KANTON ZÜRICH - Swissportrait
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Begegnung im Wald<br />
Text und Interview: Maximilian Marti<br />
Nach einem leichten Regen ist der Boden<br />
noch feucht, was mein Vorhaben begünstigt.<br />
Ich halte nochmals Ausschau, dann verschwinde<br />
ich durch das Unterholz in den<br />
Wald. Dies wird unser letztes Treffen sein,<br />
heute muss sie dran glauben. Den Weg<br />
hügelan zu «unserer» Lichtung im Nadelholz<br />
würde ich im Dunkeln finden. Jetzt links ab,<br />
der weiche Boden zeigt keine Spuren –<br />
perfekt!<br />
Noch 200 Meter durch dichtes Gehölz, dann<br />
sehe ich sie an ihrem Stammplatz am Fuss<br />
der mittleren Kiefer. Meine Rechte umschliesst<br />
schon den vertrauten Griff des<br />
Messers in meiner Tasche, als ich die Lichtung<br />
betrete. Ich habe sie seit drei Wochen<br />
nicht mehr gesehen, sie hat seit meinem<br />
letzten Besuch beträchtlich zugelegt, meine<br />
Krause Glucke, im Volksmund auch Fette<br />
Henne genannt, nicht zu verwechseln mit<br />
Sedum, der Fetthenne. Schön wie ein Badeschwamm<br />
sieht sie aus, die parassis crispa,<br />
aber was soll’s, es muss sein! Wann schon<br />
findet man diesen seltenen Pilz in dieser<br />
Region? Sie schmeckt getrocknet ähnlich<br />
wie Morcheln, himmlisch an Bratensaucen,<br />
also ein gefundenes Fressen im wahren<br />
Sinn des Wortes.<br />
Bevor ich niederknie um sie zu ernten sichere<br />
ich nochmals rundum. Dieser Pilz<br />
wächst an derselben Stelle wieder nach.<br />
Was Gute Fundstellen betrifft, sind seriöse<br />
Sammler paranoid, deshalb sind sie überall<br />
leicht erkennbar: wie Kleinganoven schauen<br />
sie ständig über die Schulter um sicherzustellen,<br />
dass sie nicht verfolgt werden. Ihr<br />
Ziel gehen sie grundsätzlich auf Umwegen<br />
an, wie Bodenbrüter auf dem Anflug zum<br />
Gelege. Es ist soweit! Behutsam hebe ich<br />
den Pilz etwas an um zu schneiden, als<br />
plötzlich ein Riesenradau losbricht – jemand<br />
prescht durch die Gegend auf mich<br />
zu! Ehe ich mich schützend über meine<br />
Beute werfen kann, rennt ein sportlich gekleideter<br />
Mensch mit einer Landkarte in der<br />
Hand wie Superman an mir vorbei, den<br />
doch recht steilen Hang hoch. Unsere Blicke<br />
treffen sich kurz – schon ist der Spuk<br />
vorbei. Diese Puste sollte man haben! An<br />
Pilzen scheint er nicht interessiert zu sein.<br />
Wahrscheinlich ein Auswärtiger, deshalb<br />
die Landkarte.<br />
Mit der Glucke endlich sicher im Korb,<br />
schleiche ich mich auf Umwegen den Hang<br />
hinunter zum Parkplatz am Waldrand. Als ich<br />
die Hecktür öffne, rennt unverhofft Superman<br />
aus dem Wald und zu einem Fahrrad<br />
neben meinem Wagen, immer noch mit der<br />
Landkarte, jetzt sogar mit einem Kompass!<br />
Wir nicken uns zu – ich atme schwerer als<br />
er – deshalb erkundige ich mich:<br />
Warum tun Sie sich das an und rennen<br />
ohne Ortskenntnis auf diesen Hügel?<br />
Ich tue mir nichts an. Als Orientierungsläufer<br />
trainiere ich fast jeden Tag in diesem<br />
Wald. Unsere Gruppe bereitet sich auf die<br />
WM vor und wird dort zum Teil in ähnlichem<br />
Gelände laufen. Die Steilpassagen hier bieten<br />
mir die passenden Voraussetzungen<br />
zum täglichen Lauftraining. Karte und Kompass<br />
gehören einfach dazu, Ortskenntnis<br />
hin oder her. Bald geht’s los mit dem Auslandtraining.<br />
Je nachdem wo auf der Welt<br />
der Wettkampf stattfindet, trainieren wir in<br />
der Vorbereitungen nach Möglichkeit vor<br />
Ort, um uns den Geländetyp anzueignen<br />
und optimal zu akklimatisieren, sonst haben<br />
wir keine Chance.<br />
Was ist denn so faszinierend am OL?<br />
Das ganze Drum und Dran. Im Vordergrund<br />
steht die Freude an der eigenen sportlichen<br />
Leistung in der Natur. Innerhalb der Vereine<br />
und Gruppen besteht eine starke Verbindung,<br />
aber auch eine kompetitive Situation,<br />
welche zum Erfolg herausfordert. Die Anstrengung<br />
lohnt sich. Wenn man’s zur<br />
Spitze schafft, vertritt man die Schweiz<br />
interna tional an zivilen und militärischen<br />
Wettkämpfen und hat so Gelegenheit die<br />
Welt zu sehen. Auf diesem Niveau kommen<br />
die meisten Läuferinnen und Läufer aus der<br />
Studentenszene, also haben viele ähnliche<br />
intellektuelle Interessen, was vielfach zu<br />
bleibenden Kontakten und Freundschaften<br />
führt. Auf diese Art lernt man Zusammenhänge<br />
und Hintergründe besser verstehen,<br />
objektiver zu denken und den Horizont zu<br />
erweitern.<br />
Welche Eigenschaft ist für den Erfolg in<br />
dieser Sportart massgebend?<br />
Ohne Bereitschaft, alles andere ins zweite<br />
Glied zu stellen läuft gar nichts. Ich werde<br />
oft gefragt welchen Stellenwert im Trainingsplan<br />
Mentaltraining hat. Je länger ich<br />
Raffael Huber<br />
dabei bin, desto wichtiger bewerte ich diesen<br />
umstrittenen Punkt. Im Wettkampf entscheiden<br />
Kartentechnik, Stamina und Konzentration.<br />
Diese kann man nur mit Mentaltraining<br />
feinschleifen.<br />
Physisch muss eine gewisse Ausrüstung<br />
sicher vorhanden sein, welche durch hartes<br />
Training zur Eignung gebracht wird. Kraft ist<br />
sehr entscheidend. Einen Prototyp gibt es<br />
nicht. Eine zielgerichtete Geisteshaltung<br />
zum Sieg ist ein weiteres Muss. Wenn man<br />
räumliches Denken beherrscht und mit dem<br />
Kompass umgehen kann, ist man möglicherweise<br />
dabei.<br />
Wir verabschieden uns. Später fällt mir ein,<br />
dass wir uns nicht mit Namen vorgestellt<br />
haben. Zu Hause google ich die Schweizer<br />
OL Szene und sehe, dass ich mit einem<br />
Crack der nationalen Elite gesprochen<br />
habe, mit dem Winterthurer Spitzenathleten<br />
Raffael Huber. Schauen Sie auch mal rein,<br />
es lohnt sich.<br />
www.raffaelhuber.ch<br />
www.swiss-orientierung.ch<br />
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