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münchen - Münchner Stadtmuseum

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zedenzlose Unmittelbarkeit. Während ORDET vorführt,<br />

dass sein Vorbild Dreyer fest an Wunder glaubte, merkt<br />

man von Triers Filmen allerdings die Anstrengung an,<br />

die ein solcher Glaube kostet.<br />

Gleichwohl ist sein Werk seit seinen Anfängen von<br />

religiöser Metaphorik durchdrungen. Von BEFRIELSES<br />

BILLEDER an, der in den letzten Tagen der deutschen<br />

Besatzung Dänemarks spielt, wird es bevölkert von Er -<br />

lösern und Märtyrern – in diesem halblangen Kino -<br />

debüt lässt er gar einen Nazi-Offizier diese Rolle übernehmen.<br />

Vorzugsweise trägt er das Mandat, den Lauf<br />

der Welt zu beeinflussen und es vor dem Chaos zu beschützen,<br />

Frauen an. Er setzt sein ganzes Vertrauen in<br />

deren hartnäckige Unschuld, in ihr reines Herz. Auf<br />

ihren Opfergängen bleiben sie, wie de Sades Justine,<br />

unberührt von allem Schrecklichen, das ihnen widerfährt.<br />

So erscheint es als kluge (wenn auch nicht ganz<br />

freiwillig getroffene) Entscheidung, die Rolle der in<br />

DOGVILLE von Nicole Kidman gespielten Grace, in der<br />

Fortsetzung MANDERLAY mit einer anderen Darstellerin,<br />

Bryce Dallas Howard, zu ersetzen. Die Naivität, mit<br />

der sich die zweite Grace ihrem neuen Mandat stellen<br />

muss, wird durch deren argloses Gesicht hinreichend<br />

beglaubigt.<br />

Nach dem Blutbad, das ihre Vorgängerin am Ende des<br />

ersten Films unter den korrupten Einwohnern von Dogville<br />

anrichtete, hätte man Nicole Kidman die wiedergewonnene<br />

Reinheit schwerlich abgenommen. Dieses<br />

Massaker ist freilich in vielerlei Hinsicht eine Katharsis.<br />

Das kardinale Ärgernis der vorangegangenen Filme<br />

Lars von Triers scheint damit überwunden: jene anmaßend<br />

manipulative Erzählhaltung, die es ihm gestattete,<br />

sich selbst offenen Auges auf Widersprüche und Provokationen<br />

seiner Stoffe einzulassen und dabei seine Heldinnen<br />

so ahnungs- wie widerstandlos in ihre Opferrolle<br />

zu schicken. Die Resolutheit, mit der Grace Vergeltung<br />

übt für Demütigung und Unterdrückung, stellt mithin<br />

auch einen unwiderruflichen Wendepunkt in von<br />

Triers Weltsicht dar.<br />

Die Welt als Laboratorium<br />

An Dreyer bewundert von Trier die Reinheit des Stils.<br />

Bei allem weltstürzenden Bombast lassen sich seine<br />

ästhetischen Konzepte auf dieses Prinzip zurückführen;<br />

nicht zuletzt die Idee des »Dogmas«, die er später zwar<br />

für »idiotisch« hielt und gegen die er nachdrücklich<br />

(gleichsam als Widerspruchsgeist in eigener Sache) rebellierte,<br />

die ihm im Fall von IDIOTEN in der Beschränkung<br />

jedoch einen großen Freiraum eröffnete. Er will<br />

sich in seinen Filmen Rechenschaft ablegen über das<br />

Ethos des Erzählens. In seinem Frühwerk EPIDEMIC<br />

filmt er sich selbst und seinen Drehbuchautor dabei,<br />

wie sie über die Strukturierung der Handlung diskutieren.<br />

In THE FIVE OBSTRUCTIONS fordert er seinen Lehrmeister,<br />

den Dichter und Dokumentarfilmer Jørgen<br />

Leth, auf, fünf Remakes seines Kurzfilms THE PERFECT<br />

HUMAN zu drehen, für deren Realisierung er ihm jedesmal<br />

ein neues Hindernis auferlegt.<br />

Dieses Streben nach Reinheit bringt ihn vor allem dazu,<br />

regelmäßig Weltenvisionen an abgelegenen Orten zu<br />

entwerfen: auf einer schottischen Insel, in einer amerikanischen<br />

Kleinstadt, einer Baumwollplantage, einem<br />

Haus in der Wildnis oder einem Luxushotel. Das Intime<br />

und das Universelle finden in diesen erzählerischen Laborversuchen<br />

zusammen. Wiederum spielt er mit der<br />

Entgrenzung. In DOGVILLE und MANDERLAY sind sämtliche<br />

Interieurs Außenszenen. Die Räume sind nur mehr<br />

Grundrisse, Wände und Mauern existieren nicht. Die<br />

verschmitzte Aussparung beinahe jeglicher Architektur<br />

soll man nicht als Leerstelle empfinden, sondern als<br />

Lars von Trier<br />

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