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Scientia Halensis 2 (2007) - Martin-Luther-Universität Halle ...

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UNI MAGAZIN<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

1<br />

M ARTIN-LUTHER-<br />

U NIVERSITÄT<br />

H ALLE-WITTENBERG<br />

halensis<br />

»Die Geisteswissenschaften.<br />

ABC der Menschheit« (Teil II)<br />

Plädoyer für 4 Kulturen: Natur<br />

im Geist – Geist in der Natur<br />

scientia<br />

Freimaurerei<br />

an der halleschen <strong>Universität</strong><br />

»Herausforderung Mensch«<br />

Bosch-Stiftung pro »Denkwerk«<br />

2/07


»scientia halensis im Netz«<br />

Start: 24. Juli <strong>2007</strong>, 12.00 Uhr


Plädoyer für vier Kulturen: 5<br />

Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften, Künste, Lebensweise | Dietrich v. Engelhardt<br />

Was heißt und zu welchem Ende ... 8<br />

... studiert man Geisteswissenschaften? | Rainer Enskat<br />

»Anfangsgründe aller Mathematik ...« 10<br />

Die ersten Vorlesungen von Christian Wolff 1707 in <strong>Halle</strong> | Jürgen Stolzenberg<br />

Bruder Studiosus, Bruder Professor 12<br />

Freimaurer an der <strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong> im 18. Jahrhundert | Renko Geffarth<br />

Armenien, Deutschland und die Türkei 14<br />

Beitrag der halleschen Geisteswissenschaften zum künftigen Europa | Hermann Goltz<br />

»Herausforderung Mensch« 16<br />

<strong>Halle</strong>sches Denk- und Netzwerk zum<br />

»Jahr der Geisteswissenschaften <strong>2007</strong>« | Hartmut Wenzel & Jan Metzner<br />

Wulf Meier: »Wir sind gut unterwegs« 18<br />

Interview mit dem neuen Präsidiumsmitglied der VFF | Carsten Heckmann<br />

85, 12 und 3 – barrierefrei! 20<br />

Neugestaltung des universitären Internetauftritts | Torsten Evers<br />

Wissenschaft geht weiter! 22<br />

Was wird aus den interdisziplinären Zentren? | Joachim Ulrich<br />

»Mutter und Kind« bilateral 24<br />

Deutsch-polnische Kontakte seit über 30 Jahren gepflegt | Jens Müller<br />

Vorher – während – und danach ... 25<br />

<strong>Universität</strong>sklinikum gründet Perinatalzentrum | Jens Müller<br />

Unangefochten Spitze 26<br />

Von den erfolgreichsten Wesen der Welt | Gerald Moritz<br />

Die neue (alte) »sTurmkultur« 28<br />

Zurück zu den Wurzeln der Studentenklubs | Paolo Schubert<br />

Uni ohne Ende ... 30<br />

Alumni & Absolvent(inn)en der Mathematik und Informatik | Jürgen Bruder & Stefan Braß<br />

25 Fragen an Armenuhi Drost-Abgarjan 31<br />

Verbales Porträt einer Zeitgenossin<br />

(Fach-)Literaturfabrik <strong>Universität</strong> 32<br />

Lese-Empfehlungen querbeet<br />

»Bitte einmal gemischten Sprachsalat ...« 34<br />

Diesmal mit: weitverbreiteten verbalen Nachlässigkeiten<br />

»... und ein Literatürchen!« 34<br />

Ratgeber von Carsten J. W. Weidling: »Leben in der Werbepause«?<br />

Moderieren und motivieren 35<br />

»Ars legendi-Preis« <strong>2007</strong> geht an Rolf Sethe nach <strong>Halle</strong> | Carsten Heckmann<br />

Ehrungen, Mitgliedschaften in Gremien, Berufungen, Jubiläen und andere Neuigkeiten 37<br />

Berufungen 38<br />

Gesunde Ernährung als Lebenselixier 39<br />

Vereinigung der Freunde und Förderer<br />

der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg e. V.<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

Impressum<br />

scientia halensis – Unimagazin<br />

der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg<br />

Ausgabe 2/<strong>2007</strong>, 15. Jahrgang<br />

erscheint viermal im Jahr<br />

Herausgeber<br />

Der Rektor<br />

der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg<br />

Redaktion<br />

Dr. Margarete Wein (verantwortlich i. S. d. P.)<br />

Redaktionsbeirat<br />

Prof. Dr. Wulf Diepenbrock (Rektor), Prof. Dr. Dr.<br />

Gunnar Berg (Altrektor), Carsten Heckmann,<br />

Prof. Dr. Andrea Jäger, Prof. Dr. Gerhard Lampe,<br />

Christine Mitsching (VFF), Jens Müller,<br />

Ute Olbertz, Katrin Rehschuh, Paolo Schubert,<br />

Dr. Ralf-Torsten Speler, Dr. Margarete Wein<br />

Postanschrift der Redaktion<br />

<strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg<br />

Abteilung Öffentlichkeitsarbeit<br />

06099 <strong>Halle</strong> (Saale)<br />

Besucheranschrift der Redaktion<br />

<strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg<br />

<strong>Universität</strong>splatz 9, 06108 <strong>Halle</strong> (Saale)<br />

Kontakt zur Redaktion<br />

Telefon: 0345 55-21420, Fax: 0345 55-27066<br />

E-Mail: margarete.wein@verwaltung.uni-halle.de<br />

Internet: www.uni-halle.de<br />

Layout und Satz<br />

Digital Druckservice <strong>Halle</strong> GmbH<br />

Druck<br />

dmv / druck-medienverlag GmbH <strong>Halle</strong>-Queis<br />

Grafik-Design<br />

Barbara Dimanski, Dipl.-Grafik-Designerin AGD/BBK<br />

Anzeigenpreisliste<br />

<strong>2007</strong><br />

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt<br />

die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.<br />

Die Rechte für sämtliche Beiträge und Abbildungen im<br />

<strong>Universität</strong>smagazin scientia halensis liegen beim Rektorat<br />

der <strong>Universität</strong>. Nachdrucke sind nur mit Genehmigung der<br />

Redaktion gestattet.<br />

Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte oder Bilder<br />

übernehmen wir keine Haftung.<br />

ISSN 0945-9529<br />

scientia halensis erscheint mit freundlicher Unterstützung der<br />

Vereinigung der Freunde und Förderer der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<br />

<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg e. V. (VFF)<br />

Titelbild: Andrang auf dem Uniplatz: »Lange Nacht<br />

der Wissenschaften 2006« (Foto: Norbert Kaltwaßer)<br />

3<br />

I NHALT/IMPRESSUM


4<br />

V ORWORT<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

Liebe Leserinnen,<br />

liebe Leser des halleschen Unimagazins ...<br />

Ein »Jahr der Geisteswissenschaften« als singuläres Phänomen im<br />

Reigen der Naturwissenschaftsjahre zuvor und danach rechtfertigt<br />

mühelos, dass alle vier Ausgaben eines universitären Periodikums in<br />

eben diesem Jahr dem facettenreichen Schwerpunkt »Geisteswissenschaften«<br />

gewidmet sind.<br />

Maßgebend für die Auswahl der Beiträge ist die Absicht, sowohl die<br />

Beziehungen zwischen den einzelnen Wissenschaftsdisziplinen als<br />

auch die Notwendigkeit ihrer Strukturierung zu diskutieren. Darin<br />

lebt eine Spannung, die zum einen vom inneren Zusammenhalt aller<br />

Wissenschaften, zum anderen von der inhaltlichen und methodischen<br />

Diversifi zierung in logisch unterschiedliche Wissensstrukturen und<br />

damit verschiedenen Wissenskulturen herrührt.<br />

Genau dieses Problem ist es, das wegführt vom vermeintlich unaufhebbaren<br />

Unterschied zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, der<br />

aber gerade in der Gegenwart – zu deren Charakteristika wachsende<br />

Globalisierung und fortschreitende Interdisziplinarität gehören – neu<br />

hinterfragt werden muss.<br />

Der Redaktion des Unimagazins ist es gelungen, einen renommierten<br />

Wissenschaftshistoriker als Gastautor zu gewinnen: Seine Sicht auf<br />

das Thema bildet den Auftakt für die hier versammelten Beiträge, die<br />

sich dem Problem vornehmlich unter philosophischen und historischen<br />

Vorzeichen nähern. Was sich verändert hat in den wechselseitigen<br />

Zu- und Unterordnungen einzelner Wissensgebiete im Lauf der Jahrhunderte,<br />

spiegelt sich unter anderem im Rückblick auf die ersten<br />

Vorlesungen, die Christian Wolff an der halleschen Fridericiana hielt;<br />

denn scheinbar hatten sie mit Philosophie gar nichts zu tun, sondern<br />

richteten sich »nur« auf rein praktische Problemfelder (wie Mathematik,<br />

Fortifi kation, Hydraulik und Trigonometrie) …<br />

Aber: Aufklärung im weitesten Sinn war und ist das Ziel. Und so ist es<br />

kein Zufall, das auch die im 18. Jahrhundert wurzelnde Freimaurerei<br />

sehen erleben<br />

einen Platz in diesem Heft fi ndet: mit einem ersten Artikel über die<br />

Verbindung derselben zur halleschen <strong>Universität</strong>.<br />

Die Gedankenkette »Geisteswissenschaften – Christentum – künftiges<br />

Europa« führt unversehens zur »Wiederentdeckung« Armeniens,<br />

refl ektiert im Wechselspiel des »Fremden« und des »Eigenen«, die<br />

ihren Anfang an der halleschen <strong>Universität</strong> genommen und sich bis in<br />

die aktuelle Politik des Deutschen Bundestags und in die wissenschaftlichen<br />

und kulturellen Kontakte des Bundeslandes Sachsen-Anhalt<br />

hinein ausgewirkt hat.<br />

Außerdem trägt der Text zu den fünf Teilprojekten des halleschen<br />

Denk- und Netzwerks »Herausforderung Mensch« im Rahmen eines<br />

von der Robert Bosch Stiftung geförderten Programms in mehrfacher<br />

Weise zur Weiterführung interdisziplinärer Bemühungen bei<br />

– hier speziell durch das angestrebte Zusammenwirken von Schulen<br />

und Hochschulen, also von Schüler(inne)n, Lehrer(inne)n und<br />

Wissenschaftler(inne)n.<br />

Alle neuen Erkenntnisse müssen für alle Interessierten erreichbar sein,<br />

das sollte heutzutage eine Selbstverständlichkeit sein – die sich beim<br />

Medium Internet in der Barrierefreiheit zeigt, ein Thema, das scientia<br />

halensis bereits im Vorjahr aufgriff (Ausgabe 3/06, Seite18) und das<br />

eine wichtig ist sowohl für die aktuelle Neugestaltung der allgemeinen<br />

Web-Präsenz der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg als auch<br />

für »scientia halensis im Netz« – ein neues Informationsangebot, das<br />

Internetnutzer(inn)en ab Dienstag, den 24. Juli <strong>2007</strong>, 12 Uhr mittags,<br />

unter http://www.unimagazin.uni-halle.de zur Verfügung steht.<br />

Anregende Lektürestunden – auch mit allen anderen Texten, beispielsweise<br />

dem Interview mit dem neuen Präsidiumsmitglied der VFF und<br />

der Vorstellung des »Ars legendi«-Preisträgers <strong>2007</strong> – und einen sonnigen<br />

Sommer wünscht Ihnen<br />

Ihre Margarete Wein


Plädoyer für vier Kulturen:<br />

Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften, Künste,<br />

Lebensweise<br />

D IETRICH V . ENGELHARDT (LÜBECK)<br />

Wenn von einem Jahr der Geisteswissenschaften nach einem zurückliegenden Jahr der Naturwissenschaften<br />

– und vielleicht vor einem zukünftigen Jahr der Künste und Literatur – gesprochen<br />

wird, dann stellt sich naturgemäß und mit besonderer Dringlichkeit die Frage nach dem<br />

Verhältnis und der Verbindung dieser verschiedenen Bereiche der Kultur und Bildung. Kommen<br />

Geisteswissenschaften und Künste nicht auch in den Naturwissenschaften vor, besitzen<br />

Künste und Geisteswissenschaften nicht ihrerseits naturwissenschaftliche Voraussetzungen?<br />

Sollen Wissenschaften und Künste schließlich nicht auch im Leben des Menschen eine Rolle<br />

spielen und umgekehrt Impulse aus dem Leben erhalten?<br />

Kultur und Bildung besitzen philosophische,<br />

historische, soziologische, pädagogische und<br />

psychologische Dimensionen. In inhaltlicher<br />

Hinsicht stehen vor allem der Anteil der Naturwissenschaften,<br />

Geisteswissenschaften,<br />

Künste an Bildung und Kultur sowie die<br />

Beziehung zum praktischen Verhalten, zur<br />

gelebten Wirklichkeit zur Diskussion. Kultur<br />

und Bildung meinen nie nur Theorie, sondern<br />

immer auch Praxis.<br />

N ICHT ZWEI, SONDERN VIER KULTUREN<br />

Besondere Beachtung hat in jüngerer Zeit der<br />

Essay von CHARLES PERCY SNOW über zwei<br />

Kulturen gefunden – die Kultur der Naturwissenschaften<br />

und die Kultur der Geisteswissenschaften,<br />

die voneinander isoliert sind und<br />

sich gegenseitig nicht mehr verstehen (The<br />

two cultures, 1959). Der Kulturwissenschaftler<br />

WOLF LEPENIES hat seinerseits von drei Kulturen<br />

gesprochen (Die drei Kulturen. Soziologie<br />

zwischen Literatur und Wissenschaft, 1985).<br />

Statt von zwei oder drei Kulturen sollte aber<br />

zutreffender von vier Dimensionen der Kultur<br />

und entsprechend der Bildung die Rede sein:<br />

Kultur der Naturwissenschaften und Kultur<br />

der Geisteswissenschaften, Kultur der Künste<br />

und nicht zuletzt Kultur der Lebensweise oder<br />

des Verhaltens. Auf alle vier Bereiche oder<br />

auch ihre Verbindung können Kultur und<br />

Bildung bezogen werden und darüber hinaus<br />

ebenfalls auf eine integrierte Kultur oder eine<br />

Allgemeinbildung, die diesen Namen wirklich<br />

verdient.<br />

Kultur und Bildung sind aufeinander bezogen,<br />

werden nicht selten synonym gebraucht, lassen<br />

sich aber sinnvoll auch unterscheiden. Mit<br />

Kultur kann der objektive und ebenso der institutionalisierte<br />

Inhalt gemeint werden, unter<br />

Bildung ist die Aneignung und Realisierung<br />

durch den einzelnen Menschen zu verstehen.<br />

Die verschiedenen Kulturen können im übrigen<br />

jeweils an den anderen Kulturen gleichfalls<br />

vorkommen und aufgegriffen werden.<br />

D ER TREND ZUR TRENNUNG<br />

Offensichtlich – und vor allem ein Kennzeichen<br />

der Neuzeit – ist die Trennung der Kultur<br />

in unterschiedliche Kulturen. Wer in einem<br />

dieser Bereiche gebildet oder kultiviert ist,<br />

muss es nicht auch in den anderen Bereichen<br />

sein. Wer sich in den Naturwissenschaften<br />

auskennt, muss kein Kenner der Malerei,<br />

Literatur und Musik sein. Wer in den Geisteswissenschaften<br />

und den Künsten zu Hause ist,<br />

kann ein Banause in den Künsten sein und im<br />

sozialen Verhalten versagen. Wer musisch und<br />

literarisch gebildet ist, wird deshalb nicht unbedingt<br />

und zwangsläufi g verständnisvoll und<br />

sensibel mit seinen Mitmenschen umgehen.<br />

Mit Recht lässt sich von einer Lebenskultur<br />

oder einer Herzens- oder Seelenbildung sprechen,<br />

ohne dass zugleich musische, geisteswissenschaftliche<br />

oder naturwissenschaftliche<br />

Kenntnisse vorliegen müssen. Moralisch kann<br />

sich verhalten, wer zu ethischer Refl exion<br />

nicht in der Lage oder ausgebildet ist.<br />

G ANZHEIT VON KULTUR UND BILDUNG<br />

Schulischer Unterricht, berufl iche Ausbildung<br />

und Welt der Medien bestätigen diese Unterscheidung<br />

der verschiedenen Kulturen. In<br />

der Gegenwart wird zunehmend nach einer<br />

übergreifenden Bildung verlangt, nach einem<br />

fachübergreifenden Fachunterricht, nach einer<br />

Verbindung von Allgemeinbildung und exemplarischem<br />

Detailwissen, nach einer Einheit<br />

von Wissen, Fertigkeiten, Einstellungen, Haltung<br />

und nicht zuletzt Verhalten.<br />

In den Epochen der Geschichte und besonders<br />

im Verlauf der Neuzeit wurden spezifi sche<br />

inhaltliche und formale Akzente gesetzt, wurden<br />

Kultur- und Bildungsbegriffe mit einem<br />

Schwerpunkt auf jeweils besonderen Bereichen<br />

des Wissens und der Tätigkeit entwickelt<br />

– überwiegend auf Geisteswissenschaften,<br />

Literatur und Künste.<br />

Bereits in der Antike erscheinen diese Gegensätze<br />

– zum Beispiel, wenn auch nicht<br />

ausschließlich, so doch in einer spezifi schen<br />

Akzentuierung in der Philosophie von PLATO<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

Prof. Dr. phil. Dietrich von Engelhardt<br />

(Fotoarchiv IMWG), Jahrgang 1941,<br />

studierte Philosophie, Geschichte und<br />

Slawistik in Tübingen, München und Heidelberg,<br />

war Kriminologe und Kriminaltherapeut,<br />

lehrte und forschte am Institut<br />

für Geschichte der Medizin der <strong>Universität</strong><br />

Heidelberg (Promotion zum Thema »Hegel<br />

und die Chemie. Studie zur Philosophie<br />

und Wissenschaft der Natur um 1800«<br />

1969, Habilitation über »Historisches Bewußtsein<br />

in der Naturwissenschaft von der<br />

Aufklärung bis zum Positivismus «1976).<br />

Dann nahm er den Ruf an die <strong>Universität</strong><br />

Lübeck an (1983–<strong>2007</strong> Direktor des<br />

Instituts für Medizin- und Wissenschaftsgeschichte,<br />

1993–1996 Prorektor der<br />

<strong>Universität</strong>, 2000–2004 Vorsitzender der<br />

Ethikkommission, seit 2003 Vorsitzender<br />

des Klinischen Ethikkomitees).<br />

Seit 2001 wirkt er als Vizepräsident des<br />

Landesethikkomitees Südtirol.<br />

1995 wurde er in die Deutsche Akademie<br />

der Naturforscher Leopoldina aufgenommen,<br />

war Gründungsmitglied der Akademie<br />

für Ethik in der Medizin, 1994–1998<br />

ihr Vizepräsident und 1998–2002 ihr<br />

Präsident.<br />

Seine Forschungsschwerpunkte sind: Medizin<br />

und Philosophie in der Neuzeit; Medizin<br />

in der Literatur; Naturwissenschaften<br />

und Medizin in Idealismus und Romantik;<br />

Medizin- und Wissenschaftshistoriographie;<br />

Geschichte der Medizinischen Ethik;<br />

Ethik im Medizinstudium; Umgang des<br />

Kranken mit der Krankheit (Coping).<br />

Kontakt<br />

Telefon: 0451 707998-21<br />

E-Mail: v.e@imwg.uni-luebeck.de<br />

5<br />

J AHR DER GEISTESWISSENSCHAFTEN <strong>2007</strong>


6<br />

J AHR DER GEISTESWISSENSCHAFTEN <strong>2007</strong><br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

(Geisteswissenschaften) und ARISTOTELES<br />

(Naturwissenschaften). Die Medizin hingegen<br />

zielt immer wieder auf Verbindung, wird als<br />

Wissenschaft (scientia) und Kunst (ars) verstanden,<br />

meint Wissen und Tun. Jeder Mensch<br />

soll nach antiker Auffassung nicht nur in der<br />

Literatur, Geschichte und Philosophie gebildet<br />

sein, sondern sich gleichermaßen in Fragen<br />

seines Körpers und seiner Seele auskennen,<br />

soll verantwortlich für seine Gesundheit und<br />

seine Krankheit sein.<br />

P ETRARCA AUF DEM GIPFEL DER BERGE<br />

Legendär und zugleich von bezeichnender<br />

Symbolik ist zu Beginn der Neuzeit PETRAR-<br />

CAs Besteigung des Mont Ventoux am 26.<br />

April 1336 mit seiner Begeisterung über die<br />

Schönheit der Natur auf dem Gipfel dieses<br />

Berges und seiner beschämten Abkehr in<br />

Erinnerung an die mahnenden Worte des Kirchenvaters<br />

AUGUSTINUS: »Und es gehen die<br />

Menschen hin, zu bewundern die Höhen der<br />

Berge, die ungeheuren Fluten des Meeres, die<br />

mächtigen Strömungen der Flüsse, die Weiten<br />

des Ozeans und den Kreislauf der Gestirne<br />

– und verlieren sich selbst.« (um 400 n.Chr.)<br />

Der empfundene Zauber der Natur verfl iegt,<br />

die in PETRARCA entstandene Haltung eines<br />

Naturforschers wird verdrängt von der Haltung<br />

eines Geistesforschers: »Ich betrachtete den<br />

Gipfel des Berges, und er schien kaum eine<br />

Elle hoch zu sein, verglichen mit der Tiefe der<br />

menschlichen Betrachtung.«<br />

W ISSENSCHAFT UND KUNST – UND LEBEN?<br />

Die Trennung der Naturwissenschaften und<br />

Geisteswissenschaften erfährt in jener Zeit<br />

Impulse, die bis in die Gegenwart prägend<br />

geblieben sind. Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften<br />

sowie Naturästhetik und<br />

Lebensweise oder reales Verhalten erscheinen<br />

in diesem Zeugnis von PETRARCA in der auch<br />

heute vertrauten Spannung. Immer wieder<br />

haben sich Wissenschaftler der Natur und<br />

des Geistes gegenseitig Bildung und Kultur<br />

abgesprochen, immer wieder ist es zu Divergenzen<br />

zwischen Theoretikern und Praktikern,<br />

zwischen Kunst und Leben gekommen. Von<br />

den Dispute delle Arti der Renaissance führt<br />

eine Tradition über IMMANUEL KANTs Streit<br />

der Fakultäten (1798) im ausgehenden 18.<br />

Jahrhundert zu entsprechenden Beiträgen und<br />

Positionen der Gegenwart.<br />

Vertreten wird in der Epoche der Klassik und<br />

Romantik ein enzyklopädischer und zugleich<br />

partikularer Kultur- und Bildungsbegriff, der<br />

die Brücke von den Naturwissenschaften zu<br />

den Geisteswissenschaften schlägt, die Künste<br />

einbezieht und sich auch auf die Lebensweise<br />

des Menschen auswirken soll. Es geht um<br />

Persönlichkeitsbildung als theoretische Erweiterung<br />

und seelische Stabilisierung, es geht um<br />

soziales Engagement und Verantwortung für<br />

den Umgang mit der Natur.<br />

ALEXANDER VON HUMBOLDT bezeichnet als<br />

Ziel seines Kosmos: »empirische Ansicht des<br />

Naturganzen in der wissenschaftlichen Form<br />

eines Naturgemäldes« (1844). FRIEDRICH<br />

ERNST DANIEL SCHLEIERMACHER versteht unter<br />

Bildung: »weltbildende Selbstdarstellung«<br />

(1813/14). HENRIK STEFFENS bringt theoretisches<br />

Wissen und soziales Verhalten in eine<br />

innere Verbindung: »Meine Konjugation fängt<br />

mit der zweiten Person an. Bist du nicht, will<br />

ich nicht sein. Was ist selbst Wahrheit – ohne<br />

Freundschaft?« (1799) Schönheit und Gesetzmäßigkeit<br />

der äußeren Natur können, wovon<br />

der Mediziner, Naturphilosoph und Maler<br />

CARL GUSTAV CARUS zutiefst überzeugt ist,<br />

den Menschen dazu anregen, sein »eigenes<br />

innerstes Leben zu ähnlicher Harmonie und<br />

Klarheit auszubilden« (1831).<br />

W ECHSELBEZIEHUNG UND DIALOG<br />

Die Stimmen, die sich für eine Verbindung<br />

und Wechselbeziehung der Kulturen einsetzen,<br />

brechen auch im 19. Jahrhundert nicht vollkommen<br />

ab. In den Naturwissenschaften sieht<br />

EMIL DU BOIS-REYMOND das »Organ der Kultur«,<br />

in der »Geschichte der Naturwissenschaft<br />

die eigentliche Geschichte der Menschheit«.<br />

Vor allem Naturwissenschaften sollen vom<br />

Aberglauben befreien, soziale Ungleichheit<br />

und Nationalismus überwinden: »Ist Literatur<br />

das wahre intranationale, so ist die Naturwissenschaft<br />

das wahre internationale Band der<br />

Völker« (1877).<br />

Der Horizont der sogenannten »Gebildeten«<br />

ist nach ERNST HAECKEL überaus beschränkt;<br />

den meisten unter ihnen seien Keimesge-<br />

schichte und Evolutionslehre Mystik, obwohl<br />

diese »einen größeren Schatz der wichtigsten<br />

Wahrheiten in sich bergen und eine tiefere Erkenntnis-Quelle<br />

bilden als die meisten Wissenschaften<br />

und alle sogenannten ›Offenbarungen‹<br />

zusammen« (1874). Das humanistische<br />

Bild der Wirklichkeit führt nach WILHELM<br />

OSTWALD zum Pessimismus, Naturforscher<br />

seien dagegen »konstitutive Optimisten«<br />

(1909).<br />

Mehrfach werden auch von Künstlern und<br />

Schriftstellern Verbindungen zu den Naturwissenschaften<br />

hergestellt. Nach EMILE ZOLA<br />

ist der moderne Roman »die Poesie und die<br />

Wissenschaft zugleich«, der naturalistische<br />

Schriftsteller habe »kein Moralist, sondern ein<br />

Anatom« (1893) zu sein.<br />

Philosophen und Pädagogen vertreten ähnliche<br />

Standpunkte der Vermittlung. Bildung soll<br />

sich, wie der Pädagoge EDUARD SPRANGER<br />

ausführt, den naturwissenschaftlichen und<br />

technischen Entdeckungen und Erfi ndungen<br />

öffnen, denn »auch sie sind in hohem Grade<br />

Leistungen des Geistes«. Der Altphilologe<br />

BRUNO SNELL ist überzeugt, dass nur »schlechte<br />

humanistische Bildung und schlechte<br />

naturwissenschaftliche Bildung« (1956) in<br />

einem Gegensatz zueinander stünden. Es sei<br />

heute nicht mehr möglich, führt mit ähnlichem<br />

Tenor der Bildungsforscher GEORG PICHT aus,<br />

»unter Ausschaltung der Naturwissenschaften<br />

allein auf dem Boden der Geisteswissenschaften<br />

eine legitime Bildungsidee zu entwickeln«<br />

(1953).<br />

Das 19. und 20. Jahrhundert tragen aber<br />

entscheidend zu der die heutige Gegenwart<br />

bestimmenden Trennung der Natur- und<br />

Geisteswissenschaften bei, zugleich auch zur<br />

Trennung von Theorie und Praxis, Wissen und<br />

Verhalten. Für diese Trennung sind die Natur-<br />

Francesco Petrara, ca. 1450, Firenze, Galleria degli Uffizi – vor dem Mont Ventoux in Südfrankreich


Caspar David Friedrich: »Lebensstufen«, um 1835 (Leipzig, Museum der bildenden Künste)<br />

wie die Geisteswissenschaftler verantwortlich.<br />

In gewisser Weise sind die Naturwissenschaftler<br />

nicht selten sogar geisteswissenschaftlicher<br />

als Geisteswissenschaftler naturwissenschaftlich.<br />

Der Spezialist tritt seine Herrschaft an.<br />

V ERBINDUNG WEIT ENTFERNT<br />

Weiter denn je ist die Gegenwart von einer<br />

Verbindung der Kulturen entfernt. Gebildete<br />

Gespräche oder Gespräche unter Gebildeten<br />

beziehen sich nur selten auf naturwissenschaftliche<br />

Themen; sich in Physik oder Mathematik<br />

nicht auszukennen, gilt nicht als peinlich, sondern<br />

eher als chic. Die Spezialisierung und zunehmende<br />

Indifferenz von Naturforschern gegenüber<br />

historischen und thematischen Aspekten<br />

ihrer Wissenschaft einerseits, die Betonung<br />

des spezifi sch Geistigen und das Desinteresse<br />

an der Natur und ihrer wissenschaftlichen<br />

Erforschung bei Geisteswissenschaftlern andererseits<br />

haben einem allgemeinen Bildungsbegriff<br />

entgegengestanden.<br />

Moderne Bücher zum Begriff und den Inhalt<br />

der Bildung manifestieren diese unbefriedigende<br />

Situation. Das Buch von DIETRICH<br />

SCHWANITZ Bildung: alles, was man wissen<br />

muß (1999) ist ein charakteristisches Beispiel<br />

geisteswissenschaftlich-literarischer Einseitigkeit.<br />

Ein konträrer Standpunkt wird von ERNST<br />

PETER FISCHER in seiner Monographie Die<br />

andere Bildung: Was man von den Naturwissenschaften<br />

wissen sollte (2001) vertreten.<br />

B ILDUNGSKRITIK IN DER GEGENWART<br />

Entscheidend für das Auseinanderfallen der<br />

verschiedenen Kulturen und vor allem von<br />

Naturwissenschaft und Bildung ist zudem<br />

die Wandlung der Bildung selbst. Bildung<br />

ist in sich fragwürdig geworden; FRIEDRICH<br />

NIETZSCHEs fundamentale Bildungskritik,<br />

demonstriert an den Erscheinungen des ›Bildungsphilisters‹,<br />

der ›journalistischen Bildung‹<br />

und ›mikrologischen Gelehrsamkeit‹, hat die<br />

Skepsis gegenüber der Bildung der Gegenwart<br />

vorweggenommen.<br />

N ATUR IM GEIST – GEIST IN DER NATUR<br />

Ohne Zweifel besitzt diese Entwicklung auch<br />

eine individualpsychologische, eine emotionale<br />

Grundlage; die wenigsten Menschen können<br />

sich für die Betrachtung und Erforschung der<br />

Natur ebenso begeistern – emotional und nicht<br />

nur intellektuell – wie für die Betrachtung<br />

und Erforschung der menschlichen Psyche,<br />

der sozialen Welt, der Werke der Kunst und<br />

Literatur. In dieser individuellen Disposition<br />

liegen tiefe Grenzen einer Verbindung der vier<br />

Kulturen.<br />

Bildung zielt schließlich nicht nur auf theoretisches<br />

Wissen und künstlerische Produktivität,<br />

sondern auch und vor allem auf das Verhalten<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

Notwendig für eine Veränderung,<br />

für eine integrierte Bildung des<br />

Natur- und Geistwissens, des<br />

Ästhetischen und des Lebens ist<br />

die Erkenntnis des Geistes in der<br />

Natur und der Natur im Geist, der<br />

Wissenschaft in den Künsten wie<br />

der Künste in den Wissenschaften<br />

sowie ihrer Verbindung mit dem<br />

realen Leben, mit der Haltung und<br />

Lebensweise des Menschen.<br />

(Dietrich v. Engelhardt, <strong>2007</strong>)<br />

des Menschen – auf den überzeugenden Umgang<br />

mit Geburt und Tod, mit Gesundheit<br />

und Krankheit und nicht zuletzt auch mit der<br />

unbelebten und besonders belebten Natur. Die<br />

Umwelt des Menschen ist auch seine Mitwelt;<br />

Lebenskunst meint auch Sterbekunst, Kunst<br />

des Krankseins und Kunst des Beistands. ■<br />

7<br />

J AHR DER GEISTESWISSENSCHAFTEN <strong>2007</strong>


8<br />

J AHR DER GEISTESWISSENSCHAFTEN <strong>2007</strong><br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

Was heißt und zu welchem Ende ...<br />

... studiert man Geisteswissenschaften?<br />

R AINER ENSKAT<br />

Proklamiert die zentrale wissenschaftspolitische Instanz eines Landes ein »Jahr der Geisteswissenschaften«,<br />

dann ist dies ein symbolischer Akt von notorischer Vieldeutigkeit:<br />

Haben die Geisteswissenschaften so ein Jahr nötig? Haben sie es verdient? Zielt diese symbolische<br />

Proklamation auf die beschwichtigende Kompensation eines den Geisteswissenschaftlern<br />

unterstellten wissenschaftssystematischen Minderwertigkeitskomplexes gegenüber anderen<br />

Wissenschaftsgruppen oder auf die fadenscheinige Kompensation eines schlechten förderungspolitischen<br />

Gewissens der initiierenden Instanz? Wissen die Urheber, dass sie das Echo einer<br />

mehr als hundert Jahre alten Symbolpolitik weitertragen, die im Rückgriff auf Hegels Theorie<br />

des subjektiven und des objektiven Geistes die wichtigsten methodischen, gegenstandsregionalen<br />

und logischen Binnenstrukturen der Forschung im Dunkeln lässt, wenn sie die meisten<br />

