Verwandlung - church-web
Verwandlung - church-web
Verwandlung - church-web
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Ausgabe: Mai 2012<br />
<strong>Verwandlung</strong>
2<br />
Adressen<br />
3x3emk<br />
Evangelisch-methodistische Kirche<br />
Stationsweg 6<br />
5502 Hunzenschwil<br />
www.3x3emk.ch<br />
Sekretariat<br />
Mittwoch bis Freitag 8.30 bis 11.30 Uhr<br />
Tel. 062 892 23 70<br />
Fax 062 892 23 72<br />
Postkonto<br />
50-11482-4<br />
Evangelisch-methodistische<br />
Kirche in der Schweiz<br />
3x3 emk<br />
8004 Zürich<br />
Pfarrer-Team<br />
Marc Nussbaumer<br />
Tel. 062 892 23 71<br />
Tel. P 062 897 00 64<br />
Thomas Matter<br />
Tel. 062 892 23 73<br />
Tel. P 062 892 23 74<br />
Redaktion<br />
Ruth Affolter, Christian Buser,<br />
Barbara Eichenberger, Andreas Hentschel,<br />
Marc Nussbaumer, Rosmarie Saurenmann,<br />
E-Mail: <br />
Bilder<br />
Alte Pinakothek München,<br />
Arbinger Institute, Christian Buser,<br />
Claudius Verlag, Edith Dietemann,<br />
Sieger Köder, Martin Luff, Chriga Matter<br />
Gestaltung<br />
Christian Buser<br />
Inhalt<br />
Editorial 3<br />
Thema: «<strong>Verwandlung</strong>»<br />
Gestutzte Geranien 4<br />
Fastfood 5<br />
Bestätigung von Gott: <strong>Verwandlung</strong> ist gut 6<br />
<strong>Verwandlung</strong> – Zitate aus dem Buch von Richard Rohr 8<br />
Wo und wie <strong>Verwandlung</strong> anfängt 10<br />
Wer bin ich eigentlich? 12<br />
Das Ego in uns 12<br />
Bereit für die Krise? 12<br />
Bereit für die Machtlosigkeit? 13<br />
Heilende Gemeinschaft? 14<br />
Die Würde des Menschen 14<br />
Auf den Weg gehen 15
<strong>Verwandlung</strong><br />
Die <strong>Verwandlung</strong> einer Raupe zu einem Schmetterling fasziniert immer wieder, Gross und Klein.<br />
Ich weiss noch gut, wie ich in der Primarschule an Brennnesseln die schwarzen Raupen gesammelt<br />
habe und sie dann zu Hause in grossen Gläsern, die mit einem fein gelöcherten Stoff abgedeckt<br />
waren, beobachtet habe. Immer wieder füttern, immer wieder sich vor das Glas auf<br />
die Lauer legen und beobachten… Als dann die ersten Raupen sich verpuppten und später als<br />
Schmetterlinge wieder schlüpften, war das ein sehr eindrückliches Erlebnis.<br />
<strong>Verwandlung</strong> als geistliche Reise ist auch ein eindrückliches Erlebnis. Zu beobachten wie unsere<br />
Beziehung zu Jesus und zu Mitmenschen radikal verändert wird, bringt Menschen ins Staunen.<br />
In der diesjährigen 40-Tage-Aktion haben wir uns als ganze 3x3 Gemeinde auf wichtige Aspekte<br />
von geistlichen <strong>Verwandlung</strong>sprozessen eingelassen. In diesem Gemeindebrief kann man sich<br />
nochmals hinsetzen und beobachten. Man kann sich durch die Texte und Berichte erinnern, was<br />
einen selbst bewegt hat. Man kann staunen und hören, was andere erlebt haben. Und man<br />
kann auch beim Lesen der folgenden Seiten beobachten wie man gerade selber von Gottes<br />
Geist berührt, bewegt und verwandelt wird. Und man kann beim Lesen der folgenden Seiten<br />
auch beobachten, was geschieht, wenn man unerwartet den Blickwinkel ändern muss, um weiter<br />
lesen zu können. <strong>Verwandlung</strong> fordert uns manchmal aus gewohnten Bahnen heraus…<br />
Möge dieser Gemeindebrief ein Brief Gottes sein, durch den Menschen weiter verwandelt werden,<br />
hin zu dem Glauben, den John Wesley beschrieben hat als «Liebe zu Gott und zu Menschen,<br />
die das Herz erfüllt und das Handeln bestimmt».<br />
Marc Nussbaumer<br />
3
Gestutzte Geranien<br />
Stell dir einmal vor du bist voll motiviert mit einer<br />
Arbeit beschäftigt. Stell dir weiter vor, es wäre eine<br />
Arbeit, die du gerne machst und stell dir auch vor, dass<br />
du dich dabei entspannst. Du meinst: «unvorstellbar»!<br />
Normalerweise würde ich dir widersprechen. Doch<br />
wenn sich in einem solchen Moment Gott einklinkt,<br />
dann ist das mehr als Entspannung! Hochspannung<br />
pur, eine heilige Gemeinschaft. Einen solchen Moment<br />
erlebte ich vor dem letzten Gruppentreffen in der Zeit<br />
der geistlichen Reise über 40 Tage.<br />
Montagmorgen. Die Geranien sollten schon längst<br />
zurückgeschnitten und umgepflanzt sein. Also packte<br />
ich es an und denke: «eine gute Arbeit, dann kann ich<br />
meinen Gedanken einfach so nachgehen.» Eine Kiste<br />
um die andere stelle ich im Gewächshaus auf den Tisch<br />
und nehme sorgfältig die Geranienpflanzen heraus. Sie<br />
sind teilweise recht gross, und neue Triebe zeigen sich<br />
schon. Ich schneide Pflanze um Pflanze zurück. Beim<br />
Herausnehmen fällt mir auf, dass die Pflanzen nicht alle<br />
gleich grosses Wurzelwerke haben. Nebst den Trieben<br />
sollten auch die dicken Wurzeln zurückgeschnitten<br />
werden. Natürlich sorgfältig, damit das Wurzelwerk<br />
nicht zu stark verletzt wird. Ich bin ganz in die Arbeit<br />
vertieft. Und plötzlich fallen mir Worte aus dem Buch<br />
<strong>Verwandlung</strong> von Richard Rohr ein: «Altes loslassen,<br />
damit Neues entstehen kann». Wenn ich wieder kräftige<br />
und schöne Geranien haben möchte, muss ich wohl<br />
oder übel nicht nur die verdorrten Triebe zurück schneiden,<br />
nein auch schöne. Und ich muss die Pflanzen aus<br />
ihrem gewohnten «Plätzli» ausreissen und ihre wohlgeformten<br />
Wurzelballen lockern.<br />
Geht es uns nicht gleich? Sollten wir nicht auch ab und<br />
zu Gewohntes ablegen, abschneiden, Festgefahrenes<br />
entwurzeln und umplatzieren und damit freien Raum<br />
schaffen für Gott und sein Wirken an uns? Im Buch<br />
<strong>Verwandlung</strong> S. 60 steht: «…leer werden von uns selbst,<br />
damit Gott uns füllen kann».<br />
4<br />
Ich bin ganz begeistert von diesen «praktischen» Gedanken.<br />
Bis zum Kleingruppentreffen am Mittwoch<br />
begleiten sie mich immer wieder, bis ich merke, dass<br />
sich dieser Vergleich als Einstiegsgedanke aufdrängt.<br />
So hole ich zwei Geranien aus dem Gewächshaus als<br />
Anschauungsmaterial. Wie staune ich. Diejenigen Pflanzen,<br />
die sehr stark zurückgeschnitten waren, haben<br />
bereits eine Menge neue Blättchen. «So schön», denke<br />
ich, und weiter: «Sie hatten ja auch optimales Klima im<br />
Gewächshaus». Wäre das bei uns nicht auch so, wenn<br />
wir einen entrümpelten Raum Gott zur Verfügung stellen<br />
