Scientia Halensis 2 (2007) - Martin-Luther-Universität Halle ...
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UNI MAGAZIN<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
1<br />
M ARTIN-LUTHER-<br />
U NIVERSITÄT<br />
H ALLE-WITTENBERG<br />
halensis<br />
»Die Geisteswissenschaften.<br />
ABC der Menschheit« (Teil II)<br />
Plädoyer für 4 Kulturen: Natur<br />
im Geist – Geist in der Natur<br />
scientia<br />
Freimaurerei<br />
an der halleschen <strong>Universität</strong><br />
»Herausforderung Mensch«<br />
Bosch-Stiftung pro »Denkwerk«<br />
2/07
»scientia halensis im Netz«<br />
Start: 24. Juli <strong>2007</strong>, 12.00 Uhr
Plädoyer für vier Kulturen: 5<br />
Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften, Künste, Lebensweise | Dietrich v. Engelhardt<br />
Was heißt und zu welchem Ende ... 8<br />
... studiert man Geisteswissenschaften? | Rainer Enskat<br />
»Anfangsgründe aller Mathematik ...« 10<br />
Die ersten Vorlesungen von Christian Wolff 1707 in <strong>Halle</strong> | Jürgen Stolzenberg<br />
Bruder Studiosus, Bruder Professor 12<br />
Freimaurer an der <strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong> im 18. Jahrhundert | Renko Geffarth<br />
Armenien, Deutschland und die Türkei 14<br />
Beitrag der halleschen Geisteswissenschaften zum künftigen Europa | Hermann Goltz<br />
»Herausforderung Mensch« 16<br />
<strong>Halle</strong>sches Denk- und Netzwerk zum<br />
»Jahr der Geisteswissenschaften <strong>2007</strong>« | Hartmut Wenzel & Jan Metzner<br />
Wulf Meier: »Wir sind gut unterwegs« 18<br />
Interview mit dem neuen Präsidiumsmitglied der VFF | Carsten Heckmann<br />
85, 12 und 3 – barrierefrei! 20<br />
Neugestaltung des universitären Internetauftritts | Torsten Evers<br />
Wissenschaft geht weiter! 22<br />
Was wird aus den interdisziplinären Zentren? | Joachim Ulrich<br />
»Mutter und Kind« bilateral 24<br />
Deutsch-polnische Kontakte seit über 30 Jahren gepflegt | Jens Müller<br />
Vorher – während – und danach ... 25<br />
<strong>Universität</strong>sklinikum gründet Perinatalzentrum | Jens Müller<br />
Unangefochten Spitze 26<br />
Von den erfolgreichsten Wesen der Welt | Gerald Moritz<br />
Die neue (alte) »sTurmkultur« 28<br />
Zurück zu den Wurzeln der Studentenklubs | Paolo Schubert<br />
Uni ohne Ende ... 30<br />
Alumni & Absolvent(inn)en der Mathematik und Informatik | Jürgen Bruder & Stefan Braß<br />
25 Fragen an Armenuhi Drost-Abgarjan 31<br />
Verbales Porträt einer Zeitgenossin<br />
(Fach-)Literaturfabrik <strong>Universität</strong> 32<br />
Lese-Empfehlungen querbeet<br />
»Bitte einmal gemischten Sprachsalat ...« 34<br />
Diesmal mit: weitverbreiteten verbalen Nachlässigkeiten<br />
»... und ein Literatürchen!« 34<br />
Ratgeber von Carsten J. W. Weidling: »Leben in der Werbepause«?<br />
Moderieren und motivieren 35<br />
»Ars legendi-Preis« <strong>2007</strong> geht an Rolf Sethe nach <strong>Halle</strong> | Carsten Heckmann<br />
Ehrungen, Mitgliedschaften in Gremien, Berufungen, Jubiläen und andere Neuigkeiten 37<br />
Berufungen 38<br />
Gesunde Ernährung als Lebenselixier 39<br />
Vereinigung der Freunde und Förderer<br />
der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg e. V.<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
Impressum<br />
scientia halensis – Unimagazin<br />
der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg<br />
Ausgabe 2/<strong>2007</strong>, 15. Jahrgang<br />
erscheint viermal im Jahr<br />
Herausgeber<br />
Der Rektor<br />
der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg<br />
Redaktion<br />
Dr. Margarete Wein (verantwortlich i. S. d. P.)<br />
Redaktionsbeirat<br />
Prof. Dr. Wulf Diepenbrock (Rektor), Prof. Dr. Dr.<br />
Gunnar Berg (Altrektor), Carsten Heckmann,<br />
Prof. Dr. Andrea Jäger, Prof. Dr. Gerhard Lampe,<br />
Christine Mitsching (VFF), Jens Müller,<br />
Ute Olbertz, Katrin Rehschuh, Paolo Schubert,<br />
Dr. Ralf-Torsten Speler, Dr. Margarete Wein<br />
Postanschrift der Redaktion<br />
<strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg<br />
Abteilung Öffentlichkeitsarbeit<br />
06099 <strong>Halle</strong> (Saale)<br />
Besucheranschrift der Redaktion<br />
<strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg<br />
<strong>Universität</strong>splatz 9, 06108 <strong>Halle</strong> (Saale)<br />
Kontakt zur Redaktion<br />
Telefon: 0345 55-21420, Fax: 0345 55-27066<br />
E-Mail: margarete.wein@verwaltung.uni-halle.de<br />
Internet: www.uni-halle.de<br />
Layout und Satz<br />
Digital Druckservice <strong>Halle</strong> GmbH<br />
Druck<br />
dmv / druck-medienverlag GmbH <strong>Halle</strong>-Queis<br />
Grafik-Design<br />
Barbara Dimanski, Dipl.-Grafik-Designerin AGD/BBK<br />
Anzeigenpreisliste<br />
<strong>2007</strong><br />
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt<br />
die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.<br />
Die Rechte für sämtliche Beiträge und Abbildungen im<br />
<strong>Universität</strong>smagazin scientia halensis liegen beim Rektorat<br />
der <strong>Universität</strong>. Nachdrucke sind nur mit Genehmigung der<br />
Redaktion gestattet.<br />
Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte oder Bilder<br />
übernehmen wir keine Haftung.<br />
ISSN 0945-9529<br />
scientia halensis erscheint mit freundlicher Unterstützung der<br />
Vereinigung der Freunde und Förderer der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<br />
<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg e. V. (VFF)<br />
Titelbild: Andrang auf dem Uniplatz: »Lange Nacht<br />
der Wissenschaften 2006« (Foto: Norbert Kaltwaßer)<br />
3<br />
I NHALT/IMPRESSUM
4<br />
V ORWORT<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
Liebe Leserinnen,<br />
liebe Leser des halleschen Unimagazins ...<br />
Ein »Jahr der Geisteswissenschaften« als singuläres Phänomen im<br />
Reigen der Naturwissenschaftsjahre zuvor und danach rechtfertigt<br />
mühelos, dass alle vier Ausgaben eines universitären Periodikums in<br />
eben diesem Jahr dem facettenreichen Schwerpunkt »Geisteswissenschaften«<br />
gewidmet sind.<br />
Maßgebend für die Auswahl der Beiträge ist die Absicht, sowohl die<br />
Beziehungen zwischen den einzelnen Wissenschaftsdisziplinen als<br />
auch die Notwendigkeit ihrer Strukturierung zu diskutieren. Darin<br />
lebt eine Spannung, die zum einen vom inneren Zusammenhalt aller<br />
Wissenschaften, zum anderen von der inhaltlichen und methodischen<br />
Diversifi zierung in logisch unterschiedliche Wissensstrukturen und<br />
damit verschiedenen Wissenskulturen herrührt.<br />
Genau dieses Problem ist es, das wegführt vom vermeintlich unaufhebbaren<br />
Unterschied zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, der<br />
aber gerade in der Gegenwart – zu deren Charakteristika wachsende<br />
Globalisierung und fortschreitende Interdisziplinarität gehören – neu<br />
hinterfragt werden muss.<br />
Der Redaktion des Unimagazins ist es gelungen, einen renommierten<br />
Wissenschaftshistoriker als Gastautor zu gewinnen: Seine Sicht auf<br />
das Thema bildet den Auftakt für die hier versammelten Beiträge, die<br />
sich dem Problem vornehmlich unter philosophischen und historischen<br />
Vorzeichen nähern. Was sich verändert hat in den wechselseitigen<br />
Zu- und Unterordnungen einzelner Wissensgebiete im Lauf der Jahrhunderte,<br />
spiegelt sich unter anderem im Rückblick auf die ersten<br />
Vorlesungen, die Christian Wolff an der halleschen Fridericiana hielt;<br />
denn scheinbar hatten sie mit Philosophie gar nichts zu tun, sondern<br />
richteten sich »nur« auf rein praktische Problemfelder (wie Mathematik,<br />
Fortifi kation, Hydraulik und Trigonometrie) …<br />
Aber: Aufklärung im weitesten Sinn war und ist das Ziel. Und so ist es<br />
kein Zufall, das auch die im 18. Jahrhundert wurzelnde Freimaurerei<br />
sehen erleben<br />
einen Platz in diesem Heft fi ndet: mit einem ersten Artikel über die<br />
Verbindung derselben zur halleschen <strong>Universität</strong>.<br />
Die Gedankenkette »Geisteswissenschaften – Christentum – künftiges<br />
Europa« führt unversehens zur »Wiederentdeckung« Armeniens,<br />
refl ektiert im Wechselspiel des »Fremden« und des »Eigenen«, die<br />
ihren Anfang an der halleschen <strong>Universität</strong> genommen und sich bis in<br />
die aktuelle Politik des Deutschen Bundestags und in die wissenschaftlichen<br />
und kulturellen Kontakte des Bundeslandes Sachsen-Anhalt<br />
hinein ausgewirkt hat.<br />
Außerdem trägt der Text zu den fünf Teilprojekten des halleschen<br />
Denk- und Netzwerks »Herausforderung Mensch« im Rahmen eines<br />
von der Robert Bosch Stiftung geförderten Programms in mehrfacher<br />
Weise zur Weiterführung interdisziplinärer Bemühungen bei<br />
– hier speziell durch das angestrebte Zusammenwirken von Schulen<br />
und Hochschulen, also von Schüler(inne)n, Lehrer(inne)n und<br />
Wissenschaftler(inne)n.<br />
Alle neuen Erkenntnisse müssen für alle Interessierten erreichbar sein,<br />
das sollte heutzutage eine Selbstverständlichkeit sein – die sich beim<br />
Medium Internet in der Barrierefreiheit zeigt, ein Thema, das scientia<br />
halensis bereits im Vorjahr aufgriff (Ausgabe 3/06, Seite18) und das<br />
eine wichtig ist sowohl für die aktuelle Neugestaltung der allgemeinen<br />
Web-Präsenz der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg als auch<br />
für »scientia halensis im Netz« – ein neues Informationsangebot, das<br />
Internetnutzer(inn)en ab Dienstag, den 24. Juli <strong>2007</strong>, 12 Uhr mittags,<br />
unter http://www.unimagazin.uni-halle.de zur Verfügung steht.<br />
Anregende Lektürestunden – auch mit allen anderen Texten, beispielsweise<br />
dem Interview mit dem neuen Präsidiumsmitglied der VFF und<br />
der Vorstellung des »Ars legendi«-Preisträgers <strong>2007</strong> – und einen sonnigen<br />
Sommer wünscht Ihnen<br />
Ihre Margarete Wein
Plädoyer für vier Kulturen:<br />
Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften, Künste,<br />
Lebensweise<br />
D IETRICH V . ENGELHARDT (LÜBECK)<br />
Wenn von einem Jahr der Geisteswissenschaften nach einem zurückliegenden Jahr der Naturwissenschaften<br />
– und vielleicht vor einem zukünftigen Jahr der Künste und Literatur – gesprochen<br />
wird, dann stellt sich naturgemäß und mit besonderer Dringlichkeit die Frage nach dem<br />
Verhältnis und der Verbindung dieser verschiedenen Bereiche der Kultur und Bildung. Kommen<br />
Geisteswissenschaften und Künste nicht auch in den Naturwissenschaften vor, besitzen<br />
Künste und Geisteswissenschaften nicht ihrerseits naturwissenschaftliche Voraussetzungen?<br />
Sollen Wissenschaften und Künste schließlich nicht auch im Leben des Menschen eine Rolle<br />
spielen und umgekehrt Impulse aus dem Leben erhalten?<br />
Kultur und Bildung besitzen philosophische,<br />
historische, soziologische, pädagogische und<br />
psychologische Dimensionen. In inhaltlicher<br />
Hinsicht stehen vor allem der Anteil der Naturwissenschaften,<br />
Geisteswissenschaften,<br />
Künste an Bildung und Kultur sowie die<br />
Beziehung zum praktischen Verhalten, zur<br />
gelebten Wirklichkeit zur Diskussion. Kultur<br />
und Bildung meinen nie nur Theorie, sondern<br />
immer auch Praxis.<br />
N ICHT ZWEI, SONDERN VIER KULTUREN<br />
Besondere Beachtung hat in jüngerer Zeit der<br />
Essay von CHARLES PERCY SNOW über zwei<br />
Kulturen gefunden – die Kultur der Naturwissenschaften<br />
und die Kultur der Geisteswissenschaften,<br />
die voneinander isoliert sind und<br />
sich gegenseitig nicht mehr verstehen (The<br />
two cultures, 1959). Der Kulturwissenschaftler<br />
WOLF LEPENIES hat seinerseits von drei Kulturen<br />
gesprochen (Die drei Kulturen. Soziologie<br />
zwischen Literatur und Wissenschaft, 1985).<br />
Statt von zwei oder drei Kulturen sollte aber<br />
zutreffender von vier Dimensionen der Kultur<br />
und entsprechend der Bildung die Rede sein:<br />
Kultur der Naturwissenschaften und Kultur<br />
der Geisteswissenschaften, Kultur der Künste<br />
und nicht zuletzt Kultur der Lebensweise oder<br />
des Verhaltens. Auf alle vier Bereiche oder<br />
auch ihre Verbindung können Kultur und<br />
Bildung bezogen werden und darüber hinaus<br />
ebenfalls auf eine integrierte Kultur oder eine<br />
Allgemeinbildung, die diesen Namen wirklich<br />
verdient.<br />
Kultur und Bildung sind aufeinander bezogen,<br />
werden nicht selten synonym gebraucht, lassen<br />
sich aber sinnvoll auch unterscheiden. Mit<br />
Kultur kann der objektive und ebenso der institutionalisierte<br />
Inhalt gemeint werden, unter<br />
Bildung ist die Aneignung und Realisierung<br />
durch den einzelnen Menschen zu verstehen.<br />
Die verschiedenen Kulturen können im übrigen<br />
jeweils an den anderen Kulturen gleichfalls<br />
vorkommen und aufgegriffen werden.<br />
D ER TREND ZUR TRENNUNG<br />
Offensichtlich – und vor allem ein Kennzeichen<br />
der Neuzeit – ist die Trennung der Kultur<br />
in unterschiedliche Kulturen. Wer in einem<br />
dieser Bereiche gebildet oder kultiviert ist,<br />
muss es nicht auch in den anderen Bereichen<br />
sein. Wer sich in den Naturwissenschaften<br />
auskennt, muss kein Kenner der Malerei,<br />
Literatur und Musik sein. Wer in den Geisteswissenschaften<br />
und den Künsten zu Hause ist,<br />
kann ein Banause in den Künsten sein und im<br />
sozialen Verhalten versagen. Wer musisch und<br />
literarisch gebildet ist, wird deshalb nicht unbedingt<br />
und zwangsläufi g verständnisvoll und<br />
sensibel mit seinen Mitmenschen umgehen.<br />
Mit Recht lässt sich von einer Lebenskultur<br />
oder einer Herzens- oder Seelenbildung sprechen,<br />
ohne dass zugleich musische, geisteswissenschaftliche<br />
oder naturwissenschaftliche<br />
Kenntnisse vorliegen müssen. Moralisch kann<br />
sich verhalten, wer zu ethischer Refl exion<br />
nicht in der Lage oder ausgebildet ist.<br />
G ANZHEIT VON KULTUR UND BILDUNG<br />
Schulischer Unterricht, berufl iche Ausbildung<br />
und Welt der Medien bestätigen diese Unterscheidung<br />
der verschiedenen Kulturen. In<br />
der Gegenwart wird zunehmend nach einer<br />
übergreifenden Bildung verlangt, nach einem<br />
fachübergreifenden Fachunterricht, nach einer<br />
Verbindung von Allgemeinbildung und exemplarischem<br />
Detailwissen, nach einer Einheit<br />
von Wissen, Fertigkeiten, Einstellungen, Haltung<br />
und nicht zuletzt Verhalten.<br />
In den Epochen der Geschichte und besonders<br />
im Verlauf der Neuzeit wurden spezifi sche<br />
inhaltliche und formale Akzente gesetzt, wurden<br />
Kultur- und Bildungsbegriffe mit einem<br />
Schwerpunkt auf jeweils besonderen Bereichen<br />
des Wissens und der Tätigkeit entwickelt<br />
– überwiegend auf Geisteswissenschaften,<br />
Literatur und Künste.<br />
Bereits in der Antike erscheinen diese Gegensätze<br />
– zum Beispiel, wenn auch nicht<br />
ausschließlich, so doch in einer spezifi schen<br />
Akzentuierung in der Philosophie von PLATO<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
Prof. Dr. phil. Dietrich von Engelhardt<br />
(Fotoarchiv IMWG), Jahrgang 1941,<br />
studierte Philosophie, Geschichte und<br />
Slawistik in Tübingen, München und Heidelberg,<br />
war Kriminologe und Kriminaltherapeut,<br />
lehrte und forschte am Institut<br />
für Geschichte der Medizin der <strong>Universität</strong><br />
Heidelberg (Promotion zum Thema »Hegel<br />
und die Chemie. Studie zur Philosophie<br />
und Wissenschaft der Natur um 1800«<br />
1969, Habilitation über »Historisches Bewußtsein<br />
in der Naturwissenschaft von der<br />
Aufklärung bis zum Positivismus «1976).<br />
Dann nahm er den Ruf an die <strong>Universität</strong><br />
Lübeck an (1983–<strong>2007</strong> Direktor des<br />
Instituts für Medizin- und Wissenschaftsgeschichte,<br />
1993–1996 Prorektor der<br />
<strong>Universität</strong>, 2000–2004 Vorsitzender der<br />
Ethikkommission, seit 2003 Vorsitzender<br />
des Klinischen Ethikkomitees).<br />
Seit 2001 wirkt er als Vizepräsident des<br />
Landesethikkomitees Südtirol.<br />
1995 wurde er in die Deutsche Akademie<br />
der Naturforscher Leopoldina aufgenommen,<br />
war Gründungsmitglied der Akademie<br />
für Ethik in der Medizin, 1994–1998<br />
ihr Vizepräsident und 1998–2002 ihr<br />
Präsident.<br />
Seine Forschungsschwerpunkte sind: Medizin<br />
und Philosophie in der Neuzeit; Medizin<br />
in der Literatur; Naturwissenschaften<br />
und Medizin in Idealismus und Romantik;<br />
Medizin- und Wissenschaftshistoriographie;<br />
Geschichte der Medizinischen Ethik;<br />
Ethik im Medizinstudium; Umgang des<br />
Kranken mit der Krankheit (Coping).<br />
Kontakt<br />
Telefon: 0451 707998-21<br />
E-Mail: v.e@imwg.uni-luebeck.de<br />
5<br />
J AHR DER GEISTESWISSENSCHAFTEN <strong>2007</strong>
6<br />
J AHR DER GEISTESWISSENSCHAFTEN <strong>2007</strong><br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
(Geisteswissenschaften) und ARISTOTELES<br />
(Naturwissenschaften). Die Medizin hingegen<br />
zielt immer wieder auf Verbindung, wird als<br />
Wissenschaft (scientia) und Kunst (ars) verstanden,<br />
meint Wissen und Tun. Jeder Mensch<br />
soll nach antiker Auffassung nicht nur in der<br />
Literatur, Geschichte und Philosophie gebildet<br />
sein, sondern sich gleichermaßen in Fragen<br />
seines Körpers und seiner Seele auskennen,<br />
soll verantwortlich für seine Gesundheit und<br />
seine Krankheit sein.<br />
P ETRARCA AUF DEM GIPFEL DER BERGE<br />
Legendär und zugleich von bezeichnender<br />
Symbolik ist zu Beginn der Neuzeit PETRAR-<br />
CAs Besteigung des Mont Ventoux am 26.<br />
April 1336 mit seiner Begeisterung über die<br />
Schönheit der Natur auf dem Gipfel dieses<br />
Berges und seiner beschämten Abkehr in<br />
Erinnerung an die mahnenden Worte des Kirchenvaters<br />
AUGUSTINUS: »Und es gehen die<br />
Menschen hin, zu bewundern die Höhen der<br />
Berge, die ungeheuren Fluten des Meeres, die<br />
mächtigen Strömungen der Flüsse, die Weiten<br />
des Ozeans und den Kreislauf der Gestirne<br />
– und verlieren sich selbst.« (um 400 n.Chr.)<br />
Der empfundene Zauber der Natur verfl iegt,<br />
die in PETRARCA entstandene Haltung eines<br />
Naturforschers wird verdrängt von der Haltung<br />
eines Geistesforschers: »Ich betrachtete den<br />
Gipfel des Berges, und er schien kaum eine<br />
Elle hoch zu sein, verglichen mit der Tiefe der<br />
menschlichen Betrachtung.«<br />
W ISSENSCHAFT UND KUNST – UND LEBEN?<br />
Die Trennung der Naturwissenschaften und<br />
Geisteswissenschaften erfährt in jener Zeit<br />
Impulse, die bis in die Gegenwart prägend<br />
geblieben sind. Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften<br />
sowie Naturästhetik und<br />
Lebensweise oder reales Verhalten erscheinen<br />
in diesem Zeugnis von PETRARCA in der auch<br />
heute vertrauten Spannung. Immer wieder<br />
haben sich Wissenschaftler der Natur und<br />
des Geistes gegenseitig Bildung und Kultur<br />
abgesprochen, immer wieder ist es zu Divergenzen<br />
zwischen Theoretikern und Praktikern,<br />
zwischen Kunst und Leben gekommen. Von<br />
den Dispute delle Arti der Renaissance führt<br />
eine Tradition über IMMANUEL KANTs Streit<br />
der Fakultäten (1798) im ausgehenden 18.<br />
Jahrhundert zu entsprechenden Beiträgen und<br />
Positionen der Gegenwart.<br />
Vertreten wird in der Epoche der Klassik und<br />
Romantik ein enzyklopädischer und zugleich<br />
partikularer Kultur- und Bildungsbegriff, der<br />
die Brücke von den Naturwissenschaften zu<br />
den Geisteswissenschaften schlägt, die Künste<br />
einbezieht und sich auch auf die Lebensweise<br />
des Menschen auswirken soll. Es geht um<br />
Persönlichkeitsbildung als theoretische Erweiterung<br />
und seelische Stabilisierung, es geht um<br />
soziales Engagement und Verantwortung für<br />
den Umgang mit der Natur.<br />
ALEXANDER VON HUMBOLDT bezeichnet als<br />
Ziel seines Kosmos: »empirische Ansicht des<br />
Naturganzen in der wissenschaftlichen Form<br />
eines Naturgemäldes« (1844). FRIEDRICH<br />
ERNST DANIEL SCHLEIERMACHER versteht unter<br />
Bildung: »weltbildende Selbstdarstellung«<br />
(1813/14). HENRIK STEFFENS bringt theoretisches<br />
Wissen und soziales Verhalten in eine<br />
innere Verbindung: »Meine Konjugation fängt<br />
mit der zweiten Person an. Bist du nicht, will<br />
ich nicht sein. Was ist selbst Wahrheit – ohne<br />
Freundschaft?« (1799) Schönheit und Gesetzmäßigkeit<br />
der äußeren Natur können, wovon<br />
der Mediziner, Naturphilosoph und Maler<br />
CARL GUSTAV CARUS zutiefst überzeugt ist,<br />
den Menschen dazu anregen, sein »eigenes<br />
innerstes Leben zu ähnlicher Harmonie und<br />
Klarheit auszubilden« (1831).<br />
W ECHSELBEZIEHUNG UND DIALOG<br />
Die Stimmen, die sich für eine Verbindung<br />
und Wechselbeziehung der Kulturen einsetzen,<br />
brechen auch im 19. Jahrhundert nicht vollkommen<br />
ab. In den Naturwissenschaften sieht<br />
EMIL DU BOIS-REYMOND das »Organ der Kultur«,<br />
in der »Geschichte der Naturwissenschaft<br />
die eigentliche Geschichte der Menschheit«.<br />
Vor allem Naturwissenschaften sollen vom<br />
Aberglauben befreien, soziale Ungleichheit<br />
und Nationalismus überwinden: »Ist Literatur<br />
das wahre intranationale, so ist die Naturwissenschaft<br />
das wahre internationale Band der<br />
Völker« (1877).<br />
Der Horizont der sogenannten »Gebildeten«<br />
ist nach ERNST HAECKEL überaus beschränkt;<br />
den meisten unter ihnen seien Keimesge-<br />
schichte und Evolutionslehre Mystik, obwohl<br />
diese »einen größeren Schatz der wichtigsten<br />
Wahrheiten in sich bergen und eine tiefere Erkenntnis-Quelle<br />
bilden als die meisten Wissenschaften<br />
und alle sogenannten ›Offenbarungen‹<br />
zusammen« (1874). Das humanistische<br />
Bild der Wirklichkeit führt nach WILHELM<br />
OSTWALD zum Pessimismus, Naturforscher<br />
seien dagegen »konstitutive Optimisten«<br />
(1909).<br />
Mehrfach werden auch von Künstlern und<br />
Schriftstellern Verbindungen zu den Naturwissenschaften<br />
hergestellt. Nach EMILE ZOLA<br />
ist der moderne Roman »die Poesie und die<br />
Wissenschaft zugleich«, der naturalistische<br />
Schriftsteller habe »kein Moralist, sondern ein<br />
Anatom« (1893) zu sein.<br />
Philosophen und Pädagogen vertreten ähnliche<br />
Standpunkte der Vermittlung. Bildung soll<br />
sich, wie der Pädagoge EDUARD SPRANGER<br />
ausführt, den naturwissenschaftlichen und<br />
technischen Entdeckungen und Erfi ndungen<br />
öffnen, denn »auch sie sind in hohem Grade<br />
Leistungen des Geistes«. Der Altphilologe<br />
BRUNO SNELL ist überzeugt, dass nur »schlechte<br />
humanistische Bildung und schlechte<br />
naturwissenschaftliche Bildung« (1956) in<br />
einem Gegensatz zueinander stünden. Es sei<br />
heute nicht mehr möglich, führt mit ähnlichem<br />
Tenor der Bildungsforscher GEORG PICHT aus,<br />
»unter Ausschaltung der Naturwissenschaften<br />
allein auf dem Boden der Geisteswissenschaften<br />
eine legitime Bildungsidee zu entwickeln«<br />
(1953).<br />
Das 19. und 20. Jahrhundert tragen aber<br />
entscheidend zu der die heutige Gegenwart<br />
bestimmenden Trennung der Natur- und<br />
Geisteswissenschaften bei, zugleich auch zur<br />
Trennung von Theorie und Praxis, Wissen und<br />
Verhalten. Für diese Trennung sind die Natur-<br />
Francesco Petrara, ca. 1450, Firenze, Galleria degli Uffizi – vor dem Mont Ventoux in Südfrankreich
Caspar David Friedrich: »Lebensstufen«, um 1835 (Leipzig, Museum der bildenden Künste)<br />
wie die Geisteswissenschaftler verantwortlich.<br />
In gewisser Weise sind die Naturwissenschaftler<br />
nicht selten sogar geisteswissenschaftlicher<br />
als Geisteswissenschaftler naturwissenschaftlich.<br />
Der Spezialist tritt seine Herrschaft an.<br />
V ERBINDUNG WEIT ENTFERNT<br />
Weiter denn je ist die Gegenwart von einer<br />
Verbindung der Kulturen entfernt. Gebildete<br />
Gespräche oder Gespräche unter Gebildeten<br />
beziehen sich nur selten auf naturwissenschaftliche<br />
Themen; sich in Physik oder Mathematik<br />
nicht auszukennen, gilt nicht als peinlich, sondern<br />
eher als chic. Die Spezialisierung und zunehmende<br />
Indifferenz von Naturforschern gegenüber<br />
historischen und thematischen Aspekten<br />
ihrer Wissenschaft einerseits, die Betonung<br />
des spezifi sch Geistigen und das Desinteresse<br />
an der Natur und ihrer wissenschaftlichen<br />
Erforschung bei Geisteswissenschaftlern andererseits<br />
haben einem allgemeinen Bildungsbegriff<br />
entgegengestanden.<br />
Moderne Bücher zum Begriff und den Inhalt<br />
der Bildung manifestieren diese unbefriedigende<br />
Situation. Das Buch von DIETRICH<br />
SCHWANITZ Bildung: alles, was man wissen<br />
muß (1999) ist ein charakteristisches Beispiel<br />
geisteswissenschaftlich-literarischer Einseitigkeit.<br />
Ein konträrer Standpunkt wird von ERNST<br />
PETER FISCHER in seiner Monographie Die<br />
andere Bildung: Was man von den Naturwissenschaften<br />
wissen sollte (2001) vertreten.<br />
B ILDUNGSKRITIK IN DER GEGENWART<br />
Entscheidend für das Auseinanderfallen der<br />
verschiedenen Kulturen und vor allem von<br />
Naturwissenschaft und Bildung ist zudem<br />
die Wandlung der Bildung selbst. Bildung<br />
ist in sich fragwürdig geworden; FRIEDRICH<br />
NIETZSCHEs fundamentale Bildungskritik,<br />
demonstriert an den Erscheinungen des ›Bildungsphilisters‹,<br />
der ›journalistischen Bildung‹<br />
und ›mikrologischen Gelehrsamkeit‹, hat die<br />
Skepsis gegenüber der Bildung der Gegenwart<br />
vorweggenommen.<br />
N ATUR IM GEIST – GEIST IN DER NATUR<br />
Ohne Zweifel besitzt diese Entwicklung auch<br />
eine individualpsychologische, eine emotionale<br />
Grundlage; die wenigsten Menschen können<br />
sich für die Betrachtung und Erforschung der<br />
Natur ebenso begeistern – emotional und nicht<br />
nur intellektuell – wie für die Betrachtung<br />
und Erforschung der menschlichen Psyche,<br />
der sozialen Welt, der Werke der Kunst und<br />
Literatur. In dieser individuellen Disposition<br />
liegen tiefe Grenzen einer Verbindung der vier<br />
Kulturen.<br />
Bildung zielt schließlich nicht nur auf theoretisches<br />
Wissen und künstlerische Produktivität,<br />
sondern auch und vor allem auf das Verhalten<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
Notwendig für eine Veränderung,<br />
für eine integrierte Bildung des<br />
Natur- und Geistwissens, des<br />
Ästhetischen und des Lebens ist<br />
die Erkenntnis des Geistes in der<br />
Natur und der Natur im Geist, der<br />
Wissenschaft in den Künsten wie<br />
der Künste in den Wissenschaften<br />
sowie ihrer Verbindung mit dem<br />
realen Leben, mit der Haltung und<br />
Lebensweise des Menschen.<br />
(Dietrich v. Engelhardt, <strong>2007</strong>)<br />
des Menschen – auf den überzeugenden Umgang<br />
mit Geburt und Tod, mit Gesundheit<br />
und Krankheit und nicht zuletzt auch mit der<br />
unbelebten und besonders belebten Natur. Die<br />
Umwelt des Menschen ist auch seine Mitwelt;<br />
Lebenskunst meint auch Sterbekunst, Kunst<br />
des Krankseins und Kunst des Beistands. ■<br />
7<br />
J AHR DER GEISTESWISSENSCHAFTEN <strong>2007</strong>
8<br />
J AHR DER GEISTESWISSENSCHAFTEN <strong>2007</strong><br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
Was heißt und zu welchem Ende ...<br />
... studiert man Geisteswissenschaften?<br />
R AINER ENSKAT<br />
Proklamiert die zentrale wissenschaftspolitische Instanz eines Landes ein »Jahr der Geisteswissenschaften«,<br />
dann ist dies ein symbolischer Akt von notorischer Vieldeutigkeit:<br />
Haben die Geisteswissenschaften so ein Jahr nötig? Haben sie es verdient? Zielt diese symbolische<br />
Proklamation auf die beschwichtigende Kompensation eines den Geisteswissenschaftlern<br />
unterstellten wissenschaftssystematischen Minderwertigkeitskomplexes gegenüber anderen<br />
