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die gysi thesen - Communismus

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<strong>die</strong> <strong>gysi</strong>-<strong>thesen</strong><br />

sie wollen alle das unmögliche,<br />

dass heisst bürgerliche lebensbedingungen<br />

ohne <strong>die</strong> notwendigen konsequenzen<br />

<strong>die</strong>ser bedingungen<br />

(karl marx gegen proudhon)


Inhalt<br />

Vorbemerkung vom Herbst 2003 ......................................................................3<br />

Vorbemerkung...................................................................................................4<br />

Einleitung ......................................................................................................... 5<br />

Der Untergang des Staatssozialismus<br />

und <strong>die</strong> Krise des rheinischen Kapitalismus .....................................................8<br />

Die Wiederauferstehung<br />

Rousseaus und Proudhons ...............................................................................13<br />

Lassalle lässt grüßen........................................................................................25<br />

Die Herrschaft der<br />

unproduktiven Mittelschichten........................................................................28<br />

Die Anerkennung des Gewaltmonopols<br />

des bürgerlichen Staates ..................................................................................30<br />

Schlussbemerkung...........................................................................................32


[vorwort herbst `03]<br />

nach seiner ernennung zum neuen (witz) pds-vorsitzenden versuchte bisky, <strong>gysi</strong> wieder ins boot zu holen.<br />

gleichzeitig diskutiert <strong>die</strong> pds <strong>die</strong> programmfrage mit dem neu vorgelegten entwurf des vorstands.<br />

<strong>gysi</strong> selbst legte <strong>die</strong> grundlagen für alle programmdebatten mit seinen <strong>thesen</strong> vom august 1999. ein grund<br />

für uns, eine damals veröffentlichte kritik an <strong>die</strong>sen <strong>thesen</strong> digital zur verfügung zu stellen.<br />

doch in <strong>die</strong>ser kritik geht es um weit mehr, als nur <strong>die</strong> grundlagen der programmdebatte einer verfallenden<br />

partei zu diskutieren. <strong>die</strong> kritik der <strong>gysi</strong>-<strong>thesen</strong> ist <strong>die</strong> kritik der deutschen linken in ihrer gesamtheit, ihres<br />

moralisch-ethischen weltbildes und ihrer grundsätzlichen theoretischen und politischen gemeinsamkeiten.<br />

kritisiert wird u.a.<br />

· <strong>die</strong> in der deutschen geistesgeschichte wurzelnden staatsvorstellungen,<br />

· <strong>die</strong> ansicht, dass <strong>die</strong> politik mächtiger sei als ökonomischen gesetze,<br />

· das in neuer form wieder erstandene bündnis mit dem kleinbürgertum,<br />

· <strong>die</strong> betrachtung der klassen als feste stände,<br />

· <strong>die</strong> behandlung von neoliberalismus und kredit,<br />

· <strong>die</strong> forderungen bzgl. sozialstaat und steuern,<br />

· <strong>die</strong> abstrakte behandlung der natur.<br />

in <strong>die</strong>ser kritik werden gleichzeitig elemente eines revolutionären programms entwickelt:<br />

andrerseits kann einiges nach vier jahren genauer beschrieben werden. ob <strong>die</strong> pds nun in der eigenen vorstellung<br />

staatstragend wird oder nicht, tut nicht viel zu der frage, inwieweit sie auch in den genuss kommen darf,<br />

<strong>die</strong>sen staat wirklich zu tragen. deswegen kann <strong>die</strong> pds heute nicht mehr hauptgegner sein. das wäre<br />

zeitverschwendung.<br />

mit der zunehmenden krise der staatsfinanzen stehen revolutionäre heute vor grösseren aufgaben, der<br />

entwicklung eines konkreten programms des fortschritts. dabei wird <strong>die</strong> bürgerliche politik zum hauptgegner,<br />

vor allem <strong>die</strong> politik des schröder-blair-papiers, <strong>die</strong> von teilen der spd und mehr noch der grünen vertreten<br />

wird. <strong>die</strong> anderen parteien werden sich selbst kritisieren durch ihr festhalten am alten der dem untergang<br />

geweihten „rheinischen“ republik.<br />

darüberhinaus macht <strong>die</strong>se wieder veröffentlichte broschüre deutlich, welche theoretischen aufgaben gelöst<br />

werden müssen:<br />

1) eine bestimmung dessen, was „rheinischer kapitalismus“ bzw. „modell deutschland“ heisst, um <strong>die</strong><br />

erfolgsaussichten schröders abschätzen zu können;<br />

2) eine untersuchung, was <strong>die</strong> herausbildung des weltmarkts - „globalisierung“ - für <strong>die</strong> zukunft des kapitalismus<br />

bedeutet (im kapital schreibt marx, dass der „fertige“ weltmarkt auch den kapitalismus fertig macht);<br />

3) ist der kapitalismus fähig, <strong>die</strong> durch ihn verursachte naturzerstörung in den griff zu bekommen?<br />

<strong>die</strong>s ist also <strong>die</strong> redigitalisierte ausgabe unserer (kritik an den) „<strong>gysi</strong><strong>thesen</strong>” im pdf-format. insgesamt<br />

auf 33 seiten din a4. das orignial erschien als druckausgabe auf 50 seiten din a5. von <strong>die</strong>ser ausgabe<br />

haben wir auch noch einige in unserem büchertischsortiment. wer daran interesse haben sollte, kann<br />

sie per post erhalten, bestellungen über info@communismus.de.<br />

<strong>die</strong> erstveröffentlichung erschien noch unter dem namen „Junius” bzw. „Kommunistische Gruppe<br />

Junius”. beides gibt es in <strong>die</strong>ser form nicht mehr. heute veröffentlichen wir unter dem namen<br />

`communismus.de. auf <strong>die</strong>ser page (www.communismus.de) erscheint ca. alle 10 tage ein neuer<br />

artikel - draufschauen lohnt!


Vorbemerkung<br />

Die Gysi-Thesen haben zum Ziel, <strong>die</strong> programmatischen Grundlagen zu schaffen, auf welchen<br />

<strong>die</strong> PDS zu einer staatstragenden Partei werden kann. Sie sind <strong>die</strong> Antwort auf das Schröder/<br />

Blair-Papier und <strong>die</strong> programmatische Krise der Sozialdemokratie. In <strong>die</strong>sem doppelten Sinne<br />

sind sie Teil der Programmdebatte im bürgerlichen Lager um <strong>die</strong> Reform und <strong>die</strong> Zukunft der<br />

bürgerlichen Gesellschaftsordnung. Nach dem Sieg des Kapitalismus über <strong>die</strong> osteuropäischen<br />

Staatswirtschaften, dem „real existierenden Sozialismus", treten heute <strong>die</strong> sozialen und<br />

gesellschaftspolitischen Probleme der bürgerlichen Ordnung selbst in das Zentrum der<br />

gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen zwischen den Klassen und den bürgerlichen<br />

Parteien.<br />

Der Sturz Kohls, Ausdruck der gescheiterten Herstellung der inneren Einheit Deutschlands durch<br />

Übertragung des „rheinischen Kapitalismus" auf den Osten Deutschlands, war der Katalysator<br />

<strong>die</strong>ser Entwicklung. Der Kapitalismus stößt durch seine Entwicklung an <strong>die</strong> Grenzen einer alten<br />

Form, des „rheinischen Kapitalismus". Im Zentrum der programmatischen Debatte (Stichwort<br />

„soziale Gerechtigkeit") stehen deshalb vor allem zwei Hauptfragen: der „rheinische"<br />

Kapitalismus als Entwicklungsmoment und Schranke der Kapitalbewegung und der Kampf um<br />

<strong>die</strong> Neuordnung und Umwälzung des Sozialstaates. In <strong>die</strong>ser Programmdebatte haben SPD und<br />

PDS einen Vorsprung gegenüber CDU, FDP und Grüne (welche noch auf den alten Nennern<br />

liegen), da sie eine geschlossene Konzeption vorgelegt haben. Die Feststellung gilt unabhängig<br />

von der Tatsache, dass der Hauptrepräsentant des neuen Kurses der PDS, Gysi, sich inzwischen<br />

aus der ersten Reihe der Partei zurückgezogen hat. Seine Thesen sind nach wie vor <strong>die</strong><br />

Grundlage der Programmdebatte in der PDS. Der bisher von der Programmkommission vorgelegte<br />

Vorschlag für eine Änderung des Parteiprogramms orientiert sich an ihnen in allen wesentlichen<br />

Punkten. Dadurch ist Kritik an den Thesen auch Kritik an der Programmdebatte der PDS.<br />

Die PDS mit ihrem „sozialistischen Anspruch", als vermeintliche „sozialistische Kraft im<br />

deutschen Bundestag" (DKP), ist für <strong>die</strong> Kommunisten der Hauptgegner in <strong>die</strong>ser<br />

Auseinandersetzung. Wir halten <strong>die</strong>s für eine notwendige Auseinandersetzung, weil <strong>die</strong>se Kritik<br />

uns <strong>die</strong> Möglichkeit gibt, <strong>die</strong> eigenen programmatischen und politischen Position zu entwickeln.<br />

Diese Kritik entwickelt <strong>die</strong> theoretischen und programmatischen Auffassungen der Kommunisten<br />

gegen eine Position, welche <strong>die</strong> Reform der bürgerlichen Gesellschaft - als <strong>die</strong> natürliche, ewige<br />

und absolute Gesellschaftsordnung - will und postuliert.<br />

Im Zusammenhang mit der Kritik an den Thesen halten wir es für notwendig, noch einmal<br />

deutlich zu machen, warum wir uns im Gegensatz zur PDS als Kommunisten und nicht als<br />

Sozialisten definieren. Engels begründete <strong>die</strong> Namensgebung 1890 folgendermaßen:<br />

„Unter Sozialisten verstand man 1847 zweierlei Art von Leuten. Einerseits <strong>die</strong> Anhänger der<br />

verschiedenen utopistischen Systeme, ... Andererseits <strong>die</strong> mannigfaltigsten sozialen Quacksalber,<br />

<strong>die</strong> mit ihren verschiedenen Allerweltsheilmitteln und mit jeder Art von Flickarbeit <strong>die</strong><br />

gesellschaftlichen Missstände beseitigen wollten, ohne dem Kapital und dem Profit im geringsten<br />

wehe zu tun. ... Sozialismus bedeutete 1847 eine Bourgeoisbewegung, Kommunismus eine<br />

Arbeiterbewegung. Der Sozialismus war, auf dem Kontinent wenigstens, salonfähig, der<br />

Kommunismus war das gerade Gegenteil. Und da wir schon damals sehr entschieden der Ansicht<br />

waren, dass '<strong>die</strong> Emanzipation der Arbeiter das Werk der Arbeiterklasse selbst sein muss', so<br />

konnten wir keinen Augenblick im Zweifel sein, welcher der beiden Namen zu wählen ist."<br />

(MEW 22, S. 58)<br />

Wie <strong>die</strong> weitere Entwicklung der Kritik an den Thesen zeigen wird, hat <strong>die</strong>se von Engels<br />

getroffene Unterscheidung auch heute noch ihre volle Gültigkeit. Auch heute verbindet sich mit<br />

dem Begriff des Sozialismus - des „demokratischen Sozialismus" - eine Bourgeoisbewegung, eine<br />

Bewegung des bürgerlichen Individuums gegen <strong>die</strong> Arbeiterklasse. Der zugespitzte Ausdruck<br />

<strong>die</strong>ser Auffassungen ist <strong>die</strong> Theorie vom Sozialismus als einer eigenständigen<br />

Gesellschaftsformation zwischen Kapitalismus und Kommunismus, zwischen Markt und<br />

Konkurrenz einerseits und Planwirtschaft andererseits oder als eine vermeintliche Einheit beider<br />

Momente. Eine stabile Gesellschaft als <strong>die</strong> Verbindung beider Elemente von Kapitalismus und


Kommunismus soll <strong>die</strong>se sozialistische Gesellschaft darstellen - eine lächerliche Ansicht, wie<br />

sie zum Beispiel auch in der Programmdebatte der DKP weit verbreitet ist und nur <strong>die</strong><br />

Unfähigkeit dokumentiert, <strong>die</strong> Gesetze zu begreifen, auf denen <strong>die</strong> bürgerliche Gesellschaft und<br />

<strong>die</strong> kapitalistische Produktionsweise beruht. Es ist ein gemeinsamer Grundzug aller<br />

Gruppierungen der Linken in Deutschland, ihre Programmatik und ihre politische Linie aus der<br />

Herrschaft des Kapitals, der Herrschaft der Monopole, der Unterordnung des Staates unter deren<br />

Herrschaft, der Herrschaft der bürgerliche Ideologie u. ä. abzuleiten. Wie wir in der Darlegung<br />

und Kritik der Gysi-Thesen sehen werden, bringen auch <strong>die</strong>se Thesen in der grundsätzlichen<br />

Frage nach den Gesetzen, auf denen <strong>die</strong> kapitalistische Produktion beruht, nichts wesentlich<br />

neues. In <strong>die</strong>ser grundsätzlichen Fragestellung stehen sie voll auf dem Boden der idealistischen<br />

Konstruktionen der übrigen Teile der Linken, und nicht auf dem Boden der Marxschen Theorie.


Einleitung<br />

Die Thesen sind im wesentlichen nach drei Gesichtspunkten gegliedert:<br />

Am Anfang versucht sich Gysi in einer Analyse und Zusammenfassung der Entwicklung in<br />

Deutschland in der Nachkriegsära. In <strong>die</strong>sem <strong>die</strong> Thesen 1 bis 3 umfassenden Teil geht es um <strong>die</strong><br />

Ausgangslage für <strong>die</strong> Zielsetzungen Gysis und der PDS, welche eine „moderne sozialistische"<br />

Politik nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus anstreben. Des weiteren gibt <strong>die</strong>se<br />

Vergangenheitsbewältigung Gysischer Prägung eine kritische Darstellung der positiven und<br />

negativen Momente der angeblich sozialdemokratischen Gestaltung des sogenannten<br />

„fordistischen Kapitalismus". Im Kern läuft <strong>die</strong> Darstellung auf den Versuch einer kritischen<br />

Würdigung des nicht zu übersehenden Aufstieges des Kapitalismus in der zweiten Hälfte des 20.<br />

Jahrhunderts hinaus, welche nicht zuletzt den Untergang des „real existierenden Sozialismus"<br />

wesentlich beförderte. Eine Entwicklung, welche sich nach Gysi nicht in erster Linie aus dem<br />

Kapitalverhältnis erklärt, sondern aus der Gestaltung der Politik, speziell „linker",<br />

sozialdemokratischer Politik. Eine Entwicklung, <strong>die</strong> heute in den Augen Gysis und der PDS<br />

durch das Aufkommen des Neoliberalismus bedroht ist.<br />

Im zweiten Hauptteil, den Thesen 4 bis 8, geht es um <strong>die</strong> Grundzüge des von Gysi anvisierten<br />

neuen Gesellschaftsvertrages. Der Hauptpunkt <strong>die</strong>ses neuen Gesellschaftsvertrages ist <strong>die</strong><br />

Kontrolle von vermittels genossenschaftlichem Eigentum organisierter sozio-kultureller Teile der<br />

neuen Mittelschichten über Staat und Gesellschaft. Darstellung und Kritik erfolgen in zwei<br />

Teilen, getrennt nach Gesellschaftsvertrag und Eigentumsfrage.<br />

Im dritten Teil wird <strong>die</strong> angestrebte Neuordnung des Verteilungsstaates behandelt, welche <strong>die</strong>sen<br />

von Gysi anvisierten neuen Bedingungen und sozialen Verhältnissen Rechnung tragen soll.<br />

In der letzten These (These 12) wird <strong>die</strong> Neuorientierung in der Außenpolitik der PDS von Gysi<br />

formuliert. Auf <strong>die</strong>se Seite der Entwicklung der Politik der PDS wird in <strong>die</strong>ser Kritik nur kurz<br />

eingegangen. Die in <strong>die</strong>sem Zusammenhang sich stellenden weitergehenden Fragen nach der<br />

Neuordnung der internationalen Politik der bürgerlichen Staaten nach dem Ende des Kalten<br />

Krieges bedürfen einer eigenständigen Untersuchung. Der Kern der hier geführten Kritik an den<br />

Thesen bleibt ökonomischen, innen- und gesellschaftspolitischen Fragen vorbehalten. Wir halten<br />

<strong>die</strong>sen Ansatz für gerechtfertigt, da <strong>die</strong> Innenpolitik in letzter Instanz <strong>die</strong> Außenpolitik bestimmt.<br />

In fünf Hauptpunkten kann <strong>die</strong> Kritik an den Thesen zusammengefasst werden:<br />

1. Womit wir es bei den Thesen zu tun haben, was als <strong>die</strong> Lösung der sog. sozialen Frage, der<br />

Eigentumsfrage gefordert wird, ist der Form nach Proudhonismus und Lassalleanismus, ohne den<br />

jeweiligen sozialen Inhalt, den sozialen Schichten und Klassen, welche <strong>die</strong>se Theorien<br />

ursprünglich repräsentierten: beim Proudhonismus das Kleinbürgertum der französischen<br />

Revolution, beim Lassalleanismus der Handwerksgeselle, der kein Proletarier werden will. Bei<br />

Gysi ist der soziale Inhalt das bürgerliche Individuum der neuen Mittelschichten (<strong>die</strong> keine<br />

Klasse sind!) in den Dienstleistungsbereichen, vor allem dem sozio-kulturellen Bereich. Die<br />

Lösung in der Eigentumsfrage als genossenschaftliches Eigentum wird vor allem in <strong>die</strong>sem<br />

Bereich angestrebt.<br />

2. Der Kapitalismus wird nicht als ein nach bestimmten Gesetzen funktionierendes<br />

gesellschaftliches Produktionsverhältnis definiert, sondern aus der Herrschaft abgeleitet. Die<br />

sogenannte „Dominanz der Kapitalverwertung" (These l) und <strong>die</strong> Theorie von den „hochgradig<br />

vermachteten Weltmärkten" (These 5) seien hier nur als herausragende Beispiele genannt. Ihren<br />

konzentrierten Ausdruck findet <strong>die</strong>ser Unsinn in der These: „Die Allmacht des organisierten<br />

Kapitals zieht <strong>die</strong> Ohnmacht der Politik gegenüber der Wirtschaft zwangsläufig nach sich."<br />

(These 5) Die Politik ist der konzentrierte Ausdruck der Ökonomik, <strong>die</strong>se Tatsache gehört zu den<br />

Grundtheoremen des wissenschaftlichen Kommunismus. Die Trennung der Politik von der<br />

Ökonomie und ihre unvermittelte Entgegensetzung ist Unsinn. Bürgerliche Politik zielt in ihrem<br />

Kern auf <strong>die</strong> Entwicklung des Kapitalverhältnisses, auf <strong>die</strong> Verbesserung der Verwertung des<br />

Kapitals.<br />

3. Die vermeintliche Aufhebung der Klassen und der Klassengegensätze in der bürgerlichen<br />

Gesellschaftsordnung.


4. Dementsprechend wird in der Frage des Verhältnisses des Menschen zur Natur, der<br />

Gesellschaft zur Natur, nicht unterschieden zwischen der Produktion, dem Austauschprozess<br />

zwischen Natur und Arbeit als den beiden Quellen gesellschaftlichen Reichtums einerseits und<br />

den bestimmten Beziehungen, den Produktionsverhältnissen, welche <strong>die</strong> Menschen im<br />

Produktionsprozess eingehen andererseits. Es ist der Klassencharakter, <strong>die</strong> Kapitaleigenschaft der<br />

gesellschaftlichen Produktivkräfte, des Austausches zwischen Natur und Arbeit, welcher von den<br />

kleinbürgerlichen Verfassern der Thesen, ähnlich wie bei den Grünen, außerhalb der Betrachtung<br />

bleibt.<br />

5. Eine neue Form des Sozialstaates als Verteilungsstaat und <strong>die</strong>, durch <strong>die</strong>sen vermittelte,<br />

Hegemonie produktionsferner Mittelschichten über Kapital und Arbeit durch eine von ihnen<br />

diktierte neue Form der Verteilungspolitik.<br />

Kommen wir damit zur Kritik der Thesen im Einzelnen.