Wissenschaften diesseits der Naturwissenschaften unter dem Namen der Geisteswissenschaften<br />

zusammenfasst? Dürfen sich die Beteiligten daher überhaupt sicher sein, dass sie nicht nur dieselben,<br />

sondern vor allem auch die charakteristischen und die tragenden Binnenstrukturen der<br />

Forschung im Auge haben, wenn sie von den Geisteswissenschaften sprechen?<br />

S TRUKTUREN UND BINNENSTRUKTUREN<br />

Man wird dem höchst komplexen Unternehmen<br />

namens Wissenschaft nur dann gerecht<br />

werden können, wenn man sowohl bei jeder<br />

einzelnen Wissenschaft wie bei jeder einzelnen<br />

Wissenschaftsgruppe sorgfältig deren<br />

gegenstandsregionale, methodische und<br />

logische Binnenstrukturen von den externen<br />

Strukturen unterscheidet, um deretwillen<br />

Forschungsresultate wissenschaftlicher Arbeit<br />

in die alltägliche Lebenswelt integriert werden.<br />

Mangelnde Sorgfalt in diesen Punkten<br />

kann erfahrungsgemäß recht schnell zu<br />

wildwüchsigen Entwicklungen führen, die<br />

Verfallserscheinungen nicht nur innerhalb der<br />

Wissenschaft, sondern auch in jener alltäglichen<br />

Lebenswelt nach sich ziehen, die in der<br />

Gegenwart und ebenso in der Zukunft immer<br />

nur von der möglichst besten wissenschaftlichen<br />

Forschung wirklich profi tieren kann.<br />

G EGENSTANDSREGIONALE BINNENSTRUKTUREN<br />

Wie jede andere empirisch arbeitende Wissenschaftsgruppe,<br />

so suchen und fi nden die Geisteswissenschaften<br />

die materiellen Substrate<br />

(Papier, Leinwand, Tinte, Farbe, leibhaftige<br />

Menschen) ihrer genuinen Gegenstände – also<br />

von Dokumenten, Zeugnissen, Denkmälern<br />

und von leibhaftigen Verhaltensweisen von<br />

Menschen – in demselben Raum-Zeit-Kontinuum,<br />

in dem auch die Naturwissenschaften<br />

ihre Gegenstände suchen und fi nden. Im<br />

Gegensatz zu den genuinen Gegenständen der<br />

Naturwissenschaften haben die der Geistes-<br />

»Wo weht er denn, der Geist? Die Frage<br />

hat sich schon der Stuttgarter Philosoph<br />

Georg Wilhelm Friedrich Hegel gestellt.<br />

Im Winter 1806/07, also vor genau 200<br />

Jahren, legte er letzte Hand an seine ›Phänomenologie<br />

des Geistes‹. Hegel war auf<br />

der Suche nach dem Verbindenden in einer<br />

als widerständig und zerrissen erfahrenen<br />

Welt. Ihren inneren Zusammenhang nannte<br />

er Geist, die Lehre davon Wissenschaft,<br />

den Weg dorthin Bildung.«<br />

Michael Bienert<br />

Stuttgarter Zeitung, 13. Dezember 2006,<br />

Seite 29<br />

wissenschaften jedoch einen anderen ontologischen<br />

Status: Sie werden erst von Menschen<br />

als das gestaltet, was sie sind. Wegen dieser<br />

anthropomorphen und anthropogenen Formate<br />

ihrer Gegenstände heißen sie im anglo-amerikanischen<br />

Sprachraum humanities. Die für<br />

sie charakteristische Gegenstandsregion ist<br />

daher die Geschichte – die vergangene oder<br />

die gegenwärtige –, nicht die Natur.<br />

Den klassischen Kern der Geisteswissenschaften<br />

bilden die philologischen, die literaturwissenschaftlichen<br />

und die historischen<br />

Disziplinen. Ihre genuinen Gegenstände sind<br />

die mit sprachlichen bzw. nicht-sprachlichen<br />

Mitteln gestalteten Dokumente, Zeugnisse<br />

und Denkmäler der Geschichte. Öffnet man<br />

den Kreis der Geisteswissenschaften zudem<br />

für die Sozialwissenschaften einschließlich<br />

der Psychologie, gehören auch die mit sprachlichen<br />

und nicht-sprachlichen – stets aber leib-<br />

haftigen – Mitteln gestalteten Verhaltensweisen<br />

der Menschen der jeweils gegenwärtigen<br />

Geschichte zu den genuinen Gegenständen der<br />

Geisteswissenschaften.<br />

M ETHODISCHE BINNENSTRUKTUREN<br />

Die Geisteswissenschaften thematisieren,<br />

untersuchen und erforschen ihre Gegenstände<br />

unter Aspekten, die mit den Leitaspekten<br />

der Naturwissenschaften nicht das geringste<br />

gemeinsam haben. Diese Aspekte sind den<br />

Geisteswissenschaften dadurch vorgegeben,<br />

dass ihre Gegenstände – im Gegensatz zu<br />

denen der Naturwissenschaften – stets auch<br />

die Funktion eines Mediums der Teilhabe<br />

aller Menschen an gemeinsamen anthropomorphen<br />

und anthropogenen Strukturen und<br />

Erfahrungen besitzen: Die Geisteswissenschaftler<br />

haben als Menschen an denselben<br />

Strukturen und Erfahrungen teil wie die Urheber<br />

der Gestalten der Gegenstände, die sie thematisieren,<br />

untersuchen und erforschen – an<br />

der Sprache, an der Gesellschaft, an der Technik,<br />

an der Politik, an der Kunst, an der Religion,<br />

an der Wissenschaft. Diese kollektive<br />

Teilhabe ist die mindeste, die wichtigste und<br />

die charakteristische Voraussetzung dafür,<br />

dass die diversen geisteswissenschaftlichen<br />

Methoden des Verstehens, Interpretierens,<br />

Auslegens, Erklärens und Deutens sowohl von<br />

Dokumenten, Zeugnissen und Denkmälern<br />

der Vergangenheit wie von Verhaltensweisen<br />

der Gegenwart erfolgreich geübt werden können.<br />

L OGISCHE BINNENSTRUKTUREN<br />

Das wichtigste logische Strukturmerkmal<br />

aller wissenschaftlichen Arbeit wird selbstverständlich<br />

auch in den Geisteswissenschaften<br />

kultiviert: die Ausarbeitung von Hypothesen<br />

und die Arbeit mit Hypothesen. Diese hypothetisch<br />

strukturierte Arbeit ist so verwirrend<br />

kompliziert, dass man gut daran tut,<br />

wenigstens die logische Minimalstruktur von<br />

Hypothesen nicht weniger zu berücksichtigen<br />

als deren methodische Minimalfunktion. Die<br />

logische Minimalstruktur wird am deutlichsten<br />

im Spiegel ihres sprachlichen Klartextes:<br />

Stets gehört ein Wenn-dann-Satz zur sprachlichen<br />

Vollform einer Hypothese.<br />

Die methodische Minimalfunktion von Hypothesen<br />

zeigt sich indessen am klarsten in dem<br />

Umstand, dass jedes wissenschaftliche Untersuchungsresultat<br />

eine Antwort auf eine Frage<br />

liefert, die einen mehr oder weniger großen<br />

rätselhaften Ausschnitt der Wirklichkeit zum


Thema macht. In den Naturwissenschaften ist<br />

es die Wirklichkeit der physischen Phänomene,<br />

in den Geisteswissenschaften die Wirklichkeit<br />

der sprachlichen, der künstlerischen,<br />

der technischen, der politischen, der religiösen<br />

und der gesellschaftlichen Phänomene, aus<br />

der die Forschung ihren Untersuchungen<br />

rätselhafte Realitätsausschnitte durch solche<br />

Fragen zugänglich werden lässt.<br />

»Die Geisteswissenschaftler erklären,<br />

wenn die Naturwissenschaften etwa über<br />

die Entstehung des Willens im Hirn forschen,<br />

was Willensfreiheit philosophisch<br />

bedeutet.«<br />

Christoph Markschies<br />

taz, 12. Januar <strong>2007</strong>,<br />

Seite 22<br />

Wer eine solche Frage stellt, signalisiert, dass<br />

er (noch) nicht weiß, aus welcher Regel, aus<br />

welchem (statistischen) Gesetz, aus welchen<br />

Intentionen, aus welchen Motiven bzw. aus<br />

welchen personalen Dispositionen, kurz:<br />

aus welchem Geist man das thematisierte<br />

rätselhafte Phänomen verständlich machen,<br />

erklären, deuten oder interpretieren kann<br />

– gleichgültig, um was für ein anthropomorphes<br />

oder anthropogenes Phänomen es sich<br />

handelt. Doch der wichtigste und der charakteristische<br />

wissenschaftliche Schritt auf dem<br />

Weg der Beantwortung einer solchen Frage<br />

besteht in der Bildung einer – oder mehr als<br />

einer – Hypothese über Faktoren, aus denen<br />

das jeweils rätselhafte Phänomen erklärt, verständlich<br />

gemacht, gedeutet oder interpretiert<br />

werden kann: Wenn das rätselhafte Phänomen<br />

auf den hypothetisch unterstellten Faktor<br />

zurückgeführt werden kann, dann ist es verständlich,<br />

erklärt, gedeutet, interpretiert.<br />

Die logische Pointe, die an der wenn-dann-<br />

Struktur von Hypothesen so klar ablesbar<br />

wird, zeigt sich in dem Umstand, dass Hypothesen<br />

erlauben, die Wahrheitsfrage sowohl<br />

ihrer wenn-Sätze wie ihrer dann-Sätze offenzuhalten.<br />

Das ist vor allem deswegen nötig,<br />

»Der Literaturwissenschaftler Ernst<br />

Robert Curtius lehnte 1920 einen Ruf an<br />

die Technische <strong>Universität</strong> Aachen ab, weil<br />

er nicht von dem Professor für Heizung und<br />

Lüftung mit ›Herr Kollege‹ angeredet werden<br />

wollte.«<br />

Moritz Schuller<br />

Der Tagesspiegel, 28. Januar <strong>2007</strong>,<br />

Seite 1<br />

weil die wichtigsten Inhalte insbesondere<br />

ihrer wenn-Sätze – also Regeln, (statistische)<br />

Gesetze, Intentionen, Motive und personale<br />

Dispositionen – grundsätzlich nicht direkt<br />

beobachtbar sind, sondern nur indirekt mit<br />

Hilfe von Indizien und Symptomen und daher<br />

auch nur im Rahmen von (unquantifi zierten<br />

oder quantifi zierten) Wahrscheinlichkeitsschätzungen<br />

erfasst werden können. Doch die<br />

indikatorische Basis und die Wahrscheinlichkeitskomponente<br />

des wenn-Satzes überträgt<br />

sich auf die ganze Hypothese und sämtliche<br />

mit ihrer Hilfe erzielbaren Untersuchungsresultate.<br />

Der Bedingungszusammenhang zwischen<br />

dem durch Indizien gestützten Faktor<br />

des wenn-Satzes und dem ursprünglichen rätselhaften<br />

Phänomen ist daher stets nur mehr<br />

oder weniger stark indiziert und daher auch<br />

nur mehr oder weniger wahrscheinlich. Auch<br />

die am besten indiziengestützte Hypothese<br />

und die mit der größten Wahrscheinlichkeit<br />

verbundene Hypothese hört nicht auf, eine<br />

Hypothese zu sein.<br />

Das gilt zum Beispiel für philologische und<br />

literaturwissenschaftliche Hypothesen über<br />

Faktoren, aus denen erklärt oder verständlich<br />

gemacht werden kann, dass beispielweise<br />

Goethe in Gretchens Gebet im Faust gegen<br />

alle Lehrbuchregeln »Schmerzensreiche« auf<br />

»neige« reimt; es gilt auch für sozialwissenschaftliche<br />

Hypothesen über Faktoren, aus<br />

denen erklärt oder verständlich gemacht werden<br />

kann, dass beispielsweise das generative<br />

Verhalten unverheirateter israelischer Frauen<br />

»90 Prozent aller Senior-Studenten<br />

studieren ein geisteswissenschaftliches<br />

Fach. In Ruhestand getretene Ärzte, Diplom-Volkswirte<br />

und Ingenieure erfüllen<br />

sich endlich ihren Lebenstraum, studieren<br />

etwa Theologie, Philosophie und Geschichte.«<br />

Wolfgang Bergsdorf<br />

Rheinischer Merkur, 14. Juni <strong>2007</strong>,<br />

Seite 26<br />

signifi kant vom entsprechenden Verhalten<br />

entsprechender Frauen in anderen modernen<br />

Gesellschaften abweicht; es gilt ebenso für<br />

historische Hypothesen über Faktoren, aus<br />

denen erklärt oder verständlich gemacht<br />

werden kann, dass zum Beispiel Pompeius’<br />

Heer in der Schlacht bei Pharsalos trotz seiner<br />

vielfachen Überlegenheit eine Niederlage<br />

durch Caesars Heer erlitten hat; und es gilt<br />

nicht weniger für musikwissenschaftliche<br />

Hypothesen über die Faktoren, aus denen etwa<br />

verständlich gemacht oder erklärt werden<br />

kann, dass Mozart in der Rolle der Königin<br />

der Nacht im 1. Akt der Zauberfl öte einen<br />

offensichtlichen dramaturgischen und musikalischen<br />

Bruch komponiert hat.<br />

Es gehört indessen zur Wissenschaftlichkeit<br />

auch der geisteswissenschaftlichen Arbeit,<br />

dass der hypothetische Charakter ihrer Resultate<br />

niemals aufhört und daher auch niemals<br />

vernachlässigt werden sollte. Diesen Resultaten<br />

liegen nun einmal stets Fragen zugrunde,<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

durch die stets nur hinreichend kleine rätselhafte<br />

Ausschnitte der ganzen geschichtlichen<br />

Wirklichkeit umrissen werden. Daher<br />

müssen diese Resultate und die sie leitenden<br />

Hypothesen ständig mit Bewährungsproben<br />

rechnen, wie sie durch rätselhafte oder widerspenstige<br />

Faktoren aus der noch unzureichend<br />

oder noch gar nicht erforschten Wirklichkeit<br />

jenseits dieser Ausschnitte induziert werden.<br />

Doch da kein Mensch jemals die ganze<br />

Wirklichkeit erfassen kann – weder die ganze<br />

Wirklichkeit der Natur noch die der Geschichte<br />

– kann keine Hypothese der wissenschaftlichen<br />

Arbeit jemals aufhören, eine revidierbare<br />

Hypothese zu sein, auch wenn sie sich noch so<br />

gut bewährt hat. Jede derartige Bewährung ist<br />

immer nur vorläufi g.<br />

E XTERNE STRUKTUREN<br />

Die wissenschaftsexternen, also die praktischen<br />

und insbesondere die politischen<br />

Strukturen, um deretwillen Forschungsresultate<br />

auch geisteswissenschaftlicher Arbeit in<br />

die alltägliche Lebenswelt integriert werden<br />

können und sollten, sind während des vergangenen<br />

Jahrhunderts ausführlich und äußerst<br />

kontrovers erörtert worden. Diese Erörterungen<br />

haben allerdings regelmäßig erheblich<br />

darunter gelitten, dass sie immer wieder mit<br />

mehr oder weniger verkappten Totalitätsansprüchen<br />

auf Erkenntnis der geschichtlichen,<br />

insbesondere der gesellschaftlichen und der<br />

politischen Wirklichkeit sowie mit durchaus<br />

unverblümten Monopolansprüchen auf Aufklärungsfunktionen<br />

und emanzipatorische<br />

Funktionen einzelner Geisteswissenschaften<br />

verbunden worden sind. Doch solange die<br />

Klarheit über die elementaren Binnenstrukturen<br />

der geisteswissenschaftlichen Arbeit<br />

nicht hinreichend verbreitet ist, wird die nicht<br />

weniger dringliche Klarheit über diese externen<br />

Strukturen keine erheblichen Fortschritte<br />

machen können. Stellt man die symbolische<br />

Funktion des »Jahres der Geisteswissenschaften«<br />

gebührend in Rechnung, dann wäre daher<br />

schon viel gewonnen, trüge es wenigstens zu<br />

einer breiteren und tieferen Klärung dieser<br />

elementaren Binnenstrukturen bei. ■<br />

Prof. Dr. Rainer Enskat,<br />

Jahrgang 1943, studierte an den <strong>Universität</strong>en<br />

Hamburg, Marburg und Göttingen<br />

Philosophie, Politische Wissenschaft und<br />

Soziologie. Er lehrte und forschte u. a.<br />

an den <strong>Universität</strong>en Köln und Freiburg.<br />

1984 wurde er als <strong>Universität</strong>sprofessor<br />

nach Heidelberg berufen. Seit 1992 ist er<br />

Professor für Philosophie (Schwerpunkt:<br />

Theoretische Philosophie) an der MLU. Er<br />

ist Mitglied des Direktoriums des<br />

Interdisziplinären Zentrums für die Erforschung der Europäischen<br />

Aufklärung und war von Januar 2005 bis Januar <strong>2007</strong><br />

Geschäftsführender Direktor des IZEA.<br />

Telefon: 0345 55-24392,<br />

E-Mail: rainer.enskat@phil.uni-halle.de<br />

9<br />

J AHR DER GEISTESWISSENSCHAFTEN <strong>2007</strong>


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U NIVERSITÄTSGESCHICHTE<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

»Anfangsgründe aller Mathematik ...«<br />

Die ersten Vorlesungen von Christian Wolff 1707 in <strong>Halle</strong><br />

J ÜRGEN STOLZENBERG<br />

»Als ich nach <strong>Halle</strong> kam gegen des Ende des 1706ten Jahres fand ich den Zustand anders, als<br />

ich ihm gewünscht hätte. Die Mathematick war eine unbekannte und ungewohnte Sache, von<br />

der Solidität hatte man keinen Geschmack und in der Philosophie dominierte H. Thomasius,<br />

dessen Sentiment aber und Vortrag nicht nach meinem Geschmack waren.« (Christan Wolff:<br />

Biographie, Hildesheim 1980, Seite 146)<br />

So erinnert sich Christian Wolff in seiner Autobiographie an seine ersten <strong>Halle</strong>nser Jahre. An<br />

die <strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong> war Wolff Anfang November 1706 als ordentlicher Professor für Mathematik<br />

berufen worden. In der von König Friedrich Wilhelm I. mit Datum vom 2. November<br />

1706 eigenhändig unterschriebenen und mit dem »Königl. Gnadensiegel« versehenen Bestallungsurkunde<br />

für Christian Wolff heißt es:<br />

»...nachdem zeithero die Professio Mathematices ordinaria in Facultate Philosophica auf<br />

unserer <strong>Universität</strong> zu <strong>Halle</strong> nicht besetzet gewesen, und uns Christian Wolf, wegen seiner<br />

Erudition, Capacität in Mathematicis und guten Qualitäten allerunterthänigst gerühmet worden<br />

[…] sind wir dannenhero bewogen worden, ermeldten Wolf zum Professore Matheseos bey<br />

unserer <strong>Universität</strong> zu <strong>Halle</strong> anzunehmen und zu bestellen.« (ebenda, Beilagen, Seite 6)<br />

Die »allerunterthänigste« Empfehlung ging vor allem auf Leibniz zurück, der Wolffs Habilitationsschrift<br />

»Über allgemeine praktische Philosophie« und insbesondere seine frühen mathematischen<br />

und astronomischen Studien kannte und schätzte.<br />

Wolffs Berufung war ein wissenschafts- und<br />

universitätspolitisch bedeutsamer Schritt:<br />

Christian Wolff war der erste, der die Physik<br />

aus der Domäne der Medizin befreite, als<br />

deren Anhängsel sie bisher betrachtet und in<br />

<strong>Halle</strong> von Medizinern wie Friedrich Hoffmann<br />

und Ernst Georg Stahl gelehrt wurde.<br />

Wolff nahm seine Vorlesungstätigkeit an der<br />

Fridericiana mit Beginn des Sommersemesters<br />

1707 auf. Für dieses Semester kündigte<br />

er, wie dem gedruckten Lektionskatalog zu<br />

entnehmen ist, eine öffentliche Vorlesung<br />

über Hydraulik um 9 Uhr vormittags an<br />

(siehe Faksimile rechts), sodann eine private,<br />

d. h. nur gegen Entrichtung eines Hörergeldes<br />

zu besuchende Vorlesung über weltliche<br />

und sakrale Baukunst und über Mechanik<br />

und schließlich eine Vorlesung über die dafür<br />

notwendigen Grundlagen der Arithmetik und<br />

Geometrie. Darüber hinaus, so ließ Wolff<br />

seine künftigen Zuhörer wissen, werde er<br />

auch die mathematische Methode darstellen,<br />

um damit insbesondere zu zeigen, auf welche<br />

Weise sie in allen erdenklichen Disziplinen<br />

angewendet werden könne, um sowohl verborgene<br />

Wahrheiten aufzusuchen als auch zur<br />

Beurteilung der gefundenen Wahrheiten und<br />

deren stimmige Anordnung anzuleiten.<br />

D IE MATHEMATISCHE METHODE ...<br />

... war in der universitären Landschaft ein<br />

Novum. Ihre Anwendung auf alle wissenschaftlichen<br />

Disziplinen – und das heißt: der<br />

streng axiomatische Aufbau der Theorien, die<br />

sorgfältige Defi nition aller operativen Begriffe<br />

und der unter Verwendung der Axiome<br />

und Defi nitionen konstruierte argumentative<br />

Zusammenhang aller Lehrsätze und ihrer<br />

Beweise –, das war das Innovative, sozusagen<br />

das Markenzeichen, unter dem Wolff in <strong>Halle</strong><br />

auftrat. Und das ist auch der Hintergrund, vor<br />

dem Wolffs rückblickende kritische Beschreibung<br />

der Situation an der <strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong><br />

und insbesondere seine spitze Bemerkung zu<br />

Christian Thomasius’ »Sentiment und Vortrag«,<br />

dessen Vorlesungen ganz auf eine populäre<br />

und pragmatisch-praktische Darstellung<br />

angelegt waren, zu sehen sind.<br />

Auch in den folgenden Semestern las Wolff<br />

über Mathematik, genauer muss man sagen,<br />

über reine und angewandte Mathematik. So<br />

kündigte er für das Wintersemester 1707/08<br />

eine Vorlesung über Hydrostatik sowie über<br />

Wärme- Luft- und Wasserdruckmessung an.<br />

Im Wintersemester 1709/10 las er über Baukunst,<br />

Verteidigungs- und Bewässerungsanlagen.<br />

Damit vertrat Wolff offensichtlich<br />

einen weiten, auf praktische Anwendbarkeit<br />

gerichteten Begriff von Mathematik. Das<br />

bestätigt sein mathematisches Hauptwerk,<br />

die »Anfangsgründe aller mathematischen<br />

Wissenschaften«, das er, durch seinen zunehmenden<br />

Lehrerfolg ermutigt, zuerst 1710 in<br />

drei umfangreichen Bänden in <strong>Halle</strong> veröffentlichte.<br />

Sie erschienen bis 1757 in sieben<br />

immer wieder überarbeiteten und erweiterten<br />

Auflagen. Man darf sie als ein umfassendes<br />

Kompendium zu Wolffs frühen Vorlesungen<br />

in <strong>Halle</strong> ansehen. Wolffs »Anfangsgründe«<br />

wurden für mehr als ein halbes Jahrhundert<br />

zum beliebtesten und meistgelesenen mathematischen<br />

Lehrbuch, das über die damaligen<br />

Lehrbücher und Einführungen weit<br />

hinausging und vor allem auch von denen<br />

geschätzt wurde, die die lateinische Sprache<br />

nicht beherrschten. Hier fand der Leser<br />

im ersten Band neben einer Einführung in<br />

die von Wolff propagierte mathematische<br />

Lehrart eine Darstellung der Grundlagen<br />

der Arithmetik, Geometrie, Trigonometrie<br />

und Baukunst. Der zweite Band macht mit<br />

den Anfangsgründen der Artillerie bzw.<br />

Geschützkunst, als Vorbereitung für die<br />

Fortifikation bzw. Kriegsbaukunst bekannt,<br />

Mechanik, Hydrostatik, Aërometrie und<br />

Hydraulik schließen sich an. Der dritte Band<br />

bietet eine Einführung in die Grundlagen<br />

der Optik, der Catoptrik (Lehre von Spiegeln),<br />

der Dioptrik (Lehre von der Strahlenbrechung),<br />

der Perspektive, der sphärischen<br />

Trigonometrie, der Astronomie, Geographie,<br />

Chronologie und schließlich der Gnomonik<br />

(Wissenschaft von Sonnenuhren).<br />

» ... DER GRÖSSTE TEIL<br />

DER IRDISCHEN GLÜCKSELIGKEIT ...«<br />

In der Vorrede zum ersten Band legt Wolff<br />

den theoretischen und praktischen Nutzen der<br />

Mathematik dar, und man darf annehmen,<br />

dass dies auch die ›Ouvertüre‹ zu seiner ersten<br />

Vorlesung in <strong>Halle</strong> war. Die mathematischen<br />

Wissenschaften nämlich sind es, so führt er<br />

im Sinne des neuzeitlichen Wissenschaftsverständnisses<br />

aus, die die Grundlagen für die<br />

Erkenntnis der Gesetze der Natur ermöglichen.<br />

Aber ebenso für das praktische Leben,<br />

meint Wolff, sind die mathematischen Wissenschaften<br />

unentbehrlich: Wer nicht rechnen<br />

kann, kann nicht haushalten, und wer nichts<br />

von Geometrie, von Baukunst, Mechanik und<br />

Hydraulik versteht, der wird es als »Haus-<br />

Vater«, also als Verwalter von Gebäuden und<br />

Anwesen, nicht weit bringen. Das konnte<br />

den nicht wenigen jungen Studenten von<br />

Adel nicht gleichgültig sein. Aber auch als<br />

Reisender, sei es als Bildungsreisender oder<br />

als Diplomat in Staatsdiensten, muss man<br />

mathematische Kenntnisse besitzen: Ohne<br />

Kenntnisse der mathematischen Grundlagen<br />

der Baukunst und Hydraulik wird man weder<br />

die Nützlichkeit noch die Schönheit von profanen<br />

und sakralen Bauwerken oder Parkanlagen<br />

mit ihren Wasserspielen verstehen und<br />

bewundern können; und ohne Astronomie<br />

und Optik wird man sich auf Reisen bei Tage<br />

und bei Nacht nicht orientieren können. Und<br />

auch die »Kammer-Herren« in Verwaltungen<br />

sowie die Juristen in den Fakultäten und alle<br />

Künstler können ihr Metier ohne gründliche<br />

Kenntnis der mathematischen Disziplinen<br />

nicht ausüben:


Schaubild zu den »Anfangsgründen der Aërometrie«,<br />

in: Christian Wolff, Gesammelte Werke, I. Abteilung<br />

− Deutsche Schriften, Band 13: Anfangsgründe aller<br />

mathematischen Wissenschaften, zwischen den Seiten<br />

906 und 907, Georg Olms Verlag Hildesheim New<br />

York 1999<br />

»Mit einem Worte, der größte Teil der irdischen<br />

Glückseligkeit ist auf der Mathematik<br />

erbauet.«<br />

Methodische Grundlage ist die »geometrische<br />

Methode«, von der Wolff in seiner<br />

ersten Vorlesung ausführlich handelte. Der<br />

»Kurtze Unterricht, von der Mathematischen<br />

Methode, oder Lehrart« der »Anfangsgründe«<br />

orientiert über die verschiedenen Arten<br />

von Definitionen und Begriffen und klärt die<br />

Bedeutung und die Funktion von Axiomen,<br />

Postulaten und Beweisen. Die »Arithmetik«<br />

führt sodann in die Grundrechenarten ein und<br />

gelangt über die Lehre von arithmetischen<br />

und geometrischen Proportionen bis zum<br />

Rechnen mit Quadrat- und Kubikwurzeln.<br />

»LUST ZUR GEOMETRIE«<br />

»Ich wünsche allen, die dies lesen werden«,<br />

so schreibt Wolff in seiner Einführung in die<br />

Geometrie, »Lust zur Geometrie«. Die Lust<br />

zur Geometrie resultiert aus der Eleganz der<br />

Beweise und dem Reichtum ihrer Anwen-<br />

Zur weiteren Lektüre empfohlen:<br />

• Christian Wolff: Anfangsgründe aller mathematischen<br />

Wissenschaften, <strong>Halle</strong> 1710. Nachdruck der 7. Auflage<br />

1770–1757, Hildesheim 1999<br />

• Christan Wolff: Biographie, Hildesheim 1980<br />

dung. Davon hat Wolff in seinen frühen Vorlesungen<br />

und den »Anfangsgründen« zahlreiche<br />

Beispiele gegeben. Seine Einführung<br />

in die Geometrie umfasst die klassischen<br />

Theorien der ebenen Flächen sowie der regelmäßigen<br />

und unregelmäßigen geometrischen<br />

Körper.<br />

An sie schließt die »Trigonometrie« an.<br />

Der Ruhm, der dieser Wissenschaft für den<br />

Siegeszug der neuzeitlichen Naturwissenschaften,<br />

insbesondere der Astronomie und<br />

Geographie, zukommt, ist in der Sicht Wolffs<br />

nicht hoch genug zu schätzen: »Wir wüßten<br />

nichts von der Größe der Sterne, ihrer Entfernung<br />

von der Erde, ihrer Bewegung, denen<br />

Sonn- und Mondfinsternissen, der Größe<br />

der Erdkugel und andern unzehligen Dinger<br />

mehr, wenn wir nicht diese Wissenschaft<br />

hätten.« Hier entwickelt Wolff die Lehre der<br />

Winkelfunktionen von Sinus, Cosinus, Tangens<br />

und Cotangens und gibt einige Proben<br />

von ihrer Anwendung bei der Bestimmung<br />

der Lage, Höhe oder Entfernung von geometrischen<br />

Orten bzw. Körpern im Raum. Im<br />

Anschluss an die Lehre von der arithmetischen<br />

und geometrischen Proportion führt er<br />

in das Rechnen mit Logarithmen ein. Wolffs<br />

Verdienst für die mathematische Bildung seiner<br />

Zeit ist es, Begriffe wie Winkel, Oberfläche,<br />

Zylinder und Gleichung eingeführt und<br />

dauerhaft etabliert zu haben. Erst mit Wolffs<br />

Lehrbüchern konnte in den Schulen und<br />

<strong>Universität</strong>en ein systematisch aufgebauter<br />

Mathematikunterricht Fuß fassen.<br />

Die profane wie sakrale Baukunst – utraque<br />

Architectura – waren das Thema von Wolffs<br />

Vorlesung im Wintersemester 1709/10. Er<br />

breitete vor seinen Hörern ein reichhaltiges<br />

Material aus, das – more geometrico demonstrata<br />

– die theoretischen und praktischen<br />

Prinzipien der Baukunst entwickelt und von<br />

der Anleitung zur Herstellung von Baumaterialien<br />

über die Konstruktion der Teile eines<br />

Gebäudes bis zum Bau von Wendeltreppen<br />

und der nützlichen Ausstattung von Zimmern<br />

reicht – nicht zuletzt, wie Wolff betont, um<br />

»viele Fehler«, die »an wichtigen Gebäuden<br />

begangen worden, und noch begangen werden«,<br />

zu vermeiden.<br />

Die Lehrsätze der Geometrie und Trigonomtrie<br />

fanden in derselben Vorlesung in der<br />

»Fortifikation«, der »Kriegs-Bau-Kunst«,<br />

bei der Konstruktion von Festungsanlagen<br />

Anwendung, die freilich die Artillerie, die<br />

»Wissenschaft des Geschützes, welches man<br />

in Belagerung der Festungen zu gebrauchen<br />

pflegt«, voraussetzt.<br />

Nicht ohne Stolz verwies Wolff in seinen<br />

»Anfangsgründen« darauf, dass er der Erfinder<br />

einer neuen mathematischen Disziplin,<br />

der »Aërometrie«, der »Wissenschaft, die<br />

Luft zu messen«, sei. Darüber las Wolff zum<br />

ersten Mal im Wintersemester 1707/08. Diese<br />

neue Wissenschaft hat Wolff in seinen »Aërometriae<br />

elementa« von 1709 systematisch<br />

ausgearbeitet. Damit verbindet sich ein wei-<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

teres Novum. Wolff war einer der ersten, der<br />

in seinen Vorlesungen physikalische Experimente<br />

durchführte. In der Aërometrie-Vorlesung<br />

waren es vor allem Experimente mit der<br />

Luftpumpe, zu der die »Anfangsgründe«sogar<br />

eine Bauanleitung geben. Darüber hinaus hat<br />

Wolff das Mikroskop in seinen Vorlesungen<br />

als erster und für lange Zeit als einziger in<br />

Deutschland verwendet.<br />

Es war Zar Peter I., der Christian Wolff vor<br />

allem wegen seiner hervorragenden naturwissenschaftlichen<br />

Kenntnisse an den Hof<br />

zu St. Petersburg holen wollte, »damit er<br />

jemanden um sich hätte, den er in mathematicis<br />

und physicis gleich fragen könnte, wenn<br />

ihm etwas vorkäme ...« (Biographie, Seiten<br />

149/150). Wolff, der sich als Philosoph verstand,<br />

lehnte »geziemend« ab.<br />

■<br />

»Christian Freyherr von Wolff« (1679−1754),<br />

unbekannter Maler, 1. Drittel des 18. Jahrhunderts,<br />

Öl auf Leinwand, 25 x 18 cm<br />

Das kleinformatige Gemälde mit originalem Goldrahmen<br />

ist in der Forschung unbekannt.<br />

(Zentrale Kustodie, Inv.-Nr.: MLU-M 321)<br />

Prof. Dr. Jürgen Stolzenberg,<br />

Jahrgang 1948, studierte 1967–1979<br />

Germanistik und Philosophie an den<br />

<strong>Universität</strong>en Köln und Heidelberg, war<br />

1974–1978 Stipendiat der Studienstiftung<br />

des deutschen Volkes, 1978–1990<br />

wiss. Assistent an der PH Münster,<br />

Abteilung Westfalen-Lippe (Promotion<br />

1982) und an der <strong>Universität</strong> Göttingen,<br />

nach Habilitation 1993 und Lehrtätigkeit<br />

in Prag und Tübingen ist er seit 1998<br />

Philosophieprofessor an der MLU, seit 2000 Direktoriumsmitglied des<br />

IZEA, seit 2003 Präsident der Internationalen Johann Gottlieb Fichte-<br />

Gesellschaft e. V., seit 2004 Mitglied des Vorstandes der Kant-Gesellschaft<br />

e.V. sowie Gutachter für die DFG, den DAAD und die Alexander<br />

von Humboldt-Stiftung.<br />

Telefon: 0345 55-24390, E-Mail: juergen.stolzenberg@phil.uni-halle.de<br />

11<br />

U NIVERSITÄTSGESCHICHTE


12<br />

U NIVERSITÄTSGESCHICHTE<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

Bruder Studiosus, Bruder Professor<br />

Freimaurer an der <strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong> im 18. Jahrhundert<br />