Wissenschaftsgruppen oder auf die fadenscheinige Kompensation eines schlechten förderungspolitischen<br />
Gewissens der initiierenden Instanz? Wissen die Urheber, dass sie das Echo einer<br />
mehr als hundert Jahre alten Symbolpolitik weitertragen, die im Rückgriff auf Hegels Theorie<br />
des subjektiven und des objektiven Geistes die wichtigsten methodischen, gegenstandsregionalen<br />
und logischen Binnenstrukturen der Forschung im Dunkeln lässt, wenn sie die meisten<br />
Wissenschaften diesseits der Naturwissenschaften unter dem Namen der Geisteswissenschaften<br />
zusammenfasst? Dürfen sich die Beteiligten daher überhaupt sicher sein, dass sie nicht nur dieselben,<br />
sondern vor allem auch die charakteristischen und die tragenden Binnenstrukturen der<br />
Forschung im Auge haben, wenn sie von den Geisteswissenschaften sprechen?<br />
S TRUKTUREN UND BINNENSTRUKTUREN<br />
Man wird dem höchst komplexen Unternehmen<br />
namens Wissenschaft nur dann gerecht<br />
werden können, wenn man sowohl bei jeder<br />
einzelnen Wissenschaft wie bei jeder einzelnen<br />
Wissenschaftsgruppe sorgfältig deren<br />
gegenstandsregionale, methodische und<br />
logische Binnenstrukturen von den externen<br />
Strukturen unterscheidet, um deretwillen<br />
Forschungsresultate wissenschaftlicher Arbeit<br />
in die alltägliche Lebenswelt integriert werden.<br />
Mangelnde Sorgfalt in diesen Punkten<br />
kann erfahrungsgemäß recht schnell zu<br />
wildwüchsigen Entwicklungen führen, die<br />
Verfallserscheinungen nicht nur innerhalb der<br />
Wissenschaft, sondern auch in jener alltäglichen<br />
Lebenswelt nach sich ziehen, die in der<br />
Gegenwart und ebenso in der Zukunft immer<br />
nur von der möglichst besten wissenschaftlichen<br />
Forschung wirklich profi tieren kann.<br />
G EGENSTANDSREGIONALE BINNENSTRUKTUREN<br />
Wie jede andere empirisch arbeitende Wissenschaftsgruppe,<br />
so suchen und fi nden die Geisteswissenschaften<br />
die materiellen Substrate<br />
(Papier, Leinwand, Tinte, Farbe, leibhaftige<br />
Menschen) ihrer genuinen Gegenstände – also<br />
von Dokumenten, Zeugnissen, Denkmälern<br />
und von leibhaftigen Verhaltensweisen von<br />
Menschen – in demselben Raum-Zeit-Kontinuum,<br />
in dem auch die Naturwissenschaften<br />
ihre Gegenstände suchen und fi nden. Im<br />
Gegensatz zu den genuinen Gegenständen der<br />
Naturwissenschaften haben die der Geistes-<br />
»Wo weht er denn, der Geist? Die Frage<br />
hat sich schon der Stuttgarter Philosoph<br />
Georg Wilhelm Friedrich Hegel gestellt.<br />
Im Winter 1806/07, also vor genau 200<br />
Jahren, legte er letzte Hand an seine ›Phänomenologie<br />
des Geistes‹. Hegel war auf<br />
der Suche nach dem Verbindenden in einer<br />
als widerständig und zerrissen erfahrenen<br />
Welt. Ihren inneren Zusammenhang nannte<br />
er Geist, die Lehre davon Wissenschaft,<br />
den Weg dorthin Bildung.«<br />
Michael Bienert<br />
Stuttgarter Zeitung, 13. Dezember 2006,<br />
Seite 29<br />
wissenschaften jedoch einen anderen ontologischen<br />
Status: Sie werden erst von Menschen<br />
als das gestaltet, was sie sind. Wegen dieser<br />
anthropomorphen und anthropogenen Formate<br />
ihrer Gegenstände heißen sie im anglo-amerikanischen<br />
Sprachraum humanities. Die für<br />
sie charakteristische Gegenstandsregion ist<br />
daher die Geschichte – die vergangene oder<br />
die gegenwärtige –, nicht die Natur.<br />
Den klassischen Kern der Geisteswissenschaften<br />
bilden die philologischen, die literaturwissenschaftlichen<br />
und die historischen<br />
Disziplinen. Ihre genuinen Gegenstände sind<br />
die mit sprachlichen bzw. nicht-sprachlichen<br />
Mitteln gestalteten Dokumente, Zeugnisse<br />
und Denkmäler der Geschichte. Öffnet man<br />
den Kreis der Geisteswissenschaften zudem<br />
für die Sozialwissenschaften einschließlich<br />
der Psychologie, gehören auch die mit sprachlichen<br />
und nicht-sprachlichen – stets aber leib-<br />
haftigen – Mitteln gestalteten Verhaltensweisen<br />
der Menschen der jeweils gegenwärtigen<br />
Geschichte zu den genuinen Gegenständen der<br />
Geisteswissenschaften.<br />
M ETHODISCHE BINNENSTRUKTUREN<br />
Die Geisteswissenschaften thematisieren,<br />
untersuchen und erforschen ihre Gegenstände<br />
unter Aspekten, die mit den Leitaspekten<br />
der Naturwissenschaften nicht das geringste<br />
gemeinsam haben. Diese Aspekte sind den<br />
Geisteswissenschaften dadurch vorgegeben,<br />
dass ihre Gegenstände – im Gegensatz zu<br />
denen der Naturwissenschaften – stets auch<br />
die Funktion eines Mediums der Teilhabe<br />
aller Menschen an gemeinsamen anthropomorphen<br />
und anthropogenen Strukturen und<br />
Erfahrungen besitzen: Die Geisteswissenschaftler<br />
haben als Menschen an denselben<br />
Strukturen und Erfahrungen teil wie die Urheber<br />
der Gestalten der Gegenstände, die sie thematisieren,<br />
untersuchen und erforschen – an<br />
der Sprache, an der Gesellschaft, an der Technik,<br />
an der Politik, an der Kunst, an der Religion,<br />
an der Wissenschaft. Diese kollektive<br />
Teilhabe ist die mindeste, die wichtigste und<br />
die charakteristische Voraussetzung dafür,<br />
dass die diversen geisteswissenschaftlichen<br />
Methoden des Verstehens, Interpretierens,<br />
Auslegens, Erklärens und Deutens sowohl von<br />
Dokumenten, Zeugnissen und Denkmälern<br />
der Vergangenheit wie von Verhaltensweisen<br />
der Gegenwart erfolgreich geübt werden können.<br />
L OGISCHE BINNENSTRUKTUREN<br />
Das wichtigste logische Strukturmerkmal<br />
aller wissenschaftlichen Arbeit wird selbstverständlich<br />
auch in den Geisteswissenschaften<br />
kultiviert: die Ausarbeitung von Hypothesen<br />
und die Arbeit mit Hypothesen. Diese hypothetisch<br />
strukturierte Arbeit ist so verwirrend<br />
kompliziert, dass man gut daran tut,<br />
wenigstens die logische Minimalstruktur von<br />
Hypothesen nicht weniger zu berücksichtigen<br />
als deren methodische Minimalfunktion. Die<br />
logische Minimalstruktur wird am deutlichsten<br />
im Spiegel ihres sprachlichen Klartextes:<br />
Stets gehört ein Wenn-dann-Satz zur sprachlichen<br />
Vollform einer Hypothese.<br />
Die methodische Minimalfunktion von Hypothesen<br />
zeigt sich indessen am klarsten in dem<br />
Umstand, dass jedes wissenschaftliche Untersuchungsresultat<br />
eine Antwort auf eine Frage<br />
liefert, die einen mehr oder weniger großen<br />
rätselhaften Ausschnitt der Wirklichkeit zum
Thema macht. In den Naturwissenschaften ist<br />
es die Wirklichkeit der physischen Phänomene,<br />
in den Geisteswissenschaften die Wirklichkeit<br />
der sprachlichen, der künstlerischen,<br />
der technischen, der politischen, der religiösen<br />
und der gesellschaftlichen Phänomene, aus<br />
der die Forschung ihren Untersuchungen<br />
rätselhafte Realitätsausschnitte durch solche<br />
Fragen zugänglich werden lässt.<br />
»Die Geisteswissenschaftler erklären,<br />
wenn die Naturwissenschaften etwa über<br />
die Entstehung des Willens im Hirn forschen,<br />
was Willensfreiheit philosophisch<br />
bedeutet.«<br />
Christoph Markschies<br />
taz, 12. Januar <strong>2007</strong>,<br />
Seite 22<br />
Wer eine solche Frage stellt, signalisiert, dass<br />
er (noch) nicht weiß, aus welcher Regel, aus<br />
welchem (statistischen) Gesetz, aus welchen<br />
Intentionen, aus welchen Motiven bzw. aus<br />
welchen personalen Dispositionen, kurz:<br />
aus welchem Geist man das thematisierte<br />
rätselhafte Phänomen verständlich machen,<br />
erklären, deuten oder interpretieren kann<br />
– gleichgültig, um was für ein anthropomorphes<br />
oder anthropogenes Phänomen es sich<br />
handelt. Doch der wichtigste und der charakteristische<br />
wissenschaftliche Schritt auf dem<br />
Weg der Beantwortung einer solchen Frage<br />
besteht in der Bildung einer – oder mehr als<br />
einer – Hypothese über Faktoren, aus denen<br />
das jeweils rätselhafte Phänomen erklärt, verständlich<br />
gemacht, gedeutet oder interpretiert<br />
werden kann: Wenn das rätselhafte Phänomen<br />
auf den hypothetisch unterstellten Faktor<br />
zurückgeführt werden kann, dann ist es verständlich,<br />
erklärt, gedeutet, interpretiert.<br />
Die logische Pointe, die an der wenn-dann-<br />
Struktur von Hypothesen so klar ablesbar<br />
wird, zeigt sich in dem Umstand, dass Hypothesen<br />
erlauben, die Wahrheitsfrage sowohl<br />
ihrer wenn-Sätze wie ihrer dann-Sätze offenzuhalten.<br />
Das ist vor allem deswegen nötig,<br />
»Der Literaturwissenschaftler Ernst<br />
Robert Curtius lehnte 1920 einen Ruf an<br />
die Technische <strong>Universität</strong> Aachen ab, weil<br />
er nicht von dem Professor für Heizung und<br />
Lüftung mit ›Herr Kollege‹ angeredet werden<br />
wollte.«<br />
Moritz Schuller<br />
Der Tagesspiegel, 28. Januar <strong>2007</strong>,<br />
Seite 1<br />
weil die wichtigsten Inhalte insbesondere<br />
ihrer wenn-Sätze – also Regeln, (statistische)<br />
Gesetze, Intentionen, Motive und personale<br />
Dispositionen – grundsätzlich nicht direkt<br />
beobachtbar sind, sondern nur indirekt mit<br />
Hilfe von Indizien und Symptomen und daher<br />
auch nur im Rahmen von (unquantifi zierten<br />
oder quantifi zierten) Wahrscheinlichkeitsschätzungen<br />
erfasst werden können. Doch die<br />
indikatorische Basis und die Wahrscheinlichkeitskomponente<br />
des wenn-Satzes überträgt<br />
sich auf die ganze Hypothese und sämtliche<br />
mit ihrer Hilfe erzielbaren Untersuchungsresultate.<br />
Der Bedingungszusammenhang zwischen<br />
dem durch Indizien gestützten Faktor<br />
des wenn-Satzes und dem ursprünglichen rätselhaften<br />
Phänomen ist daher stets nur mehr<br />
oder weniger stark indiziert und daher auch<br />
nur mehr oder weniger wahrscheinlich. Auch<br />
die am besten indiziengestützte Hypothese<br />
und die mit der größten Wahrscheinlichkeit<br />
verbundene Hypothese hört nicht auf, eine<br />
Hypothese zu sein.<br />
Das gilt zum Beispiel für philologische und<br />
literaturwissenschaftliche Hypothesen über<br />
Faktoren, aus denen erklärt oder verständlich<br />
gemacht werden kann, dass beispielweise<br />
Goethe in Gretchens Gebet im Faust gegen<br />
alle Lehrbuchregeln »Schmerzensreiche« auf<br />
»neige« reimt; es gilt auch für sozialwissenschaftliche<br />
Hypothesen über Faktoren, aus<br />
denen erklärt oder verständlich gemacht werden<br />
kann, dass beispielsweise das generative<br />
Verhalten unverheirateter israelischer Frauen<br />
»90 Prozent aller Senior-Studenten<br />
studieren ein geisteswissenschaftliches<br />
Fach. In Ruhestand getretene Ärzte, Diplom-Volkswirte<br />
und Ingenieure erfüllen<br />
sich endlich ihren Lebenstraum, studieren<br />
etwa Theologie, Philosophie und Geschichte.«<br />
Wolfgang Bergsdorf<br />
Rheinischer Merkur, 14. Juni <strong>2007</strong>,<br />
Seite 26<br />
signifi kant vom entsprechenden Verhalten<br />
entsprechender Frauen in anderen modernen<br />
Gesellschaften abweicht; es gilt ebenso für<br />
historische Hypothesen über Faktoren, aus<br />
denen erklärt oder verständlich gemacht<br />
werden kann, dass zum Beispiel Pompeius’<br />
Heer in der Schlacht bei Pharsalos trotz seiner<br />
vielfachen Überlegenheit eine Niederlage<br />
durch Caesars Heer erlitten hat; und es gilt<br />
nicht weniger für musikwissenschaftliche<br />
Hypothesen über die Faktoren, aus denen etwa<br />
verständlich gemacht oder erklärt werden<br />
kann, dass Mozart in der Rolle der Königin<br />
der Nacht im 1. Akt der Zauberfl öte einen<br />
offensichtlichen dramaturgischen und musikalischen<br />
Bruch komponiert hat.<br />
Es gehört indessen zur Wissenschaftlichkeit<br />
auch der geisteswissenschaftlichen Arbeit,<br />
dass der hypothetische Charakter ihrer Resultate<br />
niemals aufhört und daher auch niemals<br />
vernachlässigt werden sollte. Diesen Resultaten<br />
liegen nun einmal stets Fragen zugrunde,<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
durch die stets nur hinreichend kleine rätselhafte<br />
Ausschnitte der ganzen geschichtlichen<br />
Wirklichkeit umrissen werden. Daher<br />
müssen diese Resultate und die sie leitenden<br />
Hypothesen ständig mit Bewährungsproben<br />
rechnen, wie sie durch rätselhafte oder widerspenstige<br />
Faktoren aus der noch unzureichend<br />
oder noch gar nicht erforschten Wirklichkeit<br />
jenseits dieser Ausschnitte induziert werden.<br />
Doch da kein Mensch jemals die ganze<br />
Wirklichkeit erfassen kann – weder die ganze<br />
Wirklichkeit der Natur noch die der Geschichte<br />
– kann keine Hypothese der wissenschaftlichen<br />
Arbeit jemals aufhören, eine revidierbare<br />
Hypothese zu sein, auch wenn sie sich noch so<br />
gut bewährt hat. Jede derartige Bewährung ist<br />
immer nur vorläufi g.<br />
E XTERNE STRUKTUREN<br />
Die wissenschaftsexternen, also die praktischen<br />
und insbesondere die politischen<br />
Strukturen, um deretwillen Forschungsresultate<br />
auch geisteswissenschaftlicher Arbeit in<br />
die alltägliche Lebenswelt integriert werden<br />
können und sollten, sind während des vergangenen<br />
Jahrhunderts ausführlich und äußerst<br />
kontrovers erörtert worden. Diese Erörterungen<br />
haben allerdings regelmäßig erheblich<br />
darunter gelitten, dass sie immer wieder mit<br />
mehr oder weniger verkappten Totalitätsansprüchen<br />
auf Erkenntnis der geschichtlichen,<br />
insbesondere der gesellschaftlichen und der<br />
politischen Wirklichkeit sowie mit durchaus<br />
unverblümten Monopolansprüchen auf Aufklärungsfunktionen<br />
und emanzipatorische<br />
Funktionen einzelner Geisteswissenschaften<br />
verbunden worden sind. Doch solange die<br />
Klarheit über die elementaren Binnenstrukturen<br />
der geisteswissenschaftlichen Arbeit<br />
nicht hinreichend verbreitet ist, wird die nicht<br />
weniger dringliche Klarheit über diese externen<br />
Strukturen keine erheblichen Fortschritte<br />
machen können. Stellt man die symbolische<br />
Funktion des »Jahres der Geisteswissenschaften«<br />
gebührend in Rechnung, dann wäre daher<br />
schon viel gewonnen, trüge es wenigstens zu<br />
einer breiteren und tieferen Klärung dieser<br />
elementaren Binnenstrukturen bei. ■<br />
Prof. Dr. Rainer Enskat,<br />
Jahrgang 1943, studierte an den <strong>Universität</strong>en<br />
Hamburg, Marburg und Göttingen<br />
Philosophie, Politische Wissenschaft und<br />
Soziologie. Er lehrte und forschte u. a.<br />
an den <strong>Universität</strong>en Köln und Freiburg.<br />
1984 wurde er als <strong>Universität</strong>sprofessor<br />
nach Heidelberg berufen. Seit 1992 ist er<br />
Professor für Philosophie (Schwerpunkt:<br />
Theoretische Philosophie) an der MLU. Er<br />
ist Mitglied des Direktoriums des<br />
Interdisziplinären Zentrums für die Erforschung der Europäischen<br />
Aufklärung und war von Januar 2005 bis Januar <strong>2007</strong><br />
Geschäftsführender Direktor des IZEA.<br />
Telefon: 0345 55-24392,<br />
E-Mail: rainer.enskat@phil.uni-halle.de<br />
9<br />
J AHR DER GEISTESWISSENSCHAFTEN <strong>2007</strong>
10<br />
U NIVERSITÄTSGESCHICHTE<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
»Anfangsgründe aller Mathematik ...«<br />
Die ersten Vorlesungen von Christian Wolff 1707 in <strong>Halle</strong><br />
J ÜRGEN STOLZENBERG<br />
»Als ich nach <strong>Halle</strong> kam gegen des Ende des 1706ten Jahres fand ich den Zustand anders, als<br />
ich ihm gewünscht hätte. Die Mathematick war eine unbekannte und ungewohnte Sache, von<br />
der Solidität hatte man keinen Geschmack und in der Philosophie dominierte H. Thomasius,<br />
dessen Sentiment aber und Vortrag nicht nach meinem Geschmack waren.« (Christan Wolff:<br />
Biographie, Hildesheim 1980, Seite 146)<br />
So erinnert sich Christian Wolff in seiner Autobiographie an seine ersten <strong>Halle</strong>nser Jahre. An<br />
die <strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong> war Wolff Anfang November 1706 als ordentlicher Professor für Mathematik<br />
berufen worden. In der von König Friedrich Wilhelm I. mit Datum vom 2. November<br />
1706 eigenhändig unterschriebenen und mit dem »Königl. Gnadensiegel« versehenen Bestallungsurkunde<br />
für Christian Wolff heißt es:<br />
»...nachdem zeithero die Professio Mathematices ordinaria in Facultate Philosophica auf<br />
unserer <strong>Universität</strong> zu <strong>Halle</strong> nicht besetzet gewesen, und uns Christian Wolf, wegen seiner<br />
Erudition, Capacität in Mathematicis und guten Qualitäten allerunterthänigst gerühmet worden<br />
[…] sind wir dannenhero bewogen worden, ermeldten Wolf zum Professore Matheseos bey<br />
unserer <strong>Universität</strong> zu <strong>Halle</strong> anzunehmen und zu bestellen.« (ebenda, Beilagen, Seite 6)<br />
Die »allerunterthänigste« Empfehlung ging vor allem auf Leibniz zurück, der Wolffs Habilitationsschrift<br />
»Über allgemeine praktische Philosophie« und insbesondere seine frühen mathematischen<br />
und astronomischen Studien kannte und schätzte.<br />
Wolffs Berufung war ein wissenschafts- und<br />
universitätspolitisch bedeutsamer Schritt:<br />
Christian Wolff war der erste, der die Physik<br />
aus der Domäne der Medizin befreite, als<br />
deren Anhängsel sie bisher betrachtet und in<br />
<strong>Halle</strong> von Medizinern wie Friedrich Hoffmann<br />
und Ernst Georg Stahl gelehrt wurde.<br />
Wolff nahm seine Vorlesungstätigkeit an der<br />
Fridericiana mit Beginn des Sommersemesters<br />
1707 auf. Für dieses Semester kündigte<br />
er, wie dem gedruckten Lektionskatalog zu<br />
entnehmen ist, eine öffentliche Vorlesung<br />
über Hydraulik um 9 Uhr vormittags an<br />
(siehe Faksimile rechts), sodann eine private,<br />
d. h. nur gegen Entrichtung eines Hörergeldes<br />
zu besuchende Vorlesung über weltliche<br />
und sakrale Baukunst und über Mechanik<br />
und schließlich eine Vorlesung über die dafür<br />
notwendigen Grundlagen der Arithmetik und<br />
Geometrie. Darüber hinaus, so ließ Wolff<br />
seine künftigen Zuhörer wissen, werde er<br />
auch die mathematische Methode darstellen,<br />
um damit insbesondere zu zeigen, auf welche<br />
Weise sie in allen erdenklichen Disziplinen<br />
angewendet werden könne, um sowohl verborgene<br />
Wahrheiten aufzusuchen als auch zur<br />
Beurteilung der gefundenen Wahrheiten und<br />
deren stimmige Anordnung anzuleiten.<br />
D IE MATHEMATISCHE METHODE ...<br />
... war in der universitären Landschaft ein<br />
Novum. Ihre Anwendung auf alle wissenschaftlichen<br />
Disziplinen – und das heißt: der<br />
streng axiomatische Aufbau der Theorien, die<br />
sorgfältige Defi nition aller operativen Begriffe<br />
und der unter Verwendung der Axiome<br />
und Defi nitionen konstruierte argumentative<br />
Zusammenhang aller Lehrsätze und ihrer<br />
Beweise –, das war das Innovative, sozusagen<br />
das Markenzeichen, unter dem Wolff in <strong>Halle</strong><br />
auftrat. Und das ist auch der Hintergrund, vor<br />
dem Wolffs rückblickende kritische Beschreibung<br />
der Situation an der <strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong><br />
und insbesondere seine spitze Bemerkung zu<br />
Christian Thomasius’ »Sentiment und Vortrag«,<br />
dessen Vorlesungen ganz auf eine populäre<br />
und pragmatisch-praktische Darstellung<br />
angelegt waren, zu sehen sind.<br />
Auch in den folgenden Semestern las Wolff<br />
über Mathematik, genauer muss man sagen,<br />
über reine und angewandte Mathematik. So<br />
kündigte er für das Wintersemester 1707/08<br />
eine Vorlesung über Hydrostatik sowie über<br />
Wärme- Luft- und Wasserdruckmessung an.<br />
Im Wintersemester 1709/10 las er über Baukunst,<br />
Verteidigungs- und Bewässerungsanlagen.<br />
Damit vertrat Wolff offensichtlich<br />
einen weiten, auf praktische Anwendbarkeit<br />
gerichteten Begriff von Mathematik. Das<br />
bestätigt sein mathematisches Hauptwerk,<br />
die »Anfangsgründe aller mathematischen<br />
Wissenschaften«, das er, durch seinen zunehmenden<br />
Lehrerfolg ermutigt, zuerst 1710 in<br />
drei umfangreichen Bänden in <strong>Halle</strong> veröffentlichte.<br />
Sie erschienen bis 1757 in sieben<br />
immer wieder überarbeiteten und erweiterten<br />
Auflagen. Man darf sie als ein umfassendes<br />
Kompendium zu Wolffs frühen Vorlesungen<br />
in <strong>Halle</strong> ansehen. Wolffs »Anfangsgründe«<br />
wurden für mehr als ein halbes Jahrhundert<br />
zum beliebtesten und meistgelesenen mathematischen<br />
Lehrbuch, das über die damaligen<br />
Lehrbücher und Einführungen weit<br />
hinausging und vor allem auch von denen<br />
geschätzt wurde, die die lateinische Sprache<br />
nicht beherrschten. Hier fand der Leser<br />
im ersten Band neben einer Einführung in<br />
die von Wolff propagierte mathematische<br />
Lehrart eine Darstellung der Grundlagen<br />
der Arithmetik, Geometrie, Trigonometrie<br />
und Baukunst. Der zweite Band macht mit<br />
den Anfangsgründen der Artillerie bzw.<br />
Geschützkunst, als Vorbereitung für die<br />
Fortifikation bzw. Kriegsbaukunst bekannt,<br />
Mechanik, Hydrostatik, Aërometrie und<br />
Hydraulik schließen sich an. Der dritte Band<br />
bietet eine Einführung in die Grundlagen<br />
der Optik, der Catoptrik (Lehre von Spiegeln),<br />
der Dioptrik (Lehre von der Strahlenbrechung),<br />
der Perspektive, der sphärischen<br />
Trigonometrie, der Astronomie, Geographie,<br />
Chronologie und schließlich der Gnomonik<br />
(Wissenschaft von Sonnenuhren).<br />
» ... DER GRÖSSTE TEIL<br />
DER IRDISCHEN GLÜCKSELIGKEIT ...«<br />
In der Vorrede zum ersten Band legt Wolff<br />
den theoretischen und praktischen Nutzen der<br />
Mathematik dar, und man darf annehmen,<br />
dass dies auch die ›Ouvertüre‹ zu seiner ersten<br />
Vorlesung in <strong>Halle</strong> war. Die mathematischen<br />
Wissenschaften nämlich sind es, so führt er<br />
im Sinne des neuzeitlichen Wissenschaftsverständnisses<br />
aus, die die Grundlagen für die<br />
Erkenntnis der Gesetze der Natur ermöglichen.<br />
Aber ebenso für das praktische Leben,<br />
meint Wolff, sind die mathematischen Wissenschaften<br />
unentbehrlich: Wer nicht rechnen<br />
kann, kann nicht haushalten, und wer nichts<br />
von Geometrie, von Baukunst, Mechanik und<br />
Hydraulik versteht, der wird es als »Haus-<br />
Vater«, also als Verwalter von Gebäuden und<br />
Anwesen, nicht weit bringen. Das konnte<br />
den nicht wenigen jungen Studenten von<br />
Adel nicht gleichgültig sein. Aber auch als<br />
Reisender, sei es als Bildungsreisender oder<br />
als Diplomat in Staatsdiensten, muss man<br />
mathematische Kenntnisse besitzen: Ohne<br />
Kenntnisse der mathematischen Grundlagen<br />
der Baukunst und Hydraulik wird man weder<br />
die Nützlichkeit noch die Schönheit von profanen<br />
und sakralen Bauwerken oder Parkanlagen<br />
mit ihren Wasserspielen verstehen und<br />
bewundern können; und ohne Astronomie<br />
und Optik wird man sich auf Reisen bei Tage<br />
und bei Nacht nicht orientieren können. Und<br />
auch die »Kammer-Herren« in Verwaltungen<br />
sowie die Juristen in den Fakultäten und alle<br />
Künstler können ihr Metier ohne gründliche<br />
Kenntnis der mathematischen Disziplinen<br />
nicht ausüben:
Schaubild zu den »Anfangsgründen der Aërometrie«,<br />
in: Christian Wolff, Gesammelte Werke, I. Abteilung<br />
− Deutsche Schriften, Band 13: Anfangsgründe aller<br />
mathematischen Wissenschaften, zwischen den Seiten<br />
906 und 907, Georg Olms Verlag Hildesheim New<br />
York 1999<br />
»Mit einem Worte, der größte Teil der irdischen<br />
Glückseligkeit ist auf der Mathematik<br />
erbauet.«<br />
Methodische Grundlage ist die »geometrische<br />
Methode«, von der Wolff in seiner<br />
ersten Vorlesung ausführlich handelte. Der<br />
»Kurtze Unterricht, von der Mathematischen<br />
Methode, oder Lehrart« der »Anfangsgründe«<br />
orientiert über die verschiedenen Arten<br />
von Definitionen und Begriffen und klärt die<br />
Bedeutung und die Funktion von Axiomen,<br />
Postulaten und Beweisen. Die »Arithmetik«<br />
führt sodann in die Grundrechenarten ein und<br />
gelangt über die Lehre von arithmetischen<br />
und geometrischen Proportionen bis zum<br />
Rechnen mit Quadrat- und Kubikwurzeln.<br />
»LUST ZUR GEOMETRIE«<br />
»Ich wünsche allen, die dies lesen werden«,<br />
so schreibt Wolff in seiner Einführung in die<br />
Geometrie, »Lust zur Geometrie«. Die Lust<br />
zur Geometrie resultiert aus der Eleganz der<br />
Beweise und dem Reichtum ihrer Anwen-<br />
Zur weiteren Lektüre empfohlen:<br />
• Christian Wolff: Anfangsgründe aller mathematischen<br />
Wissenschaften, <strong>Halle</strong> 1710. Nachdruck der 7. Auflage<br />
1770–1757, Hildesheim 1999<br />
• Christan Wolff: Biographie, Hildesheim 1980<br />
dung. Davon hat Wolff in seinen frühen Vorlesungen<br />
und den »Anfangsgründen« zahlreiche<br />
Beispiele gegeben. Seine Einführung<br />
in die Geometrie umfasst die klassischen<br />
Theorien der ebenen Flächen sowie der regelmäßigen<br />
und unregelmäßigen geometrischen<br />
Körper.<br />
An sie schließt die »Trigonometrie« an.<br />
Der Ruhm, der dieser Wissenschaft für den<br />
Siegeszug der neuzeitlichen Naturwissenschaften,<br />
insbesondere der Astronomie und<br />
Geographie, zukommt, ist in der Sicht Wolffs<br />
nicht hoch genug zu schätzen: »Wir wüßten<br />
nichts von der Größe der Sterne, ihrer Entfernung<br />
von der Erde, ihrer Bewegung, denen<br />
Sonn- und Mondfinsternissen, der Größe<br />
der Erdkugel und andern unzehligen Dinger<br />
mehr, wenn wir nicht diese Wissenschaft<br />
hätten.« Hier entwickelt Wolff die Lehre der<br />
Winkelfunktionen von Sinus, Cosinus, Tangens<br />
und Cotangens und gibt einige Proben<br />
von ihrer Anwendung bei der Bestimmung<br />
der Lage, Höhe oder Entfernung von geometrischen<br />
Orten bzw. Körpern im Raum. Im<br />
Anschluss an die Lehre von der arithmetischen<br />
und geometrischen Proportion führt er<br />
in das Rechnen mit Logarithmen ein. Wolffs<br />
Verdienst für die mathematische Bildung seiner<br />
Zeit ist es, Begriffe wie Winkel, Oberfläche,<br />
Zylinder und Gleichung eingeführt und<br />
dauerhaft etabliert zu haben. Erst mit Wolffs<br />
Lehrbüchern konnte in den Schulen und<br />
<strong>Universität</strong>en ein systematisch aufgebauter<br />
Mathematikunterricht Fuß fassen.<br />
Die profane wie sakrale Baukunst – utraque<br />
Architectura – waren das Thema von Wolffs<br />
Vorlesung im Wintersemester 1709/10. Er<br />
breitete vor seinen Hörern ein reichhaltiges<br />
Material aus, das – more geometrico demonstrata<br />
– die theoretischen und praktischen<br />
Prinzipien der Baukunst entwickelt und von<br />
der Anleitung zur Herstellung von Baumaterialien<br />
über die Konstruktion der Teile eines<br />
Gebäudes bis zum Bau von Wendeltreppen<br />
und der nützlichen Ausstattung von Zimmern<br />
reicht – nicht zuletzt, wie Wolff betont, um<br />
»viele Fehler«, die »an wichtigen Gebäuden<br />
begangen worden, und noch begangen werden«,<br />
zu vermeiden.<br />
Die Lehrsätze der Geometrie und Trigonomtrie<br />
fanden in derselben Vorlesung in der<br />
»Fortifikation«, der »Kriegs-Bau-Kunst«,<br />
bei der Konstruktion von Festungsanlagen<br />
Anwendung, die freilich die Artillerie, die<br />
»Wissenschaft des Geschützes, welches man<br />
in Belagerung der Festungen zu gebrauchen<br />
pflegt«, voraussetzt.<br />
Nicht ohne Stolz verwies Wolff in seinen<br />
»Anfangsgründen« darauf, dass er der Erfinder<br />
einer neuen mathematischen Disziplin,<br />
der »Aërometrie«, der »Wissenschaft, die<br />
Luft zu messen«, sei. Darüber las Wolff zum<br />
ersten Mal im Wintersemester 1707/08. Diese<br />
neue Wissenschaft hat Wolff in seinen »Aërometriae<br />
elementa« von 1709 systematisch<br />
ausgearbeitet. Damit verbindet sich ein wei-<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