Teil l, These 1-3:<br />

Der Untergang des Staatssozialismus und <strong>die</strong> Krise des rheinischen<br />

Kapitalismus<br />

These 1:<br />

Zu Beginn <strong>die</strong>ser These, sozusagen als das Credo zukünftiger Gysischer Politik, heißt es hier:<br />

„Die Vision des 21. Jahrhundert: Moderne und Sozialismus verbinden!"<br />

Sehr richtig, dafür sind Kommunisten auch. Hier stellt sich unmittelbar <strong>die</strong> Frage: was heißt das<br />

theoretisch und politisch? Theoretisch ist <strong>die</strong>se Verbindung von „Moderne" und Sozialismus<br />

schon von Marx und Engels im 19. Jahrhundert geklärt worden. „Um aus dem Sozialismus eine<br />

Wissenschaft zu machen, musste er erst auf einen realen Boden gestellt werden. ... Der bisherige<br />

Sozialismus kritisierte zwar <strong>die</strong> bestehende Produktionsweise und ihre Folgen, konnte sie aber<br />

nicht erklären, also auch nicht mit ihr fertig werden; er konnte sie nur einfach als schlecht<br />

verwerfen." (MEW 20, S. 19, 26) Erst mit der materialistischen Geschichtsauffassung und der<br />

Enthüllung des Kerns der auf dem Kapitalverhältnis beruhenden Produktionsweise vermittels des<br />

Mehrwerts, der Mehrwerttheorie, wurde der Sozialismus von einer Utopie zu einer Wissenschaft.<br />

Eines der Grundpostulate des wissenschaftlichen Kommunismus war und ist, dass der<br />

Kapitalismus <strong>die</strong> modernen Produktivkräfte, <strong>die</strong> materiellen und geistigen Voraussetzungen des<br />

Übergangs zur kommunistischen Gesellschaftsordnung schafft.<br />

Demgegenüber ist das 20. Jahrhundert von Versuchen gekennzeichnet, den Kommunismus unter<br />

Umgehung der Entwicklung des Kapitalismus auf dem Boden rückständiger Produktivkräfte<br />

aufzubauen (Russland und China). Die modernen Produktivkräfte sollten vermittels der<br />

Planwirtschaft im Kommunismus erst geschaffen werden. Dieser Weg ist gescheitert. Der<br />

Kerngedanke einer Neubestimmung kommunistischer Politik muss dementsprechend sein, dass -<br />

wie von Marx und Engels nachgewiesen - es der Kapitalismus ist, welcher <strong>die</strong> materiellen und<br />

geistigen Voraussetzungen für den Kommunismus schafft.<br />

Diese Frage wird jedoch von Gysi gar nicht erst aufgeworfen. Er geht von der prinzipiellen<br />

Überlegenheit des Markts gegenüber dem Plan aus. Nicht <strong>die</strong> rückständigen ökonomischen,<br />

sozialen und politischen Verhältnisse, sondern das auf dem gesellschaftlichen Eigentum an<br />

Produktionsmitteln beruhende Prinzip der Planwirtschaft wäre der eigentliche Grund für<br />

Stagnation und Niedergang in der Sowjetunion und der DDR gewesen. "Die allgemeinen<br />

Voraussetzungen von Innovation und Fortschritt wurden zerstört und konnten nicht entstehen."<br />

(These l, Absatz l) Die Entwicklung der Produktivkräfte und gesellschaftlicher Fortschritt kann für<br />

Gysi nur durch den Wettbewerb, Marktwirtschaft, Sicherung der „unternehmerischen Initiative"<br />

und eine „plurale Verteilung von Eigentum" gesichert werden. Diese Utopie einer Gesellschaft<br />

gleicher Eigentümer soll dann der Garant der „Durchsetzung der sozialen und politischen<br />

Menschenrechte für jeden Einzelnen und für alle" sein. So ist in der Einleitung zu den Thesen als<br />

ihre zusammenfassende Zielsetzung von Gysi formuliert: „Der politische Anspruch eines<br />

demokratischen Sozialismus besteht in einer solchen Gestaltung der Gesellschaften, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

Durchsetzung der sozialen und politischen Menschenrechte für jeden einzelnen und für alle<br />

garantiert. In <strong>die</strong>sem Sinne kann Sozialismus auch als <strong>die</strong> Menschenrechtspolitik moderner<br />

Gesellschaften bezeichnet werden."<br />

Diese Postulate sind nichts modernes, sondern ein alter Hut, Grundpostulate des utopischen<br />

Sozialismus der verschiedensten Schattierungen und des Proudhonismus des 19. Jahrhunderts. Die<br />

moderne, wissenschaftlich exakte Definition der Umsetzung der sozialen Menschenrechte ist <strong>die</strong><br />

Forderung nach Abschaffung der Klassen selbst. „Von dem Augenblick an, wo <strong>die</strong> bürgerliche<br />

Forderung der Abschaffung der Klassen-Vorrechte gestellt, tritt neben sie <strong>die</strong> proletarische<br />

Forderung der Abschaffung der Klassen selbst ..." (MEW 20, S. 99) Allerdings liegt zwischen der<br />

Abschaffung der Klassenvorrechte, den politischen, den bürgerlichen Menschenrechten, und der<br />

Abschaffung der Klassen selbst, der proletarischen Fassung der Menschenrechte, den sozialen<br />

Menschenrechten, eine ganze Revolution, <strong>die</strong> kommunistische Revolution. Die hat der Herr Gysi


allerdings vergessen, von ihr will er nichts wissen. Er glaubt, durch <strong>die</strong> politische Reform <strong>die</strong><br />

Macht und <strong>die</strong> „Dominanz der Kapitalverwertung" brechen zu können, um zu seinem Utopia<br />

eines „Sozialismus" gleichberechtigter und gleicher Eigentümer zu kommen.<br />

Zur Rechtfertigung seiner Vorstellungen eines „institutionell geregelten Wettbewerbs" und der<br />

„Entwicklungspotentiale des Wettbewerbs" in der ersten These, bemüht Gysi als Kronzeugen<br />

sogar Marx. * Dieses Bemühen ist schon deshalb besonders unsinnig, weil sich bei Marx<br />

nirgendwo <strong>die</strong> Phrase von den „modernen Gesellschaften" findet. Marx geht von einer<br />

bestimmten, historisch definierten, Gesellschaft, der bürgerlichen Gesellschaftsordnung aus und<br />

analysiert <strong>die</strong>se.<br />

Die Grundlage <strong>die</strong>ser bürgerlichen Gesellschaftsordnung ist <strong>die</strong> entwickelte Warenproduktion, wo<br />

auch <strong>die</strong> Arbeitskraft zur Ware geworden ist, der Arbeiter als Warenbesitzer, Besitzer der Ware<br />

Arbeitskraft auf dem Markt auftritt. Die Grundlage dafür ist <strong>die</strong> Trennung der<br />

Arbeitsbedingungen, der Produktions- und Lebensmittel vom Produzenten, dem Arbeiter, und ihre<br />

Konzentration als Monopol in den Händen der Kapitalistenklasse. Nur Arbeit, <strong>die</strong> sich gegen<br />

Kapital austauscht, ist in der bürgerlichen Gesellschaft produktive Arbeit. „ ... setzt es (das<br />

Kapital) <strong>die</strong> notwendige Arbeit nur, soweit und insofern sie Surplusarbeit schafft und <strong>die</strong>se<br />

realisierbar ist als Surpluswert." (Marx, Grundrisse S. 324) Die von Gysi bejammerte „Dominanz<br />

der Kapitalverwertung" ist also Ausgangspunkt, Zweck, Ziel, Endpunkt und Motor der Produktion<br />

in der auf dem Wertgesetz beruhenden bürgerlichen Gesellschaft.<br />

Eine Änderung oder Beschneidung der „Verfügungsmacht über Kapitaleigentum" und <strong>die</strong><br />

angestrebte „neue Funktion öffentliches Eigentum" (These l, Absatz 2) ändert an der<br />

Kapitaleigenschaft der Produktionsmittel, der Trennung des Produzenten, des Arbeiters, von den<br />

Bedingungen der Produktion überhaupt nichts. Hinter <strong>die</strong>ser Theorie steckt <strong>die</strong> ideologische<br />

Konstruktion, dass <strong>die</strong> Macht des Kapitals eine persönliche Herrschaft ist, <strong>die</strong> „öffentlich", also<br />

staatlich begrenzt und eingeschränkt werden muss.<br />

„Das Kapital ist also keine persönliche, es ist eine gesellschaftliche Macht. Wenn also das<br />

Kapital in gemeinschaftliches, allen Mitgliedern der Gesellschaft angehöriges Eigentum<br />

verwandelt wird, so verwandelt sich nicht persönliches Eigentum in gesellschaftliches. Nur der<br />

gesellschaftliche Charakter des Eigentum verwandelt sich. Er verliert seinen Klassencharakter."<br />

(MEW 4, S.476) An dem Widerspruch von gesellschaftlichen Charakter der Produktion und der<br />

privaten Aneignung, dem Grundwiderspruch der kapitalistischen Produktionsweise, aus dem sich<br />

alle anderen Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaftsordnung entwickeln, wird durch eine<br />

Änderung der Eigentumstitel gar nichts geändert. Eine derartige Änderung der Eigentumstitel<br />

findet auf dem Boden des Kapitalismus selbst statt. Die Aktiengesellschaft ist assoziiertes<br />

Kapitaleigentum vieler. „Es ist <strong>die</strong> Aufhebung des Kapitals als Privateigentum innerhalb der<br />

Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise selbst." (MEW 25, S. 452)<br />

These 2:<br />

„Die sozialdemokratische Gestaltung des Zeitalters der fordistischen Massenproduktion war<br />

durchaus erfolgreich. ... Anstatt auf <strong>die</strong> Errungenschaften des<br />

sozialdemokratischen Zeitalters nur herabzusehen, ... sollte versucht werden, sie grundlegend<br />

gewandelt in neue Gesellschaftsstrukturen einzubringen." (These 2, Absatz l und 6) Hier haben<br />

wir in ihrem Kern und in einem Satz <strong>die</strong> ganze Lebenslüge der Linken in den entwickelten<br />

kapitalistischen Staaten, mit der sie ihre Zusammenarbeit mit dem bürgerlichen Staat legitimiert.<br />

Die Behauptung, der „sozial gebändigte" Kapitalismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts<br />

wäre ihr Ver<strong>die</strong>nst und ihr Produkt. Diese Behauptung ist sowohl in ökonomischer, wie auch in<br />

politischer Hinsicht unsinnig. Nicht <strong>die</strong> „Heldentaten" der westeuropäischen Linken, mit der<br />

Sozialdemokratie als ihrem Kern, sondern <strong>die</strong> Tatsache, dass der Kapitalismus auf seinen<br />

eigenen widersprüchlichen Grundlagen existieren und sich entwickeln kann, ist jenseits aller<br />

spezifischen politischen Formen der Inhalt und das Wesen der gesellschaftspolitischen<br />

Entwicklung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Krisen der 20er und 30er Jahre<br />

waren keine „allgemeine Krise des Kapitalismus", sondern Entwicklungskrisen, Krisen, <strong>die</strong> aus


der Nichtentwicklung des Kapitalismus zu erklären sind, genauer: aus dem Widerspruch seiner<br />

Entwicklung und den untergehenden Resten der alten Gesellschaft.<br />

Gysi und <strong>die</strong> Verfasser der Thesen gehen hier mit Begriffen hausieren wie „fordistische<br />

Massenproduktion", „fordistische Arbeitsgesellschaft" oder „fordistischer Wohlfahrtsstaat". Für<br />

Gysi war Henry Ford anscheinend kein amerikanischer Kapitalist, sondern wohl ein bürgerlicher<br />

Philanthrop, welcher sich dem Wohle der Menschheit verschrieben hatte. Diese klassenlosen<br />

Phrasen <strong>die</strong>nen einerseits dazu, <strong>die</strong> Tatsache zu vertuschen, dass wir es in der Zeit seit dem II.<br />

Weltkrieg nicht mit der „allgemeinen Krise des Kapitalismus" zu tun haben, sondern mit seiner<br />

Entwicklung. Andererseits sollen so <strong>die</strong> Voraussetzungen für <strong>die</strong> Wiederherstellung der<br />

Vorherrschaft der Politik gegenüber der von den Geistern des Neoliberalismus beschworenen<br />

Herrschaft der Kapitalverwertung geschaffen werden. Der Kapitalismus hat sich nicht auf dem<br />

Boden seiner eigenen Gesetze entwickelt, sondern weil er sozial gebändigt war. Das ist der<br />

Tenor Gysischer Gesellschaftspolitik und sein Pochen auf <strong>die</strong> „vermeintlichen Errungenschaften<br />

des sozialdemokratischen Zeitalters".<br />

Zeitalter der fordistischen Massenproduktion, was heißt das? Geht es als Ziel der Produktion um<br />

Massenproduktion, um Produktion für <strong>die</strong> Massen, Produktion von Konsumtionsgütern, Güter für<br />

den Konsum - oder um <strong>die</strong> Verwertung von Kapital? Die Verwertung des Kapitals ist der<br />

entscheidende Antrieb der bürgerlichen, auf dem Privateigentum an Produktionsmitteln<br />

beruhenden Produktionsweise. Es ist <strong>die</strong> Erhöhung der Arbeitsproduktivität durch <strong>die</strong> relative<br />

Mehrwertproduktion, welche das „fordistische" Zeitalter der kapitalistischen Produktionsweise<br />

vor allem auszeichnet, nicht Erhöhung der Arbeitszeit oder Lohnsenkung und damit der absoluten<br />

Mehrwertproduktion, welche in der Tendenz nur <strong>die</strong> Grundlagen <strong>die</strong>ser Produktionsweise<br />

untergräbt, indem sie <strong>die</strong> Gesundheit und <strong>die</strong> Fähigkeiten der Arbeiter, der Produzenten des<br />

Mehrwerts, untergräbt. In <strong>die</strong>sem Sinne haben wir es hier mit der eigentlichen, den historischen<br />

Fortschritt diktierenden Rolle des Kapitals zu tun. Der Fordismus ist historisch gesehen eine<br />

Form der Entwicklung der Produktivkräfte, der Arbeitsproduktivität, mit dem Ziel der besseren<br />

Verwertung des Kapitals. Diese Epoche ist eine Demonstration der Tatsache, dass <strong>die</strong> große<br />

Machinerie, <strong>die</strong> Fabrik, <strong>die</strong> Grundlage der auf dem Kapitalverhältnis beruhenden<br />

Produktionsweise ist.<br />

Der ganze Unsinn <strong>die</strong>ser Theorie von der sozialdemokratischen Gestaltung wird noch deutlicher,<br />

wenn man <strong>die</strong> Frage von der politischen Entwicklung her behandelt, vor allem in Bezug auf<br />

Deutschland, was uns hier in erster Linie interessiert. Das in der Tradition der deutschen<br />

Historischen Schule der Nationalökonomie stehende, organisierende Moment, <strong>die</strong> soziale<br />

Marktwirtschaft, der rheinische Kapitalismus gegenüber dem angelsächsischen Kapitalismus, ist<br />

ein Produkt beider großer Volksparteien - der CDU und der SPD - und keine alleinige<br />

Errungenschaft der Sozialdemokratie. Im Gegenteil: Im wesentlichen ist <strong>die</strong>se Entwicklung ein<br />

Produkt der CDU (im Bündnis mit den Gewerkschaften), welche <strong>die</strong> Politik der 50er und 60er<br />

Jahre hauptsächlich prägte. Der politische Kern <strong>die</strong>ses Bündnisses von CDU und DGB war <strong>die</strong><br />

Montanmitbestimmung für <strong>die</strong> Wiederbewaffnung gegen beide Arbeiterparteien, SPD und KPD.<br />

Die SPD hat sich erst 1958 auf dem Godesberger Parteitag zu <strong>die</strong>ser Entwicklung im Westen<br />

Deutschlands bekannt und zur modernen bürgerlichen Volkspartei entwickelt, Abschied<br />

genommen von der Klassenpartei des Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Ein Jahr,<br />

nachdem <strong>die</strong> CDU bei den Bundestagswahlen 1957 <strong>die</strong> absolute Mehrheit errungen hatte, ein<br />

Jahr nach ihrer größten Niederlage.<br />

„Industrielle Massenproduktion materieller Güter und private Massenkonsumtion waren<br />

hervorstechende Merkmale <strong>die</strong>ses Fordismus." (These 2, Absatz 3) Der ganze Unsinn in einem<br />

Satz. In der Konsequenz führen <strong>die</strong>se Behauptungen zu einer Leugnung des Kapitalcharakters der<br />

Produktion der bürgerlichen Gesellschaftsordnung. Die Produktion in <strong>die</strong>ser Gesellschaft ist, nach<br />

Gysi, nicht durch <strong>die</strong> Kapitalverwertung bestimmt, sondern durch <strong>die</strong> Bedürfnisse der Massen<br />

nach mehr Konsumgüter und der Einsparung von Arbeitszeit. „Der so entstandene Reichtum an<br />

freier Zeit aber kann in einer fordistischen Arbeitsgesellschaft nur verwendet werden, um noch<br />

mehr zu produzieren und noch mehr zu konsumieren, und er wird investiert, um noch mehr<br />

lebendige Arbeit einzusparen." (These 2, Absatz 4) „Der so entstandene Reichtum an freier Zeit"


führt im Kapitalismus in der Tendenz zur Freisetzung von Arbeitskraft, zur Entlassung von<br />

Arbeitern, zur Bildung einer industriellen Reservearmee, als einem Grundgesetz <strong>die</strong>ser<br />

Produktionsweise. Diese Tatsache ist heute empirisch in allen entwickelten kapitalistischen<br />

Nationen nachweisbar, während <strong>die</strong> Anspannung der Arbeiter im kapitalistischen<br />

Produktionsprozess, welcher eine Einheit von Arbeits- und Verwertungsprozess ist, durch <strong>die</strong><br />

Ausdehnung der Arbeitszeit in Form von Überstunden und <strong>die</strong> Intensivierung der angewandten<br />

Arbeit beständig wächst. Anstatt <strong>die</strong>sen Widerspruch zu sehen, erweist sich Gysi hier in seinen<br />

Phrasen als einfacher Vulgärökonom und billiger Apologet der bürgerlichen Gesellschaftsordnung.<br />

These 3:<br />

Nach <strong>die</strong>ser Eloge auf <strong>die</strong> sogenannten sozialdemokratischen „Errungenschaften" des<br />

„fordistischen" Zeitalters treten nun in These 3 <strong>die</strong> „Finsterlinge" des Neoliberalismus im Solde<br />

des internationalen Kapitals oder 'Finanzkapitals' auf den Plan. Der Kern <strong>die</strong>ser These ist der<br />

Versuch einer Kritik des Neoliberalismus mit dem Ziel, von den oben genannten<br />

sozialdemokratischen „Errungenschaften" vor den „aggressiven Reformen" des Neoliberalismus<br />

zu retten, was zu retten ist. Hier richtet sich das Augenmerk Gysis vor allem auf Deutschland, da<br />

hier <strong>die</strong> Reformen des Neoliberalismus bisher noch am wenigsten gegriffen haben. Er sieht hier<br />

<strong>die</strong> Hoffnung, noch vorhandene „sozialstaatliche und korporativistische Institutionen" vor dem<br />

Zugriff des Neoliberalismus zu retten, um sie für seine „neuen Aufgaben umzubauen" (Alle<br />

