />
Und ich denke an all das süße duftende Leben, welches so eine kleine<br />
Knospe <strong>und</strong> Blüte in sich schließt. Ich denke an das kurze Leben <strong>und</strong><br />
an das schnelle Vergehen.<br />
Da öffnest du das Fenster <strong>und</strong> siehest hinaus in den jungen Tag. In<br />
deinen schimmernden Augen liegt noch der Traum der Nacht, mit<br />
halbgeöffneten Lippen atmest du die reine frische Morgenluft, <strong>und</strong><br />
deine Arme strecken sich hinaus in den weichen Sommerregen.<br />
Da siehst du die erschlossene Rose. Schnell beugst du dich nieder,<br />
deine Hand hebt die Blüte wie zum Licht empor, <strong>und</strong> scheu <strong>und</strong> leise<br />
küssen deine Lippen die glitzernden Tropfen aus dem zarten<br />
Blütenhauch.<br />
Wie du wieder aufblickst, ist der Traum aus deinen Augen<br />
verschw<strong>und</strong>en, aber ein Leuchten ist in ihnen, wie das Ahnen des<br />
kommenden Sommertags.<br />
Du hast mich nicht gesehen. Dein leuchtender Blick ging in ewige<br />
Fernen. Und du sollst mich nicht sehen. –<br />
Leise gehe ich vom Fenster zurück.<br />
Wenn die erste Rose am Morgen erblüht <strong>und</strong> ein junges Menschenkind<br />
zum erstenmal das Glück durch die Welt schreiten ahnt, dann darf<br />
niemand den heiligen Augenblick stören. – Morgen werden an allen<br />
Ranken Rosen blühen. 8<br />
Heimlich durchwandert die Nacht den Tann,<br />
Duftend im Vollmond schwanken die Gräser;<br />
Alles schläft! Nur ein steinalter Mann<br />
Putzt sich geschäftig die Brillengläser.<br />
Nimmt sich ein Prischen <strong>und</strong> sagt: Hätschi!<br />
Ich bin der achte der sieben Weisen!<br />
Ach, <strong>und</strong> er merkt es nicht einmal, wie<br />
Ueber ihm leuchtend die Sterne kreisen!<br />
Sehnsüchtig harft durch die Zweige der Wind,<br />
Blüten erschließen sich, Knospen schwellen;<br />
Alles still! Nur der Nachttau rinnt<br />
Und von den Bergen her rauschen die Quellen.<br />
Raune nur traumhaft, du dunkle Natur,<br />
Raune das Rätsel der Elemente,<br />
Hat doch der alte Graukopf nur<br />
Sinn für Bücher <strong>und</strong> Pergamente!<br />
Wenn er nur schnüffeln <strong>und</strong> büffeln kann,<br />
Mag dreist dies Sonnensystem erkalten;<br />
Ihm ist’s schon recht, denn was geht es ihn an,<br />
Daß sich die Welten wie Blumen entfalten?<br />
Festgeleimt an den Stuhl das Gesäß,<br />
Fängt er sich Grillen <strong>und</strong> mästet sich Motten,<br />
Hüstelt <strong>und</strong> schreibt gelehrte Essays<br />
Ueber Assyrer <strong>und</strong> Hottentotten.<br />
XIII
Tintenfässer bilden Spalier,<br />
Goldstreusand <strong>und</strong> Radiermesser blinken,<br />
Ganze Ballen von Schreibpapier<br />
Liegen bekritzelt ihm schon zur Linken.<br />
Säuberlich hat er drin aufnotiert<br />
Jede Schlacht <strong>und</strong> jedes Gemetzel,<br />
Neben Napoleon figuriert<br />
Kaiser Tiber <strong>und</strong> der Hunnenchan Etzel.<br />
Ekelerregend mit jedem Band<br />
Schwillt das Gemengsel von Blut, Fleisch <strong>und</strong> Knochen;<br />
Leute wie Sokrates, Shakespeare <strong>und</strong> Kant<br />
Werden nur so nebenbei besprochen.<br />
Weltharmonie <strong>und</strong> Sphärenmusik<br />
Können ihm vollends gestohlen bleiben;<br />
Interessanter ist schon die Rubrik,<br />
Wie sich die Kaiser von China entleiben!<br />
Also sitzt er <strong>und</strong> schmiert <strong>und</strong> schmiert<br />
Tote Zahlen <strong>und</strong> trockne Berichte,<br />
Bis er dann endlich „Schluß“ drunter kliert<br />
Und auf das Titelblatt: „Weltgeschichte“.<br />
Weltgeschichte! O blutiger Hohn!<br />
Uralter Hymnus auf die Borniertheit!<br />
Wann, o wann kommt des Menschen Sohn,<br />
Der dich erlöst aus deiner Vertiertheit?<br />
Immer noch brütet die alte Nacht<br />
Grauenvoll über den Völkern der Erde,<br />
Aber schon seh‘ ich rotlodernd entfacht<br />
Flammen des Geistes auf ewigem Herde.<br />
Freiheit <strong>und</strong> Gleichheit <strong>und</strong> Brüderlichkeit<br />
Jubelt die neugeborene Trias!<br />
Freu dich, mein Herz, denn die goldene Zeit<br />
Dämmert <strong>und</strong> predigen wird der Messias:<br />
Lebt in Frieden <strong>und</strong> baut euer Zelt,<br />
Viel, ach, müßt ihr noch lehren <strong>und</strong> lernen;<br />
Ein Herz schlägt durch die ganze Welt,<br />
Ein Geist flutet von Sternen zu Sternen.<br />
Ruft drum als Losung von Land zu Land:<br />
Eins sei die Menschheit von Zone zu Zone!<br />
Erst wenn sie staunend sich selbst erkannt,<br />
Dann erst ist sie der Schöpfung Krone! 9<br />
10.Freiligrath, Ferdinand von: Nach Johanna Kinkels Begräbnis (1908)<br />
9<br />
XIV<br />
20. November 1858.<br />
Zur Winterszeit in Engelland,<br />
Versprengte Männer, haben<br />
Wir schweigend in den fremden Sand<br />
Die deutsche Frau begraben.<br />
Der Rauhfrost hing am Heidekraut,<br />
Holz, Arno: Weltgeschichte. In: GL, 17/ 23/ 11.11.1907/ 204.
Doch sonnig lag die Stätte,<br />
Und sanften Zugs hat ihr geblaut<br />
Der Surreyhügel Kette.<br />
Um Ginster <strong>und</strong> Wacholderstrauch<br />
Schwang zirpend sich die Meise,-<br />
Da wurde dunkel manches Aug',<br />
Und mancher schluchzte leise;<br />
Und leise zitterte die Hand<br />
Des Fre<strong>und</strong>es, die bewegte,<br />
Die auf den Sarg das rote Band,<br />
Den grünen Lorbeer legte.<br />
Die mutig Leben sie gelehrt<br />
Und mut'ge Liederweisen,<br />
Am offnen Grabe stand verstört<br />
Das Häuflein ihrer Waisen;<br />
Und fest, ob auch wie quellend Blut<br />
Der w<strong>und</strong>en Brust entrungen,<br />
Ist über der verlaßnen Brut<br />
Des Vaters Wort erklungen.<br />
So ruh' denn aus in Luft <strong>und</strong> Licht!<br />
Und laß uns das nicht klagen,<br />
Daß Drachenfels <strong>und</strong> Ölberg nicht<br />
Ob deinem Hügel ragen!<br />
Daß er nicht glänzt im Morgentau,<br />
Noch glüht im Abendscheine,<br />
Wo durch Geländ' <strong>und</strong> Wiesenau<br />
Die Sieg entrollt zum Rheine!<br />
Wir senken in die Gruft dich ein,<br />
Wie einen Kampfgenossen;<br />
Du liegst auf diesem fremden Rain,<br />
Wie jäh vorm Feind erschossen;<br />
Ein Schlachtfeld auch ist das Exil -<br />
Auf dem bist du gefallen,<br />
Im festen Aug' das EINE Ziel,<br />
das EINE mit uns allen!<br />
Drum hier ist deine Ehrenstatt,<br />
In Englands wilden Blüten;<br />
Kein Gr<strong>und</strong>, der besser Anrecht hat<br />
Im Sarge dich zu hüten!<br />
Ruh' aus, wo du gestritten!<br />
Für dich kein stolzer Leichenfeld,<br />
Als hier im Land der Briten!<br />
Die Luft, so dieses Kraut durchwühlt<br />
Und dieses Graseswellen,<br />
Sie hat mit Miltons Haar gespielt,<br />
Des Dichters <strong>und</strong> Rebellen;<br />
Sie hat geweht mit frischem Hauch<br />
In Cromwells Schlachtstandarten;<br />
Und dieses ist ein Boden auch,<br />
Drauf seine Rosse scharten!<br />
Und auf von hier zum selben Bronn<br />
XV
10<br />
XVI<br />
Des goldnen Lichtes droben<br />
Hat Sidney, jener Algernon,<br />
Sein brechend Aug' erhoben;<br />
Und oft wohl an den Hügeln dort<br />
IHR Aug' ließ Rahel hangen, -<br />
Sie, Russels Weib, wie du der Hort<br />
Des Gatten, der gefangen!<br />
Die sind's vor allen, diese vier!<br />
Dies Land, es ist das ihre!<br />
Und sie beim Scheiden stellen wir<br />
Als Wacht an deine Türe!<br />
Die deinem Leben stets den Halt<br />
Gegeben <strong>und</strong> die Richtung, -<br />
Hier stehn sie, wo dein Hügel wallt:<br />
Freiheit <strong>und</strong> Lieb' <strong>und</strong> Dichtung!<br />
Fahr wohl! <strong>und</strong> daß an mut'gem Klang<br />
Es deinem Grab nicht fehle,<br />
So überschütt' es mit Gesang<br />
Die frühste Lerchenkehle!<br />
Und Meerhauch, der dem Freien frommt,<br />
Soll flüsternd es umspielen,<br />
Und jedem, der hier pilgern kommt,<br />
Das heiße Auge kühlen! 10<br />
Freiligrath, Ferdinand von: Nach Johanna Kinkels Begräbnis. 20. November 1858. Entnommen aus:<br />
Schwering, Julius (Hrsg.): Freiligraths Werke. Dritter Teil. Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart: Deutsches<br />
Verlagshaus Bong & Co., o.A., S. 9-11. Vgl. auch: Blos, Anna: Auch eine Heldin. In: GL, 18/ 10/ 11.05.1908/<br />
89.