würden? Da würde sicher das gleiche geschehen. Er<br />
ist für uns ganz sicher auch das beste Klima. Wir müssen<br />
zur <strong>Verwandlung</strong> nicht unser letztes Hemd ausziehen.<br />
Es kann mit wenig schon viel Neues entstehen, und Gott<br />
ist von wenigem schon begeistert.<br />
Stell dir einmal vor, welchen Raum du für Gott «zurückschneiden»<br />
oder entrümpeln könntest und stell dir weiter<br />
vor, was dann Neues werden könnte. <strong>Verwandlung</strong><br />
pur – unvorstellbar?!<br />
Edith Dietemann
Fastfood<br />
Seit etwa einem Jahr besuche ich die Gottesdienste in<br />
der 3x3-Halle. Dieses Jahr habe ich bei der 40-Tage-<br />
Aktion in der Gruppe unter der Leitung von Rosmarie<br />
Saurenmann mitgemacht.<br />
Das Buch «<strong>Verwandlung</strong>» von Richard Rohr über die<br />
Entwicklung unseres geistlichen Lebens fand ich spannend<br />
und tiefgründig. Auch das Begleitheft und der<br />
Austausch in der Gruppe waren für mich hilfreich. Das<br />
Buch fand ich zwar etwas kompakt geschrieben, man<br />
musste Schwerpunkte setzen beim Lesen und beim<br />
Gruppengespräch.<br />
Besonders interessant waren für mich die These und die<br />
Erklärungen der zwei Lebenshälften bei unserer geistlichen<br />
Entwicklung. Ich bin in einer Familie aufgewachsen,<br />
in der Leistung aus verschiedenen Gründen einen<br />
grossen Stellenwert hatte. Ich verglich mich stets mit<br />
meinen vier älteren Schwestern, die alle auf verschiedenen<br />
Gebieten begabt waren. Da ich die Latte so hoch<br />
legte, konnte ich natürlich von meinem Gefühl her nie<br />
mithalten.<br />
Solche Denkmuster legt man meist nicht so schnell ab.<br />
Ich habe dieses Denkmuster also später auch auf mein<br />
geistliches Leben übertragen. Die Gegenüberstellung<br />
der Spiritualität der Machtlosigkeit und der Spiritualität<br />
der Leistung von Richard Rohr hat mir neue Perspektiven<br />
gezeigt. Der Autor sagt, dass wir eine Wandlung<br />
durchlaufen müssen, um geistlich reif zu werden. Mich<br />
sprach dabei vor allem an, dass wir Empfangende<br />
werden sollen. (Auch bei den 12 Regeln der Anonymen<br />
Alkoholikern wird dies formuliert). Es ist für mich<br />
beglückend zu wissen, dass mein Wert nicht von meiner<br />
Leistung abhängt, sondern dass ich durch die reine<br />
Tatsache wertvoll bin, von Gott geschaffen, geliebt und<br />
angenommen zu sein. Um dies mehr und mehr zu erfassen,<br />
dienen mir die Stille vor Gott und die Gemeinschaft<br />
mit andern Christen.<br />
Am letzten Gesprächsabend ging es um das Thema<br />
«heilende Gemeinschaft». Da kam mir ein ermutigender<br />
Traum in den Sinn, den ich im letzten Oktober hatte:<br />
Ich hatte einen runden Geburtstag zu feiern (ich wurde<br />
letztes Jahr 50 Jahre alt). Für das Fest mieteten wir die<br />
Räume der 3x3-Halle. Am Vorabend des Festes waren<br />
wir in den Räumen am Vorbereiten; da reisten unverhofft<br />
schon 60 bis 70 Gäste zu früh an. Da wir das Cateringservice<br />
erst auf den folgenden Tag bestellt hatten,<br />
war ich echt verzweifelt und es war mir auch peinlich,<br />
die Gäste nicht verpflegen zu können. Nun waren aber<br />
zufällig ein paar Frauen der 3x3- Gemeinde anwesend.<br />
Sie boten uns eine einfache Fertignahrung an, die<br />
sie vorrätig hatten. Dies waren Spaghettis in grossen<br />
Plastikbechern, die man mit heissem Wasser anrühren<br />
muss. In Kartonschachteln war davon eine grosse<br />
Menge vorhanden, so dass es für alle Gäste reichte. Bald<br />
sassen also alle Gäste an den langen Tischen und assen<br />
vergnügt aus den Plastikkübelis die Spaghettis. Ich war<br />
total erstaunt und erleichtert über diese Lösung! Nur<br />
eine Frau «motzte», da das Wasser zu wenig heiss war,<br />
das man in ihr Kübeli geschüttet hatte. Aber das konnte<br />
meine Freude und Erleichterung kaum trüben.<br />
Dieser Traum drückte für mich etwas von der grossen<br />
Offenheit und Gastfreundschaft aus, die ich in der 3x3-<br />
Halle erlebe.<br />
Magdalena Fries<br />
5
Bestätigung von Gott: <strong>Verwandlung</strong> ist gut<br />
Seit ich denken kann, habe ich ein Essproblem und<br />
ein Chaos (früher in meinem Zimmer, später in meiner<br />
Wohnung). Das Übergewicht und mein Chaos störten<br />
und stören mich so sehr, dass ich immer wieder Anläufe<br />
unternommen habe, etwas dagegen zu tun. Tonnenweise<br />
an Selbsthilfe-Literatur. Tonnenweise an Listen<br />
und Programmen und Ideen usw. die ich ausprobierte<br />
und gefruchtet hat es nichts.<br />
Mir wurde oft gesagt: bring es vor Gott, er wird Dich<br />
heilen. Aber irgendwie war mir diese Heilung mit Fingerschnippen<br />
von Gott suspekt. Natürlich kann er es.<br />
Aber will ich so eine Heilung?<br />
Ich lebte immer in den schwarzen oder weissen Kästchen.<br />
Entweder habe ich gegessen auch wenn ich<br />
keinen Hunger hatte (zum Trost, wenn ich frustriert<br />
war, aus Langeweile) oder ich ass praktisch nichts oder<br />
sehr wenig, wenn ich Diät machte. Entweder ich räumte<br />
auf und putzte bis alles bis ins Detail oder lebte im<br />
absoluten Chaos (das komplett aufräumen und putzen<br />
schaffte ich irgendwann nicht mehr. Dann lebte ich<br />
meine pingelige Ordnung in einem Zimmer oder einem<br />
Schrank aus). Wenn ich zu viel ass und chaotisch war,<br />
verabscheute ich mich. Wenn ich Diät hielt oder putzte<br />
und aufräumte, hatte ich Angst, dass ich das Leben von<br />
jemand anderem leben muss (ich wollte keine Frau aus<br />
der Werbung sein, bei der alles perfekt war, angefangen<br />
von der Figur über die Wohnung und den Kleider).<br />
Es gab nur entweder/oder. Es gab keine bunten Punkte.<br />
Nicht einmal schwarz-weiss gepunktet oder schwarzweiss<br />
gestreift.<br />
Wenn ich mich verabscheute, weil ich keine Hose mehr<br />
zu machen konnte oder weil die Unordnung überhand<br />
nahm, betete ich: Herr, ich strecke meine Waffen. Ich<br />
weiss nicht mehr weiter. Ich weiss nicht, was ich zuerst<br />
machen muss. Die Rechnungen bezahlen? Die Küche<br />
putzen? Den Impfausweis suchen? Und Gott schickte<br />
mir den Heiligen Geist und ich machte eigentlich automatisch<br />
eines nach dem anderen. Habe abgearbeitet,<br />
was sein musste. Hatte Teilerfolge mit abnehmen, bis<br />