Zitatstellen aus <strong>die</strong>sem Absatz siehe These 3).<br />

Der Kerngedanke des Neoliberalismus ist <strong>die</strong> Geldwertstabilität, <strong>die</strong> Politik des stabilen Geldes,<br />

und ausgehend davon <strong>die</strong> Entwicklung des Kredits, <strong>die</strong> Sammlung disponiblen Geldes, <strong>die</strong><br />

Summen Geldes als Gebrauchswert, Kapital zu sein, <strong>die</strong> Entwicklung des nationalen und vor<br />

allem internationalen Kapitalmarktes, des freie Kapitalverkehrs. Die neoliberale Politik des<br />

stabilen Geldes hat ihren rationellen Kern in doppelter Hinsicht. Einerseits ist das Geld, der<br />

materielle Kern des Geldes als allgemeines Äquivalent, als Repräsentant abstrakter, allgemein<br />

gesellschaftlicher Arbeit, Ausdruck der Gesellschaftlichkeit in der bürgerlichen<br />

Gesellschaftsordnung, stabiles Geld damit Ausdruck stabiler gesellschaftlicher Verhältnisse.<br />

Andererseits ist das Geld Ausgangs- und Endpunkt der Kapitalbewegung, und stabiles Geld damit<br />

Garant stabiler Profitraten. Aus beidem ergibt sich, dass Momente gesellschaftlicher Planung im<br />

Kapitalismus, wenn überhaupt, nur in der Gestalt der Geld- und Kreditpolitik, der Zinspolitik,<br />

möglich sind. Der durch den Sieg der Bourgeoisie in den Umwälzungen von 1989/90 hergestellte<br />

einheitliche Weltmarkt ist <strong>die</strong> materielle Grundlage <strong>die</strong>ser neuen neoliberalen Politik der<br />

Bourgeoisie, der sich jetzt auch <strong>die</strong> Sozialdemokraten in England und Deutschland angeschlossen<br />

haben.<br />

„Es tritt damit nur hervor, dass <strong>die</strong> auf den gegensätzlichen Charakter der kapitalistischen<br />

Produktion gegründete Verwertung des Kapitals <strong>die</strong> wirkliche, freie Entwicklung nur bis zu<br />

einem gewissen Grad erlaubt, also in der Tat eine immanente Fessel und Schranke der<br />

Produktion bildet, <strong>die</strong> beständig durch das Kreditwesen durchbrochen wird. Das Kreditwesen<br />

beschleunigt daher <strong>die</strong> materielle Entwicklung der Produktivkräfte und <strong>die</strong> Herstellung des<br />

Weltmarktes, <strong>die</strong> als materielle Grundlagen der neuen Produktionsform bis auf einem gewissen<br />

Höhegrad herzustellen <strong>die</strong> historische Aufgabe der kapitalistischen Produktionsweise ist.<br />

Gleichzeitig beschleunigt der Kredit <strong>die</strong> gewaltsamen Ausbrüche <strong>die</strong>ses Widerspruchs, <strong>die</strong><br />

Krisen, und damit <strong>die</strong> Elemente der Auflösung der alten Produktionsweise." (MEW 25, S. 452)<br />

Diese Tendenz der kapitalistischen Produktionsweise drückt sich in der neoliberalen Geldtheorie<br />

und Geldpolitik aus.<br />

„Mit einer Kette aggressiver Reformen hat der Neoliberalismus in den letzten zwanzig Jahren<br />

den Abriss des fordistischen Wohlfahrtskapitalismus begonnen." (These 3, Absatz 2) Es ist ein<br />

Abriss von Schranken der Verwertungsbedingungen des Kapitals, vor allem in zwei Momenten.<br />

Erstens sollen <strong>die</strong> durch <strong>die</strong> hohen Sozialabgaben bedingten hohen Löhne gesenkt werden, indem<br />

durch eine Reform des Sozialstaates in Richtung mehr Eigenverantwortung <strong>die</strong> Sozialabgaben<br />

reduziert werden. Dies ist der Kern der vor allem von den Kapitalisten geführten sogenannten<br />

Lohnnebenkostendiskussion. Zweitens sollen <strong>die</strong> in den staatlich organisierten Kassen


achliegenden Gelder in verstärkten Maße den Geld- und Kapitalmärkten zugeführt werden.<br />

„Die Suche nach einer neuen, zukunftsfähigen Art der Verbindung von wirtschaftlicher<br />

Entwicklung und sozialem Fortschritt ist kein relevanter Bestandteil des neoliberalen<br />

Reformprogramms." (ebd.) In einer auf der Verwertung des Kapitals beruhenden<br />

Gesellschaftsordnung ist eine solche „zukunftsfähige Art" nur möglich, wenn <strong>die</strong> Bedingungen<br />

seiner Verwertung gesichert sind. Da <strong>die</strong> kapitalistische Produktion Einheit von Arbeits- und<br />

Verwertungsprozess ist, wird neue Arbeitskraft nur gekauft, wenn sie Kapital verwertet. Die<br />

Verbesserung der Verwertungsbedingungen für das Kapital im Inneren der Nation, und<br />

Konkurrenz der Nationen, der national organisierten Kapitale, um <strong>die</strong> besten<br />

Verwertungsbedingungen auf dem Weltmarkt, vor allem den internationalen Kapitalmärkten sind<br />

notwendig. Dieses Credo ist das Logische im Kapitalismus, weswegen sich heute auch <strong>die</strong> SPD,<br />

im Gefolge von New Labour, dem anschließt. Nur so kann, im Gegensatz zu den Lebenslügen<br />

der Linken, im Kapitalismus auch von „sozialen Fortschritt" <strong>die</strong> Rede sein.<br />

Gysi behauptet: „Sie (<strong>die</strong> SPD) versucht den Staat wieder stärker ins Spiel zu bringen, nicht als<br />

fordistischen Umverteilungsstaat, sondern als 'aktivierenden' Staat." (ebd.) Diese Behauptung ist<br />

schlichtweg falsch und zeigt nur, dass <strong>die</strong> Verfasser der Thesen keine Ahnung über <strong>die</strong><br />

grundlegenden Probleme des Verhältnisses von Politik und Ökonomie, Staat und Gesellschaft<br />

haben. Ihre Grundlage ist <strong>die</strong> linke Ideologie, dass das Kabinett Kohl eine neoliberale Politik<br />

verfolgt hätte. Worum es hier geht, ist <strong>die</strong> Zurücknahme des Staates in <strong>die</strong> Gesellschaft, <strong>die</strong><br />

Stärkung der Eigenverantwortung (Subsidiarität) des Einzelnen und gesellschaftlicher Gruppen.<br />

Ihren konzentrierten Ausdruck findet <strong>die</strong>se Politik in der vom Kabinett Kohl eingeleiteten<br />

Reprivatisierung von Staatsunternehmen. Die gesellschaftspolitischen Schlussfolgerungen aus<br />

<strong>die</strong>sen neoliberalen Maßnahmen der Kohl-Regierung sind jedoch erst im Schröder/Blair-Papier<br />

durch <strong>die</strong> Sozialdemokratie gezogen worden - im Sinne des angelsächsischen<br />

Staatsverständnisses, im Lockeschen Sinne, wo der Staat nur eine der bürgerlichen<br />

Gesellschaftsordnung <strong>die</strong>nende, Rahmenbedingungen gesetzlicher Art setzende, über das<br />

Gewaltmonopol verfügende Institution zum Funktionieren einer auf den freien Warenproduzenten<br />

und Warenbesitzer beruhenden Gesellschaftsordnung ist. Dies ist mit der Schaffung von günstigen<br />

Rahmenbedingungen für das Funktionieren der Märkte, speziell der Geld- und Kapitalmärkte,<br />

gemeint.<br />

Auch in Bezug auf <strong>die</strong> soziale Sicherung der Lohnabhängigen setzt <strong>die</strong> Sozialdemokratie heute<br />

andere Prioritäten. Anstatt sozialer Umverteilung unter dem Banner der „sozialen Gerechtigkeit"<br />

propagiert man Verbesserung von Bildung und Ausbildung der Arbeitskraft, des<br />

Arbeitsvermögens, lebenslang, um den Arbeiter in <strong>die</strong> Lage zu versetzen, seine Arbeitskraft den<br />

Verwertungsbedingungen des Kapitals gemäß auf dem Arbeitsmarkt flexibler und besser anbieten<br />

zu können. Diese Politik zielt auf <strong>die</strong> Verbesserung der sozialen Stellung des Lohnarbeiters als<br />

Besitzer der Ware Arbeitskraft, der Erhöhung ihres Wertes durch eine bessere Ausbildung.


Teil 2, These 4-8:<br />

Der neue Gesellschaftsvertrag: Die Wiederauferstehung Rousseaus und<br />

Proudhons<br />

These 4:<br />

Ausgangspunkt <strong>die</strong>ser These ist <strong>die</strong> Definition der Hauptpunkte des von Gysi als Lösung der<br />

gesellschaftspolitischen Probleme anvisierten neuen Gesellschaftsvertrages. Es sind im<br />

wesentlichen sechs Hauptpunkte, deren Prinzip nach Gysi in folgendem liegt:<br />

„Soziale Gerechtigkeit ist <strong>die</strong> soziale Grundbedingung für eine dauerhafte, wirklich moderne<br />

Politik." (These 4, Absatz 2 »ebd.)<br />

Als erstes soll sich <strong>die</strong>ser „Gesellschaftsvertrag" <strong>die</strong> Aufgabe stellen, „<strong>die</strong> neuen Chancen<br />

solidarisch in Chancen der freien Entwicklung aller zu verwandeln." (ebd.) Wie ist es um gleiche<br />

Chancen aller bestellt unter der Bedingung, dass eine gesellschaftliche Gruppe über das Eigentum<br />

an den Produktionsmitteln verfügt, während <strong>die</strong> anderen nur ihre Arbeitskraft verkaufen können?<br />

Die Voraussetzung von „Chancengleichheit" ist <strong>die</strong> Abschaffung der Klassen, <strong>die</strong> Überführung<br />

der Produktionsmittel in gesellschaftliches Eigentum.<br />

Zu <strong>die</strong>ser Frage äußert sich Gysi überhaupt nicht. Er kann deshalb <strong>die</strong> Frage nach der<br />

„Chancengleichheit" nur im bürgerlichen Sinne, im Rahmen der bürgerlichen<br />

Gesellschaftsordnung, aufwerfen, in dem Sinne, dass alle kleine Eigentümer oder<br />

genossenschaftlich organisierte kleine Eigentümer werden sollen. Eine solche Position kann auf<br />

dem Boden der Anerkennung der Warenproduktion, des Wertgesetzes und des Marktes nur<br />

formuliert werden vom Standpunkt des kleine Warenproduzenten, wo <strong>die</strong> Arbeit und <strong>die</strong><br />

Bedingungen der Arbeit, <strong>die</strong> Produktionsmittel, noch unmittelbar zusammenfallen. Und wo der<br />

durch den Nichtabsatz seiner Ware auf dem Markt bankrott gegangene Kleineigentümer vom<br />

Verteilungsstaat gerettet wird. Wie in der DDR, wo der Bauer, abgesichert über <strong>die</strong> LPGs und<br />

staatlich garantierter Aufkaufpreise, als reaktionäres, mittelalterliches Element gegen <strong>die</strong><br />

Entwicklung der modernen Produktivkräfte am Leben erhalten wurde. Auf <strong>die</strong>se beiden Punkte<br />

reduziert sich das „Moderne" und „Sozialistische" des Gysischen Gesellschaftsvertrages.<br />

Es ist der Zustand der kleinbürgerlichen einfachen Warenproduktion vor der Entwicklung der<br />

kapitalistischen Produktionsweise als der entwickelten Warenproduktion, wo auch <strong>die</strong><br />

Arbeitskraft zur Ware wird, Lohnarbeit wird. Der ethisch motivierte „Sozialismus" des Herrn<br />

Gysi weist also nicht nach vorne, sondern rückwärts, in vorkapitalistische Zustände, in <strong>die</strong><br />

Verhältnisse der einfachen Warenproduktion.<br />

Von gleicher Güte ist <strong>die</strong> Phrase vom „Übergang zu einer Entwicklungsweise, <strong>die</strong> eine gerechte<br />

Teilhabe aller am gesellschaftlichen Reichtum" (ebd.) ermöglichen soll. „Was ist gerechte<br />

Verteilung? Behaupten <strong>die</strong> Bourgeois nicht, dass <strong>die</strong> heutige Verteilung 'gerecht' ist? Und ist sie<br />

in der Tat nicht <strong>die</strong> einzige 'gerechte' Verteilung auf Grundlage der heutigen Produktionsweise?<br />

Werden <strong>die</strong> ökonomischen Verhältnisse durch Rechtsbegriffe geregelt, oder entspringen nicht<br />

umgekehrt <strong>die</strong> Rechtsverhältnisse aus den ökonomischen? Haben nicht auch <strong>die</strong> sozialistischen<br />

Sektierer <strong>die</strong> verschiedensten Vorstellungen über 'gerechte' Verteilung?" (MEW 19, S. 19) In der<br />

Tat sind solche Sätze auch „zu allen Zeiten von den Verfechtern des jedesmaligen<br />

Gesellschaftszustands geltend gemacht worden. Erst kommen <strong>die</strong> Ansprüche der Regierung mit<br />

allem, was daran klebt, denn sie ist das gesellschaftliche Organ zur Erhaltung der<br />

gesellschaftlichen Ordnung; dann kommen <strong>die</strong> Ansprüche der verschiednen Sorten von<br />

Privateigentümern, denn <strong>die</strong> verschiednen Sorten Privateigentum sind <strong>die</strong> Grundlagen der<br />

Gesellschaft etc. Man sieht, man kann solche hohlen Phrasen drehn und wenden, wie man will."<br />

(MEW 19, S. 16)<br />

Anstatt solche hohlen Zeitungsschreiberphrasen wie oben zu dreschen, war vom Herrn Gysi ganz<br />

bestimmt anzugeben, wie und mit welchen Mitteln ausgehend von den gegebenen<br />

gesellschaftlichen Verhältnissen eine gerechtere Verteilung zu erreichen ist. Gysi bleibt auf dem<br />

Boden eines ethisch-moralisch definierten „Sozialismus", ohne <strong>die</strong> notwendigen Vorbedingungen<br />

einer neuen, „gerechteren" Verteilung, <strong>die</strong> Überführung der Produktionsmittel in


gesellschaftliches Eigentum und <strong>die</strong> Produktion nach Plan, zu formulieren. Ohne Beseitigung des<br />

Privateigentums an den Produktionsmitteln gibt es auch keine prinzipielle Änderung der<br />

Verteilungsverhältnisse.<br />

Die weiteren Punkte <strong>die</strong>ses Gesellschaftsvertrages sind <strong>die</strong> Selbstbestimmung und<br />

Gleichberechtigung der Frauen, Vollbeschäftigung durch <strong>die</strong> Schaffung neuer Märkte und<br />

Kleinkapitalisten im ökologischen und sozio-kulturellen Dienstleistungsbereich, ein neues<br />

Sozialsystem mit dem Ziel der sozialen Grundsicherung von jedermann, sowie <strong>die</strong> Sanierung des<br />

Staatshaushaltes durch seine Umwandlung in einen Sozialhaushalt.<br />

Auf einige <strong>die</strong>ser Punkte wird im Verlauf <strong>die</strong>ser Kritik noch näher einzugehen sein. Hier nur<br />

noch einige Aspekte zur Frage der Gleichberechtigung der Frauen. Als notwendige<br />

Voraussetzungen für <strong>die</strong> Gleichstellung der Frau sind zu benennen: Brechung der Knechtschaft<br />

der Hausarbeit, der unbezahlten Sklavenarbeit der Frauen in der Familie. Der Hauptpunkt in<br />

<strong>die</strong>sem ist <strong>die</strong> gesellschaftliche (staatliche) Erziehung der Kinder und <strong>die</strong> Schaffung<br />

entsprechender Bedingungen einer solchen Erziehung, Kindertagesstätten und <strong>die</strong><br />

Ganztagesschule auf dem Boden einer allgemeinen polytechnischen Ausbildung aller bis zum 18.<br />

Lebensjahr. Anstatt uns Phrasen über <strong>die</strong> „Selbstbestimmung" zu erzählen, wäre es notwendig<br />

gewesen, <strong>die</strong> bestimmten Voraussetzungen der gleichberechtigten Teilnahme der Frau an der<br />

Gesellschaft, der gesellschaftlich notwendigen Arbeit, als Grundbedingung ihrer<br />

Gleichberechtigung zu benennen.<br />

Der moderne „Contrat social“<br />

Mit einem Wort, das ganze Wesen <strong>die</strong>ses Gesellschaftsvertrages, im Anklang an Rousseau, ist:<br />

„Allem wohl und keinem weh". Ein idyllisches Para<strong>die</strong>s kleiner Eigentümer und Warenbesitzer,<br />

welche im Einklang und in Harmonie mit der. Natur leben, welches nicht mehr aus der<br />

gesellschaftlichen Produktion erwächst, wie beim Übergang von der feudalen zur bürgerlichen<br />

Gesellschaft, sondern von dem „sozial gerechten" Verteilungsstaat geschaffen und garantiert<br />

wird.<br />

Nach Rousseau lebten <strong>die</strong> Menschen ursprünglich im Naturzustand, in dem alle gleich waren.<br />

Die Entstehung des Privateigentums und <strong>die</strong> Entwicklung ungleicher Besitzverhältnisse hätten<br />

den Übergang der Menschen aus dem Naturzustand in den gesellschaftlichen bestimmt und zur<br />

Bildung des Staates geführt, der auf einem Gesellschaftsvertrag beruhe. Die Fortentwicklung der<br />

politischen Ungleichheit führte jedoch zur Zerstörung <strong>die</strong>ses Gesellschaftsvertrages. Die<br />

Beseitigung der politischen Ungleichheit ist Aufgabe des Vernunftstaates, der auf einem neuen<br />

Gesellschaftsvertrag beruht.<br />

„Wir wissen jetzt, dass <strong>die</strong>s Reich der Vernunft weiter nichts war als das idealisierte Reich der<br />

Bourgeoisie; dass <strong>die</strong> ewige Gerechtigkeit ihre Verwirklichung fand in der Bourgeoisjustiz; dass<br />

<strong>die</strong> Gleichheit hinauslief auf <strong>die</strong> bürgerliche Gleichheit vor dem Gesetz; dass als eines der<br />

wesentlichen Menschenrechte proklamiert wurde - das bürgerliche Eigentum; und dass der<br />

Vernunftstaat, der Rousseausche Gesellschaftsvertrag ins Leben trat und nur ins Leben treten<br />

konnte als bürgerliche, demokratische Republik." (MEW 19, S.190)<br />

Der Unterschied ist der, dass es Gysi nicht, wie bei Rousseau, um <strong>die</strong> Beseitigung der<br />

politischen Ungleichheit, sondern um <strong>die</strong> Beseitigung der sozialen Ungleichheit geht. Diese<br />

Aufgabe soll der neue Verteilungsstaat übernehmen. Der moderne Gysische Vernunftstaat ist <strong>die</strong><br />

bürgerliche demokratische Republik als Verteilungsstaat für <strong>die</strong> kleinen Eigentümer, Selbständige<br />

und Freischaffende. Der Kernpunkt <strong>die</strong>ses Gysischen „Contrat sozial" ist <strong>die</strong> Vertuschung des<br />

Klassencharakters der bürgerlichen Ordnung und der Notwendigkeit des Klassenkampfes und der<br />

proletarischen Revolution zwecks Erreichens aller der oben genannten Punkte von sozialer<br />

Gerechtigkeit, Chancengleichheit etc.<br />

These 5:<br />

Der Kerngedanke <strong>die</strong>ser These ist <strong>die</strong> unmittelbare, klassenlose, Gegenüberstellung von Politik<br />

und Ökonomie, von Staat und Gesellschaft. Die Grundlage <strong>die</strong>ser Theorie ist <strong>die</strong> Position des<br />