11.Döltz, Emma: Wir rufen Euch. (1911)<br />
11<br />
Heraus, ihr Frauen, aus Haus <strong>und</strong> Fabrik,<br />
Jetzt gilt’s, euer Recht zu erringen.<br />
Aus dumpfer Stube, aus gift’gem Betrieb,<br />
Aus des Alltags ehernen Schlingen,<br />
Heraus zum Kampf. Weh‘ über die Frau’n,<br />
Die heute nicht mit uns gehen;<br />
Nur stumpfen Sinn’s auf sich selber schau’n,<br />
Doch sich <strong>und</strong> die Zeit nicht verstehen.<br />
Jahrtausende lasten auf unsrem Geschlecht,<br />
Und der freie Geist schien zu schlafen.<br />
Mit Füßen getreten ward unser Recht<br />
Und gelobt nur die Tugend der Sklaven.<br />
Doch ein Ende hat auch die finsterste Nacht,<br />
Nun gilt es, den Morgen zu schauen.<br />
Heraus, ihr Frauen der Arbeit, erwacht,<br />
Und helft uns die Zukunft bauen.<br />
Wen kümmert’s, wie schwer unser Leben verrinnt?<br />
Man sagt uns: dulde <strong>und</strong> liebe.<br />
Und reißt von der säugenden Brust uns das Kind,<br />
Stößt hinein uns ins Wirthschaftsgetriebe.<br />
Wenn nachts der Lärm der Maschine schweigt,<br />
Erloschen des Herdes Flammen,<br />
Dann sitzen wir noch, vornübergebeugt,<br />
Und flicken die Lumpen zusammen.<br />
Mit unsrem geknechteten, harten Los<br />
Bezahlen die Herrn ihre Schulden.<br />
Wir ziehen dem Staate die Kinder groß<br />
Und sollen doch schweigen <strong>und</strong> dulden.<br />
Wir schaffen mit flinken Händen die Pracht,<br />
Mit der sich die Reichen umgeben.<br />
Nun wollen wir aus des Elends Nacht<br />
Unsre fordernde Stimme erheben.<br />
Sie stellen Gesetze <strong>und</strong> Rechte auf,<br />
Wir sollen vor ihnen uns beugen.<br />
Sie halten die Hand an des Schwertes Knauf,<br />
Um uns seine Schärfe zu zeigen.<br />
Sie sprechen heuchelnd, mit lüsternem Trug:<br />
“Die Freiheit des Weibes ist sündig.”<br />
Wir aber sagen: Nun ist es genug.<br />
Und sprechen uns selber mündig.<br />
Wir wollen in längst überlebten Brauch<br />
Uns nicht mehr geduldig fügen.<br />
Und steht eine Welt von Feinden auf:<br />
Wir wollen kämpfen <strong>und</strong> siegen.<br />
Wir werden siegen. Das Rad der Zeit<br />
Läßt sich nicht rückwärts drehen;<br />
Und über die Hindernisse von heut<br />
Wird morgen donnernd es gehen. 11<br />
Döltz, Emma: Wir rufen euch. In: GL, 21 (1911)/ „Für unsere Mütter <strong>und</strong> Hausfrauen“ 11/ 41.<br />
XVII
12.Döltz, Emma: Wir können euch doch schlagen! (1912)<br />
12<br />
XVIII<br />
Es braust ein Sturm durchs deutsche Land,<br />
Der bricht das Morsche nieder.<br />
Das Volk erhebet hoch sein Haupt<br />
Und reckt die kräft’gen Glieder.<br />
Sein Zorneslied durchschallt die Welt<br />
In diesen Kampfestagen,<br />
Wie Donner klingt’s – <strong>und</strong> nur wir Frau’n:<br />
Wir haben nichts zu sagen.<br />
Wohl hat man uns, dem Manne gleich,<br />
In harte Fron geschmiedet,<br />
Mit flinken Händen schaffen wir,<br />
Was euch das Leben bietet.<br />
Für uns die Qual durchwachter Nacht,<br />
Ums Brot das bange Zagen.<br />
Wir bauen an der Zukunft, doch:<br />
Wir haben nichts zu sagen.<br />
Was immer man zum Leben braucht,<br />
Ihr sucht’s uns zu verteuern,<br />
Nehmt unsrer Kinder letztes Brot<br />
Durch Zölle <strong>und</strong> durch Steuern.<br />
Doch wollen wir: “Wo bleibt das Geld?”<br />
Mit lauter Stimme fragen,<br />
Lacht ihr uns höhnisch ins Gesicht:<br />
Wir haben nichts zu sagen.<br />
Ihr pochet wohl auf die Armee<br />
Und rasselt mit den Spießen,<br />
Doch sind es unsre Jungen nur,<br />
Die die Kolonnen schließen.<br />
Die Mutter zog den Jüngling groß,<br />
Der sich im Feld soll schlagen,<br />
Doch welchem Feind die Kugel gilt:<br />
Das hat sie nicht zu sagen.<br />
Ihr hämmertet ein neu Gesetz,<br />
Verziert mit alten Stücken,<br />
Damit ihr mit dem Schein des Rechts<br />
Uns tiefer könnet drücken.<br />
Wenn Witwen <strong>und</strong> wenn Waisen um<br />
Betrogene Hoffnung klagen,<br />
Euch kümmert’s nicht! Es sind nur Frau’n:<br />
Die haben nichts zu sagen.<br />
Doch Not <strong>und</strong> Elend trieb auch uns<br />
Empörung in die Wangen.<br />
Wir wollen unser gutes Recht<br />
Im rauhen Kampf erlangen.<br />
Und dürfen wir im Parlament<br />
Nicht unsre Meinung sagen,<br />
So zeigen wir durch die Partei:<br />
Wir können euch doch schlagen! 12<br />
Döltz, Emma: Wir können Euch doch schlagen! In: GL, 22/ 08/ 08.01.1912/ 122.