ich dann eigentlich soweit war, dass ich fand: jetzt geht<br />
es mir eigentlich gut, ich übernehme das Ruder. Die Gebete<br />
waren eher oberfl ächlich (danke lieber Gott, dass<br />
es Dich gibt, danke für meine Familie, danke für meinen<br />
Job. Behüte uns. Amen). Rückblickend ist das wohl das<br />
Gebet des Pharisäers. Mit anderen Worten, aber genauso<br />
oberfl ächlich und überheblich.<br />
Letztes Jahr war ich pilgern und ich dachte vorher:<br />
während des Pilgerns werde ich die ultimative Erkenntnis<br />
gewinnen. Irgendetwas wird passieren, was mich<br />
im Glauben und meinem Leben weiter bringen wird.<br />
Ich hatte einige Erlebnisse und Erkenntnisse, die mich<br />
6<br />
bereichert hatten. Aber es war nichts von dem ich sagen<br />
hätte können: «Wow! So läuft der Hase?! So hast Du<br />
das also mit mir und dem Leben gemeint, Lieber Gott!»<br />
Ich war ziemlich ernüchtert.<br />
Als ich zurück kam merkte ich, dass es Zeit ist, einige<br />
Themen nochmals zu vertiefen. Ich meldete mich bei<br />
meiner Seelsorgerin. Und wir erarbeiteten einiges, was<br />
mir nicht gefi el. In der gleichen Zeit hatte ich ein Buch<br />
gekauft, und dort haben die Autorinnen auch eine<br />
Internet-Online-Hilfe angeboten. Diese Hilfe nahm ich<br />
auch an. Irgendwie hatte ich das Gefühl: nun musst Du<br />
alle Register ziehen, die sich bieten. Bei diesem Buch<br />
ging es darum: Man isst dreimal am Tag. Ausnahmslos.<br />
Am Anfang ging das gar nicht. Ich war ständig mit<br />
mir am Diskutieren. Und ich fand: nun mache ich eine<br />
Fastenwoche.<br />
Das war kurz bevor die 40-Tage-Aktion anfi ng.<br />
Und jede Erkenntnis, die ich in der Seelsorge gewonnen<br />
habe, wurde an einem der nächsten Sonntage als<br />
Predigt vertieft. Es war, als ob Gott mir durch Tom und<br />
Marc sagen wollte: Du bist auf dem richtigen Weg.<br />
In der Seelsorge musste ich feststellen: ich drehe mich<br />
den ganzen Tag nur um mich und was ich gern hätte<br />
und wie das Leben schön wäre, wenn… und was andere<br />
dürfen und ich nicht, und was ich alles, vermeintlich,<br />
aus Nächstenliebe mache. Aber grundsätzlich geht es<br />
mir darum, dass ich sagen kann: Neben meinem 100%-<br />
Job und dem Pikett und Samstagsdienst, den ich leiste,<br />
mache ich noch zusätzlich diesen und jenen Dienst<br />
(privat, im Geschäft, in der Gemeinde… ). Also bin ich
genau wie die Frau im Tanztheater. Demut, die man<br />
so offensichtlich und mit viel Trara zelebriert, ist keine<br />
Demut.<br />
Am Sonntag nach meinem Versuch die Ernährung umzustellen,<br />
war die Predigt von der ersten Lebenshälfte<br />
und der zweiten Lebenshälfte. In der Seelsorge kam ich<br />
die Woche vorher zur Erkenntnis, dass ich lebe wie ein<br />
Kind: ich will jetzt das Schöggeli, auch wenn ich davon<br />
zunehme. Wenn ich dann zunehme, lege ich mich auf<br />
den Boden, heule, «stämpfele» und jammere und sage:<br />
Warum ist das Leben so ungerecht zu mir? Wie ein<br />
Kind, das weiss: Wenn ich meine Spielsachen nicht aufräume,<br />
finde ich sie später nicht, habe ich meine Pflicht<br />
aufzuräumen und zu putzen nicht wahrgenommen.<br />
Und wie das Kind danach bei der Mutter jammert, habe<br />
ich mich beklagt, dass ich nie zum Aufräumen komme,<br />
weil ich so eine Arme bin. Und niemand unterstützt<br />
mich… Dabei weiss ich genau: Es wäre meine Aufgabe<br />
gewesen. Und es bestätigte sich auch: Es liegt an mir, ob<br />
ich weiter «Babynahrung» zu mir nehmen will oder ob<br />
ich endlich meine Aufgabe als Erwachsene übernehmen<br />
will. Inzwischen hatte ich nämlich gemerkt: Nur dreimal<br />
am Tag mich mit Essen beschäftigen hat auch seine<br />
Vorteile. Ich habe mehr Zeit für Dinge, die erledigt<br />
werden müssen oder die ich gern mache. Ich muss nicht<br />
mehr so viele Gedanken daran verschwenden: Esse ich?<br />
Oder esse ich nicht? Habe ich Lust? Oder ist es Hunger?<br />
Wenn ich den Reflex zum Essen habe – egal ob ich mich<br />
dem Essen ausgeliefert fühle, weil ich traurig bin und<br />
es eigentlich Frustessen werden sollte oder was auch<br />
immer die Motivation ist – ich esse nur noch dreimal am<br />
Tag (meist ich bin noch am Üben, aber ich mache Fortschritte).<br />
Diese neue Struktur gibt mir Freiheiten. Was<br />
ich nie gedacht hätte.<br />
Eine weitere Erkenntnis kam erst später, resp. es geht<br />
mir langsam auf: Ich habe bisher immer so gebetet wie<br />
der Pharisäer (siehe weiter oben) oder eben in der Depression<br />
wie der Zöllner.<br />
Rückblickend merke ich, dass ich während des Pilgerns<br />
einen Mittelweg gelebt hatte: ich habe am Morgen Stille<br />
Zeit gemacht. Ich habe meinen Weg Gott anbefohlen<br />
und um seinen Segen und seinen Schutz gebeten. Und<br />
während des Wanderns war ich eigentlich immer in<br />
Gedanken im Gebet. Es gab Momente, da konnte ich<br />
echt nicht mehr. Ich hatte eine Achillessehnen-Entzündung<br />
am allerersten Tag des Pilgerns «aufgelesen» und<br />
diese tat sehr weh. Zudem konnte ich die Hitze nicht<br />
ertragen. Wenn ich mich nun verlaufen hatte oder<br />
irgend aus einem anderen Grund Zeit verloren hatte,<br />
wurde es immer heisser und das Laufen wurde immer<br />
beschwerlicher. Mehrere Male hat mir Gott dann eine<br />
Mitfahr-Gelegenheit organisiert (oder mir Tipps in Form<br />
von Geistesblitzen gegeben damit ich mir selber eine<br />
Mitfahr-Gelegenheit organisieren konnte). Mehrere<br />
Male habe ich auch gejammert und Gott wollte einfach<br />
nicht, dass ich nun das Stück fahre. Er merkte genau,<br />
wenn ich sehr wohl noch laufen konnte. Die Schmerzen<br />
waren da, aber erträglich. Aber ich hatte einfach keine<br />
Lust. Und da fand der Vater im Himmel wohl, dass ich<br />
mich da schon noch ein wenig mehr bemühen könnte,<br />
dass mir das wohl nicht schaden wird (und hat es dann<br />
auch nicht). Während des Pilgerns hatte ich Gott immer<br />
bei mir «im Boot». Im Alltag habe ich Gott präsent, aber<br />
nicht als «Mitarbeitenden» in meinem Leben, sondern<br />
eher wie den Leuchtturm, der einfach sein Licht Tag<br />
und Nacht drehen lässt. Ich weiss er ist da, sehe ihn,<br />
spüre ihn. Punkt und fertig. Oder dann muss er als<br />
meine «Feuerwehr» da sein und wieder helfen aufzuräumen,<br />
wo ich nicht mehr weiter komme. Dazwischen<br />
