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Sexualität in der Schwangerschaft und Wochenbett - Faph.de

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1. E<strong>in</strong>leitung<br />

Während noch vor 200 Jahren die Geschehnisse <strong>und</strong> Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

<strong>Schwangerschaft</strong> <strong>und</strong> während <strong><strong>de</strong>r</strong> Geburt <strong>in</strong>tuitiv betrachtet wur<strong>de</strong>n <strong>und</strong> die<br />

Kenntnisse re<strong>in</strong> handwerklicher <strong>und</strong> praktischer Natur waren, ist es Hebammen <strong>und</strong><br />

ärztlichen Geburtshelfern nun möglich, auf wissenschaftlich begrün<strong>de</strong>ten Fakten<br />

<strong>Schwangerschaft</strong> <strong>und</strong> Geburt zu begleiten. Planung von <strong>Schwangerschaft</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Schwangerschaft</strong>sverlauf, sowie Planung <strong>de</strong>s Geburtszeitpunkts <strong>und</strong> -verlaufes s<strong>in</strong>d<br />

nun möglich. <strong>Schwangerschaft</strong> <strong>und</strong> Geburt können <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vorher nie da<br />

gewesenen Sicherheit stattf<strong>in</strong><strong>de</strong>n <strong>und</strong> begleitet wer<strong>de</strong>n.<br />

Mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Möglichkeit <strong><strong>de</strong>r</strong> Schwangeren, an <strong>de</strong>n Sicherheitsleistungen <strong><strong>de</strong>r</strong> mo<strong><strong>de</strong>r</strong>nen<br />

Mediz<strong>in</strong> partizipieren zu können, steigt die Nachfrage nach <strong><strong>de</strong>r</strong>artigen Prozessen.<br />

Das perfekte K<strong>in</strong>d, die perfekte <strong>Schwangerschaft</strong>, die perfekte Geburt: die<br />

<strong>Schwangerschaft</strong> <strong>und</strong> das Geburtserlebnis wer<strong>de</strong>n zum Megahype.<br />

Die Technisierung natürlicher Vorgänge, nicht nur <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Geburtshilfe, hat zum<br />

e<strong>in</strong>en Vorteile, <strong>in</strong>sbeson<strong><strong>de</strong>r</strong>e die das Sicherheitsbedürfnis <strong>de</strong>s Menschen<br />

befriedigen<strong>de</strong> Planbarkeit, aber auch Nachteile. Der größte Nachteil ist sicherlich<br />

das Schüren von Angstgefühlen. Absicherungsbedürfnis <strong>und</strong> Angst ermöglichen es<br />

zum Beispiel <strong><strong>de</strong>r</strong> Versicherungsbranche, anhaltend hohe Ertragsquoten zu erzielen.<br />

Unsere Gesellschaft verträgt ke<strong>in</strong>e Zufälle. Unsere Gesellschaft verträgt ke<strong>in</strong><br />

Versagen. Wir leben heute <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Welt <strong>de</strong>s Perfektionismus, <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Intuition nicht<br />

zugelassen wird <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Emotionalität ke<strong>in</strong>en Platz hat.<br />

Dieser Zustand birgt Risiken für je<strong>de</strong>n e<strong>in</strong>zelnen <strong>und</strong> für die Gesellschaft. Wenn<br />

wir heute über rückläufige Geburtenzahlen, Überalterung <strong><strong>de</strong>r</strong> Bevölkerung,<br />

Rentenlücken, steigen<strong>de</strong> Ehescheidungsraten, Jugendkrim<strong>in</strong>alität usw. lesen <strong>und</strong><br />

re<strong>de</strong>n, dann f<strong>in</strong><strong>de</strong>n wir <strong>in</strong> diesen Themen auch immer die Kehrseite <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Perfektionierung unserer Gesellschaft wie<strong><strong>de</strong>r</strong>.<br />

Das Thema <strong><strong>de</strong>r</strong> vorliegen<strong>de</strong>n Hausarbeit ist „<strong>Sexualität</strong> <strong>in</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Wochenbett</strong>“.<br />

Während me<strong>in</strong>er ersten <strong>Wochenbett</strong>besuche, im Rahmen <strong>de</strong>s Externats im<br />

September 2007, kam ich auf die I<strong>de</strong>e, e<strong>in</strong>en Fragebogen zum Thema <strong>Sexualität</strong> <strong>in</strong><br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> <strong>und</strong> im <strong>Wochenbett</strong> zu erstellen, <strong><strong>de</strong>r</strong> dann im Rahmen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Schwangerenvorsorge <strong>und</strong> zum <strong>Wochenbett</strong>abschluss von <strong>de</strong>n Patient<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>er<br />

gynäkologischen Praxis ausgefüllt wur<strong>de</strong>n. Die zwischen Oktober 2007 <strong>und</strong> Januar


2008 erhobenen Daten spiegelten wi<strong><strong>de</strong>r</strong>, was <strong>in</strong> <strong>de</strong>n wenigen Studien, die es zu<br />

diesem Thema gibt, bestätigen: Das Thema <strong>Sexualität</strong> ist im ganz beson<strong><strong>de</strong>r</strong>en<br />

Maße, auch außerhalb <strong>de</strong>s hier zu beleuchten<strong>de</strong>n Titels, von Emotionalität <strong>und</strong><br />

Intuition abhängig <strong>und</strong> <strong>de</strong>shalb beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s empf<strong>in</strong>dlich gegenüber Bestrebungen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Perfektionierung <strong>und</strong> I<strong>de</strong>alisierung. In <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> ist das Thema<br />

zusätzlich belastet durch emotionale <strong>und</strong> körperliche Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

schwangeren Frau, durch natürliche Ängste um das K<strong>in</strong>d, ganz beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s aber auch<br />

durch zunehmen<strong>de</strong> Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen im Rollenverständnis <strong>und</strong> Rollenverhalten <strong>de</strong>s<br />

Paares. Diese Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ung <strong>und</strong> die hierauf basieren<strong>de</strong>n Probleme soll diese<br />

Hausarbeit beleuchten.<br />

2. Körperliche Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> <strong>und</strong> im <strong>Wochenbett</strong><br />

Lustempf<strong>in</strong>dung <strong>und</strong> <strong>Sexualität</strong> <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> verän<strong><strong>de</strong>r</strong>n sich gegenüber<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit vor <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> auch <strong>in</strong> körperlicher H<strong>in</strong>sicht. „Schwangere<br />

können besser riechen“ o<strong><strong>de</strong>r</strong> „Me<strong>in</strong>e Haut ist viel empf<strong>in</strong>dlicher gewor<strong>de</strong>n, seit ich<br />

schwanger b<strong>in</strong>“ s<strong>in</strong>d Aussagen, die an<strong>de</strong>uten, dass sich im Körper e<strong>in</strong>er<br />

Schwangeren mehr tut, als lediglich das Wachstum <strong><strong>de</strong>r</strong> Gebärmutter <strong>und</strong> <strong>de</strong>s<br />

K<strong>in</strong><strong>de</strong>s. Körperliche Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen verstärken psychische Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen <strong>und</strong><br />

diese haben wie<strong><strong>de</strong>r</strong>um E<strong>in</strong>fluss auf körperliche Prozesse. Deshalb halte ich es für<br />

s<strong>in</strong>nvoll, e<strong>in</strong>en nicht unerheblichen Teil dieser Arbeit auf die re<strong>in</strong> körperlichen<br />

Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen zu verwen<strong>de</strong>n. Sicherlich s<strong>in</strong>d viele <strong><strong>de</strong>r</strong> dargestellten<br />

Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen nicht unmittelbar für die Schwangere zu spüren, für die Umwelt<br />

häufig erst recht nicht. Dennoch bee<strong>in</strong>flussen auch diese das Empf<strong>in</strong><strong>de</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> Frau.<br />

Während e<strong>in</strong>ige Schwangere bestimmte Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen ihres Körpers bemerken<br />

<strong>und</strong> diese <strong>de</strong>f<strong>in</strong>ieren können, wer<strong>de</strong>n an<strong><strong>de</strong>r</strong>e diese nicht beobachten o<strong><strong>de</strong>r</strong> nicht<br />

beobachten können. In <strong><strong>de</strong>r</strong> bewussten Wahrnehmung dieser Wandlung <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

negativen o<strong><strong>de</strong>r</strong> positiven Verarbeitung dieser, unterschei<strong>de</strong>n sich alle Schwangeren<br />

<strong>in</strong>dividuell. Sozioökonomische <strong>und</strong> kulturelle Unterschie<strong>de</strong> lassen sich hier nach<br />

näherer Betrachtung festmachen.<br />

Die <strong>Schwangerschaft</strong> stellt wie die Geburt e<strong>in</strong>en physiologischen Zustand im Leben<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Frau dar. Der Körper <strong><strong>de</strong>r</strong> Frau ist darauf ausgerichtet, die enormen<br />

Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen <strong><strong>de</strong>r</strong> Funktion verschie<strong>de</strong>ner Organsysteme für e<strong>in</strong>e gewisse Zeit zu<br />

bewerkstelligen. Alle Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen dienen <strong><strong>de</strong>r</strong> Adaptation <strong>de</strong>s mütterlichen<br />

2


Organismus an die Bedürfnisse <strong>de</strong>s wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n K<strong>in</strong><strong>de</strong>s <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Vorbereitung <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Geburt. Nach <strong><strong>de</strong>r</strong> Geburt vollbr<strong>in</strong>gt <strong><strong>de</strong>r</strong> weibliche Organismus e<strong>in</strong>e weitere<br />

Höchstleistung, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er die zunächst für die <strong>Schwangerschaft</strong> verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ten<br />

Funktionen auf <strong>de</strong>n ursprünglichen Status prä gravidatem umorganisiert.<br />

2.1 Herz-Kreislauf-System<br />

Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen im Herz-Kreislauf-System s<strong>in</strong>d bezüglich aller Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ung<br />

<strong>de</strong>s schwangeren Organismus von zentraler Be<strong>de</strong>utung <strong>und</strong> betreffen <strong>in</strong><br />

erster L<strong>in</strong>ie die Tonusabnahme <strong><strong>de</strong>r</strong> glatten Muskulatur <strong><strong>de</strong>r</strong> Arterien- <strong>und</strong><br />

Venenwän<strong>de</strong> durch Zunahme <strong><strong>de</strong>r</strong> Prostazykl<strong>in</strong>synthese beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Plazenta. Die hierdurch verursachte Verr<strong>in</strong>gerung <strong>de</strong>s effektiv<br />

zirkulieren<strong>de</strong>n Blutvolumens bewirkt <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Nieren e<strong>in</strong>e erhöhte Retention<br />

von Natrium <strong>und</strong> Wasser mit Erhöhung <strong>de</strong>s Herzschlagvolumens <strong>in</strong>folge<br />

e<strong>in</strong>er Herzfrequenzsteigerung. Die Flüssigkeitszunahme im mütterlichen<br />

Organismus beträgt durch diese Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen ca. 8 Liter <strong>und</strong> die Zunahme<br />

<strong>de</strong>s zirkulieren<strong>de</strong>n Blutvolumens ca. 30%. Die Menge <strong><strong>de</strong>r</strong> roten<br />

Blutkörperchen steigt dabei weniger als die <strong>de</strong>s Plasmavolumens, wodurch<br />

die physiologische Hämoglob<strong>in</strong>konzentrationsabnahme erklärt wer<strong>de</strong>n kann<br />

(<strong>Schwangerschaft</strong>shydrämie, physiologische <strong>Schwangerschaft</strong>sanämie).<br />

Trotz <strong><strong>de</strong>r</strong> Blutvolumenzunahme s<strong>in</strong>kt aufgr<strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Tonusabnahme <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Gefäße <strong><strong>de</strong>r</strong> Blutdruck im 2. Trimenon um 5-15 mmHg, um am<br />

Geburtsterm<strong>in</strong> wie<strong><strong>de</strong>r</strong> prägravi<strong>de</strong> Werte zu erreichen.<br />

2.2 Blut<br />

Die Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ung <strong><strong>de</strong>r</strong> Konzentration <strong><strong>de</strong>r</strong> verschie<strong>de</strong>nen Blutkörperchen zeigt<br />

sich <strong>in</strong>sbeson<strong><strong>de</strong>r</strong>e durch die gegenüber <strong><strong>de</strong>r</strong> Blutplasmakonzentration<br />

ger<strong>in</strong>gere Steigerung <strong><strong>de</strong>r</strong> Anzahl roter Blutkörper (Anämie, s.o.) <strong>und</strong> durch<br />

e<strong>in</strong>e Zunahme <strong><strong>de</strong>r</strong> Konzentration an weißen Blutkörperchen. Insgesamt<br />

kommt es durch Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen im Ger<strong>in</strong>nungssystem zu e<strong>in</strong>er sog.<br />

Hyperkoagulabilität mit <strong><strong>de</strong>r</strong> für e<strong>in</strong>e <strong>Schwangerschaft</strong> <strong>und</strong> beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s im<br />

<strong>Wochenbett</strong> gefährlicher Zunahme an thromboembolischen Situationen.<br />

2.3 Atmung<br />

Knapp die Hälfte aller Schwangeren lei<strong>de</strong>t an Dyspnoe (Atemnot),<br />

verursacht durch e<strong>in</strong>e erhöhte Ansprechbarkeit <strong>de</strong>s Atemzentrums für<br />

Kohlendioxid <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> hierdurch konsekutiv gesteigerten Respirationsrate<br />

mit e<strong>in</strong>er zeitgleichen Zunahme <strong>de</strong>s Atemzugvolumens von bis zu 40%.<br />

3


Zusätzlich wird durch <strong>de</strong>n physiologischen Zwerchfellhochstand beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s<br />

<strong>in</strong> späteren <strong>Schwangerschaft</strong>swochen die unteren Lungenabschnitte weniger<br />

belüftet, was e<strong>in</strong>e weitere Zunahme <strong><strong>de</strong>r</strong> Atemnot bewirkt.<br />

2.4 Harnwege<br />

Die Wän<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> ableiten<strong>de</strong>n Harnwege erschlaffen genauso wie die <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Blutgefäße. Hierdurch kommt es zu e<strong>in</strong>er Dilatation <strong><strong>de</strong>r</strong> Harnleiter (Ureter).<br />

Durch die Erschlaffung dieser Strukturen <strong>und</strong> auch <strong><strong>de</strong>r</strong> Harnröhre kann es <strong>in</strong><br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> zu vermehrten Harnweg<strong>in</strong>fektionen kommen. Als<br />

funktionelle Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen s<strong>in</strong>d hauptsächlich die erhöhte Ausscheidung<br />

ausscheidungspflichtiger Produkte zu nennen, wobei an<strong><strong>de</strong>r</strong>e Stoffe, die <strong>de</strong>m<br />

Körper nützlich s<strong>in</strong>d, vermehrt <strong>de</strong>m Körper zurückgeführt wer<strong>de</strong>n (Natrium,<br />

Wasser etc). Allerd<strong>in</strong>gs kann es durch die erhöhte Filtrationsrate zu Verlust<br />

an Glucose <strong>und</strong> an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Stoffen kommen (physiologische Glucosurie,<br />

ger<strong>in</strong>ge physiologische Prote<strong>in</strong>urie, Vitam<strong>in</strong>urie).<br />

