Frauen im Umbruch der Arbeit - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Frauen im Umbruch der Arbeit - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Frauen im Umbruch der Arbeit - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
348 Ingrid Kurz-Schelf<br />
übrigen Menschen vernichtet, aber alles an<strong>der</strong>e ist noch da. Und jetzt kommen<br />
die Leute da hin und sollen überlegen, wie sie ihr Überleben am besten organisieren.<br />
Und wenn ich diesen Fall von Utopie als Methode versuche durchzudenken,<br />
dann komme ich sehr schnell zu dem Problem, wie schwierig es ist, das<br />
Notwendige vom Sinnvollen zu trennen. Was ist eigentlich wirklich notwendig?<br />
Diese »neue« Gesellschaft kann doch Z.B. beschließen, daß sie keine Kin<strong>der</strong><br />
haben will. Wer sagt ihr, daß das notwendig ist? O<strong>der</strong> die Gesellschaft kann auch<br />
beschließen, wer krank ist, solle sterben. Sie kann auch etwas ganz an<strong>der</strong>es<br />
beschließen, aber je nach dem, was sie beschließt, ergeben sich daraus notwendige<br />
Tätigkeiten, die verrichtet werden müssen. Was beschließt die Gesellschaft<br />
dann über die Teilung dieser notwendigen Tätigkeiten? Sagt sie z.B., wir teilen<br />
jetzt die Rollen so, daß keinelr weiß, welche Rolle sieler hinterher übernehmen<br />
muß, und das, was dann dabei herauskommt, nennen wir gerecht? Wäre das eine<br />
Möglichkeit <strong>der</strong> Organisation gerechter <strong>Arbeit</strong>steilung? O<strong>der</strong> aber würde man<br />
sagen, man macht eine irgendwie sinnvolle <strong>Arbeit</strong>steilung nach den Prinzipien<br />
<strong>der</strong> Neigung und dann schaut man mal, wer sich dajeweils meldet. Und die Teile<br />
<strong>der</strong> <strong>Arbeit</strong>, die sich nicht decken mit <strong>der</strong> Neigung <strong>der</strong> Leute, die aber trotzdem<br />
gemacht werden müssen nach dem gemeinschaftlichen Willen, die verteilt man<br />
gleichmäßig? Eine an<strong>der</strong>e Möglichkeit wäre es, zu sagen, daß dies ineffizient<br />
sei, und viel sinnvoller, <strong>Arbeit</strong>en auch nach Fähigkeiten zu verteilen usw. Ich will<br />
hier nur ein paar Punkte andeuten, auf die man kommt, wenn man selbst versucht<br />
zu denken, was eigentlich <strong>Arbeit</strong> ist und wie sie sich sinnvollerweise organisieren<br />
läßt. Nur ist von da bis zu <strong>der</strong> Situation, in <strong>der</strong> wir jetzt sind, ein weiter<br />
Schritt. Die Methode könnte damit fortgeführt werden, jetzt das Realitätsprinzip<br />
wie<strong>der</strong> einzuführen, sich also <strong>im</strong>mer stärker den aktuellen Problemlagen zu<br />
nähern. Allerdings wird man politisch so noch nicht handlungsfähig. Dennoch<br />
ist es absolut dringlich, sowohl theoretische wie politische Konzepte auf dieser<br />
gigantischen Wiese <strong>der</strong> <strong>Arbeit</strong> zu entwickeln, auf <strong>der</strong> wir uns jetzt alle befinden<br />
und in irgendeiner Weise zu reagieren. Ich meine, daß man sich den Luxus<br />
gestatten muß, die <strong>Arbeit</strong> als Begriff noch einmal neu zu konstruieren und sich<br />
davon zu lösen, <strong>Arbeit</strong> von vornherein nur in best<strong>im</strong>mten gesellschaftlichen<br />
Herrschaftsverhältnissen zu denken. Das Problem ist allerdings, daß man kritikunfähig<br />
wird, wenn man <strong>Arbeit</strong> nur in diesen gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen<br />
denkt und möglicherweise handlungsunfähig, wenn man sie außerhalb<br />
<strong>der</strong> Herrschaftsverhältnisse denkt.<br />
* Redaktionell überarbeiteter Beitrag zur "Rekonstruktion des <strong>Arbeit</strong>sbegriffs«, gehalten<br />
be<strong>im</strong> Werkstattgespräch des "Projektes <strong>Arbeit</strong>stheorie« <strong>der</strong> 10 Metall und <strong>der</strong> FU Berlin am<br />
22.1.1993 in Berlin.