Karl Mai/Klaus Steinitz - Denkwerkstatt 2020
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Abschied vom "Aufholprozess Ost" - ein kritischer Diskussionsbeitrag<br />
Wirkung der künftig einsetzenden ”demografischen Falle Ost”. Seitens einiger Wirtschaftsforscher<br />
wurde bereits Skepsis wegen der degressiven Höhe der Jahreszuweisungen<br />
und ihrer Endbefristung geäußert.<br />
Die regionale Wirtschaftsförderung durch den Bund (”Gemeinschaftsaufgabe”) ist<br />
derzeit und mittelfristig für Ostdeutschland im privaten Sektor der Wirtschaft rückläufig<br />
und speziell im innovativen industriellen Bereich von zu geringem Gesamtvolumen.<br />
Von daher ist es äußerst abträglich, wenn für die industrielle Wertschöpfung<br />
die direkte Wirtschaftsförderung mittels Sonder-Bundeszuweisungen ab 2005 als<br />
staatliche Kann-Maßnahme erfolgt, deren Umfang künftig jährlich neu gemäss Solidarpakt<br />
II ausgehandelt werden muss.<br />
2.8 Folgen von Abwanderung sowie ”demografischer Falle Ost”<br />
Über die wieder ansteigenden Abwanderungsverluste sowie einer später drohenden<br />
”demografischen Falle Ost” 24 gibt es zunehmende Unruhe in der ostdeutschen Bevölkerung<br />
und Unsicherheit in deren Artikulation durch die Politik. Das schlichteste Argument<br />
der Politik zur derzeitig wieder zunehmenden Abwanderung lautet, dies sei<br />
ein Zeichen ”erfreulicher Mobilität der ostdeutschen Jugend bei der Jobsuche”. Die<br />
offizielle Wirtschaftsforschung bewertete bis zuletzt die ansteigenden Abwanderungsverluste<br />
als nicht bedrohlich.<br />
Eine differenzierte Analyse der saldierten Abwanderung nach Westdeutschland<br />
belegt, dass sich subregional sehr spürbare Größenordnungen mit anwachsender Tendenz<br />
vor allem bei den jüngeren Berufsjahrgängen nachweisen lassen. In einigen<br />
Städten Thüringens wird dieser Verlust bereits als dramatisch empfunden. In Sachsen<br />
verlassen bereits große Teile der Berufsanfänger-Jahrgänge das Land. Sachsen-<br />
Anhalt hat 2000 einen Einwohnerrückgang infolge von Wanderungssaldo und Geburtendefizit<br />
von 33.362 Bürgern lt. Landesstatistik zu verzeichnen, etwa in der Größenordnung<br />
der Stadt Bernburg.<br />
Auf Kritik stößt die Förderung der Jobsuche nach Westdeutschland durch die Arbeitsämter,<br />
deren Eigeninteresse auf eine Minderung der Arbeitslosenrate gerichtet<br />
ist. Auch die Landespolitik gerät in die widersprüchliche Situation zwischen dem<br />
positiven Aspekt von weniger arbeitsloser Berufsanfängern und der Schwächung der<br />
regionalen Potenziale für die perspektivische Wirtschaftsentwicklung.<br />
Lange hat die Politik diese Spätwirkungen aus der öffentlichen Debatte verdrängt,<br />
obwohl die demografische Forschung frühzeitig warnte. Manche sahen zweifellos<br />
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