13.Scherz, Betty: Wir Frauen. (1915)<br />
14.Fürth, Henriette: Die rote Fahne (1919)<br />
13<br />
14<br />
Wir Frauen in des Alltags Joch,<br />
Wir hoffen doch, wir harren doch –<br />
Ist sie auch weit, es kommt die Zeit<br />
Der freien, frohen Menschlichkeit.<br />
Noch lastet schwer auf uns die Not,<br />
Die Sorg‘ ums Brot, – die Not ums Brot,<br />
Doch tragen w i s s e n d wir das Joch –<br />
Und hoffen doch! Und kämpfen doch!<br />
Und wissen, daß nach Kampf <strong>und</strong> Leid<br />
Erstrahlt das Licht der Menschlichkeit! 13<br />
Wir lagen am Boden <strong>und</strong> ächzten schwer,<br />
Und über uns brauste das Wetter her.<br />
Voll Feinde die Welt.<br />
Die setzten uns auf den Nacken den Fuß<br />
Und sandten uns grimmigen Hohn zum Gruß.<br />
Unser Wehruf gellt.<br />
Da rauschte empor unsres Herzens Blut,<br />
Da loderte unseres Zornes Glut.<br />
Wir machten uns frei.<br />
Zersprengten die Fesseln, die uns umkrallt;<br />
Da war der Fürsten Herrschergewalt<br />
Zerspellt <strong>und</strong> vorbei.<br />
Hoch flattert die Fahne. Die Fahne ist rot.<br />
Die färbte mit Herzblut Gevatter Tod.<br />
Die Farbe hält.<br />
Die rote Fahne geht uns voran.<br />
Wir folgen der Fahne, Weib <strong>und</strong> Mann,<br />
Und zwingen die Welt. 14<br />
Scherz, Betty: Wir Frauen. In: GL, 25/ 08/ 09.01.1915/ 43.<br />
Fürth, Henriette: Die rote Fahne. In: GL, 29/ 7/ 03.01.1919/ 49.<br />
XIX
15.Stahl, Artur: Frauenwahlrechts-Marseillaise (1919)<br />
15<br />
XX<br />
Eilt an die Urne, Arbeitsschwestern,<br />
Die Freiheit ruft, der Sieg ist nah!<br />
Er muß so allgewaltig werden,<br />
Wie ihn die Welt noch niemals sah!<br />
Auf euch ist heut in allen Gauen<br />
Der Blick des Volkes hingewandt,<br />
Drum reicht uns schwesterlich die Hand<br />
Und habt in eure Macht Vertrauen!<br />
Der Geist der neuen Zeit,<br />
Er finde euch bereit!<br />
Wohlan, es ruht in eurem Schoß<br />
Der Menschheit Zukunftslos!<br />
Traut nicht der List, die euch umgarnet<br />
Und nachher spottet eurer Not!<br />
Sie sucht die Sinne zu betören<br />
<strong>und</strong> bietet Steine nur für Brot!<br />
Der Sozialismus ist das Zeichen,<br />
Das keine Winkelzüge liebt<br />
Und euch das Licht des Lebens gibt,<br />
Vor dem die Dunkelmänner weichen!<br />
Der Geist der neuen Zeit,<br />
Er finde euch bereit!<br />
Wohlan, es ruht in eurem Schoß<br />
Der Menschheit Zukunftslos!<br />
Wer gab euch denn die Menschenrechte,<br />
Die ihr jetzt endlich üben sollt?<br />
Des feilen Mammons schnöde Knechte,<br />
Die münzten nie dies lautre Gold!<br />
Sie brachten Elend <strong>und</strong> Verderben<br />
Und Krieg nur unserm Vaterland,<br />
Nun wir dies Schreckgespenst gebannt,<br />
Versuchen Sie uns zu enterben!<br />
Der Geist der neuen Zeit,<br />
Er finde euch bereit!<br />
Wohlan, es ruht in eurem Schoß<br />
Der Menschheit Zukunftslos!<br />
Drum helft die Freiheit uns beschützen<br />
Und macht euch selber wahrhaft frei!<br />
Nicht ziemt’s, das Alte noch zu stützen,<br />
Schafft, daß der Sieg vollkommen sei!<br />
Mag sich die Reaktion auch spreizen,<br />
Die nur um eure Stimmen buhlt,<br />
Ihr seid fürwahr genug geschult,<br />
Um Spreu zu scheiden von dem Weizen!<br />
Der Geist der neuen Zeit,<br />
Er finde euch bereit!<br />
Wohlan, es ruht in eurem Schoß<br />
Der Menschheit Zukunftslos! 15<br />
Stahl, Artur: Frauenwahlrechts-Marseillaise. In: GL, 29/ 08/ 17.01.1919/ 64.
16.Müller-Jahnke, Klara: Den Frauen. (1919)<br />
16<br />
Den Frauen einen Frühlingsgruß!<br />
Euch allen, die in Fron <strong>und</strong> Mühen<br />
Ihr dornenreiche Pfade geht,<br />
Euch sollen Maienrosen blühen!<br />
Greift lachend in die rote Pracht:<br />
Ein Morgen glüht, den keine Wolke<br />
In schwarze Schatten hüllen wird,<br />
Ein Festtagsmorgen allem Volke!<br />
Den Frauen einen Maiengruß!<br />
Ihr tragt die Zukunft unterm Herzen,<br />
Ihr säugt die Freiheit an der Brust, –<br />
Das ist ein heilig Recht der Schmerzen:<br />
Das ist ein göttlich Frauenrecht,<br />
Das haltet fest mit starkem Wollen …<br />
Und eure rote Blume blüht,<br />
Wenn rings umher die Wetter grollen.<br />
Und ob ihr wohnt am Seinestrand,<br />
An Skandinaviens Felsentoren,<br />
Ob Londons Nebel euch umspinnt,<br />
Ob Rußlands Steppe euch geboren,<br />
Ob euch Italiens Sonne scheint,<br />
Ob euch Germaniens Eichenstärke<br />
Die Muskeln spannt: ich rufe euch<br />
Zu einem großen Maienwerke!<br />
Den Haß, der die Nationen trennt,<br />
Soll eure Liebe überwinden,<br />
Wenn schwesterlich die Hände sich<br />
Zum letzten großen Kampfe finden.<br />
Des Sturmjahrh<strong>und</strong>erts Morgenschein<br />
Soll eurer Rechte Sieg verklären:<br />
Erst müßt ihr freie Menschen sein,<br />
Um freie Menschen zu gebären!<br />
Aus märchenblauen Zeiten klingt<br />
Ein Segenswort: den Fluch des Bösen,<br />
Der auf das Haupt der Menschheit fiel,<br />
Wird einst die Hand des Weibes lösen.<br />
Aus Lügenschlamm <strong>und</strong> Gassenstaub<br />
Wird sie den Schatz der Wahrheit heben<br />
Und segnend ihn als Hort des Rechts<br />
Den kommenden Geschlechtern geben.<br />
Den Frauen einen Segensgruß!<br />
Aus alter Kindermärchen Klarheit<br />
Lacht hell in all den Sonnenglanz<br />
Das heilige Angesicht der Wahrheit.<br />
Kein Traumglück mehr, kein Sehnsuchtslaut.<br />
Es gilt der Kampf! auch euch, den Frauen.<br />
Und eure Kinder werden einst<br />
Der Freiheit Maitag feiernd schauen! 16<br />
Müller-Jahnke, Klara: Den Frauen. In: GL, 29/ 16/ 01.05.1919/ 122.<br />
XXI
17.Heilbut, Kurt: Zwei Mütter. (1919)<br />
18.Fürth, Henriette: Den Frauen. (1919)<br />
17<br />
18<br />
XXII<br />
Wie ich so unter den Bäumen lag,<br />
Sah ich zwei Mütter. – Die erste sprach,<br />
Den Blondkopf stolz gen Himmel gewandt:<br />
„Drei Söhne gab ich dem Vaterland!<br />
Der erste fiel stürmend in vorderster Reihn,<br />
Dem zweiten zerriß die Granate das Bein,<br />
Der dritte kämpft in Berg <strong>und</strong> Tal –<br />
Teil der Mauer von Eisen <strong>und</strong> Stahl.<br />
Und ob auch ihn der Tod einst küßt:<br />
Wenn nur die Heimat gerettet ist!“<br />
Die zweite senkte weinend das Haupt:<br />
„Drei Söhne hat der Krieg mir geraubt!<br />
Der erste ruht auf dem Meeresgr<strong>und</strong>,<br />
Der zweite heimkehrte weh <strong>und</strong> w<strong>und</strong>,<br />
Der dritte, der jüngste, der Heimat verbannt,<br />
Lebt noch, gefangen in Feindesland. –<br />
Mich freut kein Lenz mehr, mich freut kein Sieg:<br />
Drei Söhne nahm mir der Moloch Krieg!<br />
Drei – dem schaffenden Leben geboren,<br />
Ums Leben betrogen, der Freude verloren. …“<br />
Und wie sie still vorüber ging,<br />
War mir’s, als flocht der Sonne Licht<br />
Dicht um ihr Haupt einen goldenen Ring.<br />
Ich aber neigte mich, da sie ging,<br />
Tief vor dem heiligen Angesicht. 17<br />
Frauen! Mütter! Es ward unser Tag!<br />
Nun möge kommen, was komme mag.<br />
Nun müssen Mut <strong>und</strong> Kraft wir spenden<br />
Und Segen <strong>und</strong> Sonne mit Mutterhänden,<br />
Daß unserm Volk in des Todes Nacht<br />
Noch einmal die Sonne des Lebens lacht.<br />
Lasset uns aufrecht zum Tode gehen.<br />
Das wir lebten, das Sein war schön.<br />
Es war der Arbeit, der Sorgen voll,<br />
Und doch von Segen es überquoll.<br />
Nun ist es vorbei. Wir klagen nicht.<br />
Es trifft uns schuldlos ein schwer Gericht.<br />
Wir bleiben aufrecht, wie tief es auch traf,<br />
Und sterben so. Lieber tot als Sklav. 18<br />
Heilbut, Kurt: Zwei Mütter. In: GL, 29/ 17/ 23. 05.1919/ 130.<br />
Fürth, Henriette: Den Frauen. In: GL, 29/ 18/ 06.06.1919/ 141.