gibt es nicht.<br />
Ich merkte in dieser 40-Tage-Aktion: Mein Leben bestand<br />
bisher nur aus schwarz und weiss. Und in diesen<br />
Wochen durfte ich entdecken: Wenn ich mein Leben<br />
erstens selber in die Hand nehme und zweitens dabei<br />
Gott mit ins Boot nehme, wird das Leben bunter, entspannter<br />
und ich kann meine Pflichten übernehmen,<br />
auch ohne dass ich eine Frau aus der Werbung sein<br />
muss.<br />
Ich kann ich bleiben. Ich muss mich nicht in jemand<br />
anders verwandeln. Gott hat mich aus einem Grund so<br />
geschaffen wie ich bin. Wenn ich geschickt mit meinen<br />
Bedürfnissen umgehe, kann ich meine Pflichten übernehmen,<br />
ohne dass ich das Leben von jemand anderem<br />
leben muss, der mir fremd ist. Ich kann mich von der ersten<br />
Lebenshälfte verabschieden und die Herausforderungen<br />
der zweiten Lebenshälfte annehmen. Ich weiss:<br />
Gott steht hinter mir. Er findet das gut. Und wenn es<br />
halt am Anfang noch nicht so klappt: Ich habe jeden<br />
Tag, jede Stunde die Chance wieder neu anzufangen.<br />
Und ich kann mein Leben, meine Einstellung zu Gott,<br />
zu mir und zu meinen Nächsten verwandeln lassen. So<br />
dass das Leben bunt wird. Ich darf mich in dem Tempo<br />
verwandeln lassen, wie es für mich stimmt. Ich werde<br />
nicht mit Fingerschnippen von einem Moment auf den<br />
anderen in jemand anders verwandelt. Gott kennt mein<br />
Tempo und berücksichtigt es bei meiner <strong>Verwandlung</strong>.<br />
Barbara Eichenberger<br />
7
<strong>Verwandlung</strong> – Zitate aus dem Buch von Richard Rohr<br />
zusammengestellt von Ruth Affolter<br />
8<br />
Man kann beim Lesen dieser folgenden Seiten<br />
auch beobachten, was geschieht, wenn man<br />
unerwartet den Blickwinkel ändern muss, um<br />
weiter lesen zu können. <strong>Verwandlung</strong> fordert<br />
uns manchmal aus gewohnten Bahnen heraus…<br />
Jesus hat sich nicht in der Kritik am Gesetz erschöpft,<br />
sondern die Liebe Gottes gepredigt.<br />
Wir erreichen unser Ziel nur, wenn wir die Welt lieben,<br />
ihr mitfühlend begegnen und sie umarmen – so, wie sie<br />
ist.<br />
Wir müssen uns schmerzhaft nach Gnade sehnen, wir<br />
müssen ihrer in höchster Dringlichkeit bedürfen.<br />
In der zweiten Lebenshälfte können wir uns nicht länger<br />
selbst halten; wir sind gefallen und nur die Hände<br />
des lebendigen Gottes können uns halten.<br />
Wahre Freiheit ist die Haltung eines Menschen, der<br />
nicht Recht haben muss.<br />
In der ersten Lebenshälfte kämpfen wir mit dem Teufel,<br />
in der zweiten Lebenshälfte kämpfen wir mit Gott<br />
(Nikos Kazantzakis).<br />
Die Aufgaben der ersten Lebenshälfte sind keineswegs<br />
unwichtig. Es geht darum, etwas zu entwickeln, das ich<br />
als eine Art «Gefäss» bezeichnen möchte, und zwar ein<br />
gutes Gefäss, das die Inhalte des Lebens aufnehmen<br />
kann.<br />
Neben dem Ruhen in sich selbst prägt<br />
viele Menschen in der zweiten Lebenshälfte<br />
eine Art Unbeschwertheit,<br />
eine Art Abstand, eine Art Demut,<br />
eine Art Freisein von Sorgen.<br />
Die wahre Bedeutung des Evangeliums<br />
besteht darin, dass es keine<br />
Schrift für Sieger ist, sondern eine<br />
Botschaft für Verlierer.<br />
Bereit für <strong>Verwandlung</strong>?<br />
Veränderung ist nicht alles<br />
Es geht nicht um ein Entweder-Oder<br />
wie im Gesetzesverständnis der<br />
ersten Lebenshälfte, sondern um ein<br />
Sowohl-als-auch.<br />
Vergebung ist die zentrale Weisheit<br />
der zweiten Lebenshälfte.<br />
Wir können in der Freiheit des Nichtwissens<br />
leben, weil Gott der Wissende<br />
ist, weil jemand anderes weiss.<br />
Bereit für das Evangelium?<br />
Das Ego ist nicht alles…<br />
Welch angenehmer Zufall, dass wir in die beste aller<br />
Nationen und die beste aller Religionen hineingeboren<br />
sind! Wie traurig für die armen Menschen in Indien und<br />
Afrika, dass Gott uns mehr liebt als sie.<br />
Die innere Gier, die jedem Menschen zu eigen ist, führt<br />
dazu, dass uns nach einer Weile nichts mehr befriedigt<br />
und wir bei nichts mehr ausreichend Vergnügen empfinden.<br />
Der Weg zur zweiten Lebenshälfte wird dadurch erschwert,<br />
dass Erfolg in der ersten Lebenshälfte universell<br />
als wertvoll gilt und von nahezu jeder Kultur gefördert<br />
und belohnt wird.<br />
Das Gute ist umfassend und so tief, dass es selbst das<br />
Böse in sich einschliessen kann; es ist in der Lage, sein<br />
Gegenteil zu halten.<br />
Nur wenn wir loslassen, wer wir zu sein glauben, können<br />
wir werden, wer wir wirklich sind.<br />
Wenn wir keine Kontrolle mehr haben, wissen wir nur<br />
noch um die schlichte Tatsache unseres Seins. Das ist alles,<br />
was wir Gott geben können, denn es ist das Einzige,<br />
was wir haben.<br />
Wir können nur lassen, was wir zuvor gefunden haben.<br />
Wir können nur weggeben, was wir haben. Wir müssen<br />
uns selbst kennen, bevor wir über uns hinausgehen<br />
können.<br />
Die am weitesten verbreitete Abhängigkeit<br />
ist die Abhängigkeit von<br />
unseren Denkmustern.<br />
Wenn wir nicht sicher sein können,<br />
im Recht zu sein, bleibt uns nur zu<br />
vertrauen.<br />
Normalerweise bewegen wir uns aus<br />
der angenehmen Sicherheit von Gesetz<br />
und Ordnung nicht heraus. Dies<br />
geschieht erst, wenn unser bislang<br />
alles bestimmendes Ego destabilisiert<br />
wird. Es ist demütigend, wenn wir<br />
unsere eigenen Fehler und unsere<br />
Inkompetenz erkennen und mit uns<br />
hadern.<br />
Bereit für die Krise?<br />
Enttäuscht sein ist nicht alles…
Bereit für die Machtlosigkeit?<br />
Wo ein Wille ist, ist nicht immer ein Weg…<br />
Durch die Verbindung mit dem Römischen Reich wurde aus dem Evangelium sehr schnell eine Spiritualität<br />
der Vollkommenheit, der Leistung, der Ergebnisse, des Erreichens, der Willenskraft.<br />
Anders als in all den Sieger-Verlierer-Szenarien, in denen letztlich alle verlieren, beschreibt die<br />
Verlierern geltende Bibel ein Szenario, in dem letztlich alle gewinnen.<br />
Unvollkommenheit ist das Grundprinzip der gesamten menschlichen und spirituellen Entwicklung.<br />
Nur Unvollkommenheit und Vollkommenheit können einander wirklich begegnen.<br />
Jesus hat das Böse nicht durch Willenskraft oder Kontrolle überwunden, sondern durch das Erkennen<br />