2.5 Zahnfleisch<br />

Parodontitis (Zahnfleischentzündung) <strong>und</strong> die sog. G<strong>in</strong>givitis<br />

hypertrophicans (Anschwellen <strong>de</strong>s entzün<strong>de</strong>ten Zahnfleisches), sowie die<br />

sog. <strong>Schwangerschaft</strong>sepulis (tumorartige Hypertrophie <strong>de</strong>s Zahnfleisches<br />

ohne Entzündung) stellen typische Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen <strong><strong>de</strong>r</strong> Zähne e<strong>in</strong>er<br />

Schwangeren dar. Da <strong><strong>de</strong>r</strong> pH-Wert <strong>de</strong>s Speichels e<strong>in</strong>er Schwangeren<br />

erniedrigt ist <strong>und</strong> dieser zusätzlich <strong>in</strong> höherer Menge produziert wird, ist die<br />

Kariesgefahr <strong>de</strong>utlich erhöht.<br />

2.6 Magen-Darm-Trakt<br />

Die Abnahme <strong><strong>de</strong>r</strong> Motilität (Bewegungsfreudigkeit) im gesamten Magen-<br />

Darm-Trakt, für die sich das Östrogen verantwortlich zeichnet, bewirkt e<strong>in</strong>e<br />

Verlangsamung <strong><strong>de</strong>r</strong> Speisepassage. Zusätzlich ist die<br />

Magensäureproduktion beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s im 1. Trimenon gesteigert. Sodbrennen ist<br />

e<strong>in</strong> Problem für viele Schwangere <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> gesamten <strong>Schwangerschaft</strong>, da ab<br />

<strong>de</strong>m 2. Trimenon, durch die zunehmen<strong>de</strong> Größe <strong>de</strong>s Uterus bed<strong>in</strong>gt, <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Magen nach oben gedrückt wird <strong>und</strong> durch die Erschlaffung <strong>de</strong>s<br />

Magene<strong>in</strong>gangs (Tonusm<strong>in</strong><strong><strong>de</strong>r</strong>ung <strong>und</strong> physiologischer<br />

Zwerchfallhochstand) die im Magen produzierte Säure <strong>in</strong> die Speiseröhre<br />

steigen kann.<br />

4


Die Trägheit <strong>de</strong>s Dickdarms <strong>und</strong> das längere Verweilen <strong>de</strong>s Darm<strong>in</strong>halts im<br />

se<strong>in</strong>em Lumen, bewirkt e<strong>in</strong>e gesteigerte Resorption von Flüssigkeit aus <strong>de</strong>m<br />

Darm. Die Folge ist Obstipation.<br />

Zusätzlich besteht durch die Trägheit <strong><strong>de</strong>r</strong> Gallenblase e<strong>in</strong>e erhöhte Gefahr<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Ausbildung von Gallenste<strong>in</strong>en.<br />

In <strong><strong>de</strong>r</strong> Leber wer<strong>de</strong>n unter <strong>de</strong>m <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> gesteigerten<br />

Östrogene<strong>in</strong>fluss vermehrt Ger<strong>in</strong>nungsfaktoren gebil<strong>de</strong>t<br />

(Hyperkoagulabilität, s.o.).<br />

2.7 Galaktopoese (Milchbildung)<br />

Prolakt<strong>in</strong> wird durch <strong>de</strong>n Hypophysenvor<strong><strong>de</strong>r</strong>lappen vermehrt sezerniert.<br />

Hierdurch kommt es zur Stimulation <strong><strong>de</strong>r</strong> Brustdrüsen im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er<br />

Vorbereitung <strong><strong>de</strong>r</strong> Milchbildung (Galaktopoese). Alle weiteren Hormone <strong>de</strong>s<br />

Hypophysenvor<strong><strong>de</strong>r</strong>lappens wer<strong>de</strong>n verm<strong>in</strong><strong><strong>de</strong>r</strong>t (FSH, LH). Oxytoz<strong>in</strong> <strong>und</strong><br />

Vasopress<strong>in</strong>, als die Hormone <strong>de</strong>s Hypophysenh<strong>in</strong>terlappens, verän<strong><strong>de</strong>r</strong>n sich<br />

<strong>in</strong> ihrer Konzentration im <strong>Schwangerschaft</strong>sverlauf nicht.<br />

2.8 Innere Genitale<br />

Die Ovarien vergrößern sich <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> ersten 3 Monaten <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong><br />

<strong>de</strong>utlich. Insbeson<strong><strong>de</strong>r</strong>e das Corpus luteum (Gelbkörperhormonproduzieren<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Bereich <strong>de</strong>s ehemaligen Follikels) zeigt e<strong>in</strong>e <strong>de</strong>utliche<br />

Vermehrung <strong><strong>de</strong>r</strong> hormonproduzieren<strong>de</strong>n Zellen. Mit zunehmen<strong><strong>de</strong>r</strong> autarker<br />

Hormonproduktion <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Plazenta <strong>de</strong>generieren diese Zellen. Die Ovarien<br />

bleiben <strong>in</strong> dieser Größe im gesamten Verlauf <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> bestehen.<br />

2.9 Schilddrüse<br />

Die Schilddrüsenfunktion ist gesteigert. Da Jod vermehrt über die Nieren<br />

ausgeschie<strong>de</strong>n wird, kann es beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s bei vorbestehen<strong>de</strong>m Jodmangel zur<br />

Kropfbildung kommen (euthyreote Struma).<br />

2.10Kalziummehrbedarf<br />

Die Aufnahme <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Verlust von Kalzium wird über das Parathormon<br />

(PTH) gesteuert, das <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Nebenschilddrüse gebil<strong>de</strong>t wird. In <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

<strong>Schwangerschaft</strong> wird mehr PTH gebil<strong>de</strong>t, im Darm mehr Kalzium<br />

aufgenommen <strong>und</strong> über die Niere weniger Kalzium ausgeschie<strong>de</strong>n. Nur<br />

durch diese Maßnahmen kann <strong><strong>de</strong>r</strong> Körper e<strong>in</strong>er Schwangeren e<strong>in</strong>en<br />

Kalziummehrbedarf von 1-2 Gramm täglich (<strong>de</strong>m 4 fachen <strong>de</strong>s normalen<br />

Bedarfs) <strong>de</strong>cken.<br />

5


2.11 Kortisolanstieg<br />

In <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> wird vermehrt Kortisol <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Nebennierenr<strong>in</strong><strong>de</strong><br />

produziert, was unter an<strong><strong>de</strong>r</strong>em <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Schwächung <strong>de</strong>s allgeme<strong>in</strong>en<br />

Immunsystems resultiert. Der starke Anstieg <strong><strong>de</strong>r</strong> Aldosteronsynthese <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Nebennierenr<strong>in</strong><strong>de</strong> bewirkt im wesentlichen <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Frühschwangerschaft die<br />

Adaptation <strong>de</strong>s Kreißlaufs auf die <strong>Schwangerschaft</strong> (Natrium- <strong>und</strong><br />

Wasserrückresorption).<br />

2.12 Körpergewicht<br />

Insgesamt kommt es durch die oben genannten Alterationen zu nachhaltigen<br />

Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen im gesamten Körper <strong><strong>de</strong>r</strong> schwangeren Frau. Das Wachstum<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Brustdrüse <strong>und</strong> die Zunahme <strong>de</strong>s Blutvolumens <strong>und</strong> E<strong>in</strong>lagerung von<br />

Wasser <strong>in</strong> das Gewebe (<strong>in</strong>sgesamt ca. 6,5 Liter) ist e<strong>in</strong> wesentlicher Gr<strong>und</strong><br />

für die Zunahme <strong>de</strong>s Körpergewichts <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> ersten <strong>Schwangerschaft</strong>shälfte,<br />

während die Gewichtszunahme <strong><strong>de</strong>r</strong> Schwangeren <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> zweiten Hälfte <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

<strong>Schwangerschaft</strong> durch das Wachstum <strong>de</strong>s K<strong>in</strong><strong>de</strong>s begrün<strong>de</strong>t liegt. Der<br />

Kohlenhydratstoffwechsel verän<strong><strong>de</strong>r</strong>t sich <strong><strong>de</strong>r</strong>art, dass zu Beg<strong>in</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Gravidität die Insul<strong>in</strong>sensibilität erhöht ist, Dies bewirkt neben <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Vermeidung von extremen Blutzuckerspitzen, die für das K<strong>in</strong>d schädliche<br />

Wirkung haben könnten (s. Diabetes mellitus <strong>und</strong> <strong>Schwangerschaft</strong>),<br />

beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s auch e<strong>in</strong>e erhöhte Synthese von Muskelprote<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Fettzellen.<br />

Gleichzeitig steuern an<strong><strong>de</strong>r</strong>e vermehrt synthetisierte Hormone e<strong>in</strong>em<br />

extremen Blutzuckerabfall entgegen (z.B. durch das <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Leber gebil<strong>de</strong>te<br />

Glukagon, Kortisol <strong>und</strong> Adrenal<strong>in</strong>). Insgesamt wer<strong>de</strong>n <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

<strong>Schwangerschaft</strong> 1 kg Prote<strong>in</strong>e neu gebil<strong>de</strong>t.<br />

Das <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Plazenta synthetisierte Estradiol, bes. das 17ß-Estradiol,<br />

verursacht e<strong>in</strong>e erhöhte Konzentration an SHBG (Sexulhormon-b<strong>in</strong><strong>de</strong>n<strong>de</strong>s<br />

Globul<strong>in</strong>) im maternalen Körper. Androgene, <strong>in</strong>sbeson<strong><strong>de</strong>r</strong>e das Testosteron,<br />

haben gegenüber <strong>de</strong>m SHBG e<strong>in</strong>e höhere Aff<strong>in</strong>ität als Östrogene, wer<strong>de</strong>n<br />

also bevorzugt an diese geb<strong>und</strong>en. Da aber nur freie, nicht geb<strong>und</strong>enen<br />

Stoffe hormonell aktiv s<strong>in</strong>d, nimmt die Wirkung <strong>de</strong>s Testosterons auf se<strong>in</strong>e<br />

Erfolgsorgane mit zunehmen<strong><strong>de</strong>r</strong> Östrogenkonzentration stetig ab.<br />

Testosteron gilt als DAS libidosteigern<strong>de</strong> Hormon, wodurch auch hormonell<br />

erklärt wer<strong>de</strong>n kann, warum schwangere Frauen e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>geres<br />

Lustempf<strong>in</strong><strong>de</strong>n haben können, als nicht schwangere.<br />

6


2.13 Brüste<br />

Die Brustdrüse erfährt schon <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Frühschwangerschaft e<strong>in</strong>e<br />

Volumenzunahme. Die hierdurch verursachten Beschwer<strong>de</strong>n zählen zu <strong>de</strong>n<br />

unsicheren <strong>Schwangerschaft</strong>szeichen. Im 1. Trimenon überwiegt e<strong>in</strong>e<br />

Hyperplasie (Zellvermehrung) mit Aussprossen neuer Drüsenfel<strong><strong>de</strong>r</strong>,<br />

während ab <strong>de</strong>m 2. Trimenon die Hypertrophie (Wachstum <strong><strong>de</strong>r</strong> Zellen) <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Drüsenfel<strong><strong>de</strong>r</strong>, Hyperämie (vermehrte Durchblutung) <strong>und</strong> die beg<strong>in</strong>nen<strong>de</strong><br />

Milchsynthese dom<strong>in</strong>iert. Das Kolostrum, die Vormilch, kann schon <strong>in</strong> <strong>de</strong>n<br />

letzten drei Monaten <strong><strong>de</strong>r</strong> Gravidität <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung treten. Der Milchfluss,<br />

stimuliert durch <strong>de</strong>n sekretorischen Prolakt<strong>in</strong>effekt, h<strong>in</strong>gegen kann erst nach<br />

Abfall <strong><strong>de</strong>r</strong> die Prolakt<strong>in</strong>wirkung hemmen<strong>de</strong>n Östrogenkonzentration<br />

unmittelbar nach <strong><strong>de</strong>r</strong> Geburt e<strong>in</strong>setzen.<br />

2.14 Äußere Genitale<br />

Die Genitale unterliegen e<strong>in</strong>er verstärkten Durchblutung <strong>und</strong><br />

Gewebsauflockerung während <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong>. Dies zeigt sich schon<br />

<strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Frühschwangerschaft durch die violette Verfärbung <strong>de</strong>s<br />

Schei<strong>de</strong>nepithels. Durch die erhöhte Durchblutung wird <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Drüsen <strong>de</strong>s<br />

Schei<strong>de</strong>nepithels vermehrt Sekret gebil<strong>de</strong>t, <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>de</strong>n schwangeren Frauen<br />

häufig (auch unangenehm) als verstärkter Fluor (Ausfluss) auffällt. Es<br />

kommt zu e<strong>in</strong>em Anstieg <strong>de</strong>s pH-Wertes <strong>und</strong> folglich zu e<strong>in</strong>em Verlust an<br />

Milchsäurebakterien mit konsekutiver Vulnerabilität bezüglich diverser<br />

mykotischer, bakterieller <strong>und</strong> viraler Infektionen.<br />

2.15 Gebärmutter<br />

Die Masse <strong>de</strong>s Myometriums (Gebärmuttermuskulatur) nimmt ca. um <strong>de</strong>n<br />

Faktor 60 zu. Die Gebärmutter wiegt am En<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> bis zu<br />

1500 Gramm, wobei sich die Muskelzellen überwiegend vergrößern<br />

(Hypertrophie) <strong>und</strong> nur unwesentlich neue Muskelzellen gebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n<br />

(Hyperplasie). Durch zunehmen<strong>de</strong> Dehnung <strong><strong>de</strong>r</strong> Uteruswand s<strong>in</strong>kt die<br />

Myometriumsdicke von ca. 2-3 cm auf 1-2 cm. Das untere Uter<strong>in</strong>segment<br />

<strong>und</strong> die Zervix uteri (Gebärmutterhals) wird im Laufe <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong><br />

b<strong>in</strong><strong>de</strong>gewebig umgebaut. Muskelzellen s<strong>in</strong>d um <strong>de</strong>n Geburtsterm<strong>in</strong> <strong>in</strong> diesen<br />

Uterusstrukturen kaum noch vorhan<strong>de</strong>n.<br />

7


2.16 Haut<br />

Auch die Haut unterliegt Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong>. Während<br />

lokale Hyperpigmentation <strong>und</strong> die Ausbildung <strong><strong>de</strong>r</strong> sog. Striae<br />

(Dehnungsstreifen) ke<strong>in</strong>en wesentlichen E<strong>in</strong>fluss auf das sexuelle Verhalten<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Frau hat, muss die Auswirkung <strong><strong>de</strong>r</strong> Hyperämie <strong><strong>de</strong>r</strong> Haut näher betrachtet<br />

wer<strong>de</strong>n. Unter <strong>de</strong>m hohem Östrogene<strong>in</strong>fluss <strong><strong>de</strong>r</strong> Blutgefäße <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Haut,<br />

kommt es auch hier zu e<strong>in</strong>er Dilatation <strong><strong>de</strong>r</strong> Gefäße. Deutlich wird dieses<br />

Phänomen beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s als Palmarerythem mit Rötung <strong><strong>de</strong>r</strong> Hand<strong>in</strong>nenflächen.<br />