19.Heilbut, Kurt: An Bebel (1919)<br />
20.Negri, Ada: Mutterliebe (1920)<br />
19<br />
Wir Frauen – ein minderwertig Geschlecht,<br />
Verhöhnt, verachtet, ohne Recht.<br />
Man sagte uns stets: die Geschichte lehrt,<br />
Daß dem Mann allein die Herrschaft gehört.<br />
Daß die Frau nichts versteht von des Lebens Nöten<br />
Als das Haus zu hüten <strong>und</strong> höchstens – zu beten.<br />
Du aber rissest der Weltgeschicht‘<br />
Die verlogene Maske vom Gesicht:<br />
Daß auch die Frau bestimmt sei<br />
Als Mensch zu leben, geachtet <strong>und</strong> frei.<br />
Daß wir nimmer die Menschheit zur Freiheit führen,<br />
Eh‘ nicht die Frau’n ihre Ketten verlieren.<br />
Daß wir von allen am meisten verehren<br />
Die Mütter, die uns dem Leben gebären!<br />
Arbeiter <strong>und</strong> Frau –<br />
Beide entrechtet,<br />
Beide geknechtet –<br />
Du wiesest ihrem suchenden Blick<br />
Den Weg in die Freiheit, den Weg zum Glück!<br />
Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Führer, dein Wort noch besteht,<br />
Wenn du schon längst im All verweht.<br />
Wir tragen dich in uns gleich einem Panier,<br />
Arbeiter <strong>und</strong> Frau – wir danken dir! 19<br />
In der Fabrik, bei rauher Wollarbeit,<br />
Wo lauter Lärm den weiten Raum durchklingt!<br />
Und kreischend Rad um Rad sich schwingt!<br />
Und tausend Frau’n hinwelken vor der Zeit,<br />
Müht sie sich ab schon mehr als ein Jahrzehnt;<br />
Die Schiffchen fliegen leicht durch ihre Hand,<br />
Und das Geräusch, das unverwandt<br />
Gleich einem Ungewitter um sie dröhnt,<br />
Sie merkt es kaum. – So müde ist sie meist,<br />
So müde, daß sie fast zusammenbricht;<br />
Und doch die bleiche Stirne spricht<br />
<strong>Von</strong> Festigkeit <strong>und</strong> ungebeugtem Geist;<br />
Sie scheint zu sagen: Vorwärts! … Welch‘ Geschick,<br />
Würf‘ Krankheit eines Tages zu Boden sie<br />
Und die Unsel’ge könnte nie,<br />
Ach nie auf ihren Posten mehr zurück! …<br />
Sie darf <strong>und</strong> kann es nicht. – Ihr einz’ger Sohn,<br />
der große Stolz in ihrer Dürftigkeit,<br />
Auf dessen Stirne ernst <strong>und</strong> breit<br />
Heilbut, Kurt: An Bebel. In: GL, 29/ 27/ 23.08.1919/ 210.<br />
XXIII
20<br />
XXIV<br />
Des Genius Götterflug sie ahnet schon,<br />
Ihr Sohn studiert. – Und bei der Arbeit ringt<br />
Sie unermüdlich <strong>und</strong> gibt tropfenweis<br />
Ihr Leben hin bei Müh‘ <strong>und</strong> Schweiß,<br />
Indem sie stumm sich selbst zum Opfer bringt;<br />
Und gibt ihr Alter jetzt so freudig hin,<br />
Wie einstmals ihre schöne Jugendzeit,<br />
Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> die Süßigkeit<br />
Der Ruhe auch, die heil’ge Dulderin;<br />
Allein ihr Sohn studiert. – In hellem Licht<br />
Steht seine Zukunft groß vor ihrem Blick,<br />
Und um sein braunes Haupt das Glück<br />
<strong>Von</strong> Gold <strong>und</strong> Lorbeer reiche Kränze flicht! …<br />
… In nied’rer Hütte, die kein Sonnenlicht<br />
Erreicht, studiere tapfer nur, du Sohn<br />
Des Volkes, dem aus den Augen schon<br />
Des Genius tief Geheimnis spricht.<br />
O wahre dir die starken Muskeln nur,<br />
Die frische Energie, das warme Blut<br />
Den stolzen ungebeugten Mut<br />
Der reinen, ungezähmten Volksnatur.<br />
Um dir den Weg zu bahnen, stirbt sie arm<br />
Die gute Mutter, wirf noch einen Kuß<br />
Der Toten zu <strong>und</strong> einen Gruß, –<br />
Und stürz‘ entgegen dich dem Feindesschwarm.<br />
Zum Kampf mit Wort <strong>und</strong> Feder sei bereit,<br />
Zeig‘ neue Horizonte, licht <strong>und</strong> schön<br />
Und ungeahnte Strahlenhöh’n<br />
Der alten, matt <strong>und</strong> stumpf geword’nen Zeit.<br />
Und ehrlich, unverdorben sei <strong>und</strong> rein,<br />
Es setzte deine Mutter voller Qual,<br />
Im lärmend lauten Arbeitssaal,<br />
Ihr Leben ja als Opfer für dich ein. 20<br />
Negri, Ada: Mutterliebe. In: GL, 30/ 32/ 07.08.1920/ 257 (Titelblatt).
21.Bohm-Schuch, Klara: Zum 9. November 1918. (1920)<br />
21<br />
Blutumrauschet <strong>und</strong> tränenschwer<br />
Zogen die Jahre,<br />
Hart <strong>und</strong> leer<br />
War unser Leben,<br />
Todumdroht<br />
Gingen wir hin<br />
Durch all die Not.<br />
Männer starben,<br />
Kinder verdarben,<br />
Wir schafften ums Brot.<br />
Bis unser Tag kam!<br />
November war es voll Frühlingsluft,<br />
Voll Lerchenschlag <strong>und</strong> Veilchenduft,<br />
November, wie kaum ihn Menschen gesehn<br />
Voll Drängen <strong>und</strong> Werden <strong>und</strong> Auferstehn.<br />
Aus all den Strömen von jungen Blut<br />
Wuchs eines Volkes Verzweiflungsmut.<br />
Es rüttelt hart an der Zwingburg Tor,<br />
Und siehe, Menschen strömten hervor,<br />
Zur Freiheit, zur Sonne, zum Menschensein!<br />
Klirrend zersprangen Ketten <strong>und</strong> Schein.<br />
Opfer fielen mit jauchzendem Schrei<br />
Auf sterbenden Lippen:<br />
Unser Volk ist frei!<br />
Frei wurden auch wir, wir geknechteten Frau’n!<br />
Wir dürfen froh auf zur Sonne schau’n.<br />
Dürfen lieben das heilige Leben.<br />
Rein ist die Seele,<br />
Flammendurchloht.<br />
Irrtum <strong>und</strong> Fehle,<br />
Schmerz <strong>und</strong> Not<br />
Läßt der Liebe heiligen Schein<br />
Heller nur leuchten, welthinein!<br />
Tag der Erlösung aus schmachvoller Qual<br />
Wir grüßen dich heut zum zweiten Mal.<br />
Du bist der Wahrstein der wollenden Kraft<br />
Die in den Tiefen des Volkes schafft, –<br />
Das Land voll Freiheit <strong>und</strong> Erdenglück<br />
Du zeigest es dem umflorten Blick.<br />
Wegleuchte der Zukunft auf dunkelem Pfad –<br />
Du Tag des Wollens, du Tag der Tat! 21<br />
Bohm-Schuch, Klara: Zum 9. November 1918. In: GL, 30/ 45/ 06.11.1920/ 365 (Titelblatt).<br />
XXV
22.Bohm-Schuch, Clara: [Und wieder wehet …] (1922)<br />
22<br />
XXVI<br />
Und wieder wehet linde Frühlingsluft,<br />
Und wieder sprießt um uns das neue Leben.<br />
Millionen Keime sprengen ihre Gruft<br />
Und wollen sich empor zum Lichte heben.<br />
Die alten Linden treibt’s mit wilder Kraft,<br />
Bald werden über Nacht die Knospen springen,<br />
Aus schlanken Birken quillt der Lebenssaft<br />
Und durch die ganze Pracht ein jubelndes Klingen.<br />
Durchs Herze aber geht mit wildem Schrei<br />
Die Sehnsucht nach dem Neugeborenwerden,<br />
Ein einzig lautes, wildes „Mach uns frei“,<br />
Komm zu uns, Glück, komm zu uns schon auf Erden!<br />
Die Sehnsucht stille hier, wir trachten nicht<br />
Vermessen nach den lichten Aetherhöhen,<br />
Zeig uns nur hier dein holdes Angesicht,<br />
Und laß uns nicht in Elendsqual vergehen.<br />
Sind wir nicht alle Kinder jenes Lichts,<br />
Das Knospenträume weckt <strong>und</strong> Früchte reifet?<br />
Und von dem goldnen Glanze ward uns nichts<br />
Als daß die Sehnsucht unsre Seelen streifet!<br />
Auch uns gehört der Erde Blütenpracht,<br />
Auch unser sei des Lebens Schönheitsfülle,<br />
Der Sehnsucht Flamme ist in uns entfacht,<br />
An ihr erstarke unser trotz’ger Wille.<br />
Wir wollen freigebor’ne Menschen sein!<br />
Wir woll’n kein Trugglück in des Himmels Höhen,<br />
Wir wollen hier der Sonne goldnen Schein!<br />
Wir wollen hier dem Glück ins Antlitz sehen!<br />
Wir wollen! Treu <strong>und</strong> fest sei dieser Schwur!<br />
Hört ihr den Jubelklang auf allen Wegen?<br />
Ein Rauschen geht durch Wald <strong>und</strong> Feld <strong>und</strong> Flur.<br />
Stolz schreiten wir dem Sonnentag entgegen. 22<br />
Bohm-Schuch, Clara: [Und wieder wehet …]. In: GL, 32/ 08/ 15.04.1922/ 69.
