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Frauen im Umbruch der Arbeit - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Geschichte 489<br />

topographie präzisiert, ihre Schriftstücke und die den Dokumenten zu stellenden<br />

Fragen organisiert.« (73) Je besser es <strong>der</strong> Geschichtswissenschaft gelinge, so weiter<br />

de Certeau, diesen Ort vergessen zu machen, desto eher könne sie auf eine allgemeine<br />

intellektuelle und soziale Akzeptanz rechnen. Die Paradoxie historiographischer<br />

Texte liegt <strong>für</strong> ihn so darin, in einer vorgeblich objektiven Rekonstruktion <strong>der</strong><br />

Wahrheit vergangener Ereignisse die institutionellen Vorentscheidungen darüber, mit<br />

welchem Erwartungsraster ein solcher Wahrheitsbegriff verknüpft ist, als historisches<br />

Apriori in die Logik <strong>der</strong> Untersuchung einzuschreiben. De Certeau definiert diese<br />

Paradoxie als 'Doppelfunktion des Ortes': »er schließt das vom Diskurs aus, was in<br />

einem gegebenen Moment seine Bedingung ist; er spielt <strong>im</strong> Hinblick auf gegenwärtige<br />

- soziale, ökonomische, politische - Postulate <strong>der</strong> Analyse die Rolle einer Zensur.«<br />

(88) In <strong>der</strong> Aufnahme in eine »community« wird dieses historische Apriori zum<br />

kommunitären Initiationsritus funktionalisiert, durch den ein institutionell konformes<br />

Verhalten entsprechend den ungeschriebenen Gesetzen des sozialen Binnenmilieus<br />

gesichert wird (vgl. 83). De Certeau spricht hier das Phänomen <strong>der</strong> Ein- und<br />

Ausschließungspraktiken einer »community« resp. ihrer funktional adäquaten 'psychosozialen<br />

Rekrutierungsform' an.<br />

Zur epistemologischen Crux <strong>der</strong> Geschichtswissenschaft wird <strong>für</strong> de Certeau das<br />

Referenzproblem. Dabei steht <strong>für</strong> ihn die Referenz des geschichtswissenschaftlichen<br />

Diskurses zur Wirklichkeit auch dann nicht zur Disposition, wenn »das Historische<br />

in strukturalistischer Formulierung 'als eine Begrenzung <strong>der</strong> Möglichkeiten seiner<br />

Manifestation' erscheint« (63). Auch wenn »aus <strong>der</strong> Geschichtswissenschaft die<br />

Erzählung dessen, 'was geschehen ist', verschwindet ... o<strong>der</strong> wenn sich die Tatsachendarstellung<br />

wie eine 'Fiktion' gebärdet, die einem best<strong>im</strong>mten Diskurstyp<br />

eigen ist, können wir nicht daraus schließen, daß auf die Referenz zur Wirklichkeit<br />

verzichtet wird. Vielmehr ist diese Referenz verlagert worden. Sie ist nicht mehr<br />

unmittelbar durch die erzählten o<strong>der</strong> 'rekonstruierten' Gegenstände gegeben. Sie ist<br />

<strong>im</strong>pliziert durch die Konstruktion von an Praktiken angepaßten 'Modellen' (die<br />

Gegenstände 'denkbar' machen sollen), durch die Konfrontation dieser Modelle mit<br />

dem, was ihnen wi<strong>der</strong>steht, sie begrenzt und zu an<strong>der</strong>en Modellen Zuflucht nehmen<br />

läßt; schließlich durch die Verdeutlichung dessen, was diese Tätigkeit ermöglicht<br />

hat, indem sie in eine beson<strong>der</strong>e (o<strong>der</strong> historische) Ökonomie <strong>der</strong> sozialen Produktion<br />

eingebunden wird.« (62f.) In dieser Spezifizierung wird <strong>der</strong> Bezug auf die<br />

Erzählung vergangener Ereignisse als Referenzkriterium <strong>der</strong> Geschichtswissenschaft<br />

abgelöst durch die Rekonstruktion <strong>der</strong> Kontexte von Praktiken sozialer Produktion.<br />

Dabei rechnet de Certeau damit, daß die durch einen kontextuellen Hintergrund<br />

symbolisch repräsentierte Identität <strong>der</strong> jeweiligen Geschichte zu marginalen<br />

Fragmenten auseinan<strong>der</strong>gebrochen wird, ohne daß Historiographie noch versuchen<br />

sollte, diese Fragmente wie<strong>der</strong> zu einem konsistenten Ganzen zusammenzufügen.<br />

Ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit rücken dann Details, scheinbare Belanglosigkeiten,<br />

eben Marginalia, die aus bisherigen historiographischen Synthesen herausgefallen<br />

sind, aus welchen Gründen auch <strong>im</strong>mer.<br />

Vor diesem Problemhintergrund wird die 'konstruktive Imagination' zur vermittelnden<br />

Instanz zwischen Vergangenheit und Gegenwart, »wird die Geschichte zum<br />

Mythos <strong>der</strong> Sprache« (67). Ihre Funktion besteht dann darin, »über die Oberfläche<br />

einer Gegenwart verstreute Zeichen zu Spuren 'historischer' Realitäten zu machen,<br />

... aus <strong>der</strong> Sprache die <strong>im</strong>mer zurückbleibende Spur eines ebenso unmöglich wie<strong>der</strong>zufindenden<br />

wie zu vergessenden Anfangs« (68f.) zu rekonstruieren.<br />

Eindrucksvoll ist die Konturierung des disziplinären Feldes, in dem de Certeau<br />

die Geschichtswissenschaft verankert. So gelingt es ihm etwa, <strong>im</strong> Anschluß an<br />

DAS ARGUMENT 19911993 ©

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