Aber auch die Ausbildung von Spi<strong><strong>de</strong>r</strong> nävi (oberflächliche <strong>de</strong>f<strong>in</strong>ierte<br />

Gefäßerweiterungen) am Stamm o<strong><strong>de</strong>r</strong> Gesicht s<strong>in</strong>d typisch. Die vermehrte<br />

Durchblutung <strong><strong>de</strong>r</strong> Haut bewirkt erhöht <strong>de</strong>n Wärmeverlust. Schwangere<br />

Frauen frieren häufiger. In <strong>de</strong>m Maße, wie die Durchblutung zunimmt,<br />

nimmt auch die Sensibilität <strong><strong>de</strong>r</strong> afferenten Nervenbahnen zu, was e<strong>in</strong>e<br />

Sensibilisierung <strong><strong>de</strong>r</strong> Haut erklärt.<br />

3. Psychische <strong>und</strong> emotionale Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong><br />

Psychologische Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> s<strong>in</strong>d Bestandteil vieler<br />

Studien. Die Inhomogenität <strong><strong>de</strong>r</strong> Studien<strong>de</strong>signs machen allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e Auswertung<br />

nur bed<strong>in</strong>gt möglich.<br />

Für bei<strong>de</strong> Eltern be<strong>de</strong>utet <strong>Schwangerschaft</strong> e<strong>in</strong>e große Herausfor<strong><strong>de</strong>r</strong>ung Ihrer<br />

I<strong>de</strong>ntität, um die „Entwicklung <strong><strong>de</strong>r</strong> elterlichen Rolle <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> elterlichen Kompetenz<br />

realisieren zu können“ 1 .<br />

Seit E<strong>in</strong>führung oraler Kontrazeptiva (umgangssprachlich „die Pille) <strong>in</strong> <strong>de</strong>n späten<br />

sechziger Jahren besteht e<strong>in</strong>e effiziente Möglichkeit <strong><strong>de</strong>r</strong> Familienplanung. Frauen<br />

erleben seit <strong>de</strong>m ihre <strong>Sexualität</strong> nicht mehr nur unter <strong>de</strong>m Diktat <strong><strong>de</strong>r</strong> ihr<br />

schicksalhaft zugewiesenen Mutterrolle. Frauen <strong>und</strong> somit auch das Paar erleben<br />

<strong>Sexualität</strong> als re<strong>in</strong>e Lust, losgelöst von <strong><strong>de</strong>r</strong> Planung e<strong>in</strong>er Familiengründung. Die<br />

Emanzipation <strong><strong>de</strong>r</strong> Frau auf allen gesellschaftlichen Ebenen basiert wesentlich auf<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Selbstbestimmung <strong><strong>de</strong>r</strong> Frau <strong>in</strong> Bezug auf die Bee<strong>in</strong>flussung <strong>de</strong>s Zeitpunkts <strong>de</strong>s<br />

E<strong>in</strong>tritts e<strong>in</strong>er <strong>Schwangerschaft</strong> <strong>und</strong> ist im Wesentlichen auf die E<strong>in</strong>führung <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

„Pille“ zurückzuführen. Insofern hat das Thema Selbstbestimmung <strong><strong>de</strong>r</strong> mo<strong><strong>de</strong>r</strong>nen<br />

Frau viel mit <strong>Sexualität</strong>, <strong>Schwangerschaft</strong> <strong>und</strong> Mutterse<strong>in</strong> zu tun. Während diese<br />

1<br />

Ludwig Janus „Psychologische <strong>und</strong> psychosomatische Aspekte von <strong>Schwangerschaft</strong> <strong>und</strong> Geburt, Teil 1“ <strong>in</strong><br />

„Psychosomatisches Kompendium <strong><strong>de</strong>r</strong> Frauenheilk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Geburtshilfe, Marseille-Verlag 2008, S. 107-112<br />

8


Themen vor <strong><strong>de</strong>r</strong> Pillenära nicht trennbar vone<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> betrachtet wer<strong>de</strong>n konnten, so<br />

übt je<strong>de</strong>s dieser Titel se<strong>in</strong>e eigene Macht auf die Psyche <strong><strong>de</strong>r</strong> Frau aus <strong>und</strong><br />

bee<strong>in</strong>flusst das (sexuelle) Erleben <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong>. Es müsste <strong>de</strong>shalb auch<br />

möglicherweise e<strong>in</strong>en Unterschied <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Emotionalität <strong>und</strong> <strong>de</strong>m sexuellem<br />

Empf<strong>in</strong><strong>de</strong>n <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er geplanten <strong>Schwangerschaft</strong> gegenüber <strong>de</strong>m psychischen<br />

Empf<strong>in</strong><strong>de</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> Frau <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ungeplanten o<strong><strong>de</strong>r</strong> sogar ungewollten <strong>Schwangerschaft</strong><br />

gegeben. Zu dieser Fragestellung liegen lei<strong><strong>de</strong>r</strong> ke<strong>in</strong>e Studien vor.<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> überwiegen im Allgeme<strong>in</strong>en die positiven Aspekte<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong>. 2 An<strong><strong>de</strong>r</strong>e Autoren können belegen, dass „<strong><strong>de</strong>r</strong> Höhenflug <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Schwangeren beg<strong>in</strong>nt, wenn sich <strong><strong>de</strong>r</strong> Körper auf se<strong>in</strong>e neue Rolle, auf se<strong>in</strong>e<br />

hormonellen <strong>und</strong> physiologischen Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen e<strong>in</strong>gestellt hat…“ 3 , also <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Regel im zweiten Trimenon. „Viele Frauen erleben <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong><br />

Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen <strong>de</strong>s psychischen <strong>und</strong> körperlichen Bef<strong>in</strong><strong>de</strong>ns… Vor allem nach<br />

Feststellung <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> kann es zu ambivalenten Gefühlen kommen, auch<br />

wenn die <strong>Schwangerschaft</strong> erwünscht <strong>und</strong> sogar geplant war, selbst nach<br />

K<strong>in</strong><strong><strong>de</strong>r</strong>wunschbehandlungen.“ 4 Dies Aussage entspricht <strong><strong>de</strong>r</strong> gängigen Me<strong>in</strong>ung <strong>in</strong><br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> aktuellen Hebammenk<strong>und</strong>e. 5 Nach dieser gegenwärtigen Lehrme<strong>in</strong>ung wird die<br />

<strong>Schwangerschaft</strong> <strong>in</strong> drei kritische Phasen, die <strong>in</strong> etwa <strong>de</strong>n <strong>Schwangerschaft</strong>sdritteln<br />

entsprechen, unterteilt:<br />

1. Die Phase <strong><strong>de</strong>r</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong>setzung: Diese Phase beg<strong>in</strong>nt häufig schon vor <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

<strong>Schwangerschaft</strong>, bei Frauen, die sich bereits mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Frage o<strong><strong>de</strong>r</strong> Planung <strong>de</strong>s<br />

Dase<strong>in</strong>s als Mutter beschäftigen. Mit Bestätigung <strong><strong>de</strong>r</strong> Gravidität kommt es zu<br />

Reaktionen von „überglücklich“ bis „völlig verzweifelt“, je nach<br />

Konzeptionsplanung <strong>und</strong> Verarbeitung <strong>de</strong>s <strong>Schwangerschaft</strong>swunsches. Die<br />

Verarbeitung <strong>und</strong> Realisierung <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> geschieht <strong>in</strong> dieser Phase.<br />

Auch die Belastung durch körperliche Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen hat e<strong>in</strong>en erheblichen<br />

Anteil am Wohlbef<strong>in</strong><strong>de</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> Schwangeren zu Beg<strong>in</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong>,<br />

wobei die psychische Verarbeitung <strong><strong>de</strong>r</strong> körperlichen Probleme E<strong>in</strong>fluss auf das<br />

Bef<strong>in</strong><strong>de</strong>n hat. Als Beispiel e<strong>in</strong>er typischen Somatisierung dieses psychischen<br />

Prozesses gilt die (Hyper-) Emesis gravidarum.<br />

2<br />

A. Stürck, „<strong>Sexualität</strong> <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong>“ <strong>in</strong> „Hebamme“ 4/01, 206-209<br />

3<br />

A. Kuckuck, C. Luckmann; Mütter. Lust <strong>und</strong> <strong>Sexualität</strong> 1997, zitiert <strong>in</strong> A. Stürck, „<strong>Sexualität</strong> <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

<strong>Schwangerschaft</strong>“ <strong>in</strong> „Hebamme“ 4/01, 206-209<br />

4<br />

Roh<strong>de</strong> A, Psychische Erkrankungen <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> <strong>und</strong> Postpartalzeit <strong>in</strong> Psychosomatisches<br />

Kompendium <strong><strong>de</strong>r</strong> Frauenheilk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Geburtshilfe, München 2008<br />

5<br />

Mändle C, Opitz-Kreuter S, Wehl<strong>in</strong>g A: Das Hebammenbuch – Lehrbuch <strong><strong>de</strong>r</strong> praktischen Geburtshilfe,<br />

Stuttgart, 2003<br />

9


2. Phase <strong>de</strong>s Wohlbef<strong>in</strong><strong>de</strong>ns: Die ersten körperlichen Probleme s<strong>in</strong>d überstan<strong>de</strong>n<br />

<strong>und</strong> K<strong>in</strong>dsbewegungen s<strong>in</strong>d häufig schon zu spüren. In dieser Phase ist die<br />

I<strong>de</strong>ntifizierung mit <strong>de</strong>m Status „<strong>Schwangerschaft</strong>“ <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Rolle als Mutter<br />

weitestgehend abgeschlossen. Die schwangere Frau beg<strong>in</strong>nt, Kontakte mit<br />

an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Schwangeren aufzunehmen, z.B. im Rahmen von<br />

Geburtsvorbereitungskursen <strong>und</strong> stellt durch Erfahrungsaustausch fest, dass<br />

viele eigene Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen normal s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> an<strong><strong>de</strong>r</strong>e Schwangere diese<br />

Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen <strong>in</strong> ähnlichem Maße verspüren. Die Gravi<strong>de</strong> kann sich fallen<br />

lassen <strong>und</strong> sich auf das K<strong>in</strong>d freuen.<br />

3. Phase <strong><strong>de</strong>r</strong> Belastung: In dieser Phase stehen körperliche Belastungen wie<strong><strong>de</strong>r</strong> im<br />

Vor<strong><strong>de</strong>r</strong>gr<strong>und</strong>. Alle Organsysteme wer<strong>de</strong>n vollkommen beansprucht <strong>und</strong><br />

Müdigkeit <strong>und</strong> ger<strong>in</strong>gere Belastungsfähigkeit erschweren <strong>de</strong>n Alltag.<br />

Gleichzeitig wird die Schwangere durch (angstvolle) Gedanken an die Geburt<br />

<strong>und</strong> die Zeit danach beherrscht.<br />

Der E<strong>in</strong>fluss <strong>de</strong>s emotionalen <strong>und</strong> psychischen Zustand <strong><strong>de</strong>r</strong> wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Mutter auf<br />

das ungeborene K<strong>in</strong>d ist enorm. Neuste Erkenntnisse <strong><strong>de</strong>r</strong> Säugl<strong>in</strong>gsforschung<br />

zeigen, dass „bereits <strong>in</strong> dieser frühen Phase [] B<strong>in</strong>dung stattf<strong>in</strong><strong>de</strong>t o<strong><strong>de</strong>r</strong> B<strong>in</strong>dung<br />

gestört wird.“ 6 Nach statistischen Schätzungen s<strong>in</strong>d 70 Prozent <strong><strong>de</strong>r</strong> erstgeborenen<br />

K<strong>in</strong><strong><strong>de</strong>r</strong> nicht geplant, mit häufig gravieren<strong>de</strong>n Auswirkungen <strong>und</strong> mit Ausbildung<br />

e<strong>in</strong>es <strong>Schwangerschaft</strong>skonflikts. Das auf die körperlichen Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen<br />

Unvorbereitetse<strong>in</strong> verstärkt <strong>in</strong> <strong>de</strong>n ersten Wochen die Sorge um sich <strong>und</strong> das K<strong>in</strong>d.<br />

Angst schürt e<strong>in</strong>e Verstärkung von Beschwer<strong>de</strong>n, diese wie<strong><strong>de</strong>r</strong>um verstärken die<br />

Angst <strong>und</strong> Sorge, so dass es zu e<strong>in</strong>em circulus vitiosus kommen kann. Bei<br />

Beschwer<strong>de</strong>n tritt die Lust nach <strong>Sexualität</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>n H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> 7 , wobei nach<br />

Bull<strong>in</strong>ger (1983) <strong><strong>de</strong>r</strong> Wunsch nach Zärtlichkeit steigt <strong>und</strong> e<strong>in</strong> gesteigertes Bedürfnis<br />

nach Zärtlichkeit „mit gesteigerten sexuellen Bedürfnissen gleichzusetzen“ ist. 8<br />

„Der Höhenflug <strong><strong>de</strong>r</strong> Schwangeren beg<strong>in</strong>nt, wenn sich <strong><strong>de</strong>r</strong> Körper auf se<strong>in</strong>e neue<br />

Rolle e<strong>in</strong>gestellt hat“ 9 , also wenn die Übelkeit nachlässt, die Brüste nicht mehr so<br />

schmerzhaft empf<strong>in</strong>dlich s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> so weiter. Nach Kuckuck et al. gibt die Mehrzahl<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>in</strong>terviewten Frauen an, „das Gefühl <strong><strong>de</strong>r</strong> Intensität bei <strong><strong>de</strong>r</strong> Liebe zu Dritt“<br />

6<br />

L<strong>in</strong><strong><strong>de</strong>r</strong> R, Janus L, Wallbruch G; Pränatale <strong>und</strong> per<strong>in</strong>atale Psychologie – Psychodynamik <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

<strong>Schwangerschaft</strong>skonflikts, Bericht von <strong><strong>de</strong>r</strong> 19. Hei<strong>de</strong>lberger Arbeitstagung <strong><strong>de</strong>r</strong> ISPPM<br />

7<br />

Geist, C, Har<strong><strong>de</strong>r</strong> U, Kriegerowski-Schröteller G, Stiefel A (Hrsg); Hebammenk<strong>und</strong>e – Lehrbuch für SS,<br />

Geburt, <strong>Wochenbett</strong> <strong>und</strong> Beruf 1995, Berl<strong>in</strong>, New York<br />

8<br />

Bull<strong>in</strong>ger, H: Wenn Männer Väter wer<strong>de</strong>n – <strong>Schwangerschaft</strong>, Geburt <strong>und</strong> die Zeit danach <strong>in</strong> Erleben von<br />

Männern – Überlegungen, Informationen, Erfahrungen 1983, Re<strong>in</strong>bek<br />

9<br />

Kuckuck A, Luckmann C, Mütter, Lust <strong>und</strong> <strong>Sexualität</strong> 1997, Re<strong>in</strong>bek<br />

10


verstärke sich dann. Viele Frauen wür<strong>de</strong>n daran glauben, das positive Gefühl <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

praktizierten <strong>Sexualität</strong> übertrage sich auf das K<strong>in</strong>d <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Orgasmus wür<strong>de</strong> als<br />

