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BEITRÄGE 53<br />
eineinhalb Jahren Kriegsgefangenschaft in <strong>de</strong>n USA wur<strong>de</strong><br />
ich am 11.4. 1946 in Regensburg entlassen. Mein erster<br />
Weg führte mich zu <strong>de</strong>m Dekan <strong>de</strong>s Kirchenkreises<br />
Regensburg, Lic. Schmidt. Er empfahl mich an <strong>de</strong>n Pfarrer<br />
Luther in Pfarrkirchen. Ich hatte gehofft, daß ich einige<br />
Zeit in einem neuen Aufgabenbereich bei ihm bleiben<br />
könnte. Ich hatte mich getäuscht. Ich war vielleicht eine<br />
Stun<strong>de</strong> bei ihm, dann fuhr er mich nach Tann, setzte mich<br />
in einer Wirtschaft ab und entließ mich mit <strong>de</strong>n Worten:<br />
„Nun grün<strong>de</strong>n Sie sich eine neue Existenz”. Aber wie das<br />
machen? Wo leben, wo essen, wo Gottesdienste halten? In<br />
<strong>de</strong>r Wirtschaft wur<strong>de</strong> mir be<strong>de</strong>utet, daß ich nicht bleiben<br />
könnte. Auf die Frage, wo kann ich <strong>de</strong>nn erfahren, was hier<br />
zu erreichen ist, bekam ich die stereotype Antwort:<br />
„Wen<strong>de</strong>n Sie sich an <strong>de</strong>n Herrn Kämmerer!” Wer war das?<br />
Es war <strong>de</strong>r katholische Ortspfarrer. Sein Kaplan, <strong>de</strong>r meine<br />
amerikanischen Zigaretten gerne rauchte, wollte mit mir<br />
kurzen Prozeß machen und for<strong>de</strong>rte mich auf, röm. kath. zu<br />
wer<strong>de</strong>n. Diesen Gefallen konnte ich ihm nicht tun. Meine<br />
evangelischen Gemein<strong>de</strong>glie<strong>de</strong>r waren Siebenbürger<br />
Sachsen, Banater Schwaben, Schlesier. Eine buntgemischte<br />
Gesellschaft. Gottesdienste hielt ich in <strong>de</strong>r kath. Kirche<br />
zu Tann und Reuth. Lange blieb ich nicht in Tann.<br />
Durch Ronneberger erfuhr ich, daß sich meine Familie<br />
in Lengerich aufhielt. Aber welches Lengerich war gemeint?<br />
In Thüringen? In Westfalen? Eifrig bemühte ich<br />
mich um eine Wohnung in Tann o<strong>de</strong>r Umgebung für meine<br />
Lieben, aber es war nichts zu machen. Helga telegrafierte<br />
mir, daß sie in Lengerich in Westfalen bereits eine<br />
Wohnung hätte. Daraufhin brach ich meine Zelte in Tann<br />
ab und fuhr über die Zonengrenzen, die damals bestan<strong>de</strong>n,<br />
nach Lengerich. Die Wohnung war alles an<strong>de</strong>re als schön,<br />
aber sie war abgeschlossen. Daß sie verwanzt war, stellten<br />
wir bald fest. In einer Nacht haben wir viele Wanzen gefangen.<br />
Ich war <strong>de</strong>r beste Kö<strong>de</strong>r, sie kamen nur so in mein Bett<br />
gelaufen. Aber immerhin, wir waren wie<strong>de</strong>r vereint! Es war<br />
mir ein großes Wun<strong>de</strong>r, daß ich alle meine Lieben im<br />
Westen wie<strong>de</strong>rhatte [...]. Ich half in Lengerich in <strong>de</strong>r<br />
Flüchtlingsseelsorge. Hier wur<strong>de</strong> auch unser Martin Ulrich<br />
geboren.<br />
Aber die Grafschaft Tecklenburg war reformiert und<br />
hatte <strong>de</strong>n Hei<strong>de</strong>lberger Katechismus. Aus diesem Grun<strong>de</strong><br />
entschloß ich mich, mich sobald als möglich wegzumel<strong>de</strong>n.<br />
Superinten<strong>de</strong>nt Rübesam versprach mir <strong>de</strong>n Bau eines<br />
Pfarrhauses. So verlockend es war, aber es konnte mich in<br />
Lengerich nicht halten.<br />
Durch Vermittlung <strong>de</strong>r Lengericher Diakonissen, die<br />
<strong>de</strong>m Mutterhaus in Münster angehörten, wur<strong>de</strong> man im<br />
Mutterhaus auf mich aufmerksam. Ihr Vorsteher, Professor<br />
Schreiner, litt an einer Gemütskrankheit. Ich wur<strong>de</strong> am<br />
1.4.1947 stellvertreten<strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Mutterhauses.<br />
Es bot sich uns eine Wohnung von meinem Vorgänger auf<br />
<strong>de</strong>r Studtstr. 29 an. Der Wirt, Herr Haacke, wollte uns zwar<br />
nicht nehmen, aber wir zogen einfach ein, und dagegen<br />
konnte <strong>de</strong>r Hauswirt damals nichts machen. [...]<br />
In Münster konnten wir dann ab 1.8.1947 an <strong>de</strong>r<br />
Gemeinschaftsverpflegung <strong>de</strong>s Mutterhauses teilnehmen.<br />