7.2 Tabellen<br />
1. Aufstellung früher regionaler proletarischer Frauenorganisationen.........................XXVIII<br />
2. Entstehung <strong>und</strong> Entwicklung von Frauenorganisationen 1865 – 1908<br />
in Anzahl der Verbände................................................................................................XXIX<br />
3. Die dargestellten Frauenzeitschriften im Vergleich......................................................XXX<br />
4. Die wichtigsten Zeitschriften der deutschen Frauenbewegung...................................XXXI<br />
5. Geschäftsjahresabrechnungen der „Gleichheit“1902-1913......................................XXXIII<br />
6. Zuschüsse an zentrale Parteiorgane im Jahre 1921 in Mark.....................................XXXIV<br />
7. Abonnentinnen der “Gleichheit” 1902-1923 ....................................................................35<br />
8. Preisentwicklung der „Gleichheit“ (in Mark)...........................................................XXXVI<br />
9. Zahl der <strong>weiblichen</strong> Vertrauenspersonen (bis 1907) <strong>und</strong><br />
Vorstandsmitglieder (ab 1909) 1901-1912 .............................................................XXXVII<br />
10. Die Berufe führender Sozialdemokratinnen, ihrer Ehemänner <strong>und</strong> Väter.............XXXVIII<br />
11. Mitglieder der sozialdemokratischen Frauenbewegung 1901-1907 ........................XXXIX<br />
12. Übersicht über die Fluktuation weiblicher SPD-Mitglieder 1906-1931..........................XL<br />
XXVII
1.Aufstellung früher regionaler proletarischer Frauenorganisationen 23<br />
23<br />
Ort Vereinsname Gründungsjahr<br />
Frauen- <strong>und</strong> Mädchenbildungs-Verein für Berlin <strong>und</strong><br />
Umgegend<br />
Verein der Plätterinnen <strong>und</strong> verwandten Berufsgenossen<br />
Verein der in der Hutfabrikation beschäftigten Arbeiterinnen<br />
Verein der Arbeiterinnen an Buch- <strong>und</strong> Steindruck-<br />
Schnellpressen<br />
Freie Vereinigung der in der Blumen- <strong>und</strong> Putzfedern-<br />
Branche beschäftigten Arbeiter <strong>und</strong> Arbeiterinnen<br />
Verein der gewerblichen Hilfsarbeiter <strong>und</strong> Arbeiterinnen<br />
Berlins <strong>und</strong> Umgegend<br />
Verein der Arbeiter <strong>und</strong> Arbeiterinnen der Buch-, Papier- <strong>und</strong><br />
Lederwaren-Industrie<br />
1890<br />
?<br />
1890<br />
1891<br />
1890<br />
1892<br />
Mitglieder<br />
insgesamt<br />
Altona Frauen- <strong>und</strong> Mädchen-Verein für Ottensen <strong>und</strong> Umgebung 1887 91<br />
Berlin Allgemeiner Arbeiterinnen-Verein<br />
1888 270<br />
(vier Filialen)<br />
1892 112<br />
700<br />
100<br />
1.100<br />
67<br />
(58 Frauen)<br />
120<br />
541<br />
(70 Frauen)<br />
Bernau Textil-Arbeiter <strong>und</strong> Arbeiterinnen-Verein 1890 300<br />
(100 Frauen)<br />
Bernburg Bildungs-Verein für Frauen <strong>und</strong> Mädchen ? 100<br />
Bielefeld Freier Verein für Frauen <strong>und</strong> Mädchen 1890 50<br />
Bremen Arbeiterinnen-Verein<br />
1888 50<br />
Freie Vereinigung der Kistenbekleberinnen<br />
1890 60<br />
Breslau Arbeiterinnen-Verein aller Berufszweige 1892 152<br />
Dessau Frauen- <strong>und</strong> Mädchen-Verein Unverdrossen 1890 42<br />
Elberfeld Bildungs-Verein für Frauen <strong>und</strong> Mädchen des arbeitenden<br />
Volkes<br />
1892 210<br />
Forst Textil-Arbeiterinnen-Verein 1891 280<br />
Frankfurt a. M. Allgemeiner Arbeiterinnen-Verein 1891 119<br />
Freiburg Arbeiterinnen-Verein 1892 25<br />
Hamburg Zentral-Verein der Näherinnen<br />
Zentral-Verein der Frauen <strong>und</strong> Mädchen<br />
Zentral-Verein der Plätterinnen<br />
1891<br />
1892<br />
1889<br />
Hanau Arbeiterinnen-Verein 1891 260<br />
Herford Freie Vereinigung der Frauen <strong>und</strong> Mädchen 1890 32<br />
Köln Frauen- <strong>und</strong> Mädchen-Bildungsverein 1892 98<br />
Leipzig Fachverein der in Buchbindereien beschäftigten Arbeiter <strong>und</strong><br />
Arbeiterinnen<br />
? ?<br />
Liegnitz Bildungsverein für Frauen <strong>und</strong> Mädchen 1892 27<br />
Mainz Frauen <strong>und</strong> Mädchenverein 1891 80<br />
Mannheim Verein sozialistischer Mädchen <strong>und</strong> Frauen 1892 235<br />
München Bildungsverein für Frauen <strong>und</strong> Mädchen 1891 80<br />
Netzschkau Arbeiter- <strong>und</strong> Arbeiterinnen-Verein ? ?<br />
Nürnberg Frauen- <strong>und</strong> Mädchen-Bildungsverein 1892 65<br />
Offenbach Allgemeiner Frauen- <strong>und</strong> Mädchen-Verein 1891 135<br />
Rostock Frauen- <strong>und</strong> Arbeiterinnen-Verein 1891 44<br />
Sagan Frauen- <strong>und</strong> Mädchen- Bildungs-Verein 1892 50<br />
Sorau Textil-Arbeiterinnen-Verein 1890 140<br />
Stuttgart Verein der in Buchbindereien <strong>und</strong> verwandten Berufszweigen<br />
beschäftigten Arbeiter <strong>und</strong> Arbeiterinnen<br />
? 75 Frauen<br />
Wandsbek Frauen- <strong>und</strong> Mädchenverein Gleichheit 1892 50<br />
Tabelle erstellt nach: Ihrer, Emma: Die Organisation der Arbeiterinnen in Deutschland, ihre Entstehung <strong>und</strong><br />
Entwicklung, Berlin 1893 (ausgenommen der überregionalen Verbände), S. 8-15. Vgl. auch: Zorn,<br />
Proletarische Frauenbildung, S. 297f.<br />
XXVIII<br />
99<br />
85<br />
100
2.Entstehung <strong>und</strong> Entwicklung von Frauenorganisationen 1865 – 1908 in Anzahl der Verbände 24<br />
24<br />
Gründungsjahr Allgemeine<br />
Frauenorganisationen<br />
Berufliche<br />
Organisationen<br />
Soziale<br />
Organisationen<br />
Karitative<br />
Organisationen<br />
Bildungsorganisationen<br />
Politische<br />
Organisationen<br />
* R L O R L O R L O R L O R L O R L O<br />
vor 1865 - - - - - - - - 4 1 5 35 1 - 2 - - -<br />
1866-1880 1 - - 3 - 4 - - 9 - 3 25 1 - 17 - - -<br />
1881-1890 - - 3 3 1 26 1 1 5 2 1 17 - 1 3 - - -<br />
1891-1900 4 3 55 9 5 69 5 1 55 4 5 34 4 - 27 - - 1<br />
1901-1905 3 7 122 8 8 87 2 1 56 1 10 35 1 1 20 2 2 2<br />
1906-1908 1 4 95 5 26 104 2 1 44 - 4 14 2 1 12 1 5 16<br />
unbekannt - - 12 - 1 99 1 - 5 2 34 21 - - - - - 1<br />
zusammen 9 14 287 28 41 389 11 4 178 10 62 181 9 3 81 3 7 20<br />
* R= Reichsverbände; L = Landes- <strong>und</strong> Bezirksverbände; O = Ortsvereine<br />
Entnommen aus: Kerchner, Beruf <strong>und</strong> Geschlecht – Berufsverbände in Deutschland 1848-1908, S. 103.