teres Novum. Wolff war einer der ersten, der<br />
in seinen Vorlesungen physikalische Experimente<br />
durchführte. In der Aërometrie-Vorlesung<br />
waren es vor allem Experimente mit der<br />
Luftpumpe, zu der die »Anfangsgründe«sogar<br />
eine Bauanleitung geben. Darüber hinaus hat<br />
Wolff das Mikroskop in seinen Vorlesungen<br />
als erster und für lange Zeit als einziger in<br />
Deutschland verwendet.<br />
Es war Zar Peter I., der Christian Wolff vor<br />
allem wegen seiner hervorragenden naturwissenschaftlichen<br />
Kenntnisse an den Hof<br />
zu St. Petersburg holen wollte, »damit er<br />
jemanden um sich hätte, den er in mathematicis<br />
und physicis gleich fragen könnte, wenn<br />
ihm etwas vorkäme ...« (Biographie, Seiten<br />
149/150). Wolff, der sich als Philosoph verstand,<br />
lehnte »geziemend« ab.<br />
■<br />
»Christian Freyherr von Wolff« (1679−1754),<br />
unbekannter Maler, 1. Drittel des 18. Jahrhunderts,<br />
Öl auf Leinwand, 25 x 18 cm<br />
Das kleinformatige Gemälde mit originalem Goldrahmen<br />
ist in der Forschung unbekannt.<br />
(Zentrale Kustodie, Inv.-Nr.: MLU-M 321)<br />
Prof. Dr. Jürgen Stolzenberg,<br />
Jahrgang 1948, studierte 1967–1979<br />
Germanistik und Philosophie an den<br />
<strong>Universität</strong>en Köln und Heidelberg, war<br />
1974–1978 Stipendiat der Studienstiftung<br />
des deutschen Volkes, 1978–1990<br />
wiss. Assistent an der PH Münster,<br />
Abteilung Westfalen-Lippe (Promotion<br />
1982) und an der <strong>Universität</strong> Göttingen,<br />
nach Habilitation 1993 und Lehrtätigkeit<br />
in Prag und Tübingen ist er seit 1998<br />
Philosophieprofessor an der MLU, seit 2000 Direktoriumsmitglied des<br />
IZEA, seit 2003 Präsident der Internationalen Johann Gottlieb Fichte-<br />
Gesellschaft e. V., seit 2004 Mitglied des Vorstandes der Kant-Gesellschaft<br />
e.V. sowie Gutachter für die DFG, den DAAD und die Alexander<br />
von Humboldt-Stiftung.<br />
Telefon: 0345 55-24390, E-Mail: juergen.stolzenberg@phil.uni-halle.de<br />
11<br />
U NIVERSITÄTSGESCHICHTE
12<br />
U NIVERSITÄTSGESCHICHTE<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
Bruder Studiosus, Bruder Professor<br />
Freimaurer an der <strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong> im 18. Jahrhundert<br />
R ENKO GEFFARTH<br />
Freimaurer an der <strong>Universität</strong> – ein Gegenstand, der bei dem einen oder anderen Leser Verwunderung<br />
auslösen mag, gelten die Freimaurer doch zumeist als eine geheime Gesellschaft, deren<br />
Mitglieder ebenso wenig bekannt sind wie das, was sie in ihren Versammlungen verhandeln;<br />
Eigenschaften, die kaum mit dem akademischen Leben vereinbar scheinen. Was sind und was<br />
waren also Freimaurer?<br />
Zunächst einmal stellen die Freimaurer eine<br />
Vereinigung von Männern – in der Gegenwart<br />
auch Frauen – dar, die sich als Erben einer<br />
allgemein aufgeklärt-humanistischen Tradition<br />
betrachten und besonderen Wert legen auf<br />
Geselligkeit, Karitativität, Bildung und Beziehungspfl<br />
ege. Darüber hinaus hat die Freimaurerei<br />
aber eine lange Geschichte, deren<br />
Anfänge noch hinter das hier in Rede stehende<br />
18. Jahrhundert zurückreichen und die auch in<br />
<strong>Halle</strong> ihre Spuren hinterlassen hat.<br />
N ICHT GEHEIM – NUR DISKRET<br />
Im 18. und 19. Jahrhundert war eine große<br />
Zahl bedeutender Männer Mitglied einer<br />
Freimaurerloge, unter ihnen Goethe ebenso<br />
wie Friedrich II. von Preußen, ein Umstand,<br />
auf dem vielfältige Konspirationsthesen aufgebaut<br />
wurden, etwa über den angeblichen<br />
Einfl uss der Freimaurer auf die amerikanische<br />
Verfassung. Diese Theorien entbehren jeder<br />
seriösen Grundlage, haben aber immer wieder<br />
zu Verbot und Verfolgung in vielen nichtdemokratischen<br />
Staaten geführt. Die Freimaurer<br />
und die ihnen verwandten Vereinigungen sind<br />
heute wie damals keine geheimen, sondern<br />
Mehr über Freimaurer in <strong>Halle</strong>:<br />
lediglich diskrete Gesellschaften, und tatsächlich<br />
gehörte es besonders im 18. Jahrhundert<br />
gewissermaßen zum ›guten Ton‹, in einer<br />
diskreten Gesellschaft engagiert oder wenigstens<br />
Mitglied zu sein. Zugleich führte die<br />
Diskretion zusammen mit Statuten, in denen<br />
konfessionelle Neutralität und Gleichheit aller<br />
Mitglieder – aller ›Brüder‹ – unabhängig von<br />
Stand und Ansehen festgeschrieben waren,<br />
immer wieder zu re pressiven Maßnahmen seitens<br />
der jeweiligen Obrigkeiten und der Kirchen.<br />
Insgesamt können die Freimaurerlogen<br />
zu Recht als eine der bedeutendsten Vergesellschaftungsformen<br />
des 18. Jahrhunderts gelten.<br />
L EHRLINGE, GESELLEN UND MEISTER EINER<br />
GÖTTLICHEN ARCHITEKTUR<br />
Entstanden ist die Freimaurerei, wie wir sie<br />
im 18. Jahrhundert auch in <strong>Halle</strong> antreffen, im<br />
Schottland des 17. Jahrhunderts aus den Bruderschaften<br />
der Steinmetze, der ›masons‹. Die<br />
Logen, in denen sie sich versammelten, waren<br />
bald auch für solche Interessenten zugänglich,<br />
die gar keinem entsprechenden Beruf nachgingen,<br />
sie wurden dann ›gentlemen masons‹.<br />
Friedrich August Eckstein: Geschichte der Freimaurer-Loge im Orient<br />
von <strong>Halle</strong>. Eine Festgabe zur Secularfeier der Loge zu den drei Degen,<br />
<strong>Halle</strong> 1844<br />
Werner Piechocki: Die Anfänge der Freimaurerei in <strong>Halle</strong>.<br />
Studenten- und Professorenlogen, in: Erich Donnert (Hg.),<br />
Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfordt.<br />
sieben Bände, Weimar/Köln/Wien 1997–<strong>2007</strong>.<br />
Band 4: Deutsche Aufklärung (1997), Seiten 479–486<br />
Holger Zaunstöck: Die halleschen Aufklärungsgesellschaften im<br />
18. Jahrhundert. Eine Strukturanalyse, in: Erich Donnert (Hg.),<br />
Europa in der Frühen Neuzeit. Band 5: Aufklärung in Europa (1999),<br />
Seiten 43–63<br />
Der entscheidende Faktor war dabei die<br />
Vorstellung von einer göttlichen Universalwissenschaft,<br />
die man in der Architektur und<br />
besonders der Geometrie zu fi nden glaubte,<br />
weshalb von Gott als dem »höchsten Baumeister<br />
der Welt« die Rede war. Als Mitglied<br />
einer Freimaurerloge wähnte man sich einer<br />
höheren Weisheit nahe, die als Geheimwissen<br />
in Einweihungsritualen weitergegeben werden<br />
sollte. Wie dies geschah, durfte nicht schriftlich<br />
festgehalten werden – ein Grundsatz, von<br />
dem erst im 18. Jahrhundert abgewichen wurde.<br />
Die Einweihung wurde in mehreren Schritten<br />
vollzogen, den Graden Lehrling, Geselle<br />
und Meister, und ihr Inhalt war letztlich die<br />
symbolische Erbauung des biblischen Salomonischen<br />
Tempels, die im Meistergrad vollendet<br />
wurde. Die Bildung einer Loge war in diesem<br />
Verständnisrahmen die Voraussetzung für die<br />
Erkenntnis göttlicher Weisheit.<br />
Im Laufe des 18. Jahrhunderts haben die<br />
Freimaurer zentrale Elemente aufklärerischen<br />
Denkens übernommen, oder ihre ›Weltanschauung‹<br />
war damit wenigstens weitgehend<br />
vereinbar. So ist etwa der Gedanke religiöser<br />
Indifferenz als Toleranz im aufklärerischen<br />
Sinne interpretierbar, dasselbe gilt für die<br />
ständeübergreifende Mitgliedschaft. Demgegenüber<br />
entwickelten sich seit der Mitte<br />
des 18. Jahrhunderts spezielle ›Hochgrade‹<br />
in der sogenannten schottischen Maurerei,<br />
woraus immer neue Systeme entstanden,<br />
die miteinander wetteiferten um die Qualität<br />
der Weisheiten, die sie zu besitzen glaubten.<br />
Damit schwand der egalitäre Charakter der<br />
Freimaurerei, denn die höheren Grade führten<br />
neue Hier archien und Unterscheidungen in den<br />
Logen ein.<br />
A US DEN SCHOTTISCHEN WURZELN<br />
EIN EUROPÄISCHER BAUM<br />
Die Freimaurerei in ihrer organisierten Form<br />
entstand seit dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts<br />
zunächst in England. Mit der Bildung<br />
einer ›Großloge‹ als Organisation mehrerer<br />
einzelner Logen in London im Jahre 1717<br />
begann die übergreifende Institutionalisierung,<br />
die in der Drucklegung der ›Constitutions‹ des<br />
Pfarrers James Anderson 1723 einen deutlichen<br />
Ausdruck fand. Innerhalb weniger Jahre<br />
verbreitete sich die Freimaurerei auf dem<br />
europäischen Kontinent; im deutschsprachigen<br />
Raum fasste sie 1737 Fuß mit der Gründung<br />
der ersten Loge in Hamburg. Durch die Aufnahme<br />
auch hochrangiger Adliger bis hin zu<br />
regierenden Fürsten erreichten die Freimaurer<br />
bald alle gesellschaftlichen Schichten und<br />
Stände. Mit der Gründung zahlreicher Logen
Wappen der Freimaurerloge »Zu den drei goldenen Schlüsseln«, <strong>Halle</strong> 1743–1749<br />
an größeren und kleineren Orten ging eine<br />
stetig wachsende Zahl von Mitgliedern einher<br />
– im Laufe des 18. Jahrhunderts waren einige<br />
tausend Männer Mitglied einer oder mehrerer<br />
solcher diskreter Gesellschaften.<br />
L OGENLEBEN AN DER SAALE<br />
Die erste in <strong>Halle</strong> gegründete Loge mit dem<br />
Namen »Zu den drei goldenen Schlüsseln«<br />
entstand Ende 1743 als Zusammenschluss<br />
von Studenten, hauptsächlich der Rechte, die<br />
bereits vorher in anderen Logen, also nicht<br />
in <strong>Halle</strong>, in die Gesellschaft aufgenommen<br />
worden waren. Zunächst wurde die obligatorische<br />
Genehmigung der Logengründung bei<br />
der Großloge »Zu den drei Weltkugeln« in<br />
Berlin eingeholt, und da die Berliner Loge ein<br />
vergleichbares Patent der Londoner Großloge<br />
besaß, reihte sich die hallesche Loge in diese<br />
Tradition ein. Bis 1749 versammelten sich<br />
in <strong>Halle</strong> Studenten und Professoren, darunter<br />
der angesehene Jurist Daniel Nettelbladt, in<br />
der Loge »Zu den drei goldenen Schlüsseln«<br />
und ›arbeiteten‹ in den drei ersten Graden der<br />
Freimaurerei. Von besonderen Anlässen sind<br />
Logenreden erhalten, die – ohne Nennung des<br />
Autors – gedruckt in den Buchhandel kamen.<br />
Sie berühren Gegenstände, die einer breiten<br />
Leserschaft zugänglich gemacht werden konnten,<br />
etwa Apologien auf den staatstragenden<br />
Charakter der Freimaurerei, ohne jedoch etwas<br />
über die Inhalte der Logenarbeit oder die<br />
Namen der Mitglieder preiszugeben.<br />
Im Jahre 1756 wurde unter dem Namen<br />
»Philadelphia«eine neue Loge gegründet,<br />
deren Mitglieder keine Verbindung zur ersten<br />
Loge hatten. Auch diesmal waren es vor allem<br />
Studenten, die wieder eine Erlaubnis der<br />
Berliner Großloge einholten, aber wie zuvor<br />
wurden im Laufe der Jahre auch Professoren<br />
Logenmitglieder. Von 1759 bis etwa 1764 war<br />
der in der Freimaurergeschichte notorische<br />
Anhalt-Köthensche Superintendent Philipp<br />
Samuel Rosa Vorsitzender der Loge Philadelphia.<br />
Er gründete eine besondere Loge, ein<br />
»Clermontsches Kapitel«, die erste Hochgradloge<br />
in <strong>Halle</strong>, in der ausgewählte ›Brüder‹ die<br />
Geheimnisse der paracelsistischen Prinzipien<br />
Sal, Sulphur und Mercurius ergründeten. Rosa<br />
wurde aus der halleschen Loge schließlich<br />
wegen seiner enormen Spesenrechnungen<br />
ausgeschlossen, die Loge schloss sich einem<br />
anderen System an und wurde daraufhin von<br />
der Berliner Großloge für aufgehoben erklärt.<br />
P ROFESSORALE LOGENBRÜDER<br />
Eine Neugründung unter dem Namen »Zu den<br />
drei Degen« war zunächst wenig erfolgreich:<br />
Ihre Versammlungen ruhten über ein Jahrzehnt,<br />
und erst 1778 nahm sie ihre Tätigkeit<br />
wieder auf. Diese Loge war dann bis weit<br />
ins 19. Jahrhundert hinein aktiv und zählte<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
eine Vielzahl von Studenten und Professoren<br />
zu ihren Mitgliedern; unter den Professoren<br />
waren die Mediziner Johann Friedrich Goldhagen<br />
und Johann Christian Reil, die Juristen<br />
Johann Christian Woltär und noch einmal<br />
Daniel Nettelbladt sowie der Weltreisende und<br />
Naturforscher Johann Reinhold Forster. Der<br />
in den 1780er Jahren in <strong>Halle</strong> lesende Theologe<br />
Carl Friedrich Bahrdt, der wegen seiner<br />
›radikalen‹ Anschauungen vielfach mit der<br />
<strong>Universität</strong> und dem Landesherrn in Konfl ikt<br />
geriet, war kein Logenmitglied, trat aber durch<br />
die Gründung einer eigenen Gesellschaft, der<br />
»Deutschen Union«, mit der Freimaurerloge in<br />
Konkurrenz – ein Beispiel, wie sich universitäre<br />
und freimaurerische Interessen überlagern<br />
konnten, ohne dass die eine Ebene inhaltlich<br />
mit der anderen in Zusammenhang stehen<br />
musste.<br />
D IE LOGE ALS FORUM<br />
Wenngleich es an der <strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong> im<br />
18. Jahrhundert wohl keine unmittelbar den<br />
Freimaurerlogen zuzurechnenden wissenschaftlichen<br />
oder politischen Entwicklungen<br />
gab, waren sie doch in hohem Maße Versammlungen<br />
gebildeter Eliten: Rund zwei<br />
Drittel ihrer Mitglieder waren Studenten oder<br />
Professoren, nur ein Drittel gingen nichtakademischen<br />
Berufen nach. In absoluten Zahlen<br />
waren es in der Loge »Zu den drei goldenen<br />
Schlüsseln« mehr als 60, in der Loge »Philadelphia«<br />
über 90 und in der Loge »Zu den drei<br />
Degen«gar etwa 150 Mitglieder, die in der<br />
einen oder anderen Weise mit der <strong>Universität</strong><br />
verbunden waren. Die Studenten bildeten<br />
dabei stets die größte Gruppe der Logenmitglieder,<br />
und sie hatten hier ein Forum, in<br />
dem sie ihren Kommilitonen und Lehrern als<br />
›Brüder‹ begegnen und sich mit ihnen abseits<br />
obrigkeitlicher Aufsicht austauschen konnten<br />
– neben dem offi ziellen Vorlesungsbetrieb<br />
spielte sich ein Teil des akademischen und studentischen<br />
Lebens in <strong>Halle</strong> im 18. Jahrhundert<br />
im diskreten Raum der Freimaurerlogen ab.<br />
■<br />
Dr. Renko Geffarth,<br />
Jahrgang 1974, studierte Geschichte und<br />
Chemie in Marburg, Leipzig und <strong>Halle</strong> und<br />
wurde 2004 in <strong>Halle</strong> promoviert mit einer<br />
religions- und sozialhistorischen Arbeit<br />
über den Geheimorden der Gold- und<br />
Rosenkreuzer. Er arbeitet derzeit am Interdisziplinären<br />
Zentrum für die Erforschung<br />
der Europäischen Aufklärung im Rahmen<br />
der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />
geförderten Forschergruppe 529 zu<br />
»<strong>Halle</strong> als religionsgeschichtlichem Ort 1740–1800«.<br />
Telefon 0345 55-21785, E-Mail: renko.geffarth@izea.uni-halle.de<br />
13<br />
U NIVERSITÄTSGESCHICHTE
14<br />
J AHR DER GEISTESWISSENSCHAFTEN <strong>2007</strong><br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
Armenien, Deutschland und die Türkei<br />
Beitrag der halleschen Geisteswissenschaften<br />
zum künftigen Europa<br />
H ERMANN GOLTZ<br />
Die deutschen Geisteswissenschaften sahen in ihren besseren Zeiten ihr Allereigenstes darin,<br />
sich dem »Fremden« im Sinne der Selbsterkenntnis zu öffnen. Sie waren damals auch nicht<br />
unbedingt die ›Magd‹ oder die viel zu spät gerufene Feuerwehr der Politik, vielmehr dienten<br />
umgekehrt Diplomaten und Politiker oft noch der Wissenschaft und behielten so auch einen klareren<br />
Blick in der Politik.<br />
Professor Hermann Goltz bei seiner Ehrenpromotion<br />
an der Staatlichen <strong>Universität</strong> Jerewan in Armenien<br />
im April <strong>2007</strong> (Foto: Detlef Goller)<br />
Die Deutsche Morgenländische Gesellschaft,<br />
deren Bibliothek seit 1845 ihren festen Platz in<br />
<strong>Halle</strong> hat, war in vielem ein spätes Beispiel für<br />
diese Haltung. Für die heutigen Geisteswissenschaften<br />
und für ein zukünftiges Europa ist<br />
die Wiedergewinnung dieses unabhängig forschenden<br />
Blickes auf das »Morgenland« von<br />
höchster Bedeutung. Ohne die Kulturen des<br />
Orients, vor allem die des morgenländischen<br />
Christentums, wäre unsere abendländische<br />
Kultur samt den vielgerühmten ›westlichen<br />
Werten‹ nicht existent. So ist für das Verständnis<br />
unserer westlichen Kultur eine grundlegend<br />
neue, eine umgekehrte Perspektive vonnöten,<br />
um nicht in einem wissenschaftlich sublimierten<br />
Kreuzritter-Denkmuster zu verharren.<br />
Die heutige, zu starke Exklusivität der Islamwissenschaften<br />
in der Orientalistik entspricht<br />
diesem Denkmuster, welches die Pluralität<br />
des Orients aus der westlichen Wahrnehmung<br />
verdrängt und der Missachtung bedeutender<br />
Minderheiten Vorschub leistet.<br />
D IE ›WIEDERENTDECKUNG‹ ARMENIENS IN HALLE<br />
In seinen theologisch-konfessionskundlichen<br />
Forschungen zu den morgenländisch-christlichen<br />
Kulturen stieß der Verfasser in thematischer<br />
Nachbarschaft zum Ost-Römischen<br />
(›Byzantinischen‹) Imperium bald auf Armenien,<br />
das in Deutschland seit dem Völkermord<br />
an den Armeniern im Osmanisch-Türkischen<br />
Reich konsequent durch Politik und die dieser<br />
hörigen Wissenschaft verdrängt wurde. Der<br />
Ausgangspunkt für die ›Wiederentdeckung‹<br />
Armeniens in <strong>Halle</strong> war die Erforschung des<br />
Nachlasses des unangepassten evangelischen<br />
Theologen Dr. Johannes Lepsius (1858–1926),<br />
der wirkungsvoll für das Überleben des armenischen<br />
Volkes gekämpft hat. Dieses großartige<br />
Lebenswerk hatte Lepsius, dessen Familie<br />
zur preußischen geisteswissenschaftlichen Elite<br />
im Umfeld eines Alexander von Humboldt<br />
gehörte, in seinem Pfarramt im kleinen Friesdorf<br />
(heute Sachsen-Anhalt) begonnen.<br />
Z WISCHEN HOCHKULTUR UND GENOZID<br />
Durch die Katastrophen seiner Geschichte hindurch<br />
blieb das zu großen Teilen ausgerottete<br />
und über die Welt verstreute armenische Volk<br />
Träger eines unabhängigen Geistes und einer<br />
eigenen christlichen Hochkultur zwischen den<br />
Imperien des Ostens und des Westens. Armenien<br />
ist eine der tragenden Säulen unter dem<br />
Dach der Menschheitskultur – fraglos eine<br />
prachtvolle und unverwechselbare Säule, die<br />
aber auch an ihren tiefen Narben zu erkennen<br />
ist. Die bis heute lebendige und widerständige<br />
armenische Hochkultur ist ein Forschungsfeld,<br />
auf dem die Geisteswissenschaften auch<br />
in Zukunft vieles zu entdecken haben. Die<br />
armenisch-christliche Kultur entstand, als das<br />
Christentum noch nicht Staatsreligion des<br />
Römischen Reichs war. Jahrhunderte später<br />
bildete sich der Islam heraus und wurde in<br />
Das historische Lepsius-Haus in Potsdam (Foto: Archiv)<br />
seinen künstlerischen Formen spürbar auch<br />
von der orientalisch-christlichen Hochkultur<br />
der Armenier inspiriert. Das armenische Volk<br />
lebte weit über ein Jahrtausend gemeinsam<br />
in einer fruchtbaren und leidensreichen Symbiose<br />
mit Muslimen aller Couleur und trug,<br />
nutzbringend für alle, zur Modernisierung des<br />
osmanischen Imperiums bei. Es unterstützte<br />
wirkungsvoll die westlich orientierten »Jungtürken«<br />
und damit die konstitutionelle türkische<br />
Revolution von 1908 in der Hoffnung auf<br />
Demokratisierung und allgemeine Menschenrechte.<br />
Und es wurde schließlich im Genozid<br />
von 1915 Opfer der nationalistischen und rassistischen<br />
»Jungtürken«-Diktatur .<br />
D AS ZENSIERTE VERBRECHEN<br />
Mit Rücksicht auf ihre militärischen Ziele des<br />
1. Weltkriegs nahm die Regierung des Deutschen<br />
Reichs in Berlin die Vernichtung des<br />
armenischen Volkes und seiner einzigartigen<br />
christlichen Hochkultur durch den türkischen<br />
Bundesgenossen letztlich hin – trotz aller<br />
Proteste und unwiderleglichen Berichte, die<br />
entsetzte deutsche Diplomaten aus Konstantinopel,<br />
Aleppo, Erzurum und anderen Orten<br />
des Osmanischen Reiches an das Auswärtige<br />
Amt in der Wilhelmstraße sandten.<br />
Das Thema Armenien wurde vielmehr unter<br />
deutsche Zensur gestellt, um das magnum crimen<br />
des türkischen Bundesgenossen mit dem<br />
Mantel des Schweigens zuzudecken. Dann<br />
schwiegen, auch nach Aufhebung der Zensur,<br />
90 Jahre lang alle deutschen Regierungen<br />
offi ziell über den Genozid am armenischen<br />
Volk, dessen Gedächtnis jährlich am 24. April<br />
weltweit begangen wird. Am 24. April 1915<br />
war die auch mit den deutschen Geisteswissenschaften<br />
eng verbundene armenische Elite<br />
in Konstantinopel verhaftet, dann ins Innere<br />
Anatoliens abtransportiert und ermordet worden.<br />
Das Schweigen erfuhr in Deutschland im<br />
Herbst 1933 (!) eine kurze Unterbrechung: als<br />
der Wiener jüdische Schriftsteller Franz Werfel<br />
auf der Grundlage der Dokumentationen<br />
von Johannes Lepsius und der französischen
Marine-Archive im Zsolnay-Verlag in Wien<br />
und Leipzig sein großes Armenier-Epos »Die<br />
vierzig Tage des Musa Dagh« erscheinen ließ.<br />
Doch das Buch wurde – wie sein Autor – bald<br />
in die Emigration getrieben. Anti-armenische<br />
und anti-jüdische Ressentiments verbanden<br />
und verbinden sich bis heute noch in manchem<br />
deutschen und türkischen Kopf.<br />
H ISTORISCHER MOMENT 2005<br />
Ein negativer Höhepunkt des durch das<br />
deutsche Schweigen bestärkten deutschen<br />
Ungeists war am 22. August 1939 der<br />
›beruhigende‹ Satz Adolf Hitlers auf dem<br />
Obersalzberg vor seinen Oberbefehlshabern,<br />
als er im Zusammenhang mit der geplanten<br />
Vernichtung der gesamten polnischen Bevölkerung<br />
sagte: »Wer redet heute noch von der<br />
Vernichtung der Armenier?« (vgl.: Akten zur<br />
deutschen auswärtigen Politik 1918–1945<br />
aus dem Archiv des Deutschen Auswärtigen<br />
Amtes, Baden-Baden 1956, Seite 171).<br />
Es war daher in dieser unerträglichen<br />
Geschichte des Schweigens der deutschen<br />
Politik ein längst fälliger, historischer Schritt,<br />
als im Frühsommer 2005 alle Fraktionen des<br />
Deutschen Bundestags in einer offi ziellen<br />
Resolution der Opfer des Völkermords an<br />
den Armeniern gedachten und die Rolle des<br />
Osmanischen und des Deutschen Reichs<br />
kritisch beleuchteten (Text der Armenien-<br />
Resolution in der Drucksache des Deutschen<br />
Bundestags Nr. 15/5689 vom 15. Juni 2005).<br />
Die Forschungen des Johannes-Lepsius-<br />
Archivs an der Theologischen Fakultät der<br />
<strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg<br />
bildeten die Basis dafür. Bisher war an diesem<br />
heiß umstrittenen Punkt auch in Deutschland<br />
die Politik der Verdrängung die ›Meisterin‹<br />
der Geisteswissenschaften. Die Armenien-<br />
Resolution des Deutschen Bundestages ist<br />
aber ein hoffnungsvolles Symbol dafür, dass<br />
unabhängige Geisteswissenschaften im Dialog<br />
mit der Politik aus manchen Sackgassen der<br />
Vergangenheit und Gegenwart heraushelfen<br />
können. Deutschland hat in der Armenien-<br />
Frage endlich europäischen Standard erreicht,<br />
das heißt die Position, die das Europäische<br />
Parlament dazu einnimmt. Nun hat das geistige<br />
und das politische Deutschland auch das<br />
Recht und die Pfl icht, sich um die deutscharmenisch-türkische<br />
Aussöhnung zu bemühen.<br />
Dies ist eine der exemplarischen Aufgaben<br />
auf dem gemeinsamen Weg zu einem Europa<br />
der Zukunft, die ohne die Geisteswissenschaften<br />
nicht zu lösen ist.<br />
Z WISCHEN VERSÖHNUNG UND MORD<br />
Wie weit die potenziellen Partner noch voneinander<br />
entfernt sind, zeigte am 19. Januar<br />
<strong>2007</strong> der Istanbuler Mord an dem armenischen<br />
Publizisten Hrant Dink, einem von dem Literatur-Nobelpreisträger<br />
Orhan Pamuk hochgeschätzten<br />
türkischen Staatsbürger, der in der<br />
Türkei in einer sehr versöhnlichen Weise für<br />
den türkisch-armenischen Dialog eingetreten<br />
war und nun ein spätes Opfer des Genozids<br />
geworden ist. In dem trotzdem fortzuführenden<br />
Prozess historischer Klärung und Versöhnung<br />
geht es letztlich um die Erreichung demokratischer<br />
Standards und die Einhaltung nicht<br />
lediglich ›europäischer‹, sondern allgemeinmenschlicher<br />
Werte. Dieser Prozess geht ohne<br />
die führende Beteiligung von unabhängigen<br />
Geisteswissenschaften nicht voran – ansonsten<br />
werden die aktuellen politischen, ökonomischen<br />
und militärischen ›Orient-Interessen‹<br />
des Westens die notwendige Entwicklung stets<br />
wieder stören.<br />
Doch diese geisteswissenschaftliche Aufgabe<br />
beschränkt sich nicht nur auf Forschungsarbeit<br />
im engeren Sinn. Wesentlich ist auch,<br />
den exemplarischen Fall des Völkermords an<br />
den Armeniern als verbindlichen Bestandteil<br />
in den Schulunterricht der Bundesländer<br />
zu integrieren. Da Sachsen-Anhalt für die<br />
Kultusministerkonferenz der Länder die wissenschaftlichen<br />
und kulturellen Kontakte zu<br />
Armenien federführend koordiniert, läge es<br />
hier sehr nahe, den ersten großen Völkermord<br />
des 20. Jahrhunderts in die Rahmenpläne des<br />
Schulunterrichts aufzunehmen, zumal im Jahre<br />
<strong>2007</strong> zwischen Sachsen-Anhalt und Armenien<br />
gerade ein Schüleraustausch beginnt, der<br />
Anstoß sein sollte, die Geschichte zwischen<br />
den beiden Völkern auf der für die Zukunft<br />
entscheidenden geistigen Ebene, der Schule,<br />
offenzulegen.<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
Der Autor in der Russischen Orthodoxen Hauskirche in den Franckeschen Stiftungen, Haus 24 (Foto: privat)<br />
In einem spannungsreichen Dialog zwischen<br />
einer deutsch-armenischen Initiativgruppe<br />
und türkischen Diplomaten wird seit einigen<br />
Jahren der Wiederaufbau des Lepsiushauses<br />
in Potsdam betrieben, das von der sowjetischen<br />
Armee beschlagnahmt worden war.<br />
Die Rekonstruktion des Hauses wurde vom<br />
halleschen Lepsius-Archiv angeregt. Unter<br />
Mitarbeit hallescher Geisteswissenschaftler<br />
aus Theologie und Orientalistik entsteht eine<br />
Stätte des gemeinsamen Gedächtnisses, ein<br />
Ort internationaler Forschung und ein Raum<br />
für den interkulturelle Dialog. Damit haben<br />
die halleschen Geisteswissenschaften an diesem<br />
ungelösten, exemplarischen internationalen<br />
Problempunkt eine Vorreiterrolle für eine<br />
anspruchsvolle, heute noch immer nicht ungefährliche<br />
Aufgabe übernommen, ohne deren<br />
Lösung das künftige Europa nicht geschaffen<br />
und eine europäische Nachbarschaftspolitik<br />
nicht verwirklicht werden kann.<br />
■<br />
Prof. Dr. Hermann Goltz,<br />
Jahrgang 1946, leitet das Seminar für<br />
Konfessionskunde der Orthodoxen Kirchen<br />
an der Theologischen Fakultät der MLU.<br />
Nach dem Studium der Theologie und<br />
Studien in Slawistik, Byzantinistik und<br />
Orientalistik forschte und lehrte u. a. in<br />
Russland, Georgien, Armenien, Israel, in<br />
der Türkei, im Libanon, Italien, Frankreich<br />
und Österreich. In Genf leitete er die Studienabteilung<br />
der Conference of European<br />
Churches (CEC) und wirkte in Zusammenarbeit mit dem World Council of<br />
Churches (WCC) und dem römisch-katholischen Consilium Conferentiarum<br />
Episcopalium Europae (CCEE) aktiv an Versöhnungsbegegnungen auf<br />
dem Balkan und im Transkaukasus mit. In <strong>Halle</strong> baute er das Johannes-<br />
Lepsius-Archiv auf. Zusammen mit der Armenologin PD Dr. Armenuhi<br />
Drost-Abgarjan und dem armenischen Theologen Prof. Dr. Hacik Gazer<br />
gründete er das Mesrop Zentrum für Armenische Studien. Neben anderen<br />
hohen Auszeichnungen wurde er im April <strong>2007</strong> zum Ehrendoktor der<br />
Staatsuniversität Jerewan promoviert.<br />
Telefon: 0345 55-23030, E-Mail: hermann.goltz@theologie.uni-halle.de<br />
15<br />
J AHR DER GEISTESWISSENSCHAFTEN <strong>2007</strong>
16<br />
J AHR DER GEISTESWISSENSCHAFTEN <strong>2007</strong><br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