Ohne diese hätten wir die Hungerzeit kaum überstan<strong>de</strong>n.<br />
Für das Mutterhaus konnte ich außer Gottesdiensten<br />
Bibelstun<strong>de</strong>n halten und vor allem die Schwestern auf <strong>de</strong>n<br />
Außenstationen besuchen. So lernte ich ein gut Teil Westfalens<br />
kennen. Außer<strong>de</strong>m stan<strong>de</strong>n mir weithin die Bibliotheken<br />
Professor Schreiners und <strong>de</strong>s Mutterhauses zur Verfügung.<br />
Ich selbst hatte außer <strong>de</strong>r Bibel nichts. Außeror<strong>de</strong>ntlich<br />
genoß ich die Spaziergänge mit Prof. Schreiner.<br />
Obwohl er lei<strong>de</strong>nd war, war es ein großer Gewinn, mit ihm<br />
zusammen zu sein. Wen kannte er nicht alles, was hatte er<br />
nicht alles gelesen und durchdacht! Ich konnte mir fast ein<br />
Leben ohne die Unterweisung, die ich von diesem klugen<br />
Mann empfing, nicht <strong>de</strong>nken.<br />
Trotz<strong>de</strong>m nahm ich ein Angebot <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> Münster<br />
an, mich um eine Pfarrstelle zu bewerben. Ich mußte festen<br />
Bo<strong>de</strong>n unter die Füße bekommen, konnte nicht nur stellvertreten<strong>de</strong>r<br />
Vorsitzen<strong>de</strong>r bleiben, zumal es Schreiner wesentlich<br />
besser ging. Das schöne Pfarrhaus auf <strong>de</strong>r Fehrbellinstraße,<br />
wie zuerst vereinbart, bekam ich zwar nicht, dafür<br />
war ein Westfale vorgesehen. Oberlan<strong>de</strong>skirchenrat Bran<strong>de</strong>s,<br />
<strong>de</strong>r es sonst sehr gut mit mir meinte, sagte mir: „Ihnen<br />
fehlt die natürliche Nähe zu <strong>de</strong>n Münsteranern.” Diese<br />
Meinung konnte ich mit <strong>de</strong>m Hinweis entkräften, daß die<br />
meisten evg. Münsteraner Flüchtlinge aus <strong>de</strong>m Osten seien.<br />
Aber es half alles nichts. Ich rutschte von <strong>de</strong>r 5. auf die 6.<br />
Pfarrstelle runter. Die 6. Pfarrstelle hatte ein altes Pfarrhaus<br />
auf <strong>de</strong>r Herrmannstraße, das besetzt war, und das Helga<br />
auch später unter keinen Umstän<strong>de</strong>n beziehen wollte.<br />
[...] Als ich am ersten Advent 1950 eingeführt wur<strong>de</strong>,<br />
hatte mein Bezirk eine Seelenzahl von 2500, in kurzer Zeit<br />
wuchs sie auf 7500. Ich hatte 120 Konfirman<strong>de</strong>n und ebenso<br />
viele Katechumenen, 100 Taufen im Jahr. Die Trinitatiskirche<br />
erwies sich als viel zu klein, um die vielen Menschen<br />
aufzunehmen. Es herrschte eine drangvolle Enge,<br />
eine sehr schlechte Luft. So beschloß das Presbyterium<br />
eine Kirche im Raum <strong>de</strong>s 6. Pfarrbezirkes zu bauen. Es<br />
fand sich ein Platz auf <strong>de</strong>r Antoniusstraße, eine frühere alte<br />
Sandgrube. Ein Pfarrhausplatz war gegenüber auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />
Seite erworben wor<strong>de</strong>n. [...]. Die neue Matthäuskirche<br />
wur<strong>de</strong> am 2. Advent 1958 eingeweiht. Es war ein festlicher<br />
Zug, <strong>de</strong>r sich von <strong>de</strong>r Trinitatis- zur Matthäuskirche bewegte,<br />
die von Präses Wilm geweiht wur<strong>de</strong>. [...]<br />
Am 25.2. 1964 wur<strong>de</strong> ich an einem Nierentumor operiert.<br />
Ich konnte mich lange nicht erholen. [...] Manchmal<br />
sah es so aus, als wenn es mit mir in wenigen Monaten zu<br />
En<strong>de</strong> gehen wür<strong>de</strong>.<br />
Pastor Felmy`s eigene Aufzeichnungen brechen hier ab.<br />
Seine Frau, Helga Felmy, fügte einige Blätter an, <strong>de</strong>n<br />
Bericht über ein noch zwei Jahre währen<strong>de</strong>s schweres<br />
Kämpfen und Lei<strong>de</strong>n: „Am 13.4.1966 morgens um 0,20<br />
Uhr ging er nach einem furchtbaren To<strong>de</strong>skampf heim ... es<br />
war ihm nichts, nichts erspart wor<strong>de</strong>n. Wie oft hatte ich in<br />
diesen Tagen gebetet: Nimm ihn, mach <strong>de</strong>r Qual ein En<strong>de</strong>!<br />
Aber es sollte wohl so sein, daß er erst am 13. April starb;<br />
an <strong>de</strong>m Tag, <strong>de</strong>n wir stets als unseren Verlobungstag feierten,<br />
an <strong>de</strong>m Tag, an <strong>de</strong>m wir uns fan<strong>de</strong>n, wur<strong>de</strong>n wir auch<br />
getrennt...".