des Bösen.<br />
Machtstreben und das Akzeptieren der Liebe Gottes sind völlig unterschiedliche Haltungen.<br />
Bereit für heilende Gemeinschaft?<br />
Individuell ist nicht alles…<br />
Veränderung ist nicht allein aus Willenskraft möglich, sondern<br />
nur, wenn wir Empfangende werden.<br />
Die Botschaft Jesu lässt sich im Wesentlichen mit zwei Stichworten<br />
benennen: Vergebung und Inklusivität. Gelebte Inklusivität<br />
macht es unnötig, die eigene Gemeinschaft als die beste<br />
anzusehen und ihre Grenzen zu verteidigen.<br />
In der Gemeinschaft können wir unsere eigene Kleinheit<br />
erkennen, unsere Egozentrik, unsere Rechthaberei und unser<br />
Bedürfnis, als der oder die Beste zu gelten.<br />
Wenn eine Gemeinschaft stark genug ist, uns zu halten, müssen<br />
wir uns und anderen nicht länger etwas vormachen.<br />
Vergebung meint die universelle Sichtweise: Es ist, wie es ist.<br />
Alles, was Gott braucht, ist ein Vakuum, einen Raum. Und<br />
immer, wenn wir Gott Raum geben, dann wird Gott ihn füllen<br />
(Johannes vom Kreuz).<br />
Wir müssen leer werden von uns selbst, damit Gott uns füllen<br />
kann. Nichts anderes können wir tun als zuzulassen, dass wir<br />
leer werden, und Gott die Leere zu geben.<br />
In Wirklichkeit meint das Wort (Hingabe) den Zugang zu<br />
einem tieferen und weiteren, immer schon erfüllten und überfl<br />
iessenden Selbst.<br />
Der Leib Christi ist für Paulus ein Kraftfeld. Es umfasst die<br />
gesamte Menschheit, alle, die bereit sind, verbunden zu sein,<br />
alle, die in diesem Feld sind, unabhängig von ihrer Religion.<br />
Unsere Aufgabe ist nicht, über Jesus zu sprechen, sondern<br />
Jesus zu sein (Mutter Teresa).<br />
Das Wahre, das Verwandelte wirkt anziehend in seinem Sein.<br />
9
Wo und wie <strong>Verwandlung</strong> anfängt<br />
<strong>Verwandlung</strong> ist eine geistliche Reise. Bist du bereit<br />
dafür? Jesus zeigt in Matthäus 7, 1-5, wo <strong>Verwandlung</strong><br />
anfängt und wie <strong>Verwandlung</strong> voran kommt:<br />
«Verurteilt nicht andere, damit Gott nicht euch verurteilt!<br />
Denn euer Urteil wird auf euch zurückfallen, und<br />
ihr werdet mit demselben Maß gemessen werden, das<br />
ihr bei anderen anlegt. Warum kümmerst du dich um<br />
den Splitter im Auge deines Bruders oder deiner Schwester<br />
und bemerkst nicht den Balken in deinem eigenen?<br />
Wie kannst du zu deinem Bruder oder deiner Schwester<br />
sagen: ‹Komm her, ich will dir den Splitter aus dem<br />
Auge ziehen›, wenn du selbst einen ganzen Balken im<br />
Auge hast? Scheinheilig bist du! Zieh doch erst den Balken<br />
aus deinem eigenen Auge, dann kannst du dich um<br />
den Splitter in einem anderen Auge kümmern!»<br />
Wie Urteile auf einen selbst zurückfallen zeigt folgendes<br />
Beispiel. Es ist erfunden, aber es entspricht der<br />
Wirklichkeit. Ich habe es im Buch «The Anatomy of<br />
Peace» (Arbinger Institute) gelesen.<br />
Es geschieht an einem ganz gewöhnlichen Wochenende.<br />
Ein Mann und eine Frau, Avi und Hanna. Avi erzählt:<br />
Es war an einem Samstagnachmittag. Ich kam gegen<br />
17:45 nach Hause, gerade 15 Minuten bevor ich mich<br />
mit einem Freund treffen wollte um Tennis spielen zu<br />
gehen. Das Problem war: Ich hatte meiner Frau, Hanna,<br />
versprochen, dass ich den Rasen mähen würde. J<br />
Also eilte ich zur Garage, holte den Rasenmäher heraus<br />
und mähte ihn ziemlich rassig. Dann rannte ich zurück<br />
ins Haus und zog mich um fürs Tennis. Als ich an Hanna<br />
vorbei rannte Richtung Treppe, brummelte ich etwas<br />
davon, dass ich mich mit meinem Freund für einen<br />
Tennismatch verabredet habe. Ich war gerade fast bei<br />
der Treppe, als Hanna mir nachrief: «Schneidest du die<br />
Rasenkanten noch?»<br />
10<br />
Ich stoppte. «Es ist nicht nötig, dass ich die Ränder<br />
schneide», sagte ich, «nicht dieses Mal». «Ich denke, es<br />
ist nötig», sagte sie.<br />
Oh, komm schon» entgegnete ich. Es wird niemand an<br />
unserem Haus vorbei kommen und sagen: «Schau mal<br />
Margrit, die haben die Rasenkanten nicht geschnitten!»<br />
Das wird nicht passieren.<br />
Dies beeindruckte sie aber gar nicht, so sagte ich noch:<br />
«Übrigens habe ich mit den Rädern des Rasenmähers<br />
immer darauf geschaut, dass sie auf dem Weg sind, als<br />
ich die Ecken mähte. Es sieht alles bestens aus.»<br />
«Du hast gesagt, dass du den Rasen mähen wirst,» sagte<br />
sie, «und das heisst, dass ‚Rasenkanten schneiden‘ dazu<br />
gehört.»<br />
«Nein, das heisst es nicht!» entgegnete ich. «Rasen mähen<br />
heisst Rasen mähen; Rasenkanten schneiden heisst<br />
Rasenkanten schneiden. Man muss nicht jedes Mal die<br />
Rasenkanten schneiden, wenn man den Rasen mäht.<br />
Das ist lächerlich. Und übrigens bin ich schon etwas spät<br />
dran fürs Tennis. Willst du, dass ich Paul einfach warten<br />
lasse? Ist es das, was du willst?»<br />
Ich dachte jetzt hab ich sie mit diesem Argument, aber<br />
dann sagte sie: «Okay, ich vermute, dass dann ich die<br />
Rasenkanten schneiden werde.» J<br />
Nun hatte sie mich erwischt. Mich schuldig fühlen, dass<br />
sie es machen müsste, das wollte ich nicht. Ich wollte<br />
nicht, dass sie es tun musste, darum sagte ich, dass ich<br />
vielleicht die Rasenkanten schneiden könnte, wenn ich<br />
zurückkomme. Und damit packte ich meine Tennissachen<br />
und ging.<br />
Ich kam erst nach Hause als es schon dunkel war. Ich<br />
hatte zum ersten Mal gegen Paul gewonnen und fühlte<br />
mich ziemlich happy. Ich ging in die Küche, öffnete den<br />
Kühlschrank und schenkte mir ein grosses Glas Orangensaft<br />
ein. Hanna kam herein als ich gerade inmitten<br />
eines grossen Schluckes war. Schnell nahm ich das Glas<br />
von meinem Mund und wollte gerade sagen «Ich habe<br />
Paul geschlagen!», als sie fragte: «Gehst du noch die<br />
Rasenkanten schneiden?»<br />
Meine Begeisterung verflog blitzartig und ich war<br />
sofort zurück in meinen irritierenden Gefühlen, die ich<br />
vor zwei Stunden hatte.<br />
«Du bist nun die letzten zwei Stunden hier herum<br />
gesessen und hast dich andauernd gefragt, ob ich wohl<br />
die Rasenkanten schneiden würde», lästerte ich. «Das<br />
ist ein bisschen armseelig.»