über der Gesellschaft stehenden Staates, als Repräsentant des Gemeinwohls, den das Kapital nur


esetzt hält, seinen Interessen sich untergeordnet hat.<br />

Tatsächlich ist der heutige Staat ein Produkt der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft. Er ist<br />

als bürgerlicher, demokratischer Staat Garant der kapitalistischen Produktionsweise und der ihr<br />

entsprechenden Rechtsordnung. Es ist <strong>die</strong>ser sich aus den bestimmten, bürgerlichen,<br />

Produktionsverhältnissen ergebene Klassencharakter der Politik, der hier darzulegen war, anstatt<br />

Fabeln über „<strong>die</strong>" Politik im allgemeinen im Gegensatz zu „der Wirtschaft" zu erzählen. „Die<br />

Politik ist der konzentrierte Ausdruck der Ökonomik." (Lenin) In <strong>die</strong>sem Sinne, als der<br />

konzentrierte, zugespitzte Ausdruck der ökonomischen Interessen der Klassen in der bürgerlichen<br />

Gesellschaft hat <strong>die</strong> Politik Vorrang vor der Ökonomie, der „Wirtschaft". Aus den<br />

gegensätzlichen ökonomischen Interessen von Bourgeoisie und Proletariat ergibt sich auch der<br />

gegensätzliche, der Klassencharakter der Politik im Kapitalismus.<br />

Gysi fordert: „Politik soll vor allem bewusste Gestaltung sozialer Verhältnisse sein." (These 5,<br />

Absatz l) Bürgerliche Politik ist bewusste, soweit möglich, Ausgestaltung der sozialen<br />

Verhältnisse im Kapitalismus, sonst nichts. Die „Politik", d. h. der Staat als Garant einer<br />

gerechteren Sozialordnung? Das ist der typisch deutsche Untertanenglaube an <strong>die</strong> Macht und<br />

Allmacht des Staates. Es fällt auf, dass in den ganzen Thesen über den bürgerlichen Staat, über<br />

seine Verfassung, <strong>die</strong> Rolle der Parteien, <strong>die</strong> Armeeverfassung nichts näher ausgeführt wird, der<br />

bürgerliche Staat wird in den Thesen überhaupt nicht behandelt. Es ist <strong>die</strong> alte preußisch-deutsche<br />

Staatsauffassung, <strong>die</strong> schon Lassalle im ersten Programm einer deutschen Arbeiterpartei mit<br />

folgenden Worten umschrieb: „Der Zweck des Staates ist somit der, das menschliche Wesen zur<br />

positiven Entfaltung und fortschreitenden Entwicklung zu bringen, mit anderen Worten, <strong>die</strong><br />

menschliche Bestimmung ... zum wirklichen Dasein zu gestalten; er ist <strong>die</strong> Erziehung und<br />

Entwicklung des Menschengeschlechts zur Freiheit." (zitiert nach H. Grebing, Geschichte der<br />

deutschen Arbeiterbewegung, München 1977, S. 52)<br />

Der Staat wird nicht aus den gesellschaftlichen Verhältnissen, den ökonomischen und sozialen<br />

Beziehungen, aus denen er erwächst und in dem Maße wie er aus ihnen erwächst wieder auf sie<br />

zurück wirkt, entwickelt, sondern als eine über den gesellschaftlichen Verhältnissen und Klassen<br />

stehende Inkarnation des menschlichen Wesens und seiner Bestimmung definiert. Die<br />

Sozialordnung und damit <strong>die</strong> Rechtsordnung und damit der Staat, welcher deshalb auch nur ein<br />

bürgerlicher, d. h. <strong>die</strong> auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln beruhender, <strong>die</strong><br />

kapitalistische Produktionsweise garantierender Staat sein kann, sind dem Wesen nach diktiert<br />

durch den Klassencharakter der bürgerlichen Gesellschaft. Dieser Klassencharakter diktiert, was<br />

sozial gerecht ist und nicht der „Staat". Der bürgerliche Staat und <strong>die</strong> bürgerliche Politik bringen<br />

hier nur in konzentrierter Form <strong>die</strong> ökonomischen Interessen der herrschenden Klasse, der<br />

Bourgeoisie, zum Ausdruck.<br />

Entsprechend <strong>die</strong>ser Position eines über den gesellschaftlichen und Klassenverhältnissen<br />

stehenden Staates, stellen sich <strong>die</strong> Fragen nach seiner konkreten Verfasstheit, den Bedingungen<br />

seiner Umwälzung und Überwindung für <strong>die</strong> Verfasser der Thesen natürlich erst gar nicht. Um<br />

was es geht, ist der Besitz der Staatsmacht. Man glaubt, im Besitz des bürgerlichen<br />

Staatsapparates gegen <strong>die</strong> Bourgeoisie Politik machen zu können. Auch <strong>die</strong>ser Glaube ist nichts<br />

neues. Auch in <strong>die</strong>ser Frage stehen <strong>die</strong> Verfasser der Thesen in der Tradition der deutschen<br />

Sozialdemokratie. „Es gibt keinen zweiten, dem preußischen ähnlichen, aber wenn wir einmal<br />

<strong>die</strong>sen Staat in der Gewalt haben, haben wir alles ..." (ebd., S. 139)<br />

In <strong>die</strong>ser Staatsauffassung August Bebels - im Besitz des Junkerstaates Arbeiterpolitik machen zu<br />

wollen - liegt in konzentrierter Form <strong>die</strong> ganze Tragö<strong>die</strong> der sozialdemokratischen<br />

Arbeiterbewegung des preußisch-deutschen Kaiserreiches. Wo eine Tragö<strong>die</strong> ist, sind auch <strong>die</strong><br />

Komödianten nicht weit: Ulbricht, Honecker, Gysi und ein Gutteil der Linken in Deutschland<br />

teilten und teilen ebenfalls <strong>die</strong>sen Glauben an <strong>die</strong> wundersame Wirkung des Besitzes der alten<br />

Staatsmacht für eine andere Klassenpolitik. Die Begründer des wissenschaftlichen<br />

Kommunismus, Marx und Engels, sahen <strong>die</strong>s bekanntermaßen anders: „Namentlich hat <strong>die</strong><br />

Kommune (<strong>die</strong> Pariser Kommune von 1871, Anm. d. Verf.) den Beweis geliefert, dass '<strong>die</strong><br />

Arbeiterklasse nicht <strong>die</strong> fertige Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen und sie für ihre eigene<br />

Zwecke in Bewegung setzen kann.'" (MEW 18, S. 96)


„Modernisierung von Politik bedeutet zunächst einmal Wiedergewinnung von Politik als<br />

bewusste Gestaltung von sozialen Verhältnissen, <strong>die</strong> den Kräften des Marktes und der ganzen<br />

Gesellschaft wirksam eine Orientierung auf das Gemeinwohl gibt." (These 5, Absatz 4) Wie soll<br />

den „Kräften des Marktes" eine wirksame Orientierung auf das Gemeinwohl gegeben werden?<br />

Durch welche Mittel? Gysi hat offensichtlich keine Ahnung von den Gesetzmäßigkeiten des<br />

Marktes und des Wertgesetzes. In einer auf Privatproduktion, Warenproduktion beruhenden<br />

Gesellschaftsordnung zeigt sich erst auf dem Markt, ob <strong>die</strong> Privatproduktion ein Glied der<br />

gesellschaftlichen Arbeitsteilung, der gesellschaftlich notwendigen Arbeit ist. Der Markt ist hier<br />

das Organ des Gemeinwohls, er bedarf dazu keiner Gysischen Orientierung. Das Wertgesetz und<br />

der Markt sind <strong>die</strong> Regulatoren der auf der Privatproduktion, dem Privateigentum an den<br />

Produktionsmitteln, dem Kapital, beruhenden Produktionsweise. Es sind <strong>die</strong> Gesetze des<br />

Kapitalismus, <strong>die</strong> hier regulieren und eine <strong>die</strong>ser Produktionsweise entsprechende Orientierung<br />

auf das Gemeinwohl durchsetzen, und nicht <strong>die</strong> Gysischen Absichtserklärungen, politische<br />

Vorstellungen oder gar sein Wille.<br />

„Sie (<strong>die</strong> Orientierung auf das Gemeinwohl) kann nur dann erfolgreich sein, wenn der Anteil der<br />

lohnabhängig Beschäftigten am gesellschaftlichen Reichtum erhöht und das kleine und mittlere<br />

Unternehmertum real gefördert und deren fast vollständige Abhängigkeit von Banken und großen<br />

Konzernen wenigstens deutlich reduziert wird." (These 5, Absatz 5) Die Verteilung des<br />

gesellschaftlichen Reichtums wird nicht durch den bürgerlichen Staat, sondern der Hauptsache<br />

nach durch <strong>die</strong> Produktionsverhältnisse geregelt. Der Besitzer der Produktionsmittel kauft <strong>die</strong><br />

Arbeitskraft zu ihrem Wert, und der Verkäufer der Arbeitskraft, welcher dazu gezwungen ist, da<br />

er nicht über <strong>die</strong> Bedingungen zu ihrer Nutzung verfügt, erhält den Wert bzw. Preis seiner<br />

Arbeitskraft in Form des Lohnes. Unter den Bedingungen des Privateigentums an den<br />

Produktionsmitteln ist <strong>die</strong>s gerecht, und dementsprechend ist auch <strong>die</strong> <strong>die</strong>sen Bedingungen<br />

entsprechende Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums gerecht. Wie wollen <strong>die</strong> Verfasser<br />

der Thesen, ohne grundsätzliche Eingriffe in <strong>die</strong> Produktionsverhältnisse, eine Umverteilung des<br />

gesellschaftlichen Reichtums zu Gunsten der Lohnabhängigen bewerkstelligen? Es sind <strong>die</strong><br />

Illusionen der vermeintlichen Gestaltungen des sozialdemokratischen Zeitalters, <strong>die</strong> hier zum<br />

Ausdruck kommen.<br />

Gysi steht grundsätzlich auf dem Boden des Systems der Lohnarbeit, wie aus den Formulierungen<br />

in den Thesen selbst hervorgeht. Er spricht hier von den „lohnabhängig Beschäftigten", deren<br />

Anteil am gesellschaftlichen Reichtum erhöht werden soll. Er dokumentiert damit lediglich, dass<br />

er keine Ahnung vom Wesen der Lohnarbeit im Kapitalismus, vom Lohnsystem, hat. Lohnarbeit<br />

ist mehrwertproduzierende, das Kapital verwertende Arbeit. „Produktive Arbeit im Sinne der<br />

kapitalistischen Produktion ist <strong>die</strong> Lohnarbeit, <strong>die</strong> im Austausch gegen den variablen Teil des<br />

Kapitals nicht nur <strong>die</strong>sen Teil des Kapitals reproduziert (oder den Wert ihres eigenen<br />

Arbeitsvermögens), sondern außerdem Mehrwert für den Kapitalisten produziert. Nur dadurch<br />

wird Ware oder Geld in Kapital verwandelt, als Kapital produziert. Nur <strong>die</strong> Lohnarbeit ist<br />

produktiv, <strong>die</strong> Kapital produziert." (MEW 26.1, S. 115) In <strong>die</strong>sem Sinne besteht das Wesen der<br />

Lohnarbeit gerade im Gegenteil dessen, was Gysi anstrebt, nämlich darin, dass der relative<br />

Anteil der Lohnarbeit am gesellschaftlichen Reichtum beständig sinkt, beständig sinken muss im<br />

Kapitalismus.<br />

Im Zusammenhang mit der Förderung kleiner und mittlerer Kapitalisten und der Reduzierung ihrer<br />

fast vollständigen Abhängigkeit von den Banken, dem modernen Kreditsystem, ist vom<br />

Standpunkt des Kommunismus folgendes festzuhalten:<br />

In der DKP und in anderen Teilen der Linken werden derartige Phrasen zum Anlas genommen,<br />

das Bündnis der Arbeiterklasse mit dem „kleinen" Kapital gegen das „große" Kapital zu fordern.<br />

Im Unterschied zu solchen Kräften, wie etwa <strong>die</strong> KPD-RM, <strong>die</strong> sogar noch das Bündnis mit den<br />

Resten des Mittelalters, den Bauern und Handwerkern, auf ihre Fahne schreibt, wirkt <strong>die</strong>se<br />

Bündnispolitik Gysis allerdings noch „modern". Die Politik der Verteidigung des kleinen<br />

Eigentums gegen das große Eigentum ist reaktionär, da <strong>die</strong> historische Rolle und Berechtigung der<br />

kapitalistischen Produktionsweise sich gerade in der Entwicklung des „großen" Kapitals, der<br />

Aktiengesellschaften und des Kredits zeigt.


Zu der Frage der Stellung der Arbeiterklasse in der bürgerlichen Gesellschaft und ihres Kampfes<br />

um „ihr Gemeinwohl", des Kampfes um ihre soziale Interessen, heißt es bei Marx: „in der Tat<br />

<strong>die</strong> große Streitfrage traf, <strong>die</strong> Streitfrage zwischen der blinden Herrschaft der Gesetze von<br />

Nachfrage und Zufuhr, welche <strong>die</strong> politische Ökonomie der Mittelklasse bildet, und der Kontrolle<br />

sozialer Produktion durch soziale Ein- und Vorsicht, welche <strong>die</strong> politische Ökonomie der<br />

Arbeiterklasse bildet." (MEW 16, S. 163) Das Wesen des Kampfes der Arbeiterklasse ist der<br />

Kampf um eine andere politische Ökonomie, deren Grundlage <strong>die</strong> von der Bourgeoisie<br />

geschaffenen modernen Produktivkräfte, <strong>die</strong> große Industrie und das moderne Fabriksystem sind.<br />

In <strong>die</strong>sem Sinne ist <strong>die</strong> Entwicklung des proletarischen Klassenkampfes eine Funktion der<br />

Entwicklung des Kapitalverhältnisses, des Kapitalismus. Die Bourgeoisie produziert ihre eigenen<br />

Totengräber.<br />

Wenn <strong>die</strong> Verwertungsinteressen des Kapitals gesichert sind, ist bis zu einem bestimmten Grad<br />

auch ein höherer Anteil der ausgebeuteten Klasse am gesellschaftlichen Reichtum möglich. Das<br />

Maß dafür sind <strong>die</strong> Bedingungen der Kapitalverwertung, und nicht <strong>die</strong> Ohnmacht oder <strong>die</strong><br />

Allmacht „der" Politik. Die Tatsache, dass <strong>die</strong>se Spielräume für <strong>die</strong> Teilhabe der ausgebeuteten<br />

Klasse am gesellschaftlichen Reichtum heute enger werden, leitet Gysi aus der Ohnmacht der<br />

Politik ab. Gysi sieht nur kleine Eigentümer und Teilhaber am gesellschaftlichen Reichtum; er<br />

kennt keine Klassen, welche durch ihre unterschiedliche Stellung im Produktionsprozess definiert<br />

sind. Deshalb ist auch das Problem des Klassencharakters der Politik, <strong>die</strong> Tatsache, dass<br />

bürgerliche Politik der konzentrierte Ausdruck der ökonomischen Interessen des Kapitals ist, das<br />

<strong>die</strong> Grundlage, das Entwicklungs- und Bewegungsgesetz <strong>die</strong>ser Gesellschaftsordnung ist, ihm<br />

unklar. Er kann das Problem, dass <strong>die</strong> gemachte Politik den Interessen des Kapitals und nicht den<br />

Arbeitern und Lohnabhängigen <strong>die</strong>nt, nicht aus dem Klassencharakter der bürgerlichen<br />

Gesellschaftsordnung ableiten.<br />

Die Gysischen Gegenmächte<br />

Die Theorie von den „Gegenmächten" schließt sich direkt an <strong>die</strong>sen Unsinn an. Sie hat ihren<br />

gesellschaftspolitischen Kern in der Leugnung des grundsätzlichen, gegensätzlichen<br />

Klassencharakters der bürgerlichen Gesellschaft. Die „Gegenmacht" in der kapitalistischen<br />

Gesellschaft ist <strong>die</strong> Arbeiterklasse. Sie produziert den gesellschaftlichen Reichtum als Kapital,<br />

als eine gesellschaftliche Macht, <strong>die</strong> ihr gegenübersteht. Dies ist aber nicht im Sinne Gysis. Er<br />

sieht <strong>die</strong> „Gegenmächte" jenseits der Bourgeoisie und des Proletariats, sowie der industriellen<br />

Großproduktion. Die Gewerkschaften spielen für ihn in <strong>die</strong>sem Zusammenhang nur eine<br />

untergeordnete Rolle.<br />

„Eine gemeinwohlorientierte Entwicklung kann nur aus der Institutionalisierung ökologischer und<br />

sozialer Gegenmächte gegenüber der Macht bloßer Kapital-Verwertung und der verkürzt<br />

verstandenen reinen Lohn- und Konsummaximierung erfolgen." (These5, Absatz 6) Hier wird<br />

dann <strong>die</strong> Katze aus dem Sack gelassen: Aus Teilen der Mittelschichten - den sozio-kulturellen<br />

Lohnabhängigen - rekrutierten sich vor allem <strong>die</strong> Gegenmächte, und zwar sowohl gegen das<br />

Kapital wie auch gegen <strong>die</strong> Arbeiterklasse. „Lohnmaximierung" und Mehrwertproduktion, d. h.<br />

<strong>die</strong> Kapital-Verwertung, sind ihrem Wesen nach direkt gegensätzlich. Lohnarbeit und Kapital,<br />

als das grundsätzliche Verhältnis der bürgerlichen Gesellschaftsordnung, werden hier auf eine<br />

Stufe gestellt und zu recht als gemeinsamer Gegner des Gysischen utopischen<br />

Gesellschaftsvertrages erkannt. Zu <strong>die</strong>sem Punkt wird später noch einiges zu sagen sein.<br />

Ein zentraler Gedanke der Gysischen Konzeption von den klassenunabhängigen Gegenmächten<br />

ist <strong>die</strong> Übernahme der bürgerlichen Theorie von der Zivilgesellschaft. „Eine moderne Linke muss<br />

zivilgesellschaftliche Selbstorganisation , und Interessenvertretung fördern ..." (These 5, Absatz<br />

10) Das machen andere auch, dazu bedarf es keiner „modernen Linken". Die entscheidende<br />

Frage bleibt doch, wer soll organisiert werden, mit welchen sozialen und politischen Zielen. Es<br />

ist das besondere Ver<strong>die</strong>nst der bürgerlichen Volksparteien, gegenüber den Klassenparteien der<br />

ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, <strong>die</strong> unterschiedlichen sozialen Interessen in <strong>die</strong> bürgerliche<br />

Gesellschaft integriert zu haben. Wie bei der Theorie von den Gegenmächten ist auch hier das


Hauptanliegen der Verfasser der Thesen, den Klassencharakter der bürgerlichen Gesellschaft zu<br />

leugnen und nicht zum Ausgangspunkt von Politik zu machen. Das ganze Gewäsch dokumentiert<br />

nur den staatstragenden Charakter der Verfasser <strong>die</strong>ser Thesen. Die Theorie von der klassenlosen,<br />

<strong>die</strong> Klassen und den Klassencharakter des Kapitalismus überwindenden bürgerlichen<br />

„Zivilgesellschaft" ist eine typisch bürgerliche Ideologie.<br />

These 6:<br />

„Es geht um einen neuen Entwicklungsweg, der den sozial gebändigten Kapitalismus der<br />

Nachkriegszeit ablöst." (These 6, Absatz 2) Unter <strong>die</strong>sem Motto eines „neuen<br />

Entwicklungsweges", eine typisch Gysische Phrase, mit der <strong>die</strong> Frage nach dem Charakter der<br />

Produktionsweise - kapitalistisch oder nichtkapitalistisch oder was? - umgangen wird, versucht er<br />

nun <strong>die</strong> Grundmomente <strong>die</strong>ses Weges zu formulieren. Der Hauptgesichtspunkt <strong>die</strong>ses neuen<br />