„Umarmung <strong>de</strong>s K<strong>in</strong><strong>de</strong>s“ empf<strong>und</strong>en wer<strong>de</strong>n. Allerd<strong>in</strong>gs muss hier erwähnt<br />

wer<strong>de</strong>n, dass hier e<strong>in</strong>e große Variationsbreite besteht. Nach Stürck (2001) glauben<br />

viele Frauen, dass das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> utero „nichts mitbekommt“ 10 . Die positiven Aspekte<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> überwiegen <strong>in</strong> frühen <strong>Schwangerschaft</strong>swochen, wenn das<br />

Körperbild noch nicht verän<strong><strong>de</strong>r</strong>t ist. Stürck for<strong><strong>de</strong>r</strong>t <strong>in</strong> diesem Punkt aber<br />

repräsentative Studien, um klare Aussagen treffen zu können.<br />

Die späte <strong>Schwangerschaft</strong> verän<strong><strong>de</strong>r</strong>t nach e<strong>in</strong>helliger Me<strong>in</strong>ung aller<br />

Literaturstellen das Empf<strong>in</strong><strong>de</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Mutter erneut. Die Freu<strong>de</strong> auf das<br />

K<strong>in</strong>d <strong>und</strong> die Angst vor <strong><strong>de</strong>r</strong> Geburt, beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s bei primär ängstlichen Frauen o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

nach negativen vorherigen Geburtserlebnissen 11 , beherrschen nun die Gefühlswelt<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Frau. Der Körper wird entwe<strong><strong>de</strong>r</strong> als Last empf<strong>und</strong>en o<strong><strong>de</strong>r</strong> aber freudig die nun<br />

immer <strong>de</strong>utlicher zu erkennen<strong>de</strong>n Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen zu Kenntnis genommen.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs sche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> <strong>de</strong>n letzten Wochen <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> die Belastung durch<br />

die körperlichen Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen zuzunehmen. Die Schwangeren neigen zur<br />

Selbstverunsicherung, fühlen sich unattraktiv. Zunehmen<strong><strong>de</strong>r</strong> Bauchumfang,<br />

Hämorrhoi<strong>de</strong>n, bereits laktieren<strong>de</strong> Brüste, Krampfa<strong><strong>de</strong>r</strong>n <strong>und</strong> Ö<strong>de</strong>me entfernen das<br />

körperliche Bild vom eigenen Wunschbild 12 . Männer sche<strong>in</strong>en <strong>in</strong> dieser Beziehung<br />

gleichermaßen zu reagieren, da sich die Frau, <strong><strong>de</strong>r</strong>en prägravi<strong>de</strong>n Körper sie begehrt<br />

haben, sich nun <strong>de</strong>utlich von ihren I<strong>de</strong>alvorstellungen entfernt hat 13 . Auch hier ist<br />

die Variationsbreite <strong><strong>de</strong>r</strong> Empf<strong>in</strong>dungen, beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s bei <strong>de</strong>n Männern, vielfältig. So<br />

können größere Brüste <strong>und</strong> e<strong>in</strong> wachsen<strong><strong>de</strong>r</strong> Bauch auch durchaus auf Männer<br />

stimulierend wirken. Gr<strong>und</strong>sätzlich lässt sich aber e<strong>in</strong>e <strong>de</strong>utliche Ten<strong>de</strong>nz ab von<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> „Lust zur <strong>Sexualität</strong>“ <strong>und</strong> h<strong>in</strong> „zur Lust zur Zärtlichkeit“ <strong>und</strong> zur Lust nach<br />

„Zuwendung, Harmonie <strong>und</strong> Mitgefühl“ 14 erkennen, beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s auch im H<strong>in</strong>blick<br />

auf die zunehmen<strong>de</strong> Müdigkeit <strong><strong>de</strong>r</strong> Frau ist dies verständlich. Nach Barcley et al.<br />

(1994), kann zusammenfassend gesagt wer<strong>de</strong>n, dass das sexuelle Verlangen<br />

<strong>in</strong>sgesamt ab, beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s im ersten <strong>und</strong> letzten Trimenon, wobei es im 2. Drittel <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

10<br />

Stürck, A.: <strong>Sexualität</strong> <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> <strong>in</strong>: Hebamme, Hippokrates Verlag 04/01, 206-209<br />

11<br />

Roh<strong>de</strong> A, Psychische Erkrankungen <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> <strong>und</strong> Postpartalzeit <strong>in</strong> Psychosomatisches<br />

Kompendium <strong><strong>de</strong>r</strong> Frauenheilk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Geburtshilfe, München 2008<br />

12<br />

Kuckuck A, Luckmann C, Mütter, Lust <strong>und</strong> <strong>Sexualität</strong> 1997, Re<strong>in</strong>bek<br />

13<br />

Bull<strong>in</strong>ger H, Wenn Männer Väter wer<strong>de</strong>n – <strong>Schwangerschaft</strong>, Geburt <strong>und</strong> die Zeit danach <strong>in</strong> Erleben von<br />

Männern – Überlegungen, Informatione, Erfahrungen 1983, Re<strong>in</strong>bek<br />

14<br />

Kethler U, Krapp C, Lohmann S, Ayerle GM, Erleben <strong>und</strong> Be<strong>de</strong>utung von subjektivem Wohlbef<strong>in</strong><strong>de</strong>n <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

<strong>Schwangerschaft</strong> – e<strong>in</strong>e qualitative Studie<br />

11


<strong>Schwangerschaft</strong> leicht ansteigt. 15 An<strong><strong>de</strong>r</strong>e Berichte spiegeln diese Erfahrung nicht<br />

wi<strong><strong>de</strong>r</strong>. Während e<strong>in</strong>ige Schwangere ke<strong>in</strong>e Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ung <strong>in</strong> ihrer Lust <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

<strong>Schwangerschaft</strong> gegenüber <strong><strong>de</strong>r</strong> vorgravi<strong>de</strong>n Zeit bemerkten, nimmt bei an<strong><strong>de</strong>r</strong>en<br />

Schwangeren die Lust nach <strong>de</strong>m Koitus wegen <strong><strong>de</strong>r</strong> stärkeren Durchblutung <strong>de</strong>s<br />

Beckens <strong>und</strong> stärkeren Durchfeuchtung <strong><strong>de</strong>r</strong> Schei<strong>de</strong> zu. 16<br />

E<strong>in</strong> weiteres heikles Thema ist die Emotionalität <strong>de</strong>s Paares nach <strong><strong>de</strong>r</strong> Geburt. Der<br />

Rollenwan<strong>de</strong>l von Mann <strong>und</strong> Frau von <strong><strong>de</strong>r</strong> Zweier- <strong>in</strong> die Dreierbeziehung, <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>in</strong><br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> begonnen hat, ist mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Geburt nicht abgeschlossen. Die<br />

Rollen<strong>de</strong>f<strong>in</strong>ition beg<strong>in</strong>nt häufig erst jetzt. Die Elternschaft trifft das Paar be<strong>in</strong>ahe<br />

unvorbereitet. Nicht nur schlaflose Nächte zehren an <strong><strong>de</strong>r</strong> Physis <strong>und</strong> Psyche <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

frisch gebackenen Eltern. In vielen Beziehungen spielt Eifersucht e<strong>in</strong>e Rolle. Es<br />

konkurriert <strong><strong>de</strong>r</strong> Mann um die Zuwendung se<strong>in</strong>er Frau, die diese als Mutter <strong>de</strong>s<br />

geme<strong>in</strong>samen K<strong>in</strong><strong>de</strong>s fast ausschließlich <strong>de</strong>m Neugeboren entgegenbr<strong>in</strong>gt. Die Frau<br />

erlebt im zärtlichen Kontakt zum K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> „Ersatzverhalten für die <strong>Sexualität</strong>“ 17 .<br />

Die Lebenskrise <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Sexualkonflikt, <strong><strong>de</strong>r</strong> bereits mit Bekanntwer<strong>de</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

<strong>Schwangerschaft</strong> e<strong>in</strong>e Rolle <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>in</strong>timen Partnerschaft gespielt hat, wird nun<br />

erneut aktuell <strong>und</strong> kann die Beziehung schwer belasten. „Die Krise, die viele Paare<br />

nach <strong><strong>de</strong>r</strong> Geburt ihres ersten K<strong>in</strong><strong>de</strong>s durchleben, wird häufig gesellschaftlich<br />

tabuisiert <strong>und</strong> <strong>de</strong>shalb von <strong>de</strong>n betroffenen Paaren als E<strong>in</strong>zelschicksal erlebt“ 18<br />

Schwangere <strong>und</strong> ihre Partner wer<strong>de</strong>n auf die Situation, die nach <strong><strong>de</strong>r</strong> Geburt entsteht,<br />

selten vorbereitet: „Geburt <strong>de</strong>s K<strong>in</strong><strong>de</strong>s – Tod <strong><strong>de</strong>r</strong> Liebe?“ (Michael Luka Möller).<br />

„Die jungen Eltern han<strong>de</strong>ln unter Zeitdruck…<strong>und</strong> so <strong>in</strong>szenieren bei<strong>de</strong> Partner erst<br />

e<strong>in</strong>mal mit großer Zwangsläufigkeit (sie müssen ja schnell e<strong>in</strong> schlüssiges,<br />

funktionieren<strong>de</strong>s Handlungsmo<strong>de</strong>ll für <strong>de</strong>n Alltag entwickeln) das Gewohnte,<br />

nämlich die Wie<strong><strong>de</strong>r</strong>holung ihrer eigenen Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehung“ 19 . Die<br />

<strong>Schwangerschaft</strong> kann die Eltern nicht auf ihre Aufgabe vorbereiten. In unserer<br />

heutigen <strong>in</strong>dustrialisierten Welt ist es <strong>de</strong>m Paar nur möglich auf ihre eigene Eltern-<br />

K<strong>in</strong>d-Beziehung zu schauen. Vorbil<strong><strong>de</strong>r</strong> existieren nicht. Noch vor fünfzig Jahren<br />

existierten Großfamilien. Hier wur<strong>de</strong> generationsübergreifend Verantwortung für<br />

die Familie <strong>und</strong> für <strong>de</strong>n Nachwuchs ausgeübt. Die Tochter lernte von <strong><strong>de</strong>r</strong> Mutter,<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Großmutter, <strong><strong>de</strong>r</strong> Urgroßmutter, von älteren <strong>und</strong> jüngeren Geschwistern. Der<br />

15<br />

Barcley L.M., McDonald P, O’Loughl<strong>in</strong> J.A., Sexuality and pregnancy: An <strong>in</strong>terview study. Australian and<br />

New Zealand Journal of Obstetrics and Gynaekology, 1994, 34 (1), 1-7<br />

16<br />

Schwangerenvorsorge durch Hebammen, Suttgart 2005<br />

17<br />

Gier<strong>in</strong>g H, Lets talk about Sex<br />

18<br />

Gier<strong>in</strong>g H, Lets talk about Sex<br />

19<br />

Otto P; Sex <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> <strong>und</strong> nach <strong><strong>de</strong>r</strong> Geburt – Die Lust neu ent<strong>de</strong>cken, Re<strong>in</strong>beck 1996<br />

12


Sohn beobachtete beim Vater, beim Großvater, bei Brü<strong><strong>de</strong>r</strong>n <strong>und</strong> an<strong><strong>de</strong>r</strong>en<br />

Familienmitglie<strong><strong>de</strong>r</strong>n. Es war nicht notwendig se<strong>in</strong>e verschwommenen <strong>und</strong><br />

i<strong>de</strong>alisierten Vorstellung se<strong>in</strong>er eigenen K<strong>in</strong>dheit <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> erlebten Vater- o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Mutterrolle zu übernehmen. Gera<strong>de</strong> da diese i<strong>de</strong>alisiert wer<strong>de</strong>n, können sie<br />

unterjochen. Denn nach I<strong>de</strong>alen kann man streben, erreichen kann man sie <strong>in</strong><strong>de</strong>ssen<br />

nicht. In e<strong>in</strong>em Gespräch mit e<strong>in</strong>er Wöchner<strong>in</strong> während e<strong>in</strong>es Externatsbesuches<br />

gab die frische gebackene <strong>und</strong> quasi alle<strong>in</strong> stehen<strong>de</strong> Mutter (<strong><strong>de</strong>r</strong> Vater war<br />

selbständig <strong>und</strong> nie zu Hause), im übrigen nach e<strong>in</strong>em erlebten Geburtstrauma mit<br />

Vakuumextraktion <strong>de</strong>s K<strong>in</strong><strong>de</strong>s <strong>und</strong> e<strong>in</strong>es Dammrisses vierten Gra<strong>de</strong>s, an, sie wür<strong>de</strong><br />

schon alles schaffen. Sie habe an ihre eigene K<strong>in</strong>dheit nur beste Er<strong>in</strong>nerungen <strong>und</strong><br />

ihre Mutter habe „alles richtig gemacht“. Diese Frau wirkte zutiefst erschöpft,<br />

durch die Abwesenheit ihres Mannes gekränkt, <strong>und</strong> i<strong>de</strong>alisierte ihre Mutter, die sie<br />

„alle<strong>in</strong>e groß gezogen hat“. Frustration wird durch nicht erreichte I<strong>de</strong>ale geschürt,<br />

wenn I<strong>de</strong>ale zu hoch gesetzt wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> nicht erreichbar se<strong>in</strong> können.<br />

Partnerschaften wer<strong>de</strong>n <strong>in</strong> dieser Phase ebenfalls i<strong>de</strong>alisiert. „Mit je<strong><strong>de</strong>r</strong> Geburt<br />

wer<strong>de</strong>n zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st Drill<strong>in</strong>ge geboren“ 20 . Der Vater wird zum Sohn, i<strong>de</strong>alisiert die<br />

eigene Mutter <strong>und</strong> erwartet unausgesprochen, dass die Mutter se<strong>in</strong>es K<strong>in</strong><strong>de</strong>s diese<br />

Rolle e<strong>in</strong>nimmt. Die Mutter wird zur Tochter <strong>und</strong> erwartet die Übernahme <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

i<strong>de</strong>alisierten Vaterrolle durch ihren Partner. Gel<strong>in</strong>gt es <strong>de</strong>m Paar nicht, diese Rollen<br />

annähernd auszufüllen, begegnen wir Frustration <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Beziehungskrise.<br />

Sicherlich ist dies mit e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong> für die hohen Scheidungsraten, die wir im Mittel<br />

drei Jahre nach <strong><strong>de</strong>r</strong> Geburt <strong>de</strong>s ersten K<strong>in</strong><strong>de</strong>s beobachten können.<br />

4. <strong>Sexualität</strong> <strong>und</strong> Partnerschaft<br />

Der Umgang mit <strong>de</strong>m Begriff „<strong>Sexualität</strong>“ <strong>und</strong> die Def<strong>in</strong>ition von <strong>Sexualität</strong> ist von<br />

kulturellen, sozialen <strong>und</strong> religiösen Doktr<strong>in</strong>en geprägt. Die e<strong>in</strong>e <strong>Sexualität</strong> gibt es<br />

nicht. Die „normale“ <strong>Sexualität</strong> ersche<strong>in</strong>t unter <strong>de</strong>m E<strong>in</strong>druck <strong><strong>de</strong>r</strong> doktr<strong>in</strong>geprägten<br />