«Aber du hast gesagt, du würdest es tun, wenn du zurück<br />
kommst», entgegnete sie.<br />
Ich schoss zurück: «Ich sagte ‹vielleicht› werde ich es<br />
tun. Und das war bevor ich wusste, dass es stockdunkel<br />
sein wird, wenn ich zurückkomme.<br />
«Aber du hast gesagt, dass du es tun würdest.»<br />
«Willst du, dass ich mir im Dunkel die Augen aus dem<br />
Kopf starre, oder was?» gab ich zurück. «Ist es das, was<br />
du willst? Es ist stockdunkel. Ich muss dafür nicht mal<br />
meine Sonnenbrille aufsetzen.»<br />
«Dann werde ich die Rasenkanten schneiden», sagte sie.<br />
Ich hätte sie es ja einfach machen lassen können, wenn<br />
sie unbedingt wollte. Aber das tat ich nicht. Stattdessen<br />
hob ich majestätisch den Kopf, nahm tief Luft und<br />
sagte: «O.k. Ich werde die Kanten schneiden, dem<br />
Frieden im Haus zuliebe.» Und dann stolzierte ich in die<br />
Garage und nahm den Kantenschneider und machte die<br />
Rasenkanten sauber, zwei volle Stunden lang. Wenn sie<br />
die Kanten sauber geschnitten haben wollte, dann wird<br />
sie sauber geschnittene Kanten erhalten!» J<br />
Aber als ich ins Haus zurückkam, meint ihr, dass mein<br />
Arbeitseinsatz den Frieden im Haus gebracht hat? J<br />
Den Frieden hat es aus einem einfachen Grund nicht<br />
gebracht: In meinem Herzen war ich gegenüber Hanna<br />
am kämpfen. Sie schien so engstirnig, rücksichtslos,<br />
fordernd, unvernünftig und kalt, egal ob ich die Rasenkanten<br />
schneide oder nicht. Meine Änderung in<br />
meinem äusserlichen Verhalten hat nichts daran geändert<br />
wie ich mich in meinem Innern ihr gegenüber<br />
gefühlt habe. In der Tat, wenn sich überhaupt etwas<br />
geändert hatte, dann nur, dass je länger ich im Dunkeln<br />
die Rasenränder schnitt, sie mir als wie unmöglicher<br />
erschien. Als ich beim Zaun noch etwas kaputt machte,<br />
weil ich im Dunkeln nicht gut sehen konnte, fühlte ich<br />
eine seltsame Zufriedenheit darüber in mir. Der Zwischenfall<br />
bewies mir, wie unvernünftig Hanna war.<br />
Ihr könnt euch vorstellen, wie die Luft war, als ich<br />
schliesslich zurück ins Haus kam. Unsere Gefühle gegenüber<br />
dem andern «pfufften» aus jedem Wort, jedem<br />
Blick und jeder Geste. In Wahrheit waren wir weniger<br />
zivilisiert zueinander als vorher – was mich übrigens<br />
innerlich gerade noch mehr aufbrachte. Jetzt hatte ich<br />
mich doch eben im Dunkeln abgemüht und meine Augen<br />
gefährdet, weil ich tat, was sie unvernünftigerweise<br />
forderte, und sie war immer noch sauer mir gegenüber!<br />
Das Wenigste, das sie tun könnte, wäre zumindest<br />
dankbar zu sein, sagte ich zu mir selber. Aber nein, sie<br />
kann nicht freundlich zu mir sein!» J<br />
«Denn euer Urteil wird auf euch zurückfallen…» Avi<br />
hat eine ganze Menge Urteile gefällt. Über sich, über<br />
seine Frau, über die Welt,… Und seine Gefühle melden<br />
ihm, was ihn bewegt…<br />
<strong>Verwandlung</strong> beginnt dann, wenn wir zuerst den<br />
Balken in unserem Auge entfernen! Nicht durch unsere<br />
Urteile (oft in schwarz-weiss ) dem andern begegnen.<br />
Das verstärkt nur unser kämpfendes Herz. Wenn wir<br />
zuerst unsere Urteile erkennen und loslassen, dann können<br />
wir neu sehen und mehr sehen. Dann sind wir nicht<br />
von unserem kämpfenden Herzen besetzt, sondern<br />
haben ein Herzen im Frieden. Wir denken nicht mehr<br />
nur schwarz-weiss, sondern können den Anderen als<br />
Menschen sehen und finden auch in schwierigen Auseinandersetzungen<br />
neue Wege.<br />
Arbinger Institute: The Anatomy of Peace. Resolving the<br />
Heart of Conflict. Paperback. 2010: Penguin Books Ltd.<br />
ISBN: 9780141047669<br />
Marc Nussbaumer<br />
11
Wer bin ich eigentlich?<br />
Auf unserer Baustelle in der Wildenau kam ich mit<br />
einem jüngeren Handwerker ins Gespräch. Es passiert<br />
mir oft, dass wir dann bald einmal beim Thema Glauben<br />
sind. Ich berichtete ihm von meinen Erlebnissen, wie ich<br />
von Gott berührt und verwandelt worden bin.<br />
Er erzählte mir, dass er gerne turne und sich im Turnverein<br />
für die Buben und Mädchen engagiert. Dabei<br />
sprach er davon, wie stark sich Kinder von unserer<br />
Gesellschaft, vor allem von den Medien «mani pulieren»<br />
lassen. Dass sie sich sehr stark nach «Vorbildern» ausrichten<br />
und gar nicht mehr wüssten, wer sie selber sind<br />
und was sie selber wollten. Und dazu gehöre auch das<br />
mit diesem Glauben, das sei doch auch so manipulierend!<br />
Er war ganz aufgebracht. Da sagte ich ihm, dass<br />
mir jetzt gerade etwas sehr bewusst werde, und sprach<br />
von unserer 40-Tage-Aktion <strong>Verwandlung</strong>.<br />
Gott ist es sehr wichtig, dass wir wissen wer wir sind,<br />
und er hilft uns dabei, an uns zu glauben und uns selbst<br />
zu werden. Er hat uns gut geschaffen, und das gilt es zu<br />
erkennen. Es gibt viel «Schlechtes» und «Schwieriges»<br />
in unserem Leben, schon seit unserer Kindheit. Davon<br />
können wir uns nicht fernhalten. Aber genau da beginnt<br />
dieser Weg der <strong>Verwandlung</strong>. Dies zu fühlen, zu<br />
erkennen und versuchen es zu verändern. Ich bin überzeugt,<br />
dass Gott uns an diesen Punkt führen möchte. Er<br />
wird uns berühren und uns dabei helfen uns zu verändern.<br />
Das habe ich so erlebt. Und darum ist der Glaube<br />
für mich wichtig und eine grosse Chance geworden.<br />
Mir scheint, da machen wir mehr als genug Fehler. Zu<br />
sehr mühen wir uns damit ab, indem wir denken, wie<br />
wir sein sollten oder wie man sein sollte! So ist es nicht<br />
immer einfach für Gott, uns zu helfen.<br />
Bereit für die Krise?<br />
12<br />
Andres Dietemann<br />
Das Ego in uns<br />
Es war einmal ein Gasthaus, das hiess «Silberstern».<br />