Weges ist <strong>die</strong> Brechung von Herrschaft in ihren verschiedensten Formen, ohne dass <strong>die</strong> Frage<br />

nach den gesellschaftlichen Grundlagen, nach den bestimmten Produktionsverhältnissen, aus<br />

denen <strong>die</strong> Herrschaft des Kapitals über <strong>die</strong> Arbeit erwächst, überhaupt nur gestellt wird.<br />

Dieses Problem tritt uns gleich im ersten Hauptpunkt gegenüber. Gysi behauptet: „Technologisch<br />

sind <strong>die</strong> Gesellschaften heute in der Lage, alle Menschen der Erde mit einem geringeren<br />

Aufwand an Arbeitskraft zu versorgen. Diese Entwicklung hat aber nicht dazu geführt, dass alle<br />

weniger arbeiten." (These 6, Absatz 3) Warum das so ist, wird allerdings nicht näher ausgeführt.<br />

Auf dem Boden der Phrase „<strong>die</strong> Gesellschaften" wird man <strong>die</strong>ses Problem allerdings auch nicht<br />

klären können. Wesentlich ist jedoch, dass wir es hier nicht mit „der" oder „den" Gesellschaften<br />

zu tun haben, sondern mit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. In <strong>die</strong>ser Gesellschaft hat<br />

<strong>die</strong> Arbeitskraft Warencharakter, deren Wert niedriger ist als ihr Gebrauchswert, ihre<br />

wertschaffende Tätigkeit. Nur <strong>die</strong> Arbeit, welche Kapital verwertet und soweit sie Kapital<br />

verwertet, ist im Kapitalismus notwendige Arbeit. In <strong>die</strong>ser Gesellschaft ist <strong>die</strong> notwendige<br />

Arbeit nur gesetzt, soweit sie auch Mehrarbeit ist. Es geht hier nicht darum, was technologisch<br />

möglich ist, sondern um <strong>die</strong> Kapitalverwertung. Wer <strong>die</strong> Arbeit nach neuen Prinzipien neu<br />

verteilen will, muss der Arbeitskraft ihren Warencharakter und den Produktionsmitteln ihren<br />

Kapitalcharakter nehmen. Es ist <strong>die</strong> Logik des Systems der Lohnarbeit, <strong>die</strong> eine Neuverteilung<br />

der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit verunmöglicht. Wer <strong>die</strong> gesellschaftlich notwendige<br />

Arbeitszeit neu verteilen will, muss das System der Lohnarbeit beseitigen. Eine neue Verteilung<br />

der Arbeit, „weniger arbeiten", ist nur möglich bei gesellschaftlichen Eigentum an den<br />

Produktionsmitteln und planmäßiger Produktion.<br />

Gysi und <strong>die</strong> „menschlichen Lebenswelten" als Wildheitszustand<br />

Weiter im Text: „Insbesondere <strong>die</strong> Ausbeutung von Naturressourcen ist enorm gewachsen, ohne<br />

dass <strong>die</strong> Effizienz ihrer Nutzung in vergleichbaren Maße gestiegen wäre. Eine solche<br />

Entwicklung untergräbt nicht nur <strong>die</strong> Bedingungen künftiger Produktion und Konsumtion auf<br />

katastrophale Weise, sie zerstört <strong>die</strong> menschlichen Lebenswelten, deren Grundlage <strong>die</strong> Natur<br />

ist." (These 6, Absatz 3)<br />

Hier gilt im Prinzip das gleiche wie oben bei der Frage der Verteilung der Arbeitszeit. Wer<br />

beutet hier über <strong>die</strong> Maßen aus und welche Entwicklung untergräbt? Hier muss <strong>die</strong> Frage der<br />

kapitalistischen Form des Verhältnisses der Menschen zur Natur entwickeln werden. Der<br />

Hauptmangel obiger These ist <strong>die</strong> Behauptung von der Natur als der alleinigen Grundlage<br />

„menschlicher Lebenswelten." Wenn dem so wäre, würden <strong>die</strong> Menschen noch im<br />

Wildheitszustand existieren, genau genommen könnte von einer menschlichen Existenz überhaupt<br />

keine Rede sein. Die Grundlagen „menschlicher Lebenswelten", also der Gesellschaft, wenn<br />

<strong>die</strong>ser Begriff überhaupt einen Sinn haben soll, sind <strong>die</strong> Natur und <strong>die</strong> Arbeit, <strong>die</strong> beiden Quellen<br />

gesellschaftlichen Reichtums. „Als Bildnerin von Gebrauchswerten, als nützliche Arbeit, ist <strong>die</strong><br />

Arbeit daher eine von allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbedingung des Menschen,<br />

ewige Naturnotwendigkeit, um den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur, also das<br />

menschliche Leben zu vermitteln." (MEW 23, S. 45)


Das Weglassen der Arbeit, als eine der Grundlagen menschlicher Existenz, der Gesellschaft, hat<br />

natürlich seinen guten Grund. So kann man <strong>die</strong> Produktion, <strong>die</strong> gesellschaftliche Arbeit im<br />

allgemeinen, zur Ursache der Zerstörung der Grundlagen menschlicher Existenz erklären. Man<br />

kann damit abstrahieren von den ganz bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen,<br />

Produktionsverhältnissen, unter denen <strong>die</strong> gesellschaftlichen Arbeit, der Austauschprozess des<br />

Menschen mit der Natur, <strong>die</strong> gesellschaftliche Produktion, stattfindet. Gesellschaftliche<br />

Produktion heißt einerseits Verhältnis Mensch und Natur und andererseits bestimmte<br />

gesellschaftliche Beziehungen, Produktionsverhältnisse, welche <strong>die</strong> Menschen in der Produktion<br />

untereinander eingehen. Diese bestimmten Produktionsverhältnisse diktieren ein bestimmtes<br />

Verhältnis der Menschen und der Gesellschaft zu den Grundlagen menschlicher Existenz, der<br />

Arbeit und der Natur. Von den Produktionsverhältnissen, der bestimmten kapitalistischen Form,<br />

weiter dem bestimmten Klassencharakter der gesellschaftlichen Arbeit, des Verhältnisses des<br />

Menschen zur Natur ist in dem ganzen Abschnitt nicht <strong>die</strong> Rede.<br />

Seine zugespitzte Form findet der Unfug von der Natur als alleinige Grundlage der Gesellschaft,<br />

in der Phrase von dem „zerstörerische(n) Herrschaftsstreben der Gesellschaft über <strong>die</strong> irdische<br />

(gibt es auch eine überirdische?) Natur"(These 6, Absatz 9). Ohne <strong>die</strong> Herrschaft des Menschen<br />

über <strong>die</strong> Natur kann von einer Gesellschaft überhaupt, einer gesellschaftlichen Existenz des<br />

Menschen gar keine Rede sein. „Freiheit besteht also in der auf Erkenntnis der<br />

Naturnotwendigkeiten gegründeten Herrschaft über uns selbst und <strong>die</strong> äußere Natur; sie ist damit<br />

notwendig ein Produkt der geschichtlichen Entwicklung." (MEW 20, S. 110)<br />

Was also nachzuweisen war - und von Gysi nicht geleistet wird - ist, wie und in welchen Maße<br />

<strong>die</strong> bestimmte Produktionsweise - <strong>die</strong> kapitalistische Produktion - <strong>die</strong> beiden Grundlagen der<br />

Gesellschaft, der menschlichen Existenz, nämlich <strong>die</strong> Arbeit und <strong>die</strong> Natur, untergräbt. Die<br />

Produktion des gesellschaftlichen Reichtums als Kapital, der kapitalistische Produktionsprozess<br />

als Einheit von Arbeits- und Verwertungsprozess, hat allerdings <strong>die</strong> Tendenz, <strong>die</strong> Quellen des<br />

gesellschaftlichen Reichtums selbst zu untergraben. „Bei beiden kann durch vorzeitige<br />

Überanstrengung und Erschöpfung, durch Störung des Gleichgewichtes zwischen Ausgabe und<br />

Eingabe, <strong>die</strong> Zukunft real antizipiert und verwüstet werden. Bei beiden geschieht es in der<br />

kapitalistischen Produktion." (MEW 26.3, S. 306)<br />

Ein rationeller und effizienter Umgang mit den Quellen und Grundlagen der menschlichen<br />

Existenz, der Arbeit und der Natur, macht <strong>die</strong> Überwindung der kapitalistischen<br />

Produktionsweise notwendig, <strong>die</strong> Überführung der Produktionsmittel in gesellschaftliches<br />

Eigentum und <strong>die</strong> planmäßige Produktion. „Wie der Wilde mit der Natur ringen muss, um seine<br />

Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reproduzieren, so muss es der<br />

Zivilisierte, und er muss es in allen Gesellschaftsformen und unter allen möglichen<br />

Produktionsweisen. ... Die Freiheit in <strong>die</strong>sem Gebiet kann nur darin bestehen, dass der<br />

vergesellschaftete Mensch, <strong>die</strong> assoziierten Produzenten, <strong>die</strong>sen ihren Stoffwechsel mit der Natur<br />

rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, ..." (MEW 23, S. 615)<br />

„Das Aufbrechen von Herrschaftsstrukturen betrifft <strong>die</strong> Vorherrschaft der Kapitalverwertung über<br />

<strong>die</strong> Gesellschaft, das zerstörerische Herrschaftsstreben der Gesellschaft über <strong>die</strong> irdische Natur,<br />

<strong>die</strong> Herrschaft des 'Nordens' über den 'Süden' und <strong>die</strong> Herrschaft von Männern über Frauen."<br />

(These 6, Absatz 9)<br />

Die ganze These definiert <strong>die</strong> gesellschaftlichen Probleme in Deutschland, wie im Weltmaßstab,<br />

auf dem Boden der Menschheitsfragen (Ökologie, „Nord-Süd-Gefälle" und Feminismus) und nicht<br />

ausgehend von der Klassenfrage, d.h. von den Produktionsverhältnissen. Dementsprechend steht<br />

auch <strong>die</strong> Abschaffung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse für Gysi nicht zur Diskussion<br />

und wird nicht behandelt. Vielmehr werden <strong>die</strong> gesellschaftlichen Verhältnisse ideologisch als<br />

Frage von Herrschaft in ihren verschiedensten Formen, <strong>die</strong> überwunden werden muss, diskutiert,<br />

ohne <strong>die</strong> Ursachen und <strong>die</strong> Grundlagen <strong>die</strong>ser Herrschaftsformen zu behandeln. In klassischer<br />

Form wird <strong>die</strong>s in der Phrase von der „Vorherrschaft der Kapitalverwertung über <strong>die</strong><br />

Gesellschaft" deutlich.<br />

Wir haben hier nicht „<strong>die</strong>" Gesellschaft, sondern eine bestimmte, <strong>die</strong> bürgerliche Gesellschaft.<br />

Diese ist charakterisiert durch das Privateigentum an den Produktionsmitteln, Warenproduktion,


Ausbeutung der Lohnarbeit und <strong>die</strong> Verwertung des Kapitals. Die Verwertung des Kapitals ist ihr<br />

Kern, welche sie als eine historisch bestimmte und notwendige Gesellschaftsordnung<br />

charakterisiert. Wer <strong>die</strong> Vorherrschaft der Kapitalverwertung als das <strong>die</strong>se Gesellschaft<br />

definierende Moment brechen will, muss <strong>die</strong>se Gesellschaftsordnung selbst aufheben. Schon <strong>die</strong><br />

Analyse der Ware und des Geldes, zweier Grundelemente der bürgerlichen Gesellschaft,<br />

enthüllt, „den spezifisch gesellschaftlichen, keineswegs absoluten Charakter der bürgerlichen<br />

Produktion" (Brief von Marx an Engels, MEW 29, S. 463). Und weiter, „dass mit dem Übergang<br />

zur bürgerlichen Produktion das Aneignungsgesetz der einfachen Warenwirtschaft in das<br />

kapitalistische Aneignungsgesetz umschlagen muss." (MEW 23, S. 609). Dies dem Herrn Gysi<br />

ins Stammbuch, der gerne mit dem kleinen Eigentümer und Warenproduzenten renommiert und<br />

politisch für ihren Schutz auftritt. Wenn Gysi von Vorherrschaft spricht, wird schon deutlich, dass<br />

es ihm nicht um <strong>die</strong> Abschaffung der Kapitalverwertung als dem Grundprinzip <strong>die</strong>ser<br />

Gesellschaft geht, sondern um politisch erzwungene Unterordnung unter <strong>die</strong> Interessen des<br />

kleinen Eigentums. In <strong>die</strong>sem Sinne ist dann auch <strong>die</strong> Lösung der gesellschaftlichen Probleme,<br />

der neue Entwicklungsweg, logischerweise <strong>die</strong> Entwicklung der Marktwirtschaft, <strong>die</strong><br />

Entwicklung des Marktes, wie später noch zu sehen sein wird.<br />

Gysi fordert eine „ ... Umorientierung der Produktion von der Produktion materieller Güter zur<br />

Erzeugung wirklichen menschlichen Reichtums." (These 6, Absatz 5). Worin besteht der<br />

menschliche Reichtum, wenn nicht in der Produktion materieller Güter? Geht es im Kapitalismus<br />

um <strong>die</strong> Produktion materieller Güter? Der springende Punkt der kapitalistischen Produktion ist<br />

der, dass <strong>die</strong> Produkte als Waren produziert werden, denen der Widerspruch von Wert und<br />

Gebrauchswert immanent ist. Im Kapitalismus geht es nicht in erster Linie um <strong>die</strong> Produktion<br />

materieller Güter, um <strong>die</strong> Produktion von Produkten, sondern um <strong>die</strong> Verwertung des Kapitals.<br />

Die Produktion materieller Güter findet nur insoweit statt, als der Wert und damit der in der Ware<br />

steckende Mehrheit realisiert werden kann. Wenn <strong>die</strong>s nicht möglich, gibt es eine Krise, eine<br />

Überproduktionskrise von Kapital.<br />

Der Umbau der Gesellschaft und der Produktion stehen auf der Tagesordnung. Wie steht es mit<br />

dem Umbau der Produktionsverhältnisse, der Eigentumsverhältnisse? Ein Umbau der Gesellschaft<br />

und der Produktion muss ihren Ausgangspunkt im „Umbau" der Produktionsverhältnisse haben,<br />

den bestimmten Verhältnissen, welche <strong>die</strong> Menschen im Produktionsprozess eingehen, und<br />

welche <strong>die</strong> jeweilige Gesellschaftsordnung als historisch bestimmte und notwendige<br />

charakterisieren.<br />

Die neue Märkte<br />

Ein zentrales Kettenglied der ganzen Argumentation Gysis in Bezug auf den „neuen<br />

Entwicklungsweg", den Umbau der Gesellschaft und der Produktion, ist der Markt. Schon am<br />

Anfang der Thesen machte er deutlich, dass er von der prinzipiellen Überlegenheit der<br />

Marktwirtschaft gegenüber der Planwirtschaft ausgeht. Die Lösung der gesellschaftspolitischen<br />

Probleme kann deswegen auch nur auf dem Boden des Marktes und der Entwicklung der<br />

Marktwirtschaft erfolgen. Der Umbau soll über <strong>die</strong> Schaffung neuer Märkte bewältigt werden. Es<br />

geht um „ ... <strong>die</strong> völlig unterentwickelten Märkte der Zukunft." (These 6, Absatz 8) In <strong>die</strong>sem<br />

Sinne wird „ein neuer Rahmen für (<strong>die</strong>) Märkte" vorgeschlagen, als Tummelplätze neuer kleiner<br />

Eigentümer und des genossenschaftlichen Eigentums.<br />

In <strong>die</strong>sem Sinne wird dann auch von Gysi das Problem der „Schaffung völlig neuer Gebiete für<br />

Erwerbsarbeit ..." (These 7,Absatz 2) gesehen. Es ist <strong>die</strong>s das gesellschaftliche Gebiet, wo Gysi<br />

<strong>die</strong> bürgerliche Gesellschaft modernisieren, von unten neu auffrischen, neue Eigentümer,<br />

Warenproduzenten und Märkte schaffen will. Im Unterschied zu New-Labour und Neu-SPD<br />

werden <strong>die</strong>se jedoch nicht in den neuen Technologien und Dienstleistungsbereichen gesehen,<br />

sondern im sozio-kulturellen und psychologisch-menschlichen Bereich. (These 7, Absatz 3)<br />

„Diese Bereiche sind <strong>die</strong> unerschöpflichen Felder menschlicher Beschäftigung." (These 7, Absatz<br />

3) Hier sieht Gysi seine neue Elite und Avantgarde der Erneuerung und Führung der bürgerlichen<br />

Gesellschaftsordnung.<br />

In <strong>die</strong>sen Feldern sind dann auch <strong>die</strong> Gysischen „unterentwickelten Märkte der Zukunft" zu


suchen. „Humanorientierte Dienstleistungen bilden den Kern der Reichtumsproduktion des 21.<br />

Jahrhunderts." (These 7, Absatz 3) Die Vorstellungen der Gysi-Thesen laufen auf nichts anderes<br />

hinaus, als jede Lebensäußerung und jedes Gebrechen des Menschen dem Geldverhältnis, dem<br />

Gesetz von Angebot und Nachfrage, der Konkurrenz und dem Wertgesetz zu unterwerfen, sie<br />

zum Verwertungsobjekt der Kapitale kleiner Eigentümer sowie der genossenschaftlich<br />

organisierten kleinen Eigentümer zu machen. Hier enthüllt sich der ganze Bourgeois Gysi.<br />

These 7:<br />

„Weltmarktorientiertes Wachstum und Senkung der Lohnnebenkosten werden das Problem der<br />

Massenarbeitslosigkeit nicht lösen." (These 7, Absatz 2)<br />

Wenn überhaupt, dann ist auf dem Boden des Kapitalismus, der von Gysi nicht grundsätzlich in<br />

Frage gestellt wird, nur eine Lösung der Krise durch <strong>die</strong> Eroberung des Weltmarkts möglich, mit<br />

dem Ergebnis, dass neue, noch größere Krisen vorbereitet werden. Mit der Entwicklung des<br />

Kapitalismus wird der innere Markt zu eng, um <strong>die</strong> Widersprüche <strong>die</strong>ser Produktionsweise<br />

aufzufangen. Die Produktion für den Weltmarkt, <strong>die</strong> Herstellung und Entwicklung des<br />

Weltmarktes ist ein Wesenselement <strong>die</strong>ser Produktionsweise. „Die kapitalistische Produktion<br />

beruht auf dem Wert oder der Entwicklung der in dem Produkt enthaltenen Arbeit als<br />

gesellschaftlicher. Dies aber nur möglich auf Basis des auswärtigen Handels und des<br />

Weltmarktes. Dies also sowohl Voraussetzung als Resultat der kapitalistischen Produktion."<br />

(MEW 26.3, S.252) Dies gilt gerade und besonders auch für Deutschland, wo 35% seiner<br />

Produktion Produktion für den Weltmarkt stattfindet, vor allem dem europäischen Markt.<br />

Eine zweite Möglichkeit der Lösung kapitalistischer Krisen ist <strong>die</strong> Lohnsenkung (Erhöhung der<br />

Mehrwertrate durch Senkung des Wertes der Ware Arbeitskraft), heute hauptsächlich als<br />

Lohnnebenkostendiskussion geführt. Zu dem Problem der Massenarbeitslosigkeit gilt<br />

grundsätzlich, dass <strong>die</strong> Existenz einer industriellen Reservearmee ein Wesenselement der<br />

bürgerlichen Gesellschaftsordnung ist, ein großer Hebel der Schürung der Konkurrenz unter den<br />