3.Die dargestellten Frauenzeitschriften im Vergleich<br />
XXX<br />
Erscheinungszeitraum<br />
Redakteurin<br />
„Frauen-<br />
Zeitung“<br />
„Die<br />
Staatsbürgerin“<br />
„Die Arbeiterin“ „Die Gleichheit“<br />
1849-1852 1886 1890-1891 1891-1923<br />
Louise<br />
Otto-Peters<br />
Verlag Theo Haffner<br />
Preis pro<br />
Einzelnummer<br />
Preis im<br />
Vierteljahresabonnement<br />
(Großenhain)<br />
Keine<br />
Angabe<br />
15 Reichsgroschen<br />
Gertrud<br />
Guilleaume-<br />
Schack<br />
Carl Ulrich<br />
(Offenbach)<br />
Emma Ihrer Clara Zetkin<br />
(Dez. 1891-Mai 1917)<br />
In Vertretung:<br />
Johanna Buchheim<br />
(Aug. 1915-Okt. 1915)<br />
E. Jensen (Jan.-April)<br />
Fr. Meyer (April-Dez.)<br />
(Hamburg)<br />
Marie Juchacz <strong>und</strong><br />
Heinrich Schulz<br />
(Juni 1917-April 1919)<br />
Clara Bohm-Schuch<br />
(April 1919-Jan. 1922)<br />
Elli Radtke-Warmuth<br />
(Feb. 1922-Nov. 1922)<br />
Elli Radtke-Warmuth <strong>und</strong><br />
Mathilde Wurm<br />
(Nov. 1922-Sept. 1923)<br />
J.H.W. Dietz<br />
(Dez. 1891-Juli 1897)<br />
(Stuttgart)<br />
J.H.W. Dietz Nachf.<br />
G.m.b.H.<br />
(Juli 1897-Dez. 1904)<br />
(Stuttgart)<br />
Paul Singer<br />
(Jan. 1905-April 1911)<br />
(Stuttgart)<br />
J.H.W. Dietz Nachf.<br />
G.m.b.H.<br />
(April 1911-Juni 1919)<br />
(Stuttgart)<br />
Buchhandlung „Vorwärts“<br />
Paul Singer G.m.b.H.<br />
(Juli 1919-Sept. 1923)<br />
(Berlin)<br />
Keine Angabe 10 Pfennig 10 Pf. (1891-Okt. 1918)<br />
15 Pf. (Okt. 1918-Juli<br />
1919)<br />
Weitere Preisentwicklung<br />
siehe Tabelle 8<br />
75 Pfennig 1 Mark 55 Pf. (1891-Okt. 1918)<br />
95 Pf. (Okt. 1919-Juli<br />
1919)<br />
Weitere Preisentwicklung<br />
siehe Tabelle 8
4.Die wichtigsten Zeitschriften der deutschen Frauenbewegung 25<br />
25<br />
Titel Erscheinungsjahre<br />
Demokratische<br />
Zeitschriften um 1848<br />
Herausgeberin<br />
[bzw. Redaktion]<br />
Frauen-Zeitung 1848 M.F. Anneke<br />
Der Freischärler 1848 L. Aston<br />
Frauen-Zeitung 1849-1852 L. Otto-Peters<br />
Soziale Reform 1849 L. Dittmar<br />
Proletarische<br />
Frauenbewegung<br />
Die Staatsbürgerin 1884-1886 G. Guillaume-<br />
Schack<br />
Die Arbeiterin [1890-1891] E. Ihrer<br />
Die Gleichheit 1891-1917<br />
1917- [1919]<br />
[1919-1922]<br />
[1922-1923]<br />
C. Zetkin [in<br />
Vertretung:<br />
J. Buchheim]<br />
M. Juchacz [<strong>und</strong><br />
H. Schulz]<br />
C. Bohm-Schuch<br />
[E. Radtke-<br />
Warmuth <strong>und</strong><br />
M. Wurm]<br />
Organisation<br />
Verein zur Wahrung der Interessen der<br />
Arbeiterinnen<br />
Deutsche sozialdemokratische<br />
Frauenbewegung<br />
Arbeiterinnenzeitung 1892 A. Popp Österreichische sozialdemokratische<br />
Frauenbewegung<br />
Gewerkschaftliche<br />
Frauenzeitung<br />
Bürgerliche<br />
Frauenbewegung<br />
ALLGEMEINE ZEITSCHR.<br />
DER GEMÄSSIGTEN<br />
Neue Bahnen 1866-1919 L. Otto-Peters<br />
Centralblatt des B<strong>und</strong>es<br />
Deutscher Frauenvereine<br />
1916 G. Hanna Deutsche gewerkschaftliche<br />
Frauenbewegung<br />
1899-1900<br />
1900-1913<br />
A. Schmidt<br />
E. Krokenberg<br />
G. Bäumer<br />
E. Altmann-<br />
Gottheiner<br />
J. Schwerin<br />
M. Stritt<br />
Allgemeiner Deutscher Frauenverein<br />
B<strong>und</strong> Deutscher Frauenvereine<br />
Die Frauenfrage 1913-1920 M. Stritt B<strong>und</strong> Deutscher Frauenvereine<br />
Die Frau 1893-1944 H. Lange<br />
FRAUENBILDUNG UND<br />
FRAUENERWERB<br />
G. Bäumer<br />
Der Frauenanwalt 1870-1876 J. Hirsch Lette-Verein<br />
Deutscher Frauenanwalt 1878-1881 J. Hirsch Lette-Verein<br />
Entnommen <strong>und</strong> ergänzt aus: Weiland, Geschichte der Frauenemanzipation in Deutschland <strong>und</strong> Österreich,<br />
S. 100f.<br />
XXXI
XXXII<br />
Frauenberuf 1887-1892 H. Kettler Frauenverein Reform<br />
Deutsche Hausfrauenzeitung 1874- L. Morgenstern Berliner Hausfrauenverein<br />
ALLGEMEINE ZEITSCHR.<br />
DER RADIKALEN<br />
Frauenwohl 1893-1895 M. Cauer Verein “Frauenwohl”<br />
Die Frauenbewegung 1895-1919 M. Cauer (L.<br />
Braun)<br />
Dokumente der Frauen 1899 R. Mayreder<br />
Deutsche<br />
Arbeiterinnenzeitung<br />
M. Lang<br />
A. Fickert<br />
Verein “Frauenwohl”<br />
1904 Verband fortschrittlicher<br />
Frauenvereine<br />
Mutterschutz 1905-1907 H. Stöcker B<strong>und</strong> für Mutterschutz <strong>und</strong><br />
Sexualreform<br />
Die neue Generation 1908-1919 H. Stöcker B<strong>und</strong> für Mutterschutz <strong>und</strong><br />
Sexualreform<br />
FRAUENSTIMMRECHTS-<br />
BEWEGUNG<br />
Radikal:<br />
Zeitschrift für<br />
Frauenstimmrecht<br />
1907-1912 A. Augspurg Deutscher Verband für<br />
Frauenstimmrecht<br />
Frauenstimmrecht 1912-1914 A. Augspurg Deutscher Verband für<br />
Frauenstimmrecht<br />
Zeitschrift für<br />
Frauenstimmrecht<br />
Gemäßigt:<br />
1912-1918 M. Cauer Verein “Frauenwohl”<br />
Die Staatsbürgerin 1914-1919 A. Schreiber-<br />
Krieger<br />
Deutscher Reichsverband für<br />
Frauenstimmrecht<br />
Frauen <strong>und</strong> Staat 1912-1916 I. Dehmel Vereinigung für Frauenstimmrecht<br />
SITTLICHKEITS-<br />
BEWEGUNG<br />
Der Abolitionist K. Scheven Deutsche Sektion der Internationalen<br />
Föderation zur Bekämpfung der<br />
staatlich reglementierten Prostitution<br />
FRIEDENSBEWEGUNG<br />
Die Frau im Staat 1919-1933 A. Augspurg<br />
L.G. Heymann<br />
Internationale Frauenliga für Frieden<br />
<strong>und</strong> Freiheit
5.Geschäftsjahresabrechnungen der „Gleichheit“1902-1913 26<br />
1902 1903 1904 1905 1906 1907<br />
Einnahmen<br />
1908 1909 1910 1911 1912 1913<br />
Abonnements 4.682,04 9.416,56 8.080,06 20.683,34 39.332,62 62.243,25 76.144,30 73.139,26 76.386,18 79.590,10 85.168,25 90.829,38<br />
Ausgaben<br />
Satz, Druck,<br />
Falzen<br />