Werte ebenfall nicht existent. Unter dieser Voraussetzung <strong><strong>de</strong>r</strong> Betrachtungsweise<br />

kann lediglich e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>ster geme<strong>in</strong>samer Nenner gef<strong>und</strong>en wer<strong>de</strong>n: <strong>Sexualität</strong> ist<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Versuch <strong>de</strong>s Individuums sich selbst zu <strong>de</strong>f<strong>in</strong>ieren.<br />

In <strong><strong>de</strong>r</strong> Literatur habe ich zur ungefärbten Def<strong>in</strong>ition <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Sexualität</strong> ke<strong>in</strong>e<br />

entsprechen<strong>de</strong>n H<strong>in</strong>weise gef<strong>und</strong>en. Nach Herausarbeiten aller Literaturstellen ist<br />

20<br />

Möller, ML, Die Liebe ist das K<strong>in</strong>d <strong><strong>de</strong>r</strong> Freiheit, Re<strong>in</strong>bek 1986<br />

13


die eben genannte Def<strong>in</strong>ition die e<strong>in</strong>zige, die mit allen Textstellen <strong>in</strong> Deckung<br />

gebracht wer<strong>de</strong>n kann.<br />

So kann diese gefilterte Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Begriffs <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Sexualität</strong> auch <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung<br />

mit <strong>de</strong>m Begriff „Partnerschaft“ gebracht wer<strong>de</strong>n. Kl<strong>in</strong>ge et al erarbeiteten 2005<br />

<strong>de</strong>n Begriff <strong><strong>de</strong>r</strong> „erwachsenen <strong>Sexualität</strong>“ 21 , wobei dieser Begriff <strong>de</strong>n Wan<strong>de</strong>l <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

egoistischen Lustbefriedigung h<strong>in</strong> zur gegenseitigen Achtung <strong>und</strong> gegenseitiger<br />

Übernahme von Verantwortung füre<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> beschreibt. Insofern kann e<strong>in</strong>e erfüllte<br />

Partnerschaft gleichbe<strong>de</strong>utend se<strong>in</strong> mit erfüllter <strong>Sexualität</strong>, <strong>de</strong>n Koitus<br />

ausgeklammert. Diese Annahme stützt sich auch auf Berichten von<br />

Sexualtherapeuten, wonach Männer <strong>in</strong> problematischen Beziehungen, <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Koitus nicht praktiziert wird, Ihre geschlechtliche I<strong>de</strong>ntität durch Masturbation<br />

versuchen zu manifestieren. Ähnliches Verhalten ist bei adoleszenten jungen<br />

Männern zu beobachten, <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> geschlechtliche In<strong>de</strong>ntifikationstrieb durch<br />

häufige Selbstbefriedigung gestillt wird. Vielleicht stützt diese Annahme auch die<br />

Beobachtung an männlichen Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong><strong><strong>de</strong>r</strong>n, die ständig ihre (stets offensichliche)<br />

<strong>Sexualität</strong> berühren müssen. Gestützt wird Vorangegangenes auf je<strong>de</strong>n Fall durch<br />

psychiatrische Schriften über Sexual<strong>de</strong>l<strong>in</strong>quenten, die sich auf die Freudsche<br />

Triebtheorie berufen. 22<br />

Die <strong>Sexualität</strong> <strong>de</strong>s Menschen gibt es nicht. Während <strong>in</strong> e<strong>in</strong>schlägigen<br />

Wörterbüchern die <strong>Sexualität</strong> schlicht als „Geschlechtlichkeit“ 23 <strong>de</strong>f<strong>in</strong>iert wird, ist<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Begriff selber immer im geschichtlichen <strong>und</strong> kulturellen Kontext zu<br />

betrachten 24 . Ebenso wenig gibt es die Def<strong>in</strong>ition <strong><strong>de</strong>r</strong> „Partnerschaft“. Partnerschaft<br />

<strong>und</strong> <strong>Sexualität</strong> s<strong>in</strong>d nicht trennbare Begriffe, weswegen bei<strong>de</strong> Begriffe auch <strong>in</strong><br />

diesem Kapitel geme<strong>in</strong>sam abgehan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n.<br />

4.1 Geschichte <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Sexualität</strong><br />

Durch <strong>de</strong>n F<strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> „Venus von Willendorf“ wissen wir, dass sich die Menschheit<br />

schon früh mit <strong>de</strong>m Thema <strong>Sexualität</strong> beschäftigt hat. Übergroße Darstellungen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

21<br />

M. R<strong>in</strong>dlisbacher-Zaugg, „<strong>Sexualität</strong> – <strong>Schwangerschaft</strong> <strong>und</strong> Nachgeburtszeit“ <strong>in</strong> „Hebammen-Info 2007, 3;<br />

22-27<br />

22<br />

N. Becker „Psychogenese <strong>und</strong> psychoanalytische Therapie sexueller Störungen“ <strong>in</strong> „Sexuelle Störungen <strong>und</strong><br />

ihre Behandlung“ Thieme-Verlag 1996<br />

23<br />

Wahrig, Deutsches Wörterbuch 1986<br />

24<br />

Sigusch, V. „Kultureller Wan<strong>de</strong>l <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Sexualität</strong>“ <strong>in</strong> „Sexuelle Störungen <strong>und</strong> ihre Behandlung“ Hrsg. Volkmar<br />

Sigusch, Thieme-Verlag 1996<br />

14


Geschlechtsteile lassen erkennen, wie sehr <strong>Sexualität</strong> <strong>und</strong> Geschlechtsbewusstse<strong>in</strong><br />

schon <strong>in</strong> frühester Vorzeit verehrt wur<strong>de</strong>.<br />

E<strong>in</strong>en wesentlichen Schritt <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Entwicklung <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Sexualität</strong> soll die so genannte<br />

„Neolithische Revolution“ entwickelt haben. In <strong><strong>de</strong>r</strong> Jungste<strong>in</strong>zeit begann die<br />

Sesshaftigkeit <strong><strong>de</strong>r</strong> Menschen, wahrsche<strong>in</strong>lich durch klimatische Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen<br />

ausgelöst. In <strong><strong>de</strong>r</strong> auch als „die erste menschliche Revolution“ genannten Phase <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Menschheit, än<strong><strong>de</strong>r</strong>te sich schnell das Verhältnis <strong><strong>de</strong>r</strong> nun nicht mehr ausschließlich<br />

als Sammler <strong>und</strong> Jäger tätigen Menschen. Tiere wur<strong>de</strong>n domestiziert, Ackerbauch<br />

betrieben. Hunger <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> hieraus resultieren<strong>de</strong> Wan<strong><strong>de</strong>r</strong>ungstrieb wur<strong>de</strong>n immer<br />

seltener beobachtet. Wenn die Besorgung <strong><strong>de</strong>r</strong> Nahrung nicht mehr die existentielle<br />

Notwendigkeit besaß, da durch <strong>de</strong>n Ackerbau <strong>und</strong> die Tierhaltung Vorräte<br />

geschaffen wer<strong>de</strong>n konnte, konnten auch an<strong><strong>de</strong>r</strong>e kulturelle Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen E<strong>in</strong>zug<br />

halten. Aus <strong><strong>de</strong>r</strong> kle<strong>in</strong>en Wan<strong><strong>de</strong>r</strong>-Gruppe entstan<strong>de</strong>n größere<br />

Siedlungsgeme<strong>in</strong>schaften.<br />

Durch die Vergrößerung <strong><strong>de</strong>r</strong> Gruppe erhöhte sich auch die Möglichkeit <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

genetischen Variabilität. Allerd<strong>in</strong>gs mit zunehmen<strong><strong>de</strong>r</strong> Gefahr für <strong>de</strong>n Mann, nicht<br />

genetisch verwandte K<strong>in</strong><strong><strong>de</strong>r</strong> aufzuziehen. Es wird <strong>in</strong> diesem Zusammenhang<br />

darüber diskutiert, ob die „neolithische Revolution“ <strong><strong>de</strong>r</strong> Beg<strong>in</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> Tabuisierung<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Verbotes <strong><strong>de</strong>r</strong> weiblichen <strong>Sexualität</strong> sei. Hier stellt sich auch die Frage, ob<br />

z.B. <strong>in</strong> islamischen Kulturen <strong><strong>de</strong>r</strong> Umgang mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Weiblichkeit nicht eben unter<br />

diesem „neolithischen“ E<strong>in</strong>fluss steht, da die Sesshaftwerdung <strong><strong>de</strong>r</strong> überwiegend bis<br />

vor weniger als 200 Jahren nomadischen Bevölkerung noch sehr jung ist.<br />

Die <strong>Sexualität</strong> <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Antike <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Altertums zeichnete sich durch teilweise<br />

ungehemmtes Ausleben <strong>de</strong>s Nisus o<strong><strong>de</strong>r</strong> libido sexualis (Sexualtrieb) aus.<br />

Homosexualität <strong>und</strong> Prostitution waren legitime Formen <strong>de</strong>s Auslebens <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

<strong>Sexualität</strong>.<br />

Viele mediz<strong>in</strong>ische Wörterbücher <strong>de</strong>f<strong>in</strong>ieren <strong>de</strong>n „Sexualtrieb“ als „wegen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

pr<strong>in</strong>zipiellen Bisexualität <strong>de</strong>s Menschen …[als] … nicht notwendig<br />

gegengeschlechtlich orientiert.“ 25 Allerd<strong>in</strong>gs wur<strong>de</strong> die Homo- o<strong><strong>de</strong>r</strong> Bisexualität<br />

von Frauen negiert 26 , <strong>in</strong> späteren Schriften wur<strong>de</strong> gefor<strong><strong>de</strong>r</strong>t, homosexuell aktive<br />

Frauen zu ste<strong>in</strong>igen. 27<br />

25<br />

Pschyrembel Kl<strong>in</strong>isches Wörterbuch 256. Auflage, 1990, De Gruyter-Verlag<br />

26<br />

Ovid, Metamorphosen, 9.669-797<br />

27<br />

Seneca, Kontroversen, 1.2.23<br />

15


Darstellungen männlicher Homosexualität dagegen gibt es zu Hauf - Anal- <strong>und</strong><br />

Oralverkehr waren üblich. Herausragend s<strong>in</strong>d Wandmalereien im alten Pompeji,<br />

z.B. <strong>in</strong> Wandmalereien <strong><strong>de</strong>r</strong> Vorstadtthermen mit Abbildung <strong>de</strong>s Geschlechtsaktes<br />

zweier Männer <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Frau (Südwand <strong>de</strong>s Ausklei<strong><strong>de</strong>r</strong>aumes um 79 v. Chr.) <strong>und</strong><br />

Öffentlichmachung bestimmter Vorzüge homosexueller Aktivität <strong><strong>de</strong>r</strong> römischen<br />

Kaiser. So berichtet Sueton, dass sich se<strong>in</strong> Kaiser „zu starken <strong>und</strong> erfahrenen<br />

Männern h<strong>in</strong>gezogen fühlte“ 28 <strong>und</strong>, dass „Nero beim Geschlechtsakt mit<br />

Doryphoros das Schreien e<strong>in</strong>er Jungfrau imitierte“ 29<br />

In Europa wur<strong>de</strong> die <strong>Sexualität</strong> ab <strong>de</strong>m Hoch-Mittelalter unter die kirchlichchristliche<br />

Moral gestellt. Während im frühen Mittelalter noch die Sitten <strong><strong>de</strong>r</strong> Antike<br />

herrschten, die „die Abgabe von Säften“ zur Gesun<strong><strong>de</strong>r</strong>haltung für unabd<strong>in</strong>gbar<br />

propagierten, war das Hochmittelalter geprägt von Sexualfe<strong>in</strong>dlichkeit. Die<br />

<strong>Sexualität</strong> diente ausschließlich <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeugung von K<strong>in</strong><strong><strong>de</strong>r</strong>n. Keuschheit war oberstes<br />

Pr<strong>in</strong>zip <strong>und</strong> <strong>Sexualität</strong>, Wollust <strong>und</strong> Verführung galt als teuflisch <strong>und</strong> wur<strong>de</strong> mit<br />

<strong>de</strong>m To<strong>de</strong> bestraft. Selten ist <strong>in</strong> diesem Zusammenhang von männlichen Opfern <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Kirchenmoral zu lesen. In <strong><strong>de</strong>r</strong> Regel galt die Verführung, die Entfachung <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Wollust, weiblichen Ursprungs. Die Geschlechtskrankheiten <strong><strong>de</strong>r</strong> Antike <strong>und</strong> <strong>de</strong>s<br />

Frühmittelalters galten ebenso weiblichen Ursprungs.<br />

Das Spätmittelalter entlud sich von dieser strengen Kirchenlehre. Die Sitten wur<strong>de</strong>n<br />

wie<strong><strong>de</strong>r</strong> lockerer, bis die Aufklärung mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Lehre <strong><strong>de</strong>r</strong> Vernunft (siehe z.B. Kant)<br />

die Moralvorstellungen wie<strong><strong>de</strong>r</strong> strenger wer<strong>de</strong>n ließen. So lebte es sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>m<br />

viktorianischen England <strong>und</strong> <strong>de</strong>m wilhelm<strong>in</strong>ischen Deutschland unter strengem<br />

biblischen Wortlaut. <strong>Sexualität</strong> wur<strong>de</strong> erneut als tierisch <strong>und</strong> gefährlich angesehen.<br />

E<strong>in</strong>e <strong>Sexualität</strong> wur<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Frau abgesprochen. In <strong><strong>de</strong>r</strong> Spätzeit dieser sexuellen<br />

Epoche wur<strong>de</strong>n auch Männer sexuell repressiv erzogen. So galt die Masturbation<br />

als ges<strong>und</strong>heitsschädlich. 30<br />

Zu Zeiten e<strong>in</strong>es Goethe (18. Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>t) galt die <strong>Sexualität</strong> außerhalb eigener<br />

gesellschaftlicher Ebenen als unschicklich. In „Wahlverwandtschaften“ (1809)<br />

setzt er gleichnishaft die Erkenntnisse <strong>de</strong>s schwedischen Wissenschaftler Bergström<br />

<strong>in</strong> Bezug auf B<strong>in</strong>dungskräfte <strong><strong>de</strong>r</strong> Atome, die dieser <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em wissenschaftlichen<br />

Werk „Wahlverwandtschaften“ ausführte (1792), <strong>in</strong> die Sexualethik <strong><strong>de</strong>r</strong> damaligen<br />

28<br />

Sueton, Galba, 22<br />

29<br />

Sueton, Nero, 29<br />

30<br />

W. A. Alcott: The Young Man’s Gui<strong>de</strong>, 1833<br />

16


Zeit mit christlichem Ehejoch <strong>und</strong> höfischer Galanterie, um zu dieser e<strong>in</strong>en<br />

Kontrapunkt zu setzen.<br />

Im 20. Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>t än<strong><strong>de</strong>r</strong>te sich die <strong>Sexualität</strong> weitreichend. Die Welt wur<strong>de</strong><br />

zunehmend auf e<strong>in</strong> wissenschaftliches F<strong>und</strong>ament gestellt <strong>und</strong> Riten <strong>und</strong> Mythen<br />

wur<strong>de</strong>n durch <strong>de</strong>n wissenschaftlichen Konsens abgelöst. Die Sexualwissenschaft ist<br />

