I-JOURNAL <strong>Mai</strong> <strong>2013</strong> 4
Sehr geehrter Leser! Sehr geehrte Leserin! I-JOURNAL <strong>Mai</strong> <strong>2013</strong> Vorwort Herzlich willkommen in unseren neuesten Ausgabe des I-Journals. „I“ steht für Integration, Inklusion und für individuelle Verbundenheit. Diese Begriffe bilden die Basis für eine grundsätzliche ethische Haltung im Umgang mit Mitmenschen. Zum Begriffspaar Integration und Inklusion: Es ist müßig, hier eine Unterscheidung zu treffen, auch wenn theoretische Überlegungen immer wieder Unterschiede konstruieren wollen. Ein typisches Muster solch theoretischer Auseinandersetzungen ist das Kritisieren von Integration als Form der Eingliederung von behinderten Menschen in die Gesellschaft der Normalität und die Gegenüberstellung von Inklusion mit dem Ziel, eine gesamtheitliche Gesellschaft zu formen, in der jeglicher Unterschied im Zeichen der Individualität steht. Aus diesem, sehr frei nach G.H.F. Hegel gedachten dialektischen Zirkelschluss kommt man nicht heraus. Eine weitere diskursive Entwicklung ist, so lange die Dialektik von Integration und Inklusion nicht überwunden werden kann, nicht möglich. Philosophisch betrachtet ist kaum etwas schwieriger zu beschreiben als jene Regeln, nach denen Normalität funktioniert. Für den interessierten Leser und die interessierte Leserin möchte ich hier auf Michel Foucault verweisen, der in seinen bahnbrechenden Arbeiten zu den „Normalitätsrichtern“ in seinem Buch „Überwachen und Strafen“ 1 viele Überlegungen dazu angestellt hat. Für die Wiener Schulen gilt jedenfalls, dass wir allen Kindern, gleich unter welchem Titel, die Förderung im Rahmen angemessener Möglichkeiten zukommen lassen, die sie brauchen und benötigen. Dafür stehen u. a. die Sonderpädagogischen Zentren. Gesamtvereinnahmende Prinzipien und Schlagwörter wie z.B. „Individualisierung“ sind eher Fetische einer Pädagogik des Zeitgeistes – absolut gut gemeint, absolut richtig in der Zielvorstellung, klingen hervorragend, sind aber dafür unklar im praktischen Vollzug. „Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“ 2 Diese Festlegung von Immanuel Kant kann als universelle Vorgabe für ethisches Handeln betrachtet werden. Der Mensch ist als Zweck seiner selbst zu sehen. Mit dieser philosophischen Basis ist Individualität, unter Beachtung grundsätzlicher Freiheitsrechte, als Maßstab der Ethik anzulegen. In diesem Sinne ist der Begriff der Individualität philosophisch klar und kann jederzeit in der „Metaphysik der Sitten“ immer wieder aufs Neue entdeckt werden. Neu und diskussionswürdig ist auch die Studie von John Hattie, die am 23. April <strong>2013</strong> in deutscher Sprache veröffentlicht wurde: „Lernen sichtbar machen“. 3 Darin hat der neuseeländische Bildungsforscher in einer Arbeit, die über ein Jahrzehnt andauerte, sämtliche, in englischer Sprache verfügbaren Studienergebnisse zum Thema „Was macht guten Unterricht aus?“ analysiert und Schlussfolgerungen angestellt. Mehr als 50.000 wissenschaftliche Einzeluntersuchungen wurden so auf Systemebene bearbeitet. Im Original heißt die Arbeit „Visible Learning“ und ihr wurde in den letzten vier Jahren im englischen Sprachraum höchste Beachtung geschenkt. Es ist zu erwarten, dass auch bei uns Diskussionen starten und andauern werden. Zum Diskurs bereit ist jedenfalls dafür auch das I-Journal. 5 Rupert Corazza Landesschulinspektor für Inklusion 1 Michel Foucault, Überwachen und Strafen, die Geburt des Gefängnisses, suhrkamp taschenbuch wissenschaft. 2 Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Akademie-Ausgabe Kant Werke IV, Walter de Gruyer 1968, S. 429, 10-12. 3 John Hattie, Wolfgang Beywl, Klaus Zierer, Lernen sichtbar machen, Schneider Verlag Gmbh. Auflage: Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von „Visible Learning“ (23. April <strong>2013</strong>).