Lohnarbeitern, wie das System der Lohnarbeit selbst auf der Konkurrenz der Arbeiter unter sich<br />

beruht.<br />

„Je größer der gesellschaftliche Reichtum, das funktionierende Kapital, Umfang und Energie<br />

seines Wachstums, also auch <strong>die</strong> absolute Größe des Proletariats und <strong>die</strong> Produktivkraft seiner<br />

Arbeit, desto größer <strong>die</strong> industrielle Reservearmee. ... Je größer endlich <strong>die</strong> Lazarusschicht der<br />

Arbeiterklasse und <strong>die</strong> industrielle Reservearmee, desto größer der offizielle Pauperismus. Dies<br />

ist das absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation." (MEW 23, S. 673) Dies<br />

ist damit auch das absolute, allgemeine Gesetz der bürgerlichen Gesellschaftsordnung, und es<br />

wird interessant sein, zu sehen, wie <strong>die</strong> PDS auf dem Boden derselben Ordnung <strong>die</strong>ses Gesetz<br />

bekämpfen will.<br />

Die vermeintliche Auflösung der Klassen in der heutigen Gesellschaft<br />

Der eigentliche Kernpunkt <strong>die</strong>ser These ist jedoch <strong>die</strong> Behauptung, dass durch <strong>die</strong> Schaffung oder<br />

Ausweitung eines Niedriglohnsektors <strong>die</strong> Gesellschaft dauerhaft gespalten wird. Hier ist<br />

festzuhalten, dass <strong>die</strong> Spaltung der Gesellschaft keine Frage der Verteilung (hohe oder niedrige<br />

Löhne), sondern der Stellung im Produktionsprozess ist. Was hier gespalten wird, ist nicht <strong>die</strong><br />

Gesellschaft, sondern <strong>die</strong> Reihen der Arbeiterklasse. Wir haben es hier mit einem der Gysischen<br />

Theoreme über <strong>die</strong> angebliche Überwindung des Klassengegensatzes in der bürgerlichen<br />

Gesellschaft zu tun.<br />

Zum Problem der Klassen und des Klassencharakters der bürgerlichen Gesellschaft heißt es in der<br />

selben These weiter unten: „Die verschiedenen sozialen Rollen sind nicht mehr eindeutig mit<br />

bestimmten sozialen Klassen, Schichten und Gruppen verbunden." (These 7, Absatz 3)<br />

Dieses Problem wird im Schröder/Blair-Papier wesentlicher intelligenter formuliert, ohne <strong>die</strong><br />

Behauptung von der Aufhebung der Klassengegensätze aufzustellen. In <strong>die</strong>sem Papier geht es um<br />

<strong>die</strong> Kritik traditioneller Vorstellungen über den „Arbeitsplatz". „Ein einziger Arbeitsplatz fürs<br />

ganze Leben ist Vergangenheit." Und weiter: „ ... dass <strong>die</strong> traditionellen Konflikte am


Arbeitsplatz überwunden werden müssen." (zitiert nach FAZ 176/99, S. 10) Dieses Papier bringt<br />

<strong>die</strong> Tendenz des Kapitalismus zum Ausdruck, <strong>die</strong> Gleichgültigkeit des Arbeiters gegenüber dem<br />

konkreten Inhalt seiner Arbeit zu entwickeln. „Die Gleichgültig gegen <strong>die</strong> bestimmte Arbeit<br />

entspricht einer Gesellschaftsform, worin <strong>die</strong> Individuen mit Leichtigkeit aus einer Arbeit in <strong>die</strong><br />

andere übergehen und <strong>die</strong> bestimmte Art der Arbeit ihnen zufällig, daher gleichgültig ist. Die<br />

Arbeit ist hier nicht nur in der Kategorie, sondern in der Wirklichkeit als Mittel zum Schaffen des<br />

Reichtums Arbeit überhaupt geworden, und hat aufgehört, als Bestimmung mit den Individuen in<br />

einer Besonderheit verwachsen zu sein." (Marx, Grundrisse, S. 25) In <strong>die</strong>sem Sinne plä<strong>die</strong>ren <strong>die</strong><br />

englische und deutsche Sozialdemokratie für „kompetente und gut ausgebildete Arbeitnehmer",<br />

um so <strong>die</strong> Arbeitskraft auf den Arbeitsmärkten flexibler zugunsten der Kapitalverwertung<br />

anbieten zu können.<br />

Im Gegensatz dazu entwickeln <strong>die</strong> Thesen hier einen feudal-ständischen Begriff von Klassen.<br />

Nur wenn alle Glieder einer Klasse von der Wiege bis zur Bahre <strong>die</strong>selbe soziale Stellung<br />

einnehmen, kann man von Klassen sprechen. Dass <strong>die</strong> Stellung eines Menschen im<br />

gesellschaftlichen Produktionsprozess wechseln kann, hat nichts damit zu tun, dass <strong>die</strong>se Stellung<br />

jeweils diktiert ist eben von seiner gegebenen Stellung in der Produktion. Die Möglichkeit des<br />

Übergangs von einer Klasse in <strong>die</strong> andere setzt <strong>die</strong> Existenz derselben voraus. Wenn <strong>die</strong><br />

Mittelschichten heute als <strong>die</strong> Form der Aufhebung der Klassengegensätze erscheinen, heißt das<br />

noch lange nicht, dass <strong>die</strong>se dem Inhalt, dem Wesen nach, aufgehoben sind. Während das<br />

Schröder/Blair-Papier von der Modernisierung im Sinne der Verbesserung der Kapitalverwertung<br />

ausgeht, und dabei auf <strong>die</strong> entwickelte kapitalistische Produktionsweise als Voraussetzung setzt,<br />

will Gysi <strong>die</strong> Modernisierung im Zurück, in der Beseitigung der „Dominanz der<br />

Kapitalverwertung" bei Beibehaltung des Privateigentums an den Produktionsmittel. Er will den<br />

kleinen, auch genossenschaftlich organisierten Eigentümer, bei Beseitigung der Macht der großen<br />

Eigentümer. Schröder/Blair verkörpern hier den gesellschaftlichen Fortschritt in kapitalistischer<br />

Form, Gysi, ausgehend von modernen Erscheinungen, den proudhonistisch-kleinbürgerlichen<br />

Rückschritt. Der wirkliche Fortschritt ist der Kommunismus, <strong>die</strong> freie Assoziation aller Glieder<br />

der Gesellschaft auf dem Boden gesellschaftlicher Produktion nach Plan.<br />

In logischer Konsequenz seiner gesellschaftspolitischen Vorstellungen fordert ; Gysi, dann auch<br />

den Zugriff <strong>die</strong>ser „klassenlosen" Freischaffenden und Selbständigen auf den Sozialstaat. Er<br />

fordert, dass „bei der Gestaltung sozialer Sicherungssysteme <strong>die</strong> Fixierung auf das<br />

Normalarbeitsverhältnis aufgehoben und der Vielfalt von Erwerbsformen und ihren<br />

Kombinationen Rechnung getragen werden muss." (These 7, Absatz 6) Hier muss grundsätzlich<br />

der Klassencharakter der Sozialversicherungskassen betont werden. Nur <strong>die</strong> Arbeiterklasse und<br />

<strong>die</strong> lohnabhängigen Werktätigen zahlen in <strong>die</strong>se Kassen ein. Dementsprechend stehen <strong>die</strong>sen<br />

auch nur <strong>die</strong> Leistungen aus <strong>die</strong>sen Kassen zu. Richtig wäre es, um dem immer mehr um sich<br />

greifenden Missbrauch <strong>die</strong>ser Kassen, vor allem durch den bürgerlichen Staat, einen Riegel<br />

vorzuschieben, <strong>die</strong> volle Selbstverwaltung zu fordern. Die Sozialkassen müssen in <strong>die</strong> Hände und<br />

<strong>die</strong> Kontrolle der Arbeiterklasse und der lohnabhängigen Werktätigen. Die „Vielfalt der<br />

Erwerbsformen" jenseits der Lohnarbeit soll seine soziale Sicherung über den Kapitalmarkt<br />

finanzieren. Es ist nicht <strong>die</strong> Aufgabe der Arbeiterklasse, <strong>die</strong> soziale Existenz bankrotter<br />

Kleinunternehmer, Kleineigentümer, Selbständiger und Freischaffender sicherzustellen.<br />

„Die Verkürzung der Lebensarbeitszeit muss in vielgestaltigen und flexiblen Formen erfolgen.<br />

Hier ist ein Interessenausgleich zwischen abhängig Beschäftigten und Arbeitgeberinnen und<br />

Arbeitgebern nötig und möglich. ... Die 'Wahlarbeitszeit' könnte ein Modell der Zukunft sein."<br />

(These 7, Absatz 8)<br />

Was heißt unter dem Lohnsystem „Wahlarbeitszeit"? Das heißt Zeitsouveränität nicht der<br />

Lohnarbeiter, sondern Zeitsouveränität des optimalen Einsatzes der Arbeitskraft im Sinne der<br />

Verwertung von Kapital. Wie will jemand seine Arbeitszeit diktieren können, wenn er nicht im<br />

Besitz der Produktionsmittel, getrennt von ihnen existiert? Anstatt über den nötigen und<br />

möglichen Interessenausgleich zu fabulieren, so als hätten Lohnarbeiter und Kapitalisten in der<br />

Wirklichkeit eine gleichberechtigte Stellung, war ganz eindeutig <strong>die</strong> gesetzliche Reduzierung der<br />

täglichen Arbeitszeit auf 7 Stunden und <strong>die</strong> Beschränkung der Arbeitswoche auf 5 Tage zu


fordern, bei Verbot von Überstunden- und Nachtarbeit. In <strong>die</strong>ser Frage laviert Gysi, da <strong>die</strong>se<br />

eindeutige Forderung seine erhofften Bündnispartner beim kleinen Unternehmertum, den<br />

Freischaffenden und Selbständigen, verprellen würde. In <strong>die</strong>sen Bereichen sind Arbeitszeiten von<br />

10, 12 und 14 Stunden zum Wohle des kleinen Eigentums gang und gäbe, ein notwendiges<br />

Element, um in der Konkurrenz mit der produktiveren großen kapitalistischen Industrie bestehen<br />

zu können.<br />

Um <strong>die</strong>ser Konkurrenz mit dem „großen" Kapital für sein kleines Eigentum und seine noch zu<br />

schaffenden genossenschaftlichen Eigentümer zu entgehen, hat Gysi den sogenannten Non-Profit-<br />

Sektor, den Dritten Sektor zwischen Privatwirtschaft und Staat ausgemacht. In <strong>die</strong>sem Bereich<br />

soll auch der, von der PDS geforderte, öffentliche Beschäftigungssektor zur „Bekämpfung" der<br />

Arbeitslosigkeit angesiedelt sein. Es geht hier allerdings nur um <strong>die</strong> Bekämpfung bestimmter<br />

„Arbeitslosigkeit". Nicht um den Kampf gegen <strong>die</strong> industrielle Reservearmee, sondern um<br />

Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Sozialarbeiter, Pädagogen, Akademiker und<br />

Kulturschaffende.<br />

„Öffentliche Trägerschaften, <strong>die</strong> kommunal kontrolliert werden, könnten neue sozio-kulturelle und<br />

ökologische Projekte ausschreiben, <strong>die</strong> teils durch öffentliche Zuschüsse und teils durch Gebühren<br />

und Preise finanziert werden." (These 7, Absatz 10)<br />

Hinter dem Begriff der „öffentlichen Trägerschaften" verbirgt sich <strong>die</strong> Entwicklung neuer Formen<br />

des Gemeineigentums, des genossenschaftlichen Eigentums. Es geht hier um <strong>die</strong> Schaffung einer<br />

Genossenschaftsbewegung sozio-kultureller Kleinbürger auf dem Boden des Sozialstaatskredits.<br />

Der Non-Profit-Sektor ist <strong>die</strong> Gysische Spielwiese einer Wiederbelebung des Lassalleanismus<br />

(Handwerksgesellensozialismus) der Form nach, in einen Bereich der produktionsfernen<br />

lohnabhängigen Mittelschichten. Wenn kein oder nur ein begrenztes gesellschaftliches Bedürfnis<br />

nach <strong>die</strong>sen Dienstleistungen besteht, so dass sich <strong>die</strong>se genossenschaftlichen Unternehmen nicht<br />

selbst tragen können durch <strong>die</strong> Preise, muss der Staat oder <strong>die</strong> Kommunen durch öffentliche<br />

Zuschüsse einspringen. Gysi will hier Verhältnisse wie im Staatssozialismus der ehemaligen<br />

DDR schaffen. Wo der Kleineigentümer zwar formell enteignet war, wie etwa der Bauer in der<br />

LPG, seine massenhafte überflüssige Existenz als kleiner Produzent über ein staatlich garantiertes<br />

Einkommen jedoch gesichert war.<br />

Wenn schon Genossenschaften, warum dann keine Produktivgenossenschaften mit Staatskredit<br />

unter Arbeiterkontrolle, als ein Kampfmittel gegen <strong>die</strong> industrielle Reservearmee? Gysi wirft sich<br />

auf den nichtproduktiven Sektor der bürgerlichen Gesellschaft und will seine Herrschaft und<br />

Verteilungsinteressen über den produktiven Sektor, wo <strong>die</strong> Werte geschaffen werden, welche<br />

dann nach Gysi über den Verteilungsstaat in den nichtproduktiven Sektor fließen sollen.<br />

These 8:<br />

Um den Massen in <strong>die</strong>ser Gesellschaftsordnung <strong>die</strong>se Pläne schmackhaft zu machen, lässt Gysi<br />

dann in These 8 eine wahre Eloge auf <strong>die</strong>, seiner Ansicht nach, wirklichen Lebensgenüsse,<br />

höhere Lebensqualität und <strong>die</strong> Teilhabe aller am wirklichen gesellschaftlichen Reichtum ab.<br />

Diese spießbürgerlichen Philisterphrasen auf <strong>die</strong> wahren Lebensgenüsse erwecken lediglich den<br />

Eindruck einer Werbekampagne, um dem zahlungskräftigen Publikum <strong>die</strong> schlechte Ware seiner<br />

genossenschaftlichen Eigentümer im sozio-kulturellen Sektor schmackhaft zu machen. Aus<br />

<strong>die</strong>sem Grund soll hier nur auf einen Punkt eingegangen werden. ;<br />

„Es geht nicht um Verzicht, sondern um eine andere Nutzung des materiellen Reichtums, der<br />

Mobilität des Raumes und der Warenwelt." (These 8, Absatz 2)<br />

„Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht,<br />

erscheint als eine 'ungeheure Warenansammlung', <strong>die</strong> einzelne Ware als seine Elementarform.<br />

Unsere Untersuchung beginnt mit der Analyse der Ware." (MEW 23, S. 49) Womit Marx seine<br />

Analyse der kapitalistischen Produktionsweise beginnt, ist für Gysi <strong>die</strong> selbstverständliche<br />

Grundlage seines, im Anklang an Rousseau, formulierten „Sozialismus" des genossenschaftlichen<br />

Eigentums auf dem Boden des Kantschen Imperativ. Hier zeigt sich noch einmal grundsätzlich,<br />

dass Gysi und <strong>die</strong> Schreiber der Thesen unfähig sind, über den ihnen gesetzten bürgerlichen


Rahmen, ihre bürgerliche Vorstellungen und Ideologien hinauszudenken. Dass dementsprechend<br />

ihr „Sozialismus" auch nur ein populäres Schlagwort für <strong>die</strong>, von ihnen anvisierte, Reform der<br />

bürgerlichen Gesellschaft ist. Dieter Klein, einer der Verfasser der Thesen, Mitglied des<br />

Parteivorstandes und der Programmkommission der PDS, meinte auf dem Parteitag seiner Partei<br />

in Münster in <strong>die</strong>sem Sinne: „Die Leute wollten doch gerne modern sein, da müsse auch <strong>die</strong> PDS<br />

mal aufhören, sich in marxistischen Kategorien zu bewegen, und stattdessen lernen, mit Begriffen<br />

umzugehen, wie sie<br />

in der bürgerlichen Gesellschaft üblich sind." (nach FAZ vom 10. 4. 00, S. 3) Genau <strong>die</strong>ser Geist<br />

charakterisiert <strong>die</strong> ganzen Thesen.<br />

Der ökonomische Kern <strong>die</strong>ses „Sozialismus" ist das Zurück von der entwickelten<br />

Warenproduktion zu den Bedingungen der einfachen Warenproduktion, das Zurück zur Identität<br />

von Produzent und Eigentum an den Produktionsmitteln. Im gewissen Sinne kann man den ganzen<br />

ökonomischen Kern der Thesen in der Leugnung der Entwicklungs- und Aneignungsgesetze der<br />

entwickelten Warenproduktion, der kapitalistischen Warenproduktion, zusammenfassen. In der<br />

einfachen Warenproduktion gehört das Produkt als Ware, der Wertform des Arbeitsprodukts, dem<br />

Produzenten. In der entwickelten Warenproduktion, wo auch <strong>die</strong> Arbeitskraft zur Ware geworden<br />

ist, gehört das Produkt als Ware dem Eigentümer der Produktionsbedingungen und<br />

Produktionsmittel, dem Kapital. Dem Produzent, dem Arbeiter, wird nur der Wert seiner Ware<br />

Arbeitskraft in der Form des Lohnes gezahlt.<br />

In der entwickelten Warenproduktion ist der Produzent notwendig Nichteigentümer des Produktes<br />

und der Nichtproduzent Eigentümer desselben. Auf dem Boden der Warenproduktion ist <strong>die</strong>ser<br />

Umschlag der Aneignungsgesetze, <strong>die</strong> Enteignung des Produzenten von seinem Produkt, eine<br />

notwendige und gesetzmäßige Entwicklung. Im Gegensatz zu den Gysischen Positionen ist<br />

deshalb <strong>die</strong> Aufhebung der Warenproduktion, der Wertform des Arbeitsprodukts, <strong>die</strong><br />

Grundbedingung der Aufhebung der Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft. „Die Wertform<br />

des Arbeitsprodukts (<strong>die</strong> Ware) ist <strong>die</strong> abstrakteste, aber auch <strong>die</strong> allgemeinste Form der<br />

bürgerlichen Produktionsweise, <strong>die</strong> hierdurch als eine besondere Art der gesellschaftlichen<br />

Produktion und damit zugleich historisch charakterisiert ist." (MEW 23, S. 95) Und nicht als<br />

absolute und ewige Gesellschaft, wie <strong>die</strong> „modernen" Verfasser der Thesen meinen.