<strong>in</strong> ihrer frühen Form geprägt von Fre<strong>und</strong> (Triebtheorie) <strong>und</strong> Hirschberger, <strong><strong>de</strong>r</strong> das<br />

weltweit erste sexualwissenschaftliche Institut <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> grün<strong>de</strong>te. „Die „alte“<br />

<strong>Sexualität</strong>sgeschichte bediente sich noch <strong>de</strong>s Dampfkesselmo<strong>de</strong>ls, nach<strong>de</strong>m e<strong>in</strong><br />

biologischer Sexualtrieb durch kulturelle <strong>und</strong> gesellschaftliche Repressionen<br />

mo<strong>de</strong>lliert wur<strong>de</strong> … Die „neue“ <strong>Sexualität</strong>sgeschichte h<strong>in</strong>gegen [rückt] die<br />

produktive Konstruktion <strong>de</strong>s Sexuellen <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Vor<strong><strong>de</strong>r</strong>gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> untersucht vor<br />

allem die S<strong>in</strong>ngebung <strong><strong>de</strong>r</strong> sexuellen Begier<strong>de</strong>“ 31<br />

Interessant ist <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne, dass nach Me<strong>in</strong>ung e<strong>in</strong>iger Sexualhiostoriker die<br />

Welt <strong>in</strong> zwei sexualhistorische Teile getrennt wer<strong>de</strong>n kann: die Welt, die die „ars<br />

erotica“ praktiziert, die <strong>Sexualität</strong> als re<strong>in</strong> empirische Wissenschaft, die die<br />

Wahrheit <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Lust zieht (Japan, Ch<strong>in</strong>a, Indien, Rom) <strong>und</strong> die „scienta<br />

asexualis“, die <strong>in</strong> <strong>de</strong>n westlichen Industrienationen betrieben wird. Nach Foucault<br />

ist die westliche Zivilisation die e<strong>in</strong>zige Kultur, die „Prozeduren entwickelt hat, die<br />

sich im Wesentlichen <strong>in</strong> Form von Macht-Wissen unterordnet“, um „die Wahrheit<br />

zu sagen“: 32<br />

Durch <strong>de</strong>n E<strong>in</strong>zug <strong><strong>de</strong>r</strong> Antibiose <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> nun möglichen Therapie vorher tödlich<br />

verlaufen<strong><strong>de</strong>r</strong> Geschlechtskrankheiten, wur<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> herrschen<strong>de</strong>n christlichkirchlichen<br />

Sexualethik wur<strong>de</strong> das F<strong>und</strong>ament entzogen. „Die Bestrafung Gottes“<br />

war therapierbar.<br />

Während <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Nachkriegsjahren <strong>de</strong>s ersten Weltkrieges die Sittlichkeit <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

<strong>Sexualität</strong> gegenüber <strong>de</strong>m <strong>in</strong>dividuellen Streben nach Befriedigung sexueller<br />

Neugier <strong>und</strong> Lust, sicherlich auch aufgr<strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> oben genannten Beherrschung<br />

<strong>in</strong>fektiöser Krankheiten, zurücktreten musste, zog seit <strong>de</strong>m Nationalsozialismus <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

1930iger Jahre e<strong>in</strong> neues (rassistisches) Familienbewusstse<strong>in</strong> e<strong>in</strong>. Der Wert<br />

Familie, <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Nachkriegszeit <strong>de</strong>s 2. Weltkrieges unter an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Vorzeichen gelebt<br />

als im Dritten Reich, gab je<strong>de</strong>m E<strong>in</strong>zelnen <strong>in</strong> <strong>und</strong> nach <strong>de</strong>m großem Elend <strong>de</strong>s<br />

Krieges e<strong>in</strong>e neue Festigkeit - e<strong>in</strong> neues Zusammengehörigkeitsgefühl. Man kann<br />

31<br />

E<strong><strong>de</strong>r</strong> F, Frühstück S; Querschnitte 3: Neue Geschichten <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Sexualität</strong>, Wien: Turia + Kant 1999<br />

32<br />

Foucault M; 1989: 75, zitiert <strong>in</strong>: E<strong><strong>de</strong>r</strong> F, Frühstück S; Querschnitte 3: Neue Geschichten <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Sexualität</strong>, Wien:<br />

Turia + Kant 1999<br />

17


sagen, seit <strong>de</strong>n 30iger Jahren <strong>de</strong>s letzten Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>t wur<strong>de</strong> das heute als<br />

„traditionell“ bezeichnete Familienbewusstse<strong>in</strong> geprägt. In <strong>de</strong>n 1950iger Jahren galt<br />

die „glückliche Familie“ als Statussymbol.<br />

In <strong>de</strong>n späten 60iger Jahren <strong>de</strong>s letzten Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>ts vollzog sich e<strong>in</strong>e weitere<br />

gr<strong>und</strong>legen<strong>de</strong> Än<strong><strong>de</strong>r</strong>ung <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Sexualität</strong>, <strong><strong>de</strong>r</strong>en Nachwirkungen heute noch <strong>de</strong>utlich zu<br />

spüren s<strong>in</strong>d. Es kam zum Wertewan<strong>de</strong>l. „[Die] Denunziation <strong><strong>de</strong>r</strong> glücklichen<br />

Familie“ 33 <strong><strong>de</strong>r</strong> frühen 70iger Jahre wird noch heute von <strong><strong>de</strong>r</strong> Sexualwissenschaft<br />

unterschätzt. Wur<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Frau bis weit <strong>in</strong> die aufklären<strong>de</strong> Zeit <strong><strong>de</strong>r</strong> Stu<strong>de</strong>nten-, Frauen<strong>und</strong><br />

Homosexuellenbewegung e<strong>in</strong> sexuelles Wesen abgesprochen, begann durch die,<br />

wie Sigusch es nennt, „Inthronisation <strong>de</strong>s Königs Sex“ 34 die sexuelle Emanzipation <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Frau. Die E<strong>in</strong>führung <strong><strong>de</strong>r</strong> Pille ermöglichte es <strong><strong>de</strong>r</strong> Frau die neue Freizügigkeit ihrer<br />

eigenen <strong>Sexualität</strong> ohne Reue auszuleben. Die Möglichkeit <strong><strong>de</strong>r</strong> Familienplanung<br />

trennte die bis dah<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Menschheitsgeschichte untrennbare Verb<strong>in</strong>dung von<br />

<strong>Sexualität</strong> <strong>und</strong> Familiengründung. Freiheit hieß Sex. Die Ehe als Relikt<br />

voremanzipatorischer Zeit wur<strong>de</strong> verteufelt, da sie beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s <strong><strong>de</strong>r</strong> Frauen Freiheiten<br />

beraube. In <strong>de</strong>n letzten 30-40 Jahren verblassten zwar e<strong>in</strong>ige dieser Ten<strong>de</strong>nzen, an<strong><strong>de</strong>r</strong>e<br />

Ten<strong>de</strong>nzen kamen aber h<strong>in</strong>zu. Im Ergebnis <strong><strong>de</strong>r</strong> sexuellen Revolution aber blieb die<br />

Entmystifizierung <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Sexualität</strong>. Sigusch hält die Entmystifizierung für e<strong>in</strong>en<br />

negativen Vorgang: „[<strong>Sexualität</strong>] wird nicht mehr positiv mystifiziert als Rausch,<br />

Ekstase <strong>und</strong> Transgression, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n negativ als Quelle von Unfreiheit, Ungleichheit,<br />

Gewalt, Missbrauch <strong>und</strong> tödlicher Infektion.“ 35 In diesem S<strong>in</strong>ne spricht Sigusch, als<br />

e<strong>in</strong>er <strong><strong>de</strong>r</strong> führen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Sexualwissenschaftler, von <strong>de</strong>m „König Anti-Sex“. Die<br />

breite Kommerzialisierung von Sexo- <strong>und</strong> Pornographie gilt als Produkt <strong><strong>de</strong>r</strong> Ereignisse<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> revolutionären Befreiung <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Sexualität</strong>. <strong>Sexualität</strong> wird öffentlich diskutiert <strong>und</strong><br />

zur Schau gestellt. Das ehemals Intime <strong>und</strong> Private weicht <strong><strong>de</strong>r</strong> Show. Nun können<br />

auch Vergleiche angestellt wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn <strong>Sexualität</strong> ist allgeme<strong>in</strong> gewor<strong>de</strong>n. Nun<br />

können Perversitäten <strong>de</strong>f<strong>in</strong>iert <strong>und</strong> Unnormales erkannt wer<strong>de</strong>n.<br />

In e<strong>in</strong>er von mir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gynäkologischen Praxis durchgeführten nicht repräsentativen<br />

Umfrage über die <strong>Sexualität</strong> <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> <strong>und</strong> im <strong>Wochenbett</strong> wird das<br />

Dilemma <strong>de</strong>utlich: E<strong>in</strong>e wöchentliche Koitusfrequenz von weniger als e<strong>in</strong>- bis dreimal<br />

33<br />

Sigusch, V.: Kultureller Wan<strong>de</strong>l <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Sexualität</strong>“ <strong>in</strong> „Sexuelle Störungen <strong>und</strong> ihre Behandlung“, Thieme-Verlag<br />

1996<br />

34<br />

Sigusch, V.: Kultureller Wan<strong>de</strong>l <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Sexualität</strong>“ <strong>in</strong> „Sexuelle Störungen <strong>und</strong> ihre Behandlung“, Thieme-Verlag<br />

1996<br />

35<br />

Sigusch, V.: Kultureller Wan<strong>de</strong>l <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Sexualität</strong>“ <strong>in</strong> „Sexuelle Störungen <strong>und</strong> ihre Behandlung“, Thieme-Verlag<br />

1996<br />

18


wird von <strong><strong>de</strong>r</strong> Mehrzahl <strong><strong>de</strong>r</strong> Befragten als unnormal angesehen. 36 Woher diese<br />

Bewertung <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Sexualität</strong>squalität rührt, sollte durch Studien genauer durchleuchtet<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

5. Praktizierte <strong>Sexualität</strong><br />

5.1 In <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong><br />

Viele Paare haben Angst vor <strong>de</strong>m Geschlechtsverkehr <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong>, da sie<br />

Schädigungen <strong>de</strong>s K<strong>in</strong><strong>de</strong>s o<strong><strong>de</strong>r</strong> vorzeitige Wehen o<strong><strong>de</strong>r</strong> e<strong>in</strong>en vorzeitigen Blasensprung<br />

befürchten 37 . E<strong>in</strong>e Reihe von Untersuchungen <strong>und</strong> Studien konnten diese Befürchtungen<br />

aber wi<strong><strong>de</strong>r</strong>legen 38 . Nur e<strong>in</strong> wehenbereiter Uterus kann unter <strong>de</strong>m E<strong>in</strong>fluss <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Prostagland<strong>in</strong>e <strong><strong>de</strong>r</strong> Samenflüssigkeit o<strong><strong>de</strong>r</strong> durch taktile Reize zu wehen beg<strong>in</strong>nen. E<strong>in</strong><br />

Blasensprung basiert häufig auf Infektionen <strong><strong>de</strong>r</strong> Cervix uteri <strong>und</strong> <strong>de</strong>s unteren<br />

Amnionpoles.<br />

5.1.1 Stellungen<br />

Körperlich gibt es im ersten Trimenon ke<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>schränkung bezüglich <strong>de</strong>s<br />

sexuellen Erlebens, wenn nicht die unten angegebenen Kontra<strong>in</strong>dikationen<br />

bestehen. Übelkeit <strong>und</strong> spannen<strong>de</strong> Brüste, <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> frühen <strong>Schwangerschaft</strong> häufige<br />

Probleme, können das sexuelle Verlangen dämpfen, aber Schwangere auch<br />

herausfor<strong><strong>de</strong>r</strong>n, „für Sex <strong>in</strong> Stimmung zu kommen“ 39 . Wichtig ersche<strong>in</strong>t <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Auswahl <strong><strong>de</strong>r</strong> Stellungen zu se<strong>in</strong>, dass die Frau die Tiefe <strong>und</strong> Intensität <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Penispenetration selber steuern kann. Bei Übelkeit wird die aufrechte Position<br />

bevorzugt. Die „Sesselposition“ vere<strong>in</strong>igt diese bei<strong>de</strong>n Voraussetzungen. 40 Sollten<br />

Brustbeschwer<strong>de</strong>n das primäre Problem se<strong>in</strong>, s<strong>in</strong>d sitzen<strong>de</strong> Positionen, <strong>de</strong>n Rücken<br />

<strong>de</strong>m liegen<strong>de</strong>n Partner zugewandt, die Penetration „von h<strong>in</strong>ten“ o<strong><strong>de</strong>r</strong> die<br />

„Löffelchenstellung“ günstiger. Brustbeschwer<strong>de</strong>n können durch Tragen e<strong>in</strong>es<br />

straffen o<strong><strong>de</strong>r</strong> Sport-BHs, <strong><strong>de</strong>r</strong> auch beim Sex getragen wer<strong>de</strong>n sollte, reduziert<br />

wer<strong>de</strong>n. Auch die gegenseitige orale Stimulation ist möglich. Da sich gera<strong>de</strong> zu<br />

Beg<strong>in</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> die Geschmackssensationen <strong><strong>de</strong>r</strong> Frau än<strong><strong>de</strong>r</strong>n, kann es<br />

auch ratsam se<strong>in</strong>, dass <strong><strong>de</strong>r</strong> Mann die alle<strong>in</strong>ige Verantwortung für die orale<br />

36<br />

H. L. St<strong>in</strong>shoff: „Umfrage zur <strong>Sexualität</strong> <strong>in</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> <strong>und</strong> <strong>Wochenbett</strong>“ 2008<br />

37<br />

Otto, P, 2005 zitiert <strong>in</strong> M. R<strong>in</strong>dlisbacher-Zaugg, „<strong>Sexualität</strong> – <strong>Schwangerschaft</strong> <strong>und</strong> Nachgeburtszeit“ <strong>in</strong><br />

„Hebammen-Info 2007, 3; 22-27<br />

38<br />

Petzold 1984 <strong>und</strong> Rothmaler 2004 zitiert <strong>in</strong> M. R<strong>in</strong>dlisbacher-Zaugg, „<strong>Sexualität</strong> – <strong>Schwangerschaft</strong> <strong>und</strong><br />

Nachgeburtszeit“ <strong>in</strong> „Hebammen-Info 2007, 3; 22-27<br />

39<br />

Paget L, Hot Mamas – Sex, Lust <strong>und</strong> Lei<strong>de</strong>nschaft unter an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Umstän<strong>de</strong>n, München 2005<br />

40<br />

ebenda<br />

19


Stimulation übernimmt (Cunnil<strong>in</strong>gus: lat.; Cunnus: die weibliche Scham, Vulva;<br />

l<strong>in</strong>gere: lecken). Allerd<strong>in</strong>gs hat Sydow 2001 festgestellt, dass gera<strong>de</strong> C<strong>in</strong>nil<strong>in</strong>gus<br />

seltener praktiziert wird als Fellatio (lat. fellare: saugen), <strong><strong>de</strong>r</strong> orogenitalen<br />

Stimulation <strong>de</strong>s Mannes. 41 Möglicherweise liegt das an <strong>de</strong>m Gefühl <strong><strong>de</strong>r</strong> Frau, im<br />