»Herausforderung Mensch«<br />
<strong>Halle</strong>sches Denk- und Netzwerk<br />
zum »Jahr der Geisteswissenschaften <strong>2007</strong>«<br />
H ARTMUT WENZEL UND JAN METZNER<br />
Unter dem Motto »Herausforderung Mensch« wurde – als Teil des durch die Robert Bosch<br />
Stiftung unterstützten Programms »Denkwerk. Schüler, Lehrer und Wissenschaftler vernetzen<br />
sich« – von geisteswissenschaftlichen Instituten der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg<br />
und Gymnasien und Sekundarschulen aus dem südlichen Sachsen-Anhalt ein Netzwerkprojekt<br />
entwickelt. Um Inhalte und Arbeitsformen geisteswissenschaftlicher Forschung in die Schulen<br />
zu bringen, fließen beachtliche Fördersummen für die Kooperation zwischen Schulen und <strong>Universität</strong>en.<br />
Fünf Teilprojekte sind unter dem Thema »Herausforderung Mensch« vereint und nahmen nach<br />
einem Starthilfe-Workshop erfolgreich ihre Arbeit auf. Die MLU leistet mit diesem Projektverbund<br />
einen gewichtigen Beitrag zum Wissenschaftsjahr <strong>2007</strong>, das der Förderung der Geisteswissenschaften,<br />
dem »ABC der Menschheit«, gewidmet ist.<br />
Das Netzwerkprojekt ermöglicht interessierten<br />
Schülerinnen und Schülern höherer<br />
Klassenstufen in <strong>Halle</strong> und in der Region an<br />
acht geisteswissenschaftlichen Instituten und<br />
Einrichtungen der MLU in betreuten eigenen<br />
Projekten erste Erfahrungen mit wissenschaftlicher<br />
Arbeit. Bei Schnuppertagen und Schülerkolloquien<br />
informierten sie sich bereits über<br />
die Angebote; nun folgende Projekttage stellen<br />
konkrete Beispiele für die Forschungspraxis<br />
vor und regen so eine längere intensive Arbeit<br />
in geisteswissenschaftlichen Schülerprojekten<br />
an. Die Ergebnisse werden später in einem<br />
Schülerkongress präsentiert.<br />
Gesamtkoordination und -dokumentation obliegen<br />
den Verfassern dieses Beitrags.<br />
Die teilnehmenden Schüler(innen) wählen<br />
zwischen Aufgaben in fünf Teilprojekten,<br />
die – jedes für sich genommen – anschaulich<br />
belegen, dass Geisteswissenschaftler nicht nur<br />
Bücher lesen, um neue Bücher zu schreiben,<br />
sondern dass und wie sie die soziale, kulturelle<br />
und historische Wirklichkeit erforschen.<br />
A RCHÄOLOGIE IN MITTELALTER UND NEUZEIT<br />
Das Teilprojekt »Archäologie des Mittelalters<br />
und der Neuzeit – Alltagsgeschichte und<br />
Überlebensstrategien 500–1700« (Leitung:<br />
Prof. Dr. Hans-Georg Stephan und Dr. des.<br />
Sonja König) will die Schüler(innen) durch<br />
handgreifl ichen Kontakt mit Hinterlassenschaften<br />
unserer Vorfahren für vergangene<br />
Lebenswelten und uns zunehmend fremd werdende<br />
Kulturen und (Über)-Lebensstrategien<br />
von der Frühgeschichte bis zur frühen Neuzeit<br />
sensibilisieren. Ausgrabungen in verlassenen<br />
mittelalterlichen Dörfern im Weserbergland<br />
erlauben vielfältige Einblicke in geistesgeschichtliche<br />
Fragestellungen und in die<br />
technisch, natur- und geowissenschaftlich<br />
geprägten Methoden der Dokumentation von<br />
Bodenbefunden. Archäologische Funde ver-<br />
mitteln den Kontakt zur Vergangenheit anders<br />
als das geschriebene Wort.<br />
Im Idealfall können die Interessenten historisch-archäologische<br />
Themen behandeln und<br />
Grabungsfunde (Keramik, Metall, Knochen,<br />
Glas, Baustoffe etc.) aufarbeiten, an denen sie<br />
selbst beteiligt waren. Ein weiteres Ziel ist<br />
der Vergleich historischer Entwicklungen im<br />
engeren Lebensraum Mitteldeutschlands und<br />
Westdeutschlands in der Alltagskultur.<br />
C ICERO & LYSIAS<br />
Das Teilprojekt der Klassischen Philologie<br />
»Cicero Paroli bieten, Lysias widerlegen«<br />
(Leitung: Dr. phil. Marcus Beck) widmet sich<br />
dem manipulativen Moment antiker Redekunst.<br />
Im Zentrum der antiken rhetorischen<br />
Ausbildung stand die Fähigkeit des Redners,<br />
unabhängig von deren Legitimität oder Illegitimität,<br />
die Zuhörer für die Interessen der<br />
von ihm vertretenen Partei zu gewinnen. Der<br />
Athener Lysias und der Römer Cicero galten<br />
bereits in der Antike als Meister persuasiver<br />
Adressatenlenkung. Anhand ausgewählter<br />
Passagen der beiden Redner und am Beispiel<br />
moderner Reden werden die Schüler(innen)<br />
mit Methoden und Strategien rhetorischer Hörermanipulation<br />
vertraut gemacht. Sie gewinnen<br />
einen Einblick in die rhetorische Theorie<br />
und lernen Methoden der philologischen<br />
Textanalyse und -interpretation kennen. Spä-<br />
Logo der Bosch-Stiftung zum »Denkwerk«-Programm<br />
ter schlüpfen sie in die Rollen der Gegner von<br />
Lysias bzw. Cicero und konzipieren Gegenreden.<br />
Sie versuchen praktisch, sich derselben<br />
persuasiven Strategien wie ihre »Gegner« zu<br />
bedienen und refl ektieren so über den manipulativen<br />
Charakter der Rhetorik. Abschließend<br />
ist die kritische Auseinandersetzung mit einer<br />
aktuellen Politikerrede – im Beisein des Akteurs<br />
– geplant.<br />
F REMDE FREUNDE?<br />
Im interdependenten »globalen Dorf« (Mc<br />
Luhan) kommt es infolge von Globalisierung<br />
und elektronischer Kommunikation immer<br />
häufi ger zu Kontakten mit Menschen anderer<br />
Kulturen. Diesem Phänomen ist das Teilprojekt<br />
»Interkulturelle Kompetenz – Kontakt<br />
mit Fremden« (Leitung: Dr. Hanne Schönig<br />
[Koordinatorin], Dr. Uta Eichler, PD Dr. Lars-<br />
Eric Petersen, M. A. Daniela Pscheida und M.<br />
A. Sascha Trültzsch) gewidmet. Dabei spielt<br />
ein zu Unsicherheit, Vorurteilen, Stereotypen<br />
und Klischees geronnenes Halbwissen oft eine<br />
performative Rolle. Solche sozial-kognitiven<br />
Prozesse empirisch zu durchdringen und refl<br />
exiv zu bearbeiten, trägt dazu bei, derartige<br />
gesellschaftliche Phänomene besser zu verstehen<br />
und hilfreiches Orientierungswissen für<br />
zukünftiges Handeln bereitzustellen.<br />
Mit aktueller Brisanz wird kulturell determiniertes<br />
Eigen- und Fremdverstehen untersucht.<br />
Den Schüler(innen) bietet sich die Chance,<br />
auf der Basis theoretischer Grundlagen eigene<br />
Forschungsprojekte zu entwickeln und zu<br />
bearbeiten.<br />
Kompetenz durch Korrespondenz<br />
Im Rahmen des Soziologie-Projekts wird auch ein Korrespondenzzirkel gegründet,<br />
um interessierte und begabte Schüler(innen) der Oberstufe an Fragestellungen<br />
des Fachs heranzuführen. Lehrer(innen) können – in enger Anbindung an aktuelle<br />
Forschungen – durch Korrespondenzzirkel ihre Fachkompetenz stärken.<br />
Der Korrespondenzzirkel Soziologie läuft im Denkwerk-Projekt in der Pilotphase;<br />
er wird nach Abschluss des Projekts mit interessierten Lehrkräften fortgeführt.<br />
http://www.mk-intern.bildung.lsa.de/bildung/er-korrespondenzzirkel.pdf
Zur interkulturellen Kompetenz gehört neben<br />
der fundierten Kenntnis der betrachteten<br />
Kultur (u. a. über textbasierte und empirische<br />
Erarbeitung von Landeskunde und -geschichte,<br />
Alltagskultur, religiösen Regeln und Vorschriften)<br />
das Verständnis der eigenen Kultur.<br />
Was ist hier selbstverständlich, was gehört<br />
zu einem guten bzw. gelingenden Leben?<br />
Wie gelangen wir zu Ansichten, Mei nun gen,<br />
Überzeugungen, warum relativieren wir sie<br />
wieder? Die Unterscheidung von relativistischen<br />
Positionen und einem universalistischen<br />
Standpunkt, der sich an alle Men schen richtet<br />
und für alle erkennbar ist, bildet einen theoretischen<br />
Ansatz (der Philo sophie), der hier<br />
fruchtbar gemacht werden kann. Vor dem<br />
Hintergrund der eigenen Identität erschließen<br />
sich die Schüler(innen) analytische und hermeneutische<br />
Methoden.<br />
Mittels experimenteller Methoden werden<br />
Entstehung und Existenz gängiger Stereotype<br />
und Prozesse sozialer Diskriminierung<br />
gegenüber Minoritäten, Andersgläubigen,<br />
Ausländer(inne)n u. a. dingfest gemacht. Mit<br />
Methoden sozialwissenschaftlicher Befragung<br />
wird der Einfl uss bestehender Stereotype/<br />
Vorurteile auf Aufnahme, Speicherung und<br />
Erinnerung neuer Informationen über die betreffenden<br />
Personen und Gruppen untersucht.<br />
Im Kontext interkultureller Kontakte ist auch<br />
zu fragen, wie sich moderne Gesellschaften<br />
ihrer Werte vergewissern und welchen Beitrag<br />
die Medien als Instrumente der Selbstbeobachtung<br />
leisten. Wie erscheint die Bundesrepublik<br />
Deutschland als multikulturelle<br />
Einwanderungsgesellschaft? Wie werden<br />
Mitbürger(innen) mit Migrationshintergrund<br />
dar gestellt, wie ihre ehemalige Heimat? Die<br />
Schüler(innen) sollen über die wissenschaftliche<br />
Analyse entsprechender Medienprodukte<br />
(Spielfi lme, Fernsehserien, Radiosendungen,<br />
Tageszeitungen) Erfahrungen mit einem<br />
emanzipatorischen Mediengebrauch sammeln<br />
und darüber hinaus selbst eigene kleine Beiträge<br />
im Audio-Bereich produzieren.<br />
S OZIAL UNGLEICH IN DER KOMMUNE<br />
Ein zentrales Anliegen der Soziologie ist die<br />
Ergründung der gesellschaftlichen Verteilung<br />
von Lebenschancen. Formen menschlichen<br />
Zusammenlebens zu beschreiben und zu erklären,<br />
stellt die Wissenschaft vor erhebliche<br />
Herausforderungen, weil Sozialsysteme sich<br />
nicht in einem Aggregat von menschlichen<br />
Individuen erschöpfen. Das spezifi sch Soziale<br />
begriffl ich zu bestimmen und gesellschaftliche<br />
Phänomene über eine adäquate Datenerhebung<br />
und -auswertung zu beschreiben,<br />
erfordert eine deutliche Abstraktion vom<br />
Alltagswissen. Für Schüler(innen) liegt es<br />
nahe, eine Stadt und ihre spezifi schen sozialen<br />
Ungleichheiten zum Forschungsgegenstand<br />
zu machen. Im Teilprojekt »Soziale Ungleichheit<br />
auf kommunaler Ebene – Methoden der<br />
empirischen Sozialforschung in der Datenerhebung<br />
und -auswertung« (Leitung: Prof.<br />
Dr. Reinhold Sackmann, Dipl.-Soz. Walter<br />
Bartl) sollen sie eine Fragestellung entwickeln<br />
und Mittel fi nden, um kommunale soziale<br />
Ungleichheiten am Beispiel öffentlicher Räume<br />
in <strong>Halle</strong> zu beschreiben: Wie kommt es,<br />
dass bestimmte Bevölkerungsgruppen den<br />
Marktplatz unterschiedlich nutzen, anderen<br />
dieses öffentliche Gut fremd bleibt? Steht die<br />
Fragestellung fest, lernen die Schüler(innen),<br />
präzise Thesen zu formulieren, diese durch<br />
Fachliteratur zu begründen und ein geeignetes<br />
Untersuchungsdesign zu erstellen.<br />
Sie üben einen soziologischen Blick auf die<br />
Realität ein, lernen Selbstverständlichkeiten<br />
des Alltags wissenschaftlich zu hinterfragen,<br />
Daten zu generieren und auszuwerten.<br />
Historischer Phonograph aus der Sammlung des<br />
Instituts für Sprechwissenschaft (Fotos [2]: Archiv)<br />
S CHALL OHNE RAUCH<br />
Das Teilprojekt »Schallarchiv« (Leitung:<br />
PD Dr. phil. habil. Baldur Neuber) mit umfangreichen<br />
Aufzeichnungen gesprochener<br />
Sprache aus Vergangenheit und Gegenwart<br />
korrespondiert mit der wertvollen historischen<br />
phonetischen Sammlung des Seminars für<br />
Sprechwissenschaft und Phonetik der MLU.<br />
Jan Metzner,<br />
Jahrgang 1979, studierte 2000–<strong>2007</strong><br />
Erziehungswissenschaften und Volkswirtschaft<br />
an der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong><br />
<strong>Halle</strong>-Wittenberg.<br />
Seit 2005 ist er wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter am Institut für Schulpädagogik<br />
und Grundschuldidaktik an der<br />
Philosophischen Fakultät III der MLU.<br />
Seit <strong>2007</strong> ist er Koordinator<br />
für die Arbeit des interdisziplinären<br />
Netzwerkprojekts »Herausforderung Mensch«.<br />
Telefon: 0345 55-23836 oder 0178 6915009,<br />
E-Mail: metznerjan@yahoo.de<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
Wissenschaftliche Analyse von Tonbandaufzeichnungen<br />
mit Hilfe neuester Technik<br />
Diese Sammlung wurde vor 100 Jahren gegründet<br />
und wird bis heute ständig ergänzt<br />
und erweitert. Sie besteht zum einen aus<br />
kostbaren experimental-phonetischen Geräten,<br />
zum anderen aus einer Schalldatenbank<br />
mit Sprachaufnahmen, besonders aus den<br />
Fachgebieten Phonetik, Rhetorik, Sprach-,<br />
Sprech- und Stimmstörungen sowie aus dem<br />
Sprechkünstlerischen Gestalten.<br />
Die Aufnahmen sind für wissenschaftliche<br />
Zwecke wie für Kultur und Medien von hohem<br />
Interesse. Damit lassen sich die Entwicklung<br />
der deutschen Standardaussprache und<br />
dialektaler Varietäten des Deutschen in den<br />
letzten 100 Jahren dokumentieren und Veränderungen<br />
in den Sprechstilen künstlerischer<br />
Texte empirisch nachweisen. Ziel des Projekts<br />
»Schallarchiv« ist die weitere Erschließung<br />
der Schallkorpora und ihre inhaltliche Bewertung.<br />
An der Erforschung gesprochener<br />
Sprache und am Umgang mit Geräten zur<br />
Schallaufzeichnung interessierte Schülerinnen<br />
und Schüler können hier typische sprechwissenschaftliche<br />
Arbeit kennen lernen, zum<br />
Beispiel unter Anleitung technische Aufgaben<br />
an den Schalldatenbanken (Archivierung,<br />
Umschnitte) lösen oder sich bei der sprechwissenschaftlichen<br />
Analyse von Schallaufzeichnungen<br />
erproben.<br />
■<br />
Prof. Dr. Hartmut Wenzel,<br />
Jahrgang 1945, studierte 1965–1971<br />
Mathematik, Physik und Erziehungswissenschaften<br />
an der <strong>Universität</strong> Marburg<br />
und absolvierte dort ein Graduiertenstudium<br />
in Erziehungswissenschaften. Er lehrte<br />
und forschte 1975–1992 in Essen und<br />
Bochum (Promotion 1977, Habilitation<br />
1985). 1992 wurde er als Professor für<br />
Schulpädagogik und Allgemeine Didaktik<br />
nach <strong>Halle</strong> berufen. 1994–1998 leitete<br />
er das ZSL, nun seit April <strong>2007</strong> das Zentrum für Schul- und Bildungsforschung<br />
der MLU. Seit <strong>2007</strong> koordiniert er das Netzwerkprojekt »Herausforderung<br />
Mensch«. Telefon: 0345 55-23835,<br />
E-Mail: hartmut.wenzel@paedagogik.uni-halle.de<br />
17<br />
J AHR DER GEISTESWISSENSCHAFTEN <strong>2007</strong>
18<br />
D AS GROSSE INTERVIEW<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
Wulf Meier:<br />
»Wir sind gut unterwegs«<br />
Interview mit dem neuen Präsidiumsmitglied der VFF<br />
Das Präsidium der Vereinigung der Freunde und Förderer (VFF) der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong><br />
hat seit Ende vergangenen Jahres ein neues Mitlied: Wulf Meier. Der 62-Jährige ist Personalvorstand<br />
der Dresdner Bank AG. Nach seinem Assessorexamen in Freiburg startete der Jurist bei<br />
der Allianz in Frankfurt und war nach verschiedenen Stationen im Konzern von 2001 bis 2003<br />
Vorsitzender der Geschäftsleitung der Leipziger Niederlassung der Allianz Versicherungs-AG,<br />
zuständig für Sachsen und Thüringen. Im Interview mit scientia halensis berichtet Meier über<br />
seinen Eindruck von der MLU, seine Pläne und seine Erwartungen.<br />
Wie ist es dazu gekommen, dass Sie sich für die<br />
Vereinigung der Freunde und Förderer der MLU<br />
ehrenamtlich engagieren?<br />
Am Anfang meiner Tage bei der Dresdner<br />
Bank habe ich Dr. Röller besucht (den Präsidenten<br />
der Vereinigung – d. Red.). Da kamen<br />
wir auch auf meine Zeit in Leipzig zu sprechen.<br />
Herr Röller erzählte mir, dass er aus<br />
<strong>Halle</strong> stammt. Natürlich kenne ich die Stadt<br />
aus der Leipziger Zeit etwas. Später haben wir<br />
uns immer mal wieder darüber unterhalten,<br />
wie es denn heute in <strong>Halle</strong> aussieht und was er<br />
in <strong>Halle</strong> macht. Irgendwann fragte er mich, ob<br />
ich auch für ein Engagement zur Verfügung<br />
stünde, und ich sagte: aber natürlich, gern<br />
– zumal ich mich der Region immer noch verbunden<br />
fühle.<br />
Hatten Sie in Ihrer Leipziger Zeit Kontakte zur<br />
MLU?<br />
Indirekt ja. Wir haben damals qualifi ziertes<br />
Personal gesucht und auch einige Absolventen<br />
aus <strong>Halle</strong> eingestellt.<br />
Wie gut kennen Sie die <strong>Universität</strong>?<br />
Die <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> kenne ich als<br />
eine der großen deutschen Traditionsuniversitäten.<br />
Natürlich habe ich bislang vor allem<br />
einen Eindruck von außen. Den internen Teil<br />
lerne ich jetzt erst richtig kennen. Für meine<br />
Aufgabe ist es wichtig, dass ich die <strong>Universität</strong><br />
erfahre und mich mit ihr identifi ziere. Dazu<br />
muss ich wissen, wie sie aufgebaut ist, wie sie<br />
arbeitet, wie ihre Ausrichtung ist. Das erarbeite<br />
ich mir nach und nach – mit zunehmender<br />
Geschwindigkeit.<br />
Welchen Eindruck haben Sie bislang gewonnen?<br />
Wenn Sie von außen den Blick aus München<br />
oder Frankfurt auf <strong>Halle</strong> richten, dann ist die<br />
MLU eine mitteldeutsche <strong>Universität</strong> mit einer<br />
großen Tradition, auch mit großen geisteswissenschaftlichen<br />
Leistungen für Deutschland.<br />
Allerdings sind die Konturen nicht ganz<br />
scharf, die Schwerpunkte nicht gut genug zu<br />
erkennen. Das ist für mich eine Frage des Marketings<br />
dieser <strong>Universität</strong>. Natürlich sollte sich<br />
da auch der Förderverein einschalten.<br />
Sie sind ein vielbeschäftigter Mensch, zudem<br />
Familienvater. Wie viel Zeit werden Sie für Ihre<br />
Aufgabe aufwenden können?<br />
Sicher werden Sie in meinem Terminkalender<br />
nicht ganze Zeiträume fi nden, die für <strong>Halle</strong><br />
geblockt sind. Aber ich bin in der Dresdner<br />
Bank, neben meiner Ressortzuständigkeit für<br />
das Personal, als Regionalvorstand für Ostdeutschland<br />
zuständig. Insofern bin ich natürlich<br />
häufi g in der Region unterwegs. Dabei<br />
werde ich die ein oder andere Gelegenheit<br />
nutzen, mich in <strong>Halle</strong> sehen zu lassen. Zum<br />
anderen bin ich es gewohnt, meine Zeit so<br />
einzuteilen, dass ich eine solche Aufgabe auch<br />
richtig wahrnehmen kann. Sonst sollte man so<br />
etwas nicht machen. Ich habe mir außerdem<br />
den Veranstaltungskalender der <strong>Universität</strong><br />
angesehen und mir einige Veranstaltungen<br />
herausgesucht, die ich besuchen will. Gelegentlich,<br />
in gewissen Abständen, sollte man<br />
persönlich präsent sein.<br />
Was können Sie für den Förderverein und für die<br />
<strong>Universität</strong> tun?<br />
Wie in jedem Förderverein ist das erst einmal<br />
eine Frage der Mitglieder – und damit der<br />
Mitgliederwerbung. Und natürlich eine Frage<br />
des Einwerbens von Mitteln, die im Rahmen<br />
der Projektförderung der <strong>Universität</strong> zur Verfügung<br />
gestellt werden sollen. Soweit ich das<br />
sehe, ist es ganz wichtig, dass wir diese Mittel<br />
in die Schwerpunktbildung der <strong>Universität</strong><br />
einfl ießen lassen, um damit die Konturenentwicklung<br />
zu unterstützen. Ich werde den Kontakt<br />
zu Firmen, zu Institutionen suchen, die<br />
mir bekannt sind und die für die <strong>Universität</strong><br />
vielleicht noch etwas weiter weg sind.<br />
Sind Erwartungen an Sie herangetragen worden<br />
im Hinblick auf ein finanzielles Engagement der<br />
Dresdner Bank?<br />
Natürlich bekommt man oft die Frage zu<br />
hören: »Haben Sie die Kriegskasse dabei?<br />
Wie wollen Sie sie verteilen?« Aber diese<br />
Frage ist hier nicht gestellt worden, und ich<br />
glaube, sie steht auch nicht im Vordergrund.<br />
Die Dresdner Bank hat in der Vergangenheit<br />
über den Förderverein schon relativ viele Mittel<br />
eingebracht. Und wenn Sie die <strong>Universität</strong><br />
auf breitere Füße stellen wollen, ist es ohnehin
nicht damit getan, dass ein Unternehmen Geld<br />
gibt. Es gehört eine gewisse Identifi kation<br />
dazu, und wir wollen noch viel mehr Partner<br />
fi nden, die den Namen, den Leistungswert, die<br />
Ausrichtung dieser <strong>Universität</strong> publik machen.<br />
Über die eigene Person und das Netzwerk, das<br />
man hat, kann man die Imagewerbung für die<br />
<strong>Universität</strong> vorantreiben.<br />
Sie haben bereits angedeutet, dass Sie auch von<br />
der <strong>Universität</strong> etwas erwarten. Was muss die<br />
MLU Ihrer Ansicht nach tun?<br />
Natürlich muss ich die Entscheidungsträger<br />
kennen und informiert werden, wo die <strong>Universität</strong><br />
selbst hin will. Dass man in einem engen<br />
Kontakt miteinander steht, ist wichtig. Die<br />
<strong>Universität</strong> sollte die Vereinigung der Freunde<br />
und Förderer einbeziehen in die Überlegungen,<br />
wohin sie sich entwickeln will. Der Förderverein<br />
soll ja ein integraler Bestandteil der<br />
<strong>Universität</strong> sein.<br />
Haben Sie denn zur Leitungsebene schon einen<br />
guten Draht? Immerhin tragen Sie und der Rektor<br />
den gleichen Vornamen ...<br />
... was natürlich verbindet. Wobei er aus dem<br />
Norden kommt und ich aus dem Süden. Man<br />
kann wirklich sagen: Von Anfang an ist das<br />
ein gutes Miteinander. Ich habe das Gefühl,<br />
dass wir gut unterwegs sind.<br />
Aus der Vita:<br />
Wulf Meier, Jahrgang 1945, studierte Jura in Freiburg<br />
und Mainz und schloss sein Studium 1974 mit dem<br />
Zweiten Juristischen Staatsexamen ab. Seither nahm er<br />
dreißig Jahre lang leitende Positionen bei verschiedenen<br />
hochkarätigen deutschen Banken und Versicherungsgesellschaften<br />
ein:<br />
1975–1984 Frankfurter Versicherungs-AG<br />
Vorstandsassistent<br />
Leiter der Personalabteilung<br />
1984–1993 Leitende Tätigkeit im Vertriebsaußen-<br />
dienst Frankfurter Versicherungs-AG<br />
1993–2001 Vorstand Frankfurter Versicherungs-AG<br />
Zuständigkeit für die Ressorts Vertrieb<br />
und Lebensversicherung<br />
2001–2003 Vorsitzender der Geschäftsleitung der<br />
Zweigniederlassung Leipzig<br />
der Allianz Versicherungs-AG für<br />
Sachsen und Thüringen<br />
2003–2004 CC Personal, Generalbevollmächtigter<br />
der Dresdner Bank AG<br />
ab 01.01.2004 Vorstand Allianz Versicherungs-AG,<br />
Personal- u. Soziales,<br />
Arbeitsdirektor<br />
ab 01.03.2004 Vorstand Dresdner Bank AG,<br />
Personal und Arbeitsdirektor<br />
in Doppelfunktion mit Vorstand<br />
Allianz Versicherungs-AG<br />
ab 01.01.2006 Vorstand Dresdner Bank AG,<br />
Personal und Arbeitsdirektor mit<br />
Zuständigkeit für Personalfunktionen<br />
deutsche und ausländische Töchter<br />
Sie wollen auch als Werbeträger der MLU<br />
fungieren. Wo ist die Zielgruppe, für die die<br />
<strong>Universität</strong> interessant ist – beziehungsweise<br />
interessant sein könnte?<br />
Interessant ist sie mit Sicherheit für diejenigen,<br />
die studieren wollen und für die Region. Die<br />
<strong>Universität</strong> ist ein wirtschaftliches Zentrum<br />
der Stadt <strong>Halle</strong> und der Region – für beide<br />
strahlt sie nach außen. <strong>Halle</strong>, das ist immer<br />
zugleich <strong>Universität</strong>, so habe ich das wahrgenommen.<br />
Ein wichtiges Thema in nächster Zeit ist sicher<br />
die Zuwanderung von Studierenden.<br />
Die östlichen <strong>Universität</strong>en sollen viele Studierende<br />
aus den westlichen Bundesländern<br />
aufnehmen. Daher muss natürlich nach außen<br />
sichtbar sein, dass die MLU eine aufnehmende<br />
<strong>Universität</strong> sein will und sein kann. Die Qualität<br />
ist auf einem hohen Level. Da sind wir<br />
wieder beim Thema Imagebildung. Hierfür<br />
muss die <strong>Universität</strong> etwas tun, aber ebenso<br />
das Land Sachsen-Anhalt.<br />
Zudem steht die <strong>Universität</strong> im europäischen<br />
Wettbewerb. Der Bologna-Prozess ist angelaufen.<br />
Ich habe mit Interesse vernommen, dass<br />
die MLU auf diesem Weg bestens unterwegs<br />
ist, das Ganze sogar vorantreibt. Der europäische<br />
Student hat damit auch einen Blick auf<br />
die <strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>.<br />
Im Wettbewerb bestehen können – was ist dafür<br />
aus Ihrer Sicht unabdingbar?<br />
Wer sich heutzutage keine klaren Schwerpunkte<br />
sucht, bleibt in der Mitte, und in der<br />
Mitte ist nichts zu gewinnen. Man muss sich<br />
positionieren. Das gilt in der Wirtschaft und<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
Präsidiumsmitglied der VFF Wulf Meyer und Rektor Prof. Dr. Wulf Diepenbrock (Fotos [5]; Maike Glöckner)<br />
für <strong>Universität</strong>en gleichermaßen. Wobei <strong>Universität</strong>en<br />
selbstverständlich auch einen Auftrag<br />
haben, den man nicht rein wirtschaftlich<br />
sehen kann. Sie schaffen eine Basis intellektueller<br />
Art, sie haben eine gewisse Breite. Aus<br />
dieser Breite wächst außerdem die Qualität in<br />
Richtung Spezialisierung.<br />
Sie befinden sich sozusagen noch in der Aufwärmphase.<br />
Was und wen möchten Sie in nächster<br />
Zeit kennen lernen an der <strong>Universität</strong>?<br />
Ich würde gern Kontakt mit den anderen,<br />
fakultätsgebundenen Fördervereinen aufnehmen,<br />
nicht zuletzt um sicherzustellen, dass<br />
sich in unserer Arbeit nichts doppelt. Auch die<br />
Fakultäten selbst möchte ich mir ansehen, das<br />
wird natürlich dauern, aber dieses Jahr will<br />
ich das schaffen. Zum anderen möchte ich bei<br />
Veranstaltungen dabei sein, um das universitäre<br />
Leben zu erfahren. Ich möchte zudem in<br />
Hörsälen sein, die jungen Leute kennen lernen.<br />
Und gern stehe ich mal für einen Diskussionsabend<br />
oder ähnliches zur Verfügung.<br />
Zum juristischen Bereich sollen Sie bereits enge<br />
Kontakte geknüpft haben.<br />
Ja, das stimmt. Das haben wir relativ spontan<br />
gemacht, da wir für mein Ressort jemanden<br />
suchen in einer Assistentenfunktion. Daher<br />
gab es Kontakte – und ich habe bereits das<br />
erste Bewerbungsgespräch geführt, in <strong>Halle</strong>.<br />
Wenn man schon im halleschen Uni-Föderverein<br />
wirkt, dann sollte man auch die personelle<br />
Rekrutierung mit über <strong>Halle</strong> laufen lassen.<br />
Die Fragen stellte Carsten Heckmann.<br />
■<br />
19<br />
D AS GROSSE INTERVIEW
20<br />
D IE MLU IM INTERNET<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
85, 12 und 3 – barrierefrei!<br />
Neugestaltung des Internetauftritts der halleschen <strong>Universität</strong><br />
T ORSTEN EVERS<br />
Im Auftrag des Rektorats analysierte eine interdisziplinär besetzte Arbeitsgruppe unter Leitung<br />
des Verfassers die möglichen Konsequenzen der gesetzlichen Vorgaben zur Umsetzung der<br />
»Barrierefreien Informationstechnik-Verordnung« (BITV) auf Landesebene für den Internetauftritt<br />
der <strong>Universität</strong>. Die Ergebnisse wurden in einer Informations- und Beschlussvorlage<br />
zusammengefasst und im Februar dieses Jahres vom Rektorat zur Detaillierung und Realisierung<br />
freigegeben.<br />
Dem Internetauftritt der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong><br />
kommt innerhalb des gesamten Informationsangebots<br />
eine besondere und stetig<br />
wachsende Bedeutung zu. Charakteristisch für<br />
dieses Kommunikations- und Marketinginstrument<br />
sind große Reichweite, hohe Informationsdichte<br />
und laufende Aktualisierbarkeit.<br />
Die Untersuchungen zeigten allerdings, dass<br />
der aktuelle Internetauftritt für Menschen mit<br />
kommunikativen Behinderungen nicht geeignet<br />
ist.<br />
D ESIGN MUSS SEIN<br />
Das visuelle Erscheinungsbild ist zweifellos<br />
das auffälligste Merkmal jedes Internetauftritts.<br />
Doch über die reine Ästhetik hinaus<br />
müssen Layout und Gestaltung einer als bar-<br />
rierefrei konzipierten Web-Präsenz einer Reihe<br />
funktioneller Anforderungen genügen, die<br />
Web-Designern die Arbeit durchaus schwer<br />
machen. Veränderbare Schriftgrößen, ausreichende<br />
