Ausgabe 9 - IPOS
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Steffen Bauer<br />
„Begnadigte Sünder“ in besonderer Verantwortung.<br />
Kirchenleitung unter dem Vorzeichen von Barmen III - Eine Hinzufügung<br />
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
1. ) Vorbemerkung:<br />
Kirchenleitung redet über die Leitung der Kirche. So<br />
hat der württembergische Landesbischof Frank Otfried<br />
July seinen Bischofsbericht 2007 allein diesem<br />
Thema gewidmet und Landesbischof Dr. Friedrich<br />
Weber aus Braunschweig hat an den Anfang seines<br />
Bischofsberichts 2008 folgendes Bonmot gestellt:<br />
„Frage an Sender Jerewan: Kann Kirchenleitung Kirche<br />
leiten? Kann Synode Kirche leiten? Antwort: Im<br />
Prinzip ja, aber kann ein Zitronenfalter Zitronen falten?“<br />
1<br />
Über Kirchenleitung wird also geredet und die oben<br />
zitierte Aussage von Weber und nicht wenige weitere<br />
in seinem Bericht nehmen auf, was an Meinung weit<br />
verbreitet ist: Es scheint ein signifikantes Leitungsproblem<br />
in der Kirche zu geben 2 . Jedenfalls wird auf<br />
allen drei Ebenen der Kirche, Gemeinde, Bezirk, Landeskirche,<br />
vehement geklagt. Ehrenamtliche und<br />
Gemeindepfarrerinnen und -pfarrer tun es, von Dekanen<br />
und Superintendentinnen kann man es vernehmen<br />
bis hin zu Bischöfen. In der Kirche tut man sich<br />
schwer mit Leitung und Führung.<br />
Die folgenden Ausführungen werden aufgreifen, dass<br />
Leitung in der Kirche mit der entscheidenden Frage<br />
beginnt, von wem man sich leiten lässt. Dabei werden<br />
ekklesiologische Überlegungen eine wichtige Rolle<br />
spielen (siehe 4.). Des weiteren werden Annäherungen<br />
zur Frage wiedergegeben und vorgenommen, was<br />
denn evangelisches Leiten inhaltlich ausmacht bzw.<br />
ausmachen soll (siehe 5.). Vor allem soll der Diskussion<br />
um die Leitung von Kirche ein Aspekt der These<br />
III der Barmer Theologischen Erklärung aus dem Jahre<br />
1934 hinzugefügt (siehe 2.) und zunächst an der<br />
eigenen Praxis konkretisiert und erhärtet werden (siehe<br />
3.). Abschließend können dann weitere Praxisfelder<br />
helfen, die Möglichkeiten dieser Vergegenwärtigung<br />
von Barmen aufzuzeigen (siehe 6).<br />
Wichtig ist, dass bei dem Stichwort “Kirchenleitung”<br />
immer an die Ebenen Gemeinde, Bezirk und Landeskirche<br />
gedacht wird. Überall dort zumindest findet<br />
Kirchenleitung statt, die gut daran tut, ihr Handeln an<br />
der These III von Barmen auszurichten.<br />
2.) These unter Rückgriff auf Barmen III<br />
“Die christliche Kirche ist die Gemeinde von Brüdern,<br />
in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch<br />
den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt.<br />
Sie hat mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam,<br />
mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung mitten in der<br />
Welt der Sünde als die Kirche der begnadigten Sünder<br />
zu bezeugen, dass sie allein sein Eigentum ist,<br />
allein von seinem Trost und von seiner Weisung in<br />
Erwartung seiner Erscheinung lebt und leben möchte.“<br />
Die Barmer Theologische Erklärung aus dem Jahre<br />
1934 redet in dieser These von der “Welt der Sünde”<br />
und kennzeichnet mitten darin stehend die Kirche als<br />
“Kirche der begnadigten Sünder”. Genau das bezeichnet<br />
schon treffend das, was die Kirche der Welt voraus<br />
hat: Sie weiß um die Gnade und von diesem<br />
Wissen her weiß sie auch um die eigene Sünde und<br />
auch um die Sündhaftigkeit der Welt. Die These III der<br />
Barmer Theologischen Erklärung von Barmen redet<br />
visionär, wenn sie davon spricht, dass die Kirche in<br />
Erwartung des Kommens Jesu Christi lebt. Sie gibt<br />
sich aber keineswegs illusionär, wenn sie die Gegenwart<br />
der Kirche als eine Gemeinschaft zwar der begnadigten,<br />
aber doch eben der Sünder charakterisiert.<br />
Nach evangelischem Verständnis hat nun aber für die<br />
Leitung der Kirche auf allen Ebenen nichts anderes<br />
zu gelten als für alle Christenmenschen auch. So wie<br />
alle Getauften am Priestertum aller Gläubigen teilhaben,<br />
so haben alle Getauften auch Teil an der Gemeinschaft<br />
der begnadigten Sünder. Dabei meint dieser<br />
Ausdruck keineswegs eine Vergangenheit der in<br />
der Kirche Versammelten, sondern eben ihre Gegenwart<br />
und zwar in Hinsicht der Gnade, die nicht zufällig<br />
als erstes genannt wird, aber doch auch in Hinsicht<br />
des Sünderseins. Kirchenleitung geschieht also nicht<br />
nur unter den Aspekten und mit den theologischen<br />
Orientierungspunkten, die exemplarisch für die gesamte<br />
Diskussion gleich noch genannt werden, sondern<br />
auch und ganz besonders unter dieser<br />
Grundlegung: Kirchenleitende Menschen sind in ihrer<br />
gegenwärtigen Existenz begnadigte Sünder. Sie sind<br />
auf Gnade angewiesen und in Jesus Christus dürfen<br />
sie dieser Gnade auch gewiss sein. Sie sind aber<br />
auch Sünder, also Menschen, die von sich aus immer<br />
wieder neu in die Verhältnis- und Beziehungslosigkeit