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Selbstlosigkeit genossen auch auf Unterstützung<br />
angewiesene – voneinander überaus<br />
abweichende – musikhistorische Persönlichkeiten<br />
wie Bruckner oder Smetana.<br />
Über die immense Anzahl von Wohltätigkeitskonzerten<br />
in Ungarn und darüber hinaus<br />
verdanken auch die Beethoven-Denkmäler<br />
in Bonn und Wien ihre Existenz zu<br />
einem bedeutenden Teil Franz Liszt.<br />
Es gab zu dieser Zeit noch nicht einmal<br />
Plattenspieldosen und günstige Organetten<br />
für jedermann, geschweige denn anständige<br />
Reproduktionsklaviere. Sehr schade!<br />
«Wie Liszt mit dem Klavier umgeht, ist mit<br />
Worten nicht zu beschreiben; wenn er seine<br />
Hände auf die Bestie mit den vielen Zähnen<br />
legt, dann hört diese auf, Klavier zu sein;<br />
sie wird zu einem lebendigen Wunder, das<br />
mit seiner Stimme droht, als würde das Ungeheuer<br />
der Apokalypse auf uns niederdonnern;<br />
dann unterwirft sich das Ungeheuer<br />
und beginnt, sanft von den tiefsten Geheimnissen<br />
des Herzens zu sprechen, für die es<br />
keine Worte gibt; es fängt den Mondschein<br />
ein und die Sommertage unterm Sternenhimmel<br />
und zieht so das ganze Himmelszelt<br />
näher zu uns heran.»<br />
Mit diesen vielleicht weniger fachlichen,<br />
doch umso anschaulicheren Worten würdigte<br />
der in Ungarn populäre Schriftsteller<br />
Mór Jókai (1825–1904) die Leistungen<br />
von Franz Liszt, und dies war im Grossen<br />
und Ganzen die typische Reaktion des zeitgenössischen<br />
Publikums. Liszt war nämlich<br />
der «Grand Fascinateur» des Klaviers,<br />
so schrieb man schon bei seinem ersten<br />
Auftritt 1823 in Pest über die Virtuosität<br />
des «hübschen blonden Buben», des Wunderkindes:<br />
«Er zeigte eine derartige Geschicklichkeit,<br />
Leichtigkeit, Genauigkeit,<br />
angenehme Kraft und meisterhaftes Können,<br />
dass es die gesamte edle Gemeinschaft<br />
mit Wonne erfüllt und zur Bewunderung<br />
hinreisst». Welch ein Ohrenschmaus würde<br />
es sein, Franz Liszt im Original auf einem<br />
perfekt spielenden Reproduktionsflügel zu<br />
hören!<br />
Beim Lesen des Artikels und beim Betrachten<br />
der Karikatur werden Sie sich an Ihre<br />
Jugendzeit erinnern, die Zeit der Popkonzerte<br />
mit hysterisch kreischenden Besuchern<br />
und zerstörtem Mobiliar. In Ungarn<br />
Das Liszt-Konzert in Pest 1872<br />
(Dieser Originalstich steht in unserem Museum im ungarischen Keszthely<br />
an der Jókai-Mór-Strasse auf dem Hupfeld-Phonoliszt.)<br />
wurde Liszt (was wörtlich übersetzt «Mehl»<br />
heisst) wie ein Nationalheld gefeiert.<br />
Aber lesen wir unten selbst, was ein Zeitzeuge<br />
in dem oben erwähnten Zeitungsartikel<br />
berichtet:<br />
Nach achtundzwanzig Jahren 1<br />
Liszt’s neuerliches Debut in Pest<br />
Wie eine Sage aus früherer Zeit klang es zu<br />
den Ohren der jüngeren Generation in Ungarn,<br />
wenn man von dem wunderbaren<br />
Spiele Liszt’s sprach. Die älteren Musikfreunde<br />
brüsteten sich förmlich, es gehört<br />
zu haben, und neben den Namen vergangener<br />
Grössen, wie eines Paganini, einer<br />
Sonntag u.s.w., wurde auch Liszt’s Name<br />
genannt, als ob es unmöglich wäre, ihn je<br />
wieder zu hören.<br />
Doch der König der Klaviervirtuosen lebt<br />
noch. Und für Ungarn hat er eine ganz unvergleichliche<br />
Bedeutung, er gehört ihm als<br />
Landeskind an. Es war ein vortrefflicher<br />
Zug der ungarischen Regierung, als sie die<br />
Kulturzustände des Landes neu einrichten<br />
wollte, diesen berühmten Sohn des Landes,<br />
welcher sogar seiner Zeit einen Ehrensäbel<br />
erhielt, zu berufen, dass er die musikalischen<br />
Zustände belebe, ordne. Liszt kam<br />
1 In welcher österreichischen<br />
Zeitung dieser Bericht über<br />
das Liszt-Konzert in Pest<br />
1872 veröffentlicht wurde<br />
(hier wiedergegeben in der<br />
Originalortho graphie), konnte<br />
leider nicht ermittelt werden.<br />
Falls unsere Leser die Quelle<br />
mitteilen können, freut sich<br />
der Verfasser des Eingangstextes.<br />
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