Der Gastwirt kam auf keinen grünen Zweig, obgleich<br />
er alles tat, Gäste zu gewinnen. Er richtete das Haus<br />
gemütlich ein, sorgte für eine freundliche Bedienung<br />
und hielt die Preise in vernünftigen Grenzen. In seiner<br />
Verzweiflung fragte er einen Weisen um Rat.<br />
Als er die jammervolle Geschichte des anderen gehört<br />
hatte, sagte der Weise: «Es ist sehr einfach. Du musst<br />
den Namen deines Gashauses ändern.» – «Unmöglich!»,<br />
sagte der Gastwirt. «Seit Generationen heisst es Silberstern<br />
und ist unter diesem Namen im ganzen Land<br />
bekannt.»<br />
«Nein», sagte der Weise, «Du musst es nun „Die fünf<br />
Glocken“ nennen und über dem Eingang sechs Glocken<br />
aufhängen.» «Sechs Glocken? Das ist doch absurd. Was<br />
soll das bewirken?» «Versuch es doch einmal, und sieh<br />
selbst», sagte der Weise lächelnd.<br />
Also machte der Gastwirt einen Versuch, und Folgendes<br />
geschah: Jeder Reisende, der an dem Gasthaus vorbeikam,<br />
ging hinein, um auf den Fehler aufmerksam<br />
zu machen, jeder in dem Glauben, ausser ihm habe<br />
ihn noch keiner bemerkt. Und wenn sie erst einmal in<br />
der Gaststube waren, waren sie beeindruckt von der<br />
freundlichen Bedienung und blieben da, um eine Erfrischung<br />
zu bestellen. Und das war die Chance, auf die<br />
der Wirt so lange gewartet hatte.<br />
Nichts entzückt das eigene Ich mehr, als die Fehler anderer<br />
korrigieren zu können.<br />
Aus dem Buch:<br />
«365 Geschichten, die gut tun» von Anthony de Mello<br />
Ein altes Sprichwort besagt: «Niemand fängt einen Wildesel durch Rennen; und doch fangen nur jene, die rennen,<br />
jemals den Esel.»<br />
Vielleicht könnten wir sagen: «Niemand kommt allein durch Lieben und Leiden zu Gott; und doch scheinen nur die,<br />
die geliebt und gelitten haben, tiefer zu Gott zu kommen.» Martha gelangt niemals dorthin, indem sie noch mehr<br />
Martha ist. Und dennoch sind ihre Umtriebigkeit, ihre Unaufmerksamkeit und ihre plumpen und vergeblichen Liebesversuche<br />
bereits der Anfang ihrer <strong>Verwandlung</strong> in Maria. Und so ist es bei allen von uns.<br />
Richard Rohr<br />
aus Richard Rohr: Pure Präsenz. Claudius, 2011. ISBN 9783532624135
Bereit für die Machtlosigkeit?<br />
Von der Hoffnung, wo nichts zu hoffen ist<br />
Einmal kamen drei Schüler zu ihrem Meister und<br />
fragten: «Wenn alles hoffnungslos ist, wie kann man<br />
dann noch hoffen?» Der Meister antwortete: «Immer<br />
gilt: Haltet der Einsamkeit stand und wartet, denn alle<br />
Hoffnungslosigkeit kommt aus der Angst von der Einsamkeit<br />
und aus der Ungeduld.»<br />
Die Schüler gaben sich nicht zufrieden und erzählten<br />
von den Schicksalen anderer Menschen. Der erste:<br />
«Wenn ein Kind, das Licht seiner Eltern, unheilbar<br />
auf den Tod liegt – wo ist da Hoffnung?» Der zweite:<br />
«Wenn einen die Geliebte verlassen hat, und war sie<br />
doch das Leben – wie töricht ist da Hoffnung!» Der<br />
dritte: «Wenn einer fortgeführt wird in die Fremde und<br />
keine Brücke führt zurück – worauf da noch hoffen?»<br />
Und wieder antwortete der Meister: «Der Einsamkeit<br />
standhalten und warten!» Und weil sie ihn um ein Zeichen<br />
nach diesen dunklen Worten baten, gab er ihnen<br />
ein Samenkorn. «Wenn das Neue kommen soll, muss<br />
Altes sterben» sagte er und entliess sie.<br />
Die Gegend aber war unwegsam und die Nacht dunkel.<br />
Weitab von des Meisters Haus kamen die drei vom Weg<br />
ab, irrten umher und fielen in eine Höhle; die war sehr<br />
tief, doch sie blieben unverletzt. Wie sie dort auf dem<br />
weichen Moose lagen und sich ihrer Lage bewusst wurden,<br />
fiel ihr Blick nach oben, und sie sahen den Mond;<br />
der beschien ihr Elend.<br />
«Es ist hoffnungslos», begann der eine, «wir kommen<br />
aus eigener Kraft nicht heraus, man wird uns nicht<br />
finden, und unsere Schreie werden in der Einsamkeit<br />
verhallen. Wenn ihr hier vor mir sterben solltet, bleibe<br />
ich allein und einsam. Soll ich darauf warten? Und soll<br />
ich ein Samenkorn pflanzen. Dessen Früchte ich nicht<br />
mehr ernten kann – welchen Sinn macht das?» Dann<br />
beugte er sich nieder, weinte, wurde still und tat seinen<br />
letzten Atemzug. Sprach da der zweite Schüler:» So<br />
geht es mir auch, doch untätig auf den Tod warten will<br />
ich nicht.» Darauf begann er, an den steilen Wänden<br />
der Höhle hinaufzuklettern, erreichte wohl die halbe<br />
Höhe, rutschte dann aber ab. Im Fallen schlug er gegen<br />
die Wand und blieb tot unten liegen. Der dritte Schüler<br />
blickte auf seine beiden Gefährten und dachte bei sich:<br />
«Angst, einmal allein zu bleiben, muss ich nun nicht<br />
mehr haben, denn ich bin allein. Schwach, wie ich bin,<br />
kann das Warten mich stärken.»<br />
Dann blickte er um sich, sah Pflanzen und Sträucher auf<br />
dem Grund der Höhle und hörte hinter sich eine Quelle.<br />
Da fuhr er mit der Hand durch das Wasser, streichelte<br />
den Boden, der ihm Nahrung geben konnte. Wie er dies<br />
tat, fiel ein Blick auf das Samenkorn, das ihm beim Sturz<br />
in die Höhle aus der Tasche gefallen war. Er nahm es<br />
und setzte es in die Erde.<br />
Am nächsten Morgen fielen Sonnenstrahlen in die Höhle;<br />
die wärmten ihn. Kräuter, Beeren und Wasser waren<br />
seine Nahrung tag für Tag. Das Samenkorn aber keimte<br />
und über Tage, die Wochen und die Jahre wuchs der<br />
Keimling zu einem Trieb und der Trieb zu einem Baum,<br />
und seine Krone strebte der Höhlenöffnung entgegen.<br />
Da dankte der Schüler Gott, kletterte den Stamm empor,<br />
verliess die Höhle und rannte zum Haus des Meisters.<br />
«Es gibt Hoffnung, auch wenn keine Hoffnung<br />
mehr ist», rief er. «Du hast es gewusst, ich danke dir.»<br />