R ENKO GEFFARTH<br />

Freimaurer an der <strong>Universität</strong> – ein Gegenstand, der bei dem einen oder anderen Leser Verwunderung<br />

auslösen mag, gelten die Freimaurer doch zumeist als eine geheime Gesellschaft, deren<br />

Mitglieder ebenso wenig bekannt sind wie das, was sie in ihren Versammlungen verhandeln;<br />

Eigenschaften, die kaum mit dem akademischen Leben vereinbar scheinen. Was sind und was<br />

waren also Freimaurer?<br />

Zunächst einmal stellen die Freimaurer eine<br />

Vereinigung von Männern – in der Gegenwart<br />

auch Frauen – dar, die sich als Erben einer<br />

allgemein aufgeklärt-humanistischen Tradition<br />

betrachten und besonderen Wert legen auf<br />

Geselligkeit, Karitativität, Bildung und Beziehungspfl<br />

ege. Darüber hinaus hat die Freimaurerei<br />

aber eine lange Geschichte, deren<br />

Anfänge noch hinter das hier in Rede stehende<br />

18. Jahrhundert zurückreichen und die auch in<br />

<strong>Halle</strong> ihre Spuren hinterlassen hat.<br />

N ICHT GEHEIM – NUR DISKRET<br />

Im 18. und 19. Jahrhundert war eine große<br />

Zahl bedeutender Männer Mitglied einer<br />

Freimaurerloge, unter ihnen Goethe ebenso<br />

wie Friedrich II. von Preußen, ein Umstand,<br />

auf dem vielfältige Konspirationsthesen aufgebaut<br />

wurden, etwa über den angeblichen<br />

Einfl uss der Freimaurer auf die amerikanische<br />

Verfassung. Diese Theorien entbehren jeder<br />

seriösen Grundlage, haben aber immer wieder<br />

zu Verbot und Verfolgung in vielen nichtdemokratischen<br />

Staaten geführt. Die Freimaurer<br />

und die ihnen verwandten Vereinigungen sind<br />

heute wie damals keine geheimen, sondern<br />

Mehr über Freimaurer in <strong>Halle</strong>:<br />

lediglich diskrete Gesellschaften, und tatsächlich<br />

gehörte es besonders im 18. Jahrhundert<br />

gewissermaßen zum ›guten Ton‹, in einer<br />

diskreten Gesellschaft engagiert oder wenigstens<br />

Mitglied zu sein. Zugleich führte die<br />

Diskretion zusammen mit Statuten, in denen<br />

konfessionelle Neutralität und Gleichheit aller<br />

Mitglieder – aller ›Brüder‹ – unabhängig von<br />

Stand und Ansehen festgeschrieben waren,<br />

immer wieder zu re pressiven Maßnahmen seitens<br />

der jeweiligen Obrigkeiten und der Kirchen.<br />

Insgesamt können die Freimaurerlogen<br />

zu Recht als eine der bedeutendsten Vergesellschaftungsformen<br />

des 18. Jahrhunderts gelten.<br />

L EHRLINGE, GESELLEN UND MEISTER EINER<br />

GÖTTLICHEN ARCHITEKTUR<br />

Entstanden ist die Freimaurerei, wie wir sie<br />

im 18. Jahrhundert auch in <strong>Halle</strong> antreffen, im<br />

Schottland des 17. Jahrhunderts aus den Bruderschaften<br />

der Steinmetze, der ›masons‹. Die<br />

Logen, in denen sie sich versammelten, waren<br />

bald auch für solche Interessenten zugänglich,<br />

die gar keinem entsprechenden Beruf nachgingen,<br />

sie wurden dann ›gentlemen masons‹.<br />

Friedrich August Eckstein: Geschichte der Freimaurer-Loge im Orient<br />

von <strong>Halle</strong>. Eine Festgabe zur Secularfeier der Loge zu den drei Degen,<br />

<strong>Halle</strong> 1844<br />

Werner Piechocki: Die Anfänge der Freimaurerei in <strong>Halle</strong>.<br />

Studenten- und Professorenlogen, in: Erich Donnert (Hg.),<br />

Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfordt.<br />

sieben Bände, Weimar/Köln/Wien 1997–<strong>2007</strong>.<br />

Band 4: Deutsche Aufklärung (1997), Seiten 479–486<br />

Holger Zaunstöck: Die halleschen Aufklärungsgesellschaften im<br />

18. Jahrhundert. Eine Strukturanalyse, in: Erich Donnert (Hg.),<br />

Europa in der Frühen Neuzeit. Band 5: Aufklärung in Europa (1999),<br />

Seiten 43–63<br />

Der entscheidende Faktor war dabei die<br />

Vorstellung von einer göttlichen Universalwissenschaft,<br />

die man in der Architektur und<br />

besonders der Geometrie zu fi nden glaubte,<br />

weshalb von Gott als dem »höchsten Baumeister<br />

der Welt« die Rede war. Als Mitglied<br />

einer Freimaurerloge wähnte man sich einer<br />

höheren Weisheit nahe, die als Geheimwissen<br />

in Einweihungsritualen weitergegeben werden<br />

sollte. Wie dies geschah, durfte nicht schriftlich<br />

festgehalten werden – ein Grundsatz, von<br />

dem erst im 18. Jahrhundert abgewichen wurde.<br />

Die Einweihung wurde in mehreren Schritten<br />

vollzogen, den Graden Lehrling, Geselle<br />

und Meister, und ihr Inhalt war letztlich die<br />

symbolische Erbauung des biblischen Salomonischen<br />

Tempels, die im Meistergrad vollendet<br />

wurde. Die Bildung einer Loge war in diesem<br />

Verständnisrahmen die Voraussetzung für die<br />

Erkenntnis göttlicher Weisheit.<br />

Im Laufe des 18. Jahrhunderts haben die<br />

Freimaurer zentrale Elemente aufklärerischen<br />

Denkens übernommen, oder ihre ›Weltanschauung‹<br />

war damit wenigstens weitgehend<br />

vereinbar. So ist etwa der Gedanke religiöser<br />

Indifferenz als Toleranz im aufklärerischen<br />

Sinne interpretierbar, dasselbe gilt für die<br />

ständeübergreifende Mitgliedschaft. Demgegenüber<br />

entwickelten sich seit der Mitte<br />

des 18. Jahrhunderts spezielle ›Hochgrade‹<br />

in der sogenannten schottischen Maurerei,<br />

woraus immer neue Systeme entstanden,<br />

die miteinander wetteiferten um die Qualität<br />

der Weisheiten, die sie zu besitzen glaubten.<br />

Damit schwand der egalitäre Charakter der<br />

Freimaurerei, denn die höheren Grade führten<br />

neue Hier archien und Unterscheidungen in den<br />

Logen ein.<br />

A US DEN SCHOTTISCHEN WURZELN<br />

EIN EUROPÄISCHER BAUM<br />

Die Freimaurerei in ihrer organisierten Form<br />

entstand seit dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts<br />

zunächst in England. Mit der Bildung<br />

einer ›Großloge‹ als Organisation mehrerer<br />

einzelner Logen in London im Jahre 1717<br />

begann die übergreifende Institutionalisierung,<br />

die in der Drucklegung der ›Constitutions‹ des<br />

Pfarrers James Anderson 1723 einen deutlichen<br />

Ausdruck fand. Innerhalb weniger Jahre<br />

verbreitete sich die Freimaurerei auf dem<br />

europäischen Kontinent; im deutschsprachigen<br />

Raum fasste sie 1737 Fuß mit der Gründung<br />

der ersten Loge in Hamburg. Durch die Aufnahme<br />

auch hochrangiger Adliger bis hin zu<br />

regierenden Fürsten erreichten die Freimaurer<br />

bald alle gesellschaftlichen Schichten und<br />

Stände. Mit der Gründung zahlreicher Logen


Wappen der Freimaurerloge »Zu den drei goldenen Schlüsseln«, <strong>Halle</strong> 1743–1749<br />

an größeren und kleineren Orten ging eine<br />

stetig wachsende Zahl von Mitgliedern einher<br />

– im Laufe des 18. Jahrhunderts waren einige<br />

tausend Männer Mitglied einer oder mehrerer<br />

solcher diskreter Gesellschaften.<br />

L OGENLEBEN AN DER SAALE<br />

Die erste in <strong>Halle</strong> gegründete Loge mit dem<br />

Namen »Zu den drei goldenen Schlüsseln«<br />

entstand Ende 1743 als Zusammenschluss<br />

von Studenten, hauptsächlich der Rechte, die<br />

bereits vorher in anderen Logen, also nicht<br />

in <strong>Halle</strong>, in die Gesellschaft aufgenommen<br />

worden waren. Zunächst wurde die obligatorische<br />

Genehmigung der Logengründung bei<br />

der Großloge »Zu den drei Weltkugeln« in<br />

Berlin eingeholt, und da die Berliner Loge ein<br />

vergleichbares Patent der Londoner Großloge<br />

besaß, reihte sich die hallesche Loge in diese<br />

Tradition ein. Bis 1749 versammelten sich<br />

in <strong>Halle</strong> Studenten und Professoren, darunter<br />

der angesehene Jurist Daniel Nettelbladt, in<br />

der Loge »Zu den drei goldenen Schlüsseln«<br />

und ›arbeiteten‹ in den drei ersten Graden der<br />

Freimaurerei. Von besonderen Anlässen sind<br />

Logenreden erhalten, die – ohne Nennung des<br />

Autors – gedruckt in den Buchhandel kamen.<br />

Sie berühren Gegenstände, die einer breiten<br />

Leserschaft zugänglich gemacht werden konnten,<br />

etwa Apologien auf den staatstragenden<br />

Charakter der Freimaurerei, ohne jedoch etwas<br />

über die Inhalte der Logenarbeit oder die<br />

Namen der Mitglieder preiszugeben.<br />

Im Jahre 1756 wurde unter dem Namen<br />

»Philadelphia«eine neue Loge gegründet,<br />

deren Mitglieder keine Verbindung zur ersten<br />

Loge hatten. Auch diesmal waren es vor allem<br />

Studenten, die wieder eine Erlaubnis der<br />

Berliner Großloge einholten, aber wie zuvor<br />

wurden im Laufe der Jahre auch Professoren<br />

Logenmitglieder. Von 1759 bis etwa 1764 war<br />

der in der Freimaurergeschichte notorische<br />

Anhalt-Köthensche Superintendent Philipp<br />

Samuel Rosa Vorsitzender der Loge Philadelphia.<br />

Er gründete eine besondere Loge, ein<br />

»Clermontsches Kapitel«, die erste Hochgradloge<br />

in <strong>Halle</strong>, in der ausgewählte ›Brüder‹ die<br />

Geheimnisse der paracelsistischen Prinzipien<br />

Sal, Sulphur und Mercurius ergründeten. Rosa<br />

wurde aus der halleschen Loge schließlich<br />

wegen seiner enormen Spesenrechnungen<br />

ausgeschlossen, die Loge schloss sich einem<br />

anderen System an und wurde daraufhin von<br />

der Berliner Großloge für aufgehoben erklärt.<br />

P ROFESSORALE LOGENBRÜDER<br />

Eine Neugründung unter dem Namen »Zu den<br />

drei Degen« war zunächst wenig erfolgreich:<br />

Ihre Versammlungen ruhten über ein Jahrzehnt,<br />

und erst 1778 nahm sie ihre Tätigkeit<br />

wieder auf. Diese Loge war dann bis weit<br />

ins 19. Jahrhundert hinein aktiv und zählte<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

eine Vielzahl von Studenten und Professoren<br />

zu ihren Mitgliedern; unter den Professoren<br />

waren die Mediziner Johann Friedrich Goldhagen<br />

und Johann Christian Reil, die Juristen<br />

Johann Christian Woltär und noch einmal<br />

Daniel Nettelbladt sowie der Weltreisende und<br />

Naturforscher Johann Reinhold Forster. Der<br />

in den 1780er Jahren in <strong>Halle</strong> lesende Theologe<br />

Carl Friedrich Bahrdt, der wegen seiner<br />

›radikalen‹ Anschauungen vielfach mit der<br />

<strong>Universität</strong> und dem Landesherrn in Konfl ikt<br />

geriet, war kein Logenmitglied, trat aber durch<br />

die Gründung einer eigenen Gesellschaft, der<br />

»Deutschen Union«, mit der Freimaurerloge in<br />

Konkurrenz – ein Beispiel, wie sich universitäre<br />

und freimaurerische Interessen überlagern<br />

konnten, ohne dass die eine Ebene inhaltlich<br />

mit der anderen in Zusammenhang stehen<br />

musste.<br />

D IE LOGE ALS FORUM<br />

Wenngleich es an der <strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong> im<br />

18. Jahrhundert wohl keine unmittelbar den<br />

Freimaurerlogen zuzurechnenden wissenschaftlichen<br />

oder politischen Entwicklungen<br />

gab, waren sie doch in hohem Maße Versammlungen<br />

gebildeter Eliten: Rund zwei<br />

Drittel ihrer Mitglieder waren Studenten oder<br />

Professoren, nur ein Drittel gingen nichtakademischen<br />

Berufen nach. In absoluten Zahlen<br />

waren es in der Loge »Zu den drei goldenen<br />

Schlüsseln« mehr als 60, in der Loge »Philadelphia«<br />

über 90 und in der Loge »Zu den drei<br />

Degen«gar etwa 150 Mitglieder, die in der<br />

einen oder anderen Weise mit der <strong>Universität</strong><br />

verbunden waren. Die Studenten bildeten<br />

dabei stets die größte Gruppe der Logenmitglieder,<br />

und sie hatten hier ein Forum, in<br />

dem sie ihren Kommilitonen und Lehrern als<br />

›Brüder‹ begegnen und sich mit ihnen abseits<br />

obrigkeitlicher Aufsicht austauschen konnten<br />

– neben dem offi ziellen Vorlesungsbetrieb<br />

spielte sich ein Teil des akademischen und studentischen<br />

Lebens in <strong>Halle</strong> im 18. Jahrhundert<br />

im diskreten Raum der Freimaurerlogen ab.<br />

■<br />

Dr. Renko Geffarth,<br />

Jahrgang 1974, studierte Geschichte und<br />

Chemie in Marburg, Leipzig und <strong>Halle</strong> und<br />

wurde 2004 in <strong>Halle</strong> promoviert mit einer<br />

religions- und sozialhistorischen Arbeit<br />

über den Geheimorden der Gold- und<br />

Rosenkreuzer. Er arbeitet derzeit am Interdisziplinären<br />

Zentrum für die Erforschung<br />

der Europäischen Aufklärung im Rahmen<br />

der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />

geförderten Forschergruppe 529 zu<br />

»<strong>Halle</strong> als religionsgeschichtlichem Ort 1740–1800«.<br />

Telefon 0345 55-21785, E-Mail: renko.geffarth@izea.uni-halle.de<br />

13<br />

U NIVERSITÄTSGESCHICHTE


14<br />

J AHR DER GEISTESWISSENSCHAFTEN <strong>2007</strong><br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

Armenien, Deutschland und die Türkei<br />

Beitrag der halleschen Geisteswissenschaften<br />

zum künftigen Europa<br />

H ERMANN GOLTZ<br />

Die deutschen Geisteswissenschaften sahen in ihren besseren Zeiten ihr Allereigenstes darin,<br />

sich dem »Fremden« im Sinne der Selbsterkenntnis zu öffnen. Sie waren damals auch nicht<br />

unbedingt die ›Magd‹ oder die viel zu spät gerufene Feuerwehr der Politik, vielmehr dienten<br />

umgekehrt Diplomaten und Politiker oft noch der Wissenschaft und behielten so auch einen klareren<br />

Blick in der Politik.<br />

Professor Hermann Goltz bei seiner Ehrenpromotion<br />

an der Staatlichen <strong>Universität</strong> Jerewan in Armenien<br />

im April <strong>2007</strong> (Foto: Detlef Goller)<br />

Die Deutsche Morgenländische Gesellschaft,<br />

deren Bibliothek seit 1845 ihren festen Platz in<br />

<strong>Halle</strong> hat, war in vielem ein spätes Beispiel für<br />

diese Haltung. Für die heutigen Geisteswissenschaften<br />

und für ein zukünftiges Europa ist<br />

die Wiedergewinnung dieses unabhängig forschenden<br />

Blickes auf das »Morgenland« von<br />

höchster Bedeutung. Ohne die Kulturen des<br />

Orients, vor allem die des morgenländischen<br />

Christentums, wäre unsere abendländische<br />

Kultur samt den vielgerühmten ›westlichen<br />

Werten‹ nicht existent. So ist für das Verständnis<br />

unserer westlichen Kultur eine grundlegend<br />

neue, eine umgekehrte Perspektive vonnöten,<br />

um nicht in einem wissenschaftlich sublimierten<br />

Kreuzritter-Denkmuster zu verharren.<br />

Die heutige, zu starke Exklusivität der Islamwissenschaften<br />

in der Orientalistik entspricht<br />

diesem Denkmuster, welches die Pluralität<br />

des Orients aus der westlichen Wahrnehmung<br />

verdrängt und der Missachtung bedeutender<br />

Minderheiten Vorschub leistet.<br />

D IE ›WIEDERENTDECKUNG‹ ARMENIENS IN HALLE<br />

In seinen theologisch-konfessionskundlichen<br />

Forschungen zu den morgenländisch-christlichen<br />

Kulturen stieß der Verfasser in thematischer<br />

Nachbarschaft zum Ost-Römischen<br />

(›Byzantinischen‹) Imperium bald auf Armenien,<br />

das in Deutschland seit dem Völkermord<br />

an den Armeniern im Osmanisch-Türkischen<br />

Reich konsequent durch Politik und die dieser<br />

hörigen Wissenschaft verdrängt wurde. Der<br />

Ausgangspunkt für die ›Wiederentdeckung‹<br />

Armeniens in <strong>Halle</strong> war die Erforschung des<br />

Nachlasses des unangepassten evangelischen<br />

Theologen Dr. Johannes Lepsius (1858–1926),<br />

der wirkungsvoll für das Überleben des armenischen<br />

Volkes gekämpft hat. Dieses großartige<br />

Lebenswerk hatte Lepsius, dessen Familie<br />

zur preußischen geisteswissenschaftlichen Elite<br />

im Umfeld eines Alexander von Humboldt<br />

gehörte, in seinem Pfarramt im kleinen Friesdorf<br />

(heute Sachsen-Anhalt) begonnen.<br />

Z WISCHEN HOCHKULTUR UND GENOZID<br />

Durch die Katastrophen seiner Geschichte hindurch<br />

blieb das zu großen Teilen ausgerottete<br />

und über die Welt verstreute armenische Volk<br />

Träger eines unabhängigen Geistes und einer<br />

eigenen christlichen Hochkultur zwischen den<br />

Imperien des Ostens und des Westens. Armenien<br />

ist eine der tragenden Säulen unter dem<br />

Dach der Menschheitskultur – fraglos eine<br />

prachtvolle und unverwechselbare Säule, die<br />

aber auch an ihren tiefen Narben zu erkennen<br />

ist. Die bis heute lebendige und widerständige<br />

armenische Hochkultur ist ein Forschungsfeld,<br />

auf dem die Geisteswissenschaften auch<br />

in Zukunft vieles zu entdecken haben. Die<br />

armenisch-christliche Kultur entstand, als das<br />

Christentum noch nicht Staatsreligion des<br />

Römischen Reichs war. Jahrhunderte später<br />

bildete sich der Islam heraus und wurde in<br />

Das historische Lepsius-Haus in Potsdam (Foto: Archiv)<br />

seinen künstlerischen Formen spürbar auch<br />

von der orientalisch-christlichen Hochkultur<br />

der Armenier inspiriert. Das armenische Volk<br />

lebte weit über ein Jahrtausend gemeinsam<br />

in einer fruchtbaren und leidensreichen Symbiose<br />

mit Muslimen aller Couleur und trug,<br />

nutzbringend für alle, zur Modernisierung des<br />

osmanischen Imperiums bei. Es unterstützte<br />

wirkungsvoll die westlich orientierten »Jungtürken«<br />

und damit die konstitutionelle türkische<br />

Revolution von 1908 in der Hoffnung auf<br />

Demokratisierung und allgemeine Menschenrechte.<br />

Und es wurde schließlich im Genozid<br />

von 1915 Opfer der nationalistischen und rassistischen<br />

»Jungtürken«-Diktatur .<br />

D AS ZENSIERTE VERBRECHEN<br />

Mit Rücksicht auf ihre militärischen Ziele des<br />

1. Weltkriegs nahm die Regierung des Deutschen<br />

Reichs in Berlin die Vernichtung des<br />

armenischen Volkes und seiner einzigartigen<br />

christlichen Hochkultur durch den türkischen<br />

Bundesgenossen letztlich hin – trotz aller<br />

Proteste und unwiderleglichen Berichte, die<br />

entsetzte deutsche Diplomaten aus Konstantinopel,<br />

Aleppo, Erzurum und anderen Orten<br />

des Osmanischen Reiches an das Auswärtige<br />

Amt in der Wilhelmstraße sandten.<br />

Das Thema Armenien wurde vielmehr unter<br />

deutsche Zensur gestellt, um das magnum crimen<br />

des türkischen Bundesgenossen mit dem<br />

Mantel des Schweigens zuzudecken. Dann<br />

schwiegen, auch nach Aufhebung der Zensur,<br />

90 Jahre lang alle deutschen Regierungen<br />

offi ziell über den Genozid am armenischen<br />

Volk, dessen Gedächtnis jährlich am 24. April<br />

weltweit begangen wird. Am 24. April 1915<br />

war die auch mit den deutschen Geisteswissenschaften<br />

eng verbundene armenische Elite<br />

in Konstantinopel verhaftet, dann ins Innere<br />

Anatoliens abtransportiert und ermordet worden.<br />

Das Schweigen erfuhr in Deutschland im<br />

Herbst 1933 (!) eine kurze Unterbrechung: als<br />

der Wiener jüdische Schriftsteller Franz Werfel<br />

auf der Grundlage der Dokumentationen<br />

von Johannes Lepsius und der französischen


Marine-Archive im Zsolnay-Verlag in Wien<br />

und Leipzig sein großes Armenier-Epos »Die<br />

vierzig Tage des Musa Dagh« erscheinen ließ.<br />

Doch das Buch wurde – wie sein Autor – bald<br />

in die Emigration getrieben. Anti-armenische<br />

und anti-jüdische Ressentiments verbanden<br />

und verbinden sich bis heute noch in manchem<br />

deutschen und türkischen Kopf.<br />

H ISTORISCHER MOMENT 2005<br />

Ein negativer Höhepunkt des durch das<br />

deutsche Schweigen bestärkten deutschen<br />

Ungeists war am 22. August 1939 der<br />

›beruhigende‹ Satz Adolf Hitlers auf dem<br />

Obersalzberg vor seinen Oberbefehlshabern,<br />

als er im Zusammenhang mit der geplanten<br />

Vernichtung der gesamten polnischen Bevölkerung<br />

sagte: »Wer redet heute noch von der<br />

Vernichtung der Armenier?« (vgl.: Akten zur<br />

deutschen auswärtigen Politik 1918–1945<br />

aus dem Archiv des Deutschen Auswärtigen<br />

Amtes, Baden-Baden 1956, Seite 171).<br />

Es war daher in dieser unerträglichen<br />

Geschichte des Schweigens der deutschen<br />

Politik ein längst fälliger, historischer Schritt,<br />

als im Frühsommer 2005 alle Fraktionen des<br />

Deutschen Bundestags in einer offi ziellen<br />

Resolution der Opfer des Völkermords an<br />

den Armeniern gedachten und die Rolle des<br />

Osmanischen und des Deutschen Reichs<br />

kritisch beleuchteten (Text der Armenien-<br />

Resolution in der Drucksache des Deutschen<br />

Bundestags Nr. 15/5689 vom 15. Juni 2005).<br />

Die Forschungen des Johannes-Lepsius-<br />

Archivs an der Theologischen Fakultät der<br />

<strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg<br />

bildeten die Basis dafür. Bisher war an diesem<br />

heiß umstrittenen Punkt auch in Deutschland<br />

die Politik der Verdrängung die ›Meisterin‹<br />

der Geisteswissenschaften. Die Armenien-<br />

Resolution des Deutschen Bundestages ist<br />

aber ein hoffnungsvolles Symbol dafür, dass<br />

unabhängige Geisteswissenschaften im Dialog<br />

mit der Politik aus manchen Sackgassen der<br />

Vergangenheit und Gegenwart heraushelfen<br />

können. Deutschland hat in der Armenien-<br />

Frage endlich europäischen Standard erreicht,<br />

das heißt die Position, die das Europäische<br />

Parlament dazu einnimmt. Nun hat das geistige<br />

und das politische Deutschland auch das<br />

Recht und die Pfl icht, sich um die deutscharmenisch-türkische<br />

Aussöhnung zu bemühen.<br />

Dies ist eine der exemplarischen Aufgaben<br />

auf dem gemeinsamen Weg zu einem Europa<br />

der Zukunft, die ohne die Geisteswissenschaften<br />

nicht zu lösen ist.<br />

Z WISCHEN VERSÖHNUNG UND MORD<br />

Wie weit die potenziellen Partner noch voneinander<br />

entfernt sind, zeigte am 19. Januar<br />

<strong>2007</strong> der Istanbuler Mord an dem armenischen<br />

Publizisten Hrant Dink, einem von dem Literatur-Nobelpreisträger<br />

Orhan Pamuk hochgeschätzten<br />

türkischen Staatsbürger, der in der<br />

Türkei in einer sehr versöhnlichen Weise für<br />

den türkisch-armenischen Dialog eingetreten<br />

war und nun ein spätes Opfer des Genozids<br />

geworden ist. In dem trotzdem fortzuführenden<br />

Prozess historischer Klärung und Versöhnung<br />

geht es letztlich um die Erreichung demokratischer<br />

Standards und die Einhaltung nicht<br />

lediglich ›europäischer‹, sondern allgemeinmenschlicher<br />

Werte. Dieser Prozess geht ohne<br />

die führende Beteiligung von unabhängigen<br />

Geisteswissenschaften nicht voran – ansonsten<br />

werden die aktuellen politischen, ökonomischen<br />

und militärischen ›Orient-Interessen‹<br />

des Westens die notwendige Entwicklung stets<br />

wieder stören.<br />

Doch diese geisteswissenschaftliche Aufgabe<br />

beschränkt sich nicht nur auf Forschungsarbeit<br />

im engeren Sinn. Wesentlich ist auch,<br />

den exemplarischen Fall des Völkermords an<br />

den Armeniern als verbindlichen Bestandteil<br />

in den Schulunterricht der Bundesländer<br />

zu integrieren. Da Sachsen-Anhalt für die<br />

Kultusministerkonferenz der Länder die wissenschaftlichen<br />

und kulturellen Kontakte zu<br />

Armenien federführend koordiniert, läge es<br />

hier sehr nahe, den ersten großen Völkermord<br />

des 20. Jahrhunderts in die Rahmenpläne des<br />

Schulunterrichts aufzunehmen, zumal im Jahre<br />

<strong>2007</strong> zwischen Sachsen-Anhalt und Armenien<br />

gerade ein Schüleraustausch beginnt, der<br />

Anstoß sein sollte, die Geschichte zwischen<br />

den beiden Völkern auf der für die Zukunft<br />

entscheidenden geistigen Ebene, der Schule,<br />

offenzulegen.<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

Der Autor in der Russischen Orthodoxen Hauskirche in den Franckeschen Stiftungen, Haus 24 (Foto: privat)<br />

In einem spannungsreichen Dialog zwischen<br />

einer deutsch-armenischen Initiativgruppe<br />

und türkischen Diplomaten wird seit einigen<br />

Jahren der Wiederaufbau des Lepsiushauses<br />

in Potsdam betrieben, das von der sowjetischen<br />

Armee beschlagnahmt worden war.<br />

Die Rekonstruktion des Hauses wurde vom<br />

halleschen Lepsius-Archiv angeregt. Unter<br />

Mitarbeit hallescher Geisteswissenschaftler<br />

aus Theologie und Orientalistik entsteht eine<br />

Stätte des gemeinsamen Gedächtnisses, ein<br />

Ort internationaler Forschung und ein Raum<br />

für den interkulturelle Dialog. Damit haben<br />

die halleschen Geisteswissenschaften an diesem<br />

ungelösten, exemplarischen internationalen<br />

Problempunkt eine Vorreiterrolle für eine<br />

anspruchsvolle, heute noch immer nicht ungefährliche<br />

Aufgabe übernommen, ohne deren<br />

Lösung das künftige Europa nicht geschaffen<br />

und eine europäische Nachbarschaftspolitik<br />

nicht verwirklicht werden kann.<br />

■<br />

Prof. Dr. Hermann Goltz,<br />

Jahrgang 1946, leitet das Seminar für<br />

Konfessionskunde der Orthodoxen Kirchen<br />

an der Theologischen Fakultät der MLU.<br />

Nach dem Studium der Theologie und<br />

Studien in Slawistik, Byzantinistik und<br />

Orientalistik forschte und lehrte u. a. in<br />

Russland, Georgien, Armenien, Israel, in<br />

der Türkei, im Libanon, Italien, Frankreich<br />

und Österreich. In Genf leitete er die Studienabteilung<br />

der Conference of European<br />

Churches (CEC) und wirkte in Zusammenarbeit mit dem World Council of<br />

Churches (WCC) und dem römisch-katholischen Consilium Conferentiarum<br />

Episcopalium Europae (CCEE) aktiv an Versöhnungsbegegnungen auf<br />

dem Balkan und im Transkaukasus mit. In <strong>Halle</strong> baute er das Johannes-<br />

Lepsius-Archiv auf. Zusammen mit der Armenologin PD Dr. Armenuhi<br />

Drost-Abgarjan und dem armenischen Theologen Prof. Dr. Hacik Gazer<br />

gründete er das Mesrop Zentrum für Armenische Studien. Neben anderen<br />

hohen Auszeichnungen wurde er im April <strong>2007</strong> zum Ehrendoktor der<br />

Staatsuniversität Jerewan promoviert.<br />

Telefon: 0345 55-23030, E-Mail: hermann.goltz@theologie.uni-halle.de<br />

15<br />

J AHR DER GEISTESWISSENSCHAFTEN <strong>2007</strong>


16<br />

J AHR DER GEISTESWISSENSCHAFTEN <strong>2007</strong><br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

»Herausforderung Mensch«<br />

<strong>Halle</strong>sches Denk- und Netzwerk<br />

zum »Jahr der Geisteswissenschaften <strong>2007</strong>«<br />

H ARTMUT WENZEL UND JAN METZNER<br />

Unter dem Motto »Herausforderung Mensch« wurde – als Teil des durch die Robert Bosch<br />

Stiftung unterstützten Programms »Denkwerk. Schüler, Lehrer und Wissenschaftler vernetzen<br />

sich« – von geisteswissenschaftlichen Instituten der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg<br />

und Gymnasien und Sekundarschulen aus dem südlichen Sachsen-Anhalt ein Netzwerkprojekt<br />

entwickelt. Um Inhalte und Arbeitsformen geisteswissenschaftlicher Forschung in die Schulen<br />

zu bringen, fließen beachtliche Fördersummen für die Kooperation zwischen Schulen und <strong>Universität</strong>en.<br />