Teil 3, These 9:<br />

Der Kampf gegen das „große" Kapital und <strong>die</strong> Eigentumsfrage des neuen<br />

Gesellschaftsvertrages: Lassalle lässt grüßen<br />

These 9:<br />

In <strong>die</strong>ser These geht Gysi auf <strong>die</strong> aus seiner Sicht notwendigen Reformen der internationalen<br />

Märkte ein. Diese notwendigen Reformen, <strong>die</strong> der neuen Entwicklungsweise, dem neuen<br />

Entwicklungsweg zum Durchbruch verhelfen sollen, sieht Gysi vor allem in fünf Punkten.<br />

Näheres dazu gleich weiter unten. Der Kerngedanke <strong>die</strong>ser Reformen ist, politisch <strong>die</strong><br />

Mitspracherechte und Gestaltungsrechte des bürgerlichen Individuums gegenüber dem<br />

bürgerlichen Staat und der bürgerlichen Gesellschaft zu verbessern und sozial das kleine<br />

Eigentum gegenüber dem großen Kapital zu stärken.<br />

Kommen wir zu den einzelnen Punkten der Gysischen Reformvorschläge. Als erstes müssen nach<br />

Gysi neue Rahmenbedingungen für <strong>die</strong> Weltmärkte geschaffen werden, deren Kern ist: „ ...<br />

vergleichbare Standards im Bereich der politischen und sozialen Menschenrechte, der Ökologie,<br />

der Produktqualität und des Verbraucherschutzes durchzusetzen." (These 9, Absatz 4)<br />

Der Kern der politischen Menschenrechte ist <strong>die</strong> Sicherung des bürgerlichen Eigentums. Die<br />

politischen Menschenrechte setzen sich in dem Maße um, wie <strong>die</strong> auf dem Privateigentum an<br />

den Produktionsmitteln beruhende Gesellschaftsordnung, der Kapitalismus, sich durchsetzt. Sie<br />

postulieren lediglich <strong>die</strong> politische Gleichheit aller Bürger als Eigentümer und Warenbesitzer. In<br />

Bezug auf <strong>die</strong> sozialen Menschenrechte bleibt grundsätzlich festzuhalten, dass im Kapitalismus<br />

der Arbeiter kein „Recht auf Arbeit" hat, sondern als Besitzer der Ware Arbeitskraft das Recht<br />

hat, <strong>die</strong>se auf dem Arbeitsmarkt zum Verkauf anzubieten. So wie der Kapitalist, als Besitzer der<br />

Produktionsmittel, das Recht hat, <strong>die</strong>se zu kaufen oder nicht zu kaufen. Dies ist <strong>die</strong> Rechtslage in<br />

der bürgerlichen Gesellschaft, und <strong>die</strong>se Rechtslage ist, solange <strong>die</strong>se Gesellschaftsordnung<br />

existiert, unabhängig von jedem Gysischen Geschwätz.<br />

Zum Rest <strong>die</strong>ser Rahmenbedingungen, welche nach Gysi gesetzt werden müssen, bleibt<br />

festzuhalten, dass <strong>die</strong>se Bedingungen direkt gegen <strong>die</strong> unterentwickelten kapitalistischen Staaten<br />

des „Südens", wie es typisch „klassenunabhängig" bei Gysi heißt, gerichtet sind. Sie stärken den<br />

„Norden" gegen den „Süden", unter den Bedingungen des Kapitalismus, welcher von Gysi nicht<br />

grundsätzlich in Frage gestellt wird und des Weltmarktes, der Konkurrenz. Sie zementieren <strong>die</strong><br />

Vorherrschaft des „Nordens" gegenüber den kapitalistischen Schwellenländern wie Brasilien,<br />

Ägypten oder In<strong>die</strong>n.<br />

„Es ist nicht nur unredlich, wenn reiche Länder mit dem Verweis auf internationale Konkurrenten<br />

<strong>die</strong> Einführung bestimmter Umwelt- und Sozialstandards ablehnen, ..." (These 9, Absatz 5)<br />

Derartige Standards gehen als Kosten in <strong>die</strong> Produktion ein und können deswegen von den<br />

entwickelten kapitalistischen Staaten, mit höherer Arbeitsproduktivität, eher getragen werden, als<br />

von den unterentwickelten kapitalistischen Staaten. Bei der WTO-Runde in Seattle im letzten<br />

Jahr wurden <strong>die</strong>se Vorstellungen von den USA vorgeschlagen und vor allem vom „Süden"<br />

abgelehnt. Darüber hinaus - und <strong>die</strong>s ist <strong>die</strong> Hauptfrage - bedeutet <strong>die</strong> Schaffung neuer<br />

allgemeiner Rahmenbedingungen keine Beseitigung des Wertgesetzes, der Konkurrenz der<br />

Kapitale, national wie international. Nicht <strong>die</strong> Rahmenbedingungen sind <strong>die</strong> entscheidenden,<br />

sondern der Inhalt, <strong>die</strong> Art und Weise der Produktion und <strong>die</strong> von ihr diktierte Form des<br />

Austausches und der Verteilung der Produkte. Unter den Bedingungen der kapitalistischen<br />

Produktion werden <strong>die</strong> Rahmenbedingungen durch <strong>die</strong> Konkurrenz gesetzt und ausgeglichen.<br />

Gysi und <strong>die</strong> Rettung des Kapitals vor dem Kapital<br />

Der nächste Hauptpunkt Gysischer Reformvorschläge ist <strong>die</strong> Regulierung der internationalen<br />

Geld- und Kapitalmärkte. „Die Finanzmärkte müssen so reguliert werden, dass produktive<br />

Investitionen nicht behindert, Spekulationen aber abgebaut werden. ... Regulation des<br />

internationalen Kapitalmarktes ... Devisenumsatz- (Tobin-) und Kapitalverkehrssteuern, ...<br />

öffentliche Bankenkontrolle und eine engere Bindung von Dollar und Euro sind wesentliche


Schritte." (These 9, Absatz 3 )<br />

Die engere Bindung des Dollar an den Euro, <strong>die</strong>ser Kerngedanke Lafontainscher Geldpolitik,<br />

deren unsinniger Gehalt hier von Gysi nachgeplappert wird, ist ein klassisches Theorem der<br />

„Wiedergewinnung von Politik" gegen <strong>die</strong> „Allmacht des Kapitals". Das Verhältnis des Dollars<br />

zum Euro wird letztlich diktiert von der Stärke der kapitalistischen Produktion, der<br />

Verwertungsbedingungen der nationalen Kapitale zueinander, der Profitraten und der von der<br />

Profitrate abhängigen Zinsrate und nicht von der Politik.<br />

Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass alle <strong>die</strong>se oben genannten Maßnahmen nur<br />

getroffen werden können, wenn <strong>die</strong> Bewegungsgesetze des Kapitals der Tendenz nach<br />

aufgehoben werden, vor allem <strong>die</strong> Bewegungsgesetze des zinstragenden Kapitals, des Kredits,<br />

woran Gysi als typischer Kleinbürger und Anhänger des möglichst zinslosen Kredits das<br />

allergrößte Interesse hat.<br />

Der Kredit ist ein notwendiges Produkt der auf der Warenproduktion beruhenden, kapitalistischen<br />

Produktionsweise. Wenn das Geld Ausgangspunkt und Endpunkt der Kapitalbewegung ist,,, ... so<br />

ist klar, dass das Geld selbst als Kapital verkauft werden kann ... Es kann als Quelle des Profits<br />

verkauft werden. Durch Geld usw. befähige ich den anderen, sich Mehrwert anzueignen." (MEW<br />

26.3, S. 447) So ist weiter klar, dass der Verleiher von Geld, welches den Borger befähigt,<br />

Mehrwert zu produzieren, einen Anspruch auf eine Teil <strong>die</strong>ses Mehrwerts hat, Zins genannt.<br />

Dieser Zins steht von Rechts wegen dem Eigentümer des Geldkapitals zu. Marx hierzu: „... um<br />

den Zins aufzuheben, das Kapital selbst, <strong>die</strong> auf den Tauschwert basierte Produktionsweise, also<br />

auch <strong>die</strong> Lohnarbeit aufheben müsste ... dass das Kapital als Kapital nicht existieren soll."<br />

(Grundrisse, S. 727/28) Im Gegensatz zu den Auffassungen der Kleinbürger, denen auch Gysi<br />

dem Kern nach anhängt, ist für Marx der Kredit eine notwendige und entwickelte Form der<br />

Kapitalbewegung. Eine Form „worin das Kapital sich im Unterschied von den einzelnen<br />

Kapitalien ... zu setzen sucht" (ebd., S. 551), und worin der gesellschaftliche Charakter der<br />

kapitalistischen Produktion einen seiner schlagendsten Ausdrücke findet.<br />

„Das Kreditwesen beschleunigt daher <strong>die</strong> materielle Entwicklung der Produktivkräfte und <strong>die</strong><br />

Herstellung des Weltmarktes, <strong>die</strong> als materielle Grundlagen der neuen Produktionsform bis auf<br />

einen gewissen Höhegrad herzustellen <strong>die</strong> historische Aufgabe der kapitalistischen<br />

Produktionsweise ist. Gleichzeitig beschleunigt der Kredit <strong>die</strong> gewaltsamen Ausbrüche <strong>die</strong>ses<br />

Widerspruchs, <strong>die</strong> Krisen, und damit <strong>die</strong> Elemente der Auflösung der alten Produktionsweise."<br />

(MEW 25, S. 457) Alle Momente, <strong>die</strong> in <strong>die</strong> von Marx angegebene Richtung der Entwicklung der<br />

Widersprüche des Kapitalismus zielen, in Richtung auf <strong>die</strong> Schaffung der materiellen Grundlagen<br />

des Kommunismus, sind für Gysi selbstverständlich von Übel. In <strong>die</strong>sem Sinne strebt er seine<br />

„Regulierungen" an, um <strong>die</strong> Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft vor ihrer Auflösung, durch<br />

<strong>die</strong> Entfaltung ihrer inneren Widersprüche, zu bewahren.<br />

An der Aufhebung der alten Produktionsweise hat Gysi natürlich kein Interesse. Im Gegenteil,<br />

das Geld, welches man sich beim „großen" Kapital durch neue Steuern zu beschaffen gedenkt,<br />

soll genützt werden zur Erhaltung und Förderung kleiner Kapitalisten, Eigentümer und<br />

Warenbesitzer.<br />

Es „soll <strong>die</strong> Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen durch zeitlich begrenzte Kapitalhilfen<br />

gestützt werden ..." „Die besondere Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen sollte<br />

direkt ..." gefördert werden. „... Eigenkapitalförderung für innovative Investitionen ..." (These 9,<br />

Absatz 6) sollen ebenfalls unterstützt werden.<br />

Im Resümee muss man festhalten, dass Gysi im wesentlichen auf dem Boden der kapitalistischen<br />

Produktionsweise steht. Er will nur ihre „Auswüchse" regulieren, <strong>die</strong> bürgerliche<br />

Produktionsweise ohne ihre Widersprüche. Die Kerngedanken der Harmonisierung der<br />

Widersprüche des Kapitalismus sind: für das „kleine", gegen das „große" Kapital; für das<br />

„schaffende", gegen das „raffende" Kapital. Die Polemik Gysis gegen das zinstragende Kapital<br />

vom Standpunkt der kapitalistischen Produktion aus, <strong>die</strong> sich als „Sozialismus" aufbläht, ist auch<br />

keine neue Erscheinung, sondern so alt wie <strong>die</strong>se Produktionsweise selbst.<br />

Die Suche nach den neuen Wegen zwischen Staats- und Privatwirtschaft, <strong>die</strong> Rolle des<br />

sogenannten Non-Profit-Sektors in der Formulierung Gysischer Gesellschaftspolitik, haben wir


schon bei der Kritik der These 7 näher beleuchtet. Der Hauptpunkt bei der Behandlung <strong>die</strong>ser<br />

Frage durch Gysi ist der, dass Gysi <strong>die</strong>sen Sektor für <strong>die</strong> Lösung der grundlegenden<br />

gesellschaftlichen Widersprüche auserkoren hat. Hier sollen der öffentliche Beschäftigungssektor<br />

und das genossenschaftliche Eigentum entstehen. Hier, in den soziokulturellen und ökologischen<br />

Dienstleistungsbereichen, glaubt Gysi seine gesellschaftliche Avantgarde, seine Führungsgruppe<br />

in der Umsetzung des neuen Gesellschaftsvertrages zu finden. Hier wird <strong>die</strong> klassenpolitische<br />

und soziale Basis der Gysi-Theorien deutlich - Teile der neuen Mittelschichten. Die Ziele,<br />

welche <strong>die</strong> Grünen in den 80er Jahren über <strong>die</strong> Ökologie- und Friedensbewegung anstrebten, <strong>die</strong><br />

Kontrolle von Staat und Gesellschaft durch <strong>die</strong> „Neuen Mittelschichten", sollen heute bei der<br />

PDS über den Dienstleistungssektor im sozio-kulturellen und ökologischen Bereich zur Grundlage<br />

ihre Programmatik und Politik werden.<br />

Ein grundlegender Aspekt <strong>die</strong>ses neuen Gesellschaftsprogramms, des neuen<br />

Gesellschaftsvertrages, ist der Zugriff auf und <strong>die</strong> Kontrolle der großen Industrie: „Schließlich ist<br />

eine Reform der Betriebsverfassung und der Mitbestimmung erforderlich. Großunternehmen sind<br />

hinsichtlich der Wirkungen ihrer Tätigkeit keine Privatsache der Kapitaleigner. Es reicht auch<br />

nicht, <strong>die</strong> Interessen der Belegschaften einzubinden. Geboten wären Aufsichtsgremien mit<br />

Drittelparität." (These 9, Absatz 7)<br />

Die dritte Parität soll aus gewählten Vertretern öffentlicher Nichtregierungsorganisationen<br />

bestehen. Die Reform der Betriebsverfassung zielt also nicht auf <strong>die</strong> Stärkung der Stellung der<br />

Arbeiterklasse, der Produzenten des gesellschaftlichen Reichtums, sondern vielmehr auf <strong>die</strong><br />

Kontrolle der kapitalistischen Großproduktion durch <strong>die</strong> politischen Vertreter des öffentlichen<br />

Beschäftigungssektors und des genossenschaftlichen Eigentums. Dies ist mit der unbestimmten<br />

Phrase von den Nichtregierungsorganisationen gemeint. Der „neue Mittelschichtler" im soziokulturellen<br />

Bereich gilt, wie bei Proudhon der Handwerker und Bauer, als der Normalfall des<br />

bürgerlichen Individuums und der bürgerlichen Gesellschaft, was ihn berechtigt, alles und jedes<br />

zu kontrollieren, zu seinem Nutzen und Frommen: Staat, Gesellschaft, Kapital und Proletariat.<br />

Dies ist der soziale und gesellschaftspolitische Kern der Gysi-Thesen.


Teil 4, Thesen 10-11:<br />

Der neue Verteilungsstaat:<br />

Die Herrschaft der unproduktiven Mittelschichten<br />

These 10:<br />

Dieses oben in These 9 entwickelte soziale Wesen der gesellschaftspolitischen<br />

Vorstellungen Gysis tritt in aller Deutlichkeit in der Frage der Reform und der Neuordnung des<br />

Sozialstaats zu Tage. In <strong>die</strong>ser These geht es um „<strong>die</strong> Modernisierung des Sozialsystems". Der<br />

Hauptpunkt <strong>die</strong>ser Modernisierung ist „<strong>die</strong> Einführung einer bedarfsorientierten sozialen<br />

Grundsicherung". Da das bürgerliche Individuum, nach Gysi, überall das gleiche ist, steht<br />

dementsprechend auch jedem eine gleiche soziale Grundsicherung, unabhängig von sozialer und<br />

Klassenlage, von Art und Tätigkeit überhaupt, nach Bedarf zu. Dies ist der grundlegende<br />

Gesichtspunkt, unter dem dann auch <strong>die</strong> Reform des Sozialstaates abgehandelt wird.<br />

„Die traditionelle Reduzierung der sozialen Sicherung für Lohnarbeit ... muss aufgehoben<br />

werden. Notwendig ist ein Sozialversicherungssystem, das alle Bevölkerungsteile vor Risiken<br />

sichert und eine bedarfsorientierte soziale Grundsicherung bereitstellt." (These 10, Absatz 4)<br />

Der Kern <strong>die</strong>ser Forderung ist <strong>die</strong> Aufhebung der Klassenfrage in der sozialen Absicherung bei<br />

Beibehaltung des Lohnsystems und des Klassencharakter der kapitalistischen Produktion. Die<br />

Sozialversicherungssysteme sollen vom Lohnsystem abgekoppelt werden bei Beibehaltung des<br />

Lohnsystems und der Zahlungspflicht für Lohnabhängige. Im Kern läuft das Ganze auf <strong>die</strong><br />

Legitimierung von Nichtarbeit hinaus, da <strong>die</strong> Anbindung der Ein- wie der Auszahlung <strong>die</strong>ser<br />

Grundsicherung an <strong>die</strong> gesellschaftlich notwendig Arbeit fehlt. Es ist egal, ob ich arbeite oder<br />

nicht arbeite, <strong>die</strong> soziale Grundsicherung steht mir sowieso zu.<br />

Die Einzahlungen in <strong>die</strong> Kassen sind Lohnbestandteile, auch <strong>die</strong> formal von den Kapitalisten<br />

geleisteten. Sie <strong>die</strong>nen der sozialen Absicherung der Arbeiter, <strong>die</strong> monatlich nur den Wert ihrer<br />

notwendigen Lebensmittel, den Wert ihrer Arbeitskraft bezahlt bekommen, gegen<br />

Arbeitslosigkeit, im Krankheitsfalle und im Alter. Sie gehören der Arbeiterklasse und den<br />

lohnabhängigen Werktätigen.<br />

Aus <strong>die</strong>sem Grund gehören <strong>die</strong> Kassen in ihre Hände, in ihre Selbstverwaltung. Wie das<br />

bürgerliche Individuum, Kapitalist, Selbständiger, Kleinunternehmer, Fußballstar und Künstler,<br />

oder Aktienbesitzer sich sozial absichert, ist seine Sache und geht <strong>die</strong> Arbeiterklasse nichts an.<br />

These 11:<br />

Hier kommen wir zur Steuerpolitik, der Lieblingsspielwiese des Kleinbürgertums und damit<br />

selbstverständlich auch <strong>die</strong> Lieblingsspielwiese unseres Herrn Gysi. Die These ist lang.<br />

Verständlich, <strong>die</strong> Steuerpolitik ist das klassische Hauptthema des Kleinbürgers neben dem<br />

zinslosen Kredit, welchen er immer anstrebt als kostenlose Aneignung gesellschaftlicher Werte.<br />

Hier wird er besonders ausführlich. Dieser Ausführlichkeit wollen wir allerdings in der Kritik der<br />

Thesen nicht folgen, sondern nur auf für <strong>die</strong> grundsätzliche Stellung der Arbeiterklasse zur<br />

Steuerpolitik zentrale Punkte hinweisen.<br />

„Das Steuersystem muss grundlegend modernisiert, vereinfacht und durchschaubarer gestaltet<br />

sowie an Steuergerechtigkeit orientiert werden: Entlastung geringer Einkommen, Mehrbelastung<br />

von großen Privatvermögen und nicht produktiv investierten Gewinnen und aus Finanzanlagen."<br />

(These 11, Absatz l)<br />

Für eine Vereinfachung und Modernisierung des Steuersystems sind Kommunisten auch.<br />

Kommunisten sind jedoch der Auffassung, dass <strong>die</strong> Steuerfrage, wie jede andere Frage der<br />

bürgerlichen Gesellschaftsordnung, vom Klassencharakter <strong>die</strong>ser Gesellschaft, dem Gegensatz<br />

von Kapital und Lohnarbeit her zu beurteilen ist. In <strong>die</strong>sem Sinne muss vom Standpunkt der<br />

Arbeiterklasse zur Steuerfrage erst einmal prinzipiell festgehalten werden:<br />

„Keine Änderung der Form der Besteuerung kann zu einer wesentlichen Veränderung in den<br />

Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit führen." (MEW 16, S. 198) Und weiter: „'Steuern'!<br />

Dinge, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Bourgeoisie sehr, <strong>die</strong> Arbeiter aber nur sehr wenig interessieren: Was der Arbeiter


an Steuern zahlt, geht auf Dauer in <strong>die</strong> Produktionskosten der Arbeitskraft mit ein, muss also<br />

vom Kapitalisten mitvergütet werden." (MEW 18, S. 232)<br />

Die Lohnsteuer, wie auch <strong>die</strong> Sozialversicherungsabgaben, sind Teil der Produktionskosten der<br />

Ware Arbeitskraft, des Werts der Arbeitskraft, müssen also beim Kauf der Arbeitskraft vom<br />

Kapitalisten mit bezahlt werden. Eine Senkung der Steuern und Sozialabgaben führt nur zu einer<br />

Senkung des Werts der Arbeitskraft und damit, in der Tendenz, zu einer Senkung des<br />

allgemeinen Lohnniveaus. Die logische Konsequenz davon ist <strong>die</strong> Senkung des Werts der<br />

notwendigen Arbeit, der Arbeit, welche dem Kapitalisten sein variables Kapital, <strong>die</strong> Lohnkosten,<br />

ersetzt, gegenüber der Mehrarbeit, <strong>die</strong> den Mehrwert und den Profit des Kapitalisten schafft. Eine<br />