Da lächelte der Meister still und sprach: «Wohl habe ich<br />
es gesagt, aber ich wusste es nicht, denn ich war noch<br />
nie ganz ohne Hoffnung.»<br />
Herbert A. Gornik<br />
aus Peter Müller: Fasten, dem Leben Richtung geben, Lesebuch und<br />
Übungsbuch zum spirituellen Fasten. Kösel, 1995.<br />
ISBN 9783466500741<br />
Foto: Martin Luff<br />
13
Heilende Gemeinschaft<br />
Die Glieder des menschlichen Körpers wurden es einmal<br />
überdrüssig, einander zu dienen, und fassten den Vorsatz,<br />
dies nicht mehr zu tun.<br />
Die Füsse sagten: «Warum sollen wir allein für andere<br />
tragen? Schafft euch selbst Füsse, wenn ihr gehen<br />
wollt!» Die Hände sagten: «Warum sollten wir allein für<br />
andere arbeiten? Schafft euch selbst Hände, wenn ihr<br />
Hände braucht!» Der Mund brummte: «Ich müsste wohl<br />
ein grosser Narr sein, wenn ich immer für den Magen<br />
Speisen kauen wollte, damit er nach seiner Bequemlichkeit<br />
verdauen möge; schaffe sich selbst einen Mund,<br />
wer einen nötig hat!» Die Augen fanden es gleichfalls<br />
sehr sonderbar, dass sie allein für den ganzen Leib<br />
beständig Wache halten und für ihn sehen sollten. Und<br />
so sprachen auch alle übrigen Glieder des Leibes, und<br />
eines kündigte dem andern den Dienst auf. Was geschah?<br />
Da die Füsse nicht mehr gehen, die Hände nicht<br />
mehr arbeiten, der Mund nicht mehr essen, die Augen<br />
nicht mehr sehen wollten, so fing der ganze Körper in<br />
allen seinen Gliedern an zu welken und nach und nach<br />
abzusterben.<br />
Da sahen sie ein, dass sie töricht gehandelt hatten, und<br />
wurden einig, dass es künftig nicht wieder geschehen<br />
sollte. Da diente wieder ein Glied dem andern, und alle<br />
wurden wieder gesund und stark, wie sie vorher gewesen<br />
waren.<br />
14<br />
Römische Legende<br />
Die Würde des Menschen<br />
«Die Würde des Menschen ist unantastbar». Dieser Satz,<br />
der erste Satz im deutschen Grundgesetz, kam mir während<br />
der 40-Tage-Aktion immer wieder in den Sinn. Ein<br />
einfacher, schnell daher gesagter Satz, der sich im Laufe<br />
der Aktion bei mir mit Leben füllte. Es fing schon an, als<br />
es in der Predigtreihe vor der 40 Tage Aktion um Ruth<br />
ging. Ich kam während der Predigten ins Nachdenken.<br />
Vor der Predigt feierten wir im Lobpreis, lobten Gott,<br />
seine Liebe und seine Güte und gelobten Ihm auch<br />
unsere Liebe und Treue. Schön ist das schon, aber ist es<br />
das, was Gott von uns erwartet? Erwartet er, dass wir<br />
ihn am Sonntag preisen, den Gottesdienst hören und<br />
sagen: «Ja, ich erwidere die Liebe Gottes»? Hmm - und<br />
wieder fiel mir obiger Satz ein. Ist Gottes Liebe zu allen<br />
Menschen in mir? Ja! Erwartet er vielleicht, dass ich sie<br />
erwidere? Erwartet er nicht viel mehr, dass ich diese<br />
Liebe, die ich in mir spüre, mit allen anderen Menschen<br />
teile? Oder besser gesagt: Diese Liebe Gottes in mir, die<br />
mir gilt, gilt auch allen anderen und ich selber spüre sie<br />
auch für ausnahmslos alle und möchte sie auch zeigen.<br />
Aber wie kann ich das tun?<br />
Ich denke, nun ich habe meinen Weg zur weiteren<br />
Glau bensentwicklung entdeckt. Auch dank des Umweges<br />
über den ersten Satz in diesem Artikel.<br />
Ich meine die Würde des Menschen ist nichts anderes<br />
als die Liebe Gottes die uns allen von ihm gegeben<br />
wurde, und uns auch von niemanden genommen werde<br />
kann.<br />
Andreas Hentschel<br />
Sieger Köder: Mahl mit den Sündern. Wandgemälde im Landhaus des römischen Germanicums «San Pastore» bei Palestrina, 1973
Auf den Weg gehen<br />
Ich habe mich gefreut auf die geistliche Reise über 40<br />
Tage. Das Buch «<strong>Verwandlung</strong>» von Richard Rohr und<br />
auch das Bild von Chriga Matter haben mich sofort<br />
angesprochen.<br />
Aber schon beim Start der geistlichen Reise bin ich<br />
gestolpert. Es hiess nämlich, dass wir unseren Hauskreis<br />
für diese 40 Tage aufteilen sollen. Eine bessere<br />
altersmässige Durchmischung solle helfen, dass wir dem<br />
Thema näher kommen. Ich überlegte mir dann, dass<br />
eine Gruppe, die durch den Tag stattfindet mir entgegenkommen<br />
würde, weil ich abends sehr oft arbeite.<br />
Ich fragte Edith, ob sie sich das auch vorstellen könnte.<br />
Bis die Gruppe aber zustande kam, hatte ich etliche<br />
kleinere Krisen. Ich bin wohl ziemlich ungeduldig und<br />
merkte, dass andere Hauskreise sich überhaupt nicht<br />
aufgeteilt hatten. Umso schöner war es dann, mit den<br />
verschiedenen Frauen auszutauschen, die sich zusammenfanden.<br />
Wir assen auch gemeinsam zu Mittag und<br />
hatten viel zu lachen. Auch Marc konnte auf meine<br />
Einladung hin ein paar Mal dabei sein und gab uns<br />
wichtige Anregungen auf unsere Fragen.<br />
Es lohnt sich, sich auf Neues, Fremdes, Anderes einzulassen.<br />
Eine Reise geht nicht immer auf alten herkömmlichen<br />
Wegen weiter. Vielleicht muss man auch mal<br />
stolpern, damit ein neues Denkmuster entstehen kann.<br />
Am 18. Februar 2012 war ich für einen Tag der Stille<br />
auf dem Sonnenhof in Gelterkinden. Der Bibeltext, wo<br />
Jesus der Frau am Brunnen begegnet, hat uns begleitet<br />
in der Stille, im Gebet, in Gedanken, im Singen, im Bewegen,<br />
im Schreiben, im Malen und Erleben. Folgendes<br />
Haiku-Gedicht (5-7-5 Silben) ist in mir entstanden. Es<br />
hat für mich auch mit der geistlichen Reise zu tun:<br />
Auf den Weg gehen<br />
Durch das Land der Anderen<br />
Beziehung finden<br />
Eins ums andere<br />
Nicht alles gleichzeitig tun<br />
Was ist jetzt wichtig<br />
Nur einfach dasein<br />
Die Quelle sprudeln lassen<br />
Ganz tief in mir drin.<br />
Ganz tief in uns drin<br />
Finden wir Ruhe in Gott<br />
Aufgehobensein<br />
Rosemarie Buser<br />
15