Alles muss man selber machen ... - Stadtgespräche Rostock
Alles muss man selber machen ... - Stadtgespräche Rostock
Alles muss man selber machen ... - Stadtgespräche Rostock
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Nachtrag zur Ausgabe 55 („Politisch Essen“):<br />
Social Cooking<br />
JENS LANGER<br />
Social Cooking Ro<strong>man</strong>ia. Hgg. von der Neuen Gesellschaft<br />
für Bildende Kunst, Berlin 2007<br />
Von der Ausstellung in Berlin Ende/Anfang 2007/08 hatte<br />
ich überhaupt nichts gehört. Aber im Herbst 2010 waren Installationen<br />
und Texte zum Thema in der Galerie für Moderne<br />
Kunst in Sibiu/Her<strong>man</strong>nstadt ausgestellt, die zum vielgerühmten<br />
Brukenthal-Museum gehört. Als ich dort von meinem rumänischen<br />
Dorf angelangt war, hatte <strong>man</strong> die Exposition bereits<br />
einige Tage vor dem eigentlichen Termin geschlossen. Ich<br />
will nicht klagen. Ich hatte ja den vorzüglichen Katalog. An<br />
den will ich mich halten. Ich habe ihn sofort als einen Komplementär<br />
zu unserem Heft 55 mit dem Thema „Politisch essen“<br />
empfunden. Angesichts der Opulenz des Katalogs und der<br />
Bescheidenheit unseres Heftes ist klar wer wen ergänzt. Jedenfalls<br />
wird auf anschauliche Weise bestätigt, dass unsere Thematik<br />
ein Thema im Schwange der Zeitentwicklung war und ist.<br />
Nun auch von der Kunst traktiert: „ Die Nahrung (...) erweitert<br />
nicht nur die Wahrnehmung auch auf die anderen Sinne<br />
(...) , sie kann auch äußerst effizient von der unmittelbaren<br />
Wirksamkeit des Symbols erzählen, von den Mythen der Gegenwart,<br />
den sozialen Eigenheiten oder dem politischen<br />
Durcheinander.“ (Horea Avram). So installierte Sandor Barthas<br />
einen „Turm des Wiederanschlusses“ in einer siebenbürgischen<br />
Dorfkirche, der die Geschichte der ausgewanderten<br />
Sachsen wieder mit der aktuellen Geschichte des Ortes und<br />
seiner Bewohner verknüpfte, wie auch die Vergangenheit<br />
durch Videos und oral history präsent wurde. Bei regionaler<br />
Küche inklusive Getränken konnte international telefoniert<br />
und mit Postkarten korrespondiert werden. Wechselseitig integrierten<br />
Rumänen und Sachsen ihre Geschichte in der Gegenwart.<br />
Die Beispiele haben alle ihren regionalen Bezug, aber sie erweisen<br />
sich substantiell als Weltformat. Globalisierung gegen ethnische<br />
Abschottung. Nehmen wir unser internationales Interesse<br />
an gesunder Nahrung - und dieses Mal auf Rumänisch: Die<br />
ökologische Landwirtschaft verfügt offiziell nur über 0,01 Prozent<br />
der Ackerflächen, tatsächlich aber arbeiten viel mehr<br />
Kleinbauern nachhaltig aus Armut, weil sie Pestizide und Herbizide<br />
gar nicht bezahlen können. Was bedeutet es, dass sich<br />
hier ein großer Nischenmarkt - nach EU-Richtlinien bis zu<br />
10% - auftut für Reiche, die hier bis zu 400% mehr für Produkte<br />
zu bezahlen haben, als es in der herrschenden Agrarindustrie<br />
üblich ist ? Es ist Irina Cios zuzustimmen, dass angesichts der<br />
heutigen kulturellen Entwicklungen „das Soziale<br />
einer mit sämtlichen Zutaten ausgestatteten Küche gleicht, in<br />
der die Künstler - entgegen dem Zeittrend - eines oder mehrere<br />
Gerichte kochen können. Es wäre einfach, wenn das Versagen<br />
oder der Erfolg allein von der Wahl der Zutaten abhängen<br />
würden!“<br />
Mit diesem Katalog und unserem Heft 55 ist längst nicht alles<br />
abgehandelt, vielmehr erweitert sich der Problemkreis von „Politisch<br />
essen“ ständig, siehe etwa: Stefan Selke (Hg.), Tafeln in<br />
Deutschland, Wiesbaden 2009; ders. (Hg.), Kritik der Tafeln<br />
in Deutschland, Wiesbaden 2010. Irgendwo kocht es schon.