Fünf Teilprojekte sind unter dem Thema »Herausforderung Mensch« vereint und nahmen nach<br />

einem Starthilfe-Workshop erfolgreich ihre Arbeit auf. Die MLU leistet mit diesem Projektverbund<br />

einen gewichtigen Beitrag zum Wissenschaftsjahr <strong>2007</strong>, das der Förderung der Geisteswissenschaften,<br />

dem »ABC der Menschheit«, gewidmet ist.<br />

Das Netzwerkprojekt ermöglicht interessierten<br />

Schülerinnen und Schülern höherer<br />

Klassenstufen in <strong>Halle</strong> und in der Region an<br />

acht geisteswissenschaftlichen Instituten und<br />

Einrichtungen der MLU in betreuten eigenen<br />

Projekten erste Erfahrungen mit wissenschaftlicher<br />

Arbeit. Bei Schnuppertagen und Schülerkolloquien<br />

informierten sie sich bereits über<br />

die Angebote; nun folgende Projekttage stellen<br />

konkrete Beispiele für die Forschungspraxis<br />

vor und regen so eine längere intensive Arbeit<br />

in geisteswissenschaftlichen Schülerprojekten<br />

an. Die Ergebnisse werden später in einem<br />

Schülerkongress präsentiert.<br />

Gesamtkoordination und -dokumentation obliegen<br />

den Verfassern dieses Beitrags.<br />

Die teilnehmenden Schüler(innen) wählen<br />

zwischen Aufgaben in fünf Teilprojekten,<br />

die – jedes für sich genommen – anschaulich<br />

belegen, dass Geisteswissenschaftler nicht nur<br />

Bücher lesen, um neue Bücher zu schreiben,<br />

sondern dass und wie sie die soziale, kulturelle<br />

und historische Wirklichkeit erforschen.<br />

A RCHÄOLOGIE IN MITTELALTER UND NEUZEIT<br />

Das Teilprojekt »Archäologie des Mittelalters<br />

und der Neuzeit – Alltagsgeschichte und<br />

Überlebensstrategien 500–1700« (Leitung:<br />

Prof. Dr. Hans-Georg Stephan und Dr. des.<br />

Sonja König) will die Schüler(innen) durch<br />

handgreifl ichen Kontakt mit Hinterlassenschaften<br />

unserer Vorfahren für vergangene<br />

Lebenswelten und uns zunehmend fremd werdende<br />

Kulturen und (Über)-Lebensstrategien<br />

von der Frühgeschichte bis zur frühen Neuzeit<br />

sensibilisieren. Ausgrabungen in verlassenen<br />

mittelalterlichen Dörfern im Weserbergland<br />

erlauben vielfältige Einblicke in geistesgeschichtliche<br />

Fragestellungen und in die<br />

technisch, natur- und geowissenschaftlich<br />

geprägten Methoden der Dokumentation von<br />

Bodenbefunden. Archäologische Funde ver-<br />

mitteln den Kontakt zur Vergangenheit anders<br />

als das geschriebene Wort.<br />

Im Idealfall können die Interessenten historisch-archäologische<br />

Themen behandeln und<br />

Grabungsfunde (Keramik, Metall, Knochen,<br />

Glas, Baustoffe etc.) aufarbeiten, an denen sie<br />

selbst beteiligt waren. Ein weiteres Ziel ist<br />

der Vergleich historischer Entwicklungen im<br />

engeren Lebensraum Mitteldeutschlands und<br />

Westdeutschlands in der Alltagskultur.<br />

C ICERO & LYSIAS<br />

Das Teilprojekt der Klassischen Philologie<br />

»Cicero Paroli bieten, Lysias widerlegen«<br />

(Leitung: Dr. phil. Marcus Beck) widmet sich<br />

dem manipulativen Moment antiker Redekunst.<br />

Im Zentrum der antiken rhetorischen<br />

Ausbildung stand die Fähigkeit des Redners,<br />

unabhängig von deren Legitimität oder Illegitimität,<br />

die Zuhörer für die Interessen der<br />

von ihm vertretenen Partei zu gewinnen. Der<br />

Athener Lysias und der Römer Cicero galten<br />

bereits in der Antike als Meister persuasiver<br />

Adressatenlenkung. Anhand ausgewählter<br />

Passagen der beiden Redner und am Beispiel<br />

moderner Reden werden die Schüler(innen)<br />

mit Methoden und Strategien rhetorischer Hörermanipulation<br />

vertraut gemacht. Sie gewinnen<br />

einen Einblick in die rhetorische Theorie<br />

und lernen Methoden der philologischen<br />

Textanalyse und -interpretation kennen. Spä-<br />

Logo der Bosch-Stiftung zum »Denkwerk«-Programm<br />

ter schlüpfen sie in die Rollen der Gegner von<br />

Lysias bzw. Cicero und konzipieren Gegenreden.<br />

Sie versuchen praktisch, sich derselben<br />

persuasiven Strategien wie ihre »Gegner« zu<br />

bedienen und refl ektieren so über den manipulativen<br />

Charakter der Rhetorik. Abschließend<br />

ist die kritische Auseinandersetzung mit einer<br />

aktuellen Politikerrede – im Beisein des Akteurs<br />

– geplant.<br />

F REMDE FREUNDE?<br />

Im interdependenten »globalen Dorf« (Mc<br />

Luhan) kommt es infolge von Globalisierung<br />

und elektronischer Kommunikation immer<br />

häufi ger zu Kontakten mit Menschen anderer<br />

Kulturen. Diesem Phänomen ist das Teilprojekt<br />

»Interkulturelle Kompetenz – Kontakt<br />

mit Fremden« (Leitung: Dr. Hanne Schönig<br />

[Koordinatorin], Dr. Uta Eichler, PD Dr. Lars-<br />

Eric Petersen, M. A. Daniela Pscheida und M.<br />

A. Sascha Trültzsch) gewidmet. Dabei spielt<br />

ein zu Unsicherheit, Vorurteilen, Stereotypen<br />

und Klischees geronnenes Halbwissen oft eine<br />

performative Rolle. Solche sozial-kognitiven<br />

Prozesse empirisch zu durchdringen und refl<br />

exiv zu bearbeiten, trägt dazu bei, derartige<br />

gesellschaftliche Phänomene besser zu verstehen<br />

und hilfreiches Orientierungswissen für<br />

zukünftiges Handeln bereitzustellen.<br />

Mit aktueller Brisanz wird kulturell determiniertes<br />

Eigen- und Fremdverstehen untersucht.<br />

Den Schüler(innen) bietet sich die Chance,<br />

auf der Basis theoretischer Grundlagen eigene<br />

Forschungsprojekte zu entwickeln und zu<br />

bearbeiten.<br />

Kompetenz durch Korrespondenz<br />

Im Rahmen des Soziologie-Projekts wird auch ein Korrespondenzzirkel gegründet,<br />

um interessierte und begabte Schüler(innen) der Oberstufe an Fragestellungen<br />

des Fachs heranzuführen. Lehrer(innen) können – in enger Anbindung an aktuelle<br />

Forschungen – durch Korrespondenzzirkel ihre Fachkompetenz stärken.<br />

Der Korrespondenzzirkel Soziologie läuft im Denkwerk-Projekt in der Pilotphase;<br />

er wird nach Abschluss des Projekts mit interessierten Lehrkräften fortgeführt.<br />

http://www.mk-intern.bildung.lsa.de/bildung/er-korrespondenzzirkel.pdf


Zur interkulturellen Kompetenz gehört neben<br />

der fundierten Kenntnis der betrachteten<br />

Kultur (u. a. über textbasierte und empirische<br />

Erarbeitung von Landeskunde und -geschichte,<br />

Alltagskultur, religiösen Regeln und Vorschriften)<br />

das Verständnis der eigenen Kultur.<br />

Was ist hier selbstverständlich, was gehört<br />

zu einem guten bzw. gelingenden Leben?<br />

Wie gelangen wir zu Ansichten, Mei nun gen,<br />

Überzeugungen, warum relativieren wir sie<br />

wieder? Die Unterscheidung von relativistischen<br />

Positionen und einem universalistischen<br />

Standpunkt, der sich an alle Men schen richtet<br />

und für alle erkennbar ist, bildet einen theoretischen<br />

Ansatz (der Philo sophie), der hier<br />

fruchtbar gemacht werden kann. Vor dem<br />

Hintergrund der eigenen Identität erschließen<br />

sich die Schüler(innen) analytische und hermeneutische<br />

Methoden.<br />

Mittels experimenteller Methoden werden<br />

Entstehung und Existenz gängiger Stereotype<br />

und Prozesse sozialer Diskriminierung<br />

gegenüber Minoritäten, Andersgläubigen,<br />

Ausländer(inne)n u. a. dingfest gemacht. Mit<br />

Methoden sozialwissenschaftlicher Befragung<br />

wird der Einfl uss bestehender Stereotype/<br />

Vorurteile auf Aufnahme, Speicherung und<br />

Erinnerung neuer Informationen über die betreffenden<br />

Personen und Gruppen untersucht.<br />

Im Kontext interkultureller Kontakte ist auch<br />

zu fragen, wie sich moderne Gesellschaften<br />

ihrer Werte vergewissern und welchen Beitrag<br />

die Medien als Instrumente der Selbstbeobachtung<br />

leisten. Wie erscheint die Bundesrepublik<br />

Deutschland als multikulturelle<br />

Einwanderungsgesellschaft? Wie werden<br />

Mitbürger(innen) mit Migrationshintergrund<br />

dar gestellt, wie ihre ehemalige Heimat? Die<br />

Schüler(innen) sollen über die wissenschaftliche<br />

Analyse entsprechender Medienprodukte<br />

(Spielfi lme, Fernsehserien, Radiosendungen,<br />

Tageszeitungen) Erfahrungen mit einem<br />

emanzipatorischen Mediengebrauch sammeln<br />

und darüber hinaus selbst eigene kleine Beiträge<br />

im Audio-Bereich produzieren.<br />

S OZIAL UNGLEICH IN DER KOMMUNE<br />

Ein zentrales Anliegen der Soziologie ist die<br />

Ergründung der gesellschaftlichen Verteilung<br />

von Lebenschancen. Formen menschlichen<br />

Zusammenlebens zu beschreiben und zu erklären,<br />

stellt die Wissenschaft vor erhebliche<br />

Herausforderungen, weil Sozialsysteme sich<br />

nicht in einem Aggregat von menschlichen<br />

Individuen erschöpfen. Das spezifi sch Soziale<br />

begriffl ich zu bestimmen und gesellschaftliche<br />

Phänomene über eine adäquate Datenerhebung<br />

und -auswertung zu beschreiben,<br />

erfordert eine deutliche Abstraktion vom<br />

Alltagswissen. Für Schüler(innen) liegt es<br />

nahe, eine Stadt und ihre spezifi schen sozialen<br />

Ungleichheiten zum Forschungsgegenstand<br />

zu machen. Im Teilprojekt »Soziale Ungleichheit<br />

auf kommunaler Ebene – Methoden der<br />

empirischen Sozialforschung in der Datenerhebung<br />

und -auswertung« (Leitung: Prof.<br />

Dr. Reinhold Sackmann, Dipl.-Soz. Walter<br />

Bartl) sollen sie eine Fragestellung entwickeln<br />

und Mittel fi nden, um kommunale soziale<br />

Ungleichheiten am Beispiel öffentlicher Räume<br />

in <strong>Halle</strong> zu beschreiben: Wie kommt es,<br />

dass bestimmte Bevölkerungsgruppen den<br />

Marktplatz unterschiedlich nutzen, anderen<br />

dieses öffentliche Gut fremd bleibt? Steht die<br />

Fragestellung fest, lernen die Schüler(innen),<br />

präzise Thesen zu formulieren, diese durch<br />

Fachliteratur zu begründen und ein geeignetes<br />

Untersuchungsdesign zu erstellen.<br />

Sie üben einen soziologischen Blick auf die<br />

Realität ein, lernen Selbstverständlichkeiten<br />

des Alltags wissenschaftlich zu hinterfragen,<br />

Daten zu generieren und auszuwerten.<br />

Historischer Phonograph aus der Sammlung des<br />

Instituts für Sprechwissenschaft (Fotos [2]: Archiv)<br />

S CHALL OHNE RAUCH<br />

Das Teilprojekt »Schallarchiv« (Leitung:<br />

PD Dr. phil. habil. Baldur Neuber) mit umfangreichen<br />

Aufzeichnungen gesprochener<br />

Sprache aus Vergangenheit und Gegenwart<br />

korrespondiert mit der wertvollen historischen<br />

phonetischen Sammlung des Seminars für<br />

Sprechwissenschaft und Phonetik der MLU.<br />

Jan Metzner,<br />

Jahrgang 1979, studierte 2000–<strong>2007</strong><br />

Erziehungswissenschaften und Volkswirtschaft<br />

an der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong><br />

<strong>Halle</strong>-Wittenberg.<br />

Seit 2005 ist er wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter am Institut für Schulpädagogik<br />

und Grundschuldidaktik an der<br />

Philosophischen Fakultät III der MLU.<br />

Seit <strong>2007</strong> ist er Koordinator<br />

für die Arbeit des interdisziplinären<br />

Netzwerkprojekts »Herausforderung Mensch«.<br />

Telefon: 0345 55-23836 oder 0178 6915009,<br />

E-Mail: metznerjan@yahoo.de<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

Wissenschaftliche Analyse von Tonbandaufzeichnungen<br />

mit Hilfe neuester Technik<br />

Diese Sammlung wurde vor 100 Jahren gegründet<br />

und wird bis heute ständig ergänzt<br />

und erweitert. Sie besteht zum einen aus<br />

kostbaren experimental-phonetischen Geräten,<br />

zum anderen aus einer Schalldatenbank<br />

mit Sprachaufnahmen, besonders aus den<br />

Fachgebieten Phonetik, Rhetorik, Sprach-,<br />

Sprech- und Stimmstörungen sowie aus dem<br />

Sprechkünstlerischen Gestalten.<br />

Die Aufnahmen sind für wissenschaftliche<br />

Zwecke wie für Kultur und Medien von hohem<br />

Interesse. Damit lassen sich die Entwicklung<br />

der deutschen Standardaussprache und<br />

dialektaler Varietäten des Deutschen in den<br />

letzten 100 Jahren dokumentieren und Veränderungen<br />

in den Sprechstilen künstlerischer<br />

Texte empirisch nachweisen. Ziel des Projekts<br />

»Schallarchiv« ist die weitere Erschließung<br />

der Schallkorpora und ihre inhaltliche Bewertung.<br />

An der Erforschung gesprochener<br />

Sprache und am Umgang mit Geräten zur<br />

Schallaufzeichnung interessierte Schülerinnen<br />

und Schüler können hier typische sprechwissenschaftliche<br />

Arbeit kennen lernen, zum<br />

Beispiel unter Anleitung technische Aufgaben<br />

an den Schalldatenbanken (Archivierung,<br />

Umschnitte) lösen oder sich bei der sprechwissenschaftlichen<br />

Analyse von Schallaufzeichnungen<br />

erproben.<br />

■<br />

Prof. Dr. Hartmut Wenzel,<br />

Jahrgang 1945, studierte 1965–1971<br />

Mathematik, Physik und Erziehungswissenschaften<br />

an der <strong>Universität</strong> Marburg<br />

und absolvierte dort ein Graduiertenstudium<br />

in Erziehungswissenschaften. Er lehrte<br />

und forschte 1975–1992 in Essen und<br />

Bochum (Promotion 1977, Habilitation<br />

1985). 1992 wurde er als Professor für<br />

Schulpädagogik und Allgemeine Didaktik<br />

nach <strong>Halle</strong> berufen. 1994–1998 leitete<br />

er das ZSL, nun seit April <strong>2007</strong> das Zentrum für Schul- und Bildungsforschung<br />

der MLU. Seit <strong>2007</strong> koordiniert er das Netzwerkprojekt »Herausforderung<br />

Mensch«. Telefon: 0345 55-23835,<br />

E-Mail: hartmut.wenzel@paedagogik.uni-halle.de<br />

17<br />

J AHR DER GEISTESWISSENSCHAFTEN <strong>2007</strong>


18<br />

D AS GROSSE INTERVIEW<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

Wulf Meier:<br />

»Wir sind gut unterwegs«<br />

Interview mit dem neuen Präsidiumsmitglied der VFF<br />

Das Präsidium der Vereinigung der Freunde und Förderer (VFF) der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong><br />

hat seit Ende vergangenen Jahres ein neues Mitlied: Wulf Meier. Der 62-Jährige ist Personalvorstand<br />

der Dresdner Bank AG. Nach seinem Assessorexamen in Freiburg startete der Jurist bei<br />

der Allianz in Frankfurt und war nach verschiedenen Stationen im Konzern von 2001 bis 2003<br />

Vorsitzender der Geschäftsleitung der Leipziger Niederlassung der Allianz Versicherungs-AG,<br />

zuständig für Sachsen und Thüringen. Im Interview mit scientia halensis berichtet Meier über<br />

seinen Eindruck von der MLU, seine Pläne und seine Erwartungen.<br />

Wie ist es dazu gekommen, dass Sie sich für die<br />

Vereinigung der Freunde und Förderer der MLU<br />

ehrenamtlich engagieren?<br />

Am Anfang meiner Tage bei der Dresdner<br />

Bank habe ich Dr. Röller besucht (den Präsidenten<br />

der Vereinigung – d. Red.). Da kamen<br />

wir auch auf meine Zeit in Leipzig zu sprechen.<br />

Herr Röller erzählte mir, dass er aus<br />

<strong>Halle</strong> stammt. Natürlich kenne ich die Stadt<br />

aus der Leipziger Zeit etwas. Später haben wir<br />

uns immer mal wieder darüber unterhalten,<br />

wie es denn heute in <strong>Halle</strong> aussieht und was er<br />

in <strong>Halle</strong> macht. Irgendwann fragte er mich, ob<br />

ich auch für ein Engagement zur Verfügung<br />

stünde, und ich sagte: aber natürlich, gern<br />

– zumal ich mich der Region immer noch verbunden<br />

fühle.<br />

Hatten Sie in Ihrer Leipziger Zeit Kontakte zur<br />

MLU?<br />

Indirekt ja. Wir haben damals qualifi ziertes<br />

Personal gesucht und auch einige Absolventen<br />

aus <strong>Halle</strong> eingestellt.<br />

Wie gut kennen Sie die <strong>Universität</strong>?<br />

Die <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> kenne ich als<br />

eine der großen deutschen Traditionsuniversitäten.<br />

Natürlich habe ich bislang vor allem<br />

einen Eindruck von außen. Den internen Teil<br />

lerne ich jetzt erst richtig kennen. Für meine<br />

Aufgabe ist es wichtig, dass ich die <strong>Universität</strong><br />

erfahre und mich mit ihr identifi ziere. Dazu<br />

muss ich wissen, wie sie aufgebaut ist, wie sie<br />

arbeitet, wie ihre Ausrichtung ist. Das erarbeite<br />

ich mir nach und nach – mit zunehmender<br />

Geschwindigkeit.<br />

Welchen Eindruck haben Sie bislang gewonnen?<br />

Wenn Sie von außen den Blick aus München<br />

oder Frankfurt auf <strong>Halle</strong> richten, dann ist die<br />

MLU eine mitteldeutsche <strong>Universität</strong> mit einer<br />

großen Tradition, auch mit großen geisteswissenschaftlichen<br />

Leistungen für Deutschland.<br />

Allerdings sind die Konturen nicht ganz<br />

scharf, die Schwerpunkte nicht gut genug zu<br />

erkennen. Das ist für mich eine Frage des Marketings<br />

dieser <strong>Universität</strong>. Natürlich sollte sich<br />

da auch der Förderverein einschalten.<br />

Sie sind ein vielbeschäftigter Mensch, zudem<br />

Familienvater. Wie viel Zeit werden Sie für Ihre<br />

Aufgabe aufwenden können?<br />

Sicher werden Sie in meinem Terminkalender<br />

nicht ganze Zeiträume fi nden, die für <strong>Halle</strong><br />

geblockt sind. Aber ich bin in der Dresdner<br />

Bank, neben meiner Ressortzuständigkeit für<br />

das Personal, als Regionalvorstand für Ostdeutschland<br />

zuständig. Insofern bin ich natürlich<br />

häufi g in der Region unterwegs. Dabei<br />

werde ich die ein oder andere Gelegenheit<br />

nutzen, mich in <strong>Halle</strong> sehen zu lassen. Zum<br />

anderen bin ich es gewohnt, meine Zeit so<br />

einzuteilen, dass ich eine solche Aufgabe auch<br />

richtig wahrnehmen kann. Sonst sollte man so<br />

etwas nicht machen. Ich habe mir außerdem<br />

den Veranstaltungskalender der <strong>Universität</strong><br />

angesehen und mir einige Veranstaltungen<br />

herausgesucht, die ich besuchen will. Gelegentlich,<br />

in gewissen Abständen, sollte man<br />

persönlich präsent sein.<br />

Was können Sie für den Förderverein und für die<br />

<strong>Universität</strong> tun?<br />

Wie in jedem Förderverein ist das erst einmal<br />

eine Frage der Mitglieder – und damit der<br />

Mitgliederwerbung. Und natürlich eine Frage<br />

des Einwerbens von Mitteln, die im Rahmen<br />

der Projektförderung der <strong>Universität</strong> zur Verfügung<br />

gestellt werden sollen. Soweit ich das<br />

sehe, ist es ganz wichtig, dass wir diese Mittel<br />

in die Schwerpunktbildung der <strong>Universität</strong><br />

einfl ießen lassen, um damit die Konturenentwicklung<br />

zu unterstützen. Ich werde den Kontakt<br />

zu Firmen, zu Institutionen suchen, die<br />

mir bekannt sind und die für die <strong>Universität</strong><br />

vielleicht noch etwas weiter weg sind.<br />

Sind Erwartungen an Sie herangetragen worden<br />

im Hinblick auf ein finanzielles Engagement der<br />

Dresdner Bank?<br />

Natürlich bekommt man oft die Frage zu<br />

hören: »Haben Sie die Kriegskasse dabei?<br />

Wie wollen Sie sie verteilen?« Aber diese<br />

Frage ist hier nicht gestellt worden, und ich<br />

glaube, sie steht auch nicht im Vordergrund.<br />

Die Dresdner Bank hat in der Vergangenheit<br />

über den Förderverein schon relativ viele Mittel<br />

eingebracht. Und wenn Sie die <strong>Universität</strong><br />

auf breitere Füße stellen wollen, ist es ohnehin


nicht damit getan, dass ein Unternehmen Geld<br />

gibt. Es gehört eine gewisse Identifi kation<br />

dazu, und wir wollen noch viel mehr Partner<br />

fi nden, die den Namen, den Leistungswert, die<br />

Ausrichtung dieser <strong>Universität</strong> publik machen.<br />

Über die eigene Person und das Netzwerk, das<br />

man hat, kann man die Imagewerbung für die<br />

<strong>Universität</strong> vorantreiben.<br />

Sie haben bereits angedeutet, dass Sie auch von<br />

der <strong>Universität</strong> etwas erwarten. Was muss die<br />

MLU Ihrer Ansicht nach tun?<br />

Natürlich muss ich die Entscheidungsträger<br />

kennen und informiert werden, wo die <strong>Universität</strong><br />

selbst hin will. Dass man in einem engen<br />

Kontakt miteinander steht, ist wichtig. Die<br />

<strong>Universität</strong> sollte die Vereinigung der Freunde<br />

und Förderer einbeziehen in die Überlegungen,<br />

wohin sie sich entwickeln will. Der Förderverein<br />

soll ja ein integraler Bestandteil der<br />

<strong>Universität</strong> sein.<br />

Haben Sie denn zur Leitungsebene schon einen<br />

guten Draht? Immerhin tragen Sie und der Rektor<br />

den gleichen Vornamen ...<br />

... was natürlich verbindet. Wobei er aus dem<br />

Norden kommt und ich aus dem Süden. Man<br />

kann wirklich sagen: Von Anfang an ist das<br />

ein gutes Miteinander. Ich habe das Gefühl,<br />

dass wir gut unterwegs sind.<br />

Aus der Vita:<br />

Wulf Meier, Jahrgang 1945, studierte Jura in Freiburg<br />

und Mainz und schloss sein Studium 1974 mit dem<br />

Zweiten Juristischen Staatsexamen ab. Seither nahm er<br />

dreißig Jahre lang leitende Positionen bei verschiedenen<br />

hochkarätigen deutschen Banken und Versicherungsgesellschaften<br />

ein:<br />

1975–1984 Frankfurter Versicherungs-AG<br />

Vorstandsassistent<br />

Leiter der Personalabteilung<br />

1984–1993 Leitende Tätigkeit im Vertriebsaußen-<br />

dienst Frankfurter Versicherungs-AG<br />

1993–2001 Vorstand Frankfurter Versicherungs-AG<br />

Zuständigkeit für die Ressorts Vertrieb<br />

und Lebensversicherung<br />

2001–2003 Vorsitzender der Geschäftsleitung der<br />

Zweigniederlassung Leipzig<br />

der Allianz Versicherungs-AG für<br />

Sachsen und Thüringen<br />

2003–2004 CC Personal, Generalbevollmächtigter<br />

der Dresdner Bank AG<br />

ab 01.01.2004 Vorstand Allianz Versicherungs-AG,<br />

Personal- u. Soziales,<br />

Arbeitsdirektor<br />

ab 01.03.2004 Vorstand Dresdner Bank AG,<br />

Personal und Arbeitsdirektor<br />

in Doppelfunktion mit Vorstand<br />

Allianz Versicherungs-AG<br />

ab 01.01.2006 Vorstand Dresdner Bank AG,<br />

Personal und Arbeitsdirektor mit<br />

Zuständigkeit für Personalfunktionen<br />

deutsche und ausländische Töchter<br />

Sie wollen auch als Werbeträger der MLU<br />

fungieren. Wo ist die Zielgruppe, für die die<br />

<strong>Universität</strong> interessant ist – beziehungsweise<br />

interessant sein könnte?<br />

Interessant ist sie mit Sicherheit für diejenigen,<br />

die studieren wollen und für die Region. Die<br />

<strong>Universität</strong> ist ein wirtschaftliches Zentrum<br />

der Stadt <strong>Halle</strong> und der Region – für beide<br />

strahlt sie nach außen. <strong>Halle</strong>, das ist immer<br />

zugleich <strong>Universität</strong>, so habe ich das wahrgenommen.<br />

Ein wichtiges Thema in nächster Zeit ist sicher<br />

die Zuwanderung von Studierenden.<br />

Die östlichen <strong>Universität</strong>en sollen viele Studierende<br />

aus den westlichen Bundesländern<br />

aufnehmen. Daher muss natürlich nach außen<br />

sichtbar sein, dass die MLU eine aufnehmende<br />

<strong>Universität</strong> sein will und sein kann. Die Qualität<br />

ist auf einem hohen Level. Da sind wir<br />

wieder beim Thema Imagebildung. Hierfür<br />

muss die <strong>Universität</strong> etwas tun, aber ebenso<br />

das Land Sachsen-Anhalt.<br />

Zudem steht die <strong>Universität</strong> im europäischen<br />

Wettbewerb. Der Bologna-Prozess ist angelaufen.<br />

Ich habe mit Interesse vernommen, dass<br />

die MLU auf diesem Weg bestens unterwegs<br />

ist, das Ganze sogar vorantreibt. Der europäische<br />

Student hat damit auch einen Blick auf<br />

die <strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>.<br />

Im Wettbewerb bestehen können – was ist dafür<br />

aus Ihrer Sicht unabdingbar?<br />

Wer sich heutzutage keine klaren Schwerpunkte<br />

sucht, bleibt in der Mitte, und in der<br />

Mitte ist nichts zu gewinnen. Man muss sich<br />

positionieren. Das gilt in der Wirtschaft und<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

Präsidiumsmitglied der VFF Wulf Meyer und Rektor Prof. Dr. Wulf Diepenbrock (Fotos [5]; Maike Glöckner)<br />

für <strong>Universität</strong>en gleichermaßen. Wobei <strong>Universität</strong>en<br />

selbstverständlich auch einen Auftrag<br />

haben, den man nicht rein wirtschaftlich<br />

sehen kann. Sie schaffen eine Basis intellektueller<br />

Art, sie haben eine gewisse Breite. Aus<br />

dieser Breite wächst außerdem die Qualität in<br />

Richtung Spezialisierung.<br />

Sie befinden sich sozusagen noch in der Aufwärmphase.<br />

Was und wen möchten Sie in nächster<br />

Zeit kennen lernen an der <strong>Universität</strong>?<br />

Ich würde gern Kontakt mit den anderen,<br />

fakultätsgebundenen Fördervereinen aufnehmen,<br />

nicht zuletzt um sicherzustellen, dass<br />

sich in unserer Arbeit nichts doppelt. Auch die<br />

Fakultäten selbst möchte ich mir ansehen, das<br />

wird natürlich dauern, aber dieses Jahr will<br />

ich das schaffen. Zum anderen möchte ich bei<br />

Veranstaltungen dabei sein, um das universitäre<br />

Leben zu erfahren. Ich möchte zudem in<br />

Hörsälen sein, die jungen Leute kennen lernen.<br />

Und gern stehe ich mal für einen Diskussionsabend<br />

oder ähnliches zur Verfügung.<br />

Zum juristischen Bereich sollen Sie bereits enge<br />

Kontakte geknüpft haben.<br />

Ja, das stimmt. Das haben wir relativ spontan<br />

gemacht, da wir für mein Ressort jemanden<br />

suchen in einer Assistentenfunktion. Daher<br />

gab es Kontakte – und ich habe bereits das<br />

erste Bewerbungsgespräch geführt, in <strong>Halle</strong>.<br />

Wenn man schon im halleschen Uni-Föderverein<br />

wirkt, dann sollte man auch die personelle<br />

Rekrutierung mit über <strong>Halle</strong> laufen lassen.<br />

Die Fragen stellte Carsten Heckmann.<br />

■<br />

19<br />

D AS GROSSE INTERVIEW


20<br />

D IE MLU IM INTERNET<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

85, 12 und 3 – barrierefrei!<br />

Neugestaltung des Internetauftritts der halleschen <strong>Universität</strong><br />

T ORSTEN EVERS<br />

Im Auftrag des Rektorats analysierte eine interdisziplinär besetzte Arbeitsgruppe unter Leitung<br />

des Verfassers die möglichen Konsequenzen der gesetzlichen Vorgaben zur Umsetzung der<br />

»Barrierefreien Informationstechnik-Verordnung« (BITV) auf Landesebene für den Internetauftritt<br />

der <strong>Universität</strong>. Die Ergebnisse wurden in einer Informations- und Beschlussvorlage<br />

zusammengefasst und im Februar dieses Jahres vom Rektorat zur Detaillierung und Realisierung<br />

freigegeben.<br />

Dem Internetauftritt der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong><br />

kommt innerhalb des gesamten Informationsangebots<br />

eine besondere und stetig<br />

wachsende Bedeutung zu. Charakteristisch für<br />

dieses Kommunikations- und Marketinginstrument<br />

sind große Reichweite, hohe Informationsdichte<br />

und laufende Aktualisierbarkeit.<br />

Die Untersuchungen zeigten allerdings, dass<br />

der aktuelle Internetauftritt für Menschen mit<br />

kommunikativen Behinderungen nicht geeignet<br />

ist.<br />

D ESIGN MUSS SEIN<br />

Das visuelle Erscheinungsbild ist zweifellos<br />

das auffälligste Merkmal jedes Internetauftritts.<br />

Doch über die reine Ästhetik hinaus<br />

müssen Layout und Gestaltung einer als bar-<br />

rierefrei konzipierten Web-Präsenz einer Reihe<br />

funktioneller Anforderungen genügen, die<br />

Web-Designern die Arbeit durchaus schwer<br />

machen. Veränderbare Schriftgrößen, ausreichende<br />

Kontraste, Vorgaben zur Positionierung<br />

von Inhalten sowie die Forderung nach<br />

alternativen Farbschemata für Schriften und<br />

Hintergründe haben den Anforderungen von<br />

Menschen mit Sehbehinderungen oder Farbfehlsichtigkeiten<br />

Rechnung zu tragen. Nutzer<br />

mit motorischen Einschränkungen wiederum<br />

sind dankbar für nicht zu kleine und nicht zu<br />

dicht nebeneinanderliegende Hyperlinks. Von<br />

entscheidender Bedeutung ist letztlich die<br />

Qualität der programmiertechnischen Umsetzung<br />

des Designs, da sich Vorleseprogramme<br />

und BRAILLE-Schriftgeber für Blinde bei der<br />

Ausgabe von Inhalten allein am Quellcode<br />

orientieren.<br />

Punktgenau & zielgerecht<br />

Primäre Zielstellung des Projektes<br />

ist die Schaffung eines barrierefreien<br />

Internetauftrittes in Einheit mit einem<br />

zeitgemäßen Erscheinungsbild. Da die<br />

erforderlichen Anpassungen in der<br />

Summe recht tiefgreifend und komplex<br />

sind, liegt es nahe, die zielgruppen-<br />

und serviceorientierte Über arbeitung<br />

von Inhalten und Navigationsstrukturen,<br />

die Verbesserung der Bedienbarkeit<br />

des Content-Management-Systems<br />

(CMS) und den Ausbau englischsprachiger<br />

Informationsangebote als<br />

sekundäre Ziele gleich mit zu berücksichtigen.<br />

Heisse Phase ab Herbst<br />

Die Implementierung des neuen Designs<br />

in das Web-Content-Management-<br />

Systems (WCMS) erfolgt zunächst in<br />

eine Parallelinstallation und wird<br />

voraussichtlich bis Oktober realisiert<br />

sein. Die tatsächliche – weitestgehend<br />

automatisch erfolgende – Umstellung<br />

aller Inhalte des WCMS auf das neue<br />

Erscheinungsbild geschieht nach<br />

Abschluss aller Vorarbeiten und mit<br />

Blick auf den Studienjahres ablauf.<br />

»scientia halensis im Netz«<br />

Starttermin: Mittwoch, 24. Juli <strong>2007</strong>, 12 Uhr mittags<br />

http://www.unimagazin.uni-halle.de<br />

Die neuen Medien sind überall, die neuen Menschen auch. Immer mehr werden es, die nicht<br />

nur Bücher und Zeitschriften lesen, Radio hören und fernsehen wollen, sondern auch surfen im<br />