Genitalbereich unre<strong>in</strong>lich zu se<strong>in</strong>, da sich die Ausflussmenge beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s durch die<br />

ansteigen<strong>de</strong> Östrogenkonzentration <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> wesentlich erhöhen<br />

kann.<br />

Im zweiten Trimenon wer<strong>de</strong>n die meisten Schwangeren zunehmend e<strong>in</strong>e<br />

körperliche Unbeholfenheit an sich bemerken. Der Körperschwerpunkt verlagert<br />

sich. Beim Sex o<strong><strong>de</strong>r</strong> beim Sport ist es wichtig, dass allzu stürmische Aktivitäten<br />

unterlassen wer<strong>de</strong>n, um Stürze zu vermei<strong>de</strong>n. Ansonsten gilt auch <strong>in</strong> dieser<br />

<strong>Schwangerschaft</strong>sphase, dass gera<strong>de</strong> Stellungen, bei <strong>de</strong>nen die Frau<br />

Penetrations<strong>in</strong>tensität <strong>und</strong> –tiefe steuern kann, bevorzugt wer<strong>de</strong>n sollten. Diese<br />

Stellungen ermöglichen es, Sorgen um e<strong>in</strong>e Verletzung <strong>de</strong>s K<strong>in</strong><strong>de</strong>s beim Koitus zu<br />

mil<strong><strong>de</strong>r</strong>n, <strong>in</strong><strong>de</strong>m die Frau die Penetration steuern kann <strong>und</strong> so <strong>de</strong>m Mann die<br />

Sicherheit vermittelt, die Art <strong>de</strong>s E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gens tut <strong><strong>de</strong>r</strong> Partner<strong>in</strong> nicht weh <strong>und</strong><br />

scha<strong>de</strong>t <strong>de</strong>m K<strong>in</strong>d nicht. E<strong>in</strong>ige Frauen geben <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> Schmerzen<br />

<strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Schei<strong>de</strong> an. Sollte die Penetration von bei<strong>de</strong>n Partnern gewünscht wer<strong>de</strong>n,<br />

ist auch Analverkehr möglich.<br />

Das eben gesagte gilt auch im letzten Trimenon: Schonung <strong>de</strong>s Bauches, Sanftheit<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Penetration <strong>und</strong> Berücksichtigung statischer Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen <strong>de</strong>s weiblichen<br />

Körpers.<br />

5.1.2 Kontra<strong>in</strong>dikationen<br />

In e<strong>in</strong>er normalen <strong>Schwangerschaft</strong> besteht ke<strong>in</strong>e Kontra<strong>in</strong>dikation gegen Sex.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs gibt es Beson<strong><strong>de</strong>r</strong>heiten <strong>und</strong> Erkrankungen, bei <strong>de</strong>nen <strong><strong>de</strong>r</strong> Koitus o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

auch <strong><strong>de</strong>r</strong> Orgasmus durch Masturbation Scha<strong>de</strong>n anrichten können. Denn<br />

unmittelbar im Anschluss an e<strong>in</strong>en Orgasmus konnten Än<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen <strong><strong>de</strong>r</strong> fetalen<br />

Herzfrequenz festgestellt wer<strong>de</strong>n, so dass dieser quasi als Kontraktions-Stress-Test<br />

zu bewerten ist. Auch bei Nicht-Risiko-Schwangeren führt <strong><strong>de</strong>r</strong> Koitus zu erhöhter<br />

uter<strong>in</strong>er Aktivität. Bei häufigem Geschlechtsverkehr f<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich e<strong>in</strong>e Assoziation<br />

zwischen vag<strong>in</strong>alen Infektionen <strong>und</strong> vorzeitigem Blasensprung.<br />

41<br />

Sydow 2001 zitiert <strong>in</strong> Matterne, Andrea, Dr. phil Mechthild M. Groß: <strong>Sexualität</strong> im Übergang zur Elternschaft<br />

<strong>in</strong> „ Die Hebamme 2005; 18: 94-100<br />

20


- vorzeitige Wehentätigkeit: Vorzeitige Wehen haben unterschiedliche Ursachen.<br />

Psychischer Stress, körperlicher Stress <strong>und</strong> Infektionen s<strong>in</strong>d die häufigsten<br />

Grün<strong>de</strong>, warum es zu vorzeitiger Wehentätigkeit kommen kann.<br />

Prostagland<strong>in</strong>e, e<strong>in</strong> körpereigener Entzündungsmediator, verursacht <strong>und</strong><br />

unterhält die Wehentätigkeit u.a. durch Sensibilisierung <strong><strong>de</strong>r</strong> uter<strong>in</strong>en<br />

Oxytoc<strong>in</strong>rezeptoren. Je<strong>de</strong> Manipulation am Uterus, ob am Corpus uteri o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Gebärmutterhals (Cervix uteri), kann die Reaktion <strong>de</strong>s wehenbereiten Uterus<br />

verstärken.<br />

- Zervix<strong>in</strong>suffizienz: Das Nachlassen <strong><strong>de</strong>r</strong> Verschluss- <strong>und</strong> Stützfunktion <strong>de</strong>s<br />

Gebärmutterhalses kann ebenfalls durch die Faktoren <strong><strong>de</strong>r</strong> vorzeitigen<br />

Wehentätigkeit ausgelöst <strong>und</strong> unterhalten wer<strong>de</strong>n.<br />

- Vorzeitiger Blasensprung o<strong><strong>de</strong>r</strong> Verdacht auf vorzeitigen Blasensprung: E<strong>in</strong>e<br />

Leckage <strong>de</strong>s Amnion kann nicht nur zum Verlust von Fruchtwasser führen,<br />

son<strong><strong>de</strong>r</strong>n, <strong>und</strong> das ist entschei<strong>de</strong>nd, aufsteigen<strong>de</strong> Infektionen för<strong><strong>de</strong>r</strong>n. E<strong>in</strong><br />

Amnion<strong>in</strong>fektionssyndrom ist e<strong>in</strong>e für Mutter <strong>und</strong> K<strong>in</strong>d lebensgefährliche<br />

Situation, die e<strong>in</strong>e sofortige Entb<strong>in</strong>dung <strong>de</strong>s K<strong>in</strong><strong>de</strong>s notwendig macht.<br />

Geschlechtsverkehr bei e<strong>in</strong>em (Verdacht auf) vorzeitigen Blasensprung för<strong><strong>de</strong>r</strong>t<br />

die Aszension vag<strong>in</strong>aler Keime o<strong><strong>de</strong>r</strong> von möglichen Keimen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Spermienflüssigkeit.<br />

- Plazenta praevia (totalis <strong>und</strong> marg<strong>in</strong>alis): Die vor <strong>de</strong>m <strong>in</strong>neren Mutterm<strong>und</strong><br />

liegen<strong>de</strong> Plazenta kann zu für die Schwangere <strong>und</strong> das ungeborene K<strong>in</strong>d<br />

lebensgefährlichen Blutungen führen, wenn sie vorzeitige Wehen o<strong><strong>de</strong>r</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Zervix<strong>in</strong>suffizienz durch Orgasmus, Manipulation an <strong><strong>de</strong>r</strong> Cervix uteri o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

chemisch durch z.B. Prostagland<strong>in</strong>e <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Samenflüssigkeit o<strong><strong>de</strong>r</strong> endogen<br />

durch Infektionen verursacht, e<strong>in</strong>reißt.<br />

- Blutungen: Blutungen <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> sollten die wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Mutter<br />

immer zum Arzt führen. Blutungen können e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis auf Entzündungen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Cervix uteri, auf e<strong>in</strong>e bislang nicht erkannte Plazenta praevia,<br />

Zervix<strong>in</strong>suffizienz, e<strong>in</strong>e vorzeitige Plazentalösung <strong>und</strong> vorzeitige Wehen se<strong>in</strong>.<br />

- Cerclage: Die Cerclage ist e<strong>in</strong> Verfahren zum (nicht vollständigen Verschluss)<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Zervix uteri. Sie wird durchgeführt bei Zervix<strong>in</strong>suffizienz bis zur ca. 16.<br />

SSW o<strong><strong>de</strong>r</strong> bei Zustand nach Zervix<strong>in</strong>suffizienz <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vorherigen Gravidität.<br />

Da die Cerclage e<strong>in</strong> operatives Verfahren mit Narkose ist, bedarf es e<strong>in</strong>er<br />

21


klaren Indikation. Es sollte daher nichts versucht wer<strong>de</strong>n, was <strong>de</strong>n Erfolg <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Zervix<strong>in</strong>suffizienzbehandlung o<strong><strong>de</strong>r</strong> –prophylaxe gefähr<strong>de</strong>n könnte.<br />

- Hypertensive <strong>Schwangerschaft</strong>serkrankungen, HELLP: Die Ursache<br />

hypertensiver <strong>Schwangerschaft</strong>serkrankungen <strong>und</strong> Präeklampsie ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Zottenreifungsstörung zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Zottenreifungs- <strong>und</strong> Plazentationsstörungen<br />

verursachen Durchblutungsstörungen <strong><strong>de</strong>r</strong> Plazenta, die durch Kontraktionen<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Gebärmutter verstärkt wer<strong>de</strong>n können. H<strong>in</strong>zu kommt die Gefahr<br />

erheblicher maternaler Blutdruckspitzen, die zu e<strong>in</strong>er hypertensiven Krise<br />

führen können.<br />

- Habituelle Abortneigung: Von habituellen Aborten spricht man, wenn<br />

m<strong>in</strong><strong>de</strong>stens drei Aborte o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong>en mit IUFT (<strong>in</strong>trauter<strong>in</strong>er<br />

Fruchttod) <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Anamnese vorliegen. Die Ursache <strong><strong>de</strong>r</strong> habituellen Aborte ist<br />

vielgestaltig <strong>und</strong> meist vaskulärer Genese, wenn nicht Fehlbildungen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Fruchtto<strong>de</strong>s s<strong>in</strong>d. Kontraktionen <strong>de</strong>s Uterus, wie sie beim<br />

Geschlechtsverkehr entstehen, reduzieren die Durchblutung <strong><strong>de</strong>r</strong> Plazenta <strong>und</strong><br />

gefähr<strong>de</strong>n somit potentiell bei entsprechen<strong><strong>de</strong>r</strong> Vorgeschichte das Leben <strong>de</strong>s<br />

ungeborenen K<strong>in</strong><strong>de</strong>s.<br />

- SGA (small for gestation age)/IUGR (<strong>in</strong>trauter<strong>in</strong> growth restriction): Wenn die<br />

körperliche Entwicklung <strong>de</strong>s K<strong>in</strong><strong>de</strong>s h<strong>in</strong>ter <strong>de</strong>m, auch im Verlauf, zu<br />

erwarten<strong>de</strong>n statistischen Wachstum zurückbleibt (sog. negativer<br />

Perzentilensprung) ist häufig e<strong>in</strong>e Plazenta<strong>in</strong>suffizienz die Ursache. Auch das<br />

Oligohydramnion gilt als H<strong>in</strong>weis hierauf. Hier gilt das unter habituelle<br />

Abortneigung erwähnte.<br />

- Vorbestehen<strong>de</strong> maternale Erkrankungen: Hämodynamisch bee<strong>in</strong>trächtigen<strong>de</strong><br />

Herzerkrankungen <strong>und</strong> restriktive Lungenerkrankungen (z. B.<br />

Lungenvernarbungen) s<strong>in</strong>d Kontra<strong>in</strong>dikationen zur Durchführung sportlicher<br />

Betätigung <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong>. Der E<strong>in</strong>fluss von Sex bei diesen<br />

vorbestehen<strong>de</strong>n Erkrankungen ist zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st zu berücksichtigen.<br />

5.2 Im <strong>Wochenbett</strong><br />

„So verschie<strong>de</strong>n die Frauen <strong>und</strong> ihre <strong>in</strong>dividuelle Geschichte ist, so<br />

unterschiedlich ist auch das Bedürfnis nach <strong>Sexualität</strong> mit <strong>de</strong>m Partner nach<br />

22


<strong><strong>de</strong>r</strong> Geburt.“ 42 Wir wissen um die <strong>in</strong>dividuelle Än<strong><strong>de</strong>r</strong>ung <strong>de</strong>s sexuellen<br />

Verhaltens nach <strong><strong>de</strong>r</strong> Geburt. Sie ist abhängig von folgen<strong>de</strong>n Faktoren:<br />

o<br />

o<br />

o<br />

o<br />

o<br />

o<br />

o<br />

o<br />

o<br />

Individuelle Ausprägung <strong><strong>de</strong>r</strong> sexuellen Lust<br />

Frühere sexuelle Beziehungserfahrung mit <strong>de</strong>m Partner<br />

Entwicklung <strong><strong>de</strong>r</strong> Paarbeziehung vor <strong>und</strong> während <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong><br />

Verhalten <strong>de</strong>s Partners während <strong><strong>de</strong>r</strong> Geburt<br />

Geburtserlebnis, Selbste<strong>in</strong>schätzung <strong>de</strong>s Gebärverhaltens<br />

Selbste<strong>in</strong>schätzung <strong><strong>de</strong>r</strong> körperlichen Attraktivität nach <strong><strong>de</strong>r</strong> körperlichen<br />

Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ung e<strong>in</strong>er <strong>Schwangerschaft</strong><br />

Schmerzempf<strong>in</strong>dung <strong>und</strong> Gefühlsirritationen im Genitalbereich<br />

beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s nach Geburtsverletzungen<br />

Schlaf<strong>de</strong>fizit <strong>und</strong> fehlen<strong>de</strong> Ruhe <strong>in</strong> Folge <strong><strong>de</strong>r</strong> K<strong>in</strong><strong><strong>de</strong>r</strong>betreuung<br />

Angst vor erneuter <strong>Schwangerschaft</strong><br />

Während sich <strong>Sexualität</strong> vor <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> immer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Partnerschaft<br />

zweier Personen abgespielt hat, so ist aus dieser e<strong>in</strong>e Dreierbeziehung<br />

gewor<strong>de</strong>n. Wie bereits <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Kapitel „<strong>Sexualität</strong> <strong>und</strong> Partnerschaft“<br />

beschrieben, belasten mehrere Faktoren, auch die <strong>de</strong>s alltäglichen Lebens, die<br />

junge Elternschaft. Eifersucht <strong><strong>de</strong>r</strong> jungen Mutter, die ihre Unabhängigkeit<br />

verloren hat, auf <strong>de</strong>n berufstätigen Vater, Eifersucht <strong>de</strong>s Mannes auf <strong>de</strong>n Alltag<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Partner<strong>in</strong>, das von beruflicher Belastung ist <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> viel beschriebene<br />

„Brustneid“, schränken die Partnerschaftsqualität häufig e<strong>in</strong>. Zugleich führen<br />

die hormonellen Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ung <strong><strong>de</strong>r</strong> Mutter zum Libidoverlust, zum Beispiel<br />

durch das Stillen.<br />

Hormonelle Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen mit Trockenheit <strong><strong>de</strong>r</strong> Schei<strong>de</strong> durch<br />

Östrogenmangel (durch das Stillen verlängert), Dehnung <strong>de</strong>s Beckenbo<strong>de</strong>ns<br />

unter <strong><strong>de</strong>r</strong> Geburt, aber durch die <strong>Schwangerschaft</strong> selber, Dammrisse <strong>und</strong><br />

Episiotomien (beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s mediolaterale o<strong><strong>de</strong>r</strong> laterale Schnitte) führen zu<br />