2.688,49 3.337,05 2.608,25 6.221,60 8.555,75 14.433,14 19.485,40 21.853,00 22.776,45 24.032,20 25.915,00 26.929,70<br />
Papier 931,00 1.667,70 1.430,70 3.587,25 7.756,85 15.364,78 23.486,28 24.500,40 25.964,40 29.309,40 33.271,20 35.382,00<br />
Redaktion 3.000,00 3.000,00 2.250,00 3.225,00 3.175,00 6.875,00 7.200,00 7.870,00 7.400,00 8.500,00 8.500,00 15.155,76<br />
[inkl.<br />
Mitarbeiter]<br />
Mitarbeiter 644,55 736,00 801,00 1.623,00 4.330,00 5.128,64 5.227,00 5.976,70 5.972,22 5.930,49 5.459,74<br />
Porto <strong>und</strong><br />
sonstige<br />
Unkosten<br />
348,70 843,40 790,00 1.659,60 2.522,18 4.018,60 4.119,45 4.226,70 [vermutl. in<br />
Satz, Druck<br />
usw.<br />
enthalten]<br />
[vermutl. in<br />
Satz, Druck<br />
usw.<br />
enthalten]<br />
[vermutl. in<br />
Satz, Druck<br />
usw.<br />
enthalten]<br />
[vermutl. in<br />
Satz, Druck<br />
usw.<br />
enthalten]<br />
Remittenden 79,74 214,27 125,41 370,74 409,05 721,75 1.236,57 1.147,48<br />
Drucksachen,<br />
Int. Frauenkonferenz<br />
- - - - - - - - 1.033,60 - - -<br />
Gesamt-<br />
Ausgabe<br />
Gesamt-<br />
Einnahme<br />
Verlust/Gewi<br />
nn<br />
7.692,48 9.798,42 8.005,36 16.687,19 26.784,83 46.541,91 60.754,70 65.574,28 63.146,67 67.772,09 73.145,94 77.467,46<br />
4.682,04 9.416,56 8080,06 20.683,34 39.332,62 62.243,25 76.144,30 73.139,26 76.386,18 79.590,10 85.168,25 90.829,38<br />
-3.010,44 -381,86 +74,70 +3.996,15 +12.583,79 +15.701,34 +15.389,60 +7.564,98 +13.239,51 +11.818,01 +12.022,31 +13.361,92<br />
26 Leicht vereinheitlicht erstellt aus den Angaben in dem jeweiligen Bericht des Parteivorstandes an den Parteitag. In den Protokollen über die Verhandlungen der Parteitage<br />
Dresden 1903 (S. 36), Bremen 1904 (S. 27), Jena 1905 (S. 45), Mannheim 1906 (S. 48), Essen 1907 (S. 50), Nürnberg 1908 (S. 53), Leipzig 1909 (S. 46), Magdeburg<br />
1910 (S. 47), Jena 1911 (S. 45), Chemnitz 1912 (S. 43), Jena 1913 (S. 32) <strong>und</strong> Würzburg 1914 (Anhang des Parteitagsprotokolls Würzburg 1917, S. 25).
6.Zuschüsse an zentrale Parteiorgane im Jahre 1921 in Mark 27<br />
Titel Fehlbetrag Gewinn<br />
„Die Gleichheit“ 125.377,55<br />
„Arbeiter-Jugend“ 80.532,22<br />
„Freie Lehrer“ 65.790,60<br />
„Kommunale Praxis“ 50.491,45<br />
„Arbeiter-Bildung“ 7.202,62<br />
„Die Neue Zeit“ 61.310,00<br />
„Der wahre Jacob“ 17.299,02<br />
Gesamtzuschüsse 197.935, 74<br />
27 Entnommen aus: Ressmann, Strukturprobleme sozialdemokratischer Medienunternehmen, S. 82. Quelle:<br />
Protokoll des SPD-Parteitages in Görlitz 1921, S. 41.<br />
XXXIV
7.Abonnentinnen der “Gleichheit” 1902-1923 28<br />
Jahr Auflage<br />
1902 4 000<br />
1903 9 500<br />
1904 12 000<br />
1905 23 000<br />
1906 46 000<br />
1907 70 000<br />
1908 85 000<br />
1909 82 000<br />
1910 85 000<br />
1911 94 500<br />
1912 107 000<br />
1913 112 000 29<br />
1914 124 000<br />
1915 46 500<br />
1916 35 500<br />
1917 19 000<br />
1918 28 000<br />
1919 33 000<br />
1920 13 000<br />
1921 25 000<br />
1922 33 000<br />
1923 22 000<br />
28 Entnommen aus: Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus, S. 75.<br />
29 Für das Jahr 1913 gibt der Verein Arbeiterpresse in seinem Handbuch eine Auflage von 113.500 Exemplaren<br />
an (vgl. Handbuch des Vereins Arbeiterpresse, 3.1914, S. 125).<br />
35
8.Preisentwicklung der „Gleichheit“ (in Mark)<br />
Heft, in dem die Änderung eintritt<br />
Einzelnummer<br />
Vierteljahresabonnement<br />
Kreuzband<br />
Jahresabonnement<br />
MonatlichesAbonnement<br />
Inserate<br />
Jg. 2, Probenummer (28.12.1891), S. 1 30 0,10 0,55 31 0,85 - - 0,20 32<br />
Jg. 6, Nr. 22 (28.10.1896), S. 0,10 0,55 0,85 2,60 - 0,20<br />
Jg. 29, Nr. 1 (11.10.1918), S. 1 0,15 0,95 1,45 - - -<br />
Jg. 29, Nr. 20 (05.07.1919), S. 153 0,30 33 3,60 4,25 - 1,20 -<br />
Jg. 30, Nr. 24 (12.06.1920), S. 193 - 3,60 34 - - - 1,50 35<br />
Jg. 31, Nr. 1 (01.01.1921), S. 1 0,30 36 3,60 - - - 1,50<br />
Jg. 31, Nr. 2 (15.01.1921), S. 9 0,30 2,70 - - - 2,-<br />
Jg. 31, Nr. 13 (01.07.1921), S. 121 0,30 3,- - - - 2,-<br />
Jg. 31, Nr. 18/19 (15.09.1921), S. 173 D: 0,30 3,- - - - 3,-<br />
Jg. 31, Nr. 22 (15.11.1921), S. 213 0,30 3,- - - - 3,- 37<br />
Jg. 31, Nr. 3 (01.02.1922), S. 21 0,30 3,30 - - - 6,-<br />
Jg. 32, Nr. 8 (15.04.1922), S. 69 0,30 3,30 - - - 6,- 38<br />
Jg. 32, Nr. 13 (01.07.1922), S. 121 0,30 6,- - - - 10,-<br />
Jg. 32, Nr. 17/18 (1./15.09.1922), S. 157 - 6,- - - - 36,-<br />
Jg. 32, Nr. 19/20 (1./15.10.1922), S. 173 D: 8,- - - - - 36,-<br />
Jg. 32, Nr. 21 (01.11.1922), S. 189 6,- 24,- 39 - - - -<br />
Jg. 32, Nr. 23 (01.12.1922), S. 205 15,- 24,- - - - -<br />
Jg. 33, Nr. 1 (01.01.1923), S. 1 30,- - - - 60,- -<br />
Jg. 33, Nr. 3 (01.02.1923), S. 17 40,- - - - 80,- -<br />
Jg. 33, Nr. 5 (01.03.1923), S. 33 130,- - - - 260,- -<br />
Jg. 33, Nr. 9/10 (1./15.05.1923), S. 65 D: 260,- - - - 260,- -<br />
Jg. 33, Nr. 11 (01.06.1923), S. 85 150,- - - - - -<br />
Jg. 33, Nr. 13 (01.07.1923), S. 101 350,- - - - - -<br />
Jg. 33, Nr. 15 (01.08.1923), S. 177 1.200,- - - - - -<br />
Jg. 33, Nr. 16 (15.08.1923), S. 125 2.000,- - - - - -<br />
Jg. 33, Nr. 17 (01.09.1923), S. 133 40.000,- - - - -<br />
D: Doppelnummer<br />
30 Die Probenummer weist zwar im Titelblatt die entsprechenden Preisangaben auf, wurde aber gratis verteilt.<br />
31 Per Post <strong>und</strong> ohne Bestellgeld. Soweit durch Fußnote keine Änderung angegeben ist, treffen jeweils die<br />
vorhergehenden Vertriebs- <strong>und</strong> Preisbedingungen zu, wie sie den Titelköpfen der „Gleichheit“ entnommen<br />
wurden.<br />
32 2 gespaltene Petitzeilen.<br />
33<br />
Wöchentliches Erscheinen.<br />
34<br />
Ohne Postbezug.<br />
35<br />
5 gespaltene Nonpareillezeilen <strong>und</strong> bei Wiederholung Rabatt.<br />
36<br />
Vierzehntägliches Erscheinen.<br />
37<br />
Plus 30% tariflicher Teuerungszuschlag.<br />