World Wide Web – und dass am besten interaktiv.<br />

Deshalb engagiert sich auch die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong><br />

<strong>Halle</strong>-Wittenberg seit geraumer Zeit für ein neues Projekt: »scientia halensis im Netz«. Damit<br />

wollen wir Leserinnen und Leser des Unimagazins scientia halensis in den printlosen Zwischenzeiten<br />

– die ebenfalls im Internet abrufbaren »Aktuellen Meldungen«, den Newsletter und den<br />

Veranstaltungskalender komplettierend – zeitnah über Wichtiges und Wissenswertes aus dem<br />

<strong>Universität</strong>sgeschehen informieren.<br />

Was also erwartet Sie in drei Wochen? »scientia halensis im Netz« wird Ihnen stets eine ausgewogene<br />

Mischung von Texten, Bildern, Audiobeiträgen und kurzen Filmen offerieren. Am<br />

Anfang stehen zwei Movies über die Kinderuniversität im Juni und über die »Lange Nacht der<br />

Wissenschaften <strong>2007</strong>«, ein Hörbeitrag zum Jubiläum des Akademischen Orchesters, Texte, die<br />

den Inhalt der Printausgaben ergänzen oder kommentieren, sowie Bildgalerien zum <strong>Universität</strong>ssportfest<br />

vom 12. Juni und zum Veranstaltungsangebot des alt-neuen Studentenklubs »Turm«.<br />

Die erst vor kurzem (im Unimagazin 4/06, Seite 28) kreierte Rubrik »... gelesen – geschrieben<br />

...« wird nun von »scientia halensis im Netz« übernommen, so dass Meinungen und Reaktionen<br />

zu Artikeln in der Printausgabe nicht mehr monatelang in der Warteschleife schmoren müssen,<br />

sondern schnell publik gemacht werden können.<br />

Allen interessierten Nutzerinnen und Nutzern des neuen Info-Mediums wünscht die Redaktion,<br />

dass sie diese Anregung zur Teilnahme am universitären Leben (inter-)aktiv aufgreifen und eigene<br />

Ideen dazu nicht für sich behalten: Was sinnvoll ist und sich machen lässt, das tun wir gern.<br />

Text & Bild-Idee: Margarete Wein, Foto: Paolo Schubert


Contra<br />

Baustelle Internet (Bild-Idee & Foto: Torsten Evers)<br />

Das neue grafi sche Erscheinungsbild für den<br />

Internetauftritt der MLU wird derzeit im<br />

Rahmen eines Wettbewerbs zwischen fünf<br />

ausgewählten Agenturen erarbeitet. Die Auswahl<br />

einer Vorzugslösung erfolgt im August<br />

diesen Jahres durch eine fachkundige Jury.<br />

Zudem ist vorgesehen, dass gleichzeitig auch<br />

Mitarbeiter(innen) und Studierende über ein<br />

internetbasiertes Voting-Tool die Entwürfe<br />

begutachten und bewerten können.<br />

D AUERBAUSTELLE »INHALTE UND STRUKTUREN«<br />

Aber keinesfalls dürfen sich alte Inhalte in<br />

neuem Gewand präsentieren! Deshalb werden<br />

gegenwärtig in Abstimmung mit den<br />

Bereichsverantwortlichen vielfältige Aktionen<br />

zur Überarbeitung des Informationsangebots<br />

initiiert. Der Fokus liegt auf den Seiten einer<br />

»Kernpräsenz«, die die <strong>Universität</strong> vorstellen<br />

und den Zugang zu weiterführenden Inhalten<br />

organisieren sollen. Es ist geplant, in Design<br />

und inhaltlicher Ausstattung vereinheitlichte<br />

Informationsangebote bis zur Fakultätsebene<br />

zu etablieren. Ein Teil der Anpassungen ist mit<br />

Rücksicht auf die Barrierefreiheit erforderlich:<br />

So müssen Verlinkungen und Illustrationen<br />

mit zusätzlichen Textbeschreibungen für Blinde<br />

versehen, Überschriften und Seitenzusammenstellungen<br />

von den redaktionellen Layouts<br />

WCMS-konform umgesetzt werden.<br />

Andere Maßnahmen – etwa das Auffi nden und<br />

Löschen verwaister bzw. veralteter Inhalte,<br />

die Überarbeitung von Texten, das Verschieben<br />

ausgewählter Informationen in universitätsinternen<br />

Zugriff, die Veränderung von<br />

Navigationsstrukturen und die Festlegung von<br />

Bereichen, die in Zukunft auch englischsprachig<br />

vorliegen sollen – dienen der Straffung<br />

und zielgruppengerechten Ausrichtung der<br />

Internetpräsenz, sowohl einmalig als auch im<br />

Rahmen kontinuierlicher Wartung und Pfl ege<br />

des Internetauftritts. Zur Unterstützung der<br />

damit befassten Mitarbeiter bietet das WCMS-<br />

Team Schulungen an.<br />

B ARRIEREFREI GEHT’ S BESSER<br />

85 Prozent Barrierefreiheit von Internetauftritten<br />

werden mittels entsprechendem Design<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

realisiert, programmiertechnische Aspekte des<br />

eingesetzten CMS tragen mit 12 Prozent dazu<br />

bei, gut 3 Prozent basieren auf redaktioneller<br />

Arbeit. Von den zusätzlichen Aufwendungen<br />

profi tieren nicht nur Menschen mit kommunikativen<br />

Behinderungen, sondern alle Nutzer,<br />

denn über die Spezialfunktionen hinaus<br />

verbessert sich stets auch die allgemeine<br />

Bedienbarkeit. Die MLU geht also mit gutem<br />

Beispiel voran und wird sich 2008 am BIENE-<br />

Award – einem bundesweiten Wettbewerb<br />

für vorbildliches barrierefreies Webdesign –<br />

beteiligen.<br />

■<br />

Dipl.-Des. Torsten Evers,<br />

studierte 1990–1995 Design in <strong>Halle</strong><br />

(Saale) an der Burg Giebichenstein Hochschule<br />

für Kunst und Design. Anschließend<br />

war er in verschiedenen Anstellungsverhältnissen,<br />

zuletzt als Freiberufler mit<br />

Schwerpunkt auf Design, Marketing/Vertrieb<br />

und Innovationsmanagement tätig.<br />

2005/07 war er Projektmitarbeiter des<br />

vom DAAD finanzierten PROFIS-Programms<br />

»UniON« an der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong><br />

<strong>Halle</strong>-Wittenberg. Seit Februar ist er dem Rektorat zugeordnet und mit<br />

diversen Projekten zur Außendarstellung und Marketingorientierung der<br />

MLU befasst.<br />

Telefon: 0345 55-21317, E-Mail: torsten.evers@rektorat.uni-halle.de<br />

21<br />

D IE MLU IM INTERNET


22<br />

I NTERDISZIPLINÄRE WISSENSCHAFTLICHE FORSCHUNGSSTELLEN<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

Wissenschaft geht weiter!<br />

Was wird aus den interdisziplinären Zentren?<br />

J OACHIM ULRICH<br />

Pflege und Entwicklung der Wissenschaften durch Lehre und Forschung – das ist die Hauptaufgabe<br />

von <strong>Universität</strong>en. Dabei gewinnt die Forschung mehr und mehr an Bedeutung, gilt doch<br />

der Fortschritt wissenschaftlicher Erkenntnis, zu dem eine Hochschule beiträgt, als Indikator für<br />

die Qualität ihrer Ausbildung. Erfolg und Sichtbarkeit einer <strong>Universität</strong> wird heute zunehmend<br />

an der Zahl der eingeworbenen Forschungsverbunde (zum Beispiel im Rahmen der Exzellenzinitiative<br />

des Bundes und der Länder) gemessen.<br />

Wesentliche Qualitätsmerkmale sind Inter- und Transdisziplinarität: die fächer- und disziplinenübergreifende<br />

Betrachtung eines Forschungsgegenstandes.<br />

Sollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler<br />

über Fachgebiete und Institutionsgrenzen<br />

hinweg zusammenarbeiten, bedarf es<br />

geeigneter Strukturen, die diese Forschungsnetzwerke<br />

tragen. Mit neuen Interdisziplinären<br />

Wissenschaftlichen Forschungsstellen (IWF)<br />

will das Rektorat der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong><br />

Strukturelemente einführen, die helfen<br />

sollen, Forschungsaktivitäten zu koordinierten<br />

und zu kommunizieren.<br />

Die IWF werden<br />

disziplin- und fakultätsübergreifend vorhandene<br />

Kompetenzen auf thematisch<br />

defi nierten Gebieten bündeln,<br />

zeitlich befristete Zusammenschlüsse<br />

von Wissenschaftler(inne)n sein, um Forschungsaktivitäten<br />

zu initiieren und zu<br />

koordinieren,<br />

mittels Publikation von Forschungsleistungen<br />

zur Verbesserung der Außendarstellung<br />

der <strong>Universität</strong> beitragen,<br />

auf der Basis der durch die beteiligten<br />

Hochschullehrer(innen) eingebrachten<br />

Ressourcen arbeiten,<br />

Strukturen darstellen, die durch das Rektorat<br />

oder die Fakultäten der <strong>Universität</strong><br />

temporär mit zusätzlichen Ressourcen<br />

ausgestattet werden können,<br />

sich regelmäßig der Überprüfung ihrer<br />

Effi zienz durch den Fakultätsrat stellen.<br />

G ESCHICHTE DER IWF<br />

Mit den existierenden Interdisziplinären Wissenschaftlichen<br />

Zentren der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<br />

<strong>Universität</strong> (IWZ) wurden – auf der Grundlage<br />

eines Beschlusses des Akademische Senats<br />

vom April 1993 zur Bildung von Zentren<br />

für Forschung – bereits ähnliche Strukturen<br />

geschaffen, »... um über Einzeldisziplinen hinausgehend<br />

neue Entwicklungsmöglichkeiten<br />

zu erkennen, auszuarbeiten und zu praktizieren«.<br />

Diese Zentren sollten weder eine feste<br />

Laufzeit haben noch »Dauereinrichtungen in<br />

Konkurrenz zu den Fachbereichen und Instituten«<br />

der <strong>Universität</strong> werden.<br />

Derzeit bestehen 9 solche Interdisziplinären<br />

Wissenschaftlichen Zentren an der <strong>Universität</strong>,<br />

die meisten seit über 10 Jahren. 35<br />

Mitarbeiter(innen) sind auf mehr als 30 Haushaltsstellen<br />

(überwiegend Dauerstellen) in den<br />

IWZ beschäftigt.<br />

Die IWZ sind schon Instrumente zum Aufbau<br />

und zur Einwerbung von Drittmittelverbunden.<br />

Sie stärken damit auch die öffentliche<br />

Sichtbarkeit der gesamten <strong>Universität</strong>. Aber<br />

»(H)alles Forschung«<br />

Erstmals gibt es in diesem Jahr anlässlich der »Langen<br />

Nacht der Wissenschaften« am 6. Juli eine besondere<br />

Zeitung: In »(H)alles Forschung« stellen Wissenschaftseinrichtungen<br />

der Stadt aktuelle Forschungsprojekte auf<br />

zwölf Seiten in Text und Bild vor. Das Spektrum reicht<br />

von pflanzlichen Fabriken und den Bananen unter den<br />

Flüssigkristallen über landwirtschaftlichen Strukturwandel<br />

und die Fehleranalyse in komplexen Mikrochip-Systemen<br />

bis hin zur Widerlegung einer Fußballweisheit und<br />

überraschenden Produkten aus Beton. Die Zeitung wurde<br />

in einer Auflage von 10 000 Exemplaren gedruckt und<br />

wird zur »Langen Nacht« verteilt. Bereits ab 5. Juli <strong>2007</strong><br />

bekommt an sie kostenlos im Marktschlösschen im Info-<br />

Punkt der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong>. CaHe


... und hier der Denkfühler des letzten Quartals:<br />

Für Wetterfrösche sind »gefühlte Temperaturen« eine Selbstverständlichkeit. Am Morgen danach (zum Bespiel im Gefolge<br />

einer »Langen Nacht der Wissenschaften«) wird man starke Diskrepanzen zwischen der digitalen Anzeige der eigenen Uhr<br />

und der »gefühlten Tageszeit« registrieren ... Aber dass es auch – möglicherweise durchaus zukunftsträchtige – »gefühlte<br />

Hochschulstrukturen« gibt, ist neu: Am 29. Mai <strong>2007</strong> »erfand« Marcus Kreikebaum vom Wirtschaftsressort der Frankfurter<br />

Allgemeinen in seiner Buchbesprechung über »Unternehmerische Verantwortung in Zeiten kulturellen Wandels« auf Seite 14<br />

eine »<strong>Universität</strong> Leipzig-<strong>Halle</strong>« und ordnete ihr kurzerhand einen der Beiträger des Sammelbands zu: Dr. Reiner Manstetten<br />

– der in Wirklichkeit beim Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (Leipzig-<strong>Halle</strong>) tätig ist. Selbstverständlich wird die<br />

Redaktion der scientia halensis die Entwicklungen in der mitteldeutschen Hochschullandschaft auch in Zukunft aufmerksam<br />

beobachten und über Veränderungen ggf. berichten ... (aufgespürt von Carsten Heckmann)<br />

sie wurden – und damit erfüllen sie ein grundlegendes<br />

Kriterium des Senatsbeschlusses<br />

von 1993 nicht – eben doch zu Dauereinrichtungen,<br />

die (von Ausnahmen abgesehen)<br />

ihre Koordination mit zentralen Ressourcen<br />

realisieren. Die aktuelle budgetäre Situation<br />

der <strong>Universität</strong> jedoch erlaubt heute Neugründungen<br />

interdisziplinärer Zentren in der bisherigen<br />

Form nicht mehr.<br />

A LTE »ZENTREN« UND NEUE CHANCEN<br />

Darüber hinaus benennt der Begriff »Zentrum«<br />

an der halleschen <strong>Universität</strong> sehr<br />

unterschiedliche Strukturen, so dass Funktionen<br />

bzw. Abgrenzungen teilweise schwer<br />

zu defi nieren sind. Neben den IWZ gibt es<br />

zum Beispiel das Zentrum für Lehrerbildung<br />

(eine zentrale Einrichtung der MLU, die das<br />

Lehramtsstudium koordiniert und im Auftrag<br />

des Rektorats als Anlaufstelle für alle Lehramtsstudierenden<br />

dient), das Ingenieurwissenschaftliche<br />

Zentrum (in seiner Struktur<br />

einer Fakultät gleichgestellt) und das künftige<br />

Kunststoff-Kompetenzzentrum (KKZ) als<br />

hochschulübergreifende Einrichtung gemeinsam<br />

mit der FH Merseburg.<br />

Deshalb soll es in Zukunft keine weiteren<br />

Interdisziplinären Wissenschaftlichen Zentren<br />

(IWZ) mehr geben, sondern ausschließlich<br />

Interdisziplinäre Wissenschaftliche Forschungsstellen<br />

(IWF). Die Neukonzeption des<br />

Rektorats möchte vor allem eins erreichen:<br />

neuen Initiativen eine Chance zu geben und so<br />

die Zukunftsfähigkeit der <strong>Universität</strong> zu festigen.<br />

Das Konzept setzt darauf, die Stärken der<br />

alten IWZ zu übernehmen und zugleich deren<br />

strukturelle Schwächen abzubauen.<br />

Die neuen Interdisziplinären Wissenschaftlichen<br />

Forschungsstellen (IWF) sollen mit<br />

einer Ordnung ausgestattet sein, die ihre<br />

Lebensdauer bzw. ihre der Fakultät obliegende<br />

»interne Evaluation« (im Bedarfsfall<br />

durch eine externe Evaluierung zu ergänzen)<br />

sicherstellt. Der Akademische Senat wird auf<br />

Vorschlag der Fakultäten und mit Zustimmung<br />

des Rektorats über die Einrichtung und<br />

den Fortbestand von Forschungsstellen entscheiden.<br />

Als Grundlage für die Entscheidung<br />

muss durch den Dekan/die Dekane im Senat<br />

über die entsprechenden Fakultätsbeschlüsse<br />

berichtet werden. Über die Weiterführung<br />

bestehender Interdisziplinärer Wissenschaftlicher<br />

Forschungsstellen ist spätestens nach<br />

drei Jahren Laufzeit nach diesem Verfahren<br />

zu beschließen.<br />

R ESSOURCEN PLUS BONUS –<br />

OHNE DAUERZUWEISUNG<br />

Die Ressourcen einer neuen Interdisziplinären<br />

Wissenschaftlichen Forschungsstelle (IWF)<br />

bestehen aus den Mitteln, die von den die<br />

Forschungsstelle tragenden Professuren eingebracht<br />

werden. Auf der Grundlage der eingeworbenen<br />

Drittmittel wird den an der IWF<br />

beteiligten Fakultäten bzw. Professuren der<br />

Drittmittelbonus zugewiesen. Zu entscheiden<br />

wie diese Mittel eingesetzt werden, obliegt<br />

dann den jeweiligen Professor(inn)en.<br />

Nach entsprechendem Antrag können zeitlich<br />

befristete Ressourcen aus den Fakultäten oder<br />

durch das Rektorat zur Verfügung gestellt<br />

werden. Dauerzuweisungen wird es nicht<br />

geben. Die von den Forschungsstellen in<br />

Anspruch genommenen Flächen verwaltet der<br />

Kanzler im Rahmen des Flächenmanagements<br />

der <strong>Universität</strong>.<br />

Die bestehenden Zentren werden zu gegebener<br />

Zeit in die neuen Interdisziplinären Wissenschaftlichen<br />

Forschungsstellen überführt.<br />

Für einige Zentren gilt ein zeitlich befristeter<br />

Bestandsschutz – der im Rahmen der Zielvereinbarungen<br />

mit den Fakultäten zwischen dem<br />

Prorektor für strategische Entwicklung und<br />

den Dekanen unter Einbeziehung der Leiter<br />

der Zentren vereinbart wird – beim Übergang<br />

von der alten zur neuen Regelung. ■<br />

Prof. Dr. Joachim Ulrich,<br />

Jahrgang 1951, studierte 1971–1976<br />

Verfahrenstechnik an der TU Clausthal-<br />

Zellerfeld, lehrte und forschte anschließend<br />

bis 1984 an der RWTH Aachen<br />

(Promotion 1981) und dann bis 1999<br />

(Habilitation 1990) an der <strong>Universität</strong><br />

Bremen. Zwischenzeitlich war er als postdoc<br />

und Gastdozent in Tokyo, Schanghai<br />

, São Paulo und Rouen tätig. 1999 folgte<br />

er dem Ruf nach <strong>Halle</strong>;2002–2006 war<br />

er Prodekan des Fachbereichs Ingenieurwissenschaften, seit 2006 ist er<br />

Prorektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs an der MLU.<br />

Telefon: 0345 55-21450, E-Mail: prorektoratfw@uni-halle.de<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

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I NTERDISZIPLINÄRE WISSENSCHAFTLICHE FORSCHUNGSSTELLEN


24<br />

M EDIZINISCHE FAKULTÄT & UNIVERSITÄTSKLINIKUM<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

»Mutter und Kind« bilateral<br />

Deutsch-polnische Kontakte seit über 30 Jahren gepflegt<br />

J ENS MÜLLER<br />

Die Mediziner der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg blicken auf eine mehr als 30jährige<br />

Zusammenarbeit zwischen <strong>Halle</strong> und Poznań (Polen) zurück. Ende April <strong>2007</strong> trafen<br />

sich Ärzte und Wissenschaftler aus Deutschland und Polen zum nunmehr XXII. »Bilateralen<br />

Symposium« in der Saalestadt. Anlässlich der Gründung des Perinatalzentrums am <strong>Universität</strong>sklinikum<br />

<strong>Halle</strong> stand das Treffen unter dem Motto »Mutter und Kind«.<br />

Professor Konrad Seige (links im Bild) selbst übergab den Preisträgerinnen Agnieszka Seremak-Mrozikiewicz<br />

von der Medizinischen Fakultät in Poznan und Anne Navarrete-Santos von der Medizinischen Fakultät der<br />

<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg den Seige-Hasik-Preis <strong>2007</strong>. (Foto: Norbert Kaltwaßer)<br />

Bereits im Jahr 1975 initiierten Professor Dr.<br />

Dr. h. c. Jan Hasik (1922–2001) aus Poznań<br />

und Professor Dr. Dr. h. c. Konrad Seige (*<br />

1922) aus <strong>Halle</strong> die Zusammenarbeit zwischen<br />

der Medizinischen <strong>Universität</strong> »Karol Marcinkowski«,<br />

Poznań (Polen), und der Medizinischen<br />

Fakultät der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong><br />

<strong>Halle</strong>-Wittenberg. Ziel dieser Kooperation<br />

waren die Bündelung der wissenschaftlichen<br />

Ressourcen beider Einrichtungen und die<br />

Festigung freundschaftlicher Beziehungen.<br />

Seither treffen sich die Wissenschaftler alle<br />

zwei Jahre wechselseitig in Poznań und <strong>Halle</strong>,<br />

um Forschungsergebnisse auszutauschen. Dabei<br />

steht jeweils ein Hauptthema im Vordergrund.<br />

Auf dem XX. Bilateralen Symposium<br />

»Diabetologicum« 2003 in <strong>Halle</strong> berieten<br />

Forscher beider Einrichtungen über den Diabetes<br />

mellitus (die Zuckerkrankheit), 2005 in<br />

Poznań über Herz-Kreislauferkrankungen. Die<br />

Publikation der Vorträge erfolgt in Poznań in<br />

Erratum<br />

Beim Bildtext zum »Oppenheim-Gemälde« (Ausgabe<br />

1/07, Seite 14) wurde versehentlich die Angabe<br />

Bildnachweis: akg-images gmbh, Motiv 1-L34-E1771-2<br />

weggelassen; sie wird hiermit nachgereicht.<br />

der Zeitschrift Nowiny Lekarskie (Medical<br />

News) und in <strong>Halle</strong> vorwiegend in Sammelbänden<br />

der <strong>Universität</strong>.<br />

Neben der offi ziellen Kooperation der beiden<br />

Fakultäten entwickelten sich verschiedene<br />

Formen der Zusammenarbeit zwischen einzelnen<br />

Kliniken dieser zwei Einrichtungen. So<br />

bestehen seit Jahrzehnten gewachsene wissenschaftliche<br />

Verbindungen, insbesondere zwischen<br />

den Kinderkliniken, den Augenkliniken<br />

und den Medizinischen Kliniken beider Städte.<br />

Gemeinsame Forschungsarbeiten, Vorträge<br />

und Veröffentlichungen sind ein Resultat; außerdem<br />

erwuchsen aus der wissenschaftlichen<br />

Kooperation auch freundschaftliche Bande<br />

zwischen polnischen und deutschen Forschern<br />

sowie längerfristige Austausche von Wissenschaftlern<br />

und Studenten.<br />

Im Rahmen der diesjährigen Veranstaltung<br />

(27. bis 29. April) diskutierten die Ärzte und<br />

Wissenschaftler über die medizinischen<br />

Aspekte der Pränatalmedizin, der Versorgung<br />

von Risikoschwangeren, Frühgeborenen und<br />

Säuglingen. Neben Aspekten der Qualitätssicherung<br />

im Rahmen der Versorgungsforschung<br />

wurden aktuelle medizinische<br />

Entwicklungen vorgestellt und Anknüpfungspunkte<br />

für neue kooperative Forschungsaktivitäten<br />

gesucht.<br />

Hervorragende Vorträge von Nachwuchswissenschaftlern<br />

wurden erstmals mit dem von<br />

den Hochschulen gestifteten Seige-Hasik-<br />

Preis ausgezeichnet, der an die »Gründungsväter«<br />

der bilateralen Kontakte erinnert.<br />

Mit einem Besuch des Klosters Petersberg bei<br />

<strong>Halle</strong>, der Teilnahme an einem Gottesdienst<br />

und einem gemeinsamen Abendessen klang<br />

das Symposium aus.<br />

■<br />

Die zwölfjährige Maila aus Afghanistan wurde in der <strong>Universität</strong>sklinik und Poliklinik für Kinderchirurgie<br />

behandelt. Das Mädchen hatte sich in ihrem Heimatland schwer am Arm verletzt. Das <strong>Universität</strong>sklinikum<br />

übernahm die Behandlungskosten. (Foto: <strong>Universität</strong>sklinikum/Kramer)


Vorher – während – und danach ...<br />

<strong>Universität</strong>sklinikum gründet Perinatalzentrum<br />

J ENS MÜLLER<br />

Mehr als 46 000 Kinder wurden seit der Eröffnung des Standorts Kröllwitz im Jahr 1974 im <strong>Universität</strong>sklinikum<br />

<strong>Halle</strong> geboren. 885 Mal brachten Mütter Zwillinge, 43 Mal Drillinge zur Welt.<br />

Jüngst gründete das <strong>Universität</strong>sklinikum deshalb ein Perinatalzentrum. Darin kooperieren nun<br />

– disziplinübergreifend von der Geburtshilfe über die Anästhesie, Kinderchirurgie, Kinderkardiologie<br />

sowie Kinder- und Jugendmedizin bis hin zur Neonatologie (Neugeborenen-Heilkunde)<br />

– elf Kliniken und vier Institute des halleschen <strong>Universität</strong>sklinikums.<br />

Der Vorteil eines solchen Zentrums besteht<br />

darin, dass alle Fächer unter einem Dach angeboten<br />

werden. Das kann beispielsweise bei<br />

einer Risikoschwangerschaft lebensrettend für<br />

ein Kind sein. Rund um die Uhr stehen Ärzte<br />

zur Beratung der Eltern und zur Versorgung<br />

des Neugeborenen zur Verfügung. Müssen<br />

Neu- oder Frühgeborene kinderärztlich behandelt<br />

werden, dann entfällt auch der belastende<br />

Transport.<br />

R ISIKEN MINIMIEREN<br />

Von Vorteil ist das nicht nur bei bekannten<br />

Schwangerschaftsrisiken, sondern auch bei<br />

unvorhergesehenen Problemen. »Für Risikogeburten<br />

ist das <strong>Universität</strong>sklinikum <strong>Halle</strong><br />

das einzige Krankenhaus der Maximalver-<br />

sorgung im südlichen Sachsen-Anhalt«, sagt<br />

der Direktor des Perinatalzentrums, Professor<br />

Dr. Dieter Körholz (siehe scientia halensis<br />

3/06, Seite 42). Der Kontakt zu niedergelassenen<br />

Kolleg(inn)en soll intensiviert werden.<br />

Experten des <strong>Universität</strong>sklinikums können<br />

in Praxen gerufen werden, wenn ein niedergelassener<br />

Arzt wegen des Verdachts auf eine<br />

Fehlbildung des Fötus ein Ultraschallbild begutachten<br />

lassen möchte.<br />

B EI ALLEN PROBLEMEN HELFEN<br />

Auf der neonatologischen Station des <strong>Universität</strong>sklinikums<br />

können unreife Frühgeborene<br />

und schwer erkrankte Neugeborene umfassend<br />

versorgt werden. Hilfe von anderen<br />

Fachrichtungen ist in kürzester Zeit vor Ort<br />

und Stelle. »Wir bieten in fast allen Problemlagen<br />

umfassende und kompetente Hilfe an«,<br />

berichtet Dr. Cerrie Scheler, Direktorin der<br />

<strong>Universität</strong>sklinik und Poliklinik für Geburtshilfe<br />

und Reproduktionsmedizin. So sei<br />

das Perinatalzentrum das »organisatorische<br />

Dach« der unterschiedlichen Fachgebiete. Bereits<br />

vor der Geburt lassen sich beispielsweise<br />

mit Hilfe der Humangenetiker viele Fragen<br />

klären. Die Früherkennung, Diagnostik und<br />

Therapie von Schwangeren mit einem erhöhten<br />

Geburtsrisiko sowie die vorgeburtliche<br />

Am 2. Juli 1985<br />

um 4 Uhr<br />

morgens kam im<br />

<strong>Universität</strong>sklinikum<br />

Kröllwitz als<br />

20 000. Baby Nicole<br />

Wellert zur Welt<br />

(Foto: Zentrale<br />

Fotostelle/Roth)<br />

Fehlbildungsdiagnostik gehören zu den besonderen<br />

Aufgaben des Perinatalzentrums. Ein<br />

Großteil der Geburten im <strong>Universität</strong>sklinikum<br />

<strong>Halle</strong> sind Risikogeburten, dazu gehören<br />

unter anderem Frühchen jeglicher Schwangerschaftswoche,<br />

Mehrlinge, Kinder mit Fehlbildungen<br />

und Schwangere mit bestimmten<br />

Erkrankungen, die eine besondere Versorgung<br />

notwendig machen. »Die Zusammenarbeit der<br />

einzelnen Fachgebiete beginnt bereits vor der<br />

Geburt«, so Dr. Cerrie Scheler. Bei Verdacht<br />

auf Fehlbildungen, mögliche Frühgeburten<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

Logo des neugegründeten Perinalalzentrums<br />

ZUM PERINATALZENTRUM GEHÖREN ...<br />

... die <strong>Universität</strong>skliniken für Kinder-<br />

und Jugendmedizin, Geburtshilfe,<br />

Pädiatrische Kardiologie, Kinder-chirurgie,<br />

Gynäkologie, Diagnostische Radiologie,<br />

Augenheilkunde, Hals-,<br />

Nasen- und Ohrenheilkunde, Anästhesiologie<br />

und operative Intensivmedizin,<br />

Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie,<br />

Neurochirurgie sowie die Institute für<br />

Humangenetik und Medizinische Biologie,<br />

Medizinische Mikrobiologie, Pathologie,<br />

Hygiene und das Zentrum für<br />

Reproduktionsmedizin und Andrologie.<br />

und Risikoschwangerschaften werden die<br />

Spezialisten frühzeitig in die Behandlung<br />

einbezogen.<br />

D IE ROLLE DER FAMILIE<br />

Die Geburtshelferin macht aber auch deutlich,<br />

dass trotz aller intensiven medizinischen<br />

Behandlung die familienfreundliche Geburt<br />

im Vordergrund stehe. Das Perinatalzentrum<br />

offeriere dazu verschiedene Angebote wie<br />

die Mitaufnahme des Vaters, das Familienzimmer,<br />

geburtsvorbereitende Kurse, die<br />

Geschwisterschule, Akupunktur und Homöopathie.<br />

■<br />

Jens Müller,<br />

Jahrgang 1973, studierte Geschichte,<br />

Politik und Soziologie. Nach einem Volontariat<br />

arbeitete er als Wirtschaftsredakteur<br />

bei der Thüringischen Landeszeitung. Seit<br />

2005 ist er Mitarbeiter des <strong>Universität</strong>sklinikums<br />

<strong>Halle</strong> und arbeitet als Pressesprecher<br />

für Klinikum und Medizinische<br />

Fakultät.<br />

Telefon: 0345 55-71032,<br />

E-Mail: jens.mueller@medizin.uni-halle.de<br />

25<br />

M EDIZINISCHE FAKULTÄT & UNIVERSITÄTSKLINIKUM


26<br />

F ORSCHUNG<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

Unangefochten Spitze<br />

Von den erfolgreichsten Wesen der Welt<br />

G ERALD MORITZ<br />

Auf der Dreiländertagung der Deutschen Gesellschaft für allgemeine und angewandte Entomologie<br />

(DGaaE), der Schweizerischen Entomologischen (SEG) und der Österreichischen Entomologischen<br />

Gesellschaft Ende Februar dieses Jahres in Innsbruck wurde der Verfasser des Beitrags<br />

dank des Vertrauens der fast eintausend Mitglieder zählenden Gesellschaft erneut (erstmals<br />

bei der Entomologen-Tagung in <strong>Halle</strong> vor vier Jahren, siehe <strong>Universität</strong>szeitung April 2003,<br />

Seite 3) zum Präsidenten gewählt. Über 350 Teilnehmer waren zu dieser Tagung nach <strong>Halle</strong><br />

gekommen. Bereits in der Eröffnungsrede des alten und neuen Präsidenten wurden die herausragende<br />