Beschwer<strong>de</strong>n, die e<strong>in</strong>e praktizierte <strong>Sexualität</strong> häufig erschweren. Von Byrd<br />

(1998) wissen wir, dass die Häufigkeit <strong>de</strong>s Geschlechtsverkehrs <strong>in</strong> <strong>de</strong>n ersten<br />

vier Monaten post partal s<strong>in</strong>kt. 43 In <strong>de</strong>m gleichen Bericht zeigte Byrd et al. auf,<br />

dass selbst noch e<strong>in</strong> Jahr nach <strong><strong>de</strong>r</strong> Geburt die Frequenz <strong>de</strong>s<br />

Geschlechtsverkehrs stetig s<strong>in</strong>kt. Allerd<strong>in</strong>gs zeigt sich offensichtlich e<strong>in</strong>e große<br />

42<br />

Har<strong><strong>de</strong>r</strong> U, <strong>Wochenbett</strong>betreuung <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Kl<strong>in</strong>ik <strong>und</strong> zu Hause, 2. Auflage Stuttgart 2005<br />

43<br />

Byrd JE, Hy<strong>de</strong> JS, DeLamater JD, Plant EA, Sexuality dur<strong>in</strong>g pregnancy and the year postpartum, The Journal<br />

of Family Practice 1998; 47; 305-8<br />

23


Variabilität <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Zufrie<strong>de</strong>nheit mit <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Sexualität</strong> im <strong>Wochenbett</strong>. Je<br />

zufrie<strong>de</strong>ner die Partner vor <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> mit ihrer <strong>Sexualität</strong> waren,<br />

<strong>de</strong>sto eher wur<strong>de</strong> Geschlechtsverkehr nach <strong><strong>de</strong>r</strong> Geburt begonnen <strong>und</strong> <strong>de</strong>sto<br />

zufrie<strong>de</strong>ner waren die Paare mit ihrer <strong>Sexualität</strong> post partum. 44 45 . Das<br />

Rollenverständnis <strong>und</strong> –gefühl <strong><strong>de</strong>r</strong> jungen Mutter wird häufig komplett durch<br />

die Mutterschaft belegt. Wie bereits oben erwähnt, gilt die Nähe zu <strong>de</strong>m K<strong>in</strong>d<br />

als <strong>Sexualität</strong>sersatz o<strong><strong>de</strong>r</strong> als alternative Form <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Sexualität</strong>. Die Partnerschaft<br />

lei<strong>de</strong>t <strong>in</strong> dieser Phase <strong><strong>de</strong>r</strong> Rollenf<strong>in</strong>dung. Nach Bull<strong>in</strong>ger (1986) ist die<br />

Gr<strong>und</strong>lage e<strong>in</strong>er Paarbeziehung „die gegenseitige Befriedigung emotionaler<br />

Bedürfnisse“ 46 In dieses Gefüge von Mann <strong>und</strong> Frau dr<strong>in</strong>gt nun e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>,<br />

dass se<strong>in</strong>e eigenen Bedürfnisse befriedigt wissen möchte. Dass es dabei zu<br />

Kontroversen kommen kann, ist e<strong>in</strong>e logische Konsequenz <strong>und</strong> gilt <strong>in</strong> je<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Elternschaft. Die Angst vor e<strong>in</strong>er erneuten <strong>Schwangerschaft</strong> ist ebenfalls e<strong>in</strong><br />

wichtiger Punkt <strong>in</strong> Bezug auf die Wie<strong><strong>de</strong>r</strong>aufnahme <strong><strong>de</strong>r</strong> koitalen <strong>Sexualität</strong>.<br />

Zwar verzögert das Stillen das E<strong>in</strong>setzen <strong>de</strong>s ersten Eisprungs, aber wann es<br />

zum ersten Eisprung kommt, ist aber nicht vorauszusagen. Denn vor <strong><strong>de</strong>r</strong> ersten<br />

Menstruation hat <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Regel bereits e<strong>in</strong>e Ovulation stattgef<strong>und</strong>en. E<strong>in</strong>en<br />

wesentlichen Beitrag zum sexuellen Wohlbef<strong>in</strong><strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Paares nach <strong><strong>de</strong>r</strong> Geburt<br />

kann die betreuen<strong>de</strong> Hebamme o<strong><strong>de</strong>r</strong> Arzt durch e<strong>in</strong>e kompetente<br />

Kontrazeptionsberatung leisten. Hierzu gehört die Beratung zur hormonellen<br />

Verhütung während <strong>de</strong>s Stillens o<strong><strong>de</strong>r</strong> ohne Stillen, die Beratung zum E<strong>in</strong>satz<br />

von Barrieremetho<strong>de</strong>n, wobei Portiokappen <strong>und</strong> Diaphragma aufgr<strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

physiologischen Beckenbo<strong>de</strong>n- <strong>und</strong> Zervixverän<strong><strong>de</strong>r</strong>ung noch nicht angewen<strong>de</strong>t<br />

wer<strong>de</strong>n können, <strong>und</strong> Spirale (hormonell o<strong><strong>de</strong>r</strong> metallisch), die frühestens vier<br />

Wochen post partum <strong>und</strong> nach Abschluss <strong><strong>de</strong>r</strong> uter<strong>in</strong>en Rückbildung e<strong>in</strong>gesetzt<br />

wer<strong>de</strong>n können. Stillen<strong>de</strong> Frauen sollten mit Kondom <strong>und</strong>/o<strong><strong>de</strong>r</strong> e<strong>in</strong>er<br />

östrogenfreien Pille verhüten (M<strong>in</strong>ipille, Cerazette, etc.).<br />

6. Zusammenfassung<br />

44<br />

Sydow K., Sexuality dur<strong>in</strong>g pregnancy and after childbirth. A metacontent analysis of 59 studies. Jounal of<br />

Psychosomatic Research, 1999; 47: 27-49<br />

45<br />

Hobs K, Bramwell, R, May K., Sexuality, sexual behaviour and pregnancy. Sexual and Marital Therapy 1999;<br />

14:371-83<br />

46<br />

Bull<strong>in</strong>ger H., Wenn Paare Eltern wer<strong>de</strong>n: die Beziehung zwischen Frau <strong>und</strong> Mann nach Geburt ihres K<strong>in</strong><strong>de</strong>s,<br />

Re<strong>in</strong>bek 1986<br />

24


Das sexuelle Leben <strong>und</strong> Erleben ist sehr <strong>in</strong>dividuell. Dies gilt im beson<strong><strong>de</strong>r</strong>en Maße <strong>in</strong><br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> <strong>und</strong> im <strong>Wochenbett</strong>. Die meisten Studien zeigen, dass Mann <strong>und</strong><br />

Frau <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> e<strong>in</strong>en parallelen Verlauf <strong>in</strong> Bezug auf Lust auf Sex<br />

haben, allerd<strong>in</strong>gs unterschei<strong>de</strong>n sich Mann <strong>und</strong> Frau <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Motivation <strong>de</strong>s<br />

Libidoverlustes o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>de</strong>ssen Anstiegs. Die Lust <strong><strong>de</strong>r</strong> Schwangeren auf Sex ist zunächst<br />

abhängig vom körperlichen Bef<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Massive Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen hormoneller <strong>und</strong><br />

körperlicher Art können unterschiedliche Beschwer<strong>de</strong>n hervorrufen <strong>und</strong> so die Lust<br />

auf Sex m<strong>in</strong><strong><strong>de</strong>r</strong>n o<strong><strong>de</strong>r</strong> aufheben. Bei<strong>de</strong> Partner erfahren zunehmend die Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ung<br />

ihrer Rolle <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Partnerschaft. Geborgenheit <strong>und</strong> Zärtlichkeit lösen <strong>de</strong>n Wunsch nach<br />

Geschlechtsverkehr ab; bei Frauen mehr, bei Männern weniger. Verantwortung für das<br />

ungeborene K<strong>in</strong>d nimmt immer mehr Platz e<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Geme<strong>in</strong>samkeit.<br />

Die Häufigkeit <strong><strong>de</strong>r</strong> praktizierten koitalen <strong>Sexualität</strong> korreliert positiv mit <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Zufrie<strong>de</strong>nheit mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Partnerschaft vor <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong>. Depressive<br />

Persönlichkeiten wer<strong>de</strong>n eher seltener <strong>de</strong>n Koitus praktizieren. Im ersten Trimenon<br />

wird <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Regel genauso häufig sexueller Verlehr praktiziert, wie vor <strong><strong>de</strong>r</strong> Gravidität,<br />

wobei ab <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s zweiten Trimenons die sexuellen Bedürfnisse <strong><strong>de</strong>r</strong> Frau<br />

nachlassen. E<strong>in</strong>e große Zahl von Paaren hat zu<strong>de</strong>m Angst, das K<strong>in</strong>d durch <strong>de</strong>n<br />

Geschlechtsverkehr zu schädigen. Im letzten Drittel <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> wird <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Verkehr immer schwieriger <strong>und</strong> es wird auf oralen <strong>und</strong> analen Verkehr ausgewichen.<br />

Nach Abschluss <strong>de</strong>s <strong>Wochenbett</strong>es steigt das sexuelle Bedürfnis bei<strong><strong>de</strong>r</strong> Partner wie<strong><strong>de</strong>r</strong>,<br />

beim Mann eher, bei <strong><strong>de</strong>r</strong> Frau später <strong>und</strong> ger<strong>in</strong>ger, wobei vier Wochen nach <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Geburt zur knapp 20% aller Frauen Verkehr haben. H<strong>in</strong><strong><strong>de</strong>r</strong>ungsgr<strong>und</strong> s<strong>in</strong>d meist<br />

Schmerzen <strong><strong>de</strong>r</strong> Episiotomiew<strong>und</strong>e, vag<strong>in</strong>ale Blutung, Ausfluss, (nichtorganische)<br />

Dyspareunie (Schmerzen beim Geschlechtsverkehr)<strong>und</strong> Furcht vor Verletzungen.<br />

Aber auch Furcht davor, das Neugeborene zu wecken wer<strong>de</strong>n als H<strong>in</strong><strong><strong>de</strong>r</strong>ungsgr<strong>und</strong>,<br />

die koitale <strong>Sexualität</strong> wie<strong><strong>de</strong>r</strong> aufzunehmen. Je stabiler die Beziehung vor <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

<strong>Schwangerschaft</strong> <strong>de</strong>sto eher wird Geschlechtsverkehr nach <strong><strong>de</strong>r</strong> Geburt wie<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

praktiziert. Stillen hat nur ger<strong>in</strong>gen E<strong>in</strong>fluss auf die <strong>Sexualität</strong> im <strong>Wochenbett</strong>.<br />

Während <strong>in</strong> an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Kulturen, die nicht <strong><strong>de</strong>r</strong>artig wie die westliche Welt durch die<br />

Wissenschaft bee<strong>in</strong>flusst wird, Rituale <strong>und</strong> Mythen die Wöchner<strong>in</strong>nen vor Überlastung<br />

schützt <strong>und</strong> <strong>Sexualität</strong> ke<strong>in</strong>e Rolle spielt, benötigt man bei uns Gesetze zum Schutz <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n <strong>und</strong> jungen Mutter (MuSchG). Die körperliche <strong>und</strong> psychisch-emotionale<br />

Regeneration sollte erst e<strong>in</strong>mal abgeschlossen se<strong>in</strong>, so dass e<strong>in</strong>e neue sexuelle Basis<br />

25


zwischen <strong>de</strong>n Partnern aufgebaut wer<strong>de</strong>n kann. Gr<strong>und</strong>sätzlich gibt es außer <strong>de</strong>m<br />

Bef<strong>in</strong><strong>de</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> jungen Mutter ke<strong>in</strong>en mediz<strong>in</strong>ischen Gr<strong>und</strong>, Geschlechtsverkehr nicht zu<br />

praktizieren. Umgekehrt kann man <strong>in</strong> bestimmten Situationen eher noch e<strong>in</strong>e positive<br />

Wirkung auf die Rückbildung annehmen, da die Kontraktionen <strong>de</strong>s Uterus beim<br />

Orgasmus oxytoc<strong>in</strong>abhängig rückbildungsför<strong><strong>de</strong>r</strong>nd ist, die Beckenbo<strong>de</strong>nmuskultaur<br />

sich zusammenzieht <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Milchfluss positiv bee<strong>in</strong>flusst wird (kontraktile<br />

Auskleidung <strong><strong>de</strong>r</strong> Milchgänge).<br />

7. Schlussbetrachtung<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n me<strong>in</strong>er Recherche <strong>und</strong> vor Ausarbeitung <strong><strong>de</strong>r</strong> zahlreichen Literatur war<br />

ich <strong><strong>de</strong>r</strong> Me<strong>in</strong>ung, dass die <strong>Sexualität</strong> <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> aus re<strong>in</strong> körperlichen<br />

Grün<strong>de</strong>n e<strong>in</strong>geschränkt ist. Ich war <strong><strong>de</strong>r</strong> Me<strong>in</strong>ung, dass Aufklärung über körperliche<br />

Vorgänge <strong>und</strong> Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen zum Beispiel im Rahmen <strong><strong>de</strong>r</strong> Schwangerenvorsorge<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> Geburtsvorbereitungskursen ausreichend seien, Probleme im<br />

partnerschaftlichen Mite<strong>in</strong>an<strong><strong>de</strong>r</strong> Herr zu wer<strong>de</strong>n.<br />

Die partnerschaftlichen <strong>und</strong> sexuellen Probleme, die <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> <strong>und</strong> im<br />

<strong>Wochenbett</strong> aus Grün<strong>de</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ung <strong>de</strong>s weiblichen Körpers, aus Grün<strong>de</strong>n<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ung <strong>de</strong>s Rollenverhältnissen <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Partnerschaft, aus Angst <strong>und</strong><br />

Unwissenheit entstehen, s<strong>in</strong>d so <strong>in</strong>dividuell wie die <strong>Sexualität</strong> an sich. Das<br />

be<strong>de</strong>utet, dass es von absoluter Wichtigkeit ist, mit <strong>de</strong>m Paar möglichst frühzeitig<br />

zu Beg<strong>in</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Schwangerschaft</strong> e<strong>in</strong> offenes Gespräch zu führen. Hierbei sollte das<br />

Thema <strong>Sexualität</strong> von <strong><strong>de</strong>r</strong> Hebamme angesprochen wer<strong>de</strong>n, da dieses häufig,<br />

beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s wenn es problembehaftet ist, von <strong>de</strong>n Betroffenen selber nicht<br />

angesprochen wird. Bei diesen Gesprächen <strong>und</strong> Beratungen sollte <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

soziokulturelle H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Frau <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Paares immer Berücksichtigung<br />

f<strong>in</strong><strong>de</strong>n.<br />

Abschließend ist zu erwähnen, dass <strong>Sexualität</strong> e<strong>in</strong> sehr <strong>in</strong>timer Vorgang ist, <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

auch <strong>in</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> normalen <strong>Schwangerschaft</strong> <strong>und</strong> im physiologischen <strong>Wochenbett</strong>verlauf<br />

e<strong>in</strong>zig <strong>und</strong> alle<strong>in</strong> <strong>de</strong>m gegenseitigen Bedürfnissen <strong>und</strong> Wünschen <strong>de</strong>s Paares<br />

gehören.<br />

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