Präsenz - Wirtschaft - Berner Fachhochschule
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fachbereich<br />
Die andere Transparenz<br />
«IT does not matter» stand 2004 in der Harvard Business Review. Der Glaube ist<br />
tatsächlich weit verbreitet, dass Informatik nur eine Sammlung ganz gewöhnlicher<br />
Werkzeuge und deshalb eine einfach managbare Ressource ist. Wer sich mit Informatik<br />
auseinandersetzt erkennt jedoch, dass diese Werkzeuge so total schräg<br />
funktionieren, dass es besser wäre sie zuerst zu verstehen, bevor man sie einsetzt.<br />
Prof. Dr. Reinhard Riedl<br />
Leiter Forschung und Dienstleistungen<br />
Fachbereich <strong>Wirtschaft</strong><br />
<strong>Berner</strong> <strong>Fachhochschule</strong><br />
reinhard.riedl@bfh.ch<br />
Warum soll ein Manager Computer verstehen?<br />
Ein Chirurg versteht ja in der Regel<br />
auch nichts von der Skalpell-Schmiedekunst.<br />
Nun, die Informatik ist anders. Ihre<br />
Hauptherausforderung ist der Umgang mit<br />
hoher Komplexität und ihre wichtigste Strategie<br />
dafür ist das Prinzip «Teile und herrsche!»<br />
Designprobleme werden so in Teilprobleme<br />
zerlegt, dass für die Lösung eines<br />
Teilproblems der Rest des Systems als<br />
Black Boxes betrachtet werden kann. Ein<br />
Betriebssystem muss beispielsweise nicht<br />
wissen, wie Drucker konkret funktionieren.<br />
Die Komplexität des Druckers wird durch<br />
den Druckertreiber vor dem Betriebssystem<br />
versteckt. Solch ein Verstecken von Komplexität<br />
hinter Schnittstellen ist ein Kernprinzip<br />
der Informatik und trägt dort den<br />
scheinbar paradoxen Namen Transparenz.<br />
Nachhaltigkeit<br />
in der Informatik<br />
Betrachtet man die Geschichte der Informatik<br />
aus Sicht des Transparenz-Aspekts,<br />
so erscheint sie unerwartet geradlinig:<br />
Schritt für Schritt wurde die Transparenz-<br />
Kunst weiterentwickelt, wobei es auch<br />
immer wieder Rückschläge gab, weil coole<br />
Transparenz-Konzepte sich als schwer<br />
umsetzbar erwiesen. Heute lautet die Zukunftsvision:<br />
Steuerung von ganzen Systemen<br />
mit hochabstrakten Regeln. In der<br />
Praxis ist man aber noch lange nicht so<br />
weit. Selbst bei den fortschrittlichsten Informatik-Nutzern<br />
geht es primär darum, durch<br />
Umbau einen modularen Aufbau ihrer<br />
Systeme zu erreichen und den zukünftigen<br />
Re-Engineering-Widerstand zu minimieren.<br />
So soll es einfach möglich werden, Anwendungen,<br />
Technologien und Standards<br />
auszutauschen, wenn sie veralten. Denn<br />
nachhaltig ist in der Informatik nicht, was<br />
lange genutzt werden kann, sondern was<br />
einfach ersetzt werden kann.<br />
Dieses Paradoxon erschliesst sich mit<br />
voller Klarheit, wenn man die Design-Nachhaltigkeit<br />
der Informatik am Design-Qualitätsmassstab<br />
des wunderbaren Büchleins<br />
«Die Modernität des Dauerhaften» von<br />
Vittorio Magnagno Lampugnani misst. Hier<br />
wie dort gilt als höchstes Ziel eine Art fast<br />
banaler Einfachheit. Nur, dass in der Bau-<br />
Architektur und im Objektdesign gutes<br />
Design vor der Produktion stattfinden muss,<br />
während es in der Informatik das Ergebnis<br />
einer oftmaligen, die Codestruktur jeweils<br />
verbessernden, Neuproduktion ist. Analoge<br />
paradoxe Ähnlichkeiten gelten für die meisten<br />
Qualitätsmassstäbe, die Lampugnani<br />
beschreibt. Der Beruf des Informationstechnologie-Architekten<br />
ist also anders und<br />
doch auf faszinierende Weise ganz gleich<br />
dem Beruf des traditionellen Architekten<br />
oder Designers.<br />
Saubere Modellierung<br />
Das Anderssein hängt oft mit der Schnelligkeit<br />
der Informationsverarbeitung, der hohen<br />
Parallelität von Abläufen und der grossen<br />
Zahl von Fehlern zusammen. Die Schnelligkeit<br />
führt zu Kausalitätsproblemen. Die<br />
hohe Parallelität führt zur Gefahr, dass die<br />
Ressourcenverwaltung eines Systems<br />
sämtliche Ressourcen auffrisst – ein Phänomen,<br />
das uns aus dem Management bekannt<br />
ist. Und Fehler machen alle Arten von<br />
nicht-lokalen Übereinkünften sehr problematisch.<br />
Beschäftigt man sich mit solchen<br />
und ähnlichen Problemen näher, so stellt man<br />
schnell fest, dass eine saubere Modellierung<br />
unumgänglich ist für ein gutes Design.<br />
Ein lehrreiches<br />
Beinahe-Desaster<br />
In unglücklichen Fällen führt ein Nichtverständnis<br />
der Technik zu Geschäftsentscheidungen,<br />
die den Untergang vieler Unternehmen<br />
bewirken können. Wenn beispielsweise<br />
Buchhaltungstransaktionen, die laut Gesetz<br />
innert 4 Stunden stattfinden müssen, auf dem<br />
schnellsten Mainframe 84 Stunden dauern,<br />
dann kann das schon ein paar Banken<br />
auslöschen. Der Fall wäre in Deutschland<br />
in den 90’er Jahren beinahe passiert, als<br />
Folge eines geschäftsgetrie benen, technischen<br />
Fehlentscheids. Ein Kollege von mir<br />
hatte in dieser Situation als Performance-<br />
Verantwortlicher den Job seines Lebens.<br />
Letztlich ging vermutlich nur deshalb alles<br />
gut aus, weil der CEO des IT-Anbieters seine<br />
Leute vor den Kunden beschützte, indem<br />
er Fragen abblockte und die Kundenkontakte<br />
für sie übernahm. So konnten sie ruhig<br />
arbeiten und die Probleme lösen. Manchmal<br />
ist eben die Technik wichtiger als die<br />
kurzfristige Kundenbefindlichkeit.<br />
Respekt vor der Technik<br />
Das in der Informatik praktizierte (und als<br />
Transparenz deklarierte) Information Hiding<br />
zielt zwar unter anderem darauf ab, dass<br />
Benutzer ohne Technikverständnis problemlos<br />
komplexe technische Systeme benutzen<br />
können. Aber es bedeutet nicht,<br />
dass für die Führung eines Unternehmens<br />
Informatik-Verständnis überflüssig ist. Der<br />
Grund ist, dass die Informatik ihren eigenen<br />
Massstäben nicht genügt. Nur in der Theorie<br />
darf man Module als Black Boxes verstehen.<br />
In der Praxis muss man ihr Innenleben<br />
sehr wohl kennen. Es ist Aufgabe des<br />
CIOs, den Mitgliedern der Geschäftsleitung<br />
diesen Respekt vor der Technik zu vermitteln.<br />
In diesem einen Fall ist umgangssprachliche<br />
Transparenz notwendig.<br />
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<strong>Präsenz</strong> August 2012