Bedeutung der Insekten im Kreislauf der Natur und ihr Einfluss auf den Menschen und<br />

seine Kultur herausgestellt.<br />

Die Insekten sind die erfolgreichsten Kreaturen<br />

auf der Erde und machen mehr als die<br />

Hälfte aller Arten aus. Sie sind hochgradig<br />

adaptiv und erobern so gut wie alle Lebensräume.<br />

Insekten sind nützlich, sie kontrollieren<br />

die Vegetation der Erde und stabilisieren<br />

ein Millionen Jahre altes Gleichgewicht und<br />

dienen so dem Stoffkreislauf der Erde. Als<br />

wichtigste Bestäuber sorgen sie darüber hinaus<br />

für den Fortbestand und die Vermehrung<br />

zahlreicher höherer Pfl anzen. Diese Eigenschaft<br />

kann gar nicht hoch genug geschätzt<br />

werden – sichern die Insekten doch indirekt<br />

damit den Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre<br />

und ein Drittel der Weltnahrung.<br />

Außerdem stellen Insekten eine wertvolle<br />

Quelle für neue medizinische Wirkstoffe dar<br />

und produzieren eine Reihe sehr interessanter<br />

chemischer Substanzen, die als Antibiotika,<br />

Fungizide oder Cytostatika (oftmals chemotherapeutisch<br />

eingesetzte Substanzen gegen<br />

Krebs, da sie Zellwachstum und vor allem<br />

Zellteilung hemmen) wirken oder der Bioluminiszenz<br />

(die Fähigkeit, mit Hilfe von Symbionten<br />

Licht zu erzeugen) dienen können.<br />

»Nebenbei« helfen ihre Gene, die menschliche<br />

Genese zu entschlüsseln und zu verstehen.<br />

Insekten sind aber auch Glieder in der Nahrungskette<br />

zahlreicher Organismen und<br />

folglich für deren Fortbestand unverzichtbar.<br />

Globale Klimaveränderungen führen zu Ver-<br />

Kopf einer Drohne der Honigbiene<br />

(Fotos [3]: Gerald Moritz)<br />

Forschungsprojekte der halleschen<br />

Entomologen ...<br />

... beschäftigen sich mit der Honigbiene (Prof. Dr.<br />

Robin Moritz – siehe scientia halensis 1/06, Seite<br />

28/29: »Anarchie im Bienenstaat. ›Capensis Kalamität‹<br />

beeinträchtigt Imkerei im Norden Südafrikas«),<br />

mit Wanderheuschrecken (Prof. Dr. Hans- Jörg Ferenz<br />

– siehe scientia halensis 1/06, Seite 13/14: »Vater<br />

werden ist recht schwer ... Zur Paarungsstrategie von<br />

Wanderheuschrecken«) und mit Fransenflüglern (Prof.<br />

Dr. Gerald Moritz – siehe scientia halensis 1/06,<br />

Seite 17/18: »Thripse – Globetrotter im Auftrag des<br />

Bösen. Weltweiter Pflanzentransfer begünstigt der<br />

Verbreitung von Viren«).<br />

änderungen der Flora und damit zu massiven<br />

Veränderungen der Fauna. Gerade nach einem<br />

sehr warmen Sommer – wie er uns wieder<br />

bevorzustehen scheint – und einem so milden<br />

Winter, wie es der vergangene war, ist<br />

das Verhalten und vermutlich massenhafte<br />

Auftreten von Mücken, Wespen oder Fliegenpopulationen<br />

von größtem Interesse: Lokale,<br />

bislang unbedeutende Arten erlangen einen<br />

hohen phyto-, zoo- oder humanpathologischen<br />

Status oder das Auftreten neuer, invasiver<br />

Arten führt zu nicht kalkulierbaren Konsequenzen.<br />

Die unmittelbaren Folgen sind häu-<br />

Kopf einer Wanderheuschrecke<br />

(Foto: Hans-Jörg Ferenz)<br />

Fransenflügler infizieren zahlreiche Pflanzen mit<br />

Viren, die oftmals eine Vermarktung des Finalprodukts<br />

verhindern. Ein kalifornischer Farmer zeigt<br />

dies eindrucksvoll an Paprikaschoten, die mit<br />

Tospoviren infiziert sind.<br />

fi g sehr ernstzunehmende Erkrankungen von<br />

Pfl anzen, Tieren und Menschen.<br />

Mit modern hergestellten Insektiziden versucht<br />

man diese Bedrohungen zu dämmen,<br />

wobei aufgrund der enormen Anpassungsfähigkeit<br />

und des Reproduktionserfolges der<br />

Insekten ein nicht endender Wettlauf begonnen<br />

hat, in dem uns die Insekten immer einen<br />

Schritt voraus sind.<br />

Milliarden von Insekten – kleiner als ein Pantoffeltierchen<br />

oder fast so groß wie ein Handball<br />

– verkörpern über Millionen von Jahren<br />

optimale Lösungen für das Problem Leben.<br />

Mit welcher Euphorie hofft man schon heute<br />

darauf, eines Tages einige Arten Lösungen<br />

im Kampf gegen Allergien, Krebs oder Viren<br />

präsentieren zu können!<br />

Fünf Fachkollegien der DFG,<br />

in denen die DGaaE seit <strong>2007</strong><br />

das Vorschlagsrecht ausüben kann:<br />

201-03 Spezielle Zoologie, Morphologie<br />

203-02 Evolution, Biodiversität, Anthropologie<br />

203-05 Ökologie der Tiere und Ökosystemforschung<br />

207-04 Ökologie von Agrarlandschaften<br />

207-06 Phytomedizin<br />

Die Biowissenschaften lassen in diesem Jahrhundert<br />

aus ihrem strukturell-funktionellen<br />

Kontext und dem Wissen aus Genetik und<br />

Molekularbiologie revolutionäre Entwicklungen<br />

erwarten. Die Menschen werden begreifen<br />

müssen, dass das Spektrum des wissenschaftlichen<br />

Fortschritts sich wandelt und dass die<br />

Entomologie in diesem Wandel einen festen<br />

Platz einnimmt. Das zeigt sich klar auch darin,<br />

dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft<br />

ab <strong>2007</strong> der DGaaE das Vorschlagsrecht für<br />

DFG-Gutachter in nunmehr fünf Fachkollegien<br />

einräumt.<br />

■<br />

rechte Seite: Kopf und Thorax eines nur 2 mm<br />

großen Fransenflüglers (Echinothrips americanus)


SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

F ORSCHUNG<br />

Prof. Dr. Gerald Moritz,<br />

Jahrgang 1954, studierte 1974–1978<br />

Chemie und Biologie an der Hochschule<br />

Köthen. Dort lehrte und forschte er bis<br />

1986 (Promotion [Zoologie] 1981)<br />

und wechselte dann an die <strong>Universität</strong><br />

Potsdam, Bereich Zoologie (Habilitation<br />

1991). 1994 wurde er zum Professor für<br />

Entwicklungsbiologie an das Institut für<br />

Biologie – Bereich Entwicklungsbiologie<br />

– der MLU berufen. Seine Forschungsschwerpunkte<br />

liegen im Bereich der Entomologie. Seit 2003 ist er<br />

Präsident der DGaaE. Telefon: 0345 55-26430,<br />

E-Mail: gerald.moritz@zoologie.uni-halle.de<br />

27


28<br />

» S T URM-KULTUR«<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

Die neue (alte) »sTurmkultur«<br />

Zurück zu den Wurzeln der Studentenklubs<br />

P AOLO SCHUBERT<br />

Jahrzehntelang galt der hallesche »Turm« (der Moritzburg) als Mittelpunkt studentischen Lebens.<br />

Bis 1989 sorgte ein reichhaltiges Veranstaltungsangebot für die Befriedigung kultureller<br />

Bedürfnisse – eine Entwicklung, die sich nicht fortsetzte. Zwischen Insolvenzen und Betreiberwechseln<br />

traten im traditionsreichsten Studentenclub der Stadt zunehmend kommerzielle Ziele<br />

in den Vordergrund. Mainstream hieß plötzlich das Zauberwort: Flyer und Imagekampagnen<br />

proklamierten harte Beats statt geistigen Anspruch. Und so manch einer fragte sich: Ist studentische<br />

Kultur noch zeitgemäß? Dass nicht alle Studierenden damit einverstanden sind, zeigt das<br />

Engagement der studentischen Turmkultur. Ihre Mitglieder bemühen sich seit nun einem Jahr,<br />

mit Förderprogrammen und innovativen Ideen an alte Traditionen anzuknüpfen – mit Erfolg!<br />

Singeklub in den 80er Jahren; Foto unten: Barpersonal zur Eröffnung des »Turms« (Fotos [3]: Turm <strong>Halle</strong>)<br />

Den Initiatoren des sTurmkultur-Vereins ist<br />

vor allem eines wichtig: Studierende sollen<br />

wieder an der Programmgestaltung des Turms<br />

mitwirken können. »Der einst beliebte Studentenklub<br />

ist zu einer normalen Partylocation<br />

verkommen. Deshalb möchten wir abseits<br />

von Studentenpartys kulturell anspruchsvolle<br />

Angebote neu aufl eben lassen. Von einem<br />

facettenreichen Programm profi tieren dann<br />

nicht nur die Besucher, sondern auch die Betreiber.<br />

Es würde vor allem neues Publikum<br />

anlocken; potenzielle Stammgäste, die den<br />

Turm als Hort der halleschen Studentenszene<br />

wieder schätzen lernen«, erklärt Jan Wioland,<br />

einer der Gründer des Projekts.<br />

Die letzten Jahre scheinen Wioland Recht zu<br />

geben. Seit 2000 wurden fast ausschließlich<br />

kommerzielle Club-Veranstaltungen aus dem<br />

Dance- und Black Music-Spektrum angeboten.<br />

Die Betreiber orientierten sich zunehmend<br />

an den Bedürfnissen des typischen Partyvolks<br />

– die Turm-Tradition, die bis in die siebziger<br />

Jahre reicht, blieb auf der Strecke; die Besucherzahlen<br />

gingen stetig zurück.<br />

F ACETTENREICHES STUDENTENENGAGEMENT<br />

Anfang 2006 pachtete die Turm Event GmbH<br />

den Gebäudekomplex; mit Ulf Böttcher fand<br />

sie einen Geschäftsführer, der als Klubleiter<br />

auf eine lange »Turm-Karriere« zurückblicken<br />

kann. Die Gruppe um Wioland, die sich im<br />

letzten Jahr zur gleichen Zeit gründete, wollte<br />

den neuen Eigentümer erst einmal Fuß fassen<br />

lassen. »Wir hatten bis zu diesem Zeitpunkt<br />

ständig neue Ansprechpartner und mussten<br />

uns bei jeder Anfrage auf neue Ansichten<br />

und Vorhaben einstellen. Wir haben auf Zeit<br />

gespielt. Denn natürlich geht es auch immer<br />

um Wirtschaftlichkeit – das Geschäft muss<br />

ja erst einmal anlaufen, bevor man mit neuen<br />

Programmen experimentieren kann«, erinnert<br />

sich Wioland.<br />

Umso erstaunter sei man gewesen, als sich<br />

Böttcher und einige andere von Turm Event<br />

bereits nach wenigen Monaten bei Studierendenvertretern<br />

der MLU vorstellten und ihr<br />

Konzept zum Aufbau einer neuen Plattform<br />

für studentisches Leben präsentierten. »Die<br />

Beteiligten merkten schnell, dass sie gemeinsame<br />

Ziele verfolgen, und die Gespräche<br />

Zum 25-jährigen Jubiläum erschien die Publikation<br />

»25 Jahre Studentenklub ›Turm‹ <strong>Halle</strong>/Saale<br />

1973–1989«. Darin gibt Kurt Fricke einen Überblick<br />

über Geschehnisse des Studentenklubs von der<br />

Gründungszeit bis hin zu den Wendejahren. Das<br />

Heft kann in der ULB unter der Signatur 96 B 1324,<br />

Kapsel (33) eingesehen werden.<br />

mündeten letztendlich in eine gemeinsame<br />

Vereinbarung.« Konkret: Günstige Mietvereinbarungen,<br />

außerfi nanzielle Unterstützung<br />

bei der Organisation von Partys und anderen<br />

Veranstaltungen, Werbung, Berücksichtigungen<br />

von Terminen bei der Programmplanung<br />

des Turms und im Programmheft.<br />

Die Vereinsmitglieder nutzten die Chance und<br />

initiierten binnen weniger Monate, auch in<br />

Kooperation mit anderen studentischen Gruppen<br />

und Veranstaltern, die ersten Projekte.<br />

Dass es nicht immer Großveranstaltungen sein<br />

müssen, zeigt das Beispiel des Sommerfestes<br />

der Germanisten im Juli 2006. »Die Studierenden<br />

wollten im Rahmen ihres Studiums<br />

ein Sprechtheater organisieren. Da ihr Institut<br />

über keine geeigneten Räumlichkeiten verfügte,<br />

haben wir das Vorhaben zusammen mit<br />

dem noch ausstehenden Sommerfest des Instituts<br />

in den Turm verlegt.« sTurmkultur habe<br />

sich um einen günstigen Mietpreis bemüht<br />

und auch bei Materialen ausgeholfen.


Scheibenfleisch Liveact: King of Nothing heizte den Gästen ein ...<br />

S CHEIBENFLEISCH – HANDGEMACHTER ROCK<br />

Ähnliche Absprachen traf das Team von<br />

sTurmkultur mit dem im Dezember 2006<br />

gegründeten Verein Halternative e. V., der<br />

das studentische Leben in <strong>Halle</strong> verbessern<br />

und zur kulturellen Vielfalt beitragen will.<br />

Dazu zählte die Entwicklung eines neuen<br />

Veranstaltungskonzeptes: eine Party für wenig<br />

Geld, die als »Scheibenfl eisch« bald in die<br />

halleschen Veranstaltungskalender einzog.<br />

Über Gästemangel bei dem regelmäßig stattfi<br />

ndenden Event können die Veranstalter nicht<br />

klagen; allein zum Start am 19. Januar <strong>2007</strong><br />

kamen über 1000 Besucher – Traumzahlen<br />

für die Turm-Organisatoren.<br />

Diesen Erfolg sieht Tobias Glufke, Vorstandsmitglied<br />

von Halternative und Vereinsmitglied<br />

bei sTurmkultur, vor allem im alternativen<br />

Konzept begründet. »Wir bieten mehr als<br />

eine einfache Party. Wir bieten ein Programm.<br />

Unsere Gäste können sich beispielsweise<br />

an einem Luftgitarren-Contest und an einer<br />

Rock-Karaoke beteiligen; Programmpunkte,<br />

die durchaus sehr beliebt sind. Außerdem<br />

spielt eine Band – das sorgt für viel Abwechslung«,<br />

meint der BWL-Student. Einen anderen<br />

Grund für den hohen Zuspruch sieht er in der<br />

Musikauswahl. »Scheibenfl eisch bedeutet<br />

Rock, Alternative und Independent. Wir verzichten<br />

weitestgehend auf die typische Partymusik,<br />

die man auch in <strong>Halle</strong> an allen Ecken<br />

und Enden zu hören bekommt.«<br />

»FDJ-Studentenklub Moritzburg der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg,<br />

gebaut zu Ehren der X. Weltfestspiele«<br />

(Aufschrift der Erinnerungstafel – 12 Stunden nach der Eröffnung vom ersten Klubleiter Konrad Potthoff enthüllt)<br />

Zu Beginn der siebziger Jahre baute die Freie Deutsche Jugend (FDJ) in vielen Städten der DDR Studentenklubs auf.<br />

Nachdem der Bauernklub in der Ludwig-Wucherer-Straße als erster hallescher Klub im Oktober 1972 eröffnet wurde,<br />

folgte am 6. Juli 1973 der Studentenklub Moritzburg, der bald als »Turm« die zentrale Rolle als geistig-kulturelles Zentrum<br />

des studentischen und studentenpolitischen Lebens einnahm. Kleinere Sektionsklubs, die sich vor allem in der Nähe<br />

zu den Wohnheimen über das gesamte Stadtgebiet verteilten, verzeichneten jedoch nicht weniger Zulauf.<br />

Die erste Blütezeit erlebte der Turm bereits in den Anfangsjahren. Sein anspruchsvolles Programm –neben den schon<br />

damals beliebten Diskoveranstaltungen ein reichhaltiges kulturelles Angebot aus Jazz- und Theater-Abenden, Kabarett<br />

und Lesungen – zog über viele Jahre das Interesse der Öffentlichkeit auf sich.<br />

Durch ihre Quasi-Monopolstellung profitierte die Einrichtung als Organisator und Veranstalter von Tanzabenden und Konzerten<br />

von der zentralen städtischen bzw. universitätsnahen Lage. Eine weitere Besonderheit war die rechtliche Stellung<br />

des Klubs. Als universitätseigene Einrichtung durfte der Klub länger öffnen als andere gastronomische Einrichtungen;<br />

auch Nicht-Studierende, für die eine kleinere Menge an Eintrittskarten zur Verfügung stand, durften an den nicht-öffentlichen<br />

Turm-Veranstaltungen teilnehmen. Erst in den 80er Jahren änderte sich die öffentliche Wahrnehmung stark.<br />

1988 beklagte Klubchef Ulf Herden in der <strong>Universität</strong>szeitung, dass der enorme Aufwand, den die Turm-Mitglieder in die<br />

Aufrechterhaltung des Klublebens investierten, immer weniger Berücksichtigung und Anerkennung finde und zunehmend<br />

aus dem Blickwinkel der Öffentlichkeit gerate. Die Gründe für diese Entwicklung sahen viele sowohl in der mangelhaften<br />

Beurteilung und Kommunikation seitens der universitären Verantwortlichen als auch in der Tatsache, dass die Verantwortlichen<br />

der Turm hauptsächlich als Vergnügungsort wahrnahmen und die kulturellen Angebote kaum beachten. Trotz seiner<br />

festen Einbindung in die Struktur der Freien Deutschen Jugend – die Studentenklubs der FDJ sollten zur sozialistischen<br />

Persönlichkeitsentwicklung beitragen – öffnete der Turm zur politischen Wende 1989 seine Türen, um den unterschiedlichen<br />

Interessengruppen Platz für freien Gedankenaustausch zu bieten. Jedoch kann dies nicht darüber hinwegtäuschen,<br />

dass die Beobachtung des Turmleben durch die Staatssicherheit – einige der Klubleiter erklärten sich bereit, als informelle<br />

Mitarbeiter des MfS zu arbeiten – unabhängige Diskussionen und Veranstaltungsplanungen nur eingeschränkt<br />

ermöglichte und die Bildung einer studentischen Opposition nie zuließ.<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

P OETRY SLAM – UM DIE WETTE SELBER SCHREIBEN<br />

Eine ganz andere Facette studentischer Kultur<br />

verdeutlicht Glufke am monatlichen Literaturwettbewerb<br />

Poetry Slam. Die Idee: Lesungen<br />

organisieren, bei denen neben Studierenden<br />

auch Nicht-Studenten zu Wort kommen können.<br />

»In einer Stadt mit hoher Arbeitslosigkeit<br />

und anderen sozialen Problemen soll Poetry<br />

Slam als Forum dienen, um Menschen zusammenzubringen<br />

und ihr Selbstbewusstsein<br />

zu stärken«, erklärt Glufke weiter. Deshalb<br />

wünsche sich der Halternative-Vorstand vor<br />

allem kreative Köpfe aus dem sozial schwachen<br />

Umfeld. Literatur als Sprachrohr – so<br />

verstehen es die Projektbeteiligten. Zu den<br />

ersten Veranstaltungen im April und im Mai<br />

kamen fast 180 Besucher, um die Werke der<br />

Teils hochkarätigen Teilnehmer zu hören.<br />

Denn angekündigt waren neben Amateuren<br />

und Newcomern auch Prominente wie Nadja<br />

Schlüter, die bereits bei der Poetry Slam-Variante<br />

im WDR erfolgreich war sowie Maren<br />

Kames, die im Mai <strong>2007</strong> das Leipziger Poetry<br />

Slam gewann.<br />

Weitere Informationen:<br />

http://www.halternativ-verein.de/<br />

http://www.turm-halle.de<br />

http://www.sturmkultur.de<br />

(Seite noch im Aufbau)<br />

Nicht jede(r) muss sich mit professionellen<br />

Slam’ern an die Meßlatte stellen. In der Rubrik<br />

Open Mic können sie ohne Jury-Bewertung<br />

dem Publikum eigene Texte vorstellen.<br />

»Uns ist dieser Programmpunkt sehr wichtig«,<br />

meint Glufke. Vielen ginge es einfach darum,<br />

mit ihren Texten etwas auszusagen; die Platzierung<br />

spiele für sie keine Rolle.«<br />

Die Zeit nach der Sommerpause soll mit<br />

einem Poetry Slam im Großformat beginnen.<br />

»Wir wollen bis August ein Slam Open<br />

Air auf die Beine stellen. Im Turm wird die<br />

Slam-Elite aus Deutschland und der Schweiz<br />

aufeinandertreffen. Außerdem stehen wir<br />

derzeit im Gespräch mit mehreren Cafes und<br />

Kneipen der Innenstadt. Hier sollen dann bis<br />

in die Nacht hinein kleinere Literaturkämpfe<br />

ausgetragen werden.« Dafür benötige Halternative<br />

weitere Unterstützung. Die studentische<br />

sTurmkultur habe Hilfe bereits fest zugesagt.<br />

Und Wioland fügt hinzu: »Wir hoffen, dass es<br />

nicht die einzigen durch Studenten organisierten<br />

Veranstaltungen bleiben ...«<br />

■<br />

Paolo Schubert,<br />

Jahrgang 1980, studiert seit 2001<br />

Diplom-Politikwissenschaft und schreibt<br />

seit 2000 für verschidene Tageszeitungen<br />

und Jugendmagazine. Seit Anfang 2006<br />

ist er als studentische Hilfskraft in der<br />

Abteilung Öffentlichkeitsarbeit/Veranstaltungsmanagement<br />

beschäftigt.<br />

Telefon: 0171 8393278, E-Mail: paolo.<br />

schubert@verwaltung.uni-halle.de<br />

29<br />

» S T URM-KULTUR«


30<br />

A LUMNI HALENSES<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

Uni ohne Ende ...<br />

Alumni & Absolvent(inn)en der Mathematik und Informatik<br />

J ÜRGEN BRUDER UND STEFAN BRASS<br />

Das Mathematikstudium hat seit Jahrzehnten einen festen Platz an der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong><br />

<strong>Halle</strong>-Wittenberg, Informatiker(innen) werden seit Anfang der 90er Jahre ausgebildet. Die meisten<br />

Absolvent(inn)en erinnern sich gern an die Studienzeit, das alte Institut und die Lehrenden<br />

mit ihren Stärken und Schwächen. Oft gibt es noch persönliche Kontakte zur eigenen Seminargruppe<br />

oder zum alten Jahrgang.<br />

1998 wurde die Georg-Cantor-Vereinigung<br />

(siehe unten) als Förderverein des Fachbereichs<br />

Mathematik und Informatik gegründet.<br />

Erklärtes Ziel: Lehre und Forschung an den<br />

DIE »CANTORIANER(INNEN)« SUCHEN NEUE FREUNDE<br />

Instituten für Mathematik und für Informatik<br />

zu fördern und die Verbundenheit der<br />

Mitglieder mit dem damaligen Fachbereich<br />

pfl egen. Seitdem gehören u. a. jedes Jahr zwei<br />

Veranstaltungen zur Arbeit des Fördervereins:<br />

die Verabschiedung der Absolvent(inn)en der<br />

Institute für Mathematik und für Informatik<br />

(gemeinsam mit der Fachschaft) und die Treffen<br />

von Altabsolvent(inn)en verschiedener<br />

Jahrgänge.<br />

A KTIVITÄTEN DES FÖRDERVEREINS<br />

Die Verabschiedungen – mit Fachvorträgen<br />

von Altabsolvent(inn)en und Erinnerungsmappen<br />

für alle Absolvent(inn)en – sind sehr<br />

beliebt. Sponsoren stellen Preise für die Besten<br />

zur Verfügung.<br />

Aufwendiger ist die Vorbereitung der Altabsolvententreffen,<br />

da die Kontakte zur Uni oft<br />

vor Jahrzehnten abgerissen sind. Trotzdem<br />

gelang es im Laufe der Jahre, etwa die Hälfte<br />

der Absolvent(inn)en ausfi ndig zu machen und<br />

jeweils in Gruppen von fünf oder zehn Jahrgängen<br />

zu Treffen einzuladen. Auf dem Programm<br />

stehen die Vorstellung des derzeitigen<br />

Instituts für Mathematik, ein fachlicher Vortrag<br />

eines der Eingeladenen, Stadtrundgänge,<br />

eine Führung der Kustodie zur Geschichte der<br />

<strong>Universität</strong>, durch das Löwengebäude mit der<br />

restaurierten Aula und dem historischem Hörsaal,<br />

oft auch durch aktuelle Ausstellungen.<br />

Die Georg-Cantor-Vereinigung der Freunde und Förderer von Mathematik und Informatik an der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong><br />

<strong>Halle</strong>-Wittenberg e. V. wurde 1998 gegründet. Neben der Alumni-Arbeit unterstützt sie Schüler- und Studentenprojekte,<br />

Seminare und Workshops, ermöglicht Studierenden die Teilnahme an Konferenzen und fördert wissenschaftliche Veranstaltungen.<br />

Einen Schwerpunkt bilden Erforschung und Bewahrung der Geschichte der mathematischen Ausbildung und Forschung<br />

in <strong>Halle</strong>. So wurden 2006 Beiträge für das Programmheft der in <strong>Halle</strong> uraufgeführten Oper »Cantor – die Vermessung des<br />

Unendlichen« geschrieben. Im gleichen Jahr kooperierte Frau Prof. Dr. Karin Richter mit einem BBC-Team bei Dreharbeiten an<br />

den historischen Stätten in <strong>Halle</strong> für eine einstündige Dokumentation über Georg Cantor. Einige der Arbeiten zur Geschichte<br />

der Mathematik in Forschung und Lehre an der MLU erscheinen im »Georg-Cantor-Heft«, der seit 1999 jährlich herausgegebenen<br />

Mitgliederzeitschrift. Daneben enthalten die Hefte aktuelle Beiträge von bzw. für Studierende und Absolvent(inn)en<br />

zu wechselnden Themen aus Mathematik und Informatik. Es ist eine gute Tradition, auch herausragende Abschlussarbeiten<br />

oder Dissertationen in den Cantor-Heften vorzustellen. Während die Preise für die Besten dankenswerterweise von Sponsoren<br />

finanziert werden, trägt sich die Förderung anderer Aktivitäten des Fördervereins vor allem durch Spenden und Beiträge von<br />

Mitgliedern und Nichtmitgliedern. Deshalb ist jede Hilfe durch Spenden, Mitgliedschaft oder ehrenamtliche Mitarbeit willkommen.<br />

Alle wichtigen Informationen (Satzung, Formulare usw.) finden sich im Internet unter<br />

http://www.mathematik.uni-halle.de/~cantorev<br />

B LEIBENDES FÜR »EHEMALIGE«<br />

Einige Jahrgänge treffen sich seit dem Studium<br />

regelmäßig, für andere ist es das erste Wiedersehen<br />

nach vielen Jahren, so dass neben<br />

dem Programm die persönliche Begegnung,<br />

der Austausch von Erinnerungen und die vielfältigen<br />

berufl ichen Wege nach dem Studium<br />

für bleibende Eindrücke sorgen. Als Termin<br />

hat sich der Samstag nach der »Langen Nacht<br />

der Wissenschaft« bewährt, damit sich die<br />

»Ehemaligen« am Vorabend über das aktuelle<br />

Geschehen an der Uni und an den beiden Instituten<br />

informieren können.<br />

Prof. Dr. Stefan Braß,<br />

Jahrgang 1964, studierte 1983–1988<br />

Informatik an der TU Braunschweig,<br />

anschließend lehrte und forschte er bis<br />

1998 an den <strong>Universität</strong>en Dortmund<br />

und Hannover (Promotion 1992, Habilitation<br />

1997). 1998–2000 wirkte er<br />

als Assistent Professor an der University<br />

of Pittsburgh (USA). Nach Lehrtätigkeit<br />

an der <strong>Universität</strong> Gießen und an der<br />

TU Clausthal<br />

folgte er 2003 dem Ruf an die <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong>.<br />

Telefon: 0345 55-24740, E-Mail: stefan.brass@informatik.uni-halle.de<br />

Absolvent(inn)en im historischen Löwengebäude der<br />

<strong>Universität</strong> (Foto: Jörg Gersonde)<br />

Diese Veranstaltungen stellen nur einen<br />

ersten Schritt dar, um das Potenzial der<br />

Absolvent(inn)en für die Arbeit der Institute<br />

zu nutzen. Ebenso wünschenswert wäre es,<br />

Studierende von Beginn des Studiums an mit<br />

konkreten Angeboten und Kontakten zu unterstützen<br />

oder Absolvent(inn)en nach dem Studium<br />

durch Weiterbildungen und Vortragsangebote<br />

mit aktuellen fachlichen Entwicklungen<br />

bekannt zu machen. Noch aber scheitern<br />

solche Ideen an fehlenden Kapazitäten.<br />

S TUDENT( INN) EN PRO ALUMNI<br />

Derzeit entwickeln Student(inn)en der Informatik<br />

im Rahmen eines Praktikums eine<br />

Datenbank mit Schnittstelle zum Internet,<br />

die zum einen die Kontaktmöglichkeiten mit<br />

und zwischen Absolvent(inn)en erweitern<br />

und zum anderen organisatorische Abläufe<br />

(Vorbereitung von Absolvententreffen und<br />

Vereinssitzungen) der Georg-Cantor-Vereinigung<br />

vereinfachen wird. Studierende und<br />

Absolvent(inn)en sollen gleichermaßen Zugang<br />

haben, um Studentinnen und Studenten<br />

frühzeitig einzubinden. Nutzer der Datenbank<br />

können Interessenprofi le hinterlegen, über die<br />

sich etwa Vortragende oder Teilnehmer(innen)<br />

für Weiterbildungsveranstaltungen fi nden oder<br />

Kontakte zu interessierten Firmen herstellen<br />

lassen. Diese Datenbank kann später natürlich<br />

auch von anderen Instituten und Fakultäten<br />

genutzt werden.<br />

■<br />

Dr. Jürgen Bruder,<br />

Jahrgang 1958, studierte 1978–1983<br />

Mathematik an der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<br />

<strong>Universität</strong>, 1983–1989 folgten ein<br />

Forschungsstudium und Tätigkeit als<br />

wissenschaftlicher Mitarbeiter ebenda<br />

(Promotion 1986). Seit 1989 ist er<br />

wissenschaftlicher Mitarbeiter, bis 1993<br />

an der PH <strong>Halle</strong>-Köthen, seitdem durch<br />

deren Fusionmit der MLU an der<br />

halleschen <strong>Universität</strong>.<br />

Telefon: 0345 55-24663,<br />

E-Mail: juergen.bruder@mathematik.uni-halle.de


25 Fragen an<br />

Armenuhi Drost-Abgarjan<br />

Verbales Porträt einer Zeitgenossin<br />

Unzählige Varianten des Fragebogens, der durch die Antworten von Marcel Proust<br />

(http://www.lauramars.de/gruppe-m/proust2000.html) so berühmt geworden ist, sind in den<br />

Medien (FAZ, Forschung & Lehre, UNICUM etc.) zu finden.<br />

scientia halensis spielt mit. Diesmal ist unsere Match-Partnerin die Privatdozentin Frau Dr.<br />

Armenuhi Drost-Abgarjan vom Orientalischen Institut der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong>:<br />