Kontraste, Vorgaben zur Positionierung<br />
von Inhalten sowie die Forderung nach<br />
alternativen Farbschemata für Schriften und<br />
Hintergründe haben den Anforderungen von<br />
Menschen mit Sehbehinderungen oder Farbfehlsichtigkeiten<br />
Rechnung zu tragen. Nutzer<br />
mit motorischen Einschränkungen wiederum<br />
sind dankbar für nicht zu kleine und nicht zu<br />
dicht nebeneinanderliegende Hyperlinks. Von<br />
entscheidender Bedeutung ist letztlich die<br />
Qualität der programmiertechnischen Umsetzung<br />
des Designs, da sich Vorleseprogramme<br />
und BRAILLE-Schriftgeber für Blinde bei der<br />
Ausgabe von Inhalten allein am Quellcode<br />
orientieren.<br />
Punktgenau & zielgerecht<br />
Primäre Zielstellung des Projektes<br />
ist die Schaffung eines barrierefreien<br />
Internetauftrittes in Einheit mit einem<br />
zeitgemäßen Erscheinungsbild. Da die<br />
erforderlichen Anpassungen in der<br />
Summe recht tiefgreifend und komplex<br />
sind, liegt es nahe, die zielgruppen-<br />
und serviceorientierte Über arbeitung<br />
von Inhalten und Navigationsstrukturen,<br />
die Verbesserung der Bedienbarkeit<br />
des Content-Management-Systems<br />
(CMS) und den Ausbau englischsprachiger<br />
Informationsangebote als<br />
sekundäre Ziele gleich mit zu berücksichtigen.<br />
Heisse Phase ab Herbst<br />
Die Implementierung des neuen Designs<br />
in das Web-Content-Management-<br />
Systems (WCMS) erfolgt zunächst in<br />
eine Parallelinstallation und wird<br />
voraussichtlich bis Oktober realisiert<br />
sein. Die tatsächliche – weitestgehend<br />
automatisch erfolgende – Umstellung<br />
aller Inhalte des WCMS auf das neue<br />
Erscheinungsbild geschieht nach<br />
Abschluss aller Vorarbeiten und mit<br />
Blick auf den Studienjahres ablauf.<br />
»scientia halensis im Netz«<br />
Starttermin: Mittwoch, 24. Juli <strong>2007</strong>, 12 Uhr mittags<br />
http://www.unimagazin.uni-halle.de<br />
Die neuen Medien sind überall, die neuen Menschen auch. Immer mehr werden es, die nicht<br />
nur Bücher und Zeitschriften lesen, Radio hören und fernsehen wollen, sondern auch surfen im<br />
World Wide Web – und dass am besten interaktiv.<br />
Deshalb engagiert sich auch die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong><br />
<strong>Halle</strong>-Wittenberg seit geraumer Zeit für ein neues Projekt: »scientia halensis im Netz«. Damit<br />
wollen wir Leserinnen und Leser des Unimagazins scientia halensis in den printlosen Zwischenzeiten<br />
– die ebenfalls im Internet abrufbaren »Aktuellen Meldungen«, den Newsletter und den<br />
Veranstaltungskalender komplettierend – zeitnah über Wichtiges und Wissenswertes aus dem<br />
<strong>Universität</strong>sgeschehen informieren.<br />
Was also erwartet Sie in drei Wochen? »scientia halensis im Netz« wird Ihnen stets eine ausgewogene<br />
Mischung von Texten, Bildern, Audiobeiträgen und kurzen Filmen offerieren. Am<br />
Anfang stehen zwei Movies über die Kinderuniversität im Juni und über die »Lange Nacht der<br />
Wissenschaften <strong>2007</strong>«, ein Hörbeitrag zum Jubiläum des Akademischen Orchesters, Texte, die<br />
den Inhalt der Printausgaben ergänzen oder kommentieren, sowie Bildgalerien zum <strong>Universität</strong>ssportfest<br />
vom 12. Juni und zum Veranstaltungsangebot des alt-neuen Studentenklubs »Turm«.<br />
Die erst vor kurzem (im Unimagazin 4/06, Seite 28) kreierte Rubrik »... gelesen – geschrieben<br />
...« wird nun von »scientia halensis im Netz« übernommen, so dass Meinungen und Reaktionen<br />
zu Artikeln in der Printausgabe nicht mehr monatelang in der Warteschleife schmoren müssen,<br />
sondern schnell publik gemacht werden können.<br />
Allen interessierten Nutzerinnen und Nutzern des neuen Info-Mediums wünscht die Redaktion,<br />
dass sie diese Anregung zur Teilnahme am universitären Leben (inter-)aktiv aufgreifen und eigene<br />
Ideen dazu nicht für sich behalten: Was sinnvoll ist und sich machen lässt, das tun wir gern.<br />
Text & Bild-Idee: Margarete Wein, Foto: Paolo Schubert
Contra<br />
Baustelle Internet (Bild-Idee & Foto: Torsten Evers)<br />
Das neue grafi sche Erscheinungsbild für den<br />
Internetauftritt der MLU wird derzeit im<br />
Rahmen eines Wettbewerbs zwischen fünf<br />
ausgewählten Agenturen erarbeitet. Die Auswahl<br />
einer Vorzugslösung erfolgt im August<br />
diesen Jahres durch eine fachkundige Jury.<br />
Zudem ist vorgesehen, dass gleichzeitig auch<br />
Mitarbeiter(innen) und Studierende über ein<br />
internetbasiertes Voting-Tool die Entwürfe<br />
begutachten und bewerten können.<br />
D AUERBAUSTELLE »INHALTE UND STRUKTUREN«<br />
Aber keinesfalls dürfen sich alte Inhalte in<br />
neuem Gewand präsentieren! Deshalb werden<br />
gegenwärtig in Abstimmung mit den<br />
Bereichsverantwortlichen vielfältige Aktionen<br />
zur Überarbeitung des Informationsangebots<br />
initiiert. Der Fokus liegt auf den Seiten einer<br />
»Kernpräsenz«, die die <strong>Universität</strong> vorstellen<br />
und den Zugang zu weiterführenden Inhalten<br />
organisieren sollen. Es ist geplant, in Design<br />
und inhaltlicher Ausstattung vereinheitlichte<br />
Informationsangebote bis zur Fakultätsebene<br />
zu etablieren. Ein Teil der Anpassungen ist mit<br />
Rücksicht auf die Barrierefreiheit erforderlich:<br />
So müssen Verlinkungen und Illustrationen<br />
mit zusätzlichen Textbeschreibungen für Blinde<br />
versehen, Überschriften und Seitenzusammenstellungen<br />
von den redaktionellen Layouts<br />
WCMS-konform umgesetzt werden.<br />
Andere Maßnahmen – etwa das Auffi nden und<br />
Löschen verwaister bzw. veralteter Inhalte,<br />
die Überarbeitung von Texten, das Verschieben<br />
ausgewählter Informationen in universitätsinternen<br />
Zugriff, die Veränderung von<br />
Navigationsstrukturen und die Festlegung von<br />
Bereichen, die in Zukunft auch englischsprachig<br />
vorliegen sollen – dienen der Straffung<br />
und zielgruppengerechten Ausrichtung der<br />
Internetpräsenz, sowohl einmalig als auch im<br />
Rahmen kontinuierlicher Wartung und Pfl ege<br />
des Internetauftritts. Zur Unterstützung der<br />
damit befassten Mitarbeiter bietet das WCMS-<br />
Team Schulungen an.<br />
B ARRIEREFREI GEHT’ S BESSER<br />
85 Prozent Barrierefreiheit von Internetauftritten<br />
werden mittels entsprechendem Design<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
realisiert, programmiertechnische Aspekte des<br />
eingesetzten CMS tragen mit 12 Prozent dazu<br />
bei, gut 3 Prozent basieren auf redaktioneller<br />
Arbeit. Von den zusätzlichen Aufwendungen<br />
profi tieren nicht nur Menschen mit kommunikativen<br />
Behinderungen, sondern alle Nutzer,<br />
denn über die Spezialfunktionen hinaus<br />
verbessert sich stets auch die allgemeine<br />
Bedienbarkeit. Die MLU geht also mit gutem<br />
Beispiel voran und wird sich 2008 am BIENE-<br />
Award – einem bundesweiten Wettbewerb<br />
für vorbildliches barrierefreies Webdesign –<br />
beteiligen.<br />
■<br />
Dipl.-Des. Torsten Evers,<br />
studierte 1990–1995 Design in <strong>Halle</strong><br />
(Saale) an der Burg Giebichenstein Hochschule<br />
für Kunst und Design. Anschließend<br />
war er in verschiedenen Anstellungsverhältnissen,<br />
zuletzt als Freiberufler mit<br />
Schwerpunkt auf Design, Marketing/Vertrieb<br />
und Innovationsmanagement tätig.<br />
2005/07 war er Projektmitarbeiter des<br />
vom DAAD finanzierten PROFIS-Programms<br />
»UniON« an der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong><br />
<strong>Halle</strong>-Wittenberg. Seit Februar ist er dem Rektorat zugeordnet und mit<br />
diversen Projekten zur Außendarstellung und Marketingorientierung der<br />
MLU befasst.<br />
Telefon: 0345 55-21317, E-Mail: torsten.evers@rektorat.uni-halle.de<br />
21<br />
D IE MLU IM INTERNET
22<br />
I NTERDISZIPLINÄRE WISSENSCHAFTLICHE FORSCHUNGSSTELLEN<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
Wissenschaft geht weiter!<br />
Was wird aus den interdisziplinären Zentren?<br />
J OACHIM ULRICH<br />
Pflege und Entwicklung der Wissenschaften durch Lehre und Forschung – das ist die Hauptaufgabe<br />
von <strong>Universität</strong>en. Dabei gewinnt die Forschung mehr und mehr an Bedeutung, gilt doch<br />
der Fortschritt wissenschaftlicher Erkenntnis, zu dem eine Hochschule beiträgt, als Indikator für<br />
die Qualität ihrer Ausbildung. Erfolg und Sichtbarkeit einer <strong>Universität</strong> wird heute zunehmend<br />
an der Zahl der eingeworbenen Forschungsverbunde (zum Beispiel im Rahmen der Exzellenzinitiative<br />
des Bundes und der Länder) gemessen.<br />
Wesentliche Qualitätsmerkmale sind Inter- und Transdisziplinarität: die fächer- und disziplinenübergreifende<br />
Betrachtung eines Forschungsgegenstandes.<br />
Sollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler<br />
über Fachgebiete und Institutionsgrenzen<br />
hinweg zusammenarbeiten, bedarf es<br />
geeigneter Strukturen, die diese Forschungsnetzwerke<br />
tragen. Mit neuen Interdisziplinären<br />
Wissenschaftlichen Forschungsstellen (IWF)<br />
will das Rektorat der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong><br />
Strukturelemente einführen, die helfen<br />
sollen, Forschungsaktivitäten zu koordinierten<br />
und zu kommunizieren.<br />
Die IWF werden<br />
disziplin- und fakultätsübergreifend vorhandene<br />
Kompetenzen auf thematisch<br />
defi nierten Gebieten bündeln,<br />
zeitlich befristete Zusammenschlüsse<br />
von Wissenschaftler(inne)n sein, um Forschungsaktivitäten<br />
zu initiieren und zu<br />
koordinieren,<br />
mittels Publikation von Forschungsleistungen<br />
zur Verbesserung der Außendarstellung<br />
der <strong>Universität</strong> beitragen,<br />
auf der Basis der durch die beteiligten<br />
Hochschullehrer(innen) eingebrachten<br />
Ressourcen arbeiten,<br />
Strukturen darstellen, die durch das Rektorat<br />
oder die Fakultäten der <strong>Universität</strong><br />
temporär mit zusätzlichen Ressourcen<br />
ausgestattet werden können,<br />
sich regelmäßig der Überprüfung ihrer<br />
Effi zienz durch den Fakultätsrat stellen.<br />
G ESCHICHTE DER IWF<br />
Mit den existierenden Interdisziplinären Wissenschaftlichen<br />
Zentren der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<br />
<strong>Universität</strong> (IWZ) wurden – auf der Grundlage<br />
eines Beschlusses des Akademische Senats<br />
vom April 1993 zur Bildung von Zentren<br />
für Forschung – bereits ähnliche Strukturen<br />
geschaffen, »... um über Einzeldisziplinen hinausgehend<br />
neue Entwicklungsmöglichkeiten<br />
zu erkennen, auszuarbeiten und zu praktizieren«.<br />
Diese Zentren sollten weder eine feste<br />
Laufzeit haben noch »Dauereinrichtungen in<br />
Konkurrenz zu den Fachbereichen und Instituten«<br />
der <strong>Universität</strong> werden.<br />
Derzeit bestehen 9 solche Interdisziplinären<br />
Wissenschaftlichen Zentren an der <strong>Universität</strong>,<br />
die meisten seit über 10 Jahren. 35<br />
Mitarbeiter(innen) sind auf mehr als 30 Haushaltsstellen<br />
(überwiegend Dauerstellen) in den<br />
IWZ beschäftigt.<br />
Die IWZ sind schon Instrumente zum Aufbau<br />
und zur Einwerbung von Drittmittelverbunden.<br />
Sie stärken damit auch die öffentliche<br />
Sichtbarkeit der gesamten <strong>Universität</strong>. Aber<br />
»(H)alles Forschung«<br />
Erstmals gibt es in diesem Jahr anlässlich der »Langen<br />
Nacht der Wissenschaften« am 6. Juli eine besondere<br />
Zeitung: In »(H)alles Forschung« stellen Wissenschaftseinrichtungen<br />
der Stadt aktuelle Forschungsprojekte auf<br />
zwölf Seiten in Text und Bild vor. Das Spektrum reicht<br />
von pflanzlichen Fabriken und den Bananen unter den<br />
Flüssigkristallen über landwirtschaftlichen Strukturwandel<br />
und die Fehleranalyse in komplexen Mikrochip-Systemen<br />
bis hin zur Widerlegung einer Fußballweisheit und<br />
überraschenden Produkten aus Beton. Die Zeitung wurde<br />
in einer Auflage von 10 000 Exemplaren gedruckt und<br />
wird zur »Langen Nacht« verteilt. Bereits ab 5. Juli <strong>2007</strong><br />
bekommt an sie kostenlos im Marktschlösschen im Info-<br />
Punkt der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong>. CaHe
... und hier der Denkfühler des letzten Quartals:<br />
Für Wetterfrösche sind »gefühlte Temperaturen« eine Selbstverständlichkeit. Am Morgen danach (zum Bespiel im Gefolge<br />
einer »Langen Nacht der Wissenschaften«) wird man starke Diskrepanzen zwischen der digitalen Anzeige der eigenen Uhr<br />
und der »gefühlten Tageszeit« registrieren ... Aber dass es auch – möglicherweise durchaus zukunftsträchtige – »gefühlte<br />
Hochschulstrukturen« gibt, ist neu: Am 29. Mai <strong>2007</strong> »erfand« Marcus Kreikebaum vom Wirtschaftsressort der Frankfurter<br />
Allgemeinen in seiner Buchbesprechung über »Unternehmerische Verantwortung in Zeiten kulturellen Wandels« auf Seite 14<br />
eine »<strong>Universität</strong> Leipzig-<strong>Halle</strong>« und ordnete ihr kurzerhand einen der Beiträger des Sammelbands zu: Dr. Reiner Manstetten<br />
– der in Wirklichkeit beim Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (Leipzig-<strong>Halle</strong>) tätig ist. Selbstverständlich wird die<br />
Redaktion der scientia halensis die Entwicklungen in der mitteldeutschen Hochschullandschaft auch in Zukunft aufmerksam<br />
beobachten und über Veränderungen ggf. berichten ... (aufgespürt von Carsten Heckmann)<br />
sie wurden – und damit erfüllen sie ein grundlegendes<br />
Kriterium des Senatsbeschlusses<br />
von 1993 nicht – eben doch zu Dauereinrichtungen,<br />
die (von Ausnahmen abgesehen)<br />
ihre Koordination mit zentralen Ressourcen<br />
realisieren. Die aktuelle budgetäre Situation<br />
der <strong>Universität</strong> jedoch erlaubt heute Neugründungen<br />
interdisziplinärer Zentren in der bisherigen<br />
Form nicht mehr.<br />
A LTE »ZENTREN« UND NEUE CHANCEN<br />
Darüber hinaus benennt der Begriff »Zentrum«<br />
an der halleschen <strong>Universität</strong> sehr<br />
unterschiedliche Strukturen, so dass Funktionen<br />
bzw. Abgrenzungen teilweise schwer<br />
zu defi nieren sind. Neben den IWZ gibt es<br />
zum Beispiel das Zentrum für Lehrerbildung<br />
(eine zentrale Einrichtung der MLU, die das<br />
Lehramtsstudium koordiniert und im Auftrag<br />
des Rektorats als Anlaufstelle für alle Lehramtsstudierenden<br />
dient), das Ingenieurwissenschaftliche<br />
Zentrum (in seiner Struktur<br />
einer Fakultät gleichgestellt) und das künftige<br />
Kunststoff-Kompetenzzentrum (KKZ) als<br />
hochschulübergreifende Einrichtung gemeinsam<br />
mit der FH Merseburg.<br />
Deshalb soll es in Zukunft keine weiteren<br />
Interdisziplinären Wissenschaftlichen Zentren<br />
(IWZ) mehr geben, sondern ausschließlich<br />
Interdisziplinäre Wissenschaftliche Forschungsstellen<br />
(IWF). Die Neukonzeption des<br />
Rektorats möchte vor allem eins erreichen:<br />
neuen Initiativen eine Chance zu geben und so<br />
die Zukunftsfähigkeit der <strong>Universität</strong> zu festigen.<br />
Das Konzept setzt darauf, die Stärken der<br />
alten IWZ zu übernehmen und zugleich deren<br />
strukturelle Schwächen abzubauen.<br />
Die neuen Interdisziplinären Wissenschaftlichen<br />
Forschungsstellen (IWF) sollen mit<br />
einer Ordnung ausgestattet sein, die ihre<br />
Lebensdauer bzw. ihre der Fakultät obliegende<br />
»interne Evaluation« (im Bedarfsfall<br />
durch eine externe Evaluierung zu ergänzen)<br />
sicherstellt. Der Akademische Senat wird auf<br />
Vorschlag der Fakultäten und mit Zustimmung<br />
des Rektorats über die Einrichtung und<br />
den Fortbestand von Forschungsstellen entscheiden.<br />
Als Grundlage für die Entscheidung<br />
muss durch den Dekan/die Dekane im Senat<br />
über die entsprechenden Fakultätsbeschlüsse<br />
berichtet werden. Über die Weiterführung<br />
bestehender Interdisziplinärer Wissenschaftlicher<br />
Forschungsstellen ist spätestens nach<br />
drei Jahren Laufzeit nach diesem Verfahren<br />
zu beschließen.<br />
R ESSOURCEN PLUS BONUS –<br />
OHNE DAUERZUWEISUNG<br />
Die Ressourcen einer neuen Interdisziplinären<br />
Wissenschaftlichen Forschungsstelle (IWF)<br />
bestehen aus den Mitteln, die von den die<br />
Forschungsstelle tragenden Professuren eingebracht<br />
werden. Auf der Grundlage der eingeworbenen<br />
Drittmittel wird den an der IWF<br />
beteiligten Fakultäten bzw. Professuren der<br />
Drittmittelbonus zugewiesen. Zu entscheiden<br />
wie diese Mittel eingesetzt werden, obliegt<br />
dann den jeweiligen Professor(inn)en.<br />
Nach entsprechendem Antrag können zeitlich<br />
befristete Ressourcen aus den Fakultäten oder<br />
durch das Rektorat zur Verfügung gestellt<br />
werden. Dauerzuweisungen wird es nicht<br />
geben. Die von den Forschungsstellen in<br />
Anspruch genommenen Flächen verwaltet der<br />
Kanzler im Rahmen des Flächenmanagements<br />
der <strong>Universität</strong>.<br />
Die bestehenden Zentren werden zu gegebener<br />
Zeit in die neuen Interdisziplinären Wissenschaftlichen<br />
Forschungsstellen überführt.<br />
Für einige Zentren gilt ein zeitlich befristeter<br />
Bestandsschutz – der im Rahmen der Zielvereinbarungen<br />
mit den Fakultäten zwischen dem<br />
Prorektor für strategische Entwicklung und<br />
den Dekanen unter Einbeziehung der Leiter<br />
der Zentren vereinbart wird – beim Übergang<br />
von der alten zur neuen Regelung. ■<br />
Prof. Dr. Joachim Ulrich,<br />
Jahrgang 1951, studierte 1971–1976<br />
Verfahrenstechnik an der TU Clausthal-<br />
Zellerfeld, lehrte und forschte anschließend<br />
bis 1984 an der RWTH Aachen<br />
(Promotion 1981) und dann bis 1999<br />
(Habilitation 1990) an der <strong>Universität</strong><br />
Bremen. Zwischenzeitlich war er als postdoc<br />
und Gastdozent in Tokyo, Schanghai<br />
, São Paulo und Rouen tätig. 1999 folgte<br />
er dem Ruf nach <strong>Halle</strong>;2002–2006 war<br />
er Prodekan des Fachbereichs Ingenieurwissenschaften, seit 2006 ist er<br />
Prorektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs an der MLU.<br />
Telefon: 0345 55-21450, E-Mail: prorektoratfw@uni-halle.de<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
<br />
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23<br />
I NTERDISZIPLINÄRE WISSENSCHAFTLICHE FORSCHUNGSSTELLEN
24<br />
M EDIZINISCHE FAKULTÄT & UNIVERSITÄTSKLINIKUM<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
»Mutter und Kind« bilateral<br />
Deutsch-polnische Kontakte seit über 30 Jahren gepflegt<br />
J ENS MÜLLER<br />
Die Mediziner der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg blicken auf eine mehr als 30jährige<br />
Zusammenarbeit zwischen <strong>Halle</strong> und Poznań (Polen) zurück. Ende April <strong>2007</strong> trafen<br />
sich Ärzte und Wissenschaftler aus Deutschland und Polen zum nunmehr XXII. »Bilateralen<br />
Symposium« in der Saalestadt. Anlässlich der Gründung des Perinatalzentrums am <strong>Universität</strong>sklinikum<br />
<strong>Halle</strong> stand das Treffen unter dem Motto »Mutter und Kind«.<br />
Professor Konrad Seige (links im Bild) selbst übergab den Preisträgerinnen Agnieszka Seremak-Mrozikiewicz<br />
von der Medizinischen Fakultät in Poznan und Anne Navarrete-Santos von der Medizinischen Fakultät der<br />
<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg den Seige-Hasik-Preis <strong>2007</strong>. (Foto: Norbert Kaltwaßer)<br />
Bereits im Jahr 1975 initiierten Professor Dr.<br />
Dr. h. c. Jan Hasik (1922–2001) aus Poznań<br />
und Professor Dr. Dr. h. c. Konrad Seige (*<br />
1922) aus <strong>Halle</strong> die Zusammenarbeit zwischen<br />
der Medizinischen <strong>Universität</strong> »Karol Marcinkowski«,<br />
Poznań (Polen), und der Medizinischen<br />
Fakultät der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong><br />
<strong>Halle</strong>-Wittenberg. Ziel dieser Kooperation<br />
waren die Bündelung der wissenschaftlichen<br />
Ressourcen beider Einrichtungen und die<br />
Festigung freundschaftlicher Beziehungen.<br />
Seither treffen sich die Wissenschaftler alle<br />
zwei Jahre wechselseitig in Poznań und <strong>Halle</strong>,<br />
um Forschungsergebnisse auszutauschen. Dabei<br />
steht jeweils ein Hauptthema im Vordergrund.<br />
Auf dem XX. Bilateralen Symposium<br />
»Diabetologicum« 2003 in <strong>Halle</strong> berieten<br />
Forscher beider Einrichtungen über den Diabetes<br />
mellitus (die Zuckerkrankheit), 2005 in<br />
Poznań über Herz-Kreislauferkrankungen. Die<br />
Publikation der Vorträge erfolgt in Poznań in<br />
Erratum<br />
Beim Bildtext zum »Oppenheim-Gemälde« (Ausgabe<br />
1/07, Seite 14) wurde versehentlich die Angabe<br />
Bildnachweis: akg-images gmbh, Motiv 1-L34-E1771-2<br />
weggelassen; sie wird hiermit nachgereicht.<br />
der Zeitschrift Nowiny Lekarskie (Medical<br />
News) und in <strong>Halle</strong> vorwiegend in Sammelbänden<br />
der <strong>Universität</strong>.<br />
Neben der offi ziellen Kooperation der beiden<br />
Fakultäten entwickelten sich verschiedene<br />
Formen der Zusammenarbeit zwischen einzelnen<br />
Kliniken dieser zwei Einrichtungen. So<br />
bestehen seit Jahrzehnten gewachsene wissenschaftliche<br />
Verbindungen, insbesondere zwischen<br />
den Kinderkliniken, den Augenkliniken<br />
und den Medizinischen Kliniken beider Städte.<br />
Gemeinsame Forschungsarbeiten, Vorträge<br />
und Veröffentlichungen sind ein Resultat; außerdem<br />
erwuchsen aus der wissenschaftlichen<br />
Kooperation auch freundschaftliche Bande<br />
zwischen polnischen und deutschen Forschern<br />
sowie längerfristige Austausche von Wissenschaftlern<br />
und Studenten.<br />
Im Rahmen der diesjährigen Veranstaltung<br />
(27. bis 29. April) diskutierten die Ärzte und<br />
Wissenschaftler über die medizinischen<br />
Aspekte der Pränatalmedizin, der Versorgung<br />
von Risikoschwangeren, Frühgeborenen und<br />
Säuglingen. Neben Aspekten der Qualitätssicherung<br />
im Rahmen der Versorgungsforschung<br />
wurden aktuelle medizinische<br />
Entwicklungen vorgestellt und Anknüpfungspunkte<br />
für neue kooperative Forschungsaktivitäten<br />
gesucht.<br />
Hervorragende Vorträge von Nachwuchswissenschaftlern<br />
wurden erstmals mit dem von<br />
den Hochschulen gestifteten Seige-Hasik-<br />
Preis ausgezeichnet, der an die »Gründungsväter«<br />
der bilateralen Kontakte erinnert.<br />
Mit einem Besuch des Klosters Petersberg bei<br />
<strong>Halle</strong>, der Teilnahme an einem Gottesdienst<br />
und einem gemeinsamen Abendessen klang<br />
das Symposium aus.<br />
■<br />
Die zwölfjährige Maila aus Afghanistan wurde in der <strong>Universität</strong>sklinik und Poliklinik für Kinderchirurgie<br />
behandelt. Das Mädchen hatte sich in ihrem Heimatland schwer am Arm verletzt. Das <strong>Universität</strong>sklinikum<br />
übernahm die Behandlungskosten. (Foto: <strong>Universität</strong>sklinikum/Kramer)
Vorher – während – und danach ...<br />
<strong>Universität</strong>sklinikum gründet Perinatalzentrum<br />
J ENS MÜLLER<br />
Mehr als 46 000 Kinder wurden seit der Eröffnung des Standorts Kröllwitz im Jahr 1974 im <strong>Universität</strong>sklinikum<br />
<strong>Halle</strong> geboren. 885 Mal brachten Mütter Zwillinge, 43 Mal Drillinge zur Welt.<br />
Jüngst gründete das <strong>Universität</strong>sklinikum deshalb ein Perinatalzentrum. Darin kooperieren nun<br />
– disziplinübergreifend von der Geburtshilfe über die Anästhesie, Kinderchirurgie, Kinderkardiologie<br />
sowie Kinder- und Jugendmedizin bis hin zur Neonatologie (Neugeborenen-Heilkunde)<br />
– elf Kliniken und vier Institute des halleschen <strong>Universität</strong>sklinikums.<br />
Der Vorteil eines solchen Zentrums besteht<br />
darin, dass alle Fächer unter einem Dach angeboten<br />
werden. Das kann beispielsweise bei<br />
einer Risikoschwangerschaft lebensrettend für<br />
ein Kind sein. Rund um die Uhr stehen Ärzte<br />
zur Beratung der Eltern und zur Versorgung<br />
des Neugeborenen zur Verfügung. Müssen<br />
Neu- oder Frühgeborene kinderärztlich behandelt<br />
werden, dann entfällt auch der belastende<br />
Transport.<br />
R ISIKEN MINIMIEREN<br />
Von Vorteil ist das nicht nur bei bekannten<br />
Schwangerschaftsrisiken, sondern auch bei<br />
unvorhergesehenen Problemen. »Für Risikogeburten<br />
ist das <strong>Universität</strong>sklinikum <strong>Halle</strong><br />
das einzige Krankenhaus der Maximalver-<br />
sorgung im südlichen Sachsen-Anhalt«, sagt<br />
der Direktor des Perinatalzentrums, Professor<br />
Dr. Dieter Körholz (siehe scientia halensis<br />
3/06, Seite 42). Der Kontakt zu niedergelassenen<br />
Kolleg(inn)en soll intensiviert werden.<br />
Experten des <strong>Universität</strong>sklinikums können<br />
in Praxen gerufen werden, wenn ein niedergelassener<br />
Arzt wegen des Verdachts auf eine<br />
Fehlbildung des Fötus ein Ultraschallbild begutachten<br />
lassen möchte.<br />
B EI ALLEN PROBLEMEN HELFEN<br />
Auf der neonatologischen Station des <strong>Universität</strong>sklinikums<br />
können unreife Frühgeborene<br />
und schwer erkrankte Neugeborene umfassend<br />
versorgt werden. Hilfe von anderen<br />
Fachrichtungen ist in kürzester Zeit vor Ort<br />
und Stelle. »Wir bieten in fast allen Problemlagen<br />
umfassende und kompetente Hilfe an«,<br />
berichtet Dr. Cerrie Scheler, Direktorin der<br />
<strong>Universität</strong>sklinik und Poliklinik für Geburtshilfe<br />
und Reproduktionsmedizin. So sei<br />
das Perinatalzentrum das »organisatorische<br />
Dach« der unterschiedlichen Fachgebiete. Bereits<br />
vor der Geburt lassen sich beispielsweise<br />
mit Hilfe der Humangenetiker viele Fragen<br />
klären. Die Früherkennung, Diagnostik und<br />
Therapie von Schwangeren mit einem erhöhten<br />
Geburtsrisiko sowie die vorgeburtliche<br />
Am 2. Juli 1985<br />
um 4 Uhr<br />
morgens kam im<br />
<strong>Universität</strong>sklinikum<br />
Kröllwitz als<br />
20 000. Baby Nicole<br />
Wellert zur Welt<br />
(Foto: Zentrale<br />
Fotostelle/Roth)<br />
Fehlbildungsdiagnostik gehören zu den besonderen<br />
Aufgaben des Perinatalzentrums. Ein<br />
Großteil der Geburten im <strong>Universität</strong>sklinikum<br />
<strong>Halle</strong> sind Risikogeburten, dazu gehören<br />
unter anderem Frühchen jeglicher Schwangerschaftswoche,<br />
Mehrlinge, Kinder mit Fehlbildungen<br />
und Schwangere mit bestimmten<br />
Erkrankungen, die eine besondere Versorgung<br />
notwendig machen. »Die Zusammenarbeit der<br />
einzelnen Fachgebiete beginnt bereits vor der<br />
Geburt«, so Dr. Cerrie Scheler. Bei Verdacht<br />
auf Fehlbildungen, mögliche Frühgeburten<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
Logo des neugegründeten Perinalalzentrums<br />
ZUM PERINATALZENTRUM GEHÖREN ...<br />
... die <strong>Universität</strong>skliniken für Kinder-<br />
und Jugendmedizin, Geburtshilfe,<br />
Pädiatrische Kardiologie, Kinder-chirurgie,<br />
Gynäkologie, Diagnostische Radiologie,<br />
Augenheilkunde, Hals-,<br />
Nasen- und Ohrenheilkunde, Anästhesiologie<br />
und operative Intensivmedizin,<br />
Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie,<br />
Neurochirurgie sowie die Institute für<br />
Humangenetik und Medizinische Biologie,<br />
Medizinische Mikrobiologie, Pathologie,<br />
Hygiene und das Zentrum für<br />
Reproduktionsmedizin und Andrologie.<br />
und Risikoschwangerschaften werden die<br />
Spezialisten frühzeitig in die Behandlung<br />
einbezogen.<br />
D IE ROLLE DER FAMILIE<br />
Die Geburtshelferin macht aber auch deutlich,<br />
dass trotz aller intensiven medizinischen<br />
Behandlung die familienfreundliche Geburt<br />
im Vordergrund stehe. Das Perinatalzentrum<br />
offeriere dazu verschiedene Angebote wie<br />
die Mitaufnahme des Vaters, das Familienzimmer,<br />
geburtsvorbereitende Kurse, die<br />
Geschwisterschule, Akupunktur und Homöopathie.<br />
■<br />
Jens Müller,<br />
