Juli 2002 - Der Fels
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2.2<br />
Ehe und Ehelosigkeit<br />
– zwei Wege der Nachfolge Christi<br />
Die gegenseitige Zuordnung<br />
2.2.1 Die Frage nach der Vorrangigkeit<br />
der Ehelosigkeit um des<br />
Himmelreiches willen und die Darstellung<br />
des einen Geheimnisses<br />
der Liebe durch die beiden Grundlebensformen.<br />
Durch die Jahrhunderte hindurch<br />
haben das Lehramt der Kirche und<br />
zahlreiche christliche Schriftsteller<br />
die Höherstellung der Ehelosigkeit<br />
gegenüber der Ehe hervorgehoben.<br />
Im Trienter Konzil, Sess. 24, can. 10,<br />
wird sie gegenüber den Reformatoren,<br />
die sie bzw. ihren Verbindlichkeitscharakter<br />
teilweise ablehnen,<br />
verteidigt und ist seitdem immer<br />
wieder bekräftigt worden. In dem<br />
Dekret des Vatikanum II über die<br />
Priesterausbildung, „Optatam Totius“<br />
10, heißt es: „Sie (die Kandidaten)<br />
sollen aber klar den Vorrang<br />
der Christus geweihten Jungfräulichkeit<br />
erkennen ...“<br />
Nachdem wir sowohl den Wert<br />
der Ehe als auch den der Ehelosigkeit<br />
betrachtet haben, bleibt die Frage:<br />
Was ist wertvoller an der Ehelosigkeit?<br />
Wie lässt sich die Vorrangstellung<br />
heute begründen? Kann es<br />
auf der Ebene der Gnade überhaupt<br />
ein gut – besser – am besten geben?<br />
Ist nicht jedes Gefäß gleich voll, das<br />
von Gott erfüllt wird? Da die Gnade<br />
eine Teilhabe am Leben Gottes 21 und<br />
Gott immer derselbe ist, wie kann da<br />
noch etwas wertvoller sein als anderes?<br />
Die Fragestellung selbst nähert<br />
uns schon einer Antwort an. Gnade<br />
ist Teilnahme am Leben Gottes, und<br />
sein Leben ist unendlich vielfältig.<br />
Also sind Ehe und Ehelosigkeit erst<br />
einmal verschiedene Möglichkeiten<br />
„im Garten Gottes“, und jede hat ihren<br />
Wert und ist Weg zur Heiligkeit.<br />
Teil II<br />
Von Ursula Bleyenberg<br />
Im 20. Jahrhundert wurde die Theologie<br />
der Ehe, wie wir kurz umrissen<br />
haben, weiter entfaltet und die<br />
Ehe als authentischer Weg zur Heiligkeit<br />
und der Fülle des Christseins<br />
besser verstanden. Alle Christen sind<br />
demnach zu einer immer tieferen Verwirklichung<br />
der Tugend der Liebe<br />
berufen. Auch in der Ehe werden die<br />
Partner in gewisser Weise geweiht.<br />
Eine Höherstellung der Ehelosigkeit<br />
kann nicht nur im Grad der Liebe und<br />
der Suche nach der Heiligkeit ihre<br />
Ursache haben, wo wir doch wissen,<br />
dass auch die Ehe einen solchen Weg<br />
darstellt. Das Vatikanum II macht in<br />
seinen Texten keinen Bezug auf die<br />
Aussagen des Tridentinum zur Höherstellung<br />
der Ehelosigkeit. „Lumen<br />
Gentium“ 42 spricht von „in Ehren<br />
halten“. In „Presbyterorum Ordinis“<br />
16 werden zwar Komparative benutzt,<br />
aber keine direkt wertende Aussage<br />
gemacht. 22<br />
In neueren Texten des Lehramtes<br />
wird das Zueinander betont. 23 Es geht<br />
erst einmal nicht um Wertigkeit, sondern<br />
um Anerkennung des Reichtums<br />
jeder der beiden Lebensformen,<br />
zumal Ehe und Ehelosigkeit<br />
nur eine unter mehreren Gestaltungsmöglichkeiten<br />
des Lebens darstellen,<br />
und jeder Mensch seine eigene individuelle<br />
Berufung leben soll. Dem<br />
entspricht die stärkere Hervorhebung<br />
des Sendungscharakters des christlichen<br />
Lebens, der Teilnahme am allgemeinen<br />
Priestertum. Ehe und Ehelosigkeit<br />
werden stärker von ihrer<br />
Aufgabe im Gesamtgefüge der Kirche<br />
her betrachtet.<br />
In dem Apostolischen Schreiben<br />
von Johannes Paul II. „Familiaris<br />
Consortio“ vom 22.11.1981 finden<br />
wir in Abschnitt 16 Aussagen zum<br />
Zueinander von Ehe und Ehelosigkeit:<br />
„Die Jungfräulichkeit und die<br />
Ehelosigkeit für das Reich Gottes<br />
stehen in keinerlei Widerspruch<br />
zum hohen Wert der Ehe, sondern<br />
setzen ihn voraus und bekräftigen<br />
ihn. Ehe und Jungfräulichkeit sind<br />
die beiden Weisen, das eine Geheimnis<br />
des Bundes zwischen Gott<br />
und seinem Volk darzustellen und<br />
zu leben.“ Es sind also „Weisen“,<br />
eine theologische Wahrheit darzustellen<br />
und zu leben. Beide sind<br />
nicht nur ein statisches Symbol, sondern<br />
Realisierung des „Bundes zwischen<br />
Gott und seinem Volk“. Klarer<br />
wird dies in Abschnitt 11 über<br />
den „Mensch[en], Abbild des liebenden<br />
Gottes“: „Die christliche<br />
Offenbarung kennt zwei besondere<br />
Weisen, die Berufung der<br />
menschlichen Person zur Liebe<br />
ganzheitlich zu verwirklichen: die<br />
Ehe und die Jungfräulichkeit. Sowohl<br />
die eine als auch die andere<br />
ist in der ihr eigenen Weise eine<br />
konkrete Verwirklichung der tiefsten<br />
Wahrheit des Menschen, seines<br />
‚Seins nach dem Bild Gottes‘ “.<br />
An den zitierten Stellen von<br />
„Familiaris Consortio“ werden Ehe<br />
und Ehelosigkeit gleichwertig nebeneinander<br />
gestellt. Allerdings<br />
heißt es an späterer Stelle, nach dem<br />
Hinweis auf die eschatologische<br />
Dimension der Jungfräulichkeit:<br />
„Indem sie das Herz des Menschen<br />
auf besondere Art freimacht und ‚es<br />
so zu größerer Liebe zu Gott und<br />
zu allen Menschen entzündet‘ (Zitat<br />
aus „Perfectae Caritatis“ 12),<br />
bezeugt die Jungfräulichkeit, dass<br />
das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit<br />
die kostbare Perle ist, welche<br />
verdient, jedem anderen, selbst<br />
hohen Wert vorgezogen, ja als einziger<br />
endgültiger Wert gesucht zu<br />
werden. Deshalb hat die Kirche im<br />
Lauf ihrer Geschichte immer die<br />
Erhabenheit dieses Charismas über<br />
das der Ehe verteidigt, eben<br />
aufgrund seiner ganz einzigartigen<br />
Verbindung mit dem Reich Gottes.“<br />
Die Begründung der „Erhabenheit“<br />
der Jungfräulichkeit liegt hier in ih-<br />
210 DER FELS 7/<strong>2002</strong>