Auszug aus: Kirchen und Sekten <strong>de</strong>r Gegenwart. Unter Mitarbeit verschie<strong>de</strong>ner evangelischer Theologen herausgegeben von Pfarrer Ernst Kalb. Stuttgart (Verlag <strong>de</strong>r Buchhandlung <strong>de</strong>r Evang. Gesellschaft) 1905. S. 384–396. Zeichengetreuer Abdruck. Sperrdruck <strong>de</strong>r Vorlage ist durch Kursivdruck, Antiqua durch Groteskschrift wie<strong>de</strong>rgegeben. Die Seitenzahlen <strong>de</strong>s Originals sind in eckigen Klammern und kleinerer, roter Schrift eingefügt. © dieser Ausgabe: 2009 <strong>brue<strong>de</strong>rbewegung</strong>.<strong>de</strong> Texterfassung und Satz: Michael Schnei<strong>de</strong>r Veröffentlicht im Internet unter http://www.<strong>brue<strong>de</strong>rbewegung</strong>.<strong>de</strong>/pdf/ott.pdf <strong>brue<strong>de</strong>rbewegung</strong> .<strong>de</strong>
[384] 6. Kapitel: <strong>Der</strong> <strong>Darbysmus</strong>. Von Stadtpfarrer <strong>Martin</strong> <strong>Ott</strong> in Nie<strong>de</strong>rnhall (Württemberg). Literatur: Realenzyklopädie von Herzog-Hauck 4. Band. Palmer, Gemeinschaften und Sekten in Württemberg, 1877. Rohnert, Kirche, Kirchen und Sekten, 5. Aufl. 1900. Sandmann, J. N. Darby und die Versammlung, Mülheim a. d. Ruhr 1902. O. Grunewald, die Darbysten &c. in »Jahrbücher für <strong>de</strong>utsche Theologie« XV., S. 706–733. § 57. Geschichte <strong>de</strong>s <strong>Darbysmus</strong>. <strong>Der</strong> <strong>Darbysmus</strong> stellt keine so große kirchengeschichtliche Bewegung dar, wie etwa <strong>de</strong>r Methodismus o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Baptismus; aber er ist be<strong>de</strong>utsam durch seinen radikalen In<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>ntismus, durch seine abson<strong>de</strong>rlich schroffe Ablehnung aller kirchlichen Organisation überhaupt. Man könnte ihn die Sekte <strong>de</strong>r Sekten nennen, auch <strong>de</strong>shalb, weil er sich – wie ja auch die an<strong>de</strong>ren, aber noch mehr als sie – grundsätzlich und ausschließlich an die christlich angeregten und erweckten Glie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Kirche macht, um sie für sich zu gewinnen. Es fin<strong>de</strong>n sich <strong>de</strong>shalb in darbystischen Kreisen viele Christen, vor <strong>de</strong>ren gediegener Frömmigkeit wir alle Achtung haben müssen, und von <strong>de</strong>nen nur zu bedauern ist, daß sie unserer Kirche entgangen sind. Die Anhänger dieser Sekte heißen sich selbst nicht, wie bei uns üblich gewor<strong>de</strong>n, Darbysten, son<strong>de</strong>rn »Brü<strong>de</strong>r«; sie nennen ihre Gemeinschaft »die Versammlung«, d. h. die einzige Gemeinschaft <strong>de</strong>r wahren Christen im Gegensatz zu jeglicher Kirchengemeinschaft in irgend welcher Form. Außer diesem von <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rn selber geprägten, gleichsam dogmatischen Namen, führt die Sekte auch die Bezeichnung »Plymouthbrü<strong>de</strong>r«, freilich nicht ganz mit Recht. Plymouthbrü<strong>de</strong>r gab es bevor es Darbysten gab. Darby ist nicht <strong>de</strong>r Anfänger <strong>de</strong>r Bewegung, <strong>de</strong>r die Plymouthbrü<strong>de</strong>r entstammen, aber er ist ihr be<strong>de</strong>utendster Vertreter, obwohl er selber kein be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>r Mann war. John Nelson Darby wur<strong>de</strong> als <strong>de</strong>r jüngste Sohn vornehmer Eltern am 18. November 1800 in London geboren; auch seine erste Schulbildung erhielt er dort. Doch waren seine Eltern Irlän<strong>de</strong>r, und in Irland, seiner eigentlichen Heimat, hat Darby auch, in <strong>de</strong>m berühmten Trinity College zu Dublin, seine weitere Ausbildung erhalten. Im Sommer 1819 bezog er die Universität, um sich nach <strong>de</strong>m Wunsch seines Vaters juristischen Studien zu widmen. Er wur<strong>de</strong> Rechtsanwalt, blieb es aber nicht lange, <strong>de</strong>nn eine »Bekehrung« erzeugte in ihm <strong>de</strong>n Entschluß, Pfarrer zu wer<strong>de</strong>n. So studierte er noch einmal, und zwar Theologie. Wie Luther, an <strong>de</strong>ssen Studienlauf wir hier erinnert wer<strong>de</strong>n, erregte auch Darby mit diesem Schritt <strong>de</strong>n Unwillen seines Vaters, <strong>de</strong>r ihn enterbte; doch wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Sohn dafür reichlich entschädigt durch ein be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>s Vermächtnis, das ihm ein Oheim hinterließ. Im Jahr 1826 erhielt er die Priesterweihe; so ward er in <strong>de</strong>n Klerus <strong>de</strong>r anglikanischen Staatskirche aufgenommen, und damit sein Herzenswunsch [385] erfüllt; <strong>de</strong>nn seine kirchliche Gesinnung, und zwar im Sinn <strong>de</strong>s englischen Staatskirchentums, hatte ihn ins kirchliche Amt geführt. Allein seine Stellung zu diesem Staatskirchentum wur<strong>de</strong> bald innerlich eine an<strong>de</strong>re; sie führte ihn schließlich auch zum äußeren Bruch. Schon als Stu<strong>de</strong>nt hatte Darby in Dublin die Bekanntschaft <strong>de</strong>r sogen. »Plymouthbrü<strong>de</strong>r« gemacht. In Plymouth und Dublin hatten sich nämlich im Jahr 1826 gläubige Christen aus <strong>de</strong>r Hochkirche zusammengeschlossen zu Privatversammlungen, in <strong>de</strong>nen sie anfangs, wie die <strong>de</strong>utschen pietistischen Gemeinschaftskreise Gemeinschaft <strong>de</strong>s Wortes und <strong>de</strong>s Gebets pflegten. Später kam dann auch noch eine beson<strong>de</strong>re Feier <strong>de</strong>s Abend-