38<br />
6 gespaltene Nonpareillezeilen.<br />
39<br />
Monatlich zweimal <strong>und</strong> durch die Post bezogen.<br />
XXXVI<br />
-
9.Zahl der <strong>weiblichen</strong> Vertrauenspersonen (bis 1907) <strong>und</strong><br />
Vorstandsmitglieder (ab 1909) 1901-1912 40<br />
Jahr Vertrauenspersonen<br />
1901 25<br />
1902 54<br />
1903 78<br />
1904 100<br />
1905 190<br />
1906 325<br />
1907 407<br />
1909 257<br />
1910 557<br />
1911 570<br />
1912 646<br />
40 Entnommen aus: Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus, S. 73.<br />
XXXVII
10.Die Berufe führender Sozialdemokratinnen, ihrer Ehemänner <strong>und</strong><br />
Väter 41<br />
Beruf der Frauen selbst der Ehemänner der Väter<br />
Arbeiter <strong>und</strong><br />
Handwerker<br />
Bauern <strong>und</strong><br />
Landarbeiter<br />
Angestellte, auch<br />
der Partei <strong>und</strong><br />
Gewerkschaft<br />
Beamte, Lehrer,<br />
Ärzte, freie Berufe<br />
Kaufleute,<br />
Gastwirte<br />
Zahl % Zahl % Zahl %<br />
87 66,92 38 46,34 53 63,10<br />
- - - - 2 2,38<br />
18 13,85 9 10.98 4 4,76<br />
23 17,69 31 37,80 10 11,90<br />
2 1,54 4 4,88 10 11,90<br />
Adel <strong>und</strong> Militär - - - - 5 5,95<br />
Summen 130 100,00 82 100,00 84 100,00<br />
41 Entnommen aus: Niggemann, Emanzipation zwischen Sozialismus <strong>und</strong> Feminismus, S. 217.<br />
XXXVIII
11.Mitglieder der sozialdemokratischen Frauenbewegung 1901-1907 42<br />
Jahr Weibliche<br />
Parteimitglieder<br />
Freiwillige<br />
Beiträgerinnen<br />
Spalte<br />
1 + 2<br />
Abonnentinnen<br />
der<br />
“Gleichheit”<br />
1901 4 000<br />
1902 9 500<br />
1903 11 000<br />
1904 28 700<br />
Mitglieder<br />
der Frauenbildungsv.<br />
Spalte<br />
1 + 2 + 5<br />
1905 4 000 1 000 5 000 44 000 3 000 8 000<br />
1906 6 460 4 933 11 393 67 000 8 890 20 283<br />
1907 10 943 8 751 19 694 75 000 10 500 30 194<br />
Spalte 1 2 3 4 5 6<br />
42 Entnommen aus: Evans, Sozialdemokratie <strong>und</strong> Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich, S. 192.<br />
XXXIX
12.Übersicht über die Fluktuation weiblicher SPD-Mitglieder 1906-1931 43<br />
Jahr Parteimitglieder weibliche<br />
Parteimitglieder<br />
%<br />
Frauen<br />
absolute<br />
Veränderung<br />
gegen Vorjahr<br />
1906 384 327 6 460 1,7 + 2 460<br />
1907 530 446 10 943 2,1 + 4 483<br />
1908 527 336 29 458 5,6 + 18 515<br />
1909 633 309 62 259 9,8 + 32 801<br />
1910 720 038 82 642 11,5 + 20 383<br />
1911 836 562 107 693 12,9 + 25 051<br />
1912 970 112 130 371 13,4 + 22 678<br />
1913 982 850 141 115 14,4 + 10 744<br />
1914 1 085 905 174 754 16,1 + 33 639<br />
1915 515 898 ? ? ?<br />
1916 432 618 107 336 24,8 - 67 418<br />
1917 243 061 66 608 27,4 - 40 728<br />
1918 249 411 70 659 28,3 - 4 059<br />
1919 1 012 299 206 354 20,4 + 135 695<br />
1920 1 180 208 207 000 17,5 + 646<br />
1921 1 221 059 192 485 15,8 - 14 515*<br />
1922 1 174 105 ? ? ?<br />
1923 1 261 072 130 000 10,3 - 62 485<br />
1924 940 078 148 125 15,8 + 18 125<br />
1925 844 495 152 693 18,1 + 4 568 ∗<br />
1926 823 520 165 492 20,1 + 12 799 ∗<br />
1927 866 671 181 541 20,9 + 16 049<br />
1928 937 381 198 771 21,2 + 17 230<br />
1929 949 306 201 000 21,2 + 2 229<br />
1930 1 037 384 228 278 22,0 + 27 278<br />
1931 1 008 953 230 331 22,8 + 2 053<br />
43 Entnommen aus: Thönnessen, Frauenemanzipation, S. 131 (die mit ∗ gekennzeichneten Zahlen sind von<br />
Evans, Sozialdemokratie <strong>und</strong> Frauenbewegung im deutschen Kaiserreich, S. 195 übernommen, da die<br />
Angaben von Thönnessen an dieser Stelle rechnerisch nicht korrekt waren.).<br />
XL
7.3 Bildmaterial<br />
7.3.1 Titelblätter der „Frauen-Zeitung“, „Staatsbürgerin“, „Arbeiterin“<br />
<strong>und</strong> „Gleichheit“<br />
XLI
XLII
XLIII
XLIV
XLV
XLVI
XLVII
XLVIII
XLIX
LII
LIII
LIV
7.3.2 Porträt- <strong>und</strong> Szenenbilder aus der „Gleichheit“<br />
LVI<br />
(nach Erscheinen geordnet)
LVII
LVIII
LIX
7.3.3 Bildnachweis<br />
Titelblattauswahl:<br />
Porträt- <strong>und</strong> Szenenbilder:<br />
GL, 02/ 01/ 11.01.1892/ 1.<br />
GL, 17/ 01/ 09.01.1907/ 1.<br />
GL, 21/ 12/ 13.03.1911/ 177.<br />
GL, 27/ 18/ 08.06.1917/ 117.<br />
GL, 29/ 20/ 05.07.1919/ 153.<br />
GL, 29/ 32/ 27.09.1919/ 249.<br />
GL, 33/ 05/ 01.03.1923/ 33.<br />
GL, 33/ 07/ 01.04.1923/ 49.<br />
GL, 12/ 09/ 23.04.1902/ 65.<br />
GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 57.<br />
GL, 31/ 18-19/ 15.09.1921/ 173.<br />
„Louise Michel als Kommune-Kämpferin“ (GL, 03/06/22.03.1893/ 44)<br />
„Louise Michel 1892“ (GL, 03/06/22.03.1893/ 45)<br />
„Madame Roland“ (GL, 04/01/ 10.01.1894/ 4)<br />
„Madame Roland verläßt das Gefängnis“ (GL, 04/ 01/ 10.01.1894/ 5)<br />
„Maria Lwowna Berditschewskaja“ (GL, 15/ 05/ 08.03.1905/ 25 (Titelblatt))<br />
„Esther Riskind“ (GL, 16/ 02/ 24.01.1906/ 7 (Titelblatt))<br />
„An den Eisenstäben sinkt die Liebe blutend nieder“<br />
(Struve > GL, 18/ 02/ 20.01.1908/ 14)<br />
„Emma Ihrer“ (GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 61)<br />
„Emma Ihrer“ (GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 61)<br />
„Dr. med Hope Bridget[sic] Adams-Lehmann“ (GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 62)<br />
„Ottilie Baader-Diedrichs“ (GL, 31/ 07/ 01.04.1921/ 62)<br />
LXI
Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Dissertation selbständig <strong>und</strong> ohne unerlaubte<br />
Hilfe angefertigt <strong>und</strong> andere als die in der Dissertation angegebenen Hilfsmittel nicht benutzt<br />
habe. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus veröffentlichten oder unveröffentlichten<br />
Schriften entnommen sind, habe ich als solche kenntlich gemacht. Kein Teil dieser Arbeit ist<br />
in einem anderen Promotions- oder Habilitationsverfahren verwendet worden.<br />
Kassel, den<br />
LXIII