1. Warum sind Sie in <strong>Halle</strong> und nicht anderswo?<br />

Weil <strong>Halle</strong> die einzige Stadt ist, in der ich<br />

meinen Beruf in einem einzigartigen Kontext<br />

und mit optimaler Infrastruktur ausüben<br />

kann. Und weil ich hier meinen Mann kennengelernt<br />

habe.<br />

2. Wenn nicht Armenologin, was wären Sie dann<br />

geworden?<br />

Immer wieder Armenologin.<br />

3. Was war an Ihrer Studienzeit am besten?<br />

Der Stand der Allgemeinbildung.<br />

4. Welchen Rat fürs Leben geben Sie Studierenden<br />

und Absolvent(inn)en heute?<br />

Vertrauen in die Zukunft.<br />

5. Welchen Rat fürs Überleben geben Sie<br />

Kolleg(inn)en?<br />

Nie aufgeben.<br />

6. Wenn Sie Rektorin einer <strong>Universität</strong> wären,<br />

was würden Sie als erstes tun?<br />

Lehre und Forschung von Management entlasten.<br />

7. Wenn Sie Forschungsministerin eines Landes<br />

wären, was würden Sie niemals tun?<br />

Natur- und Geisteswissenschaften mit den<br />

gleichen Kriterien messen.<br />

8. Was ist für Sie die erste Aufgabe der Wissenschaft?<br />

Die Menschheit näher an die Verwirklichung<br />

ihrer Ideale und Visionen heranzuführen.<br />

9. Was haben Intelligenz und Menschlichkeit<br />

miteinander zu tun?<br />

Je nachdem, wie man die Intelligenz<br />

definiert ...<br />

10. Wie schätzen Sie das Verhältnis zwischen<br />

Mensch und Technik ein?<br />

Zwiespältig: faszinierend, aber auch<br />

bedrohlich.<br />

11. Worüber ärgern Sie sich am meisten?<br />

Über die Unkollegialität und Unfairness in<br />

zwischenmenschlichen Beziehungen.<br />

12. Worauf freuen Sie sich gerade jetzt?<br />

Auf das Abitur meiner Söhne.<br />

13. Was macht Sie schwach?<br />

Vertrauensbruch. Hilflosigkeit vor Gewalt<br />

und Sturheit.<br />

14. Wo sehen Sie Ihre Stärken?<br />

In der Vermittlung zwischen den Menschen<br />

und Kulturen.<br />

15. Was erwarten Sie von der Zukunft?<br />

Dass bei wichtigen Entscheidungen für die<br />

Gesellschaft nicht immer finanzielle Aspekte<br />

im Vordergrund stehen.<br />

16. Warum muss jeder Mensch an etwas glauben?<br />

Darin sehe ich den Sinn des Lebens.<br />

17. Welchen bedeutenden Menschen unserer Zeit<br />

hätten Sie gern als Gesprächspartner?<br />

Als Altphilologin wäre ich geneigt, Gesprächspartner<br />

bei den nicht mehr unter uns<br />

Weilenden zu suchen.<br />

18. Wer war oder ist für Sie der wichtigste<br />

Mensch in Ihrem Leben?<br />

Mein Vater.<br />

19. Welchen Ort der Welt möchten Sie unbedingt<br />

kennen lernen?<br />

Görlitz.<br />

20. Womit verbringen Sie Ihre Freizeit am<br />

liebsten?<br />

Wenn ich sie hätte, würde ich reisen und neue<br />

Sprachen lernen.<br />

21. Was wären Ihre drei Bücher für die Insel?<br />

Ein Philosophie-, ein Poesie-, ein Fachbuch.<br />

22. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten ...?<br />

.. . würde ich um die Eintragung des letzten<br />

Seminars für die Sprachen und Kulturen des<br />

Christlichen Orients im deutschsprachigen<br />

Raum an unserer <strong>Universität</strong> in das »Rote<br />

Buch« bitten, damit diese bedrohte seltene<br />

und exzellente Wissenschaftskultur der wissenschaftlichen<br />

Landschaft Zentraleuropas<br />

bewahrt bleibt und nicht Sparmaßnahmen<br />

zum Opfer fällt.<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

AUS DER VITA:<br />

Geboren 1955 in Jerewan; Studium der<br />

Armenologie, Klassischen Philologie und<br />

Byzantinistik in Jerewan und Moskau; Promotion<br />

1984 in Moskau und Tbilissi; 1985<br />

Übersiedlung nach Deutschland; seitdem<br />

wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut<br />

für Orientalistik der MLU;<br />

2003 Habilitation in <strong>Halle</strong>; Forschungsschwerpunkt:<br />

komparative Studien zur<br />

Geschichte der armenischen Literatur im<br />

Kontext der Sprachen und Literaturen<br />

des Christlichen Orients und von Byzanz;<br />

Initiatorin mehrerer interdisziplinärer und<br />

internationaler DFG- und VW-Projekte:<br />

• Übersetzung des Armenischen Hymnariums<br />

Scharaknotz,<br />

• Das Wörterbuch des Mittelarmenischen<br />

von Josef Karst,<br />

• Expertenworkshops Deutsche und armenische<br />

mittelalterliche Literaturen u. a.;<br />

Mitbegründerin des MESROP-Zentrums<br />

für armenische Studien; Mitorganisatorin<br />

der Leucorea-Tagungen zu den interkulturellen<br />

und interreligiösen Studien im<br />

Orient und Redaktionsmitglied der Schriftenreihe<br />

<strong>Halle</strong>sche Beiträge zur Orientwissenschaft;<br />

seit 1983 verheiratet mit Dr. rer. nat. Wolf-<br />

Gernot Drost; zwei Kinder: Hajk-Georg<br />

und David.<br />

Armenuhi Drost-Abgarjan im April 1995 in der Klosterbibliothek der Mechitharisten in Venedig (Foto: privat)<br />

23. Wie lautet Ihre Lebensmaxime?<br />

Optimismus.<br />

24. Was bringt Sie zum Lachen?<br />

Geschmackvoller Scharfsinn.<br />

25. Warum nehmen Sie sich Zeit für dieses Interview?<br />

Weil ich von Natur aus kommunikativ bin.<br />

■<br />

31<br />

P ORTRÄT EINER ZEITGENOSSIN


32<br />

(FACH-)LITERATURFABRIK UNIVERSITÄT<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

(Fach-)Literaturfabrik <strong>Universität</strong><br />

Lese-Empfehlungen querbeet<br />

C ARSTEN HECKMANN, THOMAS JÄHNIG, PAOLO SCHUBERT UND MARGARETE WEIN<br />

Wiederum kann nur ein Teil dessen vorgestellt werden, was in letzter Zeit an Druckprodukten<br />

von <strong>Universität</strong>sangehörigen auf den Buchmarkt gebracht worden ist. Wenn die eine oder andere<br />

Präsentation zum Kauf – und vor allem zur Lektüre – animiert, ist der vorgesetzte Sinn dieser<br />

Seiten erfüllt. Allerdings muss man gar nicht immer Geld ausgeben, wenn man etwas Neues lesen<br />

will: Auch die Aktion »Bring ein Buch, nimm ein Buch« der Franckeschen Stiftungen zum<br />

Themenjahr <strong>2007</strong> »mitteilenswert. Ein Jahr der Kommunikation« (siehe unten) hat inzwischen<br />

schon mehr als 500 Liebhaber(innen) gefunden, von denen gewiss nicht wenige aus studentischen<br />

Kreisen kommen ...<br />

Die Vorstellung periodischer Schriften in Fakultäten und Instituten wird diesmal unterbrochen<br />

und in der Oktoberausgabe <strong>2007</strong> weitergeführt.<br />

V OM »SAALWEIN« BERG ZUM HIGHTECH-CAMPUS<br />

Teil 1 einer kurzweiligen, mit viel Liebe zum<br />

Detail zusammengetragenen Lokalhistorie von<br />

Dr. Walter Müller (<strong>Universität</strong>s- und Landesbibliothek<br />

Sachsen-Anhalt) ist seit Ende Mai<br />

im Uni-Shop am halleschen Markt zu haben<br />

und bietet allen, die sich für die Geschichte der<br />

Stadt <strong>Halle</strong> und ihrer <strong>Universität</strong> interessieren,<br />

lohnende Lektüre.<br />

»weinberg campus zwischen gestern und heute«<br />

heißt das handliche Bändchen, das reich<br />

illustriert die über viele Jahrhunderte wechselvollen<br />

Geschicke jenes Areals zwischen<br />

der halleschen »Heide« und der Wilden Saale<br />

für eine wissbegierige Leserschaft wahlweise<br />

deutsch und englisch präsentiert.<br />

Am Anfang war der »Saalwein«, seit dem 13.<br />

Jahrhundert angebaut und laut Dreyhaupts<br />

berühmter Stadtchronik von 1749/50 »... sehr<br />

stark, ja sehr feurig, als ein alter Rheinwein<br />

immer sein kann ...« – wenn man »den kalkigen<br />

Erdgeschmack« ignoriert. Später spielte<br />

der Aufklärer, Professor, Schankwirt, Häftling<br />

und Philosoph Carl Friedrich Bahrdt eine<br />

teils zwielichtige Rolle. 1813 kam Teilen des<br />

ausgedehnten Weinberggeländes eine strategische<br />

Bedeutung im Abwehrkampf gegen die<br />

Napoleonischen Truppen zu. Auch der Bau<br />

einer »Heil- und Irrenanstalt«, die Anlage von<br />

Maulbeerbaumplantagen und einer prächtigen<br />

Platanenallee, eine Rennstrecke, ein Gestüt,<br />

Bürgervillen und Kasernen präg(t)en im Lauf<br />

der Zeit das Gesicht dieses nordwestlich der<br />

Altstadt gelegenen Bezirks.<br />

Die universitäre Historie des Weinberg(weg)s<br />

begann in den Jahren 1952–55 mit dem Bau<br />

des neue Chemischen Instituts. Es folgten bis<br />

1974 das Institut für Festkörperphysik und<br />

Elektronenmikroskopie der Akademie der<br />

Wissenschaften der DDR, das Pharmazeutische<br />

Institut, vier Studentenwohnheime und<br />

ein Mensa-Komplex, schließlich 1986 (als<br />

letztes Projekt der Vorwendezeit) das Biotechnikum.<br />

Ein kurzer Überblick zur Entwicklung seit<br />

1989 – TGZ I, II und III u.v.a.m. – beschließt<br />

das Buch und weckt Neugier auf Teil 2.<br />

❚ Walter Müller: weinberg campus. zwischen gestern<br />

und heute. Teil 1, DVZ-Verlags-GmbH <strong>Halle</strong> <strong>2007</strong>, 38<br />

Seiten, zweisprachig (englisch & deutsch), Wegweiser<br />

& Lageplan, 20 große Farbfotos, 60 kleine Schwarz-<br />

Weiß-Fotos, 14,00 Euro, ISBN 978-3-9807801-9-3<br />

UNGLEICHHEIT FÖRDERT GEWALT<br />

Zu den Forschungsfeldern der halleschen Soziologen<br />

gehört die Gewaltkriminalität.<br />

Nicht zuletzt ein tiefgreifender ökonomischer<br />

und sozialer Strukturwandel rückte dieses Phänomen<br />

in der zweiten Hälfte des 20. Jh. immer<br />

stärker in den Blick. Das Professor Helmut<br />

Thome und Christoph Birkel veröffentlichten<br />

in ihrem neuen Buch »Sozialer Wandel und<br />

Gewaltkriminalität. Deutschland, England<br />

und Schweden im Vergleich, 1950–2000«<br />

die Ergebnisse eines Projekts, das als Teil des<br />

Forschungsverbunds »Gesellschaftliche Desintegrationsprozesse<br />

– Stärkung von Integrationspotenzialen<br />

moderner Gesellschaften«<br />

vom BMBF gefördert wurde.<br />

Die Analysen von Kriminalstatistiken zeigen<br />

u. a., dass die Häufi gkeit von Raubdelikten,<br />

bezogen auf die Einwohnerzahl, in den letzten<br />

Jahrzehnten drastisch zugenommen hat, am<br />

stärksten in England, aber in Schweden (um<br />

das 21-fache) und (West-)Deutschland (Verdreizehnfachung)<br />

gab es Anstiege.<br />

»Die im Buch enthaltene Darstellung der langfristigen<br />

Entwicklung von Gewaltdelikten ist<br />

unverzichtbar für die Einschätzung aktueller<br />

Befunde zur Häufi gkeit von Gewaltkriminalität«,<br />

sagt Professor Helmut Thome und<br />

konstatiert: »Der ökonomische und soziale<br />

Strukturwandel hat zum Anstieg der Gewaltkriminalität<br />

wesentlich beigetragen« ...<br />

Ökonomischer Erfolg zählte mehr und mehr,<br />

die soziale Ungleichheit wurde größer, gemeinschaftsbildende<br />

Milieus lösten sich auf<br />

und alte Wertorientierungen wurden in Frage<br />

gestellt.« Im Zeitalter der Globalisierung sei<br />

zu befürchten, dass sich die gewaltfördernden<br />

gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen<br />

fortsetzen. »Das gilt insbesondere für die<br />

Verschärfung der Wettbewerbssituation und<br />

die Zunahme der Ungleichheit, die viele Menschen<br />

nicht nur in Armut abgleiten lässt, sondern<br />

auch ins gesellschaftliche Abseits stellt.«<br />

»Das von uns entwickelte Erklärungsschema<br />

ist beim Verständnis nicht nur des Anstiegs<br />

der Gewaltkriminalität in der Vergangenheit,<br />

sondern auch von aktuellen Entwicklungen in<br />

den Bereichen Arbeitsmarkt, Sozialpolitik und<br />

Wirtschaft hilfreich und erlaubt es, ihre gesellschaftlichen<br />

Folgen einzuschätzen«, erläutert<br />

Christoph Birkel. So sei die aktuell diskutierte<br />

Verbesserung der öffentlichen Kinderbetreuung<br />

als eine Stärkung des »kooperativen Individualismus«<br />

zu interpretieren und als solche<br />

für den sozialen Zusammenhalt förderlich.<br />

»Weitere Verschärfungen der Zumutbarkeitsregelungen<br />

und Kontrollen für Empfänger<br />

von Arbeitslosengeld II würden hingegen<br />

die gesellschaftliche Entwicklungstendenz in<br />

Richtung eines ‚desintegrativen Individualismus’<br />

beschleunigen und wären mit hohen<br />

Nebenkosten in Form von unmittelbaren Kontrollkosten,<br />

aber zum Beispiel auch einer Verringerung<br />

des sozialen Kapitals verbunden.«<br />

Die Autoren sind sich einig: Um die Bereitschaft<br />

zur Gewaltkriminalität zu senken, müssten<br />

Solidarstrukturen neu aufgebaut werden.


»Wir benötigen kooperative Strukturen. Aber<br />

natürlich ist es nicht nur die Aufgabe des<br />

Staates, sie zu schaffen. Bürger aller sozialer<br />

Schichten müssen sich dafür engagieren.«<br />

❚ Helmut Thome/Christoph Birkel: Sozialer Wandel<br />

und Gewaltkriminalität. Deutschland, England und<br />

Schweden im Vergleich, 1950–2000. Wiesbaden o. J.,<br />

457 Seiten, 42,90 Euro, ISBN 978-3-531-14714-7<br />

D ER WEISE KURFÜRST<br />

O DER: GUTE BÜCHER BRAUCHEN LÄNGER<br />

Vor der politischen Wende gelang es nur wenigen<br />

ostdeutschen Schriftsteller(inne)n, ihre<br />

Bücher unzensiert zu publizieren. Ingetraut<br />

Ludolphy gehörte dazu. Bereits in den 70er<br />

Jahren verschriftlichte sie ihre Forschungsergebnisse<br />

zu einer der bekanntesten Persönlichkeiten<br />

des Mittelalters, dem sächsischen Kurfürsten<br />

Friedrich II (1463–1525). Die Autorin,<br />

die bis zu dieser Zeit einen Lehrauftrag an der<br />

Leipziger <strong>Universität</strong> innehatte und sich vom<br />

Rektor für die Zeit der Recherche freistellen<br />

ließ, benötigte fünf Jahre, um ihr fast 600 Seiten<br />

umfassendes Werk zu beenden; ein Buch,<br />

dass nicht nur Zahlen und Fakten über den<br />

Kurfürst linear dazustellen versucht, sondert<br />

diese Informationen in brillanter Weise mit<br />

Streifl ichtern auf sein privates Leben und mit<br />

Eindrücken seiner Persönlichkeit kombiniert.<br />

Da es sich bei Friedrich dem Weisen um einen<br />

verschwiegenen Mann gehandelt haben soll,<br />

der seine Karten nie offen präsentierte, fehlten<br />

die Grundlagen für eine fundierte Persönlichkeitsanalyse.<br />

Diesen Informationsmangel<br />

kompensierte die Wissenschaftlerin mit der<br />

Analyse bildlicher Betrachtungen und schriftlicher<br />

Zeugnisse. Doch wollte die Autorin<br />

nicht nur die Persönlichkeit des Herrschers<br />

erfassen, sondern auch das politische und kulturhistorische<br />

Umfeld. So verwundert es nicht,<br />

dass die kirchengeschichtlichen Hintergründe<br />

besonders ausführlich beschrieben wurden.<br />

Verdankte doch Friedrich der Weise – der im<br />

Übrigen die Leucorea zu Wittenberg gründete<br />

und damit, wenn man so will, zugleich der<br />

Urvater der <strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg ist<br />

– seinen Namen einer unkriegerischen und kritischen<br />

kirchenpolitischen Grundeinstellung.<br />

Er war es, der <strong>Luther</strong> vor dem Ketzerurteil der<br />

römischen Kurie rettete, ihm freies Geleit gab<br />

und ihn auf die Wartburg bringen ließ.<br />

Zu Beginn der achtziger Jahre kam Ludolphy<br />

– illegal – nach Erlangen und fand beim<br />

Vandenhoeck und Ruprecht-Verlag die Möglichkeit,<br />

ihr opus magnum im Jahr 1984 in<br />

der ursprünglichen Form zu veröffentlichen.<br />

Anfang 2006 war die Aufl age vollkommen<br />

vergriffen. Die nun vorliegende Neuaufl age<br />

erschien noch 2006 im Leipziger <strong>Universität</strong>sverlag.<br />

Die Autorin, der aufgrund ihrer<br />

politischen Einstellung unter der Herrschaft<br />

der SED eine Professur verwehrt blieb, wurde<br />

1994 die Ernennungsurkunde des sächsischen<br />

Kultusministers zur Professorin sächsischen<br />

Rechts verliehen.<br />

❚ Ingetraut Ludolphy: Friedrich der Weise, Kurfürst<br />

von Sachsen 1463–1525, Neudruck der Erstausgabe<br />

1984, Leipziger <strong>Universität</strong>sverlag 2006, 592 Seiten,<br />

49,00 Euro, ISBN 978-3-86583-138-5<br />

B RING EIN BUCH. NIMM EIN BUCH. BRING EIN BUCH. NIMM EIN BUCH ...<br />

Das gab es in <strong>Halle</strong> noch nie: Auf der grünen Wiese vor den Franckeschen Stiftungen ist eine<br />

öffentliche Freiluftbibliothek aufgebaut! Hier kann, wer will, eigene Bücher loswerden, fremde<br />

mitnehmen oder beides zugleich – und alles kostenlos.<br />

Immer wieder sind hier neue »Bücher unterwegs«, die im Internet registriert, rezensiert und<br />

diskutiert werden. Unbürokratisch und rund um die Uhr! Jede(r) darf man hier bis November<br />

Bücher einstellen oder »ausleihen«. Mitmachen können alle, die ihre Freude an einem Buch mit<br />

anderen teilen möchten und bereit sind, sich davon zu trennen. Die Bücher werden im Internet<br />

auf der internationalen Webseite des Buchklubs »Bookcrossing« registriert, rezensiert und dann<br />

in der Freiluftbibliothek »freigelassen«.<br />

Seit 2001, als Ron Hornbaker den weltweiten, nicht-kommerziellen Buchklub gründete, haben<br />

mehr als 518 500 Bookcrosser über 3,5 Millionen Bücher weltweit registriert. In Deutschland<br />

gab es Ende 2006 rund 34 500 Mitglieder, die über 264 000 Bücher registriert haben. Die Zahl<br />

steigt. Mit 200 gespendeten Büchern von halleschen Verlagen und Buchhandlungen startete die<br />

Freiluftbibliothek im April – wenn auch Sie mitmachen, wird die 1000 sicher bald erreicht!<br />

(Nach einer Pressemitteilung der Franckeschen Stiftungen zu <strong>Halle</strong>)<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

H EIMLICHE LEHRPLÄNE<br />

Das Studium ist für Akademiker eine Zeit von<br />

entscheidender Prägekraft. Auch im Wilhelminischen<br />

Kaiserreich war das nicht anders.<br />

Torsten Lehmann beschreibt in seiner kürzlich<br />

im Mitteldeutschen Verlag erschienenen Dissertation,<br />

am Beispiel der halleschen Corps,<br />

die »heimlichen Lehrpläne« von Studentenverbindungen<br />

im deutschen Kaiserreich. Die<br />

Corps waren die ältesten und traditionsreichsten<br />

deutschen Verbindungen und rekrutierten<br />

sich aus der Oberschicht.<br />

Lehmann begreift sie als Bruderschaften und<br />

Männerbünde, mit einer für sie typischen,<br />

eigenen Regelsetzung und Abschottung nach<br />

außen. Insbesondere die schlagenden Verbindungen<br />

– Korporationen mit Fecht- und<br />

Duellpfl icht – verfügten über ein spezielles<br />

»Männlichkeitsprogramm« in der Erziehung<br />

ihrer studentischen Mitglieder zum Erwachsenen.<br />

Die elitären Corps erhoben dabei den<br />

Anspruch, künftige Führungspersönlichkeiten<br />

heranzuziehen. Obwohl die Zahl der Mitglieder<br />

in den Corps relativ gering war – im<br />

Wintersemester 1907/08 an der halleschen<br />

<strong>Universität</strong> 72 Studenten (3,7 Prozent der<br />

Studentenschaft) – kam ihnen ein hoher Stellenwert<br />

unter den Kommilitonen zu. Für alle<br />

anderen »Waffenstudenten« stellten die Corps<br />

ein Vorbild dar.<br />

Der Autor bezieht den gesellschaftlichen<br />

Rahmen in seine Betrachtung ein, lässt Zeitgenossen<br />

zu Wort kommen und zitiert Selbstzeugnisse.<br />

Die abschließende Antwort auf die<br />

Frage nach den Auswirkungen der korporativen<br />

Erziehung bekommt eine eklatante Bedeutung,<br />

wenn man sich vor Augen hält, dass im<br />

Kaiserreich und in der Weimarer Republik vor<br />

allem die Mitglieder der Corps in Führungspositionen<br />

wirkten.<br />

❚ Torsten Lehmann: Die <strong>Halle</strong>nser Corps im Deutschen<br />

Kaiserreich. Eine Untersuchung zum studentischen<br />

Verbindungswesen von 1871 bis 1918. <strong>Halle</strong> <strong>2007</strong>, 262<br />

S., 19,90 Euro, ISBN 978-3-89812-445-4<br />

Die Freiluftbibliothek auf der grünen Wiese ...<br />

(Foto: Paolo Schubert)<br />

Internet: www.buecher-unterwegs.de<br />

33<br />

(FACH-)LITERATURFABRIK UNIVERSITÄT


34<br />

V ARIA<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

»Bitte einmal gemischten<br />

Sprachsalat ...«<br />

Diesmal mit: weitverbreiteten verbalen Nachlässigkeiten<br />

Ausstellungen können, wenn man alles richtig<br />

macht, Glanzpunkte universitären Lebens<br />

sein: Vitrinen werden bestückt, Modelle und<br />

Skulpturen aufgestellt, Info-Flyer bereitgelegt<br />

und Bilder an den Wänden ... befestigt. Hier<br />

nämlich liegt der Sprachhase im Flexionspfeffer!<br />

Werden diese Bilder nun aufgehängt oder<br />

doch besser aufgehangen? (Letzteres scheint<br />

gehobener zu klingen – wohl deshalb wird das<br />

starke Partizip, überkorrekt und falsch, so gern<br />

verwendet.) Manches Bild hing schon immer<br />

dort; aber: hing oder hängte jemand seinen<br />

Hut an den Haken?<br />

Der feine Unterschied zwischen dem stark<br />

fl ektierten, intransitiven hängen (hing, gehangen)<br />

und dem schwach fl ektierten, transitiven<br />

hängen (hängte, gehängt) zeigt sich nur in den<br />

Vergangenheitsformen, da der alte Infi nitiv<br />

und die Präsensfl exion der intransitiven Form<br />

(hangen, ich hange, du hangst, er hangt) in<br />

der Gegenwartssprache verschwunden ist.<br />

Die Formen haben sich denen von hängen<br />

angeglichen. (Bei den Verbpaaren liegen/legen,<br />

sitzen/setzen, stehen/stellen existiert die<br />

Unterscheidung bis heute auch im Präsens und<br />

im Infi nitiv.)<br />

Doch bereits früher wurden das passive hangen<br />

und das kausative hängen häufi g verwech-<br />

»... und ein Literatürchen!«<br />

Gibt es ein »Leben in der Werbepause«?<br />

Jaaah! Und der dazugehörige »Ratgeber für<br />

ein erfülltes Leben im Medienzeitalter« – so<br />

apostrophiert vom mdv –, den Carsten Johann<br />

Wolfgang Weidling schrieb (Jahrgang 1966,<br />

Sohn seines Vaters »O. F.«), ist unzweifelhaft<br />

eines der wenigen Bücher, auf das Welt wirklich<br />

gewartet hat!<br />

Wie man weiß, schaffen es erfahrene Paare in<br />

zwei bis vier Minuten – und sitzen, wenn der<br />

Film weitergeht, schon wieder ganz entspannt,<br />

fi x und fertig angezogen und erwartungsvoll<br />

im Fernsehsessel. Ob indessen für Kiwi-Capuccino,<br />

alkoholfreies Bier, Rasenmäher,<br />

Supersoft-Tampons oder für den neuesten Film<br />

von Mr. Bean geworben wurde, wissen sie<br />

zwar nicht, doch sie sind von dem glücklichen<br />

Gefühl erfüllt, die eigentlich lästige Zwischenzeit<br />

sinnvoll genutzt zu haben.<br />

Punktgenau zum Start der Carsten-Weidling-<br />

Show »Moderator unter Kontrolle« im Juni<br />

beim MDR erschien das Buch zur Show – das<br />

abwechselnd mit fi ligranen satirischen Spitzen<br />

stichelt und mit Holzhammerzynismus jede<br />

mentale Gegenwehr erschlägt.<br />

Es soll ja statistisch erwiesen sein, dass jede(r)<br />

Deutsche jeden Tag durchschnittlich 4 (in<br />

Worten: vier!) Stunden vor dem televisionären<br />

selt. Jacob und Wilhelm Grimm klagten im 19.<br />

Jh. im »Deutschen Wörterbuch«: »dieser vermischung<br />

ist nicht zu wehren, zumal da einzelne<br />

formen geradezu zusammenfallen, und<br />

die 2. 3. sing. praes. des starken hangen neben<br />

du hangst, er hangt viel öfter mit umlaut du<br />

hängst, er hängt gebildet werden, ganz gleich<br />

den formen des schwachen hängen«.<br />

Im Gegenwartsdeutsch steht für die passive<br />

wie für die kausative Bedeutung hängen – im<br />

Präsens ohne Unterschied: Das Bild hängt an<br />

der Wand. und: Er hängt das Bild an die Wand.<br />

In den Vergangenheitsformen aber muss man<br />

die verschiedenen Flexionsformen genau beachten:<br />

Das Bild hing an der Wand / hat an der<br />

Wand gehangen. aber: Sie hängte das Bild an<br />

die Wand / hat das Bild an die Wand gehängt.<br />

Eine derartige Angleichung mag verwundern,<br />

ist doch der Bedeutungsunterschied zwischen<br />

hängen und hängen kein geringerer als der<br />

zwischen dem Gehenkten und dem Henker.<br />

Das intransitive hängen bedeutet »am oberen<br />

Ende schwebend befestigt sein«; das transitive<br />

hängen dagegen »am oberen Ende schwebend<br />

befestigen«, also hängen machen bzw. hängen<br />

lassen. (Für Letzteres veraltet auch henken =<br />

hinrichten; vgl. aber: Henkel, henkeln.)<br />

Gisela Hartung & Margarete Wein<br />

Foltergerät verbringt. Und weil bisher bis zu<br />

20 Prozent dieser kostbaren Lebenszeit ungenutzt<br />

in Werbepausen verschwendet wurden,<br />

klärt Weidling (www.carstenweidling.de)<br />

erbarmungslos auf und raubt dem hilfl osen<br />

Mitglied der tiefgläubigen TV-Gemeinde erst<br />

einmal jede Illusion.<br />

Dann jedoch verspricht er Abhilfe: »Für ein<br />

Leben in Spotlängen« bietet er zahllose Rezepte<br />

an für Speisen und Getränke, Sport und<br />

Spiele, Witze und Zaubertricks, sogar (s. o.)<br />

spezielle Empfehlungen »nur für Erwachsene«<br />

und vieles andere mehr. Dass er alles (alles!)<br />

selbst getestet hat, ist kaum zu glauben ...<br />

Man wird aber den Verdacht nicht los, dass<br />

dieser urkomische Ratgeber – ja, was wohl?<br />

– von A bis Z in eben jenen Pausen verfasst<br />

worden ist (da war für sorgfältiges Redigieren<br />

einfach keine Zeit). Wer allerdings, wie es der<br />

Autor uns weise anempfi ehlt, auch die Lektüre<br />

in die kurzen Zeitspannen der Werbespots<br />

verlegt, merkt das wahrscheinlich nicht.<br />

In diesem Sinn »Carpe die Werbepause«!<br />

• Carsten J. W. Weidling: Leben in der Werbepause.<br />

Der längst überfällige Ratgeber, mit<br />

zahlreichen Abbildungen, 208 Seiten, Paperback,<br />

9,90 Euro, ISBN 978-3-89812-446-1<br />

KURZ & (RECHTS-)BÜNDIG<br />

Der erste hallesche Stadtchronist ...<br />

... von Rang war der Theologe & Historiker<br />

Gottfried Olearius.<br />

Vor 340 Jahren erschien seine<br />

»Halygraphia Topo-Chronologica.<br />

Das ist: Ort- und Zeitbeschreibung der Stadt<br />

mit dem ersten gedruckten Stadtplan und einer<br />

Gesamtansicht von ›Hall in Sachsen‹«. Olearius studierte<br />

in Jena & Wittenberg Theologie & Philosophie<br />

und trat 1647 die Nachfolge seines Vaters als<br />

Oberpfarrer der halleschen Marktkirche<br />

& Superintendent des Stadtkirchenkreises an.<br />

Im gleichen Jahr erwarb er den Schwibbogen 74<br />

auf dem Stadtgottesacker<br />

und wurde dort 1685 beigesetzt.<br />

Die 1. Lieferung der Chronik ...<br />

... der halleschen <strong>Universität</strong> (geführt 1866–1936<br />

geführt) kam vor 140 Jahren heraus.<br />

Vor 100 Jahren<br />

wurde für das 1. Halbjahr u. a. mitgeteilt,<br />

dass im Februar der Geographieprofessor<br />

Alfred Kirchhoff verstorben ist<br />

und der Philologe Prof. Dr. Otto Kern als Nachfolger<br />

von Prof. Dr. Wilhelm Dittenberger nach <strong>Halle</strong><br />

berufen wurde.<br />

Im Mai wurde der Theologieprofessor Friedrich Loofs<br />

zum Rektor gewählt; und im Juni verlieh die<br />

Philosophische Fakultät dem halleschen Bankier<br />

Heinrich Franz Lehmann die Ehrendoktorwürde.<br />

Den Nachlass des Urgroßvaters ...<br />

nahm das halleschen <strong>Universität</strong>sarchiv aus den Händen<br />

des Urenkels,<br />

Prof. Dr. <strong>Martin</strong> Elze, im April <strong>2007</strong> entgegen.<br />

Der Urgroßvater war Prof. Dr. Heinrich Keil<br />

(1822–1894), ein bedeutender Altphilologe,<br />

der ab 1869 in <strong>Halle</strong> wirkte,<br />

unter anderem als »Professor der Beredsamkeit«.<br />

Er begründete die Chronik der <strong>Universität</strong> (ab 1866),<br />

war mehrmals Dekan der Philosophischen Fakultät und<br />

zweimal Rektor (1875/76 und 1882/83).<br />

Der Nachlass enthält auch Keils Briefwechsel<br />

mit Theodor Mommsen.<br />

(alles mitgeteilt von Regina Haasenbruch,<br />

<strong>Universität</strong>sarchiv <strong>Halle</strong>)<br />

Archivarbeit ist ...<br />

... lebendige Vergangenheit. Am 4. Juni <strong>2007</strong><br />

fand in Leipzig eine Tagung<br />

der Mitteldeutschen Hochschularchivare statt.<br />

Unter Leitung des Leipziger <strong>Universität</strong>sarchivars<br />

Dr. Jens Blecher werteten bei der konstituierenden<br />

Sitzung des Archivverbundes der <strong>Universität</strong>en<br />

<strong>Halle</strong>-Jena-Leipzig<br />

Kolleg(inn)en aus Chemnitz, Dresden,<br />

<strong>Halle</strong>, Jena, Leipzig, Magdeburg, Rostock und Weimar<br />

ihre Erfahrungen und Probleme bei der Archivarbeit aus.<br />

Vor allem Archivbenutzer(innen) werden davon<br />

profitieren, so durch neue Möglichkeiten im Internet.<br />

Zweimal jährlich, das nächste Mal im Herbst <strong>2007</strong>,<br />

wieder in Leipzig, wird der Archivverbund in Workshops<br />

oder zu archivfachlichen Fortbildungsmaßnahmen<br />

zusammentreffen.<br />

(mitgeteilt von Karin Keller, <strong>Universität</strong>sarchiv <strong>Halle</strong>)


»Gute Lehre<br />

muss sich lohnen.«<br />

Moderieren und motivieren<br />

»Ars legendi-Preis« <strong>2007</strong> geht an Rolf Sethe nach <strong>Halle</strong><br />

C ARSTEN HECKMANN<br />

Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und die Hochschulrektorenkonferenz vergaben<br />

in diesem Jahr zum zweiten Mal den »Ars legendi-Preis für exzellente Hochschullehre«.<br />

Preisträger ist ein hallescher Professor: der Zivilrechtler Rolf Sethe, Direktor des Instituts für<br />