Jahrgang 1973, studierte Geschichte,<br />
Politik und Soziologie. Nach einem Volontariat<br />
arbeitete er als Wirtschaftsredakteur<br />
bei der Thüringischen Landeszeitung. Seit<br />
2005 ist er Mitarbeiter des <strong>Universität</strong>sklinikums<br />
<strong>Halle</strong> und arbeitet als Pressesprecher<br />
für Klinikum und Medizinische<br />
Fakultät.<br />
Telefon: 0345 55-71032,<br />
E-Mail: jens.mueller@medizin.uni-halle.de<br />
25<br />
M EDIZINISCHE FAKULTÄT & UNIVERSITÄTSKLINIKUM
26<br />
F ORSCHUNG<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
Unangefochten Spitze<br />
Von den erfolgreichsten Wesen der Welt<br />
G ERALD MORITZ<br />
Auf der Dreiländertagung der Deutschen Gesellschaft für allgemeine und angewandte Entomologie<br />
(DGaaE), der Schweizerischen Entomologischen (SEG) und der Österreichischen Entomologischen<br />
Gesellschaft Ende Februar dieses Jahres in Innsbruck wurde der Verfasser des Beitrags<br />
dank des Vertrauens der fast eintausend Mitglieder zählenden Gesellschaft erneut (erstmals<br />
bei der Entomologen-Tagung in <strong>Halle</strong> vor vier Jahren, siehe <strong>Universität</strong>szeitung April 2003,<br />
Seite 3) zum Präsidenten gewählt. Über 350 Teilnehmer waren zu dieser Tagung nach <strong>Halle</strong><br />
gekommen. Bereits in der Eröffnungsrede des alten und neuen Präsidenten wurden die herausragende<br />
Bedeutung der Insekten im Kreislauf der Natur und ihr Einfluss auf den Menschen und<br />
seine Kultur herausgestellt.<br />
Die Insekten sind die erfolgreichsten Kreaturen<br />
auf der Erde und machen mehr als die<br />
Hälfte aller Arten aus. Sie sind hochgradig<br />
adaptiv und erobern so gut wie alle Lebensräume.<br />
Insekten sind nützlich, sie kontrollieren<br />
die Vegetation der Erde und stabilisieren<br />
ein Millionen Jahre altes Gleichgewicht und<br />
dienen so dem Stoffkreislauf der Erde. Als<br />
wichtigste Bestäuber sorgen sie darüber hinaus<br />
für den Fortbestand und die Vermehrung<br />
zahlreicher höherer Pfl anzen. Diese Eigenschaft<br />
kann gar nicht hoch genug geschätzt<br />
werden – sichern die Insekten doch indirekt<br />
damit den Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre<br />
und ein Drittel der Weltnahrung.<br />
Außerdem stellen Insekten eine wertvolle<br />
Quelle für neue medizinische Wirkstoffe dar<br />
und produzieren eine Reihe sehr interessanter<br />
chemischer Substanzen, die als Antibiotika,<br />
Fungizide oder Cytostatika (oftmals chemotherapeutisch<br />
eingesetzte Substanzen gegen<br />
Krebs, da sie Zellwachstum und vor allem<br />
Zellteilung hemmen) wirken oder der Bioluminiszenz<br />
(die Fähigkeit, mit Hilfe von Symbionten<br />
Licht zu erzeugen) dienen können.<br />
»Nebenbei« helfen ihre Gene, die menschliche<br />
Genese zu entschlüsseln und zu verstehen.<br />
Insekten sind aber auch Glieder in der Nahrungskette<br />
zahlreicher Organismen und<br />
folglich für deren Fortbestand unverzichtbar.<br />
Globale Klimaveränderungen führen zu Ver-<br />
Kopf einer Drohne der Honigbiene<br />
(Fotos [3]: Gerald Moritz)<br />
Forschungsprojekte der halleschen<br />
Entomologen ...<br />
... beschäftigen sich mit der Honigbiene (Prof. Dr.<br />
Robin Moritz – siehe scientia halensis 1/06, Seite<br />
28/29: »Anarchie im Bienenstaat. ›Capensis Kalamität‹<br />
beeinträchtigt Imkerei im Norden Südafrikas«),<br />
mit Wanderheuschrecken (Prof. Dr. Hans- Jörg Ferenz<br />
– siehe scientia halensis 1/06, Seite 13/14: »Vater<br />
werden ist recht schwer ... Zur Paarungsstrategie von<br />
Wanderheuschrecken«) und mit Fransenflüglern (Prof.<br />
Dr. Gerald Moritz – siehe scientia halensis 1/06,<br />
Seite 17/18: »Thripse – Globetrotter im Auftrag des<br />
Bösen. Weltweiter Pflanzentransfer begünstigt der<br />
Verbreitung von Viren«).<br />
änderungen der Flora und damit zu massiven<br />
Veränderungen der Fauna. Gerade nach einem<br />
sehr warmen Sommer – wie er uns wieder<br />
bevorzustehen scheint – und einem so milden<br />
Winter, wie es der vergangene war, ist<br />
das Verhalten und vermutlich massenhafte<br />
Auftreten von Mücken, Wespen oder Fliegenpopulationen<br />
von größtem Interesse: Lokale,<br />
bislang unbedeutende Arten erlangen einen<br />
hohen phyto-, zoo- oder humanpathologischen<br />
Status oder das Auftreten neuer, invasiver<br />
Arten führt zu nicht kalkulierbaren Konsequenzen.<br />
Die unmittelbaren Folgen sind häu-<br />
Kopf einer Wanderheuschrecke<br />
(Foto: Hans-Jörg Ferenz)<br />
Fransenflügler infizieren zahlreiche Pflanzen mit<br />
Viren, die oftmals eine Vermarktung des Finalprodukts<br />
verhindern. Ein kalifornischer Farmer zeigt<br />
dies eindrucksvoll an Paprikaschoten, die mit<br />
Tospoviren infiziert sind.<br />
fi g sehr ernstzunehmende Erkrankungen von<br />
Pfl anzen, Tieren und Menschen.<br />
Mit modern hergestellten Insektiziden versucht<br />
man diese Bedrohungen zu dämmen,<br />
wobei aufgrund der enormen Anpassungsfähigkeit<br />
und des Reproduktionserfolges der<br />
Insekten ein nicht endender Wettlauf begonnen<br />
hat, in dem uns die Insekten immer einen<br />
Schritt voraus sind.<br />
Milliarden von Insekten – kleiner als ein Pantoffeltierchen<br />
oder fast so groß wie ein Handball<br />
– verkörpern über Millionen von Jahren<br />
optimale Lösungen für das Problem Leben.<br />
Mit welcher Euphorie hofft man schon heute<br />
darauf, eines Tages einige Arten Lösungen<br />
im Kampf gegen Allergien, Krebs oder Viren<br />
präsentieren zu können!<br />
Fünf Fachkollegien der DFG,<br />
in denen die DGaaE seit <strong>2007</strong><br />
das Vorschlagsrecht ausüben kann:<br />
201-03 Spezielle Zoologie, Morphologie<br />
203-02 Evolution, Biodiversität, Anthropologie<br />
203-05 Ökologie der Tiere und Ökosystemforschung<br />
207-04 Ökologie von Agrarlandschaften<br />
207-06 Phytomedizin<br />
Die Biowissenschaften lassen in diesem Jahrhundert<br />
aus ihrem strukturell-funktionellen<br />
Kontext und dem Wissen aus Genetik und<br />
Molekularbiologie revolutionäre Entwicklungen<br />
erwarten. Die Menschen werden begreifen<br />
müssen, dass das Spektrum des wissenschaftlichen<br />
Fortschritts sich wandelt und dass die<br />
Entomologie in diesem Wandel einen festen<br />
Platz einnimmt. Das zeigt sich klar auch darin,<br />
dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft<br />
ab <strong>2007</strong> der DGaaE das Vorschlagsrecht für<br />
DFG-Gutachter in nunmehr fünf Fachkollegien<br />
einräumt.<br />
■<br />
rechte Seite: Kopf und Thorax eines nur 2 mm<br />
großen Fransenflüglers (Echinothrips americanus)
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
F ORSCHUNG<br />
Prof. Dr. Gerald Moritz,<br />
Jahrgang 1954, studierte 1974–1978<br />
Chemie und Biologie an der Hochschule<br />
Köthen. Dort lehrte und forschte er bis<br />
1986 (Promotion [Zoologie] 1981)<br />
und wechselte dann an die <strong>Universität</strong><br />
Potsdam, Bereich Zoologie (Habilitation<br />
1991). 1994 wurde er zum Professor für<br />
Entwicklungsbiologie an das Institut für<br />
Biologie – Bereich Entwicklungsbiologie<br />
– der MLU berufen. Seine Forschungsschwerpunkte<br />
liegen im Bereich der Entomologie. Seit 2003 ist er<br />
Präsident der DGaaE. Telefon: 0345 55-26430,<br />
E-Mail: gerald.moritz@zoologie.uni-halle.de<br />
27
28<br />
» S T URM-KULTUR«<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
Die neue (alte) »sTurmkultur«<br />
Zurück zu den Wurzeln der Studentenklubs<br />
P AOLO SCHUBERT<br />
Jahrzehntelang galt der hallesche »Turm« (der Moritzburg) als Mittelpunkt studentischen Lebens.<br />
Bis 1989 sorgte ein reichhaltiges Veranstaltungsangebot für die Befriedigung kultureller<br />
Bedürfnisse – eine Entwicklung, die sich nicht fortsetzte. Zwischen Insolvenzen und Betreiberwechseln<br />
traten im traditionsreichsten Studentenclub der Stadt zunehmend kommerzielle Ziele<br />
in den Vordergrund. Mainstream hieß plötzlich das Zauberwort: Flyer und Imagekampagnen<br />
proklamierten harte Beats statt geistigen Anspruch. Und so manch einer fragte sich: Ist studentische<br />
Kultur noch zeitgemäß? Dass nicht alle Studierenden damit einverstanden sind, zeigt das<br />
Engagement der studentischen Turmkultur. Ihre Mitglieder bemühen sich seit nun einem Jahr,<br />
mit Förderprogrammen und innovativen Ideen an alte Traditionen anzuknüpfen – mit Erfolg!<br />
Singeklub in den 80er Jahren; Foto unten: Barpersonal zur Eröffnung des »Turms« (Fotos [3]: Turm <strong>Halle</strong>)<br />
Den Initiatoren des sTurmkultur-Vereins ist<br />
vor allem eines wichtig: Studierende sollen<br />
wieder an der Programmgestaltung des Turms<br />
mitwirken können. »Der einst beliebte Studentenklub<br />
ist zu einer normalen Partylocation<br />
verkommen. Deshalb möchten wir abseits<br />
von Studentenpartys kulturell anspruchsvolle<br />
Angebote neu aufl eben lassen. Von einem<br />
facettenreichen Programm profi tieren dann<br />
nicht nur die Besucher, sondern auch die Betreiber.<br />
Es würde vor allem neues Publikum<br />
anlocken; potenzielle Stammgäste, die den<br />
Turm als Hort der halleschen Studentenszene<br />
wieder schätzen lernen«, erklärt Jan Wioland,<br />
einer der Gründer des Projekts.<br />
Die letzten Jahre scheinen Wioland Recht zu<br />
geben. Seit 2000 wurden fast ausschließlich<br />
kommerzielle Club-Veranstaltungen aus dem<br />
Dance- und Black Music-Spektrum angeboten.<br />
Die Betreiber orientierten sich zunehmend<br />
an den Bedürfnissen des typischen Partyvolks<br />
– die Turm-Tradition, die bis in die siebziger<br />
Jahre reicht, blieb auf der Strecke; die Besucherzahlen<br />
gingen stetig zurück.<br />
F ACETTENREICHES STUDENTENENGAGEMENT<br />
Anfang 2006 pachtete die Turm Event GmbH<br />
den Gebäudekomplex; mit Ulf Böttcher fand<br />
sie einen Geschäftsführer, der als Klubleiter<br />
auf eine lange »Turm-Karriere« zurückblicken<br />
kann. Die Gruppe um Wioland, die sich im<br />
letzten Jahr zur gleichen Zeit gründete, wollte<br />
den neuen Eigentümer erst einmal Fuß fassen<br />
lassen. »Wir hatten bis zu diesem Zeitpunkt<br />
ständig neue Ansprechpartner und mussten<br />
uns bei jeder Anfrage auf neue Ansichten<br />
und Vorhaben einstellen. Wir haben auf Zeit<br />
gespielt. Denn natürlich geht es auch immer<br />
um Wirtschaftlichkeit – das Geschäft muss<br />
ja erst einmal anlaufen, bevor man mit neuen<br />
Programmen experimentieren kann«, erinnert<br />
sich Wioland.<br />
Umso erstaunter sei man gewesen, als sich<br />
Böttcher und einige andere von Turm Event<br />
bereits nach wenigen Monaten bei Studierendenvertretern<br />
der MLU vorstellten und ihr<br />
Konzept zum Aufbau einer neuen Plattform<br />
für studentisches Leben präsentierten. »Die<br />
Beteiligten merkten schnell, dass sie gemeinsame<br />
Ziele verfolgen, und die Gespräche<br />
Zum 25-jährigen Jubiläum erschien die Publikation<br />
»25 Jahre Studentenklub ›Turm‹ <strong>Halle</strong>/Saale<br />
1973–1989«. Darin gibt Kurt Fricke einen Überblick<br />
über Geschehnisse des Studentenklubs von der<br />
Gründungszeit bis hin zu den Wendejahren. Das<br />
Heft kann in der ULB unter der Signatur 96 B 1324,<br />
Kapsel (33) eingesehen werden.<br />
mündeten letztendlich in eine gemeinsame<br />
Vereinbarung.« Konkret: Günstige Mietvereinbarungen,<br />
außerfi nanzielle Unterstützung<br />
bei der Organisation von Partys und anderen<br />
Veranstaltungen, Werbung, Berücksichtigungen<br />
von Terminen bei der Programmplanung<br />
des Turms und im Programmheft.<br />
Die Vereinsmitglieder nutzten die Chance und<br />
initiierten binnen weniger Monate, auch in<br />
Kooperation mit anderen studentischen Gruppen<br />
und Veranstaltern, die ersten Projekte.<br />
Dass es nicht immer Großveranstaltungen sein<br />
müssen, zeigt das Beispiel des Sommerfestes<br />
der Germanisten im Juli 2006. »Die Studierenden<br />
wollten im Rahmen ihres Studiums<br />
ein Sprechtheater organisieren. Da ihr Institut<br />
über keine geeigneten Räumlichkeiten verfügte,<br />
haben wir das Vorhaben zusammen mit<br />
dem noch ausstehenden Sommerfest des Instituts<br />
in den Turm verlegt.« sTurmkultur habe<br />
sich um einen günstigen Mietpreis bemüht<br />
und auch bei Materialen ausgeholfen.
Scheibenfleisch Liveact: King of Nothing heizte den Gästen ein ...<br />
S CHEIBENFLEISCH – HANDGEMACHTER ROCK<br />
Ähnliche Absprachen traf das Team von<br />
sTurmkultur mit dem im Dezember 2006<br />
gegründeten Verein Halternative e. V., der<br />
das studentische Leben in <strong>Halle</strong> verbessern<br />
und zur kulturellen Vielfalt beitragen will.<br />
Dazu zählte die Entwicklung eines neuen<br />
Veranstaltungskonzeptes: eine Party für wenig<br />
Geld, die als »Scheibenfl eisch« bald in die<br />
halleschen Veranstaltungskalender einzog.<br />
Über Gästemangel bei dem regelmäßig stattfi<br />
ndenden Event können die Veranstalter nicht<br />
klagen; allein zum Start am 19. Januar <strong>2007</strong><br />
kamen über 1000 Besucher – Traumzahlen<br />
für die Turm-Organisatoren.<br />
Diesen Erfolg sieht Tobias Glufke, Vorstandsmitglied<br />
von Halternative und Vereinsmitglied<br />
bei sTurmkultur, vor allem im alternativen<br />
Konzept begründet. »Wir bieten mehr als<br />
eine einfache Party. Wir bieten ein Programm.<br />
Unsere Gäste können sich beispielsweise<br />
an einem Luftgitarren-Contest und an einer<br />
Rock-Karaoke beteiligen; Programmpunkte,<br />
die durchaus sehr beliebt sind. Außerdem<br />
spielt eine Band – das sorgt für viel Abwechslung«,<br />
meint der BWL-Student. Einen anderen<br />
Grund für den hohen Zuspruch sieht er in der<br />
Musikauswahl. »Scheibenfl eisch bedeutet<br />
Rock, Alternative und Independent. Wir verzichten<br />
weitestgehend auf die typische Partymusik,<br />
die man auch in <strong>Halle</strong> an allen Ecken<br />
und Enden zu hören bekommt.«<br />
»FDJ-Studentenklub Moritzburg der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg,<br />
gebaut zu Ehren der X. Weltfestspiele«<br />
(Aufschrift der Erinnerungstafel – 12 Stunden nach der Eröffnung vom ersten Klubleiter Konrad Potthoff enthüllt)<br />
Zu Beginn der siebziger Jahre baute die Freie Deutsche Jugend (FDJ) in vielen Städten der DDR Studentenklubs auf.<br />
Nachdem der Bauernklub in der Ludwig-Wucherer-Straße als erster hallescher Klub im Oktober 1972 eröffnet wurde,<br />
folgte am 6. Juli 1973 der Studentenklub Moritzburg, der bald als »Turm« die zentrale Rolle als geistig-kulturelles Zentrum<br />
des studentischen und studentenpolitischen Lebens einnahm. Kleinere Sektionsklubs, die sich vor allem in der Nähe<br />
zu den Wohnheimen über das gesamte Stadtgebiet verteilten, verzeichneten jedoch nicht weniger Zulauf.<br />
Die erste Blütezeit erlebte der Turm bereits in den Anfangsjahren. Sein anspruchsvolles Programm –neben den schon<br />
damals beliebten Diskoveranstaltungen ein reichhaltiges kulturelles Angebot aus Jazz- und Theater-Abenden, Kabarett<br />
und Lesungen – zog über viele Jahre das Interesse der Öffentlichkeit auf sich.<br />
Durch ihre Quasi-Monopolstellung profitierte die Einrichtung als Organisator und Veranstalter von Tanzabenden und Konzerten<br />
von der zentralen städtischen bzw. universitätsnahen Lage. Eine weitere Besonderheit war die rechtliche Stellung<br />
des Klubs. Als universitätseigene Einrichtung durfte der Klub länger öffnen als andere gastronomische Einrichtungen;<br />
auch Nicht-Studierende, für die eine kleinere Menge an Eintrittskarten zur Verfügung stand, durften an den nicht-öffentlichen<br />
Turm-Veranstaltungen teilnehmen. Erst in den 80er Jahren änderte sich die öffentliche Wahrnehmung stark.<br />
1988 beklagte Klubchef Ulf Herden in der <strong>Universität</strong>szeitung, dass der enorme Aufwand, den die Turm-Mitglieder in die<br />
Aufrechterhaltung des Klublebens investierten, immer weniger Berücksichtigung und Anerkennung finde und zunehmend<br />
aus dem Blickwinkel der Öffentlichkeit gerate. Die Gründe für diese Entwicklung sahen viele sowohl in der mangelhaften<br />
Beurteilung und Kommunikation seitens der universitären Verantwortlichen als auch in der Tatsache, dass die Verantwortlichen<br />
der Turm hauptsächlich als Vergnügungsort wahrnahmen und die kulturellen Angebote kaum beachten. Trotz seiner<br />
festen Einbindung in die Struktur der Freien Deutschen Jugend – die Studentenklubs der FDJ sollten zur sozialistischen<br />
Persönlichkeitsentwicklung beitragen – öffnete der Turm zur politischen Wende 1989 seine Türen, um den unterschiedlichen<br />
Interessengruppen Platz für freien Gedankenaustausch zu bieten. Jedoch kann dies nicht darüber hinwegtäuschen,<br />
dass die Beobachtung des Turmleben durch die Staatssicherheit – einige der Klubleiter erklärten sich bereit, als informelle<br />
Mitarbeiter des MfS zu arbeiten – unabhängige Diskussionen und Veranstaltungsplanungen nur eingeschränkt<br />
ermöglichte und die Bildung einer studentischen Opposition nie zuließ.<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
P OETRY SLAM – UM DIE WETTE SELBER SCHREIBEN<br />
Eine ganz andere Facette studentischer Kultur<br />
verdeutlicht Glufke am monatlichen Literaturwettbewerb<br />
Poetry Slam. Die Idee: Lesungen<br />
organisieren, bei denen neben Studierenden<br />
auch Nicht-Studenten zu Wort kommen können.<br />
»In einer Stadt mit hoher Arbeitslosigkeit<br />
und anderen sozialen Problemen soll Poetry<br />
Slam als Forum dienen, um Menschen zusammenzubringen<br />
und ihr Selbstbewusstsein<br />
zu stärken«, erklärt Glufke weiter. Deshalb<br />
wünsche sich der Halternative-Vorstand vor<br />
allem kreative Köpfe aus dem sozial schwachen<br />
Umfeld. Literatur als Sprachrohr – so<br />
verstehen es die Projektbeteiligten. Zu den<br />
ersten Veranstaltungen im April und im Mai<br />
kamen fast 180 Besucher, um die Werke der<br />
Teils hochkarätigen Teilnehmer zu hören.<br />
Denn angekündigt waren neben Amateuren<br />
und Newcomern auch Prominente wie Nadja<br />
Schlüter, die bereits bei der Poetry Slam-Variante<br />
im WDR erfolgreich war sowie Maren<br />
Kames, die im Mai <strong>2007</strong> das Leipziger Poetry<br />
Slam gewann.<br />
Weitere Informationen:<br />
http://www.halternativ-verein.de/<br />
http://www.turm-halle.de<br />
http://www.sturmkultur.de<br />
(Seite noch im Aufbau)<br />
Nicht jede(r) muss sich mit professionellen<br />
Slam’ern an die Meßlatte stellen. In der Rubrik<br />
Open Mic können sie ohne Jury-Bewertung<br />
dem Publikum eigene Texte vorstellen.<br />
»Uns ist dieser Programmpunkt sehr wichtig«,<br />
meint Glufke. Vielen ginge es einfach darum,<br />
mit ihren Texten etwas auszusagen; die Platzierung<br />
spiele für sie keine Rolle.«<br />
Die Zeit nach der Sommerpause soll mit<br />
einem Poetry Slam im Großformat beginnen.<br />
»Wir wollen bis August ein Slam Open<br />
Air auf die Beine stellen. Im Turm wird die<br />
Slam-Elite aus Deutschland und der Schweiz<br />
aufeinandertreffen. Außerdem stehen wir<br />
derzeit im Gespräch mit mehreren Cafes und<br />
Kneipen der Innenstadt. Hier sollen dann bis<br />
in die Nacht hinein kleinere Literaturkämpfe<br />
ausgetragen werden.« Dafür benötige Halternative<br />
weitere Unterstützung. Die studentische<br />
sTurmkultur habe Hilfe bereits fest zugesagt.<br />
Und Wioland fügt hinzu: »Wir hoffen, dass es<br />
nicht die einzigen durch Studenten organisierten<br />
Veranstaltungen bleiben ...«<br />
■<br />
Paolo Schubert,<br />
Jahrgang 1980, studiert seit 2001<br />
Diplom-Politikwissenschaft und schreibt<br />
seit 2000 für verschidene Tageszeitungen<br />
und Jugendmagazine. Seit Anfang 2006<br />
ist er als studentische Hilfskraft in der<br />
Abteilung Öffentlichkeitsarbeit/Veranstaltungsmanagement<br />
beschäftigt.<br />
Telefon: 0171 8393278, E-Mail: paolo.<br />
schubert@verwaltung.uni-halle.de<br />
29<br />
» S T URM-KULTUR«
30<br />
A LUMNI HALENSES<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
Uni ohne Ende ...<br />
Alumni & Absolvent(inn)en der Mathematik und Informatik<br />
J ÜRGEN BRUDER UND STEFAN BRASS<br />
Das Mathematikstudium hat seit Jahrzehnten einen festen Platz an der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong><br />
<strong>Halle</strong>-Wittenberg, Informatiker(innen) werden seit Anfang der 90er Jahre ausgebildet. Die meisten<br />
Absolvent(inn)en erinnern sich gern an die Studienzeit, das alte Institut und die Lehrenden<br />
mit ihren Stärken und Schwächen. Oft gibt es noch persönliche Kontakte zur eigenen Seminargruppe<br />
oder zum alten Jahrgang.<br />
1998 wurde die Georg-Cantor-Vereinigung<br />
(siehe unten) als Förderverein des Fachbereichs<br />
Mathematik und Informatik gegründet.<br />
Erklärtes Ziel: Lehre und Forschung an den<br />
DIE »CANTORIANER(INNEN)« SUCHEN NEUE FREUNDE<br />
Instituten für Mathematik und für Informatik<br />
zu fördern und die Verbundenheit der<br />
Mitglieder mit dem damaligen Fachbereich<br />
pfl egen. Seitdem gehören u. a. jedes Jahr zwei<br />
Veranstaltungen zur Arbeit des Fördervereins:<br />
die Verabschiedung der Absolvent(inn)en der<br />
Institute für Mathematik und für Informatik<br />
(gemeinsam mit der Fachschaft) und die Treffen<br />
von Altabsolvent(inn)en verschiedener<br />
Jahrgänge.<br />
A KTIVITÄTEN DES FÖRDERVEREINS<br />
Die Verabschiedungen – mit Fachvorträgen<br />
von Altabsolvent(inn)en und Erinnerungsmappen<br />
für alle Absolvent(inn)en – sind sehr<br />
beliebt. Sponsoren stellen Preise für die Besten<br />
zur Verfügung.<br />
Aufwendiger ist die Vorbereitung der Altabsolvententreffen,<br />
da die Kontakte zur Uni oft<br />
vor Jahrzehnten abgerissen sind. Trotzdem<br />
gelang es im Laufe der Jahre, etwa die Hälfte<br />
der Absolvent(inn)en ausfi ndig zu machen und<br />
jeweils in Gruppen von fünf oder zehn Jahrgängen<br />
zu Treffen einzuladen. Auf dem Programm<br />
stehen die Vorstellung des derzeitigen<br />
Instituts für Mathematik, ein fachlicher Vortrag<br />
eines der Eingeladenen, Stadtrundgänge,<br />
eine Führung der Kustodie zur Geschichte der<br />
<strong>Universität</strong>, durch das Löwengebäude mit der<br />
restaurierten Aula und dem historischem Hörsaal,<br />
oft auch durch aktuelle Ausstellungen.<br />
Die Georg-Cantor-Vereinigung der Freunde und Förderer von Mathematik und Informatik an der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong><br />
<strong>Halle</strong>-Wittenberg e. V. wurde 1998 gegründet. Neben der Alumni-Arbeit unterstützt sie Schüler- und Studentenprojekte,<br />
Seminare und Workshops, ermöglicht Studierenden die Teilnahme an Konferenzen und fördert wissenschaftliche Veranstaltungen.<br />
Einen Schwerpunkt bilden Erforschung und Bewahrung der Geschichte der mathematischen Ausbildung und Forschung<br />
in <strong>Halle</strong>. So wurden 2006 Beiträge für das Programmheft der in <strong>Halle</strong> uraufgeführten Oper »Cantor – die Vermessung des<br />
Unendlichen« geschrieben. Im gleichen Jahr kooperierte Frau Prof. Dr. Karin Richter mit einem BBC-Team bei Dreharbeiten an<br />
den historischen Stätten in <strong>Halle</strong> für eine einstündige Dokumentation über Georg Cantor. Einige der Arbeiten zur Geschichte<br />
der Mathematik in Forschung und Lehre an der MLU erscheinen im »Georg-Cantor-Heft«, der seit 1999 jährlich herausgegebenen<br />
Mitgliederzeitschrift. Daneben enthalten die Hefte aktuelle Beiträge von bzw. für Studierende und Absolvent(inn)en<br />
zu wechselnden Themen aus Mathematik und Informatik. Es ist eine gute Tradition, auch herausragende Abschlussarbeiten<br />
oder Dissertationen in den Cantor-Heften vorzustellen. Während die Preise für die Besten dankenswerterweise von Sponsoren<br />
finanziert werden, trägt sich die Förderung anderer Aktivitäten des Fördervereins vor allem durch Spenden und Beiträge von<br />
Mitgliedern und Nichtmitgliedern. Deshalb ist jede Hilfe durch Spenden, Mitgliedschaft oder ehrenamtliche Mitarbeit willkommen.<br />
Alle wichtigen Informationen (Satzung, Formulare usw.) finden sich im Internet unter<br />
http://www.mathematik.uni-halle.de/~cantorev<br />
B LEIBENDES FÜR »EHEMALIGE«<br />
Einige Jahrgänge treffen sich seit dem Studium<br />
regelmäßig, für andere ist es das erste Wiedersehen<br />
nach vielen Jahren, so dass neben<br />
dem Programm die persönliche Begegnung,<br />
der Austausch von Erinnerungen und die vielfältigen<br />
berufl ichen Wege nach dem Studium<br />
für bleibende Eindrücke sorgen. Als Termin<br />
hat sich der Samstag nach der »Langen Nacht<br />
der Wissenschaft« bewährt, damit sich die<br />
»Ehemaligen« am Vorabend über das aktuelle<br />
Geschehen an der Uni und an den beiden Instituten<br />
informieren können.<br />
Prof. Dr. Stefan Braß,<br />
Jahrgang 1964, studierte 1983–1988<br />
Informatik an der TU Braunschweig,<br />
anschließend lehrte und forschte er bis<br />
1998 an den <strong>Universität</strong>en Dortmund<br />
und Hannover (Promotion 1992, Habilitation<br />
1997). 1998–2000 wirkte er<br />
als Assistent Professor an der University<br />
of Pittsburgh (USA). Nach Lehrtätigkeit<br />
an der <strong>Universität</strong> Gießen und an der<br />
TU Clausthal<br />
folgte er 2003 dem Ruf an die <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong>.<br />
Telefon: 0345 55-24740, E-Mail: stefan.brass@informatik.uni-halle.de<br />
Absolvent(inn)en im historischen Löwengebäude der<br />
<strong>Universität</strong> (Foto: Jörg Gersonde)<br />
Diese Veranstaltungen stellen nur einen<br />
ersten Schritt dar, um das Potenzial der<br />
Absolvent(inn)en für die Arbeit der Institute<br />
zu nutzen. Ebenso wünschenswert wäre es,<br />
Studierende von Beginn des Studiums an mit<br />
konkreten Angeboten und Kontakten zu unterstützen<br />
oder Absolvent(inn)en nach dem Studium<br />
durch Weiterbildungen und Vortragsangebote<br />
mit aktuellen fachlichen Entwicklungen<br />
bekannt zu machen. Noch aber scheitern<br />
solche Ideen an fehlenden Kapazitäten.<br />
S TUDENT( INN) EN PRO ALUMNI<br />
Derzeit entwickeln Student(inn)en der Informatik<br />
im Rahmen eines Praktikums eine<br />
Datenbank mit Schnittstelle zum Internet,<br />
die zum einen die Kontaktmöglichkeiten mit<br />
und zwischen Absolvent(inn)en erweitern<br />
und zum anderen organisatorische Abläufe<br />
(Vorbereitung von Absolvententreffen und<br />
Vereinssitzungen) der Georg-Cantor-Vereinigung<br />
vereinfachen wird. Studierende und<br />
Absolvent(inn)en sollen gleichermaßen Zugang<br />
haben, um Studentinnen und Studenten<br />
frühzeitig einzubinden. Nutzer der Datenbank<br />
können Interessenprofi le hinterlegen, über die<br />
sich etwa Vortragende oder Teilnehmer(innen)<br />
für Weiterbildungsveranstaltungen fi nden oder<br />
Kontakte zu interessierten Firmen herstellen<br />
lassen. Diese Datenbank kann später natürlich<br />
auch von anderen Instituten und Fakultäten<br />
genutzt werden.<br />
■<br />
Dr. Jürgen Bruder,<br />
Jahrgang 1958, studierte 1978–1983<br />
Mathematik an der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<br />
<strong>Universität</strong>, 1983–1989 folgten ein<br />
Forschungsstudium und Tätigkeit als<br />
wissenschaftlicher Mitarbeiter ebenda<br />
(Promotion 1986). Seit 1989 ist er<br />
wissenschaftlicher Mitarbeiter, bis 1993<br />
an der PH <strong>Halle</strong>-Köthen, seitdem durch<br />
deren Fusionmit der MLU an der<br />
halleschen <strong>Universität</strong>.<br />
Telefon: 0345 55-24663,<br />
E-Mail: juergen.bruder@mathematik.uni-halle.de
25 Fragen an<br />
Armenuhi Drost-Abgarjan<br />
Verbales Porträt einer Zeitgenossin<br />
Unzählige Varianten des Fragebogens, der durch die Antworten von Marcel Proust<br />
(http://www.lauramars.de/gruppe-m/proust2000.html) so berühmt geworden ist, sind in den<br />
Medien (FAZ, Forschung & Lehre, UNICUM etc.) zu finden.<br />
scientia halensis spielt mit. Diesmal ist unsere Match-Partnerin die Privatdozentin Frau Dr.<br />
