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4. Politologische und soziologische Befunde zur Wirkungsanalyse

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Aktuelle sozialwissenschaftliche Bef<strong>und</strong>e <strong>zur</strong> Gesellschaft<br />

Der aktuelle Klassiker einer Betrachtung von Gesellschaft unter kultureller Perspektive ist sicherlich F. Bourdieu, der in seiner<br />

"Soziologie der symbolischen Formen" (erstmals 1970) eine theoretische Gr<strong>und</strong>lage für eine klassentheoretische<br />

Betrachtungsweise von Gesellschaft gegeben hat, die die Sozialstruktur als wesentlich mit kulturellen Mitteln erzeugt, stabilisiert<br />

<strong>und</strong> reproduziert vorstellbar macht. Diesen Theorieentwurf hat er 1979 mit der großangelegten empirisch-theoretischen Studie<br />

"Die feinen Unterschiede" konkretisiert <strong>und</strong> weiterentwickelt, freilich mit erheblichen Rezeptionsschwierigkeiten zumindest im<br />

deutschsprachigen Raum (vgl. hierzu etwa Eder 1989, vor allem das Nachwort von Bourdieu S. 395 ff.).<br />

Zur Vorstellung weiterer Ansätze einer "Soziologischen Zeitdiagnose" referiere sich das Inhaltsverzeichnis einer knappen, aber<br />

präzisen Vorstellung <strong>und</strong> kritischen Diskussion der verschiedenen Ansätze von A. Honneth (1994), der die folgenden großen<br />

"Tendenzen" identifiziert, gravierende Veränderungen in der Gesellschaft auf den Begriff zu bringen: Tendenz zum<br />

Wertewandel; Postmoderne; Risikogesellschaft; Erlebnisgesellschaft. An einzelnen Autoren festgemacht:<br />

- Postmoderne (in ihrer gesellschaftstheoretischen Relevanz) vor allem bei Baudrillard <strong>und</strong> Lyotard<br />

- Individualisierung, (natürlich) an U. Beck<br />

- Ästhetisierung der Lebenswelt an W. Welsch <strong>und</strong> mit einem spezifischen Akzent bei G. Schulze<br />

- Fokus "Disziplinierung des Körpers" an M. Foucault<br />

- Kommunitarismus an M. Walzer<br />

- Zivilgesellschaft in verschiedenen Ansätzen <strong>und</strong> als nicht-thematisierte Frage<br />

- Das Problem der Armut.<br />

Bei der Sichtung dieser Theorie- <strong>und</strong> Diagnoseangebote fällt auf, daß Kultur <strong>und</strong> insbesondere ästhetische Betrachtungen eine<br />

entscheidende Rolle spielen - auch als Ausdruck einer programmatischen Absage an Vernunft, nunmehr als Methode der<br />

Wirklichkeitserkenntnis weniger diskursiv <strong>und</strong> kognitiv, als vielmehr "ganz anders" (abhängig vom jeweiligen<br />

Ästhetik-Verständnis) vorgehen zu wollen, sofern auch dieser Anspruch nicht auch schon als falsche, in Kategorien der<br />

Moderne verbleibende Fragestellung verworfen wird.<br />

Ein zweiter roter Faden ist die Auseinandersetzung mit der Moderne, sei es als Verkündigung ihres empirisch feststellbaren<br />

Endes, sei es als (normativ geforderte) Notwendigkeit ihres Endes, als Überlagerung der Moderne durch andere Strömungen<br />

oder durch Eintreten in eine andere Stufe von Moderne, etwa durch ihr "Reflexivwerden". Honneth kommentiert all diese<br />

Ansätze wie folgt: "Aber keine von ihnen hat die anschließende Phase der gewissenhaften empirischen Überprüfung<br />

unbeschadet überstanden. Sie alle haben sich schnell als Produkte einer Überverallgemeinerung von gesellschaftlichen<br />

Entwicklungen erwiesen, die nur eine beschränkte Reichweite, sei es in historischer, sei es in sozialer Hinsicht, besitzen. Von<br />

der Tendenz zu einem allgemeinen Wertewandel ist heute, nachdem infolge der Wirtschaftskrise Armut <strong>und</strong> Arbeitslosigkeit<br />

wieder drastisch zugenommen haben, eh nur der schwache Rest geblieben, der in gewissen Einstellungsveränderungen der<br />

Mittelschicht besteht; in der Behauptung einer gesellschaftlichen „Postmoderne“ ist von Anfang an die Hartnäckigkeit<br />

unterschätzt worden, mit der sich religiöse Überzeugungen <strong>und</strong> metaphysische Sinnerwartungen, kurz: die Orientierung an<br />

"großen Erzählungen“, im sozialen Alltagsbewußtsein festgesetzt haben; die These von der „Risikogesellschaft“ hat einen<br />

bestimmten Entwicklungstrend, nämlich die Zunahme an technologisch bedingten Überlebensrisiken, so sehr für das Ganze<br />

unserer Gesellschaft genommen, daß andere, ebenso bedeutsame Veränderungen erst gar nicht mehr zu Bewußtsein<br />

gelangen konnten; <strong>und</strong> in der Diagnose einer „Erlebnisgesellschaft“ schließlich bleibt wohl schon auf elementarer Stufe<br />

unberücksichtigt, daß auch heute noch große Teile der Bevölkerung in den hochentwickelten Gesellschaften mit Problemen des<br />

sozialen <strong>und</strong> ökonomischen Überlebens zu kämpfen haben. Werden zu diesen empirischen Einseitigkeiten noch die<br />

Unstimmigkeiten hinzugerechnet, die die jeweiligen Ansätze nicht selten in ihren theoretischen Mitteln aufweisen, so wird<br />

schnell deutlich, daß den <strong>soziologische</strong>n Zeitdiagnosen der jüngsten Vergangenheit ein erhebliches Maß an Skepsis entgegen<br />

gebracht werden muß." (Honneth 1994, S. 7 f.).<br />

Diese Zweifel sind insbesondere im kulturpolitischen Diskurs nicht hoch genug zu bewerten, da hier die Anfälligkeit für diese<br />

Theorie-Angebote besonders groß ist. Dies wiederum erklärt sich leicht aus der erwähnten Rolle ästhetischer (<strong>und</strong> kultureller)<br />

Argumentationsmuster, die scheinbar die umfassende Relevanz des eigenen Arbeitsgebietes nicht bloß für die Gesellschaft,<br />

sondern sogar für deren Erfassung zu belegen scheinen - <strong>und</strong> dabei die leichte Zirkelhaftigkeit übersehen, wie sehr das<br />

ästhetisch relevante Ergebnis durch die ästhetisch geprägten Untersuchungsmethoden vorprogrammiert ist.<br />

Angesichts dieses Bef<strong>und</strong>es von A. Honneth, der nicht generell bestreitet, daß es empirische Belege - freilich nicht mit dem<br />

formulierten Allgemeinheitsanspruch - für einzelne Positionen gibt, mag der Rückgriff auf den modernen Klassiker P. Bourdieu<br />

legitim erscheinen. Bourdieu widmet sich der geradezu klassischen Aufgabe der Soziologie, aus der sie ursprünglich im 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert auch entstanden ist: der sozialen Ungleichheit, wobei er unter Bezugnahme auf das Klassenkonzept die<br />

weitergehende Frage nach den kulturell sich ausdrückenden <strong>und</strong> kulturell (re-)produzierten sozialen Differenzierungen stellt<br />

(<strong>und</strong> u.a. mit einer sozialen Theorie der Kunstwahrnehmung beantwortet). Aspekte seiner Theorie in der Rekonstruktion von H.<br />

Lüdtke (1989), die für unsere Zwecke wegen ihres zentralen Fokus "Lebensstil" höchst relevant ist, sind die folgenden (ebd.,<br />

S. 31 ff.):<br />

1. Relevanz nicht nur der sozialen Lage, sondern der klassenspezifisch verschiedenen Wahrnehmungsmuster <strong>und</strong><br />

Klassifikationsschemata.<br />

2. Ungleichverteilung auch der symbolisch-kulturellen Güter, damit verb<strong>und</strong>en: Distinktion (der sozialen Position) über den<br />

Besitz "legitimer" Kulturgüter.<br />

3. Distinktionen führen zu unterschiedlichen "Lebensstilen", die durch äußere Attribute gekennzeichnet sind.

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