Integrationsjournal Mai 2013 - Lehrerweb
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I-JOURNAL <strong>Mai</strong> <strong>2013</strong><br />
„abzutauchen“. Da ihm das Reiten wirklich großen Spaß macht, geht er öfter in der Kommunikation an bzw.<br />
über seine persönlichen Grenzen. Doch sind diese einmal überschritten versucht er es mit Vermeidungsstrategien.<br />
Wir hatten z. B. die Regel: Eine Frage darf Christoph stellen, ich muss antworten dann darf ich<br />
eine stellen und er muss antworten. Das ging eine Zeit lang gut, doch dann antwortete er mit „Das weiß ich<br />
nicht!“. Ich musste eine neue Regel aufstellen: Ich weiß es nicht – ist keine Antwort.<br />
Um seine auditive Merkfähigkeit zu trainieren spielten wir das Kofferpackspiel – für Christopher natürlich<br />
abgewandelt: Ich hänge auf ein Kabel … Damit ist die Motivation gleich viel größer und dadurch auch seine<br />
Konzentration.<br />
An Christoph schätze und liebe ich besonders, dass er eines der wenigen von mir betreuten Kindern ist, das<br />
sich auch Gedanken ums Wohl des Pferdes macht. Tut ihm das auch nicht weh? Mag das der Navajo auch?<br />
Diese und ähnliche Fragen sind für ein Kind mit einer autistischen Störung schon sehr außergewöhnlich<br />
und machen die Therapie zu einem besonderen Erlebnis für mich. Wir beobachten die klare Pferdekörpersprache<br />
(Kopf-, Ohr- und Körperhaltung). Aber auch die Spannung und Entspannung von Muskeln ist sehr<br />
aussagekräftig. Christoph ist im „Pferdeflüstern“ schon ein kleiner Meister, und so gelingt es ihm oft, dass<br />
er diese Fragen schon selber beantworten kann.<br />
Dank seiner großen Fortschritte in der Kommunikation, weil er Erlerntes sehr schnell auch anwenden kann,<br />
sind wir nun bei schon wirklich kleinen Gesprächen angelangt. Wenn das Thema nicht unbedingt aus seinen<br />
Spezialgebieten stammte, dann konnten seine verbalen Reaktionen fast verletzend sein. Dadurch,<br />
dass das Pferd sehr schnell auf Körperan- und entspannung reagiert, bekommt Christoph sehr schnelle<br />
Rückmeldung auf seine Körpersprache. Das viele Training zeigt erste Erfolge. Inzwischen kann er auch Gespräche<br />
schon lenken. Und das ganz höflich! Wer mit autistischen Kindern arbeitet weiß, welche Leistung<br />
das ist. Um ein Gespräch lenken zu können, muss man schon einige Kompetenzen der Kommunikation<br />
kennen und anwenden können.<br />
Auch das für Menschen mit ASS typische „Wortwörtlich nehmen“ betrifft Christophs Sprache. Nach einem<br />
Kinobesuch (Das Pferd auf dem Balkon) sprachen wir natürlich über diesen Film, worin es um einen Jungen<br />
mit Asperger-Syndrom und seine Beziehung zu einem Pferd geht. Ich meinte, dass ich vieles sehr ähnlich<br />
wie bei Christoph empfand und zählte die Ähnlichkeiten auf. Danach fragte ich: „Isst du auch gerne pünktlich?“<br />
Seine Antwort: „Pünktlich kann man nicht essen, nur Brot und Käse.“<br />
Zum Abschluss möchte ich noch einige Wesenszüge des Pferdes erwähnen: Das Pferd ist nicht nachtragend,<br />
nimmt vorbehaltlos an, und trotz seiner Größe ist es sehr bemüht und an Menschen interessiert. Das<br />
sind ideale Voraussetzungen für ein „Gespräch“.<br />
Wenn man Christophs Beitrag für den „Jahresrückblick <strong>2013</strong>“ (jährliches Vereinsjournal) liest, spürt man,<br />
dass er einerseits in der Welt der „Neurotypischen“ (so werden „Normale“ von Menschen mit Asperger-<br />
Syndrom benannt) noch nicht angekommen ist, sich aber andererseits schon sehr gut in ein Pferd hineinfühlen<br />
kann.<br />
„Ich bin kein Pferd – ich bin ein Autistenmenschenkind“<br />
Diese Aussage hat mich sehr berührt. Ich hoffe, dass wir daran arbeiten können, dass er sich irgendwann<br />
nur als Menschenkind spürt. Dafür wünsche ich Christoph alles Gute.<br />
25<br />
Dipl. Päd. Andrea Ackerer<br />
Mentorin für SchülerInnen mit Autismus-Spektrum-Störung,<br />
Sprachheilpädagogin,<br />
Heilpädagogische Voltigiertherapeutin