Armenuhi Drost-Abgarjan vom Orientalischen Institut der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong>:<br />
1. Warum sind Sie in <strong>Halle</strong> und nicht anderswo?<br />
Weil <strong>Halle</strong> die einzige Stadt ist, in der ich<br />
meinen Beruf in einem einzigartigen Kontext<br />
und mit optimaler Infrastruktur ausüben<br />
kann. Und weil ich hier meinen Mann kennengelernt<br />
habe.<br />
2. Wenn nicht Armenologin, was wären Sie dann<br />
geworden?<br />
Immer wieder Armenologin.<br />
3. Was war an Ihrer Studienzeit am besten?<br />
Der Stand der Allgemeinbildung.<br />
4. Welchen Rat fürs Leben geben Sie Studierenden<br />
und Absolvent(inn)en heute?<br />
Vertrauen in die Zukunft.<br />
5. Welchen Rat fürs Überleben geben Sie<br />
Kolleg(inn)en?<br />
Nie aufgeben.<br />
6. Wenn Sie Rektorin einer <strong>Universität</strong> wären,<br />
was würden Sie als erstes tun?<br />
Lehre und Forschung von Management entlasten.<br />
7. Wenn Sie Forschungsministerin eines Landes<br />
wären, was würden Sie niemals tun?<br />
Natur- und Geisteswissenschaften mit den<br />
gleichen Kriterien messen.<br />
8. Was ist für Sie die erste Aufgabe der Wissenschaft?<br />
Die Menschheit näher an die Verwirklichung<br />
ihrer Ideale und Visionen heranzuführen.<br />
9. Was haben Intelligenz und Menschlichkeit<br />
miteinander zu tun?<br />
Je nachdem, wie man die Intelligenz<br />
definiert ...<br />
10. Wie schätzen Sie das Verhältnis zwischen<br />
Mensch und Technik ein?<br />
Zwiespältig: faszinierend, aber auch<br />
bedrohlich.<br />
11. Worüber ärgern Sie sich am meisten?<br />
Über die Unkollegialität und Unfairness in<br />
zwischenmenschlichen Beziehungen.<br />
12. Worauf freuen Sie sich gerade jetzt?<br />
Auf das Abitur meiner Söhne.<br />
13. Was macht Sie schwach?<br />
Vertrauensbruch. Hilflosigkeit vor Gewalt<br />
und Sturheit.<br />
14. Wo sehen Sie Ihre Stärken?<br />
In der Vermittlung zwischen den Menschen<br />
und Kulturen.<br />
15. Was erwarten Sie von der Zukunft?<br />
Dass bei wichtigen Entscheidungen für die<br />
Gesellschaft nicht immer finanzielle Aspekte<br />
im Vordergrund stehen.<br />
16. Warum muss jeder Mensch an etwas glauben?<br />
Darin sehe ich den Sinn des Lebens.<br />
17. Welchen bedeutenden Menschen unserer Zeit<br />
hätten Sie gern als Gesprächspartner?<br />
Als Altphilologin wäre ich geneigt, Gesprächspartner<br />
bei den nicht mehr unter uns<br />
Weilenden zu suchen.<br />
18. Wer war oder ist für Sie der wichtigste<br />
Mensch in Ihrem Leben?<br />
Mein Vater.<br />
19. Welchen Ort der Welt möchten Sie unbedingt<br />
kennen lernen?<br />
Görlitz.<br />
20. Womit verbringen Sie Ihre Freizeit am<br />
liebsten?<br />
Wenn ich sie hätte, würde ich reisen und neue<br />
Sprachen lernen.<br />
21. Was wären Ihre drei Bücher für die Insel?<br />
Ein Philosophie-, ein Poesie-, ein Fachbuch.<br />
22. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten ...?<br />
.. . würde ich um die Eintragung des letzten<br />
Seminars für die Sprachen und Kulturen des<br />
Christlichen Orients im deutschsprachigen<br />
Raum an unserer <strong>Universität</strong> in das »Rote<br />
Buch« bitten, damit diese bedrohte seltene<br />
und exzellente Wissenschaftskultur der wissenschaftlichen<br />
Landschaft Zentraleuropas<br />
bewahrt bleibt und nicht Sparmaßnahmen<br />
zum Opfer fällt.<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
AUS DER VITA:<br />
Geboren 1955 in Jerewan; Studium der<br />
Armenologie, Klassischen Philologie und<br />
Byzantinistik in Jerewan und Moskau; Promotion<br />
1984 in Moskau und Tbilissi; 1985<br />
Übersiedlung nach Deutschland; seitdem<br />
wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut<br />
für Orientalistik der MLU;<br />
2003 Habilitation in <strong>Halle</strong>; Forschungsschwerpunkt:<br />
komparative Studien zur<br />
Geschichte der armenischen Literatur im<br />
Kontext der Sprachen und Literaturen<br />
des Christlichen Orients und von Byzanz;<br />
Initiatorin mehrerer interdisziplinärer und<br />
internationaler DFG- und VW-Projekte:<br />
• Übersetzung des Armenischen Hymnariums<br />
Scharaknotz,<br />
• Das Wörterbuch des Mittelarmenischen<br />
von Josef Karst,<br />
• Expertenworkshops Deutsche und armenische<br />
mittelalterliche Literaturen u. a.;<br />
Mitbegründerin des MESROP-Zentrums<br />
für armenische Studien; Mitorganisatorin<br />
der Leucorea-Tagungen zu den interkulturellen<br />
und interreligiösen Studien im<br />
Orient und Redaktionsmitglied der Schriftenreihe<br />
<strong>Halle</strong>sche Beiträge zur Orientwissenschaft;<br />
seit 1983 verheiratet mit Dr. rer. nat. Wolf-<br />
Gernot Drost; zwei Kinder: Hajk-Georg<br />
und David.<br />
Armenuhi Drost-Abgarjan im April 1995 in der Klosterbibliothek der Mechitharisten in Venedig (Foto: privat)<br />
23. Wie lautet Ihre Lebensmaxime?<br />
Optimismus.<br />
24. Was bringt Sie zum Lachen?<br />
Geschmackvoller Scharfsinn.<br />
25. Warum nehmen Sie sich Zeit für dieses Interview?<br />
Weil ich von Natur aus kommunikativ bin.<br />
■<br />
31<br />
P ORTRÄT EINER ZEITGENOSSIN
32<br />
(FACH-)LITERATURFABRIK UNIVERSITÄT<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
(Fach-)Literaturfabrik <strong>Universität</strong><br />
Lese-Empfehlungen querbeet<br />
C ARSTEN HECKMANN, THOMAS JÄHNIG, PAOLO SCHUBERT UND MARGARETE WEIN<br />
Wiederum kann nur ein Teil dessen vorgestellt werden, was in letzter Zeit an Druckprodukten<br />
von <strong>Universität</strong>sangehörigen auf den Buchmarkt gebracht worden ist. Wenn die eine oder andere<br />
Präsentation zum Kauf – und vor allem zur Lektüre – animiert, ist der vorgesetzte Sinn dieser<br />
Seiten erfüllt. Allerdings muss man gar nicht immer Geld ausgeben, wenn man etwas Neues lesen<br />
will: Auch die Aktion »Bring ein Buch, nimm ein Buch« der Franckeschen Stiftungen zum<br />
Themenjahr <strong>2007</strong> »mitteilenswert. Ein Jahr der Kommunikation« (siehe unten) hat inzwischen<br />
schon mehr als 500 Liebhaber(innen) gefunden, von denen gewiss nicht wenige aus studentischen<br />
Kreisen kommen ...<br />
Die Vorstellung periodischer Schriften in Fakultäten und Instituten wird diesmal unterbrochen<br />
und in der Oktoberausgabe <strong>2007</strong> weitergeführt.<br />
V OM »SAALWEIN« BERG ZUM HIGHTECH-CAMPUS<br />
Teil 1 einer kurzweiligen, mit viel Liebe zum<br />
Detail zusammengetragenen Lokalhistorie von<br />
Dr. Walter Müller (<strong>Universität</strong>s- und Landesbibliothek<br />
Sachsen-Anhalt) ist seit Ende Mai<br />
im Uni-Shop am halleschen Markt zu haben<br />
und bietet allen, die sich für die Geschichte der<br />
Stadt <strong>Halle</strong> und ihrer <strong>Universität</strong> interessieren,<br />
lohnende Lektüre.<br />
»weinberg campus zwischen gestern und heute«<br />
heißt das handliche Bändchen, das reich<br />
illustriert die über viele Jahrhunderte wechselvollen<br />
Geschicke jenes Areals zwischen<br />
der halleschen »Heide« und der Wilden Saale<br />
für eine wissbegierige Leserschaft wahlweise<br />
deutsch und englisch präsentiert.<br />
Am Anfang war der »Saalwein«, seit dem 13.<br />
Jahrhundert angebaut und laut Dreyhaupts<br />
berühmter Stadtchronik von 1749/50 »... sehr<br />
stark, ja sehr feurig, als ein alter Rheinwein<br />
immer sein kann ...« – wenn man »den kalkigen<br />
Erdgeschmack« ignoriert. Später spielte<br />
der Aufklärer, Professor, Schankwirt, Häftling<br />
und Philosoph Carl Friedrich Bahrdt eine<br />
teils zwielichtige Rolle. 1813 kam Teilen des<br />
ausgedehnten Weinberggeländes eine strategische<br />
Bedeutung im Abwehrkampf gegen die<br />
Napoleonischen Truppen zu. Auch der Bau<br />
einer »Heil- und Irrenanstalt«, die Anlage von<br />
Maulbeerbaumplantagen und einer prächtigen<br />
Platanenallee, eine Rennstrecke, ein Gestüt,<br />
Bürgervillen und Kasernen präg(t)en im Lauf<br />
der Zeit das Gesicht dieses nordwestlich der<br />
Altstadt gelegenen Bezirks.<br />
Die universitäre Historie des Weinberg(weg)s<br />
begann in den Jahren 1952–55 mit dem Bau<br />
des neue Chemischen Instituts. Es folgten bis<br />
1974 das Institut für Festkörperphysik und<br />
Elektronenmikroskopie der Akademie der<br />
Wissenschaften der DDR, das Pharmazeutische<br />
Institut, vier Studentenwohnheime und<br />
ein Mensa-Komplex, schließlich 1986 (als<br />
letztes Projekt der Vorwendezeit) das Biotechnikum.<br />
Ein kurzer Überblick zur Entwicklung seit<br />
1989 – TGZ I, II und III u.v.a.m. – beschließt<br />
das Buch und weckt Neugier auf Teil 2.<br />
❚ Walter Müller: weinberg campus. zwischen gestern<br />
und heute. Teil 1, DVZ-Verlags-GmbH <strong>Halle</strong> <strong>2007</strong>, 38<br />
Seiten, zweisprachig (englisch & deutsch), Wegweiser<br />
& Lageplan, 20 große Farbfotos, 60 kleine Schwarz-<br />
Weiß-Fotos, 14,00 Euro, ISBN 978-3-9807801-9-3<br />
UNGLEICHHEIT FÖRDERT GEWALT<br />
Zu den Forschungsfeldern der halleschen Soziologen<br />
gehört die Gewaltkriminalität.<br />
Nicht zuletzt ein tiefgreifender ökonomischer<br />
und sozialer Strukturwandel rückte dieses Phänomen<br />
in der zweiten Hälfte des 20. Jh. immer<br />
stärker in den Blick. Das Professor Helmut<br />
Thome und Christoph Birkel veröffentlichten<br />
in ihrem neuen Buch »Sozialer Wandel und<br />
Gewaltkriminalität. Deutschland, England<br />
und Schweden im Vergleich, 1950–2000«<br />
die Ergebnisse eines Projekts, das als Teil des<br />
Forschungsverbunds »Gesellschaftliche Desintegrationsprozesse<br />
– Stärkung von Integrationspotenzialen<br />
moderner Gesellschaften«<br />
vom BMBF gefördert wurde.<br />
Die Analysen von Kriminalstatistiken zeigen<br />
u. a., dass die Häufi gkeit von Raubdelikten,<br />
bezogen auf die Einwohnerzahl, in den letzten<br />
Jahrzehnten drastisch zugenommen hat, am<br />
stärksten in England, aber in Schweden (um<br />
das 21-fache) und (West-)Deutschland (Verdreizehnfachung)<br />
gab es Anstiege.<br />
»Die im Buch enthaltene Darstellung der langfristigen<br />
Entwicklung von Gewaltdelikten ist<br />
unverzichtbar für die Einschätzung aktueller<br />
Befunde zur Häufi gkeit von Gewaltkriminalität«,<br />
sagt Professor Helmut Thome und<br />
konstatiert: »Der ökonomische und soziale<br />
Strukturwandel hat zum Anstieg der Gewaltkriminalität<br />
wesentlich beigetragen« ...<br />
Ökonomischer Erfolg zählte mehr und mehr,<br />
die soziale Ungleichheit wurde größer, gemeinschaftsbildende<br />
Milieus lösten sich auf<br />
und alte Wertorientierungen wurden in Frage<br />
gestellt.« Im Zeitalter der Globalisierung sei<br />
zu befürchten, dass sich die gewaltfördernden<br />
gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen<br />
fortsetzen. »Das gilt insbesondere für die<br />
Verschärfung der Wettbewerbssituation und<br />
die Zunahme der Ungleichheit, die viele Menschen<br />
nicht nur in Armut abgleiten lässt, sondern<br />
auch ins gesellschaftliche Abseits stellt.«<br />
»Das von uns entwickelte Erklärungsschema<br />
ist beim Verständnis nicht nur des Anstiegs<br />
der Gewaltkriminalität in der Vergangenheit,<br />
sondern auch von aktuellen Entwicklungen in<br />
den Bereichen Arbeitsmarkt, Sozialpolitik und<br />
Wirtschaft hilfreich und erlaubt es, ihre gesellschaftlichen<br />
Folgen einzuschätzen«, erläutert<br />
Christoph Birkel. So sei die aktuell diskutierte<br />
Verbesserung der öffentlichen Kinderbetreuung<br />
als eine Stärkung des »kooperativen Individualismus«<br />
zu interpretieren und als solche<br />
für den sozialen Zusammenhalt förderlich.<br />
»Weitere Verschärfungen der Zumutbarkeitsregelungen<br />
und Kontrollen für Empfänger<br />
von Arbeitslosengeld II würden hingegen<br />
die gesellschaftliche Entwicklungstendenz in<br />
Richtung eines ‚desintegrativen Individualismus’<br />
beschleunigen und wären mit hohen<br />
Nebenkosten in Form von unmittelbaren Kontrollkosten,<br />
aber zum Beispiel auch einer Verringerung<br />
des sozialen Kapitals verbunden.«<br />
Die Autoren sind sich einig: Um die Bereitschaft<br />
zur Gewaltkriminalität zu senken, müssten<br />
Solidarstrukturen neu aufgebaut werden.
»Wir benötigen kooperative Strukturen. Aber<br />
natürlich ist es nicht nur die Aufgabe des<br />
Staates, sie zu schaffen. Bürger aller sozialer<br />
Schichten müssen sich dafür engagieren.«<br />
❚ Helmut Thome/Christoph Birkel: Sozialer Wandel<br />
und Gewaltkriminalität. Deutschland, England und<br />
Schweden im Vergleich, 1950–2000. Wiesbaden o. J.,<br />
457 Seiten, 42,90 Euro, ISBN 978-3-531-14714-7<br />
D ER WEISE KURFÜRST<br />
O DER: GUTE BÜCHER BRAUCHEN LÄNGER<br />
Vor der politischen Wende gelang es nur wenigen<br />
ostdeutschen Schriftsteller(inne)n, ihre<br />
Bücher unzensiert zu publizieren. Ingetraut<br />
Ludolphy gehörte dazu. Bereits in den 70er<br />
Jahren verschriftlichte sie ihre Forschungsergebnisse<br />
zu einer der bekanntesten Persönlichkeiten<br />
des Mittelalters, dem sächsischen Kurfürsten<br />
Friedrich II (1463–1525). Die Autorin,<br />
die bis zu dieser Zeit einen Lehrauftrag an der<br />
Leipziger <strong>Universität</strong> innehatte und sich vom<br />
Rektor für die Zeit der Recherche freistellen<br />
ließ, benötigte fünf Jahre, um ihr fast 600 Seiten<br />
umfassendes Werk zu beenden; ein Buch,<br />
dass nicht nur Zahlen und Fakten über den<br />
Kurfürst linear dazustellen versucht, sondert<br />
diese Informationen in brillanter Weise mit<br />
Streifl ichtern auf sein privates Leben und mit<br />
Eindrücken seiner Persönlichkeit kombiniert.<br />
Da es sich bei Friedrich dem Weisen um einen<br />
verschwiegenen Mann gehandelt haben soll,<br />
der seine Karten nie offen präsentierte, fehlten<br />
die Grundlagen für eine fundierte Persönlichkeitsanalyse.<br />
Diesen Informationsmangel<br />
kompensierte die Wissenschaftlerin mit der<br />
Analyse bildlicher Betrachtungen und schriftlicher<br />
Zeugnisse. Doch wollte die Autorin<br />
nicht nur die Persönlichkeit des Herrschers<br />
erfassen, sondern auch das politische und kulturhistorische<br />
Umfeld. So verwundert es nicht,<br />
dass die kirchengeschichtlichen Hintergründe<br />
besonders ausführlich beschrieben wurden.<br />
Verdankte doch Friedrich der Weise – der im<br />
Übrigen die Leucorea zu Wittenberg gründete<br />
und damit, wenn man so will, zugleich der<br />
Urvater der <strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg ist<br />
– seinen Namen einer unkriegerischen und kritischen<br />
kirchenpolitischen Grundeinstellung.<br />
Er war es, der <strong>Luther</strong> vor dem Ketzerurteil der<br />
römischen Kurie rettete, ihm freies Geleit gab<br />
und ihn auf die Wartburg bringen ließ.<br />
Zu Beginn der achtziger Jahre kam Ludolphy<br />
– illegal – nach Erlangen und fand beim<br />
Vandenhoeck und Ruprecht-Verlag die Möglichkeit,<br />
ihr opus magnum im Jahr 1984 in<br />
der ursprünglichen Form zu veröffentlichen.<br />
Anfang 2006 war die Aufl age vollkommen<br />
vergriffen. Die nun vorliegende Neuaufl age<br />
erschien noch 2006 im Leipziger <strong>Universität</strong>sverlag.<br />
Die Autorin, der aufgrund ihrer<br />
politischen Einstellung unter der Herrschaft<br />
der SED eine Professur verwehrt blieb, wurde<br />
1994 die Ernennungsurkunde des sächsischen<br />
Kultusministers zur Professorin sächsischen<br />
Rechts verliehen.<br />
❚ Ingetraut Ludolphy: Friedrich der Weise, Kurfürst<br />
von Sachsen 1463–1525, Neudruck der Erstausgabe<br />
1984, Leipziger <strong>Universität</strong>sverlag 2006, 592 Seiten,<br />
49,00 Euro, ISBN 978-3-86583-138-5<br />
B RING EIN BUCH. NIMM EIN BUCH. BRING EIN BUCH. NIMM EIN BUCH ...<br />
Das gab es in <strong>Halle</strong> noch nie: Auf der grünen Wiese vor den Franckeschen Stiftungen ist eine<br />
öffentliche Freiluftbibliothek aufgebaut! Hier kann, wer will, eigene Bücher loswerden, fremde<br />
mitnehmen oder beides zugleich – und alles kostenlos.<br />
Immer wieder sind hier neue »Bücher unterwegs«, die im Internet registriert, rezensiert und<br />
diskutiert werden. Unbürokratisch und rund um die Uhr! Jede(r) darf man hier bis November<br />
Bücher einstellen oder »ausleihen«. Mitmachen können alle, die ihre Freude an einem Buch mit<br />
anderen teilen möchten und bereit sind, sich davon zu trennen. Die Bücher werden im Internet<br />
auf der internationalen Webseite des Buchklubs »Bookcrossing« registriert, rezensiert und dann<br />
in der Freiluftbibliothek »freigelassen«.<br />
Seit 2001, als Ron Hornbaker den weltweiten, nicht-kommerziellen Buchklub gründete, haben<br />
mehr als 518 500 Bookcrosser über 3,5 Millionen Bücher weltweit registriert. In Deutschland<br />
gab es Ende 2006 rund 34 500 Mitglieder, die über 264 000 Bücher registriert haben. Die Zahl<br />
steigt. Mit 200 gespendeten Büchern von halleschen Verlagen und Buchhandlungen startete die<br />
Freiluftbibliothek im April – wenn auch Sie mitmachen, wird die 1000 sicher bald erreicht!<br />
(Nach einer Pressemitteilung der Franckeschen Stiftungen zu <strong>Halle</strong>)<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
H EIMLICHE LEHRPLÄNE<br />
Das Studium ist für Akademiker eine Zeit von<br />
entscheidender Prägekraft. Auch im Wilhelminischen<br />
Kaiserreich war das nicht anders.<br />
Torsten Lehmann beschreibt in seiner kürzlich<br />
im Mitteldeutschen Verlag erschienenen Dissertation,<br />
am Beispiel der halleschen Corps,<br />
die »heimlichen Lehrpläne« von Studentenverbindungen<br />
im deutschen Kaiserreich. Die<br />
Corps waren die ältesten und traditionsreichsten<br />
deutschen Verbindungen und rekrutierten<br />
sich aus der Oberschicht.<br />
Lehmann begreift sie als Bruderschaften und<br />
Männerbünde, mit einer für sie typischen,<br />
eigenen Regelsetzung und Abschottung nach<br />
außen. Insbesondere die schlagenden Verbindungen<br />
– Korporationen mit Fecht- und<br />
Duellpfl icht – verfügten über ein spezielles<br />
»Männlichkeitsprogramm« in der Erziehung<br />
ihrer studentischen Mitglieder zum Erwachsenen.<br />
Die elitären Corps erhoben dabei den<br />
Anspruch, künftige Führungspersönlichkeiten<br />
heranzuziehen. Obwohl die Zahl der Mitglieder<br />
in den Corps relativ gering war – im<br />
Wintersemester 1907/08 an der halleschen<br />
<strong>Universität</strong> 72 Studenten (3,7 Prozent der<br />
Studentenschaft) – kam ihnen ein hoher Stellenwert<br />
unter den Kommilitonen zu. Für alle<br />
anderen »Waffenstudenten« stellten die Corps<br />
ein Vorbild dar.<br />
Der Autor bezieht den gesellschaftlichen<br />
Rahmen in seine Betrachtung ein, lässt Zeitgenossen<br />
zu Wort kommen und zitiert Selbstzeugnisse.<br />
Die abschließende Antwort auf die<br />
Frage nach den Auswirkungen der korporativen<br />
Erziehung bekommt eine eklatante Bedeutung,<br />
wenn man sich vor Augen hält, dass im<br />
Kaiserreich und in der Weimarer Republik vor<br />
allem die Mitglieder der Corps in Führungspositionen<br />
wirkten.<br />
❚ Torsten Lehmann: Die <strong>Halle</strong>nser Corps im Deutschen<br />
Kaiserreich. Eine Untersuchung zum studentischen<br />
Verbindungswesen von 1871 bis 1918. <strong>Halle</strong> <strong>2007</strong>, 262<br />
S., 19,90 Euro, ISBN 978-3-89812-445-4<br />
Die Freiluftbibliothek auf der grünen Wiese ...<br />
(Foto: Paolo Schubert)<br />
Internet: www.buecher-unterwegs.de<br />
33<br />
(FACH-)LITERATURFABRIK UNIVERSITÄT
34<br />
V ARIA<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
»Bitte einmal gemischten<br />
Sprachsalat ...«<br />
Diesmal mit: weitverbreiteten verbalen Nachlässigkeiten<br />
Ausstellungen können, wenn man alles richtig<br />
macht, Glanzpunkte universitären Lebens<br />
sein: Vitrinen werden bestückt, Modelle und<br />
Skulpturen aufgestellt, Info-Flyer bereitgelegt<br />
und Bilder an den Wänden ... befestigt. Hier<br />
nämlich liegt der Sprachhase im Flexionspfeffer!<br />
Werden diese Bilder nun aufgehängt oder<br />
doch besser aufgehangen? (Letzteres scheint<br />
gehobener zu klingen – wohl deshalb wird das<br />
starke Partizip, überkorrekt und falsch, so gern<br />
verwendet.) Manches Bild hing schon immer<br />
dort; aber: hing oder hängte jemand seinen<br />
Hut an den Haken?<br />
Der feine Unterschied zwischen dem stark<br />
fl ektierten, intransitiven hängen (hing, gehangen)<br />
und dem schwach fl ektierten, transitiven<br />
hängen (hängte, gehängt) zeigt sich nur in den<br />
Vergangenheitsformen, da der alte Infi nitiv<br />
und die Präsensfl exion der intransitiven Form<br />
(hangen, ich hange, du hangst, er hangt) in<br />
der Gegenwartssprache verschwunden ist.<br />
Die Formen haben sich denen von hängen<br />
angeglichen. (Bei den Verbpaaren liegen/legen,<br />
sitzen/setzen, stehen/stellen existiert die<br />
Unterscheidung bis heute auch im Präsens und<br />
im Infi nitiv.)<br />
Doch bereits früher wurden das passive hangen<br />
und das kausative hängen häufi g verwech-<br />
»... und ein Literatürchen!«<br />
Gibt es ein »Leben in der Werbepause«?<br />
Jaaah! Und der dazugehörige »Ratgeber für<br />
ein erfülltes Leben im Medienzeitalter« – so<br />
apostrophiert vom mdv –, den Carsten Johann<br />
Wolfgang Weidling schrieb (Jahrgang 1966,<br />
Sohn seines Vaters »O. F.«), ist unzweifelhaft<br />
eines der wenigen Bücher, auf das Welt wirklich<br />
gewartet hat!<br />
Wie man weiß, schaffen es erfahrene Paare in<br />
zwei bis vier Minuten – und sitzen, wenn der<br />
Film weitergeht, schon wieder ganz entspannt,<br />
fi x und fertig angezogen und erwartungsvoll<br />
im Fernsehsessel. Ob indessen für Kiwi-Capuccino,<br />
alkoholfreies Bier, Rasenmäher,<br />
Supersoft-Tampons oder für den neuesten Film<br />
von Mr. Bean geworben wurde, wissen sie<br />
zwar nicht, doch sie sind von dem glücklichen<br />
Gefühl erfüllt, die eigentlich lästige Zwischenzeit<br />
sinnvoll genutzt zu haben.<br />
Punktgenau zum Start der Carsten-Weidling-<br />
Show »Moderator unter Kontrolle« im Juni<br />
beim MDR erschien das Buch zur Show – das<br />
abwechselnd mit fi ligranen satirischen Spitzen<br />
stichelt und mit Holzhammerzynismus jede<br />
mentale Gegenwehr erschlägt.<br />
Es soll ja statistisch erwiesen sein, dass jede(r)<br />
Deutsche jeden Tag durchschnittlich 4 (in<br />
Worten: vier!) Stunden vor dem televisionären<br />
selt. Jacob und Wilhelm Grimm klagten im 19.<br />
Jh. im »Deutschen Wörterbuch«: »dieser vermischung<br />
ist nicht zu wehren, zumal da einzelne<br />
formen geradezu zusammenfallen, und<br />
die 2. 3. sing. praes. des starken hangen neben<br />
du hangst, er hangt viel öfter mit umlaut du<br />
hängst, er hängt gebildet werden, ganz gleich<br />
den formen des schwachen hängen«.<br />
Im Gegenwartsdeutsch steht für die passive<br />
wie für die kausative Bedeutung hängen – im<br />
Präsens ohne Unterschied: Das Bild hängt an<br />
der Wand. und: Er hängt das Bild an die Wand.<br />
In den Vergangenheitsformen aber muss man<br />
die verschiedenen Flexionsformen genau beachten:<br />
Das Bild hing an der Wand / hat an der<br />
Wand gehangen. aber: Sie hängte das Bild an<br />
die Wand / hat das Bild an die Wand gehängt.<br />
Eine derartige Angleichung mag verwundern,<br />
ist doch der Bedeutungsunterschied zwischen<br />
hängen und hängen kein geringerer als der<br />
zwischen dem Gehenkten und dem Henker.<br />
Das intransitive hängen bedeutet »am oberen<br />
Ende schwebend befestigt sein«; das transitive<br />
hängen dagegen »am oberen Ende schwebend<br />
befestigen«, also hängen machen bzw. hängen<br />
lassen. (Für Letzteres veraltet auch henken =<br />
hinrichten; vgl. aber: Henkel, henkeln.)<br />
Gisela Hartung & Margarete Wein<br />
Foltergerät verbringt. Und weil bisher bis zu<br />
20 Prozent dieser kostbaren Lebenszeit ungenutzt<br />
in Werbepausen verschwendet wurden,<br />
klärt Weidling (www.carstenweidling.de)<br />
erbarmungslos auf und raubt dem hilfl osen<br />
Mitglied der tiefgläubigen TV-Gemeinde erst<br />
einmal jede Illusion.<br />
Dann jedoch verspricht er Abhilfe: »Für ein<br />
Leben in Spotlängen« bietet er zahllose Rezepte<br />
an für Speisen und Getränke, Sport und<br />
Spiele, Witze und Zaubertricks, sogar (s. o.)<br />
spezielle Empfehlungen »nur für Erwachsene«<br />
und vieles andere mehr. Dass er alles (alles!)<br />
selbst getestet hat, ist kaum zu glauben ...<br />
Man wird aber den Verdacht nicht los, dass<br />
dieser urkomische Ratgeber – ja, was wohl?<br />
– von A bis Z in eben jenen Pausen verfasst<br />
worden ist (da war für sorgfältiges Redigieren<br />
einfach keine Zeit). Wer allerdings, wie es der<br />
Autor uns weise anempfi ehlt, auch die Lektüre<br />
in die kurzen Zeitspannen der Werbespots<br />
verlegt, merkt das wahrscheinlich nicht.<br />
In diesem Sinn »Carpe die Werbepause«!<br />
• Carsten J. W. Weidling: Leben in der Werbepause.<br />
Der längst überfällige Ratgeber, mit<br />
zahlreichen Abbildungen, 208 Seiten, Paperback,<br />
9,90 Euro, ISBN 978-3-89812-446-1<br />
KURZ & (RECHTS-)BÜNDIG<br />
Der erste hallesche Stadtchronist ...<br />
... von Rang war der Theologe & Historiker<br />
Gottfried Olearius.<br />
Vor 340 Jahren erschien seine<br />
»Halygraphia Topo-Chronologica.<br />
Das ist: Ort- und Zeitbeschreibung der Stadt<br />
mit dem ersten gedruckten Stadtplan und einer<br />
Gesamtansicht von ›Hall in Sachsen‹«. Olearius studierte<br />
in Jena & Wittenberg Theologie & Philosophie<br />
und trat 1647 die Nachfolge seines Vaters als<br />
Oberpfarrer der halleschen Marktkirche<br />
& Superintendent des Stadtkirchenkreises an.<br />
Im gleichen Jahr erwarb er den Schwibbogen 74<br />
auf dem Stadtgottesacker<br />
und wurde dort 1685 beigesetzt.<br />
Die 1. Lieferung der Chronik ...<br />
... der halleschen <strong>Universität</strong> (geführt 1866–1936<br />
geführt) kam vor 140 Jahren heraus.<br />
Vor 100 Jahren<br />
wurde für das 1. Halbjahr u. a. mitgeteilt,<br />
dass im Februar der Geographieprofessor<br />
Alfred Kirchhoff verstorben ist<br />
und der Philologe Prof. Dr. Otto Kern als Nachfolger<br />
von Prof. Dr. Wilhelm Dittenberger nach <strong>Halle</strong><br />
berufen wurde.<br />
Im Mai wurde der Theologieprofessor Friedrich Loofs<br />
zum Rektor gewählt; und im Juni verlieh die<br />
Philosophische Fakultät dem halleschen Bankier<br />
Heinrich Franz Lehmann die Ehrendoktorwürde.<br />
Den Nachlass des Urgroßvaters ...<br />
nahm das halleschen <strong>Universität</strong>sarchiv aus den Händen<br />
des Urenkels,<br />
Prof. Dr. <strong>Martin</strong> Elze, im April <strong>2007</strong> entgegen.<br />
Der Urgroßvater war Prof. Dr. Heinrich Keil<br />
(1822–1894), ein bedeutender Altphilologe,<br />
der ab 1869 in <strong>Halle</strong> wirkte,<br />
unter anderem als »Professor der Beredsamkeit«.<br />
Er begründete die Chronik der <strong>Universität</strong> (ab 1866),<br />
war mehrmals Dekan der Philosophischen Fakultät und<br />
zweimal Rektor (1875/76 und 1882/83).<br />
Der Nachlass enthält auch Keils Briefwechsel<br />
mit Theodor Mommsen.<br />
(alles mitgeteilt von Regina Haasenbruch,<br />
<strong>Universität</strong>sarchiv <strong>Halle</strong>)<br />
Archivarbeit ist ...<br />
... lebendige Vergangenheit. Am 4. Juni <strong>2007</strong><br />
fand in Leipzig eine Tagung<br />
der Mitteldeutschen Hochschularchivare statt.<br />
Unter Leitung des Leipziger <strong>Universität</strong>sarchivars<br />
Dr. Jens Blecher werteten bei der konstituierenden<br />
Sitzung des Archivverbundes der <strong>Universität</strong>en<br />
<strong>Halle</strong>-Jena-Leipzig<br />
Kolleg(inn)en aus Chemnitz, Dresden,<br />
<strong>Halle</strong>, Jena, Leipzig, Magdeburg, Rostock und Weimar<br />
ihre Erfahrungen und Probleme bei der Archivarbeit aus.<br />
Vor allem Archivbenutzer(innen) werden davon<br />
profitieren, so durch neue Möglichkeiten im Internet.<br />
Zweimal jährlich, das nächste Mal im Herbst <strong>2007</strong>,<br />
wieder in Leipzig, wird der Archivverbund in Workshops<br />
oder zu archivfachlichen Fortbildungsmaßnahmen<br />
zusammentreffen.<br />
(mitgeteilt von Karin Keller, <strong>Universität</strong>sarchiv <strong>Halle</strong>)
»Gute Lehre<br />
muss sich lohnen.«<br />
Moderieren und motivieren<br />
»Ars legendi-Preis« <strong>2007</strong> geht an Rolf Sethe nach <strong>Halle</strong><br />
C ARSTEN HECKMANN<br />
Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und die Hochschulrektorenkonferenz vergaben<br />
in diesem Jahr zum zweiten Mal den »Ars legendi-Preis für exzellente Hochschullehre«.<br />
Preisträger ist ein hallescher Professor: der Zivilrechtler Rolf Sethe, Direktor des Instituts für<br />
Wirtschaftsrecht. Er sieht seine Studierenden als Partner im Lehr- und Lernprozess und fordert<br />
einen Bewusstseinswandel: »Gute Lehre muss sich lohnen.«<br />
Es ist wieder mal soweit: Im Hörsaal XX des<br />
Melanchthonianums spielt sich ein Scheidungsstreit<br />
ab. Es geht um das Familienauto.<br />
Der Mann hat es, beide Ehepartner wollen es<br />
– wer bekommt es zugesprochen? Ein typischer<br />
Problemfall in der Vorlesung »Familien-<br />
und Erbrecht«. Professor Rolf Sethe bittet um<br />
Lösungsvorschläge. Auf Freiwillige wartet er<br />
nicht, er ruft einfach jemanden auf. Das macht<br />
er immer so.<br />
»Natürlich weiß man nicht immer eine Antwort,<br />
aber bloßgestellt wird man hier dennoch<br />
nicht«, sagt Yaprak Akyol, Jura-Studentin im<br />
4. Semester. »Man wird zum Mitdenken angeregt,<br />
das ist das Entscheidende.«<br />
F ORSCHUNG GUT = LEHRE GUT?<br />
Stimmt. »Die Veranstaltung ist ein Dialog.<br />
Ich bin der Moderator und der Experte, der<br />
Tipps beisteuern kann. Die Lösung muss stets<br />
aus dem Publikum kommen«, führt Rolf Sethe<br />
aus. Studierende sieht er als Kunden, die<br />
etwas erwarten dürfen – aber nicht als Konsumenten,<br />
die nur auf Input zu warten brauchen.<br />
»Ich will sie zu eigenständigem Denken<br />
befähigen.« In diesem Zusammenhang zitiert<br />
Sethe gern Konfuzius: »Sage es mir, und ich<br />
vergesse es; zeige es mir, und ich erinnere<br />
mich; lass es mich tun, und ich behalte es.«<br />
Der Zivilrechtler Sethe ist bekannt und wird<br />
geschätzt für praxisnahen Unterricht mit lebendigen<br />
Vorträgen und großem Lerneffekt.<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
Umfangreiche Skripte können die Studierenden<br />
im Vorfeld der Veranstaltung herunterladen<br />
und lesen, nach der Vorlesung steht der<br />
Professor für Fragen zur Verfügung, ist der<br />
Letzte, der den Saal verlässt. Seit über zehn<br />
Jahren setzt Sethe sein Konzept um. Mit dem<br />
»Ars legendi-Preis« wurde der 47-Jährige nun<br />
dafür geehrt – und nutzte die Preisverleihung<br />
in Gießen, um »Zehn Thesen zu guter Hochschullehre«<br />
vorzutragen, die unbequeme Aussagen<br />
enthalten. Für Sethe steht beispielsweise<br />
fest, dass nicht jeder, der gut forscht, automatisch<br />
auch gut lehrt.<br />
Als Dozent brauche man didaktisches Geschick<br />
und eine didaktische Ausbildung. »Naturtalente<br />
sind rar, die meisten von uns können<br />
sich verbessern.« Das Problem: Es gebe<br />
kein Anreizsystem für hochschuldidaktische<br />
Weiterbildung.<br />
D ER (AN-)REIZENDE PREIS<br />
Ein Beispiel für die fehlende Berücksichtigung<br />
der Lehre ist für Sethe die Exzellenzinitiative<br />
und die Debatte darum: »Es dominiert<br />
die Forschung.« Umfangreiche<br />
Ressourcen würden an den Hochschulen mit<br />
Verfahren zur Beantragung von Drittmitteln<br />
gebunden.<br />
35<br />
»ARS LEGENDI-PREIS« <strong>2007</strong>
36<br />
»ARS LEGENDI-PREIS« <strong>2007</strong> & RÄTSELFOTO<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
»Hier kann sich durchaus im Einzelfall die<br />
Frage aufdrängen, ob der Student im Kampf<br />
um die Exzellenz und die Haushalts- und<br />
Drittmittel nicht stört. Dabei bilden Forschung<br />
und Lehre keinen Gegensatz, sie gehören<br />
notwendig zusammen.« Die Bedeutung guter<br />
Lehre sei an Spitzenforschungsinstituten im<br />
Ausland längst bekannt, Deutschland habe<br />
Nachholbedarf. Der »Ars legendi-Preis« sei<br />
ein wichtiges Signal, ein guter Anreiz.<br />
Dabei dürfe es aber nicht bleiben, fordert Sethe.<br />
Die Hochschulen sieht er in der Pfl icht,<br />
Anreizstrukturen zu schaffen. Beispielsweise<br />
durch die Berücksichtigung von Lehr-Kompetenz<br />
im Berufungsverfahren. Hier kann Rolf<br />
Sethe auf die eigene Fakultät verweisen: »<strong>Halle</strong><br />
ist weiter als andere. Wir verlangen von den<br />
Bewerbern eine Probevorlesung. Wenn wir<br />
sie einladen, haben wir ihre wissenschaftliche<br />
Kompetenz längst erkannt, über die didaktische<br />
hingegen wissen wir nichts.«<br />
F REUDE AUF BEIDEN SEITEN<br />
Sethe selbst hat sich von Anfang an um seine<br />
eigenen Didaktik-Fähigkeiten gekümmert.<br />
Seit 1993 ist er Mitglied im Interdisziplinären<br />
Arbeitskreis für Hochschuldidaktik, rund 300<br />
Stunden Fortbildung hat er hinter sich. In <strong>Halle</strong><br />
hat er in seiner Funktion als Studiendekan<br />
eine neue Vorlesung für Erstsemester konzi-<br />
Ansprechpartner für gute Lehre:<br />
Prof. Dr. Rolf Sethe<br />
Telefon: 0345 55-23134<br />
E-Mail: rolf.sethe@jura.uni-halle.de<br />
piert. Er unterrichtet einfach gern. »Mit guten<br />
Studierenden zu arbeiten, macht mir große<br />
Freude.« Die Freude ist auf beiden Seiten:<br />
Sethe erhält in Evaluationen stets Bestnoten,<br />
den »Preis für exzellente Hochschullehre« hat<br />
Wetten, Sie wissen’s nicht!<br />
Wo wacht dieser Leo?<br />
a) vor dem Hauptgebäude der halleschen <strong>Universität</strong>,<br />
b) auf dem Marktplatz in Braunschweig oder<br />
c) ganz woanders – und wenn ja, wo?<br />
Wer der Redaktion als erste(r) per Telefon, E-Mail, Fax oder (Haus-)Post die<br />
richtige Lösung übermittelt, erhält ZWEI FREIKARTEN – wahlweise für ein<br />
Konzert des Bereichs Musikpädagogik/Collegium musicum oder für eine<br />
Aufführung der Sprechbühne des Bereichs Sprechwissenschaft/Phonetik.<br />
Prof. Dr. Rolf Sethe, LL.M. bei seiner Vorlesung am Mittwoch im Melanchthonianum, Hörsaal XX, Thema:<br />
Familien- und Erbrecht. Im elektronischen Vorlesungsverzeichnis heißt es: Prof. Sethe ist grundsätzlich am<br />
Ende jeder Lehrveranstaltung zu sprechen. Außerdem können Sie jederzeit kurzfristig telefonisch oder per<br />
Email einen Termin vereinbaren ... (Fotos [2]: Maike Glöckner)<br />
er nach Ansicht vieler Studierender verdient.<br />
»Wir freuen uns, dass das große Engagement<br />
Professor Sethes eine besondere Würdigung<br />
erhält. Und durch die Auszeichnung kommt<br />
nicht zuletzt auch dem Bildungsstandort <strong>Halle</strong>-Wittenberg<br />
eine erhöhte Aufmerksamkeit<br />
zu«, erklärt Nathanael Lipinski, Sprecher des<br />
Jura-Fachschaftsrates.<br />
Ende Juli wird es auf Sethes Initiative hin<br />
erstmals eine spezifi sche hochschuldidaktische<br />
Weiterbildung für den juristischen<br />
Das Foto in der Aprilausgabe der scientia halensis 1/07, Seite 30, zeigte eine gusseiserne<br />
Treppe im Magazingebäude der <strong>Universität</strong>s- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt – viele<br />
haben das gewusst, als erste Martha Stellmacher aus <strong>Halle</strong>.<br />
Unterricht geben, zunächst für den Mittelbau.<br />
Später soll das Ganze auch für Professoren<br />
angeboten werden. Ob Sethe dann selbst noch<br />
an der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> weilt, ist<br />
nicht sicher: Er hat einen Ruf der <strong>Universität</strong><br />
Regensburg erhalten, will nun zunächst<br />
dort verhandeln und anschließend in <strong>Halle</strong><br />
Bleibeverhandlungen führen: »Es gibt keine<br />
Tendenz. Fest steht: Der Einsatz in der Lehre<br />
erfordert eine solide Struktur am Lehrstuhl.<br />
Die Situation in <strong>Halle</strong> kann man in dieser<br />
Hinsicht optimieren.«<br />
Im Juli werde er sich entscheiden, sagt Sethe.<br />
Für <strong>Halle</strong>, hofft nicht nur Fachschaftssprecher<br />
Lipinski. »Professor Sethe ist einfach sehr<br />
motivierend«, meint Studentin Julia Orlick.<br />
»Wenn er geht, gehen wir alle mit.«<br />
■<br />
Dipl-Journ. Carsten Heckmann,<br />
Jahrgang 1974, studierte in Leipzig<br />
Journalistik (Abschluss 2001), war<br />
danach als freier Journalist u. a. für DIE<br />
ZEIT und den DEUTSCHLANDFUNK tätig,<br />
2002–2006 verantwortlicher Redakteur<br />
des Leipziger <strong>Universität</strong>sjournals.<br />
Seit Oktober 2006 ist er<br />
Pressereferent der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong><br />
<strong>Halle</strong>-Wittenberg.<br />
Telefon: 0345 55-21004,<br />
E-Mail: carsten.heckmann@verwaltung.uni-halle.de
Ehrungen, Mitgliedschaften in<br />
Gremien, Berufungen, Jubiläen<br />
und andere Neuigkeiten<br />
P ERSONALWECHSEL IM OWZ<br />
Prof. Dr. Burkhard Schnepel wurde mit Wirkung vom<br />
1. März <strong>2007</strong> zum Nachfolger von Prof. Dr. Stefan Leder<br />
als Geschäftsführender Direktor des Orientwissenschaftlichen<br />
Zentrums ernannt.<br />
Privatdozentin Dr. Ursula Rao nahm zum 1. Mai <strong>2007</strong><br />
eine Stelle als Senior Lecturer an der University of New<br />
South Wales in Sydney/Australien an.<br />
E-Mails: burkhardt.schnepel@ethnologie.uniu-halle.de und<br />
u.rao@unsw.edu.au<br />
F INANZCHEF SEIT MEHR ALS DREI JAHRZEHNTEN<br />
Zum 20. Mal (!) wählte die Mitgliederversammlung der<br />
mit rund 3 200 Mitgliedern zweitgrößten biologischen Gesellschaft<br />
VAAM (Vereinigung für Allgemeine und Angewandte<br />
Mikrobiologie) der Welt im April Prof. Dr. Jan<br />
Remmer Andreesen zum Schatzmeister der Gesellschaft:<br />
Er wird das ehrenvolle Amt für weitere zwei Jahre<br />
ausüben. 1974 hatte Professor Andreesen die Vorläufergesellschaft<br />
Local Branch der American Society for Microbiology<br />
(1985 in VAAM umbenannt) gegründet. Die meisten<br />
Mitglieder der GATM der DDR traten 1991 der VAAM bei.<br />
Die Jahrestagungen – alle Vorträge und Poster in englischer<br />
Sprache gehalten – werden von gut 1 000 Personen<br />
besucht.<br />
Dr. Ernst Weber aus dem hiesigen Institut für Genetik<br />
wurde in diesem Jahr mit einem der drei Promotionspreise<br />
für seine hervorragende Dissertation ausgezeichnet.<br />
E-Mail: jan.andreesen@mikrobiologie.uni-halle.de und<br />
ernst.weber@genetik.uni-halle.de<br />
N EUES ZENTRUM – NEUER DIREKTOR<br />
Seit 1. April <strong>2007</strong> ist Prof. Dr. Hartmut Wenzel (siehe<br />
auch S. 16/17: Projekte im Rahmen des Wettbewerbs<br />
»Herausforderung Mensch«) der neue geschäftsführende<br />
Direktor des Zentrums für Schul- und Bildungsforschung<br />
(ZSB). Er löst damit Prof. Dr. Werner Helsper ab, der<br />
in diesem Amt – als Direktor des damaligen Zentrums für<br />
Schulforschung und Fragen der Lehrerbildung (ZSL) – sein<br />
Vorgänger war.<br />
E-Mail: hartmut.wenzel@paedagogik.uni-halle.de und<br />
werner.helsper@paedagogik.uni-halle.de<br />
E HRENMITGLIED IN RUMÄNIEN<br />
Auf der 102. Versammlung der Anatomischen Gesellschaft<br />
Rumäniens wurde Prof. Dr. Friedrich Paulsen (Institut<br />
für Anatomie und Zellbiologie der Medizinischen Fakultät<br />
der MLU) im April <strong>2007</strong> zu deren Ehrenmitglied ernannt.<br />
Bereits seit 2006 bekleidet er das Amt des Schriftführers<br />
in der deutschen Anatomischen Gesellschaft, ist Mitglied<br />
des Editorial Board der Zeitschrift Current Eye Research<br />
und Editor-in-Chief der Zeitschrift Annals of Anatomy.<br />
E-Mail: friedrich-paulsen@medizin.uni-halle.de<br />
W ECHSEL IM BLUTSPENDEDIENST<br />
Seit Mai <strong>2007</strong> ist Dr. Julian Hering-Sobottka der<br />
neue Ärztliche Leiter der Einrichtung für Transfusionsmedizin/Blutspendedienst<br />
am <strong>Universität</strong>sklinikum <strong>Halle</strong>. Der<br />
44-jährige trat die Nachfolge von Dr. Helga Peschke<br />
an, die altersbedingt in den Ruhestand getreten war. Dr.<br />
Hering-Sobottka war in den vergangenen fünf Jahren<br />
Oberarzt im Blutspendezentrum in St. Gallen (Schweiz).<br />
E-Mail: julian.hering-sobottka@medizin.uni-halle.de<br />
J UBILÄEN IM II. QUARTAL <strong>2007</strong><br />
Dienstjubiläen, runde Geburtstage und Todesfälle werden<br />
– im Bezug auf den Datenschutz nicht problemlos – seit<br />
2006 erneut in der scientia halensis vermeldet. Am einfachsten<br />
wäre es, wenn all jene, die ihre Namen gern<br />
hier sehen möchten, der Redaktion Geburtstag bzw. Jubiläum<br />
selbst mitteilen und so zugleich ihr Einverständnis<br />
zum Abdruck kundtun würden. Darüber hinaus können<br />
(s. o.) nur solche Informationen veröffentlicht werden,<br />
die ohnehin schon öffentlich bekannt sind.<br />
Es werden dieselben Abkürzungen verwendet wie 2006<br />
und in der Ausgabe 1/07.<br />
D IE UNIVERSITÄT & SCIENTIA HALENSIS<br />
GRATULIEREN ...<br />
... zum 80. Geburtstag<br />
Professor em. Dr. paed. Dr. phil. Siegfried Bimberg<br />
(PhF II)<br />
Prof. em. Dr. rer. nat. Rudolf Hundt (NF I)<br />
... zum 65. Geburtstag<br />
Prof. Dr. theol. Hermann von Lips (TF)<br />
... zum 50. Geburtstag<br />
Prof. Marina Sandel (PhF II)<br />
... zum 40jährigen Dienstjubiläum<br />
Waltraud Jansen (MF/UK)<br />
Dipl.-Ing. Gerd Götze (ZUV)<br />
D IE UNIVERSITÄT UND SCIENTIA HALENSIS<br />
TRAUERN UM ...<br />
Prof. Dr. med. Wolfgang Lorenz († 1. Februar <strong>2007</strong>)<br />
Prof. Dr. rer. nat. Joachim Bergmann<br />
(† 14. März <strong>2007</strong>)<br />
Prof. Dr. phil. Werner Maser († 5. April <strong>2007</strong>)<br />
Brigitte Langer († 13.. Mai <strong>2007</strong>)<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
N ATURWISSENSCHAFTLICHE<br />
F AKULTÄT II<br />
Prof. Dr. rer. nat. Wolfgang Binder<br />
<strong>Universität</strong>sprofessor (W3) für Makromolekulare<br />
Chemie am Institut für Chemie<br />
seit 1. März <strong>2007</strong>.<br />
Geboren 1969 in Wien.<br />
wolfgang.binder@chemie.uni-halle.de<br />
1987–1992 Studium der Chemie an der <strong>Universität</strong><br />
Wien<br />
1991–1995 Diplomarbeit und Dissertation ebenda<br />
1995 Promotion an der <strong>Universität</strong> Wien,<br />
Fachbereich Organische Chemie<br />
1996/1997 PostDoc an der Emory University Atlanta/USA<br />
1997–2004 AG-Leiter am Institut für Angewandte<br />
Synthesechemie der Technischen <strong>Universität</strong><br />
Wien<br />
2004 Habilitation im Fach Makromolekulare<br />
Chemie<br />
2004–2006 Außerordentlicher <strong>Universität</strong>sprofessor<br />
an der TU Wien, Fachbereich<br />
Makromolekulare Chemie<br />
2006 Ablehnung zweier Rufe auf Professuren<br />
(W3) in Österreich und Deutschland<br />
Seit <strong>2007</strong> <strong>Universität</strong>sprofessor in <strong>Halle</strong><br />
A RBEITS- UND FORSCHUNGSSCHWERPUNKTE:<br />
Synthese von Polymeren und nanostrukturierten Materialien,<br />
Lebende Polymerisations-methoden, Polymere auf<br />
Oberflächen, Supramolekulare Polymerchemie, Membranchemie,<br />
Nanokomposite<br />
P UBLIKATIONEN (AUSWAHL):<br />
• Wolfgang H. Binder, Ronald Zirbs: Hydrogen Bonded Polymers,<br />
in: Advances Polymer Science 109/<strong>2007</strong> – Article<br />
and special volume editor<br />
• Wolfgang H. Binder, Christian Kluger, Marina Josipovic,<br />
Christoph J. Straif, Gernot Friedbacher: Directing Supramolecular<br />
Nanoparticle Binding onto Polymer Films: Film<br />
Formation and Influence of Receptor Density on Binding<br />
Densities, in: Macromolecules 39/2006, S. 8092–8101<br />
• Wolfgang H. Binder, Sigrid Bernstorff, Christian Kluger,<br />
Laura Petraru, Michael J. Kunz: Tunable Materials from<br />
Hydrogen-Bonded Pseudo-Block Copolymers, in: Advanced<br />
Materials, 17/2005, S. 2824–2828<br />
• Wolfgang H. Binder, Christian Kluger, Christoph J. Straif,<br />
Gernot Friedbacher: Directed Nanoparticle Binding onto<br />
Microphase Separated Block Copolymer Thin Films, in:<br />
Macromolecules 38/2005, S. 9405–9410<br />
37<br />
P ERSONALIA
38<br />
P ERSONALIA<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
M EDIZINISCHE<br />
F AKULTÄT<br />
Prof. Dr. med. Michael Gekle<br />
<strong>Universität</strong>sprofessor (W3) für Physiologie<br />
seit 1. Mai <strong>2007</strong>. Geboren am 20. März<br />
1963 in Horb am Neckar.<br />
michael.gekle@medizin.uni-halle.de<br />
1977–1981 Gymnasium in São Paulo/Brasilien<br />
1984–1991 Studium d. Humanmedizin an d. Univ.<br />
d. Saarlandes u. d. Univ. Würzburg<br />
1991 Promotion<br />
1991–1994 Wiss. Ass. am Physiol. Inst. in Würzburg<br />
1994/95 Forschungsaufenthalt an d. University<br />
of Sydney, Sydney/Australien<br />
1996 Habilitation für Physiologie<br />
1998 Forschungsaufenthalt an d. University of<br />
Arizona, Tucson/USA<br />
1999–2006 <strong>Universität</strong>sprofessor (C3) in Würzburg<br />
<strong>2007</strong> <strong>Universität</strong>sprofessor in <strong>Halle</strong><br />
W ISSENSCHAFTSPREISE:<br />
2000 »Brigitte-Gedek-Wissenschaftspreis für Mykotoxinforschung«<br />
(Ges. f. Mykotoxinforschung e. V.) • 2004<br />
»Preis für gute Lehre« (Bayerisches Wissenschaftsministerium)<br />
• 2006 »Albert-Koelliker-Lehrpreis« (Univ. Würzburg)<br />
F ORSCHUNGSSCHWERPUNKTE:<br />
Wirkmechanismen d. Steroidhormons Aldosteron u. dessen<br />
Rezeptor bei kardiovaskulären u. renalen Erkrankungen;<br />
molekulare Mechanismen u. Bedeutung d. Wechselwirkung<br />
v. Proteo- u. Steroidhormonen (z. B. Aldosteron u.<br />
Wachstumsfaktoren an Gefäßmuskelzellen); Mechanismen,<br />
hormonelle Steuerung u. pathophysiologische Bedeutung<br />
v. Transportvorgängen (z. B. Medikamententransport u.<br />
Chemoresistenz in Tumorzellen); Interaktion exogener u.<br />
endogener Noxen mit zellulären Signalnetzen im Rahmen<br />
v. apoptotischen, fibrotischen u. proliferativen Gewebeveränderungen<br />
(z. B. Nierenschäden bei Chemotherapie).<br />
P UBLIKATIONEN (AUSWAHL):<br />
• Gekle, M.: Renal handling of albumin, in: Annu. Rev.<br />
Physiol. 67/2005, S. 573–94<br />
• Krug, A.W., C. Grossmann, C. Schuster, R. Freudinger, S.<br />
Mildenberger, M.V. Govindan and M. Gekle: Aldosterone<br />
stimulates epidermal growth factor receptor expression, in:<br />
J. Biol. Chem. 278/2003, S. 43060-43066<br />
• Gekle, M.: Funktion des Magen-Darm-Trakts, Ernährung,<br />
Energiehaushalt, in: Lehrbuch der Physiologie, ed. by R.<br />
Klinke, H. C. Pape and S. Silbernagl, Stuttgart 52005<br />
• Thews, O., B. Gassner, D. K. Kelleher, G. Schwerdt and<br />
M. Gekle: Impact of extracellular acidity on the activity of<br />
p-glycoprotein and the cytotoxicity of chemotherapeutic<br />
drugs, in: Neoplasia, 8(2)/2006, S. 143–152<br />
P HILOSOPHISCHE<br />
F AKULTÄT II<br />
Prof. Dr. phil. Wolfgang Hirschmann<br />
<strong>Universität</strong>sprofessor (W3) für Historische<br />
Musikwissenschaft seit 1. März <strong>2007</strong>.<br />
Geb. am 14. Mai 1960 in Fürth/Bayern.<br />
wolfgang.hirschmann@musikwiss.unihalle.de<br />
1979–1984 Studium d. Musikwiss., Neueren Dt. Literaturgeschichte<br />
u. Theaterwissenschaft<br />
an d. <strong>Universität</strong> Erlangen-Nürnberg<br />
1985 Promotion zum Dr. phil. in Erlangen<br />
1988–1991 Postdoktoranden-Stipendium der DFG<br />
ab 1992 Wiss. Mitarb. an der o. g. Univ.<br />
1995–1998 Habilitanden-Stipendium der DFG<br />
1999 Habilitation u. venia legendi<br />
2002 Akademischer Rat in Erlangen; Ltg. d.<br />
»Bruno-Stäblein-Archivs« u. Editionsltg.<br />
der Monumenta monodica medii aevi<br />
Seit 2003 1. Vorsitzender d. Ges. zur wiss. Edition<br />
d. deutschen Kirchenlieds (Projekt d.<br />
Union d. Akademien = UdA)<br />
Seit 2004 Mitglied im Projektleitungsteam d. Telemann-Auswahlausgabe<br />
(Projekt d. UdA)<br />
2005 Ernennung zum apl. Professor<br />
2006 Beginn d. Drittmittel-Projekts »Edition d.<br />
Vokalwerke von Johann Pachelbel«<br />
<strong>2007</strong> <strong>Universität</strong>sprofessor in <strong>Halle</strong><br />
A RBEITS- UND FORSCHUNGSSCHWERPUNKTE:<br />
Musikgeschichte d. 17. u. 18. Jahrhunderts, speziell d.<br />
Opern- u. Kirchenmusik, d. Kasualmusik sowie d. Librettistik;<br />
Geschichte d. mittelalterlichen u. frühneuzeitlichen<br />
Musiktheorie; Editionspraxis.<br />
P UBLIKATIONEN (AUSWAHL):<br />
• Kritische Aktualisierung eines Modells. Der Musiktraktat<br />
des Johannes als imitatio von Guidos Micrologus, in: Florilegien<br />
– Kompilationen – Kollektionen, hg. von Kaspar Elm,<br />
Wiesbaden 2000 (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien, Bd.<br />
15), S. 209–241<br />
• Metastasios Oratorientexte im Deutschland des 18.<br />
Jahrhunderts – Adaptionen und Transformationen, in:<br />
Metastasio im Deutschland der Aufklärung. Bericht über das<br />
Symposium Potsdam 1999, hg. von Laurenz Lütteken und<br />
Gerhard Splitt, Tübingen 2002, S. 217–245<br />
• Musikalische Stilregister im Neuen Helicon des Christian<br />
Knorr von Rosenroth, in: Morgen-Glantz 14 (2004), S.<br />
275–304<br />
• Das 17. Jahrhundert: Desintegration und Diversifizierung,<br />
in: Handbuch der Systematischen Musikwissenschaft, hg.<br />
von Helga de la Motte-Haber, Bd. 2: Musiktheorie, hg. von<br />
ders. und Oliver Schwab-Felisch, Laaber 2005, S. 93–126<br />
P HILOSOPHISCHE<br />
F AKULTÄT II<br />
Prof. Dr. phil. Daniel Fulda<br />
<strong>Universität</strong>sprofessor (W3) für Neuere<br />
deutsche Literaturwissenschaft am Institut<br />
für Germanistik seit 1. Mai <strong>2007</strong>.<br />
Geb. am 14. Oktober 1966 in Frankfurt<br />
am Main.<br />
daniel.fulda@germanistik.uni-halle.de<br />
1986–1991 Studium d. Geschichte, Germanistik,<br />
Hist. Hilfswiss. u. Pädagogik in Köln<br />
1995 Promotion<br />
1995–<strong>2007</strong> Wiss. Mitarb., Ass. u. Oberass. an d.<br />
Univ. zu Köln (seit 2005 beurlaubt)<br />
1997 Dozentur an d. Karlsuniversität Prag<br />
1999 Doz. an d. Central Europ. Univ., Budapest<br />
2003 Habilitation in Neuerer dt. Literaturwiss.<br />
2005–2006 Co-Leiter d interdisziplinären dt.-amerik.<br />
Forschungsprojekts »Demokratie im<br />
Schatten der Gewalt. Geschichten des<br />
Privaten im dt. Nachkrieg, 1945-2005«<br />
2005–2006 Koordinator d. Exzellenzclusterantrags<br />
»Laboratorium Aufklärung« (Univ. Jena)<br />
<strong>2007</strong> Wahl u. Bestellung zum Geschäftsführenden<br />
Direktor des I.Z.E.A.<br />
<strong>2007</strong> <strong>Universität</strong>sprofessor in <strong>Halle</strong><br />
F ORSCHUNGSSCHWERPUNKTE<br />
Theorie u. Geschichte d. Historiographie, Poetiken d. Wissens,<br />
Erinnerungs- u. Vergessenstexte, Narratologie; Theorie<br />
u. Geschichte lit. Gattungen, v. a. Komödie u. Tragödie;<br />
Transformation v. Weltdeutungsmustern im Übergang zur<br />
Moderne (18. Jh.); Weimarer Klassik u. ihre Rezeption;<br />
Gegenwartsliteratur; literarischer Kannibalismus<br />
P UBLIKATIONEN (AUSWAHL)<br />
• Wissenschaft aus Kunst. Die Entstehung der mod. dt.<br />
Geschichtsschreibung 1760–1860, Berlin/New York 1996<br />
• (Hg. mit Walter Pape) Das Andere Essen. Kannibalismus<br />
als Motiv u. Metapher in der Literatur, Freiburg i. Br. 2001<br />
• Dialektik der Dialektik. Das nicht nur dramaturgische Problem<br />
einer ›modernen Tragö die‹ und die ›Tragödie der Moderne‹<br />
bei Ibsen, Hauptmann, Maeter linck und Hofmannsthal,<br />
in: Nachrichten der Akademie der Wissen schaften in<br />
Göttingen, I. Phil.-hist. Kl. 2003, Nr. 3, S. 7–30<br />
• Schau-Spiele des Geldes. Die Komödie und die Entstehung<br />
der Marktgesellschaft von Shakespeare bis Lessing,<br />
Tübingen 2005<br />
• ›Selective‹ History. Why and how ›History‹ Depends on<br />
Readerly Narrativiza tion, with the Wehrmacht s ausstellung<br />
as an example, in: Narratology Beyond Literary Criticism.<br />
Mediality, Disciplinarity, ed. by Jan Christoph Meister in<br />
coll. with Tom Kindt and Wilhelm Schernus. Berlin/New<br />
York 2005, S. 173–194
Vereinigung der Freunde und<br />
Förderer der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong><br />
<strong>Halle</strong>-Wittenberg e. V.<br />
SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />
EHRENVORSITZENDE DES<br />
KURATORIUMS:<br />
Senator e. h. Dr. h. c. mult. Hans-Dietrich Genscher,<br />
Senator e. h. Dr. Gerhard Holland<br />
Der Mensch ist, was er isst (und trinkt)!<br />
Gesunde Ernährung als<br />
Lebenselixier<br />
»Der Einfl uss der Ernährung auf altersassoziierte Erkrankungen: Die<br />
Rolle von Advanced Glycation Endproducts (AGE’s)« – so heißt das<br />
Förderprojekt <strong>2007</strong> (Laufzeit bis 2010) der Vereinigung der Freunde<br />
und Förderer der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg e. V.<br />
(VFF). Das Präsidium der VFF hat eine dreijährige Förderung – ein<br />
Stipendium und Finanzen für Verbrauchsmaterialien – für eine Dissertation<br />
zugesagt. Entsprechend dem neuen Konzept der Konzentration<br />
auf längerfristige Vorhaben übernimmt die VFF damit die fi nanzielle<br />
Verantwortung für eine Doktorandin. Sie tut dies weitgehend aus eigenen<br />
Mitteln, wird jedoch zusätzlich unterstützt vom Stiftungsfonds der<br />
Dresdner Bank und der Stadt- und Saalkreissparkasse <strong>Halle</strong>.<br />
Vorsitzender des Kuratoriums: Jörg Henning<br />
Präsident: Senator e. h. Dr. Wolfgang Röller<br />
Geschäftsführer(in): Ramona Mitsching, Dr. Heinz Bartsch, Wolfgang Grohmann<br />
c/o <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg, 06099 <strong>Halle</strong> (Saale)<br />
Telefon: 0345 55-22912,<br />
E-Mail: ramona.mitsching@vff.uni-halle.de<br />
Internet: www.vff.uni-halle.de<br />
Diabetes, Arteriosklerose, Niereninsuffi zienz – für die Genesis all dieser<br />
Krankheiten spielt die Ernährung eine wesentliche Rolle. Entscheidend<br />
scheinen in diesem Zusammenhang jene Produkte zu sein, die sich beim<br />
Erhitzen durch die Reaktion zwischen Zucker und Proteinen bilden<br />
(Glykierungsendprodukte = AGE’s). Diese können sowohl schützend<br />
als auch schädigend wirken. Physiologisch im menschlichen Körper entstehende<br />
AGE’s hingegen werden oft für den Ausbruch degenerativer<br />
Krankheiten mitverantwortlich gemacht.<br />
Beatrice Leuner untersucht im Rahmen ihres Promotionsprojekts<br />
(Leitung: HD Dr. rer.nat. Andreas Simm, der auch Organisator der interdisziplinären<br />
Ringvorlesung »Humane Altersgesellschaft« ist) an der<br />
Medizinischen Klinik für Herz- und Thorax-Chirurgie die Wirkung von<br />
AGE-reicher Nahrung bei der Entstehung von Alterserkrankungen am<br />
Tiermodell. (Fotos: Paolo Schubert)<br />
Bitte unterstützen auch Sie die Arbeit der Vereinigung.<br />
Spenden erbeten an:<br />
Kontonummer: 857 362 100<br />
BLZ: 800 800 00<br />
Dresdner Bank <strong>Halle</strong> (Saale)<br />
Die Vereinigung ist berechtigt, steuerwirksame Spendenquittungen auszustellen.<br />
39<br />
V EREINIGUNG DER FREUNDE UND FÖRDERER
Alles unter<br />
einem Dach!<br />
Kreatives Tagen in einem innovativen<br />
Umfeld, individuelle und persönliche<br />
Betreuung von der Anfrage bis zum Vertragsabschluss,<br />
Service bis ins kleinste<br />
Detail – das alles und vieles mehr<br />
bietet Ihnen das M Hotel <strong>Halle</strong>.<br />
Wir begrüßen alle Mitarbeiter,<br />
Veranstaltungsteilnehmer sowie<br />
Freunde der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong>,<br />
Gast in unserem Haus zu sein.<br />
Nutzen Sie die vielfältigen Vorteile<br />
wie beispielsweise Sonderkonditionen<br />
für Übernachtungsgäste, die aufgrund<br />
der Partnerschaft zwischen der<br />
<strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> und dem<br />
M Hotel <strong>Halle</strong> bestehen.<br />
Wir freuen uns auf Ihren Besuch!<br />
M Hotel <strong>Halle</strong> · Riebeckplatz 4 · 06110 <strong>Halle</strong><br />
Telefon 0345 5101-713 · Telefax 0345 5101-777<br />
reservierung.hal@maritim.de · www.maritim.de