Wirtschaftsrecht. Er sieht seine Studierenden als Partner im Lehr- und Lernprozess und fordert<br />

einen Bewusstseinswandel: »Gute Lehre muss sich lohnen.«<br />

Es ist wieder mal soweit: Im Hörsaal XX des<br />

Melanchthonianums spielt sich ein Scheidungsstreit<br />

ab. Es geht um das Familienauto.<br />

Der Mann hat es, beide Ehepartner wollen es<br />

– wer bekommt es zugesprochen? Ein typischer<br />

Problemfall in der Vorlesung »Familien-<br />

und Erbrecht«. Professor Rolf Sethe bittet um<br />

Lösungsvorschläge. Auf Freiwillige wartet er<br />

nicht, er ruft einfach jemanden auf. Das macht<br />

er immer so.<br />

»Natürlich weiß man nicht immer eine Antwort,<br />

aber bloßgestellt wird man hier dennoch<br />

nicht«, sagt Yaprak Akyol, Jura-Studentin im<br />

4. Semester. »Man wird zum Mitdenken angeregt,<br />

das ist das Entscheidende.«<br />

F ORSCHUNG GUT = LEHRE GUT?<br />

Stimmt. »Die Veranstaltung ist ein Dialog.<br />

Ich bin der Moderator und der Experte, der<br />

Tipps beisteuern kann. Die Lösung muss stets<br />

aus dem Publikum kommen«, führt Rolf Sethe<br />

aus. Studierende sieht er als Kunden, die<br />

etwas erwarten dürfen – aber nicht als Konsumenten,<br />

die nur auf Input zu warten brauchen.<br />

»Ich will sie zu eigenständigem Denken<br />

befähigen.« In diesem Zusammenhang zitiert<br />

Sethe gern Konfuzius: »Sage es mir, und ich<br />

vergesse es; zeige es mir, und ich erinnere<br />

mich; lass es mich tun, und ich behalte es.«<br />

Der Zivilrechtler Sethe ist bekannt und wird<br />

geschätzt für praxisnahen Unterricht mit lebendigen<br />

Vorträgen und großem Lerneffekt.<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

Umfangreiche Skripte können die Studierenden<br />

im Vorfeld der Veranstaltung herunterladen<br />

und lesen, nach der Vorlesung steht der<br />

Professor für Fragen zur Verfügung, ist der<br />

Letzte, der den Saal verlässt. Seit über zehn<br />

Jahren setzt Sethe sein Konzept um. Mit dem<br />

»Ars legendi-Preis« wurde der 47-Jährige nun<br />

dafür geehrt – und nutzte die Preisverleihung<br />

in Gießen, um »Zehn Thesen zu guter Hochschullehre«<br />

vorzutragen, die unbequeme Aussagen<br />

enthalten. Für Sethe steht beispielsweise<br />

fest, dass nicht jeder, der gut forscht, automatisch<br />

auch gut lehrt.<br />

Als Dozent brauche man didaktisches Geschick<br />

und eine didaktische Ausbildung. »Naturtalente<br />

sind rar, die meisten von uns können<br />

sich verbessern.« Das Problem: Es gebe<br />

kein Anreizsystem für hochschuldidaktische<br />

Weiterbildung.<br />

D ER (AN-)REIZENDE PREIS<br />

Ein Beispiel für die fehlende Berücksichtigung<br />

der Lehre ist für Sethe die Exzellenzinitiative<br />

und die Debatte darum: »Es dominiert<br />

die Forschung.« Umfangreiche<br />

Ressourcen würden an den Hochschulen mit<br />

Verfahren zur Beantragung von Drittmitteln<br />

gebunden.<br />

35<br />

»ARS LEGENDI-PREIS« <strong>2007</strong>


36<br />

»ARS LEGENDI-PREIS« <strong>2007</strong> & RÄTSELFOTO<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

»Hier kann sich durchaus im Einzelfall die<br />

Frage aufdrängen, ob der Student im Kampf<br />

um die Exzellenz und die Haushalts- und<br />

Drittmittel nicht stört. Dabei bilden Forschung<br />

und Lehre keinen Gegensatz, sie gehören<br />

notwendig zusammen.« Die Bedeutung guter<br />

Lehre sei an Spitzenforschungsinstituten im<br />

Ausland längst bekannt, Deutschland habe<br />

Nachholbedarf. Der »Ars legendi-Preis« sei<br />

ein wichtiges Signal, ein guter Anreiz.<br />

Dabei dürfe es aber nicht bleiben, fordert Sethe.<br />

Die Hochschulen sieht er in der Pfl icht,<br />

Anreizstrukturen zu schaffen. Beispielsweise<br />

durch die Berücksichtigung von Lehr-Kompetenz<br />

im Berufungsverfahren. Hier kann Rolf<br />

Sethe auf die eigene Fakultät verweisen: »<strong>Halle</strong><br />

ist weiter als andere. Wir verlangen von den<br />

Bewerbern eine Probevorlesung. Wenn wir<br />

sie einladen, haben wir ihre wissenschaftliche<br />

Kompetenz längst erkannt, über die didaktische<br />

hingegen wissen wir nichts.«<br />

F REUDE AUF BEIDEN SEITEN<br />

Sethe selbst hat sich von Anfang an um seine<br />

eigenen Didaktik-Fähigkeiten gekümmert.<br />

Seit 1993 ist er Mitglied im Interdisziplinären<br />

Arbeitskreis für Hochschuldidaktik, rund 300<br />

Stunden Fortbildung hat er hinter sich. In <strong>Halle</strong><br />

hat er in seiner Funktion als Studiendekan<br />

eine neue Vorlesung für Erstsemester konzi-<br />

Ansprechpartner für gute Lehre:<br />

Prof. Dr. Rolf Sethe<br />

Telefon: 0345 55-23134<br />

E-Mail: rolf.sethe@jura.uni-halle.de<br />

piert. Er unterrichtet einfach gern. »Mit guten<br />

Studierenden zu arbeiten, macht mir große<br />

Freude.« Die Freude ist auf beiden Seiten:<br />

Sethe erhält in Evaluationen stets Bestnoten,<br />

den »Preis für exzellente Hochschullehre« hat<br />

Wetten, Sie wissen’s nicht!<br />

Wo wacht dieser Leo?<br />

a) vor dem Hauptgebäude der halleschen <strong>Universität</strong>,<br />

b) auf dem Marktplatz in Braunschweig oder<br />

c) ganz woanders – und wenn ja, wo?<br />

Wer der Redaktion als erste(r) per Telefon, E-Mail, Fax oder (Haus-)Post die<br />

richtige Lösung übermittelt, erhält ZWEI FREIKARTEN – wahlweise für ein<br />

Konzert des Bereichs Musikpädagogik/Collegium musicum oder für eine<br />

Aufführung der Sprechbühne des Bereichs Sprechwissenschaft/Phonetik.<br />

Prof. Dr. Rolf Sethe, LL.M. bei seiner Vorlesung am Mittwoch im Melanchthonianum, Hörsaal XX, Thema:<br />

Familien- und Erbrecht. Im elektronischen Vorlesungsverzeichnis heißt es: Prof. Sethe ist grundsätzlich am<br />

Ende jeder Lehrveranstaltung zu sprechen. Außerdem können Sie jederzeit kurzfristig telefonisch oder per<br />

Email einen Termin vereinbaren ... (Fotos [2]: Maike Glöckner)<br />

er nach Ansicht vieler Studierender verdient.<br />

»Wir freuen uns, dass das große Engagement<br />

Professor Sethes eine besondere Würdigung<br />

erhält. Und durch die Auszeichnung kommt<br />

nicht zuletzt auch dem Bildungsstandort <strong>Halle</strong>-Wittenberg<br />

eine erhöhte Aufmerksamkeit<br />

zu«, erklärt Nathanael Lipinski, Sprecher des<br />

Jura-Fachschaftsrates.<br />

Ende Juli wird es auf Sethes Initiative hin<br />

erstmals eine spezifi sche hochschuldidaktische<br />

Weiterbildung für den juristischen<br />

Das Foto in der Aprilausgabe der scientia halensis 1/07, Seite 30, zeigte eine gusseiserne<br />

Treppe im Magazingebäude der <strong>Universität</strong>s- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt – viele<br />

haben das gewusst, als erste Martha Stellmacher aus <strong>Halle</strong>.<br />

Unterricht geben, zunächst für den Mittelbau.<br />

Später soll das Ganze auch für Professoren<br />

angeboten werden. Ob Sethe dann selbst noch<br />

an der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> weilt, ist<br />

nicht sicher: Er hat einen Ruf der <strong>Universität</strong><br />

Regensburg erhalten, will nun zunächst<br />

dort verhandeln und anschließend in <strong>Halle</strong><br />

Bleibeverhandlungen führen: »Es gibt keine<br />

Tendenz. Fest steht: Der Einsatz in der Lehre<br />

erfordert eine solide Struktur am Lehrstuhl.<br />

Die Situation in <strong>Halle</strong> kann man in dieser<br />

Hinsicht optimieren.«<br />

Im Juli werde er sich entscheiden, sagt Sethe.<br />

Für <strong>Halle</strong>, hofft nicht nur Fachschaftssprecher<br />

Lipinski. »Professor Sethe ist einfach sehr<br />

motivierend«, meint Studentin Julia Orlick.<br />

»Wenn er geht, gehen wir alle mit.«<br />

■<br />

Dipl-Journ. Carsten Heckmann,<br />

Jahrgang 1974, studierte in Leipzig<br />

Journalistik (Abschluss 2001), war<br />

danach als freier Journalist u. a. für DIE<br />

ZEIT und den DEUTSCHLANDFUNK tätig,<br />

2002–2006 verantwortlicher Redakteur<br />

des Leipziger <strong>Universität</strong>sjournals.<br />

Seit Oktober 2006 ist er<br />

Pressereferent der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong><br />

<strong>Halle</strong>-Wittenberg.<br />

Telefon: 0345 55-21004,<br />

E-Mail: carsten.heckmann@verwaltung.uni-halle.de


Ehrungen, Mitgliedschaften in<br />

Gremien, Berufungen, Jubiläen<br />

und andere Neuigkeiten<br />

P ERSONALWECHSEL IM OWZ<br />

Prof. Dr. Burkhard Schnepel wurde mit Wirkung vom<br />

1. März <strong>2007</strong> zum Nachfolger von Prof. Dr. Stefan Leder<br />

als Geschäftsführender Direktor des Orientwissenschaftlichen<br />

Zentrums ernannt.<br />

Privatdozentin Dr. Ursula Rao nahm zum 1. Mai <strong>2007</strong><br />

eine Stelle als Senior Lecturer an der University of New<br />

South Wales in Sydney/Australien an.<br />

E-Mails: burkhardt.schnepel@ethnologie.uniu-halle.de und<br />

u.rao@unsw.edu.au<br />

F INANZCHEF SEIT MEHR ALS DREI JAHRZEHNTEN<br />

Zum 20. Mal (!) wählte die Mitgliederversammlung der<br />

mit rund 3 200 Mitgliedern zweitgrößten biologischen Gesellschaft<br />

VAAM (Vereinigung für Allgemeine und Angewandte<br />

Mikrobiologie) der Welt im April Prof. Dr. Jan<br />

Remmer Andreesen zum Schatzmeister der Gesellschaft:<br />

Er wird das ehrenvolle Amt für weitere zwei Jahre<br />

ausüben. 1974 hatte Professor Andreesen die Vorläufergesellschaft<br />

Local Branch der American Society for Microbiology<br />

(1985 in VAAM umbenannt) gegründet. Die meisten<br />

Mitglieder der GATM der DDR traten 1991 der VAAM bei.<br />

Die Jahrestagungen – alle Vorträge und Poster in englischer<br />

Sprache gehalten – werden von gut 1 000 Personen<br />

besucht.<br />

Dr. Ernst Weber aus dem hiesigen Institut für Genetik<br />

wurde in diesem Jahr mit einem der drei Promotionspreise<br />

für seine hervorragende Dissertation ausgezeichnet.<br />

E-Mail: jan.andreesen@mikrobiologie.uni-halle.de und<br />

ernst.weber@genetik.uni-halle.de<br />

N EUES ZENTRUM – NEUER DIREKTOR<br />

Seit 1. April <strong>2007</strong> ist Prof. Dr. Hartmut Wenzel (siehe<br />

auch S. 16/17: Projekte im Rahmen des Wettbewerbs<br />

»Herausforderung Mensch«) der neue geschäftsführende<br />

Direktor des Zentrums für Schul- und Bildungsforschung<br />

(ZSB). Er löst damit Prof. Dr. Werner Helsper ab, der<br />

in diesem Amt – als Direktor des damaligen Zentrums für<br />

Schulforschung und Fragen der Lehrerbildung (ZSL) – sein<br />

Vorgänger war.<br />

E-Mail: hartmut.wenzel@paedagogik.uni-halle.de und<br />

werner.helsper@paedagogik.uni-halle.de<br />

E HRENMITGLIED IN RUMÄNIEN<br />

Auf der 102. Versammlung der Anatomischen Gesellschaft<br />

Rumäniens wurde Prof. Dr. Friedrich Paulsen (Institut<br />

für Anatomie und Zellbiologie der Medizinischen Fakultät<br />

der MLU) im April <strong>2007</strong> zu deren Ehrenmitglied ernannt.<br />

Bereits seit 2006 bekleidet er das Amt des Schriftführers<br />

in der deutschen Anatomischen Gesellschaft, ist Mitglied<br />

des Editorial Board der Zeitschrift Current Eye Research<br />

und Editor-in-Chief der Zeitschrift Annals of Anatomy.<br />

E-Mail: friedrich-paulsen@medizin.uni-halle.de<br />

W ECHSEL IM BLUTSPENDEDIENST<br />

Seit Mai <strong>2007</strong> ist Dr. Julian Hering-Sobottka der<br />

neue Ärztliche Leiter der Einrichtung für Transfusionsmedizin/Blutspendedienst<br />

am <strong>Universität</strong>sklinikum <strong>Halle</strong>. Der<br />

44-jährige trat die Nachfolge von Dr. Helga Peschke<br />

an, die altersbedingt in den Ruhestand getreten war. Dr.<br />

Hering-Sobottka war in den vergangenen fünf Jahren<br />

Oberarzt im Blutspendezentrum in St. Gallen (Schweiz).<br />

E-Mail: julian.hering-sobottka@medizin.uni-halle.de<br />

J UBILÄEN IM II. QUARTAL <strong>2007</strong><br />

Dienstjubiläen, runde Geburtstage und Todesfälle werden<br />

– im Bezug auf den Datenschutz nicht problemlos – seit<br />

2006 erneut in der scientia halensis vermeldet. Am einfachsten<br />

wäre es, wenn all jene, die ihre Namen gern<br />

hier sehen möchten, der Redaktion Geburtstag bzw. Jubiläum<br />

selbst mitteilen und so zugleich ihr Einverständnis<br />

zum Abdruck kundtun würden. Darüber hinaus können<br />

(s. o.) nur solche Informationen veröffentlicht werden,<br />

die ohnehin schon öffentlich bekannt sind.<br />

Es werden dieselben Abkürzungen verwendet wie 2006<br />

und in der Ausgabe 1/07.<br />

D IE UNIVERSITÄT & SCIENTIA HALENSIS<br />

GRATULIEREN ...<br />

... zum 80. Geburtstag<br />

Professor em. Dr. paed. Dr. phil. Siegfried Bimberg<br />

(PhF II)<br />

Prof. em. Dr. rer. nat. Rudolf Hundt (NF I)<br />

... zum 65. Geburtstag<br />

Prof. Dr. theol. Hermann von Lips (TF)<br />

... zum 50. Geburtstag<br />

Prof. Marina Sandel (PhF II)<br />

... zum 40jährigen Dienstjubiläum<br />

Waltraud Jansen (MF/UK)<br />

Dipl.-Ing. Gerd Götze (ZUV)<br />

D IE UNIVERSITÄT UND SCIENTIA HALENSIS<br />

TRAUERN UM ...<br />

Prof. Dr. med. Wolfgang Lorenz († 1. Februar <strong>2007</strong>)<br />

Prof. Dr. rer. nat. Joachim Bergmann<br />

(† 14. März <strong>2007</strong>)<br />

Prof. Dr. phil. Werner Maser († 5. April <strong>2007</strong>)<br />

Brigitte Langer († 13.. Mai <strong>2007</strong>)<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

N ATURWISSENSCHAFTLICHE<br />

F AKULTÄT II<br />

Prof. Dr. rer. nat. Wolfgang Binder<br />

<strong>Universität</strong>sprofessor (W3) für Makromolekulare<br />

Chemie am Institut für Chemie<br />

seit 1. März <strong>2007</strong>.<br />

Geboren 1969 in Wien.<br />

wolfgang.binder@chemie.uni-halle.de<br />

1987–1992 Studium der Chemie an der <strong>Universität</strong><br />

Wien<br />

1991–1995 Diplomarbeit und Dissertation ebenda<br />

1995 Promotion an der <strong>Universität</strong> Wien,<br />

Fachbereich Organische Chemie<br />

1996/1997 PostDoc an der Emory University Atlanta/USA<br />

1997–2004 AG-Leiter am Institut für Angewandte<br />

Synthesechemie der Technischen <strong>Universität</strong><br />

Wien<br />

2004 Habilitation im Fach Makromolekulare<br />

Chemie<br />

2004–2006 Außerordentlicher <strong>Universität</strong>sprofessor<br />

an der TU Wien, Fachbereich<br />

Makromolekulare Chemie<br />

2006 Ablehnung zweier Rufe auf Professuren<br />

(W3) in Österreich und Deutschland<br />

Seit <strong>2007</strong> <strong>Universität</strong>sprofessor in <strong>Halle</strong><br />

A RBEITS- UND FORSCHUNGSSCHWERPUNKTE:<br />

Synthese von Polymeren und nanostrukturierten Materialien,<br />

Lebende Polymerisations-methoden, Polymere auf<br />

Oberflächen, Supramolekulare Polymerchemie, Membranchemie,<br />

Nanokomposite<br />

P UBLIKATIONEN (AUSWAHL):<br />

• Wolfgang H. Binder, Ronald Zirbs: Hydrogen Bonded Polymers,<br />

in: Advances Polymer Science 109/<strong>2007</strong> – Article<br />

and special volume editor<br />

• Wolfgang H. Binder, Christian Kluger, Marina Josipovic,<br />

Christoph J. Straif, Gernot Friedbacher: Directing Supramolecular<br />

Nanoparticle Binding onto Polymer Films: Film<br />

Formation and Influence of Receptor Density on Binding<br />

Densities, in: Macromolecules 39/2006, S. 8092–8101<br />

• Wolfgang H. Binder, Sigrid Bernstorff, Christian Kluger,<br />

Laura Petraru, Michael J. Kunz: Tunable Materials from<br />

Hydrogen-Bonded Pseudo-Block Copolymers, in: Advanced<br />

Materials, 17/2005, S. 2824–2828<br />

• Wolfgang H. Binder, Christian Kluger, Christoph J. Straif,<br />

Gernot Friedbacher: Directed Nanoparticle Binding onto<br />

Microphase Separated Block Copolymer Thin Films, in:<br />

Macromolecules 38/2005, S. 9405–9410<br />

37<br />

P ERSONALIA


38<br />

P ERSONALIA<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

M EDIZINISCHE<br />

F AKULTÄT<br />

Prof. Dr. med. Michael Gekle<br />

<strong>Universität</strong>sprofessor (W3) für Physiologie<br />

seit 1. Mai <strong>2007</strong>. Geboren am 20. März<br />

1963 in Horb am Neckar.<br />

michael.gekle@medizin.uni-halle.de<br />

1977–1981 Gymnasium in São Paulo/Brasilien<br />

1984–1991 Studium d. Humanmedizin an d. Univ.<br />

d. Saarlandes u. d. Univ. Würzburg<br />

1991 Promotion<br />

1991–1994 Wiss. Ass. am Physiol. Inst. in Würzburg<br />

1994/95 Forschungsaufenthalt an d. University<br />

of Sydney, Sydney/Australien<br />

1996 Habilitation für Physiologie<br />

1998 Forschungsaufenthalt an d. University of<br />

Arizona, Tucson/USA<br />

1999–2006 <strong>Universität</strong>sprofessor (C3) in Würzburg<br />

<strong>2007</strong> <strong>Universität</strong>sprofessor in <strong>Halle</strong><br />

W ISSENSCHAFTSPREISE:<br />

2000 »Brigitte-Gedek-Wissenschaftspreis für Mykotoxinforschung«<br />

(Ges. f. Mykotoxinforschung e. V.) • 2004<br />

»Preis für gute Lehre« (Bayerisches Wissenschaftsministerium)<br />

• 2006 »Albert-Koelliker-Lehrpreis« (Univ. Würzburg)<br />

F ORSCHUNGSSCHWERPUNKTE:<br />

Wirkmechanismen d. Steroidhormons Aldosteron u. dessen<br />

Rezeptor bei kardiovaskulären u. renalen Erkrankungen;<br />

molekulare Mechanismen u. Bedeutung d. Wechselwirkung<br />

v. Proteo- u. Steroidhormonen (z. B. Aldosteron u.<br />

Wachstumsfaktoren an Gefäßmuskelzellen); Mechanismen,<br />

hormonelle Steuerung u. pathophysiologische Bedeutung<br />

v. Transportvorgängen (z. B. Medikamententransport u.<br />

Chemoresistenz in Tumorzellen); Interaktion exogener u.<br />

endogener Noxen mit zellulären Signalnetzen im Rahmen<br />

v. apoptotischen, fibrotischen u. proliferativen Gewebeveränderungen<br />

(z. B. Nierenschäden bei Chemotherapie).<br />

P UBLIKATIONEN (AUSWAHL):<br />

• Gekle, M.: Renal handling of albumin, in: Annu. Rev.<br />

Physiol. 67/2005, S. 573–94<br />

• Krug, A.W., C. Grossmann, C. Schuster, R. Freudinger, S.<br />

Mildenberger, M.V. Govindan and M. Gekle: Aldosterone<br />

stimulates epidermal growth factor receptor expression, in:<br />

J. Biol. Chem. 278/2003, S. 43060-43066<br />

• Gekle, M.: Funktion des Magen-Darm-Trakts, Ernährung,<br />

Energiehaushalt, in: Lehrbuch der Physiologie, ed. by R.<br />

Klinke, H. C. Pape and S. Silbernagl, Stuttgart 52005<br />

• Thews, O., B. Gassner, D. K. Kelleher, G. Schwerdt and<br />

M. Gekle: Impact of extracellular acidity on the activity of<br />

p-glycoprotein and the cytotoxicity of chemotherapeutic<br />

drugs, in: Neoplasia, 8(2)/2006, S. 143–152<br />

P HILOSOPHISCHE<br />

F AKULTÄT II<br />

Prof. Dr. phil. Wolfgang Hirschmann<br />

<strong>Universität</strong>sprofessor (W3) für Historische<br />

Musikwissenschaft seit 1. März <strong>2007</strong>.<br />

Geb. am 14. Mai 1960 in Fürth/Bayern.<br />

wolfgang.hirschmann@musikwiss.unihalle.de<br />

1979–1984 Studium d. Musikwiss., Neueren Dt. Literaturgeschichte<br />

u. Theaterwissenschaft<br />

an d. <strong>Universität</strong> Erlangen-Nürnberg<br />

1985 Promotion zum Dr. phil. in Erlangen<br />

1988–1991 Postdoktoranden-Stipendium der DFG<br />

ab 1992 Wiss. Mitarb. an der o. g. Univ.<br />

1995–1998 Habilitanden-Stipendium der DFG<br />

1999 Habilitation u. venia legendi<br />

2002 Akademischer Rat in Erlangen; Ltg. d.<br />

»Bruno-Stäblein-Archivs« u. Editionsltg.<br />

der Monumenta monodica medii aevi<br />

Seit 2003 1. Vorsitzender d. Ges. zur wiss. Edition<br />

d. deutschen Kirchenlieds (Projekt d.<br />

Union d. Akademien = UdA)<br />

Seit 2004 Mitglied im Projektleitungsteam d. Telemann-Auswahlausgabe<br />

(Projekt d. UdA)<br />

2005 Ernennung zum apl. Professor<br />

2006 Beginn d. Drittmittel-Projekts »Edition d.<br />

Vokalwerke von Johann Pachelbel«<br />

<strong>2007</strong> <strong>Universität</strong>sprofessor in <strong>Halle</strong><br />

A RBEITS- UND FORSCHUNGSSCHWERPUNKTE:<br />

Musikgeschichte d. 17. u. 18. Jahrhunderts, speziell d.<br />

Opern- u. Kirchenmusik, d. Kasualmusik sowie d. Librettistik;<br />

Geschichte d. mittelalterlichen u. frühneuzeitlichen<br />

Musiktheorie; Editionspraxis.<br />

P UBLIKATIONEN (AUSWAHL):<br />

• Kritische Aktualisierung eines Modells. Der Musiktraktat<br />

des Johannes als imitatio von Guidos Micrologus, in: Florilegien<br />

– Kompilationen – Kollektionen, hg. von Kaspar Elm,<br />

Wiesbaden 2000 (Wolfenbütteler Mittelalter-Studien, Bd.<br />

15), S. 209–241<br />

• Metastasios Oratorientexte im Deutschland des 18.<br />

Jahrhunderts – Adaptionen und Transformationen, in:<br />

Metastasio im Deutschland der Aufklärung. Bericht über das<br />

Symposium Potsdam 1999, hg. von Laurenz Lütteken und<br />

Gerhard Splitt, Tübingen 2002, S. 217–245<br />

• Musikalische Stilregister im Neuen Helicon des Christian<br />

Knorr von Rosenroth, in: Morgen-Glantz 14 (2004), S.<br />

275–304<br />

• Das 17. Jahrhundert: Desintegration und Diversifizierung,<br />

in: Handbuch der Systematischen Musikwissenschaft, hg.<br />

von Helga de la Motte-Haber, Bd. 2: Musiktheorie, hg. von<br />

ders. und Oliver Schwab-Felisch, Laaber 2005, S. 93–126<br />

P HILOSOPHISCHE<br />

F AKULTÄT II<br />

Prof. Dr. phil. Daniel Fulda<br />

<strong>Universität</strong>sprofessor (W3) für Neuere<br />

deutsche Literaturwissenschaft am Institut<br />

für Germanistik seit 1. Mai <strong>2007</strong>.<br />

Geb. am 14. Oktober 1966 in Frankfurt<br />

am Main.<br />

daniel.fulda@germanistik.uni-halle.de<br />

1986–1991 Studium d. Geschichte, Germanistik,<br />

Hist. Hilfswiss. u. Pädagogik in Köln<br />

1995 Promotion<br />

1995–<strong>2007</strong> Wiss. Mitarb., Ass. u. Oberass. an d.<br />

Univ. zu Köln (seit 2005 beurlaubt)<br />

1997 Dozentur an d. Karlsuniversität Prag<br />

1999 Doz. an d. Central Europ. Univ., Budapest<br />

2003 Habilitation in Neuerer dt. Literaturwiss.<br />

2005–2006 Co-Leiter d interdisziplinären dt.-amerik.<br />

Forschungsprojekts »Demokratie im<br />

Schatten der Gewalt. Geschichten des<br />

Privaten im dt. Nachkrieg, 1945-2005«<br />

2005–2006 Koordinator d. Exzellenzclusterantrags<br />

»Laboratorium Aufklärung« (Univ. Jena)<br />

<strong>2007</strong> Wahl u. Bestellung zum Geschäftsführenden<br />

Direktor des I.Z.E.A.<br />

<strong>2007</strong> <strong>Universität</strong>sprofessor in <strong>Halle</strong><br />

F ORSCHUNGSSCHWERPUNKTE<br />

Theorie u. Geschichte d. Historiographie, Poetiken d. Wissens,<br />

Erinnerungs- u. Vergessenstexte, Narratologie; Theorie<br />

u. Geschichte lit. Gattungen, v. a. Komödie u. Tragödie;<br />

Transformation v. Weltdeutungsmustern im Übergang zur<br />

Moderne (18. Jh.); Weimarer Klassik u. ihre Rezeption;<br />

Gegenwartsliteratur; literarischer Kannibalismus<br />

P UBLIKATIONEN (AUSWAHL)<br />

• Wissenschaft aus Kunst. Die Entstehung der mod. dt.<br />

Geschichtsschreibung 1760–1860, Berlin/New York 1996<br />

• (Hg. mit Walter Pape) Das Andere Essen. Kannibalismus<br />

als Motiv u. Metapher in der Literatur, Freiburg i. Br. 2001<br />

• Dialektik der Dialektik. Das nicht nur dramaturgische Problem<br />

einer ›modernen Tragö die‹ und die ›Tragödie der Moderne‹<br />

bei Ibsen, Hauptmann, Maeter linck und Hofmannsthal,<br />

in: Nachrichten der Akademie der Wissen schaften in<br />

Göttingen, I. Phil.-hist. Kl. 2003, Nr. 3, S. 7–30<br />

• Schau-Spiele des Geldes. Die Komödie und die Entstehung<br />

der Marktgesellschaft von Shakespeare bis Lessing,<br />

Tübingen 2005<br />

• ›Selective‹ History. Why and how ›History‹ Depends on<br />

Readerly Narrativiza tion, with the Wehrmacht s ausstellung<br />

as an example, in: Narratology Beyond Literary Criticism.<br />

Mediality, Disciplinarity, ed. by Jan Christoph Meister in<br />

coll. with Tom Kindt and Wilhelm Schernus. Berlin/New<br />

York 2005, S. 173–194


Vereinigung der Freunde und<br />

Förderer der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong><br />

<strong>Halle</strong>-Wittenberg e. V.<br />

SCIENTIA HALENSIS 2/07<br />

EHRENVORSITZENDE DES<br />

KURATORIUMS:<br />

Senator e. h. Dr. h. c. mult. Hans-Dietrich Genscher,<br />

Senator e. h. Dr. Gerhard Holland<br />

Der Mensch ist, was er isst (und trinkt)!<br />

Gesunde Ernährung als<br />

Lebenselixier<br />

»Der Einfl uss der Ernährung auf altersassoziierte Erkrankungen: Die<br />

Rolle von Advanced Glycation Endproducts (AGE’s)« – so heißt das<br />

Förderprojekt <strong>2007</strong> (Laufzeit bis 2010) der Vereinigung der Freunde<br />

und Förderer der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg e. V.<br />

(VFF). Das Präsidium der VFF hat eine dreijährige Förderung – ein<br />

Stipendium und Finanzen für Verbrauchsmaterialien – für eine Dissertation<br />

zugesagt. Entsprechend dem neuen Konzept der Konzentration<br />

auf längerfristige Vorhaben übernimmt die VFF damit die fi nanzielle<br />

Verantwortung für eine Doktorandin. Sie tut dies weitgehend aus eigenen<br />

Mitteln, wird jedoch zusätzlich unterstützt vom Stiftungsfonds der<br />

Dresdner Bank und der Stadt- und Saalkreissparkasse <strong>Halle</strong>.<br />

Vorsitzender des Kuratoriums: Jörg Henning<br />

Präsident: Senator e. h. Dr. Wolfgang Röller<br />

Geschäftsführer(in): Ramona Mitsching, Dr. Heinz Bartsch, Wolfgang Grohmann<br />

c/o <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>Halle</strong>-Wittenberg, 06099 <strong>Halle</strong> (Saale)<br />

Telefon: 0345 55-22912,<br />

E-Mail: ramona.mitsching@vff.uni-halle.de<br />

Internet: www.vff.uni-halle.de<br />

Diabetes, Arteriosklerose, Niereninsuffi zienz – für die Genesis all dieser<br />

Krankheiten spielt die Ernährung eine wesentliche Rolle. Entscheidend<br />

scheinen in diesem Zusammenhang jene Produkte zu sein, die sich beim<br />

Erhitzen durch die Reaktion zwischen Zucker und Proteinen bilden<br />

(Glykierungsendprodukte = AGE’s). Diese können sowohl schützend<br />

als auch schädigend wirken. Physiologisch im menschlichen Körper entstehende<br />

AGE’s hingegen werden oft für den Ausbruch degenerativer<br />

Krankheiten mitverantwortlich gemacht.<br />

Beatrice Leuner untersucht im Rahmen ihres Promotionsprojekts<br />

(Leitung: HD Dr. rer.nat. Andreas Simm, der auch Organisator der interdisziplinären<br />

Ringvorlesung »Humane Altersgesellschaft« ist) an der<br />

Medizinischen Klinik für Herz- und Thorax-Chirurgie die Wirkung von<br />

AGE-reicher Nahrung bei der Entstehung von Alterserkrankungen am<br />

Tiermodell. (Fotos: Paolo Schubert)<br />

Bitte unterstützen auch Sie die Arbeit der Vereinigung.<br />

Spenden erbeten an:<br />

Kontonummer: 857 362 100<br />

BLZ: 800 800 00<br />

Dresdner Bank <strong>Halle</strong> (Saale)<br />

Die Vereinigung ist berechtigt, steuerwirksame Spendenquittungen auszustellen.<br />

39<br />

V EREINIGUNG DER FREUNDE UND FÖRDERER


Alles unter<br />

einem Dach!<br />

Kreatives Tagen in einem innovativen<br />

Umfeld, individuelle und persönliche<br />

Betreuung von der Anfrage bis zum Vertragsabschluss,<br />

Service bis ins kleinste<br />

Detail – das alles und vieles mehr<br />

bietet Ihnen das M Hotel <strong>Halle</strong>.<br />

Wir begrüßen alle Mitarbeiter,<br />

Veranstaltungsteilnehmer sowie<br />

Freunde der <strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong>,<br />

Gast in unserem Haus zu sein.<br />

Nutzen Sie die vielfältigen Vorteile<br />

wie beispielsweise Sonderkonditionen<br />

für Übernachtungsgäste, die aufgrund<br />

der Partnerschaft zwischen der<br />

<strong>Martin</strong>-<strong>Luther</strong>-<strong>Universität</strong> und dem<br />

M Hotel <strong>Halle</strong> bestehen.<br />

Wir freuen uns auf Ihren Besuch!<br />

M Hotel <strong>Halle</strong> · Riebeckplatz 4 · 06110 <strong>Halle</strong><br />

Telefon 0345 5101-713 · Telefax 0345 5101-777<br />

reservierung.hal@maritim.de · www.maritim.de

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