Senkung der sogenannten Lohnnebenkosten erhöht nur den Ausbeutungsgrad der Arbeit durch das<br />

Kapital, führt in der Konsequenz zu einer absoluten Verschlechterung des Anteils der<br />

Arbeiterklasse am gesellschaftlichen Reichtum. Anstatt den Arbeiter im Interesse der<br />

Kapitalisten den Kampf um Steuersenkungen schmackhaft zu machen, und <strong>die</strong>s ist der Kern der<br />

ganzen Lohnnebenkostendiskussion, ist notwendig klar zu machen, dass <strong>die</strong> Arbeiterklasse ihre<br />

gesellschaftliche Stellung nur halten kann, wenn sie den Lohnkampf, den Kampf um<br />

Lohnerhöhungen führt. Weiter, dass sie ihre gesellschaftliche Stellung nur verbessern kann, wenn<br />

sie das System der Lohnarbeit selbst zu Fall bringt.<br />

Unabhängig von <strong>die</strong>ser grundsätzlichen, ökonomischen Sachlage ist es vom politischen<br />

Standpunkt, dem Verhältnis der Massen zum bürgerlichen Staat, notwendig, für direkte Steuern in<br />

stark progressiver Form und gegen <strong>die</strong> indirekten Steuern aufzutreten. „Wenn man<br />

nichtsdestoweniger zwischen zwei Steuersystemen zu wählen hat, empfehlen wir <strong>die</strong> völlige<br />

Abschaffung der indirekten Steuern und ihre allgemeine Ersetzung durch direkte Steuern; ...Die<br />

direkte Steuer regt jeden dazu an, <strong>die</strong> Regierung zu kontrollieren, während <strong>die</strong> indirekte Steuer<br />

jede Tendenz zur Selbstverwaltung zerstört." (MEW 16, S. 198)<br />

Das Problem der indirekten Steuern, der über <strong>die</strong> Preise hereingeholten Massensteuern, wo <strong>die</strong><br />

Bourgeoisie hin will, und <strong>die</strong> eine immer größeren Anteil am Steueraufkommen ausmachen, wird<br />

in der These überhaupt nicht angesprochen. Im Gegenteil, Gysi sieht <strong>die</strong> Notwendigkeit neuer<br />

Massensteuern. „Er (der neue Rahmen für Märkte) muss u.a. <strong>die</strong> der Gesellschaft aufgebürdeten<br />

Folgekosten des Wirtschaftens, <strong>die</strong> bisher in den betriebswirtschaftlichen Kosten nicht<br />

erscheinen, durch Ökosteuern, Zertifikate und Abgaberegelungen in <strong>die</strong> Preise hineinholen."<br />

(These 6, Absatz 11) Die Kosten für <strong>die</strong> Zerstörung der Umwelt sollen über <strong>die</strong> Preise<br />

hereingeholt werden. Im Kern läuft <strong>die</strong>s auf <strong>die</strong> Erhebung neuer Massensteuern durch den Staat<br />

hinaus, um so über <strong>die</strong> Preise von den Massen <strong>die</strong> Kosten für <strong>die</strong> Zerstörung der Natur durch <strong>die</strong><br />

Marktwirtschaft, <strong>die</strong> Konkurrenz, durch <strong>die</strong> kapitalistische Produktionsweise, zahlen zu lassen.<br />

Kommen wir zum Abschluss noch zu Gysis Steuerplänen gegen das „raffende" Kapital. Sie sind<br />

der Hauptgesichtspunkt bei der „Modernisierung" des Steuersystems bei Gysi, der sich im<br />

Fortlauf der Thesen mehr und mehr als ein typischer Vertreter des altbekannten Kampfes des<br />

Kleinbürgers gegen das „raffende" Kapital entpuppt.<br />

„In erster Linie ist aber zu sichern, dass Gewinne, <strong>die</strong> zur Spekulation eingesetzt werden oder<br />

aus ihr resultieren, wesentlich höher besteuert werden müssen als Gewinne, <strong>die</strong> in oder aus<br />

Produktion und Dienstleistungen fließen. ... Vermögensabgabe auf private Großvermögen und den<br />

Vermögensbestand von Versicherungs- und Kreditgesellschaften und Fondsanlagen notwendig."<br />

(These 11, Absatz 5 und 13)<br />

Es soll an <strong>die</strong>ser Stelle nicht mehr näher auf <strong>die</strong> gesellschaftspolitischen Grundlagen der<br />

Gysischen Steuerpolitik eingegangen werden. Seine Vorschläge zur Steuerpolitik sind nur <strong>die</strong><br />

logische Folge der bei Kritik der These 7 näher analysierten Kernelemente seiner<br />

Gesellschaftspolitik. Das Wesen <strong>die</strong>ser Gesellschaftspolitik ist der Schutz des „kleinen" Kapitals<br />

vor dem „großen" Kapital, des kleinen Eigentümers vor dem großen Eigentümer. In <strong>die</strong>sem Sinne<br />

sind auch <strong>die</strong> von Gysi und den Schreibern der Thesen vorgebrachten Modernisierungsvorschläge<br />

zum Steuersystem zu betrachten.


Teil 5, These 12:<br />

Die Anerkennung des Gewaltmonopols des bürgerlichen Staates<br />

These 12:<br />

„Die universale Geltung von Menschenrechten, individueller Freiheit und Demokratie ...<br />

Gewährleistung der Menschenrechte ist ein Erfordernis für dauerhaften Frieden. ... Zweitens muss<br />

<strong>die</strong> erneute Legitimierung des Krieges als Mittel der Politik, und zwar jeder Politik, aufgehalten<br />

und das Gewaltmonopol der UNO wiederhergestellt werden." (These 12, Absatz 6 und 8)<br />

Wer legitimiert und warum? Wenn ein von der USA geplanter Krieg, wie der Golfkrieg, <strong>die</strong><br />

Zustimmung Russlands findet, dann ist er legitimiert, im Unterschied zum Kosovokrieg, welcher<br />

nicht <strong>die</strong> Zustimmung Russlands und Chinas fand? Das heißt, <strong>die</strong> Diktatur und das<br />

Gewaltmonopol der alliierten Siegermächte des 2. Weltkrieges ist es, <strong>die</strong> legitimiert. Die UNO<br />

als Organisation verfügt über kein Gewaltmonopol. Sie ist in Bezug auf den Einsatz von Mitteln,<br />

vor allem von militärischen Mitteln, vollständig abhängig von den fünf Sicherheitsratsmitgliedern<br />

mit Vetorecht. Sind <strong>die</strong>se fünf Sicherheitsratsmitglieder sich einig, braucht man keine UNO.<br />

Sind sie sich nicht einig, existiert <strong>die</strong> UNO nicht. Das Gewaltmonopol der UNO kann schon<br />

deswegen nicht wiederhergestellt werden, weil es nie existiert hat.<br />

Eine Politik, <strong>die</strong> sich <strong>die</strong> universale Geltung der politischen bürgerlichen Menschenrechte auf ihre<br />

Fahnen schreibt, muss auch den Mitteln zu ihrer Durchsetzung zustimmen, auch dem Krieg. Der<br />

Krieg ist bekanntermaßen <strong>die</strong> Fortsetzung der Politik mit anderen, gewaltsamen Mitteln. Erst<br />

„mit dem Gegensatz der Klassen im Innern der Nation fällt <strong>die</strong> feindliche Stellung der Nationen<br />

gegeneinander." (MEW 4, S. 479) In logischer Konsequenz hat dann auch Gysi auf dem letzten<br />

Parteitag der PDS zu Münster in Westfalen <strong>die</strong> Frage der Zustimmung zu den militärischen<br />

Mitteln der Durchsetzung der universalen Menschenrechte unter bestimmten Bedingungen zur<br />

Abstimmung gestellt.<br />

Interessanterweise wird in <strong>die</strong>ser These <strong>die</strong> zu Beginn im Vorspann zu den Thesen geforderte<br />

Verbindung von sozialen und politischen Menschenrechten nicht mehr gezogen. Das Völkerrecht<br />

auf dem Boden der Anerkennung der universalen Geltung der politischen Menschenrechte ist<br />

eben das bürgerliche Völkerrecht, <strong>die</strong> Anerkennung der Herrschaft der Bourgeoisie national wie<br />

international in der sogenannten internationalen Staatengemeinschaft. Da das existierende<br />

Völkerrecht nur <strong>die</strong> internationalen Beziehungen der national herrschenden Klassen untereinander<br />

regelt, existiert es für <strong>die</strong> Völker, den unterdrückten Klassen und Schichten nur insoweit sie der<br />

politische Schwanz ihrer jeweils herrschenden Klassen sind. Das bürgerliche Völkerrecht<br />

legitimiert, unter dem Banner der universalen Geltung der Menschenrechte, <strong>die</strong> Herrschaft der<br />

Bourgeoisie über das Proletariat und allen anderen sozialen Klassen und Schichten, den Völkern,<br />

in der Welt.<br />

Im Grunde genommen haben <strong>die</strong> Völker nämlich nur ein Recht, das historische Recht auf<br />

Revolution. „Das Recht auf Revolution ist ja überhaupt das einzige wirklich 'historische Recht',<br />

worauf alle modernen Staaten ohne Ausnahme beruhen ..." (MEW 22, S. 524) Die Umsetzung<br />

der sozialen Menschenrechte beruht auch auf <strong>die</strong>sem einzig historischen Recht, das <strong>die</strong> Völker<br />

haben, auf dem Recht auf Revolution und dem Übergang zur kommunistischen<br />

Gesellschaftsordnung. Nur durch <strong>die</strong> Abschaffung der Klassen, der sozialen Gegensätze innerhalb<br />

der Nationen, können auch <strong>die</strong> sozialen Menschenrechte, mit dem Recht auf Arbeit als ihrem<br />

Kern, verwirklicht werden.<br />

Bis zum Jahre 2002 regierungsfähig?<br />

Das Problem der Anerkennung des Gewaltmonopols der UNO in den internationalen<br />

Beziehungen hat jedoch noch eine andere wesentliche Seite im Rah men der politischen Ziele<br />

Gysis und seiner Anhänger. Nämlich <strong>die</strong> Seite der Anerkennung des Gewaltmonopols des<br />

bürgerlichen Staates im Inneren als notwendiger Voraussetzung, um zukünftig eine<br />

staatstragender Partei und bis zum Jahre 2002 regierungsfähig zu werden. Dies ist ja


ekanntermaßen das Hauptziel Gysis, welches das ganze Wesen der durch <strong>die</strong> Thesen von ihm<br />

ausgelösten programmatischen Debatte ausmacht. Gysis Kurs, durch <strong>die</strong> Anerkennung des<br />

Gewaltmonopols des bürgerlichen Staates einerseits und <strong>die</strong> Anerkennung des Gewaltmonopols<br />

der UNO andererseits <strong>die</strong> PDS im Schnellverfahren zur staatstragenden Partei zu machen, ist auf<br />

dem Parteitag in Münster vorerst gescheitert. In der Konsequenz wäre <strong>die</strong>se Politik auf <strong>die</strong><br />

Anerkennung der NATO-Mitgliedschaft Deutschlands als ein Teil der Staatsräson <strong>die</strong>ser<br />

Republik hinausgelaufen; nur so kann <strong>die</strong> PDS regierungsfähig werden. Welche Auswirkungen<br />

<strong>die</strong>ses Scheiterns des Parteivorstandes in der einen Kernfrage, der Machtfrage und der<br />

Anerkennung des Gewaltmonopols des bürgerlichen Staates, für <strong>die</strong> andere Kernfrage, der<br />

Eigentumsfrage, in der weiteren programmatischen und politischen Debatte hat, wird <strong>die</strong> Zukunft<br />

zeigen.


Schlussbemerkung<br />

Gysi tritt mit dem Anspruch an, moderne sozialistische Politik machen zu wollen, Moderne und<br />

Sozialismus miteinander zu verbinden. Aus dem Zusammenbruch des Staatssozialismus in der<br />

Revolution von 1989/90 zieht er <strong>die</strong> Schlussfolgerung von der prinzipiellen Überlegenheit des<br />

Marktes über <strong>die</strong> Planwirtschaft. Er begibt sich damit prinzipiell auf den Boden der bürgerlichen<br />

Gesellschaftsordnung, der Anerkennung des Privateigentums an den Produktionsmitteln, der<br />

Warenproduktion und des Wertgesetzes als <strong>die</strong> grundlegende Elemente <strong>die</strong>ser Gesellschaft.<br />

Was Gysi nicht sieht oder übersieht, ist <strong>die</strong> Tatsache, dass auf dem Boden der entwickelten<br />

Warenproduktion, wo auch <strong>die</strong> Arbeitskraft zur Ware wird, das Aneignungsgesetz der einfachen<br />

Warenproduktion notwendig umschlagen muss in das Aneignungsgesetz der kapitalistischen<br />

Produktion. Er kann <strong>die</strong> innere Logik des Kapitalverhältnisses als gesellschaftliches<br />

Produktionsverhältnis nicht erklären und ist deswegen auch unfähig, den wirklichen<br />

Zusammenhang von Ökonomie und Politik, von Gesellschaft und Staat zu begreifen. Der Kern<br />

der bürgerlichen Gesellschaft wie auch des bürgerlichen Staates ist das Kapital oder das System<br />

der Lohnarbeit, zwei verschiedene Begriffe für das Gleiche.<br />

An beiden will Gysi nicht rütteln. Da er von den Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen<br />

Produktionsweise keine Ahnung hat, wird von ihm das Problem der „Dominanz der<br />

Kapitalverwertung" als Abwesenheit von Politik definiert, und <strong>die</strong> Lösung in der<br />

Wiedergewinnung von Politik, in der Wiederherstellung der Macht der Politik, der<br />

Modernisierung von Politik gegenüber der Allmacht des organisierten Kapitals gesehen. Die<br />

Herrschaft des Kapitals wird nicht aus den gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen, sondern<br />

aus der Herrschaft selbst abgeleitet. Mit <strong>die</strong>sem „theoretischen" Rüstzeug ausgerüstet macht sich<br />

Gysi dann an seine Lösung der gesellschaftlichen Probleme.<br />

Der Kern seiner Lösung besteht in der Schaffung neuer Märkte, vor allem im soziokulturellen<br />

Bereich, und in Bildung massenhafter kleiner Eigentümer und Warenproduzenten in <strong>die</strong>sen Teilen<br />

des Dienstleistungssektors. Diese sozio-kulturellen kleinen Eigentümer und Genossenschaften<br />

sollen dann, nach Gysi, <strong>die</strong> neue gesellschaftliche Avantgarde, <strong>die</strong> Massenbasis seines „Contrat<br />

social" abgeben. Zu ihrem Nutzen und Frommen soll dann <strong>die</strong> Neuordnung des Verteilungsstaates<br />

und <strong>die</strong> Unterordnung von Kapital und Arbeit unter <strong>die</strong> Gysische Politik, d. h. dem konzentrierten<br />

Ausdruck der ökonomischen Interessen <strong>die</strong>ser Teile der neuen Mittelschichten, in Angriff<br />

genommen werden. Jenseits der Behauptungen Gysis ist an <strong>die</strong>ser Politik nichts Modernes. Das<br />

soziale Wesen des neuen Gesellschaftsvertrags besteht in dem Utopia einer bürgerlichen<br />

Gesellschaft kleiner Eigentümer und Warenproduzenten, sein theoretischer Ausgangspunkt sind<br />

<strong>die</strong> Theorien Rousseaus, Proudhons und Lassalles, <strong>die</strong> Theorien des 18. und 19. Jahrhunderts.<br />

Im Gegensatz zu Gysi sind wir nicht der Ansicht, dass sich aus dem Zusammenbruch des<br />

Staatssozialismus eine prinzipielle Überlegenheit des Marktes über <strong>die</strong> Planwirtschaft, der<br />

bürgerlichen Gesellschaft über den Kommunismus, postulieren lässt. Was mit dem<br />

Zusammenbruch des Staatssozialismus gescheitert ist, ist der Weg zum Kommunismus unter<br />

Umgehung der Entwicklung des Kapitalismus. Gescheitert ist <strong>die</strong>ser Weg vor allem daran, <strong>die</strong><br />

den gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen adäquaten modernen Produktivkräfte zu schaffen.<br />

Sie sind vor allem gescheitert an der Entwicklung der Arbeitsproduktivität. In <strong>die</strong>sem Sinne<br />

wollen wir noch einmal zum Ausgangspunkt unserer Kritik an den Thesen, dem Verhältnis von<br />

Moderne und Sozialismus, zurückkommen. „Die kapitalistischer Produktion beruht auf dem Wert<br />

oder der Entwicklung der in dem Produkt enthaltnen Arbeit als gesellschaftlicher." (MEW 26.3,<br />

S. 252) Es ist das Kapital, das <strong>die</strong> Arbeitsproduktivität, den gesellschaftlichen Charakter der<br />

Arbeit, <strong>die</strong> modernen Produktivkräfte entwickelt, <strong>die</strong> Grundlage und Voraussetzung<br />

gesellschaftlicher Produktion nach Plan sind. Heute, durch den Kapitalismus, sind <strong>die</strong><br />

Bedingungen für <strong>die</strong> Überführung der Produktionsmittel in gesellschaftliches Eigentum und für<br />

gesellschaftliche Produktion nach Plan geschaffen, <strong>die</strong> Bedingungen für den Kommunismus<br />

herangereift.<br />

„ Diese weltbefreiende Tat durchzuführen, ist der geschichtliche Beruf des modernen Proletariats.<br />

Ihre geschichtlichen Bedingungen und damit ihre Natur selbst zu ergründen, und so der zur Aktion<br />

berufenen, heute unterdrückten Klasse <strong>die</strong> Bedingungen und <strong>die</strong> Natur ihrer eignen Aktion zum


Bewusstsein zu bringen, ist <strong>die</strong> Aufgabe des theoretischen Ausdrucks der proletarischen<br />

Bewegung, des wissenschaftlichen Sozialismus." (MEW 20, S. 265)<br />

In <strong>die</strong>sem Sinne: Die neue Avantgarde ist <strong>die</strong> alte Avantgarde.<br />

Kommunistische Gruppe Junius<br />

* Die Herkunft der Stelle wird in den Thesen nicht angegeben. Sie stammt aus dem<br />

Kommunistischen Manifest (MEW 4, S. 465) Im Zusammenhang zitiert, lautet <strong>die</strong> Stelle<br />

folgendermaßen: „Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne <strong>die</strong> Produktionsinstrumente, also<br />

<strong>die</strong> Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftliche Verhältnisse fortwährend zu<br />

revolutionieren. Unveränderte Beibehaltung der alten Produktionsweise war dagegen <strong>die</strong> erste<br />

Existenzbedingung aller früheren industriellen Klassen. Die fortwährende Umwälzung der<br />

Produktion, <strong>die</strong> ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, <strong>die</strong> ewige<br />

Unsicherheit und Bewegung zeichnet vor allen früheren aus." Die kursiv gesetzten Teile sind <strong>die</strong>,<br />

welche von Gysi zitiert werden. Der Hauptgrund für <strong>die</strong>se aus dem Zusammenhang gerissene<br />

Zitierung von Marx und Engels ist in der Abtrennung der Ursache - <strong>die</strong> Produktion des relativen<br />

Mehrwerts und <strong>die</strong> Kapitalverwertung - für <strong>die</strong>se „ununterbrochene Erschütterung aller<br />

gesellschaftlichen Zustände" zu suchen. Nur so kann man dann zu den abstrakten Phrasen vom<br />

„institutionell geregelten Wettbewerb" und der „pluralen Verteilung von Eigentum, Macht und<br />

Einfluss" kommen, d. h. den Kleineigentümer zum eigentlichen Motor der Entwicklung in der<br />

bürgerlichen